Problemschach [1. - 5. Tsd. ed.]

Citation preview

H E R B E RT G R A S E M A N N · P R O B L E M S C H A C H

HERBERT GRASEMANN

PROBLEMSCHACH

� � S P O R T V E R L A G · B E R LI N N W 7

llmsdilagentwurf: Grafikerkollektiv Bartel-Grumm-Päslcr

!. bis 5. Tausend

Copyright by Sportverlag, Berlin Alle Remte vorbehalten Druck: Förster

Printed in German)' 1951

Satz: Aufbau-Druckerei Köthen

\0

Lizen:-Nr.

Z wic±au 1401355121/if

Borries,

Sa.

V O R W O R T D E S V E RP A S S E R S

Das Gebiet der künstlich geschaffenen Schachaufgaben, der Schachkompo­ sitionen, hat in den ersten Jahren nach Kriegsende gerade auch in Deutschland einen mächtigen Aufschwung genommen, der in der un­ gewöhnlichen Dichte erstklassiger Schöpfungen überzeugenden Ausdruck findet. Die Fülle des von vielen talentvolleq Autoren Geschaffenen voll­ ständig z.u überschauen, ist selbst dem Spezialisten kaum möglich, zumal es in ungezählten Schachzeitschriften und -spalten des In- und Auslands verstreut ist. Schon darum kann der mit diesem Buch gewagte Versuch einer Auslese des nach Meinung des Selektors über den Tag hinaus Wert­ beständigen eine lückenlose Sammlung des allgemeingültig und anerkannt Besten nicht erbringen. Darauf kommt es dem Verfasser auch nicht an. Er möchte nur für das Kunstschach werben, das Interesse an diesem noch mit manchem haltlosen Vorurteil belasteten selbständigen Zweig des Königlichen Spiels wecken und - dazu schien ihm das Beste gerade gut genug - das Verständnis vertiefen für seine Schönheiten und Ideen­ gehalte, an denen der Nur-Partiespieler achtlos vorübergeht, ohne zu ahnen, wieviel Freude und geistiger Genuß ihm dadurch entgeht. Am Beispiel verschiedenartigster Kompositionen von hoher und höchster Qualität soll überdies gezeigt werden, daß die moderne Schachaufgabe ihrem eigentlichen Wesen nach weit mehr ist als ein bloßes Schachrätsel, daß sie durchaus fähig ist, den Rahmen abzugeben für die Gestaltung schachlicher Ideen nach den Voraussetzungen und Grundsätzen, die für jede Art schöpferischer Tätigkeit gelten. Jede der dargebotenen 250 Kom­ positionen entspricht in hohem Grade dieser Auffassung vom Schach­ problem als der künstlerischen Darstellung schachlicher Gedanken im Rätselgewand. Sie allein war Richtschnur und Maßstab für die Aufnahme in dieses Buch. Keine wesentliche Rolle spielten hingegen die Zugehörig­ keit zu einer bestimmten Schule oder Kunstrichtung, die Bedeutung für die Th eorie oder gar der Name des Autors. Eine gewisse willkürliche Abgrenzung freilich ließ sich aus rein praktischen Gründen leider nicht vermeiden. So wurden nur Kompositionen deutscher Verfasser aus den Jahren 1946-1952 berücksichtigt, und dabei wiederum nur sogenannte orthodoxe Probleme, also spielgerechte Aufgaben mit der Forderung „Matt in . . . Zügen". Das nach diesen Gesichtspunkten zusammengetragene Material ist nach der Zügezahl in drei Abschnitte gegliedert. Innerhalb dieser bestimmte

5

der sachliche Zusammenhang die Anordnung. Es lag nicht im Plan des Verfassers, eine Problemsystematik zu geben oder ein Lehrbuch der Problemkomposition zu schreiben. Die den Lösungen beigegebenen Kom­ mentare können sich daher auf die Erläuterung des wesentlichen Inhalts beschränken und auf Werturteile in der Regel verzichten. An Spezial­ ausdrücken, die in gewissem Umfang nun einmal nicht zu umgehen sind, wurden nur die wichtigsten und in der Literatur immer wiederkehrenden benutzt. Jeder von ihnen ist an einer passenden Stelle des Buches, die mit Hilfe des angehängten Fachwort-Registers leicht aufzufinden ist, er­ klärt. Längere theoretische Ausführungen wurden nur dort für nötig erachtet, wo eine von der bisherigen Lehrmeinung abweichende eigene Auffassung begründet werden mußte. Die gewählte räumliche Anordnung der Stellungsbilder und des Textes nimmt Rücksicht auf den Leser, der erst dann ein Problem richtig genießt, wenn er es selbständig gelöst hat. Andererseits soll sie demjenigen, der di"e Aufgaben an Hand des entsprechenden Kommentars studieren möchte, das lästige Hin- und Herblättern ersparen; er braucht nur die dazwischenliegenden Seiten senkrecht zu stellen und hat beides neben­ einander - von wenigen umbruchtechnisch bedingten Ausnahmen ab­ gesehen. Dem Hauptteil mit seinen 68 Zweizügern, 52 Dreizügern und 1 30 Mehr­ zügern-die Auswahl wurde übrigens bereits Anfang 1 953 abgeschlossen geht ein kurzer Abriß der Entwicklungsgeschichte des deutschen Problem­ schachs mit weiteren 36 I llustrationsbeispielen voraus. Für manchen wertvollen Hinweis hat der Verfasser seinen Freunden S. B r e h m e r, ]. B r e u e r und B. S o m m e r zu danken. Berlin, im Februar 1 954 Herbert Grasemann

