Priester in Zeiten des Umbruchs: Identität und Lebenswelt des katholischen Pfarrklerus in Oberbayern 1918 bis 1945 9783666550409, 9783525550403, 9783647550404

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Priester in Zeiten des Umbruchs: Identität und Lebenswelt des katholischen Pfarrklerus in Oberbayern 1918 bis 1945
 9783666550409, 9783525550403, 9783647550404

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© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

Thomas Forstner

Priester in Zeiten des Umbruchs Identität und Lebenswelt des katholischen Pfarrklerus in Oberbayern 1918 bis 1945

Vandenhoeck & Ruprecht © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

Ausgezeichnet mit dem Michael-Doeberl-Preis 2012 der Gesellschaft der Münchner Landeshistoriker e. V. Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein und der Erzdiözese München und Freising.

Mit 14 Abbildungen, 10 Tabellen und einer Karte Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ­http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-525-55040-3 ISBN 978-3-647-55040-4 (E-Book) Umschlagabbildung: Brevierlesen auf der Terrasse vor dem Klerikalseminar Freising, um 1930. Münchner Illustrierte Presse Nr. 16, 1930, 541. Exemplar in EAM, NL Faulhaber 5770. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen /  Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U.S.A. www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Printed in Germany. Satz: SchwabScantechnik, Göttingen Druck und Bindung: e Hubert & Co, Göttingen Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 

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Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Interesse und Zielsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Historiographischer Überblick zur historischen Klerusforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Quellenlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

 11  11

1. Die kirchlichen Rahmenbedingungen 1918 bis 1945 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Strukturelle Voraussetzungen im Erzbistum München und Freising  1.1.1 Das Bistum: Territorium und Verwaltungsgliederung . . . . . . . . . 1.1.2 Katholische Laien: Cluster statt Milieu . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.3 Der Erzbischof: Kardinal Michael von Faulhaber (1917–1952)  1.1.4 Die Diözesanverwaltung: Zentrales Kontrollorgan für den Klerus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.5 Faulhabers Führungsriege: Das Metropolitankapitel und zentrale Figuren der Diözesanleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Die ideologische Disposition: Kirche im Abstand zur modernen Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.1 Die Herausforderung der Moderne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.2 Kirche und Nationalsozialismus nach 1933: Das Ringen um die bona particularia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

    

2. Zwischen Selbstbindung und Gehorsam: Berufung und Berufsvorbereitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Die Berufung zum Priestertum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1 Der Berufungsdiskurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2 Autobiographische Reflexionen über die Berufswahl . . . . . . . . . . 2.1.3 Die Berufung begünstigende Faktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Die kleinen Seminare: Vorschule des Priestertums . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Erziehungsziel und Profil der kleinen Seminare . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2 Die Entwicklung der diözesanen Knabenseminare bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.3 Der Alltag der Zöglinge in Schule und Knabenseminar . . . . . . . . 2.2.4 Die Mitgliedschaft der Knabenseminaristen in der Hitler-Jugend . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Spätberufene als Sonderfall in der Klerusausbildung . . . . . . . . . . . . . . . © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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6Inhalt

2.4 Die Seminarerziehung der Priesteramtskandidaten . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.1 Die Formung der Priesteramtskandidaten im tridentinischen Seminar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.2 Das Klerikalseminar auf dem Freisinger Domberg . . . . . . . . . . . . 2.4.3 Das Herzogliche Georgianum in München . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.4 Diözesankleriker im Collegium Germanikum in Rom . . . . . . . . . 2.5 Die Hochschulbildung für den Weltpriesternachwuchs . . . . . . . . . . . . . 2.5.1 Voraussetzungen und Rahmenbedingungen des katholischen Theologiestudiums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.2 Die Philosophisch-Theologische Hochschule Freising . . . . . . . . . 2.5.3 Die Katholisch-Theologische Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität in München . . . . . . . . . . . . . . . . 2.6 Theologen beim Reichsarbeitsdienst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.7 Priesterweihe und Primiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.7.1 Die Entwicklung der Priesterweihen 1918–1945 . . . . . . . . . . . . . . 2.7.2 Die Primizfeier: Selbstvergegenwärtigung des klerikalen Standes und Konfliktfeld mit dem Nationalsozialismus . . . . . . . .

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3. Amt und Identität: Standesideal und priesterliches Wirken . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Der Habitus clericalis: Anatomie eines Standesideals . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Priesterliche Lebensnormen und ihr Vollzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Die Pfarrseelsorge in einer sich wandelnden Gesellschaft . . . . . . . . . . . 3.3.1 Die Entwicklung des Diözesanklerus und der Strukturen der Pfarrseelsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.2 Seelsorglicher Alltag vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Marginalisierung des Klerus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.3 Defensive Abwehrhaltung des Klerus gegenüber den Lebensäußerungen der modernen Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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4. Zwischen Distanz und Partizipation: Aspekte der priesterlichen Identität und Lebenskultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Das katholische Pfarrhaus: Organisationsformen und Bewohner . . . . . 4.1.1 Die Hausgenossen des Pfarrers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.1.1 Priestermütter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.1.2 Pfarrhaushälterinnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.1.3 Hilfsgeistliche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.1.4 Ruhestandsgeistliche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.2 Der Pfarrhof . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.3 Die Pfarrökonomie als Sonderfall des Pfarrhauses . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

4.2 Materielle Situation und Einkommensentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.1 Herkunft und Höhe des Seelsorgereinkommens . . . . . . . . . . . . . . 4.2.2 Auswirkungen der NS-Kirchenpolitik auf das Seelsorgereinkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.3 Die prekäre finanzielle Absicherung der Außenseiter . . . . . . . . . . 4.3 Freizeitgestaltung, Urlaub, Reisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.1 Priesterliche Freizeitgestaltungen im Spannungsfeld von Standeskonformität und Anpassung an die bürgerliche Lebenswelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.1.1 Der Problemkreis des Wirtshauses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.1.2 Das neue Phänomen des Sports . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.2 Urlaub und Reisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4 Geistige und wissenschaftliche Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.1 Lektüre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.2 Private Gelehrsamkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Abweichendes Verhalten: Erscheinungsformen und Korrekturmechanismen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 Die Bedeutung abweichenden Verhaltens im Klerikerstand . . . . . . . . . 5.2 Mechanismen zur Normenkontrolle und Verhaltenskorrektur . . . . . . . 5.2.1 Exkurs: Die Priesterheime in Dorfen und Mariabrunn . . . . . . . . . 5.3 Erscheinungsformen abweichenden Verhaltens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.1 Konkubinat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.2 Finanzielle Unregelmäßigkeiten und Eigentumsdelikte . . . . . . . . 5.3.3 Homosexuelle Handlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.4 Abweichung infolge psychischer Erkrankung: Der Fall des Priesters Richard H. als tragisches Exempel . . . . . . . 6. Braune Priester: Kleriker im Spannungsfeld von Katholizismus und Nationalsozialismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1 Katholische Kirche und Nationalsozialismus bis 1933 . . . . . . . . . . . . . . 6.2 Formen und Ursachen der Annäherung einzelner Kleriker an den Nationalsozialismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.1 Konsens und Loyalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.2 Aktive Kollaboration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.2.1 Anti-Ultramontanismus und Nationalismus als ideologische Motive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.2.2 Lebens- und Existenzkrisen als pragmatische Motive . . . . . . . . 6.2.2.3 Nicht kategorisierbare Sonderfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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8Inhalt

7. Bewährung in extremer Lage: Priester in den beiden Weltkriegen . . . . . . . . 7.1 Erster Weltkrieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2 Zweiter Weltkrieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.1 Rahmenbedingungen für die Theologen und Priester . . . . . . . . . . 7.2.2 Anzahl der Kriegsteilnehmer und Vernetzung mit den diözesanen Strukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.3 Kriegsalltag und Kriegserlebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.4 Verfolgung und Kriegsgefangenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.5 Sinngebungsstrategien der Kirchenführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.6 Deutungsmuster des Krieges auf Seiten der Theologen und Kleriker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Abstand, Selbstbehauptung und Widerstand: Auseinandersetzungen des Klerus mit dem Nationalsozialismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1 Zur divergierenden Interpretation des Handelns von Katholiken und katholischen Klerikern im Dritten Reich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2 Begriffsklärungen: Abstand, Selbstbehauptung und Widerstand . . . . . 8.3 Die Auseinandersetzungen zwischen Klerus und National­sozialismus in quantitativer und qualitativer Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.4 Haltung und Verhalten der kirchlichen Oberbehörde angesichts des Widerstands von Klerikern gegen den Nationalsozialismus . . . . . .

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Zusammenfassung und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  541 Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Siglen und Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tabellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Karte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Quellen und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Ungedruckte Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Gedruckte Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 597

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Vorwort

Die vorliegende Arbeit wurde von der philosophischen Fakultät der LudwigMaximilians-Universität München im Sommersemester 2011 als Dissertation angenommen. Für die Drucklegung wurde sie geringfügig überarbeitet und leicht gekürzt. Die Arbeit wäre nicht zustande gekommen ohne die nachhaltige und stets wohlwollende Begleitung und Unterstützung meines Doktorvaters, Professor Dr. Walter Ziegler, Ordinarius a. D. für Bayerische Landesgeschichte an der LMU. Für seine zahlreichen Hinweise, Anregungen und Ideen, seine unerschöpfliche Geduld angesichts des langen Entstehungszeitraums der Arbeit und sein nicht nachlassendes Interesse am Thema und an meiner beruflichen Entwicklung bin ich ihm zu großem Dank verpflichtet. Mein Dank gilt ferner meinem Zweitbetreuer, Professor Dr. Ferdinand Kramer, dem Inhaber des Lehrstuhls für Bayerische Geschichte und vergleichende Landesgeschichte, der über die Erstellung des Zweitgutachtens hinaus vielfache Anregungen gab, sowie Professor Dr. Franz Xaver Bischof, dem Inhaber des Lehrstuhls für Kirchengeschichte des Mittelalters und der Neuzeit, der freundlicherweise die Erstellung des Drittgutachtens übernahm. Professor Dr. Jens-Uwe Krause, Ordinarius für Alte Geschichte, danke ich für die Bereitschaft zur Einarbeitung in das für ihn ungewohnte Themenfeld und zur engagierten Teilnahme an meiner Disputation im Juli 2011. Wie fast alle wissenschaftlichen Arbeiten, verdankt auch diese viel den Gesprä­chen mit einer Reihe von Fachkolleginnen und -kollegen und Vertretern anderer wissenschaftlicher Disziplinen, darunter viele, die ich Freunde nennen darf. Nicht alle können hier namentlich genannt werden, besonders erwähnen möchte ich Prof. Dr. Dominik Burkard, Dr. Karl-Ulrich Gelberg, Johannes Haidn, Florian Heinritzi, Volker Laube, Susanne Kornacker, Dr. Antonia Leugers, Dr. René Löffler, Dr. Johannes Ratzka, Prof. Kevin Spicer Ph.D., Dr. Claudius Stein, Guido Treffler und Michael Volpert. Besonderer Dank gilt zudem Dr. Antonia Leugers und Florian Heinritzi für ihre aufopferungsvolle Unterstützung bei der Korrektur des Manuskripts. Schließlich danke ich auch den vielen – zumeist hoch betagten – Geistlichen, die sich für Interviews und Gespräche zur Verfügung gestellt haben und mir als Nichttheologen in oft frappierend offener Weise einen Einblick in die priesterliche Lebenskultur in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gegeben haben. Fotografien aus ihren Sammlungen stellten mir freundlicherweise Frater Raphael Sperber OPraem, (Windberg), Msgr. Franz Kronberger (†) und Gottfried Simmerding (†) zur Verfügung. Michal Volpert gilt mein Dank für die Erstellung der Diözesankarte, Martin Jäger für die Überlassung der unveröffentlichten Erinnerungen seines Großonkels, des Priesters Johann Jäger. Für die gute Zusammenarbeit bei der Vorbereitung der Drucklegung danke ich meinem Lektor Christoph Spill vom Verlagshaus Vandenhoeck & Ruprecht. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

10Vorwort

Ein Großteil dieser Arbeit entstand parallel zu meiner beruflichen Tätigkeit im Erzbischöflichen Ordinariat München. Hier danke ich insbesondere meinem langjährigen Vorgesetzten, Domdekan Dr. Lorenz Wolf, für sein stetes Wohlwollen gegenüber meinen privaten Forschungsinteressen, ferner Generalvikar Dr. Dr. Peter Beer und dem Direktor des Diözesanarchivs, Dr. Peter Pfister, für ihre Unterstützung. Dem leider bereits verstorbenen Prof. Dr. Erwin Gatz, dessen Werken ich viel verdanke, gilt posthum mein Dank, besonders für eine Einladung an das Römische Institut der Goerres-Gesellschaft, wo im September 2009 im kleinen Rahmen die Diskussion wichtiger Themenfelder der priesterlichen Alltagskultur möglich war. Abschließend habe ich der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein und der Erzdiözese München und Freising für die großzügige Gewährung von Druckkostenzuschüssen zu danken, der Gesellschaft der Münchner Landeshistoriker e. V. für die Zuerkennung des Michael-DoeberlPreises und das damit verbundene Preisgeld. Berlin, im Juni 2013 Thomas Forstner

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Einleitung »Das Geschehen jeden Augenblicks überall auf der Welt ist nichts anderes als eine Masse treibenden Schutts. Erst was die Historiker daraus hervorholen und weitergeben, wird zur Geschichte. Ein Vorgang aus Zufall und kaum überbietbarer Willkür, der den großen Begriff schwerlich verdient.«1

1.

Interesse und Zielsetzung

In den Gesellschaften Nord- und Westeuropas, zunehmend aber auch in Süd- und Osteuropa, nimmt die christliche Religion im öffentlichen Leben nur noch einen eher geringen Stellenwert ein. In der gesellschaftlichen Öffentlichkeit sind die Kirchen, abgesehen von einer zeitweilig starken medialen Präsenz der Hierarchie, zumeist nur noch gering vertreten. Aus dem politischen Raum haben sie sich zurückgezogen, im sozialen Bereich agieren sie als ein Dienstleister neben anderen, mit nur noch gering ausgeprägtem eigenständigem Profil. Bekenntnis und religiöse Praxis sind ganz überwiegend auf den privaten Bereich oder auf wenige, zumeist regional begrenzte öffentliche Anlässe beschränkt. Singuläre Ereignisse, wie die Wahl des vormaligen deutschen Kurienkardinals Joseph Ratzinger zum Papst im April des Jahres 2005 und dessen Deutschlandbesuche, vermögen zwar das Medieninteresse an kirchlichen Themen enorm zu steigern, doch scheint wenig dafür zu sprechen, dass es sich hierbei um Anzeichen einer postsäkularen Trendwende oder gar einer erneuten dauerhaften Hinwendung weiter Bevölkerungsschichten zur katholischen Glaubenslehre in einem strengen Sinne handelt.2 Allenfalls lassen sich, vor allem aus den USA kommend, Trends einer klientelspezifischen Privatisierung der Religion im Sinne einer »neopaganen Repartikularisierung des Universellsten schlechthin« erkennen.3 1 Fest, Gegenlicht, 298. 2 Faktisch geht die Kirchenbindung in Deutschland wie in anderen europäischen Ländern seit den 1970er Jahren konstant zurück. Im Zeitraum 1990 bis 2008 verließen in Deutschland 2.471.752 Menschen die katholische Kirche durch Austritt, dem standen aber nur 238.844 Eintritte und Wiederaufnahmen gegenüber; vgl. Graf, Kirchen, 35. 3 Graf, Götter, 79. Der eine Gott wird dabei in einer postmodernen Umdeutung zu je meinem Gott, zum »eigenen Gott« (so der Titel des Buchs von Ulrich Beck [Beck, Gott] über die Religion im Zeitalter der Globalisierung), einer Art subjektiven Wunsch- oder Klientelgott, dessen Erscheinen mit diversen Formen von »Genetiv-Theologien« (Graf, Götter, 76) einhergeht – Milieutheologien, die vor allem der Absicherung diverser kollektiver Subidentitäten dienen. Die hieraus resultierende »Bricolage-Frömmigkeit« (Graf, Kirchen, 35) bedient je unterschiedlichste gesellschaftliche Sammlungsbewegungen, deren weltanschauliches Spektrum nicht weit genug gedacht werden kann, seien es nun die in der queer theology wurzelnden Gruppierungen wie die ökumenische © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

12Einleitung

Entsprechend dieses Funktions- und Erscheinungswandels der Religion hat die gesamtgesellschaftliche Bedeutung der sozialen Figur des katholischen Priesters in den westlichen Gesellschaften stark abgenommen. In der Berichterstattung der großen Medien spielt das Priestertum fast ausschließlich nur noch als Träger von Skandalen eine Rolle oder im Rahmen einer Art exotischen Milieubesichtigung, bei der zumeist die zölibatäre Lebensform und die mit ihr verbundenen Schwierigkeiten im Fokus des Interesses stehen.4 Die priesterlichen Berufungen sinken, zumal in den deutschsprachigen Ländern, auf immer neue, früher kaum für möglich gehaltene Tiefstände.5 Die gesellschaftliche Bedeutung des Priesters als Mittler von Transzendenz und Heil sowie als Begleiter des Menschen in dessen zentralen Lebensvollzügen hat sich zugunsten eines Selbst- und Fremdbildes relativiert, in dem der Priester als Begleiter in existentiellen Grenzsituationen und auf Bedarf herbeigerufener Arrangeur von Lebenswendefeiern agiert6, deren innerer religiöser Sinngehalt nur mehr einer Minderheit vertraut ist. Auch die gesellschaftspolitischen Funktionen des Priesters als ethisch-moralische Wächterinstanz und Korrekturagent scheinen sich in der Moderne weitgehend verflüchtigt zu haben. Doch ist andererseits zu fragen, ob es sich bei dieser Entfremdung zwischen Priestertum und Welt nicht um einen sehr viel längerfristig angelegten Prozess handelt, oder ob möglicherweise die Fremdheit in der Welt gar ein Konstitutivum der priesterlichen Existenz an sich darstellt. Bereits in seinem viel beachteten Buch Der Priester in der Welt formuliert Josef Sellmair7, selbst Priester und pädagogisch wirkender Bewegung Homosexualität und Kirche oder neokonservativ-fundamentalistische Vereinigungen wie das Forum deutscher Katholiken, um nur zwei Pole dieser Grundtendenz innerhalb Deutschlands zu benennen. 4 Erinnert sei an die Forderungen von Priestern und Laiengruppen um die Aufhebung des Zölibats, die Forderung nach dem Priestertum der Frau, die Auseinandersetzung mit dem Missbrauch Minderjähriger durch katholische Geistliche in Deutschland und anderswo oder die Diskussionen um Struktur und Gesinnung der Mitglieder und Anhänger der schismatischen Priesterbruderschaft Pius X. nach der Aufhebung der Exkommunikation von vier dieser angehörenden Bischöfen, darunter des Holocaust-Leugners Richard Williamson, durch Papst Benedikt XVI. 5 Vgl. Kiechle, Zuversicht, 552. 6 Vgl. Damberg, Entwicklungslinien, 177. In analoger Weise äußerte sich bereits 1945 der Pfarrer von Marzoll bei Berchtesgaden kritisch über die Haltung eines Teils seiner Gemeinde: »Für diese ist der Priester eine Art Hausmeister, den man holt, wenn man ihn braucht, aber weiter will man mit ihm nichts zu tun haben.« (AEM, Seelsorgeberichte, Dekanat Berchtesgaden, Seelsorgebericht der Pfarrei Marzoll für das Jahr 1945). 7 Josef Sellmair, Dr. phil., Dr. theol., geb. am 21. 02. 1896 in Thalhausen, seit 1915 Militärdienst, anschließend Kriegsgefangenschaft bis 1920, Priesterweihe 1922 in Freising, Kaplan in Oberföhring, 1925 Kurat am Priesterhaus St. Johann Nepomuk in München, 1927 Kaplan im Internat der Englischen Fräulein in München, 1928 Vikar im Kollegiatsstift St. Kajetan in München und Religionslehrer. Ab Ende der 1920er Jahren erste religionspädagogische Veröffentlichungen, 1945 außerplanmäßiger Professor für Pädagogik an der Phil.-Theol. Hochschule in Regensburg, 1947 ordentl. Professor für Religionspädagogik an der Universität München, gest. am 23. 07. 1954. Sellmairs aus dem christlichen Humanismus schöpfende schriftstellerische Produktion fand auch im europäischen Ausland weithin Beachtung, zu seinen wichtigsten Werken gehören Humanitas © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Schriftsteller, 1939 das Spannungsverhältnis des Priesters zur Welt: »Der Priester als solcher ist der Welt, auch jener, die ihn nicht grundsätzlich hasst, etwas Fremdartiges, eine Erscheinung, die irgendwie Staunen und Verwunderung erregt. Sie wundert sich über sein Dasein, weil sie sich über sein Anderssein wundert.«8 Sellmairs Analyse berührt dabei den Grundzug der priesterlichen Existenz in der weitgehend säkularisierten Gesellschaft der Moderne: Einerseits sei der Priester, aufgrund der in der Weihe konkretisierten mystischen Idee des Priestertums per se anders als die übrigen Getauften, andererseits führe diese mystische Andersartigkeit unter den Bedingungen der Moderne mehr und mehr zu einer Trennung und Absonderung des Priesters von der Welt und den Menschen, für die er als Seelsorger aufgestellt ist. Dabei dürfte zu den inneren Ursachen des Spannungsverhältnisses zwischen Priestertum und moderner Welt beitragen, dass sich das Priestertum durch eine kollektive Identität auszeichnet, die im Gegensatz zu umgebenden Lebenswelt erstens eine relative Zeitfestigkeit aufweist und zweitens ihre identitätsstiftende Konzeption aus mittelalterlichen Sozial- und Gesellschaftsformen bezieht. Insofern lässt sich von einer vormodernen Identität des Klerikerstandes sprechen.9 Diese Arbeit geht von der noch näher zu erläuternden Grundthese aus, dass in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein aus dieser vormodernen Identität resultierendes grundsätzliches Spannungs- und Distanzverhältnis zwischen katholischem Klerus und den Erscheinungsformen der modernen Welt bestand. Dieses Spannungs- und Distanzverhältnis resultierte aber nicht per se aus dem von Sellmair konstatierten Anderssein des Klerikers, sondern vielmehr daraus, dass dieses traditionell innerhalb der religiös geprägten Kultur Europas nicht in Frage gestellte und für das Priestertum konstitutive Anderssein in der Moderne10 selbst nicht mehr einvernehmlich als Faktum akzeptiert, sondern ebenso wie die religiös geprägte Kultur selbst in vielfacher Weise in Frage gestellt wurde. Dabei wurde das Anderssein selbst als solches umso deutlicher erkennbar, je mehr die Gesamtgesellschaft in Bewegung geriet und sich mehr und mehr von ihren traditionalen Lebensformen, insbesondere von den überkommenen religiösen Bezügen, entfernte, während zugleich Kirche und Klerus sich

Christiana. Geschichte des christlichen Humanismus (1949/50) und Der Priester in der Welt (1939). In letzterem Werk fand S. »im katholischen Priester ›das durch seinen Beruf verklärte Idealbild erhöhter Menschlichkeit‹ und plädierte gegen alle Formen eines überzogenen Spiritualismus und Asketismus für eine weltoffene und ganzheitliche priesterliche Existenz«; vgl. Nichtweiss, Sellmair.  8 Sellmair, Priester, 7.   9 Vgl. zu den mittelalterlichen Sozialformen der priesterlichen Existenz Deschwanden, Rollenanalyse, 124 f. Von zeitgenössischen Theologen wie dem Münchner Dogmatiker Peter Neuner ist die Auffassung vertreten worden, die Kirche habe ihre negative Bewertung der Moderne bis in die Gegenwart nicht voll aufgearbeitet und begegne in Vereinigungen wie der traditionalistischen PiusBruderschaft nun ihrer eigenen unbewältigten Vergangenheit; vgl. Neuner zum Anti-Modernismus, Münchner Kirchenzeitung Nr. 37, 12. 09. 2010, 11. 10 Zum in dieser Arbeit angewandten Begriff von Moderne vgl. Kapitel 1.2.1. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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in der »Pianischen Epoche«11 von den andrängenden Phänomenen der Moderne in einer vehementen Gegenbewegung abschotteten. So entstand gewissermaßen eine gegenläufige Bewegung, in der es aus der Sicht Sellmairs den Anschein haben konnte, dass der Priester allein »durch den Prozess der Säkularisierung des ganzen Lebens […] immer mehr zum Fremdling in dieser Welt« geworden sei.12 Ursächlich für die Fremdheit war aber nicht die Säkularisierung als Begleiterscheinung der Moderne, sondern vor allem die Art und Weise, wie die Kirche ihr begegnete. Denn die Weltdistanz, das Fremd-Sein in der modernen Welt, war durchaus gewollt und seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Ergebnis eines bewusst in diese Richtung gesteuerten Prozesses der Rekrutierung und Ausbildung des Klerus. Das zentrale Ziel dieser Ausbildung war auf die soziale Kohäsion13, d. h. die Bildung der Wir-Identität der eigenen Gruppe gerichtet. Deren wichtigste Elemente bildeten die Einübung des Gehorsams gegenüber der Kirchenobrigkeit und die Fähigkeit zur Selbstbindung an die Pflichten, welche die »totale Rolle«14 den Klerikern in Bezug auf ihren priesterlichen Alltag, ihr Sozialverhalten und ihre Lebenskultur abverlangte. Papst Pius X. (1903–1914), der den weltabgewandten Pfarrer von Ars, Jean Marie Vianney15, 1905 zum Vorbild aller Priester erklärt hatte, forderte eine »heilsame Isolierung« der Kleriker von der Welt.16 Selbstheiligung, Selbstverleugnung, Vollkommenheitsstreben und Askese sind essentielle Komponenten dieses Priesterideals.17 Der Priester musste entsprechend der ihm unter diesen Rahmenbedingungen auferlegten Normen in seinem Verhalten, seiner äußeren Erscheinung und seinem Lebensstil Ideale verkörpern, die ihm auch die Akzeptanz der Öffentlichkeit sichern sollten. Faktisch setzte ihn dieser Habitus clericalis18 aber nicht selten dem Spott und dem Misstrauen diverser Teilsegmente der vermeintlich aufgeklärten Gesellschaft

11 Altermatt, Katholizismus, 66 f. bezeichnete die durch Deckung von religiöser Doktrin und religiöser Praxis in einem zuvor und danach nie wieder erreichtem Ausmaß gekennzeichnete Epoche zwischen den Päpsten Pius IX. (ab 1846) und Pius XII. (bis 1958) als »Pianische Epoche«. 12 Sellmair, Priester, 10. 13 Der Begriff der sozialen Kohäsion oder auch Gruppenkohäsion beschreibt in der Sozialpsychologie den Zusammenhalt einer sozialen Gruppe. 14 Zum Begriff der totalen Rolle des Klerikers vgl. Deschwanden, Rollenanalyse, 124 f. 15 Jean-Marie Vianney, geb. 1786 in Dardilly (Département Rhône, Frankreich), gest. 1859 in Ars-surFormans (Département Ain, Frankreich), wirkte von 1818 bis zu seinem Tod in Ars-sur-Formans bei Lyon als Pfarrer. Er führte ein strenges von Buße, Fasten und Selbstkasteiung geprägtes Leben und erwarb sich hierdurch hohes Ansehen und Verehrung bei der einfachen Landbevölkerung. Er wurde 1905 durch Pius X. selig und 1925 durch Pius XI. heilig gesprochen. vgl. zu seiner Person Wesseling, Vianney, ferner die grundlegende, ältere, unlängst neu aufgelegte Biographie von Trochu, Pfarrer von Ars. 16 Vgl. Gatz, Lebenskultur, 178. 17 Vgl. Nickel, Theologisch-praktische Monatsschrift, 236 f. 18 Der in Kapitel 3.1 näher erläuterte Begriff des Habitus clericalis bezeichnet die Art und Weise der Selbst- und Standesrepräsentation der Kleriker und die hiermit verknüpften Verhaltensnormen. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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außerhalb des katholischen Horizontes aus.19 Die Kleriker waren dennoch gehalten, unbeeindruckt von den Anwürfen der äußeren Welt, eine im Sinne des Standesideals mustergültige Existenz vorzuleben, die gewissermaßen als einzig mögliche Form des Überdauerns in der feindlichen Welt und als Remedium gegen die sich sukzessive verschärfenden Krise der Religion verstanden wurde.20 Wenngleich es sich bei der Wir-Identität des Priesterstandes in der pianischen Epoche um die Identität einer nach vormodernen Idealen geprägten und geschlossenen Elite handelte, haben wir es hierbei dennoch weitgehend mit einem Phänomen der Moderne zu tun, da die Entstehung dieser Wir-Identität, als Reaktion auf die Moderne, in einer dialektischen Abhängigkeit zu dieser stand und folglich in deren Koordinatensystem verankert blieb. Der Vollzug des pianischen Gegenentwurfs zur Moderne vergrößerte faktisch mehr und mehr den Graben zwischen Priestertum und Welt. In seinem an alle Priester gerichteten apostolischen Schreiben Haerent animo aus dem Jahr 1908 distanzierte sich Pius X. indirekt von politisch und sozial engagierten Priestern, die sich für eine Überwindung der Kluft zwischen Kirche und Welt einsetzten.21 Obgleich das hohe Maß an sozialer Kohäsion, welches dem Klerus unter diesen Bedingungen von der kirchlichen Hierarchie strukturell aufgenötigt wurde, ihn zum »Fremdling in dieser Welt«22 machte und so nur sehr unzureichend auf seine eigentliche Aufgabe, die Seelsorge an den Menschen der modernen Gesellschaft vorbereitete, verhinderte das fehlende positive Verhältnis zur Moderne im Gegenzug ebenso eine Identifikation mit den extremen Ideen und Spielarten der Moderne, unter anderem mit dem Nationalsozialismus.23 Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich ausgehend von den angeführten Grundüberlegungen überwiegend mit sozial- und kulturgeschichtlichen Fragestellungen. Sie versucht der Lebenskultur und den Existenzbedingungen der oberbayerischen katholischen Kleriker unter den gesellschaftlichen Bedingungen der Epoche zwischen den beiden Weltkriegen nachzuspüren und so einen exemplarischen, analytischen Zugang zum Wesen des katholischen Klerus in der ersten Hälfte des 20.  Jahrhunderts zu finden. Die Arbeit beginnt mit einem Blick auf die kirchlichen Rahmenbedingungen in der Erzdiözese München und Freising in den Jahren 1918 bis 1945. Nach einer kurzen Einführung in die Entwicklung und Gliederung der Diözese und der Skizzierung grundsätzlicher Tendenzen in der katholischen Mehrheitsbevölkerung im Hinblick auf deren religiöse Prägung und Orthopraxie, werden der Erzbischof, die ihm unterstehende Verwaltungsorganisation und die führenden Persönlichkeiten der kirchlichen Administration untersucht. In den beiden dieses Kapitel abschließenden Abschnitten erfolgt eine Skizzierung der innerkirchlichen 19 Vgl. Nickel, Theologisch-praktische Monatsschrift, 200. Zur antikatholischen Grundstimmung die instruktive Untersuchung Borutta, Antikatholizismus. 20 Vgl. Blaschke/Kuhlemann, Religion, 10. 21 Vgl. Gatz, Lebenskultur, 178. 22 Sellmair, Priester, 10. 23 Vgl. zur Deutung des Nationalsozialismus als Ausfaltung der Moderne Kapitel 1.2.2. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Entwicklungen angesichts des politischen, gesellschaftlichen und religiösen Transformationsprozesses der Moderne. Im zweiten Kapitel beschäftigt sich die Untersuchung mit dem gesamten Prozess der Rekrutierung und Ausbildung des Klerus. Am Beginn steht hierbei die Frage nach der sogenannten priesterlichen Berufung und den damit verbundenen standesinternen Diskursen, die sich als wesentlicher Schlüssel zum Verständnis der klerikalen Identitätsstruktur begreifen lassen. Hiervon ausgehend werden die Faktoren betrachtet, welche die Berufung begünstigten und wiederum wesentlichen Einfluss auf die soziale Zusammensetzung des Klerus hatten. Idealerweise und im Regelfall begann die Ausbildung des Priesternachwuchses im vorpubertären Knabenalter in den seminaria minora, deren Entwicklung auf diözesaner Ebene bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs ebenso erläutert wird, wie ihr Erziehungsideal mit Autorität und Gehorsam als Grundpfeilern christlicher Pädagogik. Die Spätberufenen werden als Sonderfall in einem eigenen Abschnitt betrachtet. Eher nahtlos vollzog sich für die Mehrzahl der Knabenseminaristen der Übergang in das Klerikalseminar, in dem die Prozesse der endgültigen Einübung der priesterlichen Rolle und der Kohäsionsbildung weiter verfeinert und zum Abschluss gebracht wurden. Die Entwicklung des Freisinger Klerikalseminars und des Herzoglichen Georgianums in München werden dabei getrennt von den eigentlichen Ausbildungsstätten, der Philosophisch-Theologischen Hochschule Freising und der Universität München, betrachtet. Hierbei werden auch die besonderen Konflikte zur Sprache gebracht, die durch das Hereindrängen der Ansprüche der nationalsozialistischen Gesellschaft etwa in Form des Reichsarbeitsdienstes entstanden. Ein gesonderter Abschnitt untersucht Muster der Elitenbildung anhand der Kandidaten, denen das Studium am römischen Collegium Germanikum ermöglicht wurde. Die Priesterweihe und die darauf folgende erste Feier der Hl. Messe als der Bevölkerung zugewandter, symbolischer Ausdruck der Selbstrepräsentation des Klerus stehen am Abschluss dieses Abschnitts. Mit der Spannung zwischen Standesideal und Wirken der Priester in der modernen Gesellschaft beschäftigt sich das dritte Kapitel. Zunächst werden das priesterliche Standesideal und seine Ausprägung im Habitus clericalis sowie die den Klerikern auferlegten Normen der persönlichen Lebensführung untersucht. Sodann wird beobachtet, in welcher Weise sich diese Normen anhand von verschiedenen Feldern des nicht- oder allenfalls teilöffentlichen privaten Lebensvollzugs konkretisieren. Eine Übersicht über die Entwicklung des Pfarrklerus im Verlauf des Untersuchungszeitraums leitet über zu einer Betrachtung der priesterlichen Alltagsgeschäfte und der seelsorglichen Herausforderungen vor dem Hintergrund des gesellschaftlichen Wandels und des damit verknüpften Bedeutungs- und Statusverlustes der Kleriker in der modernen Gesellschaft. Das nachfolgende Kapitel 4 widmet sich den zwischen Distanz und Partizipation an der modernen Gesellschaft oszillierenden Phänomenen der priesterlichen Lebenskultur. Hierbei wird die in der Forschung bislang vernachlässigte Institution des katholischen Pfarrhauses mit seinen Hausgenossen ebenso betrachtet, wie die standes© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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typische Entwicklung des Verhältnisses zu Familienangehörigen, die materielle Situation und Einkommensentwicklung des Klerus angesichts der politischen Veränderungen, die Gestaltung von Freizeit, Urlaub und Reisen vor dem Hintergrund neuer Phänomene wie dem des Sports sowie die geistigen und wissenschaftlichen Interessen des Klerus außerhalb des geistlichen und theologischen Feldes. Dass die Aufrechterhaltung des Habitus clericalis als Norm den Einzelnen keineswegs immer gelang, lässt sich an den verschiedenen Formen des abweichenden Verhaltens von Klerikern in Kapitel 5 zeigen. Nach einer begrifflichen Annäherung und der Analyse der Mechanismen zur Kontrolle des normgerechten und zur Korrektur des normverletzenden Verhaltens durch die kirchliche Obrigkeit, werden verschiedene Formen von Normverletzungen betrachtet: Konkubinat, finanzielle Unregelmäßigkeiten und Eigentumsdelikte, praktizierte Homosexualität und schließlich die psychische Erkrankung.24 Hierbei soll besonders der Frage nachgegangen werden, wie es der Kirchenobrigkeit mittels der Instrumente eines eigenen Rechtssystems, d. h. eigenen Rechtsnormen, einer von den staatlichen Gerichten unabhängigen Gerichtsbarkeit und eines eigenen Strafsystems gelang, ein ebenso präventiv wie repressiv auf die Täter einwirkendes Devianzmanagement zu etablieren und ob sich dieses als effektiv und hilfreich erwies, die Kohäsion im Wesentlichen aufrecht zu erhalten. Das Sonderphänomen der so genannten braunen Priester, also derjenigen Geistlichen, die sich um eine Verbindung zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus bemühten oder gleich ganz zu den Nationalsozialisten überliefen, lässt sich in diesem Zusammenhang als eine besondere Form des abweichenden Verhaltens verstehen. Ihm ist mit Kapitel 6 ein eigener Abschnitt gewidmet. Für eine Analyse der Beweggründe Einzelner sich der NS-Ideologie anzunähern, erschien es dabei in Analogie zum Abschnitt über die Berufung sinnvoll, stärker auf individuelle biographische Beschreibungen zurückzugreifen. Die Erfahrung des Krieges gehörte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit seinen beiden großen Weltkriegen ebenso wie für die gesamte Bevölkerung zu den prägenden Erfahrungen eines nicht unerheblichen Teils des deutschen Klerus und vor allem derer, die sich in den Seminaren auf den Priesterberuf vorbereiteten. Die innere Situation der universalen Kirche im Krieg der Nationen ist – wie es Heinz Hürten formulierte – dabei »von einer eigentümlichen Spannung zwischen den verschiedenen Fronten im Kampf gegeneinander stehender Katholiken und ihrem von allen in Anspruch genommenen und allen in gleicher Weise verpflichteten Oberhaupt

24 Zum Verständnis dieser auf den ersten Blick eigenwillig erscheinenden Reihung sei bereits hier darauf hingewiesen, dass sich im Hinblick auf den Umgang mit den Betroffenen zumindest bis in die 1930er Jahre innerhalb des katholischen Klerus eine weitgehende Analogisierung von Geisteskranken und Verbrechern beobachten lässt. Insofern zeigt sich dieses bekanntlich durch Foucault, Wahnsinn, untersuchte Phänomen hier mit besonderer Deutlichkeit, was angesichts des kirchlichen Auftrags zur cura animarium verwundern könnte, läge letzterer nicht ein stark funktionalistisch geprägter Begriff zugrunde. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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gekennzeichnet.«25 Im Kapitel 7 wird diese spezifische Form der Grenzerfahrung untersucht. Im Fokus der Betrachtung stehen dabei die Rahmenbedingungen für die Priester und Theologen im Feld, die Folgen der Einberufungen für die Struktur des Klerus, die Strategien der standesinternen Kommunikation und der Kriegsalltag an der Front und in der Heimat. Nach durch den Krieg verschärften Verfolgungs- und Repressionsmaßnahmen gegen Einzelne wird dabei ebenso zu fragen sein, wie nach den ideologischen Prägungen der Kriegsteilnehmer. Andere Formen des Konflikts und der Grenzerfahrungen durchlebte der Klerus in den Auseinandersetzungen mit dem nationalsozialistischen Regime, die im Kapitel 8 behandelt werden. Zunächst erschien ein grundsätzlicher Blick auf die sehr stark ausdifferenzierte Diskussion zur Widerstandsthematik zur Klärung des Diskursfeldes geboten. Diese Überlegungen münden in einer neuen Nomenklatur für die Haltung der Kleriker zum Nationalsozialismus und die sehr unterschiedlichen Formen von Auseinandersetzungen zwischen Klerus und Exponenten des NS-Regimes. Hierzu werden die Begriffe Abstand, Selbstbehauptung und Widerstand eingeführt und ihr Gebrauch diskutiert. Anschließend werden die verschiedenen Formen von Konflikten zwischen Klerus und Nationalsozialismus einer quantitativen und qualitativen Bewertung unterzogen. Es zeigt sich, dass die eigentlichen Konflikte überwiegend entlang der Verteidigungslinien auftraten, welche die Kirche gegen den Anspruch des Regimes auf ideologische Dominanz in ihren ureigensten Domänen aufgerichtet hatte. Der Abschnitt schließt mit einigen Beobachtungen zu Haltung und Verhalten der kirchlichen Oberbehörde angesichts der politischen Widerstandstätigkeit von Klerikern. Die vorliegende Arbeit verfolgt mithin drei sehr unterschiedliche Ziele. Sie will erstens die Entwicklung des oberbayerischen Klerus in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen darstellen. Zweitens beabsichtigt sie hiervon ausgehend im Anschluss an die Forschungen von Erwin Gatz und anderen26 Bausteine zu einer weiter übergreifenden Kultur-, Sozial- und Mentalitätsgeschichte katholischer Kleriker in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu liefern. Drittens will sie mit einer Analyse des Verhaltens der Kleriker angesichts von Krieg und totalitärer Herrschaft der Frage nachspüren, ob und in welcher Weise der Klerus die Herausforderungen in einem »Zeitalter der Extreme« (Hobsbawm) bewältigte und welcher Strategien er sich dabei bediente. Eine ganze Reihe von denkbaren und interessanten Forschungsansätzen konnten in dieser Studie nicht verfolgt werden. Insoweit primär ein kultur- und sozialhistorischer, aber kein ideengeschichtlicher Ansatz verfolgt wird, kann diese Studie auf die innertheologischen Diskussionen und theologische Sonderströmungen, wie den in München bedeutsamen Reformkatholizismus oder die Spätfolgen der Modernismuskrise nur am Rande eingehen. Auch die innertheologischen Diskurse und Tendenzen, 25 Hürten, Patriotismus, 17. 26 Relevant erscheinen in diesem Zusammenhang v. a. die Arbeiten Altermatt, Katholizismus; Gatz, Diözesanklerus; Nickel, Theologisch-praktische Monatsschrift; Rommel, Diözese Mainz. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

Historiographischer Überblick zur historischen Klerusforschung 19

die sich etwa im Rahmen einer systematischen Zeitschriftenanalyse erschließen ließen, konnten nicht betrachtet werden. Dies wäre eine eigene Arbeit mit einem gänzlich anderen konzeptionellen Ansatz. Die Arbeit liefert mithin keine kollektive Ideengeschichte des Klerus. Sie liefert auch keine Geschichte der pastoralen Praxis, zumal diese in der hier betrachteten Zeit noch wenig von konzeptionellen Überlegungen bestimmt ist und kaum durch zentrale Einrichtungen wie das Ordinariat oder Seelsorgsämter gesteuert wird. Insofern wären hierzu breit angelegte Untersuchungen über die pastorale Praxis auf der Pfarrebene, etwa durch die Auswertung einer großen Reihe von Pfarrarchiven erforderlich gewesen, um diese Phänomene besser greifbar zu machen. Ebenso wenig kann die vorliegende Arbeit Aufschluss über die spezifischen Formen der Frömmigkeit des Klerus dieser Zeit geben. Obwohl Priester in der Erfüllung ihrer Rolle ganz wesentlich als Instruktoren und Mittler von Frömmigkeit auftreten, entziehen sie sich hinsichtlich der persönlich praktizierten Frömmigkeit weitgehend der quellenmäßigen Erfassbarkeit. Auch spannenden Einzelfragen, wie etwa in welchem Umfang studierende Theologen Mitglieder studentischer Verbindungen waren und in wie großem Maße diese Mitgliedschaft einen Einfluss auf ihren Lebensweg hatte, konnte im Rahmen dieser Arbeit aufgrund der damit verknüpften methodischen Komplexität nicht nachgegangen werden.27

2.

Historiographischer Überblick zur historischen Klerusforschung

Die mit jeder Neuauflage unfruchtbarer erscheinenden und argumentativ mehr oder weniger zirkulär verlaufenden Kontroversen und Debatten um Hochhuths »Stellvertreter«, den »Papst, der geschwiegen hat«28 oder die katholischen Kirche und den Holocaust29 und die entsprechenden Gegenreaktionen sind noch keineswegs beendet. Dennoch zeichnet sich ab, dass eine jüngere Generation von Historikern der weltanschaulich motivierten Vergangenheitspolitik30 überdrüssig ist und dabei ist, diese 27 Nachweisbar sind nur Einzelfälle, etwa die Nutzung der Verbindung des Geistlichen Ludwig Mayrhofer zu seinem Verbindungsbruder, dem Generalvikar Rudolf Hindringer, bei einer erwünschten Versetzung (vgl. AEM, Priesterpersonalakten P III 1138 Ludwig Mayrhofer) oder der in Kapitel 1.1.5 geschilderte Fall des Domvikars Josef Thalhamer, dessen Conphilister aus der Studentenverbindung Rhaetia – ein höchst aktivistischer Nationalsozialist – als Verbindungsmann zwischen Kirche und Partei fungierte. Eine systematische Untersuchung dieser Netzwerke hätte eine breite und systematische Herangehensweise (analog zur Arbeit Ruck, Korpsgeist, für die Beamtenschaft im deutschen Südwesten) erfordert. 28 So die deutsche Übersetzung von Cornwell, Pius XII., schon im Titel. 29 Vgl. das reißerische und methodisch unzureichende Buch von Goldhagen, Kirche; konstruktive Zusammenfassungen der Diskussion um Pius XII. mit unterschiedlichen Akzentuierungen bieten Brechenmacher, Pius XII. und Burkard, Pius XII. 30 Vgl. hierzu Frei, Norbert, Vergangenheitspolitik; speziell zur Katholizismusforschung Bendel, Schuld; Holzem, Erfahrungsstreit; Leugers, Forschen. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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hinter sich zu lassen. Standen in Deutschland seit den 1960er Jahren über Jahrzehnte hinweg die Fragestellungen zur politischen Geschichte der Kirchen in der Zeit des Nationalsozialismus und das damit verbundene Bemühen, die Verfolgung und die Widerstandstätigkeit der katholischen Kirche während der NS-Diktatur hervorzuheben im Vordergrund, lässt sich seit den 1990er Jahren neben anderen Tendenzen sowohl in der Kirchengeschichtsforschung als auch in der zeitgeschichtlichen Katholizismusforschung eine zunehmende Beschäftigung mit den sozial- und kulturgeschichtlichen Dimensionen der Religion beobachten.31 Diese kulturgeschichtliche Wende der Katholizismusforschung führte aber kaum zu einer Beschäftigung mit dem einfachen Klerus als vielmehr zu einer starken Fokussierung auf die Laien und damit verbunden auf den Begriff des katholischen Milieus.32 So konstatierte etwa Urs Altermatt, einer der Pioniere der Milieuforschung, mit Blick auf die Schweizer Katholiken des 19. und 20. Jahrhunderts, diese hätten sich angesichts der Säkularisierung, die sie als Bedrohung und Verlust erlebten, in eine »katholische Sondergesellschaft« zurückgezogen, um dort ihre Identität zu bewahren und sich von einer fremd gewordenen Umwelt abzugrenzen.33 Ähnliches wurde für andere Länder und Regionen beobachtet.34 Diese katholische Sondergesellschaft, gemeinhin auch als katholisches Milieu bezeichnet, war vor allem für die bikonfessionellen Staaten wie die Niederlande, die Schweiz oder Deutschland charakteristisch. In Deutschland vor allem, wenn man es entweder als Ganzes betrachtet oder im Hinblick auf seine bikonfessionellen Länder mit protestantischer Dominanz respektive protestantischen Eliten.35 In Bayern ist die grundsätzliche Ausgangssituation jedoch mit den Gebieten, in denen ein starkes Milieu existierte, kaum 31 Der Gang der Forschung zur Geschichte des deutschen Katholizismus in der ersten Hälfte des 20.  Jahrhunderts soll hier nicht nochmals nachgezeichnet werden. Zur Historiographie des Katholizismus in der Moderne und zur Sozialgeschichte der Religion vgl. Ziemann, Sozialgeschichte, bes. 9–30; von Hehl, Katholizismusforschung, 16–19; Hummel, Kirche und Katholiken, 63–79; speziell zum Seelsorgeklerus Gatz, Lebenskultur; über das Aufeinandertreffen von Kirchenund Kulturgeschichte neuerdings Ulrich, Kirchengeschichte. 32 Die Definition dieses von Mario Rainer Lepsius 1966 vorgeschlagenen Begriffs lautet: »Ein Milieu ist als eine sozial abgrenzbare Personengruppe Träger kollektiver Sinndeutung von Wirklichkeit, es prägt Verhaltensmuster aus, die sich an einem Werte- und Normenkomplex orientieren, hier als Milieustandard bezeichnet. Institutionen führen in den Milieustandard ein und stützen ihn« zit. nach Arbeitskreis für kirchliche Zeitgeschichte Münster (AKKZG), Katholiken, 606. Zum Milieubegriff und zur Milieudiskussion ist ausufernd Literatur erschienen, hier seien angeführt: Arbeitskreis für kirchliche Zeitgeschichte Münster (AKKZG), Katholiken; Derselbe, Konfession; Blaschke/Kuhlemann, Kaiserreich; Rauh-Kühne, Sozialmilieu; Kösters/ Liedhegener, Milieus; Damberg, Bildung und Auflösung; Loth, Milieus; Pohl, Sozialdemokraten [wichtig für München!]; Horstmann/Liedhegener, Konfession; Altermatt, Plädoyer; Tischner, Wege, 200 ff. 33 Vgl. Altermatt, Katholizismus, bes. 97–216; Zitat ebenda 18. 34 Etwa in den Forschungen Wilhelm Dambergs zum Bistum Münster, bei denen der Milieubegriff regelmäßig bereits im Titel erschien: Damberg, Moderne und Milieu; Derselbe, Bildung und Auflösung; Derselbe, Abschied vom Milieu? 35 Vgl. Altermatt, Katholizismus, 27. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

