Produktsprachen: Design zwischen Unikat und Industrieprodukt [1. Aufl.] 9783839427781

Of DIY aesthetics and contingencies in mass production: The design studies view of current product languages opens up ne

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Produktsprachen: Design zwischen Unikat und Industrieprodukt [1. Aufl.]
 9783839427781

Table of contents :
Inhalt
1. Einleitung
2. Entstehung eines disziplinären Theorieansatzes: Über die designwissenschaftlichen Arbeiten von Jochen Gros
3. Die gegenwärtige Produkt- und Konsumentenkultur
4. Das Konzept der Sinndimensionen: Deutungsansatz auf Basis der soziologischen Systemtheorie
5. Zwischen Massenkultur und Einzigartigkeit: Sinndimensionen aktueller Produkte
6. Zusammenfassung
Literaturverzeichnis
Abbildungen

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Thilo Schwer Produktsprachen

Kunst- und Designwissenschaft | Band 2

Editorial Die Reihe »Kunst- und Designwissenschaft« präsentiert exzellente transdisziplinäre Forschungen junger und arrivierter ForscherInnen an den Schnittstellen von bildender Kunst, Design, Medien und Alltagsästhetik. Die einzelnen Bände eint das wissenschaftliche Interesse an Gestaltung als ästhetischem Phänomen. Somit leistet die Reihe einen Beitrag zur Etablierung der jungen Disziplin Designwissenschaft, widmet sich aber ebenso kunstwissenschaftlichen Phänomenen. Die Reihe wird herausgegeben von Cordula Meier, Professorin und Leiterin des Instituts für Kunst- und Designwissenschaft an der Folkwang Universität der Künste, Essen.

Thilo Schwer (Dipl.-Designer), Produktgestalter und Designwissenschaftler, promovierte bei Cordula Meier am Institut für Kunst- und Designwissenschaft der Folkwang Universität der Künste in Essen.

Thilo Schwer

Produktsprachen Design zwischen Unikat und Industrieprodukt

Herausgegeben von Cordula Meier mit Unterstützung der Folkwang Universität der Künste Essen.

Vorliegende Publikation wurde 2013 unter dem Titel »Evolution der Produktsprache – zwischen seriellem und individuellem Produkt. Vom Erweiterten Funktionalismus zum Konzept der Sinndimension vor dem Hintergrund ausdifferenzierter Produktkulturen und aktiver Konsumformen« dem Fachbereich 4 der Folkwang Universität der Künste zu Essen als Dissertation vorgelegt. Erstgutachterin: Prof. Dr. Cordula Meier Zweitgutachterin: Prof. Dr. Birgit Richard

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2014 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Ralf de Jong Satz: Mona Mönnig, Max Greve Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-2778-7 PDF-ISBN 978-3-8394-2778-1 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

1 Einleitung

9 9

1.1

Komplexität der Warenkultur

1.2

Disziplinäre Diskussion zur Be-Deutung von Produkten

12

1.3

Ansatz und Ziel der Arbeit

18

2

Entstehung eines disziplinären Theorieansatzes: Über die

23



designwissenschaftlichen Arbeiten von Jochen Gros

2.1

Zeitlicher Kontext

2.1.1

Das Paradigma des Funktionalismus

24

2.1.2

Die Funktionalismuskritik in Architektur und Industriedesign

30

2.1.3

Die kontroverse Funktionalismusdiskussion in der Zeitschrift ‚form‘

37

2.2

Grundlagen: Zu den Studienarbeiten von Jochen Gros

44

2.2.1

Umweltgestaltung als umfassendes Thema im Design

44

2.2.2

Ausweitung des Designbegriffs durch die Berücksichtigung der

47



psychischen Bedürfnisse der Nutzer

2.2.3

Empirische Ästhetik – Entwicklung eines Methodenapparates,



um Produkte mit den Augen der Zielgruppe zu betrachten

2.2.4

Erprobung empirischer Verfahren als Beitrag zu einer disziplinären

24

56 65

Gestaltmittelforschung 73

2.3

Praktische Anwendung der theoretischen Konzeption im Rahmen



der Lehre

2.3.1

Weiterentwicklung des Begriffsapparates und Nutzung von



Präzedenzfällen für den Erkenntnisgewinn

2.3.2

Weniger Konsum durch mehr Sinnlichkeit – eine designspezifische



Auseinandersetzung mit ökologischen Problemen

2.3.3

‚Roboterhandwerk‘ als Metapher für die neuen produktkulturellen



Möglichkeiten einer digitalen Produktionstechnologie

2.4

Zusammenfassung

91

3

Die gegenwärtige Produkt- und Konsumentenkultur

95

3.1

Ausdifferenzierung der Warenkultur

97

3.1.1

Produkte als multiple Identitätsmarker

98

3.1.2

Multisensuale Produkte

102

3.1.3

Mediale Besonderheiten

105

3.1.4

Inszenierung der Funktionalität und des Gebrauchs

107

73 79 87

3.1.5

Produkt-Ensembles

110

3.1.6

Zusammenfassung

113

3.2

Konsumentenkultur

114

3.2.1

Selektionskompetenz im Umfeld ausdifferenzierter Produktkulturen

116

3.2.2

Bedeutungszuschreibung als unabgeschlossener Prozess

120

3.2.3

Identitätsbildung durch Bedeutungskombination

125

3.2.4

Fiktionalisierung von Konsumangeboten

130

3.2.5

Aneignung: Herauslösung aus der Anonymität des Massenmarktes

135



(a) Aneignung durch Anpassung

139



(b) Aneignung durch Modifikation

142



(c) Produkte als Rohmaterial

147

3.2.6

Zusammenfassung

151

3.3

Zusammenfassung

152

4

Das Konzept der Sinndimensionen: Deutungsansatz auf Basis der

155



soziologischen Systemtheorie

4.1

Von der Informationsübertragung zur Informationskonstruktion:



Perspektivwechsel in den Designwissenschaften

4.1.1

Der radikale Konstruktivismus als Basis

4.1.2

Die soziologische Systemtheorie als Bezugsrahmen

161

4.2

Produkt-Kommunikations-Systeme: Analyserahmen für einen

167



rezeptionsbasierten Ansatz

4.2.1

Von der Informationsübertragung zur Informationskonstruktion –



Luhmanns Kommunikationsmodell

4.2.2

Die Operation der Beobachtung – variable Bezugsrahmen für die



Analyse von Kommunikationssystemen

4.3

Sinndimensionen als Deutungsschablone: Adaption des Theorieansatzes

182

4.3.1

Sinn als Medium

182

4.3.2

Das Konzept der Sinndimensionen als Instrument zur Strukturierung

187



von Komplexität



(a) Sachdimension

191



(b) Zeitdimension

195



(c) Sozialdimension

201



(d) Fiktionsdimension

208

4.4

Zusammenfassung

214

156 156

167 175

5

Zwischen Massenkultur und Einzigartigkeit: Sinndimensionen aktueller 217

Produkte 219

5.1

Bedeutungsmodulation durch Ensemblebildung – das Smartphone als



individualisiertes Massenprodukt

5.1.1

Perfekte Blackbox – das iPhone 5 von Apple

222



(a) Sachdimension

224



(b) Zeitdimension

227



(c) Sozialdimension

229



(d) Fiktionsdimension

233



(e) Gewichtung

236

5.1.2

iPhone mit Schutzhülle – aus der Uniformität herausgelöstes

237

Produktensemble

(a) Sachdimension

240



(b) Zeitdimension

242



(c) Sozialdimension

243



(d) Fiktionsdimension

244



(e) Gewichtung

245

5.2

Natürliche Materialien und improvisierte Techniken: serielle Unikate

247

5.2.1

Scheinbar selbst gemacht: DIY-Ästhetik im Produktdesign

249



(a) Sachdimension

251



(b) Zeitdimension

252



(c) Sozialdimension

254



(d) Fiktionsdimension

255



(e) Gewichtung

256

5.2.2

Guerilla Knitting im Büro: Anreicherung von Verwaltungsarbeit mit

257



subkulturellen Elementen



(a) Sachdimension

258



(b) Zeitdimension

259



(c) Sozialdimension

260



(d) Fiktionsdimension

262



(e) Gewichtung

263

5.3

Design aus der Nische: Long-Tail-Produkte und subkulturelle Umdeutungen 264

5.3.1

267 Crowdfunding – an der Ideenauswahl und am Entwicklungsprozess partizipieren



(a) Sachdimension



(b) Zeitdimension

271



(c) Sozialdimension

272



(d) Fiktionsdimension

273



(e) Gewichtung

274

269

275

5.3.2

Modifiziertes Serienprodukt: Steampunk-LCD-Display



(a) Sachdimension

277



(b) Zeitdimension

279



(c) Sozialdimension

280



(d) Fiktionsdimension

281



(e) Gewichtung

283

5.4

Zusammenfassung

283

6 Zusammenfassung

285

6.1

Analogien in der Theorieentwicklung

285

6.1.1

Umbruchsituation

285

6.1.2

DIY als Gegenkultur zur Erweiterung des semantischen Pools

287

6.2

Evolution der Produktsprache: von der Informationsübertragung

290



zur Informationskonstruktion

6.3

Ausblick: Design im Kontext von Web 2.0, Crowdsourcing und



subkulturellen Interventionen

7.

Literaturverzeichnis

8. Abbildungen

293

297 325

1. Einleitung 1.1 Komplexität der Warenkultur Trotz aller Bemühungen von Gestaltern1, Produzenten und Kommunikatoren, Produkte gezielt mit einer Aussage zu versehen, wird diese letztlich vom Nutzer konstruiert. Dabei handelt es sich nicht um einen einmaligen Prozess, der an einem bestimmten Punkt abgeschlossen wäre. Die Zuschreibung von Bedeutungen und die damit verbundenen persönlichen Erlebnisse erfolgen vielmehr unter gesellschaftlichen, kulturellen und persönlichen Rahmenbedingungen. Die Bewertung dieser Eigenschaften und Erlebnisse – der Bedeutungsgehalt für einen Nutzer – kann sich zudem vor, während und nach der Nutzung bzw. Auseinandersetzung mit einem Produkt verändern. Produkte haben somit gleichzeitig mehrere Bedeutungen, das (Rezeptions-)Umfeld kann als polykontexturell2 bezeichnet werden. Vor dem Hintergrund immer kürzerer Produktzyklen, bis in kleine Gruppierungen ausdifferenzierter Deutungsschablonen und einer nicht mehr handhabbaren Flut von Informationsangeboten ist unsere heutige Alltagskultur somit auf einem neuen Komplexitätsniveau angelangt. Doch wie kam es zu dieser schwer überschaubaren, vom Konsum geprägten Situation? Seit dem Wirtschaftswunder Ende der 1950er-Jahre gibt es in der Bundesrepublik Deutschland keinen Mangel mehr an Waren. Der tägliche Bedarf ist gedeckt. So hat sich der Markt in der Folge „von einer angebotsorientierten zu einer nachfrageorientierten Warenproduktion und -distribution“3 entwickelt, wie der Medientheoretiker Knut Hickethier die Situation in den 1960er Jahren beschreibt. Wegen des dadurch ent-

1 | Zugunsten der Lesefreundlichkeit wird im folgenden Text auf die Schreibweise mit Binnenmajuskel verzichtet. Wird in dieser Arbeit die männliche Form von Personen genannt, so sollen damit explizit sowohl weibliche als auch männliche Personengruppen einbezogen werden. 2 | Dieser Begriff wurde von Kneer und Nassehi genutzt, um die unterschiedlichen Bezüge, die im Rahmen der Beobachtung zweiter Ordnung zugänglich gemacht werden, zu beschreiben. Auf ihn wird in Kapitel 4.2.2 weiter eingegangen. 3 | Hickethier, Knut: „Protestkultur und alternative Lebensformen“, in: Faulstich, Werner (Hrsg.): Die Kultur der 60er Jahre, Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts, München: W. Fink 2003, S. 11–30, hier S. 14.

10

Produktsprachen

standenen Überangebots an Waren müssen seither aktiv Konsumanreize geschaffen werden – durch die Produkte selbst, sinnstiftende Elemente wie Markenidentitäten, aber auch durch Werbung und die Assoziation mit Lebensstilen. Glückt diese Sinnaufladung aus Sicht der Marktteilnehmer, so kann der Hersteller mit einem erhöhten Absatzpotenzial rechnen und damit einen weiteren Ausbau der Produktionskapazitäten veranlassen. Bedeutung kann folglich Begehrlichkeiten und somit Kaufanreize für nicht benötigte Waren schaffen sowie Überproduktion durch wirtschaftlichen Erfolg legitimieren. Diese seit den 1950ern zu konstatierenden Entwicklungen verstärken die Marktdynamik bis heute und führen zu einer beschleunigten Produktions- und Konsumptionssituation. 4 Auf der Anbieterseite führt diese Dynamik dazu, dass die Mittel, um Produkte mit Bedeutungen aufzuladen und somit Konsumanreize zu schaffen, ständig weiter ausdifferenziert werden. Doch auch die Konsumentenseite hat ihre Rezeptionskompetenz ausgeweitet.5 Eine theoretische Reflexion im Umfeld des Industriedesigns Anfang der 1960er-Jahre berief sich noch auf die Tradition von Werkbund und Bauhaus. In erster Linie wurde über Aufgaben und Methoden der Disziplin vor dem Hintergrund der industriellen Massenproduktion diskutiert. Vor allem an der 1958 gegründeten Hochschule für Gestaltung Ulm (hfg ulm) erfolgte eine fundierte Auseinandersetzung in Theorie und Praxis: Im Kontext der Bedarfsdeckung für breite Bevölkerungsschichten stand ein funktionalistisches Denken im Mittelpunkt, das eine Fokussierung auf naturwissenschaftliche Methoden nahelegte. Erst das Ende des wirtschaftlichen Aufschwungs leitete, in Verbindung mit politischen Krisen und gesellschaftlichen Umbrüchen Ende der 1960er-Jahre, ein Umdenken ein. Die anonyme Massenästhetik der Großserienfertigung wurde in diesem Rahmen mit sozialen Problemen, Umweltverschmutzung und Ausbeutung in Verbindung gebracht. Auch Designer setzten sich im Rahmen der sogenannten ‚Funktionalismuskritik‘ kritisch mit ihrer Disziplin und der gängigen Entwurfspraxis auseinander.6 Die 1971 von Jochen Gros formulierte ‚Dialektik der Gestaltung‘ machte einen theoretischen Neube-

4 | Jonas, Wolfgang: Design – System – Theorie: Überlegungen zu einem systemtheoretischen Modell von Design-Theorie, Essen: Verlag Die Blaue Eule 1994, S. 253. 5 | Dieser Entwicklung wird in Kapitel 3 nachgegangen. 6 | Bürdek, Bernhard E.: Design: Geschichte, Theorie und Praxis der Produktgestaltung, 3., vollst. überarb. und erw. Aufl., Basel: Birkhäuser 2005, S. 61f.

Einleitung

ginn möglich, denn nach dem naturwissenschaftlichen Paradigma wurden erstmals Erkenntnisse der Psychologie und der Gestaltforschung in die Designtheorie eingebracht.7 Dieser Ansatz mündete in die ‚Theorie der Produktsprache‘, wie sie an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach ab 1974 entwickelt wurde. Sie unterlegte die postmoderne Konsumkultur mit einem praxisorientierten designwissenschaftlichen Ansatz. Die Entwicklung digitaler Entwurfs- und Produktionstechniken, sowie die multimediale Vermittlung von Marken- und Produktidentitäten führt seit Mitte der 1990er-Jahre zu einem erneuten sprunghaften Anstieg der Produktvielfalt. Daneben ist eine eindeutige Zuordnung zu Nutzergruppen oder Lebensstilen in vielen Fällen nicht mehr möglich. Impulse für neue Produkte kommen zudem nicht nur von Produzentenseite – der produktive Konsument, auch Prosument oder Prosumer genannt, erzeugen durch die Kombination unterschiedlicher Waren oder eine Veränderung der Deutungszusammenhänge ihrerseits Sinnangebote.8 Auch abseits von kommerziellen Zusammenhängen haben Verbraucher Strategien entwickelt, um Produkte aus der Anonymität der Massenkultur herauszulösen und in Besitz zu nehmen.9 Die Bandbreite reicht von sehr einfachen Aneignungsstrategien bis hin zu einer ausdifferenzierten Do-it-yourself(DIY-)Szene, die an verschiedene Lebensstile und Subkulturen gekoppelt

7 | Gros, Jochen: Dialektik der Gestaltung. Zwischenbericht 2 der Arbeitsgruppe Freizeit WS 70/71, Universität Stuttgart, Institut für Umweltplanung Ulm (ehemals HfG), Ulm: Institut für Umweltplanung der Universität Stuttgart, Ulm 1971. 8 | Vgl. hierzu: Toffler, Alvin: Die dritte Welle – Zukunftschance: Perspektiven für die Gesellschaft des 21. Jhagrhunderts, Genehmigte Taschenbuchausg., 1. Aufl. Aufl., München: Goldmann 1987; Friebe, Holm: Marke Eigenbau : der Aufstand der Massen gegen die Massenproduktion / Holm Friebe ; Thomas Ramge, Frankfurt, M.: Campus-Verl. 2008; Richard, Birgit und Alexander Ruhl (Hrsg.): Konsumguerilla : Widerstand gegen Massenkultur?, 1. Aufl. Aufl., Frankfurt am Main: Campus 2008. 9 | Schwer, Thilo: „Konsumcollagen – Persönliche Aneignung versus kommerzielle Verwertung im Möbeldesign“, in: Richard, Birgit und Alexander Ruhl (Hrsg.): Konsumguerilla: Widerstand gegen Massenkultur?, 1. Aufl., Frankfurt am Main: Campus 2008, S. 55–68, hier S. 55f.

11

12

Produktsprachen

ist.10 Somit prägen nicht nur industrielle Produkte unsere Konsumkultur, sondern auch von Nutzern modifizierte oder gar selbst erstellte. Dieser neuen Komplexität mit einem angemessenen theoretischen Apparat zu begegnen, um die vielschichtigen Produktbedeutungsmöglichkeiten zu analysieren, ohne dabei ein einseitiges, deterministisches Kommunikationsmodell zugrunde zu legen, ist das Ziel dieser Arbeit. Der Rezipient und seine zeitabhängigen Sinndimensionen stehen im Zentrum des Erkenntnisinteresses. Vorliegende Arbeit schließt an den Anfang der 1970er-Jahre von Gros formulierten Theorieansatz an, um auf dieser Basis eine neue Sichtweise zu formulieren, die dem veränderten Komplexitätsniveau der heutigen Konsumkultur Rechnung trägt. Aus diesem Grund werden zunächst zeitliche Zusammenhänge, im Rahmen derer die Theorie der Produktsprache entstand, wie auch die Entwicklung des Ansatzes selbst nachgezeichnet. Es folgt eine Darstellung der gegenwärtigen Waren- und Konsumkultur; auf dieser Basis wird dann ein theoretisches Modell formuliert, das auf der prinzipiellen Offenheit von Produktwahrnehmung und Bedeutungszuschreibung basiert und diese Elemente theoretisch handhabbar machen soll. Produktbeispiele im letzten Teil dieser Arbeit sollen Erkenntnismöglichkeiten des erarbeiteten Theorieansatzes zeigen.

1.2 Disziplinäre Diskussion zur Be-Deutung von Produkten Das erstmals 1991 erschienene Buch von Bernhard E. Bürdek ‚Design – Geschichte, Theorie und Praxis der Produktgestaltung‘11 ist mit seinen zahlreichen Übersetzungen sowie der überarbeiteten und erweiterten Ausgabe von 200512 eine weitverbreitete Publikation, in welcher auch der an der HfG Offenbach gelehrte und vertretene Theorieansatz dargestellt wird. Dane-

10 | Schwer, Thilo: „DIY in Jugendkulturen: Vom kopierten Fanzine zum Steampunk-PC“, in: Richard, Birgit und Heinz-Hermann Krüger (Hrsg.): InterCool 3.0 Jugendliche Bild - und Medienwelten, München: W. Fink 2010, S. 405–414, hier S. 405ff. 11 | Bürdek, Bernhard E.: Design: Geschichte, Theorie und Praxis der Produktgestaltung, 1. Aufl., Köln: DuMont 1991. 12 | Bürdek: Design 2005.

Einleitung

ben ist das im Jahr 2000 erschienene Buch ‚Design als Produktsprache‘13 an deutschen Hochschulen bekannt, das von Dagmar Steffen herausgegeben wurde. Es basiert auf einer von 1999 bis 2000 an der HfG Offenbach geführten Präzedenzfalldiskussion von Professoren und Studierenden, an der ich selbst als Student teilnahm. In dieser Publikation, die aus Anlass der bevorstehenden Pensionierung von Richard Fischer (pensioniert 1999) erarbeitet wurde, sollte ein ganzheitliches, erweitertes und aktualisiertes Bild der Theorie der Produktsprache gezeichnet werden, wie es zu dieser Zeit an der Hochschule für Gestaltung Offenbach gelehrt und vertreten wurde. Weit weniger geläufig ist die Schriftenreihe ‚Grundlagen einer Theorie der Produktsprache‘14 des Fachbereichs Produktgestaltung, die Mitte der 1980er-Jahre herausgegeben wurde und in der Folge vornehmlich als hochschulspezifisches Lehrmaterial für die Studierenden diente. Zurückzuführen ist der in diesen Publikationen beschriebene ‚Offenbacher Ansatz‘ letztlich auf eine Seminararbeit mit dem Titel ‚Dialektik der Gestaltung‘15, die Jochen Gros 1970/71 am IUP in Ulm vorgelegt hatte. Darauf auf bauend verfasste Jochen Gros an der SHf bK Braunschweig die Seminararbeit ‚Empirische Ästhetik‘ sowie die im Selbstverlag publizierte Diplomarbeit ‚Erweiterter Funktionalismus und Empirische Ästhetik‘.16 Diese bisher selten rezipierten Werke dienen neben dem Wettbewerbsbeitrag ‚Weniger Konsum durch mehr Sinnlichkeit‘, den Jochen Gros als Mitglied der ‚Des-In-Gruppe‘ verfasste, und einigen frühen Artikeln der Zeitschrift ‚form‘ als Hauptquellen vorliegender Untersuchung, um die

13 | Steffen, Dagmar: Design als Produktsprache: der „Offenbacher Ansatz“ in Theorie und Praxis, Frankfurt am Main: Verlag Form 2000. 14 | Gros, Jochen: Grundlagen einer Theorie der Produktsprache. Schriftenreihe des Fachbereichs Produktgestaltung der Hochschule für Gestaltung Offenbach am Main / Einführung, Bd. 1, Hochschule für Gestaltung 1983; Fischer, Richard und Gerda Mikosch: Grundlagen einer Theorie der Produktsprache. Schriftenreihe des Fachbereichs Produktgestaltung der Hochschule für Gestaltung Offenbach am Main, Bd. 3, Hochschule für Gestaltung 1984; Gros, Jochen, Dagmar Steffen und Petra Widmayer: Grundlagen einer Theorie der Produktsprache. Schriftenreihe des Fachbereichs Produktgestaltung der Hochschule für Gestaltung Offenbach am Main / Symbolfunktionen, Bd. 4, Hochschule für Gestaltung 1987. 15 | Gros: Dialektik der Gestaltung. 16 | Gros, Jochen: Empirische Ästhetik, Semesterarbeitarbeit an der SHfBK Braunschweig, Staatliche Hochschule für Bildende Künste Braunschweig, Fachbereich 4, Experimentelle Umweltgestaltung 1972.

13

14

Produktsprachen

Entstehung und Entwicklung dieses Ansatzes fundiert darzustellen. Zusätzlich werden persönliche Gespräche und Interviews mit Jochen Gros und Bernhard E. Bürdek einbezogen, um zeitliche Verknüpfungen und den Entstehungskontext herauszuarbeiten und das Thema aus den verschiedenen Perspektiven der Beteiligten zu beleuchten. Die Entstehung der Theorie der Produktsprache steht in Zusammenhang mit einem Paradigmenwechsel, der parallel von mehreren Designtheoretikern forciert wurde: dem Übergang von naturwissenschaftlichen zu geisteswissenschaftlichen Erkenntnismodellen im Design. Bernhard E. Bürdek stellt diese Veränderungen in den Rahmen des ‚Linguistic turn‘17, der die Hinwendung zur Sprachlichkeit in den Geisteswissenschaften beschreibt. Der Kommunikationswissenschaftler Klaus Krippendorff 18 entwickelte parallel zur Theorie der Produktsprache den vornehmlich im angelsächsischen Sprachraum bekannten Ansatz der ‚Product Semantics‘. Vor dem Hintergrund der Digitalisierung fordert er in seinem 2006 verfassten Buch einen ‚Semantic Turn‘.19 Design solle sich nach Überwindung einer mechanisch und industriell geprägten Gestaltung wieder intensiver mit Bedeutung vor dem Hintergrund gesellschaftlicher, ökologischer und ethischer Fragestellungen auseinandersetzen: „Design has to shift gears from shaping the appearance of mechanical products that industry is equipped to manufacture to conceptualizing artifacts, material or social, that have a chance of meaning something to their users, that aid larger communities, and that support a society that is in the process of reconstructing itself in unprecedented ways and at record speeds. The emerging conceptions of what it means to be human and the role that technologies play in these conceptions, including contemporary preferences for a democratic way of living – at least in the West – offer designers a unique place to make constributions that are far more significant than they were under the aegis of industry.“20

17 | Bürdek, Bernhard E.: „Überblick über die Theorieentwicklung“. 18 | Krippendorff, Klaus: „Welcome to Klaus Krippendorff’s Homepage“, http://www.asc. upenn.edu/usr/krippendorff/ (zugegriffen am 9.12.2012). 19 | Krippendorff, Klaus: The Semantic Turn, Routledge 2006. 20 | Ebd., S. Einleitung.

Einleitung

Die finnische Designwissenschaftlerin Susann Vihma nähert sich in ihrer Dissertation ‚Products as Representations‘21 dem Thema aus der Perspektive der Semiotik und erweitert das Design in Richtung Ästhetik:22 „In my research I have discussed the constitution of the semiotic sign in the case of a design product and analysed its functions as a sign. […] The research indicates that the application of the semiotic sign is an interesting conceptional tool for interpreting representational qualities. Especially iconic and indexical signs seem to structure representation in a way from the design point of view.“23

Bürdek spricht in einem Vortrag beim Symposium ‚design theoretisch‘ von zwei maßgeblichen Linien in der Designtheorie. Neben der oben aufgeführten linguistischen Linie gebe es noch eine systemtheoretisch geprägte.24 Diese konnte ab Ende der 1980er-Jahre beobachtet werden. Holger van den Boom reflektierte beispielsweise in seinem „Designtheoretischen Versuch“ das Entwerfen als Tätigkeit des Menschen zur Vereinfachung des Lebens vor dem Hintergrund sozialer Systeme.25 In weiteren Arbeiten befasste er sich jedoch vorwiegend mit dem Entwerfen vor dem Hintergrund

21 | Vihma, Susann: Products as Representations: A Semiotic and Aesthetic Study of Design Products., University of Art and Design Helsinki 1995. 22 | Vihma, Susann: „Design Semantik und Ästhetik (Übersetzung von Wolfgang Jonas)“, http://home.snafu.de/jonasw/PARADOXVihmaD.html (zugegriffen am 9.12.2012). 23 | Vihma: Products as Representations: A Semiotic and Aesthetic Study of Design Products., S. 11. 24 | In seinem Vortrag verweist Bürdek auf seine Veröffentlichung ‚Design im Dickicht der Diskurse‘, in der Zeitschrift ‚form‘ Heft 221, 4/2008, in dem er diese Zweiteilung darlegte. Bürdek, Bernhard E.: „Arabesken im Design“, https://www.wetransfer.com/dl/PU8Y0281/4 7013b2870922e916acab353b7c5b14e4fb8d3c5aab3c5c8d0a9fb4edf3ce75e017504c9 e3eb12 (zugegriffen am 17.7.2011). 25 | Boom, Holger: Ein designtheoretischer Versuch, hg. von Rektor d. Hochsch. für Bildende Künste Braunschweig, Referat für Öffentlichkeitsarbeit u. Weiterbildung, 1. Aufl., Braunschweig: Rektor d. Hochsch. für Bildende Künste Braunschweig, Referat für Öffentlichkeitsarbeit u. Weiterbildung 1984, S. 11.

15

16

Produktsprachen

der Computertechnologien und den daraus resultierenden neuen Anforderungen an das Design und die Entwurfsmethodik.26 Auch Wolfgang Jonas bezieht sich bei seinen „Überlegungen zu einem systemtheoretischen Modell der Design-Theorie“27 auf die Tätigkeit des Entwerfens als konstituierendes Element des Designs. Seine Ansätze zu einem erweiterten und neu definierten systemischen Denken sollen als Integrationskern bisherige und zukünftige designtheoretische Arbeiten verbinden und übergreifend nutzbar machen. Im Gegensatz zu den oben genannten systemtheoretischen Überlegungen, die sehr allgemein gefasst waren, nimmt Jonas jedoch grundsätzlich an, dass der konstruktivistische Kommunikationsbegriff wie auch der funktional-strukturelle Ansatz der soziologischen Systemtheorie zur Erfassung des Komplexes ‚Entwerfen‘ in besonderem Maße geeignet sei.28 Das von ihm erstellte Gesamtmodell verortet die Tätigkeit des Entwerfens in Niklas Luhmanns GesellschaftsStruktur-Modell und klärt damit systemtheoretische Grundlagen wie beispielsweise das Medium der Kommunikation oder den symbolisch generalisierten Code. Den Zyklus der Produktkommunikation als autopoietisches System zu sehen, bietet einen Ansatzpunkt für die Verbindung der Erkenntnisse der Produktsprache bzw. Product Semantics und der Systemtheorie. Um diesen theoretischen Strang jedoch fundiert aufzunehmen

26 | Van den Boom, Holger: Digitale Ästhetik: zu einer Bildungstheorie des Computers, Stuttgart: Metzler 1987. 27 | Jonas: Design – System – Theorie. 28 | „Häufig wird heute der eingeschränkte Aspekt Produktsemantik hervorgehoben: Transport einer sinnvollen Botschaft vom Designer via Objekt an den Braucher. Meist ist damit die informationstheoretische Fiktion verbunden, es sei möglich, einem Objekt explizit eine fixierte Bedeutung mitzugeben. Die Objektsprache ist in dieser Sicht das Primäre, der Kommunikationsaspekt ergibt sich daraus. Stattdessen wird hier Kommunikation als primärgesehen, Sprache als sekundär, da sie funktionierende Kommunikation bereits voraussetzt. […] Damit wird auch die zentrale These der strukturalen Linguistik verlassen, daß Sprache ein System von Zeichen sei, deren strukturelle Beziehungen die Bedeutung sind. Die kommunikative Funktion kann durch unterschiedliche Sprachelemente (Sätze, Wörter, Dinge) realisiert werden. Wörter und Sätze fungieren also nicht mehr als Bilder der Wirklichkeit, als Beschreibung von Sachverhalten, sondern Wörter und Sätze dienen als vielfältig nutzbare Elemente innerhalb von Kommunikationskontexten, von ‚Sprachspielen‘ (WIT TGENSTEIN). Die Bedeutung, der Sinn der Sprachelemente ist grundsätzlich kontextabhängig. Der Gebrauch schafft Sinn [Herv. im Orig., Anm. d. Verf.].“ Ebd., S. 220.

Einleitung

und mit der eigenen theoretischen Zielsetzung in Verbindung zu bringen, sind die relevanten Grundlagen der soziologischen Systemtheorie auf Basis der relevanten Publikationen von Niklas Luhmann neu zu erarbeiten. Hier sind vor allem das dreiteilige Kommunikationsmodell und die damit verbundene Konstitution von Sinn wichtig, wie sie in ‚Soziale Systeme‘29 beschrieben werden. Schließlich leitet ‚Die Verbindlichkeit des Vorübergehenden – Paradoxien der Mode‘30 von Elena Esposito im Zusammenhang mit Mode das Konzept der Sinndimensionen theoretisch ein. Ein besonderer Vorteil der systemtheoretischen Sichtweise liegt im radikal konstruktivistischen Ansatz, demzufolge jedes System seine eigene Sicht der Realität erzeugt.31 Dadurch wird es möglich, die Bedeutung von Produkten kontextabhängig zu sehen. Denn Produkte werden von unterschiedlichen Stilgruppen mit abweichenden, teilweise sogar konträren Bedeutungen versehen. Beispiele hierfür sind im fein ausdifferenzierten produktkulturellen Umfeld zu finden, dies wird in Kapitel 3.1.1 genauer beleuchtet. Auf Basis der Systemtheorie lässt sich die Existenz der unterschiedlichen Sichtweisen erklären, die beispielsweise bei der Kommunikation zwischen Unternehmen und Konsumenten, Marken und Konsumenten, Wertwelten und Konsumenten oder zwischen verschiedenen Konsumentengruppen entstehen. Einen ersten Ansatz einer solchen kontextabhängigen Produktwahrnehmung im Bereich der Designwissenschaften formu-

29 | Luhmann, Niklas: Soziale Systeme – Grundriss einer allgemeinen Theorie, 1. Aufl., Frankfurt am Main: Suhrkamp 1987. 30 | Esposito, Elena: Die Verbindlichkeit des Vorübergehenden: Paradoxien der Mode, 1. Aufl., Frankfurt am Main: Suhrkamp 2004. 31 | Vgl. hierzu Cordula Meier: „Der Radikale Konstruktivismus tritt heute als konsensuelles Wissenschaftsparadigma auf. Aus dieser Vielfalt transdisziplinärer Wissenschafts-Entwürfe lassen sich interessante Ableitungen zur Gestaltung und zum industriell/informationellen Design herstellen. Denn, und hier hilft der Radikale Konstruktivismus, in der Designwissenschaft geht es darum, die Wirklichkeit als konstruierte und nicht hingenommene Wirklichkeit zu begreifen.“ Meier, Cordula: „Design Theorie – Grundlage einer Disziplin.“, in: Meier, Cordula (Hrsg.): Design-Theorie: Beiträge zu einer Disziplin, Frankfurt am Main: Anabas Verlag 2001, S. 16–37, hier S. 24. Oder Jonas: „Realität [Herv. im Orig., Anm. d. Verf.] existiert, mehr ist nicht zu sagen. Die Unterscheidung und Bezeichnung der Dinge der Welt ist eine kognitive und soziale Konstruktion.“ Jonas: Design – System – Theorie, S. 110. Auf den radikalen Konstruktivismus wird in Kapitel 4.1 weiter eingegangen.

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Produktsprachen

lierte Thomas Jaspersen 1985 in ‚Produktwahrnehmung und stilistischer Wandel‘.32 Nach einer empirischen Untersuchung von Produktwandel und Produktwahrnehmung im Kontext von Umwelt und Gesellschaft versucht Jaspersen, einige weiter gehende Hypothesen zu formulieren. Er stellt die Produktwahrnehmung in diverse Zusammenhänge: mit der nutzerspezifischen Umwelt, mit nutzerspezifischem Handeln (Kaufakt etc.), mit nutzerspezifischen Entscheidungssituationen etc. Interessant ist hier das implizite Interesse am Thema der Anschlussfähigkeit der Kommunikationsangebote zwischen Produktumfeld und Produkt bzw. zwischen der Produktumwelt und der produktindividuellen Umwelt. Ebenso wird die Besonderheit im Produktentstehungsprozess herausgearbeitet, dass in den Entwicklungsteams bei den einzelnen Beteiligten sowohl verschiedene Nutzer- als auch Herstellerwahrnehmungen einfließen und diese Wahrnehmungen auch wieder wechselseitig aufeinander einwirken. Diese Wechselwirkung zwischen Nutzergruppen und Hersteller beschreibt auch Tom Stark in seiner Analyse der Designentwicklung der Harley-Davidson-Motorräder mit dem Titel ‚Less or more – what a bore‘.33 Produkte mit einer starken Identität und einer großen Verbreitung – wie das iPhone ab der 2. Generation von Apple – machen deutlich, wie individuell Produkte von Nutzern gesehen und aufgenommen werden. Dieser Sachverhalt soll im letzten Kapitel vorliegender Arbeit anhand aktueller Produkte und darauf bezogener Veröffentlichungen in diversen Medien erhellt werden.

1.3 Ansatz und Ziel der Arbeit Die Theorie der Produktsprache stellt die Mensch-Objekt-Relationen ins Zentrum ihres Erkenntnisinteresses und zieht zur Erforschung dieser Relationen geisteswissenschaftliche Methoden heran.34 Denn es kommt den Designwissenschaften nicht darauf an, die Qualität von Design mit naturwissenschaftlichen Verfahrensweisen zu messen. Vielmehr geht es

32 | Jaspersen, Thomas: Produktwahrnehmung und stilistischer Wandel, Frankfurt am Main: Campus-Verlag 1985. 33 | Stark, Tom: Less or more – what a bore. Harley-Davidson: Design im Kontext, 1. Aufl., Frankfurt am Main: Anabas-Verlag 1999. 34 | Bürdek: Design 2005, S. 293.

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darum, ein Verständnis für den Nutzer zu entwickeln, für sein Verhalten und seine Wünsche, wie Bürdek in ‚From Function to meaning: In the long run everything is Design‘ darlegt: „Again, it is important to understand that a ‚Science of Design‘ is mainly based on principles of human science, not on natural science. It is not necessary to measure the quality of design, but to understand the users, their behaviors and their wishes.“35

Auf dieser Basis wurde an der HfG Offenbach ein disziplinärer Ansatz für Designtheorie geschaffen, der mit seinem engen Praxisbezug sowohl die fachspezifische Analyse der Mensch-Objekt-Relation ermöglichen wie auch durch eine spezifische Fachsprache den Entwurfsprozess verbessern und die Zusammenarbeit mit anderen Disziplinen erleichtern sollte. Ziel war die Generierung von Fachwissen und die strukturierte sprachliche Vermittlung dieser Erkenntnisse. Hierfür wurde ein umfassendes Begriffssystem erarbeitet, das 1976 im Rahmen der ersten Präsentation des Offenbacher Ansatzes von Jochen Gros in der Zeitschrift ‚form‘ publiziert wurde.36 Somit wurde an der HfG Offenbach bereits sehr früh Fachwissen erarbeitet, das auch von anderen Disziplinen aufgegriffen werden kann. Letzteres ist u.a. an der Rezeption der Produktsprache in den Wirtschaftswissenschaften – zu nennen wäre hier exemplarisch die Publikation von Patrick Reinmöller37 – nachzuvollziehen. Ein starker Praxisbezug und die Möglichkeit, auf Basis dieses Ansatzes Produkte zielgruppenspezifisch zu analysieren, machen die Übertragung in andere Disziplinen möglich und sinnvoll. Ein Potenzial, dessen Ausschöpfung Jochen Gros bereits 1972 in ‚Empirische Ästhetik‘ forderte und anstrebte. Wie oben bereits ausgeführt, muss man bei Produkten heute jedoch von unterschiedlichen Deutungen ausgehen, die je nach Nutzergruppe

35 | Bürdek, Bernhard E.: „From function to meaning: In the long run everything is design.“, in: Vidal, Francesca (Hrsg.): Ernst Bloch und das Bauhaus: gestern und heute, MössingenTalheim: Talheimer Verlag 2008, S. 151–174, hier S. 172. 36 | Gros, Jochen: „Sinn-liche Funktionen im Design – (2) Entwurfsbeispiele zu theoretischen Begriffen und Hypothesen.“, form – Zeitschrift für Gestaltung 75 (1976), S. 12–16, hier S. 12. 37 | Reinmöller, Patrick: Produktsprache: Verständlichkeit des Umgangs mit Produkten durch Produktgestaltung, Köln: Förderges. Produkt-Marketing 1995.

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Produktsprachen

parallel bestehen. Doch auch hier bietet das Bild einer Produktsprache eine passende Analogie an. Denn auch in der Sprache gibt es Dialekte und Jargons38, die einen Sachverhalt regional, beruflich, gesellschaftlich oder kulturell abgegrenzt auf spezifische Weise bezeichnen. Das Bild der Sprache hat jedoch einen entscheidenden Nachteil, denn Sprache ist ein Medium der Kommunikation. Somit bezieht sich das Bild der Sprache auf die Produkte – und nicht auf die Interpretationen der Nutzer und auf die Bedeutungen, die daraus entstehen. Aus dem Grund erscheint es in diesem Zusammenhang treffender, den Begriff der Kommunikation zu nutzen. Denn Kommunikation bezieht sich nach Luhmanns Modell nicht nur auf die Weitergabe einer Information, sondern auch auf das Verstehen des Gegenübers. So liegt eine kontextabhängige Sichtweise der Bedeutungszuschreibung nahe, wie sie durch die Beobachtung 2. Ordnung möglich ist. Darüber hinaus wird der Prozess der Gestaltung und der Rezeption von Produkten zu einem zirkulären Prozess, der sich gegenseitig bedingt und von wechselseitigen Rückkopplungen geprägt ist. Dieser zirkuläre Ansatz hat vielfältige Bezüge zur heutigen Konsumrealität. Die Wechselwirkung von Szene und Produktangebot bei der Marke Harley Davidson wurde von Tom Stark klar aufgezeigt.39 Aber auch die Vermischung von Konsument und Produzent zum sogenannten Prosumenten bzw. Prosumer wurde oben bereits angesprochen. Abseits dieser von der Wirtschaft aufgegriffenen Interaktionsmöglichkeiten gibt es ein breites Feld von Alltagshandlungen, die von einem kreativen Umgang mit Produkten, deren Veränderung und Aneignung geprägt sind – bis hin zu ausgefeilten Do-it-yourself-Praktiken (DIY), wie sie beispielsweise in der Steampunk-Szene zu finden sind. 40 Betrachtet man diesen Sachverhalt aus der Perspektive der Designwissenschaft oder des Produktgestalters, so kann man nicht mehr von einem passiven Konsumieren von Artefakten sprechen. Unsere Konsumkultur ist vielmehr von aktiven Prozessen mit vielfältigen Rückkopplungen und Wechselwirkungen geprägt. Kenntnisse

38 | Jonas weist im Kontext von Produktsprache auf das Problem hin, dass „in anderen Gruppen für ein und dasselbe Zeichen ganz andere Konnotationen […] gelten. Genauer wäre es also, von Produktjargon zu sprechen. Jargon meint eine Ausdrucksweise für Eingeweihte: Die Verwendung bestimmter, in der vergangenen Kommunikation vereinbarter Zeichen löst etwas aus: Gefühl von Geborgenheit, Glück, Zugehörigkeit etc.“ Jonas: Design – System – Theorie, S. 58. 39 | Stark: Less or more – what a bore. 40 | Schwer: „DIY in Jugendkulturen: Vom kopierten Fanzine zum Steampunk-PC“, S. 412.

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über die Ausprägungen, Eigenschaften und Mechanismen dieser Konsumform – ich nenne sie aktiven Konsum – eröffnen neue Wege zur Gestaltung und Reflexion vorhandener Artefakte. Aus diesem Grund möchte ich diese in unserer heutigen ökonomisch geprägten Designszene bisher kaum beachtete Konsumform gleichwertig betrachten und analysieren. Dies soll auf drei Ebenen geschehen: ‚Alltägliche Aneignungsprozesse‘ führen zu einfachen Veränderungen von Serienprodukten und damit einhergehenden veränderten Bedeutungszuschreibungen. ‚Subkulturelle Aneignungsprozesse‘ nutzen vielfältigere, subtilere Praktiken, um Produkte in die jeweilige Szene zmensionen ein Modell zu entwickeln, das die unterschiedlichen, parallel existierenden Bedeutungen von Produkten beschreiben kann. Darüber hinaus soll dieses Modell den Designwissenschaften die Möglichkeit bieten, die Bedeutungszuschreibung im Rahmen von Aneignungsprozessen zu beobachten. Und nicht zuletzt sollen die Überlegungen zu einem erweiterten Verständnis der Produktkultur führen, das neben industriellen Artefakten auch von Konsumenten veränderte oder gar selbst erzeugte Produkte einschließt.

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2. Entstehung eines disziplinären Theorie-



ansatzes: Über die designwissenschaft-



lichen Arbeiten von Jochen Gros Der heute als ‚Theorie der Produktsprache‘ bezeichnete Theorieansatz entstand in einer Zeit des Umbruchs. Das Innovationsstreben der Moderne wurde in den freien und angewandten Künsten von postmodernen Ansätzen abgelöst. In den Theorien der angewandten Gestaltung wurde der oben bereits angesprochene ‚Linguistic Turn‘ vollzogen. Die seit Mitte der 1970er-Jahre von den Professoren der Hochschule für Gestaltung in Offenbach gemeinsam entwickelte Theorie der Produktsprache hat im Designbereich einen hohen Bekanntheitsgrad. Dazu hat die Mitte der 1980er-Jahre erschienene HfG-Schriftenreihe ‚Grundlagen einer Theorie der Produktsprache‘ beigetragen. Die oben erwähnte Publikation ‚Design als Produktsprache‘ von Bernhard E. Bürdek hat durch ihre große Verbreitung und die Übersetzungen in andere Sprachen den Ansatz auch international bekannt gemacht. Die Ursprünge des Ansatzes wurden hingegen wenig rezipiert. Wie beschrieben, kann den Studienarbeiten von Jochen Gros eine wichtige Rolle bei der Entwicklung der Theorie der Produktsprache zugeschrieben werden. Da das hier betrachtete Forschungsfeld sowie der in vorliegender Studie formulierte designtheoretische Ansatz in mehrerer Hinsicht an die Überlegungen von Jochen Gros anschließen, scheint es sinnvoll, letztere zunächst zu erläutern41 und zu bewerten. Um das zeitliche und designwissenschaftliche Umfeld mit zu berücksichtigen, werden im folgenden Kapitel wichtige Richtungen, Ansätze und Kontroversen sowie im Anschluss ausgewählte Arbeiten von Gros vor dem Hintergrund der skizzierten Entwicklungen vorgestellt.

41 | Aufgrund der schlechten Zugänglichkeit der Quellen werden die für diese Arbeit relevanten Stellen inhaltlich wiedergegeben, kommentiert und bewertet.

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Produktsprachen

2.1 Zeitlicher Kontext 2.1.1 Das Paradigma des Funktionalismus Die Entwicklung der Theorie der Produktsprache sei nur aus dem zeitlichen Kontext heraus zu begreifen, betonte Jochen Gros in einem persönlichen Gespräch im Sommer 2009. Dieser zeitliche Kontext wird sowohl von wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen vorgegeben als auch durch Technologie und Produktionsprozesse, allgemeine hochschulische Rahmenbedingungen, gestalterische Diskurse und nicht zuletzt die vorherrschende Praxis des Produktdesigns. Der Begriff ‚Funktionalismus‘ erfasst die zentralen disziplinären Rahmenbedingungen. Bei genauerer Betrachtung führt dieser jedoch zu einem komplexen und vielschichtigen Themenbereich. Die folgende kompakte Darstellung soll in das Thema einleiten. Sie beschränkt sich bewusst auf die bundesrepublikanischen Zusammenhänge, da diese im Nachkriegsdeutschland durch den Wiederauf bau und dem damit verbundenen wirtschaftlichen Boom eine besondere Geschwindigkeit und Qualität aufweisen. Trotzdem sind die Entwicklungen nicht losgelöst von internationalen Strömungen zu sehen. Theoretische Diskurse und technologische Neuerungen aus Europa und aus den Vereinigten Staaten beeinflussen diese Phase. Die beiden Weltkriege und die kulturelle Gleichschaltung während des Dritten Reichs führten in der Bundesrepublik zu einem Nachholbedürfnis in der Kunstentwicklung. Lucius Burkhard formuliert dies folgendermaßen: „Deutschland 1955: Das Versäumnis und Nachholbedürfnis der Kunstentwicklung seit 1933, das eine Rückblendung in die frühen dreißiger Jahre nötig gemacht hatte, führte gerade zu einer Renaissance des Modernismus.“42

Aber nicht nur im kulturellen bzw. künstlerischen Bereich galt es, wieder den Anschluss an internationale Standards zu finden. Die große Wohnungsnot nach dem Zweiten Weltkrieg konnte beispielsweise nur mithil-

42 | Burckhardt, Lucius: Design = unsichtbar, hg. von Hans Höger, Ostfildern: Cantz 1995, S. 53.

Entstehung eines disziplinären Theorieansatzes: Über die Arbeiten von Jochen Gros

fe neuer Baumethoden zeitnah gelindert werden. Von 18,8 Mio. Häusern waren 4,8 Mio. völlig zerstört, 13 Mio. Menschen waren obdachlos, hinzu kamen 12 Mio. Vertriebene, wie der Architektursoziologe Bernd Schäfers die damalige Situation prägnant in Zahlen darstellt. 43 Ähnlich verhielt es sich mit Produkten des täglichen Bedarfs, wie Selle darstellt: „Die Rekonstruktionsphase beginnt 1945 unter gleichen und ungleichen Voraussetzungen. Der Krieg hat Werte vernichtet, die dem Bruttosozialprodukt der Jahre 1928-1939 zusammen entsprechen (vgl. Fischer 1968). Von Gestaltung kann kaum die Rede sein; Improvisation, Tauschhandel und Schwarzmarkt ersetzen die geregelte Versorgung (vgl. Glaser 1985), während Grundstoffindustrien und Verkehrswege wieder aufgebaut werden müssen. Aus Kriegsdümpel müssen Dinge für den notwendigsten Bedarf hergestellt werden. Das Problem ist, wie man aus Stahlhelmen brauchbare Kochtöpfe macht, nicht wie sie aussehen.“44

In der Architektur setzte eine Rückbesinnung auf den ‚International Style‘45 und industrielle Formen des Bauens ein, wie sie bereits 1919 in der Konzeption des Bauhauses angedacht worden waren. 46 Ästhetisch führte

43 | Schäfers, Bernhard: Architektursoziologie: Grundlagen - Epochen - Themen, Opladen: Leske und Budrich 2003, S. 129. 44 | Selle, Gert: Design-Geschichte in Deutschland: Produktkultur als Entwurf und Erfahrung, Überarb. u. erw. Ausg. Aufl., Köln: DuMont 1987, S. 243. 45 | Der Begriff ‚International Style‘ wurde 1932 anlässlich einer Ausstellung im Museum of Modern Art (MoMA) unter der Leitung von Alfred Barr geprägt. Unter dem Titel ‚The International Style: Architecture Since 1922‘ zeigten Ausstellung und begleitender Katalog Gebäude von 50 Architekten aus 16 Ländern, die von Henry-Russel-Hitchcock und Philip Johnson ausgewählt worden waren, darunter beispielsweise Werke von Le Corbusier, Gropius und Alto. Khan, Hasan-Uddin: International Style: Architektur der Moderne von 1925 bis 1965, Köln [u.a.]: Taschen 1998, S. 65. 46 | Vgl. hierzu: „So wurde 1919 das Bauhaus eröffnet. Sein besonderes Ziel war die Verwirklichung einer modernen Architektur, die, gleich der menschlichen Natur, das ganze Leben umfaßt. Es konzentrierte sich in seiner Arbeit hauptsächlich auf das, was heute allgemein Aufgabe von zwingender Notwendigkeit geworden ist, nämlich die Versklavung des Menschen durch die Maschine zu verhindern, indem man das Massenprodukt und das Heim vor mechanischer Anarchie bewahrt und sie wieder mit mechanischem Zwecksinn erfüllt. Dies bedeutet, Waren und Bauten zu entwickeln, die ausdrücklich für industrielle Produktion entworfen

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Produktsprachen

diese Renaissance avantgardistischer Ansätze vom Beginn des Jahrhunderts zu klar gegliederten, geometrischen Bauwerken. Schäfers benennt die Charakteristika wie folgt: – – – – – – –

stereometrische Grundformen bei asymmetrischer Anordnung; typenmäßiger Grundriss und freie Raumgestaltung; ornamentlos rationale Funktionsfähigkeit der Räume (ohne dass diese auf nur eine Funktion festgelegt wären); das Flachdach und Anordnung der Fenster in horizontal laufenden Bändern; serienmäßige Vorfabrikation; zumeist weißer Verputz. 47

Da technisch gesehen vielfach vorfabrizierte, standardisierte Bauteile verwendet wurden, kann in diesem Zusammenhang von industrialisiertem Bauen gesprochen werden. Die formale Reduktion der Gebäude war aber nicht nur aus ökonomischen Gründen oder wegen ihrer technischen Effizienz im Nachkriegsdeutschland erfolgreich. Schon äußerlich schufen diese Bauwerke „eine große Distanz zur nationalsozialistischen Architektur und den damit verbundenen Verbrechen und der Niederlage“48 und entsprachen somit dem kollektiven Wunsch des Vergessens, den viele (Bundes-) Deutsche zu dieser Zeit hatten. Analog zur ästhetischen und produktionstechnischen Industrialisierung des Bauens kann im Nachkriegsdeutschland auch bei der Produktion von Konsumgütern ein Technisierungsimpuls beobachtet werden, den der damalige Arbeitskräftemangel weiter verstärkte. Ende der 1950er-Jahre wurde daraus eine „Technik-Euphorie“49, welche die deutsche Gesellschaft für lange Zeit prägte. Aber auch die Dynamik der Konsumbedürfnisse, die vom Nachholbedarf dieser Zeit hervorgerufen wurde, war Triebkraft

sind.“ Gropius, Walter: Architektur: Wege zu einer optischen Kultur, Frankfurt am Main: S. Fischer 1982, S. 19. 47 | Schäfers: Architektursoziologie, S. 127. 48 | Ebd., S. 129. 49 | Radkau, Joachim: Technik in Deutschland: vom 18. Jahrhundert bis heute, Frankfurt am Main: Campus-Verlag 2008, S. 330.

Entstehung eines disziplinären Theorieansatzes: Über die Arbeiten von Jochen Gros

für die industrielle Entwicklung.50 Der Einsatz großindustrieller Fertigungsmethoden und eine darauf abgestimmte Gestaltung ermöglichten eine schnelle Wiederherstellung der Grundversorgung für breite Bevölkerungsschichten. Die zügige Durchsetzung solch einer technologiezentrierten Entwicklung erforderte Veränderungen der Produktformen und deren Entstehungsprozesse, wie René Spitz darstellt: „Die industrialisierung ermöglichte und erforderte zugleich, daß die industriell hergestellten güter des täglichen bedarfs gleichförmig, standardisiert wurden. Was bis dahin vom handwerker einzeln geformt war, ging nun in serie und wurde zunehmend von fachleuten gestaltet.“51

Die – schon vor dem Zweiten Weltkrieg eingeleitete – Professionalisierung der Formgestaltung, die am Bauhaus erstmals theoretisch und praktisch reflektiert wurde, rief auch im Nachkriegsdeutschland intellektuelle Kräfte auf den Plan, die den Trend nicht nur theoretisch begleiten, sondern ganzheitlich formen wollten. Im Ergebnis führten diese Entwicklungen zum Paradigma des Funktionalismus, das für viele Jahre Gültigkeit besaß. Das bekannteste und einflussreichste Beispiel für die gestalterische und intellektuelle Auseinandersetzung mit dem Funktionalismus ist die 1955 gegründete private Hochschule für Gestaltung in Ulm (hfg). Schon in der Anbindung an die Geschwister-Scholl-Stiftung äußert sich der umfassende Ansatz dieser Ausbildungsstätte, denn neben der Vermittlung gestalterischer Inhalte wurde eine universal bildende, politisch orientierte Lehre gefordert.52 Rationale, wissenschaftlich fundierte Bewertungsme-

50 | Ebd., S. 336. 51 | Spitz, René: hfg Ulm: der Blick hinter den Vordergrund; die politische Geschichte der Hochschule für Gestaltung; 1953 - 1968, übers. von Ilze Klavina, Stuttgart: Ed. Menges 2002, S. 13. 52 | Vgl. Selle, der diesen Gedanken anhand des Ulmer Hockers darlegt: „Der Hintergrund dieses Hockers gegen das Hockenbleiben beansprucht mehr Raum als das bescheidene Objekt. Ideell geht eine seiner Wurzeln bis in die erste Aufarbeitungsphase des Widerstandes von Hans und Sophie Scholl gegen das Nazi-Regime zurück, die 1947 in Ulm zur Diskussion um die Einrichtung einer Schule mit explizit gesellschaftspolitischem Auftrag für den geistigen, moralischen und politischen Wiederaufbau Deutschlands führte. Auf Initiative von Inge Scholl, Otl Aicher und anderen Mitbegründern der Ulmer Volkshochschule wurde das Modell

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Produktsprachen

thoden sollten auch gestalterisch einen demokratischen Neubeginn markieren und diesen über die Produkte in die Alltagskultur überführen. In diesem Rahmen wurde Gestaltung zunehmend ganzheitlich, als integrativer Bestandteil des Wirtschafts- und Produktionsprozesses, betrachtet. Einzelprodukte wurden in der Ausbildung bewusst ausgeklammert, um Produktentwicklungen in größere Zusammenhänge stellen zu können. So entstanden an der hfg Ulm vorwiegend Baukastensysteme, ganzheitliche Gestaltungskonzepte wie auch planerische und analytische Arbeiten. Produktplanung und naturwissenschaftliche Erkenntnisse dienten dazu, den Entwurfsprozess zu systematisieren und zu objektivieren. Ökonomische und technische Rationalität wurden während der Ausbildung zu Leitgedanken erhoben.53 Im Gegensatz zu den bei der Gründung definierten Ansprüchen an eine Gestaltung im Kontext von Gesellschaft und Individuum veränderten sich später die Ausbildungsinhalte der hfg Ulm in Richtung einer technisch-mathematisch basierten Gestaltungsauffassung. Die angesichts ihrer Orientierung an den derzeit vorhandenen technischen Rahmenbedingungen durchaus als kommerziell ausgerichtet angesehen werden kann.54 Vergleiche mit der Gestaltungsauffassung des Bauhauses unterstützen

einer Tages-Volkshochschule unter dem Namen ‚Geschwister-Scholl-Hochschule‘ entwickelt, die eine universal bildende, politisch orientierende und praktisch qualifizierende Lehre betreiben sollte. [Absatz im Originaltext, Anm. d. Verf.] Aus diesem ersten Denkmodell entstand die Hochschule für Gestaltung, nachdem es Inge Aicher-Scholl gelungen war, dem Vorhaben ein juristisches und ökonomisches Fundament in Form einer Stiftung zu unterlegen und sie mit dem Hochkommissar McCloy, der an deutschen Aktivitäten zur politischen Bildung interessiert war, ein Abkommen getroffen hatte, das der Geschwister-Scholl-Stiftung den Zufluss amerikanischer Entwicklungshilfe-Mittel zusicherte.“ Selle, Gert: Geschichte des Design in Deutschland, Aktualisierte und erw. Neuausg. Aufl., Frankfurt am Main: Campus-Verlag 2007, S. 242. 53 | Ebd., S. 244f. Selle: Design-Geschichte in Deutschland, S. 268 wie weiter unten zitiert. 54 | Vgl. Bürdek: „In autonomen Entwicklungsgruppen (Instituten) wurden verstärkt Projekte für industrielle Auftraggeber bearbeitet. Gleichzeitig wurde das Verwertungsinteresse der Industrie am Design immer deutlicher. Gerade deutsche Unternehmen erkannten, dass mit den an der HfG Ulm angewandten Prinzipien rationelle Produktkonzeptionen zu verwirklichen waren, die dem damaligen Stand der Technologie besonders entgegenkam.“ Bürdek: Design 2005, S. 46.

Entstehung eines disziplinären Theorieansatzes: Über die Arbeiten von Jochen Gros

diese Einschätzung, wie Eva von Seckendorff in ihrer Dissertation über die hfg Ulm darstellt: „In Ulm war man über den Standpunkt der ‚Materialtreue‘ oder ‚Werktreue‘ hinaus, der beispielsweise von Gropius am Bauhaus oder vom Deutschen Werkbund in den zwanziger Jahren vertreten wurde. Maßstab für die Behandlung des Materials ist die verarbeitende Maschine, die Technik.“55

So wurden die Produkte der hfg-Dozenten Otl Aicher, Max Bill, Otto Schild, Walter Zeischegg, Hans Gugelot und anderer zu Leitbildern für eine bundesdeutsche Produktkultur,56 die aufgrund der ihr eigenen Ästhetikvorgabe, nämlich technisch geprägt und bescheiden zu wirken, dem neuen Großserienprodukt eine adäquate ästhetische Gestalt gaben. Daher besaßen die theoretischen und praktischen Ausbildungsinhalte und -ergebnisse der hfg Ulm zu dieser Zeit eine Präsenz, die zunächst die bundesdeutsche wie auch internationale Designausbildung beeinflusste und in der Folge auch die Konsumlandschaft entscheidend prägte. Für Selle gilt die hfg Ulm deshalb unbestritten als Ort, „an dem erkannt wurde, dass technische Ästhetik derzeit als Medium kultureller Kommunikation und Ausdruck industriellen Lebens schlechthin aufzufassen war.“57 Die anonyme Massenästhetik, die im Zuge der ständig wachsenden Großserienfertigung die Konsumlandschaft der 1950er- und 1960er-Jahre prägte, fand sich auch in den Produktentwürfen der Ulmer Hochschule wieder. Dort konnte man zwar mit einer inhaltlichen Begründung und einer hohen Detailqualität aufwarten; die formale Ausprägung glich jedoch in weiten Teilen dem allgemeinen Bild der Massenästhetik. So führten die stringenten Planungsmodelle und die Fixierung auf mathematische Transformationen und Baukastensysteme in die formale Sackgasse der Uniformität, die den sozialen und psychologischen Ansprüchen an Gestaltung nicht standhalten konnte. Das ausschließlich auf Rationalität gründende

55 | Seckendorff, Eva: Die Hochschule für Gestaltung in Ulm: Gründung (1949 - 1953) und Ära Max Bill (1953 - 1957), Marburg: Jonas-Verlag 1989, S. 158. 56 | Selle: Geschichte des Design in Deutschland; Mäntele, Martin: „Erfolg durch Design“, in: Rinker, Dagmar (Hrsg.): Ulmer Modelle - Modelle nach Ulm: Ulmer Museum Hfg-Archiv, Hochschule für Gestaltung, Ulm 1953 - 1968, Ostfildern-Ruit: Hatje Cantz 2003, S. 164–169. 57 | Selle: Geschichte des Design in Deutschland, S. 245.

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Produktsprachen

Weltbild widersprach damit dem ursprünglichen Ziel der Hochschule, nämlich den Entwurf einer humanen Umwelt voranzutreiben.58

2.1.2 Die Funktionalismuskritik in Architektur und Industriedesign „Unsere Städte und unsere Wohnungen sind Produkte der Phantasie wie der Phantasielosigkeit, der Großzügigkeit wie des engen Eigensinns. Da sie aber aus harter Materie bestehen, wirken sie auch wie Prägestöcke; wir müssen uns ihnen anpassen. Und das ändert zum Teil unser Verhalten, unser Wesen.“59

Mit dieser Gegenwartsbestimmung leitet der Psychoanalytiker Alexander Mitscherlich sein Pamphlet von 1965 über die Missstände in der Stadtentwicklung ein. Anfang der 1960er-Jahre war die Rekonstruktionsphase in der Bundesrepublik weitgehend abgeschlossen. Nun war für fast alle Bevölkerungsschichten ein Wohlstand möglich, in dem es keinen Mangel an Wohnraum oder Dingen des alltäglichen Bedarfs mehr zu beklagen gab. Die schnelle Steigerung der Herstellungskapazitäten führte sogar dazu, dass die Produktion den Bedarf an Gütern übertraf. Eine Rezession in den 1960er Jahren führte erstmals zur Infragestellung dieser Praxis, wie Selle darstellt:

58 | Vgl. Selle: „Waren die Stahlrohrmöbel von Marcel Breuer und Mart Stam noch vorbereitende Symbolformen der technsichen Kultur, so sind dieProduktreihen und Systeme der HfG Ulm in gleichförmiger Ausrichtung der Wahrnehmung und Handhabung schon verschärfter Ausdruck des fortgeschrittenen Anspruchs der Rationalisierung. Das Maß der Strenge wird absolut. Form und Ordnung erheben den Anspruch objektiver Endgültigkeit und entindividualisierter Gesetzmäßigkeit auf einer möglichst mathematisch-exakten Berechnungsgrundlage: Computer-Design (noch) ohne Computer in emotionsloser Nüchternheit. […] In dieser ausschließlichen Rationalität drückt sich verinnerlichte Zustimmung zu Lebens- und Entwurfsbedingungen aus, die in Ulm auch überwunden werden sollte im Sinne eines humanen Umweltentwurfs. Dieser Versuch verfällt dem Widerspruch zwischen funktionaler Optimierung und Entsinnlichung der Systeme.“ Selle: Design-Geschichte in Deutschland, S. 268f. 59 | Mitscherlich, Alexander: Die Unwirtlichkeit unserer Städte: Anstiftung zum Unfrieden, 1. Aufl., Frankfurt am Main: Suhrkamp 2008, S. 9.

Entstehung eines disziplinären Theorieansatzes: Über die Arbeiten von Jochen Gros

„Die Rekonstruktionsperiode ist im Westen endgültig abgeschlossen. Die Rezession 1966/67, erste Zweifel am bisher ungebremsten Wachstum sowie ökonomie- und gesellschaftskritische Analysen lösen die Unbedenklichkeit auf, mit der Design bis dahin eingesetzt und wahrgenommen worden ist.“60

So wurden ab Mitte der 1960er-Jahre auf verschiedenen Ebenen erste kritische Stimmen laut, die den Status quo hinterfragten. Einige dieser Kritiker sollen im Folgenden kurz benannt werden. Die sozialphilosophische Gesellschaftstheorie der Frankfurter Schule stellte die kapitalistisch-bürgerliche Wirklichkeit infrage. Durch ein philosophisches Sezieren der Konzepte Vernunft, Natur und Kultur sollte der widersprüchliche Prozess der gesellschaftlichen Rationalisierung erfasst und aufgezeigt werden, der die kapitalistische Gesellschaft der Moderne kennzeichnete. Dabei deckte die ‚Kritische Theorie‘ Herrschafts- und Unterdrückungsmechanismen auf, um den Weg zu einer vernunftgeprägten Gesellschaft mündiger Bürger aufzuzeigen.61 Herbert Marcuse thematisiert in seinem Buch ‚One Dimensional Man‘ von 1964 die westlichen Industriegesellschaften und beschreibt sie als durch und durch rational organisiert, wie Schweppenhäuser mit Bezug auf Marcuse darstellt: „Der Vernunftbegriff in der Epoche des industriell-technologischen Kapitalismus ist demzufolge durch die Merkmale der Abstraktion, der ‚Reduktion von Qualität und Quantität‘ sowie der Leistungsfähigkeit und der Funktionalisierung gekennzeichnet, welche ‚Herrschaft über alle (auf Quantitäten und Tauschwerte reduzierten) Besonderheiten ermöglicht‘, wie Marcuse 1964 feststellt.“62

In diesem Rahmen verfolgten die Gesellschaften nur noch den Erhalt des gegebenen Zustandes, also der bestehenden Macht und Eigentumsverhältnisse. Aufgrund dieser Eindimensionalität würden soziale Zwecke wie die Befriedigung der Bedürfnisse von Individuen der Produktion und Verwertung von Mehrwert geopfert. Unter diesem Blickwinkel dienten, so Schweppenhäuser, beispielsweise die Medizin und die pharmazeutischen

60 | Selle: Geschichte des Design in Deutschland, S. 255. 61 | Schweppenhäuser, Gerhard: Kritische Theorie, Stuttgart: Reclam 2010, S. 7ff. 62 | Ebd., S. 55.

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Wissenschaften nur noch der Profitmaximierung ihrer Betreiber; die Heilung von Menschen werde lediglich für diesen Zweck instrumentalisiert. Gleiches gelte für den Wunsch der Menschen, informiert zu sein, der dem Zweck, Nachrichten als Ware zu verkaufen, untergeordnet werde.63 Diese grundlegende Gesellschaftskritik entsprach damals einer weitverbreiteten inneren Unzufriedenheit mit vorhandenen Zwängen, der allerdings gleichzeitig ein hohes Maß an Anpassung und Wertkonservativismus vieler Bevölkerungsschichten gegenüberstand. Trotzdem war das Jahrzehnt der 1960er, ausgehend von Studentenschaft und Jugendkultur, von Protest und alternativen Lebensformen geprägt.64 So kritisiert die Soziologin Heide Berndt 1968 mit Bezug auf Marcuse und den Soziologen Hans Paul Bahrdt65 den Funktionalismus im Städtebau: „Der heutige Funktionalismus in der Architektur ist eine ‚eindimensionale‘ Ästhetik. Er spiegelt jene Eindimensionalität der gesamten gesellschaftlichen Entwicklungsrichtung wider, die Verselbständigung der technischen Mittel gegenüber gesellschaftlichen Zielsetzungen – eben die Verselbständigung der Zweckrationalität –, die Herbert Marcuse als die Ideologie der fortgeschrittenen Industrienationen, USA und UDSSR bezeichnet [Verweis auf Fussnote im Originaltext, Inhalt siehe 66, Anm. d. Verf.]. Der eindimensionale Charakter der modernen Industriegesellschaften gründet in der Kopplung von rationalen Mitteln und irrationalen Zwecken in der Verknüpfung von Produktivität und Vernichtung.“66

63 | Ebd., S. 53–58. 64 | Hickethier: „Protestkultur und alternative Lebensformen“, S. 11. 65 | Berndt, Heide: „Ist der Funktionalismus eine funktionale Architektur? Soziologische Betrachtung einer architektonischen Kategorie“, in: Berndt, Heide, Alfred Lorenzer und Klaus Horn: Architektur als Ideologie, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1968. verweist auf S. 31 auf den Soziologen Bahrt vgl. den Quellenhinweis von Berndt auf S. 46 / bzw. im Literaturverzeichnis auf S. 147: Bahrdt, Hans Paul: Die moderne Grossstadt: Soziologische Überlegungen zum Städtebau, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1961, S. 58. 66 | Berndt: „Ist der Funktionalismus eine funktionale Architektur? Soziologische Betrachtung einer architektonischen Kategorie“, S. 40. [Fussnote 66]: Marcuse, Herbert: One dimensional Man: Studies in the ideology of advanced industrial society, London: Routledge & Paul 1964; Marcuse, Herbert: Der eindimensionale Mensch: Studien zur Ideologie der fortgeschrittenen Industriegesellschaft, Neuwied: Luchterhand 1967.

Entstehung eines disziplinären Theorieansatzes: Über die Arbeiten von Jochen Gros

Als Gegenentwurf forderte sie neue Formen des Zusammenlebens, die zu einer neuen Ästhetik und Architektur führen könnten. Auch die eingangs zitierte Architekturkritik Alexander Mitscherlichs geht auf die Unwirtlichkeit67 funktionalistisch geprägter Stadtplanung und Architektur ein und bezieht sich ebenfalls auf die Frankfurter Schule. Betrachtet man die sogenannten Trabantenstädte ‚Neue Vahr‘ in Bremen, ‚Gropiusstadt‘ und ‚Märkisches Viertel‘ in Berlin, ‚München-Perlach‘ und die ‚Fasanenhofsiedlung‘ in Stuttgart, so ist diese Kritik nachvollziehbar. Die Reduktion auf die Wohnfunktion, die ohne Infrastruktur kein städtisches Leben initiierte, ließ diese Gebiete zu reinen Pendlerstätten werden. Das Fehlen regionaler und historischer Bauformen und Baustoffe wie auch die Öde der bloßen Reihung geometrisch reduzierter Baukörper führten zu einer als maschinenhaft, nüchtern und kalt empfundenen Wohnumgebung, in der wachsende soziale Probleme beobachtet werden konnten. Eindrucksvolles Beispiel für ein Gebäude, das jenseits städtischer Maßstäbe angelegt war, ist der damals mit 400 m längste Wohnblock Europas, der im Märkischen Viertel in Berlin mit ca. 50.000 Einwohnern entstand.68 Nicht nur die im Zuge des schnellen Wachstums sich stark wandelnden Städte und Lebensformen wurden einer kritischen Reflexion unterworfen, sondern auch die Produktkultur, wie beispielsweise in Wolfgang Fritz Haugs ‚Kritik der Warenästhetik‘ von 1971: „Die Kritik der Warenästhetik [Herf. im Orig., Anm. d. Verf.] leistet einen Beitrag zur Sozioanalyse des Schicksals der Sinnlichkeit und der Entwicklung der Bedürfnisse im Kapitalismus. Kritik ist sie, indem sie die Funktionsweise ihres Gegenstandes zugleich mit den Bedingungen für

67 | Der Begriff der ‚Unwirtlichkeit‘ sei Ende der 1960er Jahre populär gewesen, wie die Soziologin Marianne Rosenstein berichtet. Er beziehe sich auf die Diskrepanz zwischen der baulich-materiellen Umwelt der Stadt und den Wünschen und Lebensbedingungen freier Menschen. „Unwirtlichkeit entsteht deshalb nicht erst mit einer bestimmten städtebaulichen Konstellation, sie ist die Grundstimmung der damaligen Stadt“ Rodenstein, Marianne: „‚Die Unwirtlichkeit unserer Städte‘: Kontext, Thesen und Konsequenzen.“, in: Mitscherlich, Alexander: Die Unwirtlichkeit unserer Städte: Anstiftung zum Unfrieden, 1. Aufl., Frankfurt am Main: Suhrkamp 2008, S. 171–199, hier S. 181. 68 | Schäfers: Architektursoziologie, S. 130ff.

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seine Möglichkeit, seiner Widersprüchlichkeit und historischen Entfaltung darstellt.“69

Um die Manipulation der Massen zu untersuchen, greift der Beitrag auf Begriffe und Systemanalysen zurück, die wiederum weitestgehend auf ‚Das Kapital‘ von Karl Marx auf bauen. So wird bei Waren bzw. Produkten zwischen Gebrauchs- und Tauschwert unterschieden und anhand verschiedener Beispiele nachgewiesen, dass Design der Erhöhung des Tauschwertes diene, jedoch keine Steigerung des Gebrauchswertes bewirke. Die Fokussierung auf den Tauschwert dominiere gleichzeitig die Gesellschaft, wodurch die Bedeutung des Gebrauchswertes immer weiter abnehme. Der Ethnologe Hans Peter Hahn fasst die Kritik Wolfgang Fritz Haugs folgendermaßen zusammen: „Das Diktat des Konsums ist der Grund dafür, dass den Menschen die Beziehung zur Materialität der Alltagsdinge verloren geht. Nur noch die Oberf läche, die Verpackung spielt eine Rolle. Die Möglichkeit einer direkten Auseinandersetzung mit dem Ding als solchen [sic!, Anm. d. Verf.] ist nicht mehr gegeben.“ 70

Doch neben einer grundsätzlichen Infragestellung der Massenproduktion und des Designs als Disziplin wurde schon sehr viel früher kritisch mit dem Funktionalismus und seinen Grundlagen zur Formgebung umgegangen. So reflektierte Max Bill bereits 1949 in einer Rede vor dem schweizerischen Werkbund die Problematik des Begriffs ‚Materialgerecht‘: „Nun hat man immer behauptet, ‚werkbundmäßig‘ heiße materialgerecht. Aber fragen wir uns: Was bedeutet das, ‚materialgerecht‘?, so wird die Antwort schwer fallen. Wir entdecken, daß das Einhalten der Materialgerechtigkeit sehr stark von der Funktionserfüllung abhängig ist. Andererseits kann bekanntlich fast aus jedem Material jede Form hergestellt werden, ohne daß man ohne weiteres das eine als echt, das andere

69 | Haug, Wolfgang Fritz: Kritik der Warenästhetik [erweiterte Neuausgabe], Suhrkamp Verlag 2009, S. 19. 70 | Hahn, Hans Peter: „Konsum und die Ethnographie des Alltags“, in: Richard, Birgit und Alexander Ruhl (Hrsg.): Konsumguerilla: Widerstand gegen Massenkultur?, 1. Aufl., Frankfurt am Main: Campus 2008, S. 21–31, hier S. 23.

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als unecht bezeichnen dürfte. Ein Beispiel: Ist es materialgerecht, wenn wir ein keramisches Geschirr ohne Dessin von makelloser Qualität fordern, wenn wir wissen, daß diese Ausführung schwer herzustellen ist und sicherlich viel teurer zu stehen kommt als eine gewöhnliche Ausführung, mit kleinen, aber nicht störenden technischen Unausgeglichenheiten behaftet?“ 71

Theodor W. Adorno, einer der Mitbegründer der Frankfurter Schule, hielt 1965 in Berlin vor dem deutschen Werkbund einen Vortrag mit dem Titel ‚Funktionalismus heute‘, in dem er das diesem prinzipiell zugrunde liegende Verständnis kritisierte. Obwohl sich der Vortrag vornehmlich auf die Architektur bezieht, wurde er im Industriedesign vielfach rezipiert. Drei Kernthesen sind aus dieser Perspektive wichtig: Erstens könne keine Form gänzlich aus ihrem Zweck heraus geschöpft werden72. Zweitens habe Material keine ihm innewohnende adäquate Form73, und drittens bleibe auch der Funktionalismus, den Adolf Loos beispielsweise vom ‚Unwahren‘ befreien wollte, in dem Widerspruch verstrickt, trotz schmuckloser Gestaltung vornehmlich den Tauschwert der Waren zu erhöhen.74 Der marxistische Philosoph Ernst Bloch hielt auf diesem ‚Werkbundtag‘ ebenfalls eine Rede. Einleitend stellte er klar, dass nicht nur wir die Objekte formen, sondern diese auch uns formen würden, beispielsweise unsere Haltung zu und unseren Umgang mit ihnen 75, worin sich die gesellschaftliche Relevanz von Gestaltung äußere. Ebenso leitete Bloch aus dieser Wechselwirkung verschiedene Sichtweisen ab, die sich aus der Verwendung historisierender Elemente, aber auch asketischer, ornamentfreier Zweckform ergeben. Dabei kritisierte er die ‚Weglassungen‘, die durch das ‚ehrlich-Klare‘ entstünden:

71 | Bill, Max: „Schönheit aus Funktion und als Funktion (1949)“, in: Fischer, Volker und Anne Hamilton (Hrsg.): Theorien der Gestaltung, Bd. 1, Grundlagentexte zum Design, Frankfurt am Main: Verlag Form 1999, S. 188. 72 | Adorno, Theodor W.: „Funktionalismus heute“, in: Fischer, Volker und Anne Hamilton (Hrsg.): Theorien der Gestaltung, Bd. 1, Grundlagentexte zum Design, Frankfurt am Main: Verlag Form 1999, S. 198–211, hier S. 200. 73 | Ebd., S. 201. 74 | Ebd., S. 208ff. 75 | Bloch, Ernst: „Bildung, Ingenieurform, Ornament“, Werk und Zeit: Monatszeitung des Deutschen Werkbundes 11/12 (1965), S. 2–3.

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„Und immer wieder: genau die zweckmäßig erstrebte Gerät- und Baugestalt büßte – im Gebiet der allgemeinen Entfremdung und einer Klarheit als Ideologie monotoner Leere – alle Unterschiede der verschiedenen Zweckgestaltung selber wachsend ein. Sie sind nun gerade nicht mehr gerade menschlich zweckgerecht differenziert: Bungalow, Flughafen (minus Piste), Theater Universität, Schlachthaus sind in der dominierenden Form des Glaskastens geeint. Ein zweifellos hoher Preis, den diese Art Klarheit für die Loslösung vom angeklebten Kitschprunk der Gründerzeit gezahlt hat: zweckfremde geometrische Monotonie zusammen mit voller Unterernährung der Phantasie, zusammen mit der hochgradigen Selbstentfremdung, für die solche Kälte, solche Nicht-Aura dasteht.“ 76

Auch die Professoren und die Studentenschaft der Ulmer Hochschule suchten die kritische Auseinandersetzung. So machte Bürdek darauf aufmerksam, dass es bereits vor dem Erscheinen des Buches ‚Kritik der Warenästhetik‘ Diplomarbeiten an der hfg gab, die sich mit ähnlichen Themen auseinandersetzten.77 Und obgleich die Schließung der hfg Ulm in erster Linie Ergebnis von internen Zerwürfnissen, landespolitischen Erwägungen und finanziellen Engpässen war 78, keimte auch hier eine studentische Debatte über die Struktur und die Ausbildungsinhalte der Hochschule auf. Parolen wie „Schlachtet die Institute wie ‚ne fette Pute“79, die bei einer studentischen Versammlung auf großen Transparenten zu lesen waren, zeugen davon. Die inhaltliche Ausrichtung der Nachfolgeinstitution – das Institut für Umweltplanung (IUP) – mit ihrem interdisziplinären, schwerpunktmäßig auf Diskursen auf bauendem Theoriestudium kann ebenso als Ergebnis des damaligen Zeitgeistes gesehen werden. Hier spiegelt sich eine veränderte, politisch geprägte Wissenschafts- und Designauffassung wider, wie Eisele diesen Beschreibt:

76 | Ebd., S. 2. 77 | Bürdek: „Überblick über die Theorieentwicklung“: Bürdek verweist in diesem Zusammenhang auf folgende Arbeiten: Klar, Michael: Kritik an der Rolle des Design in der Verschwendungsgesellschaft, HfG Ulm 1968 Kuby, Thomas: Zur gesellschaftlichen Funktion des Industrial Design, HfG Ulm 1969. 78 | Spitz: hfg Ulm, S. 362–403. 79 | Bürdek: Design 2005, S. 48.

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„Im Zuge der Politisierung der Wissenschaften standen nun Fragen nach politischer Verantwortung und sozialem Nutzen im Vordergrund. Dementsprechend wurden Alltags- und Lebensformen stärker als bisher berücksichtigt, wobei Gestaltung eine starke politische Dimension zukam, die das Designverständnis entscheidend beeinf lusste. Immer deutlicher manifestierte sich eine veränderte Designauffassung, die mehr und mehr als Abgrenzung gegenüber der konsumorientierten Warenwelt verstanden wurde.“ 80

2.1.3 Die kontroverse Funktionalismusdiskussion in der Zeitschrift ‚form‘ Durch eine Debatte über den Funktionalismus in der Zeitschrift ‚form‘81 wurde die disziplinäre Diskussion erstmals öffentlich. Abraham Moles, da-

80 | Eisele, Petra: BRDesign: deutsches Design als Experiment seit den 1960er Jahren, Köln: Böhlau 2005, S. 21. 81 | Die Zeitschrift ‚form‘ wurde 1957 vom „Direktor der Kasseler Werkkunstschule Jupp Ernst, […][den] Museumsdirektoren Willem Sandberg und Curt Schweicher sowie […][dem] ehemalige Bauhäusler Wilhelm Wagenfeld“ mit dem Untertitel ‚Internationale Revue‘ beim Westdeutschen Verlag gegründet und ist in Deutschland eine bedeutende Design-Fachzeitschrift. Ab 1962 wird der spätere Chefredakteur Karlheinz Krug ‚Schriftleiter‘ der Zeitschrift. Gemeinsam mit dem internationalen Beirat, „zu dem unter anderem Walter Gropius, Marcel Breuer, Sigfried Giedion, Johannes Itten, Richard Buckminster Fuller und Max Bill gehören“ erfolgte 1966 eine Neuausrichtung der Zeitschrift, die auch durch den neuen Untertitlel ‚Zeitschrift für Gestaltung‘ dokumentiert wird. Als der Verlag 1974 von Bertelsmann gekauft wird, „lösen der Chefredakteur Karlheinz Krug, der form-Grafiker Hanswerner Klein und der Verlagskaufmann Hans Otto Döring die Zeitschrift heraus und führen sie in eigener Regie weiter“. „Karlheinz Krug prägt [...] als Chefredakteur bis Ende 1998 [die Zeitschrift] maßgeblich und engagiert sich bis Ende 2001 als Mitherausgeber“. „1994 übernehmen Alex Buck – als Mitherausgeber neben Karlheinz Krug – und Matthias Vogt als Geschäftsführer die Leitung der Zeitschrift“. Unter der neuen Chefredakteurin Petra Schmidt erfolgt 1999 mit dem Heft 1970 abermals ein Relaunch und eine Neuausrichtung der Zeitschrift. Der Untertitel lautet nun „The European Design Magazine“, die Zeitschrift ist ab dieser Ausgabe komplett zweisprachig. 2002 übernimmt der Birkhäuser Verlag aus der Schweiz die Zeitschrift ‚form‘; 2010 kauft der spanische Verlag Actar „die Bereiche Architektur und Design des Birkhäuser Verlages“ und damit auch die Zeitschrift „form“. 2005 erfolgt abermals ein Relaunch und eine neue Ausrichtung, die durch den Untertitel ‚The Making of Design‘ dokumentiert wur-

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mals Dozent an der hfg, leitete mit dem Artikel ‚Die Krise des Funktionalismus‘ in Ausgabe 41 aus dem März 1968 eine grundsätzliche Debatte ein. Er beklagt die Vereinnahmung des Funktionalismus für wirtschaftliche Interessen: „Funktionalismus ist wesentlich asketisch und Ausdruck einer bestimmten Lebensauffassung: der Sparsamkeit, der rationalen Verwendung vorhandener Mittel zu eindeutig bestimmten Zwecken. Innerhalb bestimmter Sektoren der Produktion und Konsumtion wird der Funktionalismus gewiß seine Gültigkeit bewahren. Doch ist der Funktionalismus in der jüngsten Periode der westlichen Zivilisation in das Kräftefeld der Überflußgesellschaft gerückt.“82 Diese verlange einen immer schnelleren Kreislauf aus Produktion und Konsumption, den man nur mit schnell alternden Produkten, einer „Sakralisierung des Neokitsches“83 oder durch den verstärkten Einsatz von Werbung in Gang halten könne. Das Dilemma liege darin, dass der Funktionalismus durch Rationalisierung einerseits zum Überfluss beitrage, andererseits inhaltlich gegen Vergeudung kämpfe. Aufgrund dieser Situation solle der Funktionalismus grundlegend in allen Designinstituten überdacht werden, um ihn in der Krise aktiv weiterzuentwickeln, anstatt ihn als Opfer der Krise untergehen zu lassen.84 Auf diesen Artikel folgte ein kurzer Bericht über das bevorstehende Ende der hfg Ulm sowie ein Interview mit dem damaligen Rektor Herbert Ohl über eine mögliche Zukunft der hfg. Mit der übernächsten Ausgabe (Heft 43, September 1986) griff die Redaktion diese Problematik ausführlich auf – schon auf der Titelseite wies

de. Alle Zitate aus: form online: „form.de » Zeitschrift » Geschichte“, http://www.form.de/ w3.php?nodeId=114&lang=1 (zugegriffen am 1.6.2011). Durch den Konkurs des Schweizer Birkenhäuser Verlages 2012 erscheint die form in der Folge wieder eigenständig im Verlag form GmbH & Co. KG. Die inhaltliche Ausrichtung übernimmt Chefredakteur Stephan Ott. siehe form.de: „Die Geschichte der Zeitschrift form“, http://form.de/de/publishinghouse/ history (zugegriffen am 29.05.2014). 82 | Moles, Abraham A.: „Die Krise des Funktionalismus. Notizen aus einem Seminar an der Hochschule für Gestaltung“, form - Zeitschrift für Gestaltung 41 (1968), S. 36. 83 | Ebd. 84 | Ebd.

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man provokant auf das große Thema hin. Der Titel gab die mit Schreibmaschine verfassten Worte wieder: „Das Ende der funktionalistischen Epoche.“85 Die Kopfzeile des wie eine Manuskriptseite anmutenden Textblattes war geschwärzt worden, um den Urheber und den Zusammenhang des Textes scheinbar zu verbergen. Darüber hinaus sind Teile des provozierenden Textes von einem Schwarz-Weiß-Dia verdeckt, das organisch geschwungene Kunststoffstühle wiedergibt. Bereits auf den ersten Seiten der Zeitschrift ist ein Pamphlet mit Thesen von Werner Nehls zu lesen, das alleine wegen der Überschrift ‚Die heiligen Kühe des Funktionalismus müssen geopfert werden‘ zur Stellungnahme herausforderte.86 In seinem Text klagt Nehls die damalige Gestaltungsauffassung in plakativen, scharfen Worten an, beispielsweise mit der Umkehrung der Loos‘schen Formel zu „Sachlichkeit und Verbrechen“.87 Nehls wollte mit seinen Thesen Sprachrohr einer Revolution in der Gestaltung sein. Gestaltung solle funktionalistische Inhalte negieren und sich so komplett vom Funktionalismus abgrenzen. Gefordert sei eine Gestaltung, die Ornament, Emotionalität und Improvisation wieder zulasse, die aus einer femininen Haltung heraus entstehe, in der Kunst und Spiel eine zentrale Rolle einnähmen. Auch Nehls spricht – allerdings weit weniger fundiert als Mitscherlich – von emotionalen Bedürfnissen und psychischer Gesundheit, um seine Thesen zu untermauern.88 Diesem Pamphlet folgt ein fünfseitiges Interview mit dem Autor, in dem er Gelegenheit erhält, seine Thesen ausgiebig zu begründen. In der gleichen Ausgabe reagiert Hartmut Seeger auf Werner Nehls’ simplifizierende Darstellung des Industriedesigns. Er stellt dieser einen weit

85 | „Das Ende der funktionalistischen Epoche“ „Titelseite“, form - Zeitschrift für Gestaltung 43 (1968). 86 | Vgl. hierzu Eisele: BRDesign, S. 39ff. 87 | Nehls, Werner: „‚Die heiligen Kühe des Funktionalismus müssen geopfert werden‘ Thesen von Werner Nehls“, form - Zeitschrift für Gestaltung 43 (1968), S. 4, hier S. 4. 88 | Vgl. hierzu: „Unsere Welt krankt am funktionalistischen Denken. Die Probleme unserer Zeit können in allen Bereichen – sowohl im gestalterischen als auch wissenschaftlichen – nur über eine Emotionalisierung des Menschen, das heißt, eine Re-Aktivierung des emotionalen Potentials gelöst werden. Unsere Zeit hat nicht mehr vorwiegend soziale, sondern psychische Verantwortung. Das gilt auch für das Design. Die Forderung nach emotional-femininen Formen muß heute in erster Linie unter dem Gesichtspunkt der Schaffung eines psychotherapeutischen Feldes gesehen werden. Es entsteht durch individuelle, emotionale Formen.“ Ebd.

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komplexeren, vielschichtigeren Gestaltungsbegriff gegenüber. Auch er verurteilt den bloßen Formalismus geometrisierender Gestaltung, begründet seine Forderung nach mehr Komplexität jedoch mit den Aspekten Information und Bedeutung, die beispielsweise bei Funktionselementen wichtig seien. Die Produktgestaltung sei schon lange nicht mehr so eindimensional wie häufig behauptet. Vielmehr erscheine der Funktionalismus meist nur noch im „Rückspiegel der Gestaltung“89, um als historische Referenz zu dienen. Seeger stellt in seinem Bericht eine Relation zwischen Gebrauchsobjekt und Nutzer mittels einer pragmatischen Komponente her: „In Erweiterung der ‚eindimensionalen‘ ästhetischen Konzeption des Funktionalismus optiert das Design mit einem mehrwertigen Kriteriensystem. Design soll dabei innerhalb jedes technischen Entwurfs als die gleichzeitige, konstruktive Gestaltung des visuellen Erscheinungsbildes technischer Objekte verstanden werden. Die Gestaltung richtet sich dabei auf die Informations- und Bedeutungsfunktion des jeweiligen Entwurfsobjektes in seinem Absatz und Verwendungsbereich. [Fußnote: T. Ellinger: Die Informationsfunktion des Produktes; Westdeutscher Verlag, Opladen; 1966., Anm. d. Verf.] [...] Neben der Prägnanz dieser pragmatischen Bedeutungen für die Betrachter (Käufer, Kunde, Benutzer, Verwender) zielt das Design auf die formale Objektgestaltung und die Stilbilung im Hinblick auf die gleichzeitig mit der Erkennung erfolgende Urteilsbildung.“90

Seine Überlegungen zu einer Erweiterung des Funktionalismus sind folglich linguistisch beeinflusst.91 Die damit eröffnete Diskussion wird in den weiteren Ausgaben fortgeführt.92 Die Reaktionen lassen sich drei Lagern zuteilen: Auf der einen Seite finden sich die Anhänger funktionalistischer Gestaltung, die sich von Nehls Thesen angegriffen fühlen und diesen in scharfem Ton widersprechen, jedoch aufgrund seiner überspitzten Formulierungen nicht in-

89 | Seeger, Hartmut: „Funktionalismus im Rückspiegel des Design“, form - Zeitschrift für Gestaltung 43 (1968), S. 10–11. 90 | Ebd., S. 11. 91 | Vgl. hierzu Eisele: BRDesign, S. 45. 92 | Vgl. form - Zeitschrift für Gestaltung Heft 44 (1968) und Heft 45 (1969).

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haltlich reagieren (z.B. Wend Fischer). Auf der zweiten Seite stehen die Befürworter einer emotionalen, künstlerischeren Gestaltung wie Günter Beltzig, dessen Stuhlentwürfe als Beispiele in Nehls Text auftauchen. Das Gros der Designer erkannte in beiden Ansätzen wertvolle Inhalte, die es zu bedenken bzw. weiterzuentwickeln gelte. Interessant ist, dass es sich bei Letzteren meist um praktisch arbeitende, z. B. bei Siemens oder Rowenta tätige Industriedesigner handelte, die in den diskutierten Wegen eine Möglichkeit sahen, dem Diktat der Produktion zu entfliehen.93 In der Rubrik form-Korrespondenz reagiert Nehls wiederum auf die ihm entgegengebrachte Kritik und bekräftigt seine Ansicht, dass sich der Funktionalismus als Erscheinung der Industriegesellschaft in der nachindustriellen Gesellschaft selbst überlebt habe. Hersteller könnten sich in Zukunft aus ökonomischen Gründen „die heute weltfremden, pseudowissenschaftlichen Theorien puritanistisch-sachlicher [sic!, Anm. d. Verf.] Design-Dogmatiker nicht mehr leisten“94 . Gerda Müller-Krauspe leitet in Ausgabe 46 aus dem Mai 1969 unter dem Titel ‚Opas Funktionalismus ist tot‘ mit einer fundierten Zusammenfassung funktionalistischer Grundgedanken sowie einer Begriffsklärung die weitere Diskussion ein. Sie erläutert in ihrem Artikel beispielsweise die Unterschiede, aber auch die Übereinstimmungen zwischen konstruktivistischer und funktionalistischer Gestaltung.95 Darüber hinaus geht sie auf verschiedene Positionen von Nehls, Seeger und anderen Diskussionsteilnehmern ein. Das Thema der Funktionalismuskritik sei gerade hochaktuell – deshalb solle nun fundiert und breit diskutiert werden. Es biete sich ihrer Ansicht nach momentan ein erweiterter Funktionalismus96 an – also

93 | Nehls, Werner: „Schlußworte von Nehls zu Nehls (form 43/44)“, form - Zeitschrift für Gestaltung 45 (1969), S. 68. 94 | Ebd. 95 | Müller-Krauspe, Gerda: „Design-Ideologien (1): Opas Funktionalismus ist tot. Der Standort des Industrial Design - gestern, heute und morgen.“, form - Zeitschrift für Gestaltung 46 (1969), S. 29–33, hier S. 32. 96 | Vgl. hierzu: „Opas Funktionalismus ist also tot, doch spricht man noch darüber. Überdauert hat bislang der erweiterte Funktionalismus, also jene Gestaltungsauffassung, deren Vertreter sich bemühen, möglichst viele produktbestimmende Faktoren ausfindig zu machen und zu berücksichtigen. Funktionalisten dieser Provenienz haben mit der derzeitigen Gesellschaft, die erst teilweise eine Überflußgesellschaft ist, einen Kompromiß geschlossen und stehen in vorderster Schußlinie.“ Ebd., S. 33.

