Skateboarding: Zwischen urbaner Rebellion und neoliberalem Selbstentwurf [1. Aufl.] 9783839427804

A clever book about skateboarding as a picture puzzle between subversive space appropriation and neo-liberal self-design

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German Pages 184 Year 2014

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Polecaj historie

Skateboarding: Zwischen urbaner Rebellion und neoliberalem Selbstentwurf [1. Aufl.]
 9783839427804

Table of contents :
Inhalt
1. Hinführung
2. Raumaneignun
3. Deplatzierungen: Dérive und die Stadt als Bühne der Gleichheit
4. Gegenplatzierungen: DIY-Spots als Heterotopie
5. Skateboarder, Postmoderne und Raum-Zeit-Verdichtung
6. Skateplaza
7. Long Live Southbank
8. Stadtplanerische Einbeziehung; Urban Governance
9. Institutioneller Wandel
10. Street League Skateboarding
11. Die Olympia-Debatte
12. Nike und der Kampf um Authentizität
13. Skateboarding als Produktivkraft
14. Schluss
Literatur
Abbildungsverzeichnis
Dank

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Sebastian Schweer Skateboarding

Urban Studies

Meinen Eltern gewidmet

Sebastian Schweer (M.A. Soz.) lebt und arbeitet in Berlin/Bielefeld zu politischer Theorie, sozialen Bewegungen sowie Medien- und Filmtheorie.

Sebastian Schweer

Skateboarding Zwischen urbaner Rebellion und neoliberalem Selbstentwurf

Drucklegung unterstützt vom Centre for German and European Studies (CGES/ZDES), gefördert durch den Deutschen Akademischen Austausch Dienst (DAAD) aus Mitteln des Auswärtigen Amts (AA).

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2014 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagkonzept: Sebastian Schweer Umschlagabbildung: Fotograf/Copyright: Maik Schuster, Skateboarder: Michael ›der Geile‹ Winkeler, New York 2013 Korrektorat: Rahel Rami Satz: Sebastian Schweer Druck: CPI – Clausen & Bosse, Leck Print-ISBN 978-3-8376-2780-0 PDF-ISBN 978-3-8394-2780-4 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

1.

Hinführung | 7

1.1 Theoriedesign und Agenda. Zwischen Politik und Polizei – Skateboarding als atopisches ›inter-esse‹ | 13 1.2 Politik als Modifikation der polizeilichen Ordnung | 23 2.

Raumaneignung | 29  2.1 Oberflächen: Vom Lesen und Schreiben der Stadt | 33

3.

Deplatzierungen: Dérive und die Stadt als Bühne der Gleichheit | 43 

4.

Gegenplatzierungen: DIY-Spots als Heterotopie | 51

5.

Skateboarder, Postmoderne und Raum-Zeit-Verdichtung | 65  5.1 Materielle Bedingung der Anpassung an die time space compression | 70 5.2 Näher dran: Skateboarder als Erben des Flaneurs oder Masse und Elite | 70

6.

Skateplaza | 79 

7.

Long Live Southbank | 87 

8.

Stadtplanerische Einbeziehung; Urban Governance | 97  8.1 Metaperspektivische Einordnung | 97 8.2 Einbeziehung der Skateboarder in Köln | 101

8.3 Gentrifizierung | 102 8.4 Ambivalenzen der Urban Governance | 108 9.

Institutioneller Wandel | 111

10. Street League Skateboarding | 117  11. Die Olympia-Debatte | 127  11.1 Repräsentation/Legitimation | 128 11.2 TINA – there is no alternative | 130 11.3 Ausblick | 137 12. Nike und der Kampf um Authentizität | 139 12.1 Exkurs I Eric Koston | 143 12.2 Exkurs II »Nike Chosen«-Werbekampagne | 148 13. Skateboarding als Produktivkraft | 153  14. Schluss | 167  Literatur | 171  Internetquellen | 173 Andere Medien | 179 Abbildungsverzeichnis | 181  Dank | 182 

1. Hinführung

Der (sub)kulturellen Praxis Skateboarding haftet im öffentlichen wie spezifischen Diskurs, also in massenmedialer Darstellung und in den Selbstbeschreibungen praktizierender Skater,1 das Image einer rebellischen, widerständigen Subkultur an. Euphorisch (oder empört) wird von Selbstermächtigung, Willensbildung, Raumaneignung, Flexibilität, Nonkonformismus und Individualität gesprochen, wird Skateboarding in kulturindustriellen Produkten als Chiffre für einen rebellischen Charakter2 gebraucht oder in Zeitungsartikeln gar mit gewalttätigem Auf-

1

Das Skateboarding gilt nach wie vor als Männerdomäne, doch sind weibliche Skater eine zunehmend selbstverständliche Erscheinung und mit Hillary Thompson hat die Skateboardszene ihren ersten offenen transgender Skateboarder (vgl. Mcguire 2013). Wenn im Weiteren die männlichen Funktionsbezeichnungen verwandt werden, sind damit ausdrücklich Frauen und Transgender mitgemeint.

2

Genreübergreifend in Filmen, beispielsweise in »The Crow« (Proyas 1994), sowie in Kultfilmen wie »Kids« (Clark 1995), »Ken Park« (Clark 2002), »Lords of Dogtown« (Hardwicke 2005), »Paranoid Park« (Van Sant 2007) bis zu Hollywood-Dramen wie »Little Children« (Field 2006). Dazu in Serien beispielsweise anhand der Simpsons sowie in zahlreichen Musikvideos.

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stand gegen das Bestehende in Verbindung gebracht.3 Skateboarder selbst sehen sich häufig als außerhalb der etablierten (Team)Sportarten stehende Individualisten, welche den gesellschaftlichen Normen und Wertvorstellungen eigene, abweichende Werte entgegensetzen. Zugleich etablieren sich Skateboarder als hochprofessionalisierte Sportler mit potenten Sponsoren in international ausgestrahlten Events wie Street League oder den X-Games. Auch die Aufnahme als Disziplin bei den olympischen Sommerspielen scheint 2014 denkbar zu sein (vgl. Kapitel 11). Somit stellt die Praxis des Skateboarding ein äußerst ambivalentes Phänomen dar. Nur aus metaperspektivischer Warte, welche gesellschaftliche Umbrüche und Veränderungsprozesse berücksichtigt, kann beleuchtet werden, was an der Praxis Skateboarding widerständig ist und auch, welche Aspekte, funktionalistisch betrachtet, affirmativ und wertschöpfend genannt werden können. Eine Analyse des Phänomens muss sich sowohl bewusst sein, dass jede Wahrheit (und damit jedes widerständige Verhalten) einen Zeitkern (Walter Benjamin) hat, als auch versuchen, dieses in die jeweilige historische Epoche einzuordnen, also mit – Fredric Jameson – immer zu historisieren (»always historicize«). Um das zu untersuchende Phänomen umfassend analysieren zu können, muss es also vor dem Hintergrund der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung betrachtet und dabei gleichzeitig in seiner relativen Eigenlogik gewürdigt werden. Hier ist David Harveys theoretische Analyse der Raum-Zeit Dimension in der Postmoderne instruktiv: »A recognition that the dimensions of space and time matter, and that there are real geographies of social action, real as well as metaphorical territories and spaces of power that become vital as organizing forces in the geopolitics of capitalism, at the same time as they are sites of innumerable differences and

3

Vgl. Süddeutsche Zeitung Montag, 22. Oktober 2012. Das Titelbild zeigt einen Skateboarder, welcher über eine brennende Straßenbarrikade in Beirut springt.

1. H INFÜHRUNG | 9

othernesses that have to be understood both in their own right and within the overall logic of capitalist development« [meine Hervorhebung, S.S.] (Harvey 1990: 355).

Dass sich sowohl die Raum-Zeit als auch das institutionelle Umfeld4 seit der ersten Welle massenhafter Verbreitung des Skateboards ab 1970 (vgl. Borden 2001: 29 ff.) fundamental verändert hat, spiegelt sich in der Entwicklung des Skateboardings. Dabei soll die Wechselwirkung zwischen gesamtgesellschaftlicher Entwicklung auf der einen und Skateboarding als performativer Kritik an den gesellschaftlichen Verhältnissen auf der anderen Seite sowie deren wechselseitige Beeinflussung ins Auge gefasst werden. Die (massenhafte) Verbreitung des Skateboardings koinzidiert mit einer sowohl kulturellen als auch wirtschaftspolitischen Zäsur, welche von vielen Theoretikern wahrgenommen und gekennzeichnet wurde, sei es als »Zweite Moderne« (Beck), »Postmoderne« (Jameson, Harvey), »Flüchtige Moderne« (Bauman), »Übermoderne« (Augé) oder »Postfordismus«. Daher ist es kein Zufall, dass die im Rahmen der Arbeit verwandten Theoretiker im weitesten Sinne dieser Warte zuzurechnen sind und sich auf folgende Minimalübereinstimmung bringen lassen: »The idea that all groups have a right to speak for themselves, in their own voice, and have that voice accepted as authentic and legitimate is essential to the plural stance of postmodernism« (Harvey 1990: 48).

Skateboarding als »lived critique« (Borden 2001: 206) soll im Rahmen dieser Arbeit unter dem Begriff der Künstlerkritik gefasst werden, wie er von Boltanski/Chiapello formuliert wurde. Mit dem Theorierahmen,

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Der Fokus liegt hier auf den kapitalistischen Ländern westlicher Provenienz. Das institutionelle Umfeld in Ländern wie beispielsweise Afghanistan oder Südamerika, in welchen Skateboarding eine Rolle zu spielen beginnt, ist ein anderes, welches im Rahmen dieser Arbeit nicht tiefergehend gewürdigt werden kann.

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wie er in »Der neue Geist des Kapitalismus« (Boltanski/Chiapello 2006) ausgearbeitet wurde, wird es möglich, sich von der verkürzten Lesart des Skateboardings als ausschließlich widerständige Praxis oder ›Profisport‹ zu lösen und kritisch zu evaluieren, welche Werte und Handlungspraxen der Künstlerkritik Skateboarding sich im veränderten institutionellen Umfeld des postfordistischen Verwertungsregimes als nach wie vor widerständig erweisen und vice versa; welche vom »Kapitalismus«5 akkulturalisiert und verwertbar gemacht wurden. Die innerhalb der Skateboard-Subkultur vertretenen Werte werden unter dem Begriff der Künstlerkritik in Bezug zu gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen gesetzt. Die metaperspektivische Warte erlaubt es, über den Tellerrand sowohl der Selbstbeschreibungen der Skateboarder als auch der Zuschreibungen der Massenmedien zu blicken und die implizite Kritik, welche Skateboarding am Bestehenden übt, (auch) als notwendigen Motor kapitalistischer Erneuerung zu begreifen. Diese Einsichten sollen keineswegs zu einer Perspektive führen, welche jede Kritik, da sie funktional notwendiger Erneuerer des Akkumulationsregimes ist, als obsolet abtut, sondern im Gegenteil zu kreativen und flexiblen Gedankenexperimenten führen, sowohl in der Theorie als auch in der Praxis. Da gesellschaftliche Verhältnisse sich immerfort verändern, muss sich eine Kritik, will sie geschichtlich relevant bleiben, anpassungsfähig, flexibel und kreativ zeigen. Um es mit Gramsci zu sagen: »Im politischen Kampf darf man nicht die Kampfmethoden der herrschenden Klassen nachäffen, oder man gerät leicht in einen Hinterhalt« (Gramsci 1991: 177).

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Wenn mit Boltanski/Chiapello vom »Kapitalismus« gesprochen wird, ist das Verwertungsregime sowie dessen »Rechtfertigungs- und Motivationsnarrative« (Boltanski/Chiapello 2006) gemeint. Sie beziehen sich explizit auf Frankreich, wobei ihre Erkenntnisse weitgehend auf alle kapitalistischen Länder westlicher Provenienz anwendbar sind. Im Weiteren ist der Terminus »Kapitalismus« in Parenthese gesetzt, um die Perspektive zu vermeiden, es handle sich um ein bewusst handelndes Subjekt. »Kapitalismus« wird hier als emergentes Phänomen verstanden.

1. H INFÜHRUNG | 11

Kritik muss sich den Gegebenheiten anpassen und diese gleichzeitig transzendieren.6 Sie wird als notwendiger Impulsgeber vom »Kapitalismus« aufgenommen, allerdings nicht in ihrer ganzen Tiefe und Radikalität berücksichtigt, sondern in einer, wie Boltanski/Chiapello es nennen, kodifizierten Form. Die verwertbaren Aspekte der Kritik werden übernommen, radikalkritische, sich (ökonomischer) Verwertung entziehende Spitzen werden abgebrochen. Diese Praxis der Kodifizierung, durch welche die Akkulturation der Kritik vorgenommen wird, lässt sich anhand der Entwicklung der Skateboardkultur nachzeichnen. Sowohl Mergers & Acquisitions als auch Starkult, Leistungssportmentalität und das Spektakel sind in der Skateboardwelt- und der Ökonomie angekommen. Flexibles, ›modelsprengendes‹ Denken, Autoritätskritik, Kreativität, Risikobereitschaft und Eigenverantwortung, einstmals Charakterisierungen des rebellischen Skateboardertums in der Epoche des Fordismus, sind in der projektbasierten Polis (Boltanski/Chiapello) Indikatoren erhöhter employability geworden.

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Interessanterweise sind die oben formulierten Anforderungen an die Kritik, wie sie im Postfordismus geäußert werden kann, äquivalent zu den Anforderungen, welche der »Kapitalismus« an die Arbeitnehmer stellt. Dies ist nicht als Manko zu begreifen, sondern eine notwendige Homologie der Kritik mit dem kritisierten Gegenstand: »An dieser kurzen Beschreibung lässt sich bereits die Formengleichheit der neuen Protestbewegungen und der Strukturen des Kapitalismus erkennen, die sich in den letzten zwanzig Jahren ausgebildet haben. Diese Homologie bietet den überaus mobilen Bewegungen die Möglichkeit, gerade dort Fuß zu fassen, wo die traditionellen Organisationen Boden verloren hatten. Es bedeutet aber auch, dass sie sich auf die Art der Spannungen, die den entstehenden Formen des Kapitalismus innewohnen, einstellen müssen. Das gilt im besonderen Maße für das Spannungsverhältnis zwischen Flexibilität, Mobilität und Schnelligkeit einerseits und einem dauerhaften Engagement andererseits, das, wenn es nicht unablässig durch Ereignisse stimuliert wird, die es aktualisieren und damit konkretisieren können, stets einzuschlafen droht« (Boltanski/ Chiapello 2006: 389).

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Es soll hier analysiert werden, wie und in welchem Ausmaß sich die Akkulturation des widerständigen Potenzials der Künstlerkritik Skateboarding vollzogen hat. Relevant sind diese Erkenntnisse nicht nur innerhalb des bislang wenig erforschten Gebiets einer kulturwissenschaftlichen Analyse des Skateboardings, sondern auch auf einer gesellschaftstheoretischen Ebene, insofern anhand des Beispiels mögliche Formen widerständiger (Lebens-)Praxis in eigenem Recht evaluiert werden. Diese Ergebnisse können die Denk- und Handlungsoptionen des gegenhegemonialen Blocks (Gramsci) erweitern. Ziel und Gegenstand der vorliegenden Arbeit ist es, politische Spieleinsätze der Praxis und Kultur des Skateboardings auszuloten, weniger, die Integrationsfähigkeiten des »Kapitalismus« erneut allgemein darzustellen. Dies wurde bereits von Boltanski/Chiapello in ihrem Werk »Der neue Geist des Kapitalismus« (2006) vorgenommen. Die Arbeit stellt eine umfassende, wenn auch notwendigerweise unvollständige Analyse des Phänomens Skateboarding dar und schließt damit eine Forschungslücke, da die Entwicklungen der letzten zehn Jahre in der ohnehin raren Literatur weitgehend unberücksichtigt gelassen wurden. Die Endogenisierung von Kritik (Akkulturation) soll hier am Gegenstand Skateboarding durchgespielt werden. Gleichzeitig sollen diejenigen Ausprägungen der Praxis Skateboarding identifiziert werden, welche der Akkulturation (noch) widerstehen konnten. Dabei ist die Perspektive diejenige, dass man die rebellisch-politischen Spieleinsätze des Skateboardings nicht überschätzen und die Integrationsfähigkeit des »Kapitalismus« nicht unterschätzen darf. Dazu kommt, dass hierzwischen keine völlig scharfen Trennlinien angenommen werden sollten, sondern dass es sich um ein dialektisches Wechselspiel handelt, in welchem ein politisches Moment in sein Gegenteil umschlagen kann und vice versa. Was unter den politischen Spieleinsätzen verstanden werden kann, soll im Weiteren erläutert werden.

1. H INFÜHRUNG | 13

1.1 T HEORIEDESIGN

UND

AGENDA

Zwischen Politik und Polizei – Skateboarding als atopisches ›inter-esse‹ Um von Beginn an ein Missverständnis auszuräumen, möchte ich darauf hinweisen, dass Skateboarding ausdrücklich nicht als bewusste, politisch-kritische Praxis (miss-)verstanden werden darf, sofern man von der im öffentlichen Diskurs üblichen Verwendung des PolitikBegriffs ausgeht. Mikroperspektivisch betrachtet, ist Skateboarding dezidiert unpolitisch und zeichnet sich vielmehr durch einen opportunistischen Hedonismus aus. Summiert man jedoch die singulären Aktionen, sind bestimmte Ausprägungen des Skateboarding aus einer metaperspektivischen Warte als politisch zu bezeichnen, insofern es als performativ-kritische Subkultur dem gegenhegemonialen Block zuzurechnen ist (vgl. Beal 2001, Bäckström 2007). »Sub-cultural expression is created in opposition to hegemony. [...] The relationship between unorganized skateboarding and organised sport is one example, the skateboard market contra the multinational sports companies is another, youth contra adulthood a third« (Bäckström 2007: 156).

Diese Bewertungen beruhen jedoch auf einer Konzeption des Politischen, welcher ich hier nicht folgen möchte. Hinzu kommt, dass diese die Veränderungen des institutionellen Umfelds zu wenig gewichten. Es erscheint mir adäquater, das politische Moment des Skateboardings mit dem Theoriewerkzeug Jaques Rancières zu fassen, so wie er es in »La Mesentente« (Rancière 2002) vorgeschlagen hat. Das, was gemeinhin unter Politik verstanden wird, namentlich »die Organisationen der Körper in der Gemeinschaft und die Verwaltung der Plätze, Mächte und Funktionen« (Rancière 2002: 108), werde ich mit Rancière die polizeiliche Ordnung oder Polizei nennen. Polizeiliche Maßnahmen sind solche, welche sicherstellen, dass jeder auf seinem gesellschaftlich

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zugewiesenen Platz ist und bleibt. Die Platzierungen und Unterteilungen sind Grundlage jedes Herrschaftsverhältnisses: »According to the schema of the aesthetic revolution, the root of domination is separation« (Rancière/Corcoran 2010: 81). Politik möchte ich im Folgenden mit Rancière verstehen als die »Abwesenheit eines Grundes, die reine Kontingenz aller gesellschaftlichen Ordnung« (Rancière 2002: 28). Politik zeigt die Arbitrarität der (polizeilichen) Platzierungen. In der Terminologie Rancières hat alles das Potenzial, politisch zu werden, sofern es die ursprüngliche Gleichheit aller Menschen aktualisiert und den arbiträren Charakter jedweder Gesellschafts- und Herrschaftsformation offenlegt; indem diejenigen, welche nicht repräsentiert sind, ihre Stimme ergreifen, sichtbar werden, ihren Platz verlassen. »Die politische Tätigkeit [...]« schreibt Rancière, »lässt sehen, was keinen Ort hatte gesehen zu werden, lässt eine Rede hören, die nur als Lärm gehört wurde« (Rancière 2002: 41); sie stellt jede Aufteilung infrage. Diese Gedanken lassen sich auf das Skateboarding anwenden: »Skating becomes a way of assuming a visible place in society in one‫ތ‬s own way and not be included in the norms and rules of adults about how public spaces should be utilized« (Bäckström 2007: 155).

Politisch wird Skateboarding dort, wo es aus einer zugeschriebenen Rolle oder einer sowohl räumlich als auch diskursiv zu verstehenden Platzzuweisung heraustritt und damit performativ vorführt, dass gesellschaftlich zugeschriebene Plätze kontestierbar und somit veränderbar sind. In diesem Sinne kann es eine Leere aufscheinen lassen. Leere soll hier verstanden werden als Abwesenheit eines Grundes, i.e. Negation jeder Naturalisierung gesellschaftlicher Verhältnisse. In der Aneignung des nur de jure öffentlichen Raumes aktualisiert sich performativ der Anspruch der Skateboarder auf voraussetzungslose Gleichrangigkeit, das Anrecht eines jeden (Skaters), jenseits von Konsumption und Pro-

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duktion Raum zu ergreifen. Politisch kann Skateboarding7 da werden, wo es bestehende Identitäten und Platzzuweisungen verrückt oder überskatet. Historisch betrachtet war es gesellschaftlichen Kategorisierungsversuchen gegenüber zumindest sperrig.8 Auch wenn sich die Analyse auf den globalen Norden konzentriert, sei auf die Spieleinsätze hingewiesen, welche Skateboarding in Ländern wie Afghanistan hat, wo es (noch) nicht als Sportart (an-)erkannt wird und somit jungen Mädchen und Frauen eine seltene Möglichkeit der Entfaltung bietet, da ihnen klassische Sportarten auszuüben i.d.R. untersagt ist (vgl. Kapitel 11). Die Praxis Skateboarding kann daher im Zustand des inter-esse, was sowohl »teilnehmend« als auch aus dem lateinischen wörtlich übersetzt »dazwischen sein« bedeuten kann, Aufteilungen und Zuweisungen verrücken. So schreibt Rancière: »Das politische Zusammensein ist ein Zwischen-Sein: zwischen den Identitäten, zwischen den Welten« (Rancière 2002: 146–147). Borden unterstreicht diesen Gedanken wenn er ausführt:

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Es gibt keine kanonisierte und eindeutige Definition dessen, was Skateboarding ist, vielmehr gab und gibt es verschiedene, zeitgebundene Formen und Ausprägungen, welche bis heute nebeneinander existieren. Hier soll zunächst und zumeist modernes Streetskating gemeint sein, wenn von Skateboarding die Rede ist, eine Praxis also, welche im urbanen Raum ohne Anleitung von »Spezialisten« stattfindet und welche sich nicht zum Skaten erbaute Architektur qua Zweckentfremdung aneignet. Unter Zweckentfremdung kann auch ein baulicher Eingriff, wie er bei den Do-it-yourselfSpots vorgenommen wird, verstanden werden, vgl. Kapitel 4.

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Dies beginnt bereits bei der kontrovers diskutierten Frage, ob Skateboarding als Sport zu verstehen sei oder nicht. Auch die eindeutige Messbarkeit der Qualität eines Skaters/eines Tricks ist schwer möglich, da subjektive Faktoren wie beispielsweise der Style eine große Rolle spielen und nicht quantifizierbar sind.

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»Skateboarding […] threatens nonetheless because it is neither explicit protest nor quiet conformism, game nor sport, public nor private activity, adult nor childish and, above all, precisely because it is a spatially and temporally diffused and dispersed activity« (Borden 2001: 255).

Ein besonderes (und implizit) politisches Moment der Praxis Skateboarding ist dessen Nicht-Eindeutigkeit, die atopische Komponente, welche sich Platz- und Identitätszuschreibungen sowie architektonischen Nutzungsimperativen temporär zu entziehen vermag. Rancière schreibt: »Politik selbst aber besteht umgekehrt darin, die Aufteilung von sozial und politisch, privat und öffentlich infrage zu stellen« (Rancière 2003). Teilnehmend ist die Praxis Skateboarding insofern, als dass sich nichts der Totalität des Kapitalismus entziehen kann und Skateboarding somit nie anders als innerhalb des gesamtgesellschaftlichen Zusammenhangs gedacht werden kann. »Skaters are a different breed. Not a breed apart. A breed that exists within a steel, asphalt and concrete framework« (Thrasher zit. nach Borden 2001: 244).

Dazwischen ist Skateboarding gleichzeitig, weil es innerhalb des stählernen Gehäuses (Weber) eine Nicht-Eindeutigkeit repräsentiert und zelebriert (»neither game nor sport, public nor private activity, adult nor childish«, s.o.). Insofern könnte Skateboarding emphatisch formuliert als Platzhalter, Chiffre, Leerstelle betrachtet werden, als ephemere Manifestation eines Optativs, welcher die Kontingenz jeder gesellschaftlichen Ordnung zum Aufscheinen brächte; nicht sous, sondern sur les pauvés wäre la plague. Dabei ist jede Uneindeutigkeit ein zeitlich begrenztes Phänomen und wird von der polizeilichen Ordnung eingeholt. Politik, also das atopische Verrücken der eindeutigen Plätze ist daher, wie Rancière sagt, ein Glücksfall. Seine politischen Spieleinsätze entfaltet das Skateboarding dort, wo es in eigenem Recht praktiziert wird und die

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bestehende Verteilungsordnung der ökonomischen Verwertungslogik (performativ) infrage stellt. 1.1.1 Theoretischer Horizont Neben den theoretischen Eckpfeilern Boltanski/Chiapello und Rancière werde ich im Weiteren auch andere theoretische Schlaglichter auf das Phänomen Skateboarding werfen, um es hinreichend beleuchten zu können. Dazu zählen Michel Foucault, Zygmunt Bauman, David Harvey, Peter Marcuse, Marc Augé sowie Antonio Gramsci. Foucaults Vorstellung eines erneuerten Politikbegriffs ähnelt dem von Rancière in den hier relevanten Aspekten; auch er will das Ausgeschlossene, Sprach- und Repräsentationslose zu seinem Recht kommen lassen. Mit Foucaults Konzept der Heterotopie soll im Weiteren die Dialektik des Platzes herausgearbeitet werden. Zum einen in seinen repressiven, herrschaftsarchitektonischen Ausprägungen, indem dem Anderen (zwangsweise) ein Ort zugewiesen wird. Zwar konnte die Moderne das Andere immer schon mitdenken, allerdings nur in fest eingegrenzten Bereichen und mit den bekannten, verheerenden Konsequenzen. Dazu schreibt Harvey: »Nevertheless, I do want to insist that the problem with Enlightenment thought was not that it had no conception of ›the other‹ but that it perceived ›the other‹ as necessarily having (and sometimes keeping to) a specific place in a spatial order that was ethnocentrically conceived to have homogeneous and absolute qualities« [Hervorhebungen im Original] (Harvey 1990: 252).

Auf der anderen Seite bieten Heterotopien als Möglichkeitsräume Freiheitsgerade, die außerhalb derselben nicht erreichbar sind. Im Rahmen der Arbeit sollen gegenstandsbezogen beide Ausprägungen berücksichtigt werden. Um die Praxis Skateboarding adäquat erfassen zu können, muss die zeiträumliche Dimension als materielle Grundlage und conditio sine qua non sowohl für Macht- als auch für Gegenmacht berücksichtigt

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werden, ohne einseitig dem spatial turn zu verfallen. Vielmehr muss die Dialektik (postmoderner) Urbanität herausgearbeitet werden: Zunächst als unhintergehbare, verdinglichende Totalität, welche gleichzeitig die Bedingung der Möglichkeit einer anderen Raumkonzeption und -aneignung ist: »[...] and where some have seen the modern architecture of the city as alienating of the self, this architecture can also be the means by which social relations are constructed. Practices such as skateboarding therefore suggest not only the re-distribution of urban space according to the maxim ›to each according to his needs‹ [Marx, S.S.] but also the self according to the physical potential of the built environment« (Borden 2001: 243).

Der Raum spielt im Rahmen der Fragestellung eine herausragende Rolle, da die Aneignung desselben sich immer im Kontinuum zwischen Atopie und Akkulturation abspielt und dabei immer prekär und umkämpft bleibt. Nach dem Ende der (modernen) Utopien und großen Erzählungen tritt die Heterotopie gleichsam als Platzhalter utopischen Denkens in der Postmoderne auf (vgl. Chlada 2005). Hier verschwinden große, teleologische und auf Aufschub und Entbehrung basierende Entwürfe zugunsten einer neuen Unmittelbarkeit,9 welche nach Bauman konstitutiv für die »Flüchtige Moderne« (Bauman 2003) ist. Mit Raul Vaneigem: »Utopianism? From now on, that’s the hell of the past« (Vaneigem 2012). So sind Freiräume und gegenhegemoniale (Lebens-)Entwürfe nicht mehr metatheoretisch und universell, sondern mikropolitisch. Sie sind nicht das ersehnte Ende eines langen, an Entbehrungen reichen Mar-

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»Der Aufschub dient der Gesellschaft der Konsumenten durch seine Selbstverleugnung. Nicht mehr der Wunsch, die Befriedigung des hervorgerufenen Begehrens hinauszuschieben, bildet die Quelle der kreativen Anstrengung, sondern jener, die Verzögerung zu verkürzen oder ganz zu überspringen, gepaart mit dem Wunsch, die Befriedigung, wenn sie denn eintritt, möglichst kurz zu halten. Eine solche Kultur, die dem Aufschub den Krieg erklärt, ist in der Geschichte der Moderne eine Novität« (Bauman 2003: 189).

1. H INFÜHRUNG | 19

sches, sondern realisieren sich temporär, überraschend und sind immer von ihrer Vernichtung bedroht. Hier schlägt Hakim Bey den Begriff der »Temporären Autonomen Zone« (TAZ) vor. Die Praxis Skateboarding kann solche Zonen bzw. Heterotopien entstehen lassen und so als eine Gegenmacht zur »Revanchist City« (Neil Smith) oder als Wiederbelebung von »Nicht-Orten« (Marc Augé) gefasst werden. Diese Bestrebungen werden in den Kapiteln 4 und 7 dargestellt. »In this respect, skateboarders are part of a long process in the history of cities, a fight by the unempowered and disenfranchised for a distinctive social space of their own« (Borden 2001: 260).

Damit aktualisieren Skater eine Kritik, wie Boltanski/Chiapello sie für die projektbasierte Polis vorgeschlagen haben, namentlich Kritik an Ausgrenzung bzw. Verdrängung, sowohl im Diskurs als auch im konkreten, urbanen Raum. Hier sind Plätze stets umkämpft. Obdachlose, illegalisierte Migranten und andere nicht in der polizeilichen Ordnung repräsentierte Gruppen sind stetig Verdrängungsbemühungen (oder (Re-)Platzierungen) ausgesetzt. Skater können mit diesen in einen funktionalen Zusammenhang gebracht werden: »In more spatial terms, particularly in those areas hovering between private and public domains, skateboarders have encountered a politics of space similar to the experiences of the homeless. Like the homeless, skateboarders occupy urban space without engaging in economic activity of interiors, to the annoyance of building owners and managers« (Borden 2001: 253).

Mit den Platzierungen ist so die andere Seite der Heterotopie angesprochen: Diese sind nicht per se progressiv oder egalitär, sondern dienen vielmehr häufig auch der Bündelung (also Platzierung) von nicht gewünschten, abweichenden Gruppen an dafür zugewiesenen, abgeschiedenen Orten, beispielsweise im Gefängnis, in der Irrenanstalt oder auf dem (Narren-)Schiff (vgl. Chlada 2005: 22ff.). Der Versuch einer solchen, hier (zunächst) dezidiert räumlich zu verstehenden Platzierung

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lässt sich auch für Skateboarder beobachten, wie im Kapitel 6 dargestellt wird. Dies kann als eine Strategie betrachtet werden, Skater aus dem Stadtbild zu entfernen und an einem bestimmten Platz zu konzentrieren. Skateboarder nehmen die ihnen zur Verfügung gestellten Plätze i.d.R. an; oft wird lange mit den Stadtvätern und Sponsoren um eine solche Einrichtung gerungen. Aus einer Meta-Perspektive ist diese Verfahrensweise als polizeiliche Maßnahme zu qualifizieren; mit und für Skater werden Räume entwickelt, in welchen sie sich dann im Gegenzug auch aufzuhalten haben. Die andere Seite stellt die Revanchist City mit ihren Bußgeldern, Securities, Skatestoppern, Überwachungskameras und Strafanzeigen dar. Funktional betrachtet sind beide Seiten notwendig und entsprechen dem Konzept der Hegemonie, wie Gramsci es entwickelt hat: »Die Tatsache der Hegemonie setzt zweifellos voraus, daß den Interessen und Tendenzen der Gruppierungen, über welche die Hegemonie ausgeübt werden soll, Rechnung getragen wird, daß sich ein gewisses Gleichgewicht des Kompromisses herausbildet, daß also die führende Gruppe Opfer ökonomischer Art bringt, aber es besteht kein Zweifel, dass solche Opfer und ein solcher Kompromiss nicht das Wesentliche betreffen könne« (Gramsci zit. nach Demirovic 2007: 53).

Hinter dem Kompromiss verbirgt sich immer auch der Zwang. Im Kapitel 8 Urban Governance sowie 6 Skateplaza werden die beiden Seiten der Hegemonie anhand aktueller Entwicklungen in der Stadt Köln dargestellt. Abschließend soll noch die Akkulturation der Heterotopien angeschnitten werden: Mit Boltanski/Chiapello lässt sich beobachten, wie ehemals widerständige Heterotopien als Wertschöpfungsbecken fungieren können. Ganz materiell könnte beispielsweise ein weltweit bekannter Skateplaza zur Gentrifizierung beitragen, immateriell könnten die Gedanken-Freiräume ökonomisch verwertbar gemacht und somit ihres widerständigen Potenzials beraubt werden. Legt man Rancières Politik- und Polizeikonzeption zugrunde, sind das Errichten von Skateplazas, die diskutierte Olympiateilnahme oder Skateboarding als

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massenmedial vermitteltes, reglementiertes Spektakel letztlich polizeiliche Maßnahmen. Akkulturation, und hier treffen sich Boltanski/Chiapello mit Rancière, impliziert immer Kontrolle, bedeutet letztlich nichts anderes als Platzzuweisung und Zurechtstutzung, also Kodifizierung, innerhalb des Akkumulationsregimes. Neben der Heterotopie als Gegenplatzierung soll auch das Er-fahren des urbanen Raumes mit dem Konzept der Dérive (Guy Debord) einer Analyse unterzogen werden, vgl. Kapitel 3. Das aus den oben genannten Theoretikern destillierte Theoriedesign ist angemessen, die Fragestellung problemzentriert beantworten zu können, ohne in die Immanenz eines einzelnen Theoretikers oder die der Selbstbeschreibungen der Skateboarder zu gleiten. Im Zentrum steht der Prozess der Akkulturation der Subkultur des Skateboardings im Epochenübergang, der hier als Übergang vom Fordismus in den Postfordismus verstanden wird. Vor diesem Hintergrund sollen Möglichkeiten einer kritischen Einschreibung in das Bestehende evaluiert und ggf. entzaubert werden. Die theoretischen Eckpfeiler dieser Arbeit, hauptsächlich das Dreieck Boltanski/Chiapello, Harvey und Rancière, lassen sich im Rahmen der Fragestellung gewinnbringend kombinieren, da sie verschiedene Schlaglichter auf das Phänomen werfen: Mit dem Begriff der Akkulturation von Boltanski/Chiapello wird eine Bewegung beschreibbar, im Laufe derer ein Gegenstand kodifiziert wird, um in die bestehende Ordnung zu passen. Die politische Intervention nach Rancière hingegen kennzeichnet die gegenläufige Bewegung: Ein Gegenstand modifiziert die Ordnung, indem er sich in dieselbe einschreibt und diese damit verändert. Selbstverständlich lassen sich die verschiedenen Theoriegebäude nicht naht- und bruchlos miteinander kombinieren. Boltanski/Chiapello betrachten die Kritik als Motor des Kapitalismus wohingegen Harvey strukturbetonter die Krise(n) als Bedingung für Veränderung identifiziert. Rancière unterscheidet sich in der Einschätzung der weltweiten Vernetzung von Harvey und Boltanski/Chiapello. Letztere beurteilen diese Entwicklungen skeptisch und konzedieren, dass im Zuge der

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Neoliberalisierung eine Machtverteilung zugunsten der Arbeitgeber und des Kapitals stattgefunden hat, wenngleich sie die dialektisch aus der neuen Situation erwachsenen Möglichkeiten würdigen. Rancière begreift die Vernetzung und den Cyberspace als Möglichkeit einer Aktualisierung des Kommunismus qua multitudialer Selbstermächtigung, lehnt dabei jedoch jede Teleologie ab.10 Die Differenzen sind jedoch nicht so tiefgreifend, als dass das vorgeschlagene Theoriedesign nicht anzuwenden wäre; im Gegenteil können sie helfen, eine zu starke Gewichtung der ›Schwerpunkte‹ der jeweiligen Autoren auszugleichen. Im Rahmen der Studie können nicht alle (Skateboard-)relevanten Aspekte abgedeckt werden: Der Leib als phänomenologischer Ausgangspunkt jedweder Erfahrung wäre gerade im Hinblick auf die sehr körperzentrierte Praxis und Kultur der Skateboarder gewinnbringend mit Merleau-Ponty zu analysieren.11 Spezifische Ausprägungen wie das Longboard oder das Cruiserboard werden nicht behandelt, es sei aber an dieser Stelle die Vermutung formuliert, dass politische Spieleinsätze bei diesen Ausprägungen niedrig sind. Auch die Genderfrage sowie homophobe Tendenzen innerhalb der Skateboardszene werden im Rahmen der Arbeit nicht behandelt. Hier wäre anknüpfend an Beal (2003) weiterführende Forschung anzuschließen.

10 »Communism is held to be more ›actual‹ than ever before insofar as the power of the capitalist network renders the power of our nation states, and the power of political action surrounding them, increasingly ineffective. Ultimately, then, we arrive at an idea of the actuality of communism whose form is the in-separate life of the multitudes« (Rancière/Corcoran 2010: 78). 11 Iain Borden (2001) hat bezogen auf den Körper/die Körperlichkeit bereits skateboardspezifische Grundlagen geschaffen, verweist aber selbst darauf, dass hier weitere Forschung anzuschließen wäre.