Historiographischer Überblick zur historischen Klerusforschung 21

zu vergleichen. Zumindest für die Erzdiözese München und Freising, die weite Teile des Regierungsbezirks Oberbayern umfasst, wird man konstatieren können: Ein katholisches Milieu, in Form einer abgrenzbaren katholischen Sondergesellschaft, war schlichtweg nicht vorhanden. Der Milieubegriff erscheint hier unpassend. Das Diözesangebiet war vor dem Zweiten Weltkrieg konfessionell weitgehend geschlossen. Im Jahr 1925 gehörten 89 Prozent der Bevölkerung in der Erzdiözese München und Freising der katholischen Kirche an.36 Hinzu kommt, dass sich dem Spezifikum der klerikalen Lebenswelt mittels des Milieubegriffs kaum näher treten lässt. Die eingangs charakterisierte klerikale Sonder- oder Teilgemeinschaft – Monika Nickel sprach in Bezug auf den Klerus von einer »traditionalistisch geprägten katholischen Subgesellschaft«37 – hob sich mit ihren eigenen Sozialisationsprozessen und normierten Lebensvollzügen wiederum so stark von den (katholischen) Laien ab, dass der Klerus auch dort nicht unter den Milieuprämissen bzw. als Teil des Milieus betrachtet werden kann, wo ein sogenanntes katholisches Milieu grundsätzlich vorhanden ist.38 36 Vgl. Seiler, Statistik, 287. In ganz Oberbayern gab es im Jahr 1939 immerhin noch 233 rein katholische Dörfer, vgl. hierzu Fellner, Bevölkerungsentwicklung, 433. Die Nichtkatholiken – vorwiegend Protestanten – lebten vor allem in der Großstadt München und in den früh entwickelten Tourismusregionen im Süden der Erzdiözese. 37 Nickel, Theologisch-praktische Monatsschrift, 208. 38 Anstatt nun aber wiederum von einem klerikalen Milieu (innerhalb des katholischen Milieus) zu sprechen, sollte man anstelle dessen eher den deutlicheren systemtheoretischen Begriff der Sonderoder Teilgemeinschaft verwenden. Auch ein zweites methodisches Konzept, nämlich jenes der politischen Religion, wie es in den vergangenen Jahren von Hans Maier und anderen (vgl. v. a. Maier/Schäfer, Religionen) verstärkt als ein »Schlüssel zum übergreifenden Gesamtverständnis des 20. Jahrhunderts als totalitärem Zeitalter« (so von Hehl, Katholizismusforschung, 22) propagiert worden ist, wird in dieser Arbeit nicht aufgegriffen, wenngleich es sich prima vista als Folie zur Erklärung der vielfältigen Phänomene weltanschaulicher Konkurrenz zwischen katholischem Klerus und nationalsozialistischer Weltanschauung zu eignen scheint. Was bereits Mircea Eliade bezüglich des Marxismus feststellte, nämlich dass dieser mit der Erlöserrolle, die er dem Proletariat im weltgeschichtlichen Prozess zuteilte, an die jüdisch-christliche eschatologische Hoffnung auf ein absolutes Ende der Geschichte anknüpfe (Eliade, Das Heilige, 178), trifft auch auf den Nationalsozialismus und dessen Endziel eines »tausendjährigen Reichs« germanischer Superiorität zu. Die großen weltanschaulichen Strömungen des 20. Jahrhunderts schöpften aus dem Fundus der religiösen Mystik des Abendlandes und treten bereits deshalb in Konkurrenz zu den etablierten Überlieferern dieser Traditionslinien, den christlichen Kirchen. Hieraus entsteht jedoch noch keine Religion in einem religionswissenschaftlichen Sinne. Der Begriff der politischen Religion ist semantisch viel zu unscharf, um sich für die Wissenschaft als brauchbar zu erweisen. Weder wird mit der bloßen Amalgamierung von parareligiösen Ritualen bei gleichzeitigem Fehlen eines außerweltlichen Transzendenzbezugs eine Religion an sich begründet, noch kann eine weltanschauliche Gruppierung, die kaum eine Generation umspannt, sinnvoll als Religion bezeichnet werden. Zudem suggeriert der Religionsbegriff eine Ausschließlichkeit der Hinwendung des Individuums, die bereits für die moderne Gesellschaft nicht mehr als zutreffend charakterisiert werden kann. Denn nur eine Minderheit derjenigen, die etwa der NSDAP beitraten, trat gleichzeitig aus den Kirchen aus; die Mehrheit jedoch verband beide weltanschaulichen Systeme, ohne für sie erkennbaren Widerspruch, in der eigenen © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Wurde die Betrachtung der Spezifika der klerikalen Teilgemeinschaft in den milieuspezifischen Ansätzen zumeist vernachlässigt, so gilt dies auch für die Mehrzahl der bislang erschienen monographischen Studien zur Geschichte der katholischen Kirche im Nationalsozialismus, bei denen dem Klerus vermehrt Beachtung geschenkt worden ist, wie etwa Thomas Fandels »Konfession und Nationalsozialismus« über evangelische und katholische Pfarrer in der Pfalz39, Tobias Haafs Würzburger Dissertation über die »volksverhetzenden Pfaffen«40 oder Thomas Breuers »Verordneter Wandel?« über das Erzbistum Bamberg.41 Diese beschränkten sich entsprechend ihrer leitenden Fragestellungen fast vollständig auf das politische Feld und ließen die Lebenswelt der Kleriker unberücksichtigt. Bisweilen entsteht der Eindruck, als sei Clio auf einem Auge blind und es erschiene inopportun, angesichts der Verbrechen der NS-Gewaltherrschaft und der teilweise massiven Konflikte der Nationalsozialisten mit den Kirchen auf Alltägliches wie die mentale Disposition und Prägung des Klerus und seine routinemäßigen Arbeits- und Lebensvollzüge zu blicken. Erstaunlicherweise führte auch die in den 1970er Jahren stark boomende Sozialgeschichtsschreibung nicht zu einer Erforschung der sozial-, mentalitäts- und kulturgeschichtlichen Aspekte der Lebenswelt katholischer Kleriker im 19. und 20. Jahrhundert.42 In den letzten Jahren hat sich vor allem die Kirchengeschichtsschreibung in einigen bemerkenswerten Einzeluntersuchungen mit diesen Fragen beschäftigt. Die derzeitige Forschungslage ist jedoch von großer Disparität gekennzeichnet, zumal die Qualität der vorgelegten Arbeiten stark schwankt. Erst in den 1980er und 1990er Jahren sind überhaupt erste Ansätze erkennbar, zunächst in Frankreich, wo Pierre Pierrard 1986 sein wegweisendes Werk »La vie quotidienne du prêtre français au XIXe siècle«43 über das von Deutschland freilich völlig verschiedene Alltagsleben des französischen Biographie. Säkulare Gläubigkeit ist zudem keineswegs nur ein Charakteristikum von »totalitären politischen Religionen« sondern ein Teil der conditio humana und kommt auch in nichttotalitären Gesellschaften vor, man denke etwa an diverse Nationalismen oder den Ökonomismus des späten 20. Jahrhunderts. Rituale, wie sie für den Nationalsozialismus, den italienischen Faschismus oder den Stalinismus typisch waren, finden sich überdies in vielen auch nichtpolitischen Bereichen der Gesellschaft. Allenfalls erschiene m. E. in diesem Zusammenhang die Rede von einer »weltlichen Ersatzbildung von Religion« angemessen; vgl. hierzu Haring, Verheißung. 39 Vgl. Fandel, Konfession. 40 Vgl. Haaf, Pfaffen. 41 Vgl. Breuer, Wandel. 42 Altermatt, Katholizismus, 36 ff. führte dies auf eine ökonomisch zentrierte Geschichtsperspektive der Historikergeneration im Gefolge der »68er-Kulturrevolution« zurück, die katholische Kultur nur als »Hinterwäldlertum« wahrgenommen habe und den Katholizismus lediglich als »Handlanger der liberalen Bourgeoisie« würdigte. Im Gegenzug hätten Berührungsängste den katholisch geprägten Historikern den Zugang zur Sozialgeschichte erschwert. »Zu lange und zu stark identifizierten sich diese Historiker mit ihrem Forschungsobjekt und glitten vielfach in konfessionelle Apologetik ab. […] Eine sozialwissenschaftlich orientierte Geschichtsschreibung galt als modernistisch, liberal oder links, zumal sich ihr die 68er-Generation in neomarxistischer Manier verschrieb.« (ebenda, 38 f.) 43 Vgl. Pierrard, vie quotidienne. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Klerus im 19. Jahrhundert veröffentlichte. 1992 erschien die Arbeit von MarianneFranziska Imhasly44 über den Klerus des Oberwallis um 1850, die zwar auf eine enge Region beschränkt bleibt, aber bezüglich der Alltagskultur Modellcharakter für den Alpenraum hat. Mit dem in der Klerusforschung bedeutsamen Sonderphänomen des abweichenden Verhaltens beschäftigt sich die 1994 publizierte Monographie von Irmtraud Götz von Olenhusen über die Freiburger Diözesankleriker im 19. Jahrhundert.45 Einen eminent wichtigen Beitrag zur Klerusforschung bietet der 1995 erschienene vierte Band des von Erwin Gatz herausgegeben Handbuchs zur Geschichte des kirchlichen Lebens, der sich dem Diözesanklerus widmet und erstmals umfassend auch das 20. Jahrhundert bis nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil mit einbezieht.46 Der plötzliche Tod dieses großen Gelehrten im Mai 2011 hat seinen bis zuletzt mit großer Energie betriebenen Forschungen leider ein jähes Ende gesetzt. Bis in das Jahr 1940 reicht die sich mit Herkunft und Ausbildung des Klerus im Bistum Münster beschäftigende Arbeit von Thomas Schulte-Umberg, die in der Summe aber zu sehr an den Normen orientiert ist und die reale Lebenswelt vernachlässigt.47 Einen methodisch anderen Zugriff verfolgte Monika Nickel in ihrer 2004 vorgelegten Habilitationsschrift mit der Auswertung der zwischen 1890 und 1920 erschienen Passauer Theologischpraktischen Monatsschrift, eines berufsständischen Organs von Klerikern für Kleriker. Diese von beachtlichem Fleiß zeugende Arbeit wurde bislang (wohl auch aufgrund des etwas ungünstigen Titels) zu wenig beachtet. Sie bietet eine Fülle an Material zum Selbstverständnis, zum Berufsalltag und zum Weltbild des bayerischen Klerus an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert in systematischer Form.48 Hingegen verstrickt sich Hartmut Rönz in seiner 2006 erschienenen, ungeheuer umfangreichen zweibändigen Geschichte des Trierer Diözesanklerus im 19. Jahrhundert in einer Fülle belangloser Details.49 Ein über den diözesangeschichtlichen Ansatz hinausgehendes und für die allgemeine Forschung verwertbares Ergebnis ist nicht erkennbar. Im Gegensatz dazu weiß Martina Rommel in ihrer 2007 vorgelegten Dissertation über Rekrutierung und Lebenswelt des Mainzer Diözesanklerus 1802–1914 auf breitester Quellenbasis ein dichtes und prägnantes Bild der Alltagskultur und des Wirkens des katholischen Weltklerus im 19. Jahrhundert zu zeichnen.50 In Bayern scheint Passau im Zusammenspiel der Forschungen Monika Nickels mit denen Herbert Wursters51 hinsichtlich der klerikalen Alltagskultur die bislang am besten erforschte Diözese zu sein. Alle diese Arbeiten haben jedoch ihren Schwerpunkt im 19. Jahrhundert und berühren das 20. Jahrhundert in mehr oder weniger 44 Vgl. Imhasley, Pfarrer. 45 Vgl. Götz von Olenhusen, Abweichendes Verhalten. 46 Vgl. Gatz, Diözesanklerus. 47 Vgl. Schulte-Umberg, Profession. 48 Vgl. Nickel, Theologisch-praktische Monatsschrift. 49 Vgl. Rönz, Trierer Diözesanklerus. 50 Vgl. Rommel, Diözese Mainz. 51 Vgl. Wurster, Passauer Diözesanklerus. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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großem Umfang nur am Rande. Hingegen legte der US-amerikanische Historiker und Ordensgeistliche Kevin Spicer mit seiner 2004 im Druck erschienen Dissertation über den Klerus der Diözese Berlin während des Dritten Reichs erstmals eine monographische Untersuchung speziell über den Klerus einer einzelnen Diözese während des Dritten Reichs vor.52 Auch diese sehr ausgewogene, in Deutschland aber so gut wie überhaupt nicht rezipierte Untersuchung widmet sich jedoch nicht in besonderem Maße der Natur des Priestertums und fokussiert stattdessen vorwiegend auf die politischen Verhältnisse. Für die Erzdiözese München und Freising gibt es eine Reihe von Vorarbeiten, welche die Annäherung an das Thema dieser Untersuchung erheblich erleichterten. Handbuchartigen Charakter hat das bereits 1984 erschienene zweibändige Sammelwerk des Kirchenhistorikers Georg Schwaiger53, das wichtige Aufsätze zu einzelnen Aspekten des religiösen Lebens, zentralen Personen und Einrichtungen und auch Erinnerungen von Zeitzeugen versammelt. Allerdings sind Rang und wissenschaftliche Qualität der Beiträge in dem 1600 Seiten umfassenden Opus sehr disparat; teilweise handelt es sich um subjektiv eingefärbte Memorialliteratur. Das Handbuch der Bayerischen Kirchengeschichte von Walter Brandmüller54 ist vor allem im Hinblick auf zusammenfassende Übersichten zum innerkirchlichen Leben im 20. Jahrhundert (Entwicklung der Theologie, Theologische Kontroversen, Religiöses Alltagsleben, Katholische Literatur, Volksfrömmigkeit) bedeutsam, während der Beitrag zum Gang der Kirchengeschichte unter dem Nationalsozialismus von Winfried Becker55 zu knapp und kursorisch ausfällt. Als Überblickswerk bleibt Heinz Hürtens Deutsche Katholiken56 unverzichtbar. Dies gilt letztlich auch für die methodisch veraltete und fast vollkommen auf die Tätigkeit der Bischöfe konzentrierte, aber alternativlose Diözesangeschichte von Georg Schwaiger für das 19. Jahrhundert57 und Hans-Jörg Nesners durchaus brauchbare Studie über das Erzbistum unter Erzbischof Franziskus von Bettinger (1909–1917)58 für das frühe 20. Jahrhundert. Für die nähere Untersuchung der diözesanen Eliten bietet Nesners Arbeit über das Metropolitankapitel59 eine hervorragende Grundlage. Eine aktuelle Forschungstendenzen auf52 Vgl. Spicer, Chosing und Spicer, Resisting, bei letzterem handelt es sich um die für den Druck nochmals erheblich überarbeitete Fassung der ursprünglichen Dissertation. 53 Vgl. Schwaiger, Erzbistum in der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft. 54 Vgl. Brandmüller, Handbuch. 55 Vgl. Becker, Freiheit. 56 Vgl. Hürten, Deutsche Katholiken. 57 Schwaiger, Erzbistum im 19. und 20. Jahrhundert. Entgegen dem Titel enthält das Werk für das 20. Jahrhundert kaum Substantielles, der Abschnitt von Georg Schwaiger über die nationalsozialistische Zeit entsprach zudem schon zum Zeitpunkt seiner Entstehung nicht dem Stand der Zeitgeschichtsforschung. Zur Kritik an Schwaigers Opus vgl. auch Kösters, Kirchengeschichte, 375 f.; zur grundsätzlichen Kritik an dieser Art der Historiographie vgl. Gatz, Diözesangeschichtsschreibung. 58 Vgl. Nesner, Bettinger. 59 Vgl. Nesner, Metropolitankapitel. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

Quellenlage25

greifende Diözesangeschichte des 20. Jahrhundert nach neueren wissenschaftlichen Standards60 bleibt für die Erzdiözese München und Freising bedauerlicherweise ein Desiderat. Eine wichtige Lücke für die Zeit des Erzbischofs Kardinal Michael von Faulhaber (1917–1952) schloss der im Jahr 2002 anlässlich der Jubiläumsausstellung zum 50. Todestag erschienene Katalog,61 der auf Basis der damals zur Verfügung stehenden Quellen62 erstmals in einem weiteren Kontext differenzierte wissenschaftliche Untersuchungen zu wesentlichen Fragen wie der Stellung Faulhabers im Wandel der politischen Verhältnisse, seiner Positionen gegenüber den gesellschaftlichen Kräften und Ereignissen oder der Strukturen der Leitungsebene innerhalb der Diözesanverwaltung bot. Auf die Stellung Faulhabers zu seinem Klerus wird hier jedoch kaum eingegangen.

3. Quellenlage Zu den verschiedenen Aspekten der Kultur- und Sozialgeschichte des Klerus existiert eine Fülle an gedruckten und ungedruckten Quellen. Die vorliegende Arbeit stützt sich überwiegend auf kirchliche Quellen, die zum Großteil im Archiv des Erzbistums München und Freising (AEM) und im Erzbischöflichen Archiv München (EAM) verwahrt sind.63 Auf die Einsichtnahme in Archive einzelner Pfarreien wurde verzichtet, da die historischen Bestände in den Pfarrarchiven der Erzdiözese zumeist ungeordnet und unerschlossen sind – was eine irgendwie geartete systematische Auswertung schon aus praktischen Gründen erheblich erschwert bzw. verunmöglicht64 – und zudem vielfach nur aus Sammlungen des aus der Zentrale (dem Ordinariat) versandten Materials bestehen. Zwar sind hier durchaus noch einzelne bemerkenswerte Quellenfunde denkbar, die für orts- und lokalgeschichtliche Studien von Interesse 60 Vgl. etwa die instruktive Untersuchung über das Bistum Münster: Damberg, Moderne und Milieu. 61 Vgl. Generaldirektion, Faulhaber. 62 Nicht berücksichtig werden konnten Faulhabers umfangreiche Autobiographie, deren Edition und Kommentierung durch Susanne Kornacker seit längerem vorbereitet wird, sowie seine für die Diözesangeschichte wohl höchst bedeutsamen Tagebücher, welche erst im Sommer 2010 in den Besitz des Münchener Diözesanarchivs gelangten, aber einer gesonderten Erschließung bedürfen, da sie fast ausschließlich in schwer lesbarer sogenannter Gabelsberger-Stenographie verfasst sind. Ihre Edition und Kommentierung im Rahmen eines DFG-Projektes ist geplant. 63 Beide Archive bilden eine räumliche, organisatorische und rechtliche Einheit, sind jedoch nach Auffassung ihres derzeitigen Leiters für sich eigenständig und haben unterschiedliche Aufgaben (vgl. hierzu Pfister, Kardinal-Faulhaber-Archiv, 52 f. In diesem Beitrag führt Pfister schließlich sogar noch die Begrifflichkeit eines »Kardinal-Faulhaber-Archivs« innerhalb des EAM ein!). Während das AEM die Überlieferung der gesamten Diözesanadministration, Klerikernachlässe, Sammlungen etc. aufnimmt, sind im EAM fast ausschließlich die (dienstlichen wie privaten) Nachlässe der Erzbischöfe seit Gründung des Erzbistums 1817 verwahrt. Da sich diese Münchener Besonderheit der Unterscheidung zwischen AEM und EAM in der jüngeren Forschungsliteratur niedergeschlagen hat, wird auch in dieser Arbeit daran festgehalten. 64 Vgl. hierzu auch Fellner, Kirche in Bayern, 34. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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sein mögen,65 für die hier bearbeiteten Fragestellungen ist jedoch kaum Relevantes zu erwarten. Im Folgenden soll nun ein kurzer Überblick über wichtige zentrale Quellenbestände für die gesamte Studie und speziellere Quellen zu ausgewählten Abschnitten gegeben werden. Kernbestand für die Geschichte der Erzdiözese München und Freising in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist der Nachlass von Kardinal Michael von Faulhaber, der die Diözese zwischen 1917 und 1952 leitete. Faulhabers Nachlass – im engeren Sinne handelt es sich nicht um einen Nachlass, sondern um die Bestände der von der Diözesanverwaltung getrennten Administration des Erzbischöflichen Stuhls – wurde in den letzten Jahren in hervorragender Weise geordnet und für die wissenschaftliche Benutzung erschlossen.66 Er bietet Material zu nahezu allen in dieser Arbeit behandelten Fragestellungen von der Ausbildung der Kleriker bis zum Abfall vom priesterlichen Dienst oder den Auseinandersetzungen mit dem NS-Regime. Einen weiteren wesentlichen Quellenbestand bilden die im Archiv des Erzbistums erhaltenen Priesterpersonalakten. Diese sind allerdings mit mehren methodischen Problemen verknüpft. Wie nahezu alle Quellenbestände der Provenienz Erzbischöfliches Ordinariat München ist auch diese Überlieferung durch den aus Bombentreffern resultierenden Brand des Ordinariatsgebäudes im ehemaligen Karmeliterkloster an der Pfandhausstraße (heute Pacellistraße) am 25. April 1944 stark beeinträchtigt.67 Durch diesen Brand wurde die Zentralregistratur des Ordinariats mit einem überwiegenden Teil der dort lagernden Sach- und Personalakten vernichtet. Ein Teil der Personalaktenbestände, nämlich vorwiegend jene der noch lebenden Kleriker, war jedoch – nachdem es bereits im Vormonat zu einem Bombentreffer gekommen war – vorsorglich ausgelagert worden und überstand so den Krieg. Insgesamt etwa die Hälfte der vor Beginn der Auslagerungsarbeiten noch in der Registratur befindlichen Personalakten wurde ein Raub der Flammen. Hierbei handelte es sich überwiegend um die Akten der zwischen etwa 1870 und 1944 verstorbenen Kleriker, die nahezu komplett vernichtet sind und wohl auch einige Akten noch lebender Kleriker.68 Ab 1945 wurden dann für die noch lebenden Kleriker, deren Personalakten vernichtet worden waren, wieder neue Akten angelegt. Diese enthalten jedoch dementsprechend kein Schriftgut aus der Zeit vor 1945. Insofern muss diese Studie mit einem Totalverlust bei den Personalakten aller zwischen 1870 und 1944 verstorbenen 65 Vgl. etwa die Ergebnisse des Verfassers (Forstner, Fürstenfeldbruck) bei der Durchsicht des Pfarrarchivs einer ländlichen Kleinstadt. 66 Editionen aus diesem Bestand: Volk, Akten Faulhabers, Bd. 1–2; Hürten, Akten Faulhabers, Bd. 3. 67 Nicht betroffen waren die gesonderten Registraturen der Erzbischöflichen Finanzkammer und des Erzbischöflichen Stuhls (heute: EAM, NL Faulhaber). Vgl. auch Forstner, Entstehung und Einordnung, 120 f. Eine Untersuchung zur Geschichte der erzbischöflichen Verwaltung und ihrer Registraturen von 1803/1821 bis 1945 von Archivoberrat Volker Laube ist angekündigt. Ich danke ihm für die freundliche Überlassung seines Manuskripts und wertvolle Hinweise. 68 Nicht betroffen sind die Personalakten der Mitglieder des Metropolitankapitels (AEM, Metropolitankapitel), die als Sonderbestand offenbar bereits damals separat verwahrt wurden. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

Quellenlage27

Priester zu Recht kommen. Zudem erscheint es dem Verfasser nach seiner Durchsicht der Personalaktenbestände sehr wahrscheinlich, dass ein Teil der Personalakten, möglicherweise aufgrund der Befürchtung, im Zuge einer Durchsuchung des Ordinariates und der damit verbundenen Beschlagnahme von Akten könnte belastendes Material gefunden werden, bereits in den 1930er Jahren einem Purifizierungsprozess unterworfen wurde.69 Wichtige Aktenstücke wurden zudem teilweise bei den Mitgliedern der Ordinariatsverwaltung, d. h. vor allem bei den einzelnen Domkapitularen, zuhause aufbewahrt.70 Da die Wohnungen der Domkapitulare in den so genannten Domherrenhäusern am Frauenplatz durch eine Sprengbombe bereits im März 1943 zerstört wurden, ging mutmaßlich bereits in diesem Zusammenhang wichtiges personenbezogenes Schriftgut verloren.71 Nicht zuletzt sei daran erinnert, dass auch kirchenrechtliche Bestimmungen existierten, welche die Vernichtung bestimmter Akten in Strafsachen gegen Kleriker nach dem Ablauf einer Frist vorsahen.72 Bei einem Teil der Kleriker sind biographische Angaben heute nur noch aus den Personalschematismen der Erzdiözese zu entnehmen, die in der chronologischen Übersicht der Säkularpriester auch die jeweiligen Einsatzorte der Kleriker auflisten.73 Dies betrifft vor allem jene Kleriker, die vor 1944 bereits verstorben waren. Inhaltliche Aussagen über das Wirken dieser Kleriker lassen sich aus diesem recht 69 Vermutlich begann man in München mit der systematischen Durchsicht der Akten auf belastendes Material im Sommer 1937 nach Berichten über eine Durchsuchungsaktion im Erzbischöflichen Generalvikariat Köln, vgl. AEM, Ordinariatssitzungsprotokoll vom 18. 06. 1937: »H. H. Generalvikar Buchwieser: Ankündigung eines gigantischen Kampfes. Ordinariat Köln: Prüfung des Aktenbestandes: 1.) Personalakten 2.) Geheimstücke 3.) Neujahrsberichte 4.) Schulakte. Kontrolle durch Prälat Neuhäusler und Prälat Hartig. Haussuchung in 4 Jesuitenniederlassungen.« 70 Vgl. hierzu etwa die Erinnerungen des damaligen Sekretärs des Generalvikars Friedrich Frei (Frei, Friedrich, Verfolgungen, 409 ff.), über die Praxis von Generalvikar Ferdinand Buchwieser, die Frei in einem Gespräch mit dem Verfasser im Mai 2003 präzisierte. Hierfür spricht zudem der Fund von Umschlägen mit Materialien zu Sittlichkeits- und Eigentumsdelikten von 11 Klerikern im Nachlass des Domkapitulars Josef Thalhamer. Dieser scheint die entsprechenden Schriftstücke im Rahmen seiner Tätigkeit im Generalvikariat aus dem ursprünglichen Kontext der Personalakten entnommen, separat verwahrt und nach 1945 vergessen zu haben, weshalb sie nach seinem Tod gemeinsam mit seinem äußerst umfangreichen Nachlass (s. u.) in das AEM gelangten. 71 Vgl. Forstner, Entstehung und Einordnung, 120. 72 Der CIC 1917 bestimmt in can. 379 § 1: »… sed singulis annis quamprimum comburantur documenta causarum criminalium in materia morum, quarum rei vita cesserint vel quae a decennio sententia condemnatoria absolutae sunt, retento faci brevi summario cum textu sententiae definitivae.« Die Auslegungskommission für den CIC verschärfte diese Bestimmung 1941 noch dahingehend, dass nach dem Tod eines Angeklagten auch die etwa noch zurückbehaltenen Tatbestandsangaben und das Endurteil zu vernichten sind; vgl. AAS 33, 1941, 378 ferner Eichmann/Mörsdorf, Kirchenrecht, Bd. 1, 398 f. Ob diese Bestimmungen in der Erzdiözese München und Freising strikt angewandt wurden, erscheint zweifelhaft. 73 Auch die Schematismusüberlieferung ist jedoch in gewisser Weise dadurch beeinträchtig, dass nach 1941 infolge kriegsbedingten Papiermangels kein regulärer Schematismus mehr gedruckt werden konnte. 1943 erschien als Beilage zum Amtsblatt lediglich eine Art Not-Schematismus (ohne Chronologie). Auch der erste Nachkriegsschematismus 1946 war kaum umfangreicher. Der erste reguläre Schematismus konnte erst wieder im Jahr 1950 erscheinen. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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dürftigen Material nicht machen. Diese Bestandslücke war der Hauptgrund dafür, dass in dieser Arbeit sowohl auf einen sozialquantitativen Ansatz wie auch auf einen intergenerationellen Ansatz im Sinne der Generationenforschung verzichtet wurde. Jedoch liegt die Zahl der erhaltenen Personalakten noch immer bei rund 2.000, so dass sich für eine kultur- und auch sozialgeschichtliche Gesamtbetrachtung ebenso beachtliches Material zusammentragen lies wie für Auswahlstichproben zur Ermittlung statistischer Grunddaten.74 Insgesamt wurden durch den Verfasser rund 800 Personalakten gesichtet, mithin etwa 40 Prozent des vorhandenen Bestandes. Nicht zuletzt muss in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen werden, dass in der Erzdiözese München und Freising auch nach 1945 Akten in erheblichem, aber nicht mehr ermittelbarem Umfang vernichtet und bereinigt wurden, vor allem dann, wenn sie Material enthielten, das auf den Klerus ein nachteiliges Bild zu werfen drohte. Belegt ist diese Praxis erst seit kurzem durch ein vom Generalvikar der Erzdiözese, Prälat Peter Beer, im April 2010 in Auftrag gegebenes Gutachten. Diesem Gutachten zufolge, das selbst auf einer systematischen Auswertung von 13.200 Einzelakten diverser Bestände durch eine Recherchekommission beruht, haben in der Diözesanverwaltung zwischen 1945 und 2009 nicht nur »Aktenvernichtungen in erheblichem Umfang stattgefunden«, überdies waren die überlieferten Aktenbestände »einem manipulativen Zugriff ausgeliefert« und weisen »teilweise offenkundige Lücken« auf. Anlass für diese Manipulationen nach 1945 war den Gutachtern zufolge ein »fehlinterpretierte[s] klerikale[s] Selbstverständnis, das einem brüderlichen Miteinander verpflichtet in einem im Ergebnis rücksichtslosen Schutz des eigenen Standes eine Rechtfertigung für nicht tolerable Vertuschung sucht.«75 Von diesen Manipulationen sind – vor allem mit den Personalakten – auch Aktenbestände betroffen, die für die vorliegende Arbeit grundlegend sind. Im Hinblick auf das abweichende Verhalten von Klerikern wurden ergänzend zur Überlieferung in den diözesanen Personalakten die Patientenakten im Zentralarchiv des Franziskuswerks Schönbrunn ausgewertet. Zu den so genannten braunen Priestern wurden in den Unterlagen des ehemaligen Berlin Document Center (BDC) im Bundesarchiv, vorwiegend in den Beständen Zentral- und Ortskartei sowie Parteikorrespondenz Informationen erhoben, die ebenfalls über das gerade in diesen Fällen oft sehr fragmentarische Bild aus den Personalakten hinaus Aufschluss geben. 74 Für die Beantwortung statistischer Fragen wurde sowohl auf eigene Auswahlstichproben als auch auf zeitgenössische Erhebungen (Seiler, Statistik; Schauer, Seelsorgsklerus; Moreau, Priesternachwuchs; Crottogini, Werden und Krise; EAM, NL Faulhaber 5771/1, Chronik des Erzbischöflichen Klerikalseminars Freising 1932–1945) zur sozialen und regionalen Herkunft des Klerus der Münchener wie auch anderer Diözesen zurückgegriffen. 75 Vgl. Kernaussagen des Gutachtens »Sexuelle und sonstige körperliche Übergriffe durch Priester, Diakone und sonstige pastorale Mitarbeiter im Verantwortungsbereich der Erzdiözese München und Freising in der Zeit von 1945 bis 2009 Bestandsaufnahme – Bewertung – Konsequenz« der Rechtsanwaltskanzlei Westpfahl – Spilker – Wastl vom 02. 12. 2010: http://www.erzbistummuenchen.de/media/media14418720.PDF (13. 06. 2012). © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

Quellenlage29

Die Namen der Geistlichen in der vorliegenden Arbeit wurden im Regelfall nicht anonymisiert. Anonymisierungen wurden nur dann vorgenommen, wenn der Tod der Genannten zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieser Arbeit (2013) weniger als 30 Jahre zurücklag. Konnte das Datum des Todes nicht ermittelt werden, wurde der Name anonymisiert. Diese Regel wurde jedoch bei ordentlich investierten Pfarrern und Universitätsprofessoren nicht angewandt, da es sich hierbei um die Inhaber öffentlicher Ämter und damit um Personen der Zeitgeschichte handelt. Gleiches gilt für die Namen der Geistlichen, die sich an dem im Vorfeld zu dieser Arbeit durchgeführten Interviewprojekt (zitiert als Priesterbefragung 2003) beteiligten, da hier keine Anonymisierungsauflagen gemacht wurden. Hingegen wurden die Namen aller unmittelbar an Sexualdelikten beteiligten Personen (Opfer und Täter) mit Blick auf den Persönlichkeitsschutz Nachgeborener anonymisiert. Gleiches gilt für die in dieser Arbeit behandelten psychisch kranken Geistlichen. Hingegen wurden die Namen der Priester, die sich für den Nationalsozialismus engagierten, grundsätzlich nicht anonymisiert, da hier kein schutzwürdiges Interesse erkennbar ist. Die biographischen Angaben zu nahezu allen in der Arbeit genannten Geistlichen sind jeweils in einer Anmerkung zusammengefasst. Diese Biogramme sind auch über das Personenregister erschlossen. Eine weitere wichtige Quelle für diese Untersuchung stellen die Protokolle der Ordinariatssitzung dar. Dieses zentrale Leitungsgremium wurde von Kardinal Faulhaber durch die Verschmelzung der älteren Gremien Allgemeiner Geistlicher Rat und Generalvikariat zwischen 1920 und 1929 neu geschaffen.76 In der Ordinariatssitzung war unter Leitung des Kardinals das Metropolitankapitel vertreten. Die Protokolle verzeichnen die hier verhandelten Themen in Stichpunkten und enthalten Informationen zu nahezu allen für die Diözesanverwaltung relevanten Themen. Diese Quellengattung leidet jedoch unter dem (Kriegs-)Verlust ergänzender Sachakten. Die Ausführlichkeit der Protokolle ist stark vom jeweiligen Protokollführer – jeweils der dienstjüngste Domkapitular – abhängig. Deshalb wechseln sich sehr detailreich überlieferte Jahre, in denen auch verschiedene Ansichten und mitunter sogar Konfliktlinien innerhalb des Kapitels deutlich werden, mit solchen ab, aus denen nur äußerst knappe und stichpunktartige Protokollnotizen vorliegen. Ergänzend zur Durchsicht der überlieferten Serie der Ordinariatssitzungsprotokolle wurde das Amtsblatt für das Erzbistum München und Freising als zentrale Quelle normativen Charakters durchgesehen. Als wenig ertragreich für die in dieser Arbeit aufgegriffenen Fragestellungen erwies sich hingegen die probeweise Durchsicht einiger Jahrgänge der Münchener Katholischen Kirchenzeitung.

76 AEM, Geistliche-Rats-Protokolle; Ordinariatssitzungsprotokolle. Vgl. zur Geschichte der Gremien Laube, Ordinariat, 39 f. Die Serie der Protokolle des Allgemeinen Geistlichen Rats endet 1908, die des Generalvikariats 1920. Mit dem Jahr 1929 beginnen die Protokolle der die beiden älteren Gremien vereinigenden Ordinariatssitzung. Diese Protokollserie ist jedoch nicht lückenlos. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

30Einleitung

Eine partielle Substitution der verlorengegangenen Ordinariatsüberlieferung stellt der Nachlass des Domkapitulars Josef Thalhamer dar.77 Spätestens seit seiner Ernennung zum Domvikar 1935 sammelte Thalhamer in mit Stichwörtern bezeichneten Mappen Materialien, die im weitesten Sinne mit seinen Verwaltungsaufgaben, aber auch mit seinen breit gefächerten persönlichen Interessensgebieten zu tun hatten. Die Gesamtzahl dieser unterschiedlich umfangreichen Mappen – einige enthalten nur ein Blatt, andere haben den Charakter umfangreicher Handakten – beträgt rund 7.000 Stück. Die mittels dreier Registraturkästen teilweise erschlossenen Mappen stellen eine unerschöpfliche Fundgrube zu verschiedensten Themengebieten78 dar. Sie enthalten vor allem Zeitungsausschnitte, Agenturmeldungen, (staatliche und oberhirtliche) Gesetze und Verordnungen, Amtsblätter und Verfügungen anderer Diözesen, Rundschreiben des Ordinariates und Schriftwechsel mit anderen Ordinariaten oder staatlichen Stellen (überwiegend in Abschriften), staatliche Verfügungen und Gerichtsurteile, Statistiken und Übersichten und anderes mehr, wie die bereits oben angesprochenen Materialien zu den Sittlichkeitsdelikten von elf Geistlichen. Gesonderte Archivüberlieferungen existieren für die Knabenseminare in Traunstein und Freising. Während das Traunsteiner Archiv nach der Wahl des ehemaligen Seminarzöglings Josef Ratzinger zum Papst und daran anschließenden Diskussionen über dessen Zeit in der Hitlerjugend vollständig erschlossen und verzeichnet wurde, ist der Bestand zum Freisinger Knabenseminar unerschlossen und für die Forschung unzugänglich.79 Der gewiss wertvolle Aktenbestand zum Freisinger Klerikalseminar ist archivisch ebenfalls nicht erschlossen und lagert in Kisten verpackt in einem Archivdepot in Freising. Er konnte für diese Arbeit jedoch in Teilen gesichtet werden. Hingegen wurden die Aktenbestände des Herzoglichen Georgianums im Zweiten Weltkrieg fast vollständig vernichtet, weshalb hier überwiegend auf einige Bestände aus dem Nachlass Kardinal Faulhabers, Erinnerungen und Literatur zurückgegriffen werden musste.80 Vorwiegend zu Fragen nach der priesterlichen Lebens- und Alltagskultur, aber auch im Hinblick auf das Selbstverständnis des Klerus wurden im Rahmen eines Oral 77 Zu dessen Biographie vgl. Kapitel 1.1.5 dieser Arbeit. Thalhamers Nachlass ist mit einem Umfang von ca. 175 Archivkartons der umfangreichste Einzelnachlass im AEM und für die Forschung bislang kaum erschlossen. 78 So finden sich etwa unter dem Buchstaben »G« so unterschiedliche Stichworte wie: Generalvikar, Georgianum, Gerechtigkeit, Germanen, Geschichtsunterricht, Geschiedene, Geschlechtskrank, Gestapo, Gesundheit u. a. m. 79 Auslösend hierfür war ein reißerischer Artikel in der britischen Boulevardzeitung »The Sun« vom 20. April 2005 mit dem Titel »From Hitler Youth to Papa Ratzi«, vgl. http://www.thesun.co.uk/sol/ homepage/news/article106201.ece. Archivrepertorium und Geschichte des Traunsteiner Seminars in Laube, Studienseminar St. Michael. Der Bestand zum Freisinger Knabenseminar befand sich zum Zeitpunkt der Erstellung dieser Arbeit eigenwilligerweise im Privatbesitz eines emeritierten Domkapitulars, gelangte nach dessen Tod aber in das AEM, wo er der Erschließung harrt. 80 Freundliche Auskunft des zuständigen Archivpflegers Dr. Claudius Stein (Universitätsarchiv München); vgl. auch Stein, Georgianum. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

Quellenlage31

History-Projektes durch den Verfasser bereits im Jahr 2003 insgesamt 20 katholische Weltgeistliche der Münchener Erzdiözese aus den Weihejahrgängen 1929 bis 1947 umfassend interviewt. Die zunächst auf Tonträgern festgehaltenen und später in Schriftform überführten Ergebnisse dieser Interviews haben sich – unter Berücksichtigung der mit der Gattung des Zeitzeugen-Interviews verknüpften methodischen Probleme81 – als ausgesprochen wertvoll erwiesen und ergaben Aufschlüsse vor allem zum Themenkomplex priesterliche Berufung sowie zum Alltag und den jeweiligen Verhältnissen in den Knabenseminaren, dem Klerikalseminar auf dem Freisinger Domberg und dem Herzoglichen Georgianum, aber auch zu den Geschehnissen beim Reichsarbeits- oder Militärdienst. Ergänzt werden die Interviews durch die Auswertung einer – wenn auch nicht besonders breiten – Reihe von Priesterautobiographien und vergleichbaren Schriften.82 Autobiographien und Interviews eignen sich neben der Gewinnung von Informationen zur alltagsgeschichtlichen Situation in besonderer Weise zur Analyse der Selbstinterpretation des Klerikerstandes und den mit verschiedenen Themen – etwa dem Berufungsdiskurs – verknüpften narrativen Strukturen. Besondere Quellenkritik ist naturgemäß geboten, zumal auch Geistlichen die Tendenz zur Selbststilisierung keineswegs fremd ist.83 Auch das Klerusblatt, das Standesorgan der diözesanen Priestervereinigungen Bayerns, wurde in diesem Zusammenhang durchgesehen, jedoch nicht systematisch ausgewertet – dies wäre ein eigener auf der Entwicklung eines Mediums basierender diskursanalytischer Ansatz. In kleinerem Umfang existieren ferner Berichtsquellen, die ebenfalls herangezogen wurden. Hier sind zunächst die Seelsorgeberichte84 zu nennen, jährlich zu verfassende Berichte einer jeden Seelsorgestelle über die quantitative und qualitative Entwicklung des kirchlichen Lebens vor Ort. Zu erfassen waren hierbei der religiössittliche Stand der Gemeinde, Schulverhältnisse, Stand der Kirchenmusik, bauliche Verhältnisse der Kultgebäude, das Kirchenvermögen sowie eine kirchliche Statistik, die Aufschluss gab über die Zahl der Kommunikanten und Beichtenden ferner Auszüge 81 Vgl. den Vorbericht mit ausführlicher Diskussion der methodischen Problematik Forstner/ Volpert, Priesterliches Leben sowie meine neuerlichen Überlegungen Forstner, oral history. Zur Einführung in die grundsätzliche Problematik ferner Niethammer, Lebenserfahrung und Atkinson/Delamont, Narrative methods. 82 Gatz, Lebenskultur, 180 f. hat zu dieser Quellengattung einige methodische und inhaltliche Überlegungen angestellt und versucht zu begründen, warum Priester eher selten dazu neigten, ihre eigene Lebensgeschichte aufzuschreiben. Herangezogen wurden im Kontext dieser Arbeit v. a. Bernhart, Kaplan; Ders., Erinnerungen 1881–1930; Forstner, Scheffczyk; Gatz, Erinnerungen rheinischer Seelsorger; Holzner, Gesetz; Huber, Erinnerungen; Kern, Tagebuch 1922–1942; Kronberger, Erinnerungen; Läpple, Sinfonie; Lintl, Flucht; Modlmayr, Hetzkaplan; Ratzinger, Leben; Rendl, Berufene; Urzinger, Kindheitserinnerungen sowie einige ungedruckte Quellen (etwa EAM, NL Faulhaber 9280, Autobiographie). 83 Dies gilt auch und in besonderem Maße für die Erinnerungen der Geistlichen an ihre Auseinandersetzungen mit dem Nationalsozialismus. Einen besonders markanten Fall retrospektiver Selbststilisierung zum Widerstandsheros – mit stellenweise unfreiwillig grotesken Zügen – stellt die Autobiographie des Ökonomiegeistlichen Leonhard Modlmayr, Hetzkaplan, dar. 84 AEM, Seelsorgeberichte. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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aus den Tauf-, Trauungs- und Sterbematrikeln, Auszüge aus Rechnungsbüchern und Aufstellungen über die Eheverhältnisse im Gemeindegebiet und allfällige Religionsübertritte.85 Die Seelsorgeberichte dürften die älteste Form regelmäßiger Berichterstattung durch Pfarreien sein, ihre Anfänge reichen in der Form einer Beschreibung des status animarum mindestens bis in das frühe 18. Jahrhundert zurück.86 Diese Berichte stellten für die Diözesanleitung einen »wesentlichen Behelf […] für die Beurteilung des kirchlichen Lebens der Diözese und eine Hauptunterlage […] für ihre hirtenamtlichen Maßnahmen«87 dar. Jedoch: So sehr die Berichte unmittelbar die diözesane Kirchenpolitik der Zeit beeinflussten, sowenig ist von ihnen erhalten. Infolge der oben bereits angeführten Kriegszerstörungen, insbesondere durch den Bombentreffer vom April 1944, wurden die bis dahin entstandenen Seelsorgeberichte im Wesentlichen vernichtet. Liegen die Berichte für die Nachkriegszeit bis Mitte der 1960er Jahre weitgehend geschlossen vor88, haben sich für den davor liegenden Zeitraum nur aus den Jahren 1939 bis 1944 einige einzelne Exemplare erhalten, die allenfalls schlaglichtartige Einsichten, aber keine systematische Untersuchung ermöglichen. Zentrale Quelle für den Abstand der Geistlichen zum Nationalsozialismus, ihrer Strategie der Selbstbehauptung und ihren Widerstand gegen das Regime sind die 1946 im Auftrag Kardinal Faulhabers an alle Priester im Erzbistum versandten Fragebögen zur nationalsozialistischen Verfolgung.89 Diese sollten Zweifeln an der Haltung des katholischen Klerus im Nationalsozialismus begegnen und wurden in der Absicht versandt den »ausnahmslosen Widerstand des Klerus gegen nationalsozialistische Weltanschauung und Kirchenpolitik ein für allemal klar herauszustellen«90. Für die vorliegende Arbeit wurden dabei die 1.112 erhaltenen Fragebögen der diözesanen Weltgeistlichen inhaltlich ausgewertet.91 Bezüglich der statistischen Auswertung wurde auf die Vorarbeiten von Friedrich Frei und der Forschergruppe um Ulrich von Hehl und Christoph Kösters zurückgegriffen.92 Auf die Konsultation der Unterlagen der Staatsanwaltschaften und Sondergerichte im Staatsarchiv München wurde verzichtet, da 85 Vgl. AEM, Repertorium der Seelsorgeberichte und Generalseelsorgeberichte 1940–1967, Vorbemerkung. Zum entsprechenden Schema vgl. auch Amtsblatt München 1932, 224 f. 86 Freundlicher Hinweis von Michael Volpert M.A., AEM. 87 Amtsblatt München 1910, 62. 88 Sie bilden eines der wesentlichen Fundamente der Arbeit Fellner, Kirche in Bayern. 89 AEM, Nationalsozialistische Verfolgung katholischer Geistlicher, Fragebogen A, (Diözesane Weltgeistliche A-Z, Mappen 1–22). 90 Vgl. Faulhaber an den bayerischen Episkopat vom 24. 04. 1946, in: Hürten, Akten Faulhabers, Bd. 3, 149–150, hier 149. 91 Eine weitere Fragebogenaktion aus dem Jahr 1980 (AEM, Nationalsozialistische Verfolgung katholischer Geistlicher, Fragebogen 1980), die aufgrund eines Beschlusses der Deutschen Bischofskonferenz durchgeführt wurde, ist demgegenüber wesentlich unergiebiger, auch aufgrund der Tatsache, dass ein Großteil der Betroffenen 35 Jahre nach Kriegsende bereits verstorben war oder aufgrund der großen Zeitspanne nur noch schlaglichtartige Erinnerungen an Einzelereignisse hatte, wie eine kursorische Durchsicht des Bestandes zeigte. 92 Frei, Friedrich, Verfolgungen; von Hehl/Kösters, Terror. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

Quellenlage33

die Frage nach dem formellen Ablauf der Verfahren gegen Geistliche keinen inhaltlichen Schwerpunkt dieser Arbeit bildete – hierzu existieren zudem bereits zahlreiche Veröffentlichungen.93 Kritische Distanz ist im Hinblick auf die Widerstandthematik bei den Quellensammlungen und Veröffentlichungen von Weihbischof Johann Baptist Neuhäusler geboten.94 Der Kirchenhistoriker Georg Denzler, selbst bisweilen der Polemik nicht abgeneigt, wertete die Werke Neuhäuslers zutreffend als »unkritische Apologie«.95 Bereits im März 1946 erschien Neuhäuslers zweibändige Quellensammlung Kreuz und Hakenkreuz. 1947 folgte das Werk Zeugen der Wahrheit. Kämpfer des Rechts gegen den Nationalsozialismus. Insofern die Berufung auf den politischen Widerstand gegen den Nationalsozialismus zu den Gründungsfundamenten der Bundesrepublik zählte, nahmen auch die Kirchen diese Tradition für Ihren Binnenraum in Anspruch.96 Kreuz und Hakenkreuz hatte vor allem eine wichtige Funktion bei der Transformation des Vorwurfs der deutschen Kollektivschuld in die These vom kollektiven Opfergang.97 Auch dem Vorwurf, die Bischöfe und Kleriker hätten zu wenig gegen das Hitlerregime unternommen, sollte mit der Publikation einer umfassenden Fülle von einschlägigem Material begegnet werden.98 Die Dokumentenauswahl ist jedoch selektiv und auf die beiden Perspektiven »Kirchenverfolgung« und »Kirchenkampf« beschränkt, teilweise 93 Etwa Hockerts, Sittlichkeitsprozesse; Volkmann, Rechtssprechung; Keil, Sondergericht; Blumberg-Ebel, Sondergerichtsbarkeit u. a. 94 Vgl. zu seiner Biographie Kapitel 1.1.5. 95 Denzler, Widerstand, 232. 96 Vgl. Frei, Norbert, Vergangenheitspolitik. Während in der gesamten Periode zwischen 1945 und 1960 das kirchliche Selbstbild von der widerständigen Kirche als moralischer Siegerin im Nachkriegsdeutschland in der Öffentlichkeit präsent und bestimmend blieb, in dem von den offiziellen Kirchenvertretern – oftmals nicht ohne den Gestus der Selbstgerechtigkeit – Leiden und Tod katholischer NS-Opfer herausgestellt wurden, trat kirchenintern bis Ende der vierziger Jahre vor allem von katholischer Seite selbst Kritik hervor (etwa Pribilla, Schweigen; Rahner, Sünder), dem Nationalsozialismus sei von kirchlich-katholischer Seite nicht entschieden genug entgegengetreten worden (vgl. hierzu auch Bücker, Schulddiskussion; Riechert, Umgang, 20–25). Diese Auffassung stellte sich in offensichtliche Opposition zu der kirchlichen Selbstdeutung, die im Nationalsozialismus von staatlicher Seite angeordnete Frontstellung gegen die katholische Kirche sei Beweis für deren widerständiges Handeln. Die Kirchen leisteten mit dieser Selbstinterpretation ihres Handelns im Dritten Reich nach 1945 einen entscheidenden Beitrag für die Herausbildung einer kollektiven, schuldentlastenden Opferidentität der Deutschen (vgl. hierzu Reichel, Vergangenheitsbewältigung, 66–72, bes. 70.), die das öffentliche Bewusstsein bis in die Zeit der Ausschwitz-Prozesse zu Beginn der 1960er Jahre prägte und bis Mitte der 1980er Jahre stark nachwirkte. 97 Vgl. besonders zur Zurückweisung der Kollektivschuld Neuhäusler, Kreuz, Bd. 1, 7 f. 98 Trotzig bemerkte Kardinal Faulhaber im Geleitwort mit Blick auf das Werk: »Also haben die Bischöfe, die Sendboten der christlichen Wahrheit und Wächter der sittlichen Ordnung, doch nicht immer geschwiegen, wenn sie reden mussten, und nicht geschlafen, wenn sie in das Wächterhorn stoßen mussten. Also können die Chronisten der Zeit, wenn es ihnen überhaupt um wahre Geschichtsschreibung zu tun ist, den Verdrehungen und Lügen der Parteipropaganda nach authentischen Quellen die Wahrheit entgegenstellen.«; Neuhäusler, Kreuz, Bd. 1, 4. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

wurden Passagen in wichtigen Dokumenten ohne Kennzeichnung ausgespart99, die Angaben zu den Originalquellen fehlen weitgehend.100 Gattungsmäßig sind diese Schriften paradoxerweise denen ähnlich, die während des Dritten Reiches ebenfalls auf kirchliche Initiative entstanden, um anhand der Betonung des hohen »Blutzolls« katholischer Kleriker im Ersten Weltkrieg den Machthabern die vaterländische Gesinnung des Klerus zu beweisen.101

 99 Etwa in den gemeinsamen Hirtenbriefen der deutschen Bischöfe vom 29. März und vom Juni 1933 (Neuhäusler, Kreuz, Bd. 2, 50 f. und 52–55; vgl. die entsprechenden historisch-kritischen Editionen in Stasiewski, Akten deutscher Bischöfe, Bd. 1, Nr. 14a und Nr. 45). Ob die Kürzungen kirchenpolitisch motiviert waren oder auf das fachmethodische Unvermögen des Nichthistorikers Neuhäusler zurückgingen, wie Walter Ziegler vermutete (Ziegler, Widerstandsforschung, 268 f.), lässt sich ohne Kenntnis des Nachlasses Neuhäuslers nicht eruieren. 100 In den 1960er Jahren veröffentlichte der inzwischen fast achtzigjährige Neuhäusler zwei weitere Werke mit geradezu alttestamentlich erscheinenden Titeln, um Opfergang und Widerstandstätigkeit des Klerus aus seiner Sicht zu beschreiben: Saat des Bösen. Kirchenkampf im Dritten Reich 1964 und Amboß und Hammer. Erlebnisse im Kirchenkampf des Dritten Reichs 1967. Während ersteres Werk auf etwa 170 Seiten noch einmal eher kursorisch von Neuhäusler kommentierte Ausschnitte aus Materialien zur Dokumentation des so genannten Kirchenkampfes präsentiert, ist Amboß und Hammer wohl sein bedeutendstes, weil persönlichstes Werk. Chronologisch strukturiert stellt es eine Art politische Autobiographie des von Faulhaber schon 1933 zum politischen Referenten im Münchner Domkapitel ernannten Klerikers für die gesamte NS-Zeit dar und ist als eine Art Memoirenwerk eines exzeptionellen Klerikers zumindest für die Erzdiözese München und Freising singulär. 101 Vgl. Börst, Theologen und Meier, Klerus im Felde. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

1.