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ein Gestaltungsansatz, der versuche, möglichst viele relevante Funktionen zu identifizieren und in der Gestaltung zu beachten. Diesem designtheoretischen Ansatz folgt Müller-Krauspe auch in zwei weiteren Artikeln in den darauf folgenden Ausgaben und kommt zu folgendem Schluss: „Fassen wir zusammen: Die Zukunft bietet Alternativen. Wir können uns weiterhin für das der Industrie so lieb gewordene Styling entscheiden und zu Dekorateuren degenerieren oder aber uns auf dem Wege eines erweiterten Funktionalismus um dem Benutzer adäquatere Produktkonzeptionen bemühen. Wir können unsere schöpferischen Fähigkeiten im Sinne eines ästhetisch-orientierten Hedonismus zur Verfügung stellen. Wir können aber auch unsere Aufmerksamkeit und Talente auf Probleme der Umweltgestaltung richten, die innerhalb und außerhalb der Industrie in besonderen Instituten interdisziplinär zu lösen sind; auf Probleme also, die wie Verkehrs- und Kommunikationssysteme oder der gesamte Bildungsbereich nicht in erster Linie vom Gesichtspunkt des unmittelbaren Profits bestimmt sind. Das bedeutet, daß der Industrial Designer bereit sein muß, seinen Service von vornherein öffentlichen Institutionen anzutragen.“97

Direkt im Anschluss an diesen ersten, überblicksartigen Artikel führt Hartmut Seeger in Heft 46 unter dem Titel ‚Syntaktik und Semantik‘ seinen linguistischen Ansatz zur Gestaltung und Designausbildung weiter aus. Unter dem Begriff Syntaktik versteht er in der Terminologie der Zeichen- und Strukturtheorie die verschiedenen Gestaltungselemente eines Objekts, also beispielsweise dessen Auf bau, Kontur und Oberfläche, wie auch die Relationen dieser Elemente untereinander.98 Im Funktionalismus hätten verschiedene qualitative Aussagen zur Form, die vornehmlich eine

97 | Müller-Krauspe, Gerda: „Design-Ideologien (3): Industrial Design morgen - Alternativen. Zum Standort des Industrial Design - Tendenzen und Prognosen.“, form - Zeitschrift für Gestaltung 48 (1969), S. 9–13, hier S. 13. 98 | Vgl. hierzu: „Mit diesem Schema der formalen Elementmanipulation ist in der Terminologie der Zeichen - und Strukturtheorie [sic!, Anm. d. Verf.] (und damit der Informationsästhetik) der Bereich der Syntaktik umrissen. Der syntaktische Aspekt der Gestaltung betrifft danach also deren Elemente (zum Beispiel Aufbau, Kontur und Oberfläche eines Objektes) und ihre Ordnungsrelationen.“ Seeger, Hartmut: „Syntaktik und Semantik. Zur Praxis und Pädagogik des Design.“, form - Zeitschrift für Gestaltung 46 (1969), S. 34–36, hier S. 34.

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hohe Ordnung präferieren, zu einer Reduktionsästhetik geführt, die in der Folge mit einer Flut an negativen Attributen versehen worden sei.99 Doch auch die Anhänger funktionalistischer Gestaltung müssten erkennen, „daß sich Design nicht allein in der formalen Logik und Ordnung des Produktes erschöpfe, sondern Bewußtseinsinhalte, Bedeutungen erzeuge, die dem Vergleich und der Beurteilung durch den Betrachter, Käufer und Benutzer unterliegen.“100 Aus diesem Grund fordert er, den Kern des Designs in der Bedeutungskodierung zu sehen: „Wenn die Bezeichnung ‚Formgestaltung‘ mit ihrer Assoziation zu Formlehre, angewandter Gestaltpsychologie und konstruktiver Geometrie – bewußt und mit Recht - in Fachkreisen heute abgelehnt wird, dann sollte man sich unter dem Begriff Design bewußt - und in Übereinstimmung zu dessen ethymologischem Wortstamm - zur Kennzeichnungsfunktion und Bedeutungskodierung durch die Gestaltung bekennen.“101 Dieser Bereich werde in der Kommunikationsforschung mit dem Begriff Semantik bezeichnet. Intuitiv werde die Semantik in der Produktdesignpraxis schon seit geraumer Zeit zur semantischen Produktdifferenzierung genutzt. Es müssten jedoch genauere Untersuchungen zur Praxis und Pädagogik durchgeführt werden, um differenzierter über diesen Themenbereich sprechen bzw. die damit einhergehenden Mechanismen nutzen zu können. Erste theoretische Forschungsansätze sieht Seeger bei Siegfried Maser, Max Bense, Gui Bonsiepe und Theodor Ettinger.102 Darüber hinaus weist er am Beispiel der Armaturenbrettgestaltfindung des ‚Ro 80‘ nach, dass in der Automobilindustrie bereits erste Erkenntnisse zu einer praktischen Umsetzung vorlägen. Erst wenn man die Kennzeichnungsfunktion und semantische Nutzenerwartung anerkenne, könne man die Ideologie der guten Form ablösen. Bezogen auf den Designbegriff hält er fest:

99 | Vgl. hierzu: „Doch die Gestaltungsergebnisse nach dieser Reduktionsästhetik fanden sich sehr bald mit einer Flut von negativen Prädikaten belegt -: puristisch, hart, banal, konstruktivistisch, kalt, technisch, unpersönlich, billig, maschinenhaft, steril, armselig - Vokabeln, mit denen man über die ‚gute Form‘ urteilte und die jedem Designer bekannt sind.“ Ebd. 100 | Ebd. 101 | Ebd., S. 35. 102 | Ebd.

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„Die Forderung wäre also, das Design um die semantische Kategorie der Umweltgestaltung, um den Stil oder das Image von Unternehmungen und um den Stil oder das Erscheinungsbild einer Gesellschaft als deren Selbstdarstellung und Kennzeichnung zu erweitern.“ 103

An den veröffentlichten Texten wird deutlich, dass die Autoren der Zeitschrift ‚form‘ – wie auch viele zeitgenössische Designer – dem sogenannten Erweiterten Funktionalismus zur damaligen Zeit das größte Potenzial für die Weiterentwicklung der Disziplin des Industrial Designs zusprachen. Doch die in diesem Rahmen eingeleitete Ausweitung des Designbegriffs führte nicht zu einem tragfähigen Modell – vielmehr verlor der Begriff an Trennschärfe und somit an Bedeutung. Produktionstechnologien, Konsumgesellschaft und veränderte Sichtweisen stellten eine zu komplexe Umwelt für den funktionalistischen Gestaltungsansatz dar – ein neuer Zugang war daher nötig, um die Kompetenzen des Designers und zugleich die Aufgabe des Designs neu zu definieren.

2.2 Grundlagen: Zu den Studienarbeiten von Jochen Gros 2.2.1 Umweltgestaltung als umfassendes Thema im Design Die kritische Auseinandersetzung mit Massenproduktion, Konsumption und der damit zusammenhängenden Umweltzerstörung führte bei Gestaltern in der Folge – Ende der 1960er- und Anfang der 1970er-Jahre – zu einer umfassenden Auseinandersetzung mit der menschlichen Lebenswelt. Neben ersten ökologischen Fragestellungen wurden vor allem psychologische und soziale Wechselwirkungen zwischen dem Menschen und der artifiziellen Umwelt erkundet. Außer dem Werkbund näherten sich auch die form-Redakteurin Gerda Müller-Krauspe und mehrere Studierende der hfg Ulm dem Aspekt von der designtheoretischen Seite.104 Umweltgestaltung stand zu dieser Zeit jedoch nicht nur im Fokus des Industriedesigns – infolge der Rezeption der Frankfurter Schule und dem Bericht des

103 | Ebd., S. 36. 104 | Eisele: BRDesign, S. 76ff.

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Club of Rome zu den Grenzen des Wachstums 1972105 stieß das Thema im gesamten Umfeld der Gestaltung auf Resonanz. Am sichtbarsten wird dies in der Neugründung des ‚Instituts für Umweltplanung‘ (IUP) als Nachfolgeeinrichtung der hfg Ulm und in der Gründung des ‚Internationalen Design Zentrums‘ (IDZ) in Berlin im Jahr 1970. Aber auch die Neugründung der HfG Offenbach aus der damaligen Werkkunstschule heraus kann mit ihren drei Fachbereichen Architektur, Grafik und Produktgestaltung mit dieser Entwicklung in Zusammenhang gebracht werden.106 Schon bei der Schließung der hfg Ulm formulierten Studierende wie auch mehrere Professoren – hier ist vor allem Gui Bonsiepe zu nennen – das Ziel, auf Basis der Erfahrungen im Lehrbetrieb und aufgrund der aktuellen Diskussion ein neues, interdisziplinär angelegtes Studienangebot zu entwickeln. So war das IUP als Postgraduiertenstudium für Absolventen verschiedener Fachbereiche angelegt, die in einem projektorientierten Studium diverse Fragestellungen im Spannungsfeld zwischen Gestaltung und Umwelt bearbeiten sollten.107 Ganz im Geiste der Zeit – und natürlich geprägt von der Funktionalismuskritik – wollte man nun keine Produkte mehr gestalten, sondern das Lebensumfeld ganzheitlich analysieren und formen.108 So betrat man in vielen Bereichen pädagogisches Neuland: Die interdisziplinäre Teamarbeit sollte ein isoliertes Fächerdenken verhindern. Außerdem wurden Studierende erstmals in die Konzeption der Lerninhalte eingebunden und, ebenfalls im Rahmen der Teamarbeit, mit pädagogischen Aufgaben betraut. Schließlich sollte es keine Prüfungen im herkömmlichen Sinn mehr geben – vielmehr sollte „die Mitarbeit von Studierenden an Projekten oder Lehrveranstaltungen […] in Tätigkeitsberichten festgehalten werden.“109 Um das Studium thematisch zu gliedern, wurden verschiedene sogenannte Arbeitsgruppen definiert. Schon deren abstrakte oder allgemeine Benennungen hatten das Ziel, die umfassenden konzeptionellen Fragestellungen zu betonen: Bedürfnisforschung,

105 | Meadows, Dennis und Club of Rome.: Die Grenzen des Wachstums: Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit, Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt 1972. 106 | Eisele: BRDesign, S. 76ff. 107 | Vgl. Eisele: BRDesign, S. 82ff. 108 | Dies wurde auch in Gesprächen mit Bürdek und Gros deutlich. Bürdek: „Überblick über die Theorieentwicklung“; Gros, Jochen: „Studium am IUP / Entstehung der Produktsprache.“ 109 | Eisele: BRDesign, S. 83.

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Institutsordnung, Dichtes Wohnen, Freizeit, Kinderbuch, Arbeitsplatz, Planungsmethodik und Planungstheorie.110 Das IUP kann aus heutiger Sicht als mutiges Experiment gesehen werden, mit dem versucht wurde, dem aktuellen Diskurs in Gesellschaft, Lehre und Gestaltung Rechnung zu tragen. Die Dozenten und Referenten des Instituts wollten etwas Neues wagen, um das Verhältnis zwischen Mensch und Umwelt ganzheitlich zu analysieren und aus dieser Position heraus das ganze System der Produktion und Konsumption grundlegend zu verändern.111 Im Jahr 1970 warb das IUP, das die Räume der ehemaligen hfg bezogen hatte, mit 500 Plakaten an internationalen Hochschulen für ihr praxis- und projektorientiertes Auf baustudium: „Die Studierenden der ehemaligen hfg haben zusammen mit 6 neu berufenen Dozenten und Referenten aus dem Bereich Umweltgestaltung, -forschung und -gestaltung [sic!, Anm. d. Verf.] Fragen zur Konzeption des neuen Instituts diskutiert. Dabei hat sich die Bearbeitung von bestimmten Problemen und Aufgaben als dringlich herausgestellt: Analyse der Motivation für Umweltplanung / gesellschaftliche Implikation des Umweltbegriffs / Ref lexion der wissenschafts- und erkenntnistheoretischen Voraussetzungen für Projektarbeit / Kritik der bestehenden Designpraxis / Theorie des Alltagslebens, Bedürfnisforschung / Einbeziehung des Planungsbetroffenen / Realisierungschancen von Arbeitsergebnissen.“ 112

Doch das Projekt IUP hatte nicht lange Bestand – 1972, also schon nach drei Jahren, wurde das Institut wieder geschlossen. Es kann vermutet werden, dass diese Institution von Landesseite in erster Linie gegründet wurde, um ehemaligen Studierenden die Möglichkeit zu geben, die an der hfg begonnene Ausbildung abzuschließen, denn die Dozenten erhielten nur befristete Verträge.113 In der Tat schrieb beispielsweise Bürdek, der sein Industriedesignstudium 1967 an der hfg Ulm begonnen hatte, seine Diplom-

110 | Vgl. hierzu: Ebd., S. 86. 111 | Ebd., S. 81–94. 112 | Ebd., S. 84f. 113 | wikipedia.org: „Suchwort: Hochschule für Gestaltung Ulm“, http://de.wikipedia.org/ wiki/HfG_Ulm (zugegriffen am 14.1.2011).

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arbeit am IUP bei Siegfried Maser und Gui Bonsiepe.114 Doch auch von Teilnehmern des Postgraduiertenprogramms liegen beachtenswerte Arbeitsergebnisse vor 115 – hier ist vor allem der Zwischenbericht der Arbeitsgruppe Freizeit zu nennen, den Jochen Gros unter dem Titel ‚Dialektik der Gestaltung‘ verfasste. Er stellt eine „erste Grundlage für eine Neuorientierung der Designtheorie“116 dar, wie Bürdek im Hinblick auf die Bedeutung des IUP anführt. Zusätzlich kann in diesem Zwischenbericht der Beginn der Entwicklung zu einer Theorie der Produktsprache gesehen werden. Daher soll im Folgenden genauer auf diese und die daraus resultierenden Arbeiten von Gros eingegangen werden.

2.2.2 Ausweitung des Designbegriffs durch die Berücksichtigung der psychischen Bedürfnisse der Nutzer Jochen Gros begann seine hochschulische Ausbildung 1964 mit einem Maschinenbaustudium in Frankfurt am Main, welches er 1969 mit Diplom abschloss. Parallel dazu studierte er Psychologie, ein Fach, das wie die Soziologie ab 1968 aufgrund der gesellschaftlichen Diskurse für viele Studierende interessant war.117 Neue Theorien und Erkenntnisse eröffneten

114 | Bürdek: „Überblick über die Theorieentwicklung“. 115 | Siehe beispielsweise Baehr, Volker und Jan Kotik: Gesellschaft, Bedürfnis, Design, hg. von Institut für Umweltplanung, Ulm: Institut für Umweltplanung, Ulm, der Universität Stuttgart 1972; Ehses, Hanno und Gerhard Wiesenfarth: Gestaltreinheit und Gestalthöhe: Überlegungen zu G. D. Birkhoff u. Chr. v. Ehrenfels innerhalb einer exakten Ästhetik, hg. von Institut für Umweltplanung, Ulm: Institut für Umweltplanung, Ulm, der Univiversität Stuttgart 1972; Curdes, Gerhard und Ekkehard Merz: Produktkritik: Entwicklungen und Tendenzen in der BRD; Diskussionspapier der Arbeitsgruppe Produktkritik, hg. von Institut für Umweltplanung, Ulm: Institut für Umweltplanung, Ulm, der Univiversität Stuttgart 1971; Burri, Robert: Wohnbedingungen und Wohnbedürfnisse: Ergebnisse einer empirischen Analyse, hg. von Institut für Umweltplanung, 2., unveränd. Aufl., Ulm: Institut für Umweltplanung, Ulm, der Univiversität Stuttgart 1972; Bachmann, Heinrich: Zur Ganzheitstheorie der Umweltplanung / Heinrich Bachmann; Daniel P. Meister. Redaktionell bearbeitet von Heinrich Bachmann [u. a.], hg. von Institut für Umweltplanung, Ulm: Institut für Umweltplanung, Ulm, der Univiversität Stuttgart 1972. 116 | Bürdek: Design 1991, S. 42. 117 | Vgl. hierzu Gros: „Ab 1964 habe ich Maschinenbau in Frankfurt studiert, mit Abschluss im Februar 1969. Psychologie kam dann zwischen 1968 und 1970 dazu, zum Teil also schon

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in diesen beiden geisteswissenschaftlichen Fachgebieten einen anderen, neuartigen Blick auf die soziale Umwelt. Dies regte Jochen Gros wie viele andere Studierende dieser Fachbereiche dazu an, ausgiebig über neue Lebensmodelle und Denkweisen zu diskutieren und gleichzeitig politisch aktiv zu werden. Am Ende dieser Umbruchphase stellten sich viele jedoch immer häufiger die Frage, wie man die politischen Ziele in der Praxis umsetzen könnte: „Und da gab es bekanntlich verschiedene Antworten – vom bewaffneten Kampf der RAF bis zur ‚Tunix‘ Bewegung. Und ich [Jochen Gros, Anm. d. Verf.] dachte eben, dass da etwas über die Umweltgestaltung, auch im engeren Sinne über die Gestaltung von Konsumgütern, zu machen wäre. Insbesondere, wenn man sich der unterschwelligen Mechanismen des ‚Konsumterrors‘ bewusst wird.“118 Aus diesem Grund und weil er darin die perfekte Verbindung seiner bisherigen Studieninhalte der Fächer Maschinenbau und Psychologie sah, wechselte Jochen Gros 1971 an das neu gegründete IUP nach Ulm, um den dortigen Auf baustudiengang zu absolvieren. Im Rahmen des Psychologiestudiums in Frankfurt am Main beschäftigte sich Jochen Gros mit den Texten der Psychoanalytiker Alexander Mitscherlich und Alfred Lorenzer, besonders interessierte er sich jedoch für Herbert Marcuses ‚Eros und Kultur‘.119 Mit Beginn des Studiums am IUP kam dann noch die Wahrnehmungspsychologie als Interessengebiet hinzu.120 Im Themenbereich ‚Freizeit‘ sah Gros den richtigen Ansatz, um sich mit Konsumgütern und ihrer Bedeutung in der Gesellschaft auseinanderzusetzen. Freizeit sei, so die damalige Sicht, aufgrund sich ständig verringernder Arbeitszeiten regelrecht zum ‚Problem‘ geworden, mit dem sich die Gesellschaft befassen müsse. Die Arbeitsergebnisse seiner Studien ver-

parallel zum Maschinenbau. [...] Das Maschinenbau-Studium war nur zur Sicherheit – weil Mathe und Physik schon in der Schule meine besten Fächer waren. Psychologie dagegen war für mich viel interessanter und dann, 68, auch noch im Zentrum der politischen Auseinandersetzung.“ Gros, Jochen: „Studium in Frankfurt am Main um 1968.“ 118 | Ebd. 119 | Marcuse, Herbert: Eros und Kultur: Ein philosophischer Beitrag zu Sigmund Freud, Stuttgart: Klett 1957. 120 |Gros: „Studium in Frankfurt am Main um 1968.“

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öffentlichte Gros in einem sogenannten Zwischenbericht, die am IUP übliche Form des Leistungsnachweises. Schon im Vorwort bescheinigte ihm der Psychologe Dr. Martin Krampen das hohe Niveau seiner Kenntnisse: „Der Verfasser dieser Arbeit operiert auf einem erstaunlich kompetenten Niveau der Kenntnis psychologischer Voraussetzungen zu einer ‚Dialektik der Gestaltung‘ zwischen Funktionalismus und ‚Emotionalismus‘. Der Ausgangspunkt, die auf Adorno und Marcuse zurückgehende Funktionalismuskritik von Mitscherlich, Berndt, Lorenzer und Horn, verleiht der Arbeit Aktualität und Relevanz. […] Doch stellt dieser Essay zweifelsohne einen wichtigen Ausgangspunkt für die Diskussion einer neuen, kritisch fundierten Entwurfsmethodik dar.“ 121

Die wichtigsten Thesen dieser Arbeit sollen im Folgenden kurz dargestellt werden. Aus Gros’ psychologisch geprägtem Blickwinkel besteht jede ästhetische Wertung aus zwei Komponenten: den visuellen Bedürfnissen, die vor dem Hintergrund wahrnehmungspsychologischer Erkenntnisse betrachtet werden, und der Symbolbildung, die auf Basis der Psychoanalytik skizziert werden solle.122 Die visuellen Bedürfnisse oszillieren zwischen den Polen Ordnung und Komplexität. Die Wirkung von Formen könne dabei nicht – wie im Funktionalismus – allein auf gestaltpsychologische Erkenntnisse zurückgeführt werden. Bei der Betrachtung der Wahrnehmung müsse vielmehr der gesamte psychische Apparat – hierzu gehöre auch das Denken – ins Feld des Wahrnehmungsgeschehens einbezogen werden123, denn unsere Wahrnehmung sei sowohl von der Persönlichkeitsstruktur als auch von gesellschaftlichen Einflüssen abhängig.124 Es komme also auf die Wechselwirkung zwischen Wahrnehmungsreizen und dem psychischen Apparat mit seinen Bedürfnissen an. Auf Basis dieser Erkenntnis werde das funktionalistische Ziel, die Umwelt durch Gestaltreinheit vorzuordnen, durch eine Überbefriedigung des Ordnungsbedürfnisses ins Gegenteil verkehrt:

121 | Gros: Dialektik der Gestaltung, S. Vorwort. 122 | Ebd., S. 5. 123 | Ebd., S. 7. 124 | Ebd., S. 11.

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„Im Sonderfall der visuellen Wahrnehmung heißt das: wird unser Bedürfnis nach einer geordneten Welt permanent übersättigt – und das scheint in den Trabantenstädten der Fall zu sein – so verlangt nach kurzer Zeit die entgegengesetzte Tendenz nach geistig-kognitiver Aktivität bzw. Neugier.“ 125

Experimentelle Untersuchungen, etwa von Berlyne126 oder Rapaport und Kantor 127, bestätigen diese These: Neugier ist ein selbstständiges Bedürfnis. Darum scheint die Forderung nach komplexen Formen mit einer erhöhten Anzahl an Ordnungsrelationen in einem hochgradig geordneten Umfeld, wie es durch den Funktionalismus beispielsweise in den Trabantenstädten erzeugt wurde, berechtigt. Gleichzeitig besteht in ungeordneten Umgebungen ein Bedürfnis, diese Komplexität abzubauen und Ordnung herzustellen. Es gibt folglich eine dialektische Beziehung zwischen Ordnung und Komplexität. Daher müsse der funktionalistischen Maxime der Gestaltreinheit eine Forderung nach Gestalthöhe128 gleichwertig entgegengesetzt werden.129 Um nach der langen Phase der Gültigkeit des funktionalistischen Paradigmas nun jedoch nicht ausschließlich Formen mit hohem visuellen Reiz

125 | Ebd. 126 | Berlyne, Daniel E.: Conflict, Arousal and Curiosity, McGraw-Hill Inc., US 1960. 127 | Rapaport und Kantor stellen in ihrem Artikel Einfachheit und Klarheit als Ziel der Umweltgestaltung infrage. Experimente mit Kindern und Versuchstieren in der psychologischen Forschung hätten nachgewiesen, dass der Mensch „zweideutige, komplexe Blickformen in seinem Blickfeld bevorzugt“ Rapaport, Amos und Robert Kantor: „Komplexität und Ambivalenz in der Umweltgestaltung“, Stadtbauwelt : Beiträge zur Neuordnung von Stadt und Land 26 (1970), S. 114–120, hier S. 114. Ergebnis dieser Forschungen sei, dass es einen optimalen Bereich des Wahrnehmbaren gebe, hingegen zu einfache bzw. zu komplexe Bilder abgelehnt würden. Die Übertragung der Erkenntnisse auf die Architektur und Stadtplanung lege nahe, dass die „bisher erstrebte einfache, völlig geordnete Umgebung“ [Ebd.] den psychologischen Bedürfnissen der Menschen nicht gerecht werde. 128 | Formen, die aus wenigen Grundelementen bestehen und darum leicht zu erfassen sind, werden mit dem Begriff der „Gestaltreinheit“ gefasst. Die Formel Gr=O/P (Gestaltreinheit = Ordnung/Komplexität) gibt diesen Zusammenhang wieder. Informationsreiche, komplexere Grundformen werden mit der Formel Gh=OxP (Gestalthöhe = Ordnung x Komplexität) dargestellt. Gros: Dialektik der Gestaltung, S. 14. 129 | Ebd.

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zu fordern, versucht Gros den Bedarf an gestalterischer Ordnung bzw. Komplexität situationsabhängig zu formulieren: Sogenannte Anti-Obsoleszenz-Regeln (AOR) sollen für Produkte eine auf die Nutzungsdauer abgestimmte Komplexität widerspiegeln. Im Kern geht es bei diesen Regeln darum, dass eine komplexe Gestaltung (Gestalthöhe) einem menschlichen Bedürfnis nach Neugier Rechnung tragen und dieses Bedürfnis zugleich über längere Zeit befriedigen kann. Mit diesem Wissen könne der Gestalter die künstliche und natürliche Alterungsfähigkeit – und damit letztlich die Nutzungsdauer von Produkten – beeinflussen: „AOR. 1: Längerer Gebrauch erfordert verhältnismäßig komplexe Strukturen. AOR. 2: Vieldeutigkeit in Grenzen potenziert den Informationsgehalt einer Struktur; sie verlängert unsere Zuwendung bzw. unser Interesse. AOR. 3: Lässige Gestaltung regt unsere Phantasie an. Sie schafft immer wieder Anknüpfungspunkte für unser Interesse; sie bereichert damit unsere projektive Wahrnehmung.“ 130 „AOR. 4: In dem Maße, in dem sich der Konsum dem Diktat der materiellen Not entzieht, wird die emotionale Besetzung zum entscheidenden Kriterium für Gebrauchsdauer. Solche emotionalen Besetzungen beruhen auf einer Disposition zur Symbolschöpfung: auf ‚ausreichender‘ Komplexität bzw. Gestalthöhe.“ 131

Im folgenden Kapitel widmet sich Gros dem zweiten Schwerpunkt, nämlich der Symbolschöpfung und ihren visuellen Bedingungen. Um die ‚visuellen Bedingungen der Symbolschöpfung‘ zu beleuchten, greift Gros auf eine experimentalpsychologische Untersuchung von Shulamith Kreitler132 zurück. In ihr wird ein Sinnzusammenhang zwischen Gestalthöhe und Symbolbildung hergestellt – Gestalthöhe führe gemäß Kreitlers Experimenten133 mit hoher Wahrscheinlichkeit zur Symbolschöp-

130 | Ebd., S. 19. 131 | Ebd., S. 38. 132 | Kreitler, Shulamith: Symbolschöpfung und Symbolerfassung: Eine experimentalpsychologische Untersuchung, Bern 1965. 133 | Kreitler wies in drei aufeinander abgestimmten Experimenten nach, dass eine komplizierte ‚Gute Gestalt‘ (der Begriff ‚Gute Gestalt‘ wurde nach Wertheimer und Piaget definiert) signifikant mehr Antworten in der von der Autorin selbst definierten zehnten Kategorie mit

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fung. Damit rückt nach den gestaltpsychologischen Zusammenhängen der semantische Aspekt in den Fokus von Gros’ Betrachtung. Die Kommunikation mittels Symbolen sei mit der Kommunikation über Sprache durchaus vergleichbar. Die symbolische Sprache unterscheide sich von der begrifflichen lediglich „in der Art der Inhalte, die sie zum Ausdruck bringt, und den Medien, die dazu benutzt werden.“134 Gros verweist auf Susanne K. Langer: Für die Philosophin sei die präsentative Symbolik135 nicht weniger eine Leistung des menschlichen Geistes als die Begriffsarbeit – beide seien das Resultat eines Erkenntnisprozesses, entstünden also nicht zufällig, sondern seien das Ergebnis aktiver Prozesse. Folgt man dieser Argumentation, dann werden Symbole bewusst gestaltbar und fallen in den Aufgabenbereich des Umweltgestalters. Die Relevanz dieses Gestaltungsbereiches wird deutlich, wenn man bedenkt, dass sich

dem Namen ‚Symbol‘ stimulierten, als einfache ‚Gute Gestalten‘ oder komplizierte ‚Schlechte Gestalten‘. vgl. ebd., S. 122–134. Zur Definition des Symbols vgl. ebd., S. 85f. 134 | Gros: Dialektik der Gestaltung, S. 24. 135 | Susanne K. Langer widmet sich in ihrem Buch ‚Philosophie auf neuem Wege‘ der Bedeutung von Symbolen: „Im fundamentalen Begriff der Symbolisierung – gleichviel ob mystischer, praktischer oder mathematischer Art – liegt der Schlüssel zu aller menschlichen Existenz. Er impliziert einen neuen Begriff des ‚Geistes‘, der geeignet sein kann, Licht auf Probleme des Lebens und des Bewußtseins zu werfen, anstatt sie zu verdunkeln, wie dies durch die traditionellen ‚wissenschaftlichen Methoden‘ geschehen ist.“ Langer, Susanne Katherina Knauth: Philosophie auf neuem Wege: Das Symbol im Denken, im Ritus und in der Kunst, Frankfurt am Main: S. Fischer 1965, S. 33. Sie unterscheidet in ihren Ausführungen zwischen diskursiven Symbolen, wie sie beispielsweise in der Sprache zu finden seien Ebd., S. 86–108 insbesondere S. 103, und präsentativen Symbolen, wie sie in Mythos, Musik und den bildenden Künsten vorkämen Ebd., S. 107.

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präsentative Symbole136 im Vergleich zu den präziseren diskursiven Symbolen137 durch ihre emotionale Besetzbarkeit auszeichnen. Ungeachtet der positiven Merkmale der präsentativen Symbole werfen diese bei der gezielten Bedeutungszuschreibung jedoch Fragen auf, denn sie sind hochgradig von Individuen abhängig. Dieses Problem könne, so Gros, nach Alfred Lorenzer 138 allerdings relativiert werden. In Anlehnung an dessen ‚Kritik des psychoanalytischen Symbolbegriffs‘ fasst er zusammen: „Das Material, aus dem wir unsere Symbole bilden ist überwiegend Stoff, der aus der Gesellschaft bzw. der Bezugsgruppe stammt. Dazu kommt, daß unsere Gefühle und Denkgewohnheiten, die aus diesem Material Symbole schaffen, weitgehend gesellschaftlich präformiert sind: hierdurch entstehen jene Bedeutungsüberschneidungen, auf denen jede differenzierte Symbol-Kommunikation beruht.“139

136 | Vgl. hierzu Langer: „Das unseren Sinnen gegebene symbolische Material, die ‚Gestalten‘ oder grundlegenden Wahrnehmungsformen, die uns auffordern, das Pandämonium bloßer Impressionen in eine Welt von Dingen und Gegebenheiten umzudeuten, gehören der ‚präsentativen‘ Ordnung an. Sie liefern jene elementaren Abstraktionen, in deren Form gewöhnliche Sinneserfahrung verstanden wird. Diese Art des Verstehens spiegelt sich direkt in der Struktur der physischen Reaktion, in Impuls und Instinkt.“ Langer: Philosophie auf neuem Wege, S. 104. 137 | Vgl. hierzu Langer: „Sprache im strengen Sinne ist ihrem Wesen nach diskursiv; sie besitzt permanente Bedeutungseinheiten, die zu größeren Einheiten verbunden werden können; sie hat festgelegte Äquivalenzen, die Definition und Übersetzung möglich machen; ihre Konnotationen sind allgemein, so daß nichtverbale Akte, wie Zeigen, Blicken oder betontes Verändern der Stimme notwendig sind, um ihren Ausdrücken spezifische Denotationen nachzuweisen. Alle diese hervorstechenden Züge unterscheiden sie vom ‚wortlosen‘ Symbolismus, der nichtdiskursiv und unübesetzbar ist, keine Definitionen innerhalb seines eigenen Systems zuläßt und das Allgemeine direkt nicht vermitteln kann. Die durch Sprache übertragenen Bedeutungen werden nacheinander verstanden und dann durch den als Diskurs bezeichneten Vorgang zu einem ganzen zusammengefaßt; die Bedeutungen aller anderen symbolischen Elemente, die zusammen ein größeres, artikuliertes Symbol bilden, werden nur durch die Bedeutung des Ganzen verstanden, durch ihre Beziehungen innerhalb der ganzheitlichen Struktur.“ Ebd., S. 103. 138 | Lorenzer, Alfred: Kritik des psychoanalytischen Symbolbegriffs, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1970. 139 | Gros: Dialektik der Gestaltung, S. 29.

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Die Abhängigkeit der Symbolkommunikation von Bezugsgruppen biete neben dem Nachteil der fehlenden Universalität jedoch zugleich den Vorteil der Gelegenheit zur Gruppenbildung: Symbole zeigen Zusammengehörigkeiten und wirken in der Gruppe als Katalysator zur verbalen Kommunikation. Darüber hinaus zeichnen sich präsentative Symbole durch einen hohen Grad an Bedeutungsverdichtung aus. Das heißt, eine große Anzahl von Bedeutungen kann mit nur einem Symbol abgedeckt werden. Der Nachteil liegt wiederum in einer recht geringen Bedeutungspräzision. Trotzdem ermögliche die präsentative Symbolik die sinnvolle Synthese ambivalenter psychischer Bedürfnisse.140 Im Gegensatz zur Sprache, in der Sinnzusammenhänge nach und nach über einzelne Begriffsinhalte erschlossen würden, werde bei der präsentativen Symbolik nämlich das einzelne Symbol aus dem Gestaltzusammenhang heraus interpretiert.141 Gros stellt dem Funktionalismus, der eine affektfreie Gestaltung fordert, die emotionale Qualität der Symbole gegenüber. Angesichts der Probleme aus funktionalistischer Gestaltung, wie sie in Trabantenstädten auftraten, sei die Forderung nach komplexeren Formen die notwendige Voraussetzung für eine emotionale Besetzung der Umwelt. Denn „ohne eine emotionale Beteiligung verlieren wir jene Sensibilität, die allein die präsentativ symbolische Dimension der Erkenntnisgewinnung erschließt.“142 Gleiches gelte für die daraus folgende (libidinöse) Objektbesetzung, die nach Freud ein fundamentales menschliches Bedürfnis darstelle.143 Sie ermögliche – wie in AOR 4 bereits erwähnt – einen langfristigen Gebrauch von Produkten, habe aber im Vergleich zu den wahrnehmungspsychologischen Effekten den Vorteil, dass sie sich auch bei sehr langem Gebrauch nicht abnützen würden. Als Beispiel für diesen Sachverhalt dient das Erbstück, das als Objekt mit einer Vielzahl von Erinnerungen verknüpft und so zum Träger vieler Emotionen werde. Eine von dieser Objektbeziehung abweichende, nochmals komplexere Form der Beziehungen ist die Identifikation. Diese Form der Aneignung unterscheide sich von der zuvor genannten dadurch, dass ihr der Impuls des ‚Besitzenwollens‘ fehle, zugleich weise sie eine große Nähe zum Ich-Ideal auf, was die Intensität und Stärke

140 | Ebd., S. 30. 141 | Ebd., S. 32. 142 | Ebd., S. 35. 143 | Ebd., S. 36.

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der Beziehung weiter erhöhe.144 In einer bewussten Gestaltung von Identifikationsprozessen sieht Gros eine Chance für die Umweltgestaltung: „Die Produktgestaltung ist im allgemeinen noch weit davon entfernt, Identifikationsprozesse zu planen, ihre Chance mit klaren Zielvorstellungen zu nutzen. Dabei besitzt gerade die Umweltgestaltung einen beträchtlichen ‚Marktanteil‘ am präsentativsymbolischen Kommunikationsgeschehe n.“145 Nachdem er in den ersten Kapiteln aus gestaltpsychologischer und psychoanalytischer Perspektive die Vorteile komplexer und emotionaler Gestaltung dargelegt hat, widmet sich Gros den kritischen Aspekten des von ihm propagierten Gestaltungsbegriffs. Einerseits könne die Objektbesetzung zu Fetischismus und damit zu einer Verlagerung der Emotionalität von Personen auf Objekte führen. Diese Sorge widerlegt er jedoch umgehend, und zwar sowohl, was die psychoanalytische als auch die marxistische Bedeutung des Begriffs Fetischismus betrifft. Denn das Emotionale der Gestaltung ziele nicht auf den Tauschwert; es könne aufgrund seines Beitrags zur psychischen Gesundheit vielmehr dem Gebrauchswert zugeschrieben werden. Im Gegensatz dazu trage der Funktionalismus durch seine Verleugnung der Emotionalität dazu bei, dass die brachliegenden Affekte der Psyche in den Tauschwert umgeleitet würden, wodurch eine Dominanz des Tauschwertes entstehe.146 Auch im Kontext der Freizeit weist Gros nach, dass emotionale Gestaltung und damit stabile Objektbeziehungen eine probate Alternative zum Konsumterror bilden könnten. Demgegenüber würden die schon optisch rasch alternden Produkte des Funktionalismus zu einem immer schneller werdenden Konsum führen.147 Abschließend stellt Gros die Kernthesen des Funktionalismus denen der emotionalen Gestaltung gegenüber. Er möchte damit nochmals auf den dialektischen Charakter seines Ansatzes hinweisen und verhindern, dass für eine der beiden Seiten Partei ergriffen wird, denn die „emotional gestaltete Fabrikhalle“ erscheint in dieser dialektischen Betrachtungs-

144 | Ebd., S. 39. 145 | Ebd., S. 40. 146 | Ebd., S. 43. 147 | Ebd., S. 48.

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weise „genauso unerträglich, wie z. B. Funktionalistische Wohn- und Freizeiträume.“148 Die Forderung nach einem ‚Erweiterten Funktionalismus‘ stand, wie oben angedeutet, schon seit den kontroversen Artikeln in der ‚form‘ unter Gestaltern zur Diskussion. Auf Basis seiner fundierten psychologischen Herleitungen konnte Gros nachweisen, dass gerade komplexe Formen und eine symbolhafte Gestaltung wichtig sind, um die psychischen Bedürfnisse der Nutzer – und damit auch die Ansprüche der Gesellschaft an Gestaltung – zu befriedigen. Damit unterstützt auch er die in den formArtikeln bereits gestellte Forderung nach einem Paradigmenwechsel in der Gestaltung. In seiner wissenschaftlichen Argumentation und seinem dialektischen Ansatz erfordert dieser Wechsel jedoch keinen Bruch mit der bisherigen Gestaltungstheorie, denn der Entwurf müsse als „Einlösung der dialektischen Beziehung technisch-funktionaler und [Herf. im Orig., Anm. d. Verf.] ästhetisch-emotionaler Aspekte“149 betrachtet werden. Die damit verbundene Sichtweise, dass Produkte multifunktional gesehen werden müssen, ermöglicht eine Ausdifferenzierung und nicht nur eine Erweiterung des Gestaltungsbegriffs. Darüber hinaus legt Gros‘ Arbeit nahe, dass der semantische Gehalt von Produkten bewusst gestaltbar sei; Gros skizziert diesen Aspekt des semantischen Gehalts nach Langer über den Begriff der präsentativen Symbolik. Die Gestaltbarkeit falle folglich in den Aufgabenbereich des Umweltgestalters. So trug diese Arbeit – auch in ihrer Fortführung – entscheidend zu einer Weiterentwicklung der Designwissenschaften bei, wie Petra Eisele in ihrem Rückblick betont.150

2.2.3 Empirische Ästhetik – Entwicklung eines Methodenapparates, um Produkte mit den Augen der Zielgruppe zu betrachten Das Scheitern des IUP stellte Dozenten wie Studierende vor die Aufgabe, neue Institutionen für die Lehre bzw. für die Fortsetzung ihres Studiums zu finden. Siegfried Maser, einer der Dozenten des IUP, wechselte 1971 als

148 | Ebd., S. 59. 149 | Gros: Empirische Ästhetik, S. 4. 150 | Eisele: BRDesign, S. 94.

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Professor für Systemforschung und Planungstheorie151 an das Institut für Experimentelle Umweltgestaltung der Staatlichen Hochschule für Bildende Künste in Braunschweig (SHfBK). Viele Schüler Masers, darunter auch Jochen Gros, folgten, um dort ihr Studium fortzuführen. Im Rahmen einer Studienarbeit mit dem Titel „Empirische Ästhetik“ reagierte Gros auf die Kritik, die Martin Krampen im Vorwort zur „Dialektik der Gestaltung“ geäußert hatte. Krampen forderte darin operationale Schritte für eine Einbettung der theoretischen Ergebnisse in eine Entwurfsmethodik.152 Nachdem Gros bisher vornehmlich aus dem Blickwinkel eines Psychologen argumentiert hatte, ist die folgende Arbeit vom Studium beim Philosophen, Mathematiker und Physiker Siegfried Maser geprägt. Regelkreismodelle und mathematische bzw. logische Schaubilder bringen abstrakte Sachverhalte in Beziehung zu äußeren Umweltbedingungen oder präsentieren die Ergebnisse von Tests. Der Schwerpunkt wechselt damit von geisteswissenschaftlichen Erkenntnismethoden zu naturwissenschaftlichen. Einleitend wird eine Präzisierung des Designbegriffs vorgenommen, um Klarheit über die Ansatzpunkte zu den geforderten operationalen Schritten im Designprozess zu bekommen. Zwei theoretische Eckpunkte werden hierfür herangezogen: Auf der einen Seite gibt eine vom amerikanischen Psychologen Abraham Harold Maslow 1954153 veröffentlichte Zusammenstellung grundlegender menschlicher Bedürfnisse Hinweise auf den Stellenwert praktischer und nicht praktischer Funktionen. Auf der anderen Seite zeige die Funktionstypologie des tschechischen Linguisten Jan Mukařovský, wie die Relationen zwischen Designobjekt und Nutzer strukturiert werden können.

151 | wikipedia.org: „Suchwort: Siegfried Maser“, http://de.wikipedia.org/wiki/Siegfried_ Maser (zugegriffen am 30.3.2010). 152 | Vgl. hierzu Krampen: „Im Sinne des Marcusezitates [sic!, Anm. d. Verf.] ‚der schlechte Funktionalismus, der unsere Sinnlichkeit organisiert, muß zerschlagen werden‘ kommt der affektiven, symbolischen Seite der Gestaltung emanzipatorisch-politische Bedeutung zu. [Absatz, Anm. d. Verf.] Von diesem Gedankengang aus müßten nun noch operationale Schritte in die Entwurfsmethodik getan werden. Diese gehen aber wahrscheinlich über den Rahmen des in dieser Arbeit verfolgten Zieles hinaus.“ Gros: Dialektik der Gestaltung, S. Vorwort. 153 | Maslow, Abraham H.: Motivation und Persönlichkeit, 9. Aufl., Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 2002, S. 62ff.

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Sieht man das Ziel jeder Designaktivität in der Befriedigung menschlicher Bedürfnisse, so treten neben die physiologischen ganz selbstverständlich auch die psychologischen Erfordernisse. Zweifellos werden emotionale Ansprüche in erster Linie mit direkten Beziehungen zwischen einzelnen Menschen erfüllt. Die Umwelt, und damit auch die gestaltete Umwelt, nehme dabei allerdings häufig eine Mittlerrolle ein.154 Wolle man bei der Gestaltung von Artefakten außer mit den mittlerweile wissenschaftlich erforschten technisch funktionellen Kriterien auch mit ästhetischen und symbolischen bewusst umgehen, so werde man zwangsläufig mit der Schwierigkeit der Definition solcher Merkmale konfrontiert: „Bedürfnisse sind freilich nicht zu verstehen – und das macht die Schwierigkeit der Problematik aus – [sic!, Anm. d. Verf.] im Sinne zwangsläufiger Verhaltensdeterminanten, sondern als dynamische Grundlage des Verhaltens, als Verhaltensdisposition, als ‚Bedürfnismöglichkeiten‘ (H. Erke), die im Zusammenspiel mit der jeweiligen Situation und den im Verlaufe von Lernprozessen erworbenen Werthaltungen, zu vielfältig ausgeprägtem Verhalten führen.“ 155

Trotzdem könne die oben bereits angesprochene Zusammenstellung von Maslow Aufschluss über das Bedürfnis als Grundkategorie des Designs geben, für dessen ästhetische Aspekte sich die Disziplin schwerpunktmäßig (neben den physischen und anderen Bedürfnissen) verantwortlich zeige.156 Legt man nun den Fokus auf Produkte, so müssen die vielfältigen Funktionen, die sie erfüllen, gegliedert werden, um sie handhabbar zu machen. Diese Gliederung kann nur in Relation mit dem Nutzer vorgenommen werden. Nach Mukařovský wird folgende Struktur empfohlen: „Dies ist nach unserer Annahme die Typologie der Funktionen: zwei Gruppen, nämlich die unmittelbaren und die zeichenhaften Funktionen, die sich weiter gliedern; die unmittelbaren in die praktischen

154 | Gros: Empirische Ästhetik, S. 6. 155 | Ebd., S. 11. 156 | Ebd., S. 11f.

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Funktionen und in die theoretische Funktion, die zeichenhaften in die symbolische und die ästhetische Funktion.“157

Da Designobjekte „kaum eine unmittelbare theoretische Funktion erfüllen“158, zeichenhafte Funktionen zur Befriedigung psychischer Bedürfnisse aber sehr wohl relevant sind, entwickelte Gros einen Funktionsbaum (siehe Abbildung 1) als hypothetische Grundlage für seine weitere Arbeit. Die Bedeutung der symbolischen Funktion wurde bereits in ‚Dialektik der Gestaltung‘ nachgewiesen, ebenso, dass Zeichen nicht unverbindlich sind bzw. nicht willkürlich gedeutet werden können. Daher wird zunächst der Frage nach der ästhetischen Funktion nachgegangen. Der Designer könne, im Sinne eines Schemas zur ästhetischen Kommunikation von Maser (siehe Abb. 2), als Sender einer ästhetischen Information aufgefasst werden, die der Benutzer bzw. Konsument über das Artefakt erschließt. Die Art der Rezeption bzw. der Konsumtion des Artefakts wirke sich – als ästhetischer Soll-Wert – in der Folge ihrerseits auf die Produktion ästhetischer Informationen durch den Designer aus. Aus diesem Regelkreis ergeben sich für die empirische Ästhetik drei Bereiche, in denen Erkenntnisse gewonnen werden könnten: erstens der kreative Prozess, in dem die ästhetische Information generiert wird, zweitens die Konsumption dieser Information im Zuge der Rezeption des Nutzers und drittens die Ermittlung ästhetischer Bedürfnisse bzw. Ziele im Rahmen der Rückkopplung.159 In der weiteren Betrachtung beschränkt sich Gros auf die Analyse der ästhetischen Konsumption.

157 | Mukař ovský, Jan: Kapitel aus der Ästhetik, Frankfur t am Main: Suhrkamp 1970, S. 130. 158 | Gros: Empirische Ästhetik, S. 15. 159 | Ebd., S. 32.

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Abbildung 1: Hauptfunktionen eines Designobjekts | Abbildung 2: Schema zur Ästhetischen Kommunikation nach Maser.

Das ‚Schöne‘, das in diesem Rahmen konsumiert wird, kann demnach nicht als Eigenschaft eines Objektes angesehen werden, es ist vielmehr eine ästhetische Wertung. Von der Empirie in den „Realwissenschaften“, die die „reale Seinsweise“160 untersuche, unterscheide sich die empirische Ästhetik also dadurch, dass sie die „Relationen von Objektmerkmalen und subjektivem Erleben“161 fokussiere. Im Gegensatz zur angeführten Maser’schen geisteswissenschaftlichen Ästhetik würden darum keine allgemeingültigen ästhetischen Normen aufgestellt, „sondern [...] ästhetische Normen bzw. Wertungen einer Zielgruppe untersucht.“162 Um diese Wertungen in Abhängigkeit von ihrer jeweiligen Zielgruppe zu untersuchen, greift Gros auf Mukařovskýs Prinzip der ästhetischen Bewertung zurück: „Die Anwendung der ästhetischen Norm unterwirft den individuellen Fall der allgemeinen Regel und bezieht sich nur auf einen Aspekt der Sache, nämlich die ästhetische Funktion, die nicht dominant sein muß. Die ästhetische Bewertung hingegen beurteilt das Phänomen in seiner Komplexität, denn auch alle außerästhetischen Funktionen und Werte kommen als ästhetische Werte zur Geltung (man vergleiche unseren Aufsatz Das dichterische Werk als Gesamtheit von Werten, dt. in J. M., Kapitel aus der Poetik, S. 34-43)[Herf. im Orig., Anm. d. Verf.]: deshalb erfasst die ästhetische Bewertung das Kunstwerk auch als geschlossenes Ganzes (Einheit) und sie ist ein individualisierender Akt; der ästhetische

160 | Ebd., S. 34f. 161 | Ebd., S. 35. 162 | Ebd., S. 36.

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Wert in der Kunst bietet sich als etwas Einmaliges und Unwiederholbares dar. 163

Da rund 85 % aller Informationen der Außenwelt über die visuelle Wahrnehmung gewonnen würden,164 konzentriert sich Gros bei der Untersuchung zeichenhafter Produktfunktionen bzw. ästhetischer Konsumtionsprozesse auf die subjektiven Ausprägungen von Wahrnehmungsbildern: „Denn nicht das Produkt, das Designobjekt, sondern das Wahrnehmungs-Bild, das sich der jeweilige Betrachter davon macht, ist Grundlage, Ausgangspunkt, Stimulus für anschließende Reaktionen, auch für ästhetische Wertung.“165 Dieses Wahrnehmungsbild werde vielfältig geformt: durch Gestaltgesetze, Bedürfnisse, Vorwissen, aber auch durch Konnotationen, also weitläufigere, mit der Wahrnehmung verknüpfte Eigenschaften. Dies führe zu subjektiv geprägten Assoziationen, die in enger Beziehung zu unseren Gefühlen stehen.166 Um diese auf vielfältiger Basis entstandenen Bilder maßtechnisch zu erfassen und vergleichbar zu machen, nutzt Gros grundlegende Dimensionen, die eine „mögliche Abweichung von Kode und Dekodierung, von Designobjekt und Wahrnehmungs-Bild vollziehen.“167 Folgende Dimensionen sind aus seiner Sicht für die Erfassung von Produktfunktionen geeignet: Auswählen, Ordnen, Ergänzen und Assoziieren. Die Dimension Auswählen trägt der Struktur unseres Wahrnehmungsapparates Rechnung. Denn aufgrund der begrenzten Kapazität, Informationen zu verarbeiten, sind wir bei der Wahrnehmung unserer Außenwelt

163 | Mukař ovský: Kapitel aus der Ästhetik, S. 73f. 164 | Vgl. hierzu: „Die Analyse zeichenhafter Produktfunktionen beginnt mit der Wahrnehmung. Ich beschränke mich hier auf das Beispiel der Visuellen Wahrnehmung, denn ‚rund 85% aller Informationen über die Außenwelt erhält der Mensch über den Gesichtssinn. Deshalb ist das zentrale Kettenglied des allgemeinen Problems der Beziehungen zwischen Menschen und Umgebung das Problem der visuellen Wahrnehmung‘ [Fußnote: Kelm, M., Produktgestaltung im Sozialismus, O-Berlin 1967, S. 18].“ Gros: Empirische Ästhetik, S. 43. 165 | Ebd., S. 55. 166 | Ebd., S. 72. 167 | Ebd., S. 56.

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gezwungen zu selektieren. Komplexe Reizmuster werden darum sukzessive, in mehreren Einzelwahrnehmungsschritten, erkundet. Neben diesem Zufluss von außen wird unsere Wahrnehmung auch aus dem Gedächtnis gespeist – die Anteile dieser beiden Quellen ändern sich „je nach unserem Verhalten“. Unsere „beschränkte Wahrnehmungskapazität“ zwinge uns darum „zur strengen, bedürfnisgerechten Datenauswahl.“168 „Visuelles Reizmaterial ordnen heißt, Beziehungen wahrzunehmen.“169 In diesem Rahmen werden visuelle Reize, wie beispielsweise horizontale und vertikale Linien, in Beziehung zu grundlegenden anthropologischen Bedingungen wie der Schwerkraft und unserem Gleichgewichtssinn gebracht. Strukturen innerhalb des Reizgegenstandes werden auf Basis gestaltpsychologischer Gesetze geordnet oder Beziehungen zwischen dem betrachteten Gegenstand und früheren Erfahrungen hergestellt. Diese Verknüpfung geschehe über visuelle Begriffe und Vorstellungen, „wie sie mit vielen verbalen Begriffen verbunden sind, d. h. mit präsentativen und diskursiven Symbolen.“170 Das Ergänzen von ästhetischen Reizen trägt gemäß Gros maßgeblich zu unserem Verständnis von diesen bei. Denn unvollständig gesehene Objekte werden nicht nur formal zu ganzen Gegenständen ergänzt. Vielmehr werden auch praktische Funktionalitäten „hinzugesehen, ergänzt und dann bewertet.“171 So werde, nach einem Beispiel von Rudolf Arnheim, beim Anblick eines Schreibmaschinendeckels die gesamte Schreibmaschine inklusive ihrer Funktionalität in der richtigen Stellung hinzugedacht. Auf diese Weise werde unser Verständnis des Gegenstandes und seines Zweckes weit über bloße Assoziation hinaus geprägt.172 Die Dimension der Assoziation soll über Konnotationen (Bedeutungsanklänge) Informationen von Designobjekten zugänglich machen, denn:

168 | Ebd., S. 57. 169 | Ebd., S. 61. 170 | Ebd., S. 63. 171 | Ebd., S. 69. 172 | Ebd., S. 70. Quellenangabe zum Beispiel der Schreibmaschine: Arnheim, Rudolf: Anschauliches Denken: zur Einheit von Bild und Begriff., Köln: DuMont Schauberg 1972, S. 43.

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„Jede Form, also auch jedes Design-Objekt drückt etwas aus, liefert Information. Der Designer ist daher immer zugleich Autor visualisierter Nachrichten, das Produkt ein Medium nicht-verbaler Kommunikation.“ 173

Diese vielfältigen Konnotationsnetze werden von subjektiven, in enger Beziehung zu unseren Gefühlen stehenden Eindrücken, den eigentlichen Assoziationen, ergänzt. In einem nächsten Schritt werden diese Dimensionen den drei zu Beginn definierten Produktfunktionen zugeordnet. Auswählen und Ordnen diene der Erfassung der ästhetischen Funktion, Assoziieren der Erfassung der symbolischen Funktion und Ergänzen der Erfassung der praktischen Funktionen.174 Eine besondere Schwierigkeit sieht Gros darin, dass Element- oder Objektanalysen nicht übertragbar seien, da sie hochgradig vom Umfeld, vom Kontext, abhingen. Darum könnten die angesprochenen, von ihm beschriebenen Dimensionen zur Erfassung der Produktfunktionen auch nur über die mengenmäßige Auswertung, also über statistische Verfahren, Erkenntnisse vermitteln, „die für bestimmte Personengruppen repräsentativ sind.“175 Um nach der Darlegung der theoretischen Grundlagen auch die Umsetzbarkeit des Konzepts nachzuweisen, stellt Gros diverse Tests vor, die zur ‚Messung‘ der beschriebenen ‚Maßdimensionen‘ in Wahrnehmungsbildern herangezogen werden könnten. Die Tests werden anhand kurzer Beschreibungen und Fragebögen, mit denen sie durchgeführt werden können, präzisiert. Im Einzelnen handelt es sich um folgende Tests:176

173 | Gros: Empirische Ästhetik, S. 71. 174 | Ebd., S. 73. 175 | Ebd., S. 76. 176 | Vgl. ebd., S. 77ff.

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Merkmalsbeschreibung Maßdimension: Auswählen Messung der Zuwendungsdauer Maßdimension: Auswählen Messung des Zuwendungsverlaufs Maßdimension: Auswählen Relationsbeschreibung Maßdimension: Ordnen Messung der Gestaltgüte Maßdimension: Ordnen Analyse visueller Begriffe Maßdimension: Ordnen Funktionsbeschreibung Maßdimension: Ergänzen Symbolanalyse Maßdimension: Assoziieren (über Assoziationstest, seman tisches Differenzial, Pro jektionstests)

In der abschließenden Bewertung von Wahrnehmungsbildern wird anhand verschiedener Formeln und Diagramme versucht, das Bedürfnis nach Ordnung und Komplexität auf Basis der gesammelten Ergebnisse mathematisch exakt zu definieren. Auch die symbolische Funktion sollte anhand der gesammelten Daten auf präzise Weise bewertet werden. Das abschließende ästhetische Gutachten fügt die einzelnen Ergebnisse zusammen und eröffnet so folgende Erkenntnismöglichkeiten: „Mit Hilfe der empirischen Ästhetik erhält der Gestalter [...] die Chance, das Produkt mit den Augen der Zielgruppe zu betrachten. Nötig ist das vor allem deshalb, weil der Designer meist nicht der angesprochenen Zielgruppe angehört, weil seine spezifische Wahrnehmungsschulung seine Ansichten in einer bestimmten Richtung verändert hat und weil er dem eigenen Produkt gegenüber befangen bleibt.“ 177

Nachdem in ‚Dialektik der Gestaltung‘ die grundlegende Neudefinition des Designbegriffs im Vordergrund stand, wurden in ‚Empirische Ästhetik‘ viele wichtige Bausteine für das theoretische Fundament einer disziplinären Designtheorie erarbeitet. Der Kern der Überlegungen liegt in einer Bewertung von Designobjekten, die sich nach dem Grad der Bedürfnisbefriedigung richtet, „die mittels verschiedener Produktfunktionen erzielt wird.“178 Die Definition des Erkenntnisgegenstandes und daraus abgeleitet die Kernkompetenz des Designers, die gemäß diesen Arbeiten in der Sym-

177 | Ebd., S. 121. 178 | Ebd., S. 38.

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bolgestaltung gesehen werden muss, verweist auf den Paradigmenwechsel, den Gros mit einleitet. Das von Jan Mukařovský übernommene Schema, das die praktischen und die zeichenhaften Funktionen gliedert, wird in der weiteren Theorieentwicklung ständig erweitert und verfeinert. Ebenso erweist sich die These, dass die Symbolbedeutung immer in Abhängigkeit von einer Personengruppe, also der Zielgruppe, und dem Kontext gesehen werden muss, bis heute als tragfähig und substanziell.

2.2.4 Erprobung empirischer Verfahren als Beitrag zu einer disziplinären Gestaltmittelforschung Mit den beiden zuvor beschriebenen Arbeiten versuchte Gros, die psychischen und sozialen Dimensionen des Designs stärker als bisher in den Vordergrund zu rücken. Denn – so die These – durch die funktionalistisch initiierte Beschränkung auf die praktische Funktion würden Verbraucher trotz hoher Lebensstandards mit einer psychischen ‚Verelendung‘ konfrontiert, die die Lebensqualität auf ein „unerträgliches Maß“ absenken könne.179 Praktische Geräte wie elektrische Dosenöffner, so seine Argumentation, erschienen vor diesem Hintergrund weit überflüssiger als vermeintlich unnütze ästhetische Objekte der Wohnungseinrichtung, die den Bewohnern Geborgenheit vermitteln könnten.180 Dem Designer komme in diesem Rahmen eine entscheidende Rolle zu, denn durch die Gestaltung der psychosozialen Komponente gebe er jedem Objekt ein „Verhaltensangebot“ mit, das, „vermittelt durch nichtpraktische, zeichenhafte Funktionen“181, verschiedene nicht-materielle Bedürfnisse befriedigen könne. Aus diesem Grund müsse sich das Design intensiver als bisher mit seiner spezifischen Artikulationsform – der präsentativen Symbolik – auseinandersetzen, ihre Anwendung erlernen und somit die Qualität unserer materiellen Umwelt verbessern.182 Um die symbolische Seite der Gestaltung zu untersuchen, seien empirische Verfahren zur objektiven Analyse ebenso notwendig wie die qualitative Bewertung

179 | Gros, Jochen: Erweiterter Funktionalismus und Empirische Ästhetik, Diplomarbeit an der SHfBK Braunschweig, Selbstverlag 1974, S. 7. 180 | Ebd. 181 | Ebd., S. 8. 182 | Ebd., S. 9.

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der Beziehungen zwischen Betrachter und Designobjekt. Die Erprobung dieser von Jochen Gros zuvor schon skizzierten Verfahren ist die zentrale Absicht seiner Diplomarbeit, obwohl dies nur teilweise seinem theoretischen Interesse entsprach, wie er im persönlichen Gespräch mitteilte.183 Das ursprüngliche Thema der Diplomarbeit lautete: „Gestaltung und Konsumtion184 der Umwelt. Über die unterschiedliche Bedeutung der praktischen, symbolischen185 und ästhetischen Funktion unter besonderer Berücksichtigung des Industriedesign [sic!, Anm. d. Verf.].“186 Im Gegensatz zum Erweiterten Funktionalismus, wie ihn Gerda Müller-Krauspe in der Zeitschrift ‚form‘ beschrieb, gehe es für Gros im Gestaltungsprozess nicht in erster Linie darum, „möglichst viele produktbestimmende Faktoren ausfindig zu machen und zu berücksichtigen.“187 Vielmehr müsse die „unterschiedliche Bedeutung der praktischen, ästhetischen und symbolischen Faktoren“188 im Rahmen der Mensch-Objekt-Relationen untersucht und diese Faktoren jeweils gewichtet werden. Der Bezugspunkt des Gestaltungsprozesses verschiebe sich folglich von der Relation zwischen Gestalter und Designobjekt (mit einer Fokussierung auf praktische Funktionsarten) hin zu einer Gewichtung der Funktionen in der Relation zwischen dem Designobjekt und dem Nutzer: „In all diesen Fällen wird der Gebrauchswert nicht nur auf die spezifische Bedürfnisbefriedigung mittels praktischer Funktionen zurückgeführt, sondern auch auf psycho-soziale Bedürfnisbefriedigung mittels der symbolischen und der ästhetischen Funktion.“ 189

183 | Gros: „Studium am IUP / Entstehung der Produktsprache.“ 184 | Unter ‚Konsumtion‘ versteht Gros das „unmittelbar auf Bedürfnisbefriedigung ausgerichtete Verhalten eines Konsumenten gegenüber Designobjekten“ Gros: Erweiterter Funktionalismus, S. 13. 185 | Gros folgt in seiner Definition des Symbolbegriffs dem Philosophen Ernst Cassirer, der Philosophin Susanne K. Langer sowie dem Psychoanalytiker Alfred Lorenzer. Zudem grenzt Gros den Terminus von jenem, wie er in der Semiotik eines C.S. Peirce u. a. verwendet wird, ab. Ebd., S. 27f. 186 | Ebd., S. 11. 187 | Müller-Krauspe: „Design-Ideologien (1): Opas Funktionalismus ist tot. Der Standort des Industrial Design - gestern, heute und morgen.“, S. 33. 188 | Gros: Erweiterter Funktionalismus, S. 22. 189 | Ebd., S. 26.

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Dabei könne keine der drei genannten Funktionen unabhängig und damit isoliert betrachtet werden, denn keine praktische Funktion sei ohne ihre ästhetische Vermittlung denkbar und „[k]aum eine praktische Funktion, die nicht, neben ihrer Angemessenheit an den Gebrauch, auch Symbol wäre“190, wie Gros nach Theodor W. Adorno zitiert. Um die Bedeutung der drei unterschiedlichen, simultan auftretenden Funktionen bei der Bedürfnisbefriedigung zu beleuchten und zu bewerten, greift Gros wie in seiner vorangegangenen Arbeit auf die von Abraham H. Maslow formulierte Hierarchie bzw. Rangordnung von Grundbedürfnissen zurück.191 Diese wird nun jedoch auf zwei unterschiedlichen Diskussionsebenen betrachtet: Zur Ebene der allgemeinen menschlichen Bedürfnisse kommt die Ebene ihrer situationsbedingten Ausformung hinzu. Auf dieser zweiten Ebene liege in der designwissenschaftlichen Analyse der Fokus, wobei zu beachten sei, dass sich die situationsbedingten Ausformungen korrespondierend mit Wertvorstellungen und der Produktivkraftentwicklung in einem ständigen Wandel befinden.192 Die nebenstehende Matrix (siehe Abb. 3) zeigt die Verknüpfung zwischen den vom Motivationspsychologen Maslow benannten Bedürfnissen und den praktischen, symbolischen und ästhetischen Funktionen. Dank dieser Zusammenhänge werde eine Gewichtung der Funktionen möglich, die nicht mehr nur der subjektiven Einschätzung des Designers unterliege, sondern die Anwendung einer empirisch nachweisbaren, vom Konsumenten ausgehenden Bewertungsmethode erlaube. Gemäß einer von Maslow aufgestellten Hypothese „neigen [wir] dazu, die bereits vorhandenen Segnungen als gegeben hinzunehmen, besonders, wenn wir für sie nicht mehr arbeiten oder kämpfen müssen. Nahrung, Si-

190 | Ebd., S. 29. 191 | Vgl. Maslow: Motivation und Persönlichkeit, S. 62ff bzw. S.79, hier stellt er dar, dass diese Rangfolge bei den meisten Menschen zwar ungefähr zutreffe, jedoch nicht starr und ohne Ausnahmen gesehen werden dürfe. 192 | Vgl. hierzu: „Die historisch bzw. situationsbedingte Ausformung der Bedürfnisbefriedigung ist nicht nur abhängig von den jeweils kollektiven Wertvorstellungen, sondern vor allem vom Stand der Produktiventwicklung. Sie ist in ständiger Bewegung, veränderbar. Es kann dabei vorkommen, daß bestimmte Formen der Bedürfnisbefriedigung sich gegen die Interessen des bedürftigen Individuums richten, d. h. einer möglichen Maximierung der eigenen Bedürfnisbilanz im Wege stehen. Ausdruck für solche unzweckmäßigen Bedürfnis-Ziel-Kopplungen ist der Begriff der ‚falschen Bedürfnisse‘.“ Gros: Erweiterter Funktionalismus, S. 30f.

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cherheit, Liebe, Bewunderung, Freiheit, die immer vorhanden waren, an denen es nie gemangelt hat, haben eine Tendenz, unbemerkt zu bleiben oder sogar abgewertet, verspottet, vernichtet zu werden.“193 Bezogen auf Konsumgüter leitet Gros daraus ab, dass beispielsweise die permanente Erfüllung der praktischen Funktionalität dazu führe, dass diese als Unterscheidungsmerkmal bei der Auswahl eines Produktes in den Hintergrund trete. Stattdessen würden ästhetische oder symbolische Funktionen zur Beurteilung herangezogen. Auch diese verlören bei ständiger Bedürfnisbefriedigung ihre hohe Bedeutung bei der Alternativauswahl: „Geht man davon aus, daß im Zuge der industriellen Entwicklung die Befriedigung physiologischer Bedürfnisse tendenziell zur Selbstverständlichkeit wird, dann ist zu erwarten, daß diese Bedürfnisse an aktuell motivierender Kraft verlieren. In dem Maße, in dem die Befriedigung physiologischer Bedürfnisse problemlos wird, verlagert sich unsere Aufmerksamkeit: Bedürfnisse nach Gruppenzugehörigkeit, sozialem Kontakt, nach Objektbesetzung, Status, Selbstverwirklichung, kognitivem Reizmaterial, nach Welterkenntnis und nach dem ‚Schönen‘.“ 194

Diese zu erwartende Konsumsituation zeige die Wichtigkeit zeichenhafter Funktionen in der zukünftigen Arbeit eines Industriedesigners im Kontext der industriellen Massenproduktion.

193 | Maslow: Motivation und Persönlichkeit, S. 89. 194 | Gros: Erweiterter Funktionalismus, S. 42.

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Abbildung 3: Matrix zur Verknüpfung von Funktionen und Bedürfnissen | Abbildung 4: Stereoanlage „Braun regie 510“.

Nachdem die Relevanz der zeichenhaften Funktionen für den Gebrauchswert nachgewiesen und auf die Kontextabhängigkeit dieser Funktionen verwiesen wurde, geht es im folgenden Teil um die empirische Anwendung der Erkenntnisse. Am Beispiel einer Stereoanlage der Firma Braun möchte Gros seine „Methode zur objektiven Analyse und quantitativen Bewertung der symbolischen und der ästhetischen Funktion“195 illustrieren. Das Modell ‚regie 510‘ (siehe Abb. 4) soll im Rahmen eines Experiments mit Designstudenten untersucht werden. Da der genannte Hersteller für seine vorbildlich funktionalistische Gestaltung bekannt sei, seien neben Erkenntnissen über das Produkt auch Ansatzpunkte für eine weiterführende Funktionalismusdiskussion zu erhoffen.196 Die Untersuchung des Objekts erfolgte im Rahmen eines Experiments in drei Stufen. Im ersten Schritt wurde eine umfangreiche Funktionsanalyse vorgenommen. Um von dem in der theoretischen Auseinandersetzung formulierten recht vagen Fragenkatalog zu statistisch auswertbaren Fragebögen zu kommen, führte Gros zunächst Interviews, die sich am Verfahren der freien Assoziation orientierten.197 Das so entstandene Gesamtbild des Produktes und seines Kontextes wurde im Anschluss in Bezug zu den jeweiligen potenziellen Bedürfnissen gesetzt. Mit Blick auf die Bedienung (Sicherheit), Gruppenzugehörigkeit, Gefühlsbindung (Liebesbedürfnis), Erkenntnis, Neugier und die ästhetischen Bedürfnisse (in diesem Zusam-

195 | Ebd., S. 47. 196 | Ebd., S. 46. 197 | Ebd., S. 54.

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menhang Ordnung) entstanden somit Fragebögen, auf denen der Grad des Zutreffens vorgegebener Begriffe einzuschätzen war. Die Ergebnisse dieser Analyse führten im zweiten Schritt über das arithmetische Mittel der einzelnen Testantworten zu einer sogenannten „Funktionsbenotung.“198 Diese wurde aus der quantitativen Differenz von Wahrnehmung der Befragungspersonen (Ist-Kurve) zu den von den befragten gewünschten Anmutungen (Soll-Kurve) errechnet. Auf diese Weise sollte eine objektive „Grundlage zur Benotung des jeweiligen Funktionsaspekts“199 geschaffen werden. Auf Basis der Gauß‘schen Fehlertheorie wollte Gros den seinen Untersuchungen innewohnenden Unsicherheitsfaktoren Rechnung tragen und diese über die Berechnung von Standardfehlern in die Skalenwerte integrieren. Somit sei ein 95%iger ‚Vertrauensbereich‘ des Mittelwertes möglich – einem, wie er darlegt, für die Sozialwissenschaften ausreichenden Wert.200 Auf der dritten Stufe, die als Funktionsgewichtung bezeichnet wurde, sollten die symbolischen, ästhetischen und praktischen Funktionen in Hinblick auf die Bedeutungszuschreibung durch die Zielgruppe selbst – ebenfalls mittels Fragebögen – geklärt werden. Eine erste Problematik bei diesem Vorhaben sah Gros im abstrakten und ohne Vorwissen schwer verständlichen Begriffsapparat der vorhandenen Fragebögen. Dies müsse durch eine Vereinfachung der Begriffe gelöst werden. Zweitens sei nicht immer sicher, ob sich die befragten Personen der Bedeutung ihrer eigenen Bedürfnisse bewusst seien. Trotz dieser Nachteile hält er an diesem Verfahren fest: „Problematisch dagegen bleibt es, ob die Befragung ein verlässliches Mittel ist, um das Gewicht von Funktionsaspekten bzw. bestimmter Formen unserer Bedürfnisbefriedigung zu ermitteln. Trotz Bedenken erscheint mir dieser Weg aber immer noch günstiger, dem Benutzer an-

198 | Ebd., S. 80. 199 | Vgl. hierzu: „Grundlage für die Benotung von Aspekten der symbolischen und der ästhetischen Funktion ist das arithmetische Mittel der einzelnen Testantworten. Die Ist-Kurve beschreibt den Wahrnehmungseindruck der Bpn vom ‚regie 510‘; die Soll-Kurve benennt Anmutungen, die sich der Betrachter von einem Stereogerät wünscht. Das sind Entwurfsanforderungen, denen im Sinne des Erweiterten Funktionalismus ebenfalls produktbestimmendes Gewicht zukommen sollte. [Absatz, Anm. d. Verf.] Die quantitative Differenz beider Kurven liefert somit eine objektive Grundlage zur Benotung des jeweiligen Funktionsaspekts.“ Ebd. 200 | Ebd., S. 82–88.

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gemessener, als solche Gewichte allein aufgrund eigener Vermutungen ‚autoritär‘ festzulegen [Fußnote: Diese Funktionsgewichte sollten jedoch (im Sinne des kritischen Wertempirismus) in der Funktionskritik noch einmal in Frage gestellt werden].“201

Die Ergebnisse dieser dritten Stufe sollten nicht nur eine fundierte Grundlage für die Designkritik liefern, sondern darüber hinaus für die praktische Arbeit des Designers die Möglichkeit bieten, Entwurfsvarianten unter Berücksichtigung unterschiedlicher Gebrauchswertzuschreibungen durch Nutzergruppen zu beurteilen. Im Rahmen einer an die hier skizzierten Überlegungen anschließenden Funktionskritik sollten die Daten der Analyse erörtert werden, um daraus Entwurfsanforderungen an die Gestaltung von weiteren Produkten – zum Beispiel von Stereogeräten – abzuleiten. Daraus ließen sich jedoch nicht direkt Produkte ableiten. Somit bleibe der Entwurfsprozess im Kern ein schöpferischer und iterativer Prozess, der methodisch lediglich abgekürzt werden könne: „Die ästhetischen Entwurfsanforderungen, die bisher aufgelistet wurden, determinieren keinen Entwurf. Es ist nicht möglich, daraus eine ganz bestimmte Lösung zu konstruieren. Die genannten ästhetischen Anforderungen bilden somit streng genommen allein einen Maßstab, an dem man mithilfe eines Messinstruments, nämlich des Assoziationstests, Entwurfsalternativen nachträglich beurteilen kann, um, gemessen am Soll-Wert, den jeweils günstigsten Entwurf auszuwählen.“202

Gros stellt in seiner Diplomarbeit abschließend fest, dass bei der Gestaltung von Produkten nach wie vor die Erfahrungen des Gestalters relevant seien. Designwissenschaftliche Arbeiten könnten jedoch dabei helfen, den Gestaltern Erfahrungen aus Assoziationstests zugänglich zu machen, sodass die jeweiligen Entwürfe darauf auf bauen. Dies könne über sogenannte Leitbilder bewerkstelligt werden, die jedoch nur für eine gewisse Zielgruppe und einen bestimmten Zeitraum Gültigkeit besäßen. Eine möglichst umfangreiche Kartei solcher Leitbilder (zum Beispiel für Komplexität etc.) könne Designern dann als Leit-Kontext, Leit-Umwelt bzw.

201 | Ebd., S. 89. 202 | Ebd., S. 116.

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Leit-Raum203 bei der Gestaltung dienen.204 Würden daraus entstandene Ergebnisse wiederum mittels empirischer Funktionsanalyse überprüft, entstehe eine Gestaltmittelforschung, die dem Designer als „wissenschaftliches Handwerkszeug“205 dienen könne. Der damit verbundene Aufwand rechtfertige sich dadurch, dass sich der ästhetische Aspekt „der Gestaltung von einer Kunst, deren Qualität vom mehr oder weniger genialen Individuum abhängt, weiter in Richtung einer Wissenschaft“206 entwickeln könne. Die 1973 von Jochen Gros verfasste Arbeit bündelt zum einen die vorangegangenen Studien und präzisiert deren Erkenntnisse. Darüber hinaus entwickelt Gros ein Forschungsfeld für Designwissenschaften, das die praktische Arbeit des Designers und in der Folge auch die Qualität der Konsumkultur verbessern und kontinuierlich weiterentwickeln sollte, und zwar auf Basis eines Verständnisses, das sowohl den disziplinären Errungenschaften des Funktionalismus wie auch dem erweiterten Verständnis zeichenhafter Funktionen Rechnung trägt. Nach Abschluss des Studiums erschien diese Diplomarbeit im Selbstverlag und wurde im Direktversand vertrieben. Der Verkauf der 1.000 gedruckten Exemplare wurde nach Angaben von Jochen Gros maßgeblich durch eine kurze Rezension in der Zeitschrift ‚form‘ gefördert. Diese war von Bürdek verfasst worden, den Gros bereits vom IUP kannte.207 Durch ‚Dialektik der Gestaltung‘, das vom IUP publiziert wurde und der Verbreitung der Diplomarbeit war Gros in der damals recht kleinen Designszene bekannt. Aufgrund des derzeit an den Hochschulen vorhandenen Theorievakuums folgten mehrere Aufträge zu Kompaktseminaren und weiteren Lehraufträgen. So wurde Gros auch an die damals neu gegründete Hochschule für Gestaltung (HfG) in Offenbach eingeladen. Hier waren neben zwei Dozenten der ehemaligen Werkkunstschule ein Absolvent der hfg

203 | Ebd., S. 117. 204 | Gros verglich die Funktion dieser Leitbilder mit der von Mileustudien: „Dem entsprechen in etwa die späteren Sinus Milieustudien. Wir haben an der hfg-o dann ja auch mit Leitbild- bzw. Zielgruppencollagen etwas derartiges versucht, aber natürlich nicht mit der sozialwissenschaftlichen Fundierung und dem Aufwand des Sinus-Instituts.“ Gros: „Persönliches Gespräch über ‚Erweiterter Funktionalismus und Empirische Ästhetik‘“, 2011. 205 | Gros: Erweiterter Funktionalismus, S. 118. 206 | Ebd., S. 119. 207 | Bürdek, Bernhard E.: „Rezension: Erweiterter Funktionalismus und Empirische Ästehtik“, form - Zeitschrift für Gestaltung 063 (III) (1973), S. 80.

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Ulm, nämlich Richard Fischer, der zuvor bei Braun arbeitete, und Bürdek, der im Bereich Methodologie lehrte, tätig.

2.3 Praktische Anwendung der theoretischen Konzeption im Rahmen der Lehre Schon nach kurzer Zeit wurde Gros – im Alter von 30 Jahren – zum Professor für Designtheorie berufen. In diesem Rahmen entwickelte er seinen theoretischen Ansatz weiter und versuchte, die gewonnenen Erkenntnisse in der Lehre und in praktischen Gestaltungsprojekten zu erproben und zu verfeinern.

2.3.1 Weiterentwicklung des Begriffsapparates und Nutzung von Präzedenzfällen für den Erkenntnisgewinn 1976 vertritt Siegfried Maser in der Zeitschrift ‚form‘ seinen Standpunkt zur „Verwissenschaftlichung des Designs.“208 In Anlehnung an Immanuel Kants These „Gedanken ohne Inhalt sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind blind“ (aus „Kritik der Reinen Vernunft“ von 1781, S. B75, zitiert nach Maser 1976, 40) formuliert er unter dem Titel „Praxis ohne Theorie ist leer, Theorie ohne Praxis ist blind“ einige grundsätzliche Überlegungen zur Notwendigkeit einer Designtheorie.209 Eine unbefriedigende Designpraxis und die gewachsene Komplexität bei Entwurfsaufgaben zeigten, dass angemessene Lösungen nicht mehr autonom von einer Person entwickelt werden könnten. Vielmehr müsse auch in der Produktentwicklung eine Zusammenarbeit mehrerer Experten aus unterschiedlichen Bereichen angestrebt werden, die ohne Kommunikation, also Argumentation, Begründung, Kritik und Rechtfertigung, nicht geleistet werden könne. Kommunikation verlange somit Fachwissen, um Werte zu setzen, zu begründen, vernünftige Lösungen durchzusetzen, zu kritisieren, aufzuklä-

208 | Maser, Siegfried: „Theorie ohne Praxis ist leer, Praxis ohne Theorie ist blind! - Grundsätzliches über die Notwendigkeit einer Designtheorie“, form - Zeitschrift für Gestaltung 073 (1976), S. 40–42, hier S. 40. 209 | Ebd.

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ren und auszubilden.210 Allerdings sei eine Designtheorie nicht disziplinär, d.h. Fachspracheorientiert, zu entwickeln, sondern interdisziplinär: „Der explizite Nachweis, daß eine Design-Theorie nicht in Analogie zu einer klassischen Formalwissenschaft (z. B. Mathematik), also als formaler, axiomatischer Kalkül, erstellt werden kann, basiert auf der Tatsache, daß Design nicht durch formale, sondern durch inhaltliche Probleme bestimmt ist (9). Der Nachweis, daß eine Design-Theorie auch nicht in Analogie zu einer klassischen Realwissenschaft (z. B. Physik) erstellt werden kann, folgt der Tatsache, daß im Verwertungsprozeß ‚Entwurf‘ normative Aspekte (Interessen!) eine wesentliche Rolle spielen (9). Der Nachweis schließlich, daß eine Design-Theorie auch nicht in Analogie zu einer klassischen Normativen Wissenschaft (z. B. Jura) zu erstellen ist, folgt der Tatsache, daß das Aufstellen und Kontrollieren der Durchsetzung von Normen und Werten noch nicht das Entwerfen ausmacht (9). [Absatz, Anm. d. Verf.] Alle diese formalen, realen, normativen Aspekte spielen beim Entwerfen mit eine Rolle, der Entwurf geht aber als Verwertung und Umsetzung über diese Aspekte hinaus. Eine Theorie des Designs ist daher interdisziplinär [Herv. im Orig., Anm. d. Verf.], ist kooperativ, ist diagonal zu entwickeln.“211

Diese Ansicht begründet Maser damit, dass die formalen, realen und normativen Aspekte klassischer Wissenschaften zwar auch im Design eine Rolle spielten, die Technik des Entwerfens aber weit über die Verwertung und Umsetzung dieser Aspekte hinausgehe. Eine Designtheorie müsse sowohl für Praktiker als auch für Nicht-Designer verständlich sein, um Kooperationen, Kommunikation und gemeinsame Problemlösungen zu fördern. Dem Designer komme in diesem Rahmen die Rolle eines Vermittlers „zwischen Tauschwert- und Gebrauchswertstandpunkt“212 zu, ebenso sei er für die Strukturierung des Entwurfsprozesses verantwortlich. Nach diesem designtheoretischen Ansatz ist der Designer also viel mehr Moderator als Gestalter mit eigener Fachkompetenz.

210 | Ebd., S. 41. 211 | Ebd. Fußnote: „(9) Vgl. S. Maser: Wissenschaftstheoretische Grundlagen der Informatik; in: Ibid, Heft 217, 1973, S.738-746“ Ebd., S. 40. 212 | Maser: „Theorie ohne Praxis ist leer, Praxis ohne Theorie ist blind! - Grundsätzliches über die Notwendigkeit einer Designtheorie“, S. 42.

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Diesem Statement stellt Jochen Gros in den folgenden beiden Ausgaben sein Denkmodell zu ‚Sinn-liche[n] Funktionen im Design‘ gegenüber213, mit dem er ebenfalls eine Gegenstandsbestimmung zu einer designspezifischen Theorie vornehmen wollte. Einleitend beklagt er, dass kein theoretischer Ansatz der letzten Jahre die Entwurfspraxis spürbar verbessert habe. Dies liege daran, dass bisher keine fundierte Diskussion über wissenschaftstheoretische Fragestellungen geführt worden sei, also über einen geeigneten Theorietypus oder den Designbegriff, auf den aufgebaut werden soll, nicht nachgedacht worden sei. Im Zentrum der Diskussion stehe daher die Frage nach einem spezifischen Erkenntnisgegenstand im Design. Gäbe es einen solchen, wäre eine disziplinäre Theorieentwicklung mit einer eigenen Fachsprache möglich. Andernfalls müsste, wie oben bereits angedeutet, von einem interdisziplinären theoretischen Gerüst ausgegangen werden. Gros plädiert aus mehreren Gründen für die Entwicklung eines disziplinären Ansatzes. Denn disziplinäres Wissen müsse, wenn man Siegfried Masers Satz „Theorie entsteht aus Praxis und geht vom Erlebnis über die Erfahrung zur Erkenntnis“214 ernst nehme, vornehmlich von Designern selbst entwickelt werden. Nur diese könnten Erfahrungswissen aus der Praxis aufweisen, sodass nicht nur eine Kluft zwischen Theorie und Praxis vermieden werde, sondern sogar unmittelbar praxisnahe Erkenntnisse generiert würden. Diesen Gedanken weiterentwickelnd empfiehlt Gros, den Designbegriff so eng wie möglich zu formulieren – Problemtiefe statt Problemumfang stehe im Vordergrund. In Anlehnung an eine Definition Bernd Löbachs, wonach Design als „Prozess der Anpassung industrieller Produktion an die physischen und psychischen Bedürfnisse von Benutzern und Benutzergruppen“215 verstanden werden müsse, erfolgt eine weitere Eingrenzung: „Um an unseren bisherigen Sprachgebrauch anzuknüpfen, müssen wir nun allerdings die physischen Mensch-Objekt-Relationen als praktische

213 | Gros, Jochen: „Sinn-liche Funktionen im Design - (1) Zur Gegenstandsbestimmung einer designspezifischen Theorie.“, form - Zeitschrift für Gestaltung 74 (1976), S. 6–9, hier S. 6. 214 | Maser: „Theorie ohne Praxis ist leer, Praxis ohne Theorie ist blind! - Grundsätzliches über die Notwendigkeit einer Designtheorie“, S. 40. 215 | Löbach, Bernd: Industrial design: Grundlagen der Industrieproduktgestaltung, München: Thiemig 1976, S. 20.

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Funktionen bezeichnen und die psychischen als sinnliche Funktionen. Dabei wird bewußt auf die emotionale und rationale Doppeldeutigkeit des Begriffs der Sinn-lichkeit angespielt. Darin steckt die Bedeutung emotional reizvoll und rational sinnvoll. [Herv. im Orig., Anm. d. Verf.] Das ist hier kein Widerspruch.“216

Für die physischen Bedürfnisse sei ja, wie bereits oben dargelegt, die Ergonomie die zuständige Disziplin, für die psychischen Bedürfnisse in der Mensch-Objekt-Relation hingegen das Design. Die zuvor eingeführte Benennung des relevanten Gegenstandes als ‚zeichenhafte Funktionen‘ wird hier jedoch in den Begriff ‚sinn-liche Funktionen‘ geändert. Die mitschwingende Doppeldeutigkeit in einem Terminus zu vereinen mache diese Benennung für den Designkontext besonders interessant. Die geeignete Erkenntnismethode, um den mit ‚sinn-lichen Funktionen‘ beschriebenen Gegenstand zu erfassen, liegen laut Gros nach seinen ersten Erfahrungen mit der Empirie eher in der geisteswissenschaftlichen Methode.217 Denn bei den sinnlichen Bedeutungen eines Produktes handle es sich eben nicht um einen Natur-, sondern um einen geistig-kulturell hergestellten Gegenstand, der sich nicht ausschließlich quantitativ untersuchen lasse. Erkenntnisse seien vielmehr auf qualitativer Ebene zu generieren. Einige designspezifische Phänomene am Ende dieses ersten Artikels sollten einen Ausblick auf die Inhalte und Erkenntnismöglichkeiten einer disziplinären Designtheorie bieten. Diese Fachspezifik weise nämlich Aspekte auf, die auch für andere Disziplinen interessant seien und damit den Zugang zu gleichberechtigter interdisziplinärer Zusammenarbeit eröffnen könnten.218 In der folgenden Ausgabe sollten „Entwurfsbeispiele zu theoretischen Begriffen und Hypothesen“219 die Praxisnähe und Relevanz des vorgestellten Ansatzes verdeutlichen. Doch zunächst widmete sich Gros nochmals dem Fundament der Theorie: dem zugrunde liegenden Begriffsapparat. Ein erstes Definitionsgerüst sei bereits erarbeitet worden (siehe Abb. 5), doch eine weitere Klärung und Ausdifferenzierung erscheine noch an vielen Stellen nötig. Das Ziel eines solchen Begriffsapparates liege darin, be-

216 | Gros: „Form / Sinn-liche Funktionen Teil 1“, S. 7. 217 | Ebd., S. 8. 218 | Ebd., S. 9. 219 | Gros: „Form / Sinn-liche Funktionen Teil 2“, S. 12.

Entstehung eines disziplinären Theorieansatzes: Über die Arbeiten von Jochen Gros

stimmte Wahrnehmungen zu ermöglichen und zu kommunizieren sowie Hypothesen zu formulieren, die weitere Erkenntnismöglichkeiten eröffneten.220 Eine Schwierigkeit bei der Überprüfung von Hypothesen und der Anwendung von generiertem Wissen in der Praxis ergebe sich aus der Besonderheit der Designtheorie, keine Gestaltung-Rezepte liefern zu können: „Die wegen ihrer Kontextabhängigkeit unendliche Vielfalt realer Entwurfssituationen“221 spreche dagegen. Vergleichbar sei dies mit der Situation in den Rechtswissenschaften, wo die Vielfalt realer Lebenssituationen im Widerspruch zu den klar definierten Gesetzestexten stehe: „Die Vielfalt realer Lebenssituationen und ihr permanenter Wandel paßt auch hier in kein starres Schema (von Formeln gar nicht zu reden). Was in derartigen Fällen aber offenbar dennoch eine Orientierung erlaubt, ist die Anlehnung an Präzedenzfälle, deren Tendenz wir durch schöpferische Analogieschlüsse auf neue Situationen beziehen können.“222

Abbildung 5: Erstes Definitionsgerüst nach Hauptbegriffen für das Industrial Design.

Die Arbeit mit Präzedenzfällen erlaube Orientierung in komplexen Fällen und darüber hinaus eine stetige Weiterentwicklung in der Rechtsprechung. Eine entsprechende Vorgehensweise im Design könne ebenfalls über

220 | Ebd. 221 | Ebd., S. 13. 222 | Ebd.

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schöpferische Analogieschlüsse Präzedenzfälle auf konkrete Entwurfsaufgaben anwenden. Über spezifische Problemlösungen könne die Entwurfsarbeit dann ihrerseits neue Präzedenzfälle schaffen, die wiederum eine Rückkopplung von der Praxis in die Theorieentwicklung zuließen.223 In einem von mehreren Dozenten geleiteten Seminar an der HfG Offenbach war bereits damit begonnen worden, eine Fallsammlung zu allen bisher genannten Ordnungsrelationen des erarbeiteten Begriffsapparates (siehe oben) zusammenzustellen. Einige Ergebnisse dieses Seminars werden in Gros‘ Aufsatz präsentiert, wie das folgende, sehr grundlegende Beispiel zum Begriff ‚Deutlichkeit‘ (siehe Abb. 6). Es zeigt, wie eine optisch nicht klar nachvollziehbare Form durch gestalterische Eingriffe deutlicher und damit leichter erfassbar wird. Zudem werden einige Ergebnisse eines Seminars zum Thema ‚Military Look‘ vorgestellt, das erste Aufschlüsse über Symbolfunktionen gebensollte. Interessant daran ist, dass über das Skizzieren einer Idee, wie der Military Look funktionieren könnte, eine konkrete Entwurfsaufgabe formuliert wurde. Im Rahmen des Bearbeitens dieser Entwurfsaufgabe erstellten Studierende experimentelle Produktentwürfe, bei denen der zuvor ebenfalls untersuchte Profi Look Anwendung fand. Auf diese Weise sollte gezeigt werden, wie eine Präzedenzfallforschung zu neuen Entwurfsansätzen führen könnte.224

Abbildung 6: Beispiel eines Präzedenzfalls zum Begriff Deutlichkeit.

Abschließend wird in dem Aufsatz ein Ausblick gegeben, wie eine Weiterentwicklung dieses theoretischen Ansatzes und eine damit verbundene Designforschung an Hochschulen aussehen könnte. Denn nur so sei es

223 | Ebd. 224 | Ebd., S. 15f.

Entstehung eines disziplinären Theorieansatzes: Über die Arbeiten von Jochen Gros

vorstellbar, „daß Design künftig einmal – als gereifte Disziplin – einen spezifischen Beitrag zu inter-disziplinären Projekten“225 liefern könne. In den beiden Artikeln stellt Gros seinen Zugang zu einer disziplinären Designtheorie zur Diskussion. Alle Grundgedanken für den später unter dem Titel ‚Theorie der Produktsprache‘ bekannt gewordenen Offenbacher Ansatz sind bereits hier vorhanden. Hervorzuheben ist, dass Gros wiederum mit seiner dialektischen Argumentation bis zum Schluss beide Optionen – einen transdisziplinären und einen disziplinären Weg – verfolgt und die jeweiligen Konsequenzen beschreibt. Darüber hinaus emanzipiert er sich mit diesem Text von den prinzipiellen Ideen und Vorgehensweisen Siegfried Masers. Viel wichtiger erscheint jedoch das erkennbare Bestreben, die eigenen theoretischen Hypothesen in praktische Projekte zu überführen und damit zu validieren – und in einem weiteren Schritt die Objektkultur mit zu beeinflussen.