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1.2 P OLITIK

ALS M ODIFIKATION DER POLIZEILICHEN O RDNUNG

Bevor sich des konkreten Gegenstand angenommen wird, soll an dieser Stelle begriffliche Klarheit geschaffen werden. Der politische Spieleinsatz des Skateboardings erschöpft sich nicht in der bloßen Aufnahme in die polizeiliche Ordnung. Politische Subjektivation hat bei Rancière verschiedene Komponenten. Zum einen die Offenlegung der Arbitrarität jeder Gesellschaft, also der Willkürlichkeit einer nach Geburt oder anderen Kriterien festgeschriebenen Rangordnung. Dieses Offenlegen nennt Rancière die Aktualisierung einer ursprünglichen Gleichheit aller sprachfähigen Wesen. Doch nur, weil die Menschen prinzipiell sprachfähig sind, heißt dies im Unterschied zu Habermas nicht, dass sich die Menschen deshalb verstehen würden; es findet ein vorgängiger Kampf um die Anerkennung als sprachlich begabtes Wesen statt, darum, nicht als bloßes Geräusch, sondern als homo loquens gehört zu werden. Subjektivierung versteht Rancière nicht wie Althusser vermittelt durch Interpellation, sondern – als Einforderung der Ungezählten – wahrgenommen und legitimer Teil der Ordnung zu werden. Dazu bedarf es eines Bruchs mit der zugeschriebenen ›Identität‹ und ein nicht vorgesehenes Heraustreten aus derselben. Das Erkennen des Missstands führt noch nicht zu seiner Aufhebung, er muss sinnlich vermittelt werden, damit die Ordnung (an)erkennt, dass es die Anteillosen (Sans-Part) gibt und dass sie aufgrund der Gleichheit aller sprechenden Wesen im wahrsten Sinne des Wortes zählen. Dazu bedarf es einer Bühne sowie einer schauspielerischen Leistung. Die Sans-Part inszenieren sich auf dieser Bühne als sprachfähige, legitime, weil gleichwertige Bestandteile der Ordnung und nehmen so die Anerkennung vorweg, welche ihnen erst zuteilwerden soll. Damit tun sie so, als ob sie bereits in der polizeilichen Ordnung gezählt wären. Dieser Vorschuss macht Politik als Kennzeichnung des Anteils der Anteillosen erst möglich. Politische Intervention ist dann erfolgreich, wenn ein Teil der Sans-Part in die polizeiliche

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Ordnung aufgenommen wird und diese dadurch im Sinne erweiterter Partizipationsmöglichkeiten modifiziert wird. Hier soll die Frage beantwortet werden, ob die Praxis des Skateboarding in dieser Hinsicht als politisch bezeichnet werden kann und was dies implizieren würde. Skateboarder lassen die Ordnung als arbiträr erscheinen, insofern sie Verbote missachten und die Nutzungsimperative des öffentlichen Raumes alternativ auslegen. Eine prinzipielle Gleichwertigkeit aller Teilnehmer im öffentlichen Raum wäre dadurch aktualisiert, dass Skateboarder diesen so nutzen, als wäre dieser bereits Allmende. Durch den virtuellen Vorschuss an Gleichheit manifestiert sich diese temporär in der Grenzüberschreitung und Raumaneignung der Skateboarder, welche Pate stehen für Grenzüberschreitung und Raumaneignung anderer Sans-Part (bspw. Obdachlose aber auch community garden-Projekte etc.).12 Aus dieser Warte betrachtet könnte die Übertretung (trespassing) der Skateboarder und die damit einhergehenden Konfrontationen als Kollision der polizeilichen Ordnung mit einer politischen Intervention im Sinne Rancières ausgelegt werden. Skateboarder aktualisieren zwar nicht explizit die Gleichheit aller sprechenden Wesen, sie formulieren jedoch ihre Forderung nach Gleichrangigkeit, sie wollen gehört und gesehen werden. Damit fordern sie eine selbstverständliche und legitime Teil-nahme ein. Instruktiv ist hier die häufige Auseinandersetzung mit Sicherheitskräften. Es kommt vor, dass diese entschuldigend sagen, sie würden nur ihre Arbeit ausüben, indem sie die Skateboarder vertreiben. Die Antwort der Skater, Filmer und/oder Fotografen lautet daraufhin nicht selten, dass auch sie ihren Job in genau diesem Augenblick verrichten würden. Hier wird klar, dass eine Gleichrangigkeit aktualisiert wird, welche durch Regelmissachtung temporär gelebt wird und dennoch von der Argumentationsstruktur her nicht politisch ist. Mit dem Verweis auf Skateboarding als Erwerbstätigkeit wird ein Ar-

12 Natürlich kann es auch zwischen Skateboardern und Obdachlosen zu Konflikten kommen und Skateboarder können Obdachlose durchaus verdrängen, vgl. Howell 2005.

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gument ausschließlich auf dem Feld der polizeilichen Ordnung vorgebracht, welches diese in keiner Weise modifiziert. Weil Skateboarding ökonomisch verwertbar ist, nicht weil alle sprechenden Wesen gleichrangig sind, darf geskatet werden, was im Umkehrschluss bedeuten würde, dass die im Sinne der Verwertungslogik Ungezählten kein Recht auf den de jure öffentlichen Raum hätten. Der politische Spieleinsatz des Skateboardings geht mit einem solchen Argument verloren. 1.3.1 Tony Hawk: (K)ein zweiter Blanqui Die Bühne für die Aktualisierung der Gleichheit der Skateboarder wäre zunächst der öffentliche, urbane Raum, aber auch große Events der Spektakelkultur ließen sich zunächst hier einordnen, etwa Street League Skateboarding oder die X-Games. Durch die Dimension der Events wird die Daseinsberechtigung der (professionellen) Skateboarder legitimiert; ostentativ wird dargestellt, dass sich ein Lebensunterhalt durchaus über Skateboarding finanzieren lässt. Ein interessantes Phänomen ist in dieser Hinsicht der Titel der Biografie Tony Hawks, des in den Nullerjahren weltweit bekanntesten Skateboarders. Dieses heißt: »Occupation: Skateboarder« (Hawk 2001). Wie zum Beweis der Gleichberechtigung und damit der Legitimität des Skateboardings, in der polizeilichen Ordnung (s)einen Platz zu haben, ist der Buchrücken mit einem französischen Einreisedokument bedruckt, auf welchem Hawk in der Kategorie Occupation/Profession »Skateboarder« eingetragen hat. Dies erinnert an das von Rancière angeführte Beispiel des Revolutionärs Auguste Blanqui, welcher während seines Prozesses 1832 auf die Frage nach seiner Profession mit »Proletarier« antwortete (vgl. Rancière 2002). Die Gerichtsbarkeit erkannte die Bezeichnung als Profession letztlich an und damit schreibt sich – nach Rancière – die Klasse der Ungezählten in die polizeiliche Ordnung ein. Dieser Vorgang ist für ihn eine beispielhafte Intervention des Politischen, ein Kollidieren der polizeilichen mit der gleichheitlichen Ordnung. Profession ist nach

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Rancière hier sowohl zu verstehen als Platz, den ein Körper in der polizeilichen Ordnung einnimmt, als auch als ein Bekenntnis. Sind die beiden Beispiele Tony Hawk und Auguste Blanqui auf den ersten Blick vergleichbar, so zeigt sich jedoch, dass der politische Spieleinsatz bei Tony Hawk nicht überschätzt werden darf. Zwar ist es auch hier beides; Beruf und Bekenntnis, doch ist es letztlich eine Eingliederung in die polizeiliche Ordnung, welche nun um eine Kategorie reicher ist, damit jedoch nicht erweitert wurde. Dass die Berufsbezeichnung »Skateboarder« auf Einreiseformularen oder Steuerkarten akzeptiert wird, ist ein Teil des Akkulturationsprozesses, welcher der urbanen Skateboardkultur jenseits des Spektakels vermutlich mehr schadet als nutzt. Aus dem Gesagten lässt sich folgende Schlussfolgerung destillieren: Skateboarding hat das Potenzial, politisch zu wirken. Das Ergebnis der politischen Intervention ist die Anerkennung der Skateboarder als gleichberechtigter Anteil und damit die Einordnung in die polizeiliche Ordnung. Es reicht weder, dass einige Skateboarder als vollwertige Leistungsträger im Rampenlicht erscheinen und Skateboarding so als legitime Erwerbstätigkeit adeln, noch, dass Skateboardern periphere Sportplätze angeboten werden. Die Tatsachen belegen zwar, dass Skateboarding in gewisser Weise als legitime Sportart anerkannt wird, zeigen jedoch gleichzeitig, dass die Besonderheiten, welche Skateboarding ausmachen, nicht berücksichtigt werden und sich demnach auch nicht in die polizeiliche Ordnung einschreiben. Nur wenn Skateboarding in eigenem Recht selbstverständlich im öffentlichen Raum praktiziert werden kann, handelt es sich um eine politische Einschreibung in die bestehende Verteilungsordnung. Das, was Boltanski/Chiapello als Akkulturation bezeichnen, kennzeichnet einen Prozess, welcher Kritik als notwendigen Impuls in das Verwertungsregime aufnimmt und dessen radikale Spitzen abbricht. Erfolgreiche politische Aktionen sind nach Rancière letztlich Integration in die bestehende polizeiliche Ordnung bei gleichzeitiger Modifikation derselben. Akkulturation und Atopie bezeichnen zwei gegenläufige Bewegungen: Die Akkulturation bezeichnet einen Prozess, in wel-

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chem ein Gegenstand kodifiziert und in die polizeiliche Ordnung aufgenommen wird, Atopie (verstanden als politische Intervention) geht hingegen vom Gegenstand aus, welcher die polizeiliche Ordnung modifizieren soll. Diesem Verständnis zufolge würde Politik nicht gegen Widerstände eingeholt, wie es der Akkulturationsprozess der Kritik nach Boltanski/Chiapello vollzieht, sondern das Eingeholtwerden wäre das Telos und der Ausgangspunkt der Politik. Damit scheint der Politikbegriff nach Rancière zwar die Störung der polizeilichen Ordnung aus Perspektive der Sans-Part als Konfrontation einer ursprünglichen Gleichheit mit einer arbiträren (hierarchischen) Ordnung gewinnbringend beleuchten zu können, vermag diese jedoch nicht zu transzendieren. Es kann jedoch keine Verteilungsordnung ohne so etwas wie eine polizeiliche Ordnung geben und daher verwendet Rancière den Begriff der Polizei (zumeist) nicht pejorativ. Die Architektur der Rancière‫ތ‬schen Politikkonzeption hat also die modifizierte polizeiliche Ordnung zum Ziel. Das mutet zunächst paradox an, ist Politik doch die Störung der polizeilichen Platzzuweisungen, also eine Deplatzierung derer ohne Anteil. Hier schaffen sich die Nicht-Repräsentierten eine Bühne mit dem Auskommen, dass sie nach erfolgreicher politischer Intervention ihren Platz erhalten. Die Ordnung als solche wird hier nicht infrage gestellt, weil es eine auf Dauer gestellte politische Störung im gesellschaftlichen Leben nicht geben kann. Demnach ließe sich formulieren, dass Ordnung neben der Gleichheit das Apriori der Rancièrschen Philosophie ist. Inwiefern Skater sich modifizierend in diese Ordnung einschreiben, hängt vom Einzelfall ab und wird im Weiteren an relevanten Beispielen gezeigt. Jedoch darf ökonomische Inklusion nicht als eine solche Einschreibung missverstanden werden, ist doch die Ökonomisierung »der einfachste Prozess, wie der Kapitalismus eine Kritik als gültig anerkennen, in seine Strukturen aufnehmen und sich so zu eigen machen kann [...]« (Boltanski/Chiapello 2006: 476).

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Die Warenförmigkeit ist ein herausragendes Mittel, qua Realabstraktion von den Besonderheiten und Unterschieden abzusehen und jedes Qualitative in der abstrakt-quantitativen Tauschlogik zu negieren.

2. Raumaneignung

Zunächst soll die Praxis der Raumaneignung durch Skateboarder diskutiert werden. Diese muss im Kontext gesamtgesellschaftlicher Entwicklungen betrachtet werden und Machtverhältnisse berücksichtigen. Ich nehme zunächst einen kursorischen, geschichtlichen Überblick über Raumaneignungspraxen der Skateboarder vor, um mich daraufhin speziellen, im Sinne der Fragestellung erhellenden, Beispielen zu widmen. Der Fokus liegt auf der Frage, wo Skateboarding aus einer bestehenden Zuweisungsordnung heraustritt und wie dieses Heraustreten wieder eingeholt wird, d.h. wie Widerstand zu Entwicklungspotenzial kapitalistischer Erneuerung wird. Dabei soll zweierlei evaluiert werden: Zum einen die erstaunliche Fähigkeit des »Kapitalismus«, Widerstand für sich nutzbar zu machen und gleichzeitig, die für ihn bedrohlichen Aspekte zu endogenisieren. Zum anderen werden die für die Subkultur Skateboarding spezifischen Möglichkeiten einer temporären Deplazierung jenseits den Verwertungsparametern des »Kapitalismus« aufgezeigt. Diese Bewegung des Heraustretens / Übertretens und Wieder-Einholens lässt sich als eine Konstante in der Entwicklung widerständiger Kulturen in deren Wechselbeziehung mit dem Verwertungsregime beobachten. Nicht umsonst ist einer der häufigsten Vorwürfe gegen Skateboarder: This is trespassing! Im Folgenden werden einige historische Eckpunkte dargestellt, welche keinen Anspruch auf Vollständigkeit haben, sondern im Rah-

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men der Fragestellung signifikante Neuheiten und Umbrüche kennzeichnen.1 Skateboarding begann um 1955 mit provisorischen, selbstgebauten Rollbrettern und fand zunächst und zumeist auf den Straßen und Parkplätzen südkalifornischer Vorstädte statt. Als Sport wurde Skateboarding nicht wahrgenommen, es war ein Kinderspielzeug und Erziehungsberechtigte reagierten mit Unverständnis, Indifferenz oder Ablehnung. Widerstände gegen die lautstarke2 Raumergreifung der Skateboarder gibt es schon so lange, wie es Skateboarding selbst gibt. So schreibt Sean Mortimer augenzwinkernd: »1957 First recorded account of skate harassment: Jim Fitzpatrick’s grandma yells at him for riding a skateboard outside her house« (Mortimer 2008: 13).

Die Tatsache, dass Skateboarder nicht ernst genommen wurden, (anfangs gab es nicht einmal einen eigenen Namen für diese Aktivität, es war zunächst surfen), war zugleich eine Chance, ein eigenes, von Norm- und Wertvorstellungen der Eltern entkoppeltes Eigenleben zu führen. Gleichzeitig führte es zu einer sowohl belastenden als auch identitätsstiftenden Außenseiterposition: »At that time, if you surfed you were outside [the school peer group] anyway. It was completely antisocial. But Skateboarding was even further on the Margin« (Mortimer 2008: 23).

Aus den etablierten und traditionell ausgeübten Teamsportarten – und damit auch den angebotenen Rollenmustern – konnte ein Skater in den 1950er und 1960ern heraustreten; auch deshalb, weil diese Art der Fortbewegung und Freizeitgestaltung ein Novum war. Skateboarding

1

Für eine ausführliche Aufarbeitung der Skateboardgeschichte vgl. Borden 2001.

2

Bis 1973 bestanden die Rollen eines Skateboards aus Metall was Skateboarding in der Tat zu einer lautstarken Beschäftigung gemacht hat.

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hatte (noch) keinen Platz, weder im gesellschaftlichen Diskurs noch im Sinne eines Sportplatzes, wie es für die anderen amerikanischen (Team-)Sportarten selbstverständlich ist. Wo jedoch sowohl Eltern als auch Gleichaltrige kein Verständnis für eine anscheinend sinnfreie und unproduktive Freizeitbeschäftigung hatten, wurde von anderer Seite sehr schnell bemerkt, dass sich ökonomischer Gewinn erzielen lässt: »Stevenson [Gründer von »Surf Guide«, S.S.] figured that if he could get the surf crowd to sidewalk-surf [i.e. Skateboarding, S.S.], he had a built-in market« (Mortimer 2008: 17–18).

Bereits hier zeichnet sich eine Doppelbewegung ab, welche für die weitere Entwicklung des Skateboardings Bestand haben sollte: Es existiert eine selbstermächtigende, rebellische Pionierhaltung, die von Kommerzialisierung flankiert und vereinnahmt wird. Dabei werden die Möglichkeiten der Skateboarder durch Produktinnovationen signifikant erweitert. Hier möchte ich starkmachen, dass es keine ursprüngliche Reinheit gegeben hat, insofern es ein vor und ein nach der ›Kommerzialisierungs-Ursünde‹ geben würde. Es gibt ein Kontinuum zwischen Gebrauchs- oder Tauschwertfokussierung, welches je nach historischen Umständen mal mehr in die eine, mal mehr in die andere Richtung tendiert. Die Möglichkeiten der rebellischen Raumaneignung qua Skateboard waren und sind immer auch vermittelt und abhängig vom Skateboard(equipment) als Ware. In den 1960ern war Skateboarding zumeist ein Surfsubstitut, wenn das Meer keine surfbaren Wellen lieferte. Geskatet wurde auf flachem Boden oder seichten Hügeln, wobei Surftricks simuliert, aber auch Einflüsse aus anderen Sportarten wie Ski fahren oder Gymnastik integriert wurden (vgl. Mortimer 2008: 20). In den 1970ern begann die »second phase« (Borden) des Skateboardings, und Poolskating3 setzte sich

3

Die US-amerikanischen Swimmingpools zeichnen sich durch ihr rundes Design aus, wodurch sie, natürlich leer, mit dem Skateboard befahrbar

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gegenüber anderen Ausprägungen wie Slalom oder Freestyle durch. Es entwickelte sich begünstigt durch eine Wasserknappheit in Kalifornien, infolge derer die privaten Swimmingpools der Mittelschichthaushalte leer blieben. Skateboarder nutzten diese Möglichkeiten und eigneten sich diesen Raum qua illegaler, mitunter zerstörerischer und das Privateigentum missachtender Zweckentfremdung an. In dieser Phase löste sich Skateboarding von einer bloßen Imitation der Surfbewegungen und entwickelte ein Eigenleben mit neuen, eigenen Tricks und einer präzedenzlosen Raumerfahrung (vgl. Borden 2001: 33 ff.), welche dadurch ermöglicht wurde, dass der Skater sich über den Rand des Pools hinaus in die Luft katapultieren konnte. Aus dem Poolskating entwickelte sich das Halfpipeskaten und daraus letztlich die sogenannte ›Megaramp‹, die wohl gefährlichste und spektakulärste Variante zu Skaten. Der Unterschied zwischen illegalem, sogenanntem BackyardPoolskating und Halfpipeskaten ist evident: Wo Erstere eine Praxis der Übertretung, Selbstermächtigung und der temporären Expropriation von Privateigentum darstellte, ist eine Halfpipe allein aufgrund ihrer Ausmaße eine geplante und genehmigte Einrichtung an einem städteplanerisch bestimmten Platz, wobei Faktoren wie Lärmbelästigung berücksichtigt werden müssen. Hier wird Skateboarding in die bestehende (städtebauliche) Ordnung integriert, ohne diese zu modifizieren. Zwar bietet sich eine außerordentliche Raum- und Körpererfahrung, indem man die bis zu 4 Meter hohen Rampen skatet, eine atopische Erfahrung ist es jedoch nicht.

sind, wenngleich die sehr steilen Wände eine große Herausforderung darstellen.

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2.1 O BERFLÄCHEN : V OM L ESEN DER S TADT

UND

S CHREIBEN

Skateboarding fand in den 1970 Jahren sowohl in Pools als auch in Skateparks, also extra für Skateboarder erbauten Landschaften statt, für die man ggf. Eintritt bezahlen und in welchen man Schutzausrüstung tragen musste. Dazu gab es selbstgebaute kleine Rampen, sogenannte Launch Ramps, mit denen sich Skater in die Luft katapultieren konnten und die in der Regel auf der Straße vor dem (Vorstadt-)Zuhause aufgestellt wurden. Geeignete Schulhöfe mit Betonschrägen wurden ebenfalls genutzt. Skateboarding zeichnete sich seit jeher durch eine konstante Suche nach neuen, skatebaren Plätzen aus. Dieser Prozess begann in den 1970ern mit der Suche nach leeren Pools, freistehenden Fullpipes4 oder geeigneten Schulhöfen.5 Es handelt sich hierbei um eine spezielle Art der Kartierung, welche sich nach skateboardrelevanten, also gebrauchswertgebundenen Parametern richtet. Diese Praxis der skateboardbezogenen kognitiven Kartierung (Jameson) verstärkt sich in den 1980er Jahren, in welchen das Phänomen Streetskating zum ersten Mal aufkommt.6 Skateboarder beziehen sich auf ihrer Suche nach geeigneten Plätzen ausschließlich auf architektonische Oberflächen und sind weitgehend indifferent gegenüber dem ideologischen Gehalt der Gebäude oder deren Machtrepräsentation:

4

Dabei handelt es sich um Rohre, deren Größe es erlaubt, in ihnen zu skaten. Diese finden sich sowohl unverbaut auf Baustellen als auch in der Kanalisation.

5

Heute hat sich die Suche durch erweiterte technische Möglichkeiten mit Spot-Homepages und markierten Google-Maps-Karten perfektioniert.

6

Natürliche, d.h. nicht zum Skaten gebaute Architektur wird zweckentfremdet. Streetskating stellt ab den 1990er Jahren bis heute die Königsdisziplin dar, wohl auch, weil es als die authentischste gilt.

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»When skateboarders ride along a wall, over a fire hydrant or up a building, they are entirely indifferent to its function or ideological content« (Borden 2001: 214).

Auch Bäckström konzediert eine oberflächenzentrierte Wahrnehmung der Skater: »Skateboarders are more interested in the surface and shape of the architecture than the actual use of it« (Bäckström 2007: 155). Die Fixierung auf Oberflächen innerhalb der Skateboardkultur ist nicht abgekoppelt von gesamtgesellschaftlichen Entwicklungstendenzen, sondern, im Gegenteil, eng mit ihnen verbunden, wenngleich die Subkultur eine gewisse Eigendynamik behält. Metatheoretisch betrachtet ist die Oberflächlichkeit, i.e. Tiefenlosigkeit, ein zentrales Topos der Postmoderne. Dazu schreibt Jameson: »Aber es gibt noch weitere signifikante Unterschiede zwischen dem hochmodernen und dem postmodernen Moment [...]. Der erste und evidenteste ist das Auftauchen einer neuen Art von Flachheit oder Tiefenlosigkeit, eine neue Art von Oberflächlichkeit im buchstäblichsten Sinn – was vielleicht die höchste formale Eigenschaft all der Postmodernismen ist [...]« (Jameson 2008: 134).

David Harvey konstatiert, dass die im wahrsten Sinne des Wortes oberflächliche postmoderne Faszination einer Spektakel-Kultur (auch) der »evident fascination with surfaces« (Harvey 1990: 88) entspringt. Folgen wir diesen Theoretikern, hat der Raum eine (mitunter glänzende) Oberfläche ohne jede Tiefe. Die Zeit der Tiefenmodelle7 ist nach Jameson die Moderne mit ihren entfremdeten bürgerlichen Monaden gewesen. In der Postmoderne mit den fragmentierten Identitäten ist die Tiefe als Kategorie verschwunden:

7

»Neben dem hermeneutischen Modell des Innen und Außen [...] das dialektische von Wesen und Erscheinung [...], das Freudsche Modell des Latenten und Manifesten [...], das existenzialistische Modell des Authentischen und Unauthentischen [...] und schließlich die große semiotische Unterscheidung zwischen Signifikat und Signifikant« (Jameson 2008: 137).

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»Die[se] verschiedenen Tiefenmodelle werden größtenteils von Konzeptionen der Praxis, der Diskurse oder des textuellen Spiels abgelöst. Auch hier wird Tiefe durch Oberfläche ersetzt oder durch multiple Oberflächen (Intertextualität ist in diesem Sinne kein Tiefenmodell mehr)« (Jameson 2008: 137).

Bleiben wir bei der oberflächenzentrierten Betrachtung, so kann der Raum vor dem Hintergrund dekonstruktivistischer Theorie als Textensemble betrachtet werden. So schreibt Harvey: »It [Dekonstruktivismus, S.S.] shares with modernism a concern to explore pure form and space, but does so in such a way as to conceive of the building not as a unified whole but as ›disparate »texts« and parts that remain distinct and unaligned, without achieving a sense of unity,‹ and which are, therefore, susceptible to several ›asymmetrical and irreconcilable‹ readings« (Harvey 1990: 97–98).

Ein Gebäude hat demnach viele verschiedene und sich widersprechende Lesarten und Skateboarding kann als eine mögliche Lesart verstanden werden. Dabei darf jedoch nicht in einen postmodernen Relativismus verfallen werden, in welchem jede Stimme und jeder Text gleichwertig nebeneinander stehen. Eine Analyse kann nur dann Bestand haben und normative Parameter erhalten, wenn sie historisch materialistisch grundiert ist und die Kapitallogik als zugrundeliegende »Wahrheit der Postmoderne« (Jameson 2008: 145) mitdenkt. »Der postmoderne Glaube daran, Gesellschaftskritik ohne Kritik der politischen Ökonomie betreiben zu können, d.h. Politik kritisieren zu können, ohne die Vergesellschaftung des Werts, die abstrakte Logik des Kapitals analysieren zu müssen, kommt daher über einen konformen »Pluralismus« nicht hinaus [...]« (Chlada 2005: 108).

Dabei müssen sowohl die wirtschaftliche Konjunkturlage als auch die Kräfteverhältnisse berücksichtigt werden. Erstere wird in dieser Arbeit

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mit Harvey behandelt, Letztere sowohl mit Boltanksi/Chiapello als auch mit Gramsci. (Urbane) Räume sind mit Foucault immer auch als Machtbehältnisse, oder, mit Belina als »Containerräume«, zu verstehen, innerhalb derer der Eigentümer Regeln aufstellen kann. Die von Skatern nicht wahrgenommene (ungelesene) ideologische Komponente wäre demnach ein anderer, ungleich mächtigerer Text, welcher nicht völlig ignoriert werden kann, da die Konsequenzen schnell manifest werden (Security, Polizei). Iain Borden widerspricht der Auffassung, Skateboarding nur als eher passiviertes Lesen der Stadt zu verstehen, und stellt diesem ein aktiveres Einschreiben in den Raum gegenüber: »Skateboarders and others who inscribe on the city are literally writing the city« (Borden 2001: 211). Dieses Einschreiben ist sowohl als eine Interaktion der Skateboarder mit der urbanen Oberfläche zu verstehen als auch als eine Art Reviermarkierung. Das Revier der Skater realisiert sich temporär in der urbanen Totalität. Diese wird von Skatern zunächst und zumeist als gegeben hingenommen, und auch darin zeigt sich ein Kräfteverhältnis. Die urbane Umgebung wird naturalisiert, demnach als unveränderlich hingenommen, obwohl sie ein gesellschaftliches Verhältnis abbildet, also von Menschen geschaffen und damit prinzipiell veränderbar ist. Friedmar Apel verdanke ich den Hinweis, dass die Naturalisierung auch in den historischen Wurzeln der Skateboarder liegt: Die Wellen waren für den Surfer unveränderliche Naturgewalt, die Betonwellen und das Meer der Gebäude der zweiten Natur werden von den Skateboardern als ebenso unveränderlich wahr- und hingenommen. Modifikationen wie die Demontage von Skatestoppern sind zwar denkbar, die urbane Umgebung en gros zu verändern hingegen nicht. »The city is presented to the skater as a pre-existent object, who negates it through its opportunities and specifically through exploiting the texture of that space« (Borden 2001: 194).

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Skateboarder haben keinen ›Masterplan‹8 zur Veränderung der Stadt oder der Gesellschaft, sie setzen im Kleinen, Konkreten und Praktikablen an; das Modifikationspotenzial ist im Alltagsleben verankert: »We should not read postmodernism as some autonomous artistic current. Its rootedness in daily life is one of its most patently transparent features« (Harvey 1990: 63).

Das Alltagsleben ist ein Ort der Widersprüche und in der Postmoderne durch das Kapital überkodifiziert. In diesem täglich ge- und erlebten Widerspruch zwischen Alltagsleben und dem Verwertungsanspruch des Kapitals liegt das Potenzial zu widerständiger Praxis: »Vielmehr ist gerade wegen des Zusammenhangs alltäglich gelebter Realität mit den praktisch wahrgemachten Abstraktionen von Staat und Kapital der Alltag ein häufiger Quell von Widerständigkeit gegen die Zumutungen des Kapitalismus und der politischen Herrschaft – und ein Ansatzpunkt zu deren Transformation« (Belina 2011: 75).

Skateboarder isolieren spezifische Alltagsgegenstände, beispielsweise ein Stufenset, ein Geländer oder eine Bank, und blenden alle skateboardirrelevanten Aspekte aus, soweit es ihnen möglich ist. Diese Praxis koinzidiert mit einer postmodernen Haltung: »Ab den 1960er Jahren habe dann die postmoderne Kunst angeregt, Personen und Gegenstände aus ihrem Verwertungs- und Handlungszusammenhang zu lösen und »als spektakuläre ästhetische Objekte zu behandeln.« (Reckwitz). Mit dieser neuen Verwendung sei neuer Sinn gestiftet und vor allem intensiveres Erleben, sprich Vergnügen hergestellt worden« (Kästner 2011).

8

Der Masterplan ist nach Harvey ein genuin modernes Phänomen. Dieser kann nur von einer bürgerlichen Monade gedacht werden; die ›postmodernen Schizos‹ seien nicht in der Lage, sich eine kohärente Zukunft auszumalen. Die entfremdete Monade wird durch das fragmentierte Subjekt ersetzt.

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Die isolierten Objekte werden angeeignet und ggf. modifiziert, beispielsweise mittels Blitzzement, um die Anfahrt zu verbessern, Bolzenschneidern, um Ketten zu entfernen, bis hin zum Abflexen von störenden Geländerteilen. Die ungleichen Kräfteverhältnisse zwischen Skateboardern und Kapital führen demnach keineswegs dazu, dass Skateboarder keine Interventionsmöglichkeiten hätten, nur müssen diese richtig gewichtet werden. Deren Einschreibungen sind nicht systemgefährdend, doch transportieren ihre lesbaren Spuren, die ihre Anwesenheit bezeugen, eine implizite Kritik, nicht nur insofern es sich um Zerstörung oder Regelmissachtung handelt. Die Kritik schöpft ihr größtes Potenzial aus der Zurschaustellung einer ephemer verwirklichten Eudaimonie, welche kaum in die Sprache der Verwertungslogik übersetzt werden kann. Die oben erwähnten, häufig unbewussten, Einschreibungen der Skater, etwa Kratzer und Wachsspuren auf Sitzbänken, Blumenkästen und Geländern, sind implizite Kritik an der Revanchist City (Smith). Harvey schreibt: »With luxury housing and corporate headquarters, aesthetic twists become an expression of class power« (Harvey 1990: 114). Da Architektur also als Materialisierung von Macht- und Herrschaftsverhältnissen verstanden werden kann, können Akte der Delinquenz auch als »counter inscription« (Borden 2001: 210) gelesen werden: »In this context, urban phenomena such as litter, scuff-marks, smells, noise, pollution, and also deliberate inscriptions of fly-posting, graffiti, skateboard marks, schoolyard scratchings and so on are all versions of a counterinscription« (ebd.).

Diese inscriptions fungieren darüber hinaus als Signifikanten für andere Skater, welche auf einen Blick erkennen können, ob ein Objekt, etwa eine gewachste Bank mit der charakteristischen grauen Verfärbung, schon angeeignet wurde, oder ob sie die Ersten sind, welche sich einschreiben.

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Ein interessantes Beispiel, gerade wenn von der Stadt als Diskurs oder Textensemble gesprochen wird, ist der ganz wörtlich zu verstehende spielerische Umgang mit Texten. So werden »No Skateboarding«-Schilder in englischsprachigen Ländern durch ein aufgeklebtes »G« in »Go Skateboarding«-Schilder umgewandelt. Diese Praxis impliziert mehr, als dass man sie bloß als schelmischen Streich abtun könnte.

Abb. 1: Die Arbitrarität der Ordnung. Dadurch, dass eine Platzzuweisung durch einen einzigen Buchstaben eine völlig andere Bedeutung erhält, wird implizit deutlich, dass sich die Regeln, nach welchen die Gesellschaft scheinbar unverrückbar funktioniert, verändern lassen. Die Modifikation der Verbotsschilder kann als atopische Geste und als ganz wörtliche Einschreibung in die Stadt als Diskurs verstanden werden. Mit dem »Go« öffnet sich ein Optativ, die Ahnung, was (öffentlicher Raum) sein könnte, wenn »die Aufteilung von sozial und poli-

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tisch, privat und öffentlich infrage« (Rancière 2003) gestellt wäre, wenn Kunst und Sport wirklich in der Gemeinschaft aufgehoben wären, anstatt auf bestimmte kontrollierbare Plätze verwiesen zu sein. Doch die Revanchist City beschränkt sich keineswegs nur auf Verbotsschilder; ein weiteres interessantes Phänomen sind Skatestopper, industriell angefertigte Aufsätze für Bänke, Geländer und alles, was potenziell skateboardtauglich ist. Sie verhindern, dass diese Objekte weiterhin geskatet werden können: »1998 Skating is enjoying increased popularity just as Satan finally arrives on earth. He takes the form of Chris Loarie and invents Skatestoppers, which are renamed »Nazi knobs« by skaters« (Mortimer 2008: 12).

Hier wird die Oberfläche ganz materiell zuungunsten einer alternativen Nutzung umgeschrieben. Der Widerstand dagegen kann sich demnach nicht auf ein aufgeklebtes »G« beschränken, sondern muss gegenständlich wirken: »Skaters employ their high school shop educations, using blowtorches, hacksaws, and crowbars to remove them« (Mortimer 2008: 12).

Der (urbane) Raum ist ein stetig umkämpftes Gebiet und die ›Skatestopper‹ werden nicht nur gegen Skateboarder eingesetzt: So verhindern diese häufig nicht nur die Aneignung qua Skateboard, sondern auch andere nicht vorgesehene Nutzungspotenziale. Man könnte sagen, sie schlagen mehrere Deplatzierte mit einer Klappe: Obdachlosen wird beispielsweise durch die Montage von Aufsätzen auf Bänken oder Blumenkästen das Ausruhen oder Schlafen unmöglich gemacht. Hier werden die Gruppen aus der Stadt verdrängt, welche nicht unter Konsumptions- noch Produktionsfunktion zu subsumieren sind. In dieser Hinsicht ist die Demontage von Skatestoppern politisch, weil sie das Recht auf Raum auch oder gerade der Ungezählten (Sans-Part) aktualisiert und so die polizeiliche Ordnung mit der Logik der Gleichheit konfrontiert.

2. R AUMANEIGNUNG | 41

Dadurch wird urbane, abstrakte Architektur den konkreten Erfordernissen und Bedürfnissen der Individuen gemäß modifiziert: »Practices such as skateboarding therefore suggest not only the re-distribution of urban space according to the maxim ›to each according to his needs‹ [Marx, S.S.] but also the self according to the physical potential of the built environment« (Borden 2001: 243).

Abb. 2: Mach Sitz! Nutzungsimperative im urbanen Raum sind ein globales Phänomen. Hier: Wien Westbahnhof. Skater müssen sich den von ihnen genutzten Raum stetig neu aneignen und erfahren dabei mannigfaltigen Widerstand. So werden häufig sogenannte Tickets, Strafzettel, von Polizisten für Skateboardfahrer ausgestellt sowie zur Anzeige gebracht. Auch Beschimpfungen und handgreifliche Auseinandersetzungen sowohl mit Passanten und Anwohnern als auch mit Wachmännern und der Polizei kommen vor:

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»[...] Skateboarding, as urban practice, renders the subjective into an objective intervention; as Clark explained of Kids, skateboarders are ›out there, having confrontations all the time‹« (Borden 2001: 206).

Angesichts der Widerstände haben sich bestimmte Strategien9 etabliert, der polizeilichen Ordnung die Plätze temporär abzuringen. Zwei Antworten auf die täglichen Konfrontationen mit der Umwelt möchte ich hier tiefergehend analysieren: Zunächst eine Praxis des Umherschweifens im urbanen Raum, die teilweise mit einer guerillaähnlichen hitand-run Praxis verglichen wird, und welche mit der situationistischen Dérive parallelisiert wird. Dazu das Erschaffen eines eigenlogischen Raumes, welcher sich mit Foucaults Begriff der Heterotopie beschreiben lässt, namentlich sogenannte Do-it-yourself Spots (im Weiteren: DIY-Spots).

9

Hierbei handelt es sich mehr um bewährte, den Gegebenheiten angepasste Handlungsweisen, denn um bewusst theoretisch entworfene Strategien (obwohl es diese im Einzelfall ebenfalls gibt etwa, wenn ein Platz gut gesichert ist und man nur durch Ablenkungsmanöver o.Ä. seinen Trick landen kann).

3. Deplatzierungen: Dérive und die Stadt als Bühne der Gleichheit

Was Skateboarder auszeichnet, ist ihre Mobilität, ihre Anpassungsfähigkeit sowie ein gewisses Gespür für Möglichkeiten. Sie sind nicht von einem bestimmten Ort abhängig und können durch herumcruisen im urbanen Raum innerhalb eines Tages viele verschiedene Versuche unternehmen, einen Platz zu okkupieren. Diese Fähigkeiten können sie gegenüber anderen, langsameren und häufig auch raumgebundenen Teilnehmern der Stadt ausspielen: Die Polizei oder ein Security muss zunächst benachrichtigt werden, Passanten können ihrem Ärger zumeist nur verbal Ausdruck verleihen, da Skateboarder einfach schneller sind. Da teilweise von den Medien kolportiert wird, Skateboarder seien aggressiv,1 begegnet man ihnen häufig mit einer gewissen Zurückhaltung. Im Spanischen bedeutet das Verb desplazar, dass sich jemand fortbewegt. Nicht an einem fest definierten, (polizeilich vorgegebenen) Platz zu verweilen, sondern die gesellschaftlich definierten Grenzen zu überschreiten (trespassing), wäre daher Fort-Schritt. Die Platzzuweisung hinzunehmen und sich der polizeilichen Ordnung zu fügen, könnte als Stillstand und Regression gedeutet werden, da die Ordnung nicht im Sinne einer Gleichheit modifiziert wird. In der Nicht-Anerkennung

1

Beispielsweise im Film »Kids« (Clark 1995).

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der Grenzen und Verbote wird performativ die Möglichkeit eines ganz anderen öffentlichen Raumes deutlich, eines Möglichkeitsraumes auch und gerade derjenigen Teilnehmer, die sich dadurch auszeichnen, nicht teilnehmen zu können (bspw. Obdachlose, illegalisierte Migranten, Subkulturen). Diesem Übergehen gesellschaftlicher Verbote liegt die Annahme einer Gleichrangigkeit aller Teilnehmer des öffentlichen Raumes zugrunde. Skater schaffen sich eine Bühne, die eigentlich nicht existiert: Die Gesetze und Verbote sind real, die Idee eines öffentlichen Raumes für alle hingegen ist es nicht. »Skating becomes a way of assuming a visible place in society in one‫ތ‬s own way and not be included in the norms and rules of adults about how public spaces should be utilized« (Bäckström 2007: 155).