Die kirchlichen Rahmenbedingungen 1918 bis 1945

1.1

Strukturelle Voraussetzungen im Erzbistum München und Freising

1.1.1 Das Bistum: Territorium und Verwaltungsgliederung Das Erzbistum München und Freising, hervorgegangenen aus dem mit der Säkularisation 1803 aufgehobenen Fürstbistum Freising, entstand in seiner modernen Form in der Folge der staatspolitischen Umwälzungen zu Beginn des 19. Jahrhunderts.1 Es umfasst die bayerischen Teile der ehemaligen Bistümer Freising und Chiemsee, das Territorium der ehemaligen Fürstpropstei Berchtesgaden und die durch die Säkularisation zu Bayern gekommenen Teile des Erzbistums Salzburg, den so genannten Rupertiwinkel. Die Grenzen des Erzbistums verlaufen im südlichen und südöstlichen Teil entlang der bayerischen Landesgrenze, die – mit Ausnahme der Zeit von 1938 bis 1945 – auch die Grenze des 1871 gegründeten Deutschen Reichs zu Österreich bildete. Die übrigen Bistumsgrenzen verlaufen innerbayrisch, wobei das Erzbistum, von einem kleinen niederbayerischen Anteil abgesehen, innerhalb des Regierungsbezirks Oberbayern liegt, der jedoch nach Osten und Norden weiter ausgreift. Die zu Oberbayern gehörenden Altlandkreise Aichach, Schrobenhausen, Ingolstadt, Pfaffenhofen, Landsberg, Weilheim und Teile Schongaus gehörten nicht zum Diözesangebiet.2 Das Erzbistum München und Freising ist von sechs anderen Bistümern umgeben. Auf österreichischem Territorium sind dies das Bistum Innsbruck im Süden, das Erzbistum Salzburg im Südosten und das Bistum Linz im Osten. Im Nordosten und Norden stößt die Bistumsgrenze zwischen Burghausen und Landshut an die bayerischen Bistümer Passau und Regensburg und im Westen an das Bistum

1 Vgl. Hausberger, Neuorganisation; Ammerich, Konkordat. Grundlage für die Wiedererrichtung war das Bayerische Konkordat von 1817 und die so genannte Zirkumskriptionsbulle Dei ac Domini nostri vom 01. 04. 1818 (vgl. Ammerich, Konkordat, I–VIII). Nach schweren Auseinandersetzungen zwischen Kirche und Staat um die rechtliche Stellung der katholischen Kirche im durch Minister Maximilian Graf von Montgelas neu formierten bayerischen Staat trat der erste Erzbischof Lothar Anselm Freiherr von Gebsattel (1821–1846) aber erst im Jahr 1821 die Regierung in seinem neuen Erzbistum an, nachdem König Max I. Joseph in der so genannten Tegernseer Erklärung zum Ausdruck gebracht hatte, dass der bayerische Staat das Konkordat als Staatsgesetz ansehen und vollziehen werde. Das Konkordat wurde als Anhang zur Verfassung veröffentlicht. 2 Wobei es zu vielfachen Grenzüberschneidungen kam, da politische und kirchliche Grenzen auch auf Gemeinde- und Landkreisebene nicht identisch verliefen. Durch die Gebietesreform 1972 veränderte sich der Zuschnitt Oberbayerns nicht unerheblich, während derjenige des Erzbistums seit der Bistumsgründung unverändert blieb. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Die kirchlichen Rahmenbedingungen 1918 bis 1945

Augsburg, wobei das westlich der Loisach gelegene Voralpenland mit den großen Seen (Starnberger See und Ammersee) bereits nicht mehr zum Bistumsgebiet gehört.3 Mit Ausnahme Münchens4 war die Diözese in der Fläche weitgehend von Dörfern, Märkten, Weilern und Einzelgehöften geprägt. Die wenigen Städte hatten, von der Landeshauptstadt abgesehen, nur regionale Bedeutung. Die land- und forstwirtschaftliche Nutzung bildete bis weit in das 20. Jahrhundert hinein den zentralen Erwerbszweig der Bevölkerung in den ländlichen Regionen. Hinzu kam jedoch bereits seit dem Ende des 19. Jahrhunderts in verstärktem Maße der Tourismus. Als wichtigste Siedlungszentren mit mehr als 6000 Einwohnern sind für die Zeit zwischen den Weltkriegen die Klein- und Mittelstädte Rosenheim, Freising, Garmisch-Partenkirchen, Traunstein, Dachau, Bad Reichenhall, Bad Tölz, Landshut und Mühldorf zu nennen.5 Als Sitz der Landes- und Bezirksregierung, Verwaltungszentrum, Universitäts- und Hochschulstadt, Kulturmetropole und Sitz zahlreicher großer Gewerbebetriebe übte die im Zentrum des Diözesangebiets gelegene Landeshauptstadt München eine starke Anziehungskraft aus, die sich in starkem Bevölkerungswachstum niederschlug. Mit München als »Hauptstadt der Bewegung«, dem Konzentrationslager Dachau und der Residenz Hitlers auf dem Obersalzberg lagen drei Brennpunkte nationalsozialistischer Politik im Gebiet des Erzbistums. Als Metropolitansitz sind dem Erzbistum München und Freising die Bistümer Augsburg, Regensburg und Passau als Suffraganbistümer zugeordnet, was jedoch aufgrund nur geringer Rechte des Metropoliten gegenüber seinen Suffraganen kaum praktische Relevanz hat. Innerkirchliche Bedeutung kam dem Münchner Erzbischofsstuhl dadurch zu, dass sein Inhaber qua Amt der Freisinger Bischofskonferenz vorstand, die neben der Fuldaer Bischofskonferenz das zweite regelmäßige Koordinationsund Beratungsgremium deutscher Bischöfe bildete und jährlich in Eichstätt oder auf dem Freisinger Domberg tagte.6 Seit 1933 nahmen die Bischöfe der Freisinger Konferenz an den Beratungen der Fuldaer Konferenz teil, ohne jedoch ihre Provinzkonferenz aufzugeben. Diese erfüllte, etwa bezüglich der Koordination des Verhaltens gegenüber den Nationalsozialisten, weiterhin wichtige Aufgaben. Innerhalb der Konferenz kam dem Münchner Erzbischof sowohl aufgrund seines Amtes, als auch aufgrund seiner unbestrittenen persönlichen Autorität eine klare Führungsrolle zu.

3 Vgl. Gatz, München und Freising, 476. 4 Zum Zeitpunkt der Volkszählung 1933 zählte München ca. 735.000 Einwohner, davon 596.000 (81 %) katholischer Konfession, vgl. Münchener Jahrbuch [1936], 80 u. 415. 5 Jeweils nach den Daten der Volkszählung vom 16. Juni 1933, vgl. Münchener Jahrbuch [1936], 80. 6 Als dauerhafte Einrichtung etablierte sich die Freisinger Bischofskonferenz in den 1860er Jahren. Seit 1908 treffen sich die Bischöfe mindestens jährlich. In der Freisinger Bischofskonferenz sind die Bischöfe der zu Bayern (einschließlich der Pfalz) gehörigen (Erz-)diözesen vertreten: Die Erzdiözese München und Freising mit den Suffraganbistümern Augsburg, Passau und Regensburg und die Erzdiözese Bamberg mit den Suffraganbistümern Eichstätt, Speyer und Würzburg, vgl. Pfister, Bayerische Bischofskonferenz. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Karte: Das Territorium des Erzbistums München und Freising. Der Gebietsstand des Erzbistums ist seit Errichtung zu Beginn des 19. Jahrhunderts bis heute im Wesentlichen unverändert. Der Zuschnitt des hier mit dem Stand von 1939 grau hinterlegten Regierungsbezirks Oberbayern erfuhr vor allem im Zuge der Gebietsreform 1972 weitreichende Veränderungen. Kartenentwurf und Erstellung: Michael Volpert, Archiv des Erzbistums München und Freising.

Die regionale Verwaltungsgliederung der Erzdiözese München und Freising war historisch gewachsen und wurde mehrmals an die Entwicklung der staatlichen Verwaltung und an die wachsende Bevölkerungszahl im Diözesangebiet insbesondere im Großraum München angepasst.7 Im letzten Friedensjahr 1939 war das Diözesan7

Obwohl kirchliche und staatliche Verwaltungsgliederung keineswegs auch nur annähernd identisch waren, wurden etwa im Zuge der umfänglichen Eingemeindungen nach München Ende der 1930er Jahre (u. a. Eingemeindung der bisher selbständigen Stadt Pasing nach München 1938) im Jahr 1939 auch die Münchener Stadtdekanate neu geordnet: das Dekanat Pasing und das Dekanat München-West wurden aufgehoben und die neu zugeschnittenen Dekanate München Südwest und München-Nordwest gebildet, vgl. Schematismus 1938 und Schematismus 1939. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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gebiet in 46 Dekanate eingeteilt. Acht hiervon fielen auf das Stadtgebiet von München, 38 auf das übrige Diözesangebiet.8 Im selben Jahr zählte die Erzdiözese 472 Pfarreien und 37 Pfarrkuratien9, hiervon lagen 51 Pfarreien und 15 Pfarrkuratien innerhalb des Stadtgebietes Münchens.10 Die Dekanate waren bezüglich der Zahl der zugehörigen Katholiken sehr unausgewogen. Während das am nordwestlichen Rand der Diözese gelegene Dekanat Egenhofen lediglich 6.892 Katholiken zählte, gehörten zum Stadtdekanat München-Nordwest mehr als zwanzigmal so viele, nämlich 141.377 Katholiken.11 Damit umfasste letzteres Dekanat annähernd exakt ein Zehntel der Gesamtkatholikenzahl des Erzbistums. Auch in den einzelnen Pfarreien eines Dekanats war die Zahl der Gläubigen sehr unterschiedlich verteilt. Mit einer Gesamtfläche von 11.998 km² und einer Anzahl von 1,47 Mio. Katholiken (1940) gehörte das Erzbistum München und Freising zu den bedeutenderen Bistümern des Deutschen Reichs.12 Die kirchliche Entwicklung kann grundsätzlich als vital bezeichnet werden, unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg lag die Zahl der Katholiken noch bei 1,14 Millionen.13 Innerhalb zweier Jahrzehnte war – ungeachtet der Kirchenaustrittspropaganda der Nationalsozialisten14 – bedingt durch das Wachstum der Bevölkerung mithin ein Zuwachs um rund ein Fünftel (270.000 Katholiken) zu verzeichnen. Dies spiegelte sich auch im Kirchenbau und in der organisatorischen Entwicklung wieder. Zwischen 1920 und 1930 wurden in der Erzdiözese 84 neue Kirchen und Kapellen geweiht, allein in München wurden 17 Pfarreien neu errichtet, vor allem durch die Zerlegung der übergroßen alten Stadtpfarreien.15 Auch im darauf folgenden Jahrzehnt setzte sich dieses Wachstum fort, wenngleich etwas schwächer: Zwar wurden   8 Vgl. Schematismus 1939, 337.   9 Pfarrkuratien sind selbständige Seelsorgesprengel, die in der Regel mit den Rechten einer Pfarrei ausgestattet sind, jedoch formalrechtlich – vor allem aufgrund fehlender finanzieller Mittel – nicht den Status einer Pfarrei haben, vgl. Krieg, Pfarrvikar. 10 Vgl. Schematismus 1939, 395 f. 11 Vgl. Schematismus 1939, 61 und 337. 12 Die 24 deutschen Diözesen wichen bezüglich Größe, Katholikenzahl und kirchenpolitischer Bedeutung stark voneinander ab. Katholikenreichstes Bistum war das Erzbistum Köln mit 2,47 Mio., München lag nach Köln, Breslau (2,32 Mio.), Münster (1,82 Mio.), Paderborn (1,72 Mio.), Trier (1,54 Mio) und Freiburg (1,53 Mio.) an siebter Stelle, jedoch war es von den größeren Bistümern dasjenige, mit dem höchsten Katholikenanteil an der Gesamtbevölkerung des Bistumsgebiets (87,6 %, dagegen Köln nur 57,6 %, Breslau nur 39,5 %). Alle Zahlen für das Jahr 1940, siehe Kirchliches Handbuch 1962, 512 (Tabelle 3). 13 Vgl. Kirchliches Handbuch VIII, 1918/19, 458. 14 Diese konnte innerhalb des Erzbistums keine wirklich durchschlagenden und nachhaltigen Erfolge erzielen. Während die Austritte im Erzbistum München und Freising in den 1920er Jahren im Mittel bei etwa 2.000 austretenden Katholiken pro Jahr lagen (1927: 1.697 Austritte; 1931: 2.506 Austritte), dann 1932 auf 3.307 Austritte anstiegen, sanken sie nach der Machtergreifung zunächst sogar ab (1933: 1.537; 1934: 1.173 Austritte), nahmen 1937 – im Jahr der Sittlichkeitsprozesse – sprunghaft auf 6.411 Austritte zu, um danach zunächst wieder leicht und nach Kriegsausbruch stärker abzuschwellen (1941: 1.409 Austritte); vgl. Seiler, Statistik, 289 f. Somit kehrten pro Jahr im Schnitt deutlich weniger als zwei Promille der Katholiken ihrer Kirche den Rücken. 15 Vgl. Bericht Diözesansynode 1930, 4. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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nun nur noch sieben Pfarreien neu gebildet, doch zugleich wurden 41 Pfarrkuratien und drei Exposituren neu errichtet.16 Dieser Anstieg der absoluten Katholikenzahlen sagt jedoch nichts über die religiöse Praxis der katholischen Bevölkerung aus, welche im Folgenden näher betrachtet werden soll.

1.1.2 Katholische Laien: Cluster statt Milieu Betrachtet man die Orthopraxie der Katholiken in der Erzdiözese München und Freising, so fällt auf, dass diese unterdurchschnittlich ausgeprägt war: Im Erzbistum besuchten 1935 45,8 Prozent der katholischen Gläubigen die Sonntagsmesse.17 Dieser Wert lag deutlich unter denen anderer deutscher Diözesen, die meistenteils über 50 Prozent, zum Teil, wie in Würzburg, Paderborn oder Fulda, sogar deutlich über 60 Prozent Kirchenbesucher zählten.18 Bis 1939 sank die Zahl der Kirchenbesucher in der Erzdiözese auf 39,4 Prozent, um in den Folgejahren noch weiter abzusinken. 1942 besuchten nur noch 34,4 Prozent der Katholiken im Erzbistum München und Freising regelmäßig die Hl. Messe.19 Noch deutlicher werden die Verhältnisse bei einem Blick auf die Erfüllung der Osterpflicht.20 Im Jahr 1935 erfüllten im Erzbistum München und Freising nur 58,61 Prozent aller Katholiken ihre Osterpflicht, hingegen lag der Durchschnitt im Deutschen Reich bei 62,53 Prozent.21 Vergleicht man die Zahlen auf Ebene der Länder, lag Bayern mit 68,58 Prozent der ihre Osterpflicht erfüllenden Katholiken jedoch gemeinsam mit dem kleinen Oldenburg reichsweit an der Spitze.22 Diese Diskrepanz wird erklärbar, wenn man die übrigen bayerischen Diözesen für sich betrachtet: In Eichstätt, Würzburg, Passau und Regensburg erfüllten jeweils mehr als 70 Prozent der Gläubigen ihre Osterpflicht, München bildete nach Speyer und Bamberg das Schlusslicht.23 Die Katholiken in der Erzdiözese München und Freising nahmen es mit der Erfüllung der religiösen Pflichten im Vergleich zu 16 Vgl. Eröffnungsansprache Faulhabers zu Diözesansynode 1940, in: Bericht Diözesan-Synode 1940, 9. 17 Vgl. Kirchliches Handbuch XXI, 1939, 286, Tabelle VI: Osterkommunion und Kirchenbesucher in den deutschen Diözesen in den Jahren 1934, 1935 und 1936. 18 Vgl. ebenda sowie Seiler, Statistik, 299: In Passau besuchten 1935 63,2 Prozent der Katholiken die Sonntagsmesse, in Regensburg sogar 69,4 Prozent. 19 Letztere Zahlen nach Seiler, Statistik, 299 f. In den Kriegsjahren wurden die Wehrmachtsangehörigen statistisch nicht mit erfasst. 20 Jeder Katholik war ab dem Erstkommunionalter von etwa sieben Jahren mindestens einmal im Jahr zur österlichen Zeit zwischen Palmsonntag und Weißen Sonntag zum Empfang der Kommunion verpflichtet. Dies wurde als Osterpflicht bezeichnet, vgl. Eichmann/Mörsdorf, Kirchenrecht, Bd. 1, 65. 21 Vgl. Kirchliches Handbuch XXI, 1939, 286, Tabelle VI: Osterkommunion und Kirchenbesucher in den deutschen Diözesen in den Jahren 1934, 1935 und 1936. 22 Ebenda. 23 Im Einzelnen ergeben sich nach dem Kirchlichen Handbuch XXI, 1939, 286 folgende Zahlen für die übrigen bayerischen Diözesen: Regensburg 76,25 %, Passau 73,93 %, Eichstätt 72,87 %, Würzburg, 71,62 %, Augsburg 69,76 %, Speyer 59,24 %, Bamberg 59,06 %. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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anderen Gebieten des Deutschen Reichs und insbesondere auch im Verhältnis zu den anderen bayerischen Diözesen also nicht so genau. Wie noch zu zeigen sein wird, dürfte dies wesentlich auf das spezifische Umfeld der Großstadt München, das »Münchener katholische Eigensein«24, zurückzuführen sein.25 Ein ähnliches Bild ergibt sich, betrachtet man die Wahlergebnisse katholischer Parteien, also des Zentrums und der Bayerischen Volkspartei. Generell kann hierbei festgestellt werden, dass die Unterstützung für den politischen Katholizismus in Oberbayern schwächer ausgeprägt war, als in jedem anderen katholischen Gebiet des deutschen Reichs.26 Bei den Reichstagswahlen 1898 erreicht das Zentrum hier lediglich 45,3 Prozent der Stimmen von katholischen Wählern und damit reichsweit die niedrigste Stimmenanzahl unter Katholiken.27 Im Stadtgebiet von München fielen die Zahlen teilweise noch drastischer aus: In einer Stadt, deren Bevölkerung zu 85 Prozent katholisch war, erreichte die Zentrumspartei bei den Reichstagswahlen 1912 lediglich 15,9 Prozent der Wählerstimmen.28 Auch während der Weimarer Republik kam es hier zu keiner substantiellen Trendwende, bei den Landtagswahlen 1924 erzielte die BVP in München 21,9 Prozent der Wählerstimmen, mithin wählten drei von vier Katholiken nicht die katholische Partei.29 Grundsätzlich wählten die bayerischen Katholiken in ihrer Gesamtheit zumindest Mitte der 1920er Jahre noch überraschend linkslastig: 70 Prozent der katholischen Stimmen, die nicht auf das Zentrum oder die BVP entfielen, entfielen auf die Linksparteien, d. h. vor allem auf die Sozialdemokratie, den Bauernbund und die 24 So der Journalist Philipp Funk 1922 im Hochland; zit. nach Hastings, Roots, 17. 25 Bereits Seiler, Statistik, 300 vermerkte zur Entwicklung der Kirchenbesuchszahlen im Erzbistum München und Freising, die sich nach 1945 auf kontinuierlich weit unter dem Durchschnitt der übrigen deutschen Diözesen liegendem Niveau fortsetzte: »Das Erzbistum München und Freising nahm somit eine Entwicklung voraus, die sehr bald auch andere Regionen erfassen sollte.« Wilhelm Damberg beobachtete im internationalen Vergleich, dass sich die Katholiken in Ländern mit einer mehrheitlich katholischen Bevölkerung nur begrenzt im Sinne des Ultramontanismus mobilisieren ließen und die religiöse Praxis der Bevölkerung, also etwa Messbesuch und Beichte, in diesen Ländern, z. B. in Frankreich, Spanien und Portugal, in ganz erheblichem Umfang vernachlässigt wurde. Hingegen vermochten die Katholiken von ihrer Kirche laut diesem Erklärungsmodell vor allem dort mobilisiert zu werden, wo sie eine Minderheit bildeten und sich angesichts einer ihnen potentiell distanziert gegenüberstehenden Umwelt zum katholischen Milieu verdichteten (vgl. Damberg, Entwicklungslinien, 170 ff.) Trotz der grundsätzlichen Plausibilität dieses Erklärungsmodells – vor allem aufgrund des in München und Freising ebenfalls fehlenden Milieus – bietet es sich hier nicht an, da sich vergleichbare Entwicklungen dann auch in den Nachbardiözesen abzeichnen hätten müssen. 26 Vgl. Hastings, Early Nazi Movement, 389. 27 Zahlen nach Schauff, Katholiken und Zentrumspartei, 85. 28 Vgl. Hastings, Early Nazi Movement, 391. 29 Vgl. Tränhardt, Wahlen, 173. Wie aus dem aufschlussreichen Kartenmaterial in Hürten, Deutsche Katholiken (hintere Umschlagklappe) ersichtlich, wählte das katholische Oberbayern mit Ausnahme der nordöstlichen ländlichen Gebiete auch bei der entscheidenden Reichstagswahl am 05. 03. 1933 nicht mehrheitlich katholisch, sondern mehrheitlich nationalsozialistisch. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Kommunisten.30 Dies betraf jedoch keineswegs nur die der Kirche Ferne stehenden Katholiken. Bereits Johannes Schauff bemerkte 1928 in seiner Studie zum Wahlverhalten der deutschen Katholiken: Bayern ist also nicht nur das Land der Gebiete mir vorwiegend katholischer Bevölkerung, in dem die größte Anzahl der Katholiken nicht Zentrum, bzw. Bayerische Volkspartei, wählt, wie wir früher errechnet haben, sondern auch das Gebiet in ganz Deutschland, in dem die meisten bekenntnistreuen Katholiken den beiden ›katholischen Parteien‹ nicht ihre Stimme geben. Selbst die bekenntnistreuen Katholiken der Diaspora geben dem Zentrum in höherem Maße ihre Stimmen als die bekenntnistreuen bayerischen Katholiken.31

Die komplexe Situation der oberbayerischen Katholiken lässt sich mit dem in der Forschung viel benutzten Begriff des katholischen Milieus nur unzureichend beschreiben. Im Jahr 1925 gehörten 89 Prozent der Bevölkerung in der Erzdiözese München und Freising der katholischen Kirche an.32 Damit war bereits die wesentliche Voraussetzung für die Konstituierung eines Milieus, nämlich die Existenz einer von der übrigen Gesellschaft »sozial abgrenzbare[n] Personengruppe« respektive einer Subgesellschaft nicht gegeben.33 Auch sonstige für ein Milieu typische Strukturen, etwa ein katholisches Vereins- und Verbandswesen, waren in der Erzdiözese, vergleicht man diese mit dem Münsterland oder dem rheinisch-westfälischen Industrierevier, schwach ausgeprägt.34 Der Katholizismus war – zumindest in quantitativer Hinsicht – in der Bevölkerung absolut dominierend. Jedoch war die gesellschaftliche Prägungskraft, die angesichts dieser Dominanzstellung zu erwarten gewesen wäre, durch mehrere Faktoren limitiert. Betrachtet man die gesellschaftspolitische Situation in der Erzdiözese München und Freising, so lässt sich ein gewisser Gegensatz konstatieren zwischen dem städtischen Umfeld Münchens und dem ländlichen Raum Oberbayerns. Die Landbevölkerung war überwiegend stark traditionalistisch orientiert, ihre religiöse Praxis nährte sich zumeist noch aus den nur langsam versickernden Quellen spätbarocker Frömmigkeitskultur. Das Leben war an den Rhythmen von Werk- und Festtag orientiert, das kirchliche Sinnstiftungsangebot war in den Jahreslauf eingebettet und ordnete diesen symbolisch. Gerade auf dem Land erschien die religiöse Praxis noch derart weitgehend geschlossen, dass die Abweichung einzelner in den Seelsorgeberichten festgehalten

30 Vgl. Schauff, Katholiken und Zentrumspartei, 115 und die Tabelle auf 183. 31 Schauff, Katholiken und Zentrumspartei, 141. 32 Vgl. Seiler, Statistik, 287. 33 Vgl. die Definition von Lepsius, zit. nach Arbeitskreis für kirchliche Zeitgeschichte Münster (AKKZG), Katholiken, 606; zum Konzept der Subgesellschaft vgl. Altermatt, Katholizismus, 104 f. 34 Vgl. hierzu Ziemann, Katholizismus, 408. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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wurde.35 Doch auch dort wird man die religiöse Situation in gewisser Weise bereits als disparat bezeichnen dürfen, insofern zumindest Teile der Landbevölkerung, verstärkt durch die Effekte gesellschaftlicher Mobilisierung als Folge der Industrialisierung und des Eisenbahnbaus, seit dem späten 19. Jahrhundert in den Sog des städtischen Umfelds und damit der modernen Welt geraten waren.36 In der Landeshauptstadt München kam es durch Migrationsbewegungen früh zu sukzessiven Überlagerungen und Vermengungen der gesellschaftlichen Gruppierungen und Milieus, worauf Karl Heinrich Pohl in einer Studie zu Katholizismus und Sozialdemokratie exemplarisch hinwies: Die Residenzstadt München war um die Jahrhundertwende eine explosionsartig angewachsene Großstadt und stellte einen Magneten für Zigtausende von katholischen Bauernsöhnen und Kleinhandwerkern aus Oberbayern dar, die im Wesentlichen durch eine ›altbayerische Mentalität‹ geprägt wurden. […] Fest steht, dass sich bei den Zuwanderern, die in der Großstadt ›dem Griff‹ der Kirche stärker als auf dem Lande entzogen waren, das Verhältnis zur Konfession lockerte. Die Integrationskraft der Kirche verlor an Bedeutung, ihre Stellung wurde allmählich ausgehöhlt.37

Hinzu kam, dass die Neuorientierung der Sozialdemokratischen Partei Bayerns in den 1890er Jahren eine Abkehr von der rein marxistischen Ideologie mit sich brachte. Die Sozialdemokraten entwickelten sich zur Vorstufe einer modernen Volkspartei und waren plötzlich auch für Katholiken wählbar.38 Insgesamt zeichnete sich die katholische Majoritätsgesellschaft Münchens also nicht durch Exklusivität und Abgeschlossenheit, sondern durch ihre Inklusivität und Integrationskraft aus.39 Die einem Lebensraum 35 Vgl. etwa AEM, Seelsorgeberichte, Dekanat Dorfen, Seelsorgebericht der Pfarrei Maria Dorfen 1942: »Ein junger Lehrer verweigerte den Empfang der Sterbesakramente und wurde zur Verbrennung nach München überführt.«; Dekanat Baumburg, Seelsorgebericht der Expositur Feldkirchen bei Trostberg für das Jahr 1943: »Ein Arbeiter hat vor kurzem eine Zivilehe eingegangen [sic!], der wegen bestehenden Ehebandes die kirchliche Trauung nicht folgen kann. Ein ehemaliger Theologe gibt großes Ärgernis durch ein Verhältnis mit der Wirtstochter.« 36 Dies wurde bereits zeitgenössisch durchaus wahrgenommen. So ist etwa in einem Beitrag über die Landjugend im Klerusblatt 1923 zu lesen: »Die Jugend bleibt für die nächste Zukunft unsere größte Sorge. Allerdings denkt man dabei fast ausschließlich an die Stadtjugend, und sie ist auch durch ihre Umgebung mehr gefährdet als die Jugend auf dem Lande. Indes ist nicht zu verkennen, dass die Verführung auf dem Lande Formen angenommen hat, die den Gefahren der Großstadt kaum nachstehen.« Vgl. Die Jugend auf dem Lande, Klerusblatt 1923, 182. 37 Pohl, Sozialdemokraten, 237 f. 38 Vgl. Möckl, Prinzregentenzeit, 444 f. 39 Hierbei ist durchaus auch grundsätzlich auf die Grenzen des Milieuansatzes zu verweisen, wie dies etwa Huttner, Milieukonzept, unternommen hat. Auch Katholiken hatten mehrfache Identitätsbezüge, so waren deutsche Katholiken eben auch deutsche Staatsbürger und mussten ein Verhältnis zu ihrer nationalen Identität finden. Die Annahme einer primären Bindung von Katholiken an die kirchliche Lehre schreibt zunächst nur das antikatholische und gegen ultramontane Strömungen gerichtete Stereotyp von der Romhörigkeit der deutschen Katholiken fort. Gerade in individuellen Biographien zeigen sich jedoch häufig ein bemerkenswerter Differenzierungsgrad und ein frappierender Zusammenfall scheinbar gegensätzlicher biographischer Elemente. Inso© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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fest zugeordnete, geschlossene geistig-seelische Prägung löste sich immer häufiger in eine offene, »aus verschiedenen positionsspezifischen Einflüssen gemischte auf, die eine Selbstorientierung, eine mentale Emanzipation ermöglichten.«40 Speziell in München entwickelte sich bereits vor dem Ersten Weltkrieg ein politisches Klima, welches es Karl Heinrich Pohl zufolge ermöglichte, die konfessionelle Versäulung im deutschen Reich allmählich aufzubrechen: »Insofern muss das Milieu der bayerischen Landeshauptstadt als zukunftsweisend gelten. München war in dieser Frage vor dem Ersten Weltkrieg sicher schon so weit wie die Bundesrepublik Deutschland erst nach 1945«, konstatierte Pohl.41 Die allgegenwärtige Dominanz des Katholischen führte beim Kirchenvolk nicht zu einem Rückzug ins Milieu und einer damit verbundenen etwaigen Absetzbewegung von den Phänomenen der Zeit, sondern zur allmählichen Integration der begegnenden Phänomene in die katholische Lebenswelt. Auch aus diesem Grund lässt sich, weder in München noch in im übrigen Oberbayern, ein von der Umwelt abgeschottetes katholisches Milieu mit gemeinsamer weltanschaulicher Basis und gemeinsamer sozialer Organisation ausmachen. Die Lebenswelt der katholischen Laien – wie noch zu zeigen sein wird keineswegs die der Kleriker – glich mehr und mehr einem Cluster aus verschiedenen Lebenswelten. Die kirchlichen Bemühungen, soziale Verhaltensmuster als Bestandteil katholischer Religiosität zu betrachten und den gesamten Lebensstil des Einzelnen um eine integralistische römische Religiosität zu zentrieren, waren nur partiell von Erfolg gekrönt.42 In etwas resignierendem Tonfall hielt etwa der Regens des Freisinger Klerikalseminars, Johann Baptist Westermayr, 1931 in einem Beitrag zu den Problemen der priesterlichen Berufserziehung fest: »Die fern erscheint auch die These, dass im katholischen (Laien-)milieu infolge der weltanschaulichen Prägung bereits per se eine »Umwertung der Werte« (so etwa bereits im Titel eines Beitrages: Kuropka, Umwertung) und damit eine zu große Affinität zur NS-Weltanschauung verhindert worden sei, zumindest in Ihrer Apodiktik fraglich, vielmehr ist sie am jeweiligen Einzelfall zu prüfen. 40 Blessing 1982, 245. 41 Pohl, Sozialdemokraten, 253. Jedoch sollte gerade aufgrund dieser treffenden Einsicht Pohls für die Erzdiözese München und Freising nicht mehr von einem »Milieu« im Sinne der verschiedenen Milieutheorien gesprochen werden. Wilfried Loth (vgl. Loth, Milieus) hat vor einigen Jahren grundsätzliche Kritik am hermetischen Milieubegriff einiger Katholizismusforscher geübt und warnte vor einer Ausblendung der alltäglichen Lebenswelt, die ein verzerrtes, artifizielles und zu simplifizierendes Bild einer geschlossenen katholischen und rein am Glauben orientierten Welt erzeuge. Stattdessen könne Milieu nur als Gesamtheit aller »natürlichen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Gegebenheiten, in deren Mitte (›au milieu de‹) sich der Mensch bewege« verstanden werden (ebenda, 131). 42 Ob dies freilich nur für Bayern gilt, oder ob die Milieuthese nicht prinzipiell einen wesentlichen Konstruktionsfehler aufweist, indem sie das Religiöse als zentrales Strukturmoment überbetont und das Soziale vernachlässigt, kann im Rahmen dieser Arbeit nicht geklärt werden. Jedoch ist wohl Loth, Milieus, 135 zuzustimmen, der bemerkte: »Das ›katholische Deutschland‹ bezog einen großen Teil seiner Kraft aus der Einbindung der Religion in lebensprägende Milieus, aber es war mehr als ein Milieu und es barg auch mehr als ein Milieu.« [Hervorhebung im Original]. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Menschen unserer Zeit genießen nicht mehr den Schutz und Vorteil einer weltanschaulich geschlossenen Kultur und eines einheitlichen Milieus.«43 Gerade in der Binnenwahrnehmung der klerikalen Subgesellschaft schob sich im Gegenzug eine überwiegend negativ geprägte Wahrnehmung der Gegenwartsphänomene und der Haltung der Gläubigen diesen gegenüber in den Vordergrund.44 In dieser Umwelt übte die Kirche gerade mit den zentralen Seelsorgemitteln ihr Weltbild und ihr Verhaltensmuster durch permanente Repetition sakrosankter Formeln ›beschwörend‹, also unverändert rituell und mit unverändertem Monopolanspruch ein. […] Das vermittelte Gesellschaftsbild blieb vorindustriell und vorurban45,

so Werner Blessing. Was blieb, war das amtskirchliche Unverständnis für die Clusterbildung in der katholischen Lebenswelt, die sich vor allem dort vollzog, wo ein abgrenzbares Milieu, eine katholische Sub- oder Sondergesellschaft in einer als feindlich wahrgenommenen Umwelt nicht existierte.46 Für den Klerus ging diese Clusterbildung der katholischen Majoritätsgesellschaft mit einem Bedeutungsverlust einher, der durch die Professionalisierung und Akademisierung der dörflichen Struktur noch verstärkt wurde. Neben den Priester traten die Lehrer und andere Studierte. Was für den Klerus verblieb, war lediglich die Zuständigkeit für den weltanschaulichen Bereich und auch diese blieb schließlich infolge des Auftretens der großen Ideologien nicht unangefochten. Die tatsächliche gesellschaftliche Prägekraft des Klerus schwand.

1.1.3 Der Erzbischof: Kardinal Michael von Faulhaber (1917–1952) Die Gesamtleitung der Erzdiözese oblag dem Erzbischof als vom Hl. Stuhl eingesetztem Ortsoberhirten.47 Gemäß kirchlichem Verständnis ist die bischöfliche Gewalt ebenso wie die Berufung zum Bischofsamt (analog zu der zum Priesteramt, worauf später noch ausführlich einzugehen sein wird) unmittelbar von Gott herrührend.48 Die bischöfliche Gewalt »ist auszuüben in einem kirchlichen Teilreich in Verbindung mit 43 44 45 46

Westermayr, Berufserziehung, 308. Vgl. zu seiner Biographie Kap. 2.4.1. Vgl. hierzu ausführlich Kapitel 3.3.3 dieser Arbeit. Blessing, Staat und Kirche, 245. Gleichwohl machte sie auch vor typischen Milieuregionen nicht halt. Wie Antonius Liedhegener, Urbanisierung, 252 f. in seiner Studie zu Münster und Bochum nachwies, bewegte sich um 1930 – aus der Perspektive des Klerus – die Mehrheit der Katholiken in dieser Region trotz hohen formalen Engagements, etwa im Vereinswesen, aufgrund der Desintegration der katholischen Lehre in ihre Alltagspraxis faktisch am Rande des Abfalls vom Glauben. 47 Zur bischöflichen Gewalt aus kirchenrechtlicher Sicht vgl. Eichmann, Kirchenrecht, Bd. 1, 257–267; Eichmann sprach aufgrund der absoluten Stellung des Bischofs folglich auch von »der monarchischen Gewalt« des Bischofs (ebenda 261). 48 Obgleich das Bischofsamt, anders als das Priesteramt, nicht direkt angestrebt werden kann, vielmehr sogar das Sich-drängen nach dem Bischofsamt als unziemlich erscheinen würde; vgl. Guggenberger, Bischof. Dass die bayerischen Bischöfe entsprechend dem Bayerischen Konkordat © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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und unter Unterordnung unter den fortlebenden Petrus.«49 Die Gewalt des Bischofs erstreckt sich dabei »auf das Gebiet der Diözese, d. h. auf die Personen, die hier ihren Wohnsitz oder Quasiwohnsitz haben […] auf die hier gelegenen Sachen (Kirchenämter, Benefizien, Schulen, Kirchenvermögen usw.) und Orte (Kirchen, Altäre, Friedhöfe)«.50 Dem Erzbischof kommt im Rahmen des gegebenen kanonischen Rechts sowohl die legislative als auch exekutive und judikative Gewalt zu.51 Als Gesetzgeber steht der Bischof völlig allein, weder das Kapitel noch andere Organe haben neben ihm ein Gesetzgebungsrecht für den Bereich seiner Diözese. Hinzu kommt das Recht, die eigenen Gesetze authentisch zu interpretieren, zu ändern, wieder aufzuheben und ggf. jederzeit von ihnen zu dispensieren.52 Neben diesen bereits sehr weitgehenden Vollmachten ist der Bischof zugleich oberster Lehrer und Inhaber der höchsten Weihegewalt in seiner Diözese. Als oberster Lehrer hat er für die Verbreitung und Reinhaltung der kirchlichen Lehre zu sorgen. Als Inhaber der höchsten Weihegewalt hat er das ausschließliche Recht, gewisse Weihehandlungen vorzunehmen: Die Spendung der Firmung, die Konsekration der heiligen Öle, Kirchen, Altäre, Kelche, Glocken sowie die Erteilung der höheren Weihen.53 Eine Beschränkung der bischöflichen Gewalt ergibt sich vor allem aus ihrer Unterordnung unter die päpstliche Gewalt und in eingeschränktem Maße aus der Bindung an die Zustimmung oder Anhörungspflicht der Domkapitel. Vor allem in kirchenpolitischen Fragen war der Erzbischof von römischen Direktiven abhängig.54 Der Münchener Erzbischofsstuhl wurde durch Rom rangmäßig aufgewertet, als mit Franziskus von Bettinger 1914 erstmals ein residierender bayerischer Bischof zum Kardinal erhoben wurde. Dies sollte sich bei seinen Nachfolgern, die alle in den ersten Jahren ihrer Amtszeit die Kardinalswürde erhielten, zu einer Gewohnheit entwickeln, die auch das Gewicht des Münchener Erzbischofsstuhles im nationalen Rahmen stärkte. Während des gesamten Untersuchungszeitraums stand mit Michael Kardinal von Faulhaber, der von 1917 bis 1952 als Erzbischof amtierte, einer der profiliertesten Ver-

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von 1817 bis zum Jahr 1918 vom Landesherrn für Ihr Amt nominiert wurden, nahm man nicht als Widerspruch wahr. Eichmann, Kirchenrecht, Bd. 1, 257. Ebenda, 261. Sowohl die exekutive als auch die judikative Gewalt sind jedoch regelmäßig an bischöfliche Stellvertreter übertragen, erstere an den Generalvikar, letztere an den Offizial. Beide werden vom Bischof ernannt; vgl. hierzu auch von Kienitz, Generalvikar und Offizial. Eichmann, Kirchenrecht, Bd. 1, 262. Vgl. ebenda, 263 f. Dies zeigte sich vor allem in Auseinandersetzungen um als modernistisch geltende oder einfach unbequeme Theologen. So war etwa Faulhabers Vorgänger Franz von Bettinger durch Rom veranlasst worden, seinen Priesteramtskandidaten bei Androhung der Strafe der Exkommunikation den Besuch der Vorlesungen des wegen seiner Nähe zum Reformkatholizismus und der Anwendung der historisch-kritischen Forschungsmethode beim Hl. Stuhl als modernistisch in Ungnade gefallenen Münchener Kirchenhistorikers Joseph Schnitzer zu verbieten; vgl. Trippen, Theologie und Lehramt; Weitlauff, Fall Schnitzer. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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treter des deutschen Episkopats dieser Zeit an der Spitze der Erzdiözese München und Freising.55 Bis in die Gegenwart wird sein bischöfliches Wirken, vor allem die Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus, sehr kontrovers beurteilt.56 Die bisherige Forschung, die zu stark auf das politische Verhalten und zu wenig auf die eigentlichen Arbeitsfelder des Bischofs (pastorales Wirken, theologische Positionierung, Leitung der Diözese)57 konzentriert gewesen ist, hat ungeachtet aller Defizite und inhaltlichen Divergenzen gezeigt, dass der Kardinal eine ebenso komplexe wie politisch und kirchenpolitisch einflussreiche Persönlichkeit gewesen sein dürfte. Faulhaber, geboren 1869 in Klosterheidenfeld bei Schweinfurt, stammte aus dem kleinbürgerlichen Milieu Unterfrankens.58 Nach der Priesterweihe 1892 sammelte der sehr begabte junge Kleriker nur kurzzeitig seelsorgliche Erfahrungen, um sodann rasch die akademische Laufbahn einzuschlagen.59 Den theologischen Disputen im Zuge der Modernismuskrise wich Faulhaber aus60 und verlegte sich mit seinen Forschungen zum Alten Testament und zur Patristik, die er unter anderem in Rom absolvierte, auf theologisch wenig gefährliches Terrain. Somit stand der 1903 erfolgten Berufung des 34-Jährigen als Professor für Altes Testament an die neu gegründete Theologische Fakultät der damals zum Deutschen Reich gehörenden Universität Straßburg von kirchlicher Seite nichts im Wege.61 Nach der Nominierung durch den bayerischen 55 Eine Biographie Faulhabers, die einen Überblick über sein umfangreiches pastorales und politisches Wirken und seine Rolle innerhalb des deutschen Episkopats geben könnte, liegt bislang nicht vor. Zu Faulhaber allgemein vgl. Generaldirektion, Faulhaber; Pfister, Faulhaber; zu Detailaspekten im speziellen die Bibliographie der größtenteils älteren Literatur von Susanne Kornacker in: Generaldirektion, Faulhaber, 611–618. Hervorzuheben aus dieser (mit teils sehr stark divergierenden Ansätzen): Bucher, Faulhaber; Hecker, Faulhaber; Ziegler, Erzbischof und Ziegler, Meinungsstreit. Der umfangreiche Nachlass Faulhabers befindet sich im EAM eine Edition daraus bieten Volk, Akten Faulhabers, Bd. 1 und 2 sowie Hürten, Akten Faulhabers, Bd. 3; in Band 1, XXXV– LXXXI auch ein auf die Autobiographie des Kardinals gestütztes Lebensbild von Ludwig Volk. 56 Hecker, Faulhaber, 19 bezeichnete die stark divergierenden Meinungen über Faulhaber, den Umstand, dass er stets Lob und Tadel von den unterschiedlichsten Seiten erhalten habe und die bis heute anhaltende starke Neigung Dritter, sein Wirken mit moralischen Etikettierungen zu versehen, als geradezu »symptomatisch«. 57 So bleibt die eigentliche bischöfliche Tätigkeit etwa in den Arbeiten Georg Schwaigers (z. B. Schwaiger, Faulhaber; Schwaiger, Erzbistum in der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft) unberücksichtig, was umso merkwürdiger ist, als es sich bei diesem Autor um einen katholischen Kirchenhistoriker handelt. Auf den unbekannten Faulhaber hat auch Ziegler, Faulhaber, hingewiesen. Mehr auf das bischöfliche Wirken konzentrierte Neuansätze werden erkennbar in einzelnen Beiträgen in: Generaldirektion, Faulhaber. 58 Vgl. Kornacker, Susanne, Bäckerssohn. 59 Ebd. 60 Vgl. zu den Auswirkungen der Modernismuskrise auf die Universität Würzburg, an der Faulhaber sowohl promovierte als auch habilitierte, Weiss, Modernismuskontroverse. 61 Über die Tätigkeit des Hochschullehrers Faulhaber ist wenig bekannt. Gemeinhin wird ihm eine schon damals sichtbare große rhetorische Begabung attestiert, die zu einer außergewöhnlichen Resonanz seiner Lehrveranstaltungen geführt haben soll; vgl. Kornacker, Susanne, Bäckerssohn, bes. 125–129. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Abb. 1: Kardinal Michael von Faulhaber (1869–1952), von 1917 bis 1952 Erzbischof von München und Freising. Die Mitte der 1930er Jahre im Erzbischöflichen Palais entstandene Aufnahme zeigt Faulhaber in Form eines klassischen portrait d’apparat mit einem Ferraiolo aus Moiréseide und den Insignien seines Amtes: Brustkreuz und Kardinalshut. Die Bücher auf dem Tisch verweisen vermutlich zusätzlich auf den Gelehrten und ehemaligen Theologieprofessor. Das Gemälde im Hintergrund konnte nicht identifiziert werden. Ungewöhnlich ist die Darstellung im Stehen, die klassischerweise nur von weltlichen Herren (und Fürstbischöfen) eingenommen wird, wohingegen geistliche Herren im Regelfall sitzend porträtiert werden. Ob Faulhaber diese Akzentuierung freilich bewusst war, bleibt ungewiss. (EAM, NL Faulhaber, Bildarchiv).

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Prinzregenten Luitpold, dem gemäß dem Bayerischen Konkordat von 1817 das Nominationsrecht für die bayerischen Bischofsstühle zustand, wurde Faulhaber 1911 Bischof der Diözese Speyer, die mit dem Territorium der bayerischen Pfalz deckungsgleich war.62 1913 erhielt er entsprechend der Usancen der Zeit, den persönlichen Adel. Während des Ersten Weltkrieges versah Faulhaber zusätzlich zu seinem Speyrer Bischofsamt das Amt des Stellvertretenden Feldpropstes der Bayerischen Armee, wodurch ihm ein maßgeblicher Anteil an der Führung der Feldseelsorge während des Ersten Weltkrieges zukam.63 Auf Vorschlag des bayerischen Kultusministers von Knilling wurde der 48-jährige Faulhaber nach dem Tod Kardinal Franziskus von Bettingers am 26. Mai 1917 zum Erzbischof von München und Freising ernannt, die Kardinalserhebung erfolgte 1921.64 Sein Erzbischofsamt hatte er bis zu seinem Tod am 12. Juni 1952 35 Jahre lang inne. Der Erzbischof residierte in einem ihm vom Staat zugewiesenen Dienstsitz, dem barocken Palais Holnstein in der Promenadestraße. Dort befanden sich die Wohnung sowie die Empfangs- und Repräsentationsräume des Erzbischofs und das Erzbischöfliche Sekretariat.65 Im Grundsatz handelte es sich bei der Organisation des Erzbischofshofs – so die von Faulhaber gebrauchte Bezeichnung – um eine anachronistische 62 Vgl. Kornacker, Jörg, Bischof von Speyer, 131 f. 63 Vgl. Lankes, Weltkrieg, 143 f. Dieses Amt war bedeutender als es auf den ersten Blick erscheinen mag. Da Bayern entsprechend der in der Deutschen Reichsverfassung von 1871 garantierten Reservatrechte über eine eigenen Militärseelsorge verfügte und der ordentliche Feldpropst, Kardinal Franziskus von Bettinger, sein Amt krankheitsbedingt nicht ausübte, fielen Faulhaber im Bereich der bayerischen Armee die repräsentativen Pflichten wie Frontbesuche, Herausgabe von Publizistik, Predigten und Kriegsgebeten etc. sowie die Verantwortung für rund 150 Feldgeistliche zu. Nach dem Tod Kardinal Bettingers wurde Faulhaber im September 1917 schließlich auch ordentlicher Feldpropst. 64 Vgl. Kornacker, Jörg, Erzbischof; Treffler, Kardinal. Neuere Quellenfunde lassen den Schluss zu, dass diese Nominierung auf den ausdrücklichen Wunsch der bayerischen Regierung erfolgte, wogegen es in Rom offenbar zu »hässlichen Treibereien« gegen die Nominierung Faulhabers kam, hinter denen im Wesentlichen der Altöttinger Kapuzinerpater Cölestin Schwaighofer steckte; vgl. BayHStA, GPS 775, Ritter an Hertling vom 29. 04. 1917 (Für den freundlichen Hinweis und die Überlassung von Kopien danke ich Florian Heinritzi, München). Cölestin Schwaighofer OFMCap, geb. am 22. 01. 1863, gest. am 07. 09. 1934 galt als höchst einflussreicher Beichtvater des bayerischen Königs Ludwig III. und des österreichischen Kaiserpaares Karl und Zita. 1914 wurde er Konsultor der päpstlichen Kongregation für die Universitäten und Seminarien, 1915 zusätzlich Konsultor der Kongregation für die Sakramente. Er wurde vom bayerischen und österreichischen Hof mit halbamtlichen politischen Vermittlungsaufgaben betraut. Sein politisches Denken war vermutlich überwiegend partikularistisch und antipreußisch geprägt (Angaben zu seiner Person entnommen dem – stark nationalsozialistisch geprägten – Werk Patin, Beiträge, 247 ff.) Dass Schwaighofer selbst Ambitionen auf den Münchener Erzbischofsstuhl hatte, wurde von Baron Ritter (Baron Otto Ritter zu Groenesteyn, 1909–1934 bayerischer Gesandter beim Hl. Stuhl) für möglich, aber unwahrscheinlich erachtet. 65 Das Sekretariat verfügte über eine eigene Registratur. Dies ist im Hinblick auf die Quellenüberlieferung von Bedeutung, da die Erzbischöfliche Registratur den Krieg im Gegensatz zur Registratur der Ordinariatsverwaltung weitgehend unbeschadet überstanden hat, wenngleich sie von nachträglichen Eingriffen nicht verschont blieb, vgl. Pfister, Kardinal-Faulhaber-Archiv, 53 f. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Struktur, eine Art Hofstaat en miniature, in absolutistischer Manier zentriert um die Person des Erzbischofs. Hier hallte die Tradition der Bischöfe von Freising nach, die bis 1803 den Status souveräner geistlicher Fürsten inne gehabt hatten. Der Erzbischofshof beschäftigte einen eigenen kleinen Mitarbeiterstab, der auch eine Hausgemeinschaft mit dem Erzbischof bildete.66 Kirchenpolitisch orientierte sich Faulhaber – soweit erkennbar – vollkommen an Rom und vertrat eine streng zentralistische Linie, die bestrebt war, lokale Einflüsse auf die bischöfliche Gewalt, etwa seitens der Domkapitel oder der jeweiligen Staatsregierung, so gering wie möglich zu halten. Auch Faulhaber sah sich ganz selbstverständlich in der Tradition, welche die katholischen Bischöfe in der von Jesus Christus selbst berufenen Nachfolge der Apostel sieht.67 Dieses Bewusstsein, in der direkten apostolischen Sukzession zu stehen und eine entsprechende Verantwortung zu tragen, ist fundamental für sein bischöfliches Amtsverständnis und bestimmt sowohl die Parameter seiner Amtsführung als auch seinen persönlichen Habitus. Das so verstandene bischöfliche Amt war für Faulhaber – entsprechend seiner Selbstdeutung im Hirtenbrief über das Bischofsamt 1936 – ganz im Einklang mit der Tradition ein Dreifaches: Lehramt, Priesteramt und Hirtenamt.68 Wie Hans-Jörg Nesner konstatierte, betrachteten die Repräsentanten der katholischen Kirche in Bayern bereits vor dem Ende der Monarchie den »herrschenden Zeitgeist« als ihren »ärgsten Widersacher«.69 Als primäre Repräsentanten dieses Zeitgeistes galten der Liberalismus und die Sozialdemokratie. Die Erzbischöfe in der spätmonarchischen Epoche Bayerns, Franz Joseph von Stein (1897–1909), Franziskus von Bettinger (1909–1917) und Michael von Faulhaber (1917–1952) galten – ungeachtet immer wieder aufflammender Konflikte in der Spätfolge des Kulturkampfes – als staatsloyal und königstreu, zumal die vom König bis 1912 bestellten konservativliberalen Regierungen ebenso wie die katholisch-konservativen Regierungen danach 66 Von den Mitarbeitern ist vor allem der Erzbischöfliche Sekretär hervorzuheben, ein Diözesanpriester, der mit der Bearbeitung der Korrespondenz beschäftigt war, bei Pontifikalhandlungen assistierte und den Bischof auf kürzeren oder längeren Reisen stets begleitete. Die anfallende Korrespondenz wurde neben dem Sekretär vorwiegend von der jüngeren Schwester des Kardinals, Katharina Faulhaber, erledigt. Daneben waren im Palais einige Nonnen vom Orden der Barmherzigen Schwestern tätig, die überwiegend mit der Hauhaltsführung und Hilfsarbeiten betraut waren. Ein Franziskanerbruder, Friedbald Schön, fungierte als Chauffeur und Pförtner. (Für diesbezügliche Informationen danke ich Susanne Kornacker, Iphofen.) 67 Vgl. etwa seinen Hirtenbrief Faulhaber, Unser Bischof: »Damals [zur Zeit der Berufung der Apostel durch Jesus Christus, Th. Fo.] wurden alle Bischöfe der kommenden Jahrhunderte mitberufen und in das Gebet des ewigen Hohepriesters einbezogen. Aus diesem Gedanken: ›Der Heiland hat mich beim Namen gerufen und für mich gebetet‹, entspringen Kraft und Trost für alle, die als Nachfolger der Apostel rechtmäßig ›durch die Türe‹, nicht durch eine Hintertüre, in das Bischofsamt eintreten. […] Im Namen Christi, des Gesalbten, gilt ihm [dem Bischof; Th. Fo.] die Frohbotschaft: Fürchte dich nicht, der Ewige Hohepriester hat für dich gebetet.« 68 Siehe Faulhaber, Unser Bischof; vgl. auch die kurios anmutende photographische Selbstinszenierung Faulhabers als realer Hirte mit Schafherde in: Generaldirektion, Faulhaber, 133. 69 Nesner, Regierungszeit, 212. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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bis zum Ende der Monarchie wenig Konfliktpotential boten. Dass die bestehende gesellschaftliche Ordnung eines Tages gewissermaßen über Nacht hinweggefegt werden könnte, lag mutmaßlich außerhalb von Faulhabers Vorstellungsvermögen. Faulhabers politische Urteilskraft stellten bereits die etwas distanzierteren Zeitgenossen und Weggefährten in Frage.70 Mit Sicherheit lässt sich feststellen, dass ungeachtet seiner kirchenpolitischen Orientierung an Rom Faulhabers Loyalität gegenüber dem autoritären Staat als »stark ausgeprägt« charakterisiert werden kann.71 Rainer Bucher betonte zutreffend, dass Faulhaber in seiner Person exemplarisch die beiden Hauptmerkmale des Staates verband, in dem er aufwuchs: … enorme Leistungsfähigkeit, persönliche Dynamik und Mobilität einerseits, sowie unbezweifelte Identifizierung mit den herrschenden politischen Strukturen andererseits. Diese Strukturen aber waren verfassungspolitisch monarchistisch, gesellschaftspolitisch antidemokratisch und sozialpolitisch paternalistisch determiniert.72