2.3.2 Weniger Konsum durch mehr Sinnlichkeit – eine designspezifische Auseinandersetzung mit ökologischen Problemen Die enge Verbindung zwischen theoretischen Ideen einerseits und deren Umsetzung in reale Produkte andererseits, die bis hin zur Beschreibung und Unterstützung eines Lebensstils reicht, kann schon in einer älteren Arbeit, die unter Gros‘ Mitwirkung entstand, nachgewiesen werden. Dieser Beitrag wird im Folgenden vorgestellt. Das Ende 1968 in Berlin gegründete ‚Internationale Design Zentrum‘ (IDZ) widmete sich Anfang der 1970er-Jahre einem kritischen Designdiskurs und einer Erweiterung des konventionellen Designverständnisses. Nachdem diesem Thema zunächst im Rahmen von Ausstellungen 226 nach-

225 | Ebd., S. 16. 226 | Die Eröffnungsausstellung lief unter dem Titel ‚Design – Umwelt wird in Frage gestellt‚, darauf folgten ‚Design – Produzenten bewerten ihr Produkt‘ (IDZ | Internationales Design Zentrum Berlin) und ‚Design it yourself‘. form: „‚Design-it-yourself‘ Eine Aktion des IDZ Berlin: Design für jedermann von jedermann“, form - Zeitschrift für Gestaltung 64 (1973), S. 25– 27. Die letztgenannte Ausstellung präsentierte 1973 – parallel zur Ausstellung der Guten Form – „Möbel für den Grundbedarf des Wohnens – selbst entworfen, selbst gebaut –“ (Plakat des IDZ, erneut abgedruckt in Ebd.. Neben Beispielen aus der im gleichen Jahr initiierten Rubrik ‚Selbermachen‘ der Zeitschrift Brigitte wurden Entwürfe von Viktor Papanek präsentiert. Da-

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gegangen wurde, sollte ein öffentlich ausgeschriebener Wettbewerb die Suche nach alternativen Gestaltungsansätzen und -vorstellungen weiter vertiefen. Unter dem Titel ‚Produkt und Umwelt‘ waren neben Designern auch Architekten, Stadt- und Umweltplaner dazu eingeladen, sich mit den Ursachen der damaligen Rohstoff krise auseinanderzusetzen und Vorschläge zur Bewältigung zu unterbreiten. Im Zentrum des Wettbewerbs stand die Frage, wie stark Artefakte als „Funktionsträger sozialen Verhaltens“ kollektive Verhaltensweisen „in den Bereichen des Energieverbrauchs, der Umweltverschmutzung und der Verschwendungswirtschaft“227 beeinflussen. Einer der ausgezeichneten Beiträge hatte den Titel „des-in – ein neues Ornament? Weniger Konsum durch mehr Sinnlichkeit – Produkte als Leitbilder zur Umweltfreundlichkeit.“228 Die Verfasser kamen aus der 1973 in Offenbach gegründeten Designinitiative ‚Des-In‘229, der neben sechs

rüber hinaus wurden Besucher dazu animiert, sowohl selbst gebaute Möbel auszustellen als auch ausgestellte Möbel nachzubauen. Kostenlose Bauanleitungen standen zur Verfügung, zudem berieten Innenarchitekten interessierte Selbermacher. 227 | IDZ Berlin (Hrsg.): Produkt und Umwelt: Ergebnisse einer Ausschreibung. Herausgegeben vom Internationalen Design-Zentrum Berlin e.V. in Zusammenarbeit mit dem Bundesverb. der Deutschen Industrie, Köln. Redaktion: Jens F. Priewe, Berlin: Internationales Design-Zentrum (IDZ) 1974, S. 5. 228 | Des-In Gruppe und Jochen Gros: „Weniger Konsum durch mehr Sinnlichkeit“, in: Hrsg.: Internat. Design-Zentrum Berlin e.V. in Zusammenarb. mit d. Bundesverb. d. Dt. Industrie, Köln. Red.: Jens F. Priewe (Hrsg.): Produkt und Umwelt : Ergebnisse einer Ausschreibung, Berlin: Internat. Design-Zentrum 1974, S. 58–76. 229 | Die Gründung der Designinitiative ‚Des-In‘ ist auf die AG1 (Arbeitsgruppe 1) der HfG Offenbach zurückzuführen. Gros, Jochen: „DES-IN: Ein Nachruf über 20 Jahre“, in: Projektgruppe Up Date und Petra Kellner (Hrsg.): Mehr weniger? Projektbuch Kolloquium, Juni ’93; 3.6. - 5.6.1993, Hochschule für Gestaltung, Offenbach; Projekte und Positionen deutscher Designschulen / Über den Umgang mit ökologischen Herausforderungen in der Designausbildung, Offenbach am Main: Projektgruppe Up Date 1993, S. 116–121, hier S. 117. Die Einrichtung von Arbeitsgruppen verweist an vielen Hochschulen Anfang der 1970er-Jahre auf den Versuch der Studenten, das Lehrprogramm selbst in die Hand zu nehmen – unter dem Motto ‚Aktives Studium‘ sollte unabhängig vom Lehrplan studiert werden. Die AG1 in Offenbach hatte sich unter dem Eindruck der Ölkrise gegründet. Die Mitglieder setzten sich ausführlich mit diesem Thema auseinander und diskutierten Lösungsansätze. Jochen Gros war aufgrund seines Alters und seiner Nähe zur Protestbewegung ausnahmsweise und nur als gleichbe-

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Studierenden des Fachbereichs Produktgestaltung auch Jochen Gros als gleichberechtigtes Mitglied angehörte. Schon in der Einleitung stellte Des-In die mit dem Titel ‚Produkt und Umwelt‘ vorgegebene Perspektive des Wettbewerbs infrage, denn diese lege eine vornehmlich technische Betrachtungsweise nahe, die menschliche Wertvorstellungen weitgehend ausklammere. Doch spätestens seit Meadows ‚Grenzen des Wachstums‘ sei klar, dass gerade die Vorstellung von generellem Wachstum maßgeblich für die vorherrschende Umweltproblematik verantwortlich sei. Aus diesem Grund müsse man eben gerade nicht nur nach umweltfreundlichen Produkten suchen, sondern vielmehr beim sozialen Wertverhalten ansetzen und die zu behandelnde Problematik in den Kontext Mensch und Umwelt stellen.230 Diese neue Perspektive impliziere eine Auseinandersetzung mit der spezifischen Kompetenz des Industriedesigners: „Der Traum vom großen Koordinator ist ja wohl ausgeträumt. Anstelle einer maßlosen Begriffserweiterung sollten wir daher ernst machen mit dem Ziel der interdisziplinären Zusammenarbeit – und das erfordert zunächst einen überschaubaren, auch für den Außenstehenden klar beschreibbaren Kompetenzbereich. Die Suche nach der ganzheitlichen Problemlösung darf die disziplinäre Präzision nicht mißachten, sondern muß sie zugleich weitertreiben und in der Gruppe überwinden.“231

Dieser liege, so Gros analog zu den oben beschriebenen Arbeiten, im Entwurf symbolischer Funktionen – nicht ausschließlich, sondern im besonderen Maße.232 Dadurch, dass das Design präsentative Symbole und Begriffe aktiv gestalte, biete sich ihm die Chance, auch eine gesellschafts-

rechtigtes Mitglied dieser AG zugelassen. Aufgrund unterschiedlicher Ansichten über weitere Aktionen spaltete sich die Gruppe jedoch nach kurzer Zeit. Der eine Teil fokussierte sich auf Öffentlichkeitsarbeit – damit war die Aufklärung von Konsumenten mit Flugblättern, Plakaten, Wandzeitungen etc. gemeint. Der andere Teil der AG vertrat die Auffassung, dass Designstudenten vor allem mit ihrer Fachkompetenz – also der Produktgestaltung – auf das Konsumverhalten Einfluss nehmen sollten. Ebd. 230 | Des-In Gruppe/Gros: „Des-In: Weniger Konsum“, S. 58. 231 | Ebd. 232 | Ebd., S. 61.

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kritische Rolle zu übernehmen.233 So begründet Gros mit einem Zitat Alfred Lorenzers: „Während bei der Spracheinführung der Name einem bestehenden Vokabular entnommen wird, die Interaktionsform beim Benennen, wie dargestellt, ihre ausdrückliche Verfestigung erhält, meint die präsentative Symbolbildung offensichtlich die Neueinführung einer Darstellungsfigur, die ein noch unbekanntes Erleben artikulieren soll.“234

Das bedeute nicht, dass vom Designer ein neues Wertverhalten erzwungen oder ein neuer Lebensstil erzeugt werden könne. Ein neuer Lebensstil könne aber durch gestalterische Arbeit artikuliert und damit verfügbar gemacht werden und so eine bereits vorhandene Bereitschaft bekräftigen und verstärken.235 Ändere sich also die „materielle Basis der Gesellschaft – wie gegenwärtig durch die ökologische Krise – dann entstehe nicht nur die Chance, sondern sogar die Notwendigkeit für entsprechend neu formulierte Leitbilder, präsentative Begriffe, Produkte.“236 Die ‚Grenzen des Wachstums‘ erforderten „künftig ein Bewußtsein oder ein Wert-Verhalten, das weder Wachstum noch Verschwendung“ akzeptiere und einsehe, „daß das Wertverhalten des Konsumenten nicht nur biologisch, sondern auch von politischer bzw. gesellschaftlicher Vernunft bestimmt wird.“237 Trotz der Befürchtung, dass die nötigen Konsumbeschränkungen nur auf autoritärem Wege zu realisieren seien, liege Hoffnung in einer antiautoritären Bewegung, die durch die ökologische Krise eine neue Dynamik bekommen könne. Eine mögliche Motivationsstruktur sah die Des-In-Gruppe im HippieModell, das sich durch seine Bejahung von Sinnlichkeit und Ornament auszeichne. Diese Betonung der Emotionalität könne den Verzicht auf Konsum kompensieren und damit letztlich zu einer mindestens ebenso ausgeglichenen Befriedigungsbilanz wie im vorhandenen System führen. Bezogen auf Designobjekte könne das bedeuten, dass der „Statusgewinn

233 | Ebd., S. 62. 234 | Lorenzer, Alfred: Zur Begründung einer materialistischen Sozialisationstheorie, 1. Aufl., Frankfurt am Main: Suhrkamp 1972, S. 115. / Anm. d. Verf.: im Original nicht korrekt zitiert. 235 | Des-In Gruppe/Gros: „Des-In: Weniger Konsum“, S. 62f. 236 | Ebd., S. 63f. 237 | Ebd., S. 64.

Entstehung eines disziplinären Theorieansatzes: Über die Arbeiten von Jochen Gros

teurer Materialien durch sinnlichen Reiz“238 kompensiert werden könne, wie das Beispiel des Hippie-Schmucks zeige. Zusammengefasst wird diese These – im krassen Gegensatz zur Bezeichnung des ‚Guten Designs‘ – mit der Haltung ‚billig ist schön‘. Wobei sich billig auf die gesamtgesellschaftlichen Kosten von Rohstoffen, Produkten und deren Beseitigung beziehe, wodurch zugleich der Kostenfaktor Arbeit weniger ins Gewicht falle. Im Kontext zeitgenössischer Designströmungen forderte die Gruppe eine sogenannte ‚neue Sinnlichkeit‘, die sich bereits in zwei Bereichen zeige. Die immer häufiger vorkommende ‚Soft-Line‘ könne sich zum ‚SoftDesign‘ weiterentwickeln, das die Haptik mit einschließe. Auf der anderen Seite verweise die Soft-Line auf eine künstlerische Gestaltung von Designobjekten, die sich mittels eines ‚neuen Ornaments‘ realisieren ließe: „Selbstverständlich wäre es falsch, auf das heruntergewirtschaftete Ornament in seiner historischen Form zurückzugreifen. Ein neuer Anlauf kann deshalb nur vom nächst höheren Allgemeinbegriff ausgehen: von Komplexität, denn das Ornament in seiner historischen Form ist lediglich als spezifische Ausprägung von Komplexität zu bezeichnen.“239 Da sich Ornamente auf einen Kernpunkt der jeweiligen historischen und gesellschaftlichen Entwicklung bezögen und sich parallel an verschiedenen Stellen entwickelten, müsse ein neuer Bezugspunkt für die Gestaltung gefunden werden. Im Gegensatz zur gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit der Natur, die die historischen Ornamente präge, könne der durch Sprache vermittelten Auseinandersetzung zwischen gesellschaftlichen Subjekten eine neue, zentrale Bedeutung zukommen.240 Ergebnis sei eine Ornamentform, die durch das Sprachbild – auch hier in Anlehnung an Langer – den Übergang vom naturwissenschaftlichen zum geisteswissenschaftlichen Denken zeige. Die Existenz eines Buchstabenornaments könne schon in unserem Alltag nachgewiesen werden. Werbesprüche und Markenlogos würden bereits die Komplexität des Stadtbildes erhöhen, überdimensionierte Hausnummern würden Fassaden mitgestalten und Buchstabenreliefs die Hintergründe von Fernsehsendungen prägen. Auch Graffitis oder die zu-

238 | Ebd., S. 65. 239 | Ebd., S. 67. 240 | Ebd., S. 68.

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nehmende Verwendung von Buchstabenornamenten bei Verpackungen könnten unter dieser Perspektive betrachtet werden. Im Gegensatz dazu sei das Buchstabenornament im Industriedesign bisher erst sehr verdeckt angewandt – wie beispielsweise bei einer ergonomisch nicht notwendigen Betonung von Skalenbeschriftungen an Geräten. Daher solle im Rahmen des eingereichten Beitrages anhand verschiedener Produktentwürfe geprüft werden, ob mit dem Gestaltungsmittel Buchstabenornament die Forderung nach einer neuen Sinnlichkeit realisiert werden könne.

Abbildung 7: Entwürfe der Des-In-Gruppe im Rahmen des Wettbewerbs ‚Produkt und Umwelt‘ des IDZ. Leuchtenschirm, Koffer und Radiogehäuse mit Buchstabenornament gefertigt aus Metall.

Die prägnantesten Entwurfsbeispiele der Gruppe – eine Leuchte, ein Koffer und ein Radio (siehe Abb. 7) – waren aus wiederverwertbarem Metall gefertigt. Die einfache Konstruktion der Objekte zielte auf Reparaturfreundlichkeit und somit Langzeitkonsum ab; Beulen oder Lackschäden könnten einen Reiz ähnlich wie bei einer verwaschenen Jeans erzeugen.241 Mit dem eingesetzten Buchstabenornament wurde – abgesehen vom praktischen Vorteil, Stabilität in der Metalloberfläche zu erzeugen – vor allem das Ziel verfolgt, durch teilweise ironische Hinweise Spaß zu erzeugen. Eine solche Ironie konnte z.B. im exakten Hinweis auf die verwendete Stahlsorte liegen. In der Zusammenfassung ihres Beitrags legte die Gruppe dar, dass sich die bisherige Arbeit darauf konzentriert habe, mittels Leitbildern und deren symbolisch-ästhetischen Aussagen das „Ende des Expansionismus“242 zu erfassen und so eben die Forderung nach einem solchen Ende zu unterstützen. Experimentell sollten neue Leitbilder erprobt werden, die weniger

241 | Ebd., S. 69. 242 | Ebd., S. 74.

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Konsum und damit weniger Wachstum und Verschwendung nach sich ziehen würden. Damit wich die Gruppe von der eigentlichen Aufgabenstellung des Wettbewerbs ab, verstand ihren Lösungsansatz aber durchaus im Sinne der Ausschreibung. Allerdings löse die Entwicklung sinnlich reizvoller, billiger und langlebiger Produkte, die einen Konsumverzicht ästhetisch kompensieren könnten, das Problem nur zum Teil. Konsequenterweise müssten die Folgen eines niedrigeren Konsumniveaus auch in Bezug auf die Arbeitswelt und die Produktionsweise reflektiert werden. Die Herstellung von Konsumprodukten im Rahmen kleiner, dezentral arbeitender Werkgemeinschaften oder Designinitiativen schien hier der richtige Weg zu sein. Damit war nicht eine Rückkehr zu handwerklichen Herstellungsverfahren gemeint: Grundlage müsse weiterhin eine industrielle Produktionsweise sein, die jedoch dank kleinerer Betriebseinheiten und geringerer Investitionskosten weitere Experimente erlaube, um beispielsweise mehr Selbstbestimmung, Solidarität und Spaß durch bewusst einkalkulierte Gewinneinbußen zuzulassen.243 So sollte das gesamte Konzept durch die Verbindung eines neuen Lebensstils mit einem neuen Ornament und einem neuen Produktionsstil umfassend und grundlegend in die Realität umgesetzt werden. Der Wettbewerbsbeitrag von Des-In wurde vom IDZ vor allem aufgrund der theoretischen Ausführungen und wegen des Versuchs, „von einem theoretischen Konzept zu einer gestalterischen Umsetzung zu gelangen“, ausgezeichnet.244 Der Beitrag wurde sowohl in der eigenen Wettbewerbspublikation als auch in der Zeitschrift ‚form‘ (Heft 68 von 1974) veröffentlicht. Da die Gruppe das Konzept des neuen Produktionsstils nicht nur skizzierte, sondern in der Folge selbst umsetzte, erhielt Des-In unter der Regie von François Burkhardt im Anschluss die Gelegenheit, unter dem Titel „Neues Gewerbe und Industrie“245 eine Ausstellung zu gestalten. Die Gruppe sollte alternative Lebens-, Arbeits- und Wohnformen – wie sie etwa im ‚Fristad Christiania‘ in Kopenhagen zu finden waren – unter dem Blickwinkel des ökologischen Lebensstils präsentieren. Zudem wurden Produktentwürfe von Des-In für das sog. ‚neue Gewerbe‘ gezeigt, die nun, so Gros, durchgängig mit dem Wort ‚Recycling Design‘

243 | Dieser Ansatz führte zur Ausstellung „Neues Gewerbe und Industrie“, die unten beschrieben wird. 244 | IDZ Berlin (Hrsg.): Produkt und Umwelt, S. 11. 245 | Gros: „Des-In: Nachruf“, S. 118.

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zu beschreiben seien.246 Offsetdruckplatten und leere Blechdosen wurden zu Lampenschirmen, Teekisten zu Schränken oder – wohl das meistpublizierte Objekt der Gruppe – alte LKW-Reifen zu einem Sofa. Des-In gehört somit zu den Begründern des Recycling-Designs in Deutschland, nicht zuletzt, weil die Gruppe die im Wettbewerb und in der folgenden Schau präsentierten Szenarien selbst anwandte: Sie startete eine eigene kleingewerbliche Produktion und verkaufte ihre Produkte auf Flohmärkten oder direkt aus der eigenen Werkstatt heraus. Nach einigen Jahren musste das Projekt jedoch wieder aufgegeben werden. Albus und Borngräber stellen in ihrer ‚Design-Bilanz‘ dar, dass dies auf Differenzen in der Gruppe und finanziellen Schwierigkeiten zurückzuführen wäre. Die Zielgruppe – die jugendliche Subkultur – begriff „die Des-In-Produkte aufgrund ihres Do-it-yourself-Charakters eher als Anregung zum Selbermachen als zum Kauf“247, sodass kein größerer Absatz der Produkte möglich war. Gros wies in einem persönlichen Gespräch darauf hin, dass sein Austritt aus der Gruppe ein wesentlicher Auslöser gewesen sei.248 Trotzdem fanden das Konzept und die Arbeiten der Gruppe viel Beachtung, was beispielsweise ein Bericht im Nachrichtenmagazin ‚Der Spiegel‘249, oder der Auftritt in Fernsehsendungen dokumentiert. Der Wettbewerbsbeitrag und die weiteren Projekte der Des-In-Gruppe zeigen, wie Gros die Weiterentwicklung seines theoretischen Ansatzes vorantreibt und die Ergebnisse in Entwurfsprojekte und Herstellungszusammenhänge überführt. Sein Interesse für die Mensch-Objekt-Relation aus einer psychologisch geprägten Perspektive führte dabei nicht nur zu weiteren Produkten, sondern zur Analyse neuer Lebensstilmodelle und zu deren inhaltlicher Umsetzung. Dabei verlässt er die industriell geprägte Perspektive, um die spezifische Kompetenz des Designers in den Kontext politischer und gesellschaftlicher Ziele zu stellen.

246 | Ebd., S. 118f. 247 | Albus, Volker und Christian Borngräber: Design Bilanz. Neues deutsches Design der 80er Jahre in Objekten, Bildern, Daten und Texten, Köln: DuMont 1992, S. 114. 248 | Gros: „Persönliches Gespräch über ‚Erweiterter Funktionalismus und Empirische Ästhetik‘“, 2011. 249 | „Auch der Mensch ist aus krummem Holz. Online Archiv auf ‚spiegel.de‘“, DER SPIEGEL 47 (1979), S. 232–241, hier S. 241.

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2.3.3 ‚Roboterhandwerk‘ als Metapher für die neuen produktkulturellen Möglichkeiten einer digitalen Produktionstechnologie Nachdem sich Gros in der vorangegangenen Arbeit in erster Linie mit dem Thema Lebensstil und dessen Sichtbarmachung durch Produktdesign beschäftigt hatte, untersuchte er in einer Studie Mitte der 1980er-Jahre die Auswirkungen der Digitalisierung des Produktionsbereichs auf unsere Produktkultur. Der Text erschien in dem Taschenbuch ‚Design der Zukunft‘, das der Soziologe Lucius Burckhardt gemeinsam mit dem IDZ Berlin im Anschluss an einen Forumskongress 1986 herausgegeben hatte.250 Unter dem Titel ‚Designvielfalt durch Roboterhandwerk‘251 wagt Gros im Rahmen dieses Forums einen unbeschwerten und spekulativen Blick 252 in die Zukunftserwartungen des Produktdesigns: „So denke ich z. B., daß eine Disziplin, die sich Industrie-Design nennt, wirklich damit rechnen muß, bald in dem Maße durcheinandergewirbelt zu werden, in dem sich ihr explizierter Bezugspunkt, d.h. die industrielle Produktionsweise, gerade wieder einmal revolutioniert. Dabei halte ich das Schlagwort von der postindustriellen Produktion [Herv. im Orig., Anm. d. Verf.] nur insofern hilfreich, als es einen qualitativen Sprung in der bisherigen Entwicklung signalisiert.“253

Die Verknüpfung von industrieller Produktion mit der Computertechnik werde zu einer ‚Dritten Industriellen Revolution‘ führen, die die Industriekultur und mit ihr die Bereiche Arbeit, Familie und Freizeit nachhaltig verändern werde.254 Der Anspruch des Designs, „Vermittler von Kultur

250 | Burckhardt, Lucius und Internationales Design Zentrum Berlin.: Design der Zukunft: Architektur, Design, Technik, Ökologie, Köln: DuMont 1987. 251 | Gros, Jochen: „Designvielfalt durch Roboterhandwerk“, in: Burckhardt, Lucius und Internationales Design Zentrum Berlin (Hrsg.): Design der Zukunft: Architektur, Design, Technik, Ökologie, Köln: DuMont 1987, S. 200–213. 252 | Ebd., S. 200. 253 | Ebd. 254 | Ebd., S. 201.

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und Technik“255 zu sein, müsse in diesem Rahmen mehr als bisher betont werden. Momentan verlaufe die Diskussion noch sehr eindimensional – nämlich im Hinblick auf die Folgen des Wegfalls mechanischer Funktionselemente bei Produkten. Im Gegensatz zu diesen analogen Funktionselementen, die mit gestalterischen Mitteln wiedergegeben werden könnten, seien elektronische Bauteile selbst jedoch unabhängig formbar und böten somit keinen unmittelbaren Bezugspunkt für die Gestaltung. Für ihn sei die Frage interessant, welche Auswirkungen sich aus der Einführung des CIM (Computer Integrated Manufacturing) und den damit einhergehenden Änderungen in der „Staffelkalkulation“256, also in der Relation von Stückzahl zu Herstellungspreis, ergeben. Der Funktionalismus basiere auf der Erkenntnis, dass sich Produktformen durch die Produktionsstückzahl und die damit zusammenhängenden Produktionsverfahren wandelten. Gros stellt in diesem Zusammenhang die These auf, dass eine von Subjektivität, Eigenart und Individualität geprägte Produktpersönlichkeit grundsätzlich nicht für die Fließbandproduktion geeignet sei. Genau aus diesem Grund sei die Produktpersönlichkeit bei der auf die Fließbandproduktion bezogenen funktionalistischen Gestaltung grundsätzlich ausgeklammert worden. Darüber hinaus sei der Kampf gegen den subjektiven Ausdruck von Produkten aber auch noch ideologisch begründet worden: „Mit der individuellen Eigenart sollten zugleich Statushierarchien verschwinden, ohne subjektive Differenzen sollte soziale Gleichheit zum Vorschein kommen usw.“257 Trotzdem gebe es im Design immer wieder Bestrebungen, subjektives Design als Gegenpol zur anonymen Fließbandproduktion zu etablieren. Zu nennen wären hier neben der ‚Arts-and-Crafts-Bewegung‘ das ‚Alternativhandwerk‘ oder auch das ‚Neue Deutsche Design.‘258 Die digitalisierte Produktionsweise werde handwerkliche Produktionsformen mit flexiblen Stückzahlen in Zukunft wieder in größerer Breite zulassen. Das bedeute, dass Produkte nur ein einziges Mal für eine einzelne Person hergestellt werden könnten oder, falls der digitale Entwurf das Interesse einer breiteren Kundschaft wecke, ohne Probleme auch nachträglich in größeren Stückzahlen gefertigt werden könnten. Diese neue Flexibilität

255 | Ebd. 256 | Ebd. 257 | Ebd., S. 202. 258 | Ebd., S. 203.

Entstehung eines disziplinären Theorieansatzes: Über die Arbeiten von Jochen Gros

in der Fertigung führe dann fast zwangsläufig zu einer Abkehr von der ‚Guten Form‘: „Denn ohne deutlich unterscheidbare, ohne unterschiedliche Gestaltauffassungen macht die zunehmende Produktdifferenzierung durch computerintegrierte Kleinserien gar keinen Sinn. Beides gehört zusammen: die neue Kleinserientechnologie und ein weiter wachsender, auch subjektiv geprägter Gestaltpluralismus.“259 Nicht nur Hersteller könnten von den damit verbundenen Möglichkeiten profitieren – auch Designer könnten Kleinserien ihrer Produkte in Auftrag geben und unabhängig vermarkten. Die Möglichkeiten der neuen Produktionstechnologien und der damit verbunden Kleinserienfertigung sind allerdings nicht für alle Produktbereiche sinnvoll. Technische Bauteile wie beispielsweise Uhrwerke seien nach wie vor für die Fließbandproduktion prädestiniert, ebenso sei eine reduzierte, neutrale Gestaltung bei solchen Produkten nach wie vor zweckmäßig. In der Kombination aus Technologie und Gestaltungsansätzen eröffneten sich jedoch vielfältige, stimmige Produktkonzepte. Denn die eigentlich gegensätzlich angelegten Herangehensweisen könnten sich wechselseitig ergänzen. Man müsse folglich „für verschiedene Produktklassen unterschiedliche Designphilosophien entwickeln“260 und diese sinnvoll einsetzen. Als Ergebnis dieser neuen Kombination sah Gros eine „Mischkultur von Lebens- und Produktionsmustern“ im Entstehen, „deren herausragendes, ästhetisches Merkmal der Kontrast ist“261: hochstandardisierte, neutrale Bauteile auf der einen Seite und individuell gestaltete und „roboterhandwerklich“ gefertigte Elemente auf der anderen. Diese Mischung sollte das Produkt nicht nur individualisieren, sondern dank einer spezifischen Symbolik zugleich für unterschiedliche Zielgruppen stimmig und zugänglich machen. Der damit einhergehende Zuwachs an Designvielfalt und Produktdifferenzierung müsse jedoch zukünftig zu anderen Zusammenhängen zwischen Nutzer, Symbolik und Produkt führen, um nicht nur in einer formalen Beliebigkeit und damit einer Übersättigung von Märkten und Aufmerksamkeiten zu münden. Da die Bedeutung eines Produktes „nur

259 | Ebd., S. 203f. 260 | Ebd., S. 204. 261 | Ebd.

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zum Teil vom Designer und zum anderen Teil von Kontexten, etwa dem Produktionskontext, gestaltet wird“262, müsse also der Designvielfalt eine entsprechende Vielfalt der Kontexte gegenübergestellt werden. So könne die technologisch erzeugte Variantenvielfalt eine „Umstrukturierung der üblich gewordenen Produktions- und Vertriebskontexte“263 nach sich ziehen. In fünf Szenarien wird im Anschluss über die Konsequenzen der These spekuliert. In einem Szenario entwickelt sich beispielsweise eine Szenezeitschrift zur Produzentin mehrerer eigenständiger Produkte. Mit der ausführlichen Darstellung des Entstehungsprozesses und einer anschließenden Diskussion mit Lesern über diese Besonderheiten der Produkte werden diese beworben und zugleich symbolisch aufgeladen. Die Zeitschrift, die Leser und das spezifische Produktangebot werden so zu einem festen, deutlich abgegrenzten Sinngefüge. In einem weiteren Szenario wird eine Kaufhauskette mit einem Fernsehstar und einer Fernsehserie verknüpft. Prägnante Ausstattungsteile der Serienfigur können im Kaufhaus erworben werden, Produkte des Kaufhauses werden in der Fernsehserie platziert und durch das Image des Fernsehstars weiter aufgeladen. Auf diese Weise entsteht ebenfalls ein Produkt-Mikro-Kosmos zwischen Fans der Serie, Konsumenten des Kaufhauses und den Sinnangeboten, die vom Schauspieler und der Serie vermittelt werden. Zusammenfassend stellt Gros die These auf, dass die ökonomische Bedeutung digitaler Entwurfsdaten in Zukunft weiter wachse264, denn diese Daten ließen sich dezentral, also an jedem Ort der Welt, in gleicher Qualität produzieren und verfügbar machen. Produkte würden damit weniger von einer technischen Kompetenz des Herstellers oder einer bestimmten Produktklasse geprägt, sondern eher „um bestimmte Lebensmuster, regionale Eigenarten oder Teilkulturen herum organisiert.“265 Nur so, als Reflexion einer entsprechenden Herstellungs- oder Lebensvielfalt 266, sei die infolge dieser Technologie entstehende Vielfalt überhaupt erträglich und teilweise sogar sinnvoll. Das gleichzeitig auftretende Problem, dass auch der ‚schlechte Geschmack‘ vermehrt zum Vorschein komme, sei eine neue Aufgabe, der sich nicht nur Designer stellen müssten.

262 | Ebd., S. 210. 263 | Ebd. 264 | Ebd., S. 213. 265 | Ebd. 266 | Ebd.

Entstehung eines disziplinären Theorieansatzes: Über die Arbeiten von Jochen Gros

Der vorliegende Text nimmt etliche Entwicklungen unserer Konsumkultur vorweg. So wird heutzutage im Rahmen der Plattformtechnologie die Kombination aus Großserienmodulen und individualisierten Produkthüllen im Bereich der Großserie – zum Beispiel beim Automobil – realisiert, um mit überschaubarem Aufwand Marktnischen zu bedienen. Gros ging es jedoch weniger um eine weitere Ausdifferenzierung der Großserie. Vielmehr interessierten ihn eine am Kunden bzw. an kleinen Gruppen ausgerichtete Gestaltung und eine bezahlbare Produktion solcher Nischenprodukte. Durch die so zustande kommende ‚Eins-zu-eins-Relation‘ zwischen Produkt und Nutzer sollten Eigenheiten (wieder) ausgedrückt werden können und nicht nur eine Vielfalt der Produkte, sondern eine Vielfalt der Bezüge zwischen Produkt und Nutzer entstehen. Der Text folgt damit im Kern wieder den Gedankengängen des zuvor erläuterten Wettbewerbsbeitrages, dieses Mal jedoch nicht unter dem Blickwinkel der Ökologie, sondern unter jenem der Technologie. Auch in späteren Arbeiten befasste sich Gros mit diesem Themenkomplex, beispielsweise im Rahmen von Forschungsprojekten für das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), die sich zwischen 1998 und 2004 unter dem Titel ‚Art-Customization, New Arts and Crafts – Nachhaltige Regionalentwicklung‘ dem Themenkomplex ‚Design für die Produktion mit computergesteuerten Maschinen‘ widmeten (wikipedia: Stichwort ‚Jochen Gros‘ 2011). Da sich diese jüngeren Arbeiten thematisch nicht mit der vorliegenden Untersuchung überschneiden, wird im weiteren Verlauf nicht näher auf diese eingegangen.

2.4 Zusammenfassung Zentrale Anliegen bei der Formulierung einer Theorie der Produktsprache waren, wie Gros in einem Interview ausführt, der klare Praxisbezug und eine gute Handhabbarkeit des Ansatzes.267 Dies erforderte an vielen Stellen pragmatische Vereinfachungen und Kürzungen. In den ursprünglichen Arbeiten wurde jedoch, wie oben ausgeführt, ein weitaus differenzierteres Bild der Mensch-Objekt-Relation gezeichnet. Aus diesem Grund haben diese frühen Arbeiten einen höheren Erkenntniswert für vorliegende Untersuchung und die weitere theoretische Auseinandersetzung.

267 | Gros: „Studium am IUP / Entstehung der Produktsprache.“

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Produktsprachen

Die erläuterten theoretischen Ansätze wurden in einer Übergangszeit formuliert. Wie eingangs erwähnt, waren gesellschaftliche Umwälzungen, Umweltprobleme, aber auch Überkapazitäten und übersättigte Märkte dafür verantwortlich, dass eine breite Diskussion über Konsum, mithin auch über Design und die Designausbildung geführt wurde. Die funktionalistische Techniktreue und die darauf abgestimmte, von Rationalität geprägte Gestaltungsauffassung waren zwar durchaus dazu geeignet, den Mangel an Gütern in der bundesdeutschen Nachkriegszeit schnell aufzuheben. Die damit verbundene Massenästhetik brachte jedoch, sobald viele Lebensbereiche davon geprägt waren, ihrerseits Probleme mit sich. Gros gelang es in dieser Umbruchphase, einen theoretischen Neubeginn in den Designwissenschaften anzuregen, der vorhandene Errungenschaften nicht negierte, sondern im Rahmen eines dialektischen Ansatzes integrierte. Gros‘ Fokus war jedoch klar auf den Konsumenten und dessen Blickwinkel gerichtet. Die Forderung nach einer höheren Komplexität und, damit eng verbunden, einer emotionalen Qualität von Konsumgütern war aus dieser Perspektive folgerichtig. Angesichts der bisherigen Ausrichtung der Disziplin kam diese wissenschaftlich begründete Forderung einem Paradigmenwechsel gleich. Darauf geht die Tragweite dieses Ansatzes zurück, der heute noch überzeugt: Er ließ die Formulierung eines spezifischen Kompetenzbereichs des Designers zu und ebnete in der Folge den Weg zu einer disziplinären Designtheorie. Zudem wurden die Möglichkeiten, aber auch die Grenzen des Einflusses produktgestalterischer Tätigkeiten aufgezeigt. Das Produktdesign kann dank seiner spezifischen Kompetenz das Erreichen von politischen und gesellschaftlichen Zielen unterstützen, die damit zusammenhängenden Probleme jedoch nicht unabhängig bearbeiten oder gar lösen. Denn die Bedeutung eines Produktes wird, wie oben erläutert, nur zum Teil vom Designer zugeschrieben. Der weitaus größere Teil wird von den mit den Mensch-Objekt-Relationen zusammenhängenden Kontexten vorgegeben.268 Diese Kontexte können sowohl durch Produktionsarten, Lebensstile, Firmen- oder Vertriebskontexte, aber auch ökologische und gesellschaftliche Fragestellungen geprägt werden. Heute erlauben neue Produktions-, Kommunikations- und Vertriebsmodelle eine bisher nicht gekannte Kontextvielfalt. Wie Gros in einigen Szenarien schon früh illustrierte, kann eine individuelle Kleinserienfertigung mit einer in überschaubaren Gruppen ausgehandelten Sinnzuschreibung dieser ge-

268 | Gros: „Designvielfalt durch Roboterhandwerk“, S. 210.

Entstehung eines disziplinären Theorieansatzes: Über die Arbeiten von Jochen Gros

stiegenen Kontext-Komplexität wieder eine Bedeutung verleihen, nämlich als „Reflexion einer entsprechenden Herstellungs- und Lebensvielfalt.“269 Diesem Themenkomplex soll in den folgenden Abschnitten darum weiter nachgegangen werden.

269 | Ebd., S. 213.

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3. Die gegenwärtige Produkt- und



Konsumentenkultur Anhand der Arbeiten von Jochen Gros wurden im vorangegangenen Kapitel die Veränderungen in der Konsumkultur Anfang der 1970er-Jahre nachgezeichnet und die Auswirkungen auf das Design dargestellt. Auch die heutige Konsumsituation befindet sich im Umbruch. Produkte werden schon seit geraumer Zeit nicht mehr vornehmlich wegen ihres Gebrauchswertes oder zur Bedürfnisbefriedigung erworben.270 Vielmehr dienen sie heutzutage oft situationsabhängig der Konstruktion von Identität oder dem Ausleben eines Ich-Ideals – eine Möglichkeit, die früher nur den wohlhabenden Bevölkerungsschichten offen stand.271 Darüber hinaus nehmen die mit Produkten verbundenen Nutzungserfahrungen und -erlebnisse einen hohen Stellenwert ein. Manche Konsumentscheidung – der Kauf des fünften Paares Turnschuhe oder die komplette Neumöblierung des Wohnzimmers nach einem Umzug – lässt sich nicht mehr hinreichend mit Bedürfnissen gemäß der Maslowschen Pyramide begründen. Produkte werden trotz der heute

270 | „Seit der Nachkriegszeit hat sich die Beziehung der Menschen zu Gütern und Dienstleistungen kontinuierlich verändert. Wohin die Entwicklung gegangen ist, wird am Wandel der Werbung besonders offensichtlich. Wurde zunächst der Gebrauchswert der Produkte in den Mittelpunkt der Präsentation gestellt – Haltbarkeit, Zweckmäßigkeit, technische Perfektion –, so betonen die Appelle an den Verbraucher inzwischen immer stärker den Erlebniswert der Angebote. Produkte werden nicht mehr als Mittel zum Zweck offeriert, sondern als Selbstzweck. Sie sollen an sich zufriedenstellen, unabhängig von ihrer Verwendbarkeit für irgend etwas.“ Schulze, Gerhard: „Die Erlebnisgesellschaft. Zur Ästhetisierung des Alltagslebens“, in: Steffen, Dagmar (Hrsg.): Welche Dinge braucht der Mensch?, 1. Aufl., Giessen: AnabasVerlag 1995, S. 38–44, hier S. 38. 271 | „Weltreisen, Autos der Luxusklasse, eigene vier Wände, gediegene Einrichtungen, teurer Schmuck, erlesene Restaurants – was gestern den Upper Ten vorbehalten war, wird heute zum Standard in der sozialökonomischen Mittellage. Wer von all dieser erschwinglichen Exquisitheit keinen Gebrauch machen möchte, weiß doch immerhin, daß er die Möglichkeit dazu hätte. Das aber ist das Argument, um das es an dieser Stelle geht: die Expansion der Möglichkeiten.“ Ebd., S. 39.

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mehrheitlich sehr kurzen Verwendungsdauer272 nicht mehr nur passiv konsumiert. Sie dienen vielmehr als Rohstoffe, als „Symbole und Instrumente der Identitätsbildung“273, wie der Psychologe Tilmann Habermas bereits im Titel seines Buches konstatiert. Der Soziologe Gerhard Schulze belegt diesen aktiven Umgang mit Produkten im Rahmen seiner Konsumsoziologie der Gegenwart mit dem Begriff der ‚Erlebnisorientierung‘.274 Unter diesem Blickwinkel dienen Konsumartikel in erste Linie als Katalysatoren, um gemachte Erfahrungen zu einem schönen Erlebnis werden zu lassen. Produkte werden hierbei nicht nur in der von Herstellern vorgegebenen Form oder in tradierten Kontexten verwendet. Ein ‚aktiver Konsum‘ umfasst Phänomene wie die Individualisierung eines Großserienproduktes durch die Auswahl von persönlich gewünschten Features bis hin zu nennenswerten Eingriffen, Veränderungen oder dem kompletten Selbstbau im Rahmen von Do-It-Yourself-Strategien. Es handelt sich also um Phänomene, die die Grenze zwischen Produzenten und Konsumenten auflösen. In den folgenden Abschnitten soll der veränderten Qualität der Dinge und ihrer neuartigen Verwendung nachgegangen werden. Dies soll auf der einen Seite mit dem Fokus auf die Gegenstände selbst geschehen, auf der anderen Seite soll den neuen Arten des Umgangs mit Produkten nachgegangen werden. In die Ausführungen gehen sowohl Beobachtungen in Form von Beispielen ein als auch Studien aus den Bereichen Psychologie, Soziologie, Ethnologie und den Kulturwissenschaften, die die gezogenen

272 | „Die Steigerung der Kapital- und Warenumschläge pro Zeiteinheit hat natürlich als ökonomisch zwingendes Korrelat eine der Steigerung der Produktionsrate entsprechende Erhöhung der Konsumtionsakte pro Zeiteinheit zur Folge, da erst in der Konsumtion der Mehrwert realisiert wird. Die kapitalistische Ökonomie der Zeit ‚erzwingt‘ daher eine dem Produktionsprozess analoge Steigerung der Konsumintensität und vermag so die als Erhöhung des Lebenstempos definierte Vermehrung der Handlungs- bzw. Erlebnisepisoden pro Zeiteinheit als ökonomische Notwendigkeit zu dechiffrieren. Volkswirtschaftlich bedeutsam ist dabei, dass das ökonomische Grundproblem einer kapitalistischen Wirtschaft nicht ein (statisches) Verteilungsproblem, sondern die Aufrechterhaltung der beschleunigten Zirkulation ist.“ Rosa, Hartmut: Beschleunigung: Die Veränderung der Zeitstrukturen in der Moderne., 1. Aufl., Frankfurt am Main: Suhrkamp 2005, S. 262f. 273 | Habermas, Tilmann: Geliebte Objekte: Symbole und Instrumente der Identitätsbildung, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1999. 274 | Schulze, Gerhard: Die Erlebnisgesellschaft : Kultursoziologie der Gegenwart, Studienausgabe 8. Aufl., Frankfurt am Main [u.a.]: Campus-Verlag 2000, S. 14.

Die gegenwärtige Produkt- und Konsumentenkultur

Schlussfolgerungen theoretisch untermauern. Dabei wird das jeweilige Thema aus Sicht des Produktgestalters beleuchtet und aussagekräftige oder illustrierende Phänomene, die zum Verständnis eines Sachverhaltes beitragen können, werden zusammengetragen und letztlich bewertet.

3.1 Ausdifferenzierung der Warenkultur Vergleicht man die heutige Produktkultur mit jener, die die Arbeiten von Gros prägte und die er mit seinem theoretischen Ansatz aufgriff, so wird man im 21. Jahrhundert mit einer beinahe unüberschaubaren Flut von Produkten und Produktvarianten konfrontiert.275 Auf der einen Seite rücken

275 | Vgl. hierzu: „Von der allgemeinen Krise der Massenproduktion zu reden, ginge zu weit; aber spätestens seit den 70er-Jahren taugte eine Ausweitung der Massenproduktion generell nicht mehr als Strategie für weiteres Wachstum. Das gilt in exemplarischer Weise für das Flaggschiff der bundesdeutschen Wirtschaft: die Autoindustrie. Mit wachsendem Wohlstand wurden die Wünsche der Kunden immer differenzierter. Henry Fords geflügeltes Wort „Der Kunde kann die Farbe haben, die er will, vorausgesetzt, er will schwarz“ wurde zum Innbegriff eines überholten Produktivismus, der unweigerlich in die Krise führte. Seither setzte sich in der Autoproduktion das Baukastenprinzip durch: Grundelemente des Autos wurden weiterhin in Massenproduktion hergestellt, jedoch im Design diversifiziert.“ Radkau: Technik in Deutschland, S. 226. Oder: „Ein Differenzierungsmechanismus, der ebenfalls zu immer mehr Produkten führt, ist die Verwandlung von Universalprodukten in Spezialprodukte. Beispielsweise wurden in der Küche das universelle Kochmesser, mit dem man schneiden, schälen und haschieren kann, durch Brot- und Aufschnittmaschinen, Elektromesser und Spezialeinsätze für KompaktKüchenmaschinen ersetzt, mit denen sich nur eine bestimmte Zerkleinerungsfunktion ausführen läßt. Und im 19. Jahrhundert ging die Faszination an höchst differenzierten Besteckformen so weit, daß - neben der Eßgabel - auch für den Verzehr von Salat, Kuchen, Beeren, Fisch, Hummern, Austern, Pasteten, Gewürzgurken, Oliven u.a.m. jeweils speziell geformte Gabeln entwickelt wurden. Vordergründig gerechtfertigt wurde diese Formvielfalt mit der unterschiedlichen Beschaffenheit der Speisen. Oliven lassen sich wegen des Steins nicht mit einer ‚normalen‘ Gabel aufpieken, wegen der Salzlake, in der sie eingelegt sind, aber auch nicht gut mit dem Löffel aufnehmen. Daraus resultiert ein ösenförmiges Besteck, das zum einen erlaubt, die Olive sicher aufzunehmen, zum anderen, die Lake abtropfen zu lassen. Vordergründig funktionale Argumente für die Produktdifferenzierung lassen sich immer finden. In der Regel stehen dahinter aber andere Motive, z.B. der Wunsch der Käuferschaft, sich

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Produktsprachen

immer neue Produktangebote und Dienstleistungen in den Vordergrund, deren Funktionsbreite noch vor wenigen Jahren kaum absehbar war: Tablets, App-Stores, Cloud-Dienste etc. sind in der heutigen Wahrnehmung und Berichterstattung allgegenwärtig. Noch vor fünf Jahren waren derartige Produkte bzw. Dienste für viele Konsumenten unvorstellbar, ein Bedarf nicht vorhanden. Doch auch auf bekanntem Terrain, wie beispielsweise beim Kauf von Kaffee, wird der Konsument mit einer großen, teilweise verwirrenden Vielfalt an Sorten und Röstungen konfrontiert. Darüber hinaus wird ein Fachwissen zu Mahlgrad und Brühverfahren zugrunde gelegt, das zu Zeiten von Filterkaffee und ‚Jacobs Krönung‘ noch nicht weit verbreitet war.276 Allerdings muss diese Vielfalt keineswegs nur kritisch und abwehrend reflektiert werden, da sie auch ein Anzeichen für die Weiterentwicklung und Ausdifferenzierung unserer materiellen Kultur ist. Mehrere Aspekte sollen unter diesem Blickwinkel in den folgenden Unterkapiteln ausführlicher betrachtet werden.

3.1.1 Produkte als multiple Identitätsmarker Die jeweilige Bedeutung von Konsumprodukten wird heute nicht mehr allein von den Herstellern, von Werbe- und PR-Agenturen oder Produktgestaltern vorgegeben. Auch Konsumenten versehen Produkte mittlerweile

durch ausgeprägte Ritualisierungen des Essens von sozial niedriger Stehenden abzugrenzen oder das Gewinnstreben des Fabrikanten.“ Steffen, Dagmar: „Einleitung“, in: Steffen, Dagmar (Hrsg.): Welche Dinge braucht der Mensch? Hintergründe, Folgen und Perspektiven der heutigen Alltagskultur. Katalogbuch zur gleichnamigen Ausstellung, 2. Aufl., Frankfurt am Main: Anabas Verlag 1996, S. 9–17, hier S. 12. 276 | Das Beispiel wurde aus einem Beitrag von Eva Illouz aufgegriffen: „Der Prozess der Verfeinerung ist in zweierlei Hinsicht bedeutsam: Einerseits werden Waren dadurch zum Gegenstand einer aufwändigen lexikalischen Bearbeitung (denken Sie etwa an die schwindelerregende Vielzahl von Bezeichnungen, mit denen man in einem Spezialgeschäft für Kaffee konfrontiert wird); zweitens werden Waren dadurch zwangsläufig zu kurzlebigen Gegenständen: Verfeinerung bedeutet ja geradezu die Suche nach Verbesserungsmöglichkeiten für genau jene Schattierung, die den eigenen ausgeprägten Sinn für Einzigartigkeit und Verfeinerung ausdrücken soll“ Illouz, Eva: „Emotion, Imagination und Konsum: Eine neue Forschungsaufgabe.“, in: Drügh, Heinz, Christian Metz und Björn Weyand (Hrsg.): Warenästhetik neue Perspektiven auf Konsum, Kultur und Kunst, 1. Aufl. Aufl., Berlin: Suhrkamp 2011, S. 47–91, hier S. 82f.

Die gegenwärtige Produkt- und Konsumentenkultur

aktiv mit eigenen Konnotationen, die von den jeweiligen Stilzugehörigkeiten, Subkulturen und anderen Alltagserfahrungen geprägt sind, wie Birgit Richard, Alex Ruhl und Harry Wolff in ihrer Einleitung zum Sammelband ‚Konsumguerilla‘ erläutern.277 Die so erzeugte Bedeutungsvielfalt ist heute zu einem selbstverständlichen Teil der Konsumrealität geworden. Die folgenden beiden Beispiele sollen diese These illustrieren. Seit den 1980er-Jahren werden Turnschuhe nicht mehr ausschließlich zum Sport getragen, sondern sind ebenso selbstverständlich im Alltag zu finden.278 Neben der Verwendung als modischer Bestandteil der Kleidung in der Populärkultur haben verschiedene Subkulturen diesen Schuhtyp immer wieder aufgegriffen und in ihren jeweiligen Stilkontext integriert. Identische Sneaker-Modelle von Marken wie Adidas, Puma und Nike sind bei Anhängern der musikalischen Richtungen Heavy Metal, Hardcore, Rap, Techno etc. genauso zu finden wie bei Liebhabern des Jazz oder der klassischen Musik. Auch in unterschiedlichsten beruflichen Kontexten werden Turnschuhe getragen: Außer in kreativen Berufen und der Gastronomie sind sie bei Ärzten in Kliniken oder in der Politik zu sehen. Ein prominenter Turnschuhträger ist der ehemalige deutsche Außenminister Joseph (‚Joschka‘) Fischer, der bei seiner Vereidigung zum Staatsminister für Umwelt und Energie am 12. Dezember 1985 weiße, knöchelhohe Sneakers der Marke Nike trug. Diese Nutzung von Turnschuhen in verschiedenen, teils gegensätzlichen Stilgruppen hat bei modisch orientierten Sportherstellern wie den oben genannten dazu geführt, dass spezifische Modelle oder Modellabwandlungen für immer kleiner werdende Stilbereiche entwickelt wurden und werden. So hat der deutsche Hersteller Adidas

277 | „Der Umgang mit Angeboten des Marktes wird so nicht mehr allein von den AnbieterInnen definiert, sondern zunehmend von den Subjekten bestimmt, die ihrerseits Bedeutung in Konsummöglichkeiten oder Dinge legen und sie entsprechend (um-)gestalten. Mit Gegenständen oder Aktivitäten verknüpfte Versprechen, Mythen und Geschichten (vgl. Ullrich 2006) werden somit nicht einfach planbar übernommen, sondern aktiv mit eigenen Konnotationen belegt und abhängig vom jeweiligen Bezugsfeld und dort herrschenden Zielen erzeugt, verhandelt, gefördert oder (ironisch) gewendet.“ Richard, Birgit, Alexander Ruhl und Harry Wolff: „Prosumer, Smart Shopper, Crowdsourcing und Konsumguerilla: Ein Streifzug zur Einführung“, Konsumguerilla: Widerstand gegen Massenkultur?, 1. Aufl., Frankfurt am Main: Campus 2008, S. 9f. 278 | wikipedia.org: „Suchwort: Sneaker“, http://de.wikipedia.org/wiki/Sneaker (zugegriffen am 2.8.2011).

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beispielsweise in seiner ‚Originals‘-Kollektion (Sommer 2011, siehe Abb. 8) über 200 verschiedene Sportschuh-Modelle für Männer im Angebot279, die nun von den Nutzern selbst mit unterschiedlichen Bedeutungen versehen werden können.

Abbildung 8: Website der adidas-Originals-Kollektion 2011 | Abbildung 9: Präsentationsfolie ‚iPod Accessorys‘ zum Vortrag ‚Black Box consumption‘ auf der DeSForM-Konferenz 2008.

Ein weiteres prägnantes Beispiel bietet die Vielfalt an Accessoires, die es mittlerweile zu den iPods von Apple gibt. Neben sogenannten DockingStations, die den digitalen Musikspieler in seiner Funktionalität auf dieselbe Stufe wie Hifi-Geräten stellen, gibt es mit Lautsprechern versehene Systeme, die dem Bereich Wohnaccessoires zugeordnet werden können. Zudem sind elektronisch hochgerüstete Hello-Kitty-Figuren oder mit Svarowsky-Steinen und Goldketten verzierte Handy-Taschen und vieles mehr erhältlich. Wie 2008 im Rahmen eines Vortrags bei der DeSFormKonferenz erläutert,280 entfernen sich all diese Zusatzprodukte in unterschiedlichem Maße von der gestalterischen Stringenz der Apple-Produkte und spiegeln somit die Bandbreite der stilistischen Anknüpfungspunkte der Nutzer wider (siehe Abb. 9). In diesem Zusammenhang sprach ich von einem kontingenten Umgang mit Produkten. Auch Volker Fischer, Kurator des Museums für Angewandte Kunst, verweist in der Ausstellung ‚Der i-Kosmos‘ und im dazugehörigen Katalog mit Fokus auf Docking-Stations auf diesen Sachverhalt: „Das Design dieser Abspielgeräte [Docking-Sta-

279 | „adidas Online Shop“, ht tp://shop.adidas.de/pages/produc t s/produc tL istPa g e . j s f ?e = G M e n s % 27 P F_ S h o e s ; c = C a t e g o r i e s~O r i g i n a l s ; l = ; s o r t =T O P S E L L E R S _ GROSSSALES_ ASC;i=all; (zugegrif fen am 2.8.2011). 280 | Schwer, Thilo: „Black Box Consumption“.

Die gegenwärtige Produkt- und Konsumentenkultur

tions] bedient alle Stillagen und entspricht keineswegs immer dem gestalterischen Minimalismus der iPods.“281 Die Bedeutungen von Produkten unterliegen somit einem ständigen Wandel, ihre Wahrnehmung ist nicht konstant oder statisch, sondern eingebettet in diverse Kontexte und Sinnzuschreibungsprozesse. Der Ethnologe Hans Peter Hahn bezeichnet diesen Sachverhalt als ‚Anheften‘ von Bedeutungen: „Das Anheften von Bedeutungen an Dinge mithilfe von Zeichen ist ein zuverlässiger Mechanismus, der zweifellos den zentralen Grund für die ungeheure Expansion des Sachbesitzes in den ‚Wohlstandsgesellschaften‘ der Gegenwart darstellt.“282

Auch der Kunsthistoriker und Kulturwissenschaftler Wolfgang Ullrich sieht in unserem Alltag eine bisher nicht gekannte Bandbreite an Waren und Bedeutungen. Die daraus resultierende Komplexität führe jedoch nicht zu einer Überforderung der Konsumenten. Im Gegenteil erhielten diese die Möglichkeit, differenziert auf unterschiedliche Situationen im Alltag zu reagieren: „Die Vielfalt an Produktvarianten erlaubt somit eine Vielfalt an Umgangsweisen und Gestaltungen selbst alltäglichster Vorgänge. Diese lassen sich verleugnen, umdeuten, überhöhen oder mit bestimmten Gefühlen assoziieren. Die Vielfalt an Produktvarianten ist also Beleg dafür, dass jeweils verschiedene Sinninstanzen darum konkurrieren, Gehör zu finden.“283

281 | Fischer, Volker: Der i-Kosmos: Macht, Mythos und Magie einer Marke, Stuttgart: Edition Axel Menges 2011, S. 30. 282 | Hahn, Hans Peter: „Konsumlogik und Eigensinn der Dinge“, in: Drügh, Heinz, Christian Metz und Björn Weyand (Hrsg.): Warenästhetik neue Perspektiven auf Konsum, Kultur und Kunst, 1. Aufl., Berlin: Suhrkamp 2011, S. 92–110, hier S. 105. 283 | Ullrich, Wolfgang: „Philosophen haben die Welt immer nur verschieden interpretiert - verändern Produktdesigner sie auch?“, in: Drügh, Heinz, Christian Metz und Björn Weyand (Hrsg.): Warenästhetik neue Perspektiven auf Konsum, Kultur und Kunst, 1. Aufl., Berlin: Suhrkamp 2011, S. 111–128, hier S. 112.

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Die Mehrfachbedeutungen und die Prozesshaftigkeit der Bedeutungszuschreibung stellen neue Anforderungen an die theoretischen Werkzeuge zur Analyse von Bedeutungen. Hahn fragt in diesem Zusammenhang, „ob es eine Semiotik geben kann, die Bedeutungsoffenheit mit einschließt und nicht von der Idee der Kontrolle der Dinge ausgeht.“284 An späterer Stelle vorliegender Arbeit wird ein Modell präsentiert, mit dem versucht wird, diesem Sachverhalt mit einem für das Produktdesign neuen Ansatz Rechnung zu tragen (s. Kapitel 4).

3.1.2 Multisensuale Produkte Analysen von Produkten legen den Fokus meist auf deren visuelle Wirkung. Das Produkt wird quasi durch eine Glasscheibe wahrgenommen, der die anderen Sinne vom Objekt abtrennt.285 Diese analytische Wahrnehmung steht nicht im Einklang mit der heutigen Produktkultur, in der die gezielte Ansprache mehrerer Sinne zum selbstverständlichen Bestandteil geworden ist.

Abbildung 10: Website des Massivholzmöbel-Herstellers ‚Team 7 Natürlich wohnen GmbH‘, Stand 2012.

So vermitteln die Möbel des Naturholzmöbel-Herstellers ‚TEAM 7 Natürlich Wohnen GmbH‘ ihre Qualitäten in erster Linie durch den Tast- und den Geruchssinn. Die visuelle Wahrnehmung der auf der ‚Internationa-

284 | Hahn: „Konsumlogik und Eigensinn der Dinge“, S. 101. 285 |  In Anlehnung an einen Aufsatz von Constance Classen und David Howes mit dem Titel „The Museum as Sensescape“ stellt Hahn dar: „Im Museum wie im Kaufhaus spielt die Vitrine eine zentrale Rolle; der visuelle Eindruck, Formen und Farben werden wichtiger als das Berühren. Der haptische Sinn sowie der Geruch und andere, oftmals erst nach einigem Gebrauch zu erkennende Objekteigenschaften treten hingegen in den Hintergrund.“ Ebd., S. 101f.

Die gegenwärtige Produkt- und Konsumentenkultur

len Möbelmesse 2011‘ vorgestellten Kollektion (siehe Abb. 10) führt zur Erkenntnis, dass es sich um massiv wirkende Möbel mit hohem Echtholz-Anteil handelt, wie sie von mehreren Herstellern angeboten werden. Betritt der Besucherin/der Besucher jedoch den Messestand oder ein Möbelhaus, das diese Möbel im Programm hat, so vermittelt der Geruch von Holz und natürlichen Kräuterölen sofort den Unterschied zu anderen Anbietern. Auch die samtige, offene und warm wirkende Holzoberfläche unterscheidet sich beim Berühren deutlich von bekannten Lackoberflächen. So wird gerade olfaktorisch und haptisch das Alleinstellungsmerkmal des Herstellers bzw. seiner Produkte vermittelt, das im Werbematerial wie folgt beschrieben wird: „Seit Anfang der 80er Jahre beschreiten wir konsequent den ‚grünen Weg‘. Ökologische, soziale und ökonomische Verantwortung auf allen Handlungsebenen ist für TEAM 7 eine Selbstverständlichkeit. Uns ist es wichtig, unsere Möbel im Einklang mit dem Menschen und der Natur zu fertigen.“286

Ebenso weisen Produkte aus dem Alltag besondere, auf mehreren Ebenen wahrnehmbare Eigenschaften auf: „Wolfgang Ullrich beschreibt in einem Artikel über Duschgel die ‚multisensorische Choreographie‘ dieses an sich unspektakulären Industrieprodukts, die als Ensemble ‚visueller, haptischer, akustischer und olfaktorischer Erlebnisse‘ ausgeprägt sind und von einer Vielzahl von Spezialisten gestaltet werden.“287

Die parallele Ansprache mehrerer Sinne schafft gleichwohl nicht nur eine größere Informationsmenge, die es zu deuten gilt. Sie intensiviert zudem die Erfahrung des Produktes und ermöglicht so ein gesteigertes bzw. länger anhaltendes Aufmerksamkeitsniveau. Dieses Phänomen, das vor allem

286 | Team 7 Natürlich Wohnen GmbH: „Tema 7 Nachhaltigkeitsbericht“, S. 3, http://www. team7.at/fileadmin/team7uploads/Nachhaltigkeit/nachhaltigkeitsbericht/Umwelterklaerung2011.pdf (zugegriffen am 3.8.2011). 287 | Drügh, Heinz: „Einleitung: Warenästhetik. Neue Perspektiven auf Konsum, Kultur, Kunst“, in: Drügh, Heinz, Christian Metz und Björn Weyand (Hrsg.): Warenästhetik neue Perspektiven auf Konsum, Kultur und Kunst, 1. Aufl., Berlin: Suhrkamp 2011, S. 9–44.

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im Bereich des Marketing von Interesse ist, wird seit einigen Jahren gezielt untersucht und instrumentalisiert.288 Im Industriedesign ist die gezielte Ansprache mehrerer Sinne – meist Seh-, Tast- und Hörsinn – ebenfalls ein Thema.289 Die intuitive Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Materialen oder Oberflächentexturen kann bis zur Ära des Bauhaus zurückverfolgt werden.290 In den letzten Jahren werde zusätzlich eine „gezielte Systematik zur Sinnesverknüpfung“291

288 | Martin Lindstorm stellt in seinem Buch ‚Buyology‘ die Anwendung neurowissenschaftlicher Erkenntnisse im Bereich des Marketing dar. Im Kapitel ‚Ein multisensorisches Erlebnis: Unsere Sinne kaufen mit‘ beschreibt er dieses Phänomen und bezeichnet es „multisensory enhancement“ Lindstrom, Martin: Buyology: Warum wir kaufen, was wir kaufen, 1. Aufl., Frankfurt am Main: Campus Verlag 2009, S. 144. 289 | „Der herkömmliche Prozess der Produktgestaltung sieht oft bereits eine Behandlung aller - oder zumindest der wesentlichen - Sinnesbereiche vor. Ohr, Auge und Tastsinn stehen bei den meisten industriellen Produkten im Vordergrund. Der Geruch der Werkstoffe wird dagegen in der Regel mit niedrigerer Priorität behandelt, währen der Geschmack naturgemäß eher beim Design von Lebensmitteln eine Rolle spielt. Jeder Sinnesbereich hat verschiedene Eigenschaften zu berücksichtigen. Dazu gehören im visuellen Bereich: Form, Farbe, Größe, sichtbare Oberflächentextur, Orientierung im Raum, Bewegung und viele weitere Parameter. Der konventionelle Gestaltungsprozess erfordert in jedem Sinnesbereich die Definition von Eigenschaften und Qualitätsparameter, an denen die Güte des Produktes und seiner Komponenten zu messen ist. Die Optimierung erfolgt somit innerhalb der Sinnesbereiche.“ Haverkamp, Michael: „Der Sinn der Sinnlichkeit“, form - Zeitschrift für Gestaltung 239 (2011), S. 90–93, hier S. 90f. 290 | „Ein Ding ist bestimmt durch sein Wesen. Um es so zu gestalten, daß es richtig funktioniert – ein Gefäß, ein Stuhl, ein Haus – muß sein Wesen zuerst erforscht werden; denn es soll seinem Zwecke vollendet dienen, das heißt seine Funktionen praktisch erfüllen, haltbar, billig und ‚schön‘ sein. Diese Wesensforschung führt zu dem Ergebnis, daß durch die entschlossene Berücksichtigung aller modernen Herstellungsmethoden, Konstruktionen und Materialien Formen entstehen, die, von der Überlieferung abweichend, oft ungewohnt und überraschend wirken (vergleiche beispielsweise den Gestaltwandel von Heizung und Beleuchtung).“ Gropius, Walter: „Bauhaus Dessau – Grundsätze der Bauhausproduktion von Walter Gropius 1926“, in: Wingler, Hans Maria: Das Bauhaus: 1919 - 1933 Weimar, Dessau, Berlin und die Nachfolge in Chicago seit 1937, 2. erweiterte Aufl., Unveränderter Nachdruck der Ausgabe Bramsche, Rasch und Köln, DuMont Schauberg, 1968, 4. Aufl., Köln, Bramsche: DuMont Literatur, Rasch & Co. 2002, S. 120. 291 | Haverkamp: „Form“, S. 90f.

Die gegenwärtige Produkt- und Konsumentenkultur

angestrebt, wie der Akustikingenieur Michael Haverkamp in der Zeitschrift ‚form‘ darlegt. Das von ihm in diesem Artikel vorgestellte ‚synästhetische Design‘ solle diesem Sachverhalt Rechnung tragen: „Synästhetisches Design stellt dementsprechend eine Ableitung des Begriffs Synästhetik dar. Der Begriff unterstreicht den Ansatz einer systematischen Gestaltung intermodaler Beziehungen, im Gegensatz zum multisensuellen bzw. multisensorischen Design, das alle Sinne berücksichtigt, jedoch die Möglichkeit systematischer Verbindungen nicht explizit in den Vordergrund stellt. Eine präzise Abgrenzung der verschiedenen Mechanismen multisensueller Verknüpfung im Wahrnehmungssystem ist jedoch ein wesentlicher Schritt zum Verständnis der Unterschiede und hin zu systematischen Konzepten der Gestaltung.“292

Die durch diese ‚Mechanismen‘ angeregte ‚Verfeinerungsdynamik‘ führt, wie die Soziologin Eva Illouz erläutert, zu einer „beträchtlichen Erweiterung unseres kulturellen Lexikons, das uns im Reich der immer feiner entwickelten Empfindungen leitet“293 und die Ausdifferenzierung unserer Warenkultur begleitet.

3.1.3 Mediale Besonderheiten Moderne technische Geräte besitzen aufgrund ihrer Anwendungsoffenheit zunehmend einen „medialen Charakter.“294 Das bedeutet, dass sich die Besonderheiten dieser Geräte erst im Rahmen der Nutzung erschließen. Ohne ihre meist grafische Benutzeroberfläche sind sie häufig nicht mehr als die sprichwörtliche ‚Blackbox‘.

292 | Ebd., S. 90. 293 |Illouz: „Emotion, Imagination und Konsum: Eine neue Forschungsaufgabe.“, S. 83. 294 | Die Soziologen Karl H. Hörning, Daniela Ahrens und Anette Gerhard untersuchen in Ihrem Aufsatz neue Ansätze zur Lebensstilforschung vor dem Hintergrund technischer Kommunikationsgeräte. In diesem Rahmen stellen sie fest, „dass moderne Techniken wegen ihrer Anwendungsoffenheit immer stärker medialen Charakter aufweisen.“ Hörning, Karl H., Daniela Ahrens und Anette Gerhard: „Die Autonomie des Lebensstils: Wege zu einer Neuorientierung der Lebensstilforschung.“, Lebensstil zwischen Sozialstrukturanalyse und Kulturwissenschaft, Opladen: Leske Budrich 1996, S. 33–52, hier S. 50.

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Dieses durch den Personal Computer als ‚Universalmaschine‘ eingeleitete Phänomen betrifft mittlerweile viele Geräte in unserem Lebensumfeld. Ohne das grafische Interface wäre beispielsweise ein Fahrkartenautomat der Deutschen Bahn kaum von einem Ticketautomat im Parkhaus zu unterscheiden. Smartphones und Tablets sind mit ihren durch Zusatzprogramme erweiterbaren Funktionen und kaum noch vorhandenen mechanischen Tasten Prototypen dieser Gerätegattung.

Abbildung 11: iPhone der 1. Generation, vorgestellt 2007.

Angestoßen wurde die weite Verbreitung dieser sogenannten Devices durch das iPhone von Apple (siehe Abb. 11), dessen erste Generation Ende Juni 2007 in den USA in den Markt eingeführt wurde.295 Das Interface dieses Produktes war erstmals konsequent auf die Bedienung mit den Fingerspitzen ausgerichtet – ganz im Gegensatz zu Modellen, die mit ‚Windows Mobile 6‘ ausgestattet waren und entweder mechanische Tasten oder einen Stift, den sogenannten ‚Stylus‘, zur Bedienung benötigten.296 Doch der Wegfall mechanischer Elemente zugunsten großer Displayflächen führen zu einer weitgehenden Abstrahierung der Geräte und ihrer Funktionen, wie Fischer betont: „Vorher sind die Displays leere, schwarze Flächen, in einem direkten Sinn ‚unbeschriebene Blätter‘. Im Übrigen wächst damit dem designtheoretischen Begriff der Black Box eine erweiterte Bedeutung zu: Hinter den

295 | wikipedia.org: „Suchwort: Apple iPhone“, http://de.wikipedia.org/wiki/Iphone (zugegriffen am 12.11.2012) 296 | wikipedia.org: „Suchwort: Microsoft Windows Mobile“, http://de.wikipedia.org/wiki/ Windows_Mobile (zugegriffen am 3.8.2011).

Die gegenwärtige Produkt- und Konsumentenkultur

Displays verbergen sich nicht mehr nur eine begrenzte Zahl von Handlungsoptionen wie noch bei manchen unterhaltungselektronischen Geräten der 1970er und 1980er Jahre, sondern buchstäblich hunderte Millionen von Handlungs-, Unterhaltungs- und Informationsoptionen.“297

Ohne einen Anwendungsfall oder Gebrauchszusammenhang können viele Produkte nur als graue, schwarze oder metallische Kästchen betrachtet werden, die – je nach Ausführung – zwar mit großer Aufmerksamkeit für Details und in hochwertigen Materialien ausgeführt sind, ansonsten aber sehr wenige Eigenschaften und Eigenheiten vermitteln können. Durch Kenntnis der Geräteentstehung und -entwicklung sowie über die Marke, also über Erfahrungswissen, können zwar realistische Vermutungen angestellt werden. Aber schon die nächste Generation des iPads oder anderer Tablet-Computer verbirgt ohne Datenblatt neue Funktionen und Leistungsdaten – also die hardwaremäßigen Unterscheidungsmerkmale – wieder perfekt in den immer flacher werdenden Gehäusen. Die eigentliche Differenzierung erfolgt darüber hinaus auf einer noch abstrakteren, noch besser verborgenen Ebene, nämlich bei den Funktionsverknüpfungen, Bedienabfolgen und logischen Strukturen der jeweiligen Interfaces. Aufgrund der technologischen Komplexität und der damit einhergehenden Standardisierung der Geräte werden auch stilistische Zugehörigkeiten und damit Identifikations- und Erkennungsmerkmale vom Gehäuse entkoppelt und entziehen sich so klassischen Deutungskonzepten. Die Geräte und ihr jeweiliger Verwendungszusammenhang weichen, um beim Beispiel des iPads zu bleiben, nur noch in den darauf installierten Apps und deren zusammengefassten Funktionalitäten voneinander ab.

3.1.4 Inszenierung der Funktionalität und des Gebrauchs Der im vorangegangenen Abschnitt beschriebenen Abstraktion steht – auch bei Geräten mit grafischen Benutzungsoberflächen bzw. GUIs (Graphical User Interfaces) – eine Ästhetisierung einzelner Funktionen und damit eine Inszenierung des Gebrauchs gegenüber.

297 | Fischer: Der i-Kosmos, S. 20

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So führte die Firma Miele mit dem ersten Einbau-Kaffeevollautomat 1998298 eine Beleuchtung über den Auslassventilen ein, die das Eingießen als Ergebnis des im Gehäuseinneren stattfindenden Brühprozesses in den Vordergrund rückte. Auf diese Weise wurde der bei Kaffeevollautomaten abstrakt-mechanische Brühprozess durch das Inszenieren des Einfüll-Vorgangs des fertigen Kaffees zu einem besonderen ‚Event‘, unterstützt durch die wie eine kleine Bühne wirkende Stellfläche für die Kaffeetasse. Dieses Merkmal ist heute auch bei anderen Kaffeevollautomaten teilweise günstigerer Preisklassen zu finden.299

Abbildung 12: Sichtfenster der Röhren beim Luxman CD-Player DZ-03.

Ebenso wird bei Audiosystemen der Gebrauch bzw. die Bedienung inszeniert. Das Glimmen der analogen Röhren wurde bei einigen Geräten des japanischen Herstellers ‚Luxman‘, beispielsweise bei dem Röhren-CD-Player DZ-03 (siehe Abb. 12), hinter kleinen Sichtfenstern auf der Gehäusevorderseite gezeigt. Bei Geräten der Firma ‚Burmester Audiosysteme GmbH‘ sind die Ein- und teilweise weitere Funktionsschalter von Vorverstärkern, CD-Playern etc. als mechanisch-elektrische Kippschalter ausgeführt. Die Betätigung dieser Schalter zeichnet sich neben einem großen Schaltweg und einem fühlbaren Einrasten vor allem durch das deutlich hörbare

298 | Der CVA 260 wurde als erster Einbau-Kaffeevollautomat der Firma Miele laut Aussage der Miele Kunden-Hotline Anfang 1998 in den Markt eingeführt. Im gleichen Jahr wurde das Gerät mit der Auszeichnung ‚red dot best of the best‘ des Designzentrums NordrheinWestfalen ausgezeichnet. „Das Unternehmen Miele - Designauszeichnungen - Miele & Cie. KG Deutschland“, http://www.miele.de/de/haushalt/unternehmen/2069.htm (zugegriffen am 5.8.2011). 299 |  Wie beispielsweise die Kaffeevollautomaten ‚Jura Impressa J9 One Touch‘, ‚Jura Impressa F50‘, ‚Nivona CafeRomatica 830‘, ‚Siemens Einbau Espresso Kaffeevollautomat TK76K573‘.

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Click-Geräusch aus. Diese in der Unterhaltungselektronik unübliche analoge Schaltweise erinnert an Präzisionsmessgeräte aus dem Laborbereich. High-End-Komponenten von Burmester werden anhand dieses ungewöhnlichen Merkmals deutlich von Hifi-Geräten, wie sie in Elektronikmärkten zu finden sind, abgrenzbar. Die transportierte Information lautet: Dies sind keine Geräte der Unterhaltungselektronik, sondern Instrumente zur perfekten Tonwiedergabe. Ullrich wertet die Bedeutung solcher Gebrauchsinszenierungen im Alltag wie folgt: „Dazu [um einen Fiktionsraum zu eröffnen, Anm. d. Verf.] bedarf es erst einer raffinierten Inszenierung: Das Produktdesign muss so angelegt sein, dass es, ähnlich wie der Text im Buch, einen inneren Film in Gang setzt, dem Konsumenten ein ihm sympathisches Rollenangebot macht oder ihm dazu verhilft, sich und seine Situation intensiver und interessanter zu erleben.“300

Dabei kommt es, wie vorangehende Beispiele illustrieren, nicht auf außergewöhnlich laute oder überwältigende Effekte an, denn bei häufiger Nutzung werden solche deutlichen Signale vielfach als störend empfunden. Hingegen können, so konstatiert u. a. Fischer, subtile und vielschichtige Inszenierungselemente den Umgang mit Objekten dauerhaft bereichern. Fischer stellt in diesem Zusammenhang gerade nebenbei wahrgenommene Effekte in den Mittelpunkt: „Dabei verkennen wir nicht die sozialen und ökologischen Implikationen und Folgerungen solcher technischen Entwicklungen, aber der technische Fortschritt ermöglicht sie nicht nur, sondert verändert über sie auch unser generelles Verständnis instrumenteller Vernunft. Avancierte Techniken brauchen nicht mehr ‚die Muskeln spielen zu lassen‘ oder gar etwas ‚beweisen‘, sondern kultivieren eine Ästhetik der Beiläufigkeit, die das Exzeptionelle als gelassene Sicherheit positioniert.“301

300 | Ullrich: „Philosophen haben die Welt immer nur verschieden interpretiert - verändern Produktdesigner sie auch?“, S. 118. 301 |Fischer: Der i-Kosmos, S.20.

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Für ein anhaltendes Benutzererlebnis (‚User Experience‘302) sind in erster Linie schlüssig in Handlungsabläufe integrierte Akzentuierungen bzw. Ästhetisierungen des Gebrauchs wichtig, deren Ausprägungen je nach Nutzer(-gruppe) anders wahrgenommen werden.

3.1.5 Produkt-Ensembles Die Design-Publizistin Dagmar Steffen beschreibt in der Einleitung zum Katalog ‚Welche Dinge braucht der Mensch‘303 eines der Grundmuster für die Ausweitung der materiellen Kultur folgendermaßen: „Die Grundmuster, die der Ausweitung der materiellen Kultur zugrunde liegen, lassen sich benennen. Produktideen ex nihilio, die auf grundlegenden technischen Innovationen beruhen - z.B. der erste Fotoapparat, das erste Gramophon, das erste Automobil vor etwa einem Jahrhundert oder PC und Fax in jüngerer Zeit - sind in diesem fortgesetzten Entwicklungs- und Differenzierungsprozess lediglich Ausgangspunkte, aus denen weitere resultieren. Viele Produkte ziehen die Entwicklung von Folgeprodukten nach sich. Auf den Fernseher folgten Videorecorder, Video-Spielcomputer, Fernbedienung, Infrarot-Kopf hörer, TV-Rack, Satelliten-Antenne und -Receiver. Spülmaschine, Mikrowelle und Glaskeramik-Kochherd erfordern spezielle Geschirre und Töpfe. Und das Automobil, zumal industriell in Großserie gefertigt, bedingte sogar eine komplette Infrastruktur: Tankstellen, Ampelanlagen, Verkehrsschilder etc., von Lärmschutzwänden, Car-Hifi und Drive-In-Restaurants ganz zu schweigen.“304

Die Produkte unserer Alltagskultur lassen sich demnach nicht mehr einzeln bzw. isoliert betrachten – ihre Bedeutungen sind erst in den jeweiligen Handlungs-, Funktions- oder Stilensembles zu begreifen. Vielfach ent-

302 | vgl. hierzu: wikipedia.org: „Suchwort: User Experience“, http://de.wikipedia.org/wiki/ User_Experience (zugegriffen am 7.8.2011); Norman, Donald A.: Living with Complexity, The Mit Press 2010, S. 154. 303 | Steffen, Dagmar (Hrsg.): Welche Dinge braucht der Mensch? Hintergründe, Folgen und Perspektiven der heutigen Alltagskultur. Katalogbuch zur gleichnamigen Ausstellung, 2. Aufl., Frankfurt am Main: Anabas Verlag 1996. 304 | Steffen: „Einleitung“, S. 11f.

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steht erst durch die Kombination mit anderen Produkten ein signifikanter Bedeutungskomplex. Auf funktional-technischer Ebene kennen Konsumenten den oben beschriebenen Sachverhalt beispielsweise vom letzten PC- oder Laptopkauf. Ein Laptop kann zwar grundsätzlich umgehend und ohne weiteres Zubehör genutzt werden (‚out of the box‘). Viele Aufgaben lassen sich so aber nur unzureichend bzw. ohne Komfort erledigen. In der Folge wird das eigentliche Gerät schon beim Kauf durch Maus, Schutztasche, externe Festplatte, Drucker und etliche Kabel ergänzt. Dieser hardwaremäßigen Vervollständigung folgt dann ganz selbstverständlich noch die softwaremäßige Ausstattung (vgl. Abb. 13). Auf diese Weise wird der Preis des eigentlichen Gerätes häufig deutlich überschritten. Aber erst dieses komplexe Ensemble lässt aus dem universellen Gerät ein Werkzeug zum Schreiben, zur Bildbearbeitung oder Musikerzeugung werden.

Abbildung 13: Schreibtisch eines Bloggers mit iPad, MacBook, Scanner, externem Display | Abbildung 14: iPod-Zubehör

Auch im Bereich Freizeit und Sport ist die notwendige Verknüpfung diverser Einzelprodukte zu einer Selbstverständlichkeit geworden. Zum Mountain-Bike gehören spezielle Räder, Schuhe, Hosen, Jacken, Mützen, Handschuhe – und der passende Urlaubsort. Das Arsenal an Zusatzausrüstung wächst im Vergleich zum bloßen Fahrradfahren ständig weiter, und mit ihm die jeweiligen Deutungskomplexe. Ebenso das oben bereits eingeführte Beispiel der i-Produkte305 von Apple sei zur Verdeutlichung nochmals bemüht (vgl. Abb. 14). Fischer spricht in diesem Zusammenhang von einer ‚Infiltration‘ der Mitbewerber:

305 | Hierzu zählen der iPod, das iPhone sowie das iPad in den turnusmäßig wechselnden Generationen.

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„In welchem Maße die Infiltration des i-Kosmos bei Mitbewerbern gediehen ist, zeigt die Tatsache, daß es rund um die iPods inzwischen ‚buchstäblich Tausende von Produkten gibt, von externen Lautsprechern über das feine Lederetui und die Moshi-Tasche iPouch bis zur iPod-Socke in grell leuchtenden Farben. [...] Neuerdings gibt es eine Wurlitzer Jukebox für den iPod mit Bose-Sound-System, die läppische 9000 Euro kostet‘, wie Michael Spehr in einer Technikbeilage der Frankfurter Allgemeinen Zeitung 2007 bemerkte. Am deutlichsten wird diese Kolonialisierung der Produktportfolios von eigentlich konkurrierenden Mitbewerbern bei den ‚Docking Stations‘. Es ist belegt, daß es innerhalb der Produktgeschichte immer wieder einmal ‚Schlüsselprodukte‘ gab, die ihr Hersteller durch kompatible Zusatzgeräte veredelte oder über Lizenzverträge von anderen Herstellern veredeln ließ.“306

Auf diese Weise entstehen auf verschiedenen Ebenen komplexe Strukturen aus Produkt, Ergänzung, Nutzungs- und Stilzusammenhängen, die sich unter unterschiedlichen Folien deuten lassen. Bei der Betrachtung von Stilen können beispielsweise sog. Superstrukturen gefunden werden, wie der Soziologe Gerhard Schulze erläutert: „Innerhalb dieses Symbolsystems gibt es semantische Superstrukturen, die hier als alltagsästhetische Schemata bezeichnet werden: kollektiv eingeschliffene Sinnkomplexe, Syndrome von Genuß, Distinktion, und Lebensphilosophie, denen große Klassen ästhetischer Zeichen zugeordnet sind. [...] Die Operette paßt zum Dirndl, die Enzyklopädie zum Orgelkonzert, das Fahrradfahren zur taz-Lektüre. Im Stil werden diese Felder immer konsistent zitiert.“307

Hahn fasst die Ebene der Objekte in den Blick und beobachtet KontextStrukturen, die für das Verständnis von Objekten ausnehmend wichtig seien: „Schließlich, [...] müßte anstelle der Idee einer Schicht eher die Frage nach dem Kontext, also der Gleichzeitigkeit mit anderen Objekten oder mit be-

306 | Fischer: Der i-Kosmos, S. 28. 307 | Schulze: Die Erlebnisgesellschaft : Kultursoziologie der Gegenwart, S. 122.

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stimmten Handlungen, gestellt werden. Das oben geschilderte Beispiel [...] zeigt deutlich, wie wichtig alltägliche Kontexte für die ‚Lesbarkeit‘ von Objektzeichen sind.“308

Produkte können demnach als Bestandteile einer komplexeren Einheit gesehen werden, die infolge einer Zusammenstellung zu Ensembles, die der individuelle Nutzer vornimmt, entsteht. Durch die Kombinationsmöglichkeiten und die dabei auftretenden Wechselwirkungen wird das ohnehin schon große Feld der Konsumgüter in Bezug auf die Deutungsmöglichkeiten weiter ausgedehnt.

3.1.6 Zusammenfassung Wie in den vorangehenden Absätzen gezeigt wurde, hat sich die Produktkultur seit dem in Kapitel 2 beschriebenen Wandel zum Käufermarkt nicht zuletzt durch die Einführung digitaler Kommunikations- und Produktionstechniken signifikant weiterentwickelt. In diesem Rahmen ist nicht nur eine weitere Ausdifferenzierung der Produktkategorien zu beobachten. Die Komplexität ist infolge der unter 3.1.1 beschriebenen kontextabhängigen Bedeutungszuschreibung wie auch durch die Verbindung einzelner Produkte zu Produktensembles (siehe 3.1.5) angestiegen. Zusätzlich kann eine ästhetische Verfeinerung beobachtet werden, die weit über die sichtbare Produkthülle hinaus geht (3.1.2 Multisensuale Produkte, 3.1.4 Inszenierung des Gebrauchs). Auf der anderen Seite bringen die medialen Besonderheiten vieler displaybasierter Produkte (siehe 3.1.3) eine neue Interaktionskomplexität mit sich, die zwar grundsätzlich von der Hardware ‚losgelöst‘ ist, jedoch gerade in der Verknüpfung zwischen Hard- und Software ihre Qualität erhält. Im Bereich der Smartphones lässt sich diese Entwicklung gegenwärtig gut verfolgen: Apple bewies mit dem iPhone und dem darauf abgestimmten Betriebssystem iOS die Vorteile einer solchen Verknüpfung und erzielte dadurch erhebliche Markterfolge.309 Der finnische Handy-Hersteller Nokia folgte dem Beispiel von Apple im Februar 2011, indem er eine enge Partnerschaft mit

308 | Hahn, Hans Peter: Materielle Kultur: Eine Einführung, Berlin: Reimer 2005, S. 121. 309 | „Mobiles Internet: Wie Apple und Google zu Gegnern wurden - Netzwirtschaft - Wirtschaft - FAZ.NET“, http://www.faz.net/artikel/S31306/mobiles-internet-wie-apple-undgoogle-zu-gegnern-wurden-30485640.html (zugegriffen am 16.8.2011).

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dem Softwaregiganten Microsoft einging und in diesem Rahmen schwerpunktmäßig Telefone mit dem Betriebssystem Windows Phone anbieten wollte.310 Kurze Zeit später folgte der dritte Branchenriese Google, indem er im August 2011 die Handysparte des amerikanischen MobilfunkKonzerns Motorola übernahm.311 Somit geht der Wandel der Produktkultur auch mit gravierenden marktpolitischen Veränderungen einher.

3.2 Konsumentenkultur Die oben beschriebenen Veränderungen in der Produktkultur haben zu einer erheblichen Vergrößerung des Spektrums an Möglichkeiten für den Konsumenten geführt. Schulze charakterisiert den erweiterten Spielraum mit den folgenden vier Merkmalen: Erweiterung des Angebots, Steigerung der Konsumfähigkeit (Zuwachs an Realeinkommen und freier Zeit), uneingeschränkter Zugang zu Konsumangeboten (Einkaufzentren, Kataloge, Webshops) und die Gestaltbarkeit aller Lebensbereiche (Körper, Biographie, Zugehörigkeit etc.).312 Zugleich vereine der Konsum, wie Illouz anmerkt, „[...] unterschiedlichste Gruppen in der homogenen Struktur des Marktes und kultiviert zugleich individuelle Differenzen von immer geringerem Ausmaß. Er verschafft uns Zugang zu einer nie zuvor gekannten Vielfalt an materiellen Gütern, während er zugleich postmaterielle Werte, das Geistige und Spiritualität propagiert. Einer seiner wichtigsten Legitimierungsdiskurse ist der praktische Hedonismus, und dennoch verlangt er vom Ich eiserne Selbstorganisation und Disziplin.“313

310 | „Microsoft-Partnerschaft: Nokia geht eine riskante Wette ein | Lab Notes: Der Blog für Tests & Technik | Lab Notes: Der Blog für Tests & Technik | ZDNet.de“, http://www.zdnet. de/magazin/41548614/microsoft-par tnerschaft-nokia-geht-eine-riskante-wette-ein.htm (zugegriffen am 16.8.2011). 311 | „Google kauft Motorolas Mobilfunksparte für 12,5 Milliarden Dollar | Business | News | ZDNet.de“, http://www.zdnet.de/news/41555683/google-kauft-motorolas-mobilfunkspartefuer-12-5-milliarden-dollar.htm (zugegriffen am 16.8.2011). 312 | Schulze: Die Erlebnisgesellschaft : Kultursoziologie der Gegenwart, S. 56ff. 313 | Illouz: „Emotion, Imagination und Konsum: Eine neue Forschungsaufgabe.“, S. 47f.

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Beim Konsumenten sei, so Richard et al., ein Ausdifferenzierungsprozess in Gang gesetzt worden, der die Bereiche Werte, Wünsche und Ziele des Konsums sowie Strategien des Umgangs umfasse: „Im Wechsel vom Konsumenten zum aktiven ‚Prosumenten‘ zeichnet sich ein neuer Käufertyp ab, der in der Eigenständigkeit seiner Kaufentscheidungen seiner Umwelt fordernd und hochkompetent gegenübersteht. Diese Eigenschaft wird im Begriff ‚Smart Shopper‘ betont. Diese lassen sich nicht einfach manipulieren. Sie achten im Gegensatz zu Schnäppchenjägern nicht nur auf den Preis, sondern vor allem auf Qualität und fragen ebenso, wer das erworbene Gerät gegebenenfalls reparieren oder erklären oder ob eine Dienstleistung den Ansprüchen gerecht werden kann.“314

In der Folge entstehen neben den neuen Produkten auch neue Verweisungszusammenhänge und Deutungskompetenzen, neue Nutzungsarten, Umgangsformen und Erlebnisschemata. Denn, wie der Kulturwissenschaftler Hartmut Böhme in seinem Buch ‚Fetischismus und Kultur‘ bemerkt: „Keineswegs werden Bedürfnisse und Phantasien nur durch den Horizont der Waren, an die jene sich knüpfen, einseitig determiniert – dann gäbe es nicht die ständigen Flops neuer Produkte, deren Rate bei 80 Prozent liegt. Sondern auch umgekehrt wächst der Horizont der Waren mit dem Horizont der sich differenzierenden und pluralisierenden Kultur der Lüste mit.“315

Böhme geht in seinen Ausführungen über ‚Konsumkultur und Fetischismus‘ sogar so weit, den kulturellen Fetischismus des Konsums als das „kreative Zentrum der Kultur“316 zu sehen. In den folgenden Abschnitten

314 | Richard/Ruhl/Wolff: „Prosumer, Smart Shopper, Crowdsourcing und Konsumguerilla: Ein Streifzug zur Einführung“, S. 13. Fussnote im Text, gleiche Seite: „Smart Shopper repräsentieren laut dem Institut für Demoskopie Allensbach ein Viertel der deutschen Gesamtbevölkerung (2003: 5).“ 315 | Böhme, Hartmut: Fetischismus und Kultur: eine andere Theorie der Moderne, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt-Taschenbuch-Verlag 2006, S. 345. 316 | Ebd., S. 343.

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soll darum neuen Formen des Umgangs mit Produkten nachgegangen werden, die Konsumenten für die veränderte Warenwelt entwickelt haben.317

3.2.1 Selektionskompetenz im Umfeld ausdifferenzierter Produktkulturen Die Erweiterung des Warenangebots ist nicht nur durch ein ‚Mehr‘ an Produkten gekennzeichnet, sondern durch eine ‚Verfeinerung‘, um auf Illouz‘ begriffliche Charakterisierung zurückzugreifen. Durch eine solche Verfeinerung lassen sich schon weitgehend perfektionierte Produkte verändern, nochmals verbessern oder durch eine Nuancierung erweitern. Mit dieser Entwicklung geht zum einen eine „lexikalische Bearbeitung“318 einher, die die Verfeinerung kommunizierbar macht. Zum anderen werden „Waren dadurch zwangsläufig zu kurzlebigen Gegenständen“319, dienen die verfeinerten Endprodukte doch ihrerseits als Ausgangspunkt zur weiteren Bearbeitung. Der Prozess der Verfeinerung wird zu einem „ökonomischen und kulturellen Motor“320, der auch vom Konsumenten ständig verfeinerte sensorische Fähigkeiten und deren Verknüpfung mit geeigneten Begriffen erfordert. Analog zur Ausdifferenzierung der Waren findet eine Ausdifferenzierung von Sprache und Wahrnehmung statt, die gleichzeitig zu einer neuen Selektionskompetenz führt. Beispielsweise wird angesichts des in den letzten Jahren stark ausgeweiteten Angebots an Weinen klar, wie stark diese Verfeinerung unseren heutigen Alltag prägt. Aufgegliedert nach Herkunft, Rebsorte, Qualitätsstandard, Ausbauform und Lagerungsdauer wird sowohl in den Supermärkten als auch in Restaurants ein umfangreiches Angebot zur Verfügung gestellt. Spezialisierte Ketten, wie beispielsweise ‚Jacques Wein Depot‘, oder ‚Mövenpick Weinkeller‘ sind seit geraumer Zeit in vielen Städten zu finden, darüber hinaus sind spezialisierte Online-Shops entstanden (wie ‚www.vinos.de‘, vgl. Abb. 15, ‚www.meevio.de‘ etc.). Aber auch

317 | Zur Veranschaulichung der Thesen werden meist Beispiele aus den Bereichen Mode und Digitale Accessoires verwendet, da diese aus dem Alltagsleben bekannt und darum nachvollziehbar sind. 318 | Illouz: „Emotion, Imagination und Konsum: Eine neue Forschungsaufgabe.“, S. 82f. 319 | Ebd. 320 | Ebd., S. 82.

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Vollsortimenter wie ‚Amazon‘ bieten ein großes Sortiment an – so zeigt die Suche in der Produktdatenbank dieses Anbieters unter dem Begriff ‚Wein‘ 97.396 Ergebnisse.321 Analog zu diesem breiten Angebot hat sich die generelle Weinkompetenz erweitert und die entsprechende Terminologie dringt in die alltägliche Einkaufswelt vor. Aromen werden mittlerweile sogar auf Etiketten im Supermarkt mit Begriffen wie Vanille, Brombeere oder Paprika beschrieben. Die sogenannte „Weinsprache“322 ist nicht mehr nur Fachsprache von Sommeliers und Weinkritikern, sondern geht zum Teil in den alltäglichen Sprachgebrauch über bzw. wird von Nicht-Expertinnen und Nicht-Experten verwendet. Auch bei anderen Getränken wie Bier (‚www.braufaktum.de‘, vgl. Abb. 16) und Soft-Drinks (‚www.fritz-kola. de‘, ‚www.herbert-limonade.de‘, ‚www.baola.de‘) oder bei Fleisch- und Käsesorten ist diese Entwicklung zu beobachten.

Abbildung 15: Kundenrezensionen eines Weines bei ‚www.vinos.de.‘ | Abbildung 16: Vom Burgunder-Glas abgeleitetes Bierglas und Flaschen aus der Braufaktum-Kollektion.

Steffen beschreibt diesen Sachverhalt als ‚Verwandlung‘ von allgemeinen in spezifische Produkte, die schon im 19. Jahrhundert eingesetzt habe: „Ein Differenzierungsmechanismus, der ebenfalls zu immer mehr Produkten führt, ist die Verwandlung von Universalprodukten in Spezialprodukte. Beispielsweise wurde in der Küche das universelle Kochmesser, mit dem man schneiden, schälen und haschieren kann, durch

321  |  „Amazon.de: wein“, http://www.amazon.de/s/ref=nb_sb_noss?__mk_de_DE=%C5M% C5Z%D5%D1&url=search-alias%3Daps&field-keywords=wein&x=0&y=0 (zugegrif fen am 17.8.2011). 322 | wikipedia.org: „Suchwort: Weinsprache“, http://de.wikipedia.org/wiki/Weinsprache (zugegriffen am 17.8.2011).

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Brot- und Aufschnittmaschinen, Elektromesser und Spezialeinsätze für Kompakt-Küchenmaschinen ersetzt, mit denen sich nur eine bestimmte Zerkleinerungsfunktion ausführen läßt. Und im 19. Jahrhundert ging die Faszination an höchst differenzierten Besteckformen so weit, daß - neben der Eßgabel - auch für den Verzehr von Salat, Kuchen, Beeren, Fisch, Hummern, Austern, Pasteten, Gewürzgurken, Oliven u.a.m. jeweils speziell geformte Gabeln entwickelt wurden. Vordergründig gerechtfertigt wurde diese Formvielfalt mit der unterschiedlichen Beschaffenheit der Speisen. Oliven lassen sich wegen des Steins nicht mit einer ‚normalen‘ Gabel aufpieken, wegen der Salzlake, in der sie eingelegt sind, aber auch nicht gut mit dem Löffel aufnehmen. Daraus resultiert ein ösenförmiges Besteck, das zum einen erlaubt, die Olive sicher aufzunehmen, zum anderen, die Lake abtropfen zu lassen. Vordergründig funktionale Argumente für die Produktdifferenzierung lassen sich immer finden. In der Regel stehen dahinter aber andere Motive, z.B. der Wunsch der Käuferschaft, sich durch ausgeprägte Ritualisierungen des Essens von sozial niedriger Stehenden abzugrenzen oder das Gewinnstreben des Fabrikanten.“323

Das Beispiel der Besteckformen ist zwar in den höheren Klassen (Adel und Großbürgertum) des 19. Jahrhundert verortet, unsere heutige Konsumkultur eröffnet jedoch breiten Bevölkerungsschichten derartige Differenzierungsmöglichkeiten, wie Schulze darlegt: „Weltreisen, Autos der Luxusklasse, eigene vier Wände, gediegene Einrichtungen, teurer Schmuck, erlesene Restaurants – was gestern den Upper Ten vorbehalten war, wird heute zum Standard in der sozialökonomischen Mittellage. Wer von all dieser erschwinglichen Exquisitheit keinen Gebrauch machen möchte, weiß doch immerhin, daß er die Möglichkeit dazu hätte. Das aber ist das Argument, um das es an dieser Stelle geht: die Expansion der Möglichkeiten.“324

Der Prozess der Verfeinerung führt jedoch nicht nur zu einem souveränen Umgang mit der wachsenden Komplexität der Produktwelt. Es ermöglicht den Konsumenten auch eine Verfeinerung und Intensivierung von Erleb-

323 | Steffen: „Einleitung“, S. 12. 324 | Schulze: „Die Erlebnisgesellschaft. Zur Ästhetisierung des Alltagslebens“, S. 39.