In der Performanz der Skater öffnet sich eine Bühne, welche hinter Sondernutzungsrechten und Verboten die Creative City (Peter Marcuse) aufscheinen lässt. So schreibt Rancière in Bezug auf die Bühne der Arbeiter: »Allerdings hat diese Bejahung [,dass die Einschreibung der Gleichheit [...] eine Sphäre der Öffentlichkeit definiert] eine ganz eigene Bühne der Argumentation zur Folge. Das Subjekt Arbeiter, das sich dabei als Sprecher zählen lässt, muss so tun, als ob die Szene existierte, als ob es eine gemeinsame Welt der Argumentation gäbe, was höchst vernünftig und höchst unvernünftig, höchst weise und entschieden untergrabend ist, denn diese Welt existiert nicht« (Rancière 2002: 64).

Skateboarder tun so, als ob die Stadt selbstverständlich auch die ihre wäre und schaffen sich dadurch vorgängig die Bühne, welche erst durch diesen Vorschuss (wir tun, als gehörte die Stadt bereits uns, dabei gehört sie nicht uns) in die Existenz gerückt wird (vgl. auch Davis 2010: 87). Dabei wird allerdings noch lange nicht klar, ob Skater legitime, mit logos ausgestattete Wesen sind oder ob sie lediglich Krach machen. Bei Rancière zeichnet sich politische Subjektivierung immer

3. D EPLATZIERUNGEN : D ÉRIVE UND DIE S TADT

ALS

B ÜHNE DER G LEICHHEIT | 45

auch dadurch aus, der polizeilichen Ordnung qua logos zu bedeuten, dass man gleichrangig, weil politisches Tier ist. Skateboarder, das muss hier einschränkend bedacht werden, stehen zunächst und zumeist für Krach und nicht für die legitime Äußerung der Bedürfnisse eigentlich gleichrangiger, sprechender, aber dennoch ungezählter Wesen (Eine Ausnahme stellt die Long Live Southbank Kampagne dar, vgl. Kapitel 7). In dieser Hinsicht sind jedoch die Konflikte aufschlussreich, welche Skateboarder mit Vertretern der polizeilichen Ordnung haben. Die Argumente der Polizei sind, dass es sich um privates Eigentum und demnach um trespassing handle und, dass sie als Vertreter der Ordnung letztlich auch nur ihre Arbeit erledigen würden (I just do my Job). Eine sowohl von Fotografen und Filmern als auch von Skateboardern gegebene Erwiderung ist, dass auch sie nur ihren Job machen würden. Hier würde die Kommunikation als sprechende Wesen meines Erachtens jedoch keine politische Subjektivierungskraft besitzen. Die atopische Versetzung wird bei Rancière dort politisch, wo sie die arbiträre Gesellschaftsordnung im Namen einer ursprünglichen Gleichheit konfrontiert. In der Antwort, dass Skateboarding auch ein Beruf sei, aktualisiert sich nicht die Logik der ursprünglichen Gleichheit aller (die wenigsten Skater sind Berufsskater), sondern sie setzt Skateboarding in die polizeiliche Ordnung, nimmt bereitwillig den in dieser Ordnung einzig möglichen Platz ein; denjenigen der Verwertbarkeit. Die politischen Spieleinsätze der Skateboarder liegen m.E. mehr in der Performanz und weniger in ihrem Auftreten als sprechende Wesen. Indem sie performativ und nicht argumentativ den öffentlichen Raum rekonzeptualisieren, die verengten gesellschaftlich kodifizierten Entfaltungspotenziale erweitern und durch ihre Raumaneignung Pate stehen für alles, was möglich wäre, aber verschüttet ist, sind sie politischer denn als Ansprechpartner für Stadtväter, Sponsoren und Reporter. Skateboarder kratzen, im wahrsten Sinne des Wortes, die gesellschaftliche Ordnung an, und unter diesen Kratzern erscheint: Das Nichts, die Leere. Aus dieser Warte betrachtet, ist der umherschweifende Skateboarder politisch, auch wenn er nicht explizit, also qua logos, die Gleich-

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rangigkeit aller Teilnehmer und ihrer Bedürfnisse aktualisiert. Die auf den ersten Blick hedonistisch-opportunistische Haltung der Skateboarder wird objektiv betrachtet politisch. Das fundamentale Infragestellen jeder übergeordneten Instanz (hier: Stadtplaner, Stadtväter, Architekten...), welche beansprucht, am besten für alle Beteiligten zu wissen, wie urbaner Raum zu nutzen sei, ist konstitutiv für die Haltung der Skateboarder. Diese trifft sich mit Rancières Anti-Pädagogik,2 also dessen Ablehnung eines pädagogischen Verhältnisses, welches seiner Meinung nach die Ungleichheit perpetuiert, anstatt sie längerfristig aufzuheben und damit ein Prozess der unendlichen Aufschiebung sei. So wie der Volksmund und der Neoliberalismus lehren: Man lernt eben nie aus. Skateboarding kann somit als (Künstler-)Kritik3 an der Einrichtung der Gesellschaft unter dem Primat des Tauschwerts gefasst werden. »Jenck concedes, for example, that postmodernism in architecture and urban design tends to be shamelessly market-oriented because that is the primary language of communication in our society. Although market integration plainly carries with it the danger of pandering to the rich and the private consumer rather than to the poor and to public needs, that is in the end, Jencks holds, a situation the architect is powerless to change« (Harvey 1990: 77).

2

Diese muss immer auch als Antwort auf Rancières eigenen pädagogischen Meister, Althusser, gelesen werden. Dieser hat auch nach dem Pariser Mai an seiner Position festgehalten, dass es der Intellektuellen als Erzieher bedürfe, obschon 1968 historisch gezeigt hat, dass Arbeiter und Studenten weitgehend ohne die Führung der Intellektuellen, der Partei und der Gewerkschaften handlungsfähig waren (vgl. Davis 2010).

3

Wobei natürlich Unterschiede bestehen. Skateboarding als Praxis ist implizit kritisch, performative Kritik, und verfügt kaum über nennenswerte theoretische (Selbst-)Reflexion.

3. D EPLATZIERUNGEN : D ÉRIVE UND DIE S TADT

ALS

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Diese Einrichtung manifestiert sich (auch) in der Gestaltung des Raumes, welcher im Rahmen dieser Arbeit historisch materialistisch gefasst werden soll. Mit Belina:

»Wenn also [...] »Raum« in Bezug auf Gesellschaft diskutiert wird, dann ist damit immer der je historisch konkret vorliegende Gesamtzusammenhang menschlichen Tuns – soziale Praxis – gemeint, und die Art und Weise, in der diese durch Widersprüche, Kämpfe und Herrschaftsbeziehungen hergestellt und strukturierte [sic!] ist« (Belina 2011: 14).

Abb. 3: Umherschweifen als Modus der Raumaneignung: ›cruisender‹ Skateboarder in New York.

In dieser Hinsicht ist die sinnlose Komponente, welche Skateboarder in den urbanen Raum bringen, eine politische, weil Skateboarding als soziale Praxis nicht abgekoppelt von gesamtgesellschaftlichen, der Verwertungslogik folgenden, Prozessen gedacht werden kann. Im urbanen

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Raum, welcher in letzter Instanz4 immer der Produktion und Distribution von Waren (Borden 2001: 231) und damit der polizeilichen Ordnung verpflichtet ist, können Skater weder eindeutig unter Konsumption noch Produktion subsumiert5 werden und stehen daher mit Rancière für das Ungezählte. »Skateboarding, however, offers no such contribution, consuming the building while not engaging with its productive activity. Consequently, it implicitly denies both that labour should be productive of things and that architecture should be directed toward that purpose« (Borden 2001: 231).

Gerade durch die Schwierigkeit, Skater in Kategorien einzuordnen, ist deren Position die des – immer prekären – atopischen Inter-esses. Skater befinden sich zwischen den Kategorien, sie sind weder nur Jugendliche noch richtige Erwachsene, weder nur Künstler noch Sportler. Sie (er-)fahren den urbanen Raum fundamental anders als andere Teilnehmer, indem sie sich von den sich ihnen bietenden Möglichkeiten leiten lassen, schnell und kreativ auf die Gegebenheiten reagieren und dabei Grenzziehungen oder Verbote übergehen. Hier lassen sich Parallelen zur situationistischen Raumpraxis Dérive aufzeigen. Diese wurde von Guy Debord als eine »technique of rapid passage through varied ambiences« (Debord 1958) entwickelt, ein »playful-constructive behavior« der Stadt gegenüber, in welchem man der Intuition und dem Gefühl für sich bietende Möglichkeiten nachkommt, sich ziellos in der Stadt und durch diese treiben lässt. Sophie Wolfrum beschreibt eine solche Art der Raumaneignung als »performativen Urbanismus«. Es bedarf

4

Engels’ Formulierung »in letzter Instanz« wird häufig von Gramsci und anderen Theoretikern verwendet, um eine relative Unabhängigkeit des Überbaus, also der Kultur starkzumachen, welche ein Eigenleben führen kann und eben nur in letzter Instanz materialistisch geerdet sei (vgl. Engels 1962: 22 ff.).

5

Dass Skateboarding auch als Produktivkraft fungieren kann, soll in Kapitel 13 nachgezeichnet werden.

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ALS

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auf der einen Seite prägnanter Architektur und auf der anderen des Faktors Kontingenz, der sich in »Offenheit, Variabilität im Gebrauch, Verschiebung von Bedeutung, Aneignungsmöglichkeiten, Spielraum, Performance« manifestiert (Wolfrum: 4). Die urbane Praxis Skateboarding kann unter performativem Urbanismus, wie Wolfrum ihn versteht, gefasst werden. In der Auflehnung, dem performativen Übergehen von Platzzuweisungen und Ver- bzw. Geboten sowie im ostentativen Desinteresse gegenüber der Verwertungslogik zeigt sich ein atopisches Moment. Die Bedrohung, welche von Skateboardern ausgeht, nicht im Sinne einer die physische Unversehrtheit angreifenden Gefahr, sondern im Sinne einer mentalen Erschütterung, wird von einigen Arbeitgebern (an-)erkannt und man kann die Vermutung formulieren, dass einige Skateboardverbote nicht wegen Zerstörung oder Ruhestörung ausgesprochen werden, sondern wegen potenzieller Erschütterung des Mindsets der Arbeiter: »According to Derby‫ތ‬s City Centre Manager, the main reasoning for banning skateboards from the town centre, beside restricting (minor) damage to benches, was ›so that councillors wouldn‫ތ‬t have to look out of their windows and see . . . untidy people skating‹« (Borden 2001: 257).

Die Tatsache, dass ein paar ›unordentliche‹, deplatzierte Jugendliche als Bedrohung (nicht nur) für den Stadtrat wahrgenommen werden, bestätigt die hier ausbuchstabierte Analyse der Praxis Skateboarding als potenziell atopische Geste, als performativer Optativ, als Vorführung eines anderen Lebensentwurfs, welcher zumindest in nuce, denk- und lebbar wäre: »As such, skateboarding is a small fragment of that utopian conception of the urban as use, not exchange« (Borden 2001: 239).

4. Gegenplatzierungen: DIY-Spots als Heterotopie

Nachdem das der situationistischen Dérive ähnelnde Umherschweifen der Skateboarder als potenziell atopische Deplatzierung analysiert wurde, soll hier eine andere, raumgebundene Praxis der Skateboarder beleuchtet werden. Es handelt sich um selbsterbaute Skatespots, die in der Regel weder offiziell genehmigt noch professionell erbaut sind. Diese Do-it-yourself-Spots möchte ich mit Foucault als Gegenplatzierung bezeichnen. Sie entstehen an abseits gelegenen Orten, welche dauerhafter okkupiert werden als es beim Umherschweifen der Fall ist. Dabei werden im Gegensatz zu Letzterem Veränderungen vorgenommen. »DIY can be described as a movement within skateboarding which operates outside civic and societal norms. Through the utilisation of skater-constructed spaces, which are ordinarily, an adaptation of existing, but often abandoned, terrain in both urban and rural settings, the modern skateboarder transcends the need to exist within a more conventional environment« (Gilligan).

Der Aneignung und Veränderung von urbanem Terrain steht die Aussage gegenüber, dass Skateboarder die zweite Natur der urbanen Totalität prinzipiell als unveränderbar wahrnehmen:

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»Furthermore, despite its overt physicality, the ›destroy‹ in ›Skate and Destroy‹ is predominantly conceptual, and skateboarding in no way attempts to modify city form in any substantial manner« (Borden 2001: 211).

Skateboarder gewinnen durch ihre Tätigkeit keinen metatheoretischen Einblick in die nur scheinbar naturwüchsige Vergesellschaftung und urbaner Raum wird durch das Eingreifen der Skateboarder nicht »in a substantial manner« (ebd.) verändert. Dennoch bieten DIY-Spots mikropolitische Spieleinsätze, auf welche im Folgenden eingegangen werden soll. Auf lokaler und zeitlich begrenzter Ebene werden Orte angeeignet, also den eigenlogischen Bedürfnissen der Skateboarder angepasst (»an adaption of the existing« (Gilligan)) und ihnen entsprechend umgeformt. Das bekannteste Projekt dieser Art ist der Burnside DIY Park in Portland, Oregon. Dieser wurde ab 1990 erbaut und befindet sich auf dem Parkplatz eines verlassenen Hotels unterhalb der Burnside Bridge (vgl. Borden 2001: 76). Skateboarder und Obdachlose formten den Platz und erschufen eine sich ständig weiterentwickelnde Betonlandschaft (concrete park), welche Skateboarder aus der ganzen Welt inspiriert1 und ihren Niederschlag beispielsweise im erfolgreichen Videospiel »Tony Hawk‫ތ‬s Pro Skater« sowie im Film »Paranoid Park« (Van Sant 2007) gefunden hat. Burnside wird nicht lediglich als Skatespot bezeichnet, sondern als soziales Experiment: »Burnside is the skateboard equivalent of a community squat, a collectivelabour developing facility without private ownership – effectively creating a skatepark as a continual appropriation of urban space with the semicondonement of official institutions« (Borden 2001: 76–77).

1

Der Fotokünstler und Skateboarder Rich Gilligan bezeichnet seinen Besuch in Burnside als Initialzündung für sein sieben Jahre währendes Projekt, Landschaftsaufnahmen von DIY-Spots aufzunehmen: »Mein Buch ist zu 100% von dieser Burnside-Reise vor sieben Jahren inspiriert. Alles rührt von diesem Moment an diesem Ort her, dort fing alles an« (Irvine et al.: 129).

4. G EGENPLATZIERUNGEN : DIY-S POTS ALS H ETEROTOPIE | 53

Der Fokus auf den Burnside Park soll hier lediglich die Potenziale, welche ein solcher Ort birgt, veranschaulichen und nicht kolportieren, dass es sich bei den DIY-Spots lediglich um einige, wie man so sagt, ›Leuchtturmprojekte‹ handeln würde; das Gegenteil ist der Fall: Es hat sich mittlerweile eine lebendige DIY-Szene entwickelt und in zahlreichen Städten entstehen kleine und größere DIY-Spots.

Abb. 4: Erst die Arbeit, dann die Eudaimonie: Hannoveraner Skateboarder des DIY Projekts »2er«.

Das mag auch daran liegen, dass es eine Praxis der Selbstermächtigung darstellt, welche völlig ohne Experten auskommt. Hier liegt kein päda  gogisches Verhältnis zwischen Wissenden und Nichtwissenden vor, sondern eine prinzipielle Gleichheit aller, die an einem solchen Pro jekt mitarbeiten.2

2

Dabei ist anzumerken, dass DIY-Spots auch eine starke Innen-AußenTrennung vornehmen können, welche sich in einer ›Locals-Only-

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Das Wissen um die richtige Betonmischung, die richtigen Kellen oder das richtige Füllmaterial wird in der Szene ausgetauscht und es lassen sich sowohl im Internet als auch in Skateboardmagazinen Tipps und Hinweise finden, wie eine selbstgebaute Rampe bestmöglich und kostengünstig hergestellt werden kann (vgl. Irvine et al. 2012). Charakteristisch für einen DIY-Spot ist, dass dieser sich in einem ständigen Prozess der Veränderung befindet. Nichts ist festgeschrieben, jede Kurve und jede Rampe kann den Bedürfnissen der Skateboarder entsprechend verändert werden, ohne dass Genehmigungen oder, wie in Deutschland, eine TÜV-Abnahme abgewartet werden müssten. Dazu sind DIY-Spots aufgrund ihres illegalen Status in der Regel temporär beAbb. 5: Die Zerstörung »gelebten Raumes« grenzte Projekte, (Belina): Der DIY Spot Steppe Side also immer prekär (2004-2007). und von Zerfall bedroht. Die spezifische Art des Zerfalls lässt sich den beiden Polen der Hegemonie, Zwang und Konsens, zuordnen. DIY Spots stellen eine fortgeschrittene Bemühung dar, der herrschenden Ordnung etwas abzu-

Mentalität‹ niederschlagen kann. Das bedeutet, dass einige der selbstgebauten Spots bewusst geheim gehalten werden oder Fremden der Zugang verwehrt wird, um ein Überlaufen der häufig recht kleinen Spots zu vermeiden und Distinktionsgewinne zu erhalten.

4. G EGENPLATZIERUNGEN : DIY-S POTS ALS H ETEROTOPIE | 55

ringen, und deren Reaktion ist daher in der Regel häufig eine, welche unter Zwang zu subsumieren ist. Die Grundstücke werden geräumt, Bulldozer ebnen die Rampen ein und zerstören den gelebten Raum (Belina) des Rückzugs. Die Konsensseite kann je nach spezifischem Kontext ebenfalls realisiert werden: Hier wird der angeeignete Raum legalisiert, also in die Ordnung aufgenommen, und kann im Urban Governance Kontext als Vorzeigeobjekt eigenverantwortlicher und unternehmerisch denkender junger Menschen fungieren (vgl. Kapitel 8). Dabei wird der Selbstverwaltungsanspruch der Skateboarder aufgegriffen und die Verantwortung für die Anlage auf die Skateboarder übertragen, welche ›ihren‹ Platz selbst verwalten (self policing) und potenziell zum urbanen Ordnungsfaktor werden.3 Wenn die Skateboarder sich Räume schaffen, welche ihren eigenlogischen Bedürfnissen entsprechen und die in Abgrenzung zur gesellschaftlichen Umwelt eigene Werte und Handlungsparameter setzen, dann können diese mit Foucaults Begriff der Heterotopie theoretisch gefasst werden. Dieser definiert Heterotopien wie folgt: »Es gibt gleichfalls – und das wohl in jeder Kultur, in jeder Zivilisation – wirkliche Orte, wirksame Orte, die in die Einrichtung der Gesellschaft hineingezeichnet sind, sozusagen Gegenplazierungen oder Widerlager, tatsächlich realisierte Utopien, in denen die wirklichen Plätze innerhalb der Kultur gleichzeitig repräsentiert, bestritten und gewendet sind, gewissermaßen Orte außerhalb aller Orte, wiewohl sie tatsächlich geortet werden können. Weil diese Orte ganz andere sind als alle Plätze, die sie reflektieren oder von denen sie sprechen, nenne ich sie im Gegensatz zu den Utopien die Heterotopien« (Foucault 1992: 39).

3

Dabei ist die Selbstverwaltung nicht absolut und, in letzter Instanz, den Rahmenbedingungen der polizeilichen Ordnung untergeordnet: Helmpflicht, (TÜV-)Sicherheitsmaßstäbe, Feuer- und Grillverbote sowie Nutzungszeiten sind denkbar.

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Heterotopien sind im Gegensatz zu Utopien konkrete Orte, in denen sich eine Eigenlogik entfalten kann, welche in Widerspruch zu gesamtgesellschaftlichen Normen und Gesetzen steht. Nicht die metaperspektivische Gesamtveränderung ist hier der Fluchtpunkt: Sie setzen an konkreten Orten an und sind mikropolitisch fundiert. Heterotopien »haben […] einen Illusionsraum zu schaffen, der den gesamten Realraum, alle Platzierungen, in die das menschliche Leben gesperrt ist, als noch illusorischer denunziert« (Foucault 1992: 45). Eine Heterotopie kann also im Kleinen durch gelebte Praxis Alternativen aufzeigen, welche die naturwüchsig (er)scheinende Gesellschaft in ihrer Kontingenz sichtbar werden lässt. Es kann sich hier in nuce »die reine Kontingenz aller gesellschaftlichen Ordnung« (Rancière 2002: 28) zeigen. Eine Heterotopie ist eng verwoben mit dem Illusionsraum, also der phantasievollen Antizipation der Potenziale eines Raumes. In diesem Sinne sagt der Skateboarder und Pionier der europäischen DIYBewegung, Pontus Alv: »Das beste daran, seinen eigenen Spot zu bauen, ist der Weg von der Idee zum fertigen Ding. Mir macht das Entwerfen, die Idee und der kreative Teil am meisten Spaß. Das ist die Magie« (Irvine 2012: 106).

Der physischen Aneignung eines Raumes geht bei den DIY-Spots eine mentale, kreative und die hegemoniale Verwertungslogik transzendierende Aneignung voraus. »Wann immer von Heterotopie die Rede ist, haben wir es mit einem Raum der Möglichkeiten zu tun, d.h. mit einem Ort, in dem besondere Kräfteverhältnisse sowie ungewöhnliche Konstellationen der (Gegen-)Macht wirksam sind, die eine außerordentliche Erfahrung ermöglichen« (Chlada 2005: 8, Hervorhebungen im Original).

Dieser Raum der Möglichkeiten kann mit Lefebvres Konzept von Räumen der Repräsentation parallelisiert werden, welche alternative Nutzungspotenziale vorwegnehmen:

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»Spaces of representation are mental inventions (codes, signs, spatial discourses, utopian plans, imaginary landscapes, and even material constructs such as symbolic spaces, particular built environments, paintings, museums, and the like) that imagine new meanings or possibilities for spatial practices« (Lefebvre zit. nach Harvey 1990: 218–219).

In der von Alv hervorgehobenen Komponente des magischen Moments im Entstehungsprozess eines neuen Spots zeigen sich Spuren einer utopistischen Denktradition. So besteht nach Fourier »das Laster des ›zivilisierten‹ Geistes im Gebrauch der Vernunft, ohne das Wunderbare« (Chlada 2005: 32). Dieses in einer zunehmend aus Nicht-Orten (Augé) konstituierten Urbanität zu aktualisieren, ist ein besonderes Moment der Praxis Skateboarding. Ein selbstproduzierter Skateboardund Kunstfilm von Pontus Alv trägt daher nicht zufällig den Titel »In Search for the Miraculous« [meine Hervorhebung, S.S.] (Alv 2010). Die in einem DIY-Spot potenziell und temporär geschaffene Heterotopie kann als Gegenentwurf zu und Wiederaneignung von NichtOrten bezeichnet werden. Ein Nicht-Ort ist ein Ort, »der keine Identität besitzt und sich weder als relational noch als historisch bezeichnen lässt« (Augé 2010: 83). Dieser »schafft keine besondere Identität und keine besondere Relation, sondern Einsamkeit und Ähnlichkeit« (Augé 2010). Nicht-Orte fungieren häufig als Schleusen, um den urbanen Verkehr zu koordinieren, und tilgen jedwede Differenz der Benutzer. Sie sind geschichtslos, laden nicht zum Verweilen ein und bieten reglementierte, kodifizierte Handlungsmöglichkeiten, welche in letzter Instanz der Konsumption und Distribution von Waren und Dienstleistungen, also, mit Adorno, dem Betrieb, dienen. Das Gegenstück zum Nicht-Ort bezeichnet Augé als anthropologischen Ort und diesem sind die DIY-Spots zuzurechnen: »Während die Identität der einen und der anderen den »anthropologischen Ort« ausmachte, über das heimliche Einverständnis der Sprache, die Merkzeichen der Landschaft, die nichtformulierten Regeln der Lebenskunst, erzeugt der

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Nicht-Ort die von den Passagieren, Kunden oder Sonntagsfahrern geteilte Identität« (Augé 2010: 102).

Die DIY-Spots zeichnet gerade eine Offenheit aus, welche in der Betonung der Differenz sowohl der Skater untereinander (jeder hat seinen eigenen Style) als auch der verschiedenen Spots, die niemals gleich sind, ihren Niederschlag findet. Der fortdauernde Prozess, der polizeilichen Ordnung die Nicht-Orte abzuringen und diese (wieder) zu beleben, stellt eine Aktualisierung der emphatisch verstandenen Differenz dar.

Abb. 6: Pontus Alv: FS Ollie Steppe Side.

Marc Augé schreibt von den »nichtformulierten Regeln der Lebens kunst« (ebd.). Dieser Punkt ist erhellend für die Analyse der DIY-Spots als Heterotopie. Die Motivation der beteiligten Skateboarder, welche ihre Freizeit in teilweise äußerst anstrengende Bauarbeiten investieren, ist nicht mit dem Paradigma ökonomischer Verwertbarkeit zu erklären. Im Sinne

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der erwähnten Lebenskunst wird die gemeinsame Arbeit um der Eudämonie willen verrichtet. Es geht um das gute Leben, welches temporär realisiert werden kann und es handelt sich damit um einen eigenlogischen, dem ökonomischen Verwertungsdiktat (zunächst) entzogenen Ort, welcher in nuce eine alternative Form des sozialen Lebens aufscheinen lässt.4 Pontus Alv nennt die DIY-Spots daher auch »Sozial-Skulpturen« (Irvine 2012: 108). An einem DIY Spot bringt sich jeder im Rahmen seiner Möglichkeiten und Vorlieben ein, gemäß des Marx‫ތ‬schen Diktums: »Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen!« (Marx 1962: 21). Hier bildet sich im Kleinen die Idee eines alternativen Verständnisses von Arbeit und Produktion. So kann man an einem DIY-Spot morgens Bauarbeiter, mittags Skateboarder und abends Grillmeister sein.5 Jedoch sind weder die Aktivitäten der Teilnehmer noch die okkupierten Orte freischwebend: Um die Potenziale der Heterotopie richtig zu gewichten, muss die Analyse immer »an ihrem grundlegenden Gegenstand – dem multinationalen Kapitalismus« (Jameson 2008: 145) fest-

4

Die Internetpräsenz des Hannoveraner DIY-Projekts »2er« setzt die Praxis des DIY mit dem Konzept der Commons in Beziehung: »Es müssen neue Modelle des zusammenlebens und wirtschaftens [sic] gefunden werden, in denen der Mensch mit seinen Bedürfnissen und Fähgkeiten [sic] wieder im Mittelpunkt steht. […] Es geht um das Miteinander. Kein gegnerisches Team. Kein Trainer. […] Regeln ja, aber aus der Sache heraus« (Eule 2014).

5

So heißt es bei Marx: »[...] [W]ährend in der kommunistischen Gesellschaft, wo Jeder nicht einen ausschließlichen Kreis der Tätigkeit hat, sondern sich in jedem beliebigen Zweige ausbilden kann, die Gesellschaft die allgemeine Produktion regelt und mir eben dadurch möglich macht, heute dies, morgen jenes zu tun, morgens zu jagen, nachmittags zu fischen, abends Viehzucht zu treiben, nach dem Essen zu kritisieren, wie ich gerade Lust habe, ohne je Jäger, Fischer, Hirt oder Kritiker zu werden« (Marx/ Engels 1969: 33).

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halten: Die Möglichkeiten einer Gegenplatzierung sind immer vermittelt durch Machtverhältnisse und die Freiheit, morgens Baumeister und mittags Skater zu sein, lässt sich nur zeitweilig oder aus einer privilegierten Position heraus aktualisieren, da jeder in den Verwertungsprozess eingebunden und i.d.R. zu Lohnarbeit gezwungen ist. Dennoch darf die lokale Okkupation von (Nicht-)Orten nicht als irrelevant abgetan werden: Die Wiederaneignung von öffentlichem Raum sowie des eigenen Körpers6 ist ein wichtiger Bestandteil jedes emanzipatorischen Projekts. So schreibt Lefebvre: »Any revolutionary ›projekt‹ today, whether utopian or realistic, must, if it is to avoid hopeless banality, make the reappropriation of space, into a nonnegotiable part of its agenda« (Borden 2001: 109).

Die Praxis Skateboarding ist nicht als revolutionäres Projekt zu verstehen. Dennoch kann sie ihren Teil dazu beitragen, die globale Übernahme der Nicht-Orte zu erschweren und somit der neoliberalen Hegemonie etwas abzuringen: »Today, more than ever, the class struggle is inscribed in space. Indeed, it is that struggle alone which prevents abstract space from taking over the whole planet and papering over all differences. Only the class struggle has the capacity to differentiate, to generate differences which are not intrinsic to economic growth […] that is to say, differences which are not either induced by or acceptable to that growth« (Lefebvre zit. nach Harvey 1990: 237).

Der abstrakte Raum7 ist quantifizierter und vermessener Raum, welcher wie Ware gehandelt werden kann. Dabei hat dieser, wie die Ware, zwei Seiten, welche einen Widerspruch in sich bergen: Gebrauchs- und Tauschwert. Die im Gebrauchswert vorhandene Nützlichkeit eines

6

Zur Dialektik der Wiederaneignung des Körpers vgl. Kapitel 9.

7

Im folgenden Abschnitt beziehe ich mich auf Belina 2013, insbesondere Kapitel 4.3.4.

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Dinges ist im Produktionsprozess bloße Nebensache, eine notwendige Materialisierung abstrakter menschlicher Arbeit. Der Preis der Ware abstrahiert von allen anderen, mit der Ware verbundenen Faktoren wie der Produktionsverhältnisse, ökologischer Belastung, Handelswege u.v.m. Diese Realabstraktion findet auch im Umgang mit Raum statt. Von dessen qualitativer Beschaffenheit wird abgesehen und nur der Preis tritt als relevante Größe auf. So hat die Geld- und Warenform nicht nur die Gesellschaftsformation, sondern auch das Raumverständnis geprägt: »Mit der Geldform, so Harvey, setzt sich ein Verständnis von Raum als ›abstrakt, objektiv, homogen und universell in seinen Qualitäten‹ durch und wird dominant« (Belina 2011: 60).

In Anlehnung an den Januskopf der Warenform hat auch der Raum zwei Seiten: Den abstrakten Raum und den lebendigen, konkreten oder – mit Augé – anthropologischen Raum. Beide existieren gleichzeitig, da sich in den Räumen immer auch das konkrete Alltagsleben der Individuen abspielt. Doch zwischen den Anforderungen, welche die den Raum alltäglich nutzenden Individuen an ihn stellen, und dem handelbaren Raum als Ware ergeben sich Diskrepanzen. So stellen beispielsweise ein paar alte Bäume für das Kapital keine relevante Größe dar, da die Kapitalakkumulation als Selbstzweck von qualitativen Besonderheiten absieht.8 Diese Bäume jedoch können im Alltagsleben der Menschen eine besondere Bedeutung haben, von welcher zu abstrahieren sie nicht willens sind. Daher ist der Alltag stets von Widersprüchen geprägt und potenzieller Ausgangspunkt für emanzipatorische Veränderung. In diesem Sinne schreibt Lefebvre, dass nur Klassenkampf den abstrakten Raum daran hindern könne, sich universell zu verbreiten. Der »abstract space« kann hier mit Marc Augés Nicht-Orten paralleli-

8

Bäume können jedoch, je nach Kontext, zu einer für das Kapital relevanten Größe werden, sofern sie zur Wertsteigerung des Raumes beitragen und damit die einzige dem Kapital verständliche Sprache sprechen.

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siert werden. Aus metatheoretischer Warte betrachtet, ist jeder Kampf um den Erhalt oder die Neugründung eines anthropologischen Ortes zunächst und zumeist Teil des gegenhegemonialen Kampfes für eine gebrauchswertgebundene, an den Bedürfnissen der Menschen orientierte Gesellschaftsformation, zu welchem auch Skateboarding gezählt werden kann. Damit aktualisiert der Skateboarder zentrale Themen der Künstlerkritik: »Die Themen der Künstlerkritik sind ebenso grundlegend und nach wie vor aktuell. Sie bieten die besten Aussichten, sich einer Welt wirksam entgegenzustellen, in der alles in kürzester Zeit in eine Handelsware verwandelt werden kann, in der die Menschen unablässig auf die Probe gestellt und einer steten Veränderungsanforderung unterworfen werden und in der ihnen durch diese Art organisierter Unsicherheit das, was die Fortdauer des Ichs garantiert, abhanden kommt« (Boltanski/Chiapello 2006: 575).

Der Ansatz für Emanzipation liegt in der Alltagswelt, in den konkreten und lokalen Erfahrungen, Bedürfnissen und Kämpfen. Hier kann Skateboarding mit den DIY-Spots auf eine Tradition der Selbstermächtigung und Raumaneignung zurückgreifen, welche im Gegensatz zur Dérive längerfristig an lokale Strukturen gebunden ist und diese nachhaltig verändert. Damit erfüllt Skateboarding als Künstlerkritik die von Boltanksi/Chiapello vorgebrachten Anforderungen. Diese beziehen sich zwar zunächst auf die Arbeitswelt, können aber hier in einem umfassenderen Sinn gedeutet werden, i.e. als Kampf um den anthropologischen Ort, welcher sowohl den Ausgangspunkt als auch den Ort der Auseinandersetzung bezeichnet: »Dazu [die Arbeitswelt erneut zu revolutionieren, S.S.] müsste sich die Kritik aber wieder in den lokalen Strukturen verankern können, aus denen sie nach und nach vertrieben wurde. Nur was Teil der konkrete Lebenserfahrung ist, ist einem vertraut, und nur auf der Grundlage einer solchen neuerlichen Verwurzelung im Alltagsleben wird die Kritik wieder pragmatisch und folglich auch effizient werden« (Boltanski/Chiapello 2006: 572).

4. G EGENPLATZIERUNGEN : DIY-S POTS ALS H ETEROTOPIE | 63

Skateboarding ist zunächst eine hochflexible Praxis der Raumaneignung in der flüchtigen Moderne. Die Bedingung für emanzipatorische Handlungsfähigkeit liegt jedoch nicht darin, einen Grad der totalen Flexibilisierung zu erreichen, dies wäre die vollendete Atopie (und der Kapitalakkumulation durchaus förderlich), sondern vielmehr darin, Ausgangs- und Orientierungspunkte für Veränderung zu schaffen. Das Paradigma der totalen Mobilität kann aus emanzipatorischer Warte nur zurückgewiesen werden: »Selbstverständlich kann die Künstlerkritik dieser Aufgabe nur unter der Bedingung gerecht werden, dass sie das Band durchtrennt, das bisher Emanzipation und Mobilität miteinander verknüpft« (Boltanski/Chiapello 2006: 575).

Die Tatsache, dass Skateboarding äußerst mobil ist und in weiten Teilen den Einstellungskriterien postfordistischer Provenienz entspricht, macht es anfällig für die Akkulturation. In den »Sozial-Skulpturen« der DIY-Spots, den etwaigen Allianzen mit Anwohnern und Obdachlosen9 und der Wiederbelebung von abstrakten Nicht-Orten unter eigenlogischen, (zunächst) nicht der Kapitalakkumulation verpflichteten Parametern, liegt ein weiterer politischer Spieleinsatz des Skateboardings. Die verwandten Mittel (Arbeitszeit, Material, Planung) dienen hier keinem ›ichfremden Soll‹, sondern sie »erfüllen ihren Zweck in der Subsistenz eines guten Lebens oder des Lebens überhaupt und erliegen darin dem Gesetz ihrer Endlichkeit« (Rancière 2002: 118). Es wird kein Surplus-Kapital generiert und die Aufwendungen erschöpfen sich in der Nutzung, i.e. dem Gebrauchswert.10 Nicht die Profitrate, sondern

9

Obwohl Skateboarder, auch wenn sie sich subjektiv als Verbündete oder Freunde der Obdachlosen wahrnehmen, funktionalistisch zu deren Verdrängung beitragen können und dies teilweise im öffentlichen Diskurs positiv hervorgehoben wird vgl. (Howell 2005; 2008).

10 Wobei ein origineller, selbsterbauter und womöglich geheimer DIY Spot skateboardinterne Distinktionsgewinne ermöglicht, welche verwertbar sein können. Auch die erworbenen Fähigkeiten können ökonomisch nutzbar

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die temporäre Verwirklichung einer Eudämonie, die Bedürfnisbefriedigung als Selbstzweck ist hier der handlungsleitende Parameter.

gemacht werden. So haben sich beispielsweise Skateboarder, welche am Hannoveraner DIY-Projekt »2er« mitgewirkt haben, mit Yamato Living Ramps selbstständig gemacht (vgl. Kapitel 8).

5. Skateboarder, Postmoderne und Raum-Zeit-Verdichtung »Es ist nicht nur eine technologische Entwicklung, sondern eine tiefgreifende Mutation des Kapitalismus« (Deleuze 1990).

Wenn Skateboarding und gesamtgesellschaftliche Entwicklungen zueinander in Beziehung gesetzt werden sollen, ist es aufschlussreich, dass Skateboarding als »aesthetic practice[s]« (Bäckström 2007: 154) charakterisiert wird, da der Übergang von der Moderne zur Postmoderne auch als Übergang von Ethik zur Ästhetik bezeichnet wird. Harvey betont, dass historisch nach jeder Überakkumulationskrise (s.u.) eine Ästhetisierung stattgefunden habe. So beschreibt dieser die Veränderungen in der Postmoderne wie folgt: »The experience of time and space has changed, the confidence in the association between scientific and moral judgements has collapsed, aesthetics has triumphed over ethics as a prime focus of social and intellectual concern, images dominate narratives, ephemerality and fragmentation take precedence over eternal truths and unified politics, and explanations have shifted from the realm of material and political-economic groundings towards a consideration of autonomous cultural and political practices« (Harvey 1990: 328).

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Vor diesem Hintergrund ist die Parallele zur Skateboardkultur frappierend, wenn Borden schreibt: »Skateboarding is an aesthetic rather than ethical practice, using the ›formants‹ at its disposal to create an alternative reality« (Borden 2001: 218).

Somit können Skateboarder sowohl aufgrund ihrer »ästhetischen Praxis« als auch aufgrund ihrer Geschwindigkeit, Anpassungsfähigkeit und Offenheit als ein geschichtsphilosophisch adäquater Ausdruck der durch die Überakkumulationskrise der 1970er Jahre beschleunigten postmodernen Welt gedeutet werden. In diesem Sinne schreibt Deleuze: »Der Mensch der Disziplinierung war ein diskontinuierlicher Produzent von Energie, während der Mensch der Kontrolle eher wellenhaft ist, in einem kontinuierlichen Strahl, in einer Umlaufbahn. Überall hat das Surfen schon die alten Sportarten abgelöst« (Deleuze 1990).