Eine Spannung zwischen persönlicher, vor allem auch intellektueller Dynamik und letztlich apolitischem Strukturkonservativismus durchzieht nach dem Urteil Buchers Faulhabers ganzes Leben. Bucher zeigt dabei in einer prägnanten Interpretation, inwieweit Faulhabers Monarchismus nicht sekundärer Natur war, sondern direkte theologische Hintergründe hatte: Faulhabers Verehrung der Monarchie zielte auf ihre Legitimation durch die göttliche Autorität (Gottesgnadentum) und damit auf die Religion als höchstem Autoritätsträger.73 Der Demokratie warf er im Gegenzug folgerichtig vor, auf Gott als Autoritätsträger zu verzichten und postulierte bei der Trauerrede für den im Exil verstorbenen abgedankten König Ludwig III.: »… wo das Volk sein eigener König ist, wird es über kurz oder lang auch sein eigener Totengräber.«74 Der Kirchenhistoriker Manfred Weitlauff sprach von einer »offenbare[n] Blindheit für das parlamentarisch-politisch Machbare« bei Faulhaber.75 Tatsächlich erwies sich die mangelnde positive Identifikation mit dem demokratischen Staatswesen im Hinblick auf die folgenden Entwicklungen als fatal. Den Nationalsozialismus lehnte Faulhaber aus ideologischen Gründen zwar ab, wenngleich er in diese autoritäre Bewegung – wie viele – zumindest in der Zeit unmittelbar nach der Machtergreifung 70 So etwa der Benediktinerabt Hugo Lang (1892–1967), Verfasser einer der frühen Lebensbeschreibungen Faulhabers, siehe Lang, Faulhaber, 163. In gewisser Hinsicht war Faulhaber politisch wohl naiv, dies wird beispielsweise deutlich, wenn er gegenüber Bischof Heinrich Wienken bemerkt, die gute Behandlung Domkapitular Neuhäuslers im Konzentrationslager Dachau biete Gelegenheit, »auch öffentlich mit dem dankbaren Hinweis auf diese gute Behandlung schwere Gerüchte über Dachau auszuräumen.« (EAM, NL Faulhaber 8305, Faulhaber an Wienken vom 26. 09. 1941.) 71 So das Urteil bei Hecker, Faulhaber, 21. 72 Bucher, Kirchenbildung, 188. 73 Ebenda, 188 f. und 191. 74 Zit. nach Treffler, Gegen den politischen Umsturz, 188 f. 75 Weitlauff, Leitung, 329. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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auch die Hoffnung setzte, dass er gemeinsam mit dem Klerus der »Gottlosigkeit und Sittenlosigkeit der Zeit«76 entgegenwirken könne. In Bezug auf den nationalsozialistischen Staat betonte Faulhaber – immer wieder auch gegenüber dem Klerus77 – vor allem dessen Legitimität und verbaute sich und seinen Priestern so den Weg zu einer konsequenteren öffentlichen Haltung.78 Gleiches gilt später auch für das Verhältnis zum Krieg zu dem Faulhaber nicht viel mehr einfiel, als dass es sich um ein »Geheimnis der göttlichen Weltregierung«79 handle. In Bezug auf seine Persönlichkeit bescheinigt der Kirchenhistoriker Ludwig Volk Faulhaber einen »Zug ins Monumentale« und gebrauchte das Bild eines schützenden Panzers, den Faulhaber mit Geistigkeit, Sprache und Gebärde um sich gelegt habe.80 Diese Grundcharakteristik trifft in besonderem Maße auch für das Verhältnis Faulhabers zu seinem Klerus zu. Eine unmittelbare Beziehung der Priester zu ihrem Oberhirten gab es kaum, wenngleich dies vermutlich nichts für Faulhaber Spezifisches gewesen sein dürfte. Der Klerus achtete und verehrte Faulhaber – doch die Verehrung blieb abstrakt, unpersönlich und von großer Distanz geprägt.81 Faulhaber hatte gewissermaßen den Nimbus des lebenden Diözesanpatrons, durch Unnahbarkeit, Distanziertheit und eine ausgeprägte herrschaftliche Attitüde war bereits zu Lebzeiten »seine Gestalt ins Denkmalhafte«82 überhöht und dadurch auch zum Klerus ein nicht mehr überbrückbarer Abstand geschaffen, der auch als solcher wahrgenommen wurde. Ein Diözesanpriester (Weihejahrgang 1937) bemerkte hierzu: Ich habe Faulhaber in meinem Leben nach meiner Priesterweihe nie mehr gesehen, nie mehr. Wir hätten auch keinen Zugang gehabt; der war Feudalherr und in seinem Palais. Jede Baronin hatte Zugang zum Herrn Kardinal, wir Kapläne nicht. […] Ich habe von Faulhaber nur in Erinnerung sein majestätisches Gebaren, als ob er ein Adelssohn wäre, dabei war er, glaube ich, Bäckermeisterssohn.83

76 Volk, Akten Faulhaber, Bd. 1, 697–700: Pastorale Anweisungen Faulhabers vom 05. 04. 1933, hier 700. 77 Vgl. etwa noch 1940 sein Referat zu Standespflichten des Klerus, in: Bericht Diözesan-Synode 1940, 16–20. 78 Vgl. Hecker, Faulhaber, 33. 79 So in seinem Fastenhirtenbrief »Die Waffenrüstung Gottes« zum Sonntag Sexagesima am 20. 01. 1940, in: EAM, NL Faulhaber 4172. 80 Volk, Akten Faulhaber, Bd. 1, LXXXf. 81 Vgl. hierzu auch: Forstner/Volpert, Priesterliches Leben, 119. 82 Volk, Akten Faulhabers, Bd. 1, LXXXf. 83 EAM, Priesterbefragung 2003, Interview mit Engelbert Neuhäusler. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Ein anderer Priester (Weihejahrgang 1946) urteilte: Es war ein Mann [Faulhaber, Th. Fo.], ganz anders als seine Nachfolger. Er hat Abstand gehalten zu seinen Untergebenen und hatte infolgedessen eine unanfechtbare Autorität. […] Er war eine Autoritätsperson von außergewöhnlichem Rang.84

Der letzte Sekretär Faulhabers, Johannes Waxenberger85, betonte indirekt die übergroße Distanz, die zwischen Klerus und Bischof herrschte: »Für mich ist ein Bischof etwas Biblisches, etwas Heiliges …«, sagte Waxenberger, nach seiner Stellung zu Faulhaber befragt.86 Als sehr fürsorglich erwies sich der Kardinal stets bei konkreten seelischen Nöten Einzelner, für die er sich viel Zeit nahm und insbesondere auch bei der Betreuung der Kriegstheologen.87 Insgesamt erscheint der Erzbischof mithin als Kind seiner Zeit. Politisch zog er sich nach 1933 wie die übrigen deutschen Bischöfe in den kirchlichen Binnenraum zurück und ergriff nur dort das Wort, wo die Kirche und ihre Belange berührt waren. Innerkirchlich blieb er, einerseits resultierend aus seinem Amtsverständnis, andererseits aufgrund einer persönlichen mentalen Disposition, einem hoheits-

84 EAM, Priesterbefragung 2003, Interview mit Valentin Niedermeier. An den zu Faulhaber zu haltenden bzw. von diesem gehaltenen Abstand erinnerte sich auch ein Priester des Weihejahrgangs 1940, der – aus der Perspektive einer nachkonziliaren Kirche – auf seine Erfahrungen mit Faulhaber zurückblickte: »… als ich Kaplan in Wartenberg war, da kam Faulhaber zur Firmung […]. Da sagte der Pfarrer [zu Kronberger; Th. Fo.]: ›Herr Kooperator, begleiten Sie Kardinal Faulhaber, er will jetzt in der Nachbarschaft in der alten Friedhofskirche diesen berühmten gotischen Altar besichtigen.‹ Ich als junger Kaplan habe nicht gewagt, von mir aus den Kardinal anzusprechen. Er war in seiner Art stolz, vielleicht war es sogar eine Gehemmtheit: Kein einziges Wort hat er auf dem Weg gesprochen, für den wir doch ca. 5 Minuten benötigt haben. Bis zur Friedhofskirche und zurück – kein einziges Wort hat er an mich gerichtet, an einen seiner jungen Priester, was ich bis heute nicht vergessen habe. […] Er hat ihn [den Altar; Th. Fo.] angeschaut, hat von sich aus kein Wort an mich gerichtet als regierender Bischof, was unter Döpfner [gemeint ist Julius Kardinal Döpfner, von 1961 bis 1976 Erzbischof von München und Freising; Th. Fo.] unmöglich gewesen wäre, dass der einen seiner Priester nicht ansprechen würde … […] Er stand nur steif und unbeweglich da. […] Das zeigt etwas auf von seiner Art. Er war in seinem Palais untergebracht, aber mit dem Klerus hat er praktisch keine Verbindung gehabt.« EAM, Priesterbefragung 2003, Interview mit Franz Xaver Kronberger. 85 Johannes Waxenberger, geb. am 09. 06. 1915 in Velden/Vils, 1947 Priesterweihe in Freising, Koadjutor in Siegsdorf, 1948 Kaplan in München-St. Paul, 1948–1953 Erzbischöflicher Sekretär, anschließend vorübergehende Beurlaubung, 1955 Pfarrer in Hofkirchen, 1958 Pfarrer in Fürstenfeldbruck-St. Magdalena, 1967 Pfarrer in München-Maria Ramersdorf, 1983 Versetzung in den dauernden Ruhestand, Kommorant in Siegsdorf; gest. am 25. 06. 2010; vgl. Schematismus 2010/11, 601; EOM, Chronologie der Diözesanpriester 2004, 300. 86 EAM, Priesterbefragung 2003, Interview mit Johannes Waxenberger. 87 Vgl. hierzu etwa die Korrespondenz mit dem Apostaten Leonhard Z., in: EAM, NL Faulhaber 5404. Ferner das Urteil von Aloys Goergen: EAM, Priesterbefragung 2003, Interview mit Aloys Goergen. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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voll-distanzierten Bischofsideal verhaftet, das selbst vom eigenen Klerus vielfach als abgehoben empfunden wurde.

1.1.4 Die Diözesanverwaltung: Zentrales Kontrollorgan für den Klerus Die Bischöfe waren im Verlauf des 19. Jahrhunderts nach dem Papst immer mehr zu zentralen Schlüsselfiguren der kirchlichen Organisation geworden. Gerieten sie einerseits immer stärker unter die Kontrolle Roms, gelang es ihnen anderseits ihren Einfluss und ihre Macht innerhalb der Diözese – vorwiegend gegenüber dem Klerus – durch die Etablierung einer bürokratischen Struktur sukzessive auszubauen. Die strukturellen Angleichungen an die bürokratisierten staatlichen Behördenorganisationen waren unübersehbar.88 Gegen Ende des 19. Jahrhunderts hatte die so entstandene Diözesanverwaltung aber ebenfalls ein starkes Eigenleben gewonnen. Zwar war sie nominell vollkommen von der Person des Bischofs abhängig, der über die Einrichtung und Auflösung von Ämtern und Behörden – sofern es sich nicht um durch kanonisches Recht vorgeschriebene handelte – und naturgemäß auch deren Besetzung frei verfügen konnte, faktisch verfügte die kirchliche Verwaltung jedoch über ein hohes Maß an Eigenständigkeit. Zudem verfügte sie durch das die Leitungsebene konstituierende Metropolitankapitel über personelle Kontinuität und damit Herrschaftswissen auch über einen Bischofswechsel hinaus.89 Aufgrund der historischen Entwicklung waren die zentralen Einrichtungen der Erzdiözese München und Freising seit Errichtung des Erzbistums 1821 auf zwei Standorte verteilt. Während der Erzbischof seinen Wohn- und Amtssitz in München hatte, wo auch seine Bischofskirche stand, deren Kapitel die wesentlichen Aufgaben der ebenfalls in München ansässigen Diözesanverwaltung übernahm, blieb der ehemalige Bischofssitz Freising das eigentliche geistliche und auch Identität stiftende Zentrum. In Freising waren mit einem Knaben- und dem Klerikalseminar sowie der Philosophisch-Theologischen Hochschule die zentralen Einrichtungen zur Rekrutierung und Ausbildung des Diözesanklerus angesiedelt. Im Freisinger Dom – und nicht etwa im Münchner Dom, der Frauenkirche – fand alljährlich zum Hochfest Peter und Paul die Priesterweihe, d. h. die feierliche Kooptation neuer Mitglieder der Standesgemeinschaft statt. Die romanische Krypta des Freisinger Doms barg auch den Schrein mit 88 Vgl. Ebertz, Modernisierungsprozesse, 73 f. 89 Die Abhängigkeit der kirchlichen Verwaltung von den jeweiligen Bischöfen hat sich in den vergangenen Jahren wieder verstärkt, seit vermehrt Laien mit zentralen Führungsaufgaben betraut werden. Diese sind im Gegensatz zu den Klerikern – wie in jeder anderen Verwaltung auch – relativ beliebig austauschbar. So sind etwa gegenwärtig (2012) fünf von sieben Ressortleiterpositionen in der Erzdiözese München und Freising mit Laien besetzt, nur zwei mit Priestern. Mithin ist das zwölfköpfige Metropolitankapitel in der obersten Entscheidungsebene der Diözesanverwaltung heute nur noch durch zwei Mitglieder vertreten. Selbst der Erzbischöfliche Finanzdirektor ist seit dem 01. 01. 2012 – erstmals in der Geschichte der Erzdiözese – ein Laie. Die Funktion des Kapitels als ausgleichender Gegenpol zur erzbischöflichen Gewalt (vgl. hierzu auch Kapitel 1.1.5) wurde dadurch entschieden geschwächt. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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den Reliquien des Diözesanpatrons Korbinian, zu dessen Hochfest alljährlich im Spätherbst die Wallfahrer aus dem gesamten Bistumsgebiet nach Freising strömten.90 München war hingegen seit 1821 vor allem Sitz der dem Metropolitankapitel übertragenen Verwaltung der Erzdiözese. Das Kapitel wurde hierbei von einer relativ geringen Zahl an geistlichem und weltlichem Hilfspersonal unterstützt.91 Das Erzbischöfliche Ordinariat92 hatte seinen Sitz seit der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zur Kriegszerstörung am 25. April 1944 in den Räumen des ehemaligen Karmeliterklosters in der Pfandhausstraße (heutige Pacellistraße). Das Ordinariat bestand zunächst vor allem aus dem Generalvikariat93 und dem Allgemeinen Geistlichen Rat.94 Beides waren 90 Zur allgemeinen Entwicklungsgeschichte des Erzbistums im 19. und 20.  Jahrhundert vgl. Schwaiger, Erzbistum im 19. und 20. Jahrhundert. Zur Rolle Freisings als identitätsprägenden Ort für den Diözesanklerus vgl. das nachfolgende Kapitel zu Knaben- und Klerikalseminar. 91 Die Aufgaben, welche die zentrale Diözesanverwaltung mit sich brachte, wurden somit im Wesentlichen von etwa 30 bis maximal 40 Personen erledigt. In Anbetracht dieser nur geringen Anzahl an Personen überrascht die Vielzahl an nebeneinander existierenden und sich teilweise überlagernden Einrichtungen, die im weiteren Sinne als zur Verwaltung der Erzdiözese gehörig betrachtet werden müssen. 92 Unter dem Ordinariat ist – wie Laube, Ordinariat, 38 gezeigt hat – zu diesem Zeitpunkt keine eigenständige Behörde zu verstehen, »sondern vielmehr ein Oberbegriff für die gesamte erzbischöfliche zentrale Verwaltung«. 93 Das Generalvikariat unter Leitung des Generalvikars war die eigentliche zentrale Verwaltungsbehörde des Erzbistums. Das Generalvikariat hatte die Zuständigkeit für die Ordination und Approbation, Anstellung und Bepfründung sowie die Disziplinierung sämtlicher Weltgeistlicher der Diözese. Es war für alle Fragen über die Führung der Pfarrämter, über die Verwaltung der Sakramente, für Kirchen-, Pfründen- und Gottesdienststiftungen zuständig. Darüber hinaus fielen in seinen Bereich die nichtstrittigen Eheangelegenheiten sowie die Angelegenheiten der geistlichen Vereine, Bruderschaften und Klöster (letzterer soweit diese unter die erzbischöfliche Jurisdiktion fielen) und nicht zuletzt der umfassende Bereich der Fragen zur öffentlichen Sittlichkeit (Zuständigkeiten nach Laube, Ordinariat, 39). Neben der wöchentlichen Sitzung des Gremiums Generalvikariat wurden die laufenden Geschäfte durch den Generalvikar erledigt, der die Materien zum Teil selbst kraft Amtes, zum Teil durch Zuweisung durch den Erzbischof erhielt. Anfang 1934 erhielt Generalvikar Buchwieser durch den Erzbischof die Vollmacht, »neu anfallende Gegenstände aus eigener Zuständigkeit [an die übrigen Mitglieder des Kapitels; Th. Fo.] zu verteilen«; vgl. AEM, Ordinariatssitzungsprotokoll vom 05. 01. 1934. Es stand nun weitgehend seinem Ermessen anheim, ob er eine Aufgabe selbst erledigte, oder in die wöchentliche Ordinariatssitzung einbrachte bzw. einem dieser Räte zur Weiterbearbeitung zuwies. Dem Generalvikar stand eine Kanzlei für Schreibarbeiten, eine eigene Registratur sowie ein oder zweitweise mehrere Geistliche als Sekretäre zur Verfügung. Letzteren oblag vor allem die Prüfung von Entwürfen; vgl. hierzu vor allem EAM, Priesterbefragung 2003, Friedrich Frei. Die Ausstattung des Ordinariats kann man sich wohl nicht einfach genug vorstellen: 1938 protestierte Kardinal Faulhaber wegen der polizeilichen Beschlagnahme »der Schreibmaschine im Ordinariat« – eine Formulierung, die darauf schließen lässt, dass es nur eine solche gab; vgl. AEM, Ordinariatssitzungsprotokoll vom 14. 10. 1938. 94 Der Allgemeine Geistliche Rat, der bei der Neustrukturierung der Diözesanverwaltung zu Beginn des 19. Jahrhunderts noch das wichtigere Gremium gewesen war, hatte zu Beginn des 20. Jahrhunderts bereits stark an Bedeutung eingebüßt. Ursprünglich war er vor allem für den Bereich des Kirchen- und Pfründevermögens, das kirchliche Bauwesen, die Studien- und Schulfragen ein© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Kollegialorgane, die schließlich zusammengelegt wurden.95 Zum 1. April 1928 stellte Kardinal Faulhaber auch die kirchliche Finanzverwaltung der Erzdiözese mit der Gründung der Erzbischöflichen Finanzkammer auf eine völlig neue Basis.96 Mit ihr sollte eine Vereinheitlichung und Zentralisierung der gesamten diözesanen Finanzverwaltung erreicht werden. An ihrer Spitze standen der dem Domkapitel angehörende Erzbischöfliche Finanzdirektor, ein Finanzrat, der dem geistlichen Stand angehörte und eine wachsende Zahl von Verwaltungsangestellten.97 Die Mitglieder des Metropolitankapitels (ohne die Domvikare) bildeten die Räte bzw. Referenten im Ordinariat. Sie trafen sich in zumeist wöchentlicher Sitzung, in der die Aufgaben verteilt und die gemeinsam zu behandelnden Materien verhandelt wurden. Die Aufgabenverteilung erfolgte weniger nach sachlichen Gesichtspunkten denn nach persönlicher Eignung der Referenten. Da das Kapitel sich aber immer nur nach dem Ausscheiden eines Mitglieds ergänzte, gab jede Neuernennung eines Kanonikers Anlass zu einer mehr oder weniger umfangreichen Verschiebung der Aufgaben. Dies führte mit der Zeit zu einer immer größeren Beliebigkeit bei der Gruppierung der dem einzelnen zugewiesenen Sachaufgaben, so dass ein Referent mitunter für zahlreiche kleinere, überhaupt nicht miteinander in sachlicher Verbindung stehende Aufgaben zuständig sein konnte.98 schließlich der bischöflichen Seminarien und kleinere Aufgaben verantwortlich gewesen. Daneben traten Beratungsaufgaben für die Erzbischöfe im engeren Sinn; vgl. Laube, Ordinariat, 39 f. Im Gegensatz zum Generalvikar verfügt der als Direktor bezeichnete Vorstand des Allgemeinen Geistlichen Rats jedoch über keine eigene Jurisdiktionsgewalt. Diese konzeptionelle Schwäche dürfte dazu beigetragen haben, dass das Gremium schließlich immer unbedeutender wurde und schließlich mit der Gründung der Erzbischöflichen Finanzkammer 1928 faktisch zu existieren aufhörte, auch wenn es formell bis in die 1960er Jahre weiter bestand. 95 Bereits seit 1900 war der Allgemeine Geistliche Rat als Gremium ohnehin mit dem Generalvikariat personalidentisch – d. h. dieselben Räte, die dem Generalvikariat angehörten, gehörten auch dem Allgemeinen Geistlichen Rat an. Kardinal Faulhaber legte schließlich im Verlauf der 1920er Jahre die wöchentlichen Sitzungen beider Gremien zusammen, d. h. faktisch gab es seit dieser Zeit ohnehin nur noch ein Gremium, dass unter dem Namen Ordinariatssitzung tagte. Der Ordinariatssitzung gehörten somit die 12 Mitglieder des Domkapitels unter Vorsitz des Erzbischofs an. Die Zusammenlegung lässt sich nicht genau datieren, nach den Untersuchungen Volker Laubes spricht vieles dafür, dass sie 1928 erfolgte. 96 Vgl. Laube, Ordinariat, 42. 97 Vgl. Amtsblatt München 1928, 3 f. Der Finanzdirektor gewann in der Folge innerhalb der Diözese eine gewichtige Stellung, war er doch für die Überwachung und Steuerung des gesamten Ausgaben-, Rechnungs- und Vermögenswesens zuständig und war allein dem Bischof gegenüber Rechenschaft schuldig. Der Finanzrat leitete das Rechnungs-, Kassen und Bürowesen und sorgte für die ordnungsgemäße Erledigung der laufenden Geschäfte und Korrespondenzen. Die Finanzkammer entwickelte bald ein starkes Eigenleben und war an sich nur unzureichend in die herkömmliche Ordinariatsstruktur integriert. Vor allem der Finanzdirektor war nur noch dem Erzbischof, nicht aber dem Generalvikar gegenüber verantwortlich. Dies führte zu einem gewissen hierarchischen Parallelismus in der Verwaltung. Zudem war die Verfügungs- und Verteilungsgewalt über die kirchlichen Finanzquellen naturgemäß ein Machtfaktor ersten Ranges. 98 Eine Art Geschäftsverteilung der Diözesanverwaltung für ca. 1943/44 bei Laube, Ordinariat, 46 f. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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In einem weiteren Sinne gehörten auch die (seit 1930 vereinigten) Gerichtsbehörden Konsistorium und Metropolitangericht zum Ordinariat. Auch hierbei handelte es sich um Kollegialbehörden unter Leitung des Offizials und Direktors des Metropolitangerichtes, jedoch gehörten zum Kreis der Richter teilweise auch Kleriker, die nicht Mitglieder des Metropolitankapitels waren.99 Keine eigenständige Behörde, aber ebenfalls Teil des Ordinariats, war die Kanzlei. Sie umfasste einerseits ein zentrales Schreibbüro – die Räte hatten keine eigenen Sekretärinnen – und die zentrale Registratur und das Archiv des Ordinariats ferner auch die Bibliothek des Metropolitankapitels. Kanzleiboten erledigten Hilfsarbeiten und die Hausverwaltung.100 Für die Diözesanverwaltung als Ganzes hat Volker Laube konstatiert, dass sie auf rein funktional-technische Abläufe hin orientiert war, selbst aber keine pastoralseelsorglichen Impulse geben konnte. Ihre Möglichkeiten waren zur Zeit Erzbischof Faulhabers »durch die dünne personelle Decke und das Fehlen einer behördlichen Struktur von vornherein stark eingeschränkt.«101 Insofern war sie in ihrer Zeit zwar einerseits effektiv hinsichtlich der Erledigung der formalisierten Aufgaben, vermochte aber nicht flexibel und mit neuen Methoden und Konzepten auf eine Veränderung der Gesamtsituation zu reagieren. Sie erwies sich als reformbedürftig, was aber erst nach dem Tod Kardinal Faulhaber im Sinne eines umfassenden Um- und Ausbaus und fortschreitender Professionalisierung geschah.102 Trotz gewisser Redundanzen und Reibungsverluste, die gerade aufgrund des Zusammenspiels unterschiedlicher, teilweise schwieriger Persönlichkeiten immer wieder auftraten, vermochte sie ihre Vorteile gerade in der Zeit des Dritten Reiches auszuspielen: Eine kleine, durch ein hohes Maß an Loyalität der Amtsträger auf das engste an die Kirche gebundene, im Inneren aufgrund eines nur bedingten Grades an struktureller Binnenorganisation flexibel an die jeweiligen Anforderungen anpassbare und in ihrem Handeln von bürokratischen Substrukturen ebenso wie von Apparaten oder sonstigen äußeren Notwendigkeiten nahezu vollkommen unabhängige Einrichtung. Der Pfarrklerus erhielt im Verlauf des 19. Jahrhunderts mehr und mehr den Charakter einer von der Verwaltungszentrale abhängigen Beamtenschaft. Insbesondere die noch nicht auf eine Pfarrei installierten Geistlichen gerieten in eine starke Abhängigkeit von der Verwaltung, die nun selbst über Art und Ort ihrer Verwendung entschied.103  99 So wird z. B. im Schematismus 1933, XV der Freisinger Kirchenrechtsprofessor Dominikus Lindner als Synodalrichter aufgeführt, im Schematismus 1939, XVI der Direktor des Salesianums, Alois Leinfelder, als Prosynodalrichter. 100 Vgl. Schematismus 1939, XVII. 101 Laube, Ordinariat, 46. Auch die gegenseitige Verflechtung der im Verlauf der 1920er und 1930er Jahre gegründeten Ämter und Behörden (Finanzkammer, Matrikelamt, Kirchensteueramt, Jugendseelsorgeamt) und ihre Integration in die bestehende Gremienstruktur gelangen nur unzureichend. 102 Dies vor allem im Hinblick auf die gesellschaftlich veränderte Situation in der Nachkriegszeit, vgl. hierzu Fellner, Kirche in Bayern, 79–100. 103 Bis in das 19. Jahrhundert hinein war die Anstellung und Versetzung der Hilfsgeistlichen eine Aufgabe gewesen, die direkt bei den jeweiligen Pfarrern selbst angesiedelt war. Freilich brachte die © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Hinzu kamen vermehrt zentralistische bürokratische Instrumente zur Kontrolle, Disziplinierung und Homogenisierung des Klerus: Der Ausbau des Prüfungs- und Berichtswesens durch Visitationen und regelmäßig durch den Klerus zu verfassende Berichte über den Stand der seelsorglichen Verhältnisse, etwa die Seelsorgeberichte und Schulberichte, regelmäßig veranstaltete Pastoralkonferenzen, die Ausweitung des Prinzips der Schriftlichkeit sowohl vor Ort in den Pfarreien durch allerhand zu führende Bücher und die Pfarramtsregistratur als auch in und durch die Zentrale selbst mittels allerhand Rundschreiben und Amtsblätter.104 Insbesondere das dichte Geflecht an Berichten sorgte für ein engmaschiges Netz an Informationen, welches die Maßnahmen zur Sozialkontrolle und Disziplinierung der Kleriker ergänzte und unterstütze. Auch die Teilnahme an Exerzitien war durch den Klerus nun schriftlich nachzuweisen, die Verlängerung der cura, der allgemeinen Beichtvollmacht ebenso schriftlich einzuholen wie die Erlaubnis zur – mehr als nur kurzfristigen – Entfernung vom Pfarrsitz. Das Pfarrbüro als Begriff und Einrichtung entstand ebenso erst vor diesem Hintergrund wie die umfänglichen Handbücher zur Pfarramtsverwaltung, die den Geistlichen nun einen Leitfaden für die »bürokratische Formalisierung der kirchenamtlichen Sozialbeziehungen«105 an die Hand gaben. Doch hatten sich zugleich Residuen einer vormodernen, höfisch-aristokratischen Herrschaftsstruktur erhalten. Während der Staat in den 1930er Jahren per Order die letzten noch gebräuchlichen Höflichkeits- und Ergebenheitsfloskeln im behördlichen Schriftverkehr abgeschafft hatte, hatten sich Priester bei Eingaben an das »hochwürdigste Ordinariat« noch standardisierter Briefvorlagen zu bedienen, die stark von hoheitsvoller Unterwerfungsrhetorik geprägt wahren. Das differenzierte höfische Zentralisierung für die Hilfsgeistlichen auch Vorteile, da sie nun nicht mehr in so starkem Maße der Willkür der lokalen Pfarrherren unterworfen waren. 104 Jede Seelsorgestelle hatte jährlich einen Bericht über die quantitative und qualitative Entwicklung des kirchlichen Lebens vor Ort, den so genannten Seelsorgebericht zu erstellen und an das Ordinariat einzusenden. Hierbei waren ähnlich wie in den Visitationsberichten verschiedenste Aspekte des kirchlichen Lebens zu berücksichtigen, jedoch lag der Fokus hier stärker auf den Entwicklungen der Gemeinde, die freilich auch bedingte Rückschlüsse auf das Wirken des Seelsorgers zuließen. Zu den Einzelberichten kamen ergänzend so genannte Generalseelsorgeberichte der Dekane hinzu, die als Kontrollraster für die von den Geistlichen selbst zu verfassenden Einzelberichten dienten, ferner war die Erzdiözese ergänzend zur regulären Dekanatsstruktur in Schuldekanate eingeteilt. Die Struktur der Schuldekanate war engmaschiger als die der regulären Dekanate, neben den 43 Dekanaten existierten 1939 86 Schuldekanate außerhalb des Stadtgebiets von München, zusätzlich war jeder Stadtpfarrer und Pfarrkurat im Stadtgebiet von München Schuldekan für sämtliche in seinem Pfarrgebiet liegenden Schulen; vgl. Schematismus 1939, 327–335. Die Schuldekane hatten Berichte über die schulischen Entwicklungen in ihrem Schuldekanat zu erstellen. Hierbei kam natürlich auch die Lage des durch die Geistlichen zu gebenden Religionsunterrichts und deren entsprechendes Verhalten in diesem Zusammenhang zur Sprache; vgl. AEM, Repertorium der Seelsorgeberichte und Generalseelsorgeberichte 1940–1967, Vorbemerkung; Zum kirchlichen Berichtswesen in der Erzdiözese München und Freising vgl. Forstner, Entstehung und Einordnung, 107–113; zur Bedeutung der Seelsorgeberichte als historische Quelle siehe auch Fellner, Kirche in Bayern, 2008, 30–33. 105 Ebertz, Modernisierungsprozesse, 77. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Gepränge mit der zeremoniellen Unterwerfung des Klerus unter seine Bischöfe vollzog sich in krassem Gegensatz zu einer Gesellschaftsordnung, deren – freilich nicht minder autoritäre – Führung demonstrative Volksnähe übte. Gehorsam, Ehrfurcht, Ehrerbietung wurden von den Priestern erwartet, die sich mit Eingaben an das Ordinariat wandten. Wer sich anders verhielt, musste mit Sanktionen rechnen. Bei Kritik an Strukturen und Abläufen des Ordinariats reagierte man empfindlich und unnachsichtig. Als Kooperator Georg Käufl106 von Neumarkt-St. Veit 1939 wegen Auseinandersetzungen um einen Radioanschluss in einem Brief der Erzbischöflichen Finanzkammer im allgemeinen einen »Mangel an einheitlicher Führung« und Domkapitular Grassl im besonderen »byzantinisches Bonzentum« und eine »paragraphierte[r] Krämerseele« unter »der Maske huldvoller Herablassung« vorwarf107, wurde er wegen »Autoritätsverletzung« umgehend strafversetzt, weitere Maßnahmen wurden ins Auge gefasst.108 Ein kritischer Typus wie Käufl, der seine Position gegenüber dem Erzbischof schließlich auch noch in einer umfangreichen Denkschrift niederlegte, in der er aus seiner Sicht bestehende Unzulänglichkeiten in der Diözesanverwaltung aufzeigte, der also weiterhin aufbegehrte und sich dem Mechanismus von Befehl und Gehorsam widersetzte, dürfte bei den Verantwortlichen des Ordinariates kaum auf große Gegenliebe gestoßen sein. Diskussionen waren unerwünscht, ohnehin alles, was die formalisierten Routineabläufe der Verwaltung störte oder behinderte. Der besondere Charakter der Bistumsverwaltung wird aber nicht allein durch die Mischung aus Elementen einer frühneuzeitlichen höfischen Organisation mit bürokratischen Elementen deutlich, sondern vor allem durch die Verwendung dieser Elemente zum Zweck der Kontrolle des klerikalen Personals. Denn der eigentliche Daseinszweck der kirchlichen Verwaltungsorganisation bestand in der Kontrolle der Loyalität, der Disziplin und des Gehorsams der Priesterschaft. Die Diözesanverwaltung repräsentierte so »einen hybriden Organisations- bzw. Administrationstypus, der in sich Elemente eines patrimonialen Verbandes, einer Kaderorganisation, aber eben zunehmend auch bürokratische Strukturen vereinte.«109

106 Georg Käufl, geb. am 07. 08. 1898 in Landshut, Priesterweihe 1922 in Freising, Koadjutor in Peiting, 1923 Vikar der Pfarrei Peiting, 1935 Kaplan bei St. Veit-Neumarkt, 1939 Koadjutor in Kiefersfelden, 1942 Kooperator in Velden, 1943 Pfarrer in Endlhausen, 1975 frei resigniert, Versetzung in den dauernden Ruhestand, gest. am 19. 04. 1989; AEM, Priesterpersonalakten P III 807. 107 Vgl. AEM, Priesterpersonalakten P III 807, Käufl an Grassl vom 21. 01. 1939, Buchwieser an Käufl vom 28. 02. 1939. Um welche Maßnahmen es sich handelte, wurde nicht näher ausgeführt. Eine ihm wohlgesinnte Person, der Käufl den Brief zuvor gezeigt hatte, warnte ihn eindringlich davor, diesen abzuschicken, »er solle doch nicht durch einen solchen Brief seine Carriere verderben, worauf ihm Käufl antwortet, er sch…sse darauf.« (Personalakt, Undatierte Vormerkung von Domkapitular Grassl). 108 So die mündliche Begründung von Generalvikar Buchwieser gegenüber Käufl, vgl. EAM, NL Faulhaber 5401, Denkschrift Käufl. 109 Ebertz, Modernisierungsprozesse, 79; zum Begriff der Kaderorganisation vgl. Lipp, Kaderorganisation. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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1.1.5 Faulhabers Führungsriege: Das Metropolitankapitel und zentrale Figuren der Diözesanleitung Wie mit Blick auf die ältere Forschung zur Diözesangeschichte treffend bemerkt wurde, stand der Erzbischof »zwar an der Spitze seines Erzbistums, aber […] er stand dort nicht allein.«110 Mit der Neuregelung der kirchlichen Verhältnisse durch das bayerische Konkordat vom 5. Juni 1817111 waren in allen bayerischen (Erz-) diözesen Kapitel an den Metropolitan- und Kathedralkirchen errichtet worden, die zum einen liturgische Verpflichtungen an den jeweiligen Domkirchen übernahmen, zum anderen und vor allem aber die Aufgabe hatten, den Bischof bei der Leitung der Diözese zu unterstützen und zu beraten. Gemäß den 1926 neu gefassten Statuten des Münchner Metropolitankapitels waren diesem drei Aufgabenkreise zugewiesen:112 Zum ersten bildeten die Domkapitulare die aus verschiedenen Gremien bestehende Diözesanverwaltung und übernahmen die zentralen Führungspositionen innerhalb der Diözese wie Generalvikar und Offizial. Zweitens hatten die Domkapitulare das tägliche Chorgebet in der Metropolitankirche zu versehen und drittens fiel ihnen im Fall der Sedisvakanz des erzbischöflichen Stuhls die vorübergehende Leitung des Erzbistums zu.113 Das Metropolitankapitel stellte mithin neben dem Bischof unstrittig das zentrale Führungsgremium der Erzdiözese dar. Faktisch ruhte zu dieser Zeit nahezu die gesamte Last der bischöflichen Verwaltung auf diesen Klerikern114, die in der Öffentlichkeit im Gegensatz zum Bischof nur sehr begrenzt wahrgenommen wurden. Im Gegensatz zu den alten adeligen Domkapiteln, die mit der Säkularisation auf110 Laube, Ordinariat, 38. 111 Vgl. hierzu Ammerich, Konkordat; Nesner, Metropolitankapitel, 479–484 und Benker, Metropolitankapitel 256 f. 112 Vgl. Statuta Capituli Metropolitani Monacensis et Frisingensis [1926], Druck bei Nesner, Metropolitankapitel, 589–594. Bezüglich der Aufgaben des Domkapitels ergaben sich aus den Statuten von 1926 keine wesentlichen Veränderungen gegenüber den älteren Statuten von 1841, die Neuordnung war aufgrund des Abschlusses des Bayerischen Konkordats 1924 erforderlich geworden. 113 Es wählte in einem solchen Fall aus seinem Kreis einen Kapitularvikar, der dann in beschränktem Umfang die Aufgaben eines Bischofs wahrnahm und somit die Kontinuität der Diözese garantierte. Neben diesem Aufgabenkreis versahen die Mitglieder des Metropolitankapitels eine Reihe weiterer Ämter, die historisch gewachsen waren: Das des Erzbischöflichen Theologen, des Pönitentiars (zuständig für die Absolution der dem Erzbischof vorbehaltenen Sündenstrafen), des Summus Custos der Domkirche (Verwaltung und Erhaltung der Domkirche), des Kämmerers (Verwaltung des Kapitelgutes und der Stiftungen), des Sekretärs (Erstellen von Kapitelprotokollen, Verwaltung des Kapitelarchivs), des Kapitelbibliothekars und schließlich nicht zuletzt das wichtige Amt des Dompfarrers; vgl. Statuta 1926 §§ 39–45 ferner Nesner, Metropolitankapitel, 487. 114 Dies wird vor allem bei der Durchsicht der Protokolle der Ordinariatssitzungen deutlich. Während sich Erzbischof Faulhaber zumeist auf einige wenige Einzelpunkte vor allem allgemeiner kirchenpolitischer und oft überdiözesaner Natur beschränkte, wurden die zentralen diözesanen Verwaltungsaufgaben durch das Domkapitel wahrgenommen. Dieses Faktum wird in der Forschung, wo häufig alle möglichen Initiativen und Aktionen auf die Person des Erzbischofs zurückgeführt werden, oftmals falsch eingeschätzt. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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gelöst worden waren115, setzten sich die Kapitel neuer Ordnung aus Klerikern zusammen, die aufgrund ihrer fachlichen Qualifikation und Erfahrung für die anstehenden Aufgaben entsprechend geeignet erschienen. Das Münchener Metropolitankapitel bestand regelmäßig aus zehn Kanonikern und zwei Dignitären (Dompropst und Domdekan)116, also aus zwölf Personen.117 Grundsätzlich genoss das Metropolitankapitel eine gewisse Unabhängigkeit vom Bischof: es bildete eine eigene juristische Persönlichkeit, regelte seine inneren Angelegenheiten nach vom Erzbischof approbierten Statuten selbst – so nahm der Erzbischof etwa an den Sitzungen des Metropolitankapitels nicht teil – besaß eigenes Vermögen und führte als Körperschaft auch ein eigenes Siegel.118 Die Besoldung der Mitglieder des Metropolitankapitels erfolgte durch den bayerischen Staat nach beamtenrechtlichen Maßstäben.119 Das Kapitel bildete die wichtigste Stütze des Bischofs in der Verwaltung der Erzdiözese. Seine Einbindung in die Herrschaftsstruktur erleichterte es den Erzbischöfen zudem, die Zustimmung des Kapitels in den Fällen zu erlangen, in denen ein consensus kanonisch vorgeschrieben war. Auf dieses Weise neutralisierten sich die traditionellen Gegenkräfte.120 Die formalen Modalitäten der Auswahl und Ernennung der geeigneten Kleriker für ein Kanonikat unterlagen im Untersuchungszeitraum mehrfach Änderungen. Im Konkordat von 1817 war festgelegt, dass dem Landesherren – also dem bayerischen König – das Nominationsrecht für alle Kanonikate zukam, die in ungeraden Monaten frei wurden.121 Ferner oblag ihm das Recht den Domdekan zu ernennen. In den geraden Monaten wurden die Domkapitulare abwechselnd vom Erzbischof ernannt (im Februar, Juni, Oktober) oder durch das Kapitel selbst gewählt (im April, August, Dezember). Die Ernennung des Dompropstes blieb dem Papst vorbehalten. Die Ernennung der Domvikare hingegen war vollständig dem Erzbischof überlassen.122 Die komplexen Regelungen, die in langwierigen Verhandlungen zustande gekommen 115 Zur Aufhebung des Freisinger Domkapitels 1802 vgl. Keil, Ende, 258–277. 116 Während der Dompropst als erste Dignität vornehmlich Repräsentationsaufgaben wahrzunehmen hat, führt der Domdekan die Geschäfte des Kapitels, vertritt es nach außen und leitet auch dessen Sitzungen. Nicht zuletzt achtet er auf die Aufrechterhaltung der Disziplin und die Pflichterfüllung der Kapitulare; vgl. Nesner, Metropolitankapitel, 490. 117 Hinzu kamen 6 Domvikare, die aber keine Vollmitglieder des Kapitels waren, sondern vor allem nachgeordnete Verwaltungs- und Kanzleiaufgaben und einige liturgische Pflichten wahrnahmen. Sie nahmen auch an den Sitzungen des Kapitels nicht teil; vgl. Nesner, Metropolitankapitel, 487; ein Verzeichnis der Domvikare ebenda 578. 118 Vgl. Nesner, Metropolitankapitel, 480. 119 Ursprünglich war im Konkordat von 1817 vorgesehen gewesen, der Kirche als Entschädigung für die Enteignungen in der Säkularisation Güter und ständige Fonds zuzuweisen, aus denen der Unterhalt der kirchlichen Verwaltung und damit auch der Domkapitel finanziert werden sollte. Dies geschah jedoch nie, stattdessen wurde und wird den Mitgliedern der Domkapitel und auch den bayerischen Bischöfen durch den Staat ein festes Gehalt bezahlt, vgl. Nesner, Metropolitankapitel, 480. 120 Vgl. hierzu Ebertz, Modernisierungsprozesse, 72. 121 Vgl. Benker, Metropolitankapitel, 256 und Nesner, Metropolitankapitel, 481. 122 Vgl. ebenda. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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waren, machen deutlich dass man sich dabei um ein Gleichgewicht der Kräfte bemüht hatte. Das Ende der Monarchie 1918 sowie auch die Neufassung des Kirchenrechts im CIC von 1917 schufen die Notwendigkeit einer Neuregelung, die mit dem Bayerischen Konkordat von 1924 in juristisch verbindliche Formen gegossen wurde. Dem bayerischen Staat wollte man nach 1918 das Nominationsrecht für die Domkapitel nicht mehr zugestehen.123 Das Konkordat von 1924 bestimmte dann die wechselnde Besetzung der Kanonikate durch freie Übertragung durch den Erzbischof nach Anhörung des Kapitels und durch Wahl der Kapitel.124 Hierüber kam es bald zu Auseinandersetzungen mit dem Hl. Stuhl, dem gemäß dem allgemeinen Kirchenrecht Reservatrechte bei der Ernennung von Kanonikern zustanden, was dazu führte, dass das Domkapitel sein Wahlrecht erst 1932 zum ersten Mal ausüben konnte.125 Eine irgendwie geartete Trennung zwischen vom Staat nominierten und vom Erzbischof ernannten bzw. vom Erzbischof ernannten und vom Kapitel gewählten Kapitularen innerhalb des Kapitels bestand nicht.126 Die Frage, durch wen die Kanoniker nominiert,