6

DIE BRÜCKE ZUR GEGENWART

Es gibt zwar Leute, welche die Schachprobleme gering schätzen, indes nur, weil sie nichts davon wissen. (Französisches Manuskript aus dem 13. Jahrhundert)

Einer Auslese zeitgenössischen Schaffens emen kurzen problemgeschicht1 ichen Abriß voranzustellen, ist aus mehr als einem Grunde angezeigt. Nur wer die Entwicklung von den Anfängen des Kunstschachs bis zu seinem gegenwärtigen Stand wenigstens in groben Umrissen zu über­ schauen vermag, wird imstande sein, die modernen Schachkompositionen ganz zu verstehen und ihre Schönheiten voll auszukosten. Denn alles, was heute erdacht und geschaffen wird, wurzelt ja in vergangenen Jahr­ hunderten und Jahrzehnten, bildet im Fluß der Geschichte nur eine kleine Welle, d eren Ursprung weit in die Vergangenheit zurückreicht und die ins Künftige hinein wirkt. Zum andern gebietet es die Ehrfurcht vor unseren Vorfahren, ohne deren Leistungen nicht eines jener Werke, wie sie die Gegenwart in staunenswerter Fülle und Vollkommenheit hervor­ bringt, hätte entstehen können, daß neben - nein : v o r der heutigen Komponisten-Generation die Großen der Vergangenheit genannt werden. Jeder von ihnen ist deshalb mit einem für seine Zeit und seine Auf­ fassung charakteristischen Problembeispiel in chronologischer Folge ver­ treten, wobei wir uns innerhalb der abgesteckten Grenzen halten und auf Autoren deutscher Nationalität beschränken wollen. Von den Historikern und Philologen wissen wir, daß unser Schachspiel einen weiten Weg zurückzulegen hatte - von seinem (wahrscheinlichen) Ursprungsland Indien über Persien, Arabien und das maurische Spa­ nien -, ehe es sich über Europa auszubreiten begann. Die ältesten abend­ ländischen Zeugnisse über das Spiel stammen etwa aus dem Jahre 1000 n. d. Zeitenwende. Noch um einiges älter sind die uns überlieferten etwa 500 altarabischen Aufgaben. Sie lehnen sich in Aufstellung und Lösungsverlauf eng an die Spielpraxis an, aus der sie zum Teil hervor­ gegangen . sind. Diese "Mansuben" - so wurden diese Spielendungen genannt - waren fast immer so angelegt, daß die anziehende Partei 9