Harvey diagnostiziert, dass nach jeder Überakkumulationskrise eine sogenannte »time-space-compression« (Harvey 1990: 260 ff.) stattfinde, dass also das Verwertungsregime die Kapitalumschlagszeiten verringern muss, um nach wie vor Surplus-Kapital generieren zu können: »The resultant transformation in the experience of space and place is matched by revolutions in the time dimension, as capitalists strive to reduce the turnover time of their capital to the ›twinkling of an eye‹« (Harvey 1990: 106–107).

Zu einer Überakkumulationskrise kommt es, wenn die Profitrate sinkt und Neuinvestitionen nicht mehr profitgenerierend getätigt werden können. Im Zuge der Krise kommt es zur Zerstörung von Kapital, zu Investitionen in noch nicht von der Marktlogik erschlossene Sphären sowie zur Intensivierung (Kompression) von Kapitalumschlagszeiten. In Marx‫ތ‬schen Termini gesprochen liegt der Handlungsspielraum des Kapitals (hauptsächlich) in der Erhöhung des relativen Mehrwerts, also

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der fortwährenden technischen Innovation und Intensivierung des Arbeitsprozesses sowie einer weiterreichenden reellen Subsumption der Arbeiter unter das Verwertungsregime: Deren Qualifikationen (und notwendig auch die psychischen Dispositionen) werden dem Wertschöpfungsprozess angeglichen. Harvey legt so eine materialistische Deutung der Beschleunigung der Welt vor, welche durch Krisen des kapitalistischen Akkumulationsregimes und eine notwendig darauf folgende Expansion des Kapitals in neue Sphären vorangetrieben wird. Er erklärt die Verdichtung der Produktionsprozesse, dessen Symptome Boltanski/Chiapello ebenfalls analysieren: »In allen Epochen verdichten sich die kapitalistischen Produktionsformen gedanklich und ideell, indem sie Konzepte und Instrumente mobilisieren, die ursprünglich weitgehend unabhängig davon in der Theorie oder in dem Bereich der wissenschaftlichen Grundlagenforschung – gegenwärtig Neurologie und Informatik – erprobt wurden« (Boltanski/Chiapello 2006: 148).

Durch diese Krisen sucht das Kapital neue, noch nicht erschlossene oder noch nicht voll effizient genutzte Möglichkeiten, gewinnbringend angelegt zu werden. Bildungsexpansion, Frauenerwerbstätigkeit und der Zugriff auf neue, noch nicht kapitalisierte Ressourcen, welche Habermas der Lebenswelt zurechnen würde, werden so verständlich. Hier erklärt sich der Zugriff des Kapitals auf vormals widerständige Subkulturen künstlerkritischer Provenienz: Neue Optionen mussten und müssen fortwährend für das Kapital geschaffen werden, gleichzeitig konnte der »Kapitalismus« seine effektivste Waffe gegen seine Kritiker einsetzen: Endogenisierung qua Kommodifizierung. »Parallel dazu [zur Konsumentenkompetenz, S.S.] wurden Güter, die bisher außerhalb der Marktsphäre gewesen waren und gerade deswegen als authentisch galten, der Marktgesellschaft einverleibt: Der Kapitalismus drang nunmehr in Bereiche vor (Tourismus, Kulturaktivitäten, Personendienstleistungen, Freizeitgestaltung usw.), die bis dahin im Großen und Ganzen am Rande der Marktzirkulation verblieben waren« (Boltanski/Chiapello 2006: 477).

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Die Widerstandskulturen waren gute Anlagemöglichkeiten,1 da sie ein »Authentizitätsreservoir« (Boltanski/Chiapello) für den Kapitalismus bereitstellen konnten (das (noch) nicht kapitalisierte Andere, vgl. Dörre 2012). Gleichzeitig fungierte die (Künstler-)Kritik als Innovationsfaktor und ihr wurde entsprochen. Wo Boltanski/Chiapello »die Hypothese aufstellen, dass die kapitalistischen Verschiebungen im Wesentlichen auf den Emanzipationsforderungen aufbauen [...]« (Boltanski/Chiapello 2006: 543), betont Harvey strukturbetonter die Krise als materialistische Grundlage der notwendigen Veränderungen des kapitalistischen Verwertungsregimes. Beide Faktoren stehen in einer Wechselwirkung, welche die Erschließung (noch) nicht kapitalisierter Refugien begünstigte bzw. unumgänglich gemacht hat. »In diesem Sinne lässt sich der Prozess, mit dem Nichtkapital in Kapital umgewandelt wird und der einen der Hauptantriebskräfte des Kapitalismus darstellt, durch die Ökonomisierung des Authentischen auf einer neuen Grundlage befördern und der drohenden Krise der Massenkonsumtion begegnen, die sich in den 70 Jahren abzeichnet« (Boltanski/Chiapello 2006: 479).

Mit dieser Transformation geht ein neues, verdichtetes Raum-ZeitErleben einher sowie eine neue Selbstwahrnehmung (›Ich-AG‹, ›Entrepreneurialism‹) einher, an welche sich die Menschen erst anpassen müssen. Etwas überzeichnet könnte man konstatieren, dass es einer anthropologischen Mutation2 bedürfe, um die Gegebenheiten der Postmoderne meistern zu können:

1

Freilich nicht die einzigen: Nach der Überakkumulationskriese von 1970 lässt sich das rasante Wachsen des Finanzmarktes beobachten, begünstigt durch die Auflösung des Breton Woods Abkommens und der dadurch möglichen Spekulation auf Währungsschwankungen.

2

Das Meistern neuer, gigantischer Aufgaben qua anthropologischer Mutation ist ein Topos, welches man häufig bei Ernst Jünger findet (vgl. Jünger 1982): Die neuen Raum-Zeit-Bedingungen kann erst ein neuer Menschen-

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»›We do not yet possess the perceptual equipment to match this new kind of hyperspace,‹ he [Fredric Jameson, S.S.] writes, ›in part because our perceptual habits were formed in that older kind of space I have called the space of high modernism‹« (Harvey 1990: 201).

Es lässt sich die Vermutung formulieren, dass Skateboarder diese Veränderungen schneller als andere internalisieren: »The Skateboarder‫ތ‬s highly integrated sense of balance, speed, hearing, sight, touch and responsivity is a product of the modern metropolis, a newly evolved sensory and cognitive mapping; the aim is not only to receive the city but to return to itself, to change the nature of the experience of the urban realm« (Borden 2001: 202).

Skateboarder sind an eine beschleunigte Raum-Zeit-Erfahrung angepasst, wobei sich diese, mit den gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen nahezu deckungsgleich, auch skateboardintern beschleunigt hat:3 »Significantly, this spatiality and temporality is different to that of 1970s found terrains; whereas the latter colonized a specific place for a weekend or afternoon, and so mimicked the idea of ownership, urban street skating is more ephemeral, taking over a number of sites for shorter periods, often just a few minutes or seconds« (Borden 2001: 242).

schlag meistern, nach Jünger der Typus Arbeiter. Soweit geht meine Interpretation der Skateboarder hingegen nicht. 3

Diese Überlegungen sind ausdrücklich auf westliche Industrienationen bezogen, hauptsächlich auf Nordamerika, Europa und Australien. Der Übergang in die Postmoderne ist nicht als abrupter und auf der ganzen Welt synchroner Prozess zu verstehen.

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5.1 M ATERIELLE B EDINGUNG

DER ANPASSUNG AN DIE TIME SPACE COMPRESSION

Die materielle Entwicklung als Grundlage des modernen Streetskatens hat Borden in seinem Grundlagewerk (Borden 2001) ausführlich dargestellt. Im Rahmen der Fragestellung ist es von Bedeutung festzuhalten, dass eine Expansion der Möglichkeiten des Skateboardings, zum einen durch materielle Innovationen, zum anderen durch neue (Körper–)Techniken und deren dialektischem Wechselspiel ermöglicht wurde. Nicht zu überschätzen ist der von Alan Gelfand in der Halfpipe entwickelte Ollie, welcher von Rodneys Mullen auf die Straße übertragen wurde. Hierbei handelt es sich um die Fähigkeit, durch Druck auf das hintere Ende des Skateboards und gleichzeitiges Ziehen des vorderen Fußes vom Boden abzuheben, ohne die Hände dafür zu benötigen. Für die urbane Raumaneignung stellte diese Technik eine enorme Möglichkeitserweiterung dar: Der Skater kann nun bei hoher Geschwindigkeit auf Trottoirs springen, Hindernisse überwinden und Geländer grinden oder sliden.4

5.2 N ÄHER DRAN : S KATEBOARDER ALS E RBEN DES F LANEURS ODER M ASSE UND E LITE Wenn man das Phänomen Skateboarding als Praxis urbaner Aneignung kulturwissenschaftlich einordnet, kommt man neben der Dérive zu der Figur des Flaneurs. Dessen umherschweifend-beobachtend-kontemplative Raumpraxis hat auf den ersten Blick nicht viel mit derjenigen der Skateboarder gemein. Diese machen sich nicht die Mühe, eine Chronik über das Stadtleben zu schreiben (sehr wohl aber über ihre eigenen

4

Grinden bedeutet, dass die Achsen des Skateboards über einen Geländer oder eine Kante rutschen, sliden bedeutet, dass dies mit dem Board vollzogen wird.

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Spots), und für sie gibt es auch nicht »sechsundsiebzig Physiologien«,5 sondern zunächst zwei: Skater und Nicht-Skater.6 Der Flaneur stellt aufgrund der Raum-Zeit-Verdichtung keine adäquate Haltung in der flüchtigen Moderne dar, die schnelleren Skateboarder hingegen können sich den veränderten, beschleunigten Gegebenheiten anpassen.7 Dennoch gibt es einige bemerkenswerte Parallelen. Interessant ist vor allem die Aktualisierung einer Dichotomie zwischen Masse und Elite, welche Skateboarder und Flaneur verbindet. Hier formuliert sich die kulturelle Semantik, dass bestimmte Geisteshaltungen einen privilegierten Zugang zur Welt hätten. Diese soll im Weiteren dargestellt werden. Zunächst ist das Revier sowohl des Skaters als auch des Flaneurs der urbane Raum, da »jedes moderne Leben [...] ein Stadtleben« (Bauman 1997: 205) ist. In dieser Hinsicht sind Skater und Flaneur gleichermaßen abhängig von den Errungenschaften des Kapitalismus, i.e. der Produktivkraftentwicklung. Die Bedingung der klassischen Flanerie war die durch die industrielle Revolution möglich gewordene, mit Gaslampen ausgestattete Passage. Skateboarder profitieren von Finanzdistrikten, Shopping Malls, Monumenten, Industriegebieten und natürlich konkret von der Skateboardindustrie selbst. Vermittelt durch diesen technischen Fortschritt kann sich das herausbilden, was Rudolf Bahro »überschüssiges Bewusstsein« (Bahro 1979: 321) nennt. Es ist »die freie, nicht mehr vom Kampf um die Existenzmittel absorbierte psychische Kapazität [...]« (Bahro 1979: 321).

5

Vgl. Benjamin 1969: 35.

6

Innerhalb der Skateboardszene gab und gibt es zahlreiche, in der Regel augenzwinkernde, Versuche einer Unterteilung in Typen; vgl. »Style-Guide« (Fiehl 1999) sowie »7 People you will encounter at any Skatepark« (Lee 2013).

7

In einer Diskussion wurde aufgrund dessen vorgeschlagen, den Skater als Hyper-Flaneur zu charakterisieren, die Analogien für eine solche Bezeichnung reichen jedoch nicht aus.

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In einer dialektischen Bewegung wird der Mensch bei wachsender Produktivkraftentwicklung immer umfassender in den Produktionsprozess eingewoben, gleichzeitig erweitern sich dessen Entfaltungsmöglichkeiten: »Die unausgeschöpften Möglichkeiten der menschlichen Natur, die ihrerseits mit dem Kulturfortschritt wachsen, sind der innerste Stoff aller Utopie, ein sehr realer, durchaus nicht immaterieller Stoff übrigens. Sie zwingen zu dem Wunsch, das Leben umzugestalten« (Bahro 1979: 323).

Nach Bahro ergeben sich im überschüssigen Bewusstsein zwei mögliche Interessensschwerpunkte, zunächst die kompensatorischen Interessen, welche sich, da »die Gesellschaft die Entfaltung, Entwicklung und Bestätigung zahlreicher Menschen frühzeitig beschränkt und blockiert« (Bahro 1979: 322), mit »Ersatzbefriedigungen« (ebd.) abspeisen lassen. Diese können unter Konsumismus und Machtstreben zusammengefasst werden. Den anderen Pol bilden die emanzipatorischen Interessen: »Die emanzipatorischen Interessen hingegen richten sich auf das Wachstum,

die Differenzierung und die Selbstverwirklichung der Persönlichkeit in allen Dimensionen menschlicher Aktivität. Sie verlangen vor allem die potentiell allumfassende Aneignung der in anderen Individuen, in Gegenständen, Verhaltensweisen, Beziehungen objektivierten menschlichen Wesenskräfte, ihre Verwandlung in Subjektivität, in einen Besitz nicht der juristischen Person, sondern der geistigen und sittlichen Individualität, der seinerseits nach produktiver Umsetzung drängt« (Bahro 1979: 322).

Diese oft formulierte Dichotomie8 rekurriert auf eines der von Jameson angesprochenen, eigentlich ›modernen‹, Tiefenmodelle, namentlich dasjenige der Existenzialisten zwischen authentisch und nicht-authen-

8

Die wohl bekannteste Formulierung, »Sein oder Haben«, stammt von Erich Fromm (Fromm 2005).

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tisch, respektive eigentlich und uneigentlich9 oder, mit Debord, zwischen spectacle und (›echtem‹) Leben. Letztlich könnte man den Dualismus als denjenigen zwischen Elite und Masse kennzeichnen. Die Annahme einer Dichotomie zwischen authentisch (realness) und unecht (fake) ist ein problematisches Konstrukt, welches jedoch häufig Niederschlag in den (Selbst-)Beschreibungen der Skateboarder findet. Es manifestiert sich zunächst in der oben erwähnten Unterscheidung zwischen Skater versus Nicht-Skater. Dabei wird, ganz in der Nachfol-

9

Heidegger wird vorgeworfen, durch seine Philosophie den Unterschied zwischen Masse und Elite zu behandeln, und seine Terminologie wird häufig in diesem Sinne verwendet. Belege dafür lassen sich in Sein und Zeit jedoch nicht finden, konzediert Heidegger doch, dass sowohl das Man als auch die Eigentlichkeit Existenziale jedes Seienden sind: Erst aus dem Man heraus kann sich das Sein qua existenzieller Modifikation ent-bergen und eigentlich werden und: Es fällt immer wieder in das für die Existenz notwendige Man zurück. Anders ausgedrückt, braucht jedes Seiende seine alltäglichen Routinen und kann aus diesen in eine eigentliche Seinsart gelangen. Demnach gibt es kein reines, echtes, also immer eigentlich Seiendes und ein essenzialistischer Authentizitäts- oder Elitenbegriff lässt sich mit Heidegger nicht festmachen. Mit der angesprochenen Dichotomie werden hier lediglich kulturell wirkungsvolle Semantiken referiert. Es ist also nicht eine Geschichte des Verfalls einer ursprünglichen Reinheit oder Authentizität in die Verderbnis und Einebnung des Man: »Die Verfallenheit des Daseins darf daher auch nicht als »Fall« aus einem reineren und höheren »Urstand« aufgefaßt werden« (Heidegger 1979: 176). Es ist umgekehrt: Zunächst und zumeist sind wir im Man und unser Möglichsein ist verschüttet und aus diesem Man heraus können wir unser eigentliches Selbstsein, i.e. Möglichsein, ent-bergen. Es ist, wenn man so möchte, die Vertreibung aus dem Paradies unter umgekehrten Vorzeichen oder frei nach Hölderlins »Patmos«: Nah ist und schwer zu fassen das Sein. Wo aber das Man ist, wächst Das Eigentliche auch…

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ge des Flaneurs,10 angenommen, dass Skateboarder durch ihre Aktivität einen privilegierten Zugang zur Realität hätten. Skateboarding wird hier als eine Insel der Authentizität in einer sonst unechten, synthetischen, nicht zugänglichen, verwalteten Welt (Adorno) erfahren: »There are only a few routes to authentic happiness left that haven‫ތ‬t been turned into theme parks for the brain dead, or criminalized out of existence. Thankfully, skateboarding is one of those alternative routes to fulfilment« (Bowman zit. nach Borden 2001: 241).

So beschreibt eine Karikatur im Magazin »Skateboard!« ein steriles Bürogebäude mit »lifeless internal escalators« (Borden 2001: 218), während draußen die Skateboarder ihrer Leidenschaft frönen. Hier artikuliert sich eine vitalistisch-operaistische Kritik an der als langweilig empfundenen, kommodifizierten urbanen Alltäglichkeit. Dabei wird eine klare Grenze zwischen dem unauthentischen, leblosen Innen des Gebäudes und der energisch sich verausgabenden Lebenskraft außer-

10 Auch der Flaneur schien, obwohl er sich in der Mitte der Masse aufhielt, von ihr abgekoppelt zu sein und eine eigentlichere Existenz führen zu können als der Rest. So benötigt das lyrische Ich in Edgar Allen Poes paradigmatischer Schrift »Der Mann der Menge« (Poe 1922) keinen Regenschirm, als alle anderen ihre aufklappen; er scheint über den Dingen zu stehen. Aus dieser Warte könnte man den Titel mit Heideggers Terminologie auch als »Das Man der Menge« übersetzen: »Dieser Witterungswechsel hatte auf die Menge eine große Wirkung: ein wildes Hasten setzte ein, und eine Welt von Regenschirmen wogte darüber hin. Das Drängen, das Stoßen und das Summen verstärkte sich um das Zehnfache. Ich für mein Teil machte mir nicht viel aus dem Regen – obgleich das noch nicht ganz überstandene Fieber in mir der feuchten Kühle gar zu bedenklich entgegenlechzte« (Poe 1922).

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halb desselben aufgemacht.11 Zur Dichotomie zwischen Skater und Nicht-Skater: »This [›right now I just care about skating‹ (Steve Rocco)] is expressed in skateboarding as a continual undercurrent, but which is also frequently expressed overtly, as in advertisements offering binary opposition choices such as ›Skate or be Stupid‹ or between skating or a boring job as a wage slave, ending ›Fuck work before it fucks you‹« (Borden 2001: 165).

Als ein weiteres Argument für die Authentizität der Skater wird deren privilegierter Zugang zum urbanen Raum, also die Aneignung desselben qua Skateboarding, stark gemacht. Diese bleibt anderen Personengruppen, etwa dem Touristen oder dem anzugtragendem Beamten, verwehrt: »Being a skateboarder means that you have some kind of enhanced experience of life. You don‫ތ‬t just walk through space, without learning anything about it, or without having a kind of relationship with where you are – through the medium of a skateboard . . . you can actually inter-act with the world around you. This is something rare in this synthetic world of plastic and concrete« (Sidewalk Surfer zit. nach Borden 2001: 200).

Neben der Selbstwahrnehmung als echt in einer artifiziellen und oberflächlichen Welt war Skateboarding immer auch eine Praxis der Abgrenzung gegenüber gesellschaftlichen Anpassungsimperativen, was auch die Popularität bei Adoleszenten (mit)erklärt. »Skating past all the business-suit lames that slog gloomily down the sidewalk, barely lifting their feet like they‫ތ‬re kicking shit with every step« (Brian Casey (1987) zit. nach Borden 2001: 196).

11 Diese Haltung entspricht in weiten Teilen der Künstlerkritik am unauthentischen, langweiligen und die Selbstverwirklichung hemmenden Fordismus.

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Demgemäß wären Skateboarder in der Terminologie Bahros der Seite der emanzipatorischen, auf Selbstentfaltung und Kreativität ausgelegten Interessen zuzuschlagen, wogegen die »business-suit lames« nur kompensatorischen Interessen nachgehen würden. Die Selbstbeschreibungen der Skateboarder haben abgesehen von der Aktualisierung des Dualismus von Authentizität und NichtAuthentizität einen wissenschaftlich relevanten Kern, was den Zugang zur urbanen Totalität betrifft.12 Da Architektur sich dadurch auszeichnet, »dass sie nicht nur mit den Augen, sondern mit allen Sinnen und erst in der Bewegung vollständig wahrgenommen werden kann« (Wolfrum: 3), erklärt sich, weshalb beispielsweise der ›tourist gaze‹ gegenüber der urbanen Praxis Skateboarding notwendig einen eingeschränkten13 Zugang hat. In diesem Sinne schreibt Wolfrum, dass Architektur sich »in der Wirklichkeit erst in einem kulturellen Ereignis – in einer Situation des Gebrauchs« (Wolfrum: 3) entfalte. »It is then the intersection of the moving body and the physicality of architecture which are important in skateboarding; unlike the scopic-dependence of the tourist gaze, user and architecture come together to create a new spatial event, an occupied territory. Architecture is at once erased and reborn in the phenomenal act of the skater‫ތ‬s move« (Borden 2001: 107–108).

Das Skateboard kann hier also verstanden werden als ein welterschließendes Zuhandenes, mit welchem der gesamte urbane Raum unter andern Vorzeichen betrachtet und ent-deckt wird. Mit Heidegger: »Das schärfste Nur-noch-hinsehen auf das so und so beschaffene »Aussehen« von Dingen vermag Zuhandenes nicht zu entdecken. Der nur »theoretisch« hin-

12 Ist diese Dichotomie auch problematisch, so ist sie doch konkret wirksam; vgl. Kapitel 9, 12. 13 Natürlich kann urbane Totalität nie in Gänze wahrgenommen werden, dennoch gibt es ein Kontinuum der Aneignungspotenzen auf welchem sich der Tourist auf der einen und der Skateboarder auf der anderen Seite befinden.

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sehende Blick auf Dinge entbehrt des Verstehens von Zuhandenheit. [...] Der Umgang mit Zeug unterstellt sich der Verweisungsmannigfaltigkeit des »Umzu«. Die Sicht eines solchen Sichfügens ist die Umsicht« (Heidegger 1979: 69).

Durch das Zuhandene (hier: das Skateboard) ent-faltet sich der urbane Raum als (skateboardrelevante) Verweisungsmannigfaltigkeit und wird unter diesen Vorzeichen ent-deckt und angeeignet.

6. Skateplaza

Im Weiteren sollen die den Skateboardern innerhalb der polizeilichen Ordnung zugewiesenen Plätze analysiert werden. Dabei geht es um Platzzuweisungs-›Strategien‹1 der polizeilichen Ordnung, welche im Sinne der Hegemonietheorie auf den Konsens der Skateboarder angewiesen sind, jedoch gleichzeitig die Option der Zwangsanwendung offen lassen. Ein aufschlussreiches Phänomen der Platzzuweisung und des Hegemoniekampfes um die Definition dessen, was (Street-)Skateboarding sei, stellen die weit verbreiteten Skateplazas dar. Ein Skateplaza ist ein für Skateboarder geschaffener Platz, welcher sich dadurch auszeichnet, dass echte Elemente aus dem urbanen Raum verbaut werden, wohingegen ein Skatepark in der Regel mit Rampen ohne intendierte Ähnlichkeit zu urbanen Elementen auskommt. Ein Plaza lässt sich auf den ersten Blick nicht zwingend als ein für Skateboarder eingerichteter Platz erkennen, da echte Bänke, Stufen, Geländer, Marmorblöcke und Hydranten verwendet werden, um echtes Streetskateboarding zu simulieren. Nicht selten werden dabei weltbekannte Elemente zitiert, beispielsweise ein besonderes Stufenset mit spezifischen Geländern, wel-

1

Der Terminus Strategie ist hier nicht akteurzentriert zu verstehen, sondern eher als emergentes Phänomen.

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ches von Skateboardern sofort erkannt wird. So verlautet die Pressemitteilung der Stadt Köln zum neuerbauten Plaza ›Kap 686‹ folgendes: »Mit Pier 7 und Parallel Manual Pads, China Banks, Curbs, Low 2 Highs und den berühmten Beer Banks aus Barcelona locken zahlreiche Attraktionen auch für die Könnerinnen und Könner unter Euch« (Stadt Köln b).

›Pier 7‹ bezeichnet kleine Blöcke, welche sich am Hafen San Franciscos befinden und mit Skatestoppern versehen wurden, die sogenannten ›China Banks‹ befinden sich ebenfalls in San Francisco vor dem chinesischen Kulturzentrum und genießen aufgrund der Schwierigkeit, sie zu skaten sowie der Gefahr, des Platzes verwiesen zu werden, einen hohen Bekanntheitsgrad. Die Zitation dieser teilweise zerstörten Spots kann als Hommage und artifizielle Wiederbelebung verstanden werden und ist ein genuin postmodernes Phänomen. In dieser Hinsicht ist der Skateplaza ein Novum in der Skateboardgeschichte und hat weitreichende Implikationen. Zwar wurden Skateparks und Halfpipes schon seit den 1970ern gebaut (s.o.), doch unterscheidet sich der Plaza als eklektisches Straßensimulacrum von diesen. Er stellt die aktuelle Entwicklung der speziell für Skateboarder gebauten Umwelt dar. Die in den 1970ern erbauten Skateparks standen noch im Zeichen der planerischen, statischen Moderne der Großprojekte; dies änderte sich in den 1980er und 1990er Jahren hin zu kleineren, flexibleren Skateparks: »Taking their cue from this kind of thinking, skateparks [...] have also concentrated on constantly adding to and modifying the various elements on offer, creating, in contrast to the largely static and monumental concrete forms of the 1970 skateparks, an ever-changing and more low-key skate environment« (Borden 2001: 87).

Diese Entwicklung mündet nun in den eklektisch verschiedene Elemente und deren Material zitierenden Plaza. Damit ist der Skateplaza Teil der postmodernen Entwicklungstendenz hin zu immer weiteren Simulacra und Zitationen, welche nach Harvey die ›wirkliche‹ Geo-

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graphie verdecken und sich durch reine Oberfläche ohne Tiefe auszeichnet: »The masking [to draw a veil over real geography] arises not only out of the postmodernist penchant for eclectic quotation but also out of an evident fascination with surfaces« (Harvey 1990: 88).

Diese Entwicklung in der Skateboardkultur spiegelt die gesamtgesellschaftlichen Vorstellungen und Tendenzen und bildet skateboardintern den Übergang von der Moderne in die Postmoderne ab. Der Plaza ist jedoch mehr als eine Innovation der für Skateboarder gedachten Freizeitanlagen: Dahinter steht der Versuch einer Neudefinition dessen, was als Streetskateboarding bezeichnet werden soll. An diesem Deutungskampf ist die 2003 gegründete Rob Dyrdek Foundation maßgeblich beteiligt. Diese hat es sich zum Ziel gesetzt, das Konzept des Skateplazas zu bewerben und in Zusammenarbeit mit Gemeinden und Sponsoren an der Verwirklichung von Plazas zu arbeiten. Der erste Skateplaza wurde 2005 in Ohio in Kettering mit der Unterstützung der Schuhfirma DC sowie des Skateboarders und Unternehmers Rob Dyrdek und dessen Rob Dyrdek Foundation erbaut. Obschon ein Plaza ein Streetsimulacrum darstellt, wird das Skaten auf einem solchen als echtes Streetskaten deklariert. So heißt es in dem Selbstverständnis der Rob Dyrdek Foundation: »Our hope is to encourage construction of legal street skating areas, be that through large urban skate plazas or single skate spots« (Rob Dyrdek Foundation).

Weiter schreibt Rob Dyrdek selbst: »The future of skateboarding relies on having places to do it. There is a simple solution. Build real street parks« (ebd.). Diese neue Verwendung der Bezeichnung ›street‹ lässt sich nur schwer mit anderen Definitionen, beispielsweise Streetskaten sei Zweckentfremdung, vereinen. Die in einem Plaza verbauten Elemente

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sind, obschon im strengen Sinne echt, nicht mehr zweckentfremdet. Es stellt sich die Frage, weshalb so viel Wert darauf gelegt wird, künstlich erbaute Plazas als echtes Streetskateboarding zu bezeichnen. Mit Rancière möchte ich dies als Platzierungsbemühung verstehen. Wenn die Skateboarder diese neue Definition übernehmen, werden sie sich künftig zunächst und zumeist an den für sie vorgesehenen Plazas (= Plätzen) einfinden und das freiwillig, ohne äußeren Zwang. Dass dies ein Ziel der Neudefinition ist, lässt sich auch im Selbstverständnis der Rob Dyrdek Foundation belegen. Dort heißt es, dass das Manko der klassischen Skateparks im Vergleich zu den modernen Plazas sei, dass Erstere es nicht vermögen, die Skateboarder von den Straßen zu holen: »Recreational skateparks, which include street courses, mini-ramps, and bowls, will always be a part of skateboarding, but they will never play a part in keeping skaters off the streets of their communities« [meine Hervorhebung, S.S.] (Rob Dyrdek Foundation).

Hier zeigt sich deutlich, dass die Einrichtung von Plazas die Einhegung von Skateboardern zum Ziel hat und damit hilft, das Streetskating, welches zu retten sie vorgibt, zu unterbinden. Die beste Methode, die Skateboarder von den Straßen der Gemeinden zu holen, wäre demnach die Errichtung von Skateplazas. Die Praxis, diese anstelle von Skateparks zu errichten, ist mittlerweile hegemonial geworden. Ein erhellendes Beispiel dafür, welchen Anteil ein Plaza dabei haben kann, Skater von den Straßen, i.e. aus dem öffentlichen Raum, zu verbannen, liefert in diesem Zusammenhang der Skateplaza in Köln. Hier sei noch einmal an den oben erwähnten Hegemoniebegriff nach Gramsci erinnert. Zunächst und zumeist wird auf den Konsens der Regierten gebaut, doch wo von diesem abgewichen wird, zeigt sich die Repression. Beide sind funktional äquivalent bei der Herstellung der polizeilichen Ordnung. In Köln wurden die Skateboarder des Roncalliplatzes, der sogenannten Domplatte, verwiesen, auf welcher sie über zwei Jahrzehnte lang Skateboard gefahren sind. Begründet wurde dieses Verbot damit, dass Skater durch Lautstärke stören und andere Menschen durch

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ihre Praxis (v)erschrecken würden. Nach Protesten der Skateboarder wurde in Zusammenarbeit mit dem neu gegründeten Skateboardverein Dom Skateboarding e.V. der Kölner Skateplaza ›Kap 686‹ errichtet, was (auch) als Kompensation für das Skateboardverbot auf der Domplatte interpretiert werden kann. Der neue Plaza wurde von den Skatern sehr gut angenommen, wie Stadtdirektor Guido Kahlen zu berichten weiß. Nicht aufgrund der Repression, welche Skateboardern nun am Roncalliplatz drohe, sondern weil der neue Plaza »als Skater-Paradies empfunden wird« (Stadt Köln a). So gibt sich die Stadt Köln als Vertreterin der polizeilichen Ordnung zunächst versöhnlich, preist das Entgegenkommen und den vermeintlichen Kompromiss: »Für Skaterinnen und Skater beginnt in Köln eine neue Ära. Mit dem Kap 686 am Rheinauhafen gibt es jetzt einen Platz, der ausschließlich für das Streetskating [meine Hervorhebung, S.S.] zur Verfügung steht« (Stadt Köln b).

Die Definitionsverschiebung dessen, was Streetskating sei, wird von der Stadt Köln in ihrer Kommunikation mit den Skateboardern übernommen; der neugebaute Plaza sei also als Street-Spot zu verstehen und soll so als vollwertiges Domplatten-Substitut akzeptiert werden. Gleichzeitig werden die Vorteile der anderen Seite aufgezählt: »Nach vielen Jahren auf der Domplatte ist die Zeit für einen Wechsel gekommen. Auf der neuen Skate Plaza gibt es keine Konflikte mit Passantinnen und Passanten, die sich durch das schnelle Fahren in ihrer Nähe verunsichert fühlen. Außerdem werden die Gottesdienste im Dom nicht mehr durch die Geräuschkulisse gestört. Und auch die Anwohnerinnen und Anwohner am Roncalliplatz begrüßen das Projekt. Mit dem Kap686 habt ihr nun eine hervorragende Alternative« (ebd.).

Interessant ist nun im Sinne der Hegemonietheorie, dass die Stadt Köln sich nicht nur auf den Konsens verlassen kann, sondern dass hinter dem Kompromiss die polizeiliche Ordnung mit den Zwangsmitteln ihrer Durchsetzung steht. So lautet der letzte Satz der Mitteilung wie

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folgt: »Skaterinnen und Skatern auf der Domplatte drohen jetzt Verwarnungsgelder« (ebd.). Dieser Satz kann als eine Art Fazit gelesen werden, er markiert das eigentliche Ziel der Bemühungen; i.e. die Platzzuweisung der Skateboarder an einem für sie vorgesehenen Ort. Der zitierte Satz ist ein Link. Über diesen gelangt man zu einer weiteren Pressemitteilung, auf welcher die Maßnahmen erläutert werden, welche nun, da es ja einen neuen Platz gibt, legitimerweise gegen sich auf dem Roncalliplatz aufhaltende Skateboarder ergriffen werden. So müssen diese damit rechnen, »dass ein schriftliches Verwarnungsgeldverfahren gegen sie eingeleitet wird« (Stadt Köln c). Bei Wiederholungstätern werde u.U. das Board konfisziert, darüber hinaus werde in »jedem Fall [...]ein Platzverweis ausgesprochen [meine Hervorhebung, S.S.]« (ebd.). Gleichzeitig ist es jedoch erlaubt, den Platz mit dem Skateboard zu überqueren, lediglich ein längerer Aufenthalt wird untersagt: »Denn diese Fahrten – es sei denn, mit dem Board soll lediglich der Platz überquert werden – stellen eine nicht erlaubte Sondernutzung dar« (Stadt Köln c).

Hier zeigt sich, dass der Betrieb nicht in seinem Ablauf gestört werden soll. Der longboardfahrende Bankangestellte darf auf dem Weg zur Arbeit noch über den Roncalliplatz rollen. Eine Raumnutzung in eigenem Recht wird als Sondernutzung bezeichnet ist nun unter (Androhung von) Strafe verboten. Der abstrakte Raum sieht keine Sondernutzungen und keine Besonderheiten vor, solange sie nicht in letzter Instanz in die Kapitallogik übersetzbar sind. Die Kölner Skateboarder haben Widerstand gegen ihre Verdrängung geleistet mit dem Auskommen, dass die Stadt Köln ihnen unter Anderem oben genannte Alternative zur Verfügung gestellt hat. Mit Rancière ließe sich zunächst argumentieren, dass die Skateboarder einen politischen Subjektivierungsprozess durchlaufen hätten: Sie haben sich eine Bühne geschaffen (Domplatte), forderten ihr Recht auf öffentlichen Raum und wurden als sprechende Wesen anerkannt, in-

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dem Sie sich organisierten und in Verhandlungen mit der Stadt Köln traten: »Sie machten also etwas für ihre Szene völlig untypisches: Sie gründeten einen Verein, der innerhalb kurzer Zeit über 500 Mitglieder hatte. Damit hatte die Stadt nun einen Ansprechpartner, um in dem Konflikt zu vermitteln, mit dem man auch über Alternativen sprechen konnte [...]« (Bruns 2011).

Dennoch sind die Bemühungen der Skateboarder nicht als erfolgreiche politische Intervention im Sinne Rancières zu bezeichnen: Anstatt die bestehende polizeiliche Ordnung zu kontestieren und umzuschreiben, ließ man sich auf einen Sonderplatz am Rhein verweisen. Der Vorgang lässt sich daher nicht politisch nennen, sondern steht im Zeichen der Akkulturation; die polizeiliche Ordnung kodifiziert das Verhalten der Skateboarder, nicht andersherum. Obwohl der Skateboardverein Dom Skateboarding e.V. zunächst für das Recht der Skateboarder auf die Domplatte (und damit implizit auf öffentlichen Raum) gekämpft hatte, wurde er letztlich, funktional betrachtet, zu einer wichtigen Legitimationsgrundlage der Stadt Köln. Diese konnte sich nun einer engen Zusammenarbeit mit den Skateboardern rühmen und deren polizeiliche Verdrängung trat in den Hintergrund. Dies hat mit den Machtverhältnissen zu tun, dennoch stellt sich die Frage, ob es eine erfolgreiche politische Intervention am Domplatz hätte geben können und wie sich diese hätte konstituieren müssen. In Köln hat die Zusammenarbeit zwischen Skateboardern und der Stadt zu einer lebendigen SkateplazaSzene geführt, welche im Kapitel Urban Governance dargestellt wird. Wie ein kompromissloser (Hegemonie-)Kampf um das Recht auf Teilnahme im urbanen Raum aussehen kann, soll im Folgenden anhand der Londoner ›Long Love Southbank‹ Kampagne gezeigt werden.

7. Long Live Southbank

Dieses Kapitel zeichnet den Konflikt nach, welcher sich zwischen den Londoner Skateboardern und dem Southbank Kunst- und Kulturcenter entzündete. Dabei geht es um die Zukunft einer Fläche unterhalb des ›Festival Wing‹, welche seit rund vierzig Jahren von Skateboardern genutzt wird und ›Southbank Undercroft‹ genannt wird. Im März 2013 gab das Southbank Center eine Neustrukturierung bekannt, welche durch Budgeteinschnitte und Kürzungen staatlicher Subvention notwendig sei und die Installation kommerzieller Einheiten unabdingbar mache. Die von den Skateboardern genutzte Fläche sollte im Sinne dieser Pläne dem Einzelhandel weichen. Der Undercroft war ein unbelebter (Nicht-)Ort, bis er von Subkulturen und Randgruppen angeeignet wurde: »The undercroft was meant to be a public space but most visitors stayed away from the partly subterranean area, which became frequented by the homeless in the 1970s. It has since become a centre for graffiti artists, skateboarders and freestyle cyclists« (Urquhart 2014).

Die überdachte Fläche stellte eine Art »no man‫ތ‬s land« (Martin 2014) dar, wie sich der einheimische Skateboarder Lev Tanju in einem Interview erinnert. Weil sich die Architektur gut zum skateboarden eignete und ein überdachter Treffpunkt im regnerischen London für die Skate-

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boardkultur elementar war, entwickelte sich eine lebendige Szene, welche heute als Geburtsort des britischen Skateboardings bezeichnet wird: »However, the Undercroft is a treasured space, known as the birthplace of British skateboarding and has been home to skateboarders, BMX riders and graffiti artists for the last 40 years. This makes the Southbank undercroft the oldest recognised and still existing skateboarding space in the world« (LLSB).

Um diesen zu erhalten, gründet sich die Initiative ›Long Live Southbank‹ (Im Weiteren: LLSB), welche auf die Besonderheiten der Fläche aufmerksam macht und kompromisslos einen Erhalt derselben fordert. So heißt es in der Selbstdarstellung: »Our campaign, Long Live Southbank, is dedicated to protecting the Undercroft in its current form. We believe its cultural and historical status to be irreplaceable and that its unique architecture and the vitality of the thriving community should be present for future generations« (LLSB).