123 Vgl. Benker, Metropolitankapitel, 257. Das staatliche Nominationsrecht für die Domkapitel war mit dem Ende der Monarchie auf den bayerischen Kultusminister übergegangen. Zwischen 1920 und 1924 waren drei Kapitularstellen sowie die Stelle des Domdekans frei geworden, deren Wiederbesetzung dem Staat zustand und durch den Kultusminister auch vorgenommen wurde (Domkapitulare Schauer, Gartmeier, Buchwieser, Domdekan Hartl). Obwohl der Kultusminister sein Amt formal ausübte, war aber bereits vor der konkordatären Neuregelung 1924 mit dem kirchenfreundlichen bayerischen Kultusminister Franz Matt (1920 bis 1926) eine Regelung ausgehandelt worden, welche dem Erzbischof weitgehende Einflussmöglichkeiten sicherte. Die Regierung leitete nämlich sämtliche an sie gerichtete Ernennungsgesuche zur Prüfung an den Erzbischof, dieser schlug dann nach Beratung mit dem Apostolischen Nuntius dem Kultusminister den seines Erachtens geeignetsten Kandidaten vor. Der Minister vollzog dann nur noch die formale Ernennung, vgl. EAM, NL Faulhaber 5000/2, StMuK an Regierung von Oberbayern vom 28. 12. 1922 (Abschrift) mit maschinenschriftlichem Vermerk Faulhabers vom 11. 01. 1923; zur Kirchenpolitik Matts vgl. Schmidt, Franz Matt. 124 Bayerisches Konkordat 1924 Art. 14 § 2, vgl. auch Nesner, Metropolitankapitel, 486. Da die staatlichen Nominationsrechte dadurch wegfielen, konnte es in diesem Bereich – insbesondere auch nach 1933 – nicht mehr zu Konflikten zwischen Staat und Kirche kommen. 125 CIC 1917 can. 1435 § 1,1 bestimmte, dass dem Hl. Stuhl abweichend von den Bestimmungen des Konkordates jeweils dann ein Ernennungsrecht zustand, wenn es sich bei dem Inhaber des erledigten Kanonikates um einen päpstlichen Familiaren (Monsignore oder Prälaten) handelte. Da die Inhaber höherer Kirchenämter zumeist über diese Ehrentitel verfügten, stand dem Hl. Stuhl durch dieses Reservatrecht fast regelmäßig die Ernennung zu, die Konkordatsbestimmungen wurden ausgehebelt. 1925 (Hartig), 1927 (Hindringer) und 1928 (Graf von Preysing) machte Rom dann auch von diesem Vorrecht Gebrauch, bis der Hl. Stuhl sich in einer Ergänzungsvereinbarung zwischen Rom und dem bayerischen Staat bereit erklärte, auf die Ausübung seiner Reservatrechte zu verzichten, solange der Staat sich an den bischöflichen Dreiervorschlag bei staatlichen Patronaten gebunden fühle; vgl. Benker, Metropolitankapitel, 258 ferner Volk, Akten Faulhabers, Bd. 1, 566 Anm. 2. 126 Wenngleich es dort mitunter zu starken Fraktionsbildungen kam, so vor allem im Verlauf der späten 1930er Jahre zwischen den Domkapitularen Nikolaus Brem einerseits und Martin Grassl © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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ernannt bzw. gewählt wurden, war für die weiteren Karrieren – soweit ersichtlich – unerheblich. Ausschlaggebende Momente für die Berufung in das Kapitel waren vor allem die fachliche Qualifikation und auch der fachliche Bedarf innerhalb der Ordinariatsverwaltung.127 Zwischen 1918 und 1945 gehörten 29 verschiedene Männer dem Kapitel an.128 Die Berufung in das Metropolitankapitel erfolgte in der Regel zwischen dem 45. und dem 60. Lebensjahr. Das Durchschnittsalter bei Berufung in das Kapitel betrug 50,2 Jahre.129 Die Kapitelsmitglieder amtierten für gewöhnlich auf Lebenszeit bis zum Tod.130 Ein Ausscheiden aus dem Kapitel kam nur dann vor, wenn ein Kapitular oder Dignitär in ein höheres geistliches Amt berufen wurde; dies war immerhin bei drei der zwischen 1918 und 1945 Amtierenden der Fall.131 Das Verbleiben im Kapitel auf Lebenszeit und das relativ hohe Durchschnittsalter von 50,2 Jahren beim Eintritt in das Kapitel hatten zur Folge, dass das Kapitel insgesamt einen relativ hohen Altersdurchschnitt aufwies. Im Stichjahr 1920 betrug dieser 63,5 Jahre. Das jüngste Mitglied, Dr. Johannes Erik Müller132, war in diesem Jahr im Alter von 43 Jahren erst

und Johannes Neuhäusler andererseits, vgl. EAM, NL Faulhaber 5014, Denkschrift Krumme Wege von Domvikar Anton Forsthuber vom 19. 12. 1944. 127 Es konnten aber auch andere Motive ausschlaggebend sein, so etwa bei Emil Uttendorfer. Dieser war als Theologe fachlich hervorragend, eignete sich aber aufgrund seines schlechten Gesundheitszustand (hartnäckiges Halsleiden, schwache Augen) nicht für den Seelsorgedienst. Er wurde deshalb bereits als 26-Jähriger zu Arbeit in der Ordinariatsverwaltung herangezogen, schließlich zum Domvikar und 1890 auch zum Domkapitular ernannt; vgl. Nesner, Metropolitankapitel, 546 f. 128 Grundlage der folgenden Auswertungen bilden die Personalakten des Kapitels (AEM, Metropolitankapitel, Personalakten) und die Biographien der einzelnen Kapitulare und Dignitäre bei Nesner, Metropolitankapitel. Betrachtet wurden alle Domkapitulare und Dignitäre, die zwischen 1918 und 1945 dem Kapitel angehörten. 129 Berufungen vor dem 40. Lebensjahr kamen im Untersuchungszeitraum zweimal vor: Dr. Michal Buchberger, berufen 1908 im Alter von 34 Jahren und Dr. Dr. Erwin von Kienitz, berufen 1943 im Alter von 37 Jahren. 130 De iure konnten die Kanoniker nicht in den Ruhestand gehen. Bei Dienstunfähigkeit konnte ihnen jedoch infolge der Regelungen des Bayerischen Konkordats von 1924 mit Zustimmung des Staates ein Koadjutor mit dem Recht der Sukzession an die Seite gestellt werden, der zusätzlich vom Staat Gehalt bezog, vgl. Nesner, Metropolitankapitel, 485. Im Untersuchungszeitraum trat jedoch kein solcher Fall ein. 131 Dr. Johannes Erik Müller (1923 zum Apostolischen Vikar von Schweden ernannt), Dr. Michael Buchberger (1927 zum Bischof von Regensburg ernannt) und Dr. Konrad Graf von Preysing (1932 zum Bischof von Eichstätt ernannt). 132 Johannes (Erik) Müller, geb. am 14. 11. 1877 in Gründholm (bei Steinkirchen), Priesterweihe 1903 in Freising, Kaplan in Taufkirchen/Vils, Präfekt im Klerikalseminar Freising, 1908 kanonistische Studien in Rom und Kaplan bei S. Maria dell’ Anima, 1911 Promotion zum Dr. iur. can., Stiftskaplan an der Damenstiftskirche in München und Leiter des Katholischen Jugendfürsorgevereins, 1920 Domkapitular (vom Erzbischof ernannt), Caritasreferent, 1923 Ernennung zum Titularbischof von Lorea und Berufung zum Apostolischen Vikar für Schweden durch Papst Pius XI., 1943 Päpstlicher Thronassistent, 1953 erster Diözesanbischof des neu errichteten Bistums Stockholm, 1957 als Bischof resigniert, von Pius XII. zum Titularerzbischof von Pompeopolis ernannt, lebte zuletzt © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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in das Kapitel eingetreten, der Kapitelälteste, Johann Baptist von Neudecker133, gehörte ihm bereits seit 1899 an und stand zu diesem Zeitpunkt bereits im achtzigsten Lebensjahr. Neudecker amtierte jedoch noch weitere sechs Jahre als Dompropst, ehe er 1926 im Alter von 86 Jahren in diesem Amt verstarb. Diese Grundsituation veränderte sich im Laufe der Jahre nicht wesentlich. Im Jahr 1940 lag der Altersdurchschnitt der amtierenden Domkapitulare mit 61,3 Jahren nur unwesentlich unter dem von 1920, der Senior des Kapitels, Domkapitular Sebastian Fischer134, hatte ebenfalls bereits das achtzigste Lebensjahr erreicht und das jüngste Mitglied des Kapitels, Dr. Johannes Zinkl, war bereits 48 Jahre alt. Blickt man auf die soziale Rekrutierungsbasis des Kapitels, so fällt die überwiegende Herkunft aus agrarischen und kleinbürgerlichen Herkunftszusammenhängen auf. Mehr als ein Drittel der Domkapitulare (11 von 29) stammte aus Bauernfamilien, ein weiteres Drittel (9 von 29) aus dem Handwerkerstand. Nur vier von 29 Domkapitularen entstammten privilegierten gesellschaftlichen Schichten.135 Zugleich waren mit einer Ausnahme alle Domkapitulare in der Erzdiözese geboren oder zumindest dort aufgewachsen und sozialisiert worden.136 in Indersdorf (Obb.), gest. am 05. 04. 1965; vgl. AEM, Metropolitankapitel, Personalakt J. Müller; Nesner, Metropolitankapitel, 552 f.; Müller, Johannes (Erik), Lebenserinnerungen. 133 Johann Baptist von Neudecker, geb. am 04. 04. 1840 in Thalham, Priesterweihe 1864 in Freising, Koadjutor in Wolfratshausen, 1865–1882 Koadjutor, Kooperator, Kaplan und zeitweise Pfarrvikar in Landshut-St. Martin, 1882 Religionslehrer und Direktor des städt. Erziehungsinstituts für Realund Handelsschulen, 1890 Direktor des kgl. Erziehungsinstituts für Studierende in Landshut, Gymnasialprofessor und Schulrat, 1893 Direktor am kgl. Erziehungsinstitut für Studierende in München (Albertinum), 1898 Domkapitular (vom Prinzregenten ernannt), 1905–1917 Generalvikar, 1906–1914 Domdekan, 1911 Titularbischof von Helenopolis, 1914–1926 Dompropst, gest. am 15. 10. 1926; vgl. AEM, Metropolitankapitel, Personalakt Neudecker; Gatz, Bischöfe 1785/1803 bis 1945, 532 f.; Nesner, Bettinger, 81 f.; Nesner, Metropolitankapitel, 495 f. 134 Sebastian Fischer, geb. am 25. 02. 1860 in Trostberg, Priesterweihe 1884 in Freising, Kooperator in Ebersberg, 1886 Kaplan in München-Giesing, 1887 Kooperator in München-Hl. Geist, 1890 Expositus in Ramerberg, 1893 Benefiziat und Religionslehrer bei den Englischen Fräulein in Berg am Laim, 1902 Pfarrer in Prien, 1910 Stadtpfarrer in München-St. Ludwig, 1917 Domkapitular (vom König ernannt), 1923 Dompfarrer, Referent für Frauenorden und die Gesamtkirchenverwaltung München, 1936 vom Amt des Dompfarrers resigniert, behielt aber seine Aufgaben im Ordinariat, gest. am 01. 03. 1948; vgl. AEM, Metropolitankapitel, Personalakt S. Fischer; Nesner, Metropolitankapitel, 551. 135 Emil Uttendorfer war der Sohn eines höheren Verwaltungsbeamten, die Väter von Rudolf Hindringer und Erwin von Kienitz waren Staatsanwalt bzw. Landgerichtsrat, der Vater von Konrad Graf Preysing war Abgeordneter des Reichstags und des Bayerischen Landtags vgl. Nesner, Metropolitankapitel, 546 f., 555 f., 556 f. und 560 f. 136 Diese Ausnahme war Dr. Dr. Erwin von Kienitz, der am 05. 11. 1906 in Duisburg geboren wurde und in Frankfurt a. M. aufwuchs. Er stellte in mehrfacher Hinsicht eine außergewöhnlich Abweichung vom regulären Schema dar, da er zudem erst mit 18 Jahren zum katholischen Glauben gefunden hatte und aus – nach den Maßstäben der Zeit – gutbürgerlichen, aber zerrütteten Familienverhältnissen stammte. Die Ehe seiner Eltern war geschieden worden. Ungewöhnlich an Kienitz erscheint vor allem die Häufung an von der Norm abweichenden Merkmalen, die gleichwohl eine Karriere nicht verhinderten. Bereits zwei Jahre nach seiner Priesterweihe wurde Kienitz, der vor der Theologie ein Studium der Rechtswissenschaft absolviert hatte, zum Domvikar ernannt, stieg dann © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Aus dem Kreis der Domkapitulare ernannte der Bischof den Generalvikar, seinen allgemeinen und ständigen Vertreter in der Ausübung der bischöflichen Jurisdiktion.137 Der Generalvikar ist das Gegenstück zu dem die bischöfliche Weihegewalt stellvertretend ausübenden Weihbischof. Der Generalvikar hat aber eine überragende Stellung gegenüber allen anderen bischöflichen Mitarbeitern, insofern er der allgemeine Vertreter des regierenden Bischofs und folglich »Ortsordinarius« wie der regierende Bischof selbst ist.138 Als Generalstellvertreter (procurator generalis) übt der Generalvikar als alter ego des Bischofs die bischöfliche Jurisdiktion für diesen in bestimmten Bereichen aus, der Bischof hat also bestimmte Geschäfte dauerhaft an den Generalvikar delegiert.139 In gewissem Rahmen kam ihm auch die Verteilung der Aufgaben an die übrigen Referenten zu, sofern sie nicht bereits durch den Erzbischof selbst erfolgte. Obwohl es sich beim Amt des Generalvikars um ein Amt auf Widerruf handelt und der Erzbischof den Generalvikar jederzeit wieder hätte abberufen können, geschah dies zu Zeiten Faulhabers in keinem Fall. Drei der von ihm ernannten Generalvikare schieden durch schwere Krankheit oder Tod aus ihrem Amt, einer – Michael Buchberger – wurde auf einen Bischofsstuhl berufen, der letzte – Ferdinand Buchwieser – überlebte seinen Erzbischof und wurde von dessen Nachfolger, Erzbischof Wendel, zunächst wieder ernannt, dann aber abberufen. Noch Faulhabers Vorgänger, Erzbischof Franziskus von Bettinger, hatte den

innerhalb der Ordinariatsverwaltung zunächst zum Kanzleirat auf, habilitierte sich und wurde 1943 zum Domkapitular gewählt, obwohl es dort für einen weiteren Kanonisten an sich überhaupt keine Verwendung gab. Denn die Stelle des Offizials und Referenten für staatskirchenrechtliche Fragen war mit dem fachlich hoch qualifizierten Domdekan Dr. Anton Scharnagl bereits besetzt. Insofern kann die Karriere von Kienitz vor allem aus den Zeitumständen erklärt werden. Kienitz genoss sichtlich das Vertrauen Faulhabers und mit dem Anschwellen der rechtlichen Problematik während der NS-Zeit war der Bedarf des Kardinals an Rechtsgutachten so umfangreich geworden, dass der überbeschäftigte Anton Scharnagl allein hierzu wohl nicht mehr in der Lage war und ein weiterer Rechtsexperte für die Erstellung von Gutachten benötigt wurde. Kienitz verstarb, erst 41-jährig, am 22. 09. 1948; vgl. AEM, Metropolitankapitel, Personalakt Kienitz; ferner Nesner Metropolitankapitel, 560 f. 137 Entsprechend der kirchenrechtlichen Bestimmungen bestand aber kein Zusammenhang zwischen dem Amt des Generalvikars und einem Sitz im Domkapitel. Der Generalvikar musste entsprechend der Vorschriften des can. 367 §§ 1, 2 CIC ein dem Weltklerus angehörender, mindestens 30 Jahre alter Priester sein und sollte den akademischen Grad eines Doktors der Theologie oder eines Lizentiaten des kanonischen Rechts erworben haben. Zudem sollte er sich durch Rechtgläubigkeit, Rechtschaffenheit, Klugheit und Geschäftserfahrung empfehlen; vgl. Eichmann/Mörsdorf, Kirchenrecht, Bd. 1, 415–420; von Kienitz, Generalvikar und Offizial. 138 Vgl. Eichmann/Mörsdorf, Kirchenrecht, Bd.  1, 415 f. 139 Trotz ihrer überragenden Stellung bleibt das Wirken der Generalvikare eher verborgen, HansJürgen Brandt bemerkte hierzu treffend: »Generalvikare erhalten bekanntlich keine Biographien. Als alter ego sind sie Rechtsfiktionen und ihre persönlichen Züge nur schwer als Rückseite einer Pontifikatsmedaille zu entziffern. Zudem ist ihr Berufspatron der bis in den Tod verschwiegene Nepomuk auf der Moldaubrücke von Prag«; vgl. Brandt, Soldaten, 59. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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57-jährigen Domdekan Sebastian Huber140 im Januar 1917 als Nachfolger für den überarbeiteten und altersschwachen Johann Baptist von Neudecker erstmals zum Generalvikar ernannt. Nach Bettingers Tod am 12. April 1917, mit dem auch das Amt des Generalvikars erlosch, wählte das Metropolitankapitel Huber zum Kapitularvikar. Nach seinem Amtsantritt bestätigte Erzbischof Faulhaber im September 1917 die Entscheidung seines Vorgängers und setzte Huber erneut als Generalvikar ein. Dies entsprach der üblichen Vorgehensweise, da der neu ernannte Erzbischof sich somit in der Verwaltung bereits auf einen einigermaßen erfahrenen Mann stützen konnte. In Hubers kurze Amtszeit fielen die schwierige Zeit des Kriegsendes, der Revolution und der Räterepubliken. Fast erblindet, aber bis zuletzt in seinem Amt, verstarb Huber im August 1919 noch nicht sechzigjährig. Hubers Nachfolger wurde am 16. August 1919 der 45-jährige Domkapitular Michael Buchberger.141 Als vormaliger Professor für Kirchenrecht und bayerisches Verwaltungsrecht war Buchberger, der bereits 1908 im außerordentlich jugendlichen Alter von 34 Jahren zum Domkapitular ernannt worden war, für die verantwortungsvolle Führungsposition an der Spitze des Ordinariats bestens geeignet. Buchberger dürfte Faulhaber bereits aus seiner Zeit als Stellvertretender Feldpropst der Bayerischen Armee vertraut gewesen sein, da Buchberger während des Weltkriegs als Referent der Feldpropstei amtiert hatte.142 Sein Verhältnis zu Faulhaber, der Buchbergers Urteil schätzte, kann als ausgezeichnet charakterisiert werden. In Buchbergers Amtszeit als Generalvikar vollzog sich der Abschluss des für Bayern so wichtigen Konkordats von 1924. Nachdem Buchberger, wie vor ihm Neudecker, mit dem Ämtern des Weih140 Sebastian Huber, geb. am 17. 05. 1860 in Elendskirchen, 1886 Priesterweihe in Freising, Koadjutor in Prien, Präfekt am Erzb. Knabenseminar in Freising, 1890 Präfekt am Erzb. Klerikalseminar, Dozent für Philosophie am Freisinger Lyzeum, 1893 Promotion zum Dr. theol., Professor für Philosophie in Freising, widmete sich zudem schwerpunktmäßig der Lehrlingsbetreuung, Diözesanpräses der kath. Jugendvereine, Mitglied des Landesvorstands der Zentrumspartei, 1914 Ernennung zum Domdekan (durch König Ludwig III., ohne vorheriges Kanonikat), Direktor des Metropolitangerichts, Prosynodalexaminator, 1917 Generalvikar, gest. am 10. 08. 1919; vgl. AEM, Metropolitankapitel, Personalakt S. Huber; Nesner, Metropolitankapitel, 510 f. 141 Michael Buchberger, geb. am 08. 06. 1874 in Jetzendorf, Priesterweihe 1900 in Freising, Kaplan in Reichenhall, Präfekt am Erzb. Klerikalseminar, 1902 Promotion zum Dr. theol., Dozent für Homiletik und Sakramentenlehre am Erzb. Klerikalseminar, 1906 ao. Prof. für Kirchenrecht und bayerisches Verwaltungsrecht am kgl. Lyzeum Regensburg, 1907 Ehebandverteidiger am Konsistorium Regensburg, 1908 Domkapitular (vom Erzbischof ernannt), Direktor am Priesterhaus St. Johann Nepomuk und Kirchenrektor der Asamkirche, div. Ämter im kirchlichen Gerichtsbereich, Diözesanvorsitzender des kath. Pressvereins, Herausgeber des Lexikons für Theologie und Kirche, im Ersten Weltkrieg Leiter des Referats für Feldseelsorge im Erzb. Ordinariat, 1919–1927 Generalvikar, 1923 Titularbischof von Athribis, 1927 Dompropst (Februar – Dezember), 1927– 1961 Bischof von Regensburg, 1939 bis 1946 zugleich Apostolischer Administrator des Sudetenlandes, 1950 Titularerzbischof, gest. am 10. 06. 1961; vgl. AEM, Metropolitankapitel, Personalakt Buchberger; Mai, Buchberger; Gatz, Bischöfe 1785/1803 bis 1945, 77–80; Nesner, Metropolitankapitel, 496 f., siehe ebenda 603, Anm. 113 für weitere Literatur; sein Nachlass im Bischöflichen Zentralarchiv Regensburg (derzeit nicht zugänglich). 142 Vgl. Lankes, Weltkrieg, 152. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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bischofs (1923) und Dompropstes (1927) alle diözesanen Spitzenämter in einer Person vereinigt hatte und nach Faulhaber zum zweitmächtigsten Mann der Diözese aufgestiegen war, ereilte ihn die Berufung auf den Regensburger Bischofsstuhl. Sein Nachfolger wurde im Januar 1928 der bereits 74-jährige Matthias Dunstmair.143 Obwohl Dunstmair schon aufgrund seines hohen Alters als Figur des Übergangs erscheinen musste, brachte seine Ernennung zum Generalvikar einen maßgeblichen Modernisierungsimpuls für die Ordinariatsverwaltung. Bereits in seiner Funktion als Vorsitzender des Diözesan-Steuerverbandes (seit 1924) hatte er die Grundlagen zur Schaffung einer zentralen kirchlichen Finanzverwaltung gelegt.144 Zum 1. April 1928 wurde unter seiner Ägide die Erzbischöfliche Finanzkammer als eigenständige Verwaltungsstelle errichtet. Durch diese Einrichtung wurde die kirchliche Finanzverwaltung vereinheitlicht und zentralisiert. Auch in der übrigen Ordinariatsverwaltung ergaben sich grundlegende Veränderungen.145 Nach knapp zweieinhalb Jahren im Amt des Generalvikars erlitt Dunstmair einen Schlaganfall, der ihn zur Aufgabe dieses Amtes zwang. Ihm folgte am 1. Juli 1931 Domkapitular Rudolf Hindringer146 nach. Dieser hatte bereits eine beachtliche kirchliche Laufbahn hinter sich gebracht. Er war Verfasser zahlreicher Schriften zum Kirchen- und Staatskirchenrecht, hatte an der Universität Straßburg (an der Faulhaber von 1903 bis 1911 als Professor gewirkt hatte) promoviert und war 1918 auch für eine Professur für kirchliche Rechtsgeschichte in Bamberg in der engeren Wahl gewesen.147 1921 hatte er bereits eine Domvikarsstelle inne gehabt und war zwei Jahre als Auditor an der Sacra Romana Rota in Rom und daneben als Mitglied im Arbeitsausschuss für den Weltkatechismus tätig gewesen.148 Daher ver143 Matthias Dunstmair, geb. 21. 02. 1853 in Schabing, 1877 Priesterweihe in Freising, Koadjutor in Velden, 1880 Pfarrvikar in Moosen, Kooperator in Höslwang, 1881 Kooperator in Traunstein, 1883 Benefiziumsverweser und Stadtpfarrprediger ebenda, 1890 Pfarrer in Buchbach, 1897 Pfarrer in St. Veit bei Neumarkt, 1902 Pfarrer in Traunstein, nebenher Distriktsschulinspektor und Stadtschulreferent, Mitglied im Landesschulrat, Religionslehrer und Inspektor, im Frühjahr 1910 zuerst Berufung in das Domkapitel ausgeschlagen, im Dezember 1910 zweite Berufung angenommen (vom Prinzregenten ernannt), im Domkapitel zunächst Schulreferent, später Leiter des Personal- und Pfründereferates, 1924 Vorsitzender des Diözesan-Steuerverbandes und der Diözesan-Emeritenanstalt, 1928–31 Generalvikar, 1931 Dompropst, gest. am 22. 03. 1933; vgl. AEM, Metropolitankapitel, Personalakt Dunstmair; Gatz, Bischöfe 1785/1803 bis 1945, 151; Benker, Metropolitankapitel, 262; Nesner, Metropolitankapitel, 497 f. 144 Vgl. Nesner, Metropolitankapitel, 498. 145 Vgl. Amtsblatt München 1928, 3 f.; Laube, Ordinariat, 42 f. 146 Rudolf Hindringer, geb. am 04. 07. 1880 in Traunstein, 1904 Priesterweihe in Freising, Koadjutor in Garmisch, 1915 Promotion zum Dr. theol., 1921 Domvikar, 1923 Auditor an der Sacra Romana Rota in Rom, Prälat, 1925–1929 Erzbischöflicher Sekretär, 1927 Domkapitular (durch Papst Pius XI. ernannt), 1929 Offizial, 1931 Generalvikar, gest. am 01. 09. 1932; vgl. AEM, Metropolitankapitel, Personalakt Hindringer; Gatz Bischöfe 1785/1803 bis 1945, 309 f.; Nesner, Metropolitankapitel, 555 f. 147 Vgl. Nesner, Metropolitankapitel, 555. 148 Vgl. Volk, Akten Faulhabers, Bd. 1, 341. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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fügte er neben den entsprechenden Sprachkenntnissen auch über eine intime Kenntnis der vatikanischen Kurie, was für Faulhaber sicher von besonderem Nutzen war, weshalb er Hindringer am 1. Dezember 1925 zum Erzbischöflichen Sekretär ernannte.149 Jedoch war Hindringer für die Sekretärsstelle wohl einerseits zu alt, andererseits eindeutig überqualifiziert. Es verwundert deshalb einerseits nicht, dass er nach knapp 15 Monaten Tätigkeit als Sekretär im März 1927 auf das nächste frei werdende Kanonikat in das Domkapitel nachrückte. Andererseits mutete es jedoch etwas seltsam an, dass er als Domkapitular für mehr als zwei Jahre noch Erzbischöflicher Sekretär blieb, bevor er 1929 die Stelle des Offizials übernehmen konnte. Die 1931 erfolgte Ernennung des 51-jährigen Hindringer zum Generalvikar war für Faulhaber gewiss mit einer längerfristigen Perspektive verbunden. Geradezu optimal hatte er den zehn Jahre jüngeren Priester auf dieses Spitzenamt vorbereitet. Doch der plötzliche Tod Hindringers, nach nur 14 Monaten Amtszeit, im September 1932 nötigte Faulhaber, sich erneut nach einem geeigneten Kandidaten umzusehen. Die Wahl Faulhabers fiel nun überraschenderweise auf eine Person von ganz anderem Zuschnitt: Ferdinand Buchwieser.150 Dieser gehörte dem Domkapitel seit 1924 an und stand im 57. Lebensjahr, war also etwas jünger als der Erzbischof. Faulhaber selbst hatte 1924 die Berufung des damaligen Pfarrers von Taufkirchen in das Kapitel veranlasst.151 Im Ordinariat hatte Buchwieser vor seiner Ernennung zum Generalvikar das Schulreferat geführt. Für das neue Amt zeichnete ihn – im Gegensatz zu seinen Vorgängern wie dem intellektuell profilierten Buchberger oder den auch mit römischer Erfahrung versehenen Hindringer – nichts besonders aus. Mehr 149 Die Sekretäre waren vor allem mit der Bearbeitung der Korrespondenz des Erzbischofs beschäftigt, wobei aber unklar ist, in welchem Umfang sie unter Faulhaber Einblick in Detailfragen erhielten. Dies war wohl stark von ihrer Persönlichkeit und ihren Fähigkeiten abhängig. Als Sekretäre Faulhabers amtierten von 1917 bis 1922 Alfons Ammer, von 1922 bis 1925 Anton von Wehner, von 1925 bis 1929 Dr. Rudolf Hindringer, von 1929 bis 1939 Dr. Josef Weißthanner, von 1939 bis 1945 Dr. Hubert Wagner, von 1945 bis 1948 Josef Thalhamer und von 1948 bis zum Tod Faulhabers 1952 Johannes Waxenberger. Dieser hatte wohl nicht geringen Einfluss auf den über achtzigjährigen Kardinal und überwarf sich ob der Ausgestaltung seines Handlungspielraums 1953 mit Faulhabers Nachfolger Kardinal Wendel. Er verweigerte den dem Bischof geschuldeten Gehorsam und flüchtete unter Vorspiegelung falscher Tatsachen mit den Dokumenten und Tagebüchern Faulhabers in ein oberitalienisches Kartäuserkloster. Über die grotesk anmutenden Vorgänge berichtete seinerzeit sogar das Hamburger Nachrichtenmagazin »Der Spiegel« in Nr. 35/1953, 25 (Sonstige Angaben nach Schematismen 1917 bis 1952). 150 Ferdinand Buchwieser, geb. am 10. 10. 1874 in Soroki/Erzbistum Lemberg (1877 Rückkehr der Familie nach Deutschland), 1899 Priesterweihe in Freising, Kaplan in Berchtesgaden, 1901 Kaplan in München-Giesing, 1903 Expositus in Putzbrunn, 1904 Benefiziat in Taufkirchen, 1909 Pfarrer ebenda, Distriktsschulinspektor, 1924 Domkapitular (auf Vorschlag Faulhabers durch den bayerischen Kultusminister ernannt), im Domkapitel mit dem Schulreferat betraut, 1932–1952 Generalvikar, 1936 Päpstl. Hausprälat, 1942 Apostol. Protonotar, 1943 Domdekan, 1952 Kapitularvikar, 1952–53 erneut Generalvikar (unter Erzbischof Wendel), gest. am 16. 12. 1964; vgl. AEM, Metropolitankapitel, Personalakt Buchwieser; Gatz, Bischöfe 1785/1803 bis 1945, 81; Benker, Metropolitankapitel, 167 f., Nesner, Metropolitankapitel, 512 f. 151 EAM, NL Faulhaber 5000/2, Faulhaber an StMuK vom 24. 02. 1924. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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als seine Vorgänger verschwand Buchwieser hinter dem Amt, effektives und zugleich diskretes Agieren charakterisierte seine Amtsführung. Persönliche Urteile über ihn sind kaum überliefert.152 Buchwieser pflegte einen eher unbürokratischen Stil, mündliche Verhandlungen zog er – ganz im Gegensatz zu seinem eher menschenscheuen Bischof – schriftlichen Eingaben vor.153 Buchwieser übte sein Amt knappe 20 Jahre bis zum Tod Faulhabers und anschließend noch ein weiteres Jahr unter dessen Nachfolger Joseph Wendel aus. Das Institut der Weihbischöfe war in Bayern durch das Konkordat von 1817 nicht vorgesehen gewesen. Infolge der insbesondere durch den Bevölkerungsanstieg im Verlauf des 19. Jahrhunderts stets zunehmenden Weihehandlungen (vor allem Firmungen) wurde seine Einrichtung zur Entlastung der stark beanspruchten Diözesanbischöfe jedoch unumgänglich und schließlich auf Basis einer Vereinbarung zwischen dem Hl. Stuhl und dem Königreich Bayern 1910 geregelt.154 Ihre Ernennung erfolgte durch den Hl. Stuhl, die Auswahl geeigneter Kandidaten war aber stark lokal geprägt. Die Münchner Weihbischöfe gingen allesamt aus dem Metropolitankapitel hervor und gehörten diesem auch nach ihrer Bischofsweihe weiterhin an. Gemäß Kirchenrecht verfügten die mit einem Titularbistum ausgestatteten Weihbischöfe zwar über die Weihegewalt eines Bischofs, im Gegensatz zum Ortsbischof jedoch nicht über die Oberhirtengewalt.155 Ihr Einfluss auf die Diözesanregierung qua Amt blieb folglich beschränkt, sofern er sich nicht aus anderen Quellen speiste – etwa den zusätzlich als Referent in der Ordinariatsverwaltung wahrgenommenen Aufgaben. Jedoch kam den Weihbischöfen durch die große Zahl an öffentlichen Auftritten im Rahmen ihrer Weihetätigkeit und die damit verbundene Predigttätigkeit eine starke Öffentlichkeitswirksamkeit im gesamten Diözesangebiet zu. Mit Ausnahme des früh verstorbenen Alois Hartl bekleideten die Weihbischöfe in der Regel zugleich das Amt des Dompropstes.156 Vom Ende des Ersten bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs amtierten in der Erzdiözese München und Freising fünf Weihbischöfe. 152 So konnte sich von den Klerikern aus der Priesterbefragung 2003 nur sein damaliger Sekretär, Friedrich Frei, an Buchwieser erinnern, auch dessen Bild blieb jedoch sehr im Unbestimmten; vgl. auch Frei, Friedrich, Verfolgungen, bes. 408 f. 153 Vgl. etwa AEM, NL Thalhamer I, Stw. Jugend, Buchwieser an Ordinariat Regensburg vom 02. 02. 1943. 154 Vgl. hierzu Nesner, Bettinger, 108 ff. 155 Zum Amt der Weihbischöfe vgl. Eichmann, Kirchenrecht, Bd. 1, 267 ff. 156 Jedoch kann hierin zwar eine Gewohnheit, aber kein Automatismus gesehen werden. Vor allem kam es häufiger zu Überschneidungen der Amtszeiten: Alois Hartl, der nur zwei Jahre vor seinem überraschenden Tod 1923 zum Weihbischof ernannt worden war, konnte das Amt nicht erlangen, da er bereits verstarb, als Weihbischof Neudecker zwar sein Bischofsamt nicht mehr ausübte, als Dompropst aber noch amtierte. Nachdem Neudecker 1926 verstorben war, wurde der bereits amtierende Weihbischof Buchberger auch sein Nachfolger als Dompropst. Nach Buchbergers Berufung auf den Regensburger Bischofsstuhl dauerte es jedoch bis Juli 1928, bis der Hl. Stuhl mit Johann Baptist Schauer einen Nachfolger als Weihbischof ernannte. Inzwischen hatte Papst Pius XI. im März 1928 aber Generalvikar Matthias Dunstmair zum Dompropst ernannt. Erst nach Dunstmairs Tod 1933 wurde Weihbischof Schauer dann auch Dompropst. Sein Nachfolger, der © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Johann Baptist von Neudecker war der erste Weihbischof der Erzdiözese München und Freising. Er war bereits 1911 von Papst Pius X. ernannt worden. Seit 1905 amtierte er unter den Erzbischöfen Franz Joseph von Stein (1897–1909) und Franz von Bettinger (1909–1917) auch als Generalvikar, zudem bekleidete er von 1906 bis 1914 das Amt des Domdekans und von 1914 bis 1926 das des Dompropstes. Der hoch angesehene Neudecker galt als fachlich außerordentlich qualifiziert und war in den ersten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts ohne Zweifel die bedeutendste Figur in der Diözesanleitung. Kurz vor dem Tod Kardinal Bettingers 1917 hatte Neudecker den Höhepunkt seiner Karriere erreicht, als er im Januar sein Generalvikarsamt aus Gesundheitsgründen aufgeben musste. Bereits im Folgejahr erlitt Neudecker einen Schlaganfall, der den bald Achtzigjährigen zwang, auch seine übrigen Ämter ruhen zu lassen. Domkapitular Michael Buchberger übernahm bis zur Bestellung eines Nachfolgers als Weihbischof größtenteils seine Vertretung. Dennoch amtierte Neudecker trotz Lähmung, Taubheit und zunehmendem Verlust des Augenlichts bis zu seinem Tod im 87. Lebensjahr als Dompropst. Im Juni 1921 ernannte Papst Benedikt XV. Domkapitular Alois Hartl157 zum Titularbischof von Germaniciana und Weihbischof in München und Freising, da eine Besserung des Gesundheitszustandes Neudeckers zu diesem Zeitpunkt nicht mehr wahrscheinlich war. Hartl, zuvor im Domkapitel vor allem mit Schulfragen und der Ausbildung des Priesternachwuchses beschäftigt, amtierte nur knapp zwei Jahre und verstarb bereits 1923 an den Folgen eines auf einer Firmreise erlittenen Herzinfarkts. Sein Nachfolger als Weihbischof wurde im selben Jahr Domkapitular Michael Buchberger, der – wie oben erläutert – seit 1919 bereits als Generalvikar amtierte. Nachdem Buchberger dem verstorbenen Anton von Henle als Bischof von Regens-

bisherige Domdekan Anton Scharnagl wurde von Pius XII. dann am selben Tag sowohl zum Weihbischof als auch zum Dompropst ernannt. Obwohl Scharnagl seit den späten 40er Jahren nicht mehr als Weihbischof amtierte und in Johannes Neuhäusler einen Nachfolger in diesem Amt gefunden hatte, behielt er das Amt des Dompropstes bis zum Tod 1955. Wiederum war es mit Neuhäusler der Weihbischof, der dann das Amt des Dompropstes übernahm. Diese Entwicklungslinie setzte sich mit den Weihbischöfen und Dompröpsten Ernst Tewes, Franz Xaver Schwarzenböck, Engelbert Siebler und Bernhard Haßlberger bis in die Gegenwart fort, wobei es jedoch seit den späten 1960er Jahren durch die Beschränkung der Amtszeit der Dignitäre und die Vermehrung der Weihbischöfe zu Veränderungen kam. 157 Alois Hartl, geb. am 01. 09. 1845 in Nassenhausen, Priesterweihe 1872 in Freising, Kurat in München-St. Johann Nepomuk, 1873 Dritter Präfekt im Erzb. Knabenseminar Freising, 1876 Studienlehrer in Scheyern, 1880 Zweiter Präfekt im Erzb. Knabenseminar Freising, 1888 Pfarrer in Obertaufkirchen, 1890 Direktor des Erzb. Knabenseminar Freising, 1892 Direktor des Erzb. Klerikalseminars, zugleich ao. Prof. für Pastoraltheologie und Pädagogik, 1901 o. Prof. ebenda, 1906 Domkapitular (vom Prinzregenten ernannt), Verwaltungsrat für Erzb. Diözesanseminarien, Rat am Erzb. Konsistorium und Ehebandverteidiger, 1911 ständiger Kommissar für höhere Schulen im Bereich des Erzbistums, Prosynodalexaminator, 1921 Titularbischof von Germaniciana, gest. am 22. 07. 1923; vgl. AEM, Metropolitankapitel, Personalakt Hartl, Gatz, Bischöfe 1785/1803 bis 1945, 286; Nesner, Metropolitankapitel, 550. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Die kirchlichen Rahmenbedingungen 1918 bis 1945

burg nachgefolgt war, wurde der Germaniker Johann Baptist Schauer158 1928 zum neuen Weihbischof ernannt. Schauers Amtszeit umfasste 14 Jahre und währte bis zu seinem plötzlichen Tod im September 1942. Schauer, im Domkapitel Referent für die Seminare, war ein wichtiger diözesaner Reformmotor und maßgeblich für die Steigerung der Attraktivität der Klerusausbildung und den damit verbundenen Anstieg an Priesterberufungen in den 1920er und 1930er Jahren verantwortlich.159 Nachfolger Schauers wurde 1943 Offizial und Rechtsreferent Dr. Anton Scharnagl, eine der wichtigsten Figuren des höheren Klerus in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.160 Scharnagl war als ehemaliger Professor des kanonischen Rechts und des bayerischen Staats- und Verwaltungsrechts an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Freising nicht nur ein hervorragender Kenner sowohl des kirchlichen wie des weltlichen Rechts. Als Abgeordneter des Bayerischen Landtags, in dem er während der gesamten Zeit der Weimarer Republik von 1919 bis 1933 die Interessen der Kirche vertreten hatte, war er zudem ein intimer Kenner der politischen Verhältnisse Bayerns. Auf Vorschlag Kardinal Faulhabers war er 1930 ohne vorher ein Kanonikat inne gehabt zu haben, von Papst Pius XI. zum Domdekan ernannt worden. Seit 1. Januar 1934 übte Scharnagl zudem das Amt des Offizials aus. Dieses gewann unter Scharnagl vor allem dadurch seine herausragende Bedeutung, dass unter seiner Leitung nicht nur wie bereits zuvor Konsistorium und Metropolitangericht in Personalunion vereinigt waren161, sondern dass sich mit ihm die in der 158 Vgl. zu seiner Biographie ausführlich Kapitel 2.2.2 dieser Arbeit. 159 Vgl. hierzu ebenfalls ausführlich Kapitel 2.2.2. 160 Anton Scharnagl, geb. am 15. 11. 1877 in München, Priesterweihe 1901 in Freising, Koadjutor in Prien, 1902 Kaplan in München-Maria Hilf, 1904 Kurat beim Priesterhaus St. Johann Nepomuk, Studium des Kirchenrechts, 1906 Benefiziat am Münchner Dom, Promotion zum Dr. iur. can., 1907 Fortsetzung der Studien in Bonn, 1908 Habilitation, 1909 Lehrauftrag an der Universität München, 1911 ao. Prof. für Kirchenrecht und Bayerisches Staats- und Verwaltungsrecht am kgl. Lyzeum Freising, 1919 o. Professor ebenda, 1919 bis 1933 Abgeordneter des Bayerischen Landtags (BVP), 1929/30 Rektor der Freisinger Hochschule, 1930 Ernennung zum Domdekan, 1933 kurzzeitige Gestapo-Schutzhaft, 1934–1955 Offizial und Rechtsreferent im Erzb. Ordinariat, 1940 erneute Gestapo-Haft, 1943 Titularbischof von Zenopolis und Dompropst, 1947/48 wurde S. im Spruchkammerverfahren vom Vorwurf des Geheimnisverrats an die Gestapo freigesprochen, seine öffentliche Reputation blieb aber beschädigt, gest. am 19. 01. 1955. Scharnagls populärer jüngerer Bruder Karl (1881–1963) amtierte von 1925–1933 und 1945–1948 als Oberbürgermeister Münchens und war nach 1945 einer der Mitbegründer der CSU. Das v. a. auch in kirchlichen Kreisen weit verbreitete Gerücht, der Münchner Bildungspolitiker Anton Fingerle (1912–1976) sei der illegitime Sohn Scharnagls, ist nachweislich unwahr; vgl. AEM, Metropolitankapitel, Personalakt Scharnagl; EAM, NL Faulhaber 5007; Gatz, Bischöfe 1785/1803 bis 1945, 650 f.; Benker, Metropolitankapitel, 271 f.; Nesner, Metropolitankapitel, 499 f.; für wertvolle Hinweise danke ich Kaplan Marco Piranty (München), der an einer Biographie Scharnagls arbeitet. 161 Im kirchlichen Gerichtsbereich waren das Metropolitangericht und das Konsistorium in der Erzdiözese München und Freising ursprünglich getrennte Behörden. Erst 1930 wurden beide in Personalunion unter Leitung des Offizials zusammengelegt. Während beide Behörden zunächst nur unter der Bezeichnung Konsistorium firmierten, setzte sich Mitte der 1930er Jahre unter Offizial Scharnagl die Bezeichnung Konsistorium und Metropolitangericht durch. Dessen Bedeutung stieg © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Folge lange geübte Gewohnheit herausbildete, dem Offizial die Leitung des Referats für alle rechtlichen Angelegenheiten in der Ordinariatsverwaltung zu übertragen.162 Insofern war er Mitglied der exekutiven wie der judikativen Gewalt.163 Vor allem in der schwierigen Zeit des NS-Regimes mit ihren zahlreichen Konkordatsverletzungen, wurden Scharnagls fundierte Gutachten und Stellungnahmen zu allen staatskirchenrechtlichen Themen eine unverzichtbare Entscheidungs- und Argumentationshilfe für Kardinal Faulhabers Politik der legalistisch argumentierenden Eingaben bei den staatlichen Stellen. Teilweise gelangten seine Gutachten zu politischen Fragen bis nach Rom.164 Scharnagl entwickelte eine ungeheurere Produktivität und zeichnete auch für die juristische Beilage zum Klerusblatt verantwortlich. Da er infolge der gegen ihn nach 1945 erhobenen Anschuldigungen, er habe geheime kirchliche Angelegenheiten an die Gestapo weitergegeben165, öffentlich diskreditiert war, wurde auf Wunsch Faulhabers Domkapitular Johannes Neuhäusler durch Papst Pius XII. zum Weihbischof ernannt. Dieser übernahm nun die offiziellen bischöflichen Funktionen Scharnagls. Die gelegentlich vorgebrachte Behauptung, Scharnagl sei nach seinem Freispruch 1948 nicht mehr öffentlich als Weihbischof aufgetreten, ist nach Ausweis der Quellen jedoch unzutreffend.166 durch die Ämterkumulation an. Das Konsistorium bildete die Erste Instanz für die Eheprozesse aus der Erzdiözese München und Freising, das Metropolitangericht die Zweite Instanz für alle strittigen Disziplinar-, Ehe- und Benefizialangelegenheiten aus den Suffraganbistümern Augsburg, Passau und Regensburg. Ferner fungierte das Metropolitangericht als päpstlich delegierte dritte Instanz für Angelegenheiten aus allen bayerischen Diözesen. Für alle Disziplinarverfahren gegenüber Geistlichen und Laien bildete jedoch das Generalvikariat die erste Instanz, für die Appellationsverfahren war hier das Gericht des Bistums Augsburg zuständig; vgl. Schematismus 1939, XVI; Laube, Ordinariat, 39. 162 Als Offiziale der Erzdiözese und damit Leiter des Konsistoriums vor der Vereinigung mit dem Metropolitangericht fungierten die Domkapitulare Emil Uttendorfer (1914–1929) und Rudolf Hindringer (1929–1930). Als Leiter des Metropolitangerichts amtierten vor der Vereinigung Sebastian Huber (1914–1919), Martin Hartl (1919–1925) und Sebastian Degenbeck (1925–1930). Nach dem Tod von Domdekan Degenbeck im Januar 1930 wurden beide Ämter unter der Leitung von Rudolf Hindringer vereinigt. Nachdem Hindringer im Juli 1931 in das Amt des Generalvikars wechselte, übernahm Konrad Graf Preysing kurzzeitig das Doppelamt des Offizials und Direktor des Metropolitangerichts, gab es aber bereits Ende 1932 wieder ab, nachdem er zum Bischof von Eichstätt ernannt worden war. Ihm folgte – offenbar mangels geeigneter personeller Alternativen – der fachlich nur wenig geeignete Domkapitular Josef Gartmeier, der dann infolge finanzieller Unregelmäßigkeiten Ende 1933 bereits wieder zur Amtsaufgabe gezwungen wurde. 163 Dies relativierte sich in gewisser Weise wiederum dadurch, dass eine solch saubere Trennung ohnehin nicht existierte, insoweit das Generalvikariat als Organ der bischöflichen Verwaltung zugleich auch die Disziplinargewalt gegenüber dem Klerus ausübte. 164 So beauftragte Kardinal Faulhaber etwa im Februar 1934 Scharnagl mit der Erstellung eines Gutachtens für den Vatikan über die Auswirkungen des Gesetzes zum Neuaufbau des Reiches – mit dem die Länderparlamente und Hoheitsrechte der Länder aufgehoben worden waren – auf die kirchenpolitischen Verhältnisse; vgl. AEM, Ordinariatssitzungsprotokoll vom 02. 02. 1934. 165 Vgl. hierzu Gritschneder, Scharnagl. 166 So etwa noch Nesner, Metropolitankapitel, 500. Hingegen lassen die Auflistungen der Pontifikalhandlungen in den entsprechenden Beilagen zum Amtsblatt ein Nachlassen der öffentlichen © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Johannes Neuhäusler167 war seit seiner Ernennung im November 1932 eine der wichtigsten Figuren im Domkapitel. Im Ordinariat war der vormalige Präsident des Ludwig-Missions-Vereins Referent für die katholischen Vereine, die Laienbewegung Katholische Aktion, die Presse und den Rundfunk, Exerzitien und Mission. Nach der NS-Machtergreifung beauftragte Faulhaber ihn mit der Beobachtung der antikirchlichen Agitation der Nationalsozialisten.168 Neuhäusler fiel aber auch ein Großteil der Verhandlungen und Proteste bei Behörden und Parteistellen zu, welche der eher kontaktscheue Faulhaber persönlich weitgehend mied.169 Belege für Konflikte zwischen Nationalsozialismus und Kirche schaffte Neuhäusler im kirchlichen Auftrag auch ins Ausland, vor allem in den Vatikan.170 Hierbei bediente er sich verschiedener Kuriere, vor allem der ihm von Faulhaber anempfohlenen Schriftstellerin Graziella Schneidhuber171 und des Rechtsanwalts Dr. Josef Müller.172 Nachdem Neuhäusler Tätigkeit Scharnagls nach 1948 nicht erkennen. So stand er etwa allein im Jahr 1950 über 30 Firmgottesdiensten im Diözesangebiet vor, vgl. Beilage zum Amtsblatt München 1950, Nr. 4. 167 Johannes Neuhäusler, geb. am 27. 01. 1888 in Eisenhofen, Priesterweihe 1913 in Freising, Koadjutor in Oberaudorf, 1917 Präses am Zentralgesellenhaus München, 1918 Zentralkassier und Sekretär des Ludwig-Missions-Vereins, 1923 Präsident des Ludwig-Missions-Vereins, 1925 Präsident des Landeskomitees für Pilgerfahrten, Initiator des diözesanen Exerzitienhauses Fürstenried und des Spätberufenenseminars, 1932 Domkapitular (vom Erzbischof ernannt), 1933 kurze Schutzhaft, 1941–1945 in den Konzentrationslagern Sachsenhausen und Dachau interniert, 1947 Weihbischof, 1955 Dompropst, 1961 Kapitularvikar, Päpstl. Thronassistent, 1968–1971 Bischofsvikar für die Seelsorgsregion Nord, gest. am 14. 12. 1973; vgl. AEM, Metropolitankapitel, Personalakt Neuhäusler, Benker, Metropolitankapitel, 272 ff.; Pfister, Neuhäusler; Nesner, Metropolitankapitel, 500 f. Höchst eigenwillig erscheint das starke Engagement Neuhäuslers zugunsten ehemaliger hochrangiger Nationalsozialisten (etwa des SS-Generals Karl Wolff oder der Witwe des KZ-Kommandanten von Buchenwald, Ilse Koch) nach 1945. Dieses bedarf noch einer kritischen historischen Aufarbeitung. Der sehr umfangreiche und hochinteressante Nachlass Neuhäuslers im AEM ist aufgrund der Bestimmungen des kirchlichen Archivgesetzes vsl. bis zum Jahr 2034 für die Benutzung gesperrt. 168 Vgl. Neuhäusler, Amboß, 14 f. 169 Er selbst führte eine Reihe von Verhandlungspartner an, die den Umfang seiner Aufgaben andeuten: »… in Berlin z. B. bei Herrn v. Papen, bei Kirchenminister Kerrle [sic!] und seinem Staatssekretär Buttmann, bei Ministerialdirigent Roth, in Bayern bei Ministerpräsident Siebert, den Staatsministern Esser und Wagner, Staatssekretär Köglmaier, Polizeipräsident Eberstein u. a.«; vgl. Neuhäusler, Amboß, 16. 170 Ziel war einerseits die zuverlässige Unterrichtung vatikanischer Stellen über kirchenfeindliche Maßnahmen des NS-Regimes, andererseits ihre gezielte öffentliche Bekanntmachung in ausländischen Presse- und Publikationsorganen, um so durch eine Art Gegenpropaganda den Druck auf das NS-Regime zu erhöhen. So erschien auf Basis des Materials Neuhäuslers bereits 1940 in England das von einem anonymen Verfasser herausgegebene Sammelwerk The persecution of the Catholic Church in the Third Reich. Facts and Documents translated from the German, London 1940. 171 Vgl. Neuhäusler, Amboß, 131. Sie war die Schwägerin des im Zuge der parteiinternen Säuberungen (sog. Röhm-Putsch) 1934 ermordeten SA-Obergruppenführers und Münchener Polizeipräsidenten August Schneidhuber (1887–1934). Nach der Verhaftung Neuhäuslers wurde sie gleichfalls verhaftet, in das KZ Ravensbrück überstellt und später ermordet. 172 Vgl. Neuhäusler, Amboß, 132 f.; Deutsch, Verschwörung, 129 f.; Müller, Josef, Konsequenz, passim [s. Register]. Dr. Josef Müller (1898–1979) war Rechtsanwalt in München und hatte Kontakt © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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bereits im Dezember 1933 erstmal kurzzeitig in Haft genommen worden war, wurde er am 4. Februar 1941 wegen Verbindung mit dem politischen Katholizismus im Ausland erneut verhaftet, in München verhört und einige Tage später nach Berlin verbracht. Am 24. Mai 1941 kam Neuhäusler in das Konzentrationslager Sachsenhausen, im Juli desselben Jahres wurde er als Sonderhäftling in das Konzentrationslager Dachau verlegt, wo er bis zu seiner Evakuierung nach Italien im April 1945 und der dortigen Befreiung durch alliierte Truppen verblieb.173 Neuhäusler war bis zu seiner Verhaftung die wohl wichtigste Quelle Faulhabers und des Domkapitels über kirchenfeindliche Aktionen der Behörden und Parteistellen im nationalsozialistischen Deutschland. Die Verhaftung Neuhäuslers im Februar 1941 hatte ohne Zweifel eine empfindliche Lücke in der kirchlichen Verwaltungsorganisation hinterlassen, gravierender wog aber wohl der Verlust Neuhäuslers als Informant und Mittlerfigur. Dieser wurde nun durch Domvikar Josef Thalhamer174 teilweise, jedoch auf gänzlich andere Weise, kompensiert. Thalhamer entstammte einer Münchener Gastwirtsfamilie und hatte seit jeher starke Neigungen zu nationalistischen Kreisen gezeigt. Gegen Ende des Ersten Weltkriegs hatte sich der 17-Jährige als Kriegsfreiwilliger gemeldet und sich nach dem verlorenen Krieg 1919 dem Freikorps Oberland angeschlossen, einem straff organisierten Wehrverband, der ursprünglich gegründet worden war, um gegen die Münchener Räterepublik vorzugehen.175 Entsprach Neuhäusler eher dem Typus des Beobachters und Sammlers von Informationen aus der Distanz heraus, so agierte Thalhamer offensiver, er pflegte intensive persönliche Kontakte zu Parteistellen und Repräsentanten vorwiegend der mittleren Führungsebene des Regimes. 1935 war Thalhamer zum Domvikar ernannt zu den Widerstandkreisen im Amt Abwehr unter Admiral Wilhelm Canaris, Hans Oster und Hans von Dohnanyi; seit 1939 war er selbst im Auftrag des Amtes Abwehr tätig und versuchte 1939/40 im Auftrag von Canaris den Vatikan zu einer Mittlerrolle für einen Verständigungsfrieden mit England zu bewegen. Nach dem Krieg war er einer der Gründer der CSU und von 1946 bis 1949 deren Vorsitzender. In die politischen Aktivitäten Müllers war Neuhäusler jedoch nicht eingeweiht. 173 Vgl. v. a. die autobiographischen Angaben in Neuhäusler, Amboß, 153–203; eine zuverlässige Biographie fehlt jedoch, Pfister, Neuhäusler, beschränkt sich auf die Paraphrase von Neuhäuslers Selbstzeugnissen. 174 Josef Thalhamer, geb. am 06. 08. 1900 in München, Priesterweihe 1926 in Freising, Aushilfspriester in München-St. Franziskus, Großhadern und München-St. Benedikt, 1930 Domkooperator und Bezirkspräses der katholischen Sportorganisation Deutsche Jugendkraft, 1935 Domvikar, Redakteur des Amtsblatts, Mitarbeiter in der Registratur, Vertreter des Sekretärs des Generalvikars, 1939 Berater und Mitarbeiter für das diözesane Jugendamt, 1945 Erzb. Sekretär, 1948 Domkapitular (durch den Erzbischof ernannt), im Ordinariat Referent für Vereine, Presse und Personalwesen, Vorsitzender der Erzbischöflichen Filmkommission, 1972 aus Altersgründen resigniert, gest. am 20. 04. 1973; vgl. AEM, Metropolitankapitel, Personalakt Thalhamer; Nesner, Metropolitankapitel, 562 f.; Forstner/Kornacker, Paula Linhardt; Kuchler, Kirche und Kino, passim [Register]. Der im AEM verwahrte Nachlass Thalhamers ist bereits aufgrund seines Inhalts und Umfangs (mit 175 Archivkartons handelt es sich um den umfangreichsten Klerikernachlass im AEM überhaupt), für die Geschichte der Erzdiözese München und Freising in der NS-Zeit und in der Nachkriegszeit von großer Bedeutung. Er ist zur Benutzung teilweise freigegeben. 175 Vgl. Rudloff, Revolution und Gegenrevolution, 58 f.; vgl. auch den Artikel zur Nachfolgeorganisation Bund Oberland: Hübner, Bund Oberland. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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worden und bekam offiziell verschiedene Aufgaben eher sekundärer Natur zugewiesen. Er fungierte offenbar bereits seit Ende der dreißiger Jahre als politische Mittlerfigur und Kontaktmann der Kirche zur Partei.176 Privates und dienstlicher Auftrag vermischten sich stark. Obwohl eine offizielle Beauftragung Thalhamers mit politischen Aufgaben – anders als bei Neuhäusler – nicht erfolgte, war seine Beanspruchung hierdurch doch so umfassend, dass bereits im Sommer 1939 ein weiterer Priester im Ordinariat dienstverpflichtet wurde, um Thalhamers Aufgaben teilweise zu übernehmen, da dieser infolge seiner Nebenbeschäftigung seinen eigentlichen Dienstaufgaben nur noch bedingt nachkommen konnte.177 Bemerkenswert erscheint dabei auch, dass die Partei zu einem bestimmten Zeitpunkt dazu übergegangen war, bei anstehenden Verhandlungen Thalhamer unmittelbar anzusprechen, wo an sich der Generalvikar als Ansprechpartner hätte fungieren müssen.178 Kurz nach Kriegsende ernannte Faulhaber seinen Mann fürs Grobe als Nachfolger des eher farblosen Hubert Wagner179, der seinen Bischof im Streit verlassen hatte180, zu seinem persönlichen Sekretär. Drei Jahre später wechselte der fachlich eher mittelmäßige Thalhamer als Nachrücker für den eben verstorbenen Domkapitular von Kienitz ins Metropolitankapitel. Da Thalhamer hierfür nur bedingt qualifiziert war, kann man mutmaßen, er 176 Vgl. etwa den Hinweis Domkapitular Neuhäuslers über einen Besuch Thalhamers im Staatsministerium des Innern: AEM, Ordinariatssitzungsprotokoll vom 01. 10. 1937. 177 Der Priester Friedrich Frei, der im Juli 1939 als zweiter Sekretär des Generalvikars dienstverpflichtet wurde, berichtete im Rahmen eines Interviews mit dem Verfasser am 23. 01. 2003 über einen der Kontaktleute Thalhamers: »Thalhamer war bei der Raethia, da waren auch andere. Und einer von diesen anderen Bundesbrüdern […], einer davon ist dann sehr starker Nazi geworden. Ich glaube, er hieß Rattenhuber. Die Freundschaft, die persönliche hat aber bestanden und Bestand gehabt. Die mochten einander ganz gern. Darum ist Thalhamer dann oft und oft der Verbindungsmann gewesen und hat mit dem Gestapo-Mann vielleicht dieses oder jenes ausbügeln können, also kurz und gut, da war Thalhamer wichtig, da war er also so und so oft dort beschäftigt und nicht als Generalvikariatssekretär. Deswegen haben sie einen Dritten gebraucht, das war eben ich.« (EAM, Priesterbefragung 2003, Interview mit Friedrich Frei); vermutlich handelte es sich bei dem Genannten um Johann Rattenhuber, geb. am 30. 04. 1897 in Oberhaching, Generalmajor der Polizei und SS-Gruppenführer (1945), er fungierte zuletzt als Chef der Wachtruppe in Hitlers Hauptquartier, gest. am 30. 06. 1957 in München; vgl. Klee, Personenlexikon, 481. 178 Vgl. etwa EAM, NL Faulhaber 5001/3, Protokoll Thalhamers über die Besprechung in der Adjutantur des Gauleiters Paul Giesler im November 1944. In der Vorbemerkung heißt es: »Am Mittwoch, den 15. 11. 1944 abends ½ 5 Uhr rief Herr Hecht vom persönlichen Stab des Gauleiters Unterzeichneten [d. i. Thalhamer; Th. Fo.] telefonisch an und teilte ihm mit, dass der Herr Gauleiter ihn zu einer Besprechung in seinem Büro an der Kaulbachstr. 15 ersuche.« In der entsprechenden Sitzung wurden vor allem Beschwerden gegen das Verhalten bestimmter Geistlicher sowie Fragen des Arbeitseinsatzes an Sonntagen und zum Thema Volkssturm verhandelt. 179 Vgl. zum Germaniker Wagner auch Kapitel 2.4.4 dieser Arbeit. 180 Zur Beendigung des Dienstverhältnisses auf eigenen Wunsch Wagners, den die Beschäftigung als Sekretär nicht ausfüllte, äußerte sich dieser 10 Jahre später gegenüber dem damaligen Generalvikar Dr. Johannes Fuchs in ziemlich sarkastischer Weise: „»Den Anlaß zur Beendigung dieser Aufgabe habe ich selbst gegeben, da ich der verstorbenen Eminenz [d. i. Faulhaber; Th. Fo.] zur Kenntnis gab, dass ich an der Stellung eines Tippfräuleins trotz des bischöflichen Abglanzes zu wenig Substanz fand.« AEM, Priesterpersonalakten P III 1892, Wagner an Fuchs vom 24. 05. 1955. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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habe die Kapitularsstelle vor allem deshalb erhalten, um jemanden dauerhaft einzubinden, dessen Kenntnis interner Vorgänge aus einer kirchenpolitisch eher heiklen Zeit doch sehr weitgehend war. Über das Engagement und die Involvierung Thalhamers herrschten im Klerus viele Gerüchte, die sich nach 1945 verschärften.181 Wie am Beispiel der Verwaltungsreorganisation vom November 1937 ersichtlich, regelte Faulhaber die Verteilung der Aufgabengebiete unter den einzelnen Referenten des Ordinariats im Regelfall offenbar durchaus selbst und überlies dies nicht dem Generalvikar als Verwaltungschef.182 Insgesamt erscheint die Personalpolitik Faulhabers hierbei von zwei Linien bestimmt, die sich im Regelfall überschnitten. In erster Linie erschien die fachliche Qualifikation ausschlaggebend, in zweiter Linie und offenbar vor allem dann, wenn das fachliche nicht genau eingrenzbar erschien, achtete er auf die Loyalität gegenüber seiner Person. Hingegen scheinen Anciennität und bisheriger Status der Person keinen Ausschlag bei der Übertragung von Ämtern gegeben zu haben. Der Kreis der für Führungsaufgaben in Frage kommenden Personen war jedoch von vornherein im wesentlichen auf die Mitglieder des Domkapitels beschränkt, auf dessen Zusammensetzung Faulhaber selbst wiederum nur teilweise Einfluss nehmen konnte.