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nisweisen und eine differenzierte Gestaltung alltäglicher Situationen. Ein Beispiel: Das Duschen oder Baden kann dem Tagesablauf und den spezifischen Aktivtäten und entsprechenden Bedürfnissen angepasst werden. Das ‚2in1-Duschgel‘ mit Kühleffekt bietet Erfrischung nach dem Sport, das Körper-Peeling dient der Vorbereitung auf einen besonderen Anlass und ein Entspannungsbad mit ätherischen Ölen hilft, einen anstrengenden Arbeitstag ausklingen zu lassen. Ullrich zeigt anhand des oben erwähnten Beispiels des Duschgels sowie am folgenden, wie die infolge von Verfeinerung entstandenen Varianten eines alltäglichen Produktes unterschiedliche Interpretationen einer Situation nach sich ziehen können: „Eine Tätigkeit oder Situation kann durch sie spezifisch erfahren oder auch ritualisiert werden: Eine elektrische Pfeffermühle macht das Würzen zu einem technoiden Präzisionsakt, während eine manuell zu bedienende es in eine Handreichung verwandelt; ist sie zudem aus Holz, wird diese zum Handwerk. Und ist sie sechzig oder gar achtzig Zentimeter groß, dann gerät das Pfeffern sogar zur zelebrierten Arbeit, mit der eine Speise vor den Augen der Essenden vollendet und damit eigens gewürdigt wird. Mit dem Pfefferstreuer hingegen schüttet man das Gewürz lediglich über dem Essen aus, so als ginge es darum, einen Mangel ungeduldig - und etwas unwillig - zu kompensieren.“325

Betrachtet man einen solchen Gestaltungs- und Interpretationsspielraum als gegeben, so erscheint die Vielfalt der Waren als Folge eines kultivierten Umgangs mit Alltagsgegenständen. Ullrich sieht in der Kompetenz im Umgang mit Vielfalt und der unterschiedlichen Prägung von Situationen gar eine ‚Kulturtechnik‘ – die Auswahl eines Konsumartikels sei der eines guten Romanes gleichzusetzen.326

325 | Ullrich: „Philosophen haben die Welt immer nur verschieden interpretiert - verändern Produktdesigner sie auch?“, S. 112. 326 | „Anstatt zu schätzen, jeweils zwischen verschiedenen Deutungen einer Situation wählen zu können und diese so immer wieder anders zu erfahren, finden es viele Menschen - und vor allem konsumkritisch eingestellte Verbraucher - lästig, sich mit den einzelnen Varianten beschäftigen zu müssen, um eine Entscheidungen treffen zu können. Es fällt ihnen schwer, darin eine Kulturtechnik zu sehen, die Wahl der jeweils richtigen Pfeffermühle also genauso als Ausweis von Urteilskraft anzuerkennen wie die Entscheidung für einen Kinofilm oder für

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3.2.2 Bedeutungszuschreibung als unabgeschlossener Prozess Neben der Vielfalt an Nuancen und Erfahrungszusammenhängen, die im Zuge der Verfeinerung entstehen, sind Tendenzen, welche die zeitliche Dimension betreffen, zu beobachten. Auf der einen Seite werden Produkte nicht mehr als statische, abgeschlossene Einheiten begriffen, sondern gehen mit der Mode in Kollektionen auf. Auf der anderen Seite kann sich die Bedeutungszuschreibung in den unterschiedlichen Phasen der Produktwahrnehmung ständig weiterentwickeln oder gar verändern. Bedeutungen werden daher nicht mehr als fixe, dem Produkt angeheftete statische Eigenschaften gesehen. Vielmehr wird der Prozesscharakter bei der Zuschreibung von Bedeutung als selbstverständlich betrachtet. Fischer beschreibt den kollektionsbedingt befristeten Produktlebenszyklus von Elektronikprodukten folgendermaßen: „Die Aktualität des iPhones ist bewußt zeitlich limitiert. Ähnlich wie bei Computern und deren Programmen gibt es bei allen i-Geräten ‚Generationen‘: Sie werden ‚upgedated‘. Dies entspricht den saisonalen Strategien der Mode, was nachdrücklich durch individualisierte Geräteschalen unterstrichen wird. [...] Diese umfangreiche Diversifizierung entspricht den bereits beim iPod beschriebenen Strategien der ‚customization‘ und der ‚Swatchisierung‘. Bereits vor zehn, fünfzehn Jahren gab es individualisierte Gehäuse für Mobiltelephone, z.B. bei Nokia, die selbst noch ‚Ereignisromantik‘ anbot [sic!, Anm. d. Verf.]: etwa Sondereditionen für Weihnachten oder Ostern [vgl. wikipedia.de iPhone Outfits, Anm. d. Verf.]. Solche Gehäusestrategien nobilitieren die Mobiltelephone und verliehen ihnen eine Aura, die die normalen Großseriengeräte nicht haben (können).“327

die Lektüre eines bestimmten Buchs. So wie sich jemand, der wenig liest, in einer Bibliothek rasch überfordert fühlt und darüber mokiert, ja es als abstrus empfindet, dass so viel geschrieben wird geht es Konsumkritikern also in Hauswarengeschäften oder Drogeriemärkten: Ungenügende Ausbildung in einer Kulturtechnik - der des Umgangs mit dem ja noch relativ jungen Warenpluralismus - verleitet sie zu einer abwehrend-aggressiven, oft auch ressentimentgeladenen Haltung.“ Ebd., S. 113. 327 | Fischer: Der i-Kosmos, S. 52.

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Demnach besitzt das beschriebene Smartphone nicht mehr einen in sich abgeschlossenen Charakter. Das Gerät und seine Ausprägungen sind vielmehr immer im Fluss – meist ist schon beim Kauf eines Gerätes der Ablösetermin in Reichweite, wird eine Veränderung zwischen Evolution und Revolution ganz selbstverständlich erwartet. Anhand des bereits eingeführten Beispiels lässt sich dies verdeutlichen: So war die Gehäuserückseite des iPhones der ersten Generation von 2007328 noch aus Aluminium mit abgesetztem schwarzem Kunststoffelement im unteren Teil und mit stark gerundeten, über den Bildschirmrand stehenden Flanken versehen. Die Kombination aus Aluminium, Glas und mattem schwarzem Kunststoff verlieh dem ersten iPhone im Vergleich zu anderen Mobiltelefonen mit Kunststoffgehäuse eine hochwertige und bewusst technische Anmutung. Das erste Gerät war aufgrund seines hohen Preises und der kostspieligen Mobiltarife, ohne die es nicht zu erwerben war, ein elitäres Gerät für Apple-Fans, ‚Early-Adopters‘ und wohlhabende Technik-Fans. Die nächsten beiden Generationen – das iPhone 3G von 2008 und das iPhone 3GS von 2009 – hatten im Unterschied dazu eine gewölbte Gehäuserückseite aus schwarzem bzw. weißem Kunststoff, die zu den Rändern hin dünn auslief, um haptisch und visuell den Eindruck einer geringen Bauhöhe zu verstärken. Gleichzeitig wurde der Preis des Gerätes – trotz bemerkenswerter Verbesserung der Hardware – gegenüber dem Vorgängermodell deutlich gesenkt. Auf diese Weise wurde das Gerät für eine breitere Zielgruppe attraktiv, die nicht nur die Apple-Fangemeinde umfasste. Die vierte Generation, die schließlich im Juni 2010 vorgestellt wurde, verweist durch Materialwahl, Verarbeitung und eine weiter verringerte Gerätestärke wieder auf die Hochwertigkeit des Gerätes. So werden die Vorder- und die Rückseite des Gehäuses aus einer planen Glasscheibe gebildet, die durch einen schlanken, ebenfalls planen Edelstahlrahmen ähnlich einem Edelstein gefasst werden. Alle Funktionselemente – wie Stummschaltung, Lautstärkeregler, Stand-von-Schalter, Kopfhörerbuchse und Sim-Card-Slot sind mit geringen Spaltmaßen und hoher Präzision in diesen Rahmen eingelassen (vgl. Abb. 17). Steve Jobs verglich bei der Vorstellung des Gerätes die Gestaltung mit der einer alten Leica-Kamera.329 Nach der ‚Demokra-

328 | Siehe zur Entwicklung des iPhones: Fischer: Der i-Kosmos und wikipedia.org: „Suchwort: Apple iPhone“. 329 | vgl. hierzu: „Steve Jobs on the new iPhone 4: “It’s like a beautiful old Leica camera” | Leica News & Rumors“, http://leicarumors.com/2010/06/07/steve-jobs-on-the-new-ipho-

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tisierung‘ der letzten Modelle wird folglich wieder Hochwertigkeit angestrebt. Die saisonal wechselnden äußeren Qualitäten dieses Smartphones sollen verdeutlichen, wie herstellerseitig unterschiedliche Stilmerkmale innerhalb einer Gerätelinie genutzt werden. Dies ist eine Vorgehensweise, die auch bei Konsumenten zu einer zeitlich begrenzten Einordnung führt.

Abbildung 17: Vergleich der Gehäuse: iPhone, iPhone 3G, iPhone 4.

Zur herstellerseitig propagierten Bedeutungsvielfalt von Waren kommt hinzu, dass Bedeutungen auch seitens der Konsumenten situativ zugeschrieben werden, wie Hahn resümiert: „Subjektivität drückt sich also in der variierenden Wahrnehmung der Gegenstände aus. Den Dingen werden immer wieder neue Eigenschaften zugeschrieben. Wenn materielle Kultur und ihre Wahrnehmung als Zugang zur gesellschaftlich bedingten Wahrnehmung der Welt verstanden werden, dann ist diese Wahrnehmung in jeder Situation eine andere.“330

Die Abhängigkeit der Wahrnehmung von einer spezifischen Situation führt zu einer temporären Gültigkeit, einer Befristung von Bedeutungen. Der Soziologe Hartmut Rosa stellt in seinem Buch über die Veränderung der Zeitstrukturen in der Moderne fest, dass sich diese zeitliche Begrenzung mittlerweile durch alle Lebensbereiche ziehe. So könne sowohl in persönlichen Bereichen wie Partnerschaft oder Berufswahl eine Dynamisierung diagnostiziert werden als auch bei der Wahl der Krankenkasse, des

ne-4-its-like-a-beautiful-old-leica-camera.aspx/ (zugegriffen am 18.8.2011); „Steve Jobs live from WWDC 2010 - Engadget“, http://www.engadget.com/2010/06/07/steve-jobs-livefrom-wwdc-2010/ (zugegriffen am 18.8.2011). 330 | Hahn: Materielle Kultur, S. 132.

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Kreditinstituts, der Automarke, der präferierten Tageszeitung etc.331 Auf diese Weise tritt in allen Lebensbereichen und auch bei der Zuweisung von Bedeutung in Bezug auf Produkte eine Kontingenzerfahrung ein, deren zusätzliches Komplexitätsniveau flexiblere Umgangsformen befördert, wie Hörning et. al. mit Blick auf Lebensstile darlegt: „Das Neue an dieser Art der Vergesellschaftung ist mithin ihre ambivalente Struktur, die eigendynamisch immer wieder neue Formen hervortreibt: neue Ausprägungen, neue Ansprüche, neue Konfigurationen, neue Versionen und Entwürfe. Lebensstile antworten auf die zunehmende Erfahrbarkeit von Komplexität und Kontingenz in der ref lexiven Moderne. Herausgefordert durch die permanente Notwendigkeit, Eindeutigkeiten zu produzieren, stellen Lebensstile quasi die Schließungen von Kontingenzen und Ambivalenzen dar. Lebensstile sind nicht ‚auf Dauer‘ gestellt 332 , sondern zeichnen sich vielmehr durch einen hohen Temporalisierungsgrad aus. Der Lebensstil profitiert mithin davon, dass auf subjektiver wie struktureller Ebene in historisch unvergleichlichem Ausmaß Individualisierungs- und Spezialisierungsansprüche geltend

331 | „Die nächste kritische Schwelle wird dann dort überschritten, wo das Tempo des sozialen Wandels ein intragenerationales Niveau erreicht. Als Indikatoren dafür habe ich die Familien- und Beschäftigungsverhältnisse herangezogen, die in der Spätmoderne der Tendenz nach nicht mehr über ein ganzes erwachsenes Leben hinweg stabil bleiben, sondern in eine Lebensform münden, in der der Lebenspartner unvermerkt vom Lebensabschnittspartner ersetzt wird und eine serielle Folge von Jobs an die Stelle des einen identitätsstiftenden Berufes tritt. Diese weitergehende Dynamisierung lässt sich aber auch in weniger zentralen und peripheren Lebensbereichen nachweisen: Die politische Orientierung, die Automarke, die Krankenkasse und das Kreditinstitut, die Telefonnummer und die Tageszeitung bleiben ebenfalls nicht mehr über ein Erwerbsleben hinweg mehr oder minder fraglos dieselben. Auch wo sie de facto nicht gewechselt werden, geraten sie unter Kontingenzverdacht.“ Rosa: Beschleunigung, S. 467. 332 | Anmerkung im Originaltext: „Dass Bourdieus „feines Spiel der Unterscheidungen“ (1987) in gewisser Weise statisch anmutet, liegt zum einen an seiner ökonomischen Durchbuchastbierung des Lebensstils, andererseits an seinem zugrunde liegenden Habituskonzept, wonach der Habitus als festsitzende, in „Fleisch und Blut“ übergegangene Disposition, die „blind“ wirkt, betrachtet wird (vgl. z.B. Miller 1989, Botin 1991).“ Hörning/Ahrens/ Gerhard: „Die Autonomie des Lebensstils: Wege zu einer Neuorientierung der Lebensstilforschung.“, S. 50.

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gemacht werden, die allein individuell nicht aufzufangen und abzuarbeiten sind.“333

Zusammenfassend lässt sich darlegen, dass Konsumenten Gebrauchsgüter situativ nutzen, um verschiedene Sphären ihrer Erlebnisse miteinander in Beziehung zu setzen. Ullrich vergleicht das Handeln der Konsumenten mit der Tätigkeit eines Disk-Jockeys, der je nach Situation unterschiedliche Emotionsbausteine verknüpft und aneinanderreiht.334 Gemäß dieser Deutung ist die prozesshafte Bedeutungszuschreibung zur alltäglich eingeübten Handlung geworden, die sich auch individuell, etwa durch ein höheres Einkommen, verändern kann. Hierzu äußert Habermas: „Mit steigender sozialer Mobilität werden soziale Positionen immer weniger übernommen als vielmehr individuell errungen (ascribed vs. achieved status) [Herv. im Orig., Anm. d. Verf.]; mit diesem Prozeß geht einher ein Wandel der Sozialstruktur und Statussymbole, die sich von primär symbolischen, ja gar rituellen Objekten in nunmehr sekundär symbolische Gebrauchsgegenstände verwandeln. Im Zuge der Deritualisierung des Alltagslebens und der Mobilisierung der Positionszuweisungen wird immer weniger die soziale Struktur und immer stärker die individuelle soziale Position durch Konsumgüter symbolisiert, die primär Gebrauchs-, genauer Verbrauchsgüter sind und deshalb erst sekundär symbolischen Wert erhalten. Der Zugang zu ihnen ist nicht mehr normativ geregelt, sondern durch Kaufkraft und Geschmack bestimmt. Der soziale Status ist informeller, weniger festgelegt und damit weniger durch Objekte definierbar.“335

Bedeutungen werden also nicht einmalig zugeschrieben und anschließend bei Bedarf immer wieder abgerufen, sondern unterliegen einem ständigen Aushandlungsprozess zwischen Nutzer, Objekt und Kontext. Hervorgeru-

333 | Ebd., S. 37. 334 | „Mehr als je zuvor modellieren nahezu alle Gebrauchsgüter die jeweilige Lebenswelt, verstärken, modifizieren und überhöhen Stimmungen und erlauben es auch, verschiedene Atmosphären miteinander in Beziehung zu setzen. Das Ausbalancieren all der Emotionen ist damit ständige Aufgabe und Herausforderung, und der einzelne wird zum Emotions-DJ.“ Ullrich: „Philosophen haben die Welt immer nur verschieden interpretiert - verändern Produktdesigner sie auch?“, S. 121f. 335 | Habermas: Geliebte Objekte, S. 183f.

Die gegenwärtige Produkt- und Konsumentenkultur

fen wird dieses ständige neue Aushandeln von Bewertungen und Sichtweisen erstens durch die Vielfalt des Angebots und zweitens durch die Kontingenzerfahrungen im Zusammenhang mit Konsumprodukten336, die eine hohe Flexibilität und Zeitbindung bei Nutzern fördert.

3.2.3 Identitätsbildung durch Bedeutungskombination Die in den vorangegangenen Abschnitten beschriebene Verfeinerung und Flexibilisierung der Produktsicht ermöglicht eine vielfältige Nutzung von Waren als Bausteine zur Identitätskonstruktion.337 Denn in der modernen Gesellschaft geht es, wie der Soziologe Niklas Luhmann auf Basis von Li-

336 | Die Soziologin und Systemtheoretikerin Elena Esposito spricht im Kontext der Mode von sozialen und zeitlichen Kontingenzerfahrungen: „Die Mode, so die Hypothese, gründet ihre Macht auf ein komplexes und ausgefeiltes Zusammenspiel zwischen verschiedenen Formen von Kontingenz: der sozialen Kontingenz, dass jeder originell (und darin allen anderen gleich) sein möchte und der zeitlichen Kontingenz, dass jede Gegenwart neu und anders erscheint (aufgrund der Voraussetzung einer Vergangenheit, die es gestattet, sie derart wahrzunehmen).“ Esposito: Die Verbindlichkeit des Vorübergehenden: Paradoxien der Mode, S. 10f. Die in den Kapitel 3. und 4. dargelegten Hypothesen legen nahe, auch von Kontingenz in der Sachdimension (durch die Vielfalt der Warenangebote) und der Fiktionsdimension (durch die Vielfalt der möglichen Reflexionsformen) zu sprechen. 337 | Vgl. hierzu: „Nicht alle Dinge sind Konsumgüter oder käuflich erwerbliche Waren. Die Markierung sozialer Identität durch den Erwerb von Waren kann immer nur die Zugehörigkeit zu einer größeren sozialen Kategorie signalisieren; allein durch die individuelle Kombination [Herv. im Orig., Anm. d. Verf.] solcher in großer Zahl existierender Objekte können sie die Funktion der persönlichen Distinktion erfüllen (Goffmans persönliche Identität als einmalige Kombination sozialer Identitätszeichen).“ Habermas: Geliebte Objekte, S. 189f. Oder: „Konsum ist der Ausgangspunkt eines mühseligen Prozesses der Ich-Bildung qua Waren. Dieser Prozess der Ich-Bildung wird dadurch nur noch anstrengender, dass der Markt die Konsumenten mit der Sisyphos-Aufgabe anlockt, in Freiheit wählen zu können, wer sie sein wollen. Der Konsumkapitalismus verkauft Waren, indem er unendlich feine Differenzen produziert, welche die Konsumenten dazu auffordern, bis zum Äußersten individuell und authentisch zu sein - ob ihr wahres Ich nun das eines Sportlers ist, eines Abenteurers oder einer Hausfrau. Konsum konfrontiert das Individuum mit dem unendlichen Sisyphos-Projekt, sich selbst zu bilden; es fordert dazu auf, sich selbst zu finden - inmitten einer Mannigfaltigkeit von winzigen Akten der Selbsterschaffung.“ Illouz: „Emotion, Imagination und Konsum: Eine neue Forschungsaufgabe.“, S. 69.

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teratur und bildender Kunst zusammenfasst, um die „Freigabe von Individualität und Suche nach (oder Verzweiflung an) auf dieser Grundlage möglicher Authentizität.“338 Diese Suche nach Authentizität bzw. Konstruktion von Identität erfolgt zu zwei Seiten hin: nach innen, also bezogen auf das Selbsterlebnis, und nach außen, also gegenüber Anderen zur Abgrenzung oder Zuordnung.339 Dabei ist neben der Auswahlkompetenz auch die Fähigkeit zur Kombination der identitätsbildenden Bausteine, in unserem Falle: der Produkte, unabdingbar. Steffen erläutert im Rahmen der Betrachtung von Zielgruppen beispielsweise, wie im Bereich der Kleidung verschiedene ‚Looks‘ je nach Situation ausgewählt werden können.340 Sie geht jedoch nicht darauf ein, dass diese ‚Looks‘ auch gemischt werden können, um die eigene Persönlichkeit darzustellen oder auf einen gegebenen Anlass individuell zu reagieren. Die individuelle Zusammenstellung von Stilen als eine wichtige Erscheinungsform von Mode findet in Steffens Ausführungen demnach keine Beachtung. Die Soziologin Elena Esposito beschreibt die kollektive Suche nach Individualität folgendermaßen:

338 | Luhmann, Niklas: „Das Moderne der modernen Gesellschaft“, in: Zapf, Wolfgang und Deutsche Gesellschaft für Soziologie. (Hrsg.): Die Modernisierung moderner Gesellschaften: Verhandlungen des 25. Deutschen Soziologentages in Frankfurt am Main 1990, Frankfurt am Main, New York: Campus 1991, S. 87–108, hier S. 89. 339 | Der Prozess der Identitätsgenerierung ist dabei autonom, wie Habermas darstellt: „Bezogen auf die Identität der Person bedeutet dies nicht nur, daß sie sich im Wechselspiel von Fremd- und Selbstbestimmung entwickelt. Grundlegender noch gehört die Fähigkeit, Handlungen zu initiieren und erfolgreich auf die Umwelt einzuwirken, um nicht lediglich reagierend den Umweltvorgaben ausgeliefert zu sein, zur psychologischen Identität.“ Habermas: Geliebte Objekte, S. 24. 340 | „Es werden Produkte für verschiedene gesellschaftliche Anlässe und Zielgruppen entwickelt: Nicht tagein, tagaus Mao-Look, sondern das klassische Kostüm für‘s Büro, Jeans und Pullover für die Freizeit, Trainingsanzug fürs Joggen, das Kleine Schwarze für Theater und Cocktailempfang, der Glitzerbody für die Disko etc. Nicht die Gute Form für alle, sondern viel Design für viele: Geschirr mit Blümchendekor für Tante Erna, stapelbares Rastergeschirr für Puristen, Gedecke von Bořek Šípek oder Dorothy Haffner für Trendsetter etc. Die ästhetische Differenzierung von Produkten durch Mode, Gestaltung und Werbung erleichtert die Bildung von Lebensstil-Gruppierungen und gibt Orientierung in der sozialen Wirklichkeit.“ Steffen: „Einleitung“, S. 12.

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„Die Mode ist vor allem Versprechen und Suche nach Individuation: Das Individuum folgt der Mode, um die eigene Einzigartigkeit durchzusetzen und unter Beweis zu stellen, und es tut dies, indem es sich nach einer allgemeinen Tendenz ausrichtet. Das Individuum macht also, was die anderen machen, um anders zu sein. Auf diese Weise, so Simmel, kombiniert die Mode die Orientierung am Beispielhaften mit dem Bedürfnis nach Distinktion und tendiert dazu, den Einzelnen mit dem Universellen zu verschmelzen und zugleich nach der individuellen Differenzierung zu suchen.“341

Richard legt in einem Aufsatz über Mode als ästhetisch medialen Komplex dar, wie wichtig die beiden Fähigkeiten Auswahl und Kombination vor dem Hintergrund der ‚Gestaltung des Selbst‘ mit Kleidung sind: „Die Nebenwirkung dieser Digitalisierung und Individualisierung des Modischen ist ein hysterisches und metastatisches Angebot, eine zwanghafte ästhetische Vielfalt von Farben, Symbolen, Formen und ausgefallenen High-Tech-Materialien, die vom Konsumenten eine immer größere Selektionskompetenz erfordert. […] Die vestimentären Ausdrucksformen der Jugendkulturen zeigen künstlerischen Verfahren verwandte Stilstrategien, z.B. die Bricolage in Analogie zur Collage, ready made oder Decollage und entwickeln ein komplexes Symbolsystem.“342

Anhand des Beispiels der ‚Clubwear‘ zeigt sie darüber hinaus, wie weit die durch diesen Umgang vorangetriebene Ablösung einheitlicher Stilbilder in Jugendkulturen bereits vorangeschritten ist: „Ihr Stil [der Clubwear, Anm. d. Verf.] besteht aus einem heterogenen Agglomerat, einer Akkumulation unterschiedlichster Elemente und Epochen. Ihre Verfahren gleichen denen des digitalen Zeitalters, das alle analogen Stilmittel durch Digitalisierung einverleibt. Durch die hohe Absorption gibt es keine Reinheit der Form, aber auch keine willkürlich kontingenten Erscheinungen, kein eklektizistisches ‚anything goes‘. Die

341 | Esposito: Die Verbindlichkeit des Vorübergehenden: Paradoxien der Mode, S. 13. 342 | Richard, Birgit: „Die oberflächlichen Hüllen des Selbst: Mode als ästhetisch medialer Komplex“, Kunstforum international: Die aktuelle Zeitschrift für alle Bereiche der bildenden Kunst 141 (1998), S. 50.

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Techno- und House-Szene repräsentiert das Ende eindimensionaler, homogener Stile, die Verwirrung einheitlicher Stilbilder, die sich aber heute noch in Szenen wie Heavy Metal oder den Grufties finden, aber deren Zerstörung bereits mit dem Punk beginnt.“343

Ein plakatives Beispiel für das kompetente Auswählen und Kombinieren unterschiedlicher Stilbilder zu einem neuen, hybriden Mischstil ist im ‚metrosexuellen Look‘ zu sehen, wie er beispielsweise durch den britischen Fußballspieler David Beckham (siehe Abb. 18) populär geworden ist.344 Es verbinden sich männliche und weibliche Stilbezüge zu einer Ästhetisierung des männlichen Körperbildes in Kombination mit weiblich assoziierten Kosmetikprodukten und Accessoires: „Dieser Fußballer proletarischer Herkunft gilt mit seinem familiären Umfeld als glaubwürdiges Vorbild und modischer Trendsetter. Der zeigt sich v. a. im permanenten Wechsel seiner Frisur: vom Zopf zur Glatze über den Pseudo-Irokesenschnitt bis hin zu zweifarbigen Haaren. Zudem trägt er Nagellack und Frauenkleidung bzw. -unterwäsche. […] David Beckham präsentiert Röcke als weibliches Kleidungsstück nur in seiner Rolle als Model für teure Modemacher, nicht im Sinne einer Drag Queen. Er trägt zwei Brillanten-Ohrstecker, Zitate des Ohrschmucks aus der macho-orientierten HipHop-Szene, wo sie Bestandteil des BlingBling-Konzeptes sind (Akkumulation und Zurschaustellung von protzigem Schmuck).“345

343 | Ebd. 344 | Birgit Richard geht in Ihrem Aufsatz ‚Beckham‘s Style Kicks!‘ der Frage nach, ob und wie das alternative Körperbild ‚Metrosexuell‘ das Männerbild von Jugendlichen zwischen zehn und 18 Jahren beeinflusst. vgl. Richard, Birgit: „Beckham’s Style Kicks! Die metrosexuellen Körperbilder der Jungidole“, in: Neumann-Braun, Klaus und Birgit Richard (Hrsg.): Coolhunters: Jugendkulturen zwischen Medien und Markt., Frankfurt am Main: Suhrkamp 2005, S. 244–259. 345 | Richard: „Die oberflächlichen Hüllen des Selbst: Mode als ästhetisch medialer Komplex“, S. 247.

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Die Verbindung verschiedener, konträrer Stilbezüge346 in einer Person lässt die Identifikation und die Anschlussfähigkeit an traditionelle Stilbezüge zu, die ohne diese Hybridisierung in der Nische homosexuellen Lebensstils verhaftet geblieben wäre.347 Auf diese Weise ermöglicht sie Identitätsbildung durch Kombination neue Referenzrahmen, auf die zugegriffen werden kann und die ihrerseits als Rohmaterial zur Kombination dienen.

Abbildung 18: David Beckham als Beispiel für den metrosexuellen Mischstil | Abbildung 19: Hartschale für das iPhone 4 in Chanel-Look | Abbildung 20: iPod-Case aus blauem Leder mit goldener Kette.

Wie die Ausführungen und das Beispiel illustrieren sollten, wirken Konsumenten im Rahmen der Identitätsbildung durch die Kombination verschiedener bedeutungsvoller Objekte (vgl. Abb. 19 und 20) ihrerseits produktiv auf die Konsumkultur ein.348 Die dadurch generierten Zusammenhänge

346 | Richard spricht in einem anderen Artikel zum Thema von „Schwulen Crossovers in den Mainstream“, was auf ein Überkreuzen „homo- und heterosexueller Selbstbilder“ hinweist. vgl. Richard, Birgit: „Metrosexual: Schwule Crossovers in den Mainstream“, Kunstforum international: Die aktuelle Zeitschrift für alle Bereiche der bildenden Kunst Bd. 154/Der homoerotische Blick (2001), S. 152–165, hier S. 152f. 347 | Richard: „Die oberflächlichen Hüllen des Selbst: Mode als ästhetisch medialer Komplex“, S. 245. 348 | „Im Lebensstil wird ein Netz von Verweisungen erzeugt, das eine je eigene Reichweite und Komplexität besitzt. In der jeweiligen Kombinatorik entstehen implizit neue Verbindlichkeiten und Zugzwänge. Mit der Frage nach den lebensstilspezifischen Vernetzungen geht es nicht nur um die Erfassung der typischen lebensstilspezifischen Relevanzen, sondern gleichzeitig um die Berücksichtigung ihrer Hervorbringung, d.h. wir fragen nach den generativen und produktiven Momenten der Stilproduktion.“ Hörning/Ahrens/Gerhard: „Die Autonomie des Lebensstils: Wege zu einer Neuorientierung der Lebensstilforschung.“, S. 39.

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können zur Neubildung von Stilen führen und damit ihrerseits neue Produktangebote hervorbringen.

3.2.4 Fiktionalisierung von Konsumangeboten Die vierte Strategie, mit der Konsumenten auf den Komplexitätszuwachs der Warenkultur reagieren, liegt in der ‚Fiktionalisierung‘.349 Darunter verstehe ich in Anlehnung an Ullrich die aktive Instrumentalisierung von Produkten durch Nutzer, um fiktive Erfahrungen und Erlebnisse herbeizuführen. Dabei handelt es sich also nicht um ein kommunikatives Umgehen mit Waren, sondern um eine Art der aktiven und zukunftsgerichteten inneren Verarbeitung. Basis dieser besonderen Form des Umgangs ist die ‚Erlebnisorientierung‘350 Sie äußert sich in einer Funktionalisierung äußerer Umstände für das Innenleben: „Dabei nehmen die meisten an, das Äußere wirke auf das Innere durch bloße Eindrücke. Sie unterschätzen ihre eigene Rolle bei der Entstehung von Erlebnissen. Man wird nicht nur beeindruckt, sondern man verarbeitet. Erlebnisse sind in singuläre subjektive Kontexte eingebunden und verändern sich durch Ref lexion. Das Projekt des schönen Lebens entpuppt sich als etwas Kompliziertes – als Absicht, die Umstände so zu

349 | Ullrich spricht in seinem Aufsatz ‚Philosophen haben die Welt immer nur verschieden interpretiert – verändern Produktdesigner sie auch?‘ über den ‚Fiktionswert‘ von Produkten Ullrich: „Philosophen haben die Welt immer nur verschieden interpretiert - verändern Produktdesigner sie auch?“, S. 112. Im Gegensatz zum Gebrauchswert stillten Produkte mit hohem Fiktionswert nicht mehr in erster Linie Bedürfnisse, sondern dienten der Abwechslung oder der Erlebnisgenerierung (Ebd., S. 125f.). Hierauf wird in Kapitel 4.3.2 (d) genauer eingegangen. 350 | Diese ist nach Schulze aus zwei Gründen als ‚graduelles Phänomen‘ zu betrachten: „Erstens ist es möglich, daß sich innenorientierte und außenorientierte Komponenten in einer gegebenen Handlungsepisode mischen, etwa: B zieht einen Mantel an, um sich schön zu fühlen (innenorientierte Komponente), aber auch, um einen guten Endruck zu machen (außenorientierte Komponente). Zweitens ist Erlebnisorientierung definiert als situationsübergeifende Tendenz; sie entfaltet sich erst in der Folge von Situationen.“ Schulze: Die Erlebnisgesellschaft : Kultursoziologie der Gegenwart, S. 41.

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manipulieren, daß man darauf auf eine Weise reagiert, die man selbst als schön ref lektiert.“351

Drei Merkmale sind nach Schulze für die Entstehung von Erlebnissen als Folge einer inneren Form der Verarbeitung wichtig:352 Erstens entstünden Erlebnisse in einem „singulären inneren Universum“353, denn infolge der jeweils individuellen Basis aus Erfahrungen und Kontexten würden Ereignisse von jedem Menschen anders erlebt. Zweitens werde erst durch die Selbstverarbeitung des Subjekts, also Reflexion, Erlebtes zum Erlebnis. Und drittens sei dem Ursprungserlebnis „Unwillkürlichkeit“354 zuzugestehen; die darauf bezogene Reflexion könne hingegen mehrfach erfolgen. Erlebnisse können demnach als individuelle, selbstbezogene Sinnzuschreibungen vergangener Situationen beschrieben werden. Auch der Sozialwissenschaftler Bernhard von Mutius betont in seinem Buch ‚Die Verwandlung der Welt: ein Dialog mit der Zukunft‘ die zentrale Bedeutung der Selbstreferenzialität. Er fordert dazu auf, „über die verschiedenen möglichen Beziehungen und Bezugnahmen nachzudenken und dabei insbesondere den eigenen Bezug, also die Selbstbezüglichkeit zu reflektieren.“355 Betrachtet man die im Kapitel 3.2.1 beschriebenen Auswahlstrategien von Produkten aus dieser Perspektive, so erfordert eine kompetente Auswahl vor dem Hintergrund der Erlebnisorientierung einen hohen Grad an Reflexion im Umgang mit Produkten. Um individuelle und authentische Entscheidungen treffen zu können, ist es notwendig, sich der eigenen Position gewahr zu sein. Illouz bezeichnet diese im Konsum latent vorhandene Aufforderung zur Selbstpositionierung als ein unendliches SisyphosProjekt, denn „es fordert dazu auf, sich selbst zu finden – inmitten einer Mannigfaltigkeit von winzigen Akten der Selbsterschaffung.“356 Schulze bezeichnet den Prozess der individuellen Standortbestimmung als „Pro-

351 | Ebd., S. 35. 352 | Ebd., S. 46. 353 | Ebd. 354 | Ebd. 355 | Mutius, Bernhard von: Die Verwandlung der Welt: Ein Dialog mit der Zukunft, Stuttgart: Klett-Cotta 2001, S. 260. 356 | Illouz: „Emotion, Imagination und Konsum: Eine neue Forschungsaufgabe.“, S. 69.

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jekt des schönen Lebens“357, Illouz greift auf den Überbegriff des ‚Eudämonismus‘ zurück: „Ein wesentliches Merkmal von Emotionen schließlich erhellt einen wichtigen Aspekt der Konsumkultur – der Umstand nämlich, dass Emotionen eudämonistisch sind, also die Frage nach einer gelungenen Lebensführung betreffen; das heißt, sie drücken die Weltsicht eines Menschen aus der Perspektive seiner eigenen Ziele, Werte und Vorstellungen von einem gelungenen Leben aus. Trauer, Freude oder Zorn beziehen sich immer auf meine Stellung in der Welt sowie auf das, was in der Welt gut für mich ist. […] In diesem Sinn sind sie besonders gut geeignet, um die Dynamik des Konsums zu verstehen, welche in erster Linie das Ich anspricht; Konsum stellt das erste kulturelle System dar, das nahezu ausschließlich auf dem Wohlergehen und der Selbstbefriedigung des Subjekts beruht. Da die Wahl, welche Konsumenten treffen, auf die Kultivierung einer hyperindividualistischen Identität durch den Markt zurückgeht, sorgt der Markt auch dafür, dass es legitim erscheint, die Realität aus der eigenen emotionalen Perspektive zu beurteilen und einzuordnen.“358

Ausgangspunkt für diese intensive Auseinandersetzung mit dem Selbst ist zunächst meist das kommerzielle Waren- und Erfahrungsangebot. Die Hersteller geben Waren bereits durch Marke, Werbung, Präsentation etc. verschiedene vorgefertigte Geschichten, Erlebniswelten und ideelle Eigenschaften mit auf den Weg, um sie als erfolgversprechendes Rohmaterial für Erlebnisse anzupreisen. Denn Produkte sollen Situationen emotional aufladen, den Alltag spannungsreicher machen und dabei helfen, das angestrebte Selbstbild erlebbar zu machen. Doch Konsumenten greifen diese Erlebnisangebote nicht nur passiv auf, sondern nutzen sie auf kontingente Weise. Dabei transformieren sie das Erlebnis in einen fiktiven Raum, um alternative Erlebens-Möglichkeiten und Ich-Ideale auszuprobieren oder zukünftige Erlebnisse versuchsweise vorwegzunehmen. Der Soziologe Kai-Uwe Hellman beschreibt diesen Sachverhalt in seiner Habilitationsschrift ‚Soziologie der Marke‘ folgendermaßen:

357 | Schulze: Die Erlebnisgesellschaft : Kultursoziologie der Gegenwart, S. 35. 358 | Illouz: „Emotion, Imagination und Konsum: Eine neue Forschungsaufgabe.“, S. 59.

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„Die Spezifik des modernen Konsumstils fächert sich somit nicht nur in eine Vielzahl mehr oder weniger unterschiedlicher Konsumstile auf, von denen jeder eine eigene Sprache der Bedürfnisse kultiviert - sozusagen eine Ausdifferenzierung nach Geschmacks- oder Erlebnischancen -, sondern jeder Konsumstil kann zusätzlich noch als Projektionsf läche für persönliche Informationen und Mitteilungen eingesetzt werden, unabhängig davon, ob diese Möglichkeit in eigener Verantwortung gestaltet oder von außen bloß appliziert wird.“359

So regen Konsum- und Erlebnisangebote nicht nur eine reflexive Verarbeitung, sondern auch eine projektive Form der Auseinandersetzung mit der eigenen Persönlichkeit an. Habermas nennt diesen Vorgang ‚Selbstkommunikation‘. Die Ziele dieser Reflexion des Individuums über den eigenen Standpunkt grenzt er dabei von der Selbstdarstellung ab und definiert sie folgendermaßen: „(a) sich ein Bild von einem selbst zu machen, so von der Zugehörigkeit zu Gr uppen und der eigenen Distinktheit, eigenen Leist ungen und Fehlschlägen, Wünschen und Zielen, miteinander konf ligierenden Tendenzen. Dies geschieht immer auch in einer beurteilenden Haltung mit dem Ziel, verschiedene diachrone Aspekte eines selbst zu integrieren; (b) sic h ein Bild von einem selbst in der zeit lic hen Dimension zu machen, also bisherige Kontinuitäten und Entwicklungen zu beurteilen sowie für die Zukunft Ziele und Pläne zu entwerfen, was auf eine zeitliche Integration des selbst zielt; (c) sich zu unterhalten; (d) die Stimmung zu beeinf lussen, sich beispielsweise zu trösten.“360

Da sich die mit Produkten verknüpfte Selbstkommunikation in einem fiktiven Raum abspielt, können die damit verbundenen Emotionen auch unabhängig von rationalen Erwägungen und Erfahrungen abgerufen und positiv erlebt werden. Dadurch werden Konsumartikel zu Auslösern von Geschichten, erdachten Rollen und Situationen:

359 | Hellmann, Kai-Uwe: Soziologie der Marke, 1. Aufl., Frankfurt am Main: Suhrkamp 2003, S. 362. 360 | Habermas: Geliebte Objekte, S. 259f.

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„Ich mag vielleicht wissen, dass mich diese Zahnpasta nicht fröhlicher oder ein bestimmtes Auto nicht ‚wirklich‘ aggressiver und konkurrenzfähiger macht - dennoch erzeugen diese auf ‚unbestätigten Anschauungen‘ beruhenden ‚Waren-Zeichen‘ und Waren-Narrative Emotionen, die jenen ähnlich sind, welche wir erfahren, wenn wir im ‚echten Leben‘ einen Roman lesen.“361

Das Erlebnis als innenorientierte Verarbeitung vergangener Situationen ist eine Art und Weise, in der sich Verbraucher aktiv mit Produkten in Verbindung mit der eigenen Persönlichkeit auseinandersetzen. Die Fiktionalisierung stellt eine weiter verfeinerte Form der Verortung der eigenen Persönlichkeit dar, denn sie erlaubt ein Durchspielen verschiedener Zukunftsszenarien auf Basis von Konsumangeboten. Somit stellt dieser Umgang mit Waren eine Qualität dar, die aus anderen Bereichen der Kultur bekannt ist. Für Ullrich ist es deswegen nicht abwegig, die Kulturtechnik des Konsums im Bereich der Hochkultur anzusiedeln.362 Auch Illouz hebt die Bedeutung dieses Umgangs hervor, indem sie Imagination im Umgang mit Waren als „gesellschaftlich verortete Entfaltung kultureller Phantasien“363 bezeichnet.

361 | Illouz: „Emotion, Imagination und Konsum: Eine neue Forschungsaufgabe.“, S. 80. 362 |  „So kann man fragen, ob sich Konsumgüter - Wollsocken, Pfeffermühlen, Duschgels - nicht auch positiv mit Romanen und anderen Formen des Fiktionalen - mit Filmen oder Lifestyle-Magazinen - vergleichen lassen. Statt also die Aburteilung von Produkten zu erneuern und sie einmal mehr als Fetische zu tadeln, diente ein solcher Vergleich dann dazu, den Konsumismus genauso wie Literatur oder Kino als Teil der Hochkultur zu beschreiben. Dann wäre es gerade nicht pathologisch, sich von Dingen wie Socken motivieren zu lassen. Vielmehr wäre es ein Zeichen von Banausentum, nicht zwischen billiger Massenware und den Produkten einer mit großem Aufwand inszenierten Marke zu unterscheiden, ja es ist nicht unerträglich zu finden, wenn man sich mit ersterem begnügen müsste.“ Ullrich: „Philosophen haben die Welt immer nur verschieden interpretiert - verändern Produktdesigner sie auch?“, S. 116. 363 | „Damit die Kategorie der Emotion nicht zu einer psychologischen oder individualistischen wird, müssen wir begreifen, wie genau es dazu kommt, dass sie durch und durch mit kultureller Bedeutung aufgeladen ist. Dabei stellt das Konzept der Imagination das Scharnier dar, welches die Verbindung zwischen Emotion und Konsum schafft - Imagination ist hier verstanden als die gesellschaftlich verortete Entfaltung kultureller Phantasien.“ Ebd.

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3.2.5 Aneignung: Herauslösung aus der Anonymität des Massenmarktes Die aktivste Form der Auseinandersetzung mit Produkten ist in der Anpassung und Veränderung von Serienprodukten oder gar der Erschaffung von neuen Objekten aus industriellen Halbzeugen zu sehen. Bei dieser Konsumstrategie, die ich bereits unter dem Blickwinkel der Aneignungsstrategien364 bzw. des Do-It-Yourself (DIY)365 beleuchtet habe, geben sich Konsumenten nicht mehr mit der Selektion bzw. dem Zusammenstellen zufrieden, um Produkte aus der Anonymität der Massenproduktion herauszulösen. Erst die Anpassung und Modifikation standardisierter Produkte erzeugt in diesem Rahmen ein Objekt, das zur Selbstdarstellung und zum einzigartigen Erleben geeignet ist.366 Der Prozess der Aneignung spielt in diesem Kontext eine wichtige Rolle, unterliegt doch nahezu jeder Gebrauch eines Produktes einer bewussten Vermittlung zwischen dem Produkt und dem Nutzer. Hahn beschreibt Aneignung als eine „Transformation der Relation von Menschen und Objekten“367, was er im gesellschaftlichen Kontext weiter präzisiert:

364 | Schwer: „Konsumcollagen – Persönliche Aneignung versus kommerzielle Verwertung im Möbeldesign“. 365 | Schwer: „DIY in Jugendkulturen: Vom kopierten Fanzine zum Steampunk-PC“; Schwer, Thilo: „Die Massenkultur unterwandern. Do it yourself als Konsum-Alternative von den 1970er Jahren bis ins digitale Zeitalter“, in: Fabo, Sabine und Melanie Kurz (Hrsg.): Vielen Dank für Ihren Einkauf - Konsumkultur aus Sicht von Design, Kunst und Medien, Bielefeld: transcript 2012, S. 146–159. 366 | Vgl. hierzu Hahn: „Konsumlogik und Eigensinn der Dinge“. Auch Richard stellt die aktive Auseinandersetzung mit Serienprodukten zur Definition der eigenen Persönlichkeit im Kontext der Mode heraus: „Das erstaunt umso mehr, da die Gestaltung des Selbst, SelfFashioning und -Design, einen immer größeren Raum in der gegenwärtigen Gesellschaft einnimmt und das quer durch alle Einkommensschichten. Aus der gestiegenen Bedeutung der unmittelbaren ästhetischen Ausschmückung des Selbst mittels schon ‚vorgestalteter‘ Kleidungs-Segmente entsteht eine neuartige ‚profane Kreativität‘ (vgl. Paul Willis 1981, Begriff der ‚profane culture‘)“ Richard: „Die oberflächlichen Hüllen des Selbst: Mode als ästhetisch medialer Komplex“, S. 49. 367 | Hahn: Materielle Kultur, S. 101.

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„Wie in diesem Abschnitt gezeigt wurde, ist Aneignung ein wichtiger Begriff, um den Übergang von unpersönlichen Waren hin zu persönlichen Gütern zu beschreiben. Im Mittelpunkt der Aneignung steht der Wandel der Beziehung zwischen einem Gegenstand und der Gesellschaft. Das Objekt wird mit Bedeutungen und Kontexten versehen, es wird transformiert, um so als Bestandteil der sich etwas aneignenden Gesellschaft neu erfunden zu werden.“368

Aus diesem Zitat wird bereits ersichtlich, dass mit Aneignung nicht nur die Beziehung eines Konsumenten mit einem einzelnen Objekt gemeint ist, sondern der Begriff auf verschiedenen Ebenen auf die Beziehungsarbeit mit Produkten verweisen kann. Gert Selle und Jutta Boehe haben im Rahmen ihrer Analyse von Wohnräumen die folgende Staffelung von Aneignungsprozessen eingeführt: „In der gesellschaftlichen Aneignung kumuliert letztlich die Gesamtheit aller historischen Erfahrungen am Gegenstand – von den ersten menschlichen Werkzeugentwürfen bis zur hochentwickelten Industriekultur. In der sozialen Aneignung treffen die gegenständlichen Gebrauchserinnerungen und -erfahrungen aus der Sozialgeschichte mit den sozial differenzierten und sozial differenzierenden aktuellen Gebrauchsweisen zusammen. Und in der individuellen Aneignung handelt es sich um die Gesamtheit der lebenslang aufgebauten gegenständlichen Beziehungen und intimen Erfahrungen, in denen sich die Bestimmungen aus den anderen Ebenen brechen.“369

Mit Bezugnahme auf den Gegenstand wird diese Einteilung in drei Formen der Aneignung (gesellschaftlich, sozial und individuell) im weiteren Text nochmals präzisiert: „Die produzierten Gegenstände sind aber nicht nur allgemeine, historische Lebenswerkzeuge, sondern werden durch die Art ihrer Verteilung, Zugänglichkeit, Verbreitung, Wahrnehmung und Handhabung in den sozialen Feldern ihres Gebrauchs unterschiedlich interpretiert. In der

368 | Ebd., S. 107. 369 | Selle, Gert und Jutta Boehe: Leben mit den schönen Dingen: Anpassung und Eigensinn im Alltag des Wohnens, 1. Aufl., Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1986, S. 49.

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gesamtgesellschaftlich-historischen Aneignung vollzieht sich die ausdifferenzierte, konkret-soziale Aneignungsgeschichte. Die sozial ausdifferenzierten Gebrauchskulturen wiederum drücken sich in den je individuellen Aneignungsbiographien innerhalb einer Klasse, Schicht oder Gruppierung der Gesellschaft aus. Auf dieser Ebene wird gegenständliche Aneignung gelebte Wirklichkeit vieler, erfüllen sich alle Bestimmungen der Produktionsgeschichte, der Sozialgeschichte und der Lebensgeschichte in ein und demselben Akt. Keine der drei Beziehungsebenen existiert unabhängig von der anderen, auf keiner gibt es einen Stillstand; denn die geschichtliche Bewegung geht durch alle gleichermaßen hindurch. Es entsteht ein Kontext von allgemeinen und besonderen Gegenstandserfahrungen.“370

Boehe und Selles Ausführungen spiegeln ein sehr umfassendes Verständnis des Begriffs „Aneignung“ wider. Sie stellen den jeweiligen Hintergrund und Kontext der Beziehungsarbeit sowie die verschiedenen Bezugspunkte der Relationen zwischen Objekt und Nutzer in den Vordergrund. Auf der Ebene individueller Aneignung und mit Fokus auf das Produkt rückt der Begriff damit in die Nähe der „Entkommodifizierung.“371 In vorliegender Arbeit soll jedoch schwerpunktmäßig der Aspekt des Gebrauchs und des Umgangs mit Produkten beleuchtet werden. Unter Rückgriff auf de Certeau sei dieser Blinkwinkel folgendermaßen präzisiert: „Dadurch stellt sich die ‚populäre Kultur‘, ebenso wie die ganze sogenannte Trivialkultur als ganz anders dar: sie zeigt sich im wesentlichen als eine Kunstfertigkeit im Umgang mit diesem oder jenem (8), das heißt als kombinierende und verwertende Konsumformen. Diese Praktiken

370 | Ebd. 371 | Illouz beschreibt den Begriff in Anlehnung an Arjun Appadurai (The Social Life of Things, 1986) wie folgt: „Die Emotion kann insbesondere den Prozess der Entkommodifizierung (decommodification) von Konsumobjekten aufklären - den Umstand also, dass Konsumobjekte aus dem Kreislauf des Warentauschs heraustreten und eine persönliche Bedeutung in einem Netzwerk sozialer Beziehungen annehmen können“ Illouz: „Emotion, Imagination und Konsum: Eine neue Forschungsaufgabe.“, S. 62f. Drügh beschreibt den Begriff in Anlehnung an die Dingtheorie als die „Erlösung der Dinge vom Warencharakter“ Drügh: „Einleitung: Warenästhetik. Neue Perspektiven auf Konsum, Kultur, Kunst“, S. 25.

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bringen eine ‚populäre‘ ratio ins Spiel, eine Art und Weise, das Denken auf das Handeln zu beziehen, eine Kombinationskunst, die untrennbar von einer Kunst im Ausnützen ist.“372

Nach diesem Verständnis werden „Formen und Inhalte der soziokulturellen Produktion kunstfertig, d.h. kombinierend und verwertend“373 angeeignet und abseits vorgegebener Nutzungsarten gemäß den eigenen Zielen gebraucht und manipuliert.374 Auch Bazon Brock, emeritierter Professor für Ästhetik der Universität Wuppertal, stellt die verändernden Praktiken der Aneignung in den Vordergrund: „Die Aneignung eines Produktes erfüllt sich nicht, indem man es in seine Verfügung bringt, sondern indem man es gebraucht. Selbst Produkte, die wesentlich durch ihre technische Funktionalität bestimmt sind und denen eine Gebrauchsanleitung beiliegt, werden dennoch von Individuen je unterschiedlich in ihre Alltagswelt oder in dem Bezugsrahmen ihrer Lebensformen positioniert. Das tun nicht nur Menschen, die dem Beispiel von Künstlern folgen, Kontexte der Produkte über die Gebrauchsanleitung hinweg zu verändern. Schon die alltägliche Erfahrung mit Individuen, die Auto fahren, bestätigt, daß die Objekte trotz aller technischen Funktionalität dem Aneignungsvermögen der Individuen ausgesetzt [Herv. im Orig., Anm. d. Verf.] sind und von der Art und Weise, wie sie genutzt werden, überformt werden können (das Auto als Waffe).“375

372 | Certeau, Michel: Kunst des Handelns, Berlin: Merve-Verl. 1988, S. 17. 373 | Winter, Rainer: Der produktive Zuschauer: Medienaneignung als kultureller und ästhetischer Prozess., Berlin: Quintessenz 1995, S. 120. 374 | Vgl. de Certeau: „In geringerem Maße findet sich derselbe Prozeß in dem Gebrauch wieder, den bestimmte Volksschichten von den Kulturen machen, die von den Sprache produzierenden „Eliten“ verbreitet werden. Die aufgezwungenen Kenntnisse und Symboliken werden zum Gegenstand des Gebrauchs und der Manipulation durch Praktiker, die nicht deren Erzeuger sind. Die vorgegebenen Erkenntnisse und Symboliken werden von Praktikern (Benutzern) gebraucht und manipuliert, die sie nicht gemacht haben.“ Certeau: Kunst des Handelns, S. 82. 375 | Brock, Bazon: „Vergegenständlichungszwang - Zwischen Ethik und Logik der Aneignung“, in: Steffen, Dagmar (Hrsg.): Welche Dinge braucht der Mensch? Hintergründe, Folgen und Perspektiven der heutigen Alltagskultur. Katalogbuch zur gleichnamigen Ausstellung, 2. Aufl., Frankfurt am Main: Anabas Verlag 1996, S. 27–29, hier S. 27.

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Diesen Gedanken folgend, sollen im weiteren Verlauf drei Formen der Aneignung durch Veränderung von Produkten dargestellt werden: (a) Aneignung durch Anpassung; (b) Aneignung durch Modifikation; (c) Aneignung durch die Nutzung als Rohmaterial.

(a) Aneignung durch Anpassung Eine grundlegende Inbesitznahme von Massenprodukten erfolgt durch Anpassung. Dabei wird eine standardisierte Ware vom Konsumenten im Sinne einer am eigenen Anliegen ausgerichteten Vervollständigung verändert und so zu einem quasi individuellen Gegenstand gemacht. Beispielsweise trägt die in der Geschichte des Automobils ständig gestiegene Anzahl an Sonderausstattungen diesem Mechanismus Rechnung (vgl. Abb. 21).

Abbildung 21: Website: BMW Konfigurator, Deutschland. S. 86.

So kann der Kunde bei BMW mittlerweile aus 10 hoch 32 Fahrzeugvarianten auswählen376 (das sind 100 Quintillionen), die sich u.a. aus der Kombination von Fahrzeugtyp, Motorisierung, Karosserie- und Innenraumfarben sowie optionalen Sonderausstattungen ergeben. Käufer müssen heutzutage durchschnittlich 37 Stunden in den Autokauf investieren377, um zu einem maßgeschneidert scheinenden Serienprodukt zu kommen. Aber schon die Anpassung eines neuen Smartphones – Hintergrundbild,

376 | „brand eins Online: ‚Die optimale Varianz‘ - brand eins - Dossier - Neue Technologien, Methoden & Produkte“, http://www.brandeins.de/online-extras/dossiers/dossier/neue-technologien-methoden-amp-produkte/artikel/die-optimale-varianz.html griffen am 30.9.2011). 377 | Ebd.

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Klingeltöne, installierte Programme (sog. Apps) – an eigene Vorlieben stellt einen aufwendigen Prozess dar, um sich das anonyme Gerät anzueignen. Neben diesen intensiven, bewussten und oft lustvollen Auseinandersetzungen zeugen aber auch eher beiläufig vorgenommene Änderungen, wie das Einstellen eines Fahrrads auf die eigene Körpergröße, oder bloße Spuren des Gebrauchs von der individuellen Inbesitznahme. Winter stellt heraus, dass solche Aneignungen nicht als Gegenstrategien zur Konsumwelt zu verstehen seien, da sie auf Basis der Produkte stattfänden und sich in dem von der Kulturindustrie zugewiesenen Raum bewegten.378 Dennoch führen die Anpassungen gemäß Drügh zu einer Herauslösung bestimmter Waren aus der Massenproduktion.379 Schulze bezeichnet den Prozess als ‚Singularisierung‘ des Serienproduktes: „Zu den genannten kollektiven Komponenten der Alltagsästhetik tritt eine singuläre persönliche Komponente hinzu: Aus dem genormten Rohmaterial wird durch Abwandlung, Verfeinerung, Nachbereitung und subjektive Deutung in der Endstufe des ästhetischen Konsums etwas Einmaliges, Unwiederholbares geformt.[...] So ist die Zusammenstellung der Extras beim Autokauf ein kompositorischer Akt, der das neue Auto auch im ästhetischen Sinne zum eigenen (originalen) macht. [...] oder eine bestimmte Art Hemdsärmel umzukrempeln kann Ausdruck einer äußeren Singularisierung sein, die Massenware in Originale umformt. Solche Entstandardisierung von Oberf lächen setzt sich als innere Singularisierung im Bewußtsein als Deutung von Sinneseindrücken fort.“380

Auch Hahn stellt Aneignungsprozesse als Strategien dar, mit denen die Konsumenten den Dingen im Alltag subjektive Werte zuschreiben: „Wenn weltweit gleichartige oder importierte Güter zum persönlichen Besitz werden, eignen sich die Personen, die sie als Waren erwerben und damit im Alltag umgehen, diese Dinge an. Die Aneignung ist deshalb ein Schlüssel, um abstrakte und anonyme Waren zu Gütern mit subjektiv empfundenen Werten zu machen. Aneignung ist in diesem

378 | Winter: Der produktive Zuschauer, S. 120f. 379 | Vgl. Drügh: „Einleitung: Warenästhetik. Neue Perspektiven auf Konsum, Kultur, Kunst“, S. 25. 380 | Schulze: Die Erlebnisgesellschaft : Kultursoziologie der Gegenwart, S. 120.

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Zusammenhang auch eine Antwort auf die durch den Massenkonsum erzeugte Objektivierung der Lebensumwelt (Giedion [1948] 1994). Der Prozeß der Aneignung erklärt zugleich, wie Güter des Massenkonsums zur Identitätsbildung genutzt werden (Friedmann 1991). Durch den alltäglichen Umgang mit diesen Dingen werden ihnen persönliche oder gruppenbezogene Bedeutungen zugewiesen; die durch die Warenform bedingte ‚Entfremdung‘ dieser Güter wird dadurch wenigstens zum Teil wieder aufgehoben (Slater 1997:113). Aneignung erklärt somit, wie trotz globaler Einheitlichkeit lokale Vielfalt Bestand haben kann (Rees und Smart 2001).“381

Nutzer verwandeln durch Anpassung ein Massenprodukt zu etwas Individuellem, werden also ihrerseits Teil der Produktion, schaffen Werke382 bzw. werden, in der Terminologie Tofflers, zu „Prosumenten“ bzw. zum „Prosumer.“383 Dieser Prozess kann sogar bis zum ‚Beseelen‘ eines Objektes gehen, wie Selle am Beispiel des Teddybärs darlegt.384

381 | Hahn: Materielle Kultur, S. 101. 382 | „Der neue Common sense läuft auf eine breite Umgestaltung von Konsumgütern hinaus. Was in der Kultivierung von Kleinserien und Unikaten bereits anklingt, nimmt allgemeinere Formen an: die Betrachtung von Konsumgütern als Werke. Sie gewinnen diesen Charakter auf unterschiedliche Weise: Das Produkt wird, den Wünschen des Kunden entsprechend, individualisiert (vorweggenommen zum Beispiel durch die immer wichtiger werdenden Extras in der Konsumgeschichte des Automobils); das Produkt wird mit Geschichten über seine Entstehung und über den Hersteller ausgestattet; es wird nicht mehr als Wegwerfprodukt angeboten, sondern als ein besonders haltbares und immer wieder reparierbares Produkt, herausgehoben aus kurzlebigen Moden des Geschmacks, gefertigt aus wertbeständigem Material, geeignet als Lebensbegleiter und Erbstück. Der Markt für diese Produkte wächst, aber er ist noch kaum entfaltet.“ Schulze, Gerhard: Die beste aller Welten: Wohin bewegt sich die Gesellschaft im 21. Jahrhundert?, Frankfurt am Main: Fischer-Taschenbuch-Verlag 2004, S. 242. 383 | Toffler: Die dritte Welle - Zukunftschance, S. 272f. 384 | „Neben technischen Neuheiten, die sich in den Vordergrund drängen, gibt es nichtapparatives Lebenszubehör, das zwar industrielle Massenware ist, aber eine überraschende Eigenart entwickelt: Es lässt sich problemlos individualisieren, sogar beseelen. Gleichzeitig entspricht es einem kollektiven Bedürfnis nach Geborgenheit, Nähe und Wärme.“ Selle, Gert: Design im Alltag: vom Thonetstuhl zum Mikrochip, Frankfurt am Main: Campus-Verlag 2007, S. 89.

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(b) Aneignung durch Modifikation Die nächste Form der Aneignung greift stärker auf die Charakterisierung von Konsumgütern als unfertiges ‚Werk‘ zurück, denn sie betrifft Veränderungen, die teilweise mit großem Aufwand betrieben werden, aber trotzdem die Ursprungsprodukte noch deutlich erkennen lassen.

Abbildung 22: Hot Rod auf Basis eines ‚Deuce‘ von 1932, Modifizierung durch ‚Chopping‘ (Absenkung der Dachhöhe) und „Cleaning“ (Säubern von Anbauteilen). S. 88 | Abbildung 23: Golf GTI mit LSD-Türen beim ‚2. Schwab Tuning-Day‘ in Neuss, 2008.

Eine einfache Form der Veränderung kann beispielsweise bei Kleidungsstücken beobachtet werden: Abgetrennte Ärmel, mit der Schere gekürzte Jeans oder mit Buttons, Ketten und Schrift geschmückte Lederjacken nutzen die uniforme Massenware als Grundlage für den eigenen Kleidungsstil. Aus dem Bereich der Fahrzeuge ist zunächst die amerikanische Hot-Rod-Kultur der 1940er-/1950er-Jahre zu nennen (siehe Abb. 22), „in der Jugendliche das Tunen und Umgestalten von alten Autos zum Freizeitsport machten.“385 Die heutige Tuning-Szene, bei der Serienfahrzeuge durch Um- und Anbauten zu comichaft-überzeichneten Rennmaschinen werden, ist eine weniger subkulturell geprägte Form der Abwandlung. Fahrzeugmarke und Modell stehen hier trotz aller Eingriffe nach wie vor im Mittelpunkt, bieten sie doch die Grundlage für die Identifikation. Fernsehsendungen wie ‚Pimp my Ride‘ bei MTV oder Tuning-Berichte in TVAutomagazinen zeigen die große Popularität dieser Veränderungen (vgl.

385 | Jenß, Heike: „Original-Kopie: Selbstmodellierung in der Serienkleidung“, in: NeumannBraun, Klaus und Birgit Richard (Hrsg.): Coolhunters: Jugendkulturen zwischen Mediun und Markt., Frankfurt am Main: Suhrkamp 2005, S. 21–34, hier S. 30.

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Abb. 23). Aus dem Bereich der Smartphones sind sog. ‚Jailbreaks‘ bekannt, bei denen herstellerseitig eingeschränkte Funktionen mittels entsprechender Software wieder freigeschaltet werden.386 Beim iPhone der ersten bis vierten Generation ermöglicht ein Jailbreak beispielsweise die Installation fremder, nicht vom App-Store zertifizierter und vertriebener Software. Darüber hinaus wird das Einlegen von SIM-Karten anderer Netzbetreiber sofort ermöglicht, selbst wenn das Mobiltelefon noch während der subventionierten Vertragslaufzeit anderweitig genutzt wird. Ähnliche Funktionserweiterungen gibt es auch für andere Smartphone-Betriebssysteme, wie beispielsweise Android. Der ‚Cyanogen-Mod‘ lässt bei diesen Geräten durch eine angepasste Firmware ebenfalls zusätzliche Funktionen und Sicherheitsfeatures zu.387 Damit rückt diese Form der Aneignung in die Nähe der ‚Bricolage‘, ein von Claude Lévi-Strauss geprägter Begriff, der sich mit ‚Bastelei‘ übersetzen lässt. Bei einer Bricolage setzen Nutzer Produkte nicht in der vom Hersteller vorgesehen Form ein und verändern sie zudem durch spontane Interventionen: „In seinem ursprünglichen Sinn läßt sich das Verbum bricoler auf Billard und Ballspiel, auf Jagd und Reiten anwenden, aber immer, um eine nicht vorgezeichnete Bewegung zu betonen: die des Balles, der zurückspringt, des Hundes, der Umwege macht, des Pferdes, das von der geraden Bahn abweicht, um einem Hindernis aus dem Weg zu gehen. Heutzutage ist der Bastler jener Mensch, der mit seinen Händen werkelt und dabei Mittel verwendet, die im Vergleich zu denen des Fachmanns abwegig sind.“388

Die Hinzufügung spontaner und improvisierter Elemente zu Großserienprodukten führt wiederum zu einer Vielfalt an Funktionen und Erscheinungsformen, die eben durch die Großserienproduktion ursprünglich eliminiert wurde. Unter Rückgriff auf einen Begriff aus den Sprachwis-

386 | wikipedia.org: „Suchwort: Jailbreak (iOS)“, http://de.wikipedia.org/wiki/Jailbreak_ (iOS) (zugegriffen am 30.9.2011). 387 | „CyanogenMod | Android Community Rom based on Gingerbread“, http://www.cyanogenmod.com/ (zugegriffen am 2.10.2011). 388 | Lévi-Strauss, Claude: Das wilde Denken, 9. Aufl., Frankfurt am Main: Suhrkamp 1994, S. 29.

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senschaften wird eine solche Wiedereinführung lokaler Eigenheiten als Kreolisierung beschrieben: „Ein alternativer Begriff, der die Veränderung der Dinge durch den alltäglichen Konsum beschreibt, ist die Kreolisierung (Hannerz 1987). Dieser Begriff ist aus der Linguistik übernommen, wo er eine bestimmte Gruppe von Sprachen umschreibt. So wie diese Sprachen durch die Umformung einer (nach wie vor erkennbaren) Herkunftssprache entstanden sind und eine neue eigenständige Sprache gebildet haben, so werden im Kontext ihrer weltweiten Verbreitung Kulturelemente umgeformt und gelten im gesellschaftlichen Alltag als etwas Neues. Kreolisierung steht somit im Gegensatz zum Konzept der Homogenisierung und erklärt den Fortbestand der kulturellen Vielfalt.“389

Auch der Philosoph Andreas Dorschel stellt in seinem Buch ‚Gestaltung: Zur Ästhetik des Brauchbaren‘ Anpassungen durch den Nutzer als Gegenreaktion zur Anonymität von Serienprodukten dar: „Es ist zwar offensichtlich, daß es, aller liebgewordenen Kulturkritik zum Trotz, Anzüge, aber nicht Menschen von der Stange gibt. Dennoch wird vielfach beharrlich nur untersucht, wie Menschen sich den Produkten, nicht aber, wie Menschen sich die [Herv. im Orig., Anm. d. Verf.] Produkte anpassen, sie in ihren Lebensraum einfügen, bekritzeln, verschönern, verschmutzen, markieren, mit ihren Gefühlen besetzen, und so auch individualisieren. Gerade wo der Ausdruck von Individualität den Sachen entzogen wurde, wie den Wohnungen in Neubaugebieten, feiert der Drang zur individualisierten Dekoration, im gegebenen Fall im Inneren der Wohnungen ebenso wie im Äußeren der Balkone, seine Orgien.“390

Geht man von dieser übergeordneten Ebene nun wieder zurück zu den Praktiken einzelner Nutzer in Verbindung mit kommerziellen Praktiken, so lassen sich besondere Formen der bereits angesprochenen ‚Customization-Stategien‘ anführen. Ein anschauliches Beispiel ist der vor über 30

389 | Hahn: Materielle Kultur, S. 100. 390 | Dorschel, Andreas: Gestaltung: Zur Ästhetik des Brauchbaren, Heidelberg: Winter 2002, S. 134.

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Jahren vorgestellte Sportschuh Adicolor. Dieser Basketballschuh mit hohem Schaft war komplett weiß – neben Sohle, Grundmaterial und Ösen besaßen auch die drei charakteristischen Streifen und die anderen Lederapplikationen eine monochrome Farbgebung. Ausgeliefert wurde der Schuh mit acht Filzstiften, die zur Anbringung eines individuellen Dekors dienten.391 Über diese begrenzte, vom Hersteller gelenkte Form der Modifizierung hinaus besitzt Aneignung durch Modifizierung ein erhebliches Innovationspotenzial, wie der Wirtschaftswissenschaftler Franz Liebl darlegt: „Denn die Konsumenten bergen nicht nur deswegen ein unliebsames Überraschungspotenzial, weil sie womöglich verständnislos auf Funktionalitäten reagieren, die sich als Kopfgeburten von Entwicklungslabors erweisen; was von den Anbietern oftmals gar nicht oder zu spät registriert wird, ist die versteckte und unberechenbare Innovationstätigkeit auf Seiten der Konsumenten beziehungsweise User, die bereits Anfang der achtziger Jahre von de Certeau (1980)392 thematisiert wurde.“393

391 | Die Kulturanthropologin Heike Jenß stellt in ihrem Text „Original-Kopie: Selbstmodellierung in der Serienkleidung“ den Sportschuh als frühes Beispiel für Customization dar: „Customization-Strategien können in der Mode von dem Angebot der simplen Modifizierung der Produkte bis hin zum direkt kundenbezogenen Zuschnitt reichen. Ein frühes Beispiel liefert der Sportartikelhersteller Adidas, der bereits in den frühen 1980er-Jahren Jugendlichen mit dem Modell Adicolor eine, wenn auch noch sehr schlichte Form des Customizing [Herv. im Orig., Anm. d. Verf.] anbot. Der Basketball-Schuh Adicolor wurde mit Stiften geliefert, mit denen der Kunde das Markenzeichen, die drei Adidas-Streifen, nach eigenen Wünschen farblich gestalten konnte.“ Jenß: „Original-Kopie: Selbstmodellierung in der Serienkleidung“, S. 30f. 392 | Vgl. Beispielsweise: „Das Gegenstück zur rationalisierten, expansiven, aber auch zentralisierten lautstarken und spektakulären Produktion ist eine andere Produktion, die als ‚Konsum‘ bezeichnet wird: diese ist listenreich und verstreut, aber sie breitet sich überall aus, lautlos und fast unsichtbar, denn sie äußert sich nicht durch eigene Produkte, sondern in der Umgangsweise [Herv. im Orig., Anm. d. Verf.] mit den Produkten, die von einer herrschenden ökonomischen Ordnung aufgezwungen werden.“ Certeau: Kunst des Handelns, S. 13. 393 | Liebl, Franz: „Konsuminnovationen durch Cultural Hacking: das Beispiel Ikea-Hacking“, in: Richard, Birgit und Alexander Ruhl (Hrsg.): Konsumguerilla: Widerstand gegen Massenkultur?, 1. Aufl., Frankfurt am Main: Campus 2008, S. 33–54, hier S. 33.

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Neben der unkalkulierbaren Kraft der Zweckentfremdung oder auch ‚Zweckentdeckung‘394 , sieht Liebl aber auch eine genau entgegengesetzte Strategie, mit der Konsumenten subversiv auf Produkte reagieren können, und zwar die Überidentifikation: „Überidentifikation dagegen bedeutet, solche Aspekte des Gewohnten offen anzusprechen, die zwar allgemein bekannt, zugleich aber auch tabuisiert sind. Sie nimmt die Logik der herrschenden Denkmuster, Werte und Normen in all ihren Konsequenzen und Implikationen gerade dort ernst, wo diese Konsequenzen nicht angesprochen werden (dürfen) und unter den Tisch gekehrt werden. Wo Verfremdung Distanz zum Bestehenden schafft, will Überidentifikation in den herrschenden Diskurs eingebaute Selbstdistanzierungen auf lösen.“395

Praktiken wie das ‚Tuning‘ können mit dem Begriff der Überidentifikation durchaus treffend beschrieben werden, wenngleich der Aneignung nicht unbedingt die von Liebl zugrunde gelegte Subversivität innewohnen muss. Wie in den vorangegangenen Abschnitten skizziert wurde, führen Aneignungsstrategien durch Modifikation zu einer starken Bindung zwischen Konsument und Produkt. Zugleich können mittels Modifikation lokale oder subkulturelle Besonderheiten in globalen Massenprodukten

394 | Vgl. hierzu „Doch wird die Überlegung weitergetrieben - von dem, was nur mittelbar mit dem Sitzen zu tun hat -, verliert der Begriff der Funktion vollends an Eindeutigkeit. Stühle werden zu vielen anderen Zwecken als zum Sitzen verwendet: zu gymnastischen Übungen, zum Trocknen von Wäsche, zum Ablegen von Gegenständen, oder um darauf zu stehen, wenn man ein Buch aus dem obersten Regal ziehen oder eine Glühbirne auswechseln möchte. Auch solchen Handlungen liegen Zwecke zugrunde. Nach der Theorie hätte die Form ihnen also zu folgen. Doch es fällt schwer, sich zu denken, wie sie dies tun sollte. Denn solche Gebrauchsweisen sind nicht vorhersehbar. In doktrinär funktionalistischem Denken als Fälle von Zweckentfremdung abgetan, sind sie in Wahrheit Zweckentdeckungen. Phantasie ist dem Praktischen wesentlich, - es ist unberechenbar, weil es, um der abgegriffenen Vokabel einmal ihren guten Sinn zuzugestehen, kreativ ist.“ Dorschel: Gestaltung, S. 33. 395 | Liebl, Franz, Thomas Düllo und Martin Kiel: „Before and After Situationism - Befor and After Cultural Studies: The Secret History of Coltural Hacking“, in: Düllo, Thomas und Franz Liebl (Hrsg.): Cultural hacking: Kunst des strategischen Handeln, Wien, New York: Springer 2005, S. 13–46, hier S. 25.

Die gegenwärtige Produkt- und Konsumentenkultur

verankert werden, was (wieder) zu einem kulturellen Reichtum führen kann.

(c) Produkte als Rohmaterial Die letzte Aneignungsstrategie unterscheidet sich von der vorangegangenen darin, dass die Ursprungsprodukte nur noch im Sinne von Rohmaterialien oder Halbzeugen aufgegriffen werden. Das Ursprungsprodukt spielt im Ergebnis dieser Praxis keine Rolle mehr. Unter dem Stichwort Do-It-yourself (DIY) ist diese Vorgehensweise in den allgemeinen Sprachgebrauch übergegangen. Entstanden ist sie als Verweigerungsstrategie gegenüber der vorherrschenden Massenkultur Ende der 1960er-Jahre.396 Sie weist eine Verbindung zur Idee des Punk auf, da DIY ebenfalls als eine trotzige Reaktion gegen passives Konsumieren gesehen werden kann – „Hauptsache: machen!“397 Auch im Design wurden DIY-Praktiken reflektiert, wie die Arbeiten der Des-In-Gruppe in den 1970er-Jahren zeigen (siehe Kapitel 2.3.2). Das „Neue Deutsche Design“ setzte sich ebenso kreativ mit dem Potenzial industrieller Halbzeuge und einfacher Massenprodukte auseinander. Als Beispiel kann die Früchteschale von Axel Stumpf aus dem Jahr 1984 herangezogen werden (siehe Abb. 24), die an der Hochschule der Künste in Berlin im Rahmen des Projektes ‚Kdo‘ (Kaufhaus des Ostens) der Gruppe ‚Bellfast‘ entstand.398 Die Früchteschale besteht aus einem modifizierten Drahtsieb sowie aus Gewindestangen, Flügelschrauben und Hutmuttern aus dem Baumarkt. DIY wird heutzutage meist mit Heimwerkermärkten und Ikea-Selbstbau-Regalen assoziiert. Doch beschränken sich die entsprechenden Bastel-

396 | Siehe hierzu den Kontext zur Entstehung der Arbeiten von Jochen Gros, insbesondere der Des-In-Gruppe im 2. Kapitel; sowie zusammenfassend ein Aufsatz über die Geschichte des DIY aus Sicht des Designs in: Schwer: „Die Massenkultur unterwandern. Do it yourself als Konsum-Alternative von den 1970er Jahren bis ins digitale Zeitalter“. 397 | Teipel, Jürgen: „Der Geschmack der Freiheit“, in: Hornung, Annabelle u. a. (Hrsg.): DIY - die Mitmach-Revolution; [... anlässlich der Ausstellung „Do it yourself: die Mitmach-Revolution“ im Museum für Kommunikation Frankfurt vom 25. August 2011 bis 19. Februar 2012], Bd. 29, Museumsstiftung Post und Telekommunikation: Kataloge der Museumsstiftung Post und Telekommunikation, Mainz: Ventil Verlag 2011, S. 88–91, hier S. 89. 398 | Albus/Borngräber: Design Bilanz, S. 41.

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und Zusammenbau-Tätigkeiten meist nur auf die Fertigstellung bereits vorproduzierter Einzelteile nach Bauplan. Sie sind somit zwar kaum persönlicher Ausdruck von Kreativität und Erfindungsreichtum, verweisen jedoch darauf, dass die Strategie, Produkte als Rohmaterial zu verstehen, heute wieder einen höheren Stellenwert einnimmt. Seit 2005 kann auf Online-Portalen wie ‚www.etsy.com‘399 und ‚www.dawanda.de‘400 Handgemachtes von Privatpersonen und Kleingewerbetreibenden bestaunt und gekauft werden. Zeitschriften wie ‚Ready Made‘401 oder das ‚Make Magazine‘402 zeigen seit 2001 Do-It-Yourself-Projekte und Anleitungen zum Nachbau. Neben diesem klassischen DIY-Bereich gibt es im Bereich der ‚Elektronic Gadgets‘ eine sehr aktive, stärker subkulturell geprägte Szene. Ein prägnantes Beispiel, das ich bereits in ‚Intercool 3.0‘ – einem Kompendium zur aktuellen Jugendkulturforschung – ausführlicher vorgestellt habe, 403 ist in den modifizierten Elektronikprodukten der Steampunk-Szene zu sehen (vgl. Abb. 25): „Der Begriff Steampunk bezeichnet zunächst eine literarische Gattung des Science Fiction, die auf einer Alternativweltgeschichte basiert. Diese ist im viktorianischen Zeitalter (1837-1901) angesiedelt, in dem noch ‚mutige Laien zum wissenschaftlichen Fortschritt beitragen konnten‘, in dem ‚Technologie immer auch eine ästhetische Komponente hatte‘ (Schulz 2007). Grundthema ist die Frage, wie unser Alltag heute aussähe, wenn immer noch Dampfmaschinen die einzigen universellen Energieerzeuger in unserer technischen Welt wären. […] Grundthema der Steampunk-Objekte sind elektronische Geräte, deren Hüllen und Bedienelemente aus Kupferplatten, Messingzahnrädern, Glasröhrchen etc. rekonstruiert werden, um den Eindruck zu erwecken, es handle sich dabei um mechanische, dampfgetriebene und damit beseelte Geräte.“404

399 | wikipedia.org: „Suchwort: Etsy“, http://de.wikipedia.org/wiki/Etsy (zugegriffen am 5.6.2012). 400 | wikipedia.org: „Suchwort: DaWanda“, http://de.wikipedia.org/wiki/DaWanda (zugegriffen am 5.6.2012). 401 | „Farewell, ReadyMakers“, http://www.readymade.com/blog/readymade/2011/06/16/ farewell_readymakers (zugegriffen am 5.6.2012). 402 | „About MAKE“, http://makezine.com/about/ (zugegriffen am 5.6.2012). 403 | Schwer: „DIY in Jugendkulturen: Vom kopierten Fanzine zum Steampunk-PC“. 404 | Ebd., S. 412.

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Charakteristisch für Steampunk-Objekte ist die Verwendung von Fundstücken auf dem Flohmarkt und einfachen, billigen Halbzeugen zur Rekonstruktion der Gehäuseteile. Diese werden dann so kunstvoll modifiziert, dass das Endprodukt optisch mit einem aufwendig verzierten technischen Produkt des viktorianischen Zeitalters verwechselt werden könnte.

Abbildung 24: Früchteschale, hergestellt aus einem Drahtsieb und Halbzeugen | Abbildung 25: Steampunk-PC von Jake van Slatt.

Auch für diese Form der Aneignung trifft der bereits im vorangehenden Kapitel eingeführte Begriff der ‚Bricolage‘ zu – hier jedoch noch auf einer grundsätzlicheren Ebene, wie aus dem Vergleich von Ingenieur und Bastler von Lévi-Strauss deutlich wird: „Der Bastler ist in der Lage, eine große Anzahl verschiedenartigster Arbeiten auszuführen; doch im Unterschied zum Ingenieur macht er seine Arbeiten nicht davon abhängig, ob ihm die Rohstoffe oder Werkzeuge erreichbar sind, die je nach Projekt geplant und beschafft werden müßten: die Welt seiner Mittel ist begrenzt, und die Regel seines Spiels besteht immer darin, jederzeit mit dem, was ihm zur Hand ist, auszukommen, d. h. mit einer stets begrenzten Auswahl an Werkzeugen und Materialien, die überdies noch heterogen sind, weil ihre Zusammensetzung in keinem Zusammenhang zu dem augenblicklichen Projekt steht, wie überhaupt zu keinem besonderen Projekt, sondern das zufällige Ergebnis aller sich bietenden Gelegenheiten ist, den Vorrat zu erneuern oder zu bereichern oder ihn mit den Überbleibseln von früheren Konstruktionen oder Destruktionen zu versorgen.“405

405 | Lévi-Strauss: Das wilde Denken, S. 30.

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Neben der Nutzung eines Fundus von Vorgefundenem und einer spontanen Verknüpfung von Vorhandenem zu einer neuen Einheit (‚Basteln‘) ist das Herauslösen aus dem vorhandenen Kontext, also das Umdeuten der Ausgangsmaterialien, ein wichtiger Aspekt. Liebl greift zur Beschreibung dieses Sachverhalts den aus der Kunst bekannten Begriff ‚Détournement‘ auf: „Besonders relevant für unser vorliegendes Projekt erscheint der Situationismus vor allem deswegen, weil eines seiner zentralen Motive im sogenannten ‚détournement‘ besteht, eben jenem kulturellen Pendant zu dem, was Computer-Hacker tun: umdeuten, umcodieren, zweckentfremden, dekontextualisieren und rekontextualisieren.“406

Der in diesem Zitat eingeführte Terminus des ‚Hackens‘ verweist auf eine weitere Ausprägung dieser Strategie, die zwischen Zweckentfremdung, Umdeutung und Schaffung neuer Alltagskulturen anzusiedeln ist: „Es sind die Hacker, die beinahe wie Künstler eine Kultur der Zweckentfremdung, des konzeptionellen Bastelns (vgl. Balkin 1998) und der Umcodierung entwickelt haben. Iterativ ist ihr Vorgehen, mit Versuch und Irrtum, schnell und nah an der Rechenmaschine, immer neue Verzweigungen sowie Ebenen produzierend und die angestammten Kontexte der benutzten Elemente ignorierend. Ein ‚Hack‘ fügt Entferntes zusammen und macht es mit einem Mal logisch. Neue Ähnlichkeitssysteme entstehen. Ein Hacker ist oder war also jener, der sich sehr gut in der Materie auskennt, sie gleichsam schafft - und spielerisch mit ihren möglichen Erscheinungsformen operiert: ‚wild pleasure‘, wie es Steven Levy (1984) in seinem Buch Hackers so treffend nannte.“407

Die Nutzung von Produkten als Rohmaterial im Sinne einer Strategie der Aneignung zielt folglich nicht auf ein Herauslösen industriell hergestellter Objekte aus der anonymen Masse. Im Zentrum steht vielmehr die Aneignung bestimmter Bereiche der Alltagskultur, die durch die Schaffung eigener Produkte verändert und weiterentwickelt werden können. In der

406 | Liebl/Düllo/Kiel: „Before and After Situationism - Befor and After Cultural Studies: The Secret History of Coltural Hacking“, S. 15. 407 | Ebd., S. 13f.

Die gegenwärtige Produkt- und Konsumentenkultur

Folge entstehen „emanzipative Do-It-Yourself-Alltagskulturen“408, die mit ihrem Erfindungs- und Gestaltungsdrang verändernd auf die Gesellschaft einwirken können.

3.2.6 Zusammenfassung Die in Kapitel 3.1 beschriebene Steigerung der Komplexität von Waren und Warenangebot bewirkte auch auf Konsumentenseite, beim Umgang des Konsumenten mit Waren, eine Komplexitätserhöhung: Konsumenten haben Kompetenzen und Strategien entwickelt, um feine Unterschiede bei Produkten zu erkennen, zu benennen und souverän mit diesen Abstufungen umzugehen (siehe Kapitel 3.2.1). Eine differenzierte Selektionskompetenz wurde ausgebildet, zudem werden Bedeutungen nicht mehr dauerhaft an Objekte angeheftet. Eine neue, veränderliche, teilweise sogar der ursprünglichen Bestimmung widersprechende Sichtweise von Marken und Produkten wurde im Rahmen der schnellen Ausdifferenzierung der Märkte mitvollzogen. Die Temporalisierung von Bedeutungszuschreibungen (siehe Kapitel 3.2.2) generierte Erfahrungswissen und erweiterte die Selektionskompetenz. Diese wird nun dazu genutzt, um aus dem großen Fundus von Waren und Implikation eigene Ausdrucksformen und hybride Identitäten zu bilden (Kapitel 3.2.3). Die Fiktionalisierung als Strategie, um mit den kombinierten Bedeutungen eigene Wahrnehmungserlebnisse zu erzeugen, ist ein darauf folgender Akt, um die Komplexität der Umwelt für das „Projekt des schönen Lebens“409 zu instrumentalisieren (Kapitel 3.2.4). Produkte werden jedoch nicht nur in ihrer vorgegebenen Form genutzt. Mit Strategien der Aneignung werden Produkte aktiv aus der Anonymität des Massenmarktes herausgelöst in den eigenen Besitz überführt (Kapitel 3.2.5). Die Bandbreite dieser Strategien reicht von simplen Anpassungen (Kapitel 3.2.5 (a)) über weitreichende Modifikationen (Kapitel 3.2.5 (b)) bis hin zu selbst erzeugten Produkten auf Basis gesichtsloser Standardware (Kapitel 3.2.5 (c)). Die eigenständigen Aktivitäten der Konsumenten gehen mittlerweile so weit, dass von einer ‚Konsumguerilla‘410 gesprochen

408 | Richard/Ruhl/Wolff: „Prosumer, Smart Shopper, Crowdsourcing und Konsumguerilla: Ein Streifzug zur Einführung“, S. 13f. 409 | Schulze: Die Erlebnisgesellschaft : Kultursoziologie der Gegenwart, S. 35. 410 | Richard/Ruhl (Hrsg.): Konsumguerilla.

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Produktsprachen

werden kann, die mit Praktiken wie dem ‚Cultural Hacking‘411 aktiv in die Konsumkultur eingreifen.

3.3 Zusammenfassung Die Ausführungen in Kapitel 3 verdeutlichen, wie sich sowohl die Produktals auch die Konsumentenkultur in den vergangenen Jahren im Zuge eines wechselseitigen Prozesses ausdifferenzierten. Das Komplexitätsniveau beider Bereiche ist dabei exponentiell angestiegen – eine Analogie zu den Rahmenbedingungen, unter denen der im 2. Kapitel beschriebene designtheoretische Ansatz von Gros entstand. Im Zentrum meines Erkenntnisinteresses stehen auf der einen Seite die Verfeinerung der Produktaussagen, die über unterschiedliche Wahrnehmungskanäle aufgenommen werden, und die individuelle, zeitabhängige Bedeutungszuschreibung, die zunehmend zu Kontingenzerfahrungen bei der Rezeption von Produkten führt. Auf der anderen Seite liegt der Fokus auf produktiven Strategien der Nutzer im Rahmen von Aneignungsprozessen, die verändernd auf die Konsumkultur einwirken. Für Produktgestalter bringt das hohe Komplexitätsniveau der aktuellen Konsumkultur, das, wie oben nach Hörning et al. beschrieben, von Kontingenzen geprägt ist, Unsicherheiten mit sich. Boehe und Selle stellen schon 1986 in ihrem Buch über Anpassung und Eigensinn im Alltag des Wohnens fest: „So kann ein Ding zu ganz anderem Zweck gebraucht werden, als wofür es geplant und gestaltet wurde. Der Designer vermag den Gegenstand nur mit sehr allgemeinen Anmutungseigenschaften auszustatten; der Gebraucher nimmt ihm das Heft aus der Hand und gestaltet selbst, insoweit jeder Gebrauch teilweise selbstbestimmte Ordnungsprinzipien, Deutungslinien und Erfahrungsdimensionen schafft oder sich darauf bezieht. Hinter allen sozialen Normen und dem je gültigen zivilisatorischen Deutungsmodell der Dinge dehnen sich zahllose Variationen des persönlichen Wertempfindens, der Gebrauchsökonomie und -ästhetik aus, an die kein Designer je gedacht haben kann oder denken könnte, es

411 | Düllo, Thomas und Franz Liebl (Hrsg.): Cultural hacking: Kunst des strategischen Handeln, Wien, New York: Springer 2005.

Die gegenwärtige Produkt- und Konsumentenkultur

würde ihn nur verwirren. Sein Massenprodukt, dieses anonyme Ding, wird erst durch Aktivität, Erfahrung und Phantasie des Subjekts in dessen Lebenszusammenhang integriert.“412

Den Grund für den Zuwachs an Kontingenzen und Kontingenzerfahrungen sieht der Soziologe Hörning in der Ausdifferenzierung unserer Gesellschaft. Durch sie werden „die Handlungsprinzipien unklarer und widersprüchlicher, werden Normierungen vieldeutiger und Optionen vielfältiger. Und die sozialen Praktiken und Regelungen werden variabler und situationsunabhängiger, ohne sich gleich in Beliebigkeit aufzulösen.“413 Jede soziale Praxis, so auch die technische, enthalte somit Elemente des Regulären und Elemente des Offenen. Diese Offenheit ermöglicht darüber hinaus eine Temporalisierung, also eine zeitliche Verankerung und damit Begrenztheit von Bedeutungszuschreibungen. Hahn legt dies in seinem Band zur materiellen Kultur dar: „Das Pendeln um die semiotische Schwelle und die so ausgedrückte Unsicherheit in der Bedeutungszuordnung werden im folgenden immer wieder als Merkmal von Objektzeichen erscheinen. In bestimmten Situationen bedeuten die Dinge etwas, in anderen bedeuten sie nichts oder etwas anderes, das möglicherweise zur ersten Bedeutung im Widerspruch steht - in ihrer materiellen Gestalt brauchen sie sich deshalb nicht zu verändern [...] Das Dasein der Dinge ist durch ihre permanente materielle Gestalt gewährleistet, aber die oftmals nur vage empfundenen Möglichkeiten der Wahrnehmung sowie ihrer Bedeutung verändern sich immer wieder in kurzen Zeitabständen.“414

Geht man von der Ebene der Objekte und dem Anheften von Bedeutung an diese zum Themenkomplex der Kommunikation mit und über Produkte, so verdichtet sich das Geflecht möglicher Verweisungen und Unsicherheiten weiter. Denn die kontingenten Bedeutungen werden aufgegriffen und aktiv zur Identitätsbildung genutzt, gleichzeitig werden sie einzeln und im

412 | Selle/Boehe: Leben mit den schönen Dingen, S. 50. 413 | Hörning, Karl H.: Experten des Alltags: Die Wiederentdeckung des praktischen Wissens, 1. Aufl., Weilerswist: Velbrück Wissenschaft 2001, S. 23. 414 | Hahn: Materielle Kultur, S. 116.

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Produktsprachen

Zusammenhang kontingent gedeutet. Hellmann formuliert dies in seiner Soziologie der Marke folgendermaßen: „Die Spezifik des modernen Konsumstils fächert sich somit nicht nur in eine Vielzahl mehr oder weniger unterschiedlicher Konsumstile auf, von denen jeder eine eigene Sprache der Bedürfnisse kultiviert – sozusagen eine Ausdifferenzierung nach Geschmacks- oder Erlebnischancen -, sondern jeder Konsumstil kann zusätzlich noch als Projektionsf läche für persönliche Informationen und Mitteilungen eingesetzt werden, unabhängig davon, ob diese Möglichkeit in eigener Verantwortung gestaltet oder von außen bloß appliziert wird. ‚Persönlicher Stil wird zum Zeichen, an dem sich Individuen orientieren, um sich voneinander zu unterscheiden‘ (Schulze 1992, S. 178).“415

Aufgrund der Möglichkeit einer offenen, nicht abgeschlossenen Deutung von Produktaussagen und des großen Interpretationsspielraumes muss auch die Kommunikation über Produkte komplexer werden. Ein entsprechendes Kommunikationsmodell müsste kontingente Mitteilungen und Deutungen abbilden und diese somit beobachtbar machen können. Die Erarbeitung der Grundlagen für ein solches Modell ist das Ziel des folgenden Kapitels.

415 | Hellmann: Soziologie der Marke, S. 362.

4. Das Konzept der Sinndimensionen: Deutungsansatz auf Basis der



soziologischen Systemtheorie Die im dritten Kapitel thematisierte aktuelle Konsumsituation zeichnet sich durch ein neues Komplexitätsniveau aus. Dies betrifft sowohl die gestiegene Anzahl der einzelnen Elemente, die die Konsumkultur prägen, als auch die Verknüpfungen zwischen diesen. Gemeint sind hiermit zum einen Relationen auf der Ebene der Objekte, die durch Kombination, Ergänzung oder ein Zusammenschließen entstehen, zum anderen Vernetzungen auf der Ebene von Bedeutungen, die von Angehörigen unterschiedlicher Nutzergruppen jeweils andersartig konstruiert und an die Produkte angeheftet werden. Wir haben es also nicht nur mit einer Ausdifferenzierung der Konsumkultur zu tun, wie sie im Rahmen von Verfeinerung, Medienintegration, Inszenierung und Ensemblebildung beschrieben wurde. Produkte ‚bewegen sich‘ zusätzlich in einem multidimensionalen Raum, der sich aus einem Netz unterschiedlicher Wahrnehmungsmuster, Informationsangebote und Mitteilungsbedürfnisse zusammensetzt, wie im Rahmen der Konsumentenkultur erläutert wurde. Kontingenzerfahrungen scheinen vor diesem Hintergrund nicht nur möglich, sondern wahrscheinlich. Ein vergleichbarer Sprung im Komplexitätsniveau erfolgte in der westdeutschen Konsumkultur in den 1960er-Jahren. Albus und Borngräber beschrieben dies folgendermaßen: „Der Wille zur Komplexität der Postmoderne war die Antwort auf die öde Ordnung des Funktionalismus.“416 Wie im 2. Kapitel erläutert, evozierte dies einen neuen designtheoretischen Ansatz, der die entstandene Bedeutungsvielfalt abbilden und Zusammenhänge aufdecken konnte. Im Folgenden soll ein theoretischer Ansatz formuliert werden, der auf der einen Seite die genannte Komplexität der aktuellen Konsumkultur durch Strukturierung und Vereinheitlichung zu reduzieren hilft, um Deutungen zuzulassen, auf der anderen Seite durch seine Offenheit und seine Handhabung von Kontingenzen diese Komplexität aber auch im Blick be-

416 | Albus/Borngräber: Design Bilanz, S. 33.