lI

10

Julius Mendheim

J ulius Brede

Aufgaben für Schachspieler 1832

Almanach für Freunde vom Schachspiel 1844

Matt in sieben Zügen

Matt in vier Zügen

III

IV

Adolf Anderssen

Heinrich Eichstädt

lllustrated London News 1846

Schachzeitung 1848

Matt in fünf Zügen

Matt in vier Zügen

(durchaus nicht immer Weiß) sich einem scheinbar undeckbaren Matt gegenübersah, trotzdem aber - darin lag das für damalige Begriffe über­ raschende - den Gewinn erzwang. Na türlich gelang dies nur durch un­ aufhörliches Schachbieten ohne Rücksicht auf materielle Einbuße bis zum endlichen Matt. Weil nun diese Mattführung zugleich auch immer der einzige Gewinnweg überhaupt war, lautete die Forderung bei den Man­ suben durchweg einfach „Weiß (oder Schwarz ) zieht und gewinnt". Erst viel später, eigentlich erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts, ging man dazu über, nicht mehr das einzig mögliche, sondern das kürzeste Matt in einer angegebenen Zügezahl zu fordern, wie es gegenwärtig Brauch ist. Damit hatte sich das Problem endgültig von der Partie emanzipiert, denn das praktische Spiel kennt nur das Matt an sich, nicht seine Be­ grenzung auf eine bestimmte Zügezahl. Der Kunstausdruck „ Mansube" aber wird noch heute gebraucht für Probleme, deren Lösung zugleich den im Partiesinne einzigen Weg zum Gewinn darstellt. Nach einer längeren Periode des schachlichen Stillstands und Nieder­ gangs erhielt die Mansube im 1 8 . Jahrhundert durch den in Paris leben­ den Syrer Philipp S t a m m a neuen Auftrieb. Dieser ließ 1 73 7 unter dem Titel „Traite sur Je jeu des echecs" eine Aufgabensammlung drucken, die das Schaffen mehrerer Generationen maßgeblich beeinfl�ssen sollte. Inzwischen freilich hatte die Entwicklung des Spiels (gegen Ende des 15. Jahrhunderts) eine entscheidende Wendung genommen : Der alte, schräg über das nächste Feld springende Alfil war zum langschrittigen Läufer, der armselige Fers (er zog auf das schräg angrenzende Feld) zu·r mächtigen Dame geworden. Die Folge davon waren erheblich kurz­ weiligere Partien als vorher, die viel rascher zur Entscheidung kamen, und bald begann das Partieschach die künstlich geschaffene Aufgabe aus ihrer Fa voritenrolle in der Gunst des Publikums zu verdrängen. Kurz nach Stamma, dem wir übrigens auch die Einführung der alge­ braischen Notation an Stelle der beschreibenden zu danken haben, erschien ebenfalls mit selbständigen Druckwerken das Dreigestirn aus Modena: Ercole d e 1 R i o ( 1 750), Giambatista L o 11 i ( 1 763) und Domenico P o n z i a n i ( 1 769 ) . Ein ungefähres Bild ihrer Kompositionsweise, d ie sich nicht wesentlich von der Stammas unterscheidet, erhalten wir bei der Betrachtung unserer Nr. I von Julius M e n d h e i m .

11

V

VI

Dr. Max Lange

Heinrich F. L. Meyer

Sonntagsblatt für Schachfreunde 1861

Kongreß des Westdeutschen Schachbundes

Matt in fünf Zügen

Matt in drei Zügen

VII

VIII

12

1862

Franz Schrüfer

Johannes Kohtz-Carl Kockelkorn

Italienisches Problemturnier 1877 1. Preis

Turnier des Deutschen Schachbundes 1879 1. Sendungspreis

Matt in vier Zügen

Matt in fünf Zügen

Mendheim (gest. 1 836)

1. T fs + T :f8 5. Da s + Tfs

2. Dd5 + Tf7 6. Dd5 + Tf7

3. D :aS + Tf8 7. Ta8.

'4. D : a2+ 1 Tf7

Wir sehen, Weiß muß zu recht drastischen Mitteln greifen, um der vielen unangenehmen Drohungen des „auf Gewinn stehenden" Gegners Herr w werden und das Ruder doch noch herumzureißen. Immerhin ist die Freilegung der T-Matt!inie schon ein Motiv, das Beachtung verdient. Die Aufgabe gehört zu den von Mendheim 1 832 herausgegebenen 82 „Aufgaben für Schachspieler". Bereits achtzehn Jahre früher hatte er sein "Taschenbuch für Schachfreunde" erscheinen lassen. Die Herausgabe von Büchern war ja bis dahin die einzige Möglichkeit, eigene Aufgaben in die tHfent!ichkeit zu bringen; denn regelmäßig erscheinende Schach­ zeitschriften oder -spalten gibt es erst seit 1 836, als Labourdonnais in Paris „Le Palamedc" begründete. 1 841 gesellte sich die englische Monats­ schrift "The Chess Player's Chronicle" hinzu, und 1 846 gab es in Deutsch­ land die ersten Schachzeitschriften : in Leipzig die von dem Musikschrift­ steller und Komponisten Hermann H i r s eh b a c h begründete (sie ist bereits 1 848 wieder eingegangen) und wenige Wochen später in Berlin die „Schachzeitung", die unter dem Namen „Deutsche Schachzeitung" noch heute besteht. II Brede ( 1 800-1 849)

1. Ta7 + K :a7 2. Tb7 + Ka8 3 . Ta7 + K :a7 '4. Db7. Der unter Schachgeboten sich vollziehenden Beseitigung hinderlicher Masse (ohne den b-Turm ginge sofort 1 . Db7) werden wir interessanterweise später noch öfter begegnen, freilich in modernerer Form. Im übrigen bieten die Aufgaben des Altonaers Julius B r e d e - und erst recht die seiner Zeitgenossen Josef D o 11 i n g e r und Carl Friedrich S c h m i d t - keinen nennenswerten Fortschritt gegenüber Stamma und den Modenesen. Bedeutsamer als Bredes Schöpfungen sollte die Text­ stelle seines "Almanachs für Freunde vom Schachspiel" ( 1 844) werden, in der erstmals auf die Möglichkeit und die Vorzüge der Variantenbildung hingewiesen wird. Brede gilt daher als geistiger Vater des Varianten­ Problems, das dann auch bald eine beherrschende Rolle zu spielen begann. Die nächste Aufgabe stammt von Adolf A n d e r s s e n. Sein Name ist 13

IX

X

Lu