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1.2.1 Die Herausforderung der Moderne Der Untersuchungszeitraum dieser Arbeit ist epochengeschichtlich in die Moderne eingefügt.183 Dies ist für diese Arbeit vorrangig von Bedeutung, da sich aus dem Wesen der Moderne ein Spannungsverhältnis zur Substanz traditioneller Religionssysteme 181 Stadtpfarrer Muhler berichtete diesbezüglich an Faulhaber: »Als ich im Frühjahr dieses Jahres mit Geistl. Rat Natterer von Augsburg zurückfuhr, kamen wir auf die verschiedenen Gerüchte zu sprechen, die in Zusammenhang mit dem Fall Scharnagl umgingen. Ich sagte damals, es ist unglaublich, was im Klerus alles geredet wird. So hat z. B. – so führte ich aus – vor kurzem ein Geistlicher allen Ernstes behauptet, Sekretär Thalhammer [sic!] sei Parteigenosse gewesen. Ich war nun sehr überrascht, dass Geistlicher Rat Natterer nicht überrascht war und ich frug ihn: Hältst Du denn so etwas für möglich? Dann sagte er mit der ihm eigenen Ruhe und Sachlichkeit: Parteigenosse war er nicht, aber eine merkwürdige Einstellung in Bezug auf den Nationalsozialismus hatte er …« EAM, NL Faulhaber 5016, Muhler an Faulhaber vom 23. 11. 1947 (Unterstreichung im Original). 182 Vgl. hierzu AEM, Ordinariatssitzungsprotokoll vom 05. 11. 1937. 183 Vgl. zum Begriff: Dipper, Moderne; Gumbrecht, Modern, Modernität, Moderne; Berger, Moderne; Koslowski/Spaemann/Löw, Moderne oder Postmoderne; Vattimo, Ende der Moderne; zu Religion und Modernität: Kaufmann, Religion und Modernität; zu Katholizismus und Modernität als Forschungsfeld: Kaufmann, Moderne und Katholizismus. Der noch immer fortdauernde Streit um die Periodisierung der Moderne und ihrer Abgrenzung von der vorausgehenden Protomoderne und der nachfolgenden Postmoderne kann hier vernachlässigt werden. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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im Allgemeinen und zum katholischen Glauben im Besonderen ergibt. Gemeinhin lässt sich die Moderne als Epoche verstehen, die durch einen starken Transformationsprozess des politischen, gesellschaftlichen und geistig-religiösen Lebens hin zu einem rationalistischen Weltverständnis und einer Selbstermächtigung des Menschen gekennzeichnet ist. Dieser Transformationsprozess manifestiert sich vorrangig in folgenden Phänomenen: Der aus der Aufklärung resultierenden Auffassung, alle relevanten Fragen ließen sich mit rationalen Kategorien erfassen und beantworten und damit der Glaube an einen vom Menschen selbst herstellbaren und herzustellenden immerwährenden Fortschritt, der vor allem durch das Wachstum der kapitalistischen Ökonomie erreicht werden soll. Hiermit verbunden ist die Vorstellung von der Autonomie gesellschaftlicher Subsysteme wie Glaube, Ethik, Recht, Politik u. a. und daraus resultierend die Säkularisierung, der Prozess der geistig-mentalen, institutionellen und letztendlich auch materiellen Trennung von Kirche und Staat. Die Moderne bedingt die Ablösung der überkommenen feudalistischen Herrschaftsordnung und den Aufstieg neuer gesellschaftlicher Klassen, v. a. des Bürgertums. Die rasch voranschreitende ökonomische Entwicklung im Prozess der Industrialisierung geht einher mit der Individualisierung als emanzipatorischer Form der zivilisatorischen Entwicklung des Einzelnen losgelöst vom verbindlichen Gerüst einer Gemeinschaft stiftenden Idee. Den Einzelnen eröffnen sich hierbei substanzielle Handlungs- und Lebensalternativen, wodurch ihnen wachsende Verantwortung für ihre Lebensgestaltung übertragen wird. Wer jemand ist, lässt sich in der Moderne nicht mehr von außen bestimmen, sondern unterliegt in wachsendem Maße der je eigenen Mitgestaltung. Individualisierung bedeutet daher vor allem die Möglichkeit, aber auch die Aufgabe, identitätsstiftende Rollen und Beziehungen – den Beruf, den Ehepartner, die Religionsgemeinschaft, die politische Überzeugung – selbst zu finden oder zu wählen – und dann die Konsequenzen zu tragen,

so Hartmut Rosa in seiner Studie zum Wandel des Zeitverhältnisses in der Moderne.184 Dieser Transformationsprozess der Modernisierung, der per se weder positiv noch negativ gewertet werden soll, ist – bei gleichzeitiger fundamentaler Erschütterung der bislang bestehenden Werte, Ordnungen und Traditionen – in religionssoziologischer Perspektive vor allem durch eine Säkularisierung der Heilserwartung und deren instrumenteller Funktionalisierung bestimmt. Diese Interpretation der Moderne, wie sie etwa durch einen den Katholizismus aus kritischer Nähe wahrnehmenden Beobachter wie den Turiner Philosophen Gianni Vattimo vorgenommen wurde, sieht die Moderne »als Epoche der Diesseitigkeit, der Preisgabe der sakralen Betrachtungsweise der Existenz sowie der Bejahung der Sphären profaner Werte, d. h. insgesamt als

184 Rosa, Beschleunigung, 357. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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die Epoche der Säkularisierung.«185 Den Kernpunkt der Säkularisierung stellt dabei die eines außerweltlichen Bezugspunktes beraubte Ideologie des Fortschritts dar. Das Ziel der Geschichte wird dabei in die Geschichte selbst hereingeholt, der telos ist fürderhin nichts Transzendentes mehr, sondern etwas Innerweltliches und Innerzeitliches. Der »Möglichkeitsüberschuß« an Handlungsoptionen in der Moderne führt zu einem strukturellen Wandel der gesellschaftspolitischen Ordnungsentwürfe hin zu Planung und Utopie.186 Die Amtsträger der römisch-katholischen Kirche, das heißt der Papst, die Bischöfe und die überwältigende Mehrheit des Klerus, verharrten in der von Urs Altermatt so bezeichneten »pianischen Epoche«187 von der Mitte des 19. bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts, in offener Gegnerschaft zu dieser säkularen Moderne, »zu Entwurf und Realität einer pluralen, auf der Grundlage der Werte der Französischen Revolution organisierten Industriegesellschaft, einschließlich der für diese Gesellschaften typischen personalen Existenzentwürfe individueller Selbstbestimmung.«188 Die kirchlichen Reaktionsmuster auf die gesellschaftlichen Modernisierungsprozesse waren vor allem aber nicht nur defensiver Natur. Im Ersten Vatikanischen Konzil trennte sich der Katholizismus sichtbar von den epochalen Leitströmungen. Die Kirche verstärkte die zentralistische Orientierung auf Rom, sie zog sich auf bestimmte Wissenschaftsdomänen zurück, auf Theologie, Philosophie, Kultur- und Kirchengeschichte, Pädagogik und Sozialpolitik, hingegen hatte sie an der Entwicklung der Naturwissenschaften keinen Anteil und kein Interesse, ebenso wenig an Philologie oder kritischer Geschichtswissenschaft.189 Gleichzeitig kam es jedoch zur Entwicklung neuer Formen von Frömmigkeit und Glaubenspraxis, das religiöse Leben wurde in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in einem nie zuvor gekannten Maße ausgebaut, diszipliniert und 185 Vattimo, Ende der Moderne, 110. Säkularisierung wird hier begrifflich nicht in einem engeren historischen Sinn, sondern soziologisch als sozialer Bedeutungswandel von Religion verstanden. Der Begriff bezeichnet nach Benjamin Ziemann, Sozialgeschichte, 94 f. mithin »nicht mehr religiösen Niedergang als ein notwendiges Ergebnis von Modernisierung, sondern vielmehr ein Repertoire von möglichen Konsequenzen, die seit der Mitte des 18. Jahrhunderts in der Evolution von Religion aus gesellschaftlichen Strukturumbrüchen gezogen wurden. Dabei entwickelten sich neue, stärker individualisierte Formen religiösen Sinns, und die Religion diente nicht länger der Beglaubigung hierarchischer Differenzen in der Gesellschaft.« 186 Vgl. Dipper, Moderne. 187 Vgl. Altermatt, Katholizismus, 66 f.; zur Begriffserläuterung siehe die Einleitung dieser Arbeit. 188 Bucher, Kirchenbildung, 41; vgl. zum Problemkreis grundlegend auch Greschat, Zeitalter. Teile der jüngeren Katholizismusforschung verorten den Katholizismus des 19. Jahrhunderts gegen eine im Singular gedachte Moderne, die mit Aufklärung, Liberalismus, bürgerlicher Gesellschaft und Säkularisierung gleichgesetzt wird, inzwischen als eine »Variante multipler Modernitäten«. So spricht etwa Borutta, Antikatholizismus, 47 f. von einem qualitativ »neuen Katholizismus« des 19. Jahrhunderts, der das »Andere der Moderne« darstelle. Einer solcher Ansatz scheint zwar einerseits den vielfältigen Ausprägungen des Phänomens Moderne entgegenzukommen, dies jedoch auf Kosten einer begrifflichen und inhaltlichen Trennschärfe, weshalb diesem Ansatz hier nicht gefolgt werden soll. 189 Vgl. Altermatt, Katholizismus, 52. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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durchorganisiert. Die kirchliche Antwort auf die Prozesse der Säkularisierung war eine Verkirchlichung des religiösen Lebens, die nun auch den Berufstand der Kleriker innerkirchlich nochmals entschieden aufwertete. Unlängst hat die Wissenschaft diese Auseinandersetzungen zwischen der religiösen Ordnung des Katholizismus und den liberalen Ordnungen der europäischen Staaten des 19. Jahrhunderts prägnant als culture wars, als Kulturkriege, bezeichnet.190 Bereits Ernst-Wolfgang Böckenförde benannte in seinem 1961 erstmals erschienen HochlandBeitrag als Ursache hierfür den tief verwurzelten Antiliberalismus der römischen Kirche, der geschichtlich ein Ergebnis der Abwehr und Überwindung der Aufklärung sei.191 Die Frontstellung manifestierte sich bekanntlich am sinnfälligsten in der Verurteilung der modernen Wissenschaft und der wesentlichen progressiven Zeitströmungen in der Enzyklika Quanta cura und dem dazugehörigen Syllabus errorum von 1864192 sowie der Verkündigung der päpstlichen Infallibilität während des Ersten Vatikanischen Konzils 1870193 und der Festschreibung der Neuscholastik und des Thomismus als philosophisches System der katholischen Kirche in der Enzyklika Aeterni patris.194 Wilhelm Damberg sprach vom »gut 150-jährige[n] ›Kalte[n] Krieg‹ zwischen katholischer Kirche und liberal-pluralistischem Nationalstaat«, der erst mit dem Zweiten Vatikanum und dem daraus resultierenden Verzicht, eine katholische Gegenwelt zur Moderne entwerfen und selbst organisieren zu wollen, sein Ende gefunden habe.195 Mit den nach 1870 von verschiedenen Theologen »unternommenen Versuche[n] einer Vermittlung von Offenbarung und Vernunft, von Katholizismus und kultureller, wissenschaftlicher, sozialer und politischer Realität,« wurde das Einsickern zeitgenössischen Gedankengutes als sogenannter Modernismus auch innerkirchlich

190 Vgl. den entsprechenden Sammelband von Clark/Kaiser, Culture wars; ähnlich auch Borutta, Antikatholizismus, der das 19. Jahrhundert als Zeitalter der europäischen Kulturkämpfe umschrieb. Diese Charakterisierung scheint treffender als die These von einem »zweiten konfessionellen Zeitalter«, welches Blaschke, Konfessionen, 13–69 postulierte. 191 Vgl. Böckenförde, Jahr 1933, 195–197. 192 Enzyklika Quanta Cura über die Freiheit der Kirche vom Staat vom 08. 12. 1864. Der Syllabus war als Anhang beigegeben. Er verurteilte unter anderem den Pantheismus, den Naturalismus, den Rationalismus, den Indifferentismus, den Latitudinarismus, den Sozialismus, den Kommunismus, den Liberalismus und Irrtümer über das Sittengesetz, die Kirche und das Papsttum; vgl. zu den Auseinandersetzungen zwischen Kirche und Liberalismus Jedin, Handbuch der Kirchengeschichte, Bd. VI 1, 696–796, bes. 750–756. 193 In der dogmatischen Konstitution Pastor Aeternus vom 18. 07. 1870; vgl. Jedin, Handbuch der Kirchengeschichte, Bd. VI 1, 789–791. 194 Enzyklika Aeterni Patris über die Erneuerung der Wissenschaft auf der Grundlage der philosophischen Prinzipien des heiligen Thomas von Aquin vom 04. 08. 1879. Hier wir die allgemeine Verbreitung und Rezeption der »verderblichen« (liberalen) Gedanken als Grundübel der Zeit ausgemacht; vgl. Jedin, Handbuch der Kirchengeschichte, Bd. VI 2, 316–320; Tolomio, Dimenticare. 195 Damberg, Entwicklungslinien, 178. Ob dieser »Kalte Krieg« tatsächlich schon beendet ist, darf ernsthaft bezweifelt werden. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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zu einem Problem.196 Die kirchlichen Reaktionen auf diesen Prozess – vor allem die Enzyklika Pascendi dominici gregis vom 8. September 1907 und die mit dieser gemeinsam veröffentliche Apostolischen Konstitution Lamentabili stellten mit ihrem Kampf gegen den theologischen Modernismus den Höhepunkt der antimodernistischen Verhärtung dar.197 Manfred Weitlauff interpretierte Pascendi als autoritative[n] Versuch, den seit langem rücksichtslos forcierten, in den Beschlüssen des Ersten Vatikanums klar artikulierten absoluten Monopolanspruch der neuscholastischen ›römischen‹ Theologie auf den ›Katholizismus‹ endgültig und um jeden Preis durchzusetzen. Deshalb gab es auch keinen Bereich der Wissenschaft und der Kultur, der von diesen Verordnungen nicht betroffen gewesen wäre. Man wollte offensichtlich dartun, dass die römische Kirchenzentrale über gar alle Bereiche des Lebens die Aufsicht und Kontrolle beanspruche.198

Mit Pascendi wurde vor allem die Neuerungssicht zum verdammenswerten Charakteristikum der Modernisten, eine unweigerlich in den Irrtum führende Neuerungssucht, die in Neugierde (curiositas), Stolz (superbia) und Unwissenheit (ignorantia) ihre Ursache habe und dazu verleite, die Autorität und Tradition der Väter und des kirchlichen Lehramtes in Frage zu stellen und sich somit zu Reformatoren der Kirche aufzuschwingen.199 Der Antimodernisteneid, der von Pius X. durch das Motu proprio Sacrorum antistitum vom 1. September 1910 eingeführt wurde und von jedem Kleriker abzulegen war, bevor er die Vollmacht zu Predigt und Beichte erhielt, legte den gesamten Klerus ab diesem Zeitpunkt zumindest formal auf die einheitliche römische Linie fest.200 Manfred Weitlauff gab einschränkend zu bedenken, dass der Eid selbstverständlich in lateinischer Sprache zu leisten war, was seinen Inhalt in gewisser Weise »verschleiert« habe. Er sei wohl nach der Beendigung der Modernismuskrise zu einer 196 Gumbrecht, Modern, Modernität, Moderne, 124; Nach seinen verschiedenen Gegenstandsbereichen unterschied man einen biblischen, einen sozialen und einen theologischen Modernismus; vgl. zu Modernismus und Modernismuskontroverse grundlegend Neuner, Streit; Wolf/Schepers, Jagd nach Neuem; Arnold, Geschichte des Modernismus; Jodock, Catholicism contending with modernity; Weiss, Otto, Modernismus in Deutschland; Weinzierl, Modernismus. 197 Vgl. zu diesen Dokumenten Arnold, Lamentabili und Arnold, Absage; zur Definition des (theologischen) Antimodernismus Daly, Modernism, 102; einen Überblick über verschiedene Modernismusdeutungen bietet Scherzberg, Kirchenreform, 68–79. 198 Weitlauff, Georgianerschicksale, 323. Im Jahre 1906 genügte die bloße Ankündigung eines Vortrags über den Würzburger Theologen Hermann Schell durch den Theologiestudenten Josef Weber für eine Beschwerde des Ortspfarrers beim Ordinariat. Die hieraus sich entwickelnden Querelen hatten zur Folge, dass Weber nicht zum geplanten Termin geweiht werden konnte; vgl. Krausen, Josef Weber, 256 f. 199 So Weitlauff, Georgianerschicksale, 323 in einer Paraphrase wesentlicher Inhalte der Enzyklika. 200 Er wurde erst 1967 unter Paul VI. stillschweigend wieder abgeschafft; vgl. zum Antimodernisteneid und seinen Auswirkungen v. a. Trippen, Theologie und Lehramt; Schepers, Modernistenverfolgung. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Art Gewohnheitsübung geworden, die inhaltlich kaum noch reflektiert worden sei.201 Dies dürfte bereits für die 1920er Jahre und auch für die darauf folgende Zeit gelten. Bedeutsam blieb er jedoch wohl für die Gelehrten unter den Priestern. Im Gefolge der Auseinandersetzungen um die päpstliche Infallibilität entwickelte sich nach 1871 schließlich ein von Rom geförderter Papstkult, der in den jährlichen Papstsonntagsfeiern seinen Höhepunkt fand. Diese stellten gewissermaßen den »kultischen Vollzug des Syllabus und des Unfehlbarkeitsdogmas« dar.202 Hinter all diesen Bemühungen stand das Bestreben, die Deutungshoheit über die Welt in kirchlicher Hand zu behalten und so ein »universales Weltanschauungsmonopol«203 über die katholische Bevölkerung zu erhalten. Nach Otto Weiß ist in den lehramtlichen Verurteilungen des Modernismus aber weniger die Verwerfung von Irrlehren zu sehen als die Zurückweisung der Moderne als eines kulturellen Phänomens, welches mit der katholischen Kirche nicht vereinbar sei.204 Das akademische München der Zeit um 1900 war in besonderem Maße ein Ort des kirchlichen Auf- und Umbruchs. Dies war zum einen dem Wirken Ignaz von Döllingers205 geschuldet, dem prominentesten Gegner des Papstes im Streit um die päpstliche Infallibilität und Spiritus rector der altkatholischen Bewegung, der ungeachtet seiner 1871 erfolgten Exkommunikation höchste gesellschaftliche Ämter wie das des Universitätsrektors und Akademiepräsidenten einnahm.206 Döllinger hatte gewissermaßen den Boden bereitet für die reformkatholische Bewegung, welche sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts mit derjenigen des theologischen Modernismus überschnitt und um ein nichtintegralistisches und antiultramontanes Konzept von Kirche bemühte, um die Katholiken aus ihrer »Ghettomentalität«207 herauszuholen und Anschluss an die moderne Wissenschaft und Kultur zu finden. Die 201 Vgl. Weitlauff, Georgianerschicksale, 318. 202 Blessing, Staat und Kirche, 184. 203 Ebenda, 182. 204 Vgl. Weiss, Otto, Modernismus in Deutschland, 3. 205 Johann Joseph Ignaz (seit 1868 »Ritter von«) Döllinger, geb. am 28. 02. 1799 in Bamberg, 1816– 1820 Studium der Rechtswissenschaften, dann der Theologie in Würzburg, 1822 Priesterweihe in Bamberg, Promotion zum Dr. theol., 1826 Professor für Kirchenrecht und Kirchengeschichte an der Universität München, Mitglied des Görres-Kreises, stark antiprotestantisch orientiert, 1845 Mitglied des Bayerischen Landtags, 1847 Stiftspropst an der Hofkirche St. Kajetan in München, 1848 Mitglied der Frankfurter Nationalversammlung, ab 1850 Wandel der Auffassungen und Öffnung gegenüber breiteren wissenschaftlichen Diskursen, starke Forschungsorientierung. Forschungen zum Papsttum bringen ihn in den 1860er Jahren in Opposition zu den von Pius IX. forcierten Tendenzen einer dogmatischen Aufwertung des Papsttums. Die 1870 verkündete päpstliche Infallibilität lehnte Döllinger ab und wurde deshalb im April 1871 durch Erzbischof Gregor von Scherr exkommuniziert. Döllingers akademische Karriere war damit keineswegs beendet, 1872 wurde er Rektor der Universität München und 1873 von König Ludwig II. zum Präsidenten der Bayerischen Akademie der Wissenschaften ernannt. Er starb am 10. 01. 1890 in München; vgl. Küppers, Döllinger. 206 Vgl. zu Döllinger in der zweiten Hälfte seines Lebens Bischof, Theologie und Geschichte. 207 Trippen, Theologie und Lehramt, 37. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Reformkatholiken forderten eine kirchliche Neuorientierung, eine Überwindung der konfessionellen Polemik, eine stärker synodale Kirchenleitung, eine moderne Klerusbildung und Distanz zur Zentrumspartei. Vor dem Hintergrund der Debatte um die katholische »Inferiorität« sollte eine verbesserte gesellschaftliche Positionierung des Katholizismus im deutschen Kaiserreich durch den »Erweis seiner Modernitätsfähigkeit« erreicht werden.208 Obwohl diese Bewegung – sieht man vom Fall Joseph Schnitzers209 ab – zuvörderst von anderen Universitäten ausging und mit Namen von Theologen wie Herman Schell210 – von Thomas Nipperdey als Hans Küng der Jahrhundertwende bezeichnet211 – und Franz Xaver Kraus212 verbunden war, bildete das München in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg das Gravitationszentrum des Reformkatholizismus. Dies war nicht zuletzt dem Wirken des Privat-

208 Vgl. Arnold, Geschichte des Modernismus, 26–34 (Zitat ebenda, 33). 209 Joseph Schnitzer, geb. am 15. 06. 1859 in Lauingen, 1884 Priesterweihe in Augsburg, nach verschiedenen seelsorgerlichen Tätigkeiten ab 1889 Fortsetzung der theologischen Studien, 1890 Promotion zum Dr. theol. in München, 1892 Habilitation, 1893 ao. Professor für Kirchenrecht und Kirchengeschichte am Lyzeum in Dillingen, 1902 o. Professor für Dogmengeschichte, Symbolik und Pädagogik in München. Aufgrund verschiedener wissenschaftlicher Positionen v. a. aber aufgrund Kritik an der Enzyklika Pascendi 1908 suspendiert. Jede weitere Lehrtätigkeit wurde ihm untersagt. 1909 Promotion zum Dr. phil. in Tübingen, 1913 pensioniert, gegen kirchlichen Widerstand gleichzeitig Honorarprofessor ohne bestimmtes Lehrgebiet an der philosophischen Fakultät der Universität München, las bis 1934 regelmäßig, gest. am 01. 12. 1939 in München; vgl. Lachner, Schnitzer; Trippen, Theologie und Lehramt; Weitlauff, Georgianerschicksale, 325– 341; Weitlauff, Fall Schnitzer. 210 Hermann Schell, geb. am 28. 02. 1850 in Freiburg/Brsg., nach Studien der Theologie und Philosophie in Freiburg und Würzburg (u. a. bei Franz Brentano) 1872 Promotion zum Dr. phil., 1873 Priesterweihe in Würzburg, wirkte zunächst als Kaplan und Religionslehrer, 1879 Studien in Rom, 1883 Promotion zum Dr. theol. in Tübingen, seit 1884 Professor der Apologetik, christlichen Kunstgeschichte und vergleichenden Religionswissenschaft an der Universität Würzburg. Durch seine bald nach ihrem Erscheinen indizierten Schriften »Der Katholizismus als Princip des Fortschritts« (1897) und »Die neue Zeit und der alte Glaube« (1898) in der er die Öffnung der Kirche für die modernen Kräfte in Wissenschaft und Kultur forderte, wurde er zum bedeutendsten Repräsentanten des Reformkatholizismus, er starb am 31. 05. 1906. Seine Thesen wurden später durch das zweite Vatikanische Konzil im Wesentlichen anerkannt; vgl. Weiss, Otto, Schell; Weiss, Otto, Modernismus in Deutschland, 134–150; Hausberger, Hermann Schell. 211 So Nipperdey, Religion im Umbruch, 34. 212 Franz Xaver Kraus, geb. am 18. 09. 1840 in Trier, seit 1858 im dortigen Priesterseminar, 1860–62 Unterbrechung des Studiums und Hauslehrer in Frankreich, Berührung mit der liberalen Theologie, 1862 Promotion zum Dr. phil., 1864 Priesterweihe in Trier, anschließend auf unbedeutendem Seelsorgeposten in Pfalzel bei Trier. Eine akademische Karriere blieb ihm wegen zu liberaler Ansichten zunächst verwehrt. 1872 gelangte er auf Vermittlung des liberalen Trierer Dompropstes auf einen ao. Lehrstuhl für christliche Archäologie in Straßburg. 1878 Professor für Kirchengeschichte in Freiburg/Brsg. Kraus galt als liberal, doch seine Werke wurden trotz Bemührungen seiner Gegner nicht indiziert. Als Kirchenpolitiker gelang ihm die Verhinderung des Kulturkampfes in ElsaßLothringen. Er starb am 28. 12. 1901 in San Remo; vgl. Persch, Kraus; Weiss, Otto, Modernismus in Deutschland, 122–134 ferner auch die Ausführungen in Bernhart, Erinnerungen 1881–1930, 168 ff. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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gelehrten Josef Müller213 geschuldet, einem priesterlichen Sonderling, dessen 1899 erschienenes Buch Der Reformkatholizismus214 und die von ihm zwischen 1900 und 1907 herausgegebene Zeitschrift Renaissance im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts Furore machten. Ein bemerkenswerter und lange vernachlässigter Aspekt des Reformkatholizismus ist seine mit der antiultramontanen Stoßrichtung einhergehende starke nationale, tendenziell sogar völkische Orientierung,215 welche später bei einem Teil der Exponenten in den Nationalsozialismus führen sollte.216 »Munich was home to perhaps the most energetic and vehement forms of Catholic anti-ultramontanism in all of Germany,« so der amerikanische Historiker Derek Hastings.217 213 Josef Müller, geb. am 14. 07. 1855 in Bamberg, nach verschiedenen Studien in München Eintritt in das Klerikalseminar Bamberg, 1877 Priesterweihe in Bamberg, anschl. div. Hilfspriesterstellen, 1887 Benefiziumsverweser in Pottenstein, um 1890 nach Vorlage ärztlicher Gutachten Ruhestandsversetzung, anschließend Kommorant in München, dort neuerliches Universitätsstudium, 1894 Promotion zum Dr. phil., ausufernde schriftstellerische Produktivität, zahlreiche Veröffentlichungen u. a. zu Jean Paul und Dostojewski sowie zur Philosophie, Pädagogik, Sexualwissenschaft und zum Kirchenrecht. Nach einem Skandal wegen übler Nachrede musste sich Müller 1907 in seine Heimatdiözese zurückziehen, wo er in Vergessenheit geriet, später wandte er sich dem Nationalsozialismus zu. Er starb am 09. 01. 1942; vgl. Schematismus Bamberg 1902, 157; Weiss, Otto, Modernismus in Deutschland, 181–196. 214 Müller, Josef, Reformkatholizismus. Müllers Werk, das bereits 1901 auf den Index der verbotenen Bücher gesetzt wurde, blieb zwar hinsichtlich der Glaubenssätze vollkommen innerhalb der Bahnen der katholischen Glaubenslehre (so hegte Müller z. B. an der Infallibilität keinen Zweifel), forderte aber eine Anerkenntnis der modernen Wissenschaften durch die Kirche (bei gleichzeitiger Ablehnung der Neuscholastik), eine stärkere Einbindung der Laien etwa in der Form von Synoden und ein Ende der Polemik gegen Andersdenkende, vor allem auch eine Überwindung der konfessionellen Distanz. In einem zweiten Band des Werks forderte Müller ganz konkret eine Reform der Klerusausbildung und wandte sich gegen den politischen Katholizismus, den Index der verbotenen Bücher und die Rolle des Jesuitenordens; vgl. Weiss, Otto, Modernismus in Deutschland, 183 ff. Aufgrund seiner mangelnden Originalität, seiner zu starren theologischen Orientierung an der traditionellen Glaubenslehre und auch aufgrund seines schwierigen Charakters blieb Müller eine dauerhafte und nachhaltige Wirksamkeit innerhalb der reformkatholischen Bewegung jedoch verwehrt. 215 Vgl. zu Reformkatholizismus und Nationalstaat Clemens, Martin Spahn, 9–48. Bereits Döllinger war nach Hastings, Roots, 20 f., der Auffassung, dass »God had given Germans in particular the world historical task of reinterpreting catholic theology for the dawning modern age, and he called on German catholics to shed the yoke of ultramontanism and to assume their predestined role as teachers of all nations.« Wie Hastings ebenda in einer profunden Analyse zeigt, war Döllinger zudem der erste, der den Ultramontanismus und damit eine bestimmte Richtung des Katholizismus in einer pejorativen Weise mit Weiblichkeit verband und von der »impotenten« Natur seiner neoscholastisch orientierten ultramontanen Gegner sprach – ein Stereotyp, welches zu einem elementaren Bestandteil antikatholischer Polemik werden sollte. Zur gendersemantischen Deutung des ultramontanen Klerus durch seine Gegner vgl. bes. Hastings, Feminized Church. 216 So die These von Hastings, Roots; siehe hierzu auch Arnold, Geschichte des Modernismus, 31 f. und 33 f. 217 Vgl. Hastings, Roots, 17–45 (Zitat ebenda, 19). Die Dissertation desselben Autors zu diesem speziellen Thema Hastings, Derek, Church and Culture. The Rise and Crisis of Progressive Catholicism in Munich, 1900–1925, PhD, University of Chicago 2004, ist bedauerlicherweise nicht publiziert und lag mir nicht vor. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Bereits hier ist jedoch darauf hinzuweisen, dass beide Bewegungen, sowohl der eher theologische orientierte Modernismus wie der eher politische orientierte Reformkatholizismus, im Pfarrklerus so gut wie ohne Resonanz blieben.218 Bei beiden Phänomenen handelte es sich um Elitenbewegungen. Neben dem universitären Umfeld war hier vor allem der Hofklerus im Umfeld des Prinzregenten Luitpold bedeutsam, der örtlich an der Hofkirche St. Kajetan gegenüber der Münchner Residenz angesiedelt war. Der Hofklerus stand seit dem Ersten Vatikanischen Konzil in einer eigenwilligen Opposition zum römischen Katholizismus ultramontaner Prägung. Er trat im Gefolge Ignaz von Döllingers – der Stiftspropst bei St. Kajetan gewesen war – für eine Trennung von Staat und Kirche ein, war sehr stark von der reformkatholischen Bewegung geprägt und neigte auch dem Modernismus zu. Politisch war er bürgerlich-nationalliberal und damit bis 1912 auf Seiten der bayerischen Regierung. Den politischen Katholizismus lehnte er ab. Sein politischer Einfluss war bedeutend und dürfte bislang unterschätzt worden sein.219 Besonders bei der reformkatholischen Bewegung wird aber deutlich, dass die involvierten Priester fast ausnahmslos Randfiguren waren, die sich früh aus dem heimatlichen Diözesanverband gelöst hatten und damit der direkten Gewalt ihres Ortsbischofs entzogen waren. Diese geringe Anfälligkeit des Pfarrklerus für geistige, auch theologische Moden, war in gewisser Weise ein Triumph des römischen Integralismus und der neuscholastischen Theologie. Der Pfarrklerus reagierte in seiner großen Mehrheit eher mit Abwehr auf die Reformimpulse und trug den antimodernistischen Kurs der Kurie mit.220 Insofern stärkte auch die reformkatholische Bewegung um 1900 letztlich die weitgehende Geschlossenheit des Klerus.221 Die überwältigende Majorität des Klerus blieb auch zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch dem antipluralistischen Integrationsmodell Roms verpflichtet, dem zufolge »die Homogenität der Kirche Vorbild für die Gesamtgesellschaft sein soll und alle Sphären des sozialen Lebens 218 Dass auch die altkatholische Bewegung auf dem breiten Land letztendlich erfolglos blieb und sich dadurch insgesamt bald zu einem kirchlichen Randphänomen entwickelte, ist vor allem auf die erfolgreiche Gegenagitation des römisch-katholischen Klerus zurückzuführen, der mit Exkommunikation drohte; vgl. Blessing, Staat und Kirche, 183. 219 Vgl. zum Hofklerus Möckl, Prinzregentenzeit, 115–121. Die Trennung von religiösem und politischem Katholizismus hatte in der bayerischen Politik des 19. Jahrhunderts freilich eine gewisse Tradition. Obgleich die Herrscherdynastie katholisch war, Glaube und Religion als »unverbrüchliche Stützen des monarchischen Systems« (Nesner, Bettinger, 214) galten und der bayerische Prinzregent Luitpold (1886–1912) ostentativ persönliche Frömmigkeit pflegte, die bei öffentlichen kirchlichen Ereignissen etwa bei der alljährlichen Fronleichnamsprozession auch sichtbar wurde, regierte die politisch liberal geprägte Staatsführung ein halbes Jahrhundert gegen die von der katholischen Kirche geprägte Bevölkerungsmehrheit. Nach Blessing, Staat und Kirche, 189 führte dies dazu, dass der Bund von Thron und Altar im Verlauf des späten 19. Jahrhunderts rasch verblasste. 220 Vgl. Blessing, Staat und Kirche, 238 f. 221 Damit erfährt auch der Ansatz von Hastings, Roots, seine Grenzen, der bei seinen Bemühungen, die Involvierung katholischen Priester in der frühe NS-Bewegung nachzuweisen, fast nur atypische Sonderexistenzen entdeckte. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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vom ethischen Führungsprimat der Kirche her integriert, zu einer neuen kirchlich dominierten ›Einheitskultur‹ zusammengebunden werden sollen.«222 Die kirchliche Lehre sah die Lösung aller Gegenwartsfragen in einer universalen, christlich geprägten Kultur und einer an den Naturständen orientierten Gesellschaftsordnung. Im Hintergrund stand – wie von Leo XIII. in Aeterni Patris223 vorgeschrieben – eine starre, neoscholastische Theologiekonzeption, in der die Gegenwartsphänomene in einer Art kasuistischen Exegese des Hl. Thomas von Aquin gespiegelt wurden.224 Eine tatsächliche inhaltliche Auseinandersetzung mit den Problemen der Moderne fand nicht statt. Dass die Kirche in diesem Prozess dennoch selbst ein beachtliches »ModernisierungsPotential« entwickelte, etwa im Hinblick auf die Massenmobilisierung ihrer Klientel oder die Bürokratisierung infolge der Kodifikation eines universal gültigen Weltkirchenrechts mit dem CIC von 1917, stellt keinen Widerspruch hierzu dar.225 Auch innerhalb der katholischen Subgesellschaft lassen sich Phänomene beobachten, die Jeffrey Herf in Bezug auf den Nationalsozialismus als reaktionären Modernismus

222 Graf, Christliche Kultur, 228. 223 Rundschreiben Aeterni Patris vom 04. 08. 1879 über die Erneuerung der Wissenschaft auf der Grundlage der philosophischen Prinzipien des heiligen Thomas von Aquin, ASS XII, 1879/80, 97–115. 224 Die in der ersten Hälfte des 19.  Jahrhunderts entstandene Neoscholastik bemühte sich um eine Anknüpfung an die mittelalterliche Tradition der Scholastik, die ihre Vertreter als typisch katholische Form von Theologie und Philosophie ansahen. Als maßgebliche Referenzautorität galt der hl. Thomas von Aquin (um 1225–1274), auf dessen philosophisches System man sich berief. Mit Hilfe der Neoscholastik sollten die als subjektivistisch und rationalistisch angesehenen und damit negativ gewerteten neuzeitlichen Formen von Wissenschaft, die als Produkt der Reformation und der Aufklärung angesehen wurden, überwunden werden. Nach 1850 entwickelte sich die Neoscholastik, nicht zuletzt durch das Wirken des Jesuiten Josef Kleutgen (1811–1883) in der römischen Indexkongregation, zum vorherrschenden Denksystem des Katholizismus. Seit Aeterni Patris (1879) war die Neuscholastik in eng umgrenzter und der Lehre des hl. Thomas verschriebenen Form (weshalb hier auch von Neuthomismus gesprochen wird) das verbindliche katholische Denksystem, das an allen katholischen Lehranstalten dominierte und die philosophische und theologische literarische Produktion bestimmte. Abweichende wissenschaftliche Methodiken wurden nicht mehr geduldet, ihre Vertreter gemaßregelt. »Im Bereich der an den kirchl[ichen] Lehranstalten betriebenen Philos[ophie] und Theol[ogie] bedeutete die N[euscholastik], auch wenn sie nie die offiziell gewünschte Uniformität aufwies, eine Engführung. Sie brachte weithin einen trockenen Formalismus u[nd] eine Überbetonung des Autoritätsarguments mit sich sowie ein ungesch[ichtliches] Denken, das zudem die modernen Strömungen zuwenig bzw. rein negativ einbezog.« Vgl. Walter, Neuscholastik, 781. 225 Vgl. Damberg, Entwicklungslinien, 165 (Zitat) und 169 f. Auch Altermatt, Katholizismus, 60 sprach von der »Ambivalenz des Antimodernismus« und betonte v. a. im Hinblick auf den politischen Katholizismus dessen integrative Kraft: »Der konservative Katholizismus war der dialektische Ausdruck des Protestes gegen die moderne Entwicklung, gab aber gleichzeitig den im Modernisierungs- und Wachstumsprozess Zukurzgekommenen eine politische Stimme und führte marginalisierte Leute in der Peripherie des Landes [hier gemeint ist die Schweiz; Th. Fo.] an die Politik heran. Dadurch förderte er ihre Integration und Emanzipation in der modernen Welt.« © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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gekennzeichnet hat.226 Obwohl die katholische Gegnerschaft zur Moderne durchaus romantisierende Züge aufwies, zeigten sich Klerus und Kirchenleitung etwa bei ihrer Medienstrategie durchaus modernen Phänomenen gegenüber aufgeschlossen, was sich etwa am Beispiel des Films zeigen lässt.227 In ihrer reaktiven Gegnerschaft auf die Phänomene der modernen Welt stand die Kirche nicht nur inmitten von deren Diskursfeldern, sondern adaptierte schließlich auch deren Kommunikations- und Aktionsstrategien. Dies bedeutet im Umkehrschluss naturgemäß nicht, dass sie deshalb moderne gesellschaftliche Konzeptionen vertrat.228 In der Wahrnehmung der Kirchenobrigkeit und der Mehrheit des Klerus befand sich die Kirche inmitten einer Welt des sich stets beschleunigenden Niedergangs, aus der nur der Glaubensvollzug Rettung versprach: »Mitten in unserer hundertfältigen Not, inmitten des Niedergangs von Glaube und Sitte, Gerechtigkeit und Liebe gibt es nur eine einzige Hilfe […] Christus«229 heißt es in einem zum Hochfest der Corporis Christi Erzbruderschaft bei München-St. Peter von einem Geistlichen verfassten Beitrag in der Münchener Kirchenzeitung. Mit Zeugnissen dieser Art ließen sich ganze Bände füllen. Stadtpfarrer Karl Nißl230 aus der Münchener Pfarrei St. Ludwig fasste diese Weltsicht 1940 im Zusammenhang mit seinem Synodenreferat über die »Zeitgemäße Predigt« folgendermaßen zusammen: »Es ist sicher nicht zuviel gesagt, wenn wir unsere heutige Zeit eine ausgesprochen religiös-sittliche Notzeit nennen, woran ein in breiteste Volksschichten eingedrungener verstiegener Vitalismus und 226 Vgl. Herf, Reactionary Modernism. 227 Bereits in den 1930er Jahren wurde vom Klerus die Verwendung des Films als Medium der weltanschaulichen Propaganda vorangetrieben. Nach anfänglicher Skepsis gegenüber dem Medium Film hatte sich dieses im kirchlichen Bereich vermehrt etabliert, in der Erzdiözese sogar mit nachdrücklicher Unterstützung Kardinal Faulhabers, der über die kirchliche Leo-Film AG die Filmproduktion unterstützte; vgl. Kuchler, Kirche und Kino, bes. 40–49. Die Möglichkeit des Schmalfilm-Verleihs zum Zwecke der Vorführung in den Pfarreien wurde in den 1930er Jahren geradezu euphorisch begrüßt, vgl. etwa den Bericht Katholiken und Schmalfilm von einer entsprechenden Sitzung der Filmarbeitsgemeinschaft der deutschen Katholiken im Klerusblatt 1933, 101. Der Priester Johann Eibl forderte in seinem Beitrag Die Lichtbildnerei im Zeichen des Schmalfilms, Klerusblatt 1933, 25 f.: »Der Film ist neben Presse und Rundfunk eine der ersten Großmächte unseres Zeitalters, die tagtäglich Millionen von Menschen in ihren Bann zieht. Die Gegner unserer Weltanschauung im Bunde mit einer gewissenlosen Industrie haben diese Großmächte seit Jahrzehnten in verheerendem Umfange in den Dienst der Unkultur und der sittlichen Verwilderung gestellt. An uns ist es jetzt, den Film, diese herrliche Errungenschaft des menschlichen Geistes, endlich in den Dienst der guten Sache, unserer Sache zu stellen.« 228 Deshalb erscheint die Feststellung Karl-Josef Hummels, Pius XII. sei kein Antimodernist gewesen, weil er sich für schnelle Autos und Flugzeuge zu begeistern vermochte (vgl. Hummel, Nuntius, 58 f.) abwegig und zeugt von einer bemerkenswerten Ignoranz gegenüber Modernitätsdebatten. 229 Die Erzbruderschaft Corporis Christi, MKKZ 27, 1934, 8. 230 Karl Nißl, geb. am 15. 09. 1899 in Indersdorf, Priesterweihe 1924 in Freising, Kaplan in MünchenMoosach St. Martin, 1926 Kooperator in München-St. Ludwig, 1930 Domprediger und Domkooperator, 1939 Pfarrer in München-St. Ludwig, 1947 frei resigniert, Superior im Mutterhaus der Barmherzigen Schwestern in München, gest. am 25. 01. 1979; vgl. Schematismus 1950, 44 und 254; Direktorium 2004/2005, 40. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Naturalismus eine Hauptschuld trägt. […] Weite Kreise unseres Volkes sehen wir einem seichten Indifferentismus und Subjektivismus ausgeliefert, diesem Erbe aus der liberalen Zeit.«231 Mit der »liberalen Zeit« waren hier die Jahre zwischen 1919 und 1933 gemeint. Der Hunger nach Leben nach den Entbehrungen des verlorenen Ersten Weltkrieges, die neuen Freiheiten und die ökonomisch unsicheren Verhältnisse begünstigten gesellschaftliche Trends, in denen sich Tendenzen der Vorkriegsjahre verstärkten. Die Weimarer Republik hatte der deutschen Gesellschaft erstmals in ihrer Geschichte vielfältige und alternative Lebensstile und Ausdrucksformen ermöglicht. Nicht nur in Kirche und Klerus erweckte das Neue, Unbekannte und Unverstandene jedoch Angst und Abwehr. Das Schlagwort der bürgerlichen Kräfte der Weimarer Zeit lautete Kulturbolschewismus, womit keineswegs eine Erscheinungsform des Sozialismus gemeint war, sondern jegliche Form von gesellschaftlichem Ausdruck, welche die traditionalistischen Bahnen verließ. Obwohl es der Kirche im Verlauf des 19. Jahrhunderts noch einmal gelungen war, die populäre Religiosität erfolgreich zu beleben – wie etwa an Phänomenen wie dem Herz-Jesu-Kult232 deutlich wird, der gegen Ende des 19. Jahrhunderts seinen Höhepunkt erreichte – war diese Frömmigkeit im Vollzug einer bewussten Abwendung von der Welt stark jenseitsfixiert: »Das ›Erdendasein‹ wurde oftmals als Vorspiel für das ›eigentliche‹ Leben abgetan. […] Die Welt war schließlich böse, es gab vielfältige Versuchungen, überall lauerten Sünde und ewige Verdammnis.«233 Zugleich wurden trotz des starken Aufschwungs religiösen Lebens und einer Fülle neuer Aktivitäten in Vereinen, Verbänden, marianischen Kongregationen und Bruderschaften nur noch die ohnehin Glaubenstreuen erreicht. Hingegen vermochte die Kirche kaum noch Impulse auszusenden, welche diejenigen in nennenswertem Umfang erreicht hätten, die dem religiösen Leben gleichgültig oder kritisch gegenüberstanden oder bereits offiziell abgefallen waren.234 Kirchliches Agieren war seit dem 19. Jahrhundert vor allem defensiv motiviert. 231 Zeitgemäße Predigt, in: Bericht Diözesan-Synode 1940, 40–46, hier 40. 232 Vgl. Busch, Frömmigkeit und Moderne, bes. 132–142. Dieser wies überzeugend nach, dass es sich beim Herz-Jesu-Kult um ein vor allem durch jesuitisches Engagement und Steuerung initiiertes Instrument normierter und uniformierter Volksreligiosität handelte, das bewusst an den religiösen Bedürfnissen und Interessen einer Massenklientel ausgerichtet war (und deshalb Tendenzen der theologischen Verflachung und Magisierung der Religiosität billigend in Kauf nahm), um durch das dadurch entstehende Bündnis zwischen ultramontaner Kirchenhierarchie und gläubiger Volksbasis zur Stärkung der Kirchenbindung der Gesamtgesellschaft beizutragen. 233 Ebenda, 135. 234 Wenn ein – von seiner Persönlichkeit her freilich sehr untypischer – Geistlicher wie Emil Muhler (vgl. zu ihm Kapitel 8.4) in München-Sendling Vorträge für Kirchenfremde hielt, war dies ein Vorgang, der im entsprechenden Seelsorgebericht bereits unter »außerordentliche Veranstaltungen« subsumiert wurde. Dabei überrascht wenig, dass diese Vorträge nicht von der eigentlichen Zielgruppe, sondern »hauptsächlich von guten Katholiken besucht waren.« Vgl. AEM, Seelsorgeberichte, Dekanat München-Süd, Seelsorgebericht der Stadtpfarrei St. Margaret für das Jahr 1944. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Gesamtkirchlich lässt sich so eine doppelte Abschottung gegen die Zeitumstände ausmachen, nach außen ebenso wie nach innen. Die Kirche richtete sich – wie der Pastoraltheologe Rainer Bucher postulierte – um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert in einem von Bucher so genannten Dispositiv235 der Dauer ein, eine Art »friedliche Koexistenz von externer Weltabstinenz mit internem Integralismus«. Dem spezifischen Irritationspotential der Moderne wurde durch »Stillstellung« begegnet.236 Die Entwicklung dieses Dispositivs der Dauer war nach Bucher im Wesentlichen durch drei Vorgänge charakterisiert: Die Organisation der kirchlichen Außenbeziehungen als zwischenstaatliche Relationen (v. a. Konkordate), die Ausrichtung der Innenbeziehungen auf das gläubige Individuum und individuelle, sehr persönliche Frömmigkeitsformen und die Zentralisierung und Juridifizierung von Kirche und Theologie.237 Die vatikanische Politik war nach 1918 verstärkt darauf gerichtet, Kirche und Klerus zu entpolitisieren und gleichzeitig mit Hilfe der Konkordate Bestandteile des Kirchenrechts mit der Staatsgesetzgebung zu verkoppeln, um so der Kirche langfristig eine abgesicherte Position zu verschaffen.238 Der politische Katholizismus hingegen hatte seinen Zenit bereits überschritten. Als neue Strategie zur Mobilisierung der Katholiken wurde die Katholische Aktion propagiert – katholische Laien sollten nun in Schlüsselpositionen der Gesellschaft wirken und so den Einfluss der christlichen Weltanschauung sichern helfen.239 In gewisser Hinsicht bedingte dies einen Statusverlust der Priester, da diese ihren Führungseinfluss nun allenfalls noch indirekt ausüben konnten. Innerhalb Deutschlands blieb der Katholischen Aktion freilich nur mäßiger Erfolg beschieden. Von den geistigen und ästhetischen Leitströmungen der Moderne war der Katholizismus abgeschnitten und hatte sich in eine Art wirkungslose Daueropposition drängen lassen.240 Dies erschien umso fataler, da der Klerus als Teil der gesellschaft235 Der Begriff des Dispositivs geht auf Michel Foucault zurück, er beschreibt »… eine entschieden heterogene Gesamtheit, bestehend aus Diskursen, Institutionen, architektonischen Einrichtungen, reglementierenden Entscheidungen, Gesetzen, administrativen Maßnahmen, wissenschaftlichen Aussagen, philosophischen, moralischen und philantrophischen Lehrsätzen, kurz, Gesagtes ebenso wie Ungesagtes, das sind die Elemente des Dispositivs. Das Dispositiv selbst ist das Netz, das man zwischen diesen Elementen herstellen kann.« Foucault, Michel, Dits et Ecrits. Schriften 3, 392 f.; zit. nach Agamben, Dispositiv, 7 f. Nach Agamben hat das Dispositiv immer eine konkrete strategische Funktion und ist immer in ein Machtverhältnis eingeschrieben. Als solches geht es aus einer Verschränkung von Macht- und Wissensverhältnissen hervor. 236 Bucher, Kirchenbildung, 211. 237 Vgl. ebenda, 42 f. Letzteres ging einher mit der Herausbildung eines vollkommen im Papstamt zentrierten Kirchenverständnisses, vgl. hierzu Weitlauff, Papstkirche, 382. 238 Vgl. Damberg, Entwicklungslinien, 173. 239 Vgl. ebenda, 173 f.; zur katholischen Aktion grundlegend Steinmaus-Pollack, Katholische Aktion. 240 Vgl. Gay, Moderne, 47–50. Hier wird die Moderne als »nachchristliches Zeitalter« (ebenda, 47) bezeichnet. Die schwierige Haltung zur Moderne wird gerade auf ästhetischer Ebene, etwa im Verhältnis zu Kunst und Architektur deutlich, wo man die zeitgenössischen Entwicklungen ebenfalls weitgehend ablehnte und im Sinne eines sehr fragmentarischen Kunstverständnisses schlichtweg Schönheit einforderte: »Aber das Neue bedeutet keinen wahren Fortschritt, wenn es © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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lichen Elite von der Wertordnung der herrschenden Schichten mehr und mehr abgekoppelt und damit seine Relevanz für diese Elite mehr und mehr einbüßte.241 Die tatsächlich durch die Herausforderungen der modernen Gesellschaft entstandenen Problemlagen – deren Existenz ja nicht zu leugnen war – wurden durch diese Haltung freilich nur konserviert, respektive zeitlich verlagert, aber nicht aufgearbeitet: »Man ging nicht mehr von der gegebenen konkreten Wirklichkeit aus, um das in ihr Mögliche zu erkennen und zu gestalten, sondern maß diese Wirklichkeit von vornherein an der eigenen, von ihr ganz entfremdeten Theorie.«242 Insoweit es sich bei diesen kirchlichen Integrationskonzepten ihrem Kern nach ebenfalls um »harmonistische Sozialutopien« mit einem Totalitäts- und Absolutheitsanspruch handelte, sind sie darin dem Nationalsozialismus und anderen gesellschaftspolitischen Utopien strukturell wesensverwandt.243 nicht wenigstens ebenso gut und schön ist wie das Alte. Und oft genug ist dieses Neue tatsächlich wenn nicht sogar über alles Maß hässlich, und offenbart nur die Unfähigkeit …« zitiert der Autor eines nur eine Woche nach der NS-Machtergreifung erschienenen Artikels über die christliche Gegenwartskunst Papst Pius XI. (Felix Mader, Pius XI. und die christliche Gegenwartskunst, Klerusblatt 1933, 77 f.). Selbst in einer kirchenamtlichen Publikation räumt die Kunsthistorikerin Micol Forti über die offizielle kirchliche Kunst der 1930er Jahre ein: »Die zahlreichen Ausstellungen sakraler Kunst […] bezeugen die Diskontinuität des künstlerischen Niveaus und die Vermischung einer mediokren Industrieproduktion mit einer künstlerischen Produktion autodidaktischer Art, die professionelle Künstler zunehmend fern halten.« Forti, Pius XII. und die Kunst, 86 f. 241 Ohne diesen Gedanken hier systematisch weiterzuverfolgen, sei darauf hingewiesen, dass es sich hier m. E. um eine Folge der klerikalen Rekrutierungsmechanismen selbst handelte. Diese noch zu schildernden Mechanismen förderten nach der Säkularisation 1803 den Zugang der Söhne bislang unterprivilegierter und von akademischer Bildung ausgeschlossener Schichten (Kleinbürgertum, Bauern, Handwerker) zum Klerus. Auch der innerkirchliche Aufstieg wurde rein an Loyalität und Leistung geknüpft und war von der Herkunft unabhängig; vgl. hierzu Burkard, Eliten und Säkularisation. Dies förderte einerseits den Aufstieg Leistungswilliger und -fähiger aus diesen Schichten, machte aber den klerikalen Stand für die Angehörigen der alten Eliten überwiegend unattraktiv, weil sie ihre gesellschaftlichen Statusvorteile hier nicht auszuspielen vermochten. Wolf, Hubert, Rohrstengel, 111, sprach mit Blick auf den Episkopat in der Zeit nach der Säkularisation vom »entscheidenden Umbruch vom Fürstbischof zum bürgerlichen Staatsknecht (bzw. dem meist der Unterschicht entstammenden) Papstknecht.« Durch die vollkommene Durchdringung des Klerus mit Angehörigen eines in ästhetischer Hinsicht überwiegend anspruchslosen und geistig verarmten Milieus setzte im Verlauf des 19. Jahrhunderts die Etablierung von deren ästhetischen Standards als kirchlicher Norm und damit ein radikaler Verfall der kirchlichen Kunst ein, die sich fortan in einem historizistischen Epigonalismus erschöpfte. Die Kirche ging dadurch einer ihrer über Jahrhunderte wichtigsten Ausdrucksformen verlustig, was zu ihrem wachsenden Attraktivitätsdefizit, insbesondere für die gesellschaftlichen Eliten, mit beigetragen haben dürfte. 242 Böckenförde, Jahr 1933, 197. 243 So die Auffassung von Graf, Christliche Kultur, 228. Graf spricht von einem »hohen Repressionspotential«, das daher rühre, weil in diesen Konzepten faktische Vielfalt nicht anerkannt werden könne. Vgl. zum Totalitäts- und Absolutheitsanspruch als typische Strukturmerkmale der katholischen Weltanschauung auch Altermatt, Katholizismus, 109 f. Die These, dass eben diese strukturelle Wesensähnlichkeit zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus, ein Zusammengehen von Kirche und Nationalsozialisten verhinderte, vertrat unlängst Holger Arning, Mythen, 54: »Der Platz, den die totalitäre Weltanschauung der Nationalsozialisten © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Den Repräsentanten der katholischen Kirche gelang es auch in Deutschland nach 1918 nicht, ein adäquates Verhältnis zur Moderne und ihren leitenden Ideen insbesondere auch zur Demokratie zu entwickeln.244 Hierbei wirkte sich eine im katholischen Sozialmilieu und in der Kirche gespeicherte »tiefskeptische Distanz zur kapitalistischen, protestantischen und in ihrer Sicht auch jüdisch geprägten Welt der Moderne aus«245, so Hans-Ulrich Wehler. Die kirchliche Idee von Gesellschaft und Welt blieb statisch. »Zu deutlich erkannte man, dass die Modernisierung die überkommene Gestalt der römischen Kirche in Frage stellte, als dass man eine unbefangene und kritische Prüfung ihrer Ansprüche hätte vornehmen können«, betonte Thomas Ruster in seiner Untersuchung zur katholischen Theologie der Weimarer Zeit.246 Das katholisch politische Denken kam weithin nur noch aus der prinzipiellen Verneinung von 200 Jahren gewordener Geschichte,247 woraus sich eine »klar wahrnehmbare Ungleichzeitigkeit zur Moderne«248 ergab.