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Produktsprachen

hält und für andere Deutungsperspektiven bereitstellt. Die soziologische Systemtheorie und das von Luhmann formulierte dreiteilige Kommunikationsmodell bieten die theoretische Grundlage, um diesen Ansprüchen gerecht zu werden. Das Konzept der Sinndimensionen wird zur Strukturierung der Bedeutungshorizonte herangezogen. Am Ende des Kapitels soll der Erkenntnisgewinn durch dieses Modell herausgestellt werden.

4.1 Von der Informationsübertragung zur Informationskonstruktion: Perspektivwechsel in den Designwissenschaften 4.1.1 Der radikale Konstruktivismus als Basis Ein erkenntnistheoretischer Paradigmenwechsel, der mit dem Begriff des ‚radikalen Konstruktivismus‘ bezeichnet wird, bildet den Ausgangspunkt für Niklas Luhmanns ‚Theorie sozialer Systeme‘. Die Soziologin Helga Gripp-Hagelstange fasst in ihrer erkenntnistheoretischen Einführung in das Werk Luhmanns diesen Wechsel als einen Übergang von der „Welt der Natur“ zur „Welt der Unwahrscheinlichkeiten“417 zusammen, denn nach dem radikalen Konstruktivismus gibt es keinen direkten Zugang zur Realität: Das, was alltagssprachlich unter Realität verstanden wird, ist vielmehr Ergebnis individueller Denkprozesse, die aus Sinnesreizen und deren Verknüpfung mit bisherigen Erfahrungen erzeugt wird. Realität wird also nicht passiv wahrgenommen, sondern aktiv von den Individuen ‚erfunden‘. Da in der Folge alles ‚Existente‘ nur noch relativ zu einem Beobachter, dessen Wahrnehmung und Konstruktionsleistung gesehen werden muss, können auch keine neutralen Erkenntnisse bzw. objektive Wahrheiten mehr festgehalten werden. Ernst von Glaserfeld formuliert dies folgendermaßen: „Der radikale Unterschied liegt in dem Verhältnis zwischen Wissen und Wirklichkeit. Während die traditionelle Auffassung in der Erkenntnislehre sowie in der kognitiven Psychologie dieses Verhältnis stets als eine mehr oder weniger bildhafte (ikonische) Übereinstimmung oder Korre-

417 |Gripp-Hagelstange, Helga: Niklas Luhmann: eine erkenntnistheoretische Einführung, 2., verb. Aufl., München: Fink 1997, S. 25. 

Das Konzept der Sinndimensionen

spondenz betrachtet, sieht der radikale Konstruktivismus es als Anpassung im funktionalen Sinn.“418

Dieser erkenntnistheoretisch neue Ansatz wurde in den 1970er-Jahren auf Basis mehrerer Aufsätze von Wissenschaftlern aus den Bereichen Biologie, Neurophysiologie, Kybernetik, Psychologie etc. formuliert. Luhmann bezieht sich in seinen Arbeiten vor allem auf Aufsätze des Biophysikers Heinz von Foerster, des Kommunikationswissenschaftlers Ernst von Glaserfeld sowie des Neurobiologen Humberto Romesín Maturana. Aus dem Bereich der Neurophysiologie führt von Foerster das ‚Prinzip der undifferenzierten Codierung‘ ein: „Die Erregungszustände einer Nervenzelle codieren nur die Intensität, aber nicht die Natur der Erregungsursache. (Codiert wird nur: ‚So-undso-viel an dieser Stelle meines Körpers‘ aber nicht ‚was‘.)“419

Grund hierfür ist, dass jede Sinneszelle, egal ob sie beispielsweise Helligkeit (Auge), Geräusch (Ohr) oder Druck (Haut) meldet, immer nur einen elektrischen Impuls weiterleitet – die Intensität des Sinneseindrucks wird durch die Menge an Impulsen in einer Zeiteinheit mitgeteilt. Dem Gehirn steht also – egal, um welchen Sinneseindruck es sich handelt – statt der Information ‚was‘ immer nur die Information ‚wie viel‘ und ‚woher‘ zur Verfügung. 420 Der „überwältigende Reichtum unserer Empfindungen, die Mannigfaltigkeit unseres Erlebens einer bunten, tanzenden, singenden Welt“421 entsteht folglich aus einer „internen Interpretation undiffe-

418 | Glaserfeld, Ernst von: „Einführung in den radikalen Konstruktivismus“, in: Watzlawick, Paul (Hrsg.): Die Erfundene Wirklichkeit: Wie wissen wir, was wir zu wissen glauben? Beiträge zum Konstruktivismus, München: R. Piper 1981, S. 16–38, hier S. 19. 419 | von Foerster: „Erkenntnistheorien und Selbstorganisation“, in: Schmidt, Siegfried J. (Hrsg.): Der Diskurs des radikalen Konstruktivismus, 1. Aufl., Frankfurt am Main: Suhrkamp 1987, S. 138.Das Prinzip der „undifferenzierten Codierung“ wird in folgendem Artikel ausführlicher hergeleitet: von Foerster, Heinz: „Das Konstruieren einer Wirklichkeit“, in: Watzlawick, Paul (Hrsg.): Die Erfundene Wirklichkeit: Wie wissen wir, was wir zu wissen glauben? Beiträge zum Konstruktivismus, München: R. Piper 1981, S. 39–60. 420 | von Foerster: „Erkenntnistheorien und Selbstorganisation“, S. 138f. 421 | Ebd., S. 140.

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renzierter externer Reize“422, ist also ein Ergebnis interner Prozesse und kein Abbild einer realen Umwelt. Durch die Gleichförmigkeit der Reize müssen im System ‚Gehirn‘ folglich Prozesse in Gang gesetzt werden, die unterschiedliche Erfahrungen erzeugen. Da hierfür nur gleiche elektrische Impulse zur Verfügung stehen, spricht von Foerster auch von einer ‚Selbstbezüglichkeit‘ des Systems, das in der Folge ‚Eigenwerte‘, also interne Lösungen für das Problem gleicher Reize, erzeugt. Damit spricht er das Thema der operationalen Geschlossenheit an – im folgenden Abschnitt wird dies aus der Perspektive des Biologen weiter ausgeführt. Humberto Romesín Maturana nähert sich dem Thema der Kognition nicht, indem er sie als eine menschliche Eigenschaft betrachtet. Vielmehr sieht er Kognition als Ergebnis biologischer Prozesse423 – dadurch werde sie einer empirischen Erforschung zugänglich. Er verweist auf die „Subjektabhängigkeit jeder Erkenntnis bzw. Beobachtung“424 und führt damit die für die soziologische Systemtheorie wichtige Figur des Beobachters ein: „Was immer gesagt wird, wird von einem Beobachter zu einem anderen Beobachter gesagt, der er selbst sein könnte [Herv. im Orig., Anm. d. Verf.]. Wir sind Beobachter und lebende Systeme, und als lebende Systeme sind wir Beobachter. Was auch immer auf lebende Systeme zutrifft, das trifft auch auf uns zu. Darum besteht meine Aufgabe darin, Sprache zu benutzen, um lebende Systeme zu beschreiben und zu zeigen, wie sie eine Sprache entwickeln und Beobachter werden können wie wir, und dabei Kognition anwenden, um Kognition zu analysieren.“425

Diese Feststellung impliziert gleich mehrere Annahmen: Der Sprache wird eine zentrale Rolle eingeräumt, denn sie diene als „Instrument der

422 | Baraldi, Claudio: GLU: Glossar zu Niklas Luhmanns Theorie sozialer Systeme, 2. Aufl., Frankfurt am Main: Suhrkamp 1998, S. 100. 423 | Maturana, Humberto R.: „Kognition“, in: Schmidt, Siegfried J. (Hrsg.): Der Diskurs des radikalen Konstruktivismus, 1. Aufl., Frankfurt am Main: Suhrkamp 1987, S. 89–118, hier S. 89. 424 | Köck, Wolfram Karl: „Kognition - Semantik - Kommunikation“, in: Schmidt, Siegfried J. (Hrsg.): Der Diskurs des radikalen Konstruktivismus, 1. Aufl., Frankfurt am Main: Suhrkamp 1987, S. 340–373, hier S. 363. 425 |Maturana: „Kognition“, S. 91.

Das Konzept der Sinndimensionen

Darstellung, der Mitteilung und der Analyse.“426 Daneben nutzt Maturana die Möglichkeit des Beobachters, lebende Systeme auf zwei Ebenen gleichzeitig zu betrachten und zu beschreiben: zum einen das lebende System als abgeschlossene Einheit, auf der anderen Seite das lebende System in einem Medium, mit dem es interagiert (Energie und Stoffe austauscht, wahrnimmt und sich äußert). Werden lebende Systeme als abgeschlossene Einheit beobachtet, so erscheinen alle inneren Prozesse als zirkulär und auf das Ziel ausgerichtet, die Einheit des Organismus zu formen. 427 „Alles was einem System geschieht, geschieht dadurch, dass in einer unendlichen (genauer: lebenslangen) Schleife alle Zustandsänderungen des Systems Input der nächsten Zustandsänderung sind. Diese rekursive Prozessdynamik ist die notwendige Bedingung für die Aufrechterhaltung der Existenz des Systems.“428

Maturana bezeichnet diese Selbstherstellung des Systems als ‚Autopoiesis‘, ein Begriff, der auch für Luhmanns Arbeiten von zentraler Bedeutung ist. Die Beobachtung der Wechselwirkungen zwischen System und Medium wird demgegenüber erst durch die Position des Beobachters möglich, da der Bezug des beobachteten Systems zu seiner Umwelt „immer bei der Irritation von Sinneszellen endet; seine Sicht der Dinge ist zwangsläufig blind.“429 Der Philosoph und Kommunikationswissenschaftler Ernst von Glaserfeld befasst sich mit dem Problem, wie Erkenntnis ohne einen direkten Zugang zu einer Realität überhaupt möglich sein könne. Denn alles Wissen bestehe aus individuellen Konstruktionen, die keine direkte Entsprechung mit realen Gegenständen oder Vorgängen habe. Objektivität ist in diesem Rahmen nicht mehr denkbar – trotzdem sind Konstruktionen nicht willkürlich:

426 | Ebd., S. 90. 427 | Krohn, Wolfgang und Holk Cruse: „Das Prinzip der Autopoiesis“, in: Baecker, Dirk (Hrsg.): Schlüsselwerke der Systemtheorie, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2005, S. 281–289, hier S. 283. 428 | Ebd., S. 285. 429 | Ebd., S. 284.

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„Alles, was man konstruiert, ist ‚als ob‘. D. h., man konstruiert es als versuchsweise Annahme. Das heißt aber nicht, daß ein ‚Als ob‘ ebenso gut ist wie ein anderes ‚Als ob‘. Man übernimmt die Konstruktion ja aus bestimmten Gründen; und im Rahmen der jeweiligen Gründe funktionieren mehrere Konstruktionen gleich gut.“430

Um zu veranschaulichen, wie es möglich ist, Konstruktionen als ‚falsch‘ herauszufiltern, ohne eine Gewissheit über ‚richtig‘ zu haben, führt er das Beispiel eines Schlosses an. Ein Schlüssel passe in ein Schloss, wenn er es öffnet. Das Passen beschreibe in diesem Rahmen eine Eigenschaft des Schlüssels und nicht des Schlosses, denn es existierten durchaus mehrere Schlüssel für eine Tür – vor allem Verbrecher nutzten diese Eigenschaft. 431 Das Wort ‚passen‘ beschreibe diese Form der Erkenntnis im Gegensatz zum Wort ‚stimmen‘, das von einer Übereinstimmung ausgehe. 432 Diesen Sachverhalt fasst er später im Begriff der ‚Viabilität‘: „Und den Begriff der Viabilität möchte ich, wenn ich das so grob tun darf, als die Hälfte dessen definieren, was wir gewöhnlich unter ‚passen‘ verstehen. Wenn ich mir ein paar Schuhe kaufen muß, dann suche ich solche, die mir weder zu klein noch zu groß sind. Der Begriff der Viabilität, den ich mir zurechtgelegt habe, zieht lediglich das Zukleinsein in Betracht; wenn ein Schuh nicht drückt, ist es völlig belanglos, wieviel Spielraum er meinem Fuß läßt. Bei Schuhen wäre das freilich unangemessen, denn wenn mein Fuß darin herumrutscht, bekomme ich unweigerlich Blasen. In der biologischen Anpassung jedoch ist es gleichgültig, wieviel Spielraum der Organismus zwischen den Hindernissen hat, die die Umwelt ihm in den Weg stellt – was zählt, ist einzig und allein, daß er durchkommt. Ebenso ist es nicht nur gleichgültig, sondern schlechthin unerkundbar, wie weit Theorien, die die Wissenschaft auf baut, von der ontischen ‚Wirklichkeit‘ entfernt sind – was zählt ist, daß sie die

430 | Glaserfeld, Ernst von und Forschergruppe am Lehrstuhl Germanistik IV an der Universität Siegen NIKOL: „Siegener Gespräche über Radikalen Konstruktivismus. Ernst von Glaserfeld im Gespräch mit NIKOL (1982, 1984).“, in: Schmidt, Siegfried J. (Hrsg.): Der Diskurs des radikalen Konstruktivismus, 1. Aufl., Frankfurt am Main: Suhrkamp 1987, S. 400–440, hier S. 411. 431 |  Glaserfeld: „Einführung in den radikalen Konstruktivismus“, S. 20. 432 | Ebd., S. 19.

Das Konzept der Sinndimensionen

Probleme der Erlebniswelt, derentwegen sie konstruiert wurden, einigermaßen lösen.“433

Elena Esposito fasst die Besonderheit des Konstruktivismus in der Aussage zusammen, dass jede Erkenntnis nur eine Beobachtung sei und diese nur relativ zu den Kategorien eines bestimmten Beobachters gesehen werden könne. Durch ein rekursives Netzwerk von Beobachtungen könne die Realität zwar nicht widergespiegelt werden, trotzdem könnten durch Selbstregulierung Zustände erreicht werden, die mit der Realität kompatibel seien. 434 Bezieht man diese Erkenntnisse auf den Forschungsgegenstand der Designwissenschaften, so erscheinen kontingente Produktdeutungen durch die jeweils individuelle Konstruktion von Realität augenfällig. Ebenso lassen sich im Rahmen der Viabilität ‚akzeptable‘ Deutungsmöglichkeiten von nicht passenden unterscheiden.

4.1.2 Die soziologische Systemtheorie als Bezugsrahmen In den folgenden Abschnitten soll ein skizzenhafter Überblick über die Eckpunkte der von Niklas Luhmann formulierten Theorie sozialer Systeme gegeben werden. In dem Zuge sollen die in den nächsten Kapiteln verwendeten Begriffe und Sachverhalte in Beziehung zum Theoriekomplex gesetzt werden. Im 1987 veröffentlichten Band mit dem Titel ‚Soziale Systeme‘ stellte Luhmann sein neu entwickeltes Theoriegebäude mit universalem Anspruch erstmals umfassend und in sich geschlossen vor. Dieser – von ihm selbst als ‚Grundriss einer allgemeinen Theorie‘ bezeichnete Band – diente als theoretisches Fundament für seine weiteren Arbeiten. Er wollte darin das menschliche Vermögen erweitern, „die Komplexität der Welt zu erfassen und zu reduzieren“ 435, wie er im Aufsatz ‚Soziale Aufklärung‘ schrieb.

433 | Glaserfeld/NIKOL: „Siegener Gespräche über Radikalen Konstruktivismus. Ernst von Glaserfeld im Gespräch mit NIKOL (1982, 1984).“, S. 439f. 434 | Baraldi: GLU: Glossar zu Niklas Luhmanns Theorie sozialer Systeme, S. 101ff. 435 | „Ihr innerer Zusammenhang legt eine bestimmte Deutung des Aufklärungsgedankens nahe, nämlich die Deutung als Erweiterung des menschlichen Vermögens, die Komplexität der Welt zu erfassen und zu reduzieren.“ Luhmann, Niklas: Soziologische Aufklärung 1: Auf-

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Ausgangspunkt seiner Überlegungen waren „rasante Entwicklungen“ im Forschungsfeld der allgemeinen Systemtheorie, an die er die soziologische Theoriebildung anschließen wollte, um auch hier einen Paradigmenwechsel einzuleiten 436. Im Zentrum des Ansatzes stehen Systeme als ordnende Elemente mit einem spezifizierten Innen und einem spezifizierten Außen. Dabei impliziert die Annahme der Existenz von Systemen zugleich eine Differenz von System und Umwelt. 437 In einem Schaubild (siehe Abb. 26) stellt Luhmann die Systemarten Maschinen, Organismen, soziale Systeme und psychische Systeme vor.

Abbildung 26: Skizze der drei Analyseebenen der Systemtheorie.

Bis auf Maschinen zeichnen sich die oben genannten Systemarten durch ihre ‚Autopoiesis‘ aus – ein Begriff, den Luhmann der biologischen Theorie Maturanas entnimmt, den Bezugsrahmen jedoch deutlich erweitert. Denn auch die Operationen von sozialen Systemen (Kommunikation) und psychischen Systemen (Gedanken) konstituieren und reproduzieren diese Systeme unter Verwendung der jeweils eigenen Elemente. 438 Luhmann führt dies folgendermaßen aus: „Es gibt selbstreferentielle Systeme. Das heißt zunächst nur in einem ganz allgemeinen Sinne: Es gibt Systeme mit der Fähigkeit, Beziehungen zu sich selbst herzustellen und diese Beziehungen zu differenzieren ge-

sätze zur Theorie sozialer Systeme, Bd. 1, 5. Aufl., Wiesbaden: VS, Verl. für Sozialwiss. 2005, S. 85. 436 | Luhmann: SoSy, S. 15. 437 | Krause, Detlef: Luhmann-Lexikon: Eine Einführung in das Gesamtwerk von Niklas Luhmann., 3., neu bearb. und erw. Aufl., Stuttgart: Lucius und Lucius 2001, S. 207. 438 | Baraldi: GLU: Glossar zu Niklas Luhmanns Theorie sozialer Systeme, S. 29.

Das Konzept der Sinndimensionen

gen Beziehungen zu ihrer Umwelt.“439 […] „Systeme sind nicht nur gelegentlich und adaptiv, sie sind strukturell an ihrer Umwelt orientiert und könnten ohne Umwelt nicht bestehen. Sie konstituieren und sie erhalten sich durch Erzeugung und Erhaltung einer Differenz zu ihrer Umwelt, und sie benutzen ihre Grenzen zur Regulierung dieser Differenz.“440

Autopoietische Systeme zeichnen sich durch ihre operative Geschlossenheit, durch Selbstreferenz als Grundlage für die Autonomie des Systems und durch ihre Abgrenzung zur Umwelt aus. Analog zu Maturana kann die Unterscheidung zwischen System und Umwelt nur durch einen Beobachter erfolgen, denn Systeme referenzieren nur auf sich selbst und kennen damit das ‚Außen‘ ihrer Umwelt nicht. Eine Ausnahme bilden Systeme „auf einem gewissen Komplexitätsniveau“441, die sich zeitlich versetzt auch selbst beobachten können. Darüber hinaus können Systeme sich selbst in weitere Subsysteme ausdifferenzieren – diese übernehmen dann Teilaufgaben der in ihre Umwelt gewechselten übergeordneten Systeme: „Innerhalb von Systemen kann es zur Ausdifferenzierung weiterer System/Umwelt-Differenzen kommen. Das Gesamtsystem gewinnt damit die Funktion einer ‚internen Umwelt‘ für die Teilsysteme, und zwar für jedes Teilsystem in je spezifischer Weise. Die System/Umwelt-Differenz wird also redupliziert, das Gesamtsystem multipliziert sich selbst als Vielheit interner System/Umwelt-Differenzen. Jede Differenz von Teilsystem und interner Umwelt ist wiederum das Gesamtsystem – aber dies in je verschiedener Perspektive.“442

Ausdifferenzierungsprozesse nehmen im Theoriegebäude der soziologischen Systemtheorie eine wichtige Rolle ein. Beispielsweise erklären sie den Übergang von einer stratifikatorischen in eine moderne Gesellschaftsform. Während die europäische Gesellschaft im Mittelalter noch vornehmlich mit Rollendifferenzierungen und semantischen Unterscheidungen ausgekommen war, begann im 14. Jahrhundert aufgrund komplexerer Beziehungen zwischen den Gesellschaftsteilen eine funktionale Differen-

439 | Luhmann: SoSy, S. 31. 440 | Ebd., S. 35. 441 | Baraldi: GLU: Glossar zu Niklas Luhmanns Theorie sozialer Systeme, S. 32.. 442 | Luhmann: SoSy, S. 37f.

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zierung. Bei ihr wurden spezifische Funktionen und deren Kommunikationsebenen auf Teilsysteme mit Universalzuständigkeit konzentriert (etwa Politik, Recht, Wirtschaft etc.), was laut Luhmann zu einer „neuartigen Kombination von Universalismus und Spezifikation“443 führte. 444 Wie oben bereits angedeutet, gilt Luhmanns besonderes Interesse den sozialen Systemen, sie operieren mittels Kommunikation. Da sie ebenfalls autopietisch agieren, finden Kommunikationen als systemeigene Operationen statt, die an die jeweils vorangegangenen Kommunikationen anschließen – und somit als operational geschlossen bezeichnet werden können. Der Mensch als Einheit ist nicht Bestandteil sozialer Systeme, auch nicht in Form von psychischen oder organischen Systemen. Er besitzt als psychisches System in der Umwelt sozialer Systeme allerdings die besondere Fähigkeit, „Kommunikation zu stören, zu reizen oder zu irritieren.“445 „Bemerkenswert daran ist vor allem, dass die Kommunikation sich nur [Herv. im Orig., Anm. d. Verf.] durch Bewusstsein reizen läßt, und nicht durch physikalische, chemische, biochemische, neurophysiologische Operationen als solche. Radioaktivität, Smog, Krankheiten aller Art mögen zunehmen oder abnehmen; das hat keinen Einf luß auf die Kommunikation, wenn es nicht wahrgenommen, gemessen, bewußt gemacht

443 | Luhmann, Niklas: Die Gesellschaft der Gesellschaft, Bd. Teilband 2, 1. Aufl., Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag 1998, S. 709. 444 | „Wenn die Gesellschaft von Stratifikation zu funktionaler Differenzierung übergeht, muß sie auch auf die demografischen Korrelate ihres internen Differenzierungsmusters verzichten. Sie kann dann die Menschen, die zur Kommunikation beitragen, nicht mehr auf ihre Teilsysteme aufteilen, wie es im Schema der Stratifikation oder bei Zentrum/Peripheriedifferenzierungen noch möglich gewesen war. Man kann nicht Menschen den Funktionssystemen derart zuordnen, dass jeder nur einem System angehört, also nur am Recht, aber nicht an der Wirtschaft, nur an der Politik, aber nicht am Erziehungssystem teilnimmt. […] Die Konsequenz ist, daß die Menschen dann als Umwelt des Gesellschaftssystems begriffen werden müssen (wie wir es von Anfang an getan haben) und daß auch das letzte Band, das ein „matching“ von System und Umwelt zu garantieren schien, gerissen ist.“ Ebd., S. 744. 445 | Kneer, Georg und Armin Nassehi: Niklas Luhmanns Theorie sozialer Systeme: eine Einführung, 4. Aufl., München: Fink 2000, S. 69.

Das Konzept der Sinndimensionen

wird und dann den Versuch stimuliert, darüber nach Regeln der Kommunikation zu kommunizieren.“446

Da an Kommunikation stets mindestens zwei Bewusstseinssysteme beteiligt sind, hat ein einzelnes keinen direkten Einfluss darauf – ein einzelnes System kann auch nicht selbst Kommunikation hervorbringen. Soziale und psychische Systeme operieren folglich stets getrennt, sind jedoch durch ihr besonderes Verhältnis ‚strukturell gekoppelt‘. Das heißt, die Systeme stellen „die eigene Komplexität (und damit: Unbestimmtheit, Kontingenz und Selektionszwang) zum Auf bau eines anderen Systems zur Verfügung [Herv. im Orig., Anm. d. Verf.]“447 – und dies wechselseitig. Bewusstseinssysteme kommunizieren nicht selbst, sondern nehmen lediglich an Kommunikation teil. Es gibt nicht ein soziales System, sondern immer eine Vielfalt sozialer Systeme. 448 Luhmann unterscheidet diese anhand ihres Umfangs und gliedert sie in Gesellschaften, Organisationen und Interaktionen. ‚Gesellschaften‘ stellen füreinander erreichbare bzw. aufeinander Bezug nehmende Kommunikationen bereit. ‚Organisationen‘ kommunizieren auf Basis von Entscheidungen in formalisierten Erwartungsstrukturen. Bei ‚Interaktionen‘ werden Wahrnehmungen und personale Zurechnungen als Ausgangspunkte aneinander anschließender Kommunikationen genutzt. 449 Bewusstseinssysteme können parallel unterschiedlichen Teilsystemen von Gesellschaften, Organisationen und Interaktionen angehören, wie Elke Reinhard-Becker und Frank Becker in ihrer Einführung in die Systemtheorie erläutern: „Jeder Mensch, und das ist gerade ein Kennzeichen der in verschiedene Funktionssysteme ausdifferenzierten modernen Gesellschaft, wechselt ständig zwischen verschiedenen Systembezügen hin und her.“450

446 | Niklas Luhmann, ‚Wie ist Bewußtsein an Kommunikation beteiligt?‘, in Materialität der Kommunikation, Hrsg. von Hans Ulrich Gumbrich, Karl Ludwig Pfeiffer und Monika Elsner (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1988), S. 884–905 (S. 893); zitiert nach Ebd., S. 69f. 447 | Luhmann: SoSy, S. 290. 448 | Krause: Luhmann-Lexikon, S. 215. 449 | Ebd., S. 135ff. 450 | Becker, Frank und Elke Reinhardt-Becker: Systemtheorie: eine Einführung für die Geschichts- und Kulturwissenschaften, Frankfurt am Main: Campus Verlag 2001, S. 53.

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Der Wechsel zwischen Systembezügen kann dabei nur von einem Beobachter beobachtet bzw. von einem Beobachter dem System zugeschrieben werden. Diese stark komprimierte Darstellung einiger Grundzüge der soziologischen Systemtheorie bietet bereits erste Anknüpfungspunkte für designwissenschaftliche Fragestellungen. Gesellschaften lassen sich demnach in unterschiedliche Teilsysteme aufgliedern – bezogen auf Kommunikationen über Produkte beispielsweise in ein Kultursystem, ein Wirtschaftssystem, ein System der Massenmedien oder im Kontext des Urheberrechts beispielsweise in das Rechtssystem. Auch weniger umfassende Formen der Vergemeinschaftung lassen sich auf diese Weise differenzieren, beispielsweise unterschiedliche Lebensstile, subkulturelle Gruppierungen sowie ‚Spezial-Interest‘-Gruppen wie Heimwerker, Fahrradurlauber oder Hifi-Freunde (für die beispielsweise jeweils ein eigenes Zeitschriftenangebot zur Verfügung steht). Die Ausdifferenzierung in immer kleinere Teilbereiche erscheint in diesem Rahmen nicht als ‚Problem‘ moderner Gesellschaften, sondern vielmehr als Reaktion auf Unsicherheiten und steigende Komplexitätsniveaus, wie Hörning, Ahrens und Gerhard anhand von Lebensstilen darlegen: „Das Neue an dieser Art der Vergesellschaftung ist mithin ihre ambivalente Struktur, die eigendynamisch immer wieder neue Formen hervortreibt: neue Ausprägungen, neue Ansprüche, neue Konfigurationen, neue Versionen und Entwürfe. Lebensstile antworten auf die zunehmende Erfahrbarkeit von Komplexität und Kontingenz in der ref lexiven Moderne. Herausgefordert durch die permanente Notwendigkeit, Eindeutigkeiten zu produzieren, stellen Lebensstile quasi die Schließungen von Kontingenzen und Ambivalenzen dar. Lebensstile sind nicht ‚auf Dauer‘ gestellt 451 , sondern zeichnen sich vielmehr durch einen hohen Temporalisierungsgrad aus. Der Lebensstil profitiert mithin davon, dass

451 | Hörning verweist hier auf Pierre Bordieu: „Dass Bourdieus „feines Spiel der Unterscheidungen“ (1987) in gewisser Weise statisch anmutet, liegt zum einen an seiner ökonomischen Durchbuchastbierung des Lebensstils, andererseits an seinem zugrunde liegenden Habituskonzept, wonach der Habitus als festsitzende, in „Fleisch und Blut“ übergegangene Disposition, die „blind“ wirkt, betrachtet wird (vgl. z.B. Miller 1989, Botin 1991)“ zitiert nach Hörning/Ahrens/Gerhard: „Die Autonomie des Lebensstils: Wege zu einer Neuorientierung der Lebensstilforschung.“, S. 50.

Das Konzept der Sinndimensionen

auf subjektiver wie struktureller Ebene in historisch unvergleichlichem Ausmaß Individualisierungs- und Spezialisierungsansprüche geltend gemacht werden, die allein individuell nicht aufzufangen und abzuarbeiten sind.“452

Besitzen Unterscheidungen und Grenzziehungen immer nur temporäre Gültigkeit, bildet der Prozess, der diese Differenzen hervorbringt, gar die Grundlage unseres aktuellen Gesellschaftssystems453, so richtet sich der Fokus designwissenschaftlicher Analysen nicht mehr auf die Objekte mit scheinbar fest angehefteten Bedeutungen, sondern auf Prozesse zur Generierung gemeinsamer Bedeutungen und Lesbarkeiten. Der Art und Weise, wie sich soziale Systeme über Kommunikation konstituieren und differenzieren, soll darum in den folgenden Abschnitten genauer nachgegangen werden.

4.2 Produkt-Kommunikations-Systeme:Analyserahmen für einen rezeptionsbasierten Ansatz 4.2.1 Von der Informationsübertragung zur Informationskonstruktion – Luhmanns Kommunikationsmodell Das von Luhmann formulierte dreiteilige Kommunikationsmodell unterscheidet sich aufgrund des radikal-konstruktivistischen theoretischen Zugangs grundlegend von der Vorstellung, Kommunikation laufe zwischen Sender und Empfänger mittels Übertragung von Information ab, denn eine solche Übertragung von Information kann es in oder zwischen autopoietischen Systemen nicht geben. Wenn Systeme operational geschlossen sind, können sie weder Informationen an ihre Umwelt abgeben, noch solche aus dieser aufnehmen. Auch aus einer anderen Perspektive werden die

452 | Ebd., S. 37. 453 | Auch von Mutius sieht immer weiter gehende Differenzziehungen als eine Voraussetzung für gesellschaftliche Entwicklung an: „Die modernen Systemtheorien zeigen übrigens, daß Gemeinschaften gar nicht anders können, als sich durch Grenzziehungen, d. h. durch kommunikativ geprägte Unterscheidungen zu formen und ihre Identität auszubilden: System und Umwelt, Eigenes und Fremdes, Innen und Außen müssen bezeichnet und damit unterschieden werden.“ Mutius: Die Verwandlung der Welt, S. 263.

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grundlegenden Unterschiede deutlich: Das Sender-Empfänger-Modell legt nahe, dass der wesentliche Akt der Kommunikation im ‚Senden‘ bzw. in der ‚Übertragung‘ von etwas liegt. Folglich liegt die Aufmerksamkeit bei der Betrachtung von Kommunikation in erster Linie beim ‚Mitteilenden‘, dessen ‚Geschicklichkeit‘ erfolgreiches Kommunizieren möglich macht. Luhmann sieht im Gegensatz dazu in der Mitteilung nicht mehr als eine ‚Anregung‘, auf deren Basis eine Kommunikation zustande kommen könnte454. In seinem Modell liegt der Fokus auf der Konstruktion einer Information, die von der ‚Geschicklichkeit‘ des Verstehenden abhängt. Kommunikation wird von Luhmann anhand eines dreistelligen Selektionsprozesses beschrieben: Dieser umfasst die Auswahl einer Information, die Selektion, ob und wie diese Information mitgeteilt wird, und das selektive Verstehen als der Differenz zwischen Information und Mitteilung. Das Verstehen selbst kann erst im Zuge einer Anschlusskommunikation erfasst werden, wenn einzelne Kommunikationsakte aufeinander Bezug nehmen und dadurch die Autopoiesis dieses Kommunikationssystems sichern. 455 Ein Beispiel der Soziologen Georg Kneer und Armin Nassehi macht dies anschaulich. 456 Es legt die drei Selektionsprozesse anhand eines Gesprächs zwischen einer Ärztin und einem Patienten dar. Zur Situation: Die Ärztin fragt den Patienten, wie es ihm gehe – der Patient antwortet in einer Anschlusskommunikation, dass er Schmerzen im rechten Arm habe – die Ärztin erkundigt sich in einer weiteren Anschlusskommunikation, wann diese Schmerzen aufgetreten seien. Eine Rekonstruktion der einzelnen Selektionen dieses Kommunikationssys-

454 | Luhmann: SoSy, S. 193f. 455 | Kommunikationssysteme vereinfachen im Rahmen ihres Prozessierens Kommunikation, indem sie den dreiteiligen Prozess auf eine Mitteilungs-Handlung reduzieren, die einer Person (als Konstrukt einer Einheit von psychischen, biologischen etc. System in der Kommunikation) also dem mitteilenden als Handlung zugeschrieben wird (vgl. hierzu Kneer/Nassehi: Niklas Luhmanns Theorie sozialer Systeme, S. 87ff.) Da es im hier dargelegten Rahmen jedoch gerade um die Konstruktionsleistung des Verstehenden geht, wird auf diesen Sachverhalt nicht weiter eingegangen. 456 | Auf dieses Beispiel habe ich bereits im Rahmen eines Konferenzbeitrags zurückgegriffen: Schwer, Thilo: „Black box consumption? From the targeted transfer of information to the context-based allocation of meaning“, in: Feijs, Loe (Hrsg.): Design and semantics of form and movement: DeSForM 2008, Eindhoven: Philips 2008, S. 66–69, hier S. 68.

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tems verknüpft die oben vorgestellten theoretischen Sachverhalte mit dem aus dem Alltag entlehnten Beispiel: 1. Selektion ‚Information‘: Der Gesprächskontext gibt einen Verweisungshorizont vor. Die Ärztin entscheidet sich dafür, eine Information aus diesem Verweisungshorizont auszuwählen und mitzuteilen. Auch die Frage „Wie geht es Ihnen?“ enthält eine Information. In unserem Beispiel hat die Ärztin nun Zeit, sich um den Patienten zu kümmern. Sie wählt diese Information aus und entscheidet, sie mitzuteilen. 2. Selektion ‚Mitteilung‘: Die Ärztin wählt neben der Information, dass sie nun Zeit für den Patienten hat, die Mitteilungsart. Sie teilt die Information über Sprache und die genannte Frage mit, nicht mit einer Geste, über Blickkontakt oder mit anderen Worten. 3. Selektion ‚Verstehen‘: Erst durch das Verstehen dieser Informations-/ Mitteilungs-Differenz und das Mitteilen des Verstehens in einer Anschlusskommunikation wird der Kommunikationsakt abgeschlossen. Die Antwort des Patienten ‚Ich habe Schmerzen im rechten Arm‘ zeigt sein Verstehen an, ist aber gleichzeitig Resultat einer weiteren Informations-/MitteilungsDifferenz. Der Patient könnte die Frage der Ärztin auch auf andere Weise verstehen und dies beispielsweise durch den Satz ‚Bis auf den Ärger mit meiner Frau ganz gut‘ mitteilen. Aus diesem Verstehen ergäben sich für das weitere Gespräch dann ganz andere Anschlussmöglichkeiten.457 Anhand dieses Beispiels lässt sich auch illustrieren, dass Kommunikation als soziales System strikt von den beiden teilnehmenden psychischen Systemen getrennt ist. Denn die beiden Kommunikationsteilnehmer können während des Gesprächs gedanklich abschweifen, beispielsweise an das Fußballspiel am Abend oder den nächsten Urlaub denken. Diese Gedanken erhalten jedoch, falls sich keiner der Teilnehmer ‚verspricht‘, keinen Zugang zu dem Kommunikationsakt. Kneer und Nassehi verdeutlichen die so beschriebene operationale Geschlossenheit und die strikte Trennung der Systemarten folgendermaßen: „Die beteiligten Bewußtseinssysteme sind operativ geschlossen und damit eigendynamische Systeme, sie reproduzieren Gedanken durch Gedanken. Während des Kommunikationsgeschehens gehen sie also ihren

457 | Kneer/Nassehi: Niklas Luhmanns Theorie sozialer Systeme, S. 82ff.

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jeweils eigenen Gedanken nach. Gerade auch dann, wenn die psychischen Systeme sich auf die Kommunikation konzentrieren, gilt dennoch: Die Bewußtsteinssysteme denken, aber sie teilen dieses Denken nicht mit. Kein autopietisches System kann außerhalb seiner Grenzen operieren, kein Gedanke kann als Gedanke das Bewußtsein verlassen. Das Bewußtsein kann weder kommunizieren noch eine Mitteilung – verstanden als Komponente des Kommunikationsgeschehens – hervorbringen. 458

Der so gefasste Kommunikationsbegriff schließt nicht nur das persönliche Gespräch ein, also das Kommunizieren über das Medium Sprache. Vielmehr kann Information auch über andere Medien mitgeteilt werden: über eine Geste, über Schrift vom Verfasser zum Leser, über ein Produkt vom Produzenten zum Konsumenten oder über die persönliche Auswahl von Gegenständen zwischen Konsumenten. Das Verstehen ließe sich dann mittels Reaktion auf die Geste, Verfassen eines Leserbriefs zu einem Zeitungsartikel oder durch das Ignorieren eines neu gekauften Luxusartikels beim Gegenüber mitteilen. Erfolgreiche Kommunikation nicht an der Übertragung von Information, sondern an der Produktion von Information und einer darauf folgenden Anschlusskommunikation festzumachen, öffnet den Blick dafür, wie groß die Wahrscheinlichkeit von Missverständnissen in diesem Prozess ist. Erfolgreiche Kommunikation wird nicht in erster Linie von einer Mitteilungsabsicht beeinflusst, sondern von den Erwartungen459 beider Kommunikationsteilnehmer. Darüber hinaus verweist der komplexe dreiteilige Kommunikationsbegriff auf mehrere Störeinflüsse: Auf jeder der drei Selektionsebenen kann etwas missverstanden bzw. nicht bemerkt werden. Information kann als solche nicht erkannt, das Mitteilen nicht wahrgenommen werden oder Verstehen zu keinem weiteren Kommunikationsakt führen. Der Kommunikationsfluss reißt dann ab, das Kommunikationssystem funktioniert nicht oder bricht zusammen.

458 | Ebd., S. 84. 459 | Erwartungen werden von Krause als „Erlebens- und Handlungszumutungen zwischen Sinnsystemen“ beschrieben bzw. als „kondensierte und konfirmierte Erfahrungen, auf die Sinnsysteme sich einlassen können“ Krause: Luhmann-Lexikon, S. 126f. Sinnsysteme werden in einem folgenden Kapitel ausführlicher beschrieben, darum soll hier nur kurz auf den Zusammenhang verwiesen werden.

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In Anbetracht der vielen Missverständnisse, die in unserem Alltag auftreten, erscheint die Evidenz dieses Modells nachvollziehbar. Auch in der Produktkultur lassen sich Beispiele für Missverständnisse und abgerissene Kommunikationsprozesse finden. Die sehr unterschiedlichen Konnotationen hinsichtlich der Accessoires von iPods, die der formalen Gestaltung teilweise widersprechen, können hier nochmals angeführt werden (vgl. Kapitel 3.1.1). Ebenso sei die beschriebene Problematik bei der Positionierung von Produkten oder Marken und der Ansprache von bestimmten Zielgruppen an dieser Stelle erwähnt.460 Der Zukunftsforscher Matthias Horx beschreibt die Auswirkungen einer derartig missglückten Kommunikation sehr anschaulich: „Der neue Alptraum des Markenmanagers: Ich gebe Millionen und Abermillionen für die Werbung aus – aber wen ich eigentlich erreiche, weiß ich trotz aller Marktforschung nicht mehr.“461 Erfolgreiche Kommunikation erscheint hier nicht nur fraglich, sondern unwahrscheinlich. Luhmann nutzt zur Beschreibung der Unwahrscheinlichkeit erfolgreicher Kommunikation den Begriff ‚Kontingenz‘, den er wie folgt umreißt: „Der Begriff wird gewonnen durch die Ausschließung von Notwendigkeit und Unmöglichkeit. Kontingent ist etwas, was weder notwendig noch unmöglich ist; was so, wie es ist (war, sein wird), sein kann, aber auch anders möglich ist 462 . Der Begriff bezeichnet mithin Gegebenes (Erfahrenes, Erwartetes, Gedachtes, Phantasiertes) im Hinblick auf mögliches Anderssein; er bezeichnet Gegenstände im Horizont möglicher Abwandlungen. Er setzt die gegebene Welt voraus, bezeichnet also nicht das Mögliche überhaupt, sondern das, was von der Realität aus gesehen anders möglich ist.“463

460 | Schwer, Thilo: „Mundane knowledge as a way to contingency“, Working papers in art and design: an international journal for research in art and design. Volume 4: the role of context in art & design research (2006), http://sitem.herts.ac.uk/artdes_research/papers/ wpades/vol4/index.html (zugegriffen am 2.8.2010). 461 | Horx, Matthias: „Warum ein Markenbuch?“, in: Horx, Matthias und Peter Wippermann (Hrsg.): Markenkult: Wie Waren zu Ikonen werden., München: Econ-und-List-Taschenbuchverl. 1998, S. 49. 462 | Luhmann verweist in einer Fußnote in diesem Zitat auf die historische Begriffsfassung hin, die auf Aristoteles zurückgeht (vgl. Luhmann: SoSy, S. 152.). 463 | Ebd.

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Bei der Kontingenz handelt es sich um ein „Grundproblem für die Selektivitätskoordination“464 in psychischen und sozialen Systemen. Das bedeutet, dass sich eine Sequenz von Auswahlvorgängen nicht vorhersehen lässt, da die Anschlüsse nicht auf Kausalzusammenhängen basieren. Jede Abfolge von Selektionen führt wegen dieser Unsicherheit zu einem jeweils anderen Ergebnis. Kontingenz bedeutet im Zusammenhang mit Kommunikation demnach „Enttäuschungsmöglichkeit und die Notwendigkeit, Risiken einzugehen“465, um Kommunikation stattfinden zu lassen. Kontingenz trifft aufgrund der Beteiligung von mindestens zwei Kommunikationspartnern gleich in doppelter Hinsicht zu, wie Krause ausführt: „Doppelte Kontingenz bezeichnet nicht die bloße Verschiedenheit zweier erlebens- und handlungskontingenter psychischer Systeme, nicht die Verdopplung verschiedener kontingenter Perspektiven zweier Systeme und somit auch nicht die Auf hebung derartiger Differenzen in irgendeiner sozialen Einheit. Doppelte Kontingenz ist konstitutive und auf Dauer gestellte wechselseitige Unbestimmtheit und Unbestimmbarkeit der Beziehungen zwischen Sinnsystemen. Sie steht für die Universalität kontingent-selektiver Möglichkeiten des Erlebens und Handelns, kurz von Sinn.“466

Das Zustandekommen ‚doppelter Kontingenz‘ lässt sich anhand der Metapher der ‚Black Box‘ erläutern, wobei die operationale Geschlossenheit psychischer Systeme zum Tragen kommt. Innere Prozesse, die von einem Input zu einem Output führen, sind in ‚Black Boxes‘ nicht einsehbar, Elemente dieser Prozesse treten wegen der Geschlossenheit des Systems

464 | Baraldi: GLU: Glossar zu Niklas Luhmanns Theorie sozialer Systeme, S. 38. 465 | Ebd. 466 | Krause: Luhmann-Lexikon, S. 120f. Die Abkürzungen und Verweise wurden zugunsten einer besseren Lesbarkeit ersetzt, daher hier das Zitat im Original: „D. K. bezeichnet nicht die bloße Verschiedenheit zweier erlebens- und handlungskontingenter psychischer Systeme, nicht die Verdopplung verschiedener kontingenter Perspektiven zweier Systeme und somit auch nicht die Aufhebung derartiger ->Differenzen in irgendeiner sozialen ->Einheit (->Soziales). D. K. ist konstitutive und auf Dauer gestellte wechselseitige Unbestimmtheit und Unbestimmbarkeit der Beziehungen zwischen Sinnsystemen. Sie steht für die Universalität kontingent-selektiver (->Kontingenz) Möglichkeiten des Erlebens und Handelns, kurz von ->Sinn.“

Das Konzept der Sinndimensionen

‚Black Box‘ nicht direkt nach außen. Treffen zwei ‚Black Boxes‘ aufeinander, so können sie zunächst nur „komplexe selbstreferentielle Operationen innerhalb ihrer Grenzen“467 ausführen. Sie bleiben füreinander undurchschaubar. Trotzdem müssen sie sich gegenseitig beobachten, um aus den außen sichtbaren (reduzierten) Ergebnissen der internen Operationen Informationen über die andere ‚Black Box‘ zu gewinnen. 468 Die Konsequenzen aus dieser Grundsituation werden von Baraldi folgendermaßen beschrieben: „Sie [Doppelte Kontingenz, Anm. d. Verf.] bedeutet, dass der Auf bau der sozialen Welt durch einen doppelten Perspektivhorizont (Egos und Alters Perspektiven) entsteht. […] Ego kann Alters Erfahrungen nicht erleben; er kann aber Alters Perspektive beobachten und sie gegebenenfalls als die eigene Perspektive übernehmen. Dadurch und mit diesen Beschränkungen wird Alters Welt Ego zur Verfügung gestellt (und umgekehrt): Die Welt wird sozial kontingent. Sowohl Ego als auch Alter erfahren doppelte Kontingenz; sie schließen die Perspektive des anderen in die eigene ein und müssen sie dann berücksichtigen.“469

In der Folge zieht das Phänomen der doppelten Kontingenz also nicht nur Unsicherheiten in der Kommunikation nach sich, sondern eröffnet gleichzeitig Spielräume und führt zusätzliche Beobachtungsmöglichkeiten bzw. Perspektiven ein. Jonas bezieht diesen Sachverhalt in seiner ‚DesignSystem-Theorie‘ auf die Tätigkeit des Entwerfens und sieht die doppelte Kontingenz in der „potentiellen Offenheit der Problemdefinition und der gleichzeitigen potentiellen Offenheit der Lösungsdefinition.“470 Auf diese Weise verschärfe sich das Problem der ‚Anschlussfähigkeit‘ im Entwerfen, denn wegen des Doppelhorizontes werde die Frage, ob ein Entwurf realisiert werden solle, immer schwerer zu beantworten. Als logische Folge sieht er einen steigenden Bedarf an organisatorischer Planung und Steuerung – im Umfeld der Produktentwicklung also an Marktforschung, Markenstrategien etc. –, um den Komplexitätszuwachs handhabbar zu machen

467 | Luhmann: SoSy, S. 156. 468 | Ebd., S. 153–162. 469 | Baraldi: GLU: Glossar zu Niklas Luhmanns Theorie sozialer Systeme, S. 38f. 470 | Jonas: Design - System - Theorie, S. 138.

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und ihm mit (scheinbar) rationalen Kriterien zu begegnen. 471 Hellmann begründet mit der doppelten Kontingenz in seiner ‚Soziologie der Marke‘ zum einen die Unmöglichkeit ‚perfekter Märkte‘ und konstatiert zum anderen den Bedarf an soziologischen Erkenntnissen in den Wirtschaftswissenschaften. „Denn in dem Moment, da die Situation von Angebot und Nachfrage ungewiß wird, liegt doppelte Kontingenz vor, und die Frage taucht auf, wie die Koordination von Angebot und Nachfrage gelingt.“472 Die Erforschung von Rahmenbedingungen, Vorkehrungen und Verfahren zur Bewertung und Verteilung von Waren und Dienstleistungen übersteigen seiner Ansicht nach den Gegenstandsbereich ökonomischer Theorien. 473 Die Soziologie könne hier dank ihrer Kompetenzen in der Analyse gesellschaftlicher Zusammenhänge wesentliche Erkenntnisse liefern. Das dreiteilige Kommunikationsmodell der soziologischen Systemtheorie sowie die Problematik der Kontingenzen vermitteln die Komplexität von Kommunikationsprozessen. Zugleich eröffnen die dargestellten Ansätze Potenzial für die Klärung alltäglicher Probleme und Missverständnisse in der persönlichen Interaktion, aber auch im Zusammenspiel mit Produkten und Marken. Folgt man den Ansätzen, so muss der ‚interpretierende Konsument‘, dessen Deutungen von persönlichen Erfahrungen und Erwartungen geprägt sind, in zukünftigen designwissenschaftlichen Betrachtungen stärker in den Vordergrund rücken und das ‚sprechende Produkt‘ als Metapher für das Sender-Empfänger-Modell muss abgelöst werden. Das Potenzial dieser Sichtweise liegt beispielsweise darin, dass ‚Fehldeutungen‘ im neuen Modell nicht mehr als gestörte bzw. als gescheiterte Informationsübertragung verstanden werden. Die an ‚Fehldeutungen‘ anschließenden Kommunikationen und das Aufgreifen von anderen Kommunikationsteilnehmern werden vielmehr als produktive Irritationen des Prozesses verstanden. Die doppelte Kontingenz eröffnet auch hier Spielräume und zusätzliche Blickwinkel. Wie diese komplexen Vorgänge und deren produktiven Effekte abgebildet und untersucht werden können, um sie in den Designwissenschaften fruchtbar machen zu können, soll im folgenden Kapitel beschrieben werden.

471 | Ebd. 472 | Hellmann: Soziologie der Marke, S. 200. 473 | Ebd.

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4.2.2 Die Operation der Beobachtung – variable Bezugsrahmen für die Analyse von Kommunikationssystemen Der Begriff ‚Beobachtung‘ wurde von Luhmann aus den Ansätzen des radikalen Konstruktivismus abgeleitet. Wie schon anhand anderer Begriffe ausgeführt wurde, fasst er diesen in seinem Theoriegebäude jedoch allgemeiner auf. Als grundlegende Operation ist ‚Beobachten‘ nicht auf eine Systemart fixiert. Neben neurologischen Systemen, die im Rahmen dieses Operierens ihr eigenes Bild der Umwelt konstruieren, beobachten soziale Systeme über Kommunikation z. B. ihre Umwelt oder andere Systeme. Aber auch Maschinen können auf diese Art operieren – der Thermostat einer Heizung beobachtet seine Umwelt (die Zimmertemperatur) beispielsweise auf Differenzen zur eingestellten Temperatur. 474 Jede Systemart beobachtet also mit ihren eigenen Operationen – psychische Systeme über Gedanken, soziale Systeme über Kommunikationen etc. Beobachtung ist demnach nicht mit der Tätigkeit des Sehens oder der alltagssprachlichen Anwendung im Sinne des Beobachtens einer Situation auf der Straße gleichzusetzen, denn Luhmann erweitert den Begriff erheblich, fasst das Beobachten weitaus abstrakter und auch komplexer. Zunächst muss die Operation Beobachten vom Beobachter differenziert werden. Luhmann erläutert den Unterschied dieser beiden Begriffe in seiner Einführungsvorlesung zur Systemtheorie folgendermaßen: „Beobachten wird als eine Operation gesehen und der Beobachter als ein System, das sich bildet, wenn solche Operationen nicht nur Einzelereignisse sind, sondern sich zu Sequenzen verketten, die sich von der Umwelt unterscheiden lassen.“475

Der Ausdruck ‚Operation‘ verweist auch hier auf die Autopoiesis und die damit zusammenhängende operationale Geschlossenheit. Beobachtung ist eine Operation, die von einem System selbst durchgeführt, gewissermaßen selbst ‚erzeugt‘ wird und durch dieses System in Form von daran anschließenden Beobachtungen in Gang gehalten wird. Mit der operativen Geschlossenheit dieses autopoietischen Prozesses geht einher, dass das

474 | Kneer/Nassehi: Niklas Luhmanns Theorie sozialer Systeme, S. 97f. 475 | Luhmann, Niklas: Einführung in die Systemtheorie, hg. von Dirk Baecker, 2. Aufl., Heidelberg: Carl-Auer-Systeme-Verl. 2004, S. 142.

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Beobachten weder in direktem Kontakt zur Umwelt stattfindet noch die Umwelt selbst in die Beobachtung Eingang finden kann. Denn auch hier gilt: Alle Unterscheidungen sind systeminterne Konstruktionen, die in einem geschlossenen Rahmen prozessieren. 476 Es ergibt sich die Frage, wie Phänomene der Umwelt dann beobachtet werden können. Eine mögliche Antwort lautet: Indem soziale Systeme über sie kommunizieren und sie auf diese Weise durch ihre eigenen Letztelemente thematisieren. „Ein Kommunikationssystem kann als operativ-geschlossenes System nicht mit seiner Umwelt kommunizieren, aber es kann seine Umwelt beobachten, indem es über seine Umwelt kommuniziert. […] Insofern kombiniert jede Kommunikation, Selbstreferenz und Fremdreferenz. […] Die Selbstreferenz muss mit Fremdreferenz angereichert werden; dies geschieht dadurch, daß die Kommunikation als Beobachtung auf etwas anderes verweist, etwas thematisiert, über etwas kommuniziert.“477

Systeminterne Operationen thematisieren also in ihrer jeweils eigenen Art Aspekte der Umwelt, um weiter prozessieren zu können, um die Autopoiesis zu bewahren. Nach diesen allgemeinen Hinweisen soll nun die spezifische Operationsweise der Beobachtung erläutert werden, der sich Luhmann auf Basis des sog. ‚Formkalküls‘ des britischen Mathematikers George SpencerBrown 478 widmet. Gemäß diesem Ansatz wird durch eine Form zunächst ein Innen und Außen definiert. Das ‚Außen‘ stellt den unendlichen Raum des Möglichen dar, das ‚Innen‘ eine daraus herausgelöste und damit definierte Teilmenge des Ganzen. Aus diesem Verständnis von Form folgt

476 | Luhmann unterstreicht die Wichtigkeit dieser Annahme, indem er in unterschiedlichen Themenbereichen immer wieder auf die operationale Geschlossenheit verweist, wie beispielsweise in ‚Beobachtungen der Moderne‘: „Das heißt: die Gesellschaft kann Beobachtungen nur in der Form von Kommunikation tätigen, also nicht in der Form von bewusstseinsinternen Operationen und vor allem nicht in der Form von Wahrnehmungen.“ Luhmann, Niklas: Beobachtungen der Moderne, Opladen: Westdeutscher Verlag 1992, S. 118. 477 | Kneer/Nassehi: Niklas Luhmanns Theorie sozialer Systeme, S. 99. 478 | Der Formkalkül wurde von George Spencer-Brown 1969 in seinem Buch ‚Laws of Form‘ formuliert, in dem er sich mit Problemen der Logik auseinandersetzt. Luhmann legt diesen in seiner Vorlesung ‚Einführung in die Systemtheorie‘ dar und bildet dort auch die grafische Darstellung des Form-Kalküls ab. Luhmann: EidS, S. 71.

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eine Abgrenzung, eine Differenz, – das, was zur Form gehört, steht auf der einen Seite (zum Beispiel ‚System‘) und das, was nicht zur Form gehört, auf der anderen (zum Beispiel ‚Umwelt‘). Die Form-Differenz trennt den Raum dabei nicht wie bei einer Grenzziehung in zwei ihrerseits unendliche und unbestimmte Teilbereiche. Sie bestimmt das ‚Innen‘ als herausgelösten Teil des Ganzen, der für den Beobachter als Ausgangspunkt für weitere Form-Differenzen dient. Auf diese Weise kann eine Beobachtung ein Netzwerk weiterer Unterscheidungen auf bauen „und damit Informationen hinsichtlich des Beobachteten gewinnen.“479 Der ersten Form-Differenz kommt demnach eine besondere Rolle zu – Luhmann drückt dies so aus, dass sie ‚Identitäten‘ generiere. 480 Alle anschließenden Operationen blenden das außerhalb der Form liegende also aufgrund der Anfangsdifferenz mit aus, ohne es jedoch vollständig zu eliminieren. Mit anderen Worten kann die Operation der Beobachtung als Differenz von Unterscheiden und Bezeichnen bestimmt werden. 481 Analog der Differenz ‚Information/Mitteilung‘ im oben beschriebenen Kommunikationsmodell entfaltet auch das Unterscheiden und Bezeichnen eine doppelte Differenz. Die erste trennt Unterschiedenes von nicht Unterschiedenem, die zweite Bezeichnetes von nicht Bezeichnetem. Eine Beobachtung kann beispielsweise mit der Unterscheidung und Bezeichnung ‚Recht/Unrecht‘, ‚Mann/Frau‘ oder ‚Punk/Nicht-Punk‘ operieren. Die bezeichnete Seite ‚Recht‘ bildet also nicht nur die Differenz zu ‚Unrecht‘, sondern auch die Differenz zu allen anderen Unterscheidungen, die auch hätten gewählt werden können, wie ‚umweltfreundlich/umweltschädlich‘, ‚rentabel/nichtrentabel‘ etc. 482

479 | Baraldi: GLU: Glossar zu Niklas Luhmanns Theorie sozialer Systeme, S. 125. 480 | Luhmann: SoSy, S. 100. 481 | Eine weiterer Begriff, den Luhmann nutzt, um das Ergebnis des ‚Unterscheidens und Bezeichnens‘ zu verdeutlichen ist der Begriff der Asymmetrie. Die bezeichnete Seite wird gegenüber dem nicht bezeichnetem Ganzen hervorgehoben. Vgl. hierzu Luhmann: EidS, S. 144. 482 | Vgl. hierzu auch die Darstellung von Kneer und Nassehi: „Offensichtlich setzt sich die Operation des Beobachtens aus zwei verschiedenen Komponenten zusammen; Unterscheiden und Bezeichnen, so kann man auch sagen, sind zwei Momente einer einzigen Operation. Eine Unterscheidung (etwas Frau oder Mann, Recht oder Unrecht, Abseits oder kein Abseits, Ideologie oder Wissenschaft, diese Vase oder alles andere auf der Welt) wird gewählt und

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Damit wird nochmals deutlich, dass der Anfangsunterscheidung, die ein Beobachter festlegt, eine besondere Rolle zufällt. Sie trennt das ‚Bezeichnete‘ von ‚allem anderen‘, legt den Beobachter in dieser Beobachtung auf das Bezeichnete fest und lässt ‚alles andere‘ außer Acht. 483 Das nicht Bezeichnete hat in der Aktualität der Beobachtung keine operative Bedeutung – es schwingt zwar mit, doch kann ab dem Moment der Bezeichnung nicht mehr darauf zurückgegriffen werden. 484 Diese Beschränkung während der Operation des Beobachtens nennt Luhmann in Anlehnung an Heinz von Foerster ‚blinden Fleck‘485, sie stellt quasi die „Unsichtbarkeit der Einheit einer Unterscheidung“486 dar. Die Anfangsunterscheidung erfolgt darüber hinaus als eigene Setzung des Systems, sie ist selbstreferentieller Ausgangspunkt, der bezogen auf soziale Systeme das Thema der Beobachtung vorgibt. Ein Beispiel, entnommen aus Krauses Einführung in das Gesamtwerk Luhmanns, macht dies anschaulich: „Im Falle des sozialen Systems muss man den ungewöhnlich wirkenden Versuch unternehmen, etwa von einem Gespräch aus oder von einer öffentlich geführten Debatte über Umweltschutz aus zu beobachten. Aus Sicht des umweltbezogenen Diskurses sind die teilnehmenden Systeme Umwelt. Die Beiträge der Teilnehmer werden so beobachtet, ob und wie sie in den kommunikativen Zusammenhang hineinpassen, sich als anschlussfähig erweisen. Das macht es übrigens auch verständlich, wenn der Gesellschaft ein Beobachterstatus zugerechnet wird.“487

In der vorangegangenen Darstellung haben wir uns auf eine einzelne Beobachtung bzw. eine einzelne Beobachtungssequenz bezogen. Sie erfolgte als gegenwartsbezogene Setzung eines Systems und daran anschließende Unterscheidungs- und Bezeichnungssequenzen. Diese als einzelne Beob-

eine der beiden Seiten der Unterscheidung wird bezeichnet (also etwas Frau, Recht, Abseits, Ideologie, diese Vase).“ Kneer/Nassehi: Niklas Luhmanns Theorie sozialer Systeme, S. 96. 483 | Luhmann formuliert dies in Anlehnung an Spencer-Browns Terminologie folgendermaßen: „Beobachten ist das Handhaben einer Unterscheidung zur Bezeichnung der einen und nicht der anderen Seite.“ Luhmann: EidS, S. 143. 484 | Vgl. hierzu Ebd., S. 144. 485 | Ebd., S. 145. 486 | Ebd., S. 146. 487 | Krause: Luhmann-Lexikon, S. 77.

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achtung abgeschlossene Operation wird darum auch Beobachtung erster Ordnung genannt. Sie ist durch ihre Anfangsunterscheidung und ihre Gleichzeitigkeit mit dieser Unterscheidung beschränkt, kann den nicht-bestimmten Teil im Rahmen dieser Beobachtung also nicht mehr erreichen, hat einen ‚blinden Fleck‘. Über eine zeitliche Differenz und eine neue Sequenz kann die Beobachtung diese Einschränkung allerdings umgehen – sie kann andere Beobachtungen zum Thema einer neuen Beobachtung machen, sie kann damit sogar ihre eigene Beobachtung beobachten. Diese zeitversetzte auf eine Beobachtung bezogene Beobachtung kann hierdurch die Anfangsunterscheidung einer Beobachtungssequenz sichtbar machen, folglich den blinden Fleck dieser Beobachtung eliminieren. Sie wird als Beobachtung zweiter Ordnung bezeichnet. Auf diese Weise kann eine Beobachtung zweiter Ordnung die Selektion der Beobachtung erster Ordnung und damit deren Blickwinkel sichtbar machen, kann durch unterschiedliche eigene Selektionen unterschiedliche Standpunkte auf die Beobachtung erster Ordnung anwenden. In Bezug auf das oben zitierte Beispiel könnten die Beiträge des Diskurses auch unter dem Blickwinkel der wirtschaftlichen Auswirkungen und der Auswirkungen des Umweltschutzes auf Entwicklungsländer oder die politischen Rahmenbedingungen beobachtet werden. Trotz dieser anderen Erkenntnismöglichkeiten gelten für die Beobachtung zweiter Ordnung die gleichen Prämissen wie für die Beobachtung erster Ordnung. Auch sie hat einen blinden Fleck, auch sie kann nicht sehen, was sie nicht sehen kann, und nimmt deswegen gegenüber der Beobachtung erster Ordnung keineswegs eine privilegierte Position ein. 488 Trotzdem stellt die Beobachtung zweiter Ordnung ganz andere Erkennt-

488 | Kneer und Nassehi stellen die Beziehung zwischen Beobachtung erster und zweiter Ordnung folgendermaßen dar: „Man könnte sagen, daß die Beobachtung zweiter Ordnung in Bezug auf ihre eigenen Unterscheidungen somit eine Beobachtung erster Ordnung ist. Eine Beobachtung zweiter Ordnung ist sie nur in Bezug auf eine andere Beobachtung. Insofern besitzt die Beobachtung zweiter Ordnung, also die Beobachtung einer Beobachtung, keine privilegierte Position. Zwischen Beobachtung zweiter Ordnung und Beobachtung erster Ordnung besteht kein hierarchisches Verhältnis. Auch die Beobachtung zweiter Ordnung bleibt an ihren eigenen blinden Fleck gebunden. Auch die Beobachtung zweiter Ordnung kann nur sehen, was sie sehen kann und sie kann nicht sehen, was sie nicht sehen kann - so kann auch die Beobachtung zweiter Ordnung nicht ihre beobachtungsleitende Unterscheidung beobachten. Kurz gesagt: Auch die Beobachtung zweiter Ordnung ist Beobachtung. Aber die

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nismöglichkeiten bereit, wie Gripp-Hagelstange anhand eines Vergleichs der beiden Operationen darstellt: „Der Unterschied zwischen einer Beobachtung erster Ordnung und einer Beobachtung zweiter Ordnung liegt darin, dass über erstere ‚Etwasse‘ (Bateson) in die Welt kommen, also eine Welt von Objekten konstituiert wird, während die Beobachtung zweiter Ordnung sich diese Objekte von der Beobachtung erster Ordnung vorgeben lässt und sich auf das Wie deren Konstruktion konzentriert. Gehören zur Beobachtung erster Ordnung genuin Fragen des ‚Was ist...-Typus‘, so sind für die Beobachtung zweiter Ordnung Fragen des ‚Wie geschieht...-Typus‘ konstitutiv.“489

Die Beobachtung zweiter Ordnung bietet also die Möglichkeit, nach den Gründen bzw. den Voraussetzungen für die Beobachtung erster Ordnung zu fragen, deren Bezeichnung aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu beleuchten. Die Welt erscheine auf der Ebene der Beobachtung erster Ordnung „monokontextural“, wie Kneer und Nassehi feststellen, wobei sie den Bereich, welcher mit einer Unterscheidung aufgespannt wird, mit dem Begriff der Kontextur bezeichnen. 490 Für den Beobachter zweiter Ordnung hingegen eröffnete sich eine Vielzahl denkbarer Unterscheidungen, seine Welt erscheine darum „polykontextural.“491 Die im Kapitel 3 erläuterte Produkt- und Konsumentenkultur zeichnet sich durch Polykontexturalität aus. So bieten Produkte wie Turnschuhe oder iPod und iPhone von Apple heute Anknüpfungspunkte für diverse Kontexte, wie anhand der vielfältigen Accessoires und Zubehörprodukte beispielhaft dargelegt wurde. Aber auch Konsumenten heften, je nachdem, welcher Stilgruppe sie angehören, gleichen Produkten andere Bedeutungen an. Darüber hinaus nutzen Konsumenten Kombinationen aus Objekten mit spezifischen Stilelementen, um Identitäten zu generieren – und weisen so ihrerseits Polykontexturalität auf. Bei der Betrachtung von Produktdeutungen kann vor diesem Hintergrund die Operation der Beobachtung als ein komplexitätsreduzierendes Analysewerkzeug einge-

Beobachtung der Beobachtung ermöglicht reflexive Einsichten für die eigene Beobachtung.“ Kneer und Nassehi, S. 101. 489 | Gripp-Hagelstange: Niklas Luhmann, S. 90. 490 | Kneer/Nassehi: Niklas Luhmanns Theorie sozialer Systeme, S. 102. 491 | Ebd., S. 103.

Das Konzept der Sinndimensionen

setzt werden, das die vorhandenen Bezüge nicht eliminiert, sondern lediglich ausblendet. Auf diese Weise lassen sich Elemente aus der Gesamtheit herauslösen und neu miteinander verknüpfen. Die Beobachtung zweiter Ordnung eröffnet im Anschluss daran die Möglichkeit, diese Beobachtungen hinsichtlich unterschiedlicher Beziehungen zu beleuchten, also eine Kontextbetrachtung vorzunehmen. Dirk Baecker beschreibt in ‚Wozu Systeme?‘ anhand des Beispiels der Gestaltung eines Stuhls den Designprozess als „reflexive Praxis“ mit der Freiheit, „sich selbst als Erforschung des Sitzens in Abhängigkeit von einem Verständnis des Stuhls als Aufforderung zum Sitzen – beziehungsweise als Gleichgültigkeit gegenüber dieser Funktion oder gar als Abschreckung, die am Design nur noch das Design markiert – zu verstehen.“492 Dies verweist auch aus der Perspektive der Designpraxis auf die Wichtigkeit der Beobachtung zweiter Ordnung: Nur mit dieser Beobachtung zweiter Ordnung kann eine Erforschung des Sitzens in Abhängigkeit zu unterschiedlichen Verhältnissen zum Sitzen oder zu differierenden Sichtweisen über die Bedeutung des Sitzens erfolgen.

492 | Ausgangspunkt ist eine an Herbert A. Simon angelehnte Darstellung auf Basis des Interfaces: „Simon spricht von einer ‚Logik der Optimierung‘, die dem Design wenn keine wissenschaftliche, so zumindest eine professionelle, also an der ‚Kunst‘ orientierte Aufgabenstellung vermitteln könne. Wenn wir hier statt dessen eine Idee von Ranulph Glanville [67; 69] aufgreifen, können wir den Designprozeß als eine ‚reflexive Praxis‘ begreifen, in der es darauf ankommt, die beiden Umwelten und die Möglichkeit des Interface zwischen ihnen zu erkunden. Das Design wäre dann eine Praxis, des Nichtwissens, die den modischen Wechsel des Designs auf Informationen über diese Umwelten und das Interface absucht. Den ‚idealen Stuhl‘ gibt es nicht, weil wir spätestens nach zehn Minuten in jedem Stuhl unsere Sitzstellung wechseln, und das erst gibt dem Design die Freiheit, sich selbst als Erforschung des Sitzens in Abhängigkeit von einem Verständnis des Stuhls als Aufforderung zum Sitzen - beziehungsweise als Gleichgültigkeit gegenüber dieser Funktion oder gar als Abschreckung, die am Design nur noch das Design markiert - zu verstehen.“ Baecker, Dirk: Wozu Systeme?, Berlin: Kulturverl. Kadmos 2002, S. 153f.

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Produktsprachen

4.3 Sinndimensionen als Deutungsschablone: Adaption des Theorieansatzes 4.3.1 Sinn als Medium Auch der Sinnbegriff wird von Luhmann systemtheoretisch reformuliert, auch bei ihm besteht die Gefahr der Verwechslung mit der umgangssprachlichen Bedeutung des Wortes. Zudem nehme der Sinnbegriff im soziologischen und philosophischen Diskurs eine herausragende Stellung ein und werde dort intensiv diskutiert, wie Rainer Schützeichel betont. 493 Die luhmannsche Begriffsentwicklung geht von den phänomenologischen Analysen Edmund Husserls aus494 und weist Sinn in der systemtheoretischen Fassung zunächst als Voraussetzung von Bedeutung und Bedingung für Verstehen aus. Schützeichel hebt hervor, dass Luhmann den Sinnbegriff aus der Perspektive einer Beobachtung zweiter Ordnung heraus entwickelt, als „funktionale Bedingung der Möglichkeit von intentionalen Setzungen.“495 Bezogen auf die oben eingeführte Operation der Beobachtung meint ‚Sinn‘ nach Walter Reese-Schäfer die Bedeutung, die irgend etwas für einen Beobachter habe. 496 Für Schützeichel ist Sinn aufgrund der Stellung als Universalmedium darüber hinaus Bedingung der Möglichkeit von Beobachtungen. 497 Sinn hat sich im Rahmen der Co-Evolution von sozialen und psychischen Systemen entwickelt 498, denn beide sind notwendige Umwelten für das jeweils andere System, wobei Sinn die Verbindung zwischen beiden

493 | Schützeichel geht in erster Linie auf die Begriffsentwicklung in der Soziologie ein und greift hierzu auf Definitionen von ‚Sinn‘ durch Max Weber (1904,1922) Alfred Schütz (1932), George Herbert Mead (1934), Karl Mannheim (1921) und Jürgen Habermas (1970/71) ein. Vgl. Schützeichel, Rainer: Sinn als Grundbegriff bei Niklas Luhmann, Frankfurt am Main: Campus-Verlag 2003, S. 30ff. 494 | Luhmann: EidS, S. 224f. Schützeichel: Sinn als Grundbegriff bei Niklas Luhmann, S. 31f. 495 | Schützeichel: Sinn als Grundbegriff bei Niklas Luhmann, S. 34. 496 | Reese-Schäfer, Walter: Niklas Luhmann zur Einführung, 4. Aufl., Hamburg: Junius 2001, S. 41. 497 | Schützeichel: Sinn als Grundbegriff bei Niklas Luhmann, S. 42. 498 | Luhmann: SoSy, S. 92.

Das Konzept der Sinndimensionen

schafft. Reese-Schäfer stellt die Wichtigkeit dieser Verbindung sozialer und psychischer Systeme durch den Sinnbegriff folgendermaßen dar: „Der Begriff ‚Sinn‘ gilt sowohl für psychische als auch für soziale Systeme. Er ist dadurch besonders leistungsfähig, weil er ihre gegenseitige Durchdringung begriff lich darzustellen vermag und damit sowohl das ‚Zurückrechnen der Kommunikation auf das Bewußtsein der Beteiligten‘499 ermöglicht als auch die Betrachtung der Kommunikationsprozesse in ihrer selbständigen Entwicklung.“500

Sinn lässt sich damit zunächst als universale Ressource oder als Universalmedium beschreiben, das „die selektive Erzeugung aller sozialen und psychischen Formen erlaubt.“501 Um den Begriff weiter zu präzisieren, nutzt Luhmann die abstrakte Unterscheidung von ‚Medium‘ und ‚Form‘. Als Medium charakterisiert er einen Pool massenhafter, formbarer Elemente.502

499 | Zitat aus Soziale Systeme: „Sinn ermöglicht die Interpenetration psychischer und sozialer Systembildungen bei Bewahrung ihrer Autopoiesis; Sinn ermöglicht das Sichverstehen und Sichfortzeugen von Bewußtsein in der Kommunikation und zugleich das Zurückrechnen der Kommunikation auf das Bewußtsein der Beteiligten.“ Ebd., S. 297. 500 | Reese-Schäfer: Niklas Luhmann zur Einführung, S. 40. 501 | Baraldi: GLU: Glossar zu Niklas Luhmanns Theorie sozialer Systeme, S. 170. 502 | Luhmann greift zur Erklärung des Verhältnisses von Medium und Form auf einen Aufsatz des Psychologen Fritz Heider zurück. Dieser definiere in „Ding und Medium“ den Zusammenhang folgendermaßen: „Die Idee des ‚Mediums‘ ist, dass es einen Bereich von Losen Kopplungen massenhaft vorkommender Elemente gibt: Luftpartikel, physikalische Lichtträger - ‚Licht‘ ist kein physikalischer Begriff, aber der Begriff für das Medium, in dem wir etwas sehen. […] Daraus folgt die Möglichkeit, mit einer Unterscheidung zu arbeiten, die in der heutigen Literatur im Allgemeinen mit den Ausdrücken lose Kopplung / feste Kopplung wiedergegeben wird. […] In dieser gleichsam präsystemtheoretischen Unterscheidung von Form und Medium sagt man, dass es zunächst einmal massenhaft Elemente gibt, die ihren Status als Element nicht einer bestimmten Kopplung verdanken, jedoch das Material bieten, aus dem Kopplungen hergestellt werden können.“ Luhmann: EidS, S. 226f. Auch Schützeichel greift dieses Beispiel auf, um die Beziehung zwischen Medium und Form systemtheoretisch zu erläutern: „Medium und Form lassen sich als zwei verschiedene Möglichkeiten der Kopplung von Elementen verstehen. Lose gekoppelte Elemente bilden ein Medium, fest gekoppelte Elemente eine Form. Mit dieser Unterscheidung lässt sich Sinn als ein Medium begreifen, welches lose gekoppelte Elemente bereit stellt, die in Formen fest gekoppelt werden können.“

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Solche Elemente sind beispielsweise Buchstaben oder Wörter, Geräusche oder Laute, Farben oder Konturen etc. Dieser Pool kann dann – in einem Text, einem Gespräch oder in einer Wahrnehmung – zu sinnvollen Einheiten zusammengefasst, also geformt und kombiniert werden, um einen Informationswert zu haben und Informationen zur Verfügung zu stellen. Die Elemente verdichten sich also kurzzeitig zu einer Form und ‚zerfallen‘ danach wieder zu dem Pool an Möglichkeiten, der als ‚Medium‘ bezeichnet wird. Um diesen Ansatz weiter auszuformulieren, bringt Luhmann die unterschiedlichen Stabilitätsgrade von Medium und Form in ein Verhältnis zueinander. Ungewöhnlich daran erscheint, dass er dies umgekehrt zur gewohnten Vorstellung, nach der geformte Elemente eine festere Bindung als ungeformte aufweisen, konzipiert. Die ungeformten Elemente des Mediums weisen eine festere Bindung auf, die geformten Elemente eine befristete, sich wieder auflösende Kopplung. Denn die Form bindet die Elemente des Mediums nur selektiv und temporär und gibt sie nach der Formung wieder in den Pool der nutzbaren Elemente frei – die festere Bindung des Mediums zieht sie, bildhaft gesprochen, wieder zurück in den undefinierten Pool der Möglichkeiten. „Ein Geräusch verklingt, ein Objekt kann verschwinden, aber trotzdem sehen und hören wir mithilfe eines Mediums jeweils etwas anderes.“503 Durch dieses Verhältnis von Form und Medium wird noch ein zweiter Sachverhalt ausgedrückt, der sich auf das weiter oben beschriebene Formkalkül bezieht. Infolge der losen Kopplung der Elemente im Rahmen der Formung werden auch hier die im Pool verbleibenden Elemente nicht eliminiert, sondern schwingen weiter mit, bleiben also als Schatten anderer möglich gewesener Formungen erhalten. Sinn ließe sich demnach als Verweisungszusammenhang von aktuellem Sinn und möglichem Sinn verste-

Schützeichel: Sinn als Grundbegriff bei Niklas Luhmann, S. 41. In der obigen Darstellung wird jedoch auf Luhmanns später präsentierte, mit der klassischen Vorstellung von Stabilität widersprechenden Idee gearbeitet, da sie die Zeitbezogenheit der Formgebung herausarbeitet: „Eine zweite Überlegung ist, dass das Medium stabiler ist als die Formbildung. […] Denn die Stabilität liegt gerade nicht in den Formen. Stabil ist etwas, was lose gekoppelt ist, was keine Form hat, was in der klassischen Sprache ‚Materie‘ oder ‚Unbestimmtheit‘ ist. Alles was Stabilität gewinnt, wird damit unsicher, prekär und temporär, es gilt für eine bestimmte Zeit.“ Luhmann: EidS, S. 228. 503 | Luhmann: EidS, S. 228.

Das Konzept der Sinndimensionen

hen504, der die Notwendigkeit einer Selektion mit sich bringt.505 Luhmann leitet aus den hier skizzierten Gedanken folgende Definition des Begriffs ‚Sinn‘ ab: „Sinn ist das Medium, das mit der Differenz von Aktualität und Potentialität arbeitet, und zwar mit der Differenz, mit der Unterscheidung in dem Sinne, dass die Einheit der Unterscheidung immer mitspielt, dass man also immer in dem, was man aktuell sieht, Möglichkeitsperspektiven hat und umgekehrt Möglichkeiten nicht thematisieren kann, nicht denken kann, auch gar nicht kommunikativ nutzen kann, wenn man dies nicht aktuell tut.“506

Sinn lässt sich, anders ausgedrückt, als eine Verweisung beschreiben, die Standpunkte der Wirklichkeit bezeichnet und zugleich auch Mögliches und Negatives (Unmögliches) einbezieht. Durch diese Fülle an Möglichkeiten zwingt die Sinnform die Verweisungsstruktur zu einer Selektion, gibt ihr aber zugleich mögliche Anschlüsse zum Weitermachen mit. Sinn stattet also das aktuell vollzogene Leben und Handeln mit redundanten Möglichkeiten aus, die die Unsicherheit der Selektion wieder kompensieren.507 Sinn zu haben heißt demnach, „dass eine der anschließbaren Möglichkeiten als Nachfolgekausalität gewählt werden kann und gewählt werden muss, sobald das jeweils aktuelle verblasst, ausdünnt, seine Aktualität aus eigener Instabilität selbst aufgibt. Die Differenz von Aktualität und Möglichkeit erlaubt mithin eine zeitlich versetzte Handhabung und damit ein Prozessieren der jeweiligen Aktualität entlang von Möglichkeitsanzeigen.“508 Sinn lässt sich aufgrund der dieser Formulierung inhärenten zeitlichen Komponente also als Verweisung von ‚Aktualität‘ auf ‚Potentialität‘ beschreiben.509 Sinn stellt den selbstreferentiell operierenden Systemen gleichzeitig Komplexi-

504 | Schützeichel: Sinn als Grundbegriff bei Niklas Luhmann, S. 32. 505 | Ebd., S. 36. 506 | Luhmann: EidS, S. 233. 507 | Luhmann: SoSy, S. 94. 508 | Ebd., S. 100. 509 | Schützeichel: Sinn als Grundbegriff bei Niklas Luhmann, S. 34; oder Krause, Detlef: Luhmann-Lexikon: Eine Einführung in das Gesamtwerk von Niklas Luhmann., 3., neu bearb. und erw. Aufl., Stuttgart: Lucius und Lucius 2001, S. 199.

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tät – durch den Möglichkeitshorizont – und Komplexitätsreduktion – durch den Selektionsdruck – zur Verfügung. Aufgrund dessen ist Sinn für Luhmann „eine sehr potente Technik im Umgang mit Komplexität“510 oder, wie Schützeichel formuliert, „Sinn leistet also in jeder Aktualisierung Reduktion und Auf bau von Komplexität gleichermaßen.“511 Wenn wir sinnhaft erleben, besteht ein sehr hoher Selektionsdruck, der uns gewissermaßen zu einer Entscheidung zwingt oder zu einer Suche nach Kriterien, die nach passend/nicht passend, nach Konsensfähigkeit etc. unterscheiden lassen. Schützeichel beschreibt diese Suche nach Kriterien und Anschlussmöglichkeiten, dieses Pendeln zwischen Aktualität und Potenzialität, folgendermaßen: „In jeder Sinnaktualisierung sind selbst- und fremdreferentielle Verweisungen unabdingbar eingebaut. Jede Sinnaktualisierung verweist auf andere mögliche Aktualisierungen und dadurch auf sich selbst zurück, und diese Horizonte werden in jeder neuen Sinnaktualisierung mitgeführt. Ein System befindet sich also in einem permanenten Zustand der Oszillation zwischen zwei Formen. Mit jeder Sinnaktualisierung sucht es nach weiteren Anschlussmöglichkeiten, es entscheidet darüber, ob es an dem selbst- oder fremdreferentiellen Pol anknüpft.“512

Betrachtet man die aktuelle Produktkultur, also die Summe aller materiellen und immateriellen Konsumangebote, als ein Medium, so lässt sich das Potenzial, das diese Sichtweise für die Designwissenschaften birgt, erahnen. Die Konsumkultur stellt damit einen scheinbar unbegrenzten Pool formbarer Elemente zur Verfügung, aus denen temporär selektiert werden kann, um zeitlich befristet Bedeutungen oder auch eigene Identitätsbilder zu formen. So kann die sich ständig weiter ausdifferenzierende Konsumkultur als Grundlage für eine sich kontinuierlich verfeinernde Kompetenz im kommunikativen Umgang mit Konsumgütern gesehen werden.

510 | Luhmann: EidS, S. 237. 511 | Schützeichel: Sinn als Grundbegriff bei Niklas Luhmann, S. 38. 512 | Ebd., S. 40.

Das Konzept der Sinndimensionen

4.3.2 Das Konzept der Sinndimensionen als Instrument zur Strukturierung von Komplexität Nach diesem sehr grundlegenden Kapitel über Luhmanns Konzeption zur Komplexitätsreduktion in der soziologischen Systemtheorie soll im Folgenden diese skizzierte Konzeption für die Entwicklung eines neuen designwissenschaftlichen Ansatzes zur Analyse von Produkt-Kommunikations-Systemen adaptiert werden. Luhmanns Sinndimensionen stehen sowohl Kommunikationsteilnehmern als Folie für mögliche Anschlusskommunikationen im Rahmen des Verstehens zur Verfügung als auch Beobachtern, die den Verlauf und die verschiedenen Anschlussmöglichkeiten von Kommunikationen untersuchen wollen. Ansatzweise habe ich dieses Konzept bereits in einem Konferenzbeitrag mit dem Titel ‚Black Box Consumption‘513 im Rahmen der DeSForM 2008-Konferenz dargestellt, zudem in Form einer ersten Deutungsskizze im Aufsatz ‚DIY in Jugendkulturen – Vom kopierten Fanzine zum Steampunk-PC‘514 publiziert. In ‚Soziale Systeme‘ erläutert Luhmann, dass die im Sinn bzw. der Sinnerfahrung enthaltene elementare Diskrepanz zwischen aktuell Gegebenem (Aktualität) und aufgrund dieser Gegebenheit Möglichem (Potenzialität) es gestatte, „Differenzen zwischen den noch offenen Möglichkeiten zu redifferenzieren; sie zu erfassen, zu typisieren, zu schematisieren und der dann folgenden Aktualisierung Informationswert abzugewinnen.“515 Information bewirke folglich eine Verknüpfung zwischen Differenzen. Aus diesem Grund lasse sich Sinn auch nur durch eine „Dekomposition“ in Differenzen finden.516 Luhmann re-spezifiziert Sinn daraufhin in drei Dimensionen (die jeweils Gegenhorizonte aufweisen), um so die Aktualität einer Selektion vor dem Hintergrund anschlussfähiger Möglichkeitshorizonte (Possibilität) zu entfalten. Die Zerlegung des Sinnbegriffs in drei verschiedene Differenzen führt damit zum Begriff der Sinndimension. Sinndimensionen differenzieren und bezeichnen in der Sachdimension, der Zeitdimension und der Sozialdimension. Sie stellen jeweils spezifische Doppelhorizonte zur Verfügung: die Sachdimension spannt den Dop-

513 | Schwer: „Black box consumption? From the targeted transfer of information to the context-based allocation of meaning“. 514 | Schwer: „DIY in Jugendkulturen: Vom kopierten Fanzine zum Steampunk-PC“. 515 | Luhmann: SoSy, S. 112. 516 | Ebd.

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pelhorizont mit den Begriffen ‚dies‘ und ‚anderes‘ auf, die Zeitdimension mit den Begriffen ‚vorher‘ und ‚nachher‘ , die Sozialdimension mit ‚Ego‘ und ‚Alter‘. Sinn hält stets alle drei Dimensionen als Formen weiterer Verweisung offen, ihre Ausprägung kann jedoch variieren. Obwohl die damit eingeführte Aufspaltung von Sinn in drei Sinndimensionen auf den ersten Blick zu einfach wirken mag, lässt sie es doch zu, die gesamte im Sinnbegriff enthaltene Komplexität aufzulösen, wie in folgendem Zitat deutlich wird: „Jede dieser Dimensionen gewinnt ihre Aktualität aus der Differenz zweier Horizonte, ist also ihrerseits eine Differenz, die gegen andere Differenzen differenziert wird. Jede Dimension ist ihrerseits wieder sinnuniversell gegeben, enthält also, formal gesehen, keine Einschränkung dessen, was in der Welt möglich ist. Man kann insofern auch von Weltdimensionen sprechen.“517

Obgleich das Konzept der Sinndimensionen universell angelegt ist, also für alle Formen des Sinnprozessierens in psychischen und sozialen Systemen zur Verfügung steht, bietet sich aus der soziologischen Perspektive eine Schwerpunktsetzung auf der sprachlichen Kommunikation an, sei es in Form von Gesprächen, öffentlichen Diskursen oder mittels Schrift wie etwa wissenschaftlichen Publikationen. Ein von Gensicke formuliertes Beispiel aus der Alltagswelt518 soll hier verkürzt angeführt werden, um das Konzept der Sinndimensionen anschaulicher zu machen. Von Gensicke beschreibt ein fiktives Gespräch zwischen zwei Personen. Der eine der beiden Teilnehmer äußert den Satz: ‚Ich liebe diese Musik‘. Vor dem Hintergrund der Sinndimensionen sollen die möglichen Optionen für das Verstehen des anderen Gesprächsteilnehmers und die daraus resultierenden möglichen Anschlusskommunikationen dargestellt werden. In der Sachdimension ließe sich dieser Satz sowohl als psychische Befindlichkeit, als Startpunkt für die Formulierung eines ästhetischen Urteils oder auch als ein Beleg für ein persönliches Geschmacksurteil lesen.519 In der Zeitdimension könnte die Aussage vor dem Hintergrund anderer, zuvor formulierter Aussagen oder auch als Ergebnis

517 | Ebd. 518 | Gensicke, Dietmar: Luhmann, Stuttgart: Reclam 2008, S. 58ff. 519 | Ebd., S. 58.

Das Konzept der Sinndimensionen

eines geschmacklichen Lernprozesses gesehen werden.520 In der Sozialdimension wird auf die eigenen und gegenseitigen Erwartungen angespielt; die Frage für den zweiten Gesprächsteilnehmer ist also, ob die Aussage als Statement gegen eine andere Auffassung zur Musik gemeint ist oder als Ausdruck der Freude über das gemeinsame Erlebnis.521 Alle drei Sinndimensionen sind in der Ausdeutung dieses Kommunikationsangebotes, wie auch in allen daran anschließenden Mitteilungen, enthalten. Sie können jeweils in unterschiedlicher Dichte hervortreten und geben im weiteren Verlauf der Kommunikation immer wieder neue bzw. auf vorangegangene Aussagen bezogene Rahmen für anschließende Reaktionen vor.522 Der kurze Blick auf einen soziologischen Anwendungsfall der Sinndimensionen vermittelt einen ersten Eindruck des Potenzials dieses Analyserahmens. Sinndimensionen berücksichtigen, so Schützeichel, „daß es unterschiedliche Perspektiven oder Kontexturen gibt, unterschiedliche Beobachtungen, die einander beobachten und demzufolge in der Lage sein müssen, Aussagen in gewisse Perspektiven einzurücken.“523 Das Konzept der Sinndimensionen bildet damit nicht nur die Basis für sinnkonstituierende Systeme, um mögliche Anschlussmöglichkeiten auszuloten. Es bietet dem Beobachter ein Instrument, um die Komplexität möglicher Sinnformungen handhabbar zu machen, also zu reduzieren, diese Komplexität jedoch gleichzeitig aktiv zu halten und nicht vollständig auszublenden. Damit eignet es sich für die Erforschung produktbezogener Möglichkeitshorizonte von sozialen Akteuren.524 Hellmann nutzt in seiner ‚Soziologie der Marke‘ die drei Sub-Codes Sach-, Sozial- und Zeitdimension525, um die Vermittlung aller Informationen, die im Umgang mit Marken von Bedeutung sind, durch speziell ausgerichtete Programme zu operationalisieren. Die Programme dienten Personen dazu, aus Rollen mit Bezug auf bestimmte Sinnzusammenhänge richtige Handlungsrichtungen abzuleiten, um diesen zu folgen oder ihnen gegebenenfalls auch zu widersprechen.

520 | Ebd., S. 61. 521 | Ebd., S. 59. 522 | Ebd., S. 61f. 523 | Schützeichel: Sinn als Grundbegriff bei Niklas Luhmann, S. 45. 524 | Schwer: „Mundane knowledge as a way to contingency“. 525 | Vgl. Hellmann: Soziologie der Marke, S. 293.

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Außerhalb des Bereichs der Marke werden die Sinndimensionen von den Soziologen Hörning, Ahrens und Gerhard in Bezug auf die Lebensstile nutzbar gemacht: Sinndimensionen dienen hier dazu, unterschiedliche Ausdeutungen von Sachverhalten in unterschiedlichen Lebensstilen mit einer einheitlichen Folie analysieren zu können: „Die Eigenart von Lebensstilen wird begreif bar über ihre formale Struktur, in der man die ‚sachlichen‘, ‚zeitlichen‘ und ‚sozialen‘ Aspekte eines Lebensstils unterscheidet und sie in ihrer je spezifischen inhaltlichen Formung beschreibt [12]. Dabei werden die Dimensionen nicht als immer schon fixierte Phänomene einer gegebenen Realität betrachtet, sondern als ‚Vexierbilder‘, die im jeweiligen Lebensstil unterschiedliche Gestalten und Fixierungen annehmen können. Entscheidend für die konkrete Ausprägung eines Lebensstils ist die Gewichtung und Verf lechtung dieser Dimensionen miteinander. Ihre jeweiligen Anordnung [sic!, Anm. d. Verf.] - als Leit-, Differenzierungs-, oder Indifferenzdimension - bestimmen, wie sich das Lebensstilgefüge ausformuliert, d.h. welche Operationsweise, welche Chancen und Probleme und welche Latenzen sich typischerweise entwickeln. Denn gerade in ihrer Vernetzung gewinnen die als kontingent gesetzten, d.h. immer auch anders möglichen Lebensstildimensionen[13] ihre Kontur. Im lebensstilspezifischen Verweisungszusammenhang werden sie zu Mustern und Figuren ausformuliert. Über diese so erzeugte Ordnung gewinnt der Lebensstil seine Plausibilität, über sie organisiert er seine Kontinuierung. Die Lebensstilidentität ist in ihrer Eindeutigkeit damit als eine prekäre Konstruktionsleistung anzusehen, die ständig neu erfolgt und sich permanent in der Auseinandersetzung mit anderen Lebensstilen ‚beweisen muss‘. Beobachtbar wird nun, auf welche Art und Weise sich in der Verf lechtung und Anordnung der Dimensionen lebensstileigene Strukturierungen ausbilden.“526

In dem hier zu entwickelnden designwissenschaftlichen Ansatz soll das Konzept der Sinndimensionen darum als Deutungsschablone für die Beobachtung produkt- und konsumkultureller Phänomene nutzbar gemacht werden. Als Basis sollen die von Luhmann definierten Sinndimensionen herangezogen werden, zudem die von Hellmann erarbeiteten Programme

526 | Hörning/Ahrens/Gerhard: „Die Autonomie des Lebensstils: Wege zu einer Neuorientierung der Lebensstilforschung.“, S. 44f.

Das Konzept der Sinndimensionen

des Markencodes, jedoch mit Schwerpunkt auf der Produktebene. Beide Ansätze sollen jedoch, um eine bessere Handhabbarkeit im skizzierten Analyserahmen zu erreichen, mit Blick auf die zu untersuchenden Phänomene modifiziert und auf die im dritten Kapitel dargestellten Besonderheiten der aktuellen Produkt- und Konsumentenkultur hin spezifiziert werden. Aufgrund dessen erweitere ich beispielsweise das Konzept der Sinndimensionen um eine ‚Fiktionsdimension‘. Sie soll darstellen, dass Produkte nicht nur in der Realität unterschiedliche Funktionen erfüllen, sondern gerade auch im fiktiven Raum Benutzungserlebnisse steuern oder gar hervorrufen können, wie in Kapitel 3.2.4 beschrieben wurde. Anhand von Beispielen aus der Diskussion um produkt- und konsumkulturelle Phänomene soll die Ausrichtung der einzelnen Dimensionen weiter ausgearbeitet und nachvollziehbar gemacht werden. Im 5. Kapitel folgt eine beispielhafte Anwendung dieses Analyserahmens im Kontext aktiver Konsumformen.