Es wird die konkrete, qualitative Bedeutung dieser Fläche für die lokale subkulturelle Gemeinschaft der Skateboarder, Graffiti-Künstler und anderer Nutzer hingewiesen. Auf den durch die LLSB Kampagne ausgeübten Druck reagierte das Southbank Center mit dem Angebot, den Skateboardern eine Alternative zu schaffen: »Southbank proposed to create a purpose-built park under Hungerford Bridge 120 metres away from the original« (Urquhart 2014).

Hier geraten die konkreten Interessen der in der Southbank angesiedelten Subkulturen mit dem »abstract Space« (Lefebvre) der Kapitallogik in Widerspruch. Diese sieht von den Besonderheiten eines Raumes ab, die einzig relevante Größe ist die Profitrate. Aus dieser Warte betrachtet, ist die Weigerung der Skateboarder, den 120 Meter entfernten neuen Skatepark zu nutzen, völlig irrational, da die Raumkonzeption, wel-

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che sich mit der Geldform durchsetzt, »deprived of intrinsic differentiations« (Stanek 2007: 72) ist. Aus Perspektive der Subkulturen wird dagegen die Stadtentwicklung in London als fortschreitende Homogenisierung kritisiert: »Camden Market looks like Oxford Street, Oxford Street looks like Croydon and Croydon looks like Milton Keynes. How can Boris Johnson [Bürgermeister von London, S.S.] boast of London being the world‫ތ‬s greatest city when he seems complicit in selling off every piece of its authentic character to the highest bidder?« (Martin 2014).

Die LLSB Kampagne hat einen wirksamen und intelligenten Hegemoniekampf darum geführt, wer sich legitimerweise an der Southbank aufhalten und entfalten darf und kompromisslos die Perspektive vertreten, dass Skateboarder und die anderen an der Southbank Undercroft angesiedelten Subkulturen legitime Teil-nehmer sind. Die Kampagne dauert weiter an und kämpft für ein Raumverständnis, welches die qualitativen Besonderheiten eines Ortes würdigt und sich gegen die Homogenisierung analog zur Geldform formiert. Implizit geht es in der Argumentation um die fundamentalere Frage nach dem Recht auf Stadt und wer Anspruch auf dieses Recht hat. Die LLSB Kampagne hat dazu geführt, dass die Pläne des Southbank Centers als »the most unpopular in UK history« (LLSB) gelten. Es wird sowohl online als auch vor Ort an der Southbank Undercroft aktiv für die Interessen der angesiedelten Subkulturen geworben. Jeden Tag stehen Freiwillige an Tischen vor der Undercroft und sammeln Mitgliedschaften und »Objections«, also Einsprüche, gegen das Bauvorhaben und geben Auskunft über die Bedeutung des Platzes. Dadurch haben sie einen hohen Mobilisierungsgrad erreichen können und wussten sich der bürokratischen Möglichkeiten, den Umbau zu verhindern, zu bedienen.

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»In January 2014, Long Live Southbank collected and delivered to Lambeth Town Hall over 30,000 individual objections to the ›Festival Wing‹ proposals« (LLSB).

Die Übergabe der Einsprüche war eine medienwirksames Event, bei welchem die zahlreichen mit Einspruchsdokumenten gefüllten Boxen zunächst an der Southbank als Hindernisse zum Skaten genutzt wurden, um sie dann auf Skateboards durch die Stadt zum Rathaus zu transportieren.

Abb. 7: Skatende und… Durch die Skatesession an der Southbank Undercroft wurde in ostentativer Performanz das vorweggenommen, was durch die Aktionen erst ins Recht gesetzt werden soll: Die legitime Teil-nahme am öffentlichen Leben, sowohl in der Southbank Undercroft als auch im urbanen Raum, was durch den Skateboard-›marsch‹ durch die Innenstadt symbolisiert wurde. Hierbei präsentierten die Skateboarder Transparente der LLSB Kampagne und kommunizierten ihr Anliegen durch Megaphone. Somit haben wir es mit einer politischen Subjektivierung im

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Sinne Rancières zu tun: Skateboarder waren weder die mit Boards klappernden Outlaws noch die gefeierten Megastars aus dem Fernsehen, sondern schafften sich eine Bühne und traten als sprechende Tiere mit legitimen Anliegen auf. Damit traten sie aus den ihnen gesellschaftlich zugewiesenen und zugeschriebenen Identitäten heraus.

Abb. 8: …sprechende Tiere: Skateboarder an der Southbank und bei der Übergabe von 30.000 Widersprüchen. Der (Hegemonie-)Kampf der LLSB Kampagne wurde inklusiv geführt und mit größeren Zusammenhängen verknüpft. So wird der Undercroft als Fanal sowohl gegen die homogenisierte Stadt als auch die Sachzwangargumentation in Stellung gebracht: »One of the abiding slogans of the campaign has been »Politically Active Young People«. Linking the actions of young skaters hell-bent on preserving their cultural inheritance to other wider social issues is a very shrewd move. It rightly situates the campaign within the debate about the last vestiges of public space in the city« (Beynon 2014).

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Die Subkulturen der Southbank stehen demnach mit ihrem Kampf Pate für diejenigen, welche von Gentrifizierung, Restrukturierung und Austeritätspolitik be- und getroffen sind, anders ausgedrückt: Für die Verlierer der Neoliberalisierung. Hier könnte einwendet werden, dass die Partikularinteressen der Skateboarder und Graffiti-Künstler lediglich als Allgemeininteressen deklariert werden und genau das tat Jude Kelly, die Kunstdirektorin des Southbank Centers. Sie zählte die vielen kostenlosen Kunst- und Kulturprojekte auf, welche das Southbank Centre anbietet und kolportierte daraufhin, dass diese inklusiven Projekte durch die Borniertheit der Skateboarder in Gefahr gerieten. Die Finanzierung der Projekte soll aufgrund von Kürzungen in den öffentlichen Ausgaben schließlich dadurch gewährleistet werden, dass die Flussseite, also diejenige, welche auch von den Skateboardern genutzt wird, kommerzialisiert wird. Kelly hält die Skateboarder dazu an, das große Ganze zu sehen und einzulenken: »Southbank skateboarders must see the big picture« (Kelly 2013). Nimmt man Jude Kelly beim Wort und betrachtet den Konflikt metaperspektivisch, so könnte man trotz des teilweise mit Haken und Ösen geführten Hegemoniekampfes konstatieren, dass sowohl den Subkulturen der Southbank Undercroft als auch dem Southbank Center ein gemeinsamer Feind gegenüber steht. Letztlich ist es die neoliberale Entwicklung, welche Kürzungen öffentlicher Ausgaben, Privatisierung öffentlicher Plätze und Zurichtung von urbanen Raum nach kapitallogischen Maßgaben vorantreibt. So besehen haben die Skateboarder das »big picture« wesentlich besser im Blick als Jude Kelly, welche lediglich als Vollstrecker naturwüchsig scheinender Sachzwänge auftritt. So lautet der letzte Satz in der Selbstdarstellung von LLSB: »Join the Long Live Southbank campaign, support culture over commerce and community over capital« (LLSB). Die LLSB Kampagne hat einige Erfolge erringen können. So ist die Southbank Undercroft als »Asset of Community Value« eingetragen

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und streitet vor Gericht dafür, »Village Green Status«1 zu erhalten. Dieser könnte den Erhalt der Fläche sichern. Desweiteren hat der Londoner Bürgermeister verkündet, dass er den Erhalt der Southbank Undercroft wünscht. Das stellt einen wichtigen Etappensieg dar, da der Bürgermeister die Planungen genehmigen muss: »Southbank Centre’s Board will withhold its planning application for the Festival Wing, following Mayor Boris Johnson’s statement (15 January 2014) that the skate park should be retained in its current position in any redevelopment. [...] The Mayor has the final say in the planning process and the scheme is therefore unlikely to gain planning permission without the retention of the skate park« (Festivalwing London 2014).

Interessant ist die Begründung des Bürgermeisters für seine zunächst überraschende Unterstützung der LLSB Kampagne. Er betont, dass die Southbank das »epicentre of UK skateboarding« (BBC London 2014a) sei und scheint damit das selbstverständliche Anrecht auf öffentlichen Raum anzuerkennen. Damit haben die Skateboarder im Sinne Ranciéres eine politische Handlung und Einschreibung vollzogen, indem sie der polizeilichen Ordnung gegenüber ihr Recht auf Teil-nahme jenseits ökonomischer Nutzungsimperative in eigenem Recht stark gemacht haben. Das zumindest ist die eine Seite der Medaille. In seiner Begründung führt Johnson aus, dass das Skateboarding »part of the cultural fabric of London« (BBC London 2014a) sei. Und weiter: »It attracts tourists from across the world and undoubtedly adds to the vibrancy of the area – it helps to make London the great city it is« (BBC London 2014a).

1

»We have been successful in securing the Undercroft’s listing as an Asset of Community Value by Lambeth Council, recognising the importance of the space to the local community. In addition, we have launched an application to protect the Undercroft as a ›Village Green‹ under the Commons Act 2006. This would ensure the legal protection of the space as a recognised area of cultural heritage and communal importance. While Lambeth initially declared the application ›invalid‹, we are in the process of challenging the decision« (LLSB About, vgl. auch BBC London 2014b).

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Hier tritt London als Konkurrentin anderer Weltstädte auf und sucht sich durch »kulturelle Branding-Strategien« (Mayer 2013: 159) zu positionieren. Dabei sind diese Bemühungen »nach wie vor allesamt primär darauf ausgerichtet, den städtischen Raum für (uneingeschränktes) Wachstum zu mobilisieren« (ebd.). Die Einschätzung Johnsons, was die funktionale Rolle der Subkulturen angeht, scheint korrekt zu sein: Die Flächenproduktivität, i.e. der Umsatz pro m2, beträgt südlich der Themse 20 000$ (CNN 2014): »South of River Thames [is] viewed as the hippest spot in town« (ebd.). Das letzte Wort im Kampf um den Erhalt der Southbank Undercroft ist noch nicht gesprochen, jedoch ist ein Erfolg der LLSB Kampagne durch die erwähnte Unterstützung des Bürgermeisters denkbar. Die LLSB Kampagne widmet sich ihrem Namen entsprechend ausschließlich dem Erhalt der Southbank Undercroft. Sollte sie Erfolg haben, sind weitere Mobilisierungen oder Kampagnen, welche beispielsweise das Recht auf Stadt jenseits der Southbank thematisieren, nicht zu erwarten, wenngleich nicht ausgeschlossen. In dieser Hinsicht ist der Kampf um den Erhalt der Southbank nur den Interessen der Nutzer verpflichtet und hat als Teil eines gegenhegemonialen Projektes seine Einsätze insofern verspielt, als keine weiterführende Mobilisierung stattfindet. Betrachtet man hingegen die Zusammensetzung der beteiligten Akteure, so setzen sich diese aus »BMXers, poets, musicians, inliners, scooters, graffiti artists, street artists, photographers, videographers, fashion designers and free thinkers« (Louis W. 2014) zusammen. Bei diesen handelt es sich um den prekarisierten Teil der kreativen Klasse (Florida).2 Es sind die Künstler, welche nach Peter Marcuses Konzeption die Vermittlung zwischen den Unterprivilegierten (deprived) und den Unzufriedenen (discontented) sein können. Diese beiden Pole der Kritik finden sich bei Boltanski/Chiapello als Sozial- und Künstlerkritik.

2

Zum Konzept der ›Kreativen Klasse‹ und dessen Problematisierung vgl. Kapitel 8.

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»But then most artists, as citizens, also have a particular class identity – not the creative class of Florida’s technicians or hedge fund managers, but rather at the opposite end of the class hierarchy: struggling to make ends meet, fighting exploitation of their talents for purposes of profit, constantly defending their freedom from stultifying social restraints. They have experience, as citizens, of misunderstanding, of discrimination, of intolerance of difference; they can join with others facing discrimination to expand diversity and openness to difference. And they can join with others who are similarly positioned on a wide variety of critical social issues played out in the city« (Marcuse 2011).

Der Künstler kann demnach nicht nur qua Kunst die Möglichkeit einer Alternative offenhalten, er kann auch als Bürger mit speziellen Kompetenzen (s)einen Beitrag zur Stadtentwicklung leisten, welche nach Marcuse die Entwicklung zur creative city sein sollte: »The second way that artists can contribute to achieving a creative city is as citizens. Artists are, after all, citizens also, inherently if not always sufficiently legally. As citizens with a special competence they can teach, or volunteer. Exploring the role, the quality, the location, the forms, of graffiti – the artistic use of public space and surfaces, perhaps? Serving on design review boards. Testifying at public hearings on matters of architectural quality« (Marcuse 2011).

Skateboarder halten die verschütteten Möglichkeiten eines künstlerischen Alltags offen (atopische Versetzung) und formulieren so in ihrer Performanz einen Optativ. Dazu haben sie häufig (mediale) Kompetenzen, welche sie in den Dienst gegenhegemonialer Mobilisierung stellen können.3 Auch »matters of architectual quality« (ebd.) könnten

3

Dazu zählen vor allem, aber nicht nur: Videoproduktion, Fotographie sowie Mediendesign. Für viele Skateboarder ist die Aufzeichnung ihrer Tricks normaler Bestandteil einer Skatesession und dies kann (auch) als Echo des hegemonialen Verwertungsparadigmas verstanden werden. Der Sprecher der LLSB Kampagne Henry Edwards-Wood ist beispielsweise

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von diesen diskutiert werden. In dieser Hinsicht formuliert Beynon emphatisch: »This is a battle for more democracy in public planning and LLSB feel that the voice of young people is not being taken seriously« (Beynon 2014). Ob jedoch Allianzen jenseits der LLSB Kampagne bestehen bleiben, ist offen. Das Beispiel zeigt jedoch, dass zivilgesellschaftliche Mobilisierungen – jenseits etablierter Formen wie Gewerkschaft, Partei oder Verein – Druck ausüben können und dass es möglich ist, die Hegemonie des marktwirtschaftlichen Verwertungsparadigmas in konkreten Kämpfen erfolgreich zu kontestieren. Verschiedene Akteure konnten sich über den konkreten Kampf um den Erhalt der Southbank Undercroft vernetzen und wurden zu einem politisch ernstzunehmenden Faktor. Die so erworbenen Erfahrungen könnten sich auch in anderen Kontexten und Konflikten als fruchtbar erweisen. Der etwaige Erfolg im Kampf um den Erhalt der Undercroft könnte einen Aha-Effekt haben, in welchem die Handlungs- und Selbstermächtigungsmöglichkeiten von den beteiligten Akteuren realisiert werden und zu weiteren selbst-bewussten Einschreibungen führen könnten.

Filmer und hat im Rahmen der Kampagne Aufklärungsfilme über die Kulturen der Southbank Undercroft produziert.

8. Stadtplanerische Einbeziehung; Urban Governance

8.1 M ETAPERSPEKTIVISCHE E INORDNUNG Die stadtplanerische Einbeziehung von Skateboardern soll im Weiteren mit dem Konzept der Urban Governance analysiert werden: Dieses beschreibt »politische Steuerung unter Mitwirkung zivilgesellschaftlicher Akteure« (Mayntz 2004) und geht dabei von formaler Gleichrangigkeit aller an einem Projekt beteiligten Akteure aus.1 Dadurch entstehen neue Konstellationen, welche als »trilaterale Kooperationen« (Einig et.al. 2005: 4) zwischen Staat, Privatwirtschaft und Zivilgesellschaft einen »intermediären Raum« (Selle nach Einig et.al. 2005: 3) aufspannen.

1

Machtrelationen und Interessenskonflikte verschwinden nicht einfach, weil alle an einem Tisch sitzen. Daher sollte diese Perspektive nicht zu einem postmodernen (Macht-)Relativismus (ver)führen. Es sind Konstellationen denkbar, in welchen trilaterale Kooperationen gleichberechtigt an einem Projekt arbeiten, jedoch nur, solange eine win-win-win-situation in Aussicht steht. Dementsprechend eignet sich das Konzept der Urban Governance in den hier behandelten Beispielen zur Bearbeitung (und Verdeckung) weicher Interessenskonflikte.

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Die Inaugurierung einer zunehmend unternehmerischen Paradigmen verpflichteten Stadtplanung ist komplementär zum Neoliberalismus als ›meta-frame‹, welcher seit den 1970 Jahren hegemonial wurde (Harvey 1989: 4 ff.). Urban Governance stellt den Übergang von einer Anspruchshaltung auf staatliche Leistungen hin zu unternehmerischen Beziehungen, die vertraglich geregelt sind und Teile der Verantwortung von staatlicher Seite auf die Zivilgesellschaft verlagert (vgl. Howell 2005). Dem Übergang von der Kontroll- in die Disziplinargesellschaft (Deleuze) entspricht die Einbeziehung des eigenverantwortlichen und selbstdisziplinierten Subjekts in Prozesse der Urban Governance so, dass »sich Steuerungssubjekt und Steuerungsobjekt nicht mehr eindeutig unterscheiden [lassen], weil die Regelungsadressaten selber am Entwerfen der Regeln und ihrer Durchsetzung mitwirken« (Mayntz 2004). Das Konzept der Urban Governance kann hier aus metaperspektivischer Warte als Modus der Erschließung und Abschöpfung (noch) nicht kapitalisierter Potenziale und Delegation staatlicher Kompetenzen betrachtet werden. Dabei wird die intrinsische Motivation und das überschüssige Bewusstsein (Bahro) der beteiligten Akteure, ebenso wie die Bereitschaft zu ehrenamtlicher Mitarbeit in den Verwertungszusammenhang eingespeist und so der Rückzug sozialstaatlicher Leistungen kompensiert. Vor diesem theoretischen Hintergrund soll im Weiteren die Integration der Skateboarder in städtebauliche Projekte beleuchtet werden. Das Beispiel wird die Stadt Köln stellen, da diese mit der Verdrängung der Skateboarder vom Roncalliplatz und deren gleichzeitiger Einbindung in Bauprojekte relevante Aspekte der Urban Governance plastisch abzubilden vermag. Hier ist zunächst festzuhalten, dass die individuelle Motivation der an den Projekten beteiligten Akteure mikroperspektivisch betrachtet u.U. erheblich andere sind, als die funktionalistischen Effekte der realisierten Projekte. Allen gemeinsam ist, dass sie sich in einem durch den Neoliberalismus scheinbar naturwüchsig festgelegten Rahmen bewegen. Mit Howell:

8. S TADTPLANERISCHE E INBEZIEHUNG ; U RBAN G OVERNANCE | 99

»Whatever an individual park manager or city council member might believe about the proper roles of citizen and state, the NPM (New Public Management, S.S.) reforms have been sufficiently pervasive to have created a neoliberal governance context in which all urban managers must operate» (Howell 2008: 477).

Howell argumentiert weiter, dass Neoliberalismus als »Ethos« (ebd.) verstanden werden muss, welches ihm eine Art »atmospheric authority« (ebd.: 481) verleihe. Der Alltagsverstand sei, so Howell, heute ein selbstverständlich neoliberaler, anders ausgedrückt hat sich eine neoliberale Hegemonie etabliert. In seinem Aufsatz referiert Howell den Paradigmenwechsel von der ›Spielplatz-Ära‹, in welcher Kooperation, Loyalität und Einigkeit, also fordistisch-tayloristische Tugenden, gefördert werden sollte hin zu einer neuen, neoliberalen Stadtplanung, welche in Nordamerika als New Public Management (NPM) bezeichnet wird. Diese ist selbst unternehmerisch und fördert unternehmerische und eigenverantwortliche Lebensentwürfe. Howell bezieht diese Entwicklung auf Skateboarding, welches sich nun großer Beliebtheit und Förderung durch Stadtväter erfreut, solange es sich auf den Parks und Plazas abspielt. Dabei ist diese Förderung an bestimmte (neoliberale) Bedingungen geknüpft, welche im Zeichen unternehmerischen Selbstmanagements stehen: »I will show, however, that these investments have only been made on certain neoliberal terms–in exchange for a park, skateboarders are typically required to secure private funding, supervise and police themselves, maintain order in surrounding neighborhoods, and more. In that sense, skateparks can be thought of as instruments of selective »reskilling,« attempts by urban managers and other public officials to cultivate a bundle of personal qualities–flexibility, ownership, personal responsibility, self-sufficiency, and so on–that are required by neoliberal social, civic, and economic relations« (Howell 2008: 480).

Die Installation von Skateparks/-plazas im Kontext der Urban Governance versteht Howell als Honorierung neoliberaler Eigenschaften und

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Fertigkeiten. Dabei bezieht er sich auf den nordamerikanischen Raum, das Konzept der Urban Governance und die Einbeziehung der Skateboarder lässt sich jedoch auch auf Deutschland übertragen.

8.2 E INBEZIEHUNG DER S KATEBOARDER IN K ÖLN In Köln wurde den Skateboardern neben dem ›Kap 686‹ der Lentpark, eine brachliegende Hockeyfläche, zur Verfügung gestellt, um dort einen Skatepark ihren konkreten Bedürfnissen gemäß zu realisieren. Dieser wurde am 19.10.2013 offiziell eröffnet und stellt ein interessantes Beispiel einer genehmigten Raumaneignung im Urban Governance Kontext dar. Hier hat sich eine »trilaterale Kooperation« (Einig et.al. 2005: 4) realisiert. Beteiligte Akteure waren die Stadt Köln, welche 45 000 Euro beisteuerte, die Zivilgesellschaft in Form des Skateboardvereins Domplatte e.V. sowie die Firma Yamato Living Ramps, welche das Know-How stellte und die bis zu dreißig ehrenamtlichen Helfer des Skateboardvereins anleitete. Die unternehmerische Komponente fehlt nicht und so wurden weitere 10 000 Euro »über einen Sponsor, einen Wettbewerb der Stadtsparkasse und über den Verein selbst finanziert« (Diepenbruck 2013). Yamato Living Ramps haben es sich zum Ziel gesetzt, nachhaltig attraktive Skateanlagen zu schaffen, welche nicht durch Verschleiß nach einigen Jahren unbenutzbar sind. Sie versprechen, »dieser unwirtschaftlichen Bauweise endlich das Handwerk zu legen« (Yamato Living Ramps). Yamato Living Ramps sind aus dem großen Hannoveraner DIY Projekt namens ›2er‹ hervorgegangen und haben sich professionalisiert. Durch ihre Erfahrung haben sie einen Skatepark installiert, welcher den konkreten Bedürfnissen der Skateboarder entspricht und eine Bereicherung für die Kölner Skateboardszene darstellt. Dabei wurden große Teile der Verantwortung auf die Skateboarder übertragen: »Skaters »own« their parks because they are responsible for a significant portion of the funding, whereas playgrounds were funded almost exclusively with

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public moneys. Skaters own their parks because they manage, police, design, and even build those parks« (Howell 2008: 491).

Man könnte die Realisierung des Projektes als Win-Win-Win-Situation beschreiben. Den Skateboardern wurde kein Baukasten-Skatepark vorgesetzt, sondern ein moderner und attraktiver Park. Die Jungunternehmer von Yamato Living Ramps haben einen Auftrag erhalten und die Stadt Köln hat an Reputation gewonnen. Zum einen, weil eine fruchtbare Zusammenarbeit mit jungen Menschen wichtig für die Positionierung im inter-urbanen Wettbewerb ist und die Einbeziehung von Kunst und (Sub-)Kultur eine »can do culture« (s.u.) erzeugt, welche ein gutes Klima für Kapitalanlagen schaffen soll. Dazu kann es helfen, vernachlässigte Areale aufzuwerten; in einigen Gebieten, beispielsweise Portland, werden die sekundären Effekte eines Skatepark sogar als potenzieller Gentrifizierungsfaktor identifiziert (Howell 2008: 485). In diesem Sinne schreibt Howell: »[…] urban managers across the country are adding skateparks to their toolkit for the revitalization of poor and former industrial areas« (Howell 2008: 485).

So kann die Belebung des 20 Jahre brachliegenden Lentparks die Gegend aufwerten und dies wird zunächst auch positiv von den Anwohnern wahrgenommen:2 »Und die Anwohner? Die finden es klasse. Es sei endlich mal wieder etwas los, an diesem toten Punkt« (Diepenbruck 2013).

Inwiefern Skateboarder als Gentrifizierungsfaktor fungieren können, soll im Folgenden dargestellt werden.

2

Sekundäre Effekte können erst deutlich später sichtbar werden.

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8.3 G ENTRIFIZIERUNG Dadurch, dass in den 1970er Jahren die Ehe zwischen Kapital und Arbeit (Bauman) geschieden wurde, entwickelte sich eine neue finanzkapitalistische Dynamik, welche durch den Fokus auf die kürzeste Umschlagszeit des Kapitals und die Durchsetzung des shareholder values weitreichende Konsequenzen zeitigte (vgl. auch time-spacecompression). Diese Entwicklungen führten zur (notwendigen) Erschließung neuer Kapitalanlagemöglichkeiten. Dazu Sharon Zukin: »But the changes in the use of downtown space that result from corporate investment really illustrate capital expansion. In our time, capital expansion has no new territory left to explore, so it redevelops, or internally redifferentiates, urban space. Just as the frontier thesis in US history legitimized an economic push through »uncivilized« lands, so the urban frontier thesis legitimizes the corporate reclamation of the inner city from racial ghettos and marginal business uses« (Zukin 1987: 141).

Mit Klaus Dörre kann man die Expansion des Kapitals als kapitalistische Landnahme bezeichnen: »Kapitalismus kann sich, so die Basisannahme des Konzepts, nicht entwickeln, ohne fortwährend neues »Land« in Besitz zu nehmen und soziale Akteure zu eigensinnigem, gleichwohl auf längere Sicht systemkompatiblem Handeln zu motivieren und zu aktivieren« (Dörre 2012).

Hier manifestiert sich der Widerspruch des Kapitalismus, immer auf das (noch) nicht kapitalisierte Andere angewiesen zu sein, welches gleichzeitig fortwährender Landnahmen ausgesetzt wird (vgl. Dörre 2012). Da der geographische Raum bereits einer (primären) kapitalistischen Landnahme unterzogen wurde, finden Landnahmen zweiter

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Ordnung statt.3 Harvey betont, dass sich durch die Flüchtigkeit (nicht nur) des Kapitals der geographische Ort in scharfe Konkurrenz zu anderen Orten treten muss, um eine attraktive Anlageoption für das Kapital zu stellen: »With the diminution in transport costs and the consequent reduction in spatial barriers to movement of goods, people, money and information, the significance of the qualities of place has been enhanced and the vigour of interurban competition for capitalist development (investment, jobs, tourism, etc.) has strengthened considerably« (Harvey 1989: 10).

Im globalen Wettbewerb um die Gunst des flüchtigen Finanzkapitals entsteht eine scharfe ›inter-urbane Konkurrenz‹ (Harvey), in welcher Städte als sich notwendig selbst revolutionierende Wertschöpfungsbecken fungieren. Diese haben sich fortwährend den Bedingungen der Kapitalakkumulation im Zeichen eines, man könnte sagen, vorauseilenden Gehorsams anzupassen: »The recovery and reinforcement of that tradition and the revival of inter-urban competition these last two decades, suggests that urban governance has moved more rather than less into line with the naked requirements of capital accumulation« (Harvey 1989: 15).

Da es kein geographisches unzivilisiertes Außen mehr gibt, werden ›heruntergekommene‹ Teile der Stadt vom Kapital ›zurückerobert‹. Diesen Vorgang bezeichnet Smith als Revanchist City. Da im Weiteren von Aufwertung und Skateboardern die Rede ist, möchte ich die Gentrifizierung mit Zukin als Synthese von strukturell-kapitallogischen und institutionellen, auf Lifestyle und Konsumpräferenzen rekurrierende

3

Diese beziehen sich keineswegs nur auf geographische Gebiete, welche einer Landnahme zweiter Ordnung unterzogen werden, sondern auch auf psychische Dispositionen, die Träume und Kreativleistungen der Individuen, i.e. das überschüssige Bewusstsein (Bahro).

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Faktoren verstehen (vgl. Zukin 1987: 142 ff.). So folgt die (Neu-)Erschließung von Städten durchaus kapitalistischen Bewegungsgesetzen. Dabei dürfen jedoch kulturelle Aspekte nicht unterschlagen werden. Howell macht stark, dass Lebensqualität ein ernstzunehmender Faktor ist, welcher in die Analyse einfließen muss: »The New Political Culture is one in which cities respond to the reality that ›contemporary consumption practice extends to the consumption of space. The lifestyle concerns of social participants are increasingly important in defining the overall rationale for, and in turn driving, other urban social processes. Quality of life is not a mere byproduct of production; it defines and drives much of the new processes of production‹« (Howell 2005: 38).

Es geht daher häufig (auch) um weiche Faktoren, welche nur einen indirekten Bezug zu kapitalbezogenen Standortvorteilen haben und institutionsökonomisch zu erklären sind. Die konkurrierenden Städte suchen sich als dynamische und kreative Konglomerate zu präsentieren, in welchen sich die kreative Klasse (Richard Florida) ansiedeln soll und mit ihnen die Innovationen und Investitionen. Daher versuchen die Städte ostentativ, eine »can-do culture« zu präsentieren: »Festivals and cultural events likewise become the focus of investment activities. »The arts create a climate of optimism – the ›can do‹ culture essential to developing the enterprise culture,« says the introduction to a recent Arts Council of Great Britain report, adding that cultural activities and the arts can help break the downward spiral of economic stagnation in inner cities and help people »believe in them-selves and their community«« (Harvey 1989: 9).

Es wird versucht, ein anregendes, hippes Umfeld zu etablieren, in welchen sich die kreative Klasse wohlfühlt und welches ihre Anforderungen an ein gutes Leben erfüllt. »The glimmer that 1960s urban leaders saw in office towers, 2000s leaders see in renovated art galleries, cafes, and plazas« (Howell 2005: 38).

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Vor diesem Hintergrund kann das Skateboarding als potenzieller Gentrifizierungsfaktor analysiert werden. So beschreibt Howell die Skateboarder in Anlehnung an David Ley als »the unwitting shock troops of gentrification – injecting a small capital flow into a distressed area« (Howell 2005: 40). Wie andere Künstler auch, entdeckten Skateboarder die teilweise verkommenen und kriminellen Viertel der Innenstädte für sich: »The new street skateboarding was no longer situated in the detached villas and pools of the undulating, semi-suburban Hollywood Hills and Santa Monica canyon and had come downtown. [...] Where the vertical riders of the 1970s and 1980s were often from the ›suburban recreation grounds‹, the later streetstyle skaters tended to come from ›the worst parts of towns and know the true meaning of street life‹« (Borden 2001: 185).

Obwohl Skateboarder häufig als ›Outlaws‹ charakterisiert und wahrgenommen werden, stellen sie in bestimmten Kontexten funktionalistisch betrachtet einen Ordnungsfaktor dar: »Many urban managers have recognized that the potential of skateboarders to maintain order on a volunteer basis does not stop at the gates of the skatepark. Professional public management literature, local press outlets, and academic studies have all commented extensively on how the presence of skateboarders can deter vandalism, drug use, prostitution, and homeless encampments— skateboarders provide »eyes on the street«. [...] Police in Portland reported that the Burnside skatepark, which was built without the city’s permission by skateboarders, was responsible for a precipitous drop in car theft and robberies in the surrounding neighborhood« (Howell 2008: 485).

Im Urban Governance Kontext wird der Autonomieanspruch der Skateboarder aufgegriffen und die Verantwortung wird auf dieselben übertragen. So haben sie nicht nur Teile der Finanzierung ihrer Plätze zu tragen, sondern sind auch angehalten, diese in Stand zu halten und zu kontrollieren:

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»Financing, however, is only the first stage; once a park is constructed, urban managers expect that the park will be largely self-supervised, self-maintained, and selfpoliced. Posted Rule Number 8 at the skate plaza of Kettering states that ›the skate plaza is self policing‹« (City of Kettering zit. nach Howell 2008: 484).

Wie Skateboardern im öffentlichen Raum wahrgenommen werden, bleibt auch heute ambivalent, doch hat sich der Diskurs verändert. Sie bleiben auf der einen Seite Störenfriede, Ärgernis und sind polizeilicher Verdrängung ausgesetzt, auf der anderen Seite sind sie jedoch Teil und Indikator eines lebendigen kulturellen Lebens und einer dynamischen Stadt. In dieser Hinsicht sind sie gewünschte Teilnehmer: »The mayor of Louisville, for example, sees a skatepark as an important facet of major downtown urban renewal, one that attracts and retains young, techsavvy residents, employees and business owners, the type of residents that desire downtown living near new urban entertainment facilities and parks that cater to ›alternative‹ lifestyles« (Howell 2008: 490).

Skateboarder schlagen sich im »Bohemian Index« von Richard Florida nieder und sind daher sowohl Teil der kreativen Klasse als auch Köder für dieselbe.4 In diesem Sinner wird das Skateboarding als positiver Beitrag zur ›can-do culture‹ verstanden. Am Konzept der kreativen Klasse von Florida gibt es jedoch berechtigte Kritik, da seine Kategorie keine analytische Schärfe hat und kein eigentlicher Klassenbegriff im Sinne Marx’ ist:

4

Neben dem Bohemian (oder ›Boho‹) Index entwickelte Florida den Gay Index, den Foreign-Born Index sowie einen Composite Diversity Index, welcher alle Indizes zusammenfasst. Florida zeigt, dass der Erfolg einer Stadt im technologischen Sektor mit hohen Werten auf den Indizes korreliert (vgl. Howell 2005: 38).

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»But if class is understood in terms of economic status and the type of labor that one performs, then there is something counterintuitive about Florida’s creative class, where a high school teacher and a neighborhood artist are of the same class as a biotech researcher and a hedge fund manager. On what basis would these people identify with one another? Is it really something so amorphous as »creativity«? [...] But Florida has no predictions about what happens to the bohemians once the high-tech capital has been concentrated. What holds »bohemians« and »creative professionals« together is not class at all, but their participation in the process of gentrification« (Howell 2005: 39).

Peter Marcuse kritisiert das Konzept einer kreativen Klasse ebenfalls und nimmt eine Neujustierung des Wortes kreativ vor: »Creativity becomes an action divorced from its end; it becomes equivalent to innovation, no matter of what, no matter why, no matter with what result, constructive or destructive. Florida’s definition of the creative class includes anyone with a PhD, no matter how hopelessly pedantic or stultifying their research and teaching; it includes stock brokers and hedge fund managers devising new forms of financial instruments, credit default swaps, derivatives, the securitization of subprime mortgage loans that have led to millions of foreclosures and evictions. It includes engineering geniuses that develop nuclear weapons with the potential to eradicate all of mankind« (Marcuse 2011b).

Damit nimmt Marcuse die normative Setzung vor, dass Kreativität einem Ziel verpflichtet sei und so kann er die oben angesprochenen ›Kreativen‹ als »the enemy« (Marcuse 2011a) bezeichnen. Für ihn bedeutet Kreativität die Arbeit an einer neuen, befreiten Gesellschaft und gerade nicht die Indienstnahme durch das Kapital: »What more creative activity could one imagine that the creation of a better society?« (Marcuse 2011b). Die im Sinne Marcuses wirklich kreativen, namentlich die Künstler, sind die potenziellen Verbündeten im Kampf um die Creative City. Diese bieten dadurch, dass sie selbst prekarisiert sind, eine mögliche Verbindung zwischen den »discontent« und den »deprived« (ebd.).

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Skateboarder können hier unter den Künstlern subsumiert werden, obschon eine eindeutige Dichotomisierung zwischen feindlicher, im Dienste des Kapitals stehender ›Kreativität‹ und der richtigen, einer besseren Gesellschaft verpflichteten Kunst/Kreativität nicht haltbar ist. Dies zu zeigen, ist unter anderem das Anliegen der vorliegenden Arbeit. So tragen Skateboarder, wie andere (kreative und prekarisierte) Agenten der Gentrifizierung auch, zu ihrer eigenen Verdrängung bei, insofern sie an einer Aufwertung beteiligt sind, infolge derer beispielsweise ein Sicherheitsregime installiert wird, welches Skateboarder jenseits seiner Plätze nicht (mehr) akzeptiert. Sie sind somit beides, »the subject and the object of class displacement« (Howell 2005: 32).

8.4 AMBIVALENZEN DER U RBAN G OVERNANCE Die produktive Zusammenarbeit des Skateboardvereins Dom Skateboarding e.V. mit der Stadt Köln muss auch mit der Verdrängung der Skateboarder vom Roncalliplatz in Beziehung gesetzt werden. Die Möglichkeiten der Skateboarder, den Lentpark anzueignen oder den ausgezeichneten Skateplaza »Kap 686« zu erhalten, sind erkauft mit einem Ausschluss aus dem öffentlichen Leben (der Domplatte): »Wenn die eingangs formulierte Einschätzung von Patsy Healey zutrifft, dass jede Form von Governance ermöglichende Bedingungen mit eingrenzenden Regulierungen unauflöslich miteinander verquickt, dann stellen sich punktuelle Neuarrangements zwischen öffentlicher und privater Sphäre notwendigerweise als ambivalente Entwicklungen dar« (Einig et.al. 2005: 3).

Wir haben es bei den Entwicklungen in Köln mit einer solchen ambivalenten Entwicklung zu tun, in welcher eben keine eindeutige WinWin-Win-Situation entstanden ist. Zwar haben die Skateboarder qualitativ hochwertige ›Alternativen‹ zur Domplatte erhalten, ihre städteplanerische Inklusion ist jedoch gleichzeitig auch eine Exklusion. Sie

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ist im Sinne Ranciéres klar als Platzzuweisung zu qualifizieren, welche einer selbstverständlichen Teil-nahme am öffentlichen Leben diametral gegenübersteht. Die von Howell beschriebene Installation von Spielplätzen in Amerika diente in erster Linie der Platzzuweisung innerhalb der polizeilichen Ordnung: »In the first instance, the playground was aimed at the problem of »scrub play«, that is, play initiated by children themselves (Rader zit. nach Howell). Of particular concern were games like stickball that occupied the streets in immigrant neighborhoods« (Howell 2008: 488).

In diesem Zusammenhang kann konstatiert werden, dass die Installation der Skateboardanlagen (auch) auf das Problem des ›scrub skate‹ abzielt. Gleichzeitig dienen sie der Kultivierung bestimmter neoliberaler Eigenschaften und Fertigkeiten, wie unternehmerischem Denken, Eigenverantwortung, Kreativität, intrinsisch motivierte Hingabe und Flexibilität. Die Veränderungen, die durch das Konzept der Urban Governance virulent wurden und welche mit dem Übergang in das postfordistische Verwertungsregime koinzidieren, beschreibt Howell als »replacing language of entitlement with language of contractualism« (Howell 2008: 481). Der selbstbewusste und selbstverständliche Anspruch (»entitlement«) auf öffentlichen Raum wird ersetzt durch vertraglich geregelte, voraussetzungsvolle (Be-)Nutzung genehmigter Plätze. Dies ist Teil einer Entwicklung, welche Howell als »the continuing privatization of citizenship« (Howell 2005: 33) beschreibt.