1.2.2 Kirche und Nationalsozialismus nach 1933: Das Ringen um die bona particularia In besonderer Weise sah sich die Kirche nach 1933 durch das Irritationspotential der Moderne herausgefordert. Wesentlich hierbei ist zunächst der Gedanke, dass auch der Nationalsozialismus – als ein dialektischer Gegenpol – eine spezifische Ausfaltung der

für sich einforderte, war bei den gläubigen Katholiken schon besetzt. Hitler musste mit dem Papst konkurrieren, die Volksgemeinschaft mit der Gemeinschaft der Gläubigen. Und der katholische Anti-Intellektualismus schützte die ausgefeilte Glaubenslehre, nicht den vulgären Sozialdarwinismus der Nationalsozialisten. Die häufig beschworene doppelte Loyalität der Katholiken zu Kirche und Staat entschärfte diesen Konflikt zwar, konnte ihn aber nicht völlig überwinden, da beide Diskurse mit dem Anspruch auftraten, alle Lebensbereiche unter dem Primat der Politik beziehungsweise der Religion zu integrieren.« 244 Deren Herbeiführung im Sinne einer politischen Herrschaftsform war noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts unter Leo XIII. in dessen Enzyklika Graves de communi re über die christliche Demokratie im Sinne sozialer Wohlfahrtstätigkeit vom 18. 01. 1901 abgelehnt worden. Ein entschiedener Wandel trat erst nach dem Zweiten Weltkrieg, vor allem mit Johannes XXIII. ein, vgl. hierzu auch den Beitrag »Papsttum und Demokratie seit 1944/45« von Antonius Liedhegener (Jena) auf der 20. Jahrestagung des Schwerter Arbeitskreises Katholizismusforschung (SAK) 2006; siehe http:// hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=1412 (25. 06. 2012). 245 Wehler, Gesellschaftsgeschichte IV, 814. 246 Ruster, Nützlichkeit, 391. Als mit auslösend für das schwierige Verhältnis dürfte der Umstand sein, dass die Moderne auf einen Wertekanon oder Bezugskatalog nicht verzichtet, sondern lediglich im Zuge der Rationalisierung den traditionellen Katalog durch einen neuen ersetzt. An Stelle der erodierten Sinnressource Religion tritt so etwa die politische Utopie als Glaube an die Herstellbarkeit neuer innerweltlicher Ordnungen. 247 So Böckenförde, Jahr 1933, 197. 248 Ruster, Nützlichkeit, 14. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Moderne ist249 und sich vor allem in dynamischen Prozessen realisierte.250 Hitler übernahm wesentliche Elemente des nachfeudalen gesellschaftlichen Modernisierungsprozesses und schrieb die Glücksverheißungen der Moderne mit seinem politischen Programm fort: individueller materieller Wohlstand, Dauerinnovation, Erhöhung der vertikalen sozialen Mobilität und egalisierende Tendenzen. Gleichzeitig wurde der Wert eines Individuums nun in einem zuvor nicht gekannten Ausmaß von seiner Rolle im Produktions- und Reproduktionsprozess abhängig – wer aus diesem Raster fiel, erschien bestenfalls nutzlos, schlimmstenfalls schädlich und war schutzlos zuerst der sozialen und dann im Extremfall der physischen Vernichtung preisgegeben. Das Spezifische dieses Prozesses bestand in der Vermengung dieser rein positivistischen objektivierbaren Aspekte des Modernisierungsprozesses mit der Liquidation der Pluralität und der Absage an das universalistische Ethos der Menschenrechte.251 Hitler versprach die Segnungen der Moderne ohne deren identitätsgefährdende Pluralitätszumutungen und machte sein Projekt damit zustimmungsfähig.252 Die Abneigung weiter Teile der katholischen Kirche gegen die NS-Ideologie war zunächst vor allem kirchen- und kulturpolitisch motiviert. Man interpretierte den ursprünglich im katholischen Umfeld Münchens entstandenen und anfangs nicht kirchenfeindlichen Nationalsozialismus253 seit der Mitte der 1920er Jahre vor allem als Erscheinungsform neuheidnischer und antichristlicher völkischer Religiosität und somit als Bedrohung.254 Wenngleich der gegen die Pluralitätszumutungen der 249 Die von Rainer Zitelmann in den 1980er Jahren angestoßene und ältere Thesen David Schoenbaums aus den 1960er Jahren aufgreifende Kontroverse zum Thema Nationalsozialismus und Modernisierung kann hier nicht gespiegelt werden, vgl. hierzu die Zusammenfassung bei Mommsen, Nationalsozialismus und Modernisierung. Im Zusammenhang mit dieser Arbeit von Interesse ist vor allem die von Herf, Reactionary Modernism, vertretene These des Nationalsozialismus als reaktionäre Ausprägung des Modernismus und die Theorie des Soziologen Zygmunt Baumann (Baumann, Dialektik der Ordnung) der im Holocaust nicht den Rückfall in archaische Barbarei sieht, sondern ihn als das Ergebnis eines Ringens um absolute Ordnung und eines Kampfes gegen jede Form von Ambivalenz interpretiert. 250 Deutlich wird diese Sicht etwa auch in der Darstellung in einem Seelsorgebericht der Pfarrei Dachau aus der Zeit nach dem Zusammenbruch: »Je näher für den Klarblickenden das schreckliche Kriegsende kam, desto schärfer spaltete sich in der Bevölkerung selbst die Grenzscheide zwischen jenem konservativen Teil der Bevölkerung, der die alte Tradition in jedweder Weise aufrecht erhalten wollte und darum im schwersten Kampfe mit den modernen Strömungen lag und den radikalen Elementen […] angefangen vom Kreisleiter bis zum letzten SA- und SS-Mann …« Der Nationalsozialismus wird hier also sogar begrifflich explizit den »modernen Strömungen« zugerechnet; vgl. AEM, Seelsorgeberichte, Dekanat Dachau, Seelsorgebericht der Pfarrei Dachau-St. Jakob für die Jahre 1944 und 1945. 251 Vgl. hierzu Bucher, Kirchenbildung, 87–96. 252 Vgl. ebenda, 94. 253 Vgl. Hastings, Roots. 254 Vgl. v. a. zur Auseinandersetzung der Kirchen mit Alfred Rosenberg Burkard, Häresie und Mythus. Die erneute, bedeutungsvolle Wende in der Beurteilung des Nationalsozialismus nach 1933 resultierte bekanntlich vor allem aus der taktischen Bereitschaft Hitlers, den Kirchen u. a. mit dem Reichskonkordat, in Bezug auf ihre Wünsche formal weit entgegen zu kommen. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Moderne gerichtete Affekt der NS-Ideologie, vor allem der Antiliberalismus und Antibolschewismus den Kirchen prinzipiell entgegen kam, wurde dies doch auf jenen Feldern zum Problem, an denen sich der Ideologieanspruch des Nationalsozialismus mit der Lehre der Kirche überschnitt. Konflikte zwischen der katholischen Kirche und dem Nationalsozialismus entstanden dann auch im Wesentlichen an den ideologischen Überschneidungspunkten beider Systeme und aus dem Anspruch des Nationalsozialismus auf eine weltanschauliche Umprägung der Gesellschaft, vor allem der Kirchenmitglieder, also der Objekte der Seelsorge. Das Kirche sah sich auch in den eigenen Reihen durch Hitlers Gesellschaftsprojekt herausgefordert, dessen Dynamik auch viele Katholiken in den Bann zog. »Dynamik und personale Intensität fehlte dem kirchlichen ›Dispositiv der Dauer‹ – zumindest nach Ansicht der in die kirchliche Latenz gedrückten Aufbruchsbewegungen der Zeit nach der ›Modernismuskrise‹«, konstatierte Bucher.255 Während einige Theologen sich bemühten, dieser Dynamik entgegen zu kommen und dabei theologisch abstruseste Thesen vertraten, etwa dass infolge der »unlöslichen Blutsgemeinschaft« dem deutschen Katholiken der ungläubige Volksgenosse näher stehe als der »gläubige Hottentot«256, versuchte die kirchliche Hierarchie ihr zu entkommen. Die Bischöfe, darunter Faulhaber, dessen Wahlspruch »Vox temporis vox Dei«257 lautete, beantworteten Hitlers Herausforderung mit einem Modell abgegrenzter Zuständigkeiten von Kirche und Staat.258 Jene bereits im Verhältnis zur demokratischen Gesellschaft Weimars entwickelte Vorstellung wies Staat und Kirche zwei mehr oder weniger separierte Zuständigkeitsbereiche zu. Es war der endgültige und den äußeren Umständen geschuldete Abschied von einem integralistischen Staat-Kirche-Modell.259 Folglich beschränkte man sich nach 1933 kirchenoffiziell bei der Ablehnung des Nationalsozialismus allein auf jene Teile, die sich explizit auf die christliche Religion bezogen, klammerte aus dem Konfliktpotential mit dem Staat 255 Bucher, Kirchenbildung, 14. 256 So der Dogmatiker Karl Adam in seinem Aufsatz »Deutsches Volkstum und katholisches Christentum« in der Theologischen Quartalschrift 1933, 40–63, hier 61, zit. nach Scherzberg, Dogmatik, 156. 257 Vgl. Kornacker, Jörg, Bischof von Speyer, 134–136. Faulhaber übersetzte dies mit: »Was Bedürfnis der Zeit ist, ist ein Anruf Gottes«. 258 Vgl. hierzu Bucher, Kirchenbildung, 192–195, der hier etwas missverständlich von »Regionalisierung« spricht. 259 Dieser hatte sich freilich in weiten Teilen der Universitätstheologie der 1920er Jahre bereits angekündigt. So gab es in der deutschsprachigen katholischen Moraltheologie der Zwischenkriegszeit ebensowenig Diskurse zum grundsätzlichen Verhältnis des Individuums zum Staat, wie zu Fragen des Völkerrechts oder hinsichtlich der Problematik von Krieg und Frieden. Wesentliche katholische Positionen zu diesen Fragen lassen sich nicht ausmachen – sie wurden schlichtweg aufgegeben. Stattdessen beschränkte sich das Interesse der Moraltheologen und Sozialethiker am Staat auf Fragen der Wirtschaftsordnung (Ablehnung des Kollektivismus) und der öffentlichen Wohlfahrtspflege. Freundlicher Hinweis von Prof. Dr. Konrad Hilpert, Katholisch-theologische Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München, am 20. 09. 2010 an den Verfasser. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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somit alle jene gesellschaftspolitischen Vorgänge aus, die dieses Problemfeld nicht unmittelbar berührten.260

Im Auge hatte man die »bona particularia«261, jene kirchen- und kulturpolitischen Bereiche von Staat und Gesellschaft, welche die Kirche unmittelbar in ihrer Interessenssphäre berührten. Schon 1931 hatte der bayerische Episkopat in seinen Pastoralen Anweisungen an den Klerus dies deutlich gemacht: »Es liegt uns ferne, uns mit den staatspolitischen Zielen des Nationalsozialismus zu befassen; wir fragen uns nur, was für eine Stellung er zum katholischen Christentum einnimmt.«262 Mehrmals wurde dieser Grundsatz in der Folgezeit bekräftigt und gegenüber dem Klerus eingeschärft. Zur Predigt hieß es in einer Anweisung des Münchener Generalvikars Buchwieser aus dem Jahr 1935: »… wohl überlegte, aber mannhafte Verkündigung des göttlichen Wortes. Manuscript bereithalten. Politische Anspielungen meiden. Sich streng an die Bischofsworte halten. Negative Kritik unterlassen. Wir predigen Gottes Wort an Gottes Ort.«263 Bereits Ernst-Wolfgang Böckenförde hatte darauf hingewiesen, dass im politischen Denken der Katholiken die Bereiche Religion, Kirche und Schule den eigentlichen Kernbestand des Gemeinwohls und damit einer guten politischen Ordnung ausmachten und demgegenüber alle anderen Bereiche zurücktraten. Er konstatierte eine »Verengung des politischen Bewusstseins«, welche zur Folge hatte, dass die Fähigkeit zu wirklichem politischen Denken, nämlich »vom Ganzen her und auf das Ganze hin, zu urteilen und zu entscheiden« verloren ging.264 Dies trifft insbesondere auf das Verhältnis der Kirche zum Nationalsozialismus zu. Die Haltung Faulhabers und die der übrigen deutschen Bischöfe gegenüber dem Nationalsozialismus blieb – ungeachtet dessen, dass sie sowohl von den Katholiken als auch von den Nationalsozialisten als politisch wahrgenommen wurde – deshalb dort unpolitisch, wo die Kirche nicht betroffen war.265 Eine analoge Haltung erwartete Faulhaber von seinem Klerus und 260 Bucher, Kirchenbildung, 193. 261 Böckenförde, Jahr 1933, 193. 262 Volk, Akten Faulhabers, Bd. 1, 541–543, hier 541. 263 AEM, Ordinariatssitzungsprotokoll vom 30. 01. 1935. 264 Vgl. Böckenförde, Jahr 1933, 192. 265 Bucher, Kirchenbildung, 203 erkennt gerade im Missverhältnis zwischen Intention und Interpretation ein »enormes innerkirchliches Führungsdefizit« in dieser Zeit: »Dass Faulhabers Predigten [gemeint sind hier die Adventspredigten von 1933; Th. Fo.] als das ›Lautwerden einer Gegenstimme, die sich dem erdrückenden Zwang der Uniformierung und Gleichschaltung widersetzte‹ [L. Volk] interpretiert wurden, belegt das interpretationsbereite Warten der Gläubigen auf Identifikationschancen mit dem kirchlichen Amt in Zeiten enormen innern und äußeren existentiellen Problemdrucks. Die Hoffnung, diese Problemsolidarität in den Adventspredigten zu finden, führte zu dem produktiven Missverständnis, sie besäßen eine intendierte Gegenwartsrelevanz.« Ein über die Abwehr eines germanisierten Deutschchristentums hinausreichender Aktualitätsbezug ist in den Adventspredigten nicht enthalten. Dass Faulhaber das Autorenhonorar, das er bei Drucklegung der Predigten später erhielt, dem nationalsozialistischen Winterhilfswerk spendete (vgl. Kornacker, susanne, Adventspredigten, 327 f.), untermauerte diesen apolitischen Selbstanspruch noch. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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der Klerus hielt sich – im Wesentlichen – hieran. Hiermit soll freilich nicht bewertet werden, ob es zu diesem Verhalten, Alternativen gegeben hätte und wie diese hätten aussehen können. Der weitgehende Rückzug der Kirche aus dem politischen Leben war zudem eine Forderung, die seit dem 19. Jahrhundert von Seiten des politischen Liberalismus wie des Sozialismus immer wieder erhoben worden war. Die innere Struktur der Kirche und ihres Klerus begünstigte diese Haltung ohnehin. Die Klerusausbildung war spätestens seit den einflussreichen Reformen des Münchener Erzbischofs Karl August Graf von Reisach266 darauf ausgerichtet, eine vormodern geprägte Elite mit geschlossener Identität zu etablieren, die sich gegenüber den Zumutungen der modernen Gesellschaft in einer Defensivposition einrichtete. Charakteristisch für den bis ins 20. Jahrhundert vorherrschenden »ultramontanen Priestertypus« (Monika Nickel) war ein »rituell-affektiver Pastoralstil« und »ein dezidiert geistlicher, der Würde des Amtes angemessener Habitus, der bestimmte Verhaltensweisen ausschloss.«267 Der Priester wurde zum Exponenten einer sich mehr und mehr von Welt und Gesellschaft abhebenden Kirche. Es handelte sich um eine nach dem »strengkirchlichen Priesterideal«268 formierte, geschlossene Gesellschaft, die durch ein effektives Devianzmanagement aufrecht erhalten wurde. Diese Absonderung des Klerus leistete bereits im Verlauf des 19. Jahrhunderts einen nicht unwesentlichen Beitrag zur Ausbildung einer »traditionalistisch geprägten katholischen Subgesellschaft«269, die bis weit in die 1950er Jahre Bestand hatte.270 Nicht zuletzt das starre und geschlossene neuthomistische Denksystem verhalf der Kirche überdies »zu einer relativen weltanschaulichen Geschlossenheit gegenüber anderen gesellschaftlichen Strömungen«.271 Die binnenkirchliche Homogenisierung und Weltabstinenz erzeugten eben andererseits auch eine Abwehrhaltung des Klerus gegen den Nationalsozialismus. Die »Fluchttendenz in den kirchlichen Innenraum«272 begünstigte insbesondere beim Klerus, mit geringerem Erfolg bei den Gläubigen, eine gewisse Immunisierung gegenüber dem jeweiligen Zeitgeist, den Gegenwartsmoden und kurzlebigen gesellschaftliche Phänomenen wie den Ideologien des 20. Jahrhunderts. Durch die Einrichtung im »Dispositiv der Dauer« (Bucher) – an sich müsste wohl treffender von einem Dispositiv der Defensive die Rede sein – gelang es der katholischen Kirche in so starkem Ausmaß wie keinem anderen relevanten gesellschaftlichen Teilsystem, ihren Klerus ideologisch gegen die Einflüsse des Nationalsozialismus zu immunisieren. Die so 266 Vgl. hierzu Garhammer, Seminaridee sowie Kapitel 2 dieser Arbeit. 267 Nickel, Theologisch-praktische Monatsschrift, 208; zum Habitus clericalis auch Kapitel 3.1 dieser Arbeit. 268 Vgl. zur Ausbildung dieses »strengkirchlichen Priesterideals« am Beispiel der Klerusbausbildung im Bistum Münster die instruktive Untersuchung von Schulte-Umberg, Profession. 269 Nickel, Theologisch-praktische Monatsschrift, 208. 270 Vgl. zu den Mentalitäten des Klerus in der Nachkriegszeit Fellner, Kirche in Bayern, 90–100. 271 Vgl. Walter, Neuscholastik, 782. 272 Ruster, Nützlichkeit, 367. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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genannten braunen Priester blieben, setzt man ihre Zahl in Relation zum Grad der Nazifizierung der deutschen Gesamtgesellschaft, geradezu ein Außenseiterphänomen. Man könnte auch formulieren: Der Nationalsozialismus war schon wieder vorbei, noch ehe die Kirche eine Anpassungsleistung vollziehen und einen Modus vivendi mit dem System finden konnte, womit im Falle einer langfristigen Etablierung und weniger radikal verlaufenden Entwicklung des NS-Herrschaftssystems zu rechnen gewesen wäre, ähnlich wie es unter Johannes XXIII. im Verhältnis zur lange abgelehnten Herrschaftsform der Demokratie geschah.

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Die Berufung zum Priestertum

2.1.1 Der Berufungsdiskurs Mit einer ausführlichen Begründung teilte der Rektor des römischen Collegium Germanikum Kardinal Faulhaber im Juli 1930 mit, weshalb er den an sich hoffnungsvollen und begabten Kandidaten Bernhard W. aus der Münchener Erzdiözese wieder in seine Heimat zurückgeschickt hatte: Der genannte Alumnus äußerte schon am Anfang dieses Jahres, er leide stark an Heimweh und möchte nach Hause zurückkehren. Da Herr W[…] sonst gute Anlagen zeigte, ging ich auf solche öfters vorkommenden Anwandlungen junger Candidaten nicht ein, sondern suchte ihm über seine Gemütsstimmung hinwegzuhelfen und erklärte an eine jetzige Rückkehr nach Hause sei gar nicht zu denken, da er einen so übereilten Schritt später sicher bereuen würde. Mehr Eindruck auf mich machte seine ständige Erklärung, er hege ernste Zweifel, ob er für ein ganzes Leben lang die strengen Verpflichtungen des Priestertums, bes[onders] auch bezüglich Zölibat auf sich nehmen könne. Jedoch suchten sowohl P. Spiritual als auch ich ihm diesbezüglich Mut zu machen, da er sonst die nötigen Eigenschaften für das Priestertum zu haben schien. Auch wollten wir den Schluss des Schuljahres abwarten, um zu sehen, ob seine Bedenken nicht doch bloss vorübergehender Natur seien. Als Herr W[…] aber immer wieder mit denselben Bedenken kam und auch jetzt am Ende des Schuljahres wieder ernste Bedenken äusserte, ob der Zölibat für ihn geeignet sei, sagten wir uns, dass es gegen unser Gewissen wäre, ihm den Priesterberuf aufdrängen zu wollen. […] Auch aus dem ganzen Benehmen und der gedrückten Stimmung des H[errn] W[…] ging hervor, dass der Priesterberuf nicht für ihn sei. Aus diesen Gründen stimmten wir endlich zu und rieten ihm, einen weltlichen Beruf zu ergreifen. Das zufriedene und heitere Benehmen des Alumnus seit dieser Entscheidung bestätigten, dass der getroffene Entschluss der richtige war. Im Übrigen waren wir mit H[errn] W[…] zufrieden; er war solid im Benehmen und strebsam in den Studien: Das Verlassen unseres Collegs ist somit vollständig legal, da es auf der Erkenntnis beruht, nicht zum Priestertum berufen zu sein.1

Eine ähnliche, wenngleich lapidarer formulierte Begründung lieferte der Regens des Freisinger Klerikalseminars, Johann Baptist Westermayr, seinem Bischof im Frühjahr 1939 für den Austritt einer ganzen Reihe von Kandidaten während des vergangenen

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EAM, NL Faulhaber 1405/1, Rektor des Collegium Germanikum an Faulhaber vom 21. 07. 1930. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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halben Jahres: »wegen mangelnden Berufs«2. In dem Begriff Berufung konzentriert sich ein Bündel innerer und äußerer, emotionaler, psychischer, sozialer und religiöser Faktoren, die zum Ergreifen des Priesterberufs führen. Bereits durch die Existenz des Begriffs der Berufung an sich kann deutlich gemacht werden, dass die Profession des Priesters kein bürgerlicher Beruf in einem modernen Sinne ist und die Entscheidung für diese Profession einer besonderen Legitimation und Begründung bedarf.3 Dabei ist der Berufungsbegriff äußerst komplex und vielschichtig und zugleich mit Tabus belegt.4 Das zeitgenössische Standardwerk Der Priester in der Welt vermerkte hierzu 1939: »Der Beruf des Priesters überschreitet die Grenzen des rational Bestimmbaren«, er bleibe deshalb »einer rationalen Untersuchung unzugänglich – der Priesterberuf weist eben seinem Wesen nach ins Mysterium.«5 In der belletristischen Literatur erscheint der Topos der Sprachlosigkeit angesichts des als göttlichen Gnadenwalten verstanden Ereignisses der Berufung in noch unmittelbarer Weise: »Ich glaube, das kann nur verstehen, der es selber erlebt hat«6, versucht der Protagonist Sebastian in Georg Rendls7 Priesterroman Der Berufene den Wunsch nach dem Priestertum 2 EAM, NL Faulhaber 5771/3, Auflistung der Austritte aus dem Erzbischöflichen Klerikalseminar von Oktober 1938 bis März 1939. 3 Wie Max Weber in seiner Religionssoziologie darstellte, entstand der säkulare Begriff Beruf aber wiederum aus einer Umdeutung des religiösen Begriffs, so dass sich nun auch hierin – in der Sinn stiftenden Funktion des bürgerlichen Berufs für den Mann – eine Legitimität in einem höheren Sinne darstellen lasse; vgl. Fritzi, Max Webers politisches Denken, 269. Eine andere Akzentuierung der Geschichte des Berufungsbegriffs bei Bitterli, Priester, 5 f. 4 So wurde die Frage nach den Umständen der Berufung in der dieser Arbeit vorausgegangenen Befragung von Geistlichen mitunter entweder ausweichend beantwortet, oder mit einem Hinweise wie »Das geht aber doch schon etwas in die Intimsphäre, nicht?« zurückgewiesen; vgl. etwa EAM, Priesterbefragung 2003, Interview mit Max Eham; vgl. hierzu auch meine Ausführungen in Forstner, Oral history, 318. Drewermann, Kleriker, 43, wies auf die traditionelle Linie der Theologie hin, die den Weg der Berufung eines Menschen durch die Gnade Gottes als Mysterium sui generis und Geheimnis sensu stricto deute, dass sich jedem Erklärungsversuch entziehe, da es einzig der Freiheit des positiven Gnadenwillens Gottes entspringe. 5 Sellmair, Priester, 41 f. Beruf ist hier, wie stets in zeitgenössischen Quellen über das Priestertum, nicht im Sinne von Profession zu verstehen, sondern im Sinne von Berufung zum geistlichen Stand. 6 Rendl, Berufene, 33 f. 7 Georg Rendl, geb. 1903 in Zell am See, gest. 1972 in St. Georgen bei Salzburg, war ein österreichischer (Roman-)Schriftsteller und Maler, seine schriftstellerischen Werke entstanden vorwiegend in der Zwischenkriegszeit und spielen vor allem im ländlichen Milieu, sie greifen vielfach auch religiöse Motive und Themen auf; vgl. den Katalog Salzburger Museum Carolino Augusteum/GeorgRendl-Gesellschaft, Georg Rendl. Eine besondere Form autobiographischer Selbstreflexion stellt sein Roman Der Berufene aus dem Jahr 1934 dar. Rendl hatte ursprünglich selbst den Priesterberuf angestrebt und verarbeitete das Scheitern dieses Lebensentwurfs rückblickend in der Darstellung des Schicksalswegs seiner Romanfigur mit dem programmatischen Namen Sebastian Flamm. Rendls Werk versammelt in sich die wesentlichen prototypischen Vorstellungen vom Berufungsweg eines katholischen Priesters. Der bemerkenswert ereignisarme Roman schildert das Hin- und Hergerissensein seines Protagonisten zwischen der Liebe zu dem Mädchen Maria und seinem Wunsch Priester zu werden. Ohne Kritik am Zölibat zu üben, beherrscht dieses Thema, das die Entscheidung eines entweder oder auferlegt, das gesamte Buch. Um überhaupt als Quasi© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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durch das Ausweichen vor einer sachlich-rationalen Erklärung zu umschreiben. Der unmittelbare Kontakt mit dem Numinosen, wie er zu Beginn der priesterlichen Existenz im Initialerlebnis der Berufung erfahren wird, ist elementarer Bestandteil des klerikalen Selbstverständnisses, er »sichert […] die Eignung für seine Mission«8 sowohl im Selbstverhältnis als auch gegenüber der Außenwelt, indem er ex post eine Begründung für die – mit besonderen Bedingungen verknüpfte – Berufsentscheidung liefert.9 Ursprünglich bezeichnete der Begriff Berufung lediglich einen innerkirchlichen Rechtsakt gegenüber dem Priester, nämlich das »vom Bischof auf eine Stelle berufen werden.«10 Im Laufe der Zeit wurde der Begriff durch die Theologie dann spiritualisiert und damit auch differenziert. In dieser Hinsicht sind nun zunächst die verschiedenen Berufungsbegriffe zu unterscheiden:11 Die äußere oder kanonische Berufung (elementum ecclesiasticum), worunter vor allem die Annahme eines Kandidaten durch den zuständigen Oberhirten, d. h. bei Weltpriestern durch den Ortsbischof, zu verstehen ist, welche ihren formalen Ausdruck in der Weihe des Kandidaten findet. Notwendige Voraussetzung hierfür bildet die innere Berufung (elementum divinum). Für diese sind objektive Berufseignung und subjektive Berufsabsicht wesentliche Kriterien. Hinzu kommt ein Drittes, welches in rechtlicher Hinsicht keinen fassbaren Niederschlag gefunden hat: Das – auch gemeinhin zuvörderst mit dem Berufungsbegriff assoziierte – persönliche Vermeinen, von Gott für den Priester- oder Ordensstand erwählt zu sein.12 Die Bestimmungen des CIC 1917 sahen als Voraussetzung für die Priesterweihe keine in transzendenten Erfahrungen wurzelnde Berufung zum Priesterstand vor. Dieser kanonischen Festlegung war zu Beginn des 20. Jahrhunderts aber eine bedeutsame theologische Kontroverse vorausgegangen, an der sich ablesen Gegenspielerin zum göttlichen Ruf in Frage zu kommen, wird Maria (ihr Name, der an die Gottesmutter erinnert, ist ebenso Programm, wie der des Helden) zu einer Ikone der absoluten Reinheit und Unschuld verklärt. Ihre Welt ist die etwas ärmliche, aber stille und erhabene Einfachheit des Landes, der als Gegenwelt die Großstadt, in die Sebastian sich zum Studium der Medizin begibt, gegenübergestellt wird. In der ausschließlich negativ charakterisierten Großstadt, in welcher die Menschen entwurzelt erscheinen und orientierungslos umherirren, verstrickt sich Sebastian durch erotische Abenteuer in vermeintliche Schuldzusammenhänge, bevor er geläutert wird und sich für den priesterlichen Weg entscheidet.  8 Wach, Religionssoziologie, 410.   9 Der Jesuit Stefan Kiechle, Zuversicht, 552, hat freilich auch die problematischen Aspekte des Berufungsdiskurses aufgezeigt, indem er auf den durch das Ausbleiben von Berufungen verursachten Priestermangel der Gegenwart verweist. Es stelle sich theologisch hier durchaus die Frage, »ob Gott die Priester nicht mehr braucht oder nicht mehr will, denn sonst würde er ja mehr und gute berufen«. 10 Brantzen, Lebenskultur, 32. 11 Vgl. zum Folgenden Dander, Berufung. 12 Insofern die so verstandene Berufung und damit die Entscheidung für den Priesterberuf ein Ereignis ist, das seine Wurzeln im Transzendenten hat, soll sie im Folgenden als transzendente Berufung bezeichnet werden. Dieser Begriff ist in der Theologie unüblich und wird im Kontext dieser Arbeit lediglich zur Abgrenzung vom kirchenrechtlich fixierten Begriff der inneren Berufung eingeführt. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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lässt, inwieweit der transzendente Berufungsbegriff auch jenseits seiner kirchenrechtlichen Nichtrelevanz bedeutsam blieb.13 Der französische Theologe Louis Brancherau hatte 1896 die Auffassung vertreten, dass unter Berufung auf jeden Fall ein innerer Antrieb des Heiligen Geistes zu verstehen sei (franz. Attrait) und ein solcher auch die Voraussetzung für den Priesterberuf bilde, wobei dem Kandidaten, der sich auf ein solches Attrait berufe, auch die Weihe zu erteilen sei.14 Sein akademischer Kontrahent Joseph Lahitton lehnte dies ab und sah das Vorhandensein der allgemeinen formalen Voraussetzungen beim Kandidaten und dessen Berufung durch den jeweiligen Oberhirten als entscheidend an. Die Berufung zum Priestertum sei nach Lahitton keine unmittelbare von Gott kommende Gnade, und eine innere Neigung zum Priesterstand nicht die Vorraussetzung für die Erteilung einer gültigen Weihe.15 Eine von Papst Pius X. eingesetzte Kommission entschied die Kontoverse 1912 im Sinne Lahittons, indem sie festhielt, dass Berufung keineswegs notwendig in »einer gewissen Inspiration des Subjekts oder in Einladungen des Hl. Geists, das Priestertum zu übernehmen« bestehe.16 Dies war eine Absage an die Legitimation der Bewerber durch subjektive, emotional begründete und durch die Oberhirten kaum zu kontrollierende und überprüfbare Berufungserfahrungen. Das kirchliche Gesetzbuch von 1917 definierte demgegenüber eine ganze Reihe von Voraussetzungen, an welche die Zulassung zur Priesterweihe geknüpft war. Es waren sowohl formale, wie religiös-charakterliche als auch gesundheitliche und intellektuelle Anforderungen, denen die Kandidaten entsprechen mussten.17 Zudem durften keine Hindernisse vorliegen, die einer Weihe entgegenstanden.18 Die Berufsabsicht musste 13 Die Diskussion, ob es eine göttliche Berufung zum Priesterstande gäbe, führten bereits die Kirchenväter; vgl. Reinhard, Berufung. Das Konzil von Trient und der Catechismus Romanus hatten zur Frage der Feststellung der Berufung keine klare Aussage gemacht; vgl. Gatz, Beilegung des Kulturkampfes, 134. 14 Vgl. Brancherau, Vocation. 15 Vgl. Lahitton, Vocation. 16 Dekret vom 16. 06. 1912, AAS IV, 1912, 485. 17 Vgl. CIC 1917, can. 968–978; Eichmann/Mörsdorf, Kirchenrecht, Bd. 2, 104–109: Kirchenrechtlich wurde unterschieden zwischen den allgemeinen und den positiven Voraussetzungen zur Weihe. Zu den allgemeinen zählte das Verbot jeden Zwanges, also der freie Wille des Weihebewerbers (der getaufter Mann sein musste) zum Eintritt in den geistlichen Stand, ein Bedarf an Geistlichen und eine mindestens vierjährige Seminarerziehung. Die positiven Voraussetzungen waren der vorangegangene Empfang der Firmung, die entsprechenden Sitten, das vorgeschriebene kanonische Alter von 24 Jahren für die Priesterweihe, das nötige Wissen und die Einhaltung der einzelnen Weihestufen und der zwischen diesen liegenden vorgeschriebenen zeitlichen Abstände sowie der kanonische Weihetitel; vgl. zur Interpretation der damaligen kirchenrechtlichen Bestimmungen für die Praxis: Stockums, Beruf. 18 Vgl. CIC 1917, can. 983–991; Eichmann/Mörsdorf, Kirchenrecht, Bd. 2, 112–122: Die Weihehindernisse wurden unterschieden in einfache Weihehindernisse von zeitlich begrenzter Dauer und so genannte Irregularitäten, die dauernde Hindernisse darstellten. Zu den einfachen Hindernissen zählten standesfremde Tätigkeit, Abstammung von Nichtkatholiken (sofern diese nicht mittlerweile katholisch geworden waren), ein bestehendes Eheband oder Ehrlosigkeit, d. h. vor allem anstößiger Lebenswandel. Bei den Irregularitäten wurde zwischen solchen ex defectu, die auf einem © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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wohlüberlegt und fest sein, aus freiem Entschluss ohne äußeren Zwang erwachsen sein und durfte sich nur auf religiöse Motive, also nicht etwa auf das Motiv der ökonomischen Existenzsicherung, stützen. Der echte Priesterberuf zeige sich, so die unter Pius XI. 1935 veröffentlichte Enzyklia Ad catholici sacerdotii, weniger in einem Gefühle des Herzens oder in einer spürbaren Neigung der Seele, die mitunter fehlen oder vergehen können, sondern vielmehr in der rechten Absicht des Priesteramtskandidaten im Verein mit all den körperlichen, geistigen und sittlichen Anlagen, die ihn für diesen Stand geeignet machen. Wer nach dem Priestertum strebt einzig aus dem edlen Beweggrund, sich dem Dienste Gottes und dem Heile der Seelen zu weihen, und dazu gediegene Frömmigkeit, erprobte Reinheit des Lebens und genügendes Wissen – ›genügend‹ in dem von Uns oben erklärten Sinn – besitzt oder sich ernstlich darum bemüht, der zeigt, dass er von Gott zum Priesterstand berufen ist.19

Durch den Verzicht auf die Notwendigkeit einer transzendenten Begründung des Berufwunsches Priester festigte die Kirche zugleich ihren Rechtsanspruch, Bewerber die ihr ungeeignet erschienen, abzulehnen. Die Ortsbischöfe waren es, die aufgrund der mehr oder minder formalen Kriterien in letzter Instanz über die Zulassung zur Priesterweihe entschieden. Tatsächlich war vor allem die Entscheidung zum Priestertum »das Rekrutierungsproblem ersten Ranges«.20 Hatte der Kandidat die Wahl hingegen erst einmal getroffen und sich für das Priestertum entschieden, so waren die anderen Aufnahmebedingungen zwar gegeben, aber demgegenüber von sekundärer Natur, was auch aus den im Kirchenrecht vorgesehenen Dispensmöglichkeiten ersichtlich ist. Hiermit konnte, je nachdem ob Mangel oder Überschuss an Bewerbern herrschte, der Zugang zum Amt durch die kirchliche Obrigkeit gesteuert werden. Die Berufung zum Priestertum war entsprechend dieses Verständnisses »eine äußere Gnade, die durch die legitimen Organe der Kirche vermittelt«21 wurde. »Die Kirche stellt demnach«, so der Pastoraltheologe Jakob Crottogini, »die Tatsächlichkeit der ewigen Berufung Gottes fest, indem sie die Befähigung des Berufenen und dessen

Mangel an körperlich-geistiger Integrität oder kirchlicher Ehre beruhten und im Wesentlichen ohne eigenes Verschulden zustande kamen, und solchen ex delicto, die auf einem sittlichen Makel beruhten und persönliche Verfehlungen voraussetzten, unterschieden. Zu den Irregularitäten ex defectu zählten vor allem die nichteheliche Geburt, körperliche Mängel (Schwäche, Missbildung, Verlust von Gliedmaßen), Epilepsie, Geisteskrankheit und Besessenheit, zu den Irregularitäten ex delicto Glaubensabfall, Häresie oder Schisma, der Taufempfang von einem Nichtkatholiken, ein begangener Mord oder Selbstmordversuch u. a. Grundsätzlich konnte von allen Weihehindernissen befreit werden, sofern nicht ein die Berufsausübung faktisch behinderndes Hindernis (z. B. Geisteskrankheit) vorlag, in der Praxis wurde aber nur von bestimmten Hindernissen (z. B. uneheliche Geburt) regelmäßig befreit. 19 Pius XI., Ad catholici sacerdotii, 24 f. 20 Deschwanden, Rollenanalyse, 130. 21 Crottogini, Werden und Krise, 12. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Intention überprüft.«22 Der Verweis eines Kandidaten darauf, von höherer Stelle für das Priestertum erkoren zu sein, blieb hingegen ohne Relevanz. Erwin Gatz hat auf die zentrale Bedeutung der Entscheidung zugunsten Lahittons hingewiesen, welche die theoretische Grundlage für die Unabdingbarkeit der Seminarerziehung, aber auch für die später entwickelte Berufungspastoral bereitstellte.23 Der geeignete Priester fällt gewissermaßen nicht vom Himmel, er wird von der Kirche und ihren Organen in einem langen unabdingbaren Prozess geformt und geprägt. Gleichwohl blieb die Rede von der Gnade der Berufung im innerkirchlichen Diskurs ein zentrales Narrativ.24 Die Berufung im transzendenten Sinne blieb ungeachtet ihrer kirchenrechtlichen Nichtrelevanz als Voraussetzung für die Zulassung zum Priestertum für das Selbstverständnis des Priesterstandes bis in die Gegenwart ungeheuer wirksam.25 Dabei kann man die transzendente Berufung eher als einen inneren Prozess, denn als ein singuläres äußerliches Ereignis26 verstehen, an dessen Ende die Entscheidung für den Priester- oder Ordensstand steht – also nicht im Sinne der Berufung der Jünger durch Jesus, die, so bekanntlichermaßen die Erzählungen des Neuen Testaments, spontan ihre Fischernetze wegwarfen und ihm folgten.27 Das Narrativ von der Berufung wurde derart konstitutiv für die Begründung der priesterlichen Berufswahl, dass selbst diejenigen, die keine verspürten, umso mehr glaubten, von ihr sprechen zu müssen. Ein erst nach der Weihe an seiner Eignung für den Priesterstand Zweifelnder berichtete seinem Erzbischof über die diesbezüglichen Gewissensnöte: »So konstruierte ich mir wenigstens die Berufung zusammen, da sie 22 Ebenda. 23 Vgl. Gatz, Beilegung des Kulturkampfes, 134. Da die Entscheidung für das Priestertum zu jedem Zeitpunkt frei sein muss, geht entsprechend dem theologischen Verständnis das Verspüren einer Berufung nicht mit der Verpflichtung einher ihr zu folgen. So sehr die Berufung gewissenhaft zu prüfen war, galt die Entscheidung gegen den Priesterberuf dann nicht als Sünde; vgl. Dander, Berufung, 284 f. 24 Illustriert wird die Berufung zum priesterlichen Amt häufig mit dem Verweis auf einen Ausspruch Jesu nach dem Johannesevangelium, der nicht selten auch als Primizspruch gewählt wird: »Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt« (Joh. 15,16). 25 »Berufung ist das letztgültige Argument, warum jemand Priester werden möchte oder werden soll. Die Überzeugung, berufen zu sein, ist die conditio, ohne die Priestersein nicht denkbar ist,« formulierte noch das 1998 erschienene Standardwerk Brantzen, Lebenskultur, 31. 26 Wenngleich die geistliche Literatur viele Beispiele für so genannte Berufungserlebnisse kennt, also ein jeweils konkretes, zeitlich eng beschränktes Einzelereignis im Leben eines Knaben oder jungen Mannes, das als Anruf Gottes interpretiert wird, dürften diese einerseits vielfach in nachträglichen Stilisierungen eines sprachlich schwer zu beschreibenden Prozesses und der damit verbundenen Unmöglichkeit, die Komplexität des eigenen geistlichen Erlebens angemessen in sprachliche Form zu bringen, andererseits in retrospektiven autobiographischen Selbstdeutungen ihre Ursachen haben. Im Rahmen des zur Vorbereitung dieser Arbeit durchgeführten Oral HistoryProjekts berichtete keiner der Befragten von einem Berufungserlebnis im Sinne eines singulären, den Lebensweg entscheidend beeinflussenden Einzelereignisses. 27 Dass sich für die Theologen Analogien zu den Berufungserzählungen des Alten (etwa Jes 6,1–13; Jer 1,1–10; Ex 2,23–5,5) und Neuen Testamentes (etwa Mk 1,20; Mk 2,14; Lk 5,2) dennoch aufdrängten, dürfte evident sein. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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nun einmal nicht da war. Ich hatte einmal den Satz aufgefangen: ›Si non es vocatus, fac, ut voceris.‹ Aus diesem Gedanken heraus habe ich mir eingeflößt, mich weihen lassen zu dürfen.«28 Hinzu kommt, dass die Entscheidung eines jungen Mannes für den Priesterberuf durch ihre Interpretation als Berufung in einem spirituellen Sinne quasi göttlich autorisiert wird und sich – sofern man in einer katholisch geprägten Umwelt innerhalb dieses Denkschemas verbleibt – damit äußerer Kritik entzieht.29

2.1.2 Autobiographische Reflexionen über die Berufswahl Nachdem das Diskursfeld Berufung hiermit im Wesentlichen abgesteckt ist, wird im Folgenden zu fragen sein, in welcher Weise Kleriker selbst ihre Berufsentscheidung reflektieren, welche Motive sie für die Ergreifung des Priesterberufs benennen und ob sich hierbei typische Erklärungsmuster und Schematisierungen erkennen lassen. Für die Beantwortung dieser Fragen sollen einige charakteristische Berichte von Priestern über ihre Berufung näher analysiert werden. Hierbei wurden vor allem Erinnerungen von Münchener Diözesanpriestern ausgewählt, deren Lebensläufe eher prototypisch verliefen. Der Priester Alfred Läpple30, der im Jahr 2000 unter dem Titel Sinfonie des Lebens autobiographische Erinnerungen veröffentlichte, wurde 1915 als älterer von zwei Söhnen in eine kleinbürgerliche interkonfessionelle Ehe hineingeboren.31 Der protestantische Vater fiel 1921 als Freikorpskämpfer, die von Läpple als »große Beterin« charakterisierte katholische Mutter gab die Buben in das Internat der Barmherzigen Brüder in Algasing bei Dorfen (Oberbayern), was noch der Vater in die Wege geleitet haben soll. Läpple bezeichnete dies in seinen Erinnerungen als eine der »folgenreichsten Entscheidungen«32. Den Abschnitt über die Zeit in Algasing von 1921 bis 1927 überschrieb Läpple mit dem Begriff »Hommage« – das Internat wurde ihm rückblickend zur Heimat,

28 EAM, NL Faulhaber 5404, Z. an Faulhaber vom 26. 01. 1943. Die genaue Herkunft des zitierten Satzes ist nicht belegbar, für gewöhnlich wird er dem italienischen Salesianer Don Giuseppe Cafasso, einem Weggefährten Don Boscos, zugeschrieben, der auch eine Meditation über den Klerus verfasste. Er wurde 1925 selig und 1947 heilig gesprochen. 29 Religionsgeschichtliche Analogie sind etwa die Berufungserzählungen in den Prophetenbüchern des Alten Testaments, die nicht den tatsächlichen Ablauf des Geschehens wiedergeben, sondern eine schematisierte Reflexion, deren Sinn in der Legitimation des Wirkens der Handelnden besteht; vgl. Deselaers, Berufung, 303. 30 Alfred Läpple, Dr. theol., Prälat, geb. am 19. 06. 1915 in Tutzing, Priesterweihe 1947 in Freising, 1948–1952 Dozent am Erzb. Klerikalseminar in Freising, 1952–1970 Religionslehrer am MaxPlanck-Gymnasium in München-Pasing, 1970–1972 Prof. an der Erziehungswissenschaftlichen Hochschule Landau/Pfalz, 1972–1981 Professor für Katechetik an der Paris-Lodron-Universität Salzburg, gest. am 21. 07. 2013; vgl. Chronologie der Diözesanpriester 2002, 163. 31 Vgl. zum folgenden Läpple, Sinfonie. 32 Läpple, Sinfonie [unpaginiert]. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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eine[r] Heimat, die bestimmt war durch Fleiß, Genügsamkeit und Hilfsbereitschaft. Wie ein Kontrapunkt begleitete uns das Gebet, die tägliche heilige Messe und die Erinnerung an die verwitwete Mutter im fernen Partenkirchen.