(a) Sachdimension Luhmann beschreibt die Sachdimension „im Hinblick auf alle Gegenstände sinnhafter Intention (in psychischen Systemen) oder Themen sinnhafter Kommunikation (in sozialen Systeme) [Herv. im Orig., Anm. d. Verf.].“527 Sie zerlege Sinn als Verweisungsstruktur in ‚dies‘ und ‚anderes‘. Weitere Sinnkompositionen würden dann als ein Fortgang nach außen und nach innen vor dem Hintergrund jeweils endloser Horizonte für ein Weiterprozessieren vollzogen. Damit hält ein weiteres Mal eine Formdifferenz mit Bezug auf Spencer-Brown Einzug in die Theoriegestaltung. Form zwingt demgemäß in jedem anschließenden Schritt zu einer Entscheidung, ob innen oder außen angeschlossen wird. Damit ermöglicht sie das Überschreiten der Grenze in jedem anschließenden Schritt. Schützeichel legt die Auswirkungen der Form in der Sachdimension und die damit verbundenen Horizonte folgendermaßen dar: „An der sachlichen Konstitution von Objekten, und hierunter fallen auch Personen, wenn sie Thema oder gedankliches Objekt sind, wirken immer diese beiden Horizonte mit. Das heißt zum Beispiel, dass man ein Objekt, ein X, sowohl nach innen (X ist a, b, c usw.) wie nach außen

527 | Luhmann: SoSy, S. 114.

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(X im Vergleich zu ..., in der Relation zu …, im Kontext von …) in einer prinzipiell unendlichen Weise bestimmen kann.“528

Corsi geht damit konform, wenn er feststellt, dass die Bestimmung von ‚etwas‘ (‚dies‘) auch immer die (implizite) Negation dessen erfordere, was ‚anderes‘ sei: „ein Pferd ist keine Kuh, eine Zahl ist kein Spiel, die Geschwindigkeit ist keine Farbe.“529 Es gehe also um die Reduktion von Umweltkomplexität durch die Beschreibung der Innenseite (Themen der Kommunikation, Gegenstände der Aufmerksamkeit), die es erlaube, Anschlüsse für weitere Operationen des beobachtenden Systems zu finden. Die Komplexität bleibe folglich als ‚anderes‘ in Bezug zum Innen erhalten.530 Ebenso könne eine umgekehrte Beschreibung, also der Differenz der Außen- zur Innenseite, eine Reduzierung der Systemkomplexität zur Verfügung stellen. Die Sachdimension erfasse somit alle Themen, über die kommuniziert werden könne, wie auch alle Gegenstände, die Gegenstände bewusster Intention werden können.531 Hellmann fasst das korrespondierende Sachprogramm mit dem Code Qualität/Nicht-Qualität. Die Qualität betreffe nicht nur die Frage nach dem Zweck und nach den Vorteilen des Produktes, sondern auch nach dessen Einsatzmöglichkeiten und Gebrauchsweisen. Insofern vermittle das Sachprogramm Anwendungswissen über das Produkt.532 Als Beispiele für die Nutzung des Sachprogramms zur Beschreibung von Marken nennt Hellmann Worte, die auf Werte oder positive Eigenschaften von Produkten verweisen, wie ‚Pflege‘ bei Nivea, oder abstraktere wie ‚menschlich, leidenschaftlich, führend, visuell‘ bei der Automarke Audi. Über solche Werte ließen sich somit sowohl übergreifende als auch zielgruppenspezifische Merkmale charakterisieren. Eine Alleinstellung der Marke erfolge damit

528 | Schützeichel: Sinn als Grundbegriff bei Niklas Luhmann, S. 45. 529 | Baraldi: GLU: Glossar zu Niklas Luhmanns Theorie sozialer Systeme, S. 173. 530 | Ebd., S. 174. 531 | Schützeichel: Sinn als Grundbegriff bei Niklas Luhmann, S. 45. 532 | Vgl. hierzu Hellmann: Soziologie der Marke, S. 304f. oder „Diese umfaßt einerseits den Bereich des Grundnutzens im Sinne Vershofens (1959), also die sachliche Dimension der spezifischen Problemlösungskompetenz des Produkts: Was kann es, und wie wird es wann angewandt? Andererseits wird der attraktivste Zusatznutzen des Produkts mit Blick auf eine spezifische Zielgruppe thematisiert und durch die Anreicherung mit zielgruppenspezifischen Werten, Programmen, Rollen und Personenmustern symbolisch aufgeladen.“ Ebd., S. 286.

Das Konzept der Sinndimensionen

über die Legitimität des Leistungsangebots bei richtiger Anwendung. Damit rückt Hellmann auch eine Beschreibung von praktischen Funktionen in den Gegenstandsbereich der Sachdimension.533 Um eine designspezifische Präzisierung der Sachdimension zu erreichen, kann sowohl auf die im Rahmen des ‚Offenbacher Ansatzes‘ beschriebenen ‚formalästhetischen Funktionen‘ Bezug genommen werden, die Produkte als „Strukturen, Formen beziehungsweise Gestalt“ behandeln.534 Eine inhaltlich vergleichbare Definition lässt sich aus einer designtheoretischen Formulierung der ‚Syntaktik‘ des Designprofessors Bernd Löbach ableiten: „Die Syntaktik ist bekanntlich das Teilgebiet der allgemeinen Semiotik, in dem eine Auseinandersetzung mit der physisch-materiellen Existenz der Zeichen und deren strukturellem Auf bau erfolgt, das heißt, eine Auseinandersetzung mit den eingesetzten ästhetischen Mitteln und deren Kombination und Verknüpfung.“535

Vor dem Hintergrund der in Kapitel 3.1.2 beschriebenen ‚multisensualen Produkte‘ müssen die ästhetischen Mittel in allen wahrnehmbaren Facetten betrachtet werden, auch hinsichtlich der ‚Synästhesie‘, also der Kopplung mehrerer ästhetischer Reize. Der Ingenieur und Akustikfachmann Michael Haverkamp legt in seinem Konzept eines „synästhetischen Designs“, das eine ganzheitliche Gestaltung über die Sinnesgrenzen hinweg fordert536, beispielsweise dar, wie sich unterschiedliche ästhetische Reize gegenseitig verstärken können. Der oben beschriebene endlose Doppelhorizont dieser Sinndimension trägt auch dem unter 3.2.1 beschriebenen Prozess der Verfeinerung Rechnung, der zu immer neuen Nuancen eines Produkts führt und der über

533 | Hellmann: Soziologie der Marke, S. 304. 534 | Vgl. hierzu auch die im 2. Kapitel dargestellte Herleitung des Begriffs in den Arbeiten von Jochen Gros mit Referenzen auf Jan Mukařovský. 535 | Löbach, Bernd: Kritische Designtheorie: Aufsätze und Vorträge 1972 - 2000, Cremlingen: Designbuch-Verlag 2001, S. 116. 536 | Haverkamp: „Form“, S. 90.

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Sensibilisierung der Wahrnehmung und lexikalische Bearbeitung dieser Nuancen den kulturellen Wortschatz erweitert.537 Den immer feiner werdenden Unterschieden muss dabei nicht nur hinsichtlich einzelner industrieller Produkte nachgegangen werden, sondern auch mit Blick auf die Kombination dieser zu Produktensembles, wie sie in 3.1.6 beschrieben wurde, oder auf Praktiken von Konsumenten, wie sie beispielhaft von Gaugele am Sampling unterschiedlicher Kleidungsstile festgemacht wird: „Die Modellierung von graduellen Abweichungen durch das Sampling von Styles ist auch als eine Technik von Polysemie zu verstehen, denn das Spektrum an symbolischen Bedeutungen von Kleidungsstücken wird dabei enorm erweitert durch das Feld der Unterschiede.“538

Die Sachdimension erfasst also die ästhetischen Eigenschaften, die erstens Gegenstand der Aufmerksamkeit oder der Kommunikation werden können. Zweitens können sie die Merkmale und Funktionen der Produkte wiedergeben, selbst wenn Letztere erst von den Nutzern entdeckt werden.539 Es geht in dieser Dimension in der Tat darum, die Dinge mit dem ‚langen Blick‘ zu betrachten, wie Hahn es ausdrückt: „Das Lesen von Schrift oder das Hören eines gesprochenen Textes bezeichnet Aleida Assmann (1988:246) als den ‚schnellen Blick‘, der sich einer gegebenen (Sprach-)Ordnung anpaßt. Die Wahrnehmung der materiellen Umwelt nennt sie dagegen das ‚Starren‘ oder den ‚langen Blick‘.

537 | Vgl. hierzu Kapitel 3.2.1 oder Illouz: „Emotion, Imagination und Konsum: Eine neue Forschungsaufgabe.“, S. 82f. 538 | Gaugele, Elke: „Style-Post-Pro-Duktionen: Paradoxien des Samplings“, in: Mentges, Gabriele und Birgit Richard (Hrsg.): Schönheit der Uniformität: Körper, Kleidung, Medien, Frankfurt am Main; New York: Campus 2005, S. 221–236, hier S. 224. 539 | Düllo, Liebl und Kiel arbeiten diesen Moment folgendermaßen heraus: „Die Zweckentfremdung durch die Konsumenten/End-User verkörpert nicht nur den Schlüssel zum Trend, sondern eben auch den Schlüssel zur daraus folgenden (Produkt-)Innovation. Denn in Wahrheit handelt es sich, wie Dorschel (2002, 33) sinnfällig herausarbeitet, bei solchen unvorhersehbaren Gebrauchsweisen um eine ‚Zweckentdeckung‘.“ Liebl/Düllo/Kiel: „Before and After Situationism - Befor and After Cultural Studies: The Secret History of Coltural Hacking“, S. 22.

Das Konzept der Sinndimensionen

Schrift ist nach Daniel C. Dennett (1996:187) das ideale object trouvé; es gibt nichts ‚Unlesbares‘ (= ‚Natürliches‘) daran. Dinge sind dagegen zunächst ‚unlesbar‘. Nur in dem Maße, in dem sie Gegenstand des Denkens werden, kommt ihnen eine – eingeschränkte – Lesbarkeit zu. Die in Denkweisen übertragenen Dinge verlieren ihre Unlesbarkeit nur graduell. Diese Unlesbarkeit bezieht sich dabei auf die Unmöglichkeit, ihre Wahrnehmung vollständig in Sprache zu übertragen. Auch nach längerem Gebrauch können Dinge immer noch zuvor unbekannte Eigenschaften offenbaren. Materielle Kultur hat also auch mit dem Unverstehbaren zu tun, wie insbesondere die Perspektive auf ihre Materialität und Wahrnehmung zeigt (Dant 2004).“540

(b) Zeitdimension Die Zeitdimension konstituiert sich gemäß Luhmanns Darstellung durch einen doppelten Verweisungshorizont, der mit dem Begriffspaar ‚vorher‘ und ‚nachher‘ beschrieben wird. Sie ist unabhängig, denn sie ordnet nicht das ‚Wer/Was/Wie/Wo‘ des Erlebens und Handelns, sondern nur das Wann unabhängig von einer An- oder Abwesenheit. Die Zeitdimension umfasst Zeit in linearem und chronologischem Sinne. Auch hier wird die Differenz auf zwei endlos erweiterbare Horizonte bezogen: Vergangenheit und Zukunft. Darüber hinaus können diese beiden Horizonte nicht erlebt oder behandelt, sondern nur intendiert bzw. thematisiert werden, da sich durch das Voranschreiten in der Zeit auch die Zeithorizonte mit verschieben. Gegenwart spielt als Punkt, von dem aus sich die Differenz eines ‚Vorher/Nachher‘ entfalten kann, eine besondere Rolle. Sie könne, so Luhmann, als Irreversibelwerden einer Veränderung beschrieben werden. Dabei gebe es eine punktualisierte Form von Gegenwart (Geräusche, Bewegungen etc. in einer linearen Vorstellung von Zeit) und eine Form mit einer gewissen Dauer, die den Sinnsystemen eine realisierbare Reversibilität ermöglichten (etwas ist noch da, wo man es zuvor hingelegt hatte in einem chronologischen Zeitverständnis).541 Diese beiden Formen kommen stets gemeinsam vor und leiten wiederum in eine Differenz zwischen Ereignissen und Beständen, zwischen Wandel und Dauer ein. Die Zeitdimension konstituiert durch ihren Doppelhorizont auch Geschichte, indem sie den

540 | Hahn: Materielle Kultur, S. 26. 541 | Luhmann: SoSy, S. 117.

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Sinnsystemen einen punktuellen, wahlfreien Zugriff auf vergangene und zukünftige Ereignisse ermöglicht. Geschichte ist in diesem Rahmen immer gegenwärtige Vergangenheit bzw. gegenwärtige Zukunft, von der aus sich ein ‚Vorher/Nachher‘ entfaltet.542 Schützeichel erläutert, dass Luhmann die beiden Zeitdifferenzen der ‚Vergangenheit/Gegenwart/Zukunft‘ (chronologisch) und des ‚Vorher/ Nachher‘ (linear) anhand eines Unterscheidungsmodells des englischen Philosophen John McTaggart Ellis McTaggart entwickelt habe: „Luhmann orientiert sich hierbei an McTaggerts [sic!, Anm. d. Verf.] berühmter Unterscheidung von A-Serie und B-Serie. McTaggert [sic!, Anm. d. Verf.] versucht mit dieser Unterscheidung, unsere Erfahrungen darüber zu ordnen, was es heißt, daß etwas in der Zeit ist. In der A-Serie sind Ereignisse dadurch unterschieden, daß sie entweder vergangen, gegenwärtig oder zukünftig sind, in der B-Serie werden sie dadurch unterschieden, daß sie entweder früher oder später als andere Ereignisse sind.“543

Corsi erläutert das Potenzial dieses Doppelhorizonts anhand zweier Vergleiche sehr anschaulich. Die eine, die lineare Zeitauffassung gleiche der Zeitmessung mit einer Uhr, die ständig weiterläuft. In diesem Rahmen erfolge eine ständige Punktualisierung von Gegenwart, in der Zukunft ständig zur Vergangenheit werde. Dieser stehe eine Gegenwart gegenüber, die über eine Dauer verfüge und die damit die Beobachtung des Anfangs und des Endes einer Periode erlaube, eine Beobachtung, in der sich Prozesse beschleunigen und verlangsamen, oder auch eine Beobachtung einer andauernden Situation.544 Im Kontext des Markencodes referiert das Zeitprogramm auf die Anschlussfähigkeit hinsichtlich Tradition und Geschichte. Je älter eine Marke, desto bedeutsamer wirke sie, wie Hellmann erläutert.545 Kontinuität und Dauerhaftigkeit führten folglich zur Wahrung der Identität einer Marke – der Code Kontinuität/Diskontinuität trägt diesem Sachverhalt aus

542 | Ebd., S. 118. 543 | Schützeichel: Sinn als Grundbegriff bei Niklas Luhmann, S. 46f. 544 | Baraldi: GLU: Glossar zu Niklas Luhmanns Theorie sozialer Systeme, S. 175. 545 | Hellmann: Soziologie der Marke, S. 306.

Das Konzept der Sinndimensionen

Markensicht Rechnung, blendet ‚Neuigkeit‘ als ebenfalls vorhandenen und heutzutage in vielen Bereichen ebenso wichtigen Wert jedoch aus. Nimmt man wiederum die designwissenschaftliche Perspektive ein, so bietet die aktuelle Produkt- und Konsumentenkultur in der Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft jeweils interessante Phänomene. Zunächst ist die Dauer von Gegenwart in eine Sequenz kurzer, begrenzter Abschnitte überführt worden. In Kapitel 3.2.2 wurde bereits auf den mit der Mode vergleichbaren ‚Kollektionscharakter‘ von Produkten hingewiesen. Auch Jonas beobachtet Produkte nicht mehr als abgeschlossene Einheiten, sondern als aneinander anschließende Produktreihen, die mit dem kulturellen Wandel synchronisiert sein müssten. Als Grund führt er die Kopplung der Systemzeit an das Wirtschaftssystem an: „Produkte als so genannte Problemlösungen sind temporäre Materialisierungen in diesem Fluß. Ihre wichtigste Funktion besteht im Herstellen des Anschlusses zur folgenden Problemformulierung.“546

Auch Esposito weist in ihrer systemtheoretischen Analyse der Mode auf diesen Übergang von einer stabilen zu einer ‚wankenden‘ Gegenwart hin.547 Hierdurch wächst die Bedeutung von Bezügen zur Vergangenheit, um sichere Anschlüsse bereitzustellen oder um der Sichtweise von Gegenwart als Übergangsphase durch Zukunftsperspektiven zu entsprechen. Vor diesem Hintergrund gewinnen Zitate vergangener Stilepochen oder frühere Looks, selbst wenn sie nur wenige Jahre zurückliegen, eine doppelte Bedeutung. Auf der einen Seite bieten sie Anschlüsse an die eigene Geschichte und damit verbundene Erinnerungen und ermöglichen

546 | Jonas: Design - System - Theorie, S. 209. 547 | „Die Gegenwart, ehedem Ort von Stabilität und Konkretheit, erscheint nun flüchtig und unbeständig; sie erzeugt das Gefühl einer Unsicherheit und Unbeständigkeit aller Dinge, vor allem der Menschen und ihrer Handlungen. Von Montaigne wird so etwa Unbeständigkeit als die anthropologische Grundbedingung beschrieben: Die Menschen sind angehalten, sich permanent nach ihren Neigungen und Wünschen in immer wechselnden Richtungen zu bewegen und sich vom ‚Wind der Gelegenheiten‘ führen zu lassen. Ihre Gedanken und Wünsche sind nicht durch Inhalte (durch die Sachdimension) bedingt, sondern durch den Augenblick, in dem sie erzeugt werden (durch die Zeitdimension); die Menschen verwandeln sich chamäleonartig - sie sind nichts weiter als ‚Wanken und Unbestand.‘.“ Esposito: Die Verbindlichkeit des Vorübergehenden: Paradoxien der Mode, S. 101.

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so ein leichteres Aufgreifen von Ungewohntem. Schulze greift hierfür den Terminus ‚Rekurs‘ auf: „Rekurse äußern sich als Zitat, Variation, Metamorphose, Rekombination und Abstraktion bereits eingeführter Elemente. Sie machen die neue Gestalt anschlussfähig an das Innenleben der Menschen, indem sie Gestaltverwandtschaft zwischen Alt und Neu herstellen. Gestalt bedeutet mehr als die akustische und optische Wahrnehmung. So gehört zur Gestalt eines Autos oft auch ein bestimmter Mythos, eine Affinität zu einem Milieu oder zu einer Nation und nicht zuletzt das Markenlogo.“548

Bezüge zu Vergangenem können andererseits zugleich Objekte der Gegenwart aufwerten, indem sie als ‚vertraute Objekte‘ gesehen werden und einen Gegenpol zum ständigen Wechsel bieten: „Vertraute Objekte sind immer Objekte, mit denen die Person Erfahrungen gesammelt hat und die deshalb auf ihren Erfahrungen mit und vergangenen Anpassungen an ihre Objekte und Umwelten – bzw. dieser an die Person – verweisen (II. Kapitel). Vertrautheit ermöglicht routiniertes, nichtbewußtest Handeln, das selbstverständlich ist und so als Bewußtseinshintergrund fungiert, dem keine Aufmerksamkeit gewidmet werden muß.“549

Ein Beispiel für diese Verbindung von Vergangenem und Neuem ist beispielsweise in konstanten Interfaces bei wechselnden Produktgenerationen zu sehen, wie sie aus dem Computer und Smartphone-Bereich bekannt sind. Das Aufgreifen von Vergangenem kann aber auch als Pool für neue Anschlüsse und Sichtweisen dienen. Jenß beschreibt diesen Moment im Kontext von Mode bei Jugendlichen als ein Verfügbarmachen ungenutzter Bildwelten: „Der Retro-Trend lässt sich somit keinesfalls einseitig durch eine nostalgische Sehnsucht erklären. Vielmehr vermittelt sich darin die Verfügbarkeit vergangener Bildwelten der Gegenwart. Jugendliche nutzen die Zeitmoden der Vergangenheit v. a. deshalb, weil sie für sie neu oder eben

548 | Schulze: Die beste aller Welten, S. 301. 549 | Habermas: Geliebte Objekte, S. 285.

Das Konzept der Sinndimensionen

irgendwie ‚anders‘ sind und weil sie damit oft auch gegen die Grenzen des Geschmacks der Generation ihrer Eltern verstoßen können, die sich u. U. der Mode der 1980er Jahre mit ihren Röhrenjeans und Frotteeschweißbändern nur mit Schaudern erinnert.“550

So kann der Erfolg der Wiederauflage vergangener Produkte – Beispiele sind die Eames- oder Prouvé-Kollektionen der Möbelfirma Vitra oder die Kramer-Kollektion von e15 – durch die Kombination aller drei Vergangenheitsbezüge begründet werden. Denn diese wiederaufgelegten Produkte bieten Anschlüsse an die Designgeschichte, stellen Bekanntes und somit Vertrautes zur Verfügung, das im Kontrast zum ständigen Wandel steht. Daneben stellen sie für junge Rezipienten jedoch auch unbekannte und damit neue Objektwelten zur Verfügung. Das Aufgreifen von Elementen der Vergangenheit zur Erweiterung des Repertoires verweist jedoch zugleich auf ein anderes Charakteristikum der Produkt- und Konsumentenkultur, nämlich das ständige Auf bringen möglicher Zukunftsentwürfe durch das Neue. Esposito legt dies anhand der Konstruktion von Identität dar: „In jedem Fall sieht sich die moderne Gesellschaft in allen Bereichen mit dem Anreiz und der Herausforderung alternativer Möglichkeiten konfrontiert und weist faktisch deshalb die merkwürdige Tendenz auf, die sich vor allem in der Zeitdimension manifestiert, sich selbst zu negieren. Wie selbst durch den Begriff der ‚Neuzeit‘ angezeigt wird, wird Identität in der Zeit gesucht, nicht jedoch als Kontinuität, sondern eher als Bruch mit der Vergangenheit, von der man sich durch Andersartigkeit – Neuheit – unterscheidet. Identität – jede Identität – konstituiert sich also nicht über Identifikation (mit traditionellen Vorbildern und Werten), sondern über ‚Entidentifikation‘, das heißt in Differenz zum Gegebenen – der Vergangenheit. ‚Ob wir es wollen oder nicht: wir sind nicht mehr, was wir waren, und wir werden nicht mehr sein, was wir sind‘, und gerade hierin, im Unterschied also, finden wir unsere Identität: im Unterschied zur Vergangenheit, in Anbetracht deren wir neuartig sind, und im Unterschied zur Zukunft, die uns gegenüber neuartig sein wird.“551

550 | Jenß: „Original-Kopie: Selbstmodellierung in der Serienkleidung“, S. 28. 551 | Esposito: Die Verbindlichkeit des Vorübergehenden: Paradoxien der Mode, S. 147f.

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Diese rastlos wirkende Suche nach dem Neuen hat sich im Rahmen einer Co-Evolution mit der Ökonomie entwickelt, in der sich die beiden Pole Produktion und Konsumption gegenseitig beschleunigen, wie der Soziologe Hartmut Rosa in seiner Analyse der Veränderung von Zeitstrukturen in der Moderne darlegt.552 Dies gipfelt im Akt des Auspackens als hochstilisierte Praxis, im Rahmen derer in erster Linie die „Neuheit“ eines Produktes konsumiert wird: „Innerhalb der Warenästhetik ist Neuigkeit ein Wert, den es zu inszenieren gilt: durch Werbung wird auf die Neuigkeit als solche hingewiesen, während durch Package Designs, zu deren Öffnung häufig ein Siegel gebrochen werden muß, die Unberührtheit der Ware sinnlich erfahrbar gemacht wird. Das Auspacken aus der Verpackung oder das Entfernen von störenden Etiketten stellt schon einen bewußt inszenierten Verlust von Neuigkeit, den Prozeß der Aneignung des Produktes, dar.“553

Das ‚Unboxing‘554, das über Videos auf Portalen wie ‚youtube‘ oder als Bildsequenz in Gadget-Blogs zelebriert und dokumentiert wird, stellt diesen Akt des ‚Siegel-Brechens‘ als zentrales Konsummotiv dar. Die fast schon choreografische Inszenierung des Auspackens bei Apple-Produkten wie

552 | „Die Steigerung der Kapital- und Warenumschläge pro Zeiteinheit hat natürlich als ökonomisch zwingendes Korrelat eine der Steigerung der Produktionsrate entsprechende Erhöhung der Konsumtionsakte pro Zeiteinheit zur Folge, da erst in der Konsumtion der Mehrwert realisiert wird. Die kapitalistische Ökonomie der Zeit ‚erzwingt‘ daher eine dem Produktionsprozess analoge Steigerung der Konsumintensität und vermag so die als Erhöhung des Lebenstempos definierte Vermehrung der Handlungs- bzw. Erlebnisepisoden pro Zeiteinheit als ökonomische Notwendigkeit zu dechiffrieren. Volkswirtschaftlich bedeutsam ist dabei, dass das ökonomische Grundproblem einer kapitalistischen Wirtschaft nicht ein (statisches) Verteilungsproblem, sondern die Aufrechterhaltung der beschleunigten Zirkulation ist.“ Rosa: Beschleunigung, S. 262f. 553 | Chi, Immanuel: „Eingetragen–Abgetragen. Zur Phänomenologie der Gebrauchsspur in der Mode.“, Kunstforum international: Die aktuelle Zeitschrift für alle Bereiche der bildenden Kunst 141/Die oberflächlichen Hüllen des Selbst - Mode als ästhetisch-medialer Komplex. (1998), S. 155–161, hier S. 156. 554 | wikipedia.org: „Suchwort: Unboxing“, http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Un boxing&oldid=104178040 (zugegriffen am 2.10.2012).

Das Konzept der Sinndimensionen

iMac, iPad und iPhone offenbart den Stellenwert, den die Hersteller diesem Nutzererlebnis einräumen.

(c) Sozialdimension Die Sozialdimension basiert laut Luhmann auf der Frage, ob ein ‚Anderer‘ Sinn genauso erlebt, wie man selbst. Neben der Ego-Perspektive gibt es jedoch nicht nur eine Alter-Perspektive – infolge der Interaktion mit unterschiedlichen Individuen existieren viele unterschiedliche Alter-Perspektiven. Die Begriffe Ego und Alter sind hier nicht mit Rollen, Personen oder Systemen gleichzusetzen, sondern fungieren, wie in den anderen Dimensionen, als Doppelhorizonte für sinnhafte Verweisungen.555 Da es gemäß Luhmanns Theorieverständnis nicht um eine einheitliche, zusammengefasste Alter-Perspektive gehen kann, sondern eine Vielzahl unterschiedlicher, teilweise gegensätzlicher Perspektiven berücksichtigt werden muss, wird der Doppelhorizont mit den beiden Begriffen ‚Konsens‘ und ‚Dissens‘ beschrieben. „Die Sozialdimension ermöglicht dann, wenn einmal verfügbar, einen ständig laufenden Vergleich dessen, was andere erleben können bzw. erleben würden und wie andere ihr Handeln ansetzen könnten.“556

‚Alter‘ werde, so Schützeichel, in Luhmanns Ansatz als ‚Alter Ego‘ konstituiert, das dadurch zum Träger jeweils eigener Erfahrungen und damit eigener Erwartungen werde. Auf diese Weise werde das Operieren von Kontingenz geprägt, denn der Andere könne nicht „wie ein anderes beliebiges Faktum in der Welt gesehen werden“557, sondern müsse selbst als ein eigenständiges Zentrum des Handelns und Erlebens betrachtet werden. Da das eigene Verhalten von dieser kontingenten Perspektive abhängig gemacht werde, habe man es mit doppelter Kontingenz zu tun. Aus dieser wechselseitigen Beobachtung, wie der Andere eigene Handlungen deuten könnte, entsteht der soziale Moment dieser Sinnperspektive. Darum könne die Sozialdimension nicht nur als Pluralität von Sys-

555 | Luhmann: SoSy, S. 119f. 556 | Ebd., S. 121. 557 | Schützeichel: Sinn als Grundbegriff bei Niklas Luhmann, S. 46.

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temreferenzen gesehen werden, wie Corso ausführt, sondern müsse als Pluralität von Beobachterperspektiven begriffen werden.558 Der mit dieser Dimension verknüpfte Markencode der Konsumsoziologie unterscheide anhand des Codes ‚Inklusion/Exklusion‘. Damit befasse sich das Sozialprogramm mit der Ansprache und Einbindung der jeweiligen Zielgruppe, untersuche die Anschlussfähigkeit einer Marke hinsichtlich demografischer, psychologischer und soziologischer Aspekte.559 Außerdem beschäftige sich das Sozialprogramm, so Hellmann, mit der Frage, wer der richtige Nutzer für dieses Produkt wäre. Bezogen auf den in Kapitel 2 beschriebenen Ansatz von Jochen Gros bzw. den daraus hervorgegangenen Offenbacher Ansatz schließt die Sozialdimension den Bereich der symbolischen Funktionen ein, der mit Epochenstilen wie Barock oder Jugendstil und ‚Partialstilen‘ wie Looks, Nationalstile, Firmenstile oder auch Zielgruppendesign benannt wurde.560 Geht man von diesen auf größere Gemeinschaften angelegten Begriffen wieder auf die Ebene der Alter-Ego-Perspektive zurück, so tritt die Komponente der ‚Interaktion‘ in den Vordergrund. Denn „Handeln ist soziales Handeln, immer dann, wenn bei einer Sinnbestimmung die Sozialdimension berücksichtigt wird; wenn man also beobachtet, was andere davon halten würden. Handeln ist gesellschaftliches Handeln aber nur, wenn es als Kommunikation intendiert und/oder erfahren wird, weil es nur so das Sozialsystem der Gesellschaft mitvollzieht.“561 Objekte dienen dann als Kommunikationsmedien562, die bewusst eingesetzt werden, um

558 | Baraldi: GLU: Glossar zu Niklas Luhmanns Theorie sozialer Systeme, S. 175. 559 | Hellmann: Soziologie der Marke, S. 306. 560 | Steffen: Design als Produktsprache, S. 87ff. 561 | Luhmann: SoSy, S. 580. 562 | Auch der Psychologe Tillman Habermas weist auf die Funktion von Produkten als Medien für Kommunikation hin: „Mediale Funktionen: Neben den ersten drei Funktionsgruppen erfüllen auch Medien kommunikative Funktionen. Dinge symbolisieren hier weder Aussagen noch Perspektiven, sondern vermitteln Kommunikation. Dinge können Kultur vermitteln, indem sie Informationen transportieren und so die rezeptive Teilhabe an größeren Kommunikationszusammenhängen erlauben. Sie können aber auch die Kommunikation und den Kontakt zwischen den Einzelpersonen ermöglichen bzw. erleichtern (IV. Kapitel, 7). Den persönlichen Kontakt können sie schließlich auch erleichtern, indem sie Anknüpfungspunkte für die Aufnahme eines Kontakts mit Unbekannten bieten und indem sie in etablierten Beziehungen gemeinsame Tätigkeiten ermöglichen und strukturieren (V. Kapitel, 3.4). Im Unterschied zur

Das Konzept der Sinndimensionen

Distinktion mitzuteilen, um Zugehörigkeiten zu markieren oder auch um Status zuzuschreiben. Hellmann beschreibt dies in seiner Markensoziologie folgendermaßen: „So kann mit Marshall Sahlins (1981, S. 252f.) davon ausgegangen werden, daß ‚der Mensch durch das Medium der Dinge zu Menschen spricht.‘ Jeder Gegenstand trägt demnach eine Bedeutung, die ihm durch die Gesellschaft mitgegeben wird, und diese Bedeutungshaftigkeit von Gegenständen ist wiederum geeignet, sie zur Kommunikation heranzuziehen, insbesondere im Konsumbereich: ‚Die Güter erscheinen als ein Objekt-Code zur Bezeichnung und Bewertung von Personen und Gelegenheiten, Funktionen und Situationen.‘ Dabei gilt auch hier, daß man schlechterdings nicht nicht kommunizieren kann: Solange der Kauf oder die Verwendung eines Gegenstands als Mitteilungsverhalten zugerechnet wird, liegt Kommunikation vor, unabhängig davon, ob tatsächlich eine Mitteilungsabsicht existiert oder nicht.“563

Wie groß das Repertoire an lesbaren Unterschieden einzelner Elemente ist und wie vielschichtig deren Bezüge sind, wurde anhand der Konsumentenkultur in 3.2.1 und 3.2.3 dargelegt. Vor allem in der Mode ist das Differenzieren anhand feiner Nuancen geläufig, denn bei der Betrachtung anderer Outfits können kleinste Details im Stil-Mix als ‚nicht passend‘ erkannt werden. Durch diese ‚Lesbarkeit‘ der Mode und ihre Verknüpfung mit Eigenschaften des Trägers oder seiner Persönlichkeit entstehe, so Esposito, eine ‚Illusion von Transparenz‘:

Erinnerungsfunktion ist die mediale immer industriell für die Kommunikation zwischen zwei realen, nicht imaginierten Kommunikationspartnern.“ Habermas: Geliebte Objekte, S. 429f. Ebenso Hahn, der neben ‚Alter-Perspektiven‘ auch die ‚Alter-Ego-Perspektive‘ einschließt: „Jeder Gebrauch eines Gegenstands in einem bestimmten Kontext bedeutet zugleich die Vermittlung einer Botschaft. Inhalte der Botschaften können sozial anerkannte Werte, aber auch der Status oder eine Eigenschaft des Besitzers oder Benutzers sein. Kommunikationstheoretisch gesehen werden solche Botschaften vom Besitzer oder Verwender des Objekts ausgesandt. Mögliche Empfänger sind er selbst sowie andere Personen in der Gesellschaft. Dinge sind in diesem Sinn hervorragende Träger von Bedeutungen; sie sind also ein Medium nichtsprachlicher Kommunikation und werden im Alltag vielfältig eingesetzt.“ Hahn: Materielle Kultur, S. 113. 563 | Hellmann: Soziologie der Marke, S. 380.

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„Die Semantik der Mode entsteht aber durch Verweis auf Interaktion und bleibt daher an diese gekoppelt. Weiterhin ist sie auf die Art und Weise bezogen, vor Personen in Erscheinung zu treten, die sich gegenseitig sehen und hören. Deshalb geht es hier auch um Kleidung, Frisuren und Accessoires – um sämtliche Elemente, die über den Wahrnehmungsweg eine Reihe von Informationen über den Gesprächspartner, über dessen Selbstbeobachtung und über die Art, in der er von anderen gesehen werden möchte, vermitteln. Das Individuum, das nun undurchsichtig ist und so auch definiert wird, inszeniert über Kleidung und über die Art, in Erscheinung zu treten, eine Illusion von Transparenz, auf die sich die laufenden Diskussionen über die Mode konzentrieren.“564

Im Rahmen dieser Zuschreibungen wird in erster Linie auf ein kulturelles Repertoire, auf gruppenspezifische Deutungsmuster und Übereinkünfte zurückgegriffen.565 Diese gelernten Interpretationsschemata verdichten sich teilweise zu so genannten ‚semantischen Superstrukturen‘, die bestimmte Anschlüsse wahrscheinlicher machen und so Komplexität beträchtlich reduzieren können. Schulze erläutert diesen Sachverhalt folgendermaßen: „Innerhalb dieses Symbolsystems gibt es semantische Superstrukturen, die hier als alltagsästhetische Schemata bezeichnet werden: kollektiv eingeschliffene Sinnkomplexe, Syndrome von Genuß, Distinktion und Lebensphilosophie, denen große Klassen ästhetischer Zeichen zugeordnet sind. [...] Die Operette paßt zum Dirndl, die Enzyklopädie zum

564 | Esposito: Die Verbindlichkeit des Vorübergehenden: Paradoxien der Mode, S. 162. 565 | Hellmann stellt dies mit Bezug auf Helene Karmasin ebenfalls dar: „Dahinter steht die Überlegung, daß Produkte und Marken mehr denn je die zentralen Bedeutungsträger zur Selbstverortung und Abgrenzung nach außen sind (vgl. auch Muniz 1997). ‚Das Gemeinsame dieser Funktionen ist es, daß sie es dem Einzelnen erlauben, eine Bedeutung auszudrücken, eine Botschaft über sich selbst zu formulieren: wie er ist, wie er gesehen werden möchte, welchen Gruppen, Werten, Ideologien er sich zugehörig fühlt und, was wesentlich ist, wer er sicher nicht ist‘, so Karmasin (1998, S. 234). Dies darf jedoch nicht so verstanden werden, als ob die Anwendung dieses Bedeutungssystems von Produkten und Marken ein rein individueller Akt sei. Denn die soziale Bedeutung der Produkte und Marken ist der willkürlichen Interpretation entzogen, weil wir alle – so Karmasin – sozial vorgeprägt sind und uns mehr oder weniger schematisch verhalten.“ Hellmann: Soziologie der Marke, S. 101.

Das Konzept der Sinndimensionen

Orgelkonzert, das Fahrradfahren zur taz-Lektüre. Im Stil werden diese Felder immer konsistent zitiert.“566

In der Sozialdimension erfolgt durch semantische Superstrukturen demzufolge eine Reduktion von Komplexität, gleichzeitig kann aber auch ein Komplexitätsauf bau beobachtet werden, der aus der ‚Modellierung von graduellen Abweichungen‘ im Rahmen des Samplings von Stilen hervorgeht.567 Die beiden Pole der Komplexitätsreduktion und des Komplexitätsaufbaus finden sich auch in den im 3. Kapitel beschriebenen Veränderungen der Produkt- und Konsumentenkultur. Man könnte sie, in Anlehnung an Schulze, unter dem paradoxen Wortpaar des ‚gemeinschaftlichen Individuums‘ fassen oder gemäß Esposito als eine ‚kollektive Teilnahme an Einzigartigkeit‘568 beschreiben. Damit soll verdeutlicht werden, dass Konsumenten im Rahmen der Sozialdimension Waren dazu benutzen, um Zugehörigkeiten zu größeren Gruppen zu signalisieren und zugleich durch die Kombination (oder das Sampling) dieser Waren ihre Einzigartigkeit zu dokumentieren. Schulze fasst dies folgendermaßen zusammen:569

566 | Schulze: Die Erlebnisgesellschaft : Kultursoziologie der Gegenwart, S. 122. 567 | Elke Gaugele bezeichnet in ihrem Aufsatz über Paradoxien des Samplings im Kontext der Jugendkultur die Modellierung von graduellen Abweichungen durch das Sampling als „eine Technik von Polysemie […] , denn das Spektrum an symbolischen Bedeutungen von Kleidungsstücken wird dabei enorm erweitert durch das Feld der Unterschiede. [...] Sampling ist auch eine Praktik zur Verweigerung von Kategorisierung.“ Gaugele: „Style-Post-ProDuktionen: Paradoxien des Samplings“, S. 224. 568 | „Die Mode ist vor allem Versprechen und Suche nach Individuation: Das Individuum folgt der Mode, um die eigene Einzigartigkeit durchzusetzen und unter Beweis zu stellen, und es tut dies, indem es sich nach einer allgemeinen Tendenz ausrichtet. Das Individuum macht also, was die anderen machen, um anders zu sein. Auf diese Weise, so Simmel, kombiniert die Mode die Orientierung am Beispielhaften mit dem Bedürfnis nach Distinktion und tendiert dazu, den Einzelnen mit dem Universellen zu verschmelzen und zugleich nach der individuellen Differenzierung zu suchen.“ Esposito: Die Verbindlichkeit des Vorübergehenden: Paradoxien der Mode, S. 13. 569 | Der gleiche Sachverhalt wird auch bei Habermas beschrieben: „Die Markierung sozialer Identität durch den Erwerb von Waren kann immer nur die Zugehörigkeit zu einer größeren sozialen Kategorie signalisieren; allein durch die individuelle Kombination solcher in großer Zahl existierender Objekte können sie die Funktion der persönlichen Distinktion erfüllen

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„Die Konsequenz ist eine neue Form der Individualitätsillusion. Es blieb dem späten 20. Jahrhundert vorbehalten, These und Antithese, die inszenierte Individualität und Sehnsucht nach Zugehörigkeit, zur Synthese zu bringen. Was zunächst wie die Quadratur des Kreises anmutete, erscheint nun den Zeitgenossen ganz simpel. Die Verschmelzung von symbolischer Individualität und Zugehörigkeit wurde zur täglichen Übung. [Absatz im Orig., Anm. d. Verf.] Man braucht einige Distanz und Ref lektiertheit, um das tägliche Spiel der Gleichsetzung von Massenhaftem und Individuellem überhaupt noch wahrzunehmen. Inzwischen steht für jeden Geschmack ein ausdifferenziertes Arsenal von Symbolen und Habitustypen zur Verfügung, die als ‚individuell‘ kodiert sind. Es gibt kaum ein Produkt, das nicht mit der Botschaft angeboten würde, gerade der Konsum dieses Produkts bringe die Individualität des Konsumenten zum Ausdruck. Es muss sich dabei nicht um Klassiker inszenierter Individualität wie Motorräder der Marke Harley Davidson (Easy Rider!), Lederjacken (James Dean!) und Weltreisen (Bruce Chatwin!) handeln. [Absatz im Orig., Anm. d. Verf.] […] Die erstaunliche kulturelle Neuerung besteht dabei in der Auf hebung der bürgerlichen Trennung von inszenierter Individualität einerseits und dem Massenhaften andererseits. Statt dessen wurde die Inszenierung von Individualität zu einem Akt der Zugehörigkeitserklärung. Andie Stelle des einsamen Individuums ist das gemeinschaftliche Individuum getreten: ein Widerspruch in sich selbst.“570

Wie wichtig die Synthese von Gemeinschaft und Individualität als Merkmal der aktuellen Konsumentenkultur ist, wird auch daran ersichtlich, dass beispielsweise Hörning, Ahrens und Gerhard den Zusammenhang von individuellen Deutungs- und Interpretationsmustern und gesellschaftlichen Strukturvorgaben in ihrem Lebensstilansatz thematisieren.571 Auch

(Goffmans persönliche Identität als einmalige Kombination sozialer Identitätszeichen).“ Habermas: Geliebte Objekte, S. 189f. 570 | Schulze, Gerhard: „Inszenierte Individualität - Ein modernes Theater“, in: van Dülmen, Richard (Hrsg.): Entdeckung des Ich: Die Geschichte der Individualisierung vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Darmstadt: Wiss. Buchges. 2001, S. 557–580, hier S. 578f. 571 | „Mit dem hier vorgestellten autonomieorientierten Lebensstilansatz wird ein neues Terrain innerhalb der Lebensstilforschung betreten, das die Frage nach der Generierung von Lebensstilen nicht in einem fruchtlosen Entweder-Oder (Sozialstrukturvorgaben versus

Das Konzept der Sinndimensionen

Habermas hebt die Bedeutung der Sozialdimension zur Symbolisierung des individuellen Status mittels Konsumgütern hervor.572

subjektive Deutungsleistungen) münden lässt. Damit gewinnt eine theoretische Perspektive an Prägnanz, die den Lebensstil nicht länger als ein abgeleitetes Phänomen betrachtet, sondern sich auf die Frage konzentriert, wie sich Lebensstilstrukturen als Einheit selbst formieren und produzieren. Lebensstile bilden eine je spezifische Eigenkomplexität mit einem je eigenen Kräfte- und Wirkungspotential aus. Ein derartiger Lebensstilansatz versteht Lebensstile als eine Art „Scharnier“, das variable Anschlüsse ausbildet. So erhalten wir differenzierte Aussagen darüber, in welcher Form im Lebensstil subjektive Deutungsund Interpretationsmuster in ihrem Spielraum eine Begrenzung finden, als auch darüber, welche zahlreichen, je unterschiedlichen Anschlüsse im Lebensstil an gesellschaftliche Strukturvorgaben formuliert werden. Damit ist dieses Konzept in der Lage, sowohl einen tiefenscharfen Einblick in die jeweilige interne Spezifität der unterschiedlich konfigurierten Lebensstile zu geben als auch die Dynamik der Formenvielfalt der Lebensstile aufzunehmen. Die unterschiedlichen Lebensstile werden als gleichrangige Formen begreifbar. Statt Distinktion und Kampf um Anerkennung auf dem Feld der „legitimen“ Kultur voranzustellen, konzentrieren sich diese Lebensstile auch in ihrer wechselseitigen Profilierung vorwiegend auf sich selbst [14]. Indem die einzelnen Lebensstilformationen ihre Identität und spezifische Kontur durch ein gegenseitiges „In-Beziehung-Setzen“ bzw. in der Abgrenzung, in der Differenz und Distanz zu anderen gewinnen, lassen sie sich nicht länger in eine gesellschaftliche Hierarchisierung, in eine gegenseitige Über- und Unterordnung bringen. Von keinem der Lebensstile kann daher ein Vorbildanspruch abgeleitet werden.“Hörning, Ahrens und Gerhard, S. 33–52 (S. 48f). [14] Die Auseinandersetzungen, Konflikte und Definitionskämpfe, die zwischen den Lebensstilen stattfinden, sind demnach auf Differenzen in den Relationsmustern der Lebensstile zurückzuführen. Eine „Politik der Lebensstile“ (vgl. Berking/Neckel 1987) heißt dann in diesem Sinne nichts anderes als die „Relationierung von Relationen“, die die Lebensstile untereinander betreiben.“ Ebd. S. 50. 572 | „Mit steigender sozialer Mobilität werden soziale Positionen immer weniger übernommen als vielmehr inividuell errungen (ascribed vs. achieved status); mit diesem Prozeß geht einher ein Wandel der Sozialstruktur und Statussymbole, die sich von primär symbolischen, ja gar rituellen Objekten in nun mehr sekundär symbolische Gebrauchsgegenstände verwandeln. [...] Im Zuge der Deritualisierung des Alltagslebens und der Mobilisierung der Positionszuweisungen wird immer weniger die soziale Struktur und immer stärker die individuelle soziale Position durch Konsumgüter symbolisiert, die primär Gebrauchs-, genauer Verbrauchsgüter sind und deshalb erst sekundär symbolischen Wert erhalten. Der Zugang zu ihnen ist nicht mehr normativ geregelt, sondern durch Kaufkraft und Geschmack bestimmt.

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Ebenso stellte Gros die Relevanz der Sozialdimension – oder in der Terminologie des Offenbacher Ansatzes: die Bedeutung der ‚Symboldimension‘ – im Kontext ausdifferenzierter Märkte heraus. Dies formuliert er in ‚Design als Produktsprache‘ beispielsweise folgendermaßen: „Aber das gilt mehr oder weniger generell: Wo uns Produkte im sozialen und ideellen Raum positionieren, erscheinen Symbole zumeist wichtiger als die Anzeichen einer mehr oder weniger optimierten Technik. Produkte mit der ‚falschen‘ Symbolik können ebenso unverkäuf lich sein wie solche, die praktisch nicht funktionieren. Design, das über einen gewissen Toleranzbereich hinaus semantisch von einem sozialen, geistigen oder subkulturellen Korridor abweicht, ist genauso out, als ob es technisch unbrauchbar wäre.“573

Diese Ausführungen geben zum einen einen Eindruck davon, dass der Stellenwert der Sozialdimension weiterhin hoch ist. Zum anderen wird der im Vergleich zum Begriff der ‚Symbolfunktion‘ größere Umfang dieser Dimension offenbar. Denn in dem an die soziologische Systemtheorie angelegten Begriff werden mehrere, parallel existierende Alter-Perspektiven berücksichtigt.

(d) Fiktionsdimension Neben diesen drei von Luhmann definierten Sinndimensionen soll hier eine vierte eingeführt werden, die die Ego-Perspektive im Kontext der Konsumkultur besser fassbar macht.574 Schon Schützeichel legt im Anschluss an die Vorstellung von Luhmanns Sinndimensionen dar, dass die Systemtheorie nicht nur drei, sondern vier Sinndimensionen berücksichtige. Bei der vierten handle es sich um die Differenz von Selbstreferenz und Fremd-

Der soziale Status ist informeller, weniger festgelegt und damit weniger durch Objekte definierbar.“ Habermas, S. 183ff. 573 | Steffen: Design als Produktsprache, S. 87. 574 | Diese vierte Dimension wird in Anlehnung an Ullrichs „Fiktionswert“ als Fiktionsdimension bezeichnet. Ullrich: „Philosophen haben die Welt immer nur verschieden interpretiert verändern Produktdesigner sie auch?“, S. 112.

Das Konzept der Sinndimensionen

referenz.575 Er belegt diese These mit einem Verweis auf „Die Gesellschaft der Gesellschaft“ und begründet, dass Luhmann diese Differenz auf phänomenologische Weise als Horizontbildung auffasse, „in welcher sich die Sinnbildungen orientierend generieren.“576 Im Kern wird diese These an folgendem Luhmann-Zitat fest gemacht: „Hieraus folgt, daß das System, das die eigene Autopoiesis nur in Einzeloperationen prozessieren kann, sich selbst unzugänglich ist. Es ist für sich selbst intransparent, und zwar ebenso intransparent wie die Umwelt. Man kann daher auch sagen: Selbstreferenz und Fremdreferenz verweisen in prinzipiell unendliche Horizonte immer weiterer Möglichkeiten, deren Ausschöpfung an der geringen operativen Kapazität und an dem Zeitbedarf der Operationen scheitert.“577

Die Differenz ‚Selbstreferenz/Fremddifferenz‘ lässt sich in dem hier angestrebten Rahmen sehr gut als Doppelhorizont nutzen, denn die EgoPerspektive kann beispielsweise Sinneseindrücke und deren Verarbeitung (Selbstreferenz), aber auch fiktive Elemente wie Leistungsfähigkeit im Kontext anderer (Fremdreferenz) beinhalten. In früheren Aufsätzen habe ich diese Dimension noch als ‚Erlebnisdimension‘ bezeichnet.578 Dieser Begriff wurde in Anlehnung an Schulzes Kultursoziologie der Gegenwart579 gewählt, um ‚innenorientierte Ziele‘ bei der Rezeption von Produkten zu erfassen. Mit ‚innenorientiert‘ ist gemeint, dass bei Erlebnissen nicht mehr der außenorientierte Sachverhalt (Sozialdimension), solche Erlebnisse zu haben, erfasst wird, sondern ob sie nach einer inneren Verarbeitung als ‚schön‘ empfunden werden. Bezogen auf die oben genannte Horizontbildung wird Selbstreferenz über den Begriff Identität beschrieben. Er lasse sich, wie Habermas in Anlehnung an Erik Eriksons erläutert, anhand des Gegensatzpaares ‚Einzigartigkeit‘ versus ‚Zugehörigkeit‘ abgrenzen. Dabei gehe es erstens um die Kontinuität, mit der sich eine Person selbst im Lauf der Zeit zwischen

575 | Schützeichel: Sinn als Grundbegriff bei Niklas Luhmann, S. 47. 576 | Ebd. 577 | Luhmann: GdG, S. 885f. 578 | Schwer: „Black box consumption? From the targeted transfer of information to the context-based allocation of meaning“. 579 | Schulze: Die Erlebnisgesellschaft : Kultursoziologie der Gegenwart.

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den Polen der totalen Erstarrung und der ständigen Veränderung bewege, um Selbstkonsistenz in verschiedenen sozialen und affektiven Situationen herzustellen580, zweitens um Autonomie als Fähigkeit, Handlungen zu initiieren und erfolgreich auf die Umwelt einzuwirken581, und schließlich um eine Form der Selbstbewertung, die zur Wertschätzung der Person sich selbst gegenüber gehöre. Auch Esposito stellt in ihrer Arbeit über die Bedeutung der Mode fest, dass die Identität einer Person nun nicht mehr in sozialen Beziehungen realisiert werde, sondern unabhängig davon gefunden werden müsse, und zwar in einer Kombination aus Konformität und Abweichung.582 Der andere Pol, die Fremdreferenz, wird mit dem Begriff der Fiktion beschrieben, er wurde im Kontext der Konsumentenkultur bereits in Kapitel 3.2.4 beleuchtet. Durch ihren Fiktionswert gelingt es Produkten, Emotionen hervorzurufen, die auf Erlebnissen „im eigenen Kopf“583 basieren, wie Illouz anhand alltäglicher Produkte wie einer Zahnpasta oder einem Auto darlegt. Illouz wie auch Ullrich greifen zur Illustration der dabei stattfindenden Prozesse das Bild des Romanlesens auf. Ullrich sieht sogar Analogien zwischen dem ‚Fiktionswert‘ von Produkten und religiöser Überhöhung: „Immerhin versprechen zahlreiche Produkte eine jeweils spezifische Wirkung, die deutlich über den Gebrauchswert hinausgeht und, da sie sich als Verklärung, Heilung oder Stimulans äußert, in religiöse Leistungsprofile reicht. Allein durch ihre Gestaltung und Vermarktung stellen Produkte wie jene Socken Höchstleistung in Aussicht; sie versetzen den Konsumenten und Nutzer in eine positive Rolle (beispielsweise die eines erfolgreichen Skifahrers) und imaginieren eine Überhöhung des Alltäglichen. Sie besitzen also einen Fiktionswert, und im Extremfall stellt sich sogar – wie bei Judith Levine und ihren Wollsocken – ein Placeboeffekt ein.“584

580 | Habermas: Geliebte Objekte, S. 23. 581 | Ebd., S. 577. 582 | Esposito: Die Verbindlichkeit des Vorübergehenden: Paradoxien der Mode, S. 84. 583 | Illouz: „Emotion, Imagination und Konsum: Eine neue Forschungsaufgabe.“, S. 80. Das Beispiel wurde bereits in Kapitel 3.2.4 zitiert. 584 | Ullrich: „Philosophen haben die Welt immer nur verschieden interpretiert - verändern Produktdesigner sie auch?“, S. 112.

Das Konzept der Sinndimensionen

Somit wurde der Doppelhorizont der Fiktionsdimension mit den Begriffen ‚Identität‘ im Sinne einer Positionsbestimmung der eigenen Person (Selbstreferenz) auf der einen Seite und ‚Fiktion‘ als dem Durchspielen möglicher alternativer Positionen (in dieser Hinsicht eine Form von Fremdreferenz) weiter präzisiert.585 Im Zusammenhang mit materiellen und immateriellen Konsumgütern wie Software oder Dienstleistungen, aber auch Erfahrungsgütern586 wie Filmen, Events oder Urlaubsreisen wird von Illouz und Habermas zudem der Begriff ‚Emotion‘ als Benennung einer Kategorie des Konsums genutzt. Die damit verbundenen Phänomene sollen hier aufgegriffen werden, um die Fiktionsdimension weiter zu charakterisieren. Auf der grundlegendsten Ebene werden in der Fiktionsdimension Stimmung und Befindlichkeit beeinflusst. Habermas erläutert diese Ebene im Rahmen seiner Darstellung unterschiedlicher Funktionsaxonomien folgendermaßen: „Die meisten persönlichen Objekte erfüllen auch emotionale Funktionen, die ich in vier Gruppen unterteilt habe. Dazu gehört erstens die Veränderung des Aktivationsniveaus des Organismus in Richtung auf Entspannung oder, entgegengesetzt, auf Erhöhung der Spannung, also Anregung (II. Kapitel, 3). Alle Angaben, daß das Objekt ‚Spaß‘ oder ‚Freude‘ macht oder der Unterhaltung dient, deute ich als Hinweis auf den Anregungsgehalt des Objekts. [Absatz im Orig., Anm. d. Verf.] Zweitens können persönliche Objekte als Sicherheitsobjekte (III. Kapitel) dienen, in funktionaler Kontinuität mit den frühkindlichen Bildungsobjekten. Sie können Angst besänftigen, ein Gefühl der Geborgenheit vermitteln oder auch einfach durch ihre Vertrautheit (II. und III. Ka-

585 | Auch Illouz verweist in diesem Zusammenhang auf eine fremdreferenzielle Komponente, denn unter dem verwandten Begriff der „Imagination“ versteht sie „die gesellschaftlich verortete Entfaltung kultureller Phantasien“. Illouz: „Emotion, Imagination und Konsum: Eine neue Forschungsaufgabe.“, S. 49. 586 | Illouz führt diesen für immaterielle Konsumgüter sehr treffenden Begriff im Rahmen ihrer Ausführungen zur Emotion als Kategorie des Konsums ein: „Ein weiteres Merkmal der Konsumentenkultur ist ihre Sättigung mit Affekten. Ein Grund dafür ist, dass viele Gebrauchsgüter, die auf dem Markt sind, als Erfahrungen verkauft werden. Unzweifelhaft gilt es für die Kultur-, Freizeit- und Tourismusindustrie, die zum großen Teil Erfahrungsgüter verkauft, immaterielle Güter also, deren Wert sich durch den Akt des Kaufens selbst gemachten Erfahrung liegt.“ Ebd., S. 56.

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pitel) ein Gefühl der Sicherheit vermitteln.[Absatz im Orig., Anm. d. Verf.]Drittens kann nicht nur der Kauf von Dingen die Stimmung beeinf lussen (Luomala und Laaksonen, 1997), sondern auch schon besessene, persönliche Objekte können spezifische Stimmungen beeinf lussen bzw. ausdrücken, so, wenn man passende Musik hört oder entsprechend der eigenen Gestimmtheit Auto fährt. Sie können als emotionales Ventil der kathartischen Entlastung dienen, und sie können, wiederum in funktionaler Anknüpfung an das Übergangsobjekt, in depressiven Stimmungen trösten. [Absatz im Orig., Anm. d. Verf.]Schließlich bieten sie Fluchtmöglichkeiten aus beengenden Situationen, zum einen die Flucht in den Tagtraum, zum anderen in spezifischere, durch das persönliche Objekt vermittelte entfernte oder Traumwelten (V: Kapitel, 4).“587

Auf der nächsten Ebene kann die Erhöhung von Autonomie und Handlungskompetenzen angesprochen werden. Die körperliche Erfahrung des Gebrauchs, wie Hahn sie anhand des Lernprozesses zum Erlernen der Bedienung einer Computermaus darstellt588, kann hierunter ebenso angeführt werden wie die Instrumentalisierung von Produkten zum Erreichen persönlicher Ziele589 oder auch zur Erhöhung der persönlichen Autonomie.590 So ermöglicht der Besitz eines eigenen Kopiergeräts beispielsweise die spontane Duplizierung von Kochrezepten für Gäste, wenn eine zubereitete Speise als besonders gelungen gelobt wird, oder eines Fotodruckers, dass Bilder eines gemeinsamen Ausflugs direkt ausgedruckt und verteilt werden können. Allein der Gedanke an die mit Produkten verbundene Freiheit spielt bei vielen Kaufentscheidungen eine Rolle. Der Stolz, der sich im Zuge der Beherrschung komplexer technischer Geräte einstellt, wird auf dieser Ebene gleichermaßen erfasst.

587 | Habermas: Geliebte Objekte, S. 430f. 588 | „Schließlich mag das banale Beispiel der Computermaus als anschauliches Objekt dienen: Dabei geht es nicht nur um die Tatsache, dass kaum einer der Benutzer weiß, wie die in dem Plastikobjekt verborgene Mechanik und Elektronik funktionieren, sondern auch um die ‚Inkorporation‘ dieses Gerätes, also um die körperliche Erfahrung des Gebrauchs, und damit um die zunächst unsichere und erst nach einem Lernprozess allmählich eintretende Beherrschung dieses Geräts.“ Hahn: „Konsumlogik und Eigensinn der Dinge“, S. 107. 589 | Habermas: Geliebte Objekte, S. 433. 590 | Ebd., S. 427.

Das Konzept der Sinndimensionen

Die letzte hier angeführte Ebene soll mit dem Begriff ‚Selbstkommunikation‘ bezeichnet werden. Habermas fasst die damit einhergehenden psychischen Vorgänge folgendermaßen zusammen: „Selbstkommunikative Funktionen erfüllen Objekte zum einen in eher expliziter Form (B), wobei das persönliche Objekt die Rolle eines imaginären Dialogpartners übernimmt, der nicht selten mit einer spezifischen Identität versehen und anthropomorphisiert wird, zum anderen die eher abstrakte des Nachdenkens, bei der das persönliche Objekt zu einer abgeschirmten, entspannten Situation beiträgt, nicht aber für den Dialogpartner steht. Das Nachdenken kann sich im besonderen mit dem eigenen Leben, der Lebensgeschichte beschäftigen (IV. Kapitel 5).“591

Ein Motorroller kann beispielsweise an erste Mobilitätserlebnisse in der Jugend erinnern oder bei Personen, die ihre Jugend in den 1950er-Jahren erlebt haben, sogar für das Lebensgefühl der Wirtschaftswunderjahre stehen und die eigene Teilhabe am wachsenden Wohlstand dieser Zeit symbolisieren. Ein Sportwagen kann ebenso für einen besonderen Abschnitt der eigenen Biografie stehen wie als Zeichen für einen gelungenen Lebensstil herangezogen werden. Die damit verbundene Emotion wird von Illouz in Anlehnung an den ‚Eudämonismus‘ beschrieben.592 Die anhand des spezifischen Doppelhorizontes Identität/Fiktion sowie einiger Beispiele dargelegte vierte Sinndimension macht einen Bereich zugänglich, der vor allem für die in Kapitel 3 beleuchteten Veränderungen der Konsumkultur relevant war. Insbesondere bei Aneignungsprozessen spielen nicht in erster Linie Alter-Perspektiven eine Rolle, sondern unterschiedliche Blickwinkel der Ego-Perspektive. Die oben dargelegten Ausprägungen der Fiktionsdimension sind als eine erste Skizzierung zu verstehen, die im Rahmen designwissenschaftlicher Analysen von Konsumprodukten überprüft und weiter präzisiert werden muss.

591 | Ebd., S. 425. 592 | Illouz: „Emotion, Imagination und Konsum: Eine neue Forschungsaufgabe.“, S. 59.

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4.4 Zusammenfassung Die Formulierung Gripp-Hagelstanges, dass unser heutiges Weltbild nicht mehr von der Natur, sondern von Unwahrscheinlichkeiten geprägt sei, illustriert den fundamentalen Bruch, der durch den radikalen Konstruktivismus eingeleitet wurde. Wie die Forschungen von Heinz von Foerster, Humberto R. Maturana und Ernst von Glaserfeld nahelegen, ist ein direkter Zugang zu einer ‚möglicherweise‘ vorhandenen Realität nicht mehr denkbar, da das Bild der Welt immer von einem Beobachter konstruiert wird; das Subjekt steht immer im Zentrum der Erkenntnis. Die von Niklas Luhmann formulierte soziologische Systemtheorie greift diese Überlegungen auf, um alles Soziale unter dem entsprechenden Blickwinkel zu beobachten. Die daraus resultierende Welt wird anhand von Systemen und ihren Umweltbeziehungen beschrieben. Systeme differenzieren sich im Verlauf von evolutionären Prozessen immer weiter aus. Die Gesellschaft wird folglich durch eine immer größer werdende Zahl hochspezialisierter Teilsysteme gebildet, welche die Umweltkomplexität reduzieren, aber gleichzeitig auch eine komplexere Umwelt auf bauen. Psychische Systeme sind in diesem Zusammenhang nicht auf ein soziales System festgelegt. Sie können an unterschiedlichen gesellschaftlichen Teilsystemen, Organisationen oder auch an verschiedenen Kommunikationen teilhaben. Kommunikation wird in der Systemtheorie nicht als Akt der Informationsübertragung verstanden, sondern als Resultat einer Informationskonstruktion. Ein geglückter Kommunikationsvorgang hängt somit nicht mehr in erster Linie von der Kommunikationsfähigkeit des Mitteilenden ab, sondern vom Grad des Verstehens des anderen Teilnehmers. Missverständnisse sind, folgt man diesem Ansatz, nicht mehr lediglich Ausnahmen oder Fehler in der Kommunikation, sondern grundlegender Bestandteil. Luhmann nutzt den Begriff ‚Kontingenz‘ um diesen Sachverhalt zu benennen – er erfasst damit alles, was weder notwendig noch unmöglich ist. Diese Sicht von Kommunikation beschränkt sich nicht auf sprachlich vermittelte Informationen. Auch die Kommunikation über Produkte wird durch Informationskonstruktionen und damit zusammenhängende Kontingenzen geprägt. Alltagserfahrungen wie die Fehldeutung von Funktionen oder eine unterschiedliche Zuschreibung von Bedeutungen in verschiedenen Zielgruppen bestätigen diese These. Folglich ist ein Aufgreifen der systemtheoretischen Sichtweise im Rahmen der Designwissenschaften evident.

Das Konzept der Sinndimensionen

Die damit verbundene grundlegende Abweichung zum informationsübertragenden Modell des ‚Offenbacher Ansatzes‘ soll jedoch nicht als eine Abkehr von diesem verstanden werden. Die Verwendung der soziologischen Systemtheorie soll vielmehr zu einer Weiterentwicklung beitragen, um der gestiegenen Komplexität in der Produkt- und Konsumentenkultur , wie sie im dritten Kapitel beschrieben wurde, Rechnung zu tragen. Denn in dem neuen Modell können unterschiedliche Beobachterperspektiven dargestellt werden – ebenso kann den unterschiedlichen Verweisungen und Kontexten von Produkten nachgegangen werden. Das Konzept der Sinndimensionen ermöglicht hinsichtlich des hier formulierten designwissenschaftlichen Ansatzes, die Komplexität der vielfältigen Deutungsrichtungen zu strukturieren und damit handhabbar zu machen. Durch die Verwendung von Doppelhorizonten zur Beschreibung der einzelnen Sinndimensionen werden die nicht aufgegriffenen Möglichkeiten nicht ausgelöscht, sondern in Form von Verweisungshorizonten verfügbar gehalten. So stehen sie für andere Beobachterpositionen als mögliche Anschlüsse weiter zur Verfügung. Die Erweiterung der von Luhmann eingeführten drei Sinndimensionen – Sach-, Zeit- und Sozialdimension – um die Fiktionsdimension soll der in Kapitel 3.2.4 beschriebenen neuen Qualität der Konsumentenkultur Rechnung tragen. Darüber hinaus soll das Konzept der Sinndimensionen herangezogen werden, um Aneignungsprozesse, wie sie in Kapitel 3.2.5 beschrieben wurden, zu analysieren und die darin erkannten Muster für die gestalterische Praxis nutzbar zu machen. Auf diese Weise sollen kontingente Deutungen und Handlungen, insbesondere kreative Umcodierungen und neue Zweckzuschreibungen von Konsumenten aufgedeckt und in Bezug zu alternativen Anschlüssen gesetzt werden. Eine Anwendung dieser Deutungsschablone auf unterschiedliche Phänomene der Konsumkultur soll im nächsten Kapitel die neuen Erkenntnismöglichkeiten dieses Ansatzes weiter präzisieren.

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5. Zwischen Massenkultur und Einzigartigkeit: Sinndimensionen aktueller Produkte In den vorangegangenen Kapiteln wurde gezeigt, dass das Komplexitätsniveau der aktuellen Konsumkultur durch einen Evolutionsprozess von Produktangeboten und neuen Formen, diese aufzugreifen, sprunghaft angestiegen ist. Hersteller versuchen durch eine Aufladung mit unterschiedlichen Bedeutungen und eine immer feiner gestaffelte Nuancierung eine fortwährende Steigerung des Absatzes zu erreichen. Auf der anderen Seite haben Konsumenten Strategien entwickelt, um mit dieser Komplexität umzugehen, die vorgefertigten Waren aus der Anonymität der Massenkultur herauszulösen und Produkte in eigenen Zusammenhängen zu nutzen und in eigenen Bedeutungsräumen zu interpretieren. Der Übergang vom passiven Konsumieren hin zum aktiven Aufgreifen stellt die gestalterische Praxis und die theoretische Auseinandersetzung mit diesen Konsumphänomenen vor neue Herausforderungen. Dabei handelt es sich um eine ähnliche Situation, wie die des Übergangs vom funktionalistischen Paradigma hin zu postmodernen Produktausprägungen, die im 2. Kapitel beschrieben wurde. Die vor diesem Hintergrund entstandene Theorie der Produktsprache hatte den veränderten Anforderungen der Konsumkultur der 1970er Jahre einen neuen designwissenschaftlichen Deutungsansatz gegenübergestellt, der den veränderten Qualitäten der Mensch-Objekt-Relation Rechnung trug. Der radikale Konstruktivismus und die von Luhmann formulierte soziologische Systemtheorie bieten eine theoretische Basis, um Kommunikations- und Deutungsprozesse in ausdifferenzierten Gesellschaften darzustellen und zu verstehen. Von zentraler Bedeutung für diese Arbeit ist der in diesem Zusammenhang formulierte Begriff der Kontingenz, der die prinzipielle Offenheit und Ungewissheit menschlicher Wahrnehmungen, Deutungen und Erfahrungen beschreibt. Kontingenzphänomene können als Störquellen der Kommunikation gesehen werden – beispielsweise im Bereich der Marktforschung. Denn in deren Perspektive erschienen, so Liebl, Verwendungsformen und Kaufentscheidungen von Konsumenten

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Produktsprachen

„mit Regelmäßigkeit als Ausdruck von ‚widerspenstigen Praktiken‘.“593 Die unvorhergesehenen Nutzungen von Produkten können im Gegensatz dazu aber auch als „Zweckentdeckungen“594 gesehen werden, wie Dorschel den phantasievollen Umgang mit praktischen Funktionen eines Produktes nennt.595 Diese Auffassung steht in starkem Kontrast zu der funktionalistischen Doktrin, dass die Form eines Produktes einer zuvor festgelegten Funktion folgen muss. Dieses veränderte Verständnis lässt eine Deutung von Produkten auf Basis festgelegter Kausalketten nicht mehr zu. Denn unterschiedliche Perspektiven bedingen unterschiedliche Objektrezeptionen an die Stelle eindimensionaler Deutung tritt ein kulturelles Bedeutungsnetz. „Objektbedeutungen sind also nicht unübersetzbar, sie sind immer in vielfältiger Weise übersetzbar“596, wie Hahn mit Blick auf interkulturelle Kommunikationsformen schreibt, die als eine weitere Quelle von Unsicherheiten in der Aufnahme von Konsumgütern gesehen werden kann. Boehe und Selle stellten bereits 1986 in ihrer Analyse von Wohnensembles fest, dass Produkte im Alltag von Anpassungen und dem Eigensinn ihrer Nutzer geprägt werden: „So kann ein Ding zu ganz anderem Zweck gebraucht werden, als wofür es geplant und gestaltet wurde. Der Designer vermag den Gegenstand nur mit sehr allgemeinen Anmutungseigenschaften auszustatten; der Gebraucher nimmt ihm das Heft aus der Hand und gestaltet selbst, insoweit jeder Gebrauch teilweise selbstbestimmte Ordnungsprinzipien, Deutungslinien und Erfahrungsdimensionen schafft oder sich darauf bezieht. Hinter allen sozialen Normen und dem je gültigen zivilisatorischen Deutungsmodell der Dinge dehnen sich zahllose Variationen des persönlichen Wertempfindens, der Gebrauchsökonomie und -ästhetik aus, an die kein Designer je gedacht haben kann oder denken könnte, es würde ihn nur verwirren. Sein Massenprodukt, dieses anonyme Ding,

593 | Liebl/Düllo/Kiel: „Before and After Situationism - Befor and After Cultural Studies: The Secret History of Coltural Hacking“, S. 20f. 594 | Dorschel: Gestaltung, S. 33. 595 | Auch Liebl; Düllo und Kiel verweisen auf Dorschels Begriff der Zweckentdeckung: Liebl/Düllo/Kiel: „Before and After Situationism - Befor and After Cultural Studies: The Secret History of Coltural Hacking“, S. 22. 596 | Hahn: Materielle Kultur, S. 124.

Sinndimensionen aktueller Produkte

wird erst durch Aktivität, Erfahrung und Phantasie des Subjekts in dessen Lebenszusammenhang integriert.“597

Das im vorangegangenen Kapitel formulierte Konzept der Sinndimensionen soll diesem Sachverhalt Rechnung tragen, indem es ein offenes, zwischen vier Doppelhorizonten aufgespanntes Analysemodell bereitstellt. Die designwissenschaftliche Untersuchung von Produkten soll auf diese Weise unterschiedliche, teilweise sogar widersprechende Deutungsansätze strukturiert darlegen und gewichten können. Auch Produktensembles – ganz gleich ob direkt voneinander abhängig, wie Smartphone und installiertes Betriebssystem, oder unabhängig voneinander nutzbar, wie Musikspieler, Smartphones und Docking Stations – sollen damit betrachtet werden können. Dies soll in den folgenden Unterkapiteln anhand von Produktdeutungen exemplarisch gezeigt werden. Die Auswahl umfasst sowohl Produkte der Großserienfertigung wie auch solche aus manufaktureller Herstellung. Zusätzlich werden Produkte beleuchtet, die subkulturelle Anknüpfungspunkte bieten oder durch Nutzer verändert wurden. Diese heterogene Auswahl von Beispielen soll verdeutlichen, wie Hersteller, aber auch Nutzer auf unterschiedlichen Ebenen Individualisierungstendenzen realisieren.

5.1 Bedeutungsmodulation durch Ensemblebildung – das Smartphone als individualisiertes Massenprodukt In den vorangegangenen Kapiteln wurde das iPhone bereits mehrfach als Beispiel für Besonderheiten in der aktuellen Produkt- und Konsumentenkultur angeführt. Das erstmals 2007 vorgestellte Gerät markiert Apples Einstieg in den Handymarkt – ein mobiles Telefon mit Zusatzfunktionen wie einem tragbaren Musikabspielgerät, Organizer, Internetbrowser, E-MailProgramm etc., dessen Grundfunktionalität über Zusatzprogramme erweitert werden konnte. Damit stellte das iPhone keine völlig neue Funktionalität oder Gerätegattung dar, wohl „aber eine überzeugend optimierte

597 | Selle/Boehe: Leben mit den schönen Dingen, S. 50.

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Produktsprachen

Symbiose aus Hard- und Software“598, wie der Publizist Thomas Wagner im Katalog zur Ausstellung ‚Apple Design‘ im Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg zusammenfasst.

Abbildung 27: Nokia Communicator-Baureihe – die Modelle 9000, 9110, 9210, 9500.

Mobiltelefone der 1996 von Nokia in Deutschland eingeführten ‚Communicator-Baureihe‘ (siehe Abb. 27) besaßen bereits vergleichbare Funktionen. Auch PDAs mit Microsofts ‚Windows Mobile for PocketPC Phone Edition‘, wie der ab 2005 von HTC produzierte ‚MDA Pro‘, wiesen bereits eine ähnliche Bedienungscharakteristik auf. Die Eingabe erfolgte hier jedoch aufgrund der kleinen Menü-Darstellung noch in erster Linie per Stift. Trotzdem verhalf erst das iPhone mit seiner Gestensteuerung und einem Interface, das auf eine einfache Finger-Bedienung hin optimiert war, dem Smartphone und dem mobilen Internet zum Durchbruch. Die erste Generation war aufgrund des hohen Kaufpreises, der exklusiven Bindung an einen Netzbetreiber (in Deutschland T-Mobile)599 sowie der teuren Datentarife zunächst ein Gerät für Apple-Fans, ‚Early-Adopter‘ und ‚Besserverdiener‘. Dies hat sich mittlerweile geändert – nach Einführung des iPhone 5 hatte Apple im zweiten Quartal 2012 einen Marktanteil von 18,4 Prozent und führte somit den Smartphone-Markt an, wie das

598 | Wagner, Thomas: „Think Different! Der Nutzer und seine Lieblinge: von Äpfeln, Maschinen, Oberflächen, Magie und der Macht des Designs.“, in: Schulze, Sabine und Ina Grätz (Hrsg.): Apple-Design. Publikation anlässlich der Ausstellung „Stylecritical. Von Elektrodesign, das Geschichte schreibt“ des Museums für Kunst und Gewerbe Hamburg., Ostfildern: Hatje Cantz 2011, S. 38. 599 | wikipedia.org: „Suchwort: Apple iPhone 2G (original)“, http://de.wikipedia.org/wiki/ Apple_iPhone_(original) (zugegriffen am 7.11.2012).

Sinndimensionen aktueller Produkte

Handelsblatt im September berichtete.600 Das iPhone wird mittlerweile von unterschiedlichen Konsumentengruppen genutzt: Apple-Nutzer der kreativen Berufe gehören ebenso dazu wie Bankangestellte, Ärzte, aber auch Schüler, Auszubildende und Handwerker. Diese Vielfalt kann in der Öffentlichkeit, in U-Bahnen oder im Park ebenso beobachtet werden wie am Angebot der Schutzhüllen, Docking Stations oder sonstiger Zubehörteile. Die verwendeten Fotos und Grafiken des Sperrbildschirms und Bildschirmhintergrundes zeugen ebenso wie die installierten Apps von den unterschiedlichen Vorlieben und Interessen der Besitzer. Das iPhone ist zu einem überall anzutreffenden Massenprodukt geworden. TAZ-Redakteur Johannes Gernert schrieb zur Einführung des iPhone 5 folgenden Kommentar: „Die praktischen Angeber-Produkte werden von immer größeren Menschenmassen genutzt, das scheint ihrem exklusiven Image nicht zu schaden.“601 Das iPhone gilt in der Öffentlichkeit – wie schon die iPods oder die Computer des Herstellers aus Cupertino – als Designprodukt, mit dem man sich, wie Wagner anmerkt, „ästhetisch und modisch – fast immer auf der Höhe der Zeit“602 fühlen kann. Apple ist es damit gelungen, eine konsequente Designausrichtung, die vom Produkt über die Verpackung, die Software, den Vertrieb, die Werbung etc. reicht, aus der elitären Nische heraus im Massenmarkt zu etablieren. Der amerikanische Hersteller ist dadurch zum Synonym für Design, Innovation und Erfolg geworden. „Baumärkte, Krankenkassen, Autohersteller – alle wollen sie ‚ein wenig wie Apple sein‘. Oder noch schlimmer – behaupten es zu sein“, wie Falk Ebert auf seinem Gefahrengut-Blog als Reaktion auf Unilevers Pläne, Lebensmittel wie Apple-Produkte zu verkaufen603, kritisch anmerkt. Produk-

600 | „iPhone 5 im Verkauf: Run auf Apples Gewinnmaschine gestartet - IT + Medien - Unternehmen - Handelsblatt“, http://www.handelsblatt.com/unternehmen/it-medien/iphone5-im-verkauf-run-auf-apples-gewinnmaschine-gestartet/7157154.html (zugegriffen am 5.11.2012). 601 | Gernert, Johannes: „Das iPhone 5 ist langweilig: Faszinierend unfaszinierend - taz.de“, http://www.taz.de/!102104/ (zugegriffen am 6.11.2012). 602 | Wagner: „Think Different! Der Nutzer und seine Lieblinge: von Äpfeln, Maschinen, Oberflächen, Magie und der Macht des Designs.“, S. 32. 603 | „W&V: Unilever-Chef will ‚Lebensmittel wie Apple-Geräte verkaufen‘“, http://www.wuv. de/marketing/unilever_chef_will_lebensmittel_wie_apple_geraete_verkaufen (zugegriffen am 6.11.2012).

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Produktsprachen

te von Apple, insbesondere das iPhone, sind also beides: auf der einen Seite Produkte, die den State of the Art von Technik, Design und Handhabung verkörpern, wie Wagner hervorhebt: „Deshalb sind Apple-Produkte mehr als banale Objekte und nicht nur Teil einer bestimmten Technik- und Geschmackskultur. Sie erklären sich und sie erschöpfen sich nicht darin, gängigen, historisch geprägten Parametern zu gehorchen. Sie sind Statements eines anderen Denkens, Aussagen über den Stand der Technik, der Kommunikation, der Unterhaltung, nicht zuletzt der Wahrnehmung unter medialen Bedingungen.“604

Auf der anderen Seite sind sie zu Teilen der Populärkultur geworden, zu Objekten, die angeeignet, angepasst, geschmückt, gebraucht und nach einer kurzen Zeitspanne wieder ersetzt werden. Dieses ambivalente Verhältnis soll in den folgenden Analysen thematisiert und bewertet werden.

5.1.1 Perfekte Blackbox – das iPhone 5 von Apple Das iPhone 5 wurde am 12. September 2012 der Öffentlichkeit präsentiert. Es stellt die vierte Designgeneration der bisher sechs präsentierten iPhoneModelle dar, denn das iPhone 3GS und das iPhone 4S waren lediglich technische Updates der Vorgänger. Aufgrund der etablierten Entwicklungszyklen wurde 2012 wieder ein grundlegend überarbeitetes Gerät mit neuen Funktionen erwartet. Auf Blogs und Internetplattformen wie ‚www.macrumors.com‘ spekulierten Technikbegeisterte schon seit Mitte 2011 über die Form und die technischen Details des iPhone 5. Neben Displaygröße, Prozessoren etc. wurden auch Visualisierungen des neuen Gehäuses als Gerüchte präsentiert605 (siehe Abb. 28). Die Hinweise wurden immer konkreter, je näher der ‚Launch-Termin‘ rückte: unscharfe Handyfotos, die Mitarbeiter von Unternehmen der Lieferkette ins Netz stellten, oder ein Video der neuen

604 | Wagner: „Think Different! Der Nutzer und seine Lieblinge: von Äpfeln, Maschinen, Oberflächen, Magie und der Macht des Designs.“, S. 39. 605 | „This Could Be What Apple’s iPhone 5 Looks Like - Mac Rumors“, http://www.macrumors.com/2011/08/10/this-could-be-what-apples-iphone-5-looks-like/ (zugegriffen am 6.11.2012).

Sinndimensionen aktueller Produkte

‚In-Ear-Kopfhörer‘ aus Vietnam606 zeigten bereits vorab Details des neuen Smartphones. Das Katz-und-Maus-Spiel zwischen Firmen und Technikfans, das sich im Spannungsfeld aus Geheimhaltung, undichten Stellen (sogenannten ‚Leaks‘) und vermuteten Marketingaktivitäten der Hersteller abspielte, begleitete bereits die Entwicklung des ersten iPhones (siehe Abb. 29) und ist mittlerweile zu einer gängigen Praxis bei erwarteten Produktneuheiten im Web 2.0 geworden.

Abbildung 28: Visualisierung eines möglichen iPhone Gehäuses | Abbildung 29: Visualisierung zum ersten iPhone auf Basis des iPod Designs.

Das im Rahmen des Launch-Events 2012 präsentierte Gerät wurde von Phil Schiller wieder selbstbewusst als das schönste bisher von Apple produzierte Produkt bezeichnet.607 Ein Qualitätsmerkmal, das laut Schiller alle bisher präsentierten iPhones besitzen: „Each and every year we introduce new versions with new features ... each time setting the gold standard.“608

Im Folgenden sollen die Sinndimensionen des physischen, also begreif baren Produkts dargestellt und analysiert werden. Aufgrund der konsequenten Umsetzung der Blackbox-Metapher wird von den beiden Gehäusevarianten (siehe Abb. 30) die schwarze untersucht.

606 | „Purported Redesigned Apple Earbuds Leaked In Vietnam | TechCrunch“, http:// techcrunch.com/2012/09/02/purpor ted-redesigned-apple-earbuds-leaked-in-vietnam/ (zugegriffen am 6.11.2012). 607 | Phil Schiller: „It is an absolute jewel. It is the most beautiful product we have ever made, bar none.“ „Apple’s next-generation iPhone liveblog! -- Engadget (iPhone 5)“, http:// www.engadget.com/2012/09/12/apple-iphone-5-liveblog/ (zugegriffen am 6.11.2012). 608 | Ebd.

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Produktsprachen

(a) Sachdimension Die Sachdimension beinhaltet, wie im vorangegangenen Kapitel dargelegt, alle Produkteigenschaften sowie alle Kommunikationen über Bauweise, Funktionalität etc., die dem Gerät – unmittelbar oder im Vergleich mit andern Produkten – zugeschrieben werden können. Ihr Doppelhorizont wird über die Differenz ‚dies/anderes‘ aufgespannt. Wie alle bisher veröffentlichten Versionen des iPhones weist auch das iPhone 5 die Apple-typische Gehäuseform eines flachen, im Hochformat stehenden Rechtecks mit abgerundeten Ecken auf. Das schwarze Modell erscheint im ausgeschalteten Zustand auf den ersten Blick wie ein schwarzer Monolith. Vorderseite, Rückseite und die Seitenflächen sind homogen in Schwarz gehalten – alle Flächen der Grundform sind nur eindimensional gekrümmt, das Gerät wirkt, als bestünde es nur aus einer Displayfläche (siehe Abb. 31).

Abbildung 30: iPhone 5 in schwarzer und weißer Gehäusefarbe | Abbildung 31: Seitenansicht des iPhone 5.

Die Geräte der ersten und zweiten Generation (iPhone, iPhone 3G, iPhone 3GS) wiesen noch einen deutlichen Materialunterschied zwischen Display und Gehäuse auf: Das von einem silbern glänzenden Rahmen eingefasste und schwarz hinterlegte Glas des Touchscreens bildete die Vorderseite, die Rückseite besaß mit dem abgerundeten Aluminiumgehäuse (iPhone) bzw. dem zu den Seiten hin flach auslaufenden Gehäusedeckel aus Kunststoff (iPhone 3G, iPhone 3GS) eine andere Materialität. Beim iPhone 4 und iPhone 4S wurde dieser Materialwechsel zwischen Vorder- und Rückseite aufgehoben – zwei schwarze Glasflächen wurden durch einen Edelstahlrahmen gehalten. Das iPhone 5 erscheint im Vergleich dazu aufgrund seiner homogenen Farbgebung kompakter und wie aus einem Guss. Bei näherer Betrachtung erkennt man, dass die Front aus Glas, der umlaufende Rahmen mit den integrierten Antennen aus Metall und die Rückseite aus

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Metall mit Glasinlays bestehen. Alle Elemente sind bündig und nahezu fugenfrei zusammengefügt, wodurch eine hohe Qualitätsanmutung und der Eindruck eines ‚Unibody-Designs‘, also eines aus einem Materialblock gefrästen Gehäuses, entstehen. Die Metalloberflächen sind mattiert, die Glasoberflächen glänzend bzw. spiegelnd ausgeführt. Der Rahmen verfügt über eine hochglanzpolierte Fase (siehe Abb. 32). Phil Schiller hob bei der Vorstellung des Gerätes besonders die Fertigungsqualität hervor: „So, iPhone 5. It is made entirely of glass and aluminum. It‘s designed and built to an exacting level of standard unlike anything we, or anyone in our industry, have made before.“609

Auf der Konzern-Homepage gibt es eine Informationsseite, die verschiedene Designdetails und deren Fertigung vorstellt. Um beispielsweise das geringe Fugenmaß zwischen Aluminiumgehäuse und Glasinlays zu erreichen (siehe Abb. 32), würden über Spezialkameras beide Einzelteile analysiert, um aus 725 möglichen Paarungen die mit der höchsten Passgenauigkeit herauszufinden.610 Wie komplex die für diese Gehäuseanmutung erforderlichen Produktionsabläufe sind, wird anhand von Qualitätsmängeln der ersten Serie deutlich, die im Web mit dem Begriff ‚Scuff-Gate‘ benannt wurden.

Abbildung 32: Gehäusedetail des iPhone 5 | Abbildung 33: Äußerung eines Nutzers zum Thema ‚Scuff Gate‘ | Abbildung 34: Fotomontage, die zukünftige Gehäusedesigns simuliert.

609 | Ebd. 610 | „Apple – iPhone 5 – Hintergrundinformationen zur Entwicklung des iPhone 5“, http:// www.apple.com/de/iphone/design/ (zugegriffen am 7.11.2012).

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Denn viele der ausgelieferten Smartphones wiesen bereits in der Originalverpackung tiefe Kratzer auf611 – ein Problem, das zu spöttischen Kommentaren in Blogs führte (siehe beispielsweise Abb. 33). Es existiert sogar eine Website (‚www.scuffgate.net‘), die ausschließlich über dieses Thema informiert. Bei Foxconn, dem chinesischen Produzenten des iPhone 5, gab es darüber hinaus Streiks der Mitarbeiter, um gegen den hohen Druck, der aufgrund der hohen Qualitätsanforderungen bei der Fertigung dieser Geräte auf den Arbeitern laste, zu protestieren.612 Um dem Trend anderer Hersteller zu größeren Displays613 zu folgen, wurde das Display des iPhone 5 von 3,5 auf 4 Zoll vergrößert. Das Display wuchs jedoch nur in der Länge – um, wie Apple schreibt, eine komfortable Bedienung mit einer Hand zu gewährleisten.614 Zusätzlich werden durch diesen eindimensionalen Zuwachs Kompatibilitätsprobleme beim Betriebssystem sowie der App-Integration vermieden. Beim neuen Modell findet nun eine zusätzliche Reihe von App-Icons Platz. Bei den Programmen sind dadurch nur geringe Veränderungen für die Umstellung auf das neue Bildformat erforderlich. Neben der Verlängerung des Displays weist das neue Gerät eher subtile Detailverbesserungen auf. Die ausgebliebene Komplettüberarbeitung wurde von vielen Bloggern ironisch kommentiert, was auch an Fotomontagen wie der gezeigten zu sehen ist (siehe Abb. 34). Außer dem runden ‚Home-Button‘ unterhalb des Displays sind alle Bedienelemente im umlaufenden Rahmen untergebracht. Auf der Ober-

611 | Beispielsweise wird auf „apfeleimer.de“ über einen Kunden berichtet, der im AppleStore in Oberhausen 30 Geräte auspackte und kein fehlerfreies Exemplar finden konnte. „iPhone 5 Problem: neue iPhone 5 kaputt, defekt, zerkratzt und mit Macken? Scuff Gate | apfeleimer“, http://apfeleimer.de/2012/09/iphone-5-problem-neue-iphone-5-kaputt-defekt-zerkratzt-und-mit-macken-scuff-gate#axzz2BWyJD384 (zugegriffen am 7.11.2012). 612 | „Streik in Foxconn-Werk wegen iPhone-5-Produktion - SPIEGEL ONLINE“, http:// www.spiegel.de/net zwelt/gadgets/streik-in-foxconn-werk-wegen-iphone-5-produktiona-859813.html (zugegriffen am 7.11.2012). 613 | Die iPhone-Modelle bis einschließlich des am 4. Oktober 2011 vorgestellten iPhone 4S besaßen einen 3,5 Zoll Bildschirm. Konkurrenzmodelle, wie das am 28. April 2011 vorgestellte Samsung Galaxy S II GT-I9100 (4,3 Zoll-Bildschirm), das am 27. Oktober 2011 vorgestellte Samsung Galaxy Note (5,3 Zoll-Bildschirm), das am 6. Dezember 2010 vorgestellte Google Nexus S (4 Zoll-Bildschirm) verfügten über teilweise deutlich größere Displays. 614 | „Apple – iPhone 5 – Das dünnste, leichteste und schnellste iPhone aller Zeiten.“, http://www.apple.com/de/iphone/ (zugegriffen am 6.11.2012).

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seite befindet sich der Ein- und Aus-Schalter, auf der linken Seite die Lautleise-Tasten sowie der Stumm-Schalter, auf der rechten Seite das SIMKarten-Fach und auf der Unterseite sind Kopfhörerbuchse, eine doppelte Lochreihe für die Lautsprecher, zwei Spezialschrauben sowie die Buchse für den ‚Docking-Connector‘ untergebracht. Alle Bauteile sind homogen in Schwarz gehalten, alle Fugen weisen minimale Abstände auf, alle Zusatzelemente sind in Kreis- bzw. Langloch-Form ausgeführt (siehe Abb. 35). Der Rahmen besitzt auf der langen Seite, jeweils am Ende der Radien, eine Trennung für unterschiedliche Antennenfunktionen. Der Materialübergang der Inlays auf der Gehäuserückseite befindet sich jeweils an der gleichen Position. Der Display-Rahmen der Vorderseite weist zu diesen Linien einen Versatz auf. Kamera, LED-Blitz und Mikrofonöffnung sind kreisförmig und nebeneinander auf einer zentrischen Linie angeordnet, sie befinden sich auf der linken Seite des oberen Inlays. Vergleicht man das iPhone 5 mit anderen, zeitgleich angebotenen Geräten, die in Funktionsangebot und Preis vergleichbar sind (beispielsweise dem ‚Samsung Galaxy SIII‘, dem ‚HTC One X‘ oder dem ‚Nokia Lumia 920‘), so fallen beim iPhone 5 vor allem die geringe Bauhöhe und das geringe Gewicht auf.615 Die Oberflächen- und Verarbeitungsqualität ist im Vergleich zu den Wettbewerbern ebenfalls als überdurchschnittlich hervorzuheben. Darüber hinaus setzt kein anderer Hersteller so konsequent auf das Blackbox-Design, bei dem sich alle Bauteile dem Display bzw. der Gesamtform unterordnen.

(b) Zeitdimension Die Zeitdimension umfasst sowohl zeitliche Bezüge in Richtung Zukunft und Vergangenheit als auch zeitliche Abfolgen und kontinuierliche Entwicklungen. Im Folgenden werden daher neben dem ‚Vorher/Nachher‘ die Aspekte ‚Kontinuität/Diskontinuität‘ beleuchtet.

615 | Bei der Markteinführung im September 2012 ist das iPhone 5 dünnste und leichteste Smartphone seiner Geräteklasse. „Apple iPhone 5 Specs Versus the Competition’s: Which Will You Buy? | Gadget Lab | Wired.com“, http://www.wired.com/gadgetlab/2012/09/ iphone5-spec-showdown/ (zugegriffen am 6.11.2012).

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Produktsprachen

Seit Einführung 2007 präsentierte Apple jedes Jahr etwa zur selben Zeit eine neue Generation des iPhones616 (siehe Abb. 36). Das iPhone 5 stellt die sechste Gerätegeneration dar. Bisher wurde jedes iPhone direkt nach dem Verkaufsstart ein Erfolg – das heißt: Bis zum iPhone 4S wurden von jedem neuen iPhone so viele Exemplare verkauft wie von allen alten zusammen.617 Aufgrund der bisherigen Verkaufszahlen ist zu erwarten, dass auch das iPhone 5 dieses Ziel erreicht.

Abbildung 35: Gehäusedetails im Vergleich | Abbildung 36: Übersicht der iPhone-Generationen bei einer Produktpräsentation.

Jede der jährlich erschienenen Varianten verfügte über neue Technologien, schnelleren Funk, einen schnelleren Prozessor, mehr Speicher etc. Die Geräte entsprechen jeweils dem aktuellen Stand der Technik, durch den regelmäßigen Zyklus der Produktneuvorstellungen behält das jeweilige Spitzenmodell für etwa ein Jahr das Prädikat, das ‚aktuellste‘ iPhone zu sein. Aufgrund der Reduktion auf ein Spitzenmodell sowie die regelmäßige Erneuerung zeichnen sich die Geräte durch einen hohen Neuigkeitswert aus. Fischer hebt diesen Effekt folgendermaßen hervor: „Die Aktualität des iPhones ist bewußt zeitlich limitiert. Ähnlich wie bei Computern und deren Programmen gibt es bei allen i-Geräten ‚Generati-

616 | Das iPhone wurde erstmals am 27. Januar 2007 auf der Macworld Conference in San Franzisko vorgestellt. Der Verkauf begann in den USA am 29. Juni. Der Verkauf des iPhone 3G startete am 11. Juli 2008, der Verkauf des iPhone 3GS startete am 19. Juni 2009 – der Verkauf des iPhone 4 begann am 24. Juni 2010. Das iPhone 4S startete verspätet am 14. Oktober 2011 – das iPhone 5 folgte am 21. September 2012. 617 | Gernert: „Das iPhone 5 ist langweilig: Faszinierend unfaszinierend - taz.de“.