9. Institutioneller Wandel »Früher waren Skateboarder Rebellen. Im Film »Dogtown Boys« über die Anfänge des Skateboardens in den siebziger Jahren schleichen sich kiffende, saufende, prügelnde Jugendliche in Los Angeles in die Gärten leer stehender Häuser und nutzen ausgepumpte Schwimmbäder als Rampen. Die Zeiten haben sich geändert. Längst ist Skateboarden auch in Nobelorten angekommen, ist auf dem Weg zu einer Sportart wie Football oder Tennis« (Eder 2012).

In seiner Analyse der Raumpraxis der Skateboarder macht Borden stark, dass der Akt des Skateboardings ein dialektisches Wechselspiel zwischen bewegtem Körper und Architektur sei, welches im Gegensatz zu den im wahrsten Sinne auf der (architektonischen) Oberfläche bleibendem Touristen-Blick eine neue Raumerfahrung ermögliche (Borden 2001: 107). Daraufhin konstatiert er mit Lefebvre, dass jedes progressive Projekt sowohl die Reappropriation von Raum als auch die Rückeroberung des (eigenen) Körpers beinhalten müsse. Dieses oben angesprochene Zitat soll hier aus einer anderen Warte beleuchtet werden:

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»Dominated by overpowering forces, including a variety of brutal techniques and an extreme emphasis on visualization, the body fragments, abdicates responsibility for itself – in a word, disappropriates itself. […] Any revolutionary ›projekt‹ today, whether utopian or realistic, must, if it is to avoid hopeless banality, make the reappropriation of space, into a non-negotiable part of its agenda« (Borden 2001: 109).

Die soziale Praxis Skateboarding ist, wie bereits erwähnt, kein revolutionäres Projekt. Auch Borden weist darauf hin, indem er Skateboarding im Weiteren als »partial glimpse in the society of the spectacle of a recovery of the body« bezeichnet und macht an anderer Stelle deutlich; »skateboarders […] in no way seek to alter anything« (Borden 2001: 245). Er bezieht das 1974 von Lefebvre geschriebene Werk »La production de l‫ތ‬espace« auf Skateboarding, ohne den institutionellen Wandel, welcher seitdem stattgefunden hat, gebührend zu würdigen. Die kritisierte Enteignung des Körpers war ein Merkmal der fordistischen Ära. Der Staat übernahm Verantwortung und suchte, das soziale Miteinander im Sinne der Anforderungen des fordistischen Geistes (Loyalität, Zusammenarbeit) zu kanalisieren (vgl. Howell 2008). Das seit 1973 sukzessive errichtete neoliberale/postfordistische institutionelle Umfeld etablierte neue hegemoniale Werte und entfernte sich von der bei Lefebvre kritisierten direkten Bevormundung der Bürger. Die geforderte Reappropriation des Körpers ist im Postfordismus Realität geworden, ohne dass darin genuin progressive Elemente ausgemacht werden könnten: Die einstmals auf staatlicher Seite verortete Verantwortung für Gesundheit oder Bildung wurde zunehmend an den Markt und das Individuum delegiert, welches nun in einen eigen-initiativen Handlungsdruck geworfen ist. Man könnte Lefebvres Kritik unter der Künstlerkritik am fordistischen Produktionsregime subsumieren, welche mehr Eigenverantwortlichkeit und Freiheit fordert. Alle Spitzen, etwa dass es sich hier um marxistische, die Gesamtgesellschaft radikal verändernde Forderungen handelt, werden abgebrochen, während die Mobilisierungskraft beibehalten und die Kritik somit akkulturalisiert wird.

9. I NSTITUTIONELLER W ANDEL | 113

Borden betont, dass prinzipiell auch andere körperzentrierte Aktivitäten und Sportarten im Sinne Lefebvres »rhythmanalysis« (ebd. 109) gedeutet werden könnten, grenzt diese jedoch explizit gegen die Praxis Skateboarding mit der Begründung ab, dass die anderen Sportarten sich (auch) durch intensive Kommerzialisierung kennzeichnen lassen. Als Beispiel führt er die Olympischen Spiele in Atlanta an, wo sich der der Leichtathlet Lynford Christie Kontaktlinsen mit dem Logo seines Sponsors Puma hatte einsetzen lassen (vgl. ebd. 109 ff.). Nachdem einige kommerzialisierte Strömungen innerhalb des Skateboardings Erwähnung finden, kommt Borden schließlich zu folgendem Fazit: »Nonetheless, skateboarding has generally resisted not only outright commercialism and institutional control (with skateboarders actively campaigning for skateboarding not to be included in the Olympics), but also the commodification of the body« (Borden 2001: 110).

Die Analyse, die Borden in seinem Buch vorlegt, war 2001 korrekt, trifft jedoch auf den aktuellen Stand der Entwicklung nicht mehr zu. Ich werde zunächst kurz auf theoretische Schwierigkeiten bei Borden eingehen, um daraufhin die des Entwicklung Skateboardings nachzeichnen, welche sich durchaus (auch) in Richtung »outright commercialism« (ebd.) bewegt hat. Bordens Analyse legt an dieser Stelle implizit einen der Praxis Skateboarding inhärenten Anti-Verwertungsmechanismus zugrunde. Doch wie sehr Skateboarding in spezifischen historischen Konstellationen als rebellisch erscheinen mag, es gibt kein Skateboarding an sich mit essentialistisch eingeschriebenen Werten, sondern es bleibt eine gesellschaftlich vermittelte Aktivität, deren Entwicklung und Wirkung kontingent sind. Eine belastbare theoretische Grundlage muss den dialektischen Umschlag einer sozialen Praxis in dessen Gegenteil mit eindenken und dass auch und gerade Widerstand nur in spezifisch historischen Umständen als ein solcher gedacht und verstanden werden kann. Die ›Rückeroberung‹ des eigenen Körpers, wie sie Borden mit Lefe-bvre fordert, hat – kodifiziert – stattgefunden. Die gesellschaftli-

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chen Verhältnisse sind dadurch weniger zum Tanzen gebracht worden, als dass vielmehr eine präzedenzlose Ratgeber- Coaching- und Selbstoptimierungskultur entstand. Wenn ich im Weiteren Entwicklungen nachzeichne, deren Aufkommen Borden 2001 noch nicht für möglich gehalten hatte, so soll dies nicht kolportieren, dass die Praxis Skateboarding sich ausschließlich in eine akkulturalisierte Richtung entwickelt hätte, sondern dass es verschiedene, parallel stattfindende Entwicklungen gibt. Die von Borden beschriebene widerständige Spielart des Skateboardings gibt es weiterhin, nur haben sich wirkmächtige(re) Akteure einer anderen Spielart des Skateboardings zugewandt und suchen diese nun (massenmedial) zu verbreiten. Zwar gibt es nach wie vor keine institutionelle Kontrolle der Skateboarder, es zeichnet sich jedoch eine institutionelle (und nicht legitimierte) Repräsentation derselben ab. Um diese Repräsentation ringen verschiedene Organisationen,1 allen voran die ISF (International Skateboard Federation), welche vom Nicht-Skater und Unternehmer Gary Ream geführt wird und die für sich beansprucht, Vertretung der Skateboarder aus rund 78 Ländern zu sein (vgl. ISF.com). Sie wirbt aktiv für eine mögliche Olympia-Teilnahme bei den Sommerspielen. Von einer Kommodifizierung des Skater-Körpers kann meines Erachtens durchaus gesprochen werden. Wo Borden das Beispiel der Puma-Kontaktlinsen bemüht, welche nach dem Auftritt problemlos zu entfernen sind, möchte ich hier darauf hinweisen, dass Skateboarder sich nicht selten die Logos ihrer Sponsoren tätowieren lassen. Einige Firmenlogos sind in der Skateboardgemeinde Kult und es bedarf nicht mal eines Sponsorings, um sich deren Motive in die Haut stechen zu lassen.2 Unlängst machte der Rapper und Neu-Skateboarder Lil Wayne durch skateboardbezogene Gesichtstattos auf sich aufmerksam (vgl. Altema 2013).

1

World Cup Skateboarding (WCS) http://www.wcsk8.com/.

2

Beispielsweise von Firmen wie Santa Cruz, Powell Peralta, Thrasher, Spitfire.

9. I NSTITUTIONELLER W ANDEL | 115

Der Körper wird von zahlreichen ›Athleten‹3 bereits als Produktivkraft, die es zu erhalten/optimieren gilt, angesehen. Ich möchte hier zwei Beispiele anführen, um diese Entwicklungstendenz zu markieren. Das erste betrifft den Skateboarder Tom Schaar, welcher im Alter von 12 Jahren die erste 1080 Grad-Drehung in der Halfpipe landete (Red Bull 2012). Dieser hat sich auf den Trick so vorbereitet, wie man es traditionellerweise anderen professionellen Athleten zutrauen würde, nicht jedoch einem zwölfjährigen Skateboarder: »Tom Schaars Eltern zahlen ihrem Sohn seit Jahren einen Gymnastik-Trainer, der mit ihm auf dem Trampolin Tricks übt. »Hätte Tom lieber Football gespielt, hätten wir ihn dabei genauso unterstützt«, sagt seine Mutter. Tom aber wollte Skateboarden, also bildete Regan eine Trainings-Fahrgemeinschaft mit anderen Müttern und finanzierte Einzelunterricht, wie es in Deutschland engagierte Eltern im Tennisverein tun« (Eder 2012).

Hier wird deutlich, dass Skateboarding sich als eine normale Sportart neben Tennis u. a. etabliert hat und sich keine in der Praxis des Skateboardings angelegte genuin widerständige Komponente ausmachen lässt. Die Ausübung dieser ›Sportart‹ kann durchaus professionalisiert und der Körper als wertschöpfende Entität ausgelegt werden. Ein solches Verständnis dessen, was das Skateboarding sei, geht davon aus, dass es sich tatsächlich nur um eine Sportart handelt und blendet die (sub-)kulturellen Komponenten in der Regel aus und kodifiziert die Praxis Skateboarding demnach auf ökonomisch verwertbare Aspekte. Das zweite Beispiel bezieht sich auf die ›iCoreSkate Stretch app‹, ein speziell für die Bedürfnisse der Skateboarder kreiertes DehnWorkout, welche vom professionellen Skateboarder Paul Rodriguez zusammen mit seiner Personal-Trainerin Alexandra Laws entwickelt wurde. Skater können diese App für zwei Dollar erwerben und unter der Anleitung von Rodriguez die Stretch-Übungen nachmachen. Hier

3

Die Bezeichnung Athleten ist hier in bewusster Abgrenzung zu den nichtprofessionellen Skateboardern gewählt.

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tritt der implizite Imperativ, Verantwortung für den eigenen Körper zu übernehmen, deutlich zutage. Diese Beispiele zeigen, unter welchen Vorzeichen sich die Rückeroberung des eigenen Körpers im neoliberalen ›meta-frame‹ vollzieht: Als eine Eigeninitiative und Eigenverantwortung fordernde, in letzter Instanz an den Erfordernissen des Produktionsregimes orientierte Selbstoptimierung. Von einer vollständigen Kommerzialisierung (»outright commercialism« (Borden 2001: 110) kann, da gebe ich Borden recht, bei einer so diversen Praxis wie der des Skateboardings nicht gesprochen werden. Es hat sich jedoch ein deutlich verändertes institutionelles Umfeld herausgebildet, in welchem Entwicklungen möglich sind, die 1990 oder 2001 noch nicht denkbar gewesen wären. Der erwähnte Widerstand gegen die Teilnahme an den Olympischen Sommerspielen in den 1980er Jahren ist unter Skateboardern 2014 nicht mehr uneingeschränkt konsensfähig. Hier lässt sich beobachten, dass meritokratische Bewährungsproben und massenkompatible Formate wie Street League und X-Games nicht mehr notwendig als problematisch wahrgenommen werden. Dieser institutionelle Wandel dessen, was als normal gilt, spiegelt sich in folgendem Zitat: »Don’t these kids know that skateboarding isn’t a sport? Don’t they know that we’re happy to be considered degenerates? Don’t they know that including skateboarding in the Olympics goes against everything skateboarding is supposed to stand for? They don’t. That could be because skateboarding is starting to stand for something else« (Brixey 2012).

Wie sich dieser Wandel niederschlägt, möchte ich in den folgenden Kapiteln anhand der Event-Serie Street League sowie der OlympiaDebatte nachzeichnen.

10. Street League Skateboarding »Postmodernism can judge the spectacle only in terms of how spectacular it is« (Harvey 1990: 56–57).

Die Eventreihe Street League Skateboarding (SLS) stellt ein Novum in der Skateboardgeschichte dar und wäre noch in den 1990er Jahren nicht denkbar gewesen. SLS wurde von Rob Dyrdek entwickelt und das erste Mal 2010 ausgestrahlt. Bei dem Wettbewerb handelt es sich gemäß der Selbstdarstellung um einen echten StreetskateboardingWettbewerb, an welchem nur die 20 besten Skateboarder der Welt, the elite, teilnehmen. In den USA strahlen die Sender ESPN/ESPN2 das Event aus, in vielen Ländern ist es über einen Livestream zu verfolgen. Die Innovation, welche SLS bietet, liegt darin, dass der Parcours echtes Streetskateboadring sei; es wird auf einem von Rob Dyrdek und California Skateparks entwickelten Plaza gefahren. Die oben angesprochene Definitionsverschiebung dessen, was als Streetskateboarding zu verstehen sei, schlägt sich hier nieder: Dadurch ist das Event der legitime Ausdruck echten Skateboardings und kann dem Gewinner den Titel des besten Streetskaters verleihen. Zudem zeichnet sich SLS durch die höchsten Preisgelder aus, welche bislang auf einem Skateboardwettbewerb ausgeschrieben waren: Insgesamt rund 2 Millionen $ (vgl. Streetleague a). Die teilnehmenden Skateboarder müssen an verschiedenen Stationen, beispielsweise einem Stufenset mit Geländern, ihr Können unter

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Beweis stellen. Neu dabei ist, dass sie und die Zuschauer nach jedem Trick in Echtzeit ihre Punktwerte angezeigt bekommen. Möglich wird dies durch das Instant Scoring Experience (ISX) System, welches jedem Trick gemäß seines Schwierigkeitsgrades sofort einen Punktwert zuordnet. Die Skateboarder können somit kalkulieren, ob sie einen einfachen, aber sicheren Trick machen wollen, welcher ihnen dementsprechend weniger Punkte einbringt, oder einen riskanten, dafür aber hochdotierten. Dass ein solches Event erfolgreich installiert werden konnte, ist vor dem Hintergrund der Skateboardkultur, welche traditionell einer rein kompetitiven und leistungsbezogenen Perspektive auf ihre Sportart eher ablehnend gegenüberstand, überraschend. So wurde in der renommiertesten Skateboardzeitschrift Thrasher 1986 eine satirische Anzeige geschaltet, welche dem Konzept von Street League sehr nahe kommt und mit deren realer Umsetzung niemand gerechnet hätte: »Thrasher, for example, ran a spoof advertisement that ›we‫ތ‬re not sure we‫ތ‬d like to see‹, showing a spectacularized skater promoting a ›$100,000 Professional Skate Jam‹ at the ›All New Skatorium‹ with a 20,000-seat area« (Borden 2001: 110).

Das hier fiktiv gesetzte Preisgeld wurde von SLS um ein Vielfaches überboten. Auch die Idee, eindeutig festgelegte Punkte für jeden Trick zu vergeben, war in der Szene zunächst undenkbar. So schreibt Beal: »The lack of elite control was reflected in the lack of elite standards; as Craig [befragter Skater, S.S.] commented, »There is no such thing as a perfect ›10‹ for a trick«« (Beal 2001: 54).

Jetzt gibt es zumindest eine perfekte 9.9 für einen Trick (10 Punkte wurden bei SLS noch nicht vergeben) und es gibt auf der SLS Webpräsens einen »9 Club«, in welchen diejenigen Skater aufgenommen werden, welche einen Trick mit einem Punktwert von 9 oder mehr erreicht haben (vgl. Streetleague b).

10. S TREET L EAGUE S KATEBOARDING | 119

Was bei Street League vollzogen wird, lässt sich mit dem Begriff der Realabstraktion fassen und so mit der Warenform in Beziehung setzen. Es findet eine radikale Kodifizierung des Skateboardings statt, an deren Ende lediglich noch der Punktwert bestehen bleibt und von allen anderen Aspekten abstrahiert wird. Es wird hier eine Quantifizierung des Skateboardings vorgenommen: »Marketing titans try to quantify the efforts and accomplishments of individuals in order to reduce autonomous beings and independent action into acceptable commodities« (Stecyk III: 108).

Ähnlich wie beim Raum schreibt sich auch hier die Geldform ein und moduliert sowohl die Körper als auch die ausgeübte Aktivität. So konstatiert Rob Dyrdek auch: »It’s changing even the way they skate« (Carnie 2011). Bei der teilnehmenden Beobachtung, welche Beal auf Amateurwettbewerben durchgeführt hat, zeigte sich, dass ein leistungsbezogenes Denken in der Skateboardkultur (noch) nicht dominant war: »This lack of concern for the outcome was particularly striking for one who had been heavily engaged in competitive athletics – the atmosphere was quite different. Not only did the skaters not have a planned routine or try to maximize their number of tricks, but they actually made fun of themselves while performing« (Beal 2001: 52).

Beal kommt zu dem Schluss, dass kompetitives Verhalten innerhalb der Skateboardgemeinde negativ konnotiert sei: »Not only was competition devalued, but competitive attitudes were seen as a negative attribute« (Beal/Weidman 2003: 339). Hier zeigt sich, dass die Skateboarder bis in die Nullerjahre einer rein leistungsbezogenen Spielart des Skateboardings kritisch bis ablehnend gegenüberstanden. Jedoch darf weder angenommen werden, dass die Meinung der Skater dazu unveränderlich sei noch dass die Ergebnisse eine homogene Meinung innerhalb der Skateboardgemeinschaft

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anzeigen würden. In dieser Hinsicht scheint Beal die leistungskritische Haltung der Skater zu stark zu gewichten und nicht zu bedenken, dass der Alltagsverstand (Gramsci) ein umkämpftes Gebiet ist und sich hegemoniale wie gegenhegemoniale Dispositionen verändern lassen. Innerhalb der Subkultur Skateboarding gibt es viele verschiedene Strömungen. Bestrebungen, Skateboarding leistungsbezogen, kontrollierbar und massenkompatibel zu machen, gab es schon lange: »The current president of the NSA [National Skateboard Association, S.S.], Don Bostick, reiterated this commitment to a corporate form of sport by describing the NSA’s goals as making skateboarding »more professional and more accepted, … similar to Little League«« (Beal 2001: 50).

Little League ist die US amerikanische Softball- und Baseball-Liga, und nicht umsonst findet sich das Wort in »Street League« wieder. Hiermit kann kommunikativ an eine den US-Amerikanern bekannte und etablierte Struktur angeknüpft werden. Der Erfolg und die Akzeptanz von Formaten wie Street League zeigen, dass die Konklusion von Beal im Jahr 2014 nicht mehr tragfähig ist: »From the research, two central values of the Skateboarding culture were identified: participant control and the devaluing of competition« (Beal/Weidman 2003: 338).

Die Kritik an Beal soll nicht ausschließen, dass es die von ihr identifizierten Werte noch gäbe, aber es muss angesichts aktueller Entwicklungen konstatiert werden, dass innerhalb der Skateboardgemeinde andere Wertvorstellungen hegemonial geworden sind.1 In Street League

1

In diesem Kontext ist die enorme Popularität des S.K.A.T.E.-Spiels in der Skateboardkultur aufschlussreich: Bei diesem Spiel geht es darum, einen Trick vorzulegen und darauf zu spekulieren, dass der Kontrahent diesen nicht nachmachen kann. Für jeden Fehlversuch gibt es einen Buchstaben; wer als Erster die Buchstaben S.K.A.T.E. voll hat, verliert. Das Spiel steht

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manifestieren sich meritokratische Legitimationsmuster oder, mit Deleuze, das modulatorische Prinzip des »Lohn nach Verdienst« (Deleuze 1990). Dieses hat in weiten Teilen des gesellschaftlichen Diskurses seinen Niederschlag gefunden und hält nun vermittels SLS Einzug in die Skateboardkultur: Das eigenverantwortliche, risiko- und leistungsbereite, unternehmerische Selbst tritt hier gegen 19 andere Skateboarder in einem hochkompetitiven Wettbewerb an. »Das Unternehmen jedoch verbreitet ständig eine unhintergehbare Rivalität als heilsamen Wetteifer und ausgezeichnete Motivation, die die Individuen zueinander in Gegensatz bringt, jedes von ihnen durchläuft und in sich selbst spaltet. Das modulatorische Prinzip des Lohn nach Verdienst verführt sogar die staatlichen Bildungseinrichtungen [...]«(Deleuze 1990).

Wo es in der Fabrik (und auf der Straße) noch ein Wir gab, gibt es im Unternehmen und auf dem (Street League-)Plaza lediglich ein Ich, welches Verantwortung für Fehlentscheidungen selbst zu tragen hat und dessen etwaige Nicht-Leistung ausschließlich auf es selbst zurückgeführt werden. Diese neoliberale Haltung ist aus emanzipatorischer Warte ein Rückschritt, war es doch »dem Konzept der Klasse und vor allem auch des Proletariats gelungen, diese Koppelung von Armut und Verantwortung oder, genauer gesagt, von Armut und den persönlichen Eigenschaften, die sich ohne weiteres zu Faktoren individueller Verantwortung umdeuten lassen, aufzubrechen« (Boltanski/Chiapello 2006: 390).

im Gegensatz zum sogenannten Session fahren, wo gemeinsam ein Spot, etwa ein Stufenset, von Skateboardern gefahren wird und jeder an seinem Trick (aber alle zusammen gegen den Spot) arbeitet. Natürlich existieren beide Formen nach wie vor nebeneinander, dennoch markiert die Popularität von S.K.A.T.E. die in dieser Studie dargestellte Tendenz einer Verschiebung des Alltagsverstands hin zu einer leistungs- und konkurrenzbezogenen Auslegung des Skateboardings.

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Um die Besonderheit von Street League zu markieren, muss deutlich gemacht werden, dass die dort herrschende Disziplin und der reibungslose Ablauf bei Skateboardevents keine Selbstverständlichkeit sind. Beal stellt bei ihren Forschungen eine Abneigung gegenüber aufoktroyierten Abläufen fest. Exemplarisch dafür können die tumultartigen Szenen beim Wettbewerb Münster Monster Mastership 1996 gelten.2 Dort wurde die Practice-Session, also die Zeit, welche allen Skateboardern gemeinsam zur Verfügung steht, um sich an den Parcours zu gewöhnen, für beendet erklärt. Als sich nach widerholten Aufforderungen des Moderators weiterhin Skateboarder auf dem Parcours befinden, werden Securities herangezogen, um weiteres Skateboardfahren zu unterbinden. Im Zuge dessen kommt es zu Schlägereien zwischen den professionellen Skateboardern und den Securities, bei welchen einem Skateboarder das Schlüsselbein gebrochen wird (Vallely 2003). Bei Street League hingegen hat noch nie ein Security den Parcours betreten, um Skateboarder zur Ordnung zu rufen, da dies nicht nötig ist; diese nehmen selbstverständlich ihren Platz ein und warten, bis sie an der Reihe sind. Diese Veränderungen markieren exemplarisch den skateboardinternen Übergang der Disziplinargesellschaft zur Kontrollgesellschaft (Deleuze). Brauchte es früher äußere Kontrollinstanzen und Ver- bzw. Gebote, so sind diese mittlerweile internalisiert und (hierarchische) Ordnungsinstanzen nicht mehr notwendig, es bedarf lediglich noch eines Leaders mit seinen Visionen. Dieser ist Impulsgeber und Förderer, aber nicht mehr Chef im klassischen Sinne.

2

Die aus den USA angereisten Skateboarder boykottierten 1996 den Skateboardwettbewerb ›Monster Mastership‹, da der Parcours seit vier Jahren unverändert blieb und sich in schlechtem Zustand befand. Gleichzeitig fuhr der um Selbstinszenierung nie verlegene Organisator Titus Dittman in einem Lamborghini vor. Dazu bemerkt der Skateboarder Greg Carroll: »This guy is driving a 350. 000 $ car and he can't afford to fix this course?« (Vallely 2003).

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»An diesem Punkt treten die leader und ihre Visionen auf den Plan. [...] Die Mitarbeiter können sich selbst organisieren. Ihnen wird nichts aufgezwungen. Sie identifizieren sich vielmehr von allein mit dem Projekt. Die Schlüsselfigur innerhalb dieses Gefüges ist der leader, dessen Stärke es sei, eine Vision zu haben, sie zu vermitteln und andere dafür zu gewinnen« (Boltanski/Chiapello 2006: 115–116).

Der Erfinder von SLS und Initiator des ersten Skateplazas Rob Dyrdek kann in diesem Sinne als ein solcher Leader betrachtet werden. Die bei Street League teilnehmenden Skateboarder haben – freiwillig – eine in der Skateboardkultur präzedenzlose Professionalität erreicht. So schwärmt Dyrdek: »And now this year they’re training on a whole ‫ތ‬nother level because they know there’s so much money on the line and they have to have everything wired. So it’s changing even the way they skate« (Carnie 2011).

Mit Street League liegt ein aufschlussreiches Beispiel von Kodifizierung subkultureller Werte gemäß der Verwertungslogik vor. Ökonomisierbare Aspekte werden beibehalten und kultiviert (etwa spektakuläre Tricks), andere getilgt (etwa das spielerische Moment). Dadurch verliert Skateboarding insofern an Reiz, als es seiner Offenheit beraubt wird, da es sich einem massenmedial kompatiblen Format einfügen muss. Andererseits gewinnt es so den in der Gesellschaft des Spektakels (Debord) geforderten Eventcharakter. Man könnte entgegnen, dass Street League das Ergebnis einer erfolgreichen politischen Intervention im Sinne Rancières darstellt: Skateboarder werden als sprechende Wesen anerkannt, welchen eine Bühne zur Verfügung gestellt wird, auf welcher sie ihren Anspruch auf Gleichberechtigung neben anderen professionalisierten Sportarten sinnlich vermitteln. Street League stellt jedoch keine politische Subjektivation dar, da nicht die bestehende polizeiliche Ordnung durch Skateboarding modifiziert wurde, sondern andersherum Skateboarding den Erfordernissen der Spektakelkultur und des Leistungssports gemäß

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endogenisiert wurde. Es handelt sich hier um das, was bei Boltanski/Chiapello als Akkulturation bezeichnet wird. Die konzeptionelle Gestaltung von Street League mit ihren meritokratischen Auswahlverfahren »steht dem Gleichheitsprinzip diametral entgegen« (Boltanski/Chiapello 2006: 629). Der Fokus auf eine vermeintliche Elite, bei gleichzeitigem Ausschluss aller anderen, lässt sich mit Rancière als Verdunkelung der Politik im Scheinwerferlicht bezeichnen. Mit Street League zeigt sich, dass Skateboarding keine von gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen abgekoppelte Sphäre ist. Was Whitson für den »Mainstream Sport« erklärt, hat nun auch Einzug in die skateboardbezogene Eventkultur erhalten: »For example, Whitson (1984) argues that mainstream sports have been framed in the value structures of advanced capitalism: discipline, control, accountability, and bureaucratic rationalization that has created a managerial level of »experts«« (Beal 2001: 48).

Technisch betrachtet, zeigt Street League Skateboarding auf höchstem Niveau, welches den Erfordernissen der Spektakelkultur und der quantifizierenden Verwertungslogik des Kapitals gemäß kodifiziert wurde. Im Geiste Debords könnte man die Passivierung der Zuschauer beklagen, welche an ihren Computern oder im Publikum sitzen, um den wenigen Auserwählten dabei zuzusehen, wie sie ihrem Geschäft nachgehen. Eine solche Gefahr sieht Borden nicht: »But more than any other phase of skateboarding, streetstyle is based on the everyday activities of its millions of practitioners conducted in cities worldwide [...], rather than on the extreme moves of its most spectacular professionals in extravagant purpose-built facilities or events« (Borden 2001: 183).

Skateboarding wird hier ausgelegt als eine Tätigkeit, welche immer aufs Neue zur selbstermächtigenden Eigeninitiative herausfordert, so dass die Befürchtung, Street League könnte die Aktivitäten der Skate-

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boarder zum Erliegen bringen, unbegründet sei.3 Gegenwärtig ist diese Analyse zutreffend, doch sollten, wie oben dargelegt, keine überzeitlichen, der Praxis des Skateboardings inhärenten Werte, angenommen werden.

3

Wo deren Aktivitäten künftig jedoch stattfinden, auf Skateplazas oder auf der Straße, ist eine andere Frage.

11. Die Olympia-Debatte

Über die etwaige Teilnahme des Skateboarding als Disziplin bei den Olympischen (Sommer-)Spielen wurde in den vergangenen 30 Jahren häufig debattiert, meistens galt Olympia in der Diskussion jedoch als abstraktes Sinnbild dessen, was Skateboarding nicht darstellen könne und wolle: Leistungsorientierung, Nationaltrikots, Drogentests und millionenschwere Sponsorenverpflichtungen. Nach der 1995 erfolgten Inaugurierung der X-Games, einer massenmedial aufbereiteten Version des Skateboardings durch den US-amerikanischen Sportsender ESPN, änderte sich die Diskussion, insofern es nun denkbar erschien, dass Skateboarding im Rahmen eines an die X-Games angelegten Formats tatsächlich olympisch werden könnte. Obwohl die X-Games bei den Skateboardern auf wenig Begeisterung stießen (vgl. Stratford/ Brixey 2012), war Skateboarding als massen(-medial) kompatibles Format etabliert. Während es seitdem regelmäßig ausgestrahlt wird, empfinden viele Skateboarder dasselbe lediglich als »a way for the public to get a bastardized glimpse at what we do« (Brixey 2012). Die Neuaufnahme einer Sportart in den olympischen Betrieb ist äußerst aufwendig und bedarf der Abstimmung der Vollversammlung des IOC (International Olympic Comitee). Diese Hürden können umgangen werden, wenn Skateboarding nicht als neue Sportart, sondern lediglich als neue Disziplin unter dem Dach eines bereits etablierten

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Weltverbandes auftritt. Daher hat sich eine Partnerschaft der ISF (International Skateboarding Fundation) und dem Radsportweltverband UCI (Union Cycliste Internationale) gebildet (vgl. Tagesspiegel 2007). Diese Entwicklung wird kontrovers diskutiert. Zum einen, weil Skateboarding mit dem Radsport wenig zu tun hat und die Zusammenarbeit mit der UCI vielen Skateboardern obskur erscheint: »The prospect of aligning with a cycling federation is less than appealing to many skateboarders, but, as Dave Carnie points out, »It could have been worse. It could have been rollerbladers«« (Bane 2011).

Da das Skateboarding nur aufgenommen werden kann, wenn es eine offizielle Vertretung gibt, geht es auf der anderen Seite um die prinzipielle Frage, wer denn Vertreter der ausdifferenzierten und wenig organisierten Skateboardgemeinde sein kann und, ob eine solche Repräsentation überhaupt wünschenswert und legitim ist. Diese Punkte werden im Weiteren referiert.

11.1 R EPRÄSENTATION /L EGITIMATION Die Diskussion um die mögliche Repräsentation der Skateboarder hat zwei Ebenen. Auf der einen Seite geht es um die Frage, wer legitimer Vertreter der Skateboarder sein kann. Auf anderer Ebene wird diese Frage kategorisch abgelehnt, da eine Vertretung des Skateboardings konzeptuell nicht denkbar sei. In einem grundsätzlichen Argument wird jede Legitimität einer Repräsentation negiert: »There can‫ތ‬t be a governing body as it won‫ތ‬t govern. It will produce an artificial aspect of skating created around a table and divorced from the very act it seeks to direct. Now you may say ›so what,‹ and that‫ތ‬s fair enough. But, a self-elected governing body is about to get rich both monetarily and in influence by claiming they

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speak for us, when in fact skateboarding‫ތ‬s greatest asset is its freedom...«« (Stratford).

Hier wird Skateboarding als dezentrale, diverse und faktisch unvertretbare bzw. unregierbare Tätigkeit definiert, und jeder Versuch einer Vertretung für illegitim und verdächtig erklärt. Dabei wird die machtpolitische und ökonomische Verlockung einer solchen Vertretung sehr deutlich gesehen. Zu dieser Position gibt es Gegenkräfte und sukzessive hat die ISF (International Skateboard Federation) die Rolle der bislang nicht offiziellen Repräsentation eingenommen. Sie erklärt, Skateboarder aus 87 Ländern zu repräsentieren und betreibt eine Kampagne zur Etablierung des Skateboardings als olympische Sportart.1 Die Vertretung durch die ISF anzufechten und für illegitim zu erklären, hat seine Berechtigung, insofern es keine demokratisch gewählten Vertreter gibt und viele Skateboarder der repräsentierten Länder gar nichts von ihrer Vertretung durch die ISF wissen. Eine demokratische Erhebung ist jedoch kaum vorstellbar, da es keine belastbaren Definitionen dessen gibt, wer wahlberechtigt, also ›echter‹ Skateboarder, sei und wie eine Erhebung durchführbar sein könnte. Dies bekräftigt eigentlich die oben angeführte Position, dass Skateboarding nicht regierbar bzw. repräsentierbar sei, führt aber faktisch dazu, dass dem Repräsentationsanspruch der ISF aufgrund der nicht vorhandenen Organisation der Skateboarder wenig Widerstand entgegengebracht wird. Dazu kommt ein in der Debatte offen oder implizit verwendetes Argument, auf welches im folgenden Abschnitt eingegangen wird:

1

Es wurde im Internet ein Video mit dem Titel »Olympic Pitch« veröffentlicht, welches die Vorzüge und ökonomische Potenz des Skateboardsektors hervorhob und klar signalisierte, dass Skateboarding als olympische Disziplin geeignet sei. Mittlerweile ist es gelöscht.

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11.2 TINA ² THERE

IS NO ALTERNATIVE »Skateboarding is going to be in the Olympics whether we like it or not.« Carnie said, in an article about skateboarding and the Olympics. »I don’t like it. But NBC and the IOC want it. And they’re going to get it one way or another. If it isn’t done by skateboarders, it will be done by one of a handful of other groups out there claiming to be the official governing body of skateboarding«« (Brixey 2012).

Mit dem TINA-Argument wird kolportiert, dass die Olympiateilnahme als solche gar nicht mehr zur Disposition stehe, es lediglich eine Frage der Zeit und der Gestaltung sei, wann und wie das Skateboarding in die Olympischen Spiele integriert werde. Damit wird die Diskussion auf eine andere Ebene gebracht, auf welcher es nicht mehr um die Olympia-Grundsatzfrage geht, sondern lediglich noch um das geringste Übel, die bestmögliche Umsetzung. So fasst Webb Brixey die Situation in einem Olympiaartikel wie folgt zusammen: »As long as there’s money to be made there are going to be people out there looking to take skateboarding, package it and sell the shit out of it. And there’s no doubt that the Olympics will get hold of skateboarding at some point, whether that’s 2016, 2024 or later. It sucks. But I feel a little better about it, knowing we’ve got people, like Dave Carnie or Tony Hawk looking after it who are trying to ensure that the damage done is minimal. Maybe there’s hope for us after all« (Brixey 2012).

Hier setzt die ISF an, welche sich in Zusammenarbeit mit einigen renommierten Skateboardern und Kritikern wie Tony Hawk, Neil Hen-

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drix und Dave Carnie als beste aller Lösungen präsentiert. Tatsächlich sind unglaubwürdigere Vertreter denkbar. Dennoch oder gerade deswegen ist die TINA-Argumentation in der Lage, die Kritik an der Olympiateilnahme im Allgemeinen und der ISF im Besonderen zu desavouieren. Eine radikale Kritik, beispielsweise an der ISF, würde dieser Argumentation gemäß wider besserer Intentionen schlechteren Varianten das Wort reden. In einem Satz lautet das Argument: Es kann mit Skateboarding als olympischer Disziplin Geld gemacht werden, also wird jemand es früher oder später tun. So gesehen, gehe es der ISF um Schadensbegrenzung und größtmögliche Authentizität im Rahmen der olympischen Möglichkeiten. Sollte die ISF nicht legitime Vertretung der Skateboarder sein, würde es früher oder später eine andere Organisation werden, welche, so das Argument, tendenziell mehr von den finanziellen Verlockungen und weniger von der Liebe zum Skateboarding geleitet wäre. Wie sehr nun die ISF selbst diesen edlen Motiven verpflichtet ist, bleibt Gegenstand der Diskussion. Der Präsident der ISF ist der Nicht-Skateboarder Gary Ream, seines Zeichens Präsident von Woodward Camp, Inc. Woodward unterhält (Action-)Sport Camps u.a. für Skateboarder, BMX, Inline Skater und hat mit dem Aufkommen der X-Games einen großen Aufschwung erfahren: »With the creation of the X Games in 1995, everything changed and Woodward became more and more influential to both the athletes as well as the way they learned and approached the new and exciting skills that make these sports so attractive to youngsters and exciting to spectators and audiences« (Global Sports Forum 2012).

Vor diesem Hintergrund lässt sich vermuten, dass die Olympiateilnahme den Einfluss und die Profitabilität von Woodward Camp Inc. signifikant vergrößern wird. Die Kampagne der ISF, Skateboarding olympisch werden zu lassen, kann daher auch ökonomischen Interessen zugeschrieben werden. Verlassen wir nun TINA und wenden uns abschließend den Möglichkeiten zu, welche theoretisch bestehen, um eine Olympiateilnahme

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abzuwenden. In seinem Artikel stellt Brixey die Frage, ob es nicht ganz einfach möglich sei, die ISF als offizielle Interessensvertretung zu etablieren, um dann schlicht ›Nein‹ zur Teilnahme zu sagen. »In response, Carnie wrote, ›We have actually declined. We are in a unique position to be able to say, you want skateboarding? Well you’ll get it, but only on skateboarding’s terms.‹ However, it’s not that simple« (Brixey 2012).