Das geistliche Lehrpersonal wird als streng und heiligmäßig ausschließlich positiv charakterisiert. 1928, also mit 13 Jahren, wurde Läpple nach einem Jahr Progymnasium am Heimatort Partenkirchen in das Knabenseminar auf dem Freisinger Domberg aufgenommen. Motive oder Ursachen für diese Weichenstellung hin zum Priesterberuf lassen sich den Aufzeichnungen nicht entnehmen. Gleiches gilt für die für den Lebensweg noch viel bedeutsamere Entscheidung, nach dem Abitur 1934 das Studium der Katholischen Theologie aufzunehmen und in das Priesterseminar einzutreten.33 Weder innere noch äußere Motive für die Berufswahl werden bei Läpple greifbar, tatsächlich erscheint es so, als habe die Entscheidung des Vaters den eigenen Lebensweg präjudiziert. Nicht viel anders verhält es sich mit den in den 1980er Jahren niedergeschriebenen Erinnerungen des Landgeistlichen Erhard Huber34. Dieser konstatierte zunächst: »Schon in der Kindheit keimte der Wunsch in mir auf, einmal Priester zu werden«35, um im Anschluss daran die äußeren Schwierigkeiten zu schildern: Es waren nun wohl nicht wenige Tage, an denen ich die Mutter drängte. ›Mutter sag es doch dem Herrn Pfarrer, dass ich studieren und Priester werden möchte.‹ Die Antwort der Mutter wusste ich bald auswendig: ›Bub, das geht nicht! Studieren kostet Geld. Wir sind arme Leute. Wir haben keinen Vater mehr, der etwas verdienen könnte.‹ Eines Tages sagte sie: ›Dann sag es dem Herrn Pfarrer doch selbst, wenn du es dir so einbildest.‹36

Der kindliche Wunsch des etwa Elfjährigen stieß auch dann noch auf Befremden, als der Kooperator dem Knaben auf Weisung des Pfarrers Lateinunterricht erteilte. Denn in der Zeit des mühsamen Vokabelpaukens konnte der Knabe nicht in der Landwirtschaft mithelfen, wo er als Arbeitskraft fest eingeplant war. 1917 bestand Huber die Aufnahmeprüfung in die zweite Gymnasialklasse, wozu ihn der Pfarrer angemeldet 33 Auch im Gespräch des Verfassers mit dem damals 87-jährigen Prälaten Läpple im Rahmen des Oral History-Projekts am 17. 02. 2003 (vgl. EAM, Priesterbefragung 2003, Interview Läpple) war hier keine weiterführende Auskunft zu erlangen. Zur Internatszeit in Algasing wurde jedoch präzisierend bemerkt: »Ich war dann als junger Mensch von 1921 bis 1928 in der Internatsschule in Algasing bei Dorfen. Das ist eine phantastische Schule gewesen und dort bin ich aufgewachsen und dort sind dann sehr, sehr viele Fundamente für das spätere religiöse Leben, teilweise auch Priesterleben gelegt worden.« 34 Erhard Huber, geb. 25. 04. 1905 in Ringelsdorf, Priesterweihe 1930 in Freising, 1931–1935 Kaplan in München-St. Paul, 1935–1958 Pfarrer in Oberbergkirchen, 1958–1973 Pfarrer in Dietramszell, 1973–1994 Kommorant in Hechenberg, gest. am 26. 09. 1994; nach Huber, Erinnerungen; EOM, Priesterpersonalakten P IV, Erhard Huber. 35 Huber, Erinnerungen, 7. 36 Ebenda, 13. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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hatte. Dem Ortspfarrer gelang es daraufhin durch Zureden – möglicherweise auch durch die Zusage materieller Unterstützung – den Widerstand der verwitweten Mutter zu überwinden. Der zwölfjährige Knabe konnte 1917 in das Erzbischöfliche Knabenseminar Scheyern eintreten, 1921 wechselte er nach Freising, zunächst an das Knaben-, dann an das Priesterseminar und wurde 1930 zum Priester geweiht. Nimmt diese Darstellung des Weges hin zur priesterlichen Laufbahn noch relativ breiten Raum in Hubers Erinnerungen ein, so ist die dreizehnjährige Seminar- und Studienzeit in knappster Form auf eineinhalb Seiten zusammengerafft, wobei hier im Wesentlichen lediglich eine platte Anekdote aus der Inflationszeit ausgebreitet wird, in welcher der junge Huber zum »Milliardär« wurde.37 Über die inneren Motive des kindlichen Berufswunsches erfährt der Leser ebenso wenig, wie über spätestens in der Pubertät erstmals zu erwartende Anfechtungen und Krisen hinsichtlich der Berufswahl. Stattdessen finden wir in diesem Selbstportrait einen scheinbar früh Gefestigten, der seinen kindlichen Berufswunsch, respektive später auch Beruf (vor allem in der nationalsozialistischen Zeit, die in den Erinnerungen den eigentlichen Gegenstand der Darstellung bildet) erfolgreich gegen äußere Widerstände verteidigt. Während bei Läpple der Vater mit der Entscheidung für das Seminar Algasing die Weichen stellt, ist es bei Huber der eigene kindliche Berufswunsch, der gegen die äußeren Widerstände in das Knabenseminar führt. Das eigentliche Initial für die Berufswahl, die Entscheidung sich zum Priester weihen zu lassen, bleibt jedoch bei beiden im Dunkeln, auch wann sie endgültig gefällt wurde. Unter dem Titel Kindheitserinnerungen veröffentlichte auch der aus dem Chiemgau stammende Priester Georg Urzinger38 2003 eine Art Memoirenwerk, das bis in das Jahr 1936 reicht, in welchem der 13 Jahre alte Junge in das Erzbischöfliche Knabenseminar Scheyern aufgenommen wurde. Die Genese des Berufswunsches und das eigentliche Ergreifen des Priesterberufes sind bei Urzinger wesentlich ausgeprägter und detaillierter geschildert als in den vorangegangenen Werken. Das ländliche Oberbayern ist auch bei ihm zunächst idealtypisch sehr einfach und romantisierend dargestellt. Diese Welt ist einfach strukturiert, durch die bäuerliche Tätigkeit und das Kirchenjahr in für das einfache Gemüt fassbare Sinnabschnitte gegliedert und in klare und übersichtliche Kategorien eingeteilt.39 In diesem Horizont entwickelt sich Georgs Entscheidung für das katholische Priestertum – zunächst ohne eigenes Zutun:

37 Vgl. ebenda, 16 f. 38 Georg Urzinger, geb. am 27. 04. 1923 in Aschau, Priesterweihe 1951 in Freising, 1951–1959 Kaplan in München-Maria Schutz, 1959–1994 Pfarrkurat und Pfarrer in München-St. Leonhard, seit 1994 im Ruhestand, gest. am 26. 06. 2003; vgl. Chronologie der Diözesanpriester 2002, 291; Direktorium 2004–2005, 95. 39 Vgl. etwa Urzinger, Kindheitserinnerungen, 31: »Die herausragenden Ereignisse in unserer kleinen Welt rankten sich um das Jahr der Kirche, von der Adventszeit bis Allerheiligen« oder »Aber in Aschau waren an den Toren des Wirtspaptist-Hauses immer Plakate angeschlagen und man sagte, die von den Kommunisten und Hitlern seien die Schlimmsten« (ebenda, 24). © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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… ich wusste: Wir gehören zu den Armen. Auf diesem Hintergrund war mir auch später, als von Seiten des Pfarrers gelegentlich die Anregung zum Studium kam, ganz klar: Nicht nur ich wollte nicht, auch der Vater hatte recht, wenn er sagte: ›Das ist ganz unmöglich, dafür haben wir kein Geld.‹40

Die Familie ist geprägt durch einfache, schlichte Frömmigkeit41, das gemeinsame Gebet gehört ebenso zum nicht weiter reflektierten Bestand an Gewohnheiten wie regelmäßiger Kirchgang und Empfang der Sakramente. An das Priestertum des Knaben denkt deshalb noch niemand – außer dem Pfarrer. Urzinger stellt den kleinen Georg rückblickend als Knaben dar, der vom Glanz kirchlicher Feste, den Prozessionen, dem mehrstimmigen Kirchgesang etc. vor allem äußerlich beeindruckt ist.42 Doch steht der Berufswunsch in den Kindertagen keinesfalls fest und geht in vielfältige Richtungen.43 Die Eltern stehen dem Berufswunsch eher gleichgültig gegenüber, schließlich gab der Pfarrer den Ausschlag, bedrängte den Knaben zu studieren und versprach, die materiellen Hemmnisse aus dem Weg zu räumen: Die letzten Adventstage waren für mich eine schwere Zeit. Ich war unschlüssig, was ich machen sollte. Vater und Mutter redeten mir nicht zu und auch nicht ab. Wenn Pfarrer Igl sich um das Finanzielle kümmern würde, waren sie nicht dagegen. […] Am Stephanitag 1935 gingen der Vater und ich nach dem Pfarrgottesdienst ins Pfarrhaus. Also, ich hatte es mir überlegt, ich wolle studieren.44

Der Entscheidung folgten die üblichen Schritte. Vorunterricht in Latein beim Benefiziaten, Aufnahmeprüfung für die höhere Schulbildung, schließlich der Fortgang in das von Zuhause in der Regel weit entfernte Knabenseminar. Wie bereits die Erinnerungen Hubers ist auch das Werk Urzingers in einer sozialromantischen Perspektive gehalten, 40 Urzinger, Kindheitserinnerungen, 30. Inwieweit die sowohl bei Huber als auch bei Urzinger betonte materielle Armut als Topos zu betrachten ist, muss offen bleiben. Insofern materiell eingeschränkte Verhältnisse jedoch die Lebenserfahrung einer Majorität der Bevölkerung in der Zwischenkriegszeit darstellten, die sich insbesondere von den späteren Erfahrungen in der Zeit des kollektiven Zuwachses an Wohlstand ab den 1950er Jahren stark abhoben, kann dies kaum als gerade für Priester typische Erfahrung betrachtet werden. 41 Vgl. etwa Urzinger, Kindheitserinnerungen, 35: »Am Ostertag pickte die Mutter alle Eier an, die zur Weihe getragen wurden, damit die Weihe auch durch die Schalen hindurch ging«. 42 Vgl. etwa Urzinger, Kindheitserinnerungen, 36: »Einmal hat bei der Maiandacht der Wieser Hans mit seinen Schwestern dreistimmig gesungen. Ich dachte, das möchte ich auch können, so mehrstimmig singen. Der Hans war damals schon am Gymnasium in Gars. […] Die vier Altäre, so einfach sie waren, als Kind haben sie mich beeindruckt. Schlusstakte bei den Responsorien waren so feierlich.« 43 Vgl. Urzinger, Kindheitserinnerungen, 55: »Weil der Cousin Kolomann Schreiner lernte, dachte ich auch an Schreiner. Der Vater meinte, ich solle in eine Lehrwerkstatt des Innwerks gehen. Er sagte immer: ›Du musst einen Beruf lernen, wo du unter Dach arbeitest und nicht bei jedem Sauwetter draußen stehst.‹« 44 Urzinger, Kindheitserinnerungen, 61. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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in welcher der an den bäuerlichen Tätigkeiten orientierte Jahreslauf mit seinen altertümlichen Bräuchen und Gewohnheiten zu einer idealen Gegenwelt, vor allem gegen die Moderne und den mit ihr (retrospektiv) als gekoppelt betrachteten Nationalsozialismus aufgebaut wird. Mit den naiv anmutenden Schilderungen der Kindheit erinnern beide Bücher eher an Peter Roseggers Waldheimat, als an Memoirenwerke, die im ausgehenden 20. Jahrhundert über die Jugend in der NS-Zeit berichten. Auch in den autobiographischen Fragmenten des Ökonomiegeistlichen Johann Jäger45 wird das Thema Berufung relativ lakonisch, ohne allzu große theologische Reflexion abgehandelt: Der älteste Bruder Franz war der Klassenbeste. Der Herr Pfarrer hat ihn immer wieder gefragt: ›Was willst Du werden?‹ Seine konstante Antwort: ›Bauer‹. Der Pfarrer wollte ihn zum Studium schicken. Dann kam ein Pfarrerwechsel. Der neue Pfarrer suchte die Familien in der Pfarrei auf. Da kam er auch bei uns vorbei. In Reih und Glied standen wir da, damals fünf Buben und vier Schwestern. ›Ja mag denn da keiner studieren.‹ Einer [offenbar ein anderer Knabe aus dem Dorf; Th. Fo.] bereitete sich vor und seine Mutter meinte, wenn doch noch einer mitginge. Da habe ich gesagt, ich gehe mit. Wir waren schon in der sechsten Klasse. Der Vater war besorgt. ›Wo soll ich das Geld herbringen?‹46

Nach ausführlicherer Schilderung der Zeit im Knabenseminar wird sodann nur noch vermerkt: »Der Übergang ins Klerikalseminar vollzog sich reibungslos.«47 Im Gegensatz zu Läpple und Huber schildern Urzinger und Jäger ihre Berufungsgeschichte mit einer geradezu entwaffnenden Offenheit. Beide wissen nicht so recht, was sie mit ihrer Zukunft anfangen sollen – was für Knaben ihres Alters freilich wenig erstaunlich ist. Das mehr oder weniger energische Drängen des Ortspfarrers zu studieren, gibt schließlich den Ausschlag für den Weg in die Priesterlaufbahn, die weiteren Schritte vollziehen sich reibungslos. Auf den ersten Blick überraschend differenziert ist der Berufungsprozess hingegen in der Autobiographie Kardinal Faulhabers dargestellt.48 Faulhaber, aus einfachen aber nicht mittellosen Verhältnissen stammend, war ein hochbegabter Schüler. Im Abschnitt Von der Dorfschule zur Hochschule der während des Zweiten Welt45 Johann Jäger, geb. am 6. 11. 1907 in Allerding (Palling), Priesterweihe 1933 in Freising, Kaplan in Pasing, 1936 zunächst Kaplan in München-Herz Jesu, im Juli desselben Jahres erst Pfarrvikar, dann ab August Pfarrer in Kay, 1959 Pfarrer in Dachau-St. Jakob und Dekan, 1966 Geistlicher Rat, 1969 Pfarrer in Otting, 1991 frei resigniert und in den dauernden Ruhestand versetzt, gest. am 9. 11. 1991; vgl. AEM, Priesterpersonalakten, P III 791 Johann Jäger. 46 Vgl. Johann Jäger, Autobiographisches Fragment (Familienbesitz), 2. AEM, Priesterpersonalakten P III 791 Johann Jäger. Jäger hatte insgesamt 12 Geschwister, die zwischen 1905 und 1925 geboren wurden. 47 Vgl. Johann Jäger, Autobiographisches Fragment (Familienbesitz), 3. 48 Vgl. zu Faulhaber Abschnitt 1.1.3 dieser Arbeit. Das bislang unveröffentlichte, 869 Seiten umfassende maschinenschriftliche Manuskript der Autobiographie in: AEM, Dokumentation Personen, Erzbischof Michael Kardinal von Faulhaber. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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kriegs verfassten Autobiographie, schreibt er in einer für ihn ansonsten untypischen, humorvollen Weise: Im 3. oder 4. Jahrgang [der Volksschule, Th. Fo.] hörte ich wohl läuten, man könne, wenn man in die Stadt gehe, zunächst auf die Lateinschule, auch ›studieren‹ und dürfte später eine Brille aufsetzen und eine farbige Mütze tragen und dann ein Pfarrer werden oder ein Amtsrichter oder gar ein Oberförster.49

Der eigentliche Anstoß zum Studium kam von außen: Der Klosterheidenfelder Kaplan sollte einem Nachbarsbuben Vorbereitungsunterricht geben, um den Wechsel aufs Gymnasium zu ermöglichen, wollte mit nur einem Knaben das mühsame Unterfangen aber nicht beginnen. Der Pfarrer trat daraufhin an Faulhabers Vater heran: Ich könnte noch genau im Elternhaus das Plätzchen bezeichnen, wo ich gefragt wurde und ohne Besinnung zustimmte und dann, als der Pfarrer fort war, der Mutter in die Arme flog. Gott rechne es mir nicht als Lästerung an, wenn ich auf jene Stunde der Entscheidung das Wort anwende: ›Vom Herrn ist das geschehen und es ist wunderbar in unseren Augen‹ (Ps. 117).50

Nach dem erfolgreichen Vorunterricht kam der Zehnjährige 1879 an das Gymnasium in Schweinfurt, von dort konnte er 1883 nach Würzburg wechseln, wo er dann bereits im Bischöflichen Knabenseminar Kilianeum Aufnahme fand.51 Das Berufsziel stand somit auch bei Faulhaber bereits mit der Entscheidung für das Studium, also das Absolvieren der Höheren Schulbildung, im Wesentlichen fest, auch für die Außenwelt, die etwa in Gestalt des Rektors der Schweinfurter Lateinschule über ihn abfällig urteilte: »Er soll ja doch bloß ein Pfarrer werden«.52 Theologen haben auf den Weg Faulhabers zum Priestertum keinen unmittelbaren Einfluss. Der Ortspfarrer geht zwar auf Faulhabers Vater zu, spielt sonst aber – zumindest nach Ausweis der Autobiographie – keine Rolle. Der Kaplan wird sogar explizit negativ charakterisiert. Die ausführliche Darlegung der Jugendzeit in der Autobiographie Faulhabers gewährt eher Einblick in die Reflexion innerer Prozesse, die sich nach einer von außen für den Knaben getroffenen Entscheidung in diesem selbst noch abspielten. Obwohl Faulhaber das Kapitel Berufswahl im chronologischen Teil seiner Autobiographie erst nach dem Abschnitt über die Erlangung des Abiturs einfügte, konstatierte er selbst, dass es sich bei dem mit Berufswahl bezeichneten nur noch um ein endgültiges »für« oder »gegen«

49 AEM, Dokumentation Personen, Erzbischof Michael Kardinal von Faulhaber, Autobiographie (Endfassung), 40. 50 Ebenda. 51 Vgl. Kornacker, Susanne, Bäckerssohn, 115. 52 AEM, Dokumentation Personen, Erzbischof Michael Kardinal von Faulhaber, Autobiographie (Endfassung), 41. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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handelte.53 Doch kommt bei Faulhaber ein differenzierendes Moment hinzu, wodurch sich der Gang der Entwicklung von dem geradlinigen Bild in anderen Priesterautobiographien unterscheidet: die Schwankungen und partiell aufleuchtenden Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung. Nach Ausweis der Autobiographie stand weder für Faulhaber selbst, noch für seine Eltern mit der Weichenstellung zum Studium das endgültige Berufsziel schon unverrückbar fest.54 Hinzu kommen verlockende Alternativangebote Dritter: Wegen seiner herausragenden Leistungen wurde dem Abiturienten eine Aufnahme in die Studienstiftung Maximilianeum in Aussicht gestellt, womit das Studium der Theologie aber ausgeschlossen gewesen wäre.55 Zur endgültigen Entscheidungsfindung über die berufliche Zukunft unternahm der 18-Jährige schließlich zusammen mit seiner Mutter eine Wallfahrt zur Schmerzhaften Mutter von Dettelbach.56 Eine erneute Anfechtung hinsichtlich der Berufswahl brachte dann der Militärdienst als Einjährig-Freiwilliger in den Jahren 1888/89. Das Angebot eines Hauptmanns, die Offizierslaufbahn einzuschlagen, habe »einen Sturm […] in der Seele« entfesselt, der 14 Tage angedauert haben soll.57 Die eigene schriftliche Darstellung der Genese des Berufswunsches ist somit nicht in derselben Weise linear wie die bisher betrachteten Selbstinterpretationen. Berücksichtig man, dass Faulhaber in der NS-Zeit bezüglich seiner Vita vielfach bösartigen Anfeindungen und Verleumdungen ausgesetzt war58 und er vermeinte, mit der Autobiographie, die er nächtens in den Kriegsjahren 1942 bis 1944 niederschrieb, könnte gegen »die alten Lügen […], die alten Vorwürfe […], dem Anwalt der kirchlichen Seite das Material zur Antwort an die Hand gegeben werden«59, erscheinen die Stellen freilich wiederum in einem differenzierteren Licht. Die vermeintliche Unsicherheit wird in diesem Licht zur klug abgewogenen Entscheidung: Trotz verlockender beruflicher Alternativen entschied Faulhaber sich gegen diese und für das Priestertum. Somit entzieht er dem durch weltanschauliche Gegner potentiell 53 Vgl. ebenda, 58: »Meinem Beruf, als Theologe in das Heiligtum der Gotteswissenschaft und der priesterlichen Seelsorge einzutreten, bin ich mit innerer Sicherheit im allgemeinen geradlinig entgegengegangen. Im Tagebuch habe ich schon viele Jahre vor dem Abitur, auch am Tage der ersten hl. Kommunion meines Bruders im Mai 1887, von dem Glück gesprochen als Ziel des Studienwegs den priesterlichen Beruf vor mir zu sehen.« 54 Den Eltern legt er in den Mund: »Du bist frei in Deiner Berufswahl, nur musst Du etwas ordentliches werden.« (vgl. ebenda). 55 Die von König Maximilian II. von Bayern begründete Stiftung zur Hochbegabtenförderung schloss satzungsgemäß die Förderung von Studenten der Medizin und der Theologie aus. 56 AEM, Dokumentation Personen, Erzbischof Michael Kardinal von Faulhaber, Autobiographie (Endfassung), 58 f.: »In jener Abendstunde vor dem Gnadenbild in Dettelbach wurde eine Schwankung überwunden und eine Berufswahl gesichert«, schreibt Faulhaber rückblickend (ebenda, 59); vgl. auch Kornacker, Susanne, Bäckerssohn, 115. 57 Ebenda, 66. Faulhaber notierte, er habe in dieser Zeit erwogen, die Offizierslaufbahn dem Theologiestudium vorzuziehen 58 Vgl. Kornacker, Susanne, Bäckerssohn, 115. 59 AEM, Dokumentation Personen, Erzbischof Michael Kardinal von Faulhaber, Autobiographie (Endfassung), IV. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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zu erhebenden Vorwurf den Boden, er hätte sich lediglich deshalb für das Priestertum entschieden, da sich vermeintlich keine andere Chancen zum Aufstieg aus dem kleinbürgerlichen Sozialmilieu geboten hätten. Hingegen erscheint Faulhaber in der Autobiographie als intellektuell Hochbegabter, dem sich von allen Seiten verlockende Alternativen zur Theologie eröffnen. Trotzdem verwirft er diese nach gründlichem Bedenken und bleibt dem Berufswunsch Priester treu. Zudem erscheint die Entscheidung für das Priestertum umso konsequenter, wenn sie nicht leichtfertig aufgrund einer kindlichen Phantasterei oder äußerem Drängen, sondern nach reiflichem Erwägen möglicher beruflicher Alternativen getroffen wird. Interessant erscheint in diesem Zusammenhang ein Seitenblick auf diejenigen, die ihre Entscheidung für den Priesterberuf zu einem späteren Zeitpunkt wieder revidierten und sich so einem besonderen Zwang zur Rechtfertigung ihrer Lebensentscheidungen ausgesetzt sahen. Albert Hartl60, bis 1934 Präfekt am Freisinger Knabenseminar, danach Mitarbeiter beim Sicherheitsdienst des Reichsführers-SS (SD) und glühender Anhänger des Nationalsozialismus, veröffentlichte 1940 unter dem Pseudonym Anton Holzner eine Quasiautobiographie mit dem Titel Das Gesetz Gottes61, in welcher der Weg des Protagonisten Peter Schaedel (d. i. Hartl) von der Kindheit bis zum Priestertum und darüber hinaus bis zum Bruch mit der Kirche dargestellt wird. Auch Hartl zeichnet ein idealisiertes Bild freier unbeschwerter Kindheit im ländlichen Oberbayern, wo die Familie »in viel Eintracht und Harmonie nach dem Gesetz ihrer Ahnen«62 lebte. Hinzu kommt nun aber ein deutlicher antiklerikaler Affekt. In die Kirche war die Familie Hartl entsprechend ihrer soziokulturellen Stellung eingebunden. Der Vater war Dorflehrer, in der Kirche spielte er die Orgel,63 zugleich soll er aber – wie Hartl 1938 an anderer Stelle vermerkte – »einen harten Kampf gegen die Geistlichkeit zu führen«64 gehabt haben. Die Mutter entstammte »einem biederen bayerischen Geschlecht« und war »eine fromme Frau«.65 Der Knabe berauschte sich früh am liturgischen Glanz der religiösen Hochfeste, etwa dem Fronleichnamsfest, und wird Messdiener. Er ist unentschieden zwischen der vitalen und sachlich-rationalen Welt, die im Roman durch Peters Vater und die Bauern vor allem aber durch den Dorfschmied verkörpert wird, und der ausgeprägten Frömmigkeit und Kirchlichkeit der Mutter und der Faszination, die von der würdigen Erhabenheit des Pfarrers ausgeht.66 Die Entscheidung wird ohne sein 60 Vgl. zu Hartl ausführlich Kapitel 6.2.2.1 dieser Arbeit. 61 Holzner, Gesetz. Zu Hartl einschlägig: Dierker, Glaubenskrieger, bes. 96–118, dort auch die ältere Literatur, zu seiner Autobiographie bes. 97 f. 62 Holzner, Gesetz, 11. 63 Hartl wurde 1904 als Sohn eines Hauptschullehrers in Rossholzen bei Rosenheim geboren vgl. Dierker, Glaubenskrieger, 96. 64 So Hartl in einem 1938 verfassten Lebenslauf, zit. nach Dierker, Glaubenskrieger, 96. 65 Holzner, Gesetz, 12. 66 Wobei sich diese beiden prototypischen Hauptlinien im weiteren Verlauf der Handlung nicht ohne Geschick zu einer positiven Darstellung erd- und volksverbundener Naturfrömmigkeit im Sinne der Deutschgläubigen und der Blut- und Bodenideologie der Nationalsozialisten (die der Apostat Hartl bejahte) einerseits, und andererseits der mehr und mehr als äußerlich, falsch, verlogen und © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Zutun gefällt, als der Vater stirbt und Peter nach dem Wunsch der Mutter in die strenge Zucht einer Klosterschule und damit auf den Weg zum Priestertum geschoben wird. Der Knabe ist folgsam, »er kapituliert vor der Welt«67 und der einmal eingeschlagene Weg, auf dem der Knabe offenbar auch seine kleinbürgerlichen Aufstiegssehnsüchte zu befriedigen hofft, wird trotz erheblicher Zweifel an den kirchlichen Lehren nicht wieder verlassen.68 Peter müht sich, seinen Lehrern im Klosterseminar zu gefallen. Der Übertritt in das Priesterseminar erscheint nur noch als reine Formsache.69 Eine Zusammenschau dieser Reflexionen über die priesterliche Berufung bringt eine gewisse Ernüchterung mit sich. Auf der Ebene des individuellen Lebensberichtes lässt sich wider erstes Erwarten das mit dem Begriff der Berufung assoziierte Vermeinen, von Gott zur Ausübung dieses Berufes auserwählt zu sein, nicht konkret nachvollziehen. Vielmehr verflüssigt sich das im kollektiven Diskurs der Kleriker präsente Narrativ von der Berufung in sehr bodenständigen Alltagssituationen. Tatsächlich scheint in den Reflexionen der Kleriker nun aber durchaus auf, welche sozialen Umstände und Faktoren wie die regionale und soziale Herkunft, die religiöse Prägung durch die Familie und die verschiedenen gesellschaftlichen Gruppierungen, in die der Einzelne hineingeboren wurde, die Berufswahl tatsächlich konkret beeinflussten. Diese Faktoren sollen im Folgenden genauer betrachtet werden.

2.1.3 Die Berufung begünstigende Faktoren Der Schweizer Theologe Jakob Crottogini konstatierte 1955 in seiner grundlegenden Studie zu Werden und Krise des Priesterberufs, die erstmals empirisch erhobene Daten zum Klerus auswertete, dass »die Priesterberufswahl als Endprodukt einer vielschichtigen, äußerst komplexen Verflechtung«70 zu betrachten sei. Er machte eine Reihe von äußeren und inneren Faktoren für die Berufswahl verantwortlich.71 dekadent charakterisierten Kirche, die mit ihrer Dogmatik fern von der Lebenswelt der Menschen stehe, ausdifferenzieren. 67 Holzner, Gesetz, 42. 68 Hingegen erinnert die Faszination des Knaben an der Form des priesterlichen Auftretens und der Rolle des Priesters in der dörflichen Gesellschaft (vgl. Holzner, Gesetz, 14 f.) durchaus an entsprechende Passagen aus Hitlers Mein Kampf, die hier Vorbild gewesen sein könnten. 69 Von ganz ähnlichen Topoi bestimmt ist die Vita des ehemaligen Priors des in der Erzdiözese gelegenen Karmeliterklosters Reisach am Inn, Martin Lintl, die dieser nach seinem Verlassen des Ordens im Jahr 1939 unter dem reißerischen Titel Flucht aus dem Kloster. Bekenntnisse und Enthüllungen des Karmelitenpriors Martin Lintl veröffentlichte; vgl. Lintl, Flucht. 70 Crottogini, Werden und Krise, 4. 71 Vgl. Crottogini, Werden und Krise, 21–34: Crottogini hatte für seine Studie gegen offenbar nicht geringen innerkirchlichen Widerstand zu Beginn der 1950er Jahre mittels einer unter Theologen aus Deutschland, der Schweiz, Österreich und Frankreich anonym durchgeführten Fragebogenaktion statistisches Material für eine systematische Analyse bei katholischen Priestern gesammelt. Von 850 ausgegebenen, jeweils 14seitigen Fragebogen wurden 621 so beantwortet, dass sie in die Untersuchung einbezogen werden konnten, darunter befanden sich 299 Ordens- und 322 Weltkleriker. Etwa 2/3 der Befragten waren Schweizer. Mehr als die Hälfte der Befragten befand sich © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Zu den äußeren Faktoren rechnete er die soziale und regionale Herkunft, den Einfluss der Familie und des Milieus, zu den inneren Begabung und Temperament sowie den Umgang mit Sexualität und Erotik. Bei den schließlich ausschlaggebenden Motiven für das Ergreifen des Priesterberufs unterschied Crottogini bei den Priestern drei Motivgruppen: gottbezogene, gemeinschaftsbezogene und ichbezogene Motive, wobei die ersteren beiden überwogen.72 Hier sollen nun in einem ersten Schritt einige dieser Faktoren näher betrachtet werden. Vor allem drei Faktoren lassen eine nähere Betrachtung sinnvoll erscheinen: Die Verteilung der Kandidaten auf Stadt und Land, ihre soziale Herkunft sowie die Kinderzahl in den Herkunftsfamilien.73 In einem zweiten Schritt soll – wiederum auf der Basis von Lebensberichten – untersucht werden, auf welche verschiedenen Weisen sich die Annäherung an den Priesterberuf in den verschiedenen Stufen des Kindes- und Jugendalters praktisch vollzog. Im Jahr 1950 stammten entsprechend einer zu diesem Zeitpunkt durchgeführten Untersuchung in der Münchener Erzdiözese 51,3 Prozent des Priesternachwuchses vom Land, 27,6 Prozent aus der Großstadt, 12,4 Prozent aus Kleinstädten und 8,6 Prozent aus Mittelstädten.74 Von den 100 Priestern einer Auswahlstichprobe des Verfassers zum Stichjahr 1939 stammten hingegen noch 58 vom Land, 21 aus der Großstadt (München) sowie 13 aus Klein- und acht aus Mittelstädten.75 Da es sich bei den letzteren Zahlen um Priester aller Altersgruppen handelt (und nicht um Seminaristen), stellen die Zahlen nicht den Stand des Jahres 1939 dar, sondern weisen stärker in die Vergangenheit. Hierbei erscheint eine Tendenz erkennbar, die sich auch bei Crottogini wieder findet. Die Bedeutung der Landbevölkerung für die Rekrutierung des Priester-

zum Zeitpunkt der Befragung noch im Priesterseminar bzw. im Noviziat also in Berufsvorbereitung und war zwischen 21 und 25 Jahre alt. 72 Vgl. ebenda, 257–265. 73 Versucht man äußere, die Berufung beeinflussende Faktoren auf empirischer Basis näher zu betrachten, ist man mit einer Reihe von methodischen Schwierigkeiten konfrontiert. Für die Erzdiözese München und Freising liegen statistische Angaben überwiegend nur aus der Zeit nach 1945 vor, nur wenige aus den 1930er Jahren und noch weniger, die retrospektiv selbst erhoben werden konnten. Die Datenbasis ist jeweils unterschiedlich, insofern sind eher Tendenzen ablesbar, die miteinander kontrastiert werden sollen, aber kein unmittelbarer Vergleich. Zudem ist etwa die Angabe des Vaterberufs in den Personalakten der Kleriker weitgehend unbrauchbar für die Ermittlung des sozialen Status. Berufsbezeichnungen wie »Bauer« oder »Landwirt« lassen lediglich Rückschlüsse auf die Erwerbsquelle, nicht aber auf den sozialen Status zu, da sich dahinter sowohl ein vermögender Gutsbesitzer wie ein armseliger Gütler verbergen kann. Ein übergreifendes Raster lässt sich schwer entwickeln, wie auch Gatz, Lebenskultur, 182 f. bemerkte. 74 Vgl. Moreau, Herkunft, 147. Ein ähnliches Bild ergab sich für die Diözesen Augsburg, Bamberg und Speyer, hingegen überwogen in Würzburg die Städte, in Regensburg die Landgemeinden. Zur Frage der sozialen und geographischen Herkunft von Priestern im Allgemeinen vgl. Gatz, Herkunft. 75 Basis war das Personenregister des Schematismus 1939. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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standes nahm sukzessive ab, zugleich ist festzustellen, dass die städtische Herkunft die priesterliche Berufung – entgegen früherer Annahmen – nicht hemmte.76 Im Juni 1935 fertigte das Freisinger Klerikalseminar eine Statistik über die soziale Herkunft der zu diesem Zeitpunkt im Seminar befindlichen Kandidaten an. Danach hatten von 233 Familien der Kandidaten 45 Prozent ihre Erwerbsquelle im landwirtschaftlichen Sektor und 21,5 Prozent im freien, handwerklichen oder gewerblichen Sektor. In weiteren 21,5 Prozent der Familien der Kandidaten war der Ernährer im Hauptberuf Beamter und in immerhin 12 Prozent der Familien sogar Arbeiter.77 Hier kam es in den folgenden 15 Jahren offenbar zu deutlichen Verschiebungen. Denn nur rund ein Viertel, nämlich 27 Prozent der Kandidaten, stammte im Jahr 1950 noch aus Bauernfamilien, hingegen 32,4 Prozent aus Elternhäusern, in denen der Vater Angestellter oder Beamter war. Die selbständigen Kaufleute, Handwerker und Kleingewerbetreibenden stellten 15,6 Prozent des Klerikernachwuchses, die Zahl der Arbeiterkinder blieb mit 12,9 Prozent in etwa konstant. Akademikerfamilien, darunter die höheren Beamten stellten nur 9,7 Prozent des Klerikernachwuchses, die Lehrer nur 2,2 Prozent.78 Mithin lässt sich innerhalb von 15 Jahren eine massive Umbruchstendenz weg von den bäuerlichen Schichten als Hauptreservoir des Priesterstandes konstatieren. Dass der Bauernstand als Hauptreservoir des Klerikerstandes nun nicht mehr in der Mehrheitsposition war, dürfte als Zeichen eines sich bereits nach dem Ersten Weltkrieg abzeichnenden gesellschaftlichen Umbruchs zu werten sein, der mit einem tendenziellen Bedeutungsverlust des agrarischen Sektors zugunsten der kleinbürgerlichen Mittelschichten einherging.79 Jedoch stellten diese 76 Vgl. Crottogini, Werden und Krise, 41 f. Auch in Crottoginis Untersuchung stammte bereits jeder zweite Kandidat aus dem städtischen Umfeld. Letztere Beobachtung lässt sich für München und Freising im Übrigen auch schon für die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts konstatieren. Im Zeitraum 1821–1846 kamen 43,6 Prozent der Neupriester in der Erzdiözese München und Freising aus den Städten, in denen nur etwa ein Viertel der Gesamtbevölkerung lebte, vgl. Ratzka, Herkunft der Priester, 125–129. 77 Vgl. EAM, NL Faulhaber 5771/1, Chronik des Erzbischöflichen Klerikalseminars Freising 1932– 1945, 17. Aus der o. g. Auswahlstichprobe konnten infolge zu ungenauer bzw. fehlender Angaben in den Personalakten keine repräsentativen Angaben über die Väterberufe gewonnen werden. 78 Vgl. Moreau, Herkunft, 147. 79 Eine ähnliche Entwicklung beobachtete auch Crottogini, Werden und Krise, 43–47: Wenngleich die bäuerliche Herkunft in der Schweiz noch eine größere Rolle spielte, war auch hier eine Verlagerung hin zum Mittelstand abzusehen. Hingegen machte Crottogini eine geringe Neigung von Oberschichtkindern, insbesondere von Akademikerkindern zum Priesterberuf aus, was vor allem auf drei Faktoren zurückzuführen sei: Erstens empfänden die Kinder von Akademikern den Priesterberuf nicht als gesellschaftlichen Aufstieg, zweitens tendierten sie dazu, das Studienfach des Vaters zu ergreifen (vor allem Mediziner und Juristen) und drittens seien Akademikerfamilien nur selten kinderreich, was sich ebenfalls als ungünstiger Umstand für den Priesterberuf erweise. Diese Problemlage war bereits 1935 in der Enzyklika Ad catholici sacerdotii aufgegriffen worden, wo im 4. Abschnitt über die Berufung geklagt wird: »Leider müssen Wir indes gestehen, dass oft, nur zu oft, Eltern, auch solche, die sich rühmen, aufrichtige Christen und Katholiken zu sein, zumal in den höheren und gebildeteren Kreisen der Gesellschaft, sich offenbar mit der Berufung ihrer Kinder zum Priester- oder Ordensstande nicht zufrieden erklären wollen. Ungescheut bekämpften sie mit © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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kleinbürgerlichen Mittelschichten nie im selben Umfang Klerikernachwuchs bereit wie die bäuerlichen Schichten, wodurch sich einhergehend mit der Auflösung der sozialen Herkunftsmilieus und der Verringerung der Geburtenrate auch der absolute Rückgang an Berufungen erklären lässt.80 Der dritte hier näher zu betrachtende Faktor ist die Kinderzahl in der Herkunftsfamilie. Eine kinderreiche Herkunftsfamilie begünstigte zweifellos die Berufung in den Priester- und Ordensstand.81 Die 233 im Jahr 1935 in die Statistik des Klerikalseminars einbezogenen Familien wiesen eine durchschnittliche Kinderzahl von 5,38 auf.82 Einzelzahlen über die Verteilung der Kinder in den jeweiligen Familien liegen leider nicht vor. Eine 1943 bei 2.068 Mitgliedern einer deutschen Ordenskongregation angestellte Erhebung ergab, dass von diesen 84,8 % aus einer Familie mit vier oder mehr Kindern stammten.83 Bischof Franziskus Charrière von Fribourg formulierte die Ursache hierfür in seinem Hirtenwort über den Priesternachwuchs 1949 angesichts des sich bereits abzeichnenden Priestermangels eher drastisch: »Im allgemeinen klopft der Heiland an die Tür einer kinderreichen Familie, denn die Gatten, die aus Selbstsucht die Last mehrer Kinder verweigern, sind kaum in der seelischen Verfassung, die einzige Frucht ihrer berechnenden Liebe Gott zu schenken.«84 Tatsächlich waren es in München und Freising 1950 jedoch in der Mehrheit die Familien mit bis zu drei Kindern, die das Gros an Klerikernachwuchs stellten.85 Doch Familien mit acht oder mehr Kindern stellten immerhin noch 13,66 Prozent des Klerikernachwuchses und damit mehr als jeden achten Diözesanpriester.86 Neben diesen Faktoren ist ein berufungsfreundliches Sozialklima von erheblicher Bedeutung für die Neigung zum Priesterberuf. Hierunter versteht man eine allen möglichen Mitteln den göttlichen Ruf, auch mit Mitteln, die nicht bloß den Beruf zum Stand einer höheren Vollkommenheit gefährden, sondern selbst das Gewissen und das ewige Heil jener Seelen, die ihnen doch so teuer sein müssten.« 80 So macht etwa Kiechle, Zuversicht, 552, vor allem den Umstand, dass »das katholische Milieu, in dem Berufungen wachsen können, weggebrochen ist«, als Ursache für den Priestermangel der Gegenwart aus. Dies scheint mir eine arg verkürzte Sicht auf die Dinge zu sein. 81 Vgl. Gatz, Herkunft, 280 f. 82 Vgl. EAM, NL Faulhaber 5771/1, Chronik des Erzbischöflichen Klerikalseminars Freising 1932– 1945, 17. 83 Vgl. Berwein, Wirtschaftsleben, 10. Eine ebenda angeführte französische Statistik aus den zwanziger Jahren zeigt Vergleichbares: Während die durchschnittliche katholische Familie in der Mitte des 20. Jahrhunderts nur noch 2,5 Kinder hatte, wiesen Familien, bei denen ein oder mehrere Kinder in den Ordensstand übertraten, eine durchschnittliche Zahl von 6,6 Kindern auf. Bei Berufungen in den Weltklerus lag die durchschnittliche Kinderzahl knapp unter fünf. Crottogini ermittelte für die unmittelbare Nachkriegszeit ganz ähnlich Ergebnisse. Bei den Schweizer Familien mit mindestens einem Theologen lag der Durchschnitt bei 6,4 Kindern, bei den ausländischen Familien, darunter den Deutschen, bei 5,5; vgl. Crottogini, Werden und Krise, 52. 84 Charrière, Priesternachwuchs. 85 Vgl. Moreau, Herkunft, 148. Von 185 Kandidaten stammten 99 aus Familien mit bis zu drei Kindern, 23 davon waren sogar Einzelkinder. 86 Vgl. ebenda. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Umgebung, die dem Berufswunsch Priester grundsätzlich positiv gegenübersteht, sein Entstehen wohlwollend fördert und begleitet und nicht etwa hemmt.87 In erster Linie zählt hierzu ein religiöses Elternhaus, in dem Kirchgang und Gebetspraxis zu den selbstverständlichen Alltagsritualen zählen. Der religiösen Haltung der Mutter kommt dabei die entscheidende Rolle zu.88 Der Kontakt des Elternhauses zu Geistlichen, etwa durch Geistliche in der Verwandtschaft, die Mitarbeit in religiösen Jugendverbänden, Ministrantendienste, die Lektüre religiöser Bücher gehören zu den weiteren Aspekten, die einen auf den Berufswunsch förderlichen Einfluss indizieren.89 Die Schule spielte bei Berufungen nur insoweit eine Rolle, als dort die für den Berufswunsch oft bedeutsame Geistlichkeit auch im Lehrberuf wirkte.90 Der Klerikerberuf war noch in der Weimarer Zeit der sozial offenste der akademischen Berufe.91 Kein anderer akademischer Beruf erwies sich als derart zugänglich für Angehörige unterprivilegierter Schichten. Umgekehrt führte das Hochschulstudium, durch das die Kleriker aus ihrer nichtakademischen Herkunftswelt herausgehoben wurden, nicht selten zu einem Prozess des Fremdwerdens im Herkunftsmilieu, was freilich auf alle akademischen Berufe mehr oder weniger zutraf. In einem auf körperliche Arbeit fixierten Milieu, fehlten trotz der inneren Anerkennung und Hochschätzung des priesterlichen Berufs, Zugang und Verständnis sowohl für die Komplexität akademischer Bildungsprozesse als auch für geistige Tätigkeit an

87 Dies ist auch das wesentliche Ergebnis einer Tagung zum Thema Priesterberufungen im deutschen Sprachraum der Georg-Rendl-Gesellschaft in St. Georgen bei Salzburg vom 07.-10. 10. 2004. Die Tagung kam ausgehend von der historischen Beobachtung, dass Priesterberufungen in Vergangenheit und Gegenwart vermehrt an gewissen Orten gehäuft auftreten, in anderen jedoch kaum, zu dem Ergebnis, dass ein dem Priesterberuf positiv gegenüberstehendes, engeres soziales Umfeld und das positive Vorbild einzelner Ortsgeistlicher zentrale Vorraussetzungen für das Ergreifen des Priesterberufes sind. Die Ergebnisse dieser Tagung, an welcher der Verfasser teilnahm, liegen bedauerlicherweise nicht in Schriftform vor und können deshalb nicht vertieft berücksichtigt werden; es kann lediglich auf eine ausführliche Pressedokumentation im Internet verwiesen werden: (24. 08. 2012). 88 Vgl. Tenefelde, Religiöse Sozialisationen, 13 f.; Crottogini, Werden und Krise, 61–71 und 269. Auch in den Autobiographien erscheint die Mutter häufig mehr oder weniger als Mittlerin des Berufswunsches, deutlich etwa bei Joseph Bernhart in seinem autobiographischen Roman Der Kaplan: »… was Wunder, dass mein Gedanke, wie zum Abschied, bei meiner Mutter war. Säße ich ohne sie, ihr Gebet und ihren Wunsch, an diesem Ort? Freien Willens habe ich die Bahn [zum Priestertum; Th. Fo.] betreten, wer aber weiß, wer die Entschlüsse lenkt, die uns frei und als die unsrigen erscheinen?« Bernhart, Kaplan, 8. Kritischer derselbe Autor in seinen Erinnerungen: »In der Regel war ein Mutterherz bestimmend, das sich vom künftigen Opferberuf des Geweihten die Gnade und das ewige Heil für sich und die ganze Blutsgemeinschaft versprach. Aus diesen Verhältnissen sind viele Seelsorger hervorgegangen, auch tüchtige …« Bernhart, Erinnerungen 1881–1930, 204. 89 Vgl. Crottogini, Werden und Krise, 113–120. 90 Vgl. ebenda, 77–112 und 270. 91 Vgl. Jarausch, Deutsche Studenten, 135 und 181. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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sich.92 Wer nicht körperlich arbeitet, gibt sich aus der Perspektive der bäuerlichen Welt in gewisser Weise dem Müßiggang hin, er arbeitet eigentlich nicht wirklich und wird damit bereits einer anderen Sphäre, nämlich der Sphäre der Herrschaften zugerechnet.93 Umgekehrt gelang es dem Klerus vermittelt durch seine akademische Ausbildung aber keineswegs ohne weiteres, Zugang zu den gebildeten Bevölkerungsschichten zu finden, zumal das Bürgertum und die gebildeten Schichten gerade im städtischen Kontext häufig Distanz zur Kirche hielten.94 Eine allererste Annäherung an den Priesterberuf stellte häufig das kindliche Pfarrerspielen dar. Hierbei handelte es sich keineswegs um ein Randphänomen. Wenngleich das Pfarrerspielen – wohl aufgrund einer gewissen Scham gegenüber den kindlichen Aktivitäten  – in den meisten Priestererinnerungen unerwähnt bleibt, zeugen hier vor allem dingliche Hinterlassenschaften wie Holzkelche, Zinnmonstranzen, kindergroße Hausaltäre und von den Müttern selbst geschneiderte Messgewänder und Fotografien.95 Allein die Fülle an diesen Spielsachen zeigt die weite Verbreitung dieser kindlichen Form der Annäherung an den Priesterberuf. 92 Ein Kleriker, geweiht 1934, bemerkte hierzu, auf seine Ausbildungsjahre zurückblickend: »Wenn man so im Laufe der Jahre an Alter und an Wissen zunimmt, wenn die Kleidung so allmählich dunkler wird bis zu tiefem Schwarz und sich langsam bis zum Halse schließt, dass nur mehr ein weißer steifer Kragen sichtbar ist, dann steigert sich – vornehmlich auf dem Lande – das Interesse an einem solchen jungen Manne, ja es kann sogar bis zu heller Aufregung ansteigen, wenn der ›Lump‹ ›ausspringt‹. Aber das wollen wir nun lieber nicht annehmen, sondern unser Kandidat an der Philosophisch-Theologischen Hochschule hält durch, er kommt ins Seminar, kehrt dann wieder in die Heimat zurück, zieht fort, kommt wieder, und so geht es in regelmäßigem Wechsel durch einige Jahre hindurch. So braucht man sich denn nicht zu wundern, wenn die Leute fragen: ›Hat er denn so viel zu studieren, was werden sie denn die ganze Zeit tun?‹ Unser angehender Geistlicher braucht sich auch nicht zu wundern, wenn er mehr als einmal die gutmeinende Frage zu hören bekommt: ›Wie weit seid ihr denn schon bei der Messe?‹ Er braucht sich auch nicht zu wundern, wenn ihm ohne jegliche Scheu ins Gesicht gesagt wird: ›Ihr habt es schön, so schön möchte ich es auch einmal haben in meinem Leben …‹«; Joseph Ammer, Der Student an der PhilosophischTheologischen Hochschule, in: Hundert Jahre philosophisch-theologische Hochschule Freising. Sonder-Beilage zur den Freisinger Nachrichten, Juli 1934 (Exemplar in: EAM, NL Faulhaber 5872). 93 In diesen Kontext passt eine Bemerkung des bayerischen Volkskundlers und Heimatforschers Josef Schlicht, der bemerkte, die Altbayern bewunderten ihre Pfarrer unter anderem deshalb, da sich in ihren Häusern allerlei Kunstwerk und Lebenskomfort befinde, den sie nicht verstünden und der sich auch für Unstudierte nicht schicke; vgl. Joseph Schlicht, Bayerisch Land und Bayerisch Volk, Straubing 1875, 139 zit. nach Gatz, Kultur des priesterlichen Alltags, 294. Zur Bedeutung Schlichts zum Verständnis des Verhältnisses Klerus und Laien im 19. Jahrhundert vgl. Nickel, Theologisch-praktische Monatsschrift, 223. 94 Insofern verwundert nicht, dass der Klerus immer wieder gemahnt werden musste, die Seelsorge für die gebildeten Stände nicht zu vernachlässigen: »Auch dem Gebildeten sei der Seelsorger Hirt«, wurde auf der Freisinger Dekanskonferenz 1926 eingefordert; vgl. Amtsblatt München 1926, Beilage Protokoll der Freisinger Dekanskonferenz vom 18. 11. 1926, 6. 95 Eine reiche Sammlung dieser Gegenstände und entsprechende Bilddokumente trug das Archiv des Prämonstratenserklosters Windberg (Niederbayern) zusammen. Sie wurden im Mai 2007 in der Ausstellung Pfarrergschicht’n erstmals der Öffentlichkeit präsentiert, vgl. Kratzer, Als die Pfarrer Bräute hatten. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Abb. 2: Knaben in priesterlicher Kleidung. Auffallend ist die aufwändige und normalerweise den Geistlichen vorbehaltene liturgische Kleidung mit Birett und Talar. Offenbar handelt es sich um eine inszenierte Aufnahme. Die weißen Birette lassen auf die Herkunft der Kleidung aus dem in Windberg ansässigen Prämonstratenserorden schließen. Weihrauchfass und Schiffchen verweisen auf die Tätigkeit als Ministranten. Foto: Klosterarchiv/Sammlung Windberg; Windberg, um 1937.

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Die Objekte wurden entweder selbst hergestellt oder galten als beliebte Andenken, welche man von Wallfahrten mitbrachte. Die gewerbliche Herstellung erfolgte zum Teil im großen Stil.96 Für die Kinder stellte der Pfarrer eine herausragende Gestalt in ihrem sozialen Umfeld dar. Ihm spielerisch nachzueifern, die vertrauten und oft beobachteten Vollzüge der durch die lateinische Sprache und die herausgehobene liturgische Kleidung des Priesters dem Alltag enthobenen Messfeier nachzuahmen, war eine beliebte Beschäftigung, die weder von den Eltern, noch von Geistlichen als unstatthaft oder unpassend empfunden wurde. Auch die Institution Kirche bekämpfte die kindliche spielerische Nachahmung des Pfarrers bei der Ausübung ihres zentralen Mysteriums nicht. Pfarrerspielen war ein alltäglicher Akt der spielerischen Einübung eines Knaben in seinen möglichen künftigen Beruf. Auf diese Weise unterstützte das Spiel die Rekrutierung des Standes, so mancher Berufswunsch setzte sich im Kind fest. War das Pfarrerspiel vor allem eine Sache der jüngeren Knaben, so wirkten die geistlichen Jugend- und Reformbewegungen wie der Bund Neudeutschland, der Heliand oder der Quickborn97 und die ebenfalls in den 20er Jahren verstärkt in Erscheinung tretende liturgische Bewegung98 eher auf die bereits