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onen‘: Sie werden ‚upgedated‘. Dies entspricht den saisonalen Strategien der Mode [...].“618

Auf der anderen Seite stehen die stetig wechselnden Generationen für Kontinuität und besitzen damit eine Verknüpfung zu anderen iProdukten (wie den iPods, iBooks oder iMacs). Durch die Fokussierung auf grafische User-Interfaces, wie sie den ursprünglichen Macintosh auszeichneten, besitzt das Gerät eine hohe Anschlussfähigkeit an die Tradition der Marke Apple. Die Kopplung an technologische Rahmenbedingungen sowie das seit Einführung nur in Details veränderte Betriebssystem ‚iOS‘ stellen den Gegenwartsbezug des Smartphones in den Vordergrund. Die evolutionäre Weiterentwicklung der Form, die keine großen Brüche aufweist, sondern sich vielmehr in Detailverbesserungen zeigt, lässt Vergangenheitsbezüge in Form von Zitaten zugunsten der ‚Neuigkeit‘ in den Hintergrund treten. Der parallele Verkauf der beiden jeweils vorangegangenen Generationen mildert ein Referieren auf vorangegangene Formen zusätzlich ab. Wie bei allen Produkten der Unterhaltungselektronik führt die schnelle technologische Weiterentwicklung mit den dadurch hervorgerufenen kurzen Entwicklungszyklen zu einer starken Betonung von ‚Neuheit‘, auch wenn sich diese ausschließlich in Details bzw. Nuancen zeigt. Denn die grundlegenden Funktionen haben sich in den letzten Generationen nicht verändert. Wie oben bereits angemerkt, wurden lediglich Geschwindigkeit, Kameraauflösung, Displayqualität etc. verbessert.

(c) Sozialdimension In der Sozialdimension geht es darum, mögliche Alter-Sichtweisen, also unterschiedliche bzw. kontingente Perspektiven von Anderen, aufzugreifen, die Ego in seiner Handlungsausrichtung berücksichtigen könnte. Die Differenz ‚Konsens/Dissens‘ erfasst in der Außenperspektive somit sowohl Zugehörigkeiten als auch Abgrenzungen. Das iPhone kann ähnlich wie andere Produkte der Marke bis zum iPhone 4S als Link zum funktionalistisch geprägten Design der Firma Braun der 1960er Jahre gesehen werden, auch wenn sich diese Bezüge ausschließlich auf die formale Ausprägung der Gehäuse beziehen, wie beispielsweise

618 | Fischer: Der i-Kosmos, S. 52.

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Fischer619 und von Borris620 nachweisen. Das iPhone 5 entzieht sich dieser Einordnung. Obgleich viele Details aus den vorangegangenen Gerätegenerationen übernommen wurden, ist es durch seine homogene Farbgebung und die in den Hintergrund tretenden Einzelelemente nur noch Display – eine immateriell wirkende schwarze Projektionsfläche. Aufgrund dieser minimalistischen Formgebung wirkt dieses Smartphone auf den ersten Blick stilfrei. Bei genauerer Betrachtung bedient es mit dieser weiteren Miniaturisierung jedoch auf anderer Ebene den uneingeschränkten Technikund Innovationsglauben der Moderne. Ein Rezipient, der noch dem traditionellen Bild der Marke Apple verhaftet ist, könnte das Gerät mit alten Werbeclaims in Verbindung bringen. Von Borries stellt diesen Blick auf die Marke im Kontrast zu Microsoft folgendermaßen dar: „Denn einst stand Apple für einen freien Lebensstil, für Kreativität, für ein ‚Think Different‘, wie einer der Werbeslogans lautete. Der Mac war der Gegenentwurf zum ‚Moloch‘ Bill Gates, der mit seinem Betriebssystem den User dominierte, statt ihm Freiräume zu öffnen.“621

619 | „Aber auch in diesem Artikel wurde behauptet, daß die iGeräte sich stilistisch auf das klassische Braun-Design beziehen würden. Ich halte dies, wie gesagt, für ein Mißverständnis. Denn bei den Audiogeräten von Braun war die Gehäusegestaltung dominant. Sie zeigten geradezu idealtypisch jene ‚Anzeichenfunktionen‘, die im Rahmen der ‚Produktsprachen‘Theorie analysiert wurden. Bei den i-Geräten dagegen sind gerade nicht die Gehäuse, die ‚anzeichenfunktional‘ leer bleiben, sondern die interaktiven Kommunikationsketten und revolutionären Benutzeroberflächen entscheidend.“ Ebd., S. 62. 620 | „Nicht das ramssche Diktum ‚so wenig Design wie möglich‘ ist das Credo von Apple, sondern das Gegenteil: so viel Produkt wie möglich. Die Schönheit und sinnliche Attraktivität von iPad, iPod, iPhone und Co sind nicht Ausdruck für den Traum einer durch gute Gestaltung verbesserten Welt, sie repräsentieren kein verpflichtendes Designethos, sondern sind billige Taschenspielertricks: Vertrautes, ethische Seriosität und Solidität vortäuschendes Styling soll über die alltagskulturelle und politische Tragweite der neuen ökonomischen Konzepte hinwegtäuschen.“ von Borries, Friedrich: „Die Apple-Design-Lüge. Warum das Design von Apple weder gut noch minimalistisch ist. Ein Pamphlet.“, in: Schulze, Sabine und Ina Grätz (Hrsg.): Apple-Design. Publikation anlässlich der Ausstellung „Stylecritical. Von Elektrodesign, das Geschichte schreibt“ des Museums für Kunst und Gewerbe Hamburg., Ostfildern: Hatje Cantz 2011, S. 54–63, hier S. 63. 621 | Ebd., S. 58.

Sinndimensionen aktueller Produkte

So werden Besitzer von iPhones von diesen Beobachtern als innovationsbegeisterte Querdenker gesehen, die einen Beruf im Kreativ- bzw. Medienbereich ausüben. Diese Nutzergruppe schreibt der ästhetischen Qualität von Produkten berufsbedingt einen hohen Wert zu, sie wird als designaffin und stilsicher gesehen. Ältere Menschen, die auf Apple-Produkte bzw. die Marke erst durch die große Dominanz im Smartphone- bzw. Tabletbereich aufmerksam geworden sind und ihr Bild von Apple-Nutzern auf Werbeanzeigen oder Apple-Stores gründen, kommen im Alltag weniger mit der für Computerkonzerne langen Geschichte der Firma in Berührung. Die Darstellung der Innovationsführerschaft in jeder Präsentation und jedem Werbespot, die konsequente Designausrichtung und das betont lässige Auftreten der Führungsmannschaft in Werbespots umgibt Apple-Produkte mit einer Aura von Jugendlichkeit und Modernität. Dies wird durch die meist jungen Apple-Store-Mitarbeiter unterstützt, die „in Turnschuhen, Jeans und farblich abgestimmten blauen T-Shirts“622 in lockerer Sprache die ‚Einfachheit‘ der Bedienung hervorheben. Auf Probleme der Kunden gehen diese scheinbar mit Einfühlungsvermögen ein. Wörter wie ‚Crash‘ werden dabei vermieden, stattdessen Formulierungen wie „reagiert nicht mehr“ oder „beendet sich unerwartet“ gewählt.623 Wird Apple in erster Linie aus einer ökonomisch orientierten Perspektive gesehen, so stehen zunächst der Börsenwert, die Erfolgsstory und die Positionierung als Premiumprodukt im Vordergrund. Das hochwertige Package- und Produktdesign, die optisch hervorgehobenen ‚edlen‘ Materialien, die hohe Verarbeitungsqualität sowie die im Elektronikbereich ungewöhnliche Preisstabilität stellen die Produkte als Luxusartikel heraus, die sich deutlich vom „Mainstream“ abheben. Markenbegeisterte, die auch als ‚Apple-Fanboys‘ bezeichnet werden, zelebrieren mit Ihrer ‚Sucht‘ nach den jeweils aktuellen Produkten sowie ihrem Interesse an vermeintlichem Insiderwissen den beschleunigten, un-

622 | Urbach, Henry: „Gärten irdischer Freude“, in: Schulze, Sabine und Ina Grätz (Hrsg.): Apple-Design. Publikation anlässlich der Ausstellung „Stylecritical. Von Elektrodesign, das Geschichte schreibt“ des Museums für Kunst und Gewerbe Hamburg., Ostfildern: Hatje Cantz 2011, S. 104–113, hier S. 108. 623 | „Apples Handbuch für Store-Mitarbeiter: Was erlaubt und was verboten ist / News / Mac TechNews.de“, http://www.mactechnews.de/news/article/Apples-Handbuch-fuer-Store-Mit arbeiter-Was-erlaubt-und-was-verboten-ist-153827.html (zugegriffen am 8.11.2012).

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kritischen Konsum dieser Massenwaren. „In der Informationsgesellschaft wird die Technik zum Popstar“, kommentierte der Blogger und Journalist Richard Gutjahr laut ‚www.news.de‘624 den Hype bei der Einführung neuer Apple-Produkte. Durch lange Verkaufsschlangen und Menschenmengen, die Beifall klatschen, sobald ein Kunde den Store mit dem neuen Produkt verlässt, wird dies dokumentiert. „Leute wie Steve Jobs oder Mark Zuckerberg prägen mit ihren Entwicklungen unser Leben genauso, wie das die Beatles oder die Rolling Stones getan haben“625, wird er weiter zitiert. Für diese Rezipientengruppe wird Technikaffinität zu einem Impuls für eine anonyme Gemeinschaft, die jeden Produkt-Launch als Erlebnis zelebriert. Bei einer anderen Gruppe führen die große Verbreitung und der große Erfolg der Apple-Produkte jedoch eher zu einer Art Abneigung. „Sicher ist das neue ipad [sic!, Anm. d. Verf.] ganz nett, aber dieses ultimate-ipad-ever und it-will-change-peoples-lives geschwätz [sic!, Anm. d. Verf.] nervt“626, wird ein Twitterer in einem Artikel über die Einführung des iPads der dritten Generation zitiert. Für diese Konsumenten haftet den Apple-Produkten mittlerweile das negative Prädikat eines „Mehrheitsgeschmacks“ an, eines Produktes, „mit dem man nichts falsch machen kann.“627 Daneben verspotten sie Nutzer von Apple-Produkten aufgrund ihrer selbst gewählten Unfreiheit. In einem „Diktatur der Einfachheit“ überschriebenen Artikel über Apple in der ‚Zeit‘ heißt es dazu: „Auch für die Bewohner der Apple-Welt ist vieles festgeschraubt und unverrückbar, auch sie werden nicht selten wie Kinder bevormundet.“628

624 | „Computer: Kult und Emotionen: Das iPad als Popstar | news.de“, http://www.news. de/technik/855284869/kult-und-emotionen-das-ipad-als-popstar/1/ (zugegrif fen am 8.11.2012). 625 | Ebd. 626 | Ebd. 627 | Diese Sichtweise bestätigt von Borries und sieht sie als Teil der wachstumsorientierten Unternehmensstrategie von Apple an: „Dieses neue Styling ging mit einer Wende in Apples Produktphilosophie einher: Nicht mehr die Entwicklung von High-End-Geräten für die etwas anderen, kreativen Computernutzer war das Ziel, sondern die Platzierung von mainstreamfähigen Lifestyle-Gadgets.“ von Borries: „Die Apple-Design-Lüge. Warum das Design von Apple weder gut noch minimalistisch ist. Ein Pamphlet.“ 628 | Rauterberg, Hanno: „Apple-Design: Die Diktatur der Einfachheit“, Die Zeit (2012), http://www.zeit.de/2012/33/Apple-Design-Ideologiekritik/komplettansicht (zugegriffen am 8.11.2012).

Sinndimensionen aktueller Produkte

Auch aus einer Perspektive, die ökologische und ethische Wertmaßstäbe in den Vordergrund stellt, werden Apple-Produkte kritisiert. Bemängelt werden ein unangemessener Luxuscharakter, Kurzlebigkeit, Ressourcenverschwendung und Konsumorientierung. In der Tat steht Apple aufgrund der verwendeten Materialien, wegen fehlender Recyclingfähigkeit 629 , seiner Energienutzung 630 und der Arbeitsbedingungen beim taiwanesischen Auftragsfertiger ‚Foxconn‘631 häufig in der Kritik. Ein zunehmendes Imageproblem, dem der Hersteller durch öffentlichkeitswirksame Aktionen – wie beispielsweise die Auszahlung von Zuschüssen an die Produktionsmitarbeiter der chinesischen Fertigungsbetriebe632 – entgegenzutreten versucht.

(d) Fiktionsdimension Diese vierte Dimension thematisiert schließlich mögliche Ego-Perspektiven, die im Rahmen der Differenz ‚Identität/Fiktionen‘ verortet werden können. Im Bereich der Identität geht es um persönliche Kontinuität, autonome Möglichkeiten, auf die Umwelt einzuwirken, sowie um Aspekte der Selbstbewertung. Der Gegenpol der Fiktion erfasst im Gegensatz dazu fiktive Rollen, die das Individuum einnehmen kann, mögliche Ich-Ideale, die gewünscht oder durchgespielt werden, aber nicht zur Selbstbewertung gehören. Stand bei den ersten iPhone-Modellen noch die Erweiterung des Möglichkeitsraumes im Vordergrund, da diese Geräte erstmals einen ‚einfachen‘ mobilen Zugriff auf das Internet, E-Mails, cloudbasierte Musik- und Fotodienste sowie Apps boten, steht dieses Erlebnis beim iPhone 5 nur

629 | „Öffentliche Aufträge in Gefahr: Apple pfeift auf Öko-Siegel - n-tv.de“, http://www.n-tv.de/ wirtschaft/Apple-pfeift-auf-Oeko-Siegel-article6686526.html (zugegriffen am 8.11.2012). 630 | „Ökologie-Studie: Greenpeace lobt Google-Cloud - IT + Telekommunikation - Technologie - Handelsblatt“, http://www.handelsblatt.com/technologie/it-tk/special-cloud-computing/ oekologie-studie-greenpeace-lobt-google-cloud/4099170.html (zugegriffen am 8.11.2012). 631 | „Foxconn: Selbstmord-Serie bei Apple-Partner - IT + Medien - Unternehmen - Handelsblatt“, http://www.handelsblatt.com/unternehmen/it-medien/foxconn-selbstmord-seriebei-apple-partner/3444528.html (zugegriffen am 8.11.2012). 632 | „Reaktion auf Selbstmorde: Apple zahlt angeblich Zuschuss an Foxconn-Mitarbeiter (Update) - NETZWELT“, http://www.netzwelt.de/news/82920-reaktion-selbstmorde-applezahlt-angeblich-zuschuss-foxconn-mitarbeiter-update.html (zugegriffen am 8.11.2012).

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noch für Nutzer im Vordergrund, die erstmals ein Smartphone besitzen. Aufgrund des gleichbleibenden, nur in Details weiterentwickelten Betriebssystems iOS wird die einfache und konsistente Bedienung jedoch auch bei erfahrenen Nutzern noch in den Vordergrund gestellt, auch wenn dies mittlerweile kein Alleinstellungsmerkmal der Apple-Produkte mehr ist. Konsumenten, die mehrere Produkte der Marke besitzen und nutzen, erleben Letztere durch die Vernetzung der Geräte untereinander und die enge Verzahnung von Desktop- und Mobilbetriebssystem als einen homogenen, abgeschlossenen Kosmos. In ihm laufen kommunikative und Freizeitaktivitäten in einem geschützten, störungsfrei vernetzten Raum ab. Dieser Eindruck wird durch das Ausblenden von Technik im Gerätedesign wie auch im User-Interface verstärkt. Beispielsweise verzichtet der Hersteller auf die Angabe von Prozessortaktung und Arbeitsspeicher beim iPhone und vermeidet die Verwendung von Leistungsattributen wie Kühlrippen beim Gehäusedesign der PCs. Die Geräte sind, so legt auch Fischer anhand der iPods dar, eher „Benutzeroberfläche als Gerät“633, die Zugang zu Apples magischem und komfortablem Unterhaltungsnetzwerk bietet. Nutzer, die das neue Modell bereits in den ersten Tagen nach Markteinführung erhielten, konnten das Zugehörigkeitsgefühl zur Apple-Community intensiv erleben. Aufgrund der beschränkten Verfügbarkeit und der Inszenierung des großen Andrangs634 ist hier das Gefühl, ein ‚EarlyAdopter‘ zu sein, besonders evident. Der Beifall beim Verlassen eines Apple-Stores gibt für einen Moment zusätzlich das Gefühl, selbst zu etwas Besonderem, zu einer Art Popstar geworden zu sein. So beschreibt der oben bereits zitierte Blogger Gutjahr: „In einer Welt, in der jeder für sich sein Ding macht, sehnen sich die Leute nach gemeinsamen Erlebnissen und Dingen, die sie teilen können.“635

633 | Fischer: Der i-Kosmos, S. 30. 634 | „Neue Läden und Produkteinführungen haben auf der ganzen Welt die gleiche Wirkung, und diese spontanen Menschenansammlungen werden in den Medien, genauso berechnend und kunstvoll geplant, wie alles, was Apple unternimmt, über eindrucksvolle Bilder verbreitet. Apple verzichtet auf Vorplätze vor seinen Geschäften, die zumeist eher schmale Eingänge haben, und zwingt die Menge so, öffentlichen Raum zu besetzen – sei es ein städtischer Bürgersteig, ein Marktplatz oder die Parkplätze und Gänge von Einkaufscentern der Vorstädte.“ Urbach: „Gärten irdischer Freude“, S. 106. 635 | „Computer: Kult und Emotionen: Das iPad als Popstar | news.de“.

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Der mit dem Beginn der Firmengründung assoziierte freiheitliche und kreative Lebensstil, der durch den Werbeslogan ‚Think Different‘ wie auch die Imageanzeigen der frühen Apple-Jahre vermittelt wurde, kann auch heute noch als fiktives Erlebnismoment gesehen werden. Ähnlich wie in den Werbeclips, in denen die beiden Betriebssystemansätze Mac und PC einander als Personen gegenübergestellt wurden636, verstehen sich AppleNutzer als smart und locker, bekleidet mit Jeans und Rollkragenpullover im Gegensatz zum ‚drögen‘ PC-Nutzer in Anzug und Krawatte. Für andere bietet das iPhone als Lifestyle-Statement die Möglichkeit, den persönlichen Geschmack als innovativ und ‚auf der Höhe der Zeit‘ zu erleben. Die Materialität sowie die hochwertige Verarbeitung des iPhone 5 zeugen in diesem Rahmen von ästhetischem Verständnis und Detailliebe. Dieses von Gernert in der Sozialdimension beschriebene Merkmal ist aber auch als Ich-Beschreibung, als Ich-Ideal sehr stark: „Apple-Geräte zählen zu den praktischsten Schmuckstücke [sic!, Anm. d. Verf.] der Welt, besonders das iPhone. Man kann damit mailen, die nächste Kneipe suchen, sich Notizen machen, Flugtickets verwalten und gleichzeitig kann man demonstrieren, dass man ein wirklich fortschrittlicher, zukunftszugewandter Superstyler ist, der etwas von Design versteht.“637

Für Nutzer des iPhones und des iPhone 3Gs, die durch die turnusmäßige Vertragsverlängerung mit dazugehöriger Hardware-Subvention mittlerweile die dritte iPhone-Generation besitzen, war das Ausbleiben größerer Veränderungen, insbesondere vor dem Hintergrund der bisherigen Innovationssprünge, enttäuschend. Nach dem iPhone 4S wurde wieder eine komplette Überarbeitung der Gehäuseform erwartet, zumindest die Einführung eines neuen Features, das andere Hersteller noch nicht bieten. Die technisch aufwendigen Evolutionsschritte zu einem dünneren, leichteren und präziser ausgeführten Gehäuse mit größerem Display werden eher als Produktpflege gesehen. Zusätzlich gibt es keine größeren Änderungen am Betriebssystem iOS, was ebenfalls mit dem physischen Gerät und dem Nutzungserlebnis in Verbindung gebracht wird. So erschienen

636 | „AdweekMedia: Best of the 2000s - Campaign of the Decade“, http://www.bestofthe 2000s/campaign-of-the-decade.html (zugegriffen am 26.11.2012). 637 | Gernert: „Das iPhone 5 ist langweilig: Faszinierend unfaszinierend - taz.de“.

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nach der Produktvorstellung mehrere Artikel, die im Zusammenhang mit dem iPhone 5 von Langeweile sprachen, auch viele Technikfans äußerten diese Kritik.638

(e) Gewichtung Die Ausführungen zur Sachdimension zeigen, mit welchem Aufwand Apple die Perfektionierung des Gehäuses betreibt, welche Anstrengungen unternommen werden, um im Gegensatz zur Konkurrenz ein dünneres und leichteres Smartphone anbieten zu können. Die Regelmäßigkeit der Produktzyklen und das Herauskehren des Neuigkeitswertes weisen in der Zeitdimension auf eine Kontinuität hin, die auch zur Fortführung des ‚Think-Different‘-Images in der Sozial- und Fiktionsdimension sowie zur Rezeption als ‚Magisches Produkt‘ beiträgt. Gleichzeitig führen der Erfolg und damit die große Verbreitung der Geräte dazu, dass diese immer weniger als Distinktionsobjekte oder als Identitätsbausteine genutzt werden können. Aneignungsprozesse werden im Rahmen des Konsums dieses Massenproduktes damit immer wichtiger. Die hohe Marktdurchdringung und die Kontinuität haben dazu geführt, dass es mittlerweile eine unüberschaubare Zahl an Apps, Accessoires und Zusatzprodukten für das iPhone gibt. Diese werden häufig genutzt, um das Gerät an den persönlichen Lebensstil anzupassen, es zum modischen Begleiter werden zu lassen, es mit

638 | Die TAZ veröffentlicht einen Kommentar mit dem Titel „Faszinierend unfaszinierend Das iPhone 5 ist langweilig“ (Ebd.). Die Zeit verfasst zur Produktpräsentation einen Bericht mit dem Titel „Das Warten auf das perfekte Smartphone geht weiter“ und zitiert darin einen Autor von ‚wired.com‘ der das iPhone mit dem Toyota Prius vergleicht: „Von Jahr zu Jahr sei das iPhone besser geworden, die neue Version sei auch ein erstaunlicher Triumph der Technologie – und doch ‚so grausam langweilig‘.“ („iPhone 5: Das Warten auf das perfekte Smartphone geht weiter | Digital | ZEIT ONLINE“, http://www.zeit.de/digital/mobil/2012-09/apple-iphone-5-zukunft (zugegriffen am 8.11.2012).). Diese Feststellung deckt sich mit Posts in Online-Communities, die in Zusammenhang mit dem neuen Smartphone ebenfalls von Langeweile sprechen („iPhone 5 » Evolution statt Revolution!“, http://www.berrymotion.net/ showthread.php/8033-iPhone-5-%C2%BB-Evolution-statt-Revolution!/page2 (zugegriffen am 8.11.2012).). Bei einer Umfrage von focus.de sprechen sich 45,1% der 61.304 befragten Leser gegen einen Kauf des neuen Smartphones aus („FOCUS Online“, http://www.focus.de/ digital/handy/iphone/wollen-sie-sich-das-iphone-5-kaufen_void_603.html am 8.11.2012).), was die Evidenz dieser Sichtweise bestätigt.

(zugegriffen

Sinndimensionen aktueller Produkte

eigenen Fiktionsräumen aufzuladen. So wird das iPhone zunehmend zum technischen Halbzeug, zum Standard, um den herum das eigentliche Produkt erst gebildet wird. Ein Szenario, wie es in Kapitel 2.3.3 bereits anhand der Metapher des Roboterhandwerks dargestellt wurde.

5.1.2 iPhone mit Schutzhülle – aus der Uniformität herausgelöstes Produktensemble Selten sieht man ein iPhone, das vom Nutzer ohne schützende Hülle, ohne Tasche oder ‚Hardcase‘ verwendet wird. Es scheint, als wäre das Gerät aus Glas und Aluminium so empfindlich, dass es dem üblichen Gebrauch nicht standhielte.639 Die kompakte und verwindungssteife Haptik hinterlässt zwar den Eindruck eines soliden Gerätes. Die akkurate Verarbeitung und Qualitätsstandards, nach denen Unterschiede zwischen einzelnen Geräten mittlerweile in Mikrometern gemessen würden, wie Jonathan Ive, Designer des iPhones in einem Video auf der Website des Herstellers erklärt640, vermitteln jedoch eher den Eindruck eines sensiblen Präzisionsinstruments. Trotz aufwendiger Gestaltungsdetails – wie der mittels Diamanten geschnittenen glänzen Fase641 – scheint das Unternehmen selbst davon auszugehen, dass iPhones mit Schutzfolien, Taschen oder ‚Cases‘ geschützt und damit umhüllt werden müssen. In der Kommunikation werden zwar ausschließlich Darstellungen ohne Schutzhülle verwendet, im Verkaufsportal der Website, dem ‚Apple Store‘, sind hingegen 146 ‚Hüllen und Armbänder‘ im Angebot. Beim iPhone 4 bot Apple sogar selbst eine Schutzhülle, die ‚Bumper‘ genannt wurde, an (siehe Abb. 37). Aufgrund von Verbindungsproblemen, die in Zusammenhang mit den Antennen des umlaufenden Metallrahmens standen, mussten diese Hüllen sogar zeitweise kostenlos an iPhone-4-Käufer ausgehändigt werden. Dieser als

639 | Der Widerspruch zwischen einem Gerät, das ständig mitgeführt und benutzt wird und Oberflächen, bei denen schon kleinste Gebrauchsspuren als störend empfunden werden, erinnert an die Debatte über die künstliche Alterung von Produkten im Rahmen der Funktionalismuskritik, wie sie beispielsweise von Abraham A. Moles in der Zeitschrift „form“ zur Sprache gebracht wurde. Moles: „Die Krise des Funktionalismus. Notizen aus einem Seminar an der Hochschule für Gestaltung“, S. 36. 640 | „Apple - iPhone 5 - The thinnest, lightest, fastest iPhone ever.“, http://www.apple. com/iphone/ (zugegriffen am 6.11.2012). 641 | „Apple – iPhone 5 – Hintergrundinformationen zur Entwicklung des iPhone 5“.

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‚Antennagate‘642 bekannte Vorfall bedeutete einen großen Imageschaden für das Unternehmen und zeigte gleichzeitig, dass die Ästhetisierung von Materialien und Verarbeitung dem Nutzen dieses täglich mehrfach verwendeten Produktes entgegenstehen kann.

Abbildung 37: iPhone 4 mit Bumper | Abbildung 38: iPhone-Hülle ‚Bunny‘ | Abbildung 39: iPhone-Hülle im Trachten-Look.

Das Gerät vor Kratzern oder Beschädigungen zu schützen, ist zwar die vordergründig wichtigste Funktion dieser umhüllenden Zusatzprodukte und in der Sachdimension von Bedeutung. Viel wichtiger ist jedoch ihre Distinktionsfunktion in der Sozialdimension bzw. dass sie in der Fiktionsdimension eigene Erlebnisräume schaffen. Das Massenprodukt iPhone wird durch die Kombination mit einem zweiten Produkt angeeignet, die kühl wirkende Perfektion und Härte durch Hüllen aus Silikon, Stoff oder Leder gebrochen. Fischer spricht in seiner ausstellungsbegleitenden Publikation von ‚Swatchisierung‘ und ‚Customization‘643, um die Strategien der Diversifizierung rund um die iProdukte zu beschreiben. Apple betitelt die Übersicht der Schutzhüllen im Apple-Store mit der vermeintlich paradoxen Feststellung: „Fashion und Funktion passen eben doch zusammen. Mit stylishen, funktionalen Etuis und Taschen ist dein iPhone immer gut geschützt.“644 Die modische Anpassung dieses nur etwa drei Jahre lang 642 | „Apple Settles iPhone 4 Antennagate Lawsuit; Will Give Free Bumper or $15 to iPhone 4 Users in The U.S.“, http://www.iphonehacks.com/2012/02/apple-settles-iphone-4antennagate-lawsuit.html (zugegriffen am 9.11.2012). 643 | Fischer: Der i-Kosmos, S. 52. 644 | „iPhone Case - iPhone Bumper online kaufen - Apple Store (Deutschland)“, http:// store.apple.com/de/browse/home/shop_iphone/iphone_accessories/cases (zugegriffen am 9.11.2012).

Sinndimensionen aktueller Produkte

produzierten Produktes scheint also auch aus Sicht des Herstellers wünschenswert. Esposito beschreibt das Ziel, persönliche Eigenheiten über Elemente der Mode zur Schau zu stellen, indem sie den Übergang von einem gesellschaftlichen zu einem individuell geprägten Verständnis von gutem Geschmack nachzeichnet: „Die Ausrichtungen des Geschmacks können nun aber beobachtet werden: Nicht mehr als einheitlicher ‚guter Geschmack‘, der auf irgendeiner Form von Notwendigkeit basiert, sondern als kontingente Orientierung, die mit andern verglichen werden kann und die individuellen Idiosynkrasien sowohl zusammenfasst als auch lenkt.“645

Aus dieser Perspektive ist das iPhone in erster Linie ein technisches System, das durch Zusatzprodukte angereichert wird, um es in den persönlichen Stil zu überführen, in eigene Lebenszusammenhänge zu integrieren. Die große Vielfalt solcher Hüllen – die Google-Bildsuche liefert „Ungefähr 2.090.000 Ergebnisse (0,31 Sekunden)“646 – erscheint vor dem Hintergrund bisher ca. 271.078.000 verkaufter iPhones647 darum sogar unausweichlich. Materialität, Ausprägung und Aufwand unterscheiden sich bei diesen Accessoires teilweise erheblich. So gibt es beispielsweise einfache Silikonhüllen namens ‚Bunny‘ mit abstehenden Ohren und ‚Puscheln‘ zum Aufstellen (siehe Abb. 38), handgestrickte Wolltaschen oder handgenähte Lederaccessoires (wie Abb. 39), aber auch ‚Hardcases‘ in Form von Holzschalen oder aufwendigen Aluminiumbauteilen (wie der Hülle ‚Taktikal‘, siehe Abb. 40) bis hin zu individuell gefertigten Motiven aus einem 3D-Drucker (siehe Abb. 41). Die Abbildungen zeigen, wie sehr das Gehäusedesign des iPhones teilweise in den Hintergrund tritt bzw. wie sehr sich die Konnotationen dieser Produktensembles unterscheiden. Eine bei Teen-

645 | Esposito: Die Verbindlichkeit des Vorübergehenden: Paradoxien der Mode, S. 148. 646 | „iphone schutzhülle - Google-Suche“, https://www.google.com/search?q=iphone+ schutzh%C3%BClle&hl=de&client=firefox-a&hs=EoF&rls=org.mozilla:de-DE:official&prm d=imvns&source=lnms&tbm=isch&sa=X&ei=B_agUNi6KoOphAfPyoDAAw&ved=0CAoQ_ AUoAQ&biw=1280&bih=347 (zugegriffen am 12.11.2012). 647 | wikipedia.org: „Suchwort: Apple iPhone“, http://de.wikipedia.org/wiki/Apple_iPhone (zugegriffen am 3.8.2011).

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agern und Twens häufig zu sehende Hülle besitzt die Form einer ‚Compact Cassette‘. Diese zunächst ausschließlich in schwarzem Silikon verfügbare Hüllenart ist mittlerweile auch in anderen Farben wie Weiß oder Pink erhältlich. Daneben gibt es nun auch Kunststoff-Hartschalen, teilweise sogar nur mit dem aufgedruckten Bild einer Musikkassette. Im Anschluss an die vorangegangene Analyse soll ein Produktensemble aus iPhone 5 in Schwarz und besagter Hüllenform untersucht werden. Die Ausführungen basieren auf einer Silikonhülle in Schwarz mit rot-weißem Beschriftungsfeld, wie ich sie auf der Website ‚sf-planet.com‘ gefunden habe, da diese den erstmals für das iPhone 3G angebotenen ähnelt.

Abbildung 40: iPhone-Hülle aus Aluminium und Glas | Abbildung 41: iPhone-Hülle, die mit einem 3D-Drucker produziert wurde.

(a) Sachdimension Die Hülle aus Silikon umschließt den Rand sowie die Rückseite des iPhones, die Displayseite wird nur von einem Rahmen umschlossen. Auf der Rückseite befindet sich eine Aussparung für Kamera und LED-Blitz – Sichtfenster und Aufwickelkern des analogen Vorbildes werden durch gleichförmige Öffnungen simuliert. Je nach Farbe treten diese Details deutlich (beim weißen iPhone, siehe Abb. 42) oder subtil (beim schwarzen Modell, siehe Abb. 43) hervor. Weitere Elemente wie die Verdickung bzw. die Öffnungen für die Tonköpfe oder das Magnetband werden über Reliefs auf der Seite des SIM-Karten-Schlittens dargestellt. Öffnungen für Lautsprecher, Kopfhörer und ‚Lightning-Connector‘ auf der Unterseite sowie für den Schiebeschalter ‚lautlos‘ ermöglichen gemeinsam mit Tastern für die Lautstärke und das Einschalten die gewohnte Bedienung. Trotz des gelängten Formates des iPhone 5 und den zusätzlichen Aussparungen ist die Tonbandkassette erkennbar.

Sinndimensionen aktueller Produkte

Abbildung 42: iPhone-Hülle ‚Retro Cassette‘ | Abbildung 43: iPhone-Hülle ‚Retro Cassette‘ mit schwarzem iPhone.

Die abgerundeten Ecken des iPhones werden durch die Hülle aufgefüllt – somit bildet das Ensemble nur noch eine gelängte Rechteckform. Die Präzision von Details wie die umlaufende Phase oder die geringen Spaltmaße bei Schaltern werden durch die Hülle überdeckt. Die geringe Bauhöhe des Gehäuses ist beim Ensemble ebenfalls nicht mehr wahrnehmbar. Die glatten, kühl wirkenden und exakt ebenen Gehäuseflächen verschwinden hinter der weichen, homogen texturierten und teilweise etwas verbeult wirkenden Silikoneinfassung. Die ausgewogen platzierte Produktgrafik aus Apfellogo und Geräteinformationen wird teilweise abgedeckt – noch sichtbare Stellen im Bereich der ‚Aufwickler‘ weisen keinen Bezug zu dieser auf. Stattdessen steht das rot-weiße Beschriftungsfeld mit Aufdruck im Vordergrund. Die subtilen Farb- und Materialkombinationen des Smartphones werden durch die starken optischen Kontraste der Rückseite überdeckt, die Displayseite nur durch den umlaufenden rechteckigen Silikonrahmen verändert. Die beiden seit dem iPhone 4 ebenen Flächen von Displayglas und Rückseite begünstigen die einfache Produktion von Schutz- bzw. Abdeckhüllen. Die gestalterisch im Vergleich zur Bildschirmfläche zurücktretenden Details begünstigen ebenfalls ein ‚Bespielen‘ der nicht zur Bedienung genutzten Bereiche.

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(b) Zeitdimension Das Ensemble referiert auf analoge und digitale Unterhaltungselektronik und thematisiert damit den durch die Computertechnik eingeleiteten Paradigmenwechsel. Mit Einführung der ‚Compact Cassette‘ (vgl. Abb. 44) und des tragbaren Kassettenrekorders EL 3300 durch Philips im Jahr 1963 setzte sich die analoge Tonbandtechnik zur Aufnahme und Wiedergabe von Sprache oder Musik im Privatbereich durch.648 Vor allem Jugendliche nutzten die Möglichkeit, mit dieser Technik Musiktitel aus dem Radio aufzunehmen oder von Langspielplatten zu kopieren, um Popmusik günstig verfügbar zu machen. Die ab den 1970er Jahren in nahezu allen Haushalten der westlichen Industrienationen verbreitete Technik erlebte mit der Einführung des Walkmans von Sony im Jahr 1979649 einen letzten Boom. Ab dieser Zeit dokumentieren Jugendliche mit aufgesetzten Kopfhörern auf Gehwegen, in öffentlichen Verkehrsmitteln oder in Parks den Wunsch nach individuellem Musikgenuss in der Öffentlichkeit. Das iPhone markiert als Weiterentwicklung der am 23. Oktober 2001 durch Apple eingeführten iPod-Familie eine andere für den Musikbereich und die Popkultur bedeutende Entwicklung. So repräsentiert das Ensemble zwei wichtige Entwicklungsstränge der Alltagskultur.

Abbildung 44: Compact Cassette | Abbildung 45: Hülle ‚Retro Cassette‘ mit Samsung Galaxy S III.

Daneben greift es – mit der Kassette als Zeichen der 1980er Jahre – den im Bereich der sogenannten ‚Gadgets‘ momentan populären Retrostil auf.

648 | wikipedia.org: „Suchwort: Compact Cassette“, http://de.wikipedia.org/wiki/Compact_Cassette (zugegriffen am 12.11.2012). 649 | wikipedia.org: „Suchwort: Walkman“, http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Wal kman&oldid=110143230 (zugegriffen am 12.11.2012).

Sinndimensionen aktueller Produkte

Durch ein Referieren auf Walkman, Homecomputer und Telespiele wird darin der Beginn der Unterhaltungselektronik verfügbar gemacht. Auf der anderen Seite wird auf die immer noch mit dem Attribut ‚Zukunft‘ markierte Smartphone-Technologie verwiesen, die mit dem iPhone ihren Durchbruch erfahren hat. So wird die durch jährliche Modellwechsel kurze Zeitspanne der einzelnen Geräte durch eine längere, auf die komplette Entwicklung der heute bekannten Unterhaltungselektronik bezogene Perspektive ergänzt.

(c) Sozialdimension Durch die Kombination mit einer Low-Tech-Hülle verliert das iPhone die Anbindung an das Braun-Design der 1960er Jahre und damit Konnotationen einer funktionalistischen, ästhetisierten Gestaltung. Ebenso treten Anknüpfungspunkte an die Marke Apple in den Hintergrund. Hält der Anwender das Smartphone zur Nutzung im Gesichtsfeld, so ist für andere nun in erster Linie die Retro-Cassette-Hülle sichtbar. Darüber hinaus ist nur schwer zu erkennen, ob die Hülle ein iPhone 4, ein Samsung Galaxy SIII oder ein anderes Gerät schützt (vgl. Abb. 45). Das ‚Retro-CassetteSilcone-Case‘ nivelliert also die Differenzierung zwischen den einzelnen Marken, den aktuellen Topmodellen und den günstiger erhältlichen Vorgängerprodukten. Bei kurzem Hinsehen wird nur noch Smartphone plus Kassette wahrgenommen. Durch die Verbindung mit dem Accessoire wird eine Abgrenzung zu anderen iPhone-Besitzern hergestellt. Die große Personengruppe wird nun zu einer kleineren, aufgrund der großen Verbreitung und des allgemein verständlichen Zitats jedoch trotzdem massenkulturell geprägten Teilsystem. So ergänzt dieses zweite Produkt die modische Prägung des jährlich erneuerten Grundgerätes um eine Teilnahme am Retrotrend, der populäre Unterhaltungselektronik der 1980er-Jahre als stilistischen Bezug heranzieht. Beispiele hierzu sind auf der Website ‚trendhunter.com‘ zu finden – es existiert sogar eine eigene Sammlung von ‚Compact Cassette Creations‘ mit 69 Beispielen.650

650 | „69 Cassete Tape Creations - These Items are a Musical Blast From the Past (CLUSTER)“, http://www.trendhunter.com/slideshow/cassette-tape-creations#15 (zugegriffen am 13.11.2012).

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Man kann die Verwendung einer ‚günstigen‘ Hülle auch als Ausdruck eines lockeren, weniger an ‚Geltung‘ orientierten Umgangs mit dem Smartphone verstehen. Die Technologie des Gerätes wird selbstverständlich im Alltag genutzt, ohne dass das iPhone eine herausragende, zeigenswerte Eigenschaft besäße, es dominiert ein routinierter, alltäglicher Umgang. In diesem Rahmen verschiebt sich die Gerätebedeutung von ‚Status‘ zu einem ‚notwendigen Werkzeug‘. Dieser Betrachtungsweise entspricht auch ein ironischer Umgang mit der Hochglanzwelt der Apple-Produkte, indem der ‚unperfekte‘ Schutz das ‚perfekte Styling‘ des iPhones ästhetisch bricht.

(d) Fiktionsdimension Das Zitieren der Compact Cassette kann bei iPhone-Besitzern, die ihre Jugend in den 1980er Jahren erlebt haben, eine Verbindung zur eigenen Geschichte herstellen. Mobiltelefon und Hülle repräsentieren damit einen großen Teil der persönlichen Geschichte sowie das Lebensgefühl, das sich durch mobilen Musikgenuss über den Walkman einstellte. Die Anpassung des neuen technologischen Produktes an die eigenen Vorlieben überführt das zuvor standardisierte, neutrale Produkt in den persönlichen Besitz. Nach dem ‚Unboxing‘ sind die Synchronisierung mit eigenen Inhalten und das Anbringen der Hülle weitere Schritte , um das iPhone in den eigenen Alltag zu überführen. Das ‚Downgrade‘ des technischen Premiumproduktes durch die ‚LowTech-Hülle‘ kann einen lockeren, spaßgetriebenen Umgang mit Technik symbolisieren. Für manche stellt es gar die Unabhängigkeit bzw. eine Abkehr vom elitären Markenimage dar. Aufgrund von Funktionalität und Leistungsfähigkeit wird das iPhone auch von vielen Technikbegeisterten genutzt, die den Apple-Fankult ablehnen und sich über sogenannte ‚Jailbreaks‘ auch von den Beschränkungen des Betriebssystems befreien. Die Kombination aus iPod/Smartphone und analoger Kassette stellt darüber hinaus einen Anschluss an einen Lebensstil bereit, der mit dem Begriff ‚urban‘ überschrieben werden kann. In Deutschland referiert dieser in erster Linie auf ein idealisiertes Bild des Lebens in Berlin, das sich durch Teilhabe an der Kreativ-Szene, eine Vorliebe für elektronische Musik- und Partykultur, den Besitz von Produkten kleiner lokaler Labels, ‚Fixie fahren‘

Sinndimensionen aktueller Produkte

(vgl. Abb. 46), ‚Nerd-Brille‘, ‚Under-Cut‘651 etc. manifestiert. Obwohl diese Stilrichtung mittlerweile eher als Populärkultur652 bezeichnet werden muss, konnotiert sie für viele ein junges, subkulturell geprägtes Bild.

(e) Gewichtung Die weiche Silikonhülle bildet einen starken Kontrast zu den Metalloberflächen und der präzisen Verarbeitung. Sie überlagert die Apple-spezifischen Formensprache und reduziert das Smartphone auf das Display. So wird bei dem Produktensemble – abgesehen vom Touchscreen – in der Sachdimension fast ausschließlich das Accessoire wahrgenommen. In der Zeitdimension reichert die Hülle das Ursprungsprodukt mit zusätzlichen Anschlussmöglichkeiten an, indem es mit vorausgehenden technologischen Entwicklungen verbunden wird. Diese zusätzlichen Bezüge können in der Sozialdimension sowohl als Fortführung bzw. Kontinuität mit der Entwicklung mobiler Musikspieler gesehen wie auch als Indiz dafür verstanden werden, dass sich der Besitzer vom Markenkult bzw. dem Ruf des Premiumproduktes distanzieren möchte. In der Fiktionsdimension steht das Zusatzprodukt für einen ironischen und ‚lockeren‘ Umgang durch die alltägliche Nutzung verschiedener Technologien. Zusätzlich können fiktive Identitäten oder Lebensstile mit dem iPhone verknüpft werden. Die schon in der Entwicklung des iPhones beobachtbare Reduktion hin zu einem ‚körperlosen‘ Display wird durch die Schutzhüllen in der Form vorweggenommen, dass sie das Gerätedesign ausblenden und nur noch das Interface zugänglich behalten. Das Phänomen, dass Apple-Produkte

651 | Mit der Bezeichnung ‚Fixie‘ wird ein Fahrrad ohne Gangschaltung und Freilauf bezeichnet (wikipedia.org: „Suchwort: Eingangrad“, http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Ein gangrad&oldid=108522253 (zugegriffen am 13.11.2012).), das häufig ohne Schutzbleche, Licht und sogar Bremsen genutzt wird. Es gilt als puristisches Gegenstück zu technisch hochgerüsteten Fahrrädern wie Mountainbikes etc. Unter ‚Nerd-Brillen‘ werden große Horn-Brillen mit klassischen Gestell-Formen verstanden, ‚Undercut‘ beschreibt eine Frisur, bei der die Seitenkonturen kurz rasiert sind und vom längeren Deck-Haar überlappt werden. 652 | Weltweit über 140 Stores der Modekette ‚Urban Outfitters‘ (www.urbanoutfitters.com) zeigen die ökonomische Bedeutung dieser ‚Retro-Mode‘ und damit die große Verbreitung dieses Stils.

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in Ensembles mehr „Benutzeroberfläche als Gerät“653 sind, hat Fischer bereits bei der Kombination von iPods und Docking-Stationen festgestellt. Die Verschiebung der Volumina weg vom eigentlichen Träger der Musik hin zu den Lautsprechern bzw. Ausgabegeräten zeigte, dass die i-Produkte in erster Linie als Zugänge zum Apple-Unterhaltungsangebot gesehen werden.

Abbildung 46: ‚Fixie‘ der Firma Fixie Inc., das auf der Eurobike ausgezeichnet wurde. Publiziert auf ‚www.radspannerei.de‘, einem Blog aus Berlin.

Im Rahmen der Sozial- und Fiktionsdimension kann man diese These auf einer anderen Ebene bestätigen. Durch die große Verbreitung und fehlende optische Unterscheidung verschiedener Ausstattungsmerkmale verlieren diese Produkte ihre kommunikativen und identitätsstiftenden Eigenschaften. Sie werden zunehmend eher als technisches Werkzeug oder Dienst aufgefasst – Anknüpfungspunkte an persönliche Stile oder Subkulturen können in diesem Rahmen nur noch über Accessoires bereitgestellt werden. So fällt den Zusatzprodukten eine wichtige Rolle zu, die in den Designwissenschaften bisher als zweitrangig betrachtet und darum selten diskutiert wurde. Auch Hahn weist auf die Bedeutung der Gleichzeitigkeit mit anderen Objekten hin, um deren individuelle Bedeutungen lesen zu können: „Erst diese Subjektivität ist es ja, die Objekten zu ihrer besonderen Bedeutung verhilft. Schließlich, drittens, müßte anstelle der Idee einer Schicht eher die Frage nach dem Kontext, also der Gleichzeitigkeit mit anderen Objekten oder mit bestimmten Handlungen, gestellt werden.

653 | Fischer: Der i-Kosmos, S. 30.

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Das oben geschilderte Beispiel von McCracken zeigt deutlich, wie wichtig alltägliche Kontexte für die ‚Lesbarkeit‘ von Objektzeichen sind.“654

5.2 Natürliche Materialien und improvisierte Techniken: serielle Unikate Das iPhone referiert nicht nur auf formaler Ebene auf die mit der hfg Ulm verbundene funktionalistische Gestaltungsauffassung. Mit seinen komplexen industriellen Fertigungstechniken und seiner globalen Verbreitung kann es als Prototyp für den Fortschrittsglauben der Moderne angesehen werden. Gleichzeitig kommt es dem im Funktionalismus formulierten Ziel nahe, ein Design mit Gültigkeit von ‚Alaska bis Feuerland‘ zu prägen. Die kurzen Produktzyklen und die im Zweijahresrhythmus stattfindende formale Überarbeitung widerspricht zwar diesem Ziel, folgt aber den schon in den 1960er Jahren kritisierten Gesetzmäßigkeiten einer auf Wachstum ausgerichteten Industrie. Die damit verbundene massenkulturelle Prägung führt bei Konsumenten zu einer Ensemblebildung, wie sie anhand der Schutzhüllen im vorangegangenen Kapitel beispielhaft dargestellt und analysiert wurde. Obwohl die dabei verwendeten Zusatzprodukte ihrerseits meist industriell in großen Stückzahlen produziert werden, bieten die entstandenen Bedeutungshybride wieder die Möglichkeit, stilistische Zugehörigkeiten und persönliche Vorlieben sichtbar zu machen oder das persönliche Erleben über fiktive Elemente anzureichern. Die Verwendung natürlicher Materialien stellt in Verbindung mit handwerklichen, teilweise improvisiert wirkenden Herstellungsmethoden einen entgegengesetzten Ansatz dar, den Wunsch nach Einzigartigkeit bei Produkten konsumierbar zu machen. Schon Mitte der 1990er Jahre begannen Hersteller wie beispielsweise die Firma e15, die Ästhetik unregelmäßiger Holzoberflächen in ihren Produkten zu thematisieren. Das Qualitätsmerkmal möglichst homogen wirkender Holzoberflächen, wie sie durch eine fachgerechte Sortierung einzelner Holzleisten beim Massivholz oder die Verwendung von Furnier erreicht werden konnte, wurde bei diesen Möbeln bewusst außer Acht gelassen. Es ging im Gegenteil darum, durch möglichst kontrastreiche Sortierungen und das Zeigen von ‚Fehlern‘ wie Ästen oder Rissen Holz als rohes, massives und damit archaisch wirkendes

654 | Hahn: Materielle Kultur, S. 121.

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Material zu verwenden. Der Tisch ‚TA04 Bigfoot‘ aus dem Jahr 1994 kann als Prototyp dieser Richtung gesehen werden (vgl. Abb. 47). Charakteristisch für diesen Tisch sind die massiven Füße, die aus dem Kern des Baumes gefertigt werden655 und durch die Tischplatte hindurchstoßen, sodass man auf der Oberseite die Jahresringe erkennen kann. Durch die großen Materialstärken, die bei diesem Tisch verarbeitet werden, entstehen beim Trocknen immer wieder Risse – Holz soll als urwüchsiges, lebendiges Material erlebt werden. Die angebotenen Dimensionen und das durch den verschwenderischen Materialeinsatz hohe Gewicht lassen diesen Tisch wie ein Zeugnis aus Urzeiten wirken, handwerklich aus einem Baumstamm gefertigt. Neben dieser Ästhetisierung des Materials durch Dimensionierung und das bewusste Zeigen von Fehlern werden auch handwerkliche Details genutzt, um seriellen Möbelstücken einen Unikatcharakter zu verleihen. Hella Jongerius verwendet bei vielen ihrer Arbeiten unperfekt wirkende, von Hand gemachte Eingriffe, um Vasen, Leuchten oder Sofas einen lebendigen, einzigartigen Charakter zu geben. Details wie unregelmäßige Punktreihen bei der Vase ‚IKEA PS Jonsberg‘ aus dem Jahr 2005656 oder die scheinbar willkürliche Fadenführung der Knöpfe beim Sofa ‚Polder‘ für Vitra aus dem Jahr 2005657 (siehe Abb. 48) zeigen eine Anreicherung von Industrieprodukten mit handwerklichen Elementen. Die Brüder Humberto und Fernando Campana, ein Designduo aus Brasilien, nutzen das Gestaltungsprinzip der Improvisation, um Möbel zu entwerfen, die wie Einzelstücke aussehen und doch in Kleinserien hergestellt werden können. Der 1993 entwickelte und von der italienischen Firma ‚Edra‘ produzierte Sessel ‚Vermelha‘ zeigte diesen Ansatz erstmals: Ein Gestell aus Stahl mit Aluminiumfüßen wird mit einem ca. 500 m langen roten Seil scheinbar willkürlich umwickelt, bis ein eine Sitzschale entsteht.658 Dieses Prinzip wurde von den Brüdern 2001 mit Filzstreifen bzw. 2002 mit PVC-Schläuchen variiert. Im Jahr 2003 wurde schließlich

655  |  „PRODUKTDATENBANK | e15.com“, http://www.e15.com/e15produktdatenbank. html?&user_e15proddb1_pi1[showUid]=95 (zugegriffen am 14.11.2012). 656 | „IKEA PS Jonsberg - Jongeriuslab“, http://www.jongeriuslab.com/site/html/work/ ikea_ps_ jonsberg/ (zugegriffen am 14.11.2012). 657 | „Polder Sofa - Jongeriuslab“, http://www.jongeriuslab.com/site/html/work/polder_ sofa/08/ (zugegriffen am 14.11.2012). 658 | „EDRA“, http://www.edra.com/prodotto.php?id=47 (zugegriffen am 14.11.2012).

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der Stuhl ‚Favela‘ entworfen – eine Stuhlkonstruktion, die nur noch aus scheinbar willkürlich zusammengenagelten Holzleisten besteht (siehe Abb. 49). Dieser Entwurf besitzt im Vergleich zu den vorangegangenen keine Stützkonstruktion mehr, wodurch sämtliche Bezüge zu industriellen Herstellungsverfahren fehlen. Der Stuhl wirkt, als wäre er aus vorgefundenen (Abfall-)Materialien zusammengesetzt worden.

Abbildung 47: Tisch ‚T04 Bigfood‘ von e15 | Abbildung 48: Detail des Sofas ‚Polder‘ von Vitra | Abbildung 49: Stuhl ‚Favela‘ von Edra.

5.2.1 Scheinbar selbst gemacht: DIY-Ästhetik im Produktdesign Auf DIY als Gegenkultur zur vorherrschenden Massenproduktion und als ästhetischer Impulsgeber wurde bereits im Kontext der Des-In-Gruppe im 2. Kapitel hingewiesen. Ebenso wurde bereits auf den von Toffler eingeführten Begriff des ‚Prosumers‘ eingegangen, der Serviceaufgaben freiwillig selbst übernimmt. Das Internet mit seinen unter dem Stichwort ‚Web 2.0‘ zusammengefassten partizipativen Kommunikationsformen hat diesem Themenbereich eine neue Dimension verliehen. Zunächst begann das Revival des ‚Selbermachens‘ wie zu Zeiten der Hippie- und Punkbewegungen im subkulturellen Bereich. Durch die Geschwindigkeit der neuen Medien schaffte es die wieder aufgekommene Begeisterung am Selbstproduzierten innerhalb kurzer Zeit wieder in die öffentliche Wahrnehmung. Ausstellungen wie ‚DIY – Die Mitmach-Revolution‘ der Museumsstiftung Post und Telekommunikation aus dem Jahr 2011 zeugen davon. Ebenso die Flut an Büchern, die kreative Anregungen und Bastelanleitungen zur Verfügung stellen, wie beispielsweise ‚Mach Neu aus Alt‘ von Henrietta Thompson von 2009 (siehe Abb. 50). Daneben wird DIY zunehmend konsumierbar: Neben Flohmärkten und kleinen Geschäften sorgen in erster

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Linie Portale wie ‚www.etsy.com‘ oder ‚www.dawanda.de‘ für ein großes Angebot an ‚selbstgebastelten‘ Produkten. Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen wie auch der oben beschriebenen neuen Entwurfsansätze scheint das Aufgreifen der DIY-Ästhetik im Möbeldesign als logischer nächster Schritt. Auf konzeptioneller Ebene wurde die Technik der Bricolage etwa durch Martino Gamber bearbeitet, der in seinem mehrfach ausgestellten Projekt ‚100 chairs in 100 days‘ (siehe Abb. 51) die Gestaltung eines ‚besten‘ Stuhls hinterfragte und in diesem Rahmen auf die unterschiedlichen Herstellungs- und Nutzungskontexte verwies: „I collected discarded chairs from London streets (or more frequently, friends’ homes) over a period of about two years. My intention was to investigate the potential of creating useful new chairs by blending together the stylistic and structural elements of the found ones. The process produced something like a three-dimensional sketchbook, a collection of possibilities. I wanted to question the idea of there being an innate superiority in the one-off and used this hybrid technique to demonstrate the difficulty of any one design being objectively judged The Best.“659

Typische Elemente aus dem DIY-Bereich – wie etwa sichtbare Verschraubungen, Halbzeuge aus dem Baumarkt oder auch das collagenartige Zusammenfügen unterschiedlicher Materialien – unterstreichen den Unikatcharakter aktueller Einrichtungsgegenstände im Avantgardebereich. Der Low-Tech-Charakter steht bei diesen Entwürfen im Vordergrund: Unlackierte Holzoberflächen und scheinbar spontan gewählte Verbindungstechniken erinnern an frühe Ikea-Möbel, individuelle Basteleien in Wohnungen oder auch an modifizierte Serienprodukte wie beispielsweise sogenannte ‚Ikea-Hacks‘ (siehe Abb. 52). Der Reiz dieser bewusst gestalteten und nur scheinbar spontan entstandenen Produkte liegt im Kontrast zwischen hochwertiger Verarbeitung und einfachen Konstruktionslösungen, in ausgeklügelten Proportionen und Funktionalitäten im Kontrast zur improvisiert wirkenden Optik. Mehrere Produkte der Firma ‚Muuto – New Nordic‘ aus Dänemark spielen mit diesem Reiz. Zu nennen sind beispielsweise das Regalsystem

659 | „100 Chairs in 100 Days by Martino Gamper“, http://martinogamper.com/project/a100-chairs-in-a-100-days/ (zugegriffen am 15.11.2012).

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‚Staked‘, das aus einzelnen rechteckigen Kisten besteht, die durch Klammern miteinander verbunden werden, oder der ‚Keep-Table‘, dessen Zargen und Beine aus Reststücken der Holzproduktion bestehen, die durch Palettenband mit Metallhülsen zusammengehalten werden (siehe ‚www. muuto.com‘). Aus der Kollektion dieses Herstellers soll im Folgenden die Leuchte ‚Wood Lamp‘ von ‚TAF Architects‘ aus Stockholm analysiert werden (siehe Abb. 53), bei der die beschriebenen Prinzipien sehr anschaulich umgesetzt wurden.

Abbildung 50: Buch mit DIY-Anleitungen | Abbildung 51: Ausstellung ‚100 chairs in 100 Days‘

Abbildung 52: Umgebautes Ikea-Möbelstück | Abbildung 53: ‚Woodlamp‘ von Muuto.

(a) Sachdimension Der Auf bau dieser Leuchte ähnelt dem klassischer Schreibtischleuchten aus Metall: ein kleiner Standfuß mit Gewicht, ein zweischenkliger Winkelarm, um die Position der Lichtquelle zu verändern, und ein beweglich aufgehängter Leuchtenschirm, um den Lichtstrahl auszurichten. Anders als die bekannten Vorbilder ist die Konstruktion komplett aus Pinienholz gefertigt. Der zweiteilige Leuchtenarm sowie die Anbindung des Leuchtenschirms bestehen aus einfachen Leisten, der Leuchtenschirm in Form eines Pyramidenstumpfs ist ebenfalls aus gefügten Pinienholzleisten her-

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gestellt. Der Standfuß wurde aus einem gefügten Brett mit integriertem Gewicht gearbeitet, die Anbindung des Arms erfolgt über zwei rechteckige Pinienholzklötze. Im Gegensatz zu anderen Schreibtischleuchten werden Position und Neigungswinkel des Leuchtenschirms jedoch nicht über ein ausgeklügeltes mechanisches System aus Federn, Zugdrähten und Schubstäben eingestellt. Die Fixierung der eingestellten Winkel erfolgt über Flügelschrauben, die nach dem Justieren fest angezogen werden müssen (siehe Abb. 54). Das Kabel der Leuchte wird sichtbar zum Leuchtenschirm geführt, durch Löcher in den Holzteilen wird es in Position gehalten. Das Kabel ist in zwei Farbvarianten erhältlich und bildet mit seiner geschlossenen Oberfläche einen deutlichen Kontrast zu den Holzteilen. Die improvisiert wirkende Leuchte ist hochwertig verarbeitet – die Leisten sind präzise gefügt und die Kanten nur durch einen kleinen Radius gebrochen. Die Bretter des Leuchtenschirms sind auf Gehrung gearbeitet. Auch hier zeugen exakte Kanten von einer handwerklich aufwendigen Verarbeitung. Die Oberfläche wirkt auf den ersten Blick ‚roh‘, ist jedoch fein geschliffen und mit weiß pigmentiertem Öl behandelt. Sichtbare Leimfugen – zum Beispiel an den Holzklötzen der Armanbindung – verweisen zwar auf einfache Produktionstechniken. Details wie der schwebende Holzsockel mit eingelassenem kunststoffummanteltem Gegengewicht zeugen jedoch von einem fundierten Entwurfsprozess und einer fachgerechten handwerklichen Fertigung. Die Grundformen der eingesetzten Materialien, die unbehandelt wirkenden Oberflächen, der additive Auf bau und die sichtbaren Verbindungen unterscheiden die Leuchte deutlich von aus Metall gefertigten bzw. industriell hergestellten Schreibtischleuchten. Die ‚Table Lamp‘ vermittelt im Kontrast zu technologisch aufwendigen Leuchten einen Low-Tech-Charakter, den jedoch auch andere aktuell produzierte Schreibtischleuchten aufweisen.

(b) Zeitdimension Die 2006 von Peter Bonnén und Kristian Byrge gegründete Firma ‚muuto‘660 ist im Möbelbereich eine ‚junge‘ Marke.

660 | „Muuto: From business idea to successful enterprise with creative capital | Dansk Design Center“, http://en.ddc.dk/case/muuto-business-idea-successful-enterprise-creative-

Sinndimensionen aktueller Produkte

Der Entwurf der Leuchte ist auf dem technischen Datenblatt des Herstellers mit dem Jahr 2009 datiert, die erste Messepräsentation wird beim Designportal ‚Stylepark‘ mit 2010 angegeben.661 Da junge Labels in der Regel über ein Jahr benötigen, um neue Produkte im gesamten Händlernetz zu platzieren, ist ‚Table Lamp‘ noch als ‚neu‘ anzusehen. Produkt und Firma weisen somit eine kurze Entwicklungsgeschichte und einen hohen Gegenwartsbezug aus. Durch den Namen ‚muuto‘, der vom finnischen Wort ‚muutos‘ (‚Veränderung‘, ‚Abänderung‘662), abgeleitet wurde, wie auch die Subline ‚New Nordic‘ versuchen die Gründer der Marke eine Verbindung zu zukünftigen Entwicklungen herzustellen. Diese Ausrichtung soll auch durch die Fokussierung auf Nachwuchsdesigner bekräftigt werden, wie auf der Website zu lesen ist: „We handpick the brightest design talent in Scandinavia and give them the freedom to express their individual story through everyday objects.“663

Abbildung 54: Detail des Leuchtenschirms | Abbildung 55: ‚Woodlamp‘ in einem Büroraum.

Neben dieser Zukunftsausrichtung soll durch eine Beschränkung auf Designer aus Finnland, Norwegen, Dänemark und Schweden an die skan-

capital (zugegriffen am 15.11.2012). 661 | „Wood Lamp by Muuto, design at ST YLEPARK“, http://www.stylepark.com/en/muuto/ wood-lamp (zugegriffen am 15.11.2012). 662 | „muutos übersetzen - Deutsch Finnisch Übersetzung“, http://www.woxikon.de/ deutsch-finnisch/muutos.php (zugegriffen am 15.11.2012). 663 | „About Muuto - New Nordic furniture, lighting and accessories by the Leading Scandinavian designers. Est. 2006“, http://www.muuto.com/about.aspx (zugegriffen am 15.11.2012).

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Produktsprachen

dinavische Designtradition angeknüpft werden.664 Durch das Aufgreifen der DIY-Ästhetik bei der Leuchte wird auf konsumkritische Bewegungen der 1960er Jahre ebenso Bezug genommen wie auf das ‚Neue Deutsche Design‘ der 1980er Jahre oder aktuelle Designströmungen, wie sie oben beschrieben wurden.

(c) Sozialdimension Aufgrund seiner improvisiert wirkenden Konstruktion und der Verwendung von Halbzeugen kann ‚Table Lamp‘ mit den Entwürfen des ‚Neuen Deutschen Designs‘ in Verbindung gebracht werden. Die hochwertige Verarbeitung und die pur wirkende Materialität erinnern zwar an einfache Produkte von Jasper Morrison wie die Kistenmöbel ‚The Crate Series‘ für Established and Sons aus dem Jahr 2007, die weniger an der Funktion orientierte, stärker formal ausgerichtete Gestaltung deutet jedoch auf den Low-Tech-Trend hin, wie er von vielen jungen Designern aktuell auf Messen präsentiert wird. Die Konstruktion aus Holzleisten und sichtbaren Verbindungen mit Flügelschrauben spielt mit der Vermutung, tatsächlich ein selbst gebautes Möbel vor sich zu haben. Das Spiel dieser Ästhetik mit der Tatsache, ein kauf bares Serienprodukt eines jungen Labels vor sich zu haben, führt zu vielfältigen Anknüpfungspunkten in der Sozialdimension. Zunächst kann ‚Table Lamp‘ mit einem DIY-Produkt verwechselt werden und so zu dem Eindruck eines Geldmangels oder eines improvisierten und noch nicht gefestigten Lebensstils führen. Die Leuchte wird aus dieser Perspektive aufgrund der Holzkonstruktion und der sichtbaren Flügelschrauben im Vergleich zu Produkten aus industriellen Werkstoffen und mit lichtverteilenden Reflektoren als minderwertig angesehen. Bei einem designaffinen Publikum drückt dieses Produkt dagegen Kennerschaft aus, denn es dokumentiert das Wissen über aktuelle Strömungen und Trends. Darüber hinaus deutet das Aufgreifen eines kleinen, bisher wenig bekannten Labels im Gegensatz zum Konsum von etablierten Marken und Klassikern in diesem Rahmen auf Stilsicherheit und ‚Geschmacksführerschaft‘ hin. Dafür spricht auch, dass die subtilen Details

664 | „Muuto | Hersteller | Shop“, http://www.connox.de/muuto.html (zugegriffen am 15.11.2012).

Sinndimensionen aktueller Produkte

und die natürlich wirkende Oberflächenverarbeitung nur bei genauerer Betrachtung oder Kenntnis handwerklicher Fertigung erkannt werden. In einem anderen Umfeld kann die Leuchte als Statement eines lockeren Umgangs mit Einrichtungsgegenständen gesehen werden, zum Beispiel indem die Strenge homogener Oberflächen und makellos wirkender Industrieprodukte durch ein improvisiert wirkendes Low-Tech-Produkt gebrochen wird. Die Irritation kann je nach Lebensbereich auch als provokatives, rebellisches Statement verstanden werden. Vor allem im Arbeitsbereich kann der Verzicht auf eine technologisch perfekte und nach den Gesetzen der Ergonomie optimierte Lösung die Unabhängigkeit von Arbeitsplatzrichtlinien und einer vom Taylorismus geprägten Arbeitsweise zeigen. Die Anordnung mehrerer ‚Table Lamps‘ irritiert als Vexierbild aus Unikat und seriellem Produkt zusätzlich und dokumentiert eine bewusste Auseinandersetzung mit konsumkritischen Themen (siehe Abb. 55).

(d) Fiktionsdimension Im persönlichen Wohnumfeld kann die Schreibtischleuchte als Bezugspunkt zu improvisierten Wohnformen gesehen werden, wie sie von vielen in der ersten eigenen Wohnung oder zu Beginn des Studiums praktiziert wurden. Die Erinnerung an selbst zusammengebaute Möbel von Ikea sowie selbst gebaute Leuchten oder Einrichtungsgegenstände wird durch dieses Konsumprodukt wieder in den persönlichen Erlebnisraum gebracht, jedoch durch den Kauf eines perfekt gefertigten Produktes in einen luxuriösen, verfeinerten Kontext gestellt. Auf der anderen Seite kann der Besitz dieses Produktes als antitechnisches Statement erlebt werden – als eine Abkehr vom Optimierungs- und Steuerungswahn per iPhone bedienbarer Leuchtmittel wie beispielsweise der ‚Philips Hue‘.665 Denn Holz als Material, die nachvollziehbare Konstruktion und die sichtbare Kabelführung sind den alltäglichen Wahrnehmungs- und Nutzungserfahrungen entlehnt und lassen keine technische Blackbox entstehen. Ebenso ist diese Leuchte aus im Baumarkt verfügbaren Materialien wie den Flügelschrauben selbst reparier- bzw. veränderbar. Die hochwertige Verarbeitung, die Detailqualität sowie das offenporige, geölte Pinienholz machen bei dieser Leuchte natürliche Materialien sowie

665 | „Philips hue“, http://www.meethue.com/de-US (zugegriffen am 16.11.2012).

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Produktsprachen

handwerkliche Produktionsabläufe sinnlich erfahrbar. Als offenkundig nachhaltiges und langlebiges Produkt ermöglicht sie, ökologische Prinzipien im eigenen Lebensbereich umzusetzen, und zwar in einer durch die improvisierte Wirkung einfallsreichen und positiv besetzten Weise. Darüber hinaus hält sie rebellische und antiautoritäre Erlebnissphären bereit, bedient die Freude, an einer Gegenkultur teilzuhaben und andere mit dieser Konsumentscheidung zu irritieren. Für Konsumenten, die sich selbst als ‚designaffin‘ beschreiben würden, bekräftigt dieses Produkt die Kopplung an aktuelle Trends sowie das Wissen um die Bezüge zu DIY und alternative Produktionsformen. So kann auch im Alltagsgebrauch anhand grundlegender Konstruktionsprinzipien und feiner Verarbeitung eine Designhaltung kultiviert werden. Eigenständigkeit wird aufgrund der weniger bekannten Marke und dem massenkulturell noch nicht vereinnahmten Gestaltungsansatz bei diesem Produkt in den Vordergrund gestellt.

(e) Gewichtung In der Sachdimension stehen die handwerklich konnotierten Materialien, die Verwendung von Grundformen und die zweidimensionale, an ein Piktogramm erinnernde Gesamtform der Leuchte im Vordergrund. Damit wird ein deutlicher Gegenpol zur industriellen Fertigung sowie aufwendigen Formverläufen bei Kunststoff bauteilen erzeugt. Die Erkennbarkeit der eingesetzten Materialien und die Nachvollziehbarkeit der Konstruktion vermitteln deutlich den Low-Tech-Charakter der Leuchte. In der Zeitdimension wird dieser durch Verweise auf die mit DIY verbundene Hippiebzw. Punkkultur in einen zeitlich größeren Kontext gesetzt. In der Sozial- wie auch in der Fiktionsdimension bietet die Leuchte als Hybrid zwischen Konsumkritik und elitärem Serienprodukt vielfältige Anknüpfungspunkte. Sie referiert auf DIY und improvisierte Gestaltungsansätze ebenso wie auf Widerstand und Protest oder auf handgefertigte Luxusprodukte. Wie die weiter oben beschriebene Smartphone-Hülle kann sie als Gegenpol zur technisierten Konsumwelt gesehen werden und reichert ihr Umfeld – im privaten Bereich wie auch im Büroalltag – mit zusätzlichen Bezügen und Erlebniswelten an.

Sinndimensionen aktueller Produkte

Der Hinweis auf dem technischen Datenblatt – „Cut out of dryed pine blokes, grinded and whitened with white oil, glued and assembled by hand“666 – wird durch das Produkt nachvollziehbar vermittelt und dient als Indikator für ein ‚einzigartiges Serienprodukt‘. Ein Merkmal, das durch tatsächliches Selbermachen ohnehin Bestandteil der Tischleuchte wäre. Betrachtet man in DIY-Büchern667 Anleitungen für Leuchten oder vergleichbare Gegenstände, so geht es bei diesen häufig darum, nicht offensichtlich selbst gebaut, sondern vielmehr wie ein Serienprodukt auszusehen. Das Unperfekte, selbst Gemachte und Improvisierte wird in der kommerziellen Verwertung also ästhetisiert, um Einzigartigkeit zu symbolisieren. Im Rahmen der Konsumkultur dient dieses Mittel folglich in erster Linie dazu, in Form von Verfeinerung das kollektive Vokabular von Unterschieden weiter auszudifferenzieren.

5.2.2 Guerilla Knitting im Büro: Anreicherung von Verwaltungsarbeit mit subkulturellen Elementen Textilien werden im Bürobereich in erster Linie in Form von Teppichböden oder Polsterbezügen eingesetzt. Daneben dienen sie bei Wandverkleidung dazu, Schallreflexionen zu dämmen, Oberflächen aufzuwerten und einen wohnlichen Charakter in die technisierte Arbeitswelt zu bringen. Seit einigen Jahren wird auf experimenteller Ebene an neuen Anwendungsgebieten und Erscheinungsformen von Stoffoberflächen gearbeitet. Zu nennen sind hier vor allem die Arbeiten der französischen Designer Ronan und Erwan Bouroullec für die Firma Vitra, da dieser Hersteller aufgrund seiner Marktpräsenz in Europa und seiner konsequenten Weiterentwicklung der Bürokultur in der Branche viel beachtet wird. Bei der Drehstuhlserie ‚Work‘n Nest‘ aus dem Jahr 2007 verkleideten die beiden französischen Designer beispielsweise die höhenverstellbaren Armlehnen mit einem elastischen Gewebe, das die mechanischen Bauteile verdeckte und sie formal zu einem Teil des Sitzpolsters werden ließ (sie-

666 | „Muuto - Designs - Lamps - Wood Lamp - Designed by TAF Architects - muuto.com“, http://www.muuto.com/collection/Wood_Lamp/ (zugegriffen am 16.11.2012). 667 | Vgl. hierzu Thompson, Henrietta: Mach neu aus alt: Welt retten, Geld sparen, Style haben, Hamburg: Edel 2009; Lupton, Ellen: D.I.Y.: design it yourself, New York: Princeton Architectural Press 2006; Berger, Shoshana: Ready made: how to make (almost) everything. A do-it-yourself primer., London: Thames & Hudson 2006.

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Produktsprachen

he Abb. 56). 2012 präsentierten sie auf der Branchenmesse ‚Orgatec‘ das System ‚Workbays‘, das zur Raumbildung in Open-Space-Büros genutzt werden kann. Die Trennwände dieses Systems bestehen nicht aus einer sonst üblichen Rahmenkonstruktion mit Stoff bespannung, sondern aus Elementen eines selbsttragenden Polyestervlieses, die über Metallspangen aneinandergereiht werden können. Bei der Tischserie ‚Tyde‘, die zur gleichen Zeit vorgestellt wurde, verkleidet dieses Material das Kabelmanagement unter der Tischplatte. Da das Polyestervlies in unterschiedlichen Farben erhältlich ist, wird dieser sonst verdeckte Bereich akzentuiert (siehe Abb. 57).

‚ Abbildung 56: Drehstuhl ‚Work n Nest‘ von Vitra | Abbildung 57: Tischserie ‚Tyde‘ von Vitra.

Ebenfalls auf der Orgatec 2012 präsentierte der niederländische Hersteller ‚Arco‘ die ‚Cable Socks‘ des britischen Designers Jonathan Prestwitch. Dieses zwischen Funktionselement, Accessoire und humorvollem Statement angesiedelte Produkt ist aufgrund seiner Verbindung zu DIY und zu subversiven Techniken interessant.

(a) Sachdimension Kabelketten, Kabelschlangen etc. werden im Bürobereich genutzt, um eine höhenflexible Verbindung von Strom- und Datenkabeln zwischen Boden und Kabelwanne bzw. Tischplatte herzustellen. In der Regel bestehen diese Zusatzprodukte aus mehreren zusammengefügten Kunststoff klammern (vgl. Abb. 58) und ähneln in ihrer Struktur Führungsketten im Maschinenbau. Daneben gibt es auch flexible Gewebeschläuche, die mehrere Kabel zusammenfassen und führen können. Die ‚Cable-Socks‘ unterscheiden sich von diesen durchweg technisch geprägten Produkten, indem Sie wie handgestrickte Wollsocken aussehen: mit Bündchen an den Enden und verschiedenen Farben und Strickmustern. Gemeinsam mit einem durch Druckknöpfe an der Tischunterseite

Sinndimensionen aktueller Produkte

zu befestigenden Kabelnetz bilden sie ein von der Funktionalität her einfaches Kabelmanagementsystem für Vierbeintische. Es gibt diese Socken in drei unterschiedlichen Größen, um sie an unterschiedlichen Tischbeinquerschnitten anbringen zu können. Da die Socken ein Tischbein komplett umhüllen, werden sie optisch als Teil des Tisches wahrgenommen und nicht als zusätzliches, unabhängiges Element. Auf den im November publizierten Abbildungen sind drei unterschiedliche Muster erkennbar: geringelt, mit langgezogenen Dreiecken (siehe Abb. 59) und mit gestauchten Dreiecken. Auf der Messepräsentation in der Designpost in Köln im Oktober 2012 waren zusätzlich Varianten in Uni zu sehen.

Abbildung 58: Beispiel einer Kabelkette | Abbildung 59: ‚Cable Sock‘ von Arco. Abbildung 60: Varianten der ‚Cable Socks‘.

(b) Zeitdimension Die Firma Arco ist ein niederländischer Möbelhersteller mit einem Schwerpunkt in der Holzfertigung. Laut eigenen Angaben blickt das Unternehmen auf eine über hundertjährige Geschichte und Tradition in der Möbelbaukunst.668 Die Kollektionen der letzten Jahre sind von einer „zeitgenössischen, schlichten Formensprache“669 geprägt, die vielfach durch humorvolle Details ergänzt wird. In der Selbstdarstellung wird dies folgendermaßen beschrieben: „Informalität und Raum für Überraschungen machen einen Teil unserer Betriebsphilosophie aus. Wir sind täglich äusserst ernsthaft mit unseren

668 | „Arco Contemporary Furniture profil und vision“, http://www.arco.nl/de/ober_arco/ profil_und_vision.aspx (zugegriffen am 19.11.2012). 669 | „Arco Contemporary Furniture profil“, http://www.arco.nl/de/ober_arco/profiel_ van_arco.aspx (zugegriffen am 19.11.2012).

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Dingen beschäftigt, aber schätzen auch die Relativierung und den Sinn für Humor.“670

Produkte wie das Kleinmöbel ‚Pivot‘ von ‚Shay Alkalay‘, bei dem die Schubladen nicht auf Schienen geführt werden, sondern sich über einen horizontalen Drehpunkt öffnen lassen, oder die Bank ‚Arc‘ von ‚Bertjan Pot‘, die aus einem stilisierten Bootsrumpf mit Deckel besteht, sind Beispiele für diese Besonderheit. In diesem Rahmen stehen die ‚Cable Socks‘ für Kontinuität im Portfolio des Herstellers. Durch Parallelen zur DIY-Ästhetik und zum ‚Guerilla Knitting‘, auf das weiter unten eingegangen wird, steht allerdings der Bezug zu gegenwärtigen Strömungen bzw. die Neuigkeit der eingesetzten Mittel deutlich im Vordergrund.

(c) Sozialdimension Das Kabelführungs-Accessoire kann wie die ‚Table Lamp‘ dem aktuellen Low-Tech-Trend zugeordnet werden. Die Technik des Strickens und die grobmaschige Ausführung (siehe Abb. 60) schließen darüber hinaus an die Ökologiebewegung der 1980er Jahre in Deutschland an, als für die Mitglieder der ersten Bundestagsfraktion der Grünen Stricken im Parlament als politisches Statement galt.671 Durch das Material Wolle, die unterschiedlichen Farben und Dessins sowie die einfache Adaption reicht diese Kabelführung in den Bereich der Mode. Analog zu der Praxis, als ‚Basics‘ bezeichnete Kleidungsstücke wie Jeans, T-Shirts oder Sweatshirts über Schmuck, Gürtel oder andere Accessoires an den aktuellen Geschmack anzupassen und zu individualisieren, erlauben die Cable-Socks eine Aufwertung alter Tische oder ein ‚Aneignen‘ vorgefundener Büromöbel. Wegen der gedeckten Farben und des „altmodische[n], muffige[n] Image, das dem Stricken lange anheftete“, wie Alexandra Weinig in einem Aufsatz mit dem Titel ‚Urban Needlework‘ zusammenfasst, können diese ungewöhnlichen Kabelverkleidungen aber auch als ‚altmodisch‘ und ‚bieder‘ angesehen werden, als Produkt der kleinbürgerlichen Ordnungsliebe

670 | „Arco Contemporary Furniture profil und vision“. 671 | „Do-it-yourself-Trend: Sehnsucht nach dem Selbstgemachten | Kultur | Themen | BR.de“, http://www.br.de/themen/kultur/inhalt/gesellschaft/trend-diy-do-it-yourself-100. html (zugegriffen am 19.11.2012).

Sinndimensionen aktueller Produkte

wie die umhäkelte Klopapierrolle, die in den 1960er bzw. 1970er Jahren die Hutablagen von Autos zierte. Die Cable-Socks können aber auch als vom Nutzer des Tisches handgemachte Lösung aufgefasst werden, mit der er das Problem der störenden Kabel in den Griff bekommen wollte. Sie stehen damit in Verbindung zu der Produktkategorie „Helfershelfer“, der im Jahr 2000 eine Ausstellung gewidmet wurde. In der zugehörigen Publikation672 definieren Adam, Harboth und Vilter Helfershelfer folgendermaßen: „Die Kreation eines ergänzenden Gegenstandes, der die als Manko empfundene ‚Lücke‘ kompensieren oder die erweiterten Nutzeransprüche erfüllen soll, ist die Geburtsstunde des Helfershelfers – das aktive kreierende Eingreifen des Nutzers in den scheinbar abgeschlossenen Designprozeß. […] Alle Helfershelfer, gebastelt oder als Serienprodukt, verändern als Zusätze die vorgegebene Gestalt oder Funktion des Gegenstandes. In der Symbiose mit dem Helfershelfer wird sein ‚Träger‘ in seiner Eignung für den Nutzer differenziert.“673

Aus dieser Perspektive ist es unerheblich, ob die Socke selbst gestrickt oder gekauftes Zusatzteil ist: Die persönliche Form der Problemlösung steht bei der Verwendung im Vordergrund. Für andere gehören die Cable-Socks in den Kontext des ‚Guerilla Knittings‘ oder ‚Yarn-Bombings‘. Weinig versteht darunter einen Bereich der Street-Art, in dem gestrickte Objekte ungefragt im öffentlichen Raum angebracht werden – vergleichbar mit Graffitis auf U-Bahnen oder Wänden. Diese erstmals 2005 in den USA dokumentierte textile Intervention in den öffentlichen Raum werde mittlerweile auch von Künstlern aufgegriffen und sei inzwischen in vielen europäischen Großstädten zu finden (vgl. Abb.61).674

672 | Adam, Jörg, Dominik Harborth und Andrea Vilter: Helfershelfer: Türbremse, Tropfenfänger und andere obligate Symbionten, Stuttgart; Ditzingen: Ed. Solitude ; Graf. Zentrum Drucktechnik 2000. 673 | Ebd., S. 6f. 674 | Weinig, Alexandra: „Urban Needlework: Guerilla Knitting - mit Nadel und Faden durch die Stadt“, in: Hornung, Annabelle u. a. (Hrsg.): DIY - die Mitmach-Revolution; [... anlässlich der Ausstellung „Do it yourself: die Mitmach-Revolution“ im Museum für Kommunikation Frankfurt vom 25. August 2011 bis 19. Februar 2012], Bd. 29, Museumsstiftung Post und Te-

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Der ironische Umgang mit Büroarbeit und der damit verbundenen Arbeitsumgebung kann schließlich auch als Provokation verstanden werden. In diesem Fall wird das irritierende Moment dieses Produktes mit Ablehnung aufgenommen.

(d) Fiktionsdimension Als Produkt, das nur in Kombination mit einem anderen nutzbar ist, kann die Kabelsocke zunächst dazu dienen, ein industrielles Massenprodukt bzw. einen vorgegebenen Arbeitsplatz in den eigenen Besitz zu überführen. Dadurch ergeben sich Anschlüsse zum eigenen Lebensumfeld und zur eigenen Geschichte. Im Gegensatz zu den häufig eher kühlen, technisch geprägten Produkten der Bürowelt kann dieses Accessoire an persönliche Erfahrungen mit Stricksocken anschließen und damit zu positiven oder auch negativen Konnotationen führen. Durch die ungewöhnliche Art der Problemlösung eignen sich die Cable-Socks auch dazu, eine souveräne Kenntnis der Konsumkultur und aktueller Trends zu demonstrieren: Sie werden in diesem Rahmen als persönliches Fundstück betrachtet, das die eigene Umgebung bereichert und maßgeblich prägt. Ähnliche Erlebnisbereiche werden auch eröffnet, indem der Transfer eines Alltagsproduktes als individueller Akt der Problemlösung angesehen und so zur vermeintlich eigenen Leistung wird. Als Low-Tech-Produkt und bewusst ‚technikfreie‘ Lösung der Kabelbefestigung dienen sie darüber hinaus als persönliches Anti-Statement zu den häufig anzutreffenden aufwendigen und von Normen geprägten Industrielösungen. Die Strickware kann also auch als ironischer Hinweis darauf verstanden werden, dass viele Alltagsprobleme mit übermäßigem technischen Aufwand gelöst werden. Durch die Verbindung zum subkulturellen Phänomen des ‚Guerilla Knitting‘ ermöglichen sie darüber hinaus einen persönlichen Link zu subversiven Interventionen einer eher im Verborgenen arbeitenden Szene. Auch die Verknüpfung zu rebellischen und illegalen Street-Art-Werken kann in diesem Rahmen durchgespielt werden.

lekommunikation: Kataloge der Museumsstiftung Post und Telekommunikation, Mainz: Ventil Verlag 2011, S. 98–105, hier S. 99.

Sinndimensionen aktueller Produkte

(e) Gewichtung Dieses sehr einfache Zusatzprodukt differenziert sich in der Sachdimension nicht durch eine raffinierte Materialwahl oder besondere Produktionstechniken. Je nach Durchmesser können die Cable-Socks isoliert betrachtet sogar mit gestrickten Stulpen verwechselt werden. Erst durch die Kombination mit einem Serienprodukt oder die Integration in den Bürobereich wird ihre Funktion und damit ihre Einzigartigkeit deutlich. Ähnliches gilt auch in der Zeitdimension. Erst durch ihren Verwendungszusammenhang ergeben sich Anknüpfungen an aktuelle Phänomene wie DIY oder Urban Knitting. Isoliert wäre die Socke nur ein Strickobjekt, wie es in unterschiedlichen Epochen hätte hergestellt werden können. Durch diese enge Beziehung zum Anwendungskontext erreicht das Produkt aber auch sein besonderes kommunikatives und fiktives Potenzial. Darin liegt der Unterschied zu bekannten Helfershelfern wie Tropfenfängern für Teekannen oder Ähnlichem. Adam, Harboth und Vilter zufolge ist die Gestaltung von Helfershelfern nebensächlich: „Ihre Formen werden in der Regel durch ihre Verwendung definiert. Die funktionalen Lücken, die sie schließen, sind hierbei auch räumlich die formbildende Vorgabe – der Leerraum bestimmt den Gegenstand.“675 Die Cable-Socks drängen sich durch ihren unkonventionellen Lösungsansatz und die damit zusammenhängende Materialwahl in den Vordergrund, können die Rezeption des Tisches und der darauf befindlichen Elektroprodukte überlagern. Damit unterscheidet sich dieses Produktensemble von dem Ensemble Smartphone und Hülle. Denn die Kontextverschiebung in den Sinndimensionen wird nicht durch ein Ausblenden der Außenform des Ursprungsproduktes erreicht, sondern durch eine im Kontrast zu diesem stehende Bedeutungserweiterung. Da dieses Objekt jedoch nur in Abhängigkeit von aktuellen Trendbezügen als Anti-Statement erkennbar ist, funktioniert es nur als Nischenprodukt.

675 | Adam/Harborth/Vilter: Helfershelfer für Design-Ikonen, S. 7.

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5.3 Design aus der Nische: Long-Tail-Produkte und subkulturelle Umdeutungen Bei den oben genannten Beispielen handelt es sich, unabhängig von ihrer Ästhetik, um Konsumgüter im klassischen Sinn. Sie werden industriell oder auch manufakturell produziert und erscheinen unter dem Label eines im jeweiligen Marktsegment etablierten Herstellers. Daneben gibt es aber auch eine beachtenswerte Anzahl von Objekten, die im Kontext von Bastlern und Tüftlern, Anhängern subkultureller Gruppierungen, kleinen Büros und Agenturen entstehen.

Abbildung 61: Beispiel für ‚Guerilla Knitting‘ | Abbildung 62: Visualisierung der ‚Long-Tail-Kurve‘.

In diesem Zusammenhang ist der Begriff ‚the long tail‘ zu nennen. Er wurde von dem US-Journalisten und Chefredakteur der Zeitschrift ‚Wired‘ Chris Anderson geprägt.676 Mithilfe der Verkaufsstatistik des amerikanischen Jukebox-Musikdienstes ‚Ecast‘ und durch Forschungen bei Marktführern der elektronischen Unterhaltungsindustrie wie Amazon, iTunes oder Rhapsody wies er nach, dass eine große Anzahl von Nischenprodukten zu mehr Umsatz führen kann als wenige Topseller.677 Stellt man diesen Sachverhalt in einer Grafik dar, so entsteht eine flach abfallende Kurve, die zur Namensgebung dieses Ansatzes führte (siehe Abb. 62).

676 | Anderson, Chris: The long tail (= Der lange Schwanz): Nischenprodukte statt Massenmarkt - das Geschäft der Zukunft, München: Hanser 2007, S. 11. 677 | Er nannte diese Erkenntnis zunächst „Die 98-Prozent-Regel“. Sie besagt, dass sich beispielsweise bei Amazon „98 Prozent der ersten 100.000 Titel auf der Verkaufsrangliste […] mindestens einmal im Quartal einen Abnehmer finden.“ Ebd., S. 9f.

Sinndimensionen aktueller Produkte

Möglich wurde diese Umkehr der bisher gültigen industriellen Logik678, nach der in erster Linie in großer Stückzahl produzierte Güter für hohe Umsätze sorgen, durch universelle Vertriebskanäle im Internet wie ‚www. ebay.com‘, ‚www.amazon.com‘, ‚www.etsy.com‘ etc., wie sie bereits in Kapitel 3.2.5.c beschrieben wurden. Denn diese Verkaufsplattformen bringen die stark ausdifferenzierte Nachfrageseite, in der die unterschiedlichsten Zugehörigkeiten und Neigungen zu einer großen Zahl individueller Bedürfnisse führen, mit einer ebenfalls großen Menge unterschiedlicher Nischenangebote zusammen. Obwohl im Markt der Nischenangebote auch viel Handgearbeitetes und Selbstgemachtes angeboten wird, haben vor allem die digitalen Produktionstechniken zu neuen Möglichkeiten bei der Herstellung geringer Stückzahlen geführt. Gros hatte dies, wie in Kapitel 2.3.3 dargestellt, noch in erster Linie vor dem Hintergrund von CNC-Fertigungstechniken reflektiert. Lasersinter-Techniken und 3D-Drucker haben die Möglichkeiten nochmals erheblich erweitert. Zusätzlich hat der in den Informationstechnologien übliche schnelle Preisverfall zu einer allgemeinen Verfügbarkeit dieser Technologien geführt. Produkte wie der Open-Source-Rapid-Prototyping3D-Drucker ‚MakerBot Thing-O-Matic®‘ der Firma ‚MakerBot Industries‘, der 2011 zum Preis von 1.099 $ angeboten wurde679, zeigen, dass solche Geräte mittlerweile auch für Privatleute erschwinglich sind. Sogenannte ‚FabLabs‘, die Privatpersonen einen Pool an technischen Geräten wie CNCFräsen oder Tiefziehmaschinen zur Verfügung stellen, ermöglichen heute praktisch jedem den Zugang zu industriellen Fertigungstechniken. Auch im Designbereich wird mittlerweile der Open-Source-Begriff genutzt, um nichtkommerzielle, für ‚jedermann‘ nutzbare Entwürfe zu bezeichnen. Dieser Entwurfsansatz kann auf Victor Papanek und die von ihm zum Nachbau publizierten Möbel in ‚Nomadic Furniture‘680 zurückgeführt werden. Da diese Arbeitsweise Designern die Verdienstgrundlage entzieht, sind jedoch auch Mischformen zu beobachten. Beispielsweise

678 | Anderson beschreibt drei Wirkmechanismen, die zu dieser Entwicklung geführt haben: 1. Demokratisierung von Produktion, 2. Demokratisierung des Vertriebs, 3. Verbindung von Angebot und Nachfrage. Ebd., S. 67. 679 | „MakerBot Thing-O-Matic 3D Printer Kit - MakerBot Industries“, http://store.makerbot.com/thing-o-matic-kit-mk7.html (zugegriffen am 14.12.2011). 680 | Hennessey, James und Victor Papanek: Nomadic Furniture: D-I-Y Projects That Are Lightweight & Light on the Environment, Schiffer Pub Co 2008.

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bieten Designer wie das niederländische Designerduo Minale-Maeda mit ihrer ‚Inside-Out-Furniture-Collection‘681 oder der in London lebende Designer Tristan Kopp mit dem Fahrrad ‚prodUSER‘ (siehe Abb. 63) Produkte an, bei denen Konsumgut und DIY zu einem Hybrid verschmelzen. Ihre Konzepte sehen vor, dass neben den Bauplänen auch spezifische Verbindungsknoten von den Designern erworben werden können, die eine einfache Fertigung des Endproduktes aus verfügbaren Halbzeugen ermöglichen.

Abbildung 63: Fahrrad-Bausatz ‚prodUSER‘ | Abbildung 64: Modifizierte Spielekonsole.

Neben diesen von ausgebildeten Gestaltern angefertigten Entwürfen gibt es im subkulturellen Bereich auch eine Vielzahl erdachter, gebauter und publizierter Objekte, die nicht durch ihre Funktionalitäten, sondern vor allem aufgrund ihrer kommunikativen Anschlussmöglichkeiten interessant sind. Neben Objekten aus dem Gothicbereich – wie der über ‚www.etsy. com‘ vertriebenen Coffin-Couch, die ich bereits in einem Aufsatz als Beispiel angeführt habe682 – sind vor allem Produkte aus dem Elektronikbereich interessant. So referieren ‚Mods‘, also veränderte Serienprodukte wie Spielekonsolen, auf vorangegangene Modelle und versehen sie mit neuen Funktionen (siehe Abb. 64). Vor dem Hintergrund des Long-Tail-Marktes sind diese Phänomene auch aus designwissenschaftlicher Sicht bedeutsam. Neben der direkten wirtschaftlichen Komponente, die nahelegt, auch Randphänomene und Subkulturen zu beachten, gibt es eine indirekte. Liebl führt in einem Aufsatz über Ikea-Hacking das Beispiel der ‚Lead User‘ an.683 Dieser Begriff

681 | „MINALE MAEDA“, http://www.minale-maeda.com/inside_out/io_text.html (zugegriffen am 20.11.2012). 682 | Schwer: „DIY in Jugendkulturen: Vom kopierten Fanzine zum Steampunk-PC“. 683 | Liebl: „Konsuminnovationen durch Cultural Hacking: das Beispiel Ikea-Hacking“, S. 37.