Die Antwort zeigt, dass eine strikte Ablehnung nicht auf der Agenda steht, obschon sie möglich wäre, sobald die ISF als Vertretung der Skateboarder offiziell anerkannt wäre. Es gibt in der Diskussion auch wesentlich deutlichere Aussagen über eine etwaige Olympiateilnahme. So lässt Street League Gründer Rob Dyrdek verlauten: »I would be lying if I didn‫ތ‬t say [having skateboarding in the Olympics] is not something that I think this [merger between X Games and Street League] will open up. This will tell a much simpler story to the Olympics and it‫ތ‬s something that I would love to see. ... If they would like to adapt the Street League format for the Olympics it‫ތ‬s something that I would love to see happen,« explains Dyrdek. [...] I believe that by the time the Summer Olympics roll around in 2016, Street League will continue to evolve and will be a well-oiled machine, showcasing a more varied depiction of skateboarding« (Nieratko 2013b).

Nicht nur Unternehmer, auch einige (potenziell teilnehmende) Skateboarder sind offen für eine Aufnahme in die Olympischen Spiele. Die Begeisterung der etwaig bei Olympia antretenden Skateboarder ist mikroperspektivisch nachzuvollziehen. Eine Skateboardkarriere ist in der Regel von kurzer Dauer und die Möglichkeit, eine olympische Medaille und damit Reputation, Sponsorengelder und TV-Auftritte zu erhalten, ist für junge Athleten eine verlockende Perspektive. So nimmt es nicht wunder, wenn sich Skateboarder wie Paul Rodriguez eher vorsichtig oder Shaun White offensiv für die Olympiateilnahme der Skateboarder aussprechen. White, welcher bereits in der Disziplin

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Snowboarding olympisches Gold gewinnen konnte, verdient allein durch Werbeeinnahmen rund 10 Millionen Dollar im Jahr (Krause 2014) und könnte mit Skateboarding als olympischer Disziplin doppelter Medaillenträger werden. Der bislang bei Street League erfolgreichste Skateboarder Nyjah Huston lobt in diesem Sinne in einer Gastkolummne für den Hollywood Reporter (Huston 2013) die Entwicklung Skateboardings vom Outlaw- zum Mainstreamsport mit enormen Einschaltquoten und großen Sponsoren. Es werde daher Zeit, dass Skateboarding olympisch wird, nicht unbedingt seinetwegen, sondern weil es der von Huston unterstellte Wunsch der »skate fans« sei: »And if there’s anything we know about skate fans, it’s that they won’t rest until the Olympic committee goes to a vote« (ebd.).

Hier zeigt sich ein für die Olympiadebatte symptomatisches Phänomen: Jemand spricht im Namen einer kaum definierten Masse, um Entwicklungen zu legitimieren oder zu forcieren, die seinen Partikularinteressen entsprechen, jedoch als Interessen der Allgemeinheit deklariert werden. Man kann frei nach Rancière konstatieren: »All teleologies and all imageries of coming-to-Olympia [meine Veränderung, S.S.] are founded on the certainty of a distribution: some people‫ތ‬s mission is to speak for others who know not what they do. Such is the philosophy of the desk corner in the editorial office, the point of view of the go-between« (Rancière 2003: 122).

Vor diesem Hintergrund trifft der Titel einer zornigen Internetkolumne gegen die Olympiateilnahme und gegen illegitime Repräsentation der Skateboarder von Bud Stratford das Problem sehr genau: »Gary Ream doesn‫ތ‬t speak for me« (Stratford).

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Auf der anderen Seite wird die Teilnahme der Skateboarder bei den Olympischen Spielen ganz im Sinne einer erneuernden Künstlerkritik auch als frischer Wind in verkrusteter Olympiastruktur verstanden. »The Olympics is an ancient institution that is going to have a hard time adapting their rigid judging system to something as abstract as skateboarding. It’s going to be interesting to see just how much the IOC is going to be able to change things to accommodate skateboarding on its own terms« (Brixey 2012).

In diesem Sinne ließe sich vorsichtig konstatieren, dass das Skateboarding sich auf der kodifizierten Ebene des professionellen Sports in die (olympische) Ordnung einschreibt und diese ggf. modifizieren könnte.2 Dies als politische Einschreibung im Sinne Ranciéres zu verstehen, wäre jedoch voreilig. Auf gesamtgesellschaftlicher Ebene kann von einer politischen Einschreibung in die bestehende (Verteilungs-)Ordnung nicht gesprochen werden: Die Olympiateilnahme ist hoch exklusiv, es gibt keine demokratischen Aushandlungsprozesse, wie Skateboarding (re)präsentiert werden könnte und die bestehende Sport- und/oder Gesellschaftsordnung wird durch die Teil-nahme Skateboardings weder erweitert noch modifiziert. Legitime Teil-nehmer in der gesamtgesellschaftlichen Verteilungsordnung werden Skateboarder als solche dadurch nicht. Die Akzeptanz für eine spezielle Ausprägung des Skateboardings wird voraussichtlich größer werden: Die Aktivitäten, welche sich in den dafür vorgesehenen Arealen wie Skateparks und -plazas abspielen und der Gesellschaft mit der etwaigen Olympiateilnahme als Training sinnvoll erscheinen werden. Damit bleibt der Skateboarder jedoch auf seinen Platz verwiesen und wird, indem er in die Ordnung inkludiert wird, gleichzeitig exkludiert: Dadurch, dass Skateboarder einen Platz (Plaza) erhalten, sind sie, wie andere Sportarten auch, akzeptiert (häufig finden sich Plazas symbolisch neben Fußball-, Spiel-,

2

Die Potenziale dieser Modifikation sollten nicht überschätzt werden; eine Lockerung der Nationaltrikotpflicht wäre eine denkbare Variante.

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und Basketballplätzen). Diese Akzeptanz würde sich durch die Olympiateilnahme voraussichtlich verstärken. Gleichzeitig jedoch sinkt mit der Installation von Skateboardplätzen die gesellschaftliche Akzeptanz und Toleranz für diejenigen Skateboarder, welche sich außerhalb derselben aufhalten. Man könnte die Gleichung aufstellen, dass größere Inklusion der Skateboarder, d.h. städteplanerische Einhegung durch teure und aufwendige Skateplazas, gleichzeitig zu größerer Exklusion der Skateboarder aus dem gesellschaftlichen, i.e. öffentlichen Leben führt. Je teurer der Plaza war, desto unverständlicher wird dessen Nicht-Benutzung für viele Menschen, ja häufig wird es als Affront wahrgenommen, außerhalb der extra eingerichteten Plätze Skateboard zu fahren. Die Absurdität, als Skateboarder lediglich noch auf einem speziellen Platz legitimer Teilnehmer zu sein, lässt sich veranschaulichen, wenn man sich vorstellt, dem Flaneur das Umherstreifen im urbanen Raum zu untersagen und ihn stattdessen auf einen extra eingerichteten Flanerieplatz mit original Pariser Gaslampen zu verweisen. Inklusion auf der kodifizierten Ebene und Exklusion auf der gesamtgesellschaftlichen Ebene wirken also gleichursprünglich. Dieses Argument wird hier so starkgemacht, um die voreilige Schlussfolgerung, die Olympiateilnahme sei gut für die gesellschaftliche Akzeptanz der Skateboarder und des Skateboardings, differenzierter zu betrachten. Im Gegenteil ist es wahrscheinlich, dass die Haltung, Skateboarding mit eigenem Recht jenseits des Verwertungsparadigmas und selbstverständlich im öffentlichen Raum zu praktizieren, durch die Olympiateilnahme weiter unter Legitimationsdruck geraten wird. Da sich die vorliegende Analyse auf den globalen Norden konzentriert, muss die Perspektive für die Olympiadiskussion erweitert werden. In vielen nichtwestlichen Nationen ist es ungleich schwieriger, Skateboarder zu sein und Skateboarding zu praktizieren. Neben vielen unterschiedlichen, länder- und kulturspezifischen Gründen lassen sich zwei Hauptprobleme identifizieren: Erstens keine den Bedürfnissen der Skateboarder entsprechende urbane Architektur sowie Zweitens ein institutionelles Umfeld, welches mit Verständnislosigkeit, Verbot oder Ablehnung auf praktizierende Skateboarder reagiert. Hier stellt der

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olympische Ritterschlag unter Umständen die conditio sine qua non für die Entwicklung einer Skateboardszene jenseits kleiner Avantgarden dar. Die Förderung, welche Skateboarding als olympische Disziplin erführe, würde zu Skateboardplätzen und einer Aufwertung bzw. Anerkennung als Sportart führen. Es wäre daher voreilig, die Olympiateilnahme kategorisch abzulehnen, jedoch gilt es, auch für die sogenannten Entwicklungs- oder Schwellenländer eine differenzierte Perspektive einzunehmen. Denn der Status als ›echte‹ Sportart würde gleichzeitig Möglichkeits- und Erfahrungsräume, welche das Skateboarding beispielsweise für junge Mädchen und Frauen in nicht westlichen Kulturen offenhält, verschütten: »Die Tatsache, dass Skateboarding sowohl in Afghanistan, als auch in Kambodscha eine Neuheit ist, ist von großem Vorteil für die Arbeit mit Jugendlichen mit unterschiedlicher sozialer Herkunft. Insbesondere appeliert es an Mädchen, die sonst oftmals von traditionellen Sportarten wie Fußball gesellschaftlich ausgeschlossen werden« (Skateistan).

Hier fungiert Skateboarding noch als Leerstelle, ist »neither game nor sport« (Borden 2001: 255). Im prekären Status des inter-esse bieten sich Möglichkeiten für junge Mädchen, welche mit der Institutionalisierung Skateboardings als reguläre Sportart verloren gehen würden. Daher betont Frauke Meyn, eine freiwillige Mitarbeiterin bei der NGO Skateistan: »Wir achten aber sehr darauf, dass wir es nicht als westliche Sportart etablieren« (Brückner 2012). Die konkreten Formen, welche Skateboarding in Ländern nicht westlicher Provenienz als olympische Sportart annehmen würde, wären präzedenzlos insofern, als es sich um eine von oben implementierte Entwicklung handeln würde. Anzunehmen wäre eine staatliche Kooperation mit der ISF und dem IOC, um Skateboarding den Leistungserfordernissen einer olympischen Sportart gemäß in den jeweiligen Nationen zu installieren. Damit würde sich die dortige Entwicklung des Skateboardings gar nicht erst mit dem subkulturellen, widerständigen Ballast beschweren, sondern sogleich als vernünftiger Sport etabliert

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werden. Die Geschichte des Skateboardings würde in diesen Ländern voraussichtlich keine der kreativen und illegalen Zweckentfremdung urbaner Architektur, der selbstgebauten Zementrampen und angeeigneter Schwimmbecken als Wellensubstitut sein, sondern eine geplante Tätigkeit auf speziellen Trainingsplätzen zwecks Olympiaqualifikation. Wie sich das Skateboarding in den spezifischen Kontexten jeweils ausbilden wird, bleibt natürlich kontingent und ein Ausbruch aus der eingehegten und olympiafokussierten Form ist ebenfalls denkbar.

11.3 AUSBLICK Das institutionelle Umfeld und das Selbstverständnis der Skateboarder hat sich zugunsten einer etwaigen Olympiateilnahme verändert. Dazu kommen Eventreihen wie Street League, welche ein olympiakompatibles Format stellen könnten. In der Frage um die Olympiateilnahme ist das letzte Wort noch nicht gesprochen, wobei festzuhalten ist, dass die Wortführer in der Debatte zwar im Namen der Skateboarder aber deshalb nicht zwingend für diese sprechen. Von einer demokratisch legitimierten Interessensvertretung der Skateboarder kann nicht gesprochen werden, was auch der Schwierigkeit einer skateboardinternen Meinungserhebung geschuldet ist. Dies hat dazu geführt, dass selbsternannte Sprecher und Vertreter der Skateboarder weitreichenden Handlungsspielraum haben, da bislang von den unorganisierten Skateboardern keine wirksame Gegenposition etabliert wird. Eine politische Einschreibung im Sinne Ranciéres liegt hier nicht vor, da eine selbstverständliche Teilhabe der Skateboarder am öffentlichen Leben, jenseits der für sie vorgesehenen Areale durch die Olympiateilnahme, nicht zu erwarten ist. Im kodifizierten Rahmen des professionellen Sports könnte Skateboarding einige Modifikationen vornehmen, was jedoch an den Variablen Nationalität, Leistung und Massenkompatibilität nicht wird rühren können oder wollen.

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Nach jetzigem Stand (März 2014) wird die nicht unerhebliche Weichenstellung der Olympiateilnahme voraussichtlich ohne Zu- oder Abstimmung der Skateboardgemeinde vorgenommen werden. Demgemäß steht die (Diskussion um die) Teilnahme gegenwärtig für eine exklusive Stadtentwicklung3 und undemokratische Entscheidungsfindung. Die umkämpfte Definition des Skateboardings als Sportart würde durch eine Olympiateilnahme mit allen Implikationen hegemonial werden. Diese wird weitreichende Entwicklungen zeitigen, welche vor allem für Länder nicht-westlicher Provenienz noch nicht absehbar sind. Hier könnte die Olympiateilnahme als Initialzündung für eine Verbreitung des Skateboardings fungieren, wobei es sich voraussichtlich nicht mehr um eine ›kritische‹ grassroots-Bewegung handeln würde und vorhandene Freiräume tilgen könnte. Abschließend ist zu konstatieren, dass eine Teilnahme längerfristig betrachtet wahrscheinlich ist. Das unterstreicht die in der Arbeit markierte Tendenz einer Verschiebung des Alltagsverstands (Gramsci) zu einer leistungszentrierten und akkulturalisierten Auslegung der Praxis des Skateboarding. Diese entspricht den Anforderungen des Akkumulationsregimes und der Spektakelkultur. Mit der Teilnahme wird sich das Skateboarding den gesamtgesellschaftlich dominanten, also hegemonialen Semantiken meritokratischer Bewährungsproben weiter anpassen.4

3

Die städtebaulichen Eingriffe, welche die Errichtung eines Olympischen Dorfes fordert, sind aus Perspektive der Skateboarder i.d.R. nicht wünschenswert. Zwar können durch neue Bauten Plätze entstehen, auf welchen man theoretisch skateboarden könnte, jedoch wird ein Sicherheitsregime installiert, innerhalb welchem Skateboarder wenig Spielräume für ihre Tätigkeiten haben. So könnten innerhalb des Stadions Skateboarder gefeierte Olympiastars sein, während (andere) Skateboarder gleichzeitig außerhalb desselben des Platzes verwiesen würden.

4

Dies markiert die dominante Entwicklungstendenz. Das soll jedoch keine homogene Entwicklung des Skateboardings in lediglich eine Richtung kolportieren, sondern verstärkt vielmehr weitere Ausdifferenzierung.

12. Nike und der Kampf um Authentizität

Der Hegemoniekampf um Authentizität und die Einschreibung großer Konzerne in die Skateboardkultur soll in diesem Kapitel anhand der Etablierung von Nike Skateboarding (Nike SB) nachgezeichnet und analysiert werden. Wenn im Folgenden von der Erschließung des Skateboard-Marktsegments gesprochen wird, soll nicht kolportiert werden, dass Skateboarding sich vorher autark außerhalb der Warenzirkulation befunden hätte. Einen Skateboardmarkt gab es solange, wie es Skateboards gibt: »Product is so intertwined within the act of skateboarding that it‫ތ‬s literally impossible to have one without the other – which incidentally has turned us all into product psychopaths [...]« (Duffel 2012: 21).

Es war jedoch zunächst ein kleiner Markt, welcher häufig von Skateboardern für Skateboarder betrieben wurde: Die Geschäfte und Boardoder Skateschuhfirmen wurden nicht selten von Skateboardern gegründet und geführt. Damit wurde die Frage nach der Authentizität eines in Skaterhand befindlichen Labels zumeist gar nicht erst gestellt. Es entwickelte sich so die Illusion einer skateboardinternen Zirkulationssphäre, welche zwar nicht abgekoppelt vom Markt war, aber ein gewisses – authentisches – Eigenleben behielt:

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»Thus while capitalist economic relations between owners and staff are largely upheld, there is an attempt made within skateboarding to inaugurate a separate circuit of capital which exists entirely within skaters, skaters buying from other skaters, who in turn reinvest in skateboarding by providing not only better equipment but also sponsorship for skaters, skate events, ramps and so forth. Ultimately, however, this looks increasingly like being a self-delusional ideology« (Borden 2001: 157).

Bordens 2001 formulierte Vermutung, es handle sich um eine »selfdelusional ideology« (ebd.), hat sich bewahrheitet. Spätestens seit der Übernahme von kleinen, ehemals von Skateboardern gegründeten Labels durch multinationale Konzerne und dem gleichzeitigen Verschwinden unabhängiger, ursprünglich von Skateboardern gegründeter Firmen wurde deutlich, dass auch die Skateboardbranche nicht immun gegen Mergers und Acquisitions ist. Im Gegenteil hat der »Kapitalismus« hier ein äußerst ergiebiges Authentizitätsreservoir (Boltanski/Chiapello) erschlossen. Da sich die Entwicklung am besten auf dem umkämpften Schuhmarkt mit dem Einstieg von Nike exemplifizieren lässt, möchte ich dieses Beispiel genauer analysieren. Hierzu stelle ich ein Zitat der »Don‫ތ‬t do it-Foundation« voran, weil es das Gebiet, auf welchem sich der Hegemoniekampf um Authentizität, Deutungshoheit und die Dimension der Kritik abspielt, absteckt. Die »Don‫ތ‬t do itFoundation« kämpft im Allgemeinen gegen große Konzerne, welche sich im Skateboardsegment platzieren wollen und im Besonderen gegen die Etablierung von Nike. Ihre Selbstdarstellung liest sich wie folgt: »The Snow, Skate and Surf industries were born out of passion. These passionate hands are what nurtures and guides the industry to grow on the proper path. We all have the power to help direct the course of these industries by what we purchase and who we support. We encourage you to empower those companies who were born out of passion, rather than those companies who wish to take someone else‫ތ‬s passion down their own path. ›KEEP OUR INDUSTRY IN PASSIONATE HANDS‹« (Don‫ތ‬t do it-Foundation).

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Es wird in der Kritik weder außerhalb der Warenzirkulation gedacht noch wird eine Kapitalismuskritik formuliert. Den normativen Rahmen stellt eine ursprünglich als gesund und authentisch (vgl. Muchnik 2012) bezeichnete Skateboardindustrie, welche sich fremden Übernahmen gegenübersieht. Das Argument ist, dass es bei den fremden Firmen nicht um die Liebe zum Skateboarding gehe, sondern nur um Profit (shareholder value), dass von Skateboardern aufgebaute und besessene Firmen zerstört oder geschluckt würden (Mergers & Acquisitions) und dass das Kapital bei den ersten Anzeichen eines Markteinbruchs ›skrupellos‹ weiterziehen und Skateboarding und Skateboarder ihrem Schicksal überlassen würde (ebd.). Die Semantiken von gesund und krank, innen und außen sind problematisch und ihnen liegt keine Kapitalismusanalyse zugrunde. Vielmehr geht es hier um eine Monopolkritik und um die Stärkung lokaler, vermeintlich gesunder, nicht entfremdeter Strukturen. Evident ist jedoch der Punkt, dass das Kapital beim geringsten Anzeichen eines Einbruchs weiterziehen würde, da Kapitalakkumulation immer Selbstzweck (Boltanski/Chiapello 2006: 58) ist. Nike musste sich nach zwei fehlgeschlagenen Versuchen, im Skateboardsektor Fuß zu fassen (Muchnik 2012), trotz ihrer Potenz als Weltkonzern den skateboardspezifischen Werten beugen: Das Feld der Auseinandersetzung wurde von Skateboardern und deren Authentizitätsforderungen vorgegeben. Nike hat 2002 im dritten, erfolgreichen Anlauf eine intelligente, auf die Bedürfnisse der authentizitätsbetonen Skateboardkultur abgestimmte Kampagne lanciert, um sich zu etablieren: »Nike has gone out of its way to earn the respect of skaters by selling exclusively to independent shops, advertising nowhere but in skateboard magazines, and offering sponsorships to influential pro riders. The strategy has helped Nike score enormous »street cred«--that delicate balance of being cool without trying too hard« (Robertson 2002).

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Nike vertrieb seine Waren ausschließlich über unabhängige Skateboardshops, ließen sich von Kennern der Szene beraten und arbeiteten bei der Produktentwicklung eng mit den gesponserten Fahrern zusammen (Robertson 2002). 2004 verpflichtete Nike Paul Rodriguez, einen der derzeit erfolgreichsten und technisch versiertesten Skateboarder. Diese Verpflichtung wird auch als »turning point« (Skateboardingmagazine.com) bezeichnet. Paul Rodriguez ist durch seine Teilnahme bei Street League über die Skateboardgemeinde hinaus bekannt. Neben ihm nahm Nike Skater aus allen Subkategorien des Feldes in sein Team auf: Dem Poolskating (Chet Childress, Lance Mountain), technischem Skateboarding (Cory Kennedy, Luan Oliveira, Shane O‫ތ‬Neil), betont stylischem Skateboarding (Daniel Shimizu, Gino Iannucci), rasantem Skateboarding (Omar Salazar, Grant Taylor) (vgl. Nike d). Dabei wurden aus allen Bereichen nur die mit höchster Reputation ausgestatteten Vertreter, mit Bourdieu die Orthodoxie des jeweiligen Feldes, verpflichtet. Dazu schaltete Nike in Skateboardzeitschriften Anzeigen, welche die Teammanager beim Skateboarding zeigten. Damit wurde direkt darauf reagiert, dass Firmen und Industriestrukturen in Skaterhand einen hohen Stellenwert haben. Natürlich verschwindet der Anteil der Skateboarder in der Nike-Konzernhierarchie oberhalb der Stufe der Teammanager. Mark Parker (Nike CEO & President) wurde zumindest noch nicht auf einem Skateboard gesichtet. Dennoch zeigt es die organisationsinterne Anpassungsfähigkeit, welche Nike zumindest auf der Vorderbühne oder der Talk-Ebene zur Schau stellt. Das Engagement im Skateboardsektor ist jedoch nicht mit Hingabe zum Skateboarding zu erklären, sondern mit der Zufriedenstellung der Anleger qua shareholder value. Ist der sogenannte Extremsport im Vergleich mit anderen Sportarten auch (noch) kein großes Segment, ist es doch eines der am schnellsten wachsenden (vgl. Muchnik 2012), also eine vielversprechende Anlagemöglichkeit für das Kapital. Um diese wahrnehmen zu können, verpflichtete Nike neben Nachwuchstalenten auch altgediente Skateboardlegenden. Sogenannte Legenden bieten einen Hafen für skateboardfremde Konzerne, die sich als

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authentisch zu etablieren suchen. Die Betonung des Engagements einer Legende für Nike und vice versa das Engagement von Nike für die Legende(n) und sind also wichtige Bestandteile der Strategie. So liest sich auf der Team-Homepage über Lance Mountain (Jahrgang 1964), den ältesten Teamfahrer Nikes: »A legend many times over, Lance still skates everyday and has the progression level to prove it. It’s that type of dedication that guarantees there isn’t a skateboarder alive who isn’t cheering him on« (Nike a).

Der zentrale Punkt wird auf der Homepage angesprochen. Wird der Satz ein wenig umgeschrieben, so garantiert (die Verpflichtung von) Lance Mountain, dass es keinen Skateboarder gibt, welcher ihn, i.e. Nike, nicht respektiert. Mit den Legenden und den renommierten Skateboardern erschließt Nike sich also ein ganz wörtliches Authentizitätsreservoir (Boltanski/Chiapello), um als Firma legitimiert zu sein. Wie die persönliche Reputation einer Legende im Sinne Nikes verwertbar gemacht werden kann, soll folgender Exkurs beispielhaft beleuchten.

12.1 E XKURS I E RIC K OSTON 2013 widmete sich eine große Nike-Kampagne der Vermarktung des neuen Schuhmodels von Eric Koston, einem der renommiertesten Streetskateboarder mit ›Legendenstatus‹. Zunächst ist zu konstatieren, dass Skateboardern mitunter vorgeworfen wird, bei einem kultur- und szenefremden Konzern wie Nike unter Vertrag zu stehen. Dabei muss jedoch bedacht werden, dass eine skateboardbasierte Erwerbsbiografie prekär und zeitlich begrenzt ist und die Möglichkeiten, Geld für das Alter anzulegen, definitiv gering sind. Auch metatheoretisch betrachtet ist die opportunistische Haltung eine dem Zeitgeist entsprechend adäquate Einstellung. Es geht um die Life-Politics (Bauman):

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»Hier geht es nicht um die große Politik, sondern um die Mikropolitiken des Individuums: Was kann jemand selbst und für sich tun, wobei die Frage ausgeblendet bleibt, was alle gemeinsam tun könnten, wenn sie sich zusammentäten« (Bauman 2003: 80).

Wo alle Sicherheiten verdampfen, ist man zurückgeworfen auf die einzige unhintergehbare Gewissheit: Zu sein. »In einer Welt, die als ausgesprochen unbeständig und wechselhaft gilt, ist das Ich das einzige Element, das zu identifizieren und zu fördern sich lohnt, weil es sich als einziges als einigermaßen dauerhaft erweist« (Boltanski/Chiapello 2006: 397).

Das Ich Eric Kostons hat einen Status erreicht, in welchem dessen Reputation und Geschick auf dem Skateboard in ökonomisches Kapital konvertierbar werden. So wird auf der Nike-Teamhomepage deutlich auf die Wertigkeit Eric Kostons im Feld verwiesen: »As one traces the evolution of modern street skating from its earliest foundation to the unbelievable heights to which it has risen, Eric Koston has served as a constant innovator each step of the way« (Nike b).

Im Rahmen der großangelegten Kampagne wurden dezidiert seine besonderen, natürlich skateboardrelevanten, Innovationen aufgeführt. Eine interaktive Homepage gibt Auskunft über Datum und Ort der jeweiligen Tricks, welche Eric Koston als erster hat landen können. Dazu gibt es Links zu den passenden Videobeweisen. Kostons durch sein 20 Jahre währendes Engagement für Skateboarding generierte skateboardinterne Reputation ist somit Bedingung für dessen employability in der projektbasierten Polis: »Für den Netzopportunisten (wie für den Performancekünstler) ist nur wichtig, für ein Event gesorgt zu haben, das seine Signatur trägt« (Boltanski/Chiapello 2006: 396).

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Jeder vorher noch nicht da gewesene Trick, welchen Koston für sich verbuchen konnte, trägt seine Signatur. Die Grafik, welche sein Vermächtnis veranschaulicht, ist sozusagen dessen Bilanz. Ostentativer kann die Legitimität des mit Nike verbundenen Koston nicht markiert – und verwertet – werden. Daher möchte ich Borden, welcher attestiert, Skateboarder hätten kein Wissen (und kein Interesse) an ihrer eigenen Geschichte, an dieser Stelle widersprechen. Borden schreibt: »Predominantly, just as skateboarders have little sense of skateboarding’s history, so too are they largely unaware of the political nature of their actions [...]« (Borden 2001: 206).

Nicht jeder Skateboarder weiß, wer die ersten Urethan-Rollen auf den Markt gebracht hat, dennoch spielt Geschichte innerhalb der Skateboardkultur eine nicht zu unterschätzende Rolle. So werden Tricks beispielsweise häufig nach ihren Erfindern benannt1 und es gibt Videoformate, welche sich ausschließlich der reichen Skateboardgeschichte widmen wie beispielsweise »Jeff Grosso‫ތ‬s Love Letters to Skateboarding« (Grosso) oder Patrick O’Dells »Epicly latere‫ތ‬d« (O’Dell). Hier wird die Geschichte ikonografischer Skateboarder oder bestimmter, für die Kultur wichtiger Orte erzählt. Beal schreibt in diesem Zusammenhang: »Skaters have a keen appreciation for skateboarding history. They honour legendary skaters from the past and admire longevity on the industry. A deep and long-term commitment to the sport and lifestyle is another form of authenticity. [...] New companies owned by prominent skateboarders or other respected members of the skate community demonstrate their authenticity by emphasizing the longterm involvement of the owner« (Beal/Weidman 2003: 350).

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Beispielsweise: Barley Grind nach Donny Barley, Pupecki Grind nach Eric Pupecki, Caballerial nach Steve Caballero, Rick Flip nach Rick Howard, Willy Grind nach Derek Williams.

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Es kann also definitiv ein Wissen um berühmte Spots, deren Lage, ob sie mit Skatestoppern versehen sind sowie die Liste der bereits gestandenen Tricks bei vielen Skateboardern vorausgesetzt werden. Auf dieses Wissens rekurriert die Nike-Kampagne für Eric Koston und entfaltet so ihre Wirkung. Anhand dieser Kampagne lässt sich erkennen, dass Nike aus den Misserfolgen, im Skateboardsegment Fuß zu fassen, Schlüsse gezogen hat. Der dritte, erfolgreiche Anlauf konzentrierte sich zunächst auf die Skateboarder und nicht auf ein Massenpublikum außerhalb der Skateboardkultur und stand im Zeichen einer vorübergehenden Zurückhaltung: »But thanks to the painful lessons it learned from that earlier effort, the $11 billion company has found that when it comes to marketing its three-year-old Nike Skateboarding brand, the trick is to not behave like an $11 billion company. Its market-share numbers are purposefully paltry–less than 5 percent of the $1 billion skate-shoe business–because, for now, Nike is focused not on volume but on cachet« (Robertson 2002).

Nachdem die Etablierung gelungen war, konnte Nike selbstbewusster und offen renditeorientiert agieren. Für Aufsehen und als Indiz für das Ende der Zurückhaltung sorgte die Begründung der Entlassung des Skateboarders Peter Hewitt: »Recently a manufacturer of basketball, wrestling, and golf shoes decided to open its fucking mouth and tell their skateboarding division that one of their riders was acting too much like a skateboarder and not enough like a role model a la Kobe Bryant, Tiger Woods, or Lance Armstrong. In an interview with me the rider talked about buying (medicinal) marijuana and also shared some great poop stories from when he was a teenager some 25-plus years ago. Well, someone high up in the corporation took offense to this and had the skater fired immediately. His main source of income snatched away« (Nieratko 2013a).

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Die ökonomische Potenz und die Anerkennung im Skateboardsegment haben dazu geführt, dass Nike sich auch hier wie in den anderen bereits okkupierten Branchen verhalten kann. Die Präsenz von Nike im Skateboarding hat dazu geführt, dass Skateboarder ihr Verhalten überdenken oder verändern müssen, um weiterhin einen so potenten Sponsor halten zu können. Nieratko schreibt dazu: »So when we as a skateboarding community allow these visiting corporations to dictate our code of conduct, things have gone too far« (Nieratko 2013a).

So schreibt sich der Konzern Nike2 nicht nur in die Skateboardkultur ein, sondern ist offenbar in der Lage und Willens, diese wenn es seinen Interessen dienlich ist, umzuschreiben. Die Anpassung an die Skateboardkultur war rein temporär, um sich auf dem schwierigen Skateboardmarkt glaubwürdig zu platzieren. Dass es hier nie um die Skateboardkultur ging, wurde von Kritikern immer betont und in diesem Sinne spricht Nieratko auch von »corporate tourists« (ebd.) oder »visiting corporations« (ebd.), da diese sich, sobald Skateboarding keine attraktive Investition mehr darstellt, zurückziehen werden. Vor diesem Hintergrund nimmt es nicht wunder, dass Nike und Adidas nun nicht mehr die anfangs so wichtigen unabhängigen (Skate-)Shops beliefern, weil sich effektivere Möglichkeiten der Profitmaximierung, beispielsweise große Franchiseketten, ergeben haben: »The company [Adidas, S.S.] and Nike are refusing to supply shoes and clothing to any sports shop which does not sell more than £25,000 of their products and are removing credit facilities« (Moore-Bridger 2014).

Das neue Limit von £ 25 000 exkludiert dezidiert die kleinen, vormals hofierten, unabhängigen Läden. Nick Mavrides, der Besitzer von Ace

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Natürlich nicht nur Nike, sondern auch andere Großkonzerne wie Adidas, New Balance, Warner Brothers u.v.m. Nike dient hier der Veranschaulichung.

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Sports sieht seine Existenz durch den Verlust der großen Marken gefährdet und beschwert sich: »They just want to get into bed with the big chains – JD Sports, Foot Locker – and they don’t care about anyone else. Their action seriously affects my ability to conduct my business. It will have a catastrophic effect and force me to close« (Moore-Bridger 2014).

Das Überraschende daran ist, dass diese der Profitmaximierung verpflichteten Maßnahmen tatsächlich überraschen können. Nachdem es also anfangs die Strategie war, sich gerade nicht wie eine »$11 billion company« (Robertson 2002) zu verhalten, hat sich der Auftritt deutlich verändert. Robertson schrieb 2004: »Appearances aside, don‫ތ‬t be surprised to see Nike flexing those $11 billion muscles soon« (ebd.). Wie ein solches Muskelspiel aussehen kann, soll der folgende Exkurs veranschaulichen.

12.2 E XKURS II »N IKE C HOSEN «W ERBEKAMPAGNE Im Rahmen der Bemühungen, sich im gesamten Extremsportsegment zu positionieren, hat Nike einen aufwendigen Werbeclip mit dem Titel »chosen« (Nike 2011) produzieren lassen. Dieser porträtiert die ›Sportarten‹ Surfen, Snowboarden, Skateboarden, BMX sowie extreme Skiing und wurde von der Agentur 72andsunny produziert, deren Service es ist, »cultural impact on behalf of brands« (72andsunny 2014) zu kreieren. Die Kampagne sollte für Aufmerksamkeit auch außerhalb der Skateboardgemeinde sorgen: »Nike will also release a 3-D version of the commercial that will be shown on the Fourth of July weekend in movie theaters before films like »Transformers 4««(Vega 2011).

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Alle Aufnahmen des 2011 erschienenen Videos sind nachts gedreht worden, wobei die Aktionen der Sportler mit Scheinwerferbeleuchtung, Nebelmaschinen und Pyrotechnik in Szene gesetzt wurden. Die Skateboarder Theotis Basley, Paul Rodriguez und Omar Salazar skaten prestigeträchtige Skatespots in New York und Los Angeles. Die illegale Aneignung urbanen Terrains qua Skateboard wird hier zu einem wertschaffenden, professionalisierten und von der Polizei eskortierten Spektakel. Orte, an welchen Skateboarding normalerweise illegal ist, wie beispielsweise das legendäre Courthouse an der Centre Street in Manhattan, werden zu einer mit Nebelmaschinen und Scheinwerfern inszenierten Bühne, deren Nutzung ausschließlich den drei professionellen Skateboardern vorbehalten ist. Hier haben wir es daher nicht mit einer Bühne der ursprünglichen Gleichrangigkeit aller sprechenden Wesen zu tun, sondern mit einer durch Sonderrechte und ökonomische Potenz legitimierte Ausnahme im Rahmen der kommodifizierten Spektakelkultur. Dies wird auch von den Skateboardern bemerkt. So schreibt der Blog »throwupthehorns« zu dem Nike-Trailer: »The video shows off their big budget with smoke machines, police escorts, and some spotlights lighting up the locations. Anything is possible it seems like with the right amount of money being waved in someones face. So save up those pennies and start collecting those cans if you want your own private courthouse session. Actually looking forward to this, see what kind of ridiculous shit they pulled off« (throwupthehorns 2011).

Hier wird deutlich gesehen, dass es sich um ein exklusives, auf ökonomischer Potenz fußendes Sondernutzungsrecht handelt. Wo Omar Salazar heute das Courthouse für den Nike Werbespot skaten darf, werden die Sicherheitsleute morgen den normalen Skatern weiterhin die Nutzung untersagen. In diesem Sinne ist es eine objektiv falsche, subjektiv jedoch nachvollziehbare Aussage, wenn der Nike-Pro-Skater Theotis Beasley äußert: »Felt like we owned the city« (Zapiks 2011). Den Skateboardern gehört die Stadt keineswegs. In der spezifischen Si-

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tuation, als professioneller Skateboarder den Konzern Nike zu bewerben, kann dieses Gefühl entstehen, jedoch in Verkennung der Tatsache, dass die Stadt einem nicht in der Stellvertreterrolle als Skateboarder, sondern in der Rolle der ökonomischen Charaktermaske ›professioneller Sportler‹ gehört. Die Kampagne trägt in diesem Sinne nicht umsonst den Titel »the chosen«. Hier werden ökonomische Partikularinteressen vertreten, nicht das Recht auf Stadt. Dennoch, und auch das zeigt der Blogeintrag, stellt sich eine gewisse Erwartungshaltung und Vorfreude ein, wenn es darum geht, welche Tricks die professionellen Skater unter den für sie geschaffenen Idealbedingungen haben landen können. Die verurteilte Sonderstellung der Nike-Athleten führt weder zu einer kategorialen Ablehnung ihrer Tätigkeiten noch zur Verkennung ihrer Fähigkeiten, sondern markiert vielmehr ein ambivalentes Verhältnis. Es sollte hervorgehoben werden, dass der hochwertige, von Lance Acord produzierte Werbespot, die eigene Künstlichkeit durch Bühnenelemente wie Nebelmaschinen und Lichteffekte ostentativ zur Schau stellt. Aus einer anderen Warte betrachtet kann in der Tradition französischer Alltagskünstler und Situationisten, welche die verschütteten aber noch aktualisierbaren Potentiale des (urbanen) Lebens immer betont haben, aufscheinen, dass eine ganz andere Stadt(-nutzung) möglich ist. Man könnte Guy Debord hier ganz wörtlich nehmen, wenn dieser konstatiert, dass der Kapitalismus »das Ganze des Raums als sein eigenes Bühnenbild umarbeiten kann und muß« (Debord 1967 (1978)). Das Fallbeispiel der »Nike Chosen« Werbekampagne exemplifiziert auf plastische Art und Weise die Absorbtionspotenz des Kapitals, Widerstände zu integrieren und wertschöpfend werden zu lassen. Der Erkenntnisgewinn liegt in der Einsicht, dass die polizeiliche Ordnung, hier ganz konkret die Polizisten, als Garanten störungsfreier Kapitalakkumulation fungieren. In der Regel erfüllen sie diese Rolle, indem sie privat besessenen und öffentlichen Raum den Anforderungen der Warenzirkulation und Produktion gemäß ›in Ordnung halten‹. Hier gelten Skateboarder als unerwünscht, da sie durch Lärm, etwaige Sachbe-

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schädigung, Übertretung (trespassing) oder bloße Tätigkeiten jenseits des Verwertungsparadigmas als Störfaktoren gelten. Schaltet sich jedoch eine übergeordnete Instanz wie der potente Nike-Konzern ein und erklärt Skateboarding in einem bestimmten Kontext für wertschöpfend und der Kapitalakkumulation dienlich, fungiert dieselbe Polizei als Garant für den reibungslosen Ablauf der Skateboard-Mission. Der »chosen«-Werbespot kann so veranschaulichen, dass es keine dem Skateboarding inhärenten Eigenschaften gibt, sondern dass diese immer auch vom Kontext abhängig sind und die Praxis Skateboarding als dialektisches Vexierbild verstanden werden muss. Abschließend kann konstatiert werden, dass Nike den Hegemoniekampf um Authentizität gewonnen hat und im Jahre 2014 ein selbstverständlicher und handlungsmächtiger Akteur im Skateboardsegment geworden ist.