Sinndimensionen aktueller Produkte

wurde von Eric von Hippel684, einem Ökonom und Professor an der MIT Sloan School of Management, geprägt. Seinem ‚Lead User‘-Konzept zufolge können Firmen versuchen, an den „Zweckentfremdungen beziehungsweise Umdeutungen der Konsumenten zu partizipieren“685, wie Liebl an gleicher Stelle zusammenfasst. So ist es möglich, die Innovations-Kompetenz der Nutzer, die sich eben auch in subkulturellen Umformungen ausdrücken kann, abzugreifen. So könnten Bedürfnisse, die im Mainstream erst sehr viel später geäußert würden, im strategischen Handeln schon frühzeitig berücksichtigt werden.

5.3.1 Crowdfunding – an der Ideenauswahl und am Entwicklungsprozess partizipieren Produkte des Long-Tail-Marktes, wie sie auf Portalen wie ‚www.etsy.com‘ oder ‚www.dawanda.de‘ angeboten werden, sind in der Regel fertige Produkte. Aufgrund ihrer handwerklichen Fertigung sind zwar teilweise noch individuelle Anpassungen möglich, doch befindet sich das Produkt nicht mehr in der Entwicklung. Crowdfunding-Plattformen wie ‚www.kickstarter.com‘ (eröffnet 2009) oder das deutsche Pendant ‚www.startnext.de‘ (seit 2012) bieten Künstlern, Kreativen und Erfindern die Chance, eigene Projekte durch eine größere Zahl von Privatpersonen finanzieren zu lassen. Durch ihre Investition bringen sich die Geldgeber in die Ideenauswahl und somit die Entwicklung der Projekte ein. Zusätzlich werden die Förderer – je nach der Höhe des Geldbetrages – öffentlich genannt, erhalten ein erstes Produkt, besondere Zusatzleistungen, Geschenke usw. Startnext beschreibt die Idee des Crowdfunding auf der eigenen Website folgendermaßen: „Mit Startnext können Starter (Künstler, Musiker, Filmemacher, Designer, Fotografen, Autoren, Journalisten, ...) ihre Projekte durch viele einzelne Personen finanzieren lassen (Crowdfunding). Im Gegenzug

684 | Vgl. von Hippel, Eric: The sources of innovation, New York: Oxford University Press 1988; von Hippel, Eric: Democratizing innovation, Cambridge, Mass: MIT Press 2005, http:// web.mit.edu/evhippel/www/books.htm (zugegriffen am 7.8.2013). 685 | Übersetzung zitiert nach Liebl: „Konsuminnovationen durch Cultural Hacking: das Beispiel Ikea-Hacking“, S. 37.

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bekommen die Supporter (Fans, Freunde, Bekannte, Familie, Firmen und Mäzene) vom Starter einzigartige Dankeschöns, wie z.B. eine unterschriebene CD, eine Nennung im Abspann oder ein exklusives Meet & Greet. Fans können hautnah bei der Entstehung eines Projektes dabei sein oder sogar in den Prozess involviert werden (Marketing 2.0). Firmen nutzen Startnext für ihr Kultursponsoring und CSR Marketing. Der Starter bekommt die finanzielle Unterstützung erst, wenn sein Budgetziel erreicht ist - klappt das nicht innerhalb der geplanten Zeit, geht das Geld an die jeweiligen Unterstützer wieder zurück und kann in neue Projekte investiert werden.“686

Um die Projekte für Geldgeber interessant zu machen, werden auf den Plattformen häufig Präsentationsfilme publiziert, die das Produkt, die Entwicklung und die Personen, die dahinterstehen, zeigen. Technische Informationen, schematische Darstellungen von Bauteilen, Websites etc. ergänzen diese Informationen. Der Wettbewerb der Ideen um Investoren ist hier sehr direkt und impulsgesteuert. Neben geplanten Buch-, Musik- und Videoproduktionen oder Softwareentwicklungen werden vor allem bei ‚www.kickstarter.com‘ auch Produktentwicklungen präsentiert. Durch die veranschlagte Investitionssumme sollen beispielsweise erste Kleinserien, Spritzgusswerkzeuge etc. finanziert werden. Die Bandbreite reicht von einfachen Helfershelferprodukten wie Kabelbindern über Stifte, iPod-Docks, Fahrräder bis hin zu komplexen Produkten wie Espressomaschinen oder Elektrofahrrädern.687 Einige der Projekte ähneln sich oder haben das gleiche Ziel. So werden mehrere Ansätze vorgestellt, aus einem iPod nano der sechsten Generation über unterschiedliche Gehäusezusatzteile und Armbänder eine Armbanduhr zu machen.688 Die Kombination aus Armbanduhr, universell nutzbarem Display und einem über Bluetooth mit dem Smartphone gekoppelten

686 | „Startnext - Crowdfunding, Finanzierung für Kreative, Erfinder und Künstler“, http:// www.startnext.de/ (zugegriffen am 21.11.2012). 687  |  „Discover Projects  » Design / Most Funded — Kickstarter“, http://www.kickstarter.com/ discover/categories/design/most-funded?ref=more#p45 (zugegriffen am 20.11.2012). 688 | Vgl. hierzu zum Beispiel „TikTok+LunaTik Multi-Touch Watch Kits by Scott Wilson + MINIMAL — Kickstarter“, http://www.kickstarter.com/projects/1104350651/tiktok-lunatik-multi-touch-watch-kits (zugegriffen am 21.11.2012); „LOOP - A One-Piece Watch Band for the iPod Nano by Evan Derman, Chris Peterson & Dan Selden — Kickstarter“, http://

Sinndimensionen aktueller Produkte

Mikroprozessor wurde zu einem der erfolgreichsten Kickstarter-Produkte: der ‚Pebble Watch T4‘. Die avisierte Fördersumme betrug 100.000 US$ – diese wurde um 10.266 % übertroffen. 68.929 Förderer stellten bis zum 11. April 2012 insgesamt 10.266.845 US$ zur Verfügung.689 Auf der Website ‚www.pebble-smartwatch.de‘ werden Details der seither laufenden Produktionsvorbereitungen in Blog-Form publiziert. Die Firma ‚Pebble Technology‘ aus Palo Alto befasst sich nach eigenen Angaben seit drei Jahren mit der Entwicklung von ‚Smartwatches‘. Insgesamt wurden von diesem Unternehmen bereits 23 Projekte bei Kickstarter eingereicht.690 Der Website ‚www.getpebble.com‘ zufolge wurden bis zum 22.11.2012 schon 85.000 Pebble Watches verkauft691 – die Zahl steigt täglich weiter an. Und dies, obwohl sich das Produkt noch nicht in der Massenfertigung befindet und es sich um keinen bekannten Markenhersteller wie beispielsweise Apple handelt. Darum soll diese Uhr im Folgenden als Beispiel für ein Crowdfunding-Projekt analysiert werden.

(a) Sachdimension Auf den ersten Blick wirkt die Pebble Watch wie eine gewöhnliche Armbanduhr (siehe Abb. 65). Sie besitzt ein Kunststoffgehäuse mit einer integralen Anbindung der Kautschuk-Armbänder und einem rechteckigen, bündig eingeklebten Sichtfenster in Breite der Armbänder. Die Oberseite wird von einer – je nach Farbe – deutlich abgesetzten Kunststoffabdeckung geprägt. Das Gehäuse besteht in der Seitenansicht aus einem flachen, lang gezogenen Rechteck, das sich im Bereich der Armbänder verjüngt und mit einer Rundung abschließt. Auf beiden Seiten des Volumens verläuft eine Sicke, die das Gehäuse schlanker wirken lässt und optisch den Eindruck eines um einen Kern laufenden Bandes vermittelt. Auf der linken Gehäuseseite befinden sich ein länglicher Taster sowie zwei messingfarbene

www.kickstarter.com/projects/1863662642/loop-a-one-piece-watch-band-for-the-ipodnano?ref=live (zugegriffen am 21.11.2012). 689 | „Pebble: E-Paper Watch for iPhone and Android by Pebble Technology — Kickstarter“, http://www.kickstarter.com/projects/597507018/pebble-e-paper-watch-for-iphone-andandroid?ref=category (zugegriffen am 20.11.2012). 690 | „Pebble Technology — Kickstarter“, http://www.kickstarter.com/profile/597507018 (zugegriffen am 21.11.2012). 691 | „Pebble“, http://getpebble.com/ (zugegriffen am 21.11.2012).

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Produktsprachen

Kontakte, auf der rechten Seite zwei längliche und in der Mitte ein kurzer Taster. Die auf Kickstarter veröffentlichten Bilder zeigen eine für den Uhrenbereich niederkomplexe, detailarme Gestaltung. Die Uhr wie auch die Taster wirken, als wären sie aus einer zweidimensionalen Form extrudiert. Darüber hinaus folgen die Taster nicht der gewölbten Gehäusekontur, darum wirken sie – in der Abbildung – wie schräg eingebaut.

Abbildung 65: Farbvarianten der ‚Pebble Watch‘ | Abbildung 66: ‚Smart Watch‘ von Sony.

Das Zifferblatt bzw. die Displayfläche wird von einem monochromen ePaper (elektronischen Papier) gebildet. Auf den Darstellungen sind nur schwarze bzw. hellgraue Flächen zu sehen, Helligkeitsabstufungen werden nicht gezeigt. Dadurch erhält die Anzeige einen hohen Kontrast, sie soll laut Hersteller auch unter Sonnenlicht gut ablesbar sein. Auf dem Sichtfeld sind unterschiedliche ‚Ziffernblätter‘ darstellbar: Es werden analoge Darstellungen, Zahlendarstellungen und auch grafisch abstrahierte gezeigt. Der Kern der Produktidee besteht in einer Kopplung von Uhr und Smartphone über die Bluetooth-Schnittstelle. Auf dem Uhrendisplay können dadurch Textnachrichten angezeigt werden, die auf dem Handy eingehen, die Namen von Anrufern gezeigt werden oder andere Informationen des gekoppelten Android- oder iPhones dargestellt werden. Darüber hinaus können die eingebauten Tasten Steuerbefehle auf dem Smartphone auslösen, beispielsweise lassen sich durch einen Tastendruck auf der Uhr Musiktitel bei der Wiedergabe überspringen. Das Gerät stellt also ein kleines, am Handgelenk getragenes Zusatzinterface des Smartphones dar. Die Funktionen der Pebble Watch lassen sich über einen dazugehörigen AppStore erweitern, auch weitere ‚Ziffernblätter‘ lassen sich auf diese Weise

Sinndimensionen aktueller Produkte

installieren. So kann die Uhr in Kombination mit dem Smartphone auch als Fahrradcomputer, Pulsmesser etc. genutzt werden. Neben der ‚inPulse‘, dem Vorgängemodell der Pebble Watch, gibt es auch andere Hersteller, die vergleichbare Produkte anbieten692: Zu nennen sind beispielsweise Metawatch (‚www.metawatch.org‘), I‘m Watch (‚www. imwatch.it‘) oder die verbreitete ‚SmartWatch‘ von Sony (siehe Abb. 66). Letztere ist dicker als die hier vorgestellte Variante, verfügt jedoch über ein Farb-OLED-Display mit Multitouch-Bedienung sowie ein Metallgehäuse. Auch dieses Gerät ist über Apps erweiterbar und wird aktuell zum Preis von 99 EUR im Sony-Store vertrieben.693 Die im November 2012 für 150 US$ vorbestellbare Pebble Watch bietet im Gegensatz dazu einige alternative Features: eine ständige Anzeige von Uhrzeit etc. durch Verwendung eines ePaper-Displays, eine angegebene Akkulaufzeit von über sieben Tagen, einen Vibrationsalarm, ein geringeres Gewicht sowie Android- und iPhone-Kompatibilität.694

(b) Zeitdimension Auf dem Kickstarter-Portal gibt der Inhaber von Pebble, Eric Migicovsky an, gemeinsam mit seinem Team seit drei Jahren Smartwatches zu entwickeln. Die 2009 erstmals ausgelieferte ‚inPulse‘ stammte ebenfalls von dieser Firma. Auf Wikipedia ist vermerkt, dass die erste Smartwatch 2003 von Microsoft auf der Consumer Electronic Show in Las Vegas präsentiert wurde – diese konnte Informationen aus dem Internet jedoch nur eingeschränkt darstellen. Sony stellte 2008 mit der MBW-150 die erste über Bluetooth mit einem Smartphone koppelbare Smartwatch vor.695 Seither sind auch Modelle anderer Hersteller erhältlich. Die Kontinuität spielt sowohl im Hinblick auf den Hersteller wie auch auf die Entwicklungshistorie dieser Geräteart keine besondere Rolle. Da diese Geräte allgemein noch sehr wenig verbreitet sind und die Pebble

692 | Vgl. hierzu zum Beispiel „Handyuhren.net | Alles zur Handyuhr und Smartwatch“, http://handyuhren.net/ (zugegriffen am 22.11.2012). 693 | „SmartWatch | Android Armbanduhr - Sony Smartphones (Germany)“, http://www.sonymobile.com/de/products/accessories/smartwatch/ (zugegriffen am 21.11.2012). 694 | „Pebble: E-Paper Watch for iPhone and Android by Pebble Technology — Kickstarter“. 695 | „SmartWatch | Android Armbanduhr - Sony Smartphones (Germany)“.

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Watch noch nicht verfügbar ist, ist in der Zeitdimension vor allem der Neuigkeitswert von Bedeutung.

(c) Sozialdimension Im normalen Betrieb – also mit aktiviertem Zifferblatt – ist die Pebble Watch nicht von einer analogen oder digitalen Uhr ohne Zusatzfunktionalität zu unterscheiden. Das rechteckige Gehäuse wirkt mit der hochglänzenden Kunststoffoberfläche und den großen Tasten wie ein Artikel aus einem Werbemittelkatalog. Stilistisch gibt es keine direkte Anknüpfungspunkte zu analogen Armbanduhren mit Metallgehäuse oder Digitaluhren, wie sie ab den 1970er Jahren produziert wurden. Wird die Uhr hingegen in ihrer Funktion gesehen – also in Verbindung mit einem Smartphone, von dem sie Informationen empfängt und anzeigt –, so werden ihrem Besitzer aufgrund der bisher geringen Verbreitung dieser Technologie zunächst Attribute eines Technikfans oder eines Early-Adopters zugeschrieben. Die mit der Smartwatch verbundene Funktionalität kann in diesem Rahmen als interessante Weiterentwicklung der Telekommunikationstechnologie gesehen werden – oder als sinnlose Spielerei. Betrachtet man sie als Produkt eines kleinen, unbekannten Nischenherstellers, so könnte der Träger als Kenner der Technologielandschaft erscheinen, der Produkte abseits der gewöhnlichen Vertriebswege erwirbt und dadurch besondere Ausstattungsmerkmale kennt und zu nutzen weiß. Ist die Geschichte der Finanzierung über die Kickstarter-Plattform bekannt, so wird der Besitzer als Unterstützer oder Investor des Projekts gesehen. Er gehört damit einer ‚Community‘ an, die neue Technologien und Ideen fördert und sich durch ihre Investitionen aktiv an der Entwicklung von Geschäftsmodellen und Produkten beteiligt. Die im Rahmen der unterschiedlichen Unterstützungsmodelle angebotenen Besonderheiten, wie zusätzliche Farbvarianten oder individuell gestaltete Ziffernblätter, stärken das Zugehörigkeitsgefühl zusätzlich. Der überragende Erfolg dieses Projektes und die damit zusammenhängende Resonanz in Online-Medien werden ebenfalls mit dem Besitz des Produktes verknüpft. Ebenso kann mit der Verwendung des programmierbaren Accessoires die Zugehörigkeit zu einer Alternativszene verbunden werden. Die Abneigung gegen die geschlossenen Systeme von Markenherstellern wird hier mit der Offenheit von Open-Source-Betriebssystemen und -Software in Verbindung gebracht. Die Möglichkeit, selbst Veränderungen am Produkt

Sinndimensionen aktueller Produkte

vorzunehmen, mit den Entwicklern persönlich Kontakt aufzunehmen und das erarbeitete Wissen mit anderen auszutauschen, steht für diese Gruppe – in der Außensicht – im Vordergrund. Für Endanwender schlecht nutzbare Produkte und komplizierte technische Nischenlösungen werden diesem Kontext allerdings ebenso zugerechnet.

(d) Fiktionsdimension Der zukünftige Besitz dieses Produktes – als Geldgeber oder Vorbesteller zu den Ersten zu gehören, die die Pebble Watch erhalten – ist einer der stärksten Reize, die im Zusammenhang mit dem Erwerb stehen. Diese Besonderheit wird durch das Erlebnis der Teilhabe am Crowdfunding-Vorgang und die Kenntnis einzelner Entwicklungsschritte weiter verstärkt. Schon vor dem Besitz des eigentlichen Produktes können Details der Konstruktion auf dem Entwicklungsblog696 nachvollzogen, verschiedene Anwendungsszenarien durchgespielt und Funktionalitäten bewertet werden. Das Fehlen des realen Produktes und der damit zusammenhängenden Nutzungserfahrungen ist dabei kein Nachteil, denn beim Durchspielen von Nutzungsarten im fiktiven Raum treten keine unvorhergesehenen technischen Probleme auf, alles funktioniert wie erwartet. Das Abenteuer, an der Realisierung eines Produktes teilzuhaben und ‚Early Adopter‘ zu sein, steht im Vordergrund. Die Selbstwahrnehmung als Spezialist, der ein weitgehend unbekanntes, noch nicht existierendes Produkt erwirbt und später benutzt, ist ebenfalls evident. Die Möglichkeit, Applikationen für die Plattform zu schreiben und anderen zur Verfügung zu stellen, schließt an diese Wahrnehmung an, kann aber auch fiktiv durchgespielt werden. Das Gefühl der Zugehörigkeit zu einer Unterstützungs- oder Fangemeinde ist gleichermaßen wichtig. Es wird zunächst durch die gemeinsame Finanzierungsaktivität angestoßen, im weiteren Verlauf durch zusätzliche Angebote noch verstärkt: Die Produktionsvorbereitungen können auf Blogs verfolgt werden, man kann an Wettbewerben zum Beispiel über die Nutzungsart der Uhr teilnehmen oder sich an Diskussionen in Nutzerforen beteiligen.

696 | „Pebble Uhren | News, Infos, FAQs, Bilder und Links zu den beliebten Pebble Uhren“, http://www.pebble-smartwatch.de/ (zugegriffen am 22.11.2012).

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(e) Gewichtung Das vorgestellte Projekt ist ein Beispiel dafür, wie die Möglichkeit der Teilhabe an einer Entwicklung und die Bildung einer neuen „User-Gemeinschaft“ zu einem hohen Maß an Identifikation mit einem Produkt führen können. Auf der Sachebene bestehen im Vergleich zu anderen, bereits auf dem Markt verfügbaren Smartwatches nur wenige Unterschiede. Das Gehäuse der Pebbles ist beispielsweise optisch nicht so hochwertig wie das des Sony-Produkts, darüber hinaus bietet Sony ein Farbdisplay sowie die vom Smartphone bekannte Gestensteuerung. In der Zeitdimension liegt der Fokus eindeutig auf dem Neuigkeitswert bzw. aufgrund des noch laufenden Entwicklungsprozesses in der Zukunft. Die nur für technisch versierte Nutzer ersichtlichen Vorteile, die unbekannte Marke und die bisher begrenzte Verfügbarkeit führen in der Sozialdimension zu einem hohen Grad an Abgrenzung, die jedoch nur für wenige wahrnehmbar ist. In der Fiktionsdimension bieten vor allem das Expertengefühl, die Beteiligung am Entwicklungsprozess sowie die Zugehörigkeit zu einer Gruppe starke Anknüpfungspunkte. Es liegt nahe, dass zu Produkten des Long-Tail-Marktes – vor allem in Verbindung mit einer Teilnahme an der Entstehung, zum Beispiel durch Crowdfunding – eine hohe persönliche Bindung aufgebaut werden kann. Die Community-Bildung, das im Rahmen der Auswahl verwendete Fachwissen und die geringe Verbreitung tragen dazu bei, dass diese von der Stückzahl her begrenzten Massenprodukte als „individuell“ wahrgenommen und mit dem persönlichen Lebensstil in Beziehung gesetzt werden. Die Interessenten eignen sich diese Konsumgüter schon vor der eigentlichen Produktion bzw. Auslieferung an, spielen persönliche Anwendungsszenarien und Nutzungserfahrungen konkret durch. So wird im User-Forum bereits über eine im Rapid-Prototyping-Verfahren hergestellte Titanhülle diskutiert.697 Darüber hinaus berichten Nutzer vom Markteintritt von Konkurrenzprodukten und verteidigen die besseren Eigenschaften der Pebble Watch gegen die Mitbewerber, als wären sie selbst Hersteller dieses Produktes.698

697 | „Pebble Forum / Titanum 3D Printed Case“, http://forums.getpebble.com/topics/633 (zugegriffen am 22.11.2012). 698 | „Pebble Forum / iWatch available in the Netherlands“, http://forums.getpebble.com/ topics/911 (zugegriffen am 22.11.2012).

Sinndimensionen aktueller Produkte

5.3.2 Modifiziertes Serienprodukt: Steampunk-LCD-Display Abschließend soll noch ein subkulturell modifiziertes Serienprodukt mithilfe des Konzepts der Sinndimensionen analysiert werden. Der im Steampunk-Stil umgebaute Computermonitor wurde als Element eines in Kapitel 3.2.5.c vorgestellten Objektensembles bereits gezeigt.699 Wie bereits dargelegt, handelt es sich bei ‚Steampunk‘ um ein Phänomen, das seine Wurzeln in Science-Fiction-Literatur hat. Die damit verbundene Ästhetik wurde in einigen Hollywood-Filmen aufgegriffen, beispielsweise in ‚Die Liga der außergewöhnlichen Gentlemen‘ aus dem Jahr 2003.700 Daneben hat sich eine subkulturelle Szene entwickelt, die sich zwischen Punk, DIY, Hacker-, Fantasy- und Gothicszene bewegt. Alex Jahnke und Marcus Rauchfuß datieren den Beginn der ‚Bewegung‘ auf das Jahr 2005 und bringen sie in Verbindung mit dem ‚Maker Movement‘ und dem erstmaligen Erscheinen des ‚Make Magazine‘ in den USA.701 Die Bandbreite der Szene reicht vom Modifizieren elektronischer Großserienprodukte, über die Veröffentlichung von How-To-Do-Anleitungen auf Blogs, das Nähen von Kleidungsstücken und das Verfassen phantastischer Geschichten bis hin zur Organisation und zum Besuch größerer Veranstaltungen (sogenannter ‚Conventions‘702, siehe Abb. 67), auf denen sich die Mitglieder treffen, um sich auszutauschen und die erdachte Zukunftswelt durchzuspielen.

699 | Das Beispiel wurde schon in folgendem Aufsatz aufgegriffen: Schwer: „DIY in Jugendkulturen: Vom kopierten Fanzine zum Steampunk-PC“. 700 | Der Film basiert auf der Comic-Reihe ‚The League of Extraordinary Gentlemen‘ von Alan Moore und Kevin O‘Neill, die seit 1999 erscheint. ‚The League of Extraordinary Gentlemen‘. wikipedia.org: „Suchwort: Die Liga der außergewöhnlichen Gentlemen“, http:// de.wikipedia.org/w/index.php?title=Die_Liga_der_au%C3%9Fergew%C3%B6hnlichen_ Gentlemen&oldid=106681723 (zugegriffen am 23.11.2012); wikipedia.org: „Suchwort: The League of Extraordinary Gentlemen“, http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=The_ League_of_Extraordinary_Gentlemen&oldid=106681707 (zugegriffen am 23.11.2012). 701 | Vgl.: „Jake von Slatt, einer der bekanntesten amerikanischen Steampunker, sagte in einem Interview mit der Wired im Jahr 2007 ‚Do-It-Yourself war nicht Teil der Definition von Steampunk … aber ich wollte, dass es so ist.‘“ Jahnke, Alex und Marcus Rauchfuß: Steampunk - kurz & geek, 1. Aufl., Beijng: O’Reilly 2012, S. 40. 702 | „Steampunk Convention | Steam- and Gaslightfantasy Convention“, http://anno1900.com/ (zugegriffen am 23.11.2012).

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Produktsprachen

Abbildung 67: Foto eines Steampunk-Treffens.

Der Stil des Steampunks kann als eine Kombination moderner Kommunikationsformen und Informationstechnologien mit Elementen des viktorianischen Zeitalters beschrieben werden. Laptops werden beispielsweise mit einer Anzeige der Lüftergeschwindigkeit in Form einer analogen Druckanzeige ausgestattet 703, Gehäuseoberflächen werden aufwendig und mit großer Kunstfertigkeit in Steampunk-Gebilde verwandelt, die gezeigt, online publiziert und genutzt werden. Akribisch angefertigte Nachbauanleitungen zeigen den Stolz der Schöpfer über die eigene Kreation und sollen zum Nachbau anregen (siehe Abb. 68). Einer der bekanntesten Steampunk-Vertreter ist der amerikanische IT-Manager Jake Slatterly 704, der unter dem Pseudonym ‚Jake von Slatt‘ auf seinem Blog ‚www.steampunkworkshop. com‘ eine große Anzahl selbst hergestellter und mehrfach weiterpublizierter Eigenbauprodukte zeigt. Ihm wird ein großer Einfluss auf die Szene nachgesagt, beispielsweise soll er 2007 in einem in der Zeitschrift Wired veröffentlichten Interview erklärt haben, DIY sei zunächst nicht im Steampunk verankert gewesen, er habe jedoch gewollt, dass es das sei.705 Im Gegensatz zu den optisch deutlichen Hinweisen auf DIY in den vorangegangenen Beispielen geht es hier um eine möglichst perfekte Ausführung und Verbindung der einzelnen Elemente. Die Kunststoffteile der Gehäuse erhalten über Lackierungen die Optik von Metallteilen mit Patina, werden mit angefertigten oder auf dem Flohmarkt erworbenen Messingteilen umhüllt und mit Holz, Marmor oder Leder kombiniert. Das Ergeb-

703 | Vgl. Jahnke/Rauchfuß: Steampunk, S. 65. 704 | „Steampunk-Strömung: Die Zukunft ist längst vergangen | Kultur | ZEIT ONLINE“, http://www.zeit.de/2011/52/Steampunk/komplettansicht (zugegriffen am 23.11.2012). 705 | Jahnke/Rauchfuß: Steampunk, S. 40.

Sinndimensionen aktueller Produkte

nis soll visuell mit der Handwerkskunst des 19. Jahrhunderts vergleichbar sein und sich ohne Bruch mit echten Antiquitäten kombinieren lassen.

(a) Sachdimension Der Computerbildschirm ‚Steampunk Flat-Panel LCD Mod‘ basiert auf einem Standarddisplay der Marke Dell (siehe Abb. 69), das 2007 durch Jake von Slatt modifiziert wurde.706 Der Standfuß mit Kragarm wurde im Rahmen des Umbaus entfernt, das eigentliche Displaygehäuse mit Funktionstasten und Anschlüssen jedoch weiter verwendet. Der Monitor ist Teil eines größeren Schreibtischensembles, das von Slatt auf Fotos und einem Video auf seiner Website zeigt (vgl. Abb. 24 in Kapitel 3.2.5.c).

Abbildung 68: Arbeitsschritte beim Aufbau des Steampunk-LCDs | Abbildung 69: Display, das beim Umbau genutzt wurde | Abbildung 70: ‚Steampunk-LCD‘.

Der Bildschirm besitzt nun ein messingfarbenes Gehäuse und wird links und rechts von einem senkrechten Vierkant-Rohr gehalten (siehe Abb. 70). Dieses läuft nach einer doppelten Winkelverbindung parallel zum Bildschirmrahmen in einen Sockel. Der rechteckige Sockel besitzt eine Oberfläche, die rotem Marmor ähnelt. Auf der Oberseite des Sockels befindet sich mittig ein längliches goldfarbenes Schmuckelement/Relief. Der Sockel hat vier quadratische Füße, der untere Rand sowie die Füße werden von goldfarbenen strukturierten Profilleisten eingefasst. Der Rahmen des umlackierten Kunststoffgehäuses wurde auf der Vorderseite um Messingelemente mit sichtbarer Verschraubung ergänzt. Unten in der Mitte des Displays wurde über Winkelbleche eine Achse mit fünf Kippschaltern aus Messing angebracht, die ca. 20 mm voneinander

706 | von Slatt, Jake: „Steampunk Flat-Panel LCD Mod | The Steampunk Workshop“, http:// steampunkworkshop.com/lcd.shtml (zugegriffen am 16.10.2009).

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entfernt sind. Die schmalen Kippschalter dienen zur Einstellung von Bildschirmhelligkeit etc. und übertragen den Tastendruck über einen abgewinkelten Draht zu den Standardtasten auf der Rückseite. Die doppelt abgewinkelten Anbindungen einer alten Gasleuchte (siehe Abb. 71) weisen aufwendige Verzierungen auf. Am oberen Ende der Tragarme befindet sich eine Drehachse mit runden Feststellköpfen, durch die der Monitor geneigt werden kann. Die nähere Betrachtung zeigt, dass sich einfache, aus L-Profilen ausgeschnittene Verzierungen, die mit Standardschrauben befestigt wurden, mit aufwendig gearbeiteten Originalteilen, die auf dem Flohmarkt gekauft wurden, mischen. Der Marmorfuß wurde aus einer Holzplatte gefertigt und mit einem Farblaser-Ausdruck einer Marmoroberfläche verkleidet. Daran ist zu sehen, dass es nicht in erster Linie um eine handwerklich aufwendige und exakte Rekonstruktion von viktorianisch anmutenden Gehäusen geht. Die Kombination aus Fundstücken, einfachen BaumarktHalbzeugen und ideenreichen Materialimitationen macht den ästhetischen Reiz aus – der Gedanke des kreativen Bastelns bzw. der ‚Bricolage‘ ist zentral, der Gesamteindruck steht im Vordergrund. Jahnke und Rauchfuß beschreiben Steampunk als ‚Hacken des Designs‘707 und greifen in ihren Ausführungen auf eine Beschreibung des Hackerbegriffs bei Wikipedia zurück: „In einem übergreifenden Sinn umfasst ‚Hacker‘ experimentierfreudige Personen, die mit ihren Fachkenntnissen eine Technologie beliebiger Art außerhalb ihrer normalen Zweckbestimmung oder ihres gewöhnlichen Gebrauchs benutzen.“ 708

Durch diverse Eingriffe solle „aus der Massenware ein Unikat mit erweiterten Funktionen“709 werden. In diesem Rahmen dienen improvisierte Detaillösungen, wie sie hier bereits anhand anderer Beispiele dargestellt wurden, als ästhetische Hinweise auf die Einzelanfertigung.

707 | Jahnke/Rauchfuß: Steampunk, S. 63. 708 | wikipedia.org: „Suchwort: Hacker“, http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Hack er&oldid=110563889 (zugegriffen am 23.11.2012). 709 | Jahnke/Rauchfuß: Steampunk, S. 66.

Sinndimensionen aktueller Produkte

Abbildung 71: Detail: Anbindung einer alten Gasleuchte.

(b) Zeitdimension Das Gesamtobjekt bezieht sich zunächst auf den viktorianischen Stil und damit auf die Vergangenheit. Dieser eindeutige stilistische Hinweis tritt bei genauerer Betrachtung bzw. bei eingeschaltetem Gerät in Kontrast zum Gegenwartsbezug der eingesetzten Technologie. Auch die Tatsache, dass sich Steampunk erst seit Mitte des letzten Jahrzehnts zu einer eigenen Stilrichtung entwickelte, legt einen Gegenwartsbezug nahe. Dass Steampunk-Objekte häufig auf den vom ‚Make Magazine‘ seit 2006 veranstalteten ‚Maker Faires‘710 ausgestellt werden, bestätigt diesen Zeitbezug. Die geringe Bekanntheit dieser Subkultur ermöglicht darüber hinaus Deutungen einer ‚neuen‘ Szene. Das zentrale Motiv des ‚Selbermachens‘ stellt Bezüge zur Hippiekultur Ende der 1960er Jahre und zur Punkbewegung her, die in den 1970er Jahren aufkam. Von Steampunkern genutzte Aufnäher (Patches) mit Statements wie „Love the Machine, hate the factory“711 bekräftigen diese zeitliche Verbindung. Daneben sind Bezüge zur später entstandenen ‚Gothickultur‘ und ‚Fantasyszene‘ vorhanden. Der Grundgedanke, eine fiktive Welt in der Zukunft darzustellen, die auf der Annahme basiert, dass Wasserdampf weiterhin die einzige Energiequelle wäre, stellt darüber hinaus einen Sciencefiction- bzw. Zukunftsbezug her.

710 | „Maker Faire“, http://makerfaire.com/ (zugegriffen am 23.11.2012). 711 | Jahnke/Rauchfuß: Steampunk, S. 66.

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(c) Sozialdimension Aufgrund der Tatsache, dass es sich um eine weniger bekannte Subkultur handelt, unterscheiden sich die möglichen Deutungen von SteampunkObjekten stark. Kenner oder Mitglieder der Szene entschlüsseln viele der Merkmale auf Basis der immanenten Codes. Für Außenstehende können die Eigenkreationen irritierend, durch das Aufgreifen historisierender Stilelemente aber auch vertraut wirken. Der Steampunk-LCD könnte demnach als ‚schönes‘ Serienprodukt angesehen werden, das nicht die nüchtern und kalt wirkende Ästhetik von Produkten wie dem Apple iMac aufgreift, sondern ‚warme‘ Materialien wie Holz verwendet und wieder Ornamentik und Verzierungen bietet. Damit wäre Steampunk ein „gemütlicher Retro-Futurismus“712, wie Catharina Koller in einem Zeit-Artikel schreibt. Verbindungen zum Kunsthandwerk, die viele Steampunk-Objekte aufweisen, unterstützen diese Deutung. Die starke „Betonung von Ästhetik und Handarbeit“713 stellt daneben auch Bezüge zur bereits dargestellten DIY-Ästhetik im Design, aber auch zu „Retrowahn und sozialnetzwerkelnder Selbstinszenierung“714 her, wie Jan Tölva in der linken Wochenzeitung ‚Jungle World‘ schreibt. Auf der anderen Seite können der ästhetische Bruch und der Widerspruch zwischen Nostalgie, Heimwerken und großindustriell gefertigter Informationstechnologie, die jeweils nur wenige Jahre genutzt wird, zu einer Ablehnung führen. Die von Designern gestalteten, mit hoher Präzision und hohem Aufwand gefertigten Industrieprodukte mit einfachen Flohund Baumarktaccessoires zu verkleiden, erscheint in dieser Perspektive abwegig und rückwärtsgewandt. Für Anhänger der Szene steht der von spielerischer Neugier geprägte Umgang mit Technologie im Vordergrund. Das Selbstmachen, der ideenreiche ‚Hack‘, die unkonventionellen Materialumdeutungen führen aus dieser Perspektive zu Anerkennung der kreativen Leistung und Interesse an den eingesetzten Techniken. Der Steampunk-LCD verfügt für Kenner der Subkultur also über eine hohe Anschlussfähigkeit zum Lebensstil sowie den selbst gesetzten inhaltlichen Leitbildern.

712 | „Steampunk-Strömung: Die Zukunft ist längst vergangen | Kultur | ZEIT ONLINE“. 713 | „jungle-world.com - Archiv - 47/2012 - Dschungel - Was ist »Steampunk«?“, http:// jungle-world.com/artikel/2012/47/46653.html (zugegriffen am 23.11.2012). 714 | Ebd.

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(d) Fiktionsdimension Betrachtet man diesen Monitor als kauf bares Produkt, so könnte sich dieses mit seinen Stilbezügen zur ‚Belle Époque‘ in einen elitären, historisierenden Lebensstil einfügen. Die Tatsache, dass es sich dabei um ein handgearbeitetes Unikat handelt, würde diese von der Konsumkultur geprägte Sichtweise ergänzen. Der Kontext, in dem dieses Objekt entstanden ist, die tatsächliche Materialauswahl sowie die Qualität der applizierten Details verlagern es in dieser Perspektive in einen fiktiven Raum, in dem bewusst mit dem Moment der Täuschung gespielt wird. Geht man auf die Ebene des DIY, so spielt zunächst der rebellische Impuls, Industrieprodukte nicht passiv zu übernehmen, sondern ihre Funktionen und ihre Erscheinung im Rahmen des Umbaus zu verändern oder zu erweitern eine Rolle. Auf die aus dem Punk stammende Strategie, vorhandene und damit günstige Techniken für eine eigene, abseits der Konsumkultur angesiedelte ‚Produktion‘ zu übernehmen, wird hier referiert. DIY stellt in diesem Rahmen eine Art Autonomie gegenüber der Konsumkultur dar. Jahnke und Rauchfuß beschreiben den Steampunk darum auch als ‚Hacken des Designs‘: „Der Hersteller liefert mir etwas, das ich prinzipiell gut finde, aber in einigen Bereichen verbessern oder ändern möchte. Sogar die ersten Schritte sind gleich: Aufschrauben und schauen, wie das Ganze eigentlich funktioniert und was man davon braucht.“ 715

Neben diesem auf den Punk bezogenen Selbstverständnis tritt in diesem Bereich jedoch auch ein elitäres auf, denn im Gegensatz zum rauen Gestus oder der an einer in erster Linie auf einfache Herstellbarkeit orientierten Baumarkt-DIY-Ästhetik geht es um einen versierten Umgang mit Techniken und Materialien, um teilweise aufwendig hergestellte Verzierungen und Stilzitate. Die Anerkennung der Szene für einen ideenreichen Umbau und handwerkliches Können sind als Antrieb für eine positive Selbstbewertung nachvollziehbar.

715 | Jahnke/Rauchfuß: Steampunk, S. 65.

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Das gedankliche Durchleben einer früheren Zeit, verknüpft mit fantastischen Elementen wie der Reise in einer Zeitmaschine716, spannt einen vielschichtigen und aufgrund der großen Differenz zur Alltagswelt intensiv erlebbaren Alternativraum auf. Andrea Kerlen, die als „Teil der Szene“ einen Bericht über die Vielfalt der Steampunk-Szene verfasst hat, führt aus, dass sich dieses Erleben einer vergangenen Zeit auch in der Sprache widerspiegelt: „Den meisten Steampunks gemeinsam dürfte ein mehr oder weniger ausgeprägter Hang zur Nostalgie sein, der Sehnsucht nach einer vergangenen Zeit. Dieser wird auch deutlich an einem eigenen, anachronistischem [sic!, Anm. d. Verf.] Jargon (z.B. „Aether“ für „Internet“ und „Ikonograph“ für „Fotoapparat“).“ 717

Das Ich-Ideal der Szene schließt, wie in der Begriffszusammensetzung angelegt, an beide oben dargelegten Erlebnissphären an. Es kombiniert den rebellischen Gestus mit einem feudalen, idealisierten Vergangenheitsbild. Im Zeit-Artikel von Catharina Koller wird diese Doppeldeutigkeit folgendermaßen dargelegt: „Das ist der ‚Punk‘ der Steampunks: Trotz Zylinder gerieren sie sich ganz ungentleman-like als Outlaws und aufrührerische Underdogs. Sie kombinieren eine Do-it-yourself-Attitüde mit gewählten Umgangsformen. Mit Galanterie und dem Anspruch einer gesellschafts- und konsumkritischen Haltung, mit Technikbegeisterung und einer Liebe zum romantischen Detail manövrieren sie zwischen allen Stühlen der Subkultur.“ 718

716 | Das Sujet sowie die Ausstattung des Films ‚Die Zeitmaschine‘, der unter der Regie von George Pal im Jahr 1960 in die Kinos kam, sind hier ein treffendes Bild. Der Film entstand auf Basis des gleichnamigen Romans von H. G. Wells aus dem Jahre 1895. 717 | „Kunst, Kultur oder Szene? – Die Vielfalt des Steampunk › Spontis“, http://www.spontis.de/schwar ze-szene/hintergruende/kunst-kultur-oder-szene-die-vielfalt-des-steampunk/ (zugegriffen am 25.11.2012). 718 | „Steampunk-Strömung: Die Zukunft ist längst vergangen | Kultur | ZEIT ONLINE“.

Sinndimensionen aktueller Produkte

(e) Gewichtung Das Steampunk-LCD zeichnet sich in allen Sinndimensionen durch starke Kontraste und eine damit zusammenhängende Hybridisierung aus. In der Sachdimension wird das industriell gefertigte Kunststoffgehäuse durch selbst gemachte Dekorationselemente und Flohmarktfundstücke überlagert. Die geringe Komplexität des Serienproduktes wurde durch unterschiedliche Materialitäten, Farben und Oberflächenstrukturen erweitert und durch applizierte Verzierungen ergänzt. Das silberne und damit Metall suggerierende Kunststoffgehäuse wurde durch die Materialimitationen des Umbaus ironisch überzeichnet: Lacke simulieren Messing mit Patina, Marmor entsteht aus einem Fotoausdruck und Messingverzierungen aus überlackierten Holzprofilen. Obwohl auf den ersten Blick Vergangenheitsbezüge vorherrschen, die sich durch Stilelemente der viktorianischen Zeit und das Aufgreifen von DIY ergeben, überwiegen Verweise auf Gegenwart und Zukunft: Die Verwendung einer aktuellen Technologie fällt dabei weniger ins Gewicht als die Tatsache, dass die Szene erst seit dem Jahr 2005 in dieser Form bekannt ist und dass es hier um das fiktive Ausleben einer mögliche Zukunft geht. Je nachdem, ob das beschriebene Objekt als Konsumgut oder szeneninterne Veränderung eines Serienproduktes gesehen wird, gibt es große Unterschiede in den Anschlussmöglichkeiten in der Sozial- und Erlebnisdimension. Die subkulturell geprägte Szene stellt eine Vielfalt an ausdifferenzierten Bezügen zu anderen Szenen und Genres bereit. Bedeutungsvielfalt geht hier mit einer intensiven Auseinandersetzung und einem intensiven Erleben einher.

5.4 Zusammenfassung Die in Kapitel 3 beschriebenen Charakteristika der Produkt- und Konsumkultur wurden hier aufgegriffen und anhand von Beispielen aus dem Designbereich reflektiert. Es ging darum, ein breites Phänomenfeld für die Designwissenschaften zu eröffnen, das neben klassischen Industrieprodukten auch Nischenprodukte und subkulturelle Aneignungen umfasst. Mithilfe der unterschiedlichen Objektkategorien wurde das in Kapitel 4 vorgestellte Konzept der Sinndimensionen weiter ausformuliert und in Anwendung dargestellt. Die große Bandbreite der ausgewählten Objekte und Zusammenhänge zeigt, dass diese Analyseform in unterschiedlichen Bereichen angewandt werden kann. Anhand der Sozial- und Fiktionsdi-

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Produktsprachen

mension wurden unterschiedliche Deutungsmöglichkeiten und Anknüpfungspunkte differenziert – aufgeschlüsselt in Alter- und Ego-Perspektiven – thematisiert. Anders als in der Theorie der Produktsprache konnten unterschiedliche Bedeutungszuschreibungen herausgearbeitet und nebeneinander dargestellt werden. Das Grundthema des Herauslösens von Industrieprodukten aus der Anonymität der Massenware legt einen Schwerpunkt auf die Fiktionsdimension. Aneignungsprozesse führen zwar auch in der Sozialdimension zu neuen Sichtweisen, die in diesem Rahmen ablaufenden Prozesse sind jedoch eher in einer internen Verarbeitung der Nutzungserlebnisse und in einem Durchspielen möglicher Alternativdeutungen angesiedelt. Die Kombination mit anderen Produkten, die Ästhetisierung von Materialfehlern, ein Irritieren mit Low-Tech-Elementen, die Partizipation an Entwicklungsprozessen oder die Schaffung von Alternativwelten durch DIY: Mit allen Strategien streben Konsumenten ein Erleben von Einzigartigkeit an. Elena Esposito legt in ihrer Untersuchung über Mode dar, dass dieses Streben nach Einzigartigkeit durch einen Wandel in der Konstruktion von Identität ausgelöst wurde: „Während die Identität der Person zuvor in den sozialen Beziehungen, also im Außen, realisiert wurde, muss sie nun unabhängig davon gefunden werden. Hieraus ergibt sich unter anderem eine Restrukturierung der Kombination von Konformität und Abweichung. Während der Abweichende in traditionellen Gesellschaften in jedem Fall - sowohl im Negativen als auch, wie im Falle des Helden, im Positiven - die Regel bestätigte, verwandelt das Streben aller nach Originalität die Abweichung in eine Regel - nämlich in die Regel mit dem höchsten Grad an Konformität.“ 719

Im Rahmen der Ausdifferenzierung der Konsumgesellschaften können auch bei Industrieprodukten zunehmend Mechanismen der Mode beobachtet werden. Die Temporalisierung von Produkten, wie sie bei den jährlichen Kollektionswechseln der Smartphones beobachtet werden kann, ist ein Hinweis auf diese Veränderung. Das Konzept der Sinndimensionen kann einen Beitrag dazu leisten, diese Mechanismen für die Designwissenschaften zugänglich zu machen. Der oben eingeführten Fiktionsdimension fällt dabei durch ihren Bezug zur Identitätskonstruktion eine besondere Rolle zu.

719 | Esposito: Die Verbindlichkeit des Vorübergehenden: Paradoxien der Mode, S. 84.

6. Zusammenfassung 6.1 Analogien in der Theorieentwicklung 6.1.1 Umbruchsituation Die vorliegende Arbeit umfasst designwissenschaftlich einen großen Zeitraum. Anhand der Arbeiten von Jochen Gros wurde der Übergang vom rational geprägten Funktionalismus mit seiner auf Herstellbarkeit und Nutzung fokussierten Sichtweise hin zu einer semantisch geprägten Produktkultur nachgezeichnet. Dieser Übergang führte auf verschiedenen Ebenen zu einer kritischen Auseinandersetzung mit Konsum; im Design wurden in diesem Rahmen die disziplinären Aufgaben und Schwerpunkte neu bewertet. Ergebnis war die Forderung nach einem ‚Erweiterten Funktionalismus‘, der möglichst viele Aspekte der Umwelt in die Gestaltung einbezieht. Gros reflektierte diese Diskussion im Rahmen seiner Studienarbeit ‚Dialektik der Gestaltung‘ am IUP in Ulm und forderte die Berücksichtigung psychischer Bedürfnisse beim Entwurf von Konsumgütern, die mit einer Erhöhung der Gestaltkomplexität einherging. In der Folge arbeitete er an Methoden, um zeichenhafte Funktionen vor dem Hintergrund bestimmter Zielgruppen zu analysieren. Nach seiner Berufung an die Hochschule für Gestaltung in Offenbach am Main wurde dieser Ansatz in Zusammenarbeit mit den Professoren Richard Fischer und Dieter Mankau zu einer ‚Theorie der Produktsprache‘ weiterentwickelt und publiziert. Gemeinsam mit den methodologischen Arbeiten von Bernhard E. Bürdek 720 entstanden so ab Mitte der 1970er Jahre an der HfG in Offenbach wichtige designtheoretische Grundlagen für die Analyse der neuen semantischen Qualität der Produkte und die Integration dieser Erkenntnisse in den Entwurfsprozess. Auch die aktuelle Konsumkultur ist von großen Umwälzungen geprägt. Die Digitalisierung ermöglicht neue ökonomische Zusammenhänge

720 | Bürdek, Bernhard E.: Design-Theorie: Methoden und systematische Verfahren im Industrial Design., 2. Aufl., Stuttgart: [Selbstverl.] 1971; Bürdek, Bernhard E.: Einführung in die Designmethodologie, Hamburg: Designtheorie 1975; Poessnecker, Holger u. a.: „»Design bei Rollstühlen« - über das erste größere vom Bundesmisister für Forschung und Technologie geförderte Forschungs- und Entwicklungsprojekt im Design“, Heft 93 1/1981, S. 9–14.

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Produktsprachen

sowie neue Produktions- und Kommunikationsformen. Das Stichwort ‚Globalisierung‘ fasst viele der damit assoziierten Umbrüche zusammen, daneben ist in erster Linie eine Beschleunigung aller Lebensbereiche zu nennen, welche Hartmut Rosa anhand der Veränderungen von Zeitstrukturen in der Moderne nachweist.721 Angeli Sachs konstatiert in einem Aufsatz über ‚Global Design‘, dieses führe in der Konsequenz zur Empfindung von „Diskontinuität, Ortlosigkeit und Fremdbestimmung.“722 Um der damit zusammenhängenden Unsicherheit entgegenzuwirken, stellt sie einen neuen Regionalismus als mögliche Alternative vor: „Wichtige Antriebsfedern sind die Rückgewinnung der Kontrolle über das eigene Leben und Auf lösung der Entfremdung in einer zunehmend virtuellen Welt.“ 723

Der Begriff Entfremdung steht in enger Beziehung zur Identität. Hartmut Esslinger beklagt deren Verlust im Kontext der globalen Krise der Ökonomie. Er vermutet, dass „die etablierten Methoden in einer Sackgasse münden könnten, was bei der heutigen Massenproduktion bei gleichzeitigem Identitätsverlust immer mehr der Fall ist“724. Eisele sieht den Retrofuturismus des ausgehenden 20. Jahrhunderts als mögliche Reaktion auf Unsicherheiten, die durch die sprunghafte Entwicklung neuer Medien und Technologien ausgelöst werden. Durch vertraute Elemente könnten technisch zukunftsweisende Produkte „nicht nur Akzeptanz, sondern sogar eine besondere emotionale Vertrautheit erzeugen.“725 Als Beispiel hierfür

721 | Rosa: Beschleunigung. 722 | Sachs, Angeli: „Global Design“, in: Eisele, Petra und Bernhard E. Bürdek (Hrsg.): Design, Anfang des 21. Jh.: Diskurse und Perspektiven, Ludwigsburg: avedition 2011, S. 34–43, hier S. 41. 723 | Ebd. 724 | Esslinger, Hartmut: „Hartmut Esslinger im Gespräch mit Bernhard E. Bürdek“, in: Eisele, Petra und Bernhard E. Bürdek (Hrsg.): Design, Anfang des 21. Jh. : Diskurse und Perspektiven, Ludwigsburg: avedition 2011, S. 252–260, hier S. 259. 725 | Eisele, Petra: „Retro-Design. Ende der Geschichte?“, in: Eisele, Petra und Bernhard E. Bürdek (Hrsg.): Design, Anfang des 21. Jh. : Diskurse und Perspektiven, Ludwigsburg: avedition 2011, S. 138–149, hier S. 143f.

Zusammenfassung

führt sie die Taschenrechner-Anwendung des iPhones726 an, die den BraunTaschenrechner ET-66 aus dem Jahr 1976 zitiert.727 Auch die Verwendung von Lederumschlägen mit Nähten oder eines Blocks mit abgerissenen Notizblättern im User-Interface (UI) von Apples-Betriebssystemen kann unter diesem Blickwinkel betrachtet werden. Diese ‚Skeuomorphismus‘ genannte Richtung in Apples UI wird kontrovers diskutiert. Nach dem Weggang des ‚Senior Vice President of iOS Software‘, Scott Forstall, geht bei Apple die Verantwortung für die Ausrichtung des UI an den für das HardwareDesign verantwortlichen Jonathan Ive über. Auf Blogs wird vermutet, dass durch Ive eine Abkehr vom Skeuomorphismus im UI eingeleitet wird.728 Es scheint, als wäre das Aufgreifen von Motiven aus der Vergangenheit nur eine vorübergehende Lösung.

6.1.2 DIY als Gegenkultur zur Erweiterung des semantischen Pools Interessant ist, dass die Verunsicherungen, die mit den beschriebenen Umbruchsituationen einhergehen, sowohl in den 1970er Jahren wie auch in der gegenwärtigen Konsumlandschaft zu einem Rückgriff auf handwerkliche Eigenproduktion, also DIY führen. Produkte selbst herzustellen, war in der Hippiekultur und später im Punk Ausdruck einer Gegenkultur. Wie ich im Kontext von Jugendkulturen bereits darstellte, dienten DIY-Praktiken dort dazu, sich einer kommerziellen Vereinnahmung der Industrie zu verweigern.729 Auch im Design setzte man sich in dieser Zeit intensiv mit DIY und damit zusammenhängenden kleingewerblichen Erwerbsmodellen auseinander. Zu nennen ist hier vor allem Viktor Papanek, der sich in seinem erstmals 1971

726 | Die Taschenrechner-App ist seit der ersten iOS-Version von 2007 in dieser Form integriert. 727 | Eisele: „Retro-Design. Ende der Geschichte?“, S. 144. 728 | Vgl. zum Beispiel: „Apple und die Designfrage, oder: Was ist Skeuomorphismus?“, ht tp://www.macnotes.de/2012/11/04/apple-und-die-designfrage-oder-was-ist-skeuomorphismus/ (zugegriffen am 28.11.2012); „Daring Fireball: Forstall Out; Ive Up“, http://daringfireball.net/2012/10/forstall_out (zugegriffen am 28.11.2012); „Apple executive drama: Forstall and Ive avoided each other’s meetings | BGR“, http://bgr.com/2012/11/03/appleexecutive-drama-scott-forstall-jonathan-ive-meetings/ (zugegriffen am 28.11.2012). 729 | Schwer: „DIY in Jugendkulturen: Vom kopierten Fanzine zum Steampunk-PC“, S. 406.

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Produktsprachen

erschienenen Buch ‚Design for the Real World: Human Ecology and Social Change‘730 mit der Rolle des Designers abseits kommerzieller Verwertungsinteressen auseinandersetzte. In dem 1973 gemeinsam mit James Hennessey veröffentlichten Buch ‚Nomadic Furniture‘731 präsentierte er darüber hinaus Bauanleitungen und Anregungen für Einrichtungsgegenstände, die aus billigen Rohmaterialien bzw. Wegwerfprodukten bestehen und einfach hergestellt werden können. In Kapitel 2.3.2 bin ich bereits auf die Arbeiten der Des-In-Gruppe und die Maßnahmen des Internationalen Design Zentrums Berlins zur Reflexion dieses Themas eingegangen. Im Gegensatz zur antikommerziellen Haltung der 1960er/1970er Jahre kann man die gegenwärtig im Kontext von DIY beobachtbaren Phänomene in vielen Fällen als konsumorientiert beschreiben. Denn die damit verbundenen Themen Ökologie und Nachhaltigkeit werden heute vielfach mit Luxus und Hedonismus kombiniert (Stichwort ‚Lohas‘), wie ich in einem Aufsatz über DIY als Konsumalternative bereits dargestellt habe.732 Dies äußert sich in aufwendig gestalteten Büchern mit Bastelanleitungen, kleinen Ladenlokalen in Großstädten, die Selbstgemachtes oder lokal Produziertes anbieten, oder auf Portalen für Handgemachtes wie ‚www.etsy. com‘ oder ‚www.dawanda.de‘. Das Aufgreifen der DIY-Ästhetik im aktuellen Möbeldesign konterkariert schließlich den Grundgedanken des Selbermachens. Denn die selbst gebaut wirkenden Objekte entstehen unter Zuhilfenahme hochwertiger Materialien und aufwendiger handwerklicher Bearbeitungsschritte mit dem Ergebnis hochpreisiger Luxusprodukte. In dieser Hinsicht widerspreche ich der in dem Aufsatz ‚Vom Styling zum Style‘ formulierten These von Elke Gaugele: „Somit hat sich auch die Utopie des politischen Widerstandes, die konstitutiv mit der Theorie und Praxis des Style verbunden war, vom Prinzip des kreativen Konsums und dessen postfordischer Logik, dem Umarbeiten von Zeichen gelöst. Die D.I.Y.-Bewegung hat nun zu Beginn des

730 | Papanek, Victor: Design for the Real World: Human Ecology and Social Change, New York: Pantheon Books 1971; Papanek, Victor: Design für die reale Welt: Anleitungen für eine humane Ökologie und sozialen Wandel, Wien: Springer 2009. 731 | Hennessey/Papanek: Nomadic Furniture. 732 | Schwer: „Die Massenkultur unterwandern. Do it yourself als Konsum-Alternative von den 1970er Jahren bis ins digitale Zeitalter“.

Zusammenfassung

21. Jahrhunderts das Selbermachen von Design als politische Strategie und Intervention neu ins Zentrum gerückt.“ 733

Aus Sicht des Designs können die DIY-Praktiken der 1960er/1970er Jahre als eine Erweiterung des ästhetischen Repertoires gesehen werden, als eine Möglichkeit, aus dem Paradigma des Funktionalismus mit seinen an der industriellen Produktion orientierten Formen und Oberflächen, dem Zielbild des ‚grauen Würfels‘ auszubrechen. Daneben diente der Akt des Selbermachens dazu, Produkte aus der Anonymität der Masse734 herauszulösen, auch wenn sich dies teilweise auf den Auf bau und das Lasieren von Ikea-Möbeln beschränkte. Damals wie heute hat DIY die Funktion, einen Gegenpol zur globalen und anonymen Massenware herzustellen. Selbst bei kauf baren DIY-Produkten ist der Kontakt zur Person, die das jeweilige Objekt hergestellt hat, wichtig. Der Unikatcharakter bei seriell in Manufakturen hergestellten Produkten kann ebenfalls als Gegenentwurf zu weltweit vertriebenen Großserienprodukten gesehen werden. DIY, so meine These, dient in Umbruchsituationen der Erweiterung des semantischen Raumes der Konsumkultur. Damit beziehe ich mich auf Melanie Kurz. In Anlehnung an den von Wolfgang Welsch in ‚Grenzgänge der Ästhetik‘ formulierten Gedanken, dass Kunstwerke nicht nur Spiegel des semantischen Raumes seien, sondern aktiv in diesen eingriffen735, formuliert sie in ihrer Dissertation ‚Modellmethodik im Formfindungsprozess am Beispiel des Automobildesigns‘, der Kern und das Anliegen gestalterischen Schaffens liege „in der Erweiterung des semantischen Raumes.“736

733 | Gaugele, Elke: „Vom Styling zum Style“, in: Eisele, Petra und Bernhard E. Bürdek (Hrsg.): Design, Anfang des 21. Jh. : Diskurse und Perspektiven, Ludwigsburg: avedition 2011, S. 152–163, hier S. 163. 734 | Das Neue Deutsche Design der 1980er griff die durch DIY eröffneten Möglichkeiten auf und entwickelte auf dieser Basis die das Repertoire des Industriedesigns konsequent weiter. Vgl. hierzu Schwer: „Die Massenkultur unterwandern. Do it yourself als Konsum-Alternative von den 1970er Jahren bis ins digitale Zeitalter“. 735 | Kurz, Melanie und Frank Zebner: „Zum Verhältnis von Design und Technik“, in: Eisele, Petra und Bernhard E. Bürdek (Hrsg.): Design, Anfang des 21. Jh. : Diskurse und Perspektiven, Ludwigsburg: avedition 2011, S. 176–185, hier S. 179. 736 | Kurz, Melanie: Die Modellmethodik im Formfindungsprozess am Beispiel des Automobildesigns: eine Betrachtung der Wechselwirkungen zwischen Entwurfs- und Darstellungsme-

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Produktsprachen

6.2 Evolution der Produktsprache: von der Informationsübertragung zur Informationskonstruktion Die beiden oben beschriebenen Umbruchsituationen haben jeweils in kurzer Zeit zu einer Ausdifferenzierung der Produktkultur geführt. Der damit korrelierende Komplexitätszuwachs erfordert in den Designwissenschaften Modelle, die die neue Qualität der jeweiligen Situation beschreibbar und damit reflektierbar machen. Nachdem im Funktionalismus in erster Linie die praktischen Funktionen von Produkten reflektiert wurden, erforderte die Berücksichtigung psychischer Bedürfnisse neue Erkenntnismodelle im Design. Der Übergang vom naturwissenschaftlichen zum geisteswissenschaftlichen Denken wurde damit eingeleitet. Wie oben bereits angemerkt, stellt Bürdek diesen von mehreren Designtheoretikern vollzogenen Wechsel in Beziehung zum sogenannten ‚linguistic turn‘ in den Geisteswissenschaften.737 Die isolierte Betrachtung von praktischen, formalästhetischen und zeichenhaften Funktionen und die Gliederung letzterer in Anzeichenfunktionen und Symbolfunktionen ermöglichte die Generierung von Fachwissen, das auch im Entwurfsprozess zur Bewertung von Designobjekten herangezogen werden konnte. Gros hatte unter dem Blickwinkel von computergesteuerten Fertigungsmethoden bereits einen spekulativen Ausblick auf einen damit verbunden Komplexitätszuwachs in der Produktkultur gegeben (vgl. Kapitel 2.3.3). Die im 3. Kapitel dargestellten Phänomene sollten den Komplexitätszuwachs illustrieren, der durch die Ausdifferenzierung der Warenkultur – unabhängig von neuen Produktionstechnologien – zu verzeichnen ist. Außerdem sollten die damit zusammenhängenden Ausdifferenzierungsprozesse auf Konsumentenseite beleuchtet werden, die zu neuen Verweisungszusammenhängen und Deutungskompetenzen, zu neuen Nutzungsarten, Umgangsformen und Erlebnisschemata geführt haben. Der Philosoph Wolfgang Welsch gibt in einem Artikel in der Zeitschrift ‚form‘ 1992 Inhalte seines Beitrages zum Europäischen Design-Kongress ‚Design quo vadis‘ wieder. Darin ging es um eine allgemeine Ästhetisie-

thoden im Hinblick auf die systematische Entwicklung und die Bewertbarkeit der dreidimensionalen Form artefaktischer Gegenstände im Entstehungsprozess, 1. Aufl., Baden-Baden: Dt. Wiss.-Verl. 2007, S. 20. 737 | Bürdek: „Überblick über die Theorieentwicklung“.

Zusammenfassung

rung der Lebensbereiche und deren Konsequenzen für das Design. Die dadurch entstehende Komplexität wie auch die Strategien des Umgangs mit ihr stellte er folgendermaßen dar: „Zunehmend werden Vielheitskompetenz und Übergangsfähigkeit wichtig. Sie stellen geradezu eine postmoderne Tugend (im Sinn von Könnerschaft) dar. Denn zwischen verschiedenen Sinnsystemen, Ansprüchen und Realitätskonstellationen übergehen zu können, ist in einer Welt der Pluralität zur Bedingung gelingenden Lebens geworden. Daher wird Subjektivität des künftigen Typs immer mehr durch Übergangsfähigkeit, nicht durch Identität gekennzeichnet sein.“ 738

Die beschriebene Übergangsfähigkeit führt zu einer Vielzahl von Bedeutungskontexten, wie sie Tom Stark anhand des Wechselspiels zwischen der Motorradmarke Harley-Davidson und der damit verbundenen produktiven Subkultur dargestellt hat.739 Während Frank Zebner und Melanie Kurz zufolge der Grundgedanke der Postmoderne in einer gleichzeitigen und gleichberechtigten Existenz unterschiedlicher Lösungen liege740, führen die daneben existierenden unterschiedlichen Kontexte zusätzlich zu gleichzeitigen und gleichberechtigten Deutungsmöglichkeiten von Produkten. Der Begriff der Kontingenz fasst diese Vielheit an Deutungsmöglichkeiten, die nicht auf kausalen Zusammenhängen beruhen, zusammen. Der radikale Konstruktivismus liefert auf erkenntnistheoretischer Ebene die Basis für die Entstehung von Kontingenzen. Danach gibt es für psychische Systeme keinen direkten Zugang zur Außenwelt – alle Wahrnehmungen, alles Wissen muss als Ergebnis individueller Konstruktionsleis-

738 | Welsch, Wolfgang: „Die ästhetische Verfassung der Gegenwart - Vom »Sein« zum »Design«“, form - Zeitschrift für Gestaltung 140 (1992), S. 6–8, hier S. 8. 739 | Vgl. zum Beispiel: „Wurde Differenz und Wiederholung als ein grundlegendes Strukturprinzip innerhalb des Designprozesses von Harley-Davidson, das auch innerhalb der Ästhetik der Produkte wirksam ist, beschrieben, so ist die Verwebung dieses Systems, wie auch der Designprozeß als Ganzes, darüberhinaus auch noch von weitreichenden Kontingenzen und Komplexitäten umgeben, die ihn auf ihre Art prägen. Design, in zunehmendem Maße an digitale Entwurfs- und Produktionsprinzipien gekoppelt, ist damit auch den damit einhergehenden Irritationen auf Rezeptionsebene ausgeliefert.“ Stark: Less or more - what a bore, S. 223. 740 | Kurz/Zebner: „Zum Verhältnis von Design und Technik“, S. 183.

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Produktsprachen

tungen gesehen werden. Die Realität wird im Rahmen von Denkprozessen förmlich erfunden. Luhmann formulierte auf dieser Basis ein dreiteiliges Kommunikationsmodell, das ein Zustandekommen von Kommunikation nicht von der Mitteilungsleistung eines ‚Senders‘ abhängig macht, sondern das Verstehen des ‚Empfängers‘ ins Zentrum rückt. Fehldeutungen oder Missverständnisse werden entsprechend nicht mehr als Störungen im Kommunikationsprozess gesehen, sondern vielmehr als produktive Irritationen, die neue Perspektiven und Deutungsmöglichkeiten für den wechselseitigen Austausch verfügbar machen können. Wendet man dieses Modell auf Kommunikationen mit Produkten oder über Produkte an, so werden unterschiedliche parallel existierende, sich sogar teilweise widersprechende Deutungen augenfällig. Um den damit einhergehenden Komplexitätszuwachs handhabbar zu machen, wurde in dieser Arbeit auf Luhmanns Sinnbegriff sowie die ordnenden Sinndimensionen zurückgegriffen. Das von ihm formulierte Konzept mit drei Doppelhorizonten in der Sach-, Zeit und Sozialdimension wurde um eine Fiktionsdimension erweitert. Durch Bezüge zu Hellmans Soziologie der Marke, zur Theorie der Produktsprache sowie zu anderen Positionen, die sich mit Phänomenen der Konsumforschung befassen, sollte ein für die Designwissenschaften handhabbares Modell zur Analyse von Produkten im Kontext darüber geführter Kommunikationen formuliert werden. Im Unterschied zur Theorie der Produktsprache geht es bei diesem Modell darum, unterschiedliche, sich teilweise widersprechende Deutungsansätze nebeneinander darzustellen, um die möglichen kommunikativen Anschlüsse aufzuzeigen. Die von der Theorie der Produktsprache untersuchte Mensch-Objekt-Relation wird in diesem Ansatz zu einer Mensch-Objekt-Kontext-Relation erweitert. Eine besondere Bedeutung kommt im Rahmen dieses Ansatzes der Fiktionsdimension zu. Sie erfasst den von Schulze in seiner Kultursoziologie der Gegenwart beschriebenen Erlebniswert 741 und soll fiktive Rollen, die ein Individuum einnehmen oder durchspielen kann, beleuchten. In Kapitel 3.2 wurden dieser Dimension zuzuschreibende Phänomene un-

741 | Vgl. zum Beispiel: „Der Erlebniswert von Angeboten überspielt den Gebrauchswert und wird zum dominierenden Faktor der Kaufmotivation und der Kalkulation von Absatzchancen. Ohne den Kompaß der eigenen Erlebnisbedürfnisse ist der tägliche Konsum von Informationen, Unterhaltung, Waren und Dienstleistungen nicht zu bewerkstelligen.“ Schulze: Die Erlebnisgesellschaft : Kultursoziologie der Gegenwart, S. 59.

Zusammenfassung

ter den Blickwinkeln ‚Identitätsbildung durch Bedeutungskombination‘, ‚Fiktionalisierung von Konsumangeboten‘ sowie ‚Aneignungsprozesse‘ betrachtet. Letztere wurden beispielsweise durch Boehe/Selle mithilfe des komplexen Beispiels der Wohnungseinrichtung untersucht 742 oder durch Selle anhand des Teddybärs743 beschrieben. Im Kontext des Möbeldesigns744 oder anhand von DIY-Praktiken in Jugendkulturen745 habe ich mich mit diesem Themenbereich bereits auseinandergesetzt. Anhand der Beispiele in Kapitel 5 konnte die Eignung dieses Ansatzes für unterschiedliche Kategorien von Produkten nachgewiesen werden. In Großserie gefertigte Produkte wie das iPhone sind damit ebenso analysierbar, wie Produktensembles unterschiedlicher Stilrichtungen. Daneben können Phänomene wie Low-Tech oder DIY mit dieser Deutungsfolie betrachtet werden oder auch subkulturell geprägte Umbauten oder noch nicht reale Produkte, wie sie auf Kickstarter präsentiert werden. Ich gehe davon aus, dass die Bedeutung der Fiktionsdimension in der Konsumkultur weiter wächst und dass damit Aneignungsprozessen bei Serienprodukten eine immer wichtigere Rolle zukommen wird.

6.3 Ausblick: Design im Kontext von Web 2.0, Crowdsourcing und subkulturellen Interventionen Im Zusammenhang mit DIY wurde bereits auf die Erweiterung des semantischen Raumes durch Gestaltung hingewiesen. Mit der Ausdifferenzierung der Produktkultur greifen auch industriell gefertigte Massenprodukte neu eingeführte Ästhetiken und Deutungsmöglichkeiten schnell auf. Diese können sich sowohl auf technologische Innovationen wie auch auf deren Ablehnung und den Rückgriff auf Low-Tech-Produkte beziehen. In Kapitel 3.1. wurden verschiedene Beispiele für diese Entwicklung angeführt. Das Konzept der Sinndimensionen soll einen differenzierten Blick auf diese Phänomene ermöglichen. Durch die Analyse weiterer markanter Serienprodukte könnte designspezifisches Wissen vor allem im Bereich

742 | Selle/Boehe: Leben mit den schönen Dingen. 743 | Selle: Design im Alltag, S. 89. 744 | Schwer: „Konsumcollagen – Persönliche Aneignung versus kommerzielle Verwertung im Möbeldesign“. 745 | Schwer: „DIY in Jugendkulturen: Vom kopierten Fanzine zum Steampunk-PC“.

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Produktsprachen

der Aneignung und der damit zusammenhängenden Fiktionsdimension erarbeitet werden. Das Konzept des Ökonomen Eric von Hippel, durch ‚Lead User‘ die Innovationskompetenz von Anwendern im Wirtschaftsbereich nutzbar zu machen746, spannt für das Konzept der Sinndimensionen unterschiedliche Forschungsbereiche auf. Durch die Deutung von Zweckentfremdungen und Umcodierungen in subkulturellen Szenen ließen sich die Besonderheiten aufkeimender Sub-Stile aus Perspektive der Designwissenschaften analysieren und bewerten. Der Steampunk-LCD, der in Kapitel 5 eine historisierende Umformung von Elektronikprodukten zeigte, kann als Beispiel hierfür dienen. Vor dem Hintergrund von Open-Source-Produkten, die auf einer frei nutzbaren technologischen Basis vielfältige Anpassungen und Umformungen zulassen, werden somit auch in kleinen Stückzahlen Produkte mit hochspezialisierten Ausprägungen möglich.747 Nimmt man das iPhone als Bild, das durch eine große Anzahl von Apps, Hüllen und Zusatzprodukten erst zum fertigen, angeeigneten Endprodukt wird, so wird die ökonomische Dimension solcher Umformungen deutlich. Auf den Begriff des Long-Tail-Marktes bin ich bereits im vorangegangenen Kapitel eingegangen. Durch Rapid-Prototyping-Verfahren oder einfach zugängliche industrielle Technologien, wie beispielsweise in den Fab-Labs, liegen in diesen Bereichen zukünftig auch Geschäftsfelder für Designer. Kenntnisse über die Veränderung von Bedeutungen durch Ensemblebildung

746 | Vgl. hierzu zum Beispiel: „Since lead users are at the leading edge of the market with respect to important market trends, one can guess that many of the novel products they develop for their own use will appeal to other users too and so might provide the basis for products manufacturers would wish to commercialize. This turns out to be the case. A number of studies have shown that many of the innovations reported by lead users are judged to be commercially attractive and/or have actually been commercialized by manufacturers.“ von Hippel: Democratizing innovation, S. 20. 747 | Vgl. hierzu Esslinger im Interview mit Bernhard E. Bürdek: „Open-Source-Design bedeutet, dass man statt individueller Exklusivität mit entsprechenden Kosten für Parallelentwicklungen (z.B. Motoren für Automobile oder Motherboards für Computer und mobile Telefone) eine offene Zusammenarbeit und Austausch von generischen Komponenten praktiziert – und dann die Markenidentität durch nutzerorientiertes Design erzielt. Dies sollte dann sowohl zu mehr Qualität als auch mehr Identität führen.“ Esslinger: „Hartmut Esslinger im Gespräch mit Bernhard E. Bürdek“, S. 259.

Zusammenfassung

sowie über die unterschiedlichen korrelierenden Anschlussmöglichkeiten könnten den Designprozess bei solchen Zusatzprodukten verbessern. Das Web 2.0 macht darüber hinaus ein breites Feld von Produktverwendungen, Einschätzungen, Umdeutungen und Modifikationen zugänglich. Zu nennen sind beispielsweise Unboxing-Videos, kommentierte Top-Gadget-Listen von so genannten ‚Early Adopters‘ oder Umbauanleitungen auf Youtube. Foren und Portale geben darüber hinaus einen Einblick in unterschiedliche Bereiche: Beispielsweise ist auf ‚www.etsy.com‘ oder ‚www.dawanda.de‘ eine Vielzahl von DIY-Produkten zu finden. Über subkulturelle Szenen, wie zum Beispiel Steampunk, sind auf Websites wie ‚www.datamancer.com‘ oder ‚www.clockworker.de‘ szenenspezifische Informationen verfügbar. Zusätzlich sind auf speziellen Blogs aber auch fiktive Produkte zu finden, die sich an der Grenze zum Serienprodukt und zur Markenkultur bewegen. An anderer Stelle hatte ich diese mit dem Begriff ‚Fakes‘ zusammengefasst 748 – sie bilden mögliche Produktinnovationen auf spielerische Weise ab, teilweise nehmen sie Entwicklungen sogar vorweg (vgl. Abb. 72). Daneben sind auf Crowdfunding-Plattformen Produkte, die sich in der Entwicklung befinden, einsehbar. Durch den Investitionsvorgang der User lassen sich die analysierten Produktdeutungen mit den Bewertungen der gezeigten Innovationen vergleichen. Somit könnten Erkenntnisse über für Crowdsourcing-Plattformen geeignete Produktausprägungen generiert werden.

Abbildung 72: Studie und ‚Touchpad‘ von Apple im Vergleich.

Die Analyse von Objekten der genannten Quellen ermöglicht Einblicke in die unterschiedlichen Verfeinerungsbereiche der Produktkultur. Die Untersuchung der Ausprägungen in der Sach-, Zeit-, Sozial- und Fiktionsdi-

748 | Schwer: „Die Massenkultur unterwandern. Do it yourself als Konsum - Alternative von den 1970er Jahren bis ins digitale Zeitalter“, S. 156.

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Produktsprachen

mension könnten Hinweise auf neue Entwicklungen und Schwerpunkte geben. Mit dem Konzept der Sinndimensionen lassen sich somit gegenwärtige, wie schon länger auf dem Markt befindliche Produkte aus unterschiedlichen Blickwinkeln heraus analysieren. Die Erkenntnisse dieser Beschreibungen könnten, wie in Kapitel 2.3.1 beschrieben, als Präzedenzfälle für weitere Entwicklungen dienen. Über die Auseinandersetzung mit Themen in der Fiktions- und Sozialdimension, wie Sie beispielsweise im Rahmen des Low-Tech-Stils oder dem Aufgreifen der DIY-Ästhetik beleuchtet wurden, können darüber hinaus veränderte Anschauungen und Beweggründe aufgedeckt, und in Relation zu anderen Deutungsmöglichkeiten gestellt werden. Das Konzept der Sinndimensionen bietet also eine Deutungsschablone für eine „kritische Diagnostik von Wirklichkeitsentwürfen, also von Bildern, Produkten, Architektur, Technologien, visueller Kommunikation und das Feld visueller Zukünfte“, wie Cordula Meier in ihrem Kapitel zur Design Theorie anmerkt, um daraus „konstruktive Optionen für die kommenden gestalterischen Leistungen“749 abzuleiten. Semantische Räume ließen sich so in unterschiedlichen Kontexten bewerten, um Grundthemen zu erkennen und gezielt weiterzuentwickeln. Damit dient das Konzept der Sinndimensionen als qualitative Instanz, um die gestalterische Evolution unserer Produktkultur zu unterstützen.

749 | Meier „Design Theorie – Grundlage einer Disziplin.“, S. 24.

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69

05

Erstes Definitionsgerüst nach Hauptbegriffen für das Industrial Design. // Quelle: Jochen Gros, “Sinn-liche Funktionen Im Design - (2) Entwurfsbeispiele zu theoretischen Begriffen und Hypothesen”, in: Form - Zeitschrift für Gestaltung, 1976, S. 12.

77

06

Beispiel eines Präzedenzfalls zum Begriff Deutlichkeit. // Quelle: Jochen Gros, “Sinn-liche Funktionen im Design - (2) Entwurfsbeispiele zu theoretischen Begriffen und Hypothesen”, in: Form - Zeitschrift Für Gestaltung, 1976, 13.

78

326

Produktsprachen

07

Entwürfe der Des-In-Gruppe im Rahmen des Wettbewerbs ‚Produkt und Umwelt‘ des IDZ. Leuchtenschirm, Koffer und Radiogehäuse mit Buchstabenornament gefertigt aus Metall. // Quelle: Des-In Gruppe und Jochen Gros, “Weniger Konsum durch mehr Sinnlichkeit”, in: Produkt und Umwelt : Ergebnisse einer Ausschreibung, Hrsg.: Internat. Design-Zentrum Berlin e.V. in Zusammenarb. mit d. Bundesverb. d. Dt. Industrie, Köln. Red.: Jens F. Priewe (Berlin: Internat. Design-Zentrum 1974), S. 69-71.

84

08

Website der adidas-Originals-Kollektion 2011. // Quelle: ‘adidas Online Shop’ [Zugriff am 2. August 2011]

100

09

Präsentationsfolie ‚iPod Accessorys‘ zum Vortrag ‚Black Box consumption‘ auf der DeSForM-Konferenz 2008. // Quelle: Schwer, Thilo, ‘Black Box Consumption’ (präsentiert bei der Research into Pratice Conference, University of Hefordshire 2008)

100

10

Website des Massivholzmöbel-Herstellers ‚Team 7 Natürlich wohnen GmbH‘, Stand 2012. // Quelle: ‘Ihr NaturholzmöbelHersteller Aus Österreich | TEAM 7’ [Zugriff am 8. Juni 2012]

102

11

iPhone der 1. Generation, vorgestellt 2007. // Quelle: iPhone 1. Generation’ [Zugriff am 8. Juni 2012]

106

12

Sichtfenster der Röhren beim Luxman CD-Player DZ-03. // Quelle: ‘Luxman Röhren-CD DZ 03’ [Zugriff am 4. Juni 2012]

108

Abbildungen

13

Schreibtisch eines Bloggers mit iPad, MacBook, Scanner, externem Display. // Quelle: ‘Schreibtisch mit Blog-Equipment’ [Zugriff am 8. Juni 2012]

111

14

iPod-Zubehör // Quelle: Google-Suche über [Zugriff am 8. Juni 2012]

111

15

Kundenrezensionen eines Weines bei ‚www.vinos.de.‘ // Quelle: ‘Wein-Kundenbewertungen bei Vinos / Montgó 2010’ [Zugriff am 8. Juni 2012]

117

16

Vom Burgunder-Glas abgeleitetes Bierglas und Flaschen aus der Braufaktum-Kollektion. // Quelle: ‘Braufactum – Feine Bierkultur Website’ [Zugriff am 8. Juni 2012]

117

17

Vergleich der Gehäuse: iPhone, iPhone 3G, iPhone 4. // Zusammengesetzt aus Bildern der Quellen: ‘Apple IPhone 2G - PDA-Square Blog’ [Zugriff am 8. Juni 2012]; ‘Das Apple iPhone im Wandel der Zeit - PDA-Square Blog’ [Zugriff am 8. Juni 2012]; ‘Miscellaneous Wallpapers - IPhone 4 Black Edition multitasking Wallpapers ! HD Wallpapers’ [Zugriff am 8. Juni 2012].

122

18

David Beckham als Beispiel für den metrosexuellen Mischstil. // Quelle: ‘David Beckham vor Flugzeug’ [Zugriff am 10. Juni 2012]

129

327

328

Produktsprachen

19

Hartschale für das iPhone 4 in Chanel-Look. // Quelle: http://www.ioffer.com/i/luxury-designer-iphone-4-4s-leather-hard-pc-case-cover-518657585 [Zugriff am 21. Oktober 2012]

129

20

iPod-Case aus blauem Leder mit goldener Kette. // Quelle: ‘iPod Case Mit Goldkette’ [Zugriff am 16. Juni 2006]

129

21

Website: BMW Konfigurator, Deutschland. S. 86 // Quelle: ‘BMW Konfigurator’ [Zugriff am 8. Juni 2012]

139

22

Hot Rod auf Basis eines ‚Deuce‘ von 1932, Modifizierung durch ‚Chopping‘ (Absenkung der Dachhöhe) und „Cleaning“ (Säubern von Anbauteilen). // Quelle: ‘Hot Rod – Wikipedia’ [Zugriff am 8. Juni 2012]

142

23

Golf GTI mit LSD-Türen beim ‚2. Schwab Tuning-Day‘ in Neuss, 2008. // Quelle: ‘Vau-Max.de - Tuning Golf GTI’ [Zugriff am 8. Juni 2012]

142

24

Früchteschale, hergestellt aus einem Drahtsieb und Halbzeugen. // Quelle: Albus, Volker, and Christian Borngräber, Design Bilanz. Neues Deutsches Design der 80er-Jahre in Objekten, Bildern, Daten und Texten (Köln: DuMont, 1992)

149

25

Steampunk-PC von Jake van Slatt. // Quelle: von Slat, Jake, ‘Steampunk Flat-Panel LCD Mod | The Steampunk Workshop’, The Steampunk Workshop, 2007 [Zugriff am 16. Oktober 2009]

149

Abbildungen

26

Skizze der drei Analyseebenen der Systemtheorie. // Quelle: Luhmann, Niklas: Soziale Systeme - Grundriss einer allgemeinen Theorie, 1. Auflage Aufl., Frankfurt am Main: Suhrkamp 1987, S. 16.

162

27

Nokia Communicator-Baureihe – die Modelle 9000, 9110, 9210, 9500. // Quelle: „Nokia Communicator – Wikipedia“, http://de.wikipedia.org/wiki/Nokia_Communicator (Zugriff am 5. November 2012).

220

28

Visualisierung eines möglichen iPhone Gehäuses. // Quelle: „This Could Be What Apple’s iPhone 5 Looks Like - Mac Rumors“, http://www.macrumors.com/2011/08/10/this-couldbe-what-apples-iphone-5-looks-like/ (Zugriff am 6. November 2012).

223

29

Visualisierung zum ersten iPhone auf Basis des iPod Designs. // Quelle: „Fake iPhones: a retrospective -- Engadget Mobile“, http://mobile.engadget.com/2007/06/26/fakeiphones-a-retrospective/ (Zugriff am 18. November 2010).

223

30

iPhone 5 in schwarzer und weißer Gehäusefarbe. // Quelle: „Liveblog: Apple Announces iPhone 5 | Gadget Lab | Wired. com“, http://www.wired.com/gadgetlab/2012/09/live-blogapple-iphone-2012/ (Zugriff am 6. November 2012).

224

31

Seitenansicht des iPhone 5. // Quelle: „Apple - iPhone 5 - The thinnest, lightest, fastest iPhone ever.“, http://www.apple. com/iphone/#video (Zugriff am 9. November 2012).

224

32

Gehäusedetail des iPhone 5. // Quelle: „Apple – iPhone 5 – So viel mehr. Und auch so viel weniger.“, http://www.apple. com/de/iphone/features/ (Zugriff am 7. November 2012).

225

33

Äußerung eines Nutzers zum Thema ‚Scuff Gate‘. // Quelle: „iPhone 5 - black version scuffs (merged) - Page 54 - MacRumors Forums“, http://forums.macrumors.com/showthread. php?t=1445493&page=54 (Zugriff am 7. November 2012).

225

329

330

Produktsprachen

34

Fotomontage, die zukünftige Gehäusedesigns simuliert. // Quelle: „apple-iphone-5-photoshops-11-iphone-4-56-7-tim-cook.jpg (JPEG-Grafik, 1240×798 Pixel) - Skaliert (40%)“, http://img.chinasmack.com/www/wp-content/uploads/2012/09/apple-iphone-5-photoshops-11-iphone-4-5-6-7tim-cook.jpg (Zugriff am 6. November 2012).

225

35

Gehäusedetails im Vergleich. // Quelle: „AnandTech - The iPhone 5 Review“, http://www.anandtech.com/show/6330/ the-iphone-5-review (Zugriff am 7. November 2012).

228

36

Übersicht der iPhone-Generationen bei einer Produktpräsentation. // Quelle: „Editorial: Engadget on Apple’s iPhone 5 event - Engadget“, http://www.engadget.com/2012/09/12/ editorial-engadget-on-apples-iphone-5-event/ (Zugriff am 6. November 2012).

228

37

iPhone 4 mit Bumper. // Quelle: „Apple iPhone 4 Bumper - Grün - Apple Store (Deutschland)“, http://store.apple. com/de/product/MC671ZM/B/apple-iphone-4-bumpergr%C3%BCn?fnode=47 (Zugriff am 9. November 2012).

238

38

iPhone-Hülle ‚Bunny‘. // Quelle: „Lovely Bunny Rabbit Ears Tail Silicone Case Skin Cover For iPhone 5 10 colour of 200pcs/lot Free Shipping-in Phone Bags & Cases from Phones & Telecommunications on Aliexpress.com“, http:// w w w.aliexpress.com/item/Lovely-Bunny-Rabbit-EarsTail-Silicone-Case-Skin-Cover-For-iPhone-5-10-colour-of200pcs/664799855.html (Zugriff am 9. November 2012).

238

39

iPhone-Hülle im Trachten-Look. // Quelle: „iPhone 5 Hülle XAVER - iPhone | Smartphone von Antjes - Handytaschen Handy, MP3 & Kamera - DaWanda“, http://de.dawanda.com/ product/37089285-iPhone-5-Huelle-XAVER (Zugriff am 9. November 2012).

238

Abbildungen

40

iPhone-Hülle aus Aluminium und Glas. // Quelle: „TAKTIK: Premium Protection System for the iPhone by Scott Wilson + MINIMAL — Kickstarter“, http://www.kickstarter.com/ projects/1104350651/taktik-premium-protection-system-forthe-iphone (Zugriff am 9. November 2012).

240

41

iPhone-Hülle, die mit einem 3D-Drucker produziert wurde. // Quelle: „Turn Your Jam Into an iPhone Case | Wired Design | Wired.com“, http://www.wired.com/design/2012/04/ soundcloud-iphone-case/ (Zugriff am 12. November 2012).

240

42

iPhone-Hülle ‚Retro Cassette‘. // Quelle: „SF Planet | Fosmon JEL Series Fun Cassette Case for Apple iPhone 5 (Black / Red)“, http://www.sfplanet.com/fosmon-jel-series-fun-cassette-case-for-apple-iphone-5-black-red.html (Zugriff am 9. November 2012).

241

43

iPhone-Hülle ‚Retro Cassette‘ mit schwarzem iPhone. // Quelle: „Beste Retro Cassette Tape Silikon Hülle iphone 5 Hersteller-black | iphone 5 Falle Hersteller | iphone Fall china Lieferanten | Großhandel iphone 5 Fälle abzudecken | Großhandel Transporter Koffer | Großhandel Air Jacket case | Großhandel Speck FabShell CandyShell case | SilikonGeldbörse“, http://de.siliconepowerbalance.com/best-retrocassette-tape-silicone-case-cover-iphone-5-manufacturerblack.html (Zugriff am 12. November 2012).

241

44

Compact Cassette. // Quelle: „Compact Cassette – Wikipedia“, http://de.wikipedia.org/wiki/Compact_Cassette (Zugriff am 12. November 2012).

242

45

Hülle ‚Retro Cassette‘ mit Samsung Galaxy SIII. // Quelle: „Retro Cassette Tape Silicone Case for Samsung i9300 Galaxy S3 III Film Stylus | eBay“, http://www.ebay.com/itm//16082 4068994?item= 16082 4068994&ViewItem= (Zugriff am 13. November 2012).

242

331

332

Produktsprachen

46

‚Fixie‘ der Firma Fixie Inc., das auf der Eurobike ausgezeichnet wurde. Publiziert auf ‚www.radspannerei.de‘, einem Blog aus Berlin. // Quelle: „Rad-Spannerei blog“, http:// www.rad-spannerei.de/blog/2008/09/ (Zugriff am 13. November 2012).

246

47

Tisch ‚T04 Bigfood‘ von e15. // Quelle: „PRODUKTDATENBANK | e15.com“, http://www.e15.com/e15produktdatenbank. html?&user_e15proddb1_pi1[showUid]=95 (Zugriff am 14. November 2012).

249

48

Detail des Sofas ‚Polder‘ von Vitra. // Quelle: „Polder Sofa - Jongeriuslab“, http://www.jongeriuslab.com/site/html/ work/polder_sofa/08/ (Zugriff am 14. November 2012).

249

49

Stuhl ‚Favela‘ von Edra. // Quelle: „EDRA“, http://www.edra. com/prodotto.php?id=47 (Zugriff am 14. November 2012).

249

50

Buch mit DIY-Anleitungen. // Quelle: Thompson, Henrietta: Mach neu aus alt: Welt retten, Geld sparen, Style haben, Hamburg: Edel 2009.

251

51

Ausstellung ‚100 chairs in 100 days‘. // Quelle: „100 Chairs in 100 Days by Martino Gamper“, http://martinogamper. com/project/a-100-chairs-in-a-100-days/ (Zugriff am 15. November 2012).

251

52

Umgebautes Ikea-Möbelstück. // Quelle: „IKEA Hackers: Ivar Stand-up Music Cueing Desk / Drafting Table“, http:// www.ikeahackers.net/2011/06/ivar-stand-up-music-cueingdesk.html (Zugriff am 15. November 2012).

251

53

‚Woodlamp‘ von Muuto. // Quelle: „Muuto - Designs - Lamps - Wood Lamp - Designed by TAF Architects - muuto.com“, http://www.muuto.com/collection/Wood_Lamp/ (Zugriff am 16. November 2012).

251

Abbildungen

54

Detail des Leuchtenschirms. // Quelle: „Muuto - Wood Lamp Tischleuchte | Muuto | Shop“, http://www.connox.de/ kategorien/leuchten/tischleuchten/muuto-wood-lamp.html (Zugriff am 15. November 2012).

253

55

‚Woodlamp‘ in einem Büroraum. // Quelle: „Muuto - Designs - Lamps - Wood Lamp - Designed by TAF Architects - muuto. com“, http://www.muuto.com/collection/Wood_Lamp/ (Zugriff am 16. November 2012).

253

56

Drehstuhl ‚Work ‚n Nest‘ von Vitra. // Quelle: „Ronan & Erwan Bouroullec Design“, http://www.bouroullec.com/ (Zugriff am 19. November 2012).

258

57

Tischserie ‚Tyde‘ von Vitra. // Quelle: „Tyde: Das produktive Büro: Vitra.com“, http://www.vitra.com/de-de/office/products/tyde/overview/ (Zugriff am 19. November 2012).

258

58

Beispiel einer Kabelkette. // Quelle: „flexible Kabelkette silber Classicline - Bueroass.com“, http://www.bueroass.com/ bueromoebel-und-bueroausstattung/schraenke-/-kleinmoebel/tische-stehtische-rednerpulte-empfangstheken/flexiblekabelkette-7348609_705_226_4.asp (Zugriff am 19. November 2012).

259

59

‚Cable Sock‘ von Arco. // Quelle: „Cable Sock & Net von Arco bei STYLEPARK“, http://www.stylepark.com/de/arco/cablesock-und-net (Zugriff am 19. November 2012).

259

60

Varianten der ‚Cable Socks‘. // Quelle: „Designline Office - Produkte: Jonathan Prestwich, Arco , Cable Sock - Büro Accessoires | designlines.de“, http://www.designlines.de/ produkt/Cable-Sock_2991949.html?bildnr=2 (Zugriff am 19. November 2012).

259

61

Beispiel für ‚Guerilla Knitting‘. // Quelle: „pinkyarn“, http:// pinkyarnblog.blogspot.de/ (Zugriff am 19. November 2012).

264

333

334

Produktsprachen

62

Visualisierung der ‚Long-Tail-Kurve‘. // Quelle: „Datei:Long tail.svg – Wikipedia“, http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Datei:Long_tail.svg&page=1&filetimesta mp=20061210212043 (Zugriff am 20. November 2012).

264

63

Fahrrad-Bausatz ‚prodUSER‘. // Quelle: „prodUSER : www. tristankopp.com“, http://www.tristankopp.com/index.php?/ vehicles/produser/ (Zugriff am 20. November 2012).

266

64

Modifizierte Spielekonsole. // Quelle: „L64 redefines portable N64 style -- Engadget“, http://www.engadget. com/2006/06/16/l64-redefines-portable-n64-style/ (Zugriff am 18. November 2010).

266

65

Farbvarianten der ‚Pebble Watch‘. // Quelle: „Pebble“, http:// getpebble.com/ (Zugriff am 21. November 2012).

270

66

‚Smart Watch‘ von Sony. // Quelle: „SmartWatch | Android Armbanduhr - Sony Smartphones (Germany)“, http://www. sonymobile.com/de/products/accessories/smartwatch/ (Zugriff am 21. November 2012).

270

67

Foto eines Steampunk-Treffens. // Quelle: „AetherFest 2012 Steampunk Convention. - Texas Steampunks“, http://texassteampunks.ning.com/photo/aetherfest-2012-steampunkconvention-881 (Zugriff am 23. November 2012).

276

68

Arbeitsschritte beim Auf bau des Steampunk-LCDs. // Quelle: Von Slatt, Jake: „Steampunk Flat-Panel LCD Mod | The Steampunk Workshop“, http://steampunkworkshop.com/ lcd.shtml (Zugriff am 16. Oktober 2009).

277

69

Display, das beim Umbau genutzt wurde. // Quelle: „PRAD | Test Monitor Dell 1907FP (s) Teil 4“, http://www.prad.de/ new/monitore/test-dell-1907fp-teil4.html (Zugriff am 23. November 2012).

277

Abbildungen

70

‚Steampunk-LCD‘. // Quelle: Von Slatt, Jake: „Steampunk Flat-Panel LCD Mod | The Steampunk Workshop“, http:// steampunkworkshop.com/lcd.shtml (Zugriff am 16. Oktober 2009).

277

71

Detail: Anbindung einer alten Gasleuchte. // Quelle: Von Slatt, Jake: „Steampunk Flat-Panel LCD Mod | The Steampunk Workshop“, http://steampunkworkshop.com/lcd.shtml (Zugriff am 16. Oktober 2009).

279

72

Studie und ‚Touchpad‘ von Apple im Vergleich. // Quelle: Schwer, Thilo: „Die Massenkultur unterwandern. Do it yourself als Konsum-Alternative von den 1970er Jahren bis ins digitale Zeitalter“, Folie des Vortrags am 20. November 2010).

295

335