13. Skateboarding als Produktivkraft »Mr. Thomas created his first company in 1996. He called it Zero, because skateboarders were deemed zeros — losers. But in the past 10 years, skateboarding’s popularity has soared, with more than 11 million participants. These days, the only zeros in skateboarding are organized in groups of three, to the right of dollar signs, and separated by commas« (Higgins 2006).

In welcher Hinsicht Skateboarding zur Produktivkraft wird, soll in diesem Kapitel analysiert werden. Zunächst ist der wachsende Absatzmarkt für Skateboard-Lifestyle bezogene Produkte zu erwähnen. Dazu kommen die mentalen Dispositionen der Skateboarder, welche den Anforderungen des postfordistischen Verwertungsregimes in vielerlei Hinsicht entsprechen. Skateboarding kann so aus metaperspektivischer Warte (auch) als neoliberaler Lebensentwurf bezeichnet und damit als Teil der Produktivkraftentfaltung analysiert werden. Einen Skateboardmarkt gab es bereits seit den Anfängen der Skateboardkultur, jedoch hat sich das Marktsegment Skateboarding zu einem relevanten Wirtschaftsfaktor entwickelt: 7 Milliarden $ Umsatz (vgl. Financial Times 2012) wurden 2012 in diesem erzielt, wobei le-

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diglich 10% durch die sogenannten Hardgoods erwirtschaftet wurden. Bei Hardgoods handelt es sich um die Waren, welche man für das Skateboard als solches benötigt, der Rest des Umsatzes wurde durch Softgoods erzielt, hier vor allem durch Mode und Schuhe. Das Vordringen großer Konzerne wie Nike, New Balance, Warner Bros. und anderen bestätigt, dass Skateboarding ›groß‹ geworden ist. Auch die Eventreihe Street League Skateboarding (s.o.) sowie das große Interesse der Softdrinkindustrie1 bezeugen, dass Skateboarding mit den 7 Milliarden $ Umsatz klar als ein Segment betrachtet werden kann, welches sich gerade nicht durch Untergrundmarken und konsumkritische Haltung auszeichnet, sondern wertschöpfend ist. Die Erschließung der Skateboardkultur lässt sich auf kapitalimmanente Bewegungsgesetze zurückführen. Durch den tendenziellen Fall der Profitrate, die zeiträumliche Verdichtung (vgl. Harvey 1990 sowie Kapitel 8) und ausgehend von Überakkumulationskrisen muss das Kapital fortwährend neue Anlageoptionen erschließen. Diese liegen vor allem in den sogenannten Authentizitätsreservoirs, also vormals noch nicht der Marktlogik unterworfenen Lebensbereichen (Boltanski/Chiapello). Die Tatsache, dass skateboardbezogene Mode im Mainstream angekommen ist, hat zeitweilig unter Skateboarden zu der »selfdelusional ideology« (Borden 2001: 157), s.o. geführt, es gebe einen separaten, gleichsam nicht kontaminierten Kapitalfluss zwischen Skateboardern und echten Skateboardfirmen. Das Argument wäre, dass das Gros der verkauften Waren den sogenannten Mainstream bedienen würde und die 10% der echten, hardgood-konsumierenden Skateboarder dies als notwendiges Übel betrachten müssten. Mit dieser Argumentation wäre die Dichotomie der echten, authentischen Skateboarder und der unechten, trendorientierten Konsumenten aktualisiert. Die echten Skater wären sich des Mainstreams zwar bewusst, würden sich aber schulterzuckend weiterhin die Stadt aneignen; kreativ, rebellisch, schnell und flexibel. Die hier ver-

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Energy Drinks wie Monster, Red Bull, Relentless, Mountain Dew und Rockstar sind mit Sponsorships im Skateboardsegment vertreten.

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tretenen Werte der Skateboarder wären, um einen Zwischentitel von Becky Beal zu zitieren: »Creativity and Self-expression as the Valued Means of Nonconformity« (Beal/Weidman 2003: 342). Das Skateboarding befände sich dieser Argumentation gemäß gewissermaßen außerhalb des Verwertungszusammenhangs, wäre der Lebenswelt (Habermas) zuzurechnen als eine »pleasure-driven activity of its own« (Borden 2001: 231). Skateboarding so auszulegen bedeutet jedoch, die Integrationspotenziale des Kapitalismus zu unterschätzen und gesamtgesellschaftliche Veränderungen nicht zur Kenntnis zu nehmen. Das kapitalistische Verwertungsregime muss notwendigerweise expandieren und erschließt dabei nicht nur geographische Flächen oder neue Absatzmärkte, sondern auch und vor allem die einzig wertschaffenden Größe: Menschliche Arbeit. Deren Verwertungsgrad steckte im standardisierten, disziplinierenden Fordismus noch in einem Stadium der formellen Subsumption, also der zumeist äußerlichen Eingliederung und Unterordnung der Arbeiter unter das Kapital: »Gerade weil allerdings die eingesetzten Methoden eine Robotisierung der Menschen bedeuten, können aufgrund des rudimentären Charakters dieses Arbeitsansatzes die menschlichsten Eigenschaften der Arbeitnehmer – ihre Gefühle, ihr Moralverständnis, ihre Ehre, ihre Erfindungsgabe – nicht unmittelbar in den Dienst des Profitstrebens gestellt werden« (Boltanski/Chiapello 2006: 145).

Der Postfordismus zeichnet sich durch die immer weiterreichende reelle Subsumption unter das Kapital aus: Nicht mehr die bloße Arbeit wird in die Verwertungslogik eingebracht, es bedarf der Kreativität, der Träume und Ideen der Individuen. So handelt es sich beim Postfordismus nicht um ein Leben unterm Kapitalismus, sondern ein Leben in diesem. Wo mit ›unter‹ noch ein Herrschaftsverhältnis gekennzeichnet ist, dem man sich zwar unterwerfen muss, welches einem aber sonst äußerlich bleibt, markiert ›im‹ Kapitalismus, dass es die Innen-AußenTrennung nicht mehr gibt, dass eine Gegenüberstellung von Freizeit und Arbeit nicht mehr denkbar ist. Diese Entwicklung antizipierte

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Adorno, als er schrieb, dass Amüsement der verlängerte Teil der Arbeit sei und es keinen Feierabend mehr geben würde (Adorno/Horkheimer 2006). Vor diesem Hintergrund erlischt der kritische Impetus der Subkulturen, welche sich in allen Aspekten ihres Lebens der Pflege ihrer subkulturellen Identität widmen und damit die fordistische Trennung von Arbeit, Familie und Freizeit aufbrachen: »The participants expressed this by noting that skateboarding was a lifestyle as opposed to a separate realm of one‫ތ‬s life. This finding is similar to Fox‫ތ‬s (1987) analysis of punk subculture, where the central members were those who lived the punk ideology throughout all aspects of their lives, and not just on Saturday nights« (Beal/Weidman 2003: 340).

Skateboarding als Künstlerkritik stand Pate für die Herausbildung eines neuen Arbeits- und Verwertungsregimes, welches die als Hemmnis empfundene Trennung »work-family-leisures« (Borden 2001: 208) aufbrach: »Given this self-perception on the part of many skaters, skateboarding just might contain some indication of relations and actions different to the codified work-family-leisure routines of late capitalism« (ebd.).

In der Skateboardkultur war (und ist) der beste Freund häufig auch der Filmer oder Fotograf und vice versa. In der projektbasieren Polis verwischen unter dem Begriff der Vernetzung die Grenzen zwischen Freundschaft und Arbeitssphäre.2 »Insofern lässt sich nur schwierig unterscheiden, wann man sich dem Privatleben und wann dem Berufsleben widmet, ob man mit Freunden oder geschäft-

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Der Begriff der Lebenswelt eignet sich vielleicht noch als normative Grundlage einer Kritik der Verwertungslogik des Postfordismus; als Werkzeug zur Beschreibung der postfordistischen Empirie scheint er untauglich geworden zu sein.

13. S KATEBOARDING

ALS

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lich zu Abend isst, ob die Kontakte affektiv oder nützlich sind« (Boltanski/Chiapello 2006: 209).

Die Künstlerkritik an den getrennten Sphären des standardisierten Fordismus wurde aufgenommen und daraus entstand ein neues Verwertungs- bzw. Regulationsregime, welches Boltanski/Chiapello die projektbasierte Polis nennen. Die Wertigkeit der Arbeitnehmer unterliegt in dieser Polis anderen Bewertungskriterien, welche denen des Fordismus teilweise diametral entgegengesetzt sind. Durch immer schnellere Kapitalumschlagszeiten (vgl. Harvey 1990: 229) hat sich das soziale Leben im dritten Geist des Kapitalismus grundlegend verändert; es hat sich beschleunigt. Besonders hohen Stellenwert haben daher Flexibilität und Geschwindigkeit. Diese »sind heute die dominanten Faktoren der sozialen Schichtung und Hierarchie« (Bauman 2003: 178). Wie oben gezeigt, zeichnen sich Skateboarder gerade durch einen Beweglichkeitsvorsprung aus, welcher es ihnen ermöglicht, sich des öffentlichen Raumes in einer zunächst subversiv scheinenden Art und Weise zu bemächtigen. Beweglichkeit und Geschwindigkeit sind jedoch Tugenden des Postfordismus und können daher wertschöpfend sein. Auch die Idee eines Projekts ist tief in der Skateboardkultur angelegt und wird meistens als Mission bezeichnet. Dabei handelt es sich um das Vorhaben eines Skaters, einen bestimmten Trick an einem bestimmten, idealiter prestigeträchtigen, Ort zu landen. Dafür wird, je nach Härte des Tricks und Popularität des Skaters, ein Team aus mehreren Filmern und Fotografen zusammengestellt. Ich möchte dies am Beispiel eines Videos des Skateboarders Justin »Figgy« Figueroa exemplifizieren. Dieser gehört zu den momentan populärsten Streetskateboardern und hat sich in dem erwähnten Video ein berühmtes Treppenset vorgenommen (vgl. Ride Channel 2013), welches dafür bekannt ist, gut von Securities bewacht zu werden, was den Distinktionsgrad erhöht. Man sieht das Team bei den Vorbereitungen: In einem Van wird vorgefahren, die Fotografen suchen ihre Position und verstecken ihre Kameras hinter dem Rücken, um keinen frühzeitigen Alarm auszulösen. Figueroa schleicht geduckt an Fensterscheiben vorbei, um sich unbemerkt in

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Position zu bringen. Alles muss sehr schnell gehen. Nach dem ersten Versuch tauchen die Securities auf und versuchen, ihn von weiteren Sprüngen abzuhalten, was ihnen nicht gelingt, da Figueira immer wieder an ihnen vorbeiläuft und mit seinem Skateboard schneller ist als die anzugtragenden Sicherheitsleute.3 Er muss zahlreiche Stürze (Bails) in Kauf nehmen, kann den Trick jedoch stehen, steigt direkt in den Van ein und fährt los, um etwaigen Sanktionen zu entgehen. Das Video wurde anschließend im Internet veröffentlicht. Hier zeigen sich in nuce die Wertigkeitsideale der projektbasierten Polis: Ein hochflexibles, professionalisiertes Team widmet sich einem Projekt, welches als Wertschöpfungsbecken fungiert. Das Projekt kann nur aufgrund des Bewegungsvorsprungs (gegenüber den Securitys) durchgeführt werden und Figueroa benötigt darüber hinaus hohe persönliche – intrinsische – Motivation sowie mentale und physische Kontrolle, um einer solchen Extremsituation gewachsen zu sein: »Dem Wertigkeitsideal der projektbasierten Polis entsprechend, sind sie [die ›Wertigkeitsträger‹, S.S.] Meister der Selbstkontrolle« (Boltanski/Chiapello 2006: 160).

Hier haben wir es mit einem Beispiel der Rückeroberung des eigenen Körpers zutun. Die Fähigkeiten, welche im Augenblick des Tricks aufbzw. abgerufen werden, sind das Ergebnis einer Skateboarderbiographie, welche in die Kindheit zurückreicht und deren Summe seine employability ausmacht: »Each trick is the result of the dedication that you‫ތ‬ve put into skateboarding, years and years of concentration and commitment to increasing your abilities and potential for enjoyment, because you genuinely want to, not because

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Nike hatte für eine Werbekampagne, welche den Schuh »Paul Rodriguez 7« bewerben sollte, offensichtlich eine offizielle Genehmigung für Dreharbeiten an demselben Stufenset (vgl. nikesportchannel 2013).

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you‫ތ‬ve been brainwashed into wanting« (Bowman in Sidewalk Surfer zit. nach Borden 2001: 233).

Keine übergeordnete Kontrollinstanz hat Figueroas Skateboarding koordiniert und die von ihm gebrachten Leistungen sind ausschließlich durch dessen Selbstkontrolle entstanden.4 Für einen Skateboarder wie Figueroa ist es wichtig, sichtbar zu bleiben, also Foto- und Videoinhalte zu generieren, welche ihn im Gespräch und seine Produkte im Verkauf bleiben lassen. Dem entspricht, dass »[D]as generelle Äquivalenzmaß, an dem die Wertigkeit von Personen und Objekten gemessen wird, [...] in der projektbasierten Polis die Aktivität« (Boltanski/Chiapello 2006: 155) ist. Das Projekt, jemanden dabei zu filmen, wie dieser einige Treppen herunterspringt, ist insofern wertschöpfend, als dass jeder erfolgreich gefilmte Trick und jedes gute Foto die employability sowohl des Skaters als auch der beteiligen Filmer und Fotografen erhöht und das Produkt verwertbar ist, insofern es die Absätze der Sponsoren erhöht. Visuelle Medien sind in der Skateboardkultur von nicht zu überschätzender Bedeutung. Sie sind Verstärker der Evolution des Skateboardings, da sie die neuesten Entwicklungen und Möglichkeiten übermitteln und sie sind Waren: »Furthermore, images have, in a sense, themselves become commodities« (Harvey 1990: 287). Doch nicht nur die physischen Akte der Skateboarder lassen sich als wertschöpfend bezeichnen, sondern auch und vor allem die menta-

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Der Januskopf der Selbstbeherrschung: Auf der einen Seite sind Skateboarder notwendigerweise in hohem Maße selbstbeherrscht, um ihre Sportart ausüben zu können. Diese Selbstbeherrschung ist die conditio sine qua non, sich den urbanen Raum kritisch oder subversiv aneignen zu können. Subversiv war und wäre die Selbstbeherrschung dort, wo sie eben kein Wertigkeitsideal bedient, also in einem anderen kapitalistischen Geist, i.e. einem anderen institutionellen Umfeld. Die Grenze zwischen Subversion und Verwertung ist fließend und der Umschlag vom einen in das andere immer virulent.

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len Dispositionen, deren Bedingung diese sind. Wie oben gezeigt, schafft sich der Arbeitsprozess die von ihm benötigten Körper und es bedeutet im Postfordismus zunehmend, dass die psychischen Fähigkeiten den Anforderungen der beschleunigten Arbeits- und Sozialwelt angepasst werden. Eine solche Adaption des Wahrnehmungsapparates hat nach Lefebvre noch nicht stattgefunden: »Lefebvre notes that the modern man‫ތ‬s physiological functions ›have not yet ›adapted‹ to the conditions of his life, to the speed and the rhythms‹, such that ›nerves and senses have not yet been adequately trained by the urban and technical life he leads‹« (Borden 2001: 201).

Auch Jameson konstatiert, dass ein neues Sensorium benötigt werde, um sich in der Postmoderne (räumlich) orientieren zu können. Dass Überlegungen dieser Art, die auch schon bei Benjamins Gedanken zum Kino als Vorbereitung auf die Gegebenheiten der Moderne vorkommen, einen empirischen Punkt treffen, zeigt beispielsweise das mentale Training der Formel-1-Fahrer. Wenn von einer sich immer weiter beschleunigenden Gesellschaftsdynamik ausgegangen wird, ist das Beispiel Formel 1 aufschlussreich, da es sich hier um eine Art Avantgarde handelt, was das Meistern der time-space-compression (Harvey) betrifft. So hat der Formel-1-Fahrer Heikki Kovalainen folgende Übung in seine Trainingsroutine aufgenommen: »Kovalainen practises keeping his brain alert, and honing his hand-eye coordination, by using a batak reaction board, where the aim is to hit as many randomly-lit lights in 60 seconds as possible« (BBC Sport 2007).

Wahrnehmungsapparat, Konzentrationsfähigkeit, Auge-Hand-Koordi– nation und körperliche Belastbarkeit müssen den Anforderungen der Formel-1-Wagen gemäß angepasst werden. In dieser Hinsicht nehmen auch die Skateboarder eine avantgardistische Rolle ein, indem auch deren Sensorium an die Gegebenheiten der postmodernen Urbanität in besonderer Art und Weise adaptiert werden muss. Dass die Produk-

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tion(-sverhältnisse) Körper und Körperlichkeit verändern, ist ein altes Topos marxscher Theorietradition und lässt sich auch auf Felder außerhalb der direkten Produktion anwenden. So schreibt Belina:

»[D]ass Lohnarbeit auch außerhalb von Fabriken spezifische Körper produziert, anschaulich etwa an Computerarbeitsplätzen oder in der Sexarbeit; und dass dies ebenfalls für kapitalistisch organisierte Zirkulation (etwa bei LKWFahrer_innen) und Konsumption (etwa gesteigerte Hand-Auge-Koordination durch exzessives SMS-Schreiben) gilt« (Belina 2011: 53).

Wenn also Skateboarder die postmoderne Urbanität in besonderer Art und Weise meistern, so geht es dabei nicht darum, sicher eine postmoderne Straßenkreuzung überqueren zu können: Die Anpassung der Individuen ist in letzter Instanz eine Anpassung an die Verwertungslogik des Kapitals: »This socialization of the worker to conditions of capitalist production entails the social control of physical and mental powers on a very broad basis [...]« (Harvey 1990: 123–124).

Eine Verweigerung dieser Anpassung wäre keineswegs emanzipatorisch oder gar revolutionär, da sich die Kritik, um wirksam zu bleiben, dem kritisierten Gegenstand gegenüber isomorph verhalten muss (Boltanski/Chiapello) (s.o.) und durch diese Anpassung erst Handlungsfähigkeit gewonnen wird: »In einem berühmten Werk hat Kevin Lynch vorgeschlagen, dass die entfremdete Stadt ein Raum ist, in dem die Leute unfähig sind, entweder ihre eigene Position oder die urbane und soziale Totalität, in der sie sich befinden, zu lokalisieren. Auflösung der Entfremdung beinhaltet dann die praktische Wiedereroberung eines Ortssinns und die Konstruktion einer räumlichen, aber auch einer sozialen Welt, in der das Verhältnis der individuellen Subjekts zu seiner oder ihrer Gemeinschaft wieder transparent und darstellbar wird« (Jameson 2008: 143).

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Das an die beschleunigte postfordistische Wirklichkeit angepasste Sensorium wird so dialektisch zur Möglichkeit eine Verortung und Kartierung, welche die conditio sine qua non für jede (emanzipatorische) Handlungsfähigkeit ist. Die Künstlerkritik mit den Forderungen nach mehr Eigenverantwortung, Flexibilität, Kreativität und Autonomie hatte funktionalistisch betrachtet einen gewichtigen Anteil daran, das neue Verwertungsregime entstehen zu lassen, indem sie als Rechtfertigungs- und Motivationsnarrativ fungierte. Dabei waren die Forderungen der Künstlerkritik durchaus radikal und eine Auslegung dieser wäre in ganz anderer Form durchaus denkbar. So trifft sich die Forderung nach Auflösung der getrennten Lebenssphären und Selbstverwirklichung mit der marxschen Utopie einer »kommunistischen Gesellschaft, wo Jeder nicht einen ausschließlichen Kreis der Tätigkeit hat, sondern sich in jedem beliebigen Zweige ausbilden kann, die Gesellschaft die allgemeine Produktion regelt und mir eben dadurch möglich macht, heute dies, morgen jenes zu tun, morgens zu jagen, nachmittags zu fischen, abends Viehzucht zu treiben, nach dem Essen zu kritisieren, wie ich gerade Lust habe, ohne je Jäger, Fischer, Hirt oder Kritiker zu werden« (Marx/ Engels 1969: 33).

Die nicht zu überschätzende Integrationskraft des »Kapitalismus« liegt daher darin, die Kritiken in kodifizierter Form aufzunehmen, also das potenziell Verwertbare von den radikalkritischen Spitzen zu trennen: »Dass dieses Aufgreifen, Produktiv- und Fruchtbarmachen [der Kernanliegen der Neuen Linken/der künstlerischen Avantgarden, S.S.] überhaupt möglich wurden, liegt möglicherweise auch daran, dass diese Inhalte von einer (beispielsweise die Eigentumsverhältnisse in Frage stellenden) sozialistischen Radikalität entkoppelt werden konnten. Dies hat auch mit der Stärke der GegnerInnen zu tun, mit deren Fähigkeit, gesellschaftliche Kräfteverhältnisse zu verschieben [...]« (Kästner 2011).

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Die Autonomie und Authentizitätsforderungen der Künstlerkritik wurden moduliert und das Regime der Kontrollgesellschaft wurde von der Disziplinargesellschaft abgelöst (Deleuze 1990). In dieser wurde die externe Kontrolle in den Arbeitnehmer hineinverlegt, welcher sich nun nicht mehr durch das Panoptikum beobachtet fühlt (und bei nachweislicher Nicht-Beobachtung wohl pausieren würde), sondern selbst für seine Arbeit und dementsprechend auch seine soziale Sicherheit und seine künftige employability Sorge tragen musste. In diesem Zusammenhang schreiben Boltanski/Chiapello: »Vielmehr wurde mit den zurückliegenden Kontrollformen gebrochen und die Forderungen nach Autonomie und Eigenverantwortung, die man bis dahin als subversiv betrachtet hatte, endogenisiert. Dieser Veränderungsprozess lässt sich schematisieren, wenn man bedenkt, dass die Kontrolle durch Selbstkontrolle abgelöst wurde und dass damit die immens hohen Kontrollkosten durch eine Verlagerung der Organisationslast auf die Angestellten externalisiert wurden. Die Fähigkeit, Autonomie und Eigenverantwortung an den Tag zu legen, bildete nunmehr eine der neuen Bewährungsproben« (Boltanski/Chiapello 2006: 244).

Die unbequemen Querdenker und Kritiker, welche im Fordismus negativ auffielen und ein Hemmnis der Kapitalakkumulation darstellten, werden im neuen Geist des Kapitalismus zum Wirtschafts- und Innovationsmotor. Die neuen Freiheiten, welche durch die Künstlerkritik und die notwendige Erschließung neuer Wertschöpfungsbecken entstanden, wurden auf Kosten der Sicherheit und Planbarkeit der Erwerbsbiografie geschaffen. Bauman schreibt, dass »[A]lles was Sicherheit bietet, verdampft, während die dem Individuum zu geschriebenen (wenn auch nicht immer real praktizierten) Verantwortlichkeiten in bisher unbekannten Maße wachsen« (Bauman 2003: 200). Auch für diese neue Art der Unsicherheit bei gleichzeitigem Zuwachs der Autonomie stehen (US-amerikanische) Skateboarder Pate, insofern diese häufig ihre Schulbildung zugunsten einer potenziellen, nie garantierten Skateboarderkarriere abbrechen, selten krankenversi-

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chert sind und darüber hinaus in der Regel wenig Geld für das Alter an- bzw. zurücklegen können. Sie leben die von Bauman beobachtete Unmittelbarkeit der flüchtigen Moderne: »Mangels langfristiger Sicherheit erscheint das Streben nach »unmittelbarer Befriedigung« als eine vernünftige Strategie. Was immer das Leben zu bieten haben mag, das Angebot möge bitte hic et nunc gelten – auf der Stelle. Wer weiß, was morgen sein wird?« (Bauman 2003: 191).

Die nicht versicherten Skater, deren Arbeitsbedingungen nur als prekär bezeichnet werden können, lösen Systemwidersprüche biografisch auf (Beck): »Risiken und Widersprüche werden nach wie vor sozial produziert; lediglich zu ihrer Bearbeitung wird man individuell genötigt« (Bauman 2003: 46). Trotzdessen gereicht das unsichere Leben eines professionellen Skateboarders vielen Jugendlichen zum Vorbild: »Hatten sie [selbstgewählte prekäre Beschäftigung, S.S.] allerdings früher noch als Gegen-Verhalten im Sinne Michel Foucaults gelten können, seien sie im Zuge der Neoliberalisierung von alternativen zu vorbildlichen (wenn auch nicht hegemonialen) Modellen geworden, »weil sie die Flexibilisierung begünstigen, die der Arbeitsmarkt forderte«« (Lorey in: Kästner 2011).

Die kritisch-subversiven Spitzen der prekären, also außerhalb der nineto-five-Routine befindlichen, Beschäftigungsverhältnisse sind längst abgebrochen; aus der atopischen Versetzung wird die atypische Beschäftigung. Doch nicht nur Jugendliche nehmen sich ein Beispiel an diesem Lebensentwurf. Auch die Managerliteratur ist darauf aufmerksam geworden, dass Skateboarding durch Werte wie Risikobereitschaft, Eigeninitiative und Eigenverantwortung durchaus in Übereinstimmung mit den Wertigkeitsidealen der projektbasieren Polis steht. Dazu kommt ein intrinsisch motiviertes Arbeitsethos, welches unnachgiebig ist und die Fehler für das eigene Scheitern in der eigenen Unzulänglichkeit, aber nicht bei anderen Instanzen verortet.

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»Writing in a Portland daily newspaper, one journalist (Green, 2000) marveled that ›they’ve broken their bones, chipped their teeth, sprained their ankles, gouged their heads bloody and knocked themselves out cold. But – to the surprise of some Oregon and Southwest Washington cities, counties and recreation districts – one thing almost all injured skateboarders haven’t done is sue‹« (Howell 2008: 483).

Durch die fehlenden strafrechtlichen Klagen zeigt sich demgemäß, dass Skateboarder es mit ihrer Eigenverantwortung durchaus ernst meinen. Die guerillaähnliche, eigentlich rebellische hit-and-run-Taktik der Skateboarder, sich öffentlichen Raum anzueignen, wird so ebenfalls zum Ausweis ihrer Eignungen in der Epoche der Neoliberalisierung. Howell schreibt: »Guerillas do not rely on institutions; they look after themselves« (Howell 2008: 483). Die Sozialisation zum Skateboarder kann also, gleichsam durch die Hintertür, eine neoliberale Erziehung sein. So wurde dem professionellen Skateboarder Jamie Thomas 2006 der Titel »Ernst & Young’s entrepreneur of the year« (Howell 2008: 482; Higgins 2006) verliehen. Er wird in der New York Times mit folgendem Satz zitiert: »›Skateboarding and my pro career were like boot camp for business,‹ he said. ›Trying tricks, envisioning outcomes, persevering — that’s exactly like business‹« (Higgins 2006).

Hier wird betont, dass Skateboarding in herausragender Weise unternehmerische Eigenschaften kultiviere und erfolgreiche Unternehmer hervorbringe. Howell schreibt in Bezug auf den Artikel, dass Skateboarding neben den anderen Extremsportarten als »an incubator of entrepreneurialism« (Howell 2008: 482) herausgestellt wurde. Die in den Kapiteln 3, 4 und 7 beschriebenen subversiven Potenziale der Praxis des Skateboarding sollen damit nicht zurückgenommen werden. Doch muss eine ausgewogene Darstellung und Analyse des Phänomens Skateboarding den dialektischen Umschlag kennzeichnen, welcher in jeder sozialen Praxis angelegt ist. Festzuhalten ist, dass die

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Integrationsleistung der Konsumgesellschaft (Pasolini) nicht überschätzt werden kann: »Es gibt heute keine Aktivität, die nicht vom Kapitalismus überkodifiziert ist: fernsehen, pissen, betrügen sind keine bloßen Tätigkeiten, alles ist restlos in den Netzen des Kapitalismus kodifiziert, alles ist Arbeit« (Guattari zit. nach Chlada 2005: 109).

Selbst eine der Subkultur des Punk entlehnte no-future-Haltung, welche in der ostentativen Selbstzerstörung als Verweigerungshaltung der Leistungsgesellschaft gegenüber als genuin kritisch verstanden werden kann, lässt sich heute als Verkaufsstrategie verwerten. So wird beispielsweise das Image alkoholisierter Outlaws5 vom Skateboardhersteller Baker bewusst kultiviert, um deren Produkte abzusetzen. Im Sinne Guattaris kann man hier behaupten, dass auch ›Saufen‹ zur Arbeit wird.

5 Die Vermarktung vermeintlich einzigartiger Persönlichkeitsmerkmale birgt neue Schwierigkeiten: »Die Möglichkeiten, Differenzen zu vermarkten, leiten somit eine neue Ära des Verdachts ein. [...] Wie soll man noch wissen, ob ein Autor ein »echter« Rebell ist oder nur das Produkt einer »Verlagsstrategie«, ob ein Lächeln, eine freundschaftliche Geste, eine Einladung zum Abendessen Ausdruck spontaner und echt empfundener Sympathie ist oder z.B. auf einem Fortbildungskurs antrainiert wurde, um eine Dienstleistung attraktiver zu präsentieren, oder, schlimmer noch, auf eine Strategie zurückgeht, um Vertrauen zu wecken, Menschen für sich zu gewinnen und so mit größerer Gewissheit rein geschäftliche Interessen zu erreichen?« (Boltanski/Chiapello 2006: 482).

14. Schluss

Im Rahmen der Studie wurde die Praxis des Skateboardings zwischen urbaner Rebellion und neoliberalem Selbstentwurf beleuchtet. Es hat sich gezeigt, dass ein Kategorialurteil dessen, was Skateboarding definitiv und abschließend sei, nicht zu fällen und darüber hinaus selten hilfreich ist. Skateboarding ist als soziale Praxis ein dynamischer Prozess in Wechselwirkung mit dem ebenfalls einen dynamischen Wandel durchlaufenden institutionellen Umfeld. Die Studie hat durch die Gegenüberstellung älterer Untersuchungen mit aktuellen Entwicklungstendenzen (Street League, Nike, X-Games) gezeigt, dass sich der Alltagsverstand der Skateboarder gewandelt und sich die Praxis des Skateboardings sukzessive den hegemonialen Semantiken neoliberaler Wertvorstellungen angenähert hat. Dies ist zum einen dadurch zu erklären, dass das Skateboarding als Künstlerkritik selbst dazu beigetragen hat, Rechtfertigungsnarrative für das postfordistische Verwertungsregime zu stellen. In ihrem Anspruch auf Autonomie und ihrer flexiblen, risikoaffinen und grenzüberschreitenden Haltung können Skateboarder (auch) als neoliberale rolemodels fungieren. Deren ›Künstlerkritik‹ wurde vom »Kapitalismus« akkulturalisiert, also in kodifizierter, der Kapitalakkumulation zuträglicher Weise in das neue Verwertungsregime integriert. Zum anderen hat es schlicht mit den Kräfteverhältnissen und der Normativität des Status

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quo zu tun, dass hegemoniale Normen in den Alltagsverstand eingeflossen sind und sukzessive ihren Niederschlag in der Skateboardkultur gefunden haben. Dazu zählen vor allem meritokratische und kompetitive Bewährungsproben und Definitionsverschiebungen mit weitreichenden Implikationen, etwa, ob ein Skateplaza als Streetskating zu verstehen sei. Gleichzeitig zu der wechselseitigen Beeinflussung zwischen gesamtgesellschaftlichen Entwicklungstendenzen und subkultureller Praxis behält das Skateboarding eine gewisse Eigenlogik, welche außerordentliche Erlebnisse ermöglicht. Im kairotischen Moment, den Raum nach skateboardbezogenen Maßgaben zu rekonzeptionalisieren, wird die Logik des Privateigentums performativ durchkreuzt, wird so getan, als sei die kommodifizierte Urbanität eine Allmende und Bühne der Kreativität wie der prinzipiellen Gleichrangigkeit aller sprechenden Tiere. Hier fungiert das Skateboarding als ephemerer Platzhalter eines Optativs, welcher verschüttete Nutzungspotenziale öffentlichen Raumes zum Aufscheinen bringen kann. In der Erschaffung oder Okkupation eigenlogischer Skateboardplätze wie den DIY-Spots und in der selbstbewussten Verteidigung eigener Plätze (Long Live Southbank Kampagne) mit der Argumentation, das Skateboarding in eigenem Recht ausgeübt wird, liegt ein politischer Spieleinsatz, welcher auch künftig zu Konflikten und politischer Subjektivation wird führen können. Es wurde gezeigt, dass es keine der Praxis Skateboarding inhärenten Werte gibt, sondern dass Skateboarding als soziale Praxis ein dialektisches Vexierbild ist und in diesem immer der Umschlag von Rebellion in Akkulturation und vice versa angelegt ist. Durch »die Ungleichzeitigkeit von Neoliberalisierungsprozessen« (Mayer 2013: 161) kann die Praxis des Skateboardings gleichzeitig in einem Kontext wertschöpfend und in einem anderen jedoch atopische Versetzung sein, da die politischen Potenziale des Skateboardings nie freischwebend, sondern immer vom gesellschaftlichen Umfeld abhängig sind.

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Abschließen möchte ich mit drei Schlussbemerkungen: I. Es gibt keine Reinheit. Eine widerständige Praxis ist immer gesellschaftlich vermittelt und befindet sich nicht in einer freischwebenden Sphäre außerhalb der Totalität des globalisierten Kapitalverwertungszusammenhangs. Jede soziale Praxis kann, je nach institutionellem Umfeld (kapitalistischem Geist, wie Boltanski/Chiapello sagen würden), in ihr Gegenteil umschlagen. Die Kommerzialisierung des Skateboardings ist die Bedingung der Möglichkeit dafür, dass junge Menschen sich überhaupt dieser Kultur widmen können. Skateboarding und die Produktivkraftentfaltung sind nicht voneinander zu trennen. II. Die Entfaltung kapitalistischer Potenz und die fortschreitende Subsumption der Lebenssphären unter das Kapital birgt dialektisch erweiterte Möglichkeiten des Selbstentwurfs. III. Widerstand hat einen Zeitkern; die Modulation, Kodifizierung, und Akkulturation von zunächst widerständig erscheinenden Praktiken soll nicht zu Resignation, sondern umgekehrt zum kreativen Weiterentwickeln derselben anregen. Wie in der Studie gezeigt wurde, ist Skateboarding nicht als eine intendiert widerständige Praxis (miss) zu verstehen. Wenn Skateboarder jedoch ihre Kultur weiterhin in eigenem Recht und in nicht kodifizierter Art und Weise kultivieren und ausleben, gerät diese zumindest punktuell in Widerspruch mit dem »Machtblock« (Gramsci), respektive der polizeilichen Ordnung. Das ist der Moment, in welchem Skateboarding seine relative Eigenlogik behaupten und mit der polizeilichen Ordnung kollidieren muss. Die Formen, welche eine solche – politische – Konfrontation annehmen kann, sind kontingent, von den spezifischen Gegebenheiten abhängig und immer neu zu evaluieren: »Weder zur Furcht noch zur Hoffnung besteht Grund, sondern nur dazu, neue Waffen zu suchen« (Deleuze 1990).

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Hier wäre Skateboarding Teil der »Kunst nicht dermaßen regiert zu werden« (Foucault 1992: 28).

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Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Die Arbitrarität der Ordnung. Foto: Megan Jankowski. https://www.flickr.com/photos/mindfuldocumentation/7146403735/in/set72157630145173560. Seite 39. Abbildung 2: Mach Sitz! Nutzungsimperative im urbanen Raum sind ein globales Phänomen. Hier: Wien Westbahnhof. Privatarchiv. Seite 41. Abbildung 3: Umherschweifen als Modus der Raumaneignung; ›cruisender‹ Skateboarder in New York. Foto: Michael Winkeler. Seite 47. Abbildung 4: Erst die Arbeit, dann die Eudaimonie: Hannoveraner Skateboarder des DIY Projekts »2er«. Foto: Daniel May. Seite 53. Abbildung 5: Die Zerstörung »gelebten Raumes« (Belina): Der DIY Spot Steppe Side (2004-2007). Foto: Nils Svensson. Seite 54. Abbildung 6: Pontus Alv: FS Ollie Steppe Side. Foto: Nils Svensson. Seite 58. Abbildung 7: Skatende und … Foto: Sam Ashley. Seite 90. Abbildung 8: …sprechende Tiere: Skateboarder an der Southbank und bei der Übergabe

von

30

000

Widersprüchen.

(http://www.samashley.com/). Seite 91.

Foto:

Sam

Ashley

Dank

meinen Eltern. Ganz besonderer Dank gebührt Rahel Rami für ihr sachkundiges und lustiges Lektorat sowie für ihre nachgerade grenzenlose Toleranz stilistischer Eigenheiten. Besonders zu würdigen sind darüber hinaus Oliver Flügel-Martinsen, Andreas Vasilache, Drehli Robnik, Chris Amerkamp, David Schäper, Dan Eggert, Stephan Weimer, Daniel May, Mulia, Nils Svensson, Friedmar Apel, Sam Ashley, Megan Jankowski, Michael ›derGeile‹ Winkeler, Maik Schuster, Julius Basler, Manuehl Beckman sowie Pontus Alv, ohne deren Anregungen, Hinweise und Hilfsbereitschaft die Arbeit so nicht hätte fertiggestellt werden können. Dazu danke ich meinem Bruder für die unvergesslichen Erfahrungen und geteilten Erinnerungen. Die Arbeit wurde unterstützt vom Centre for German and European Studies (CGES/ZDES), gefördert durch den Deutschen Akademischen Austausch Dienst (DAAD) aus Mitteln des Auswärtigen Amts (AA). Für die Förderung bedanke ich mich herzlich.

Urban Studies Marco Thomas Bosshard, Jan-Dirk Döhling, Rebecca Janisch, Mona Motakef, Angelika Münter, Alexander Pellnitz (Hg.) Sehnsuchtsstädte Auf der Suche nach lebenswerten urbanen Räumen 2013, 286 Seiten, kart., zahlr. Abb., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2429-8

Alain Bourdin, Frank Eckardt, Andrew Wood Die ortlose Stadt Über die Virtualisierung des Urbanen April 2014, 200 Seiten, kart., zahlr. Abb., 25,99 €, ISBN 978-3-8376-2746-6

Anne Huffschmid, Kathrin Wildner (Hg.) Stadtforschung aus Lateinamerika Neue urbane Szenarien: Öffentlichkeit – Territorialität – Imaginarios 2013, 464 Seiten, kart., 25,90 €, ISBN 978-3-8376-2313-0

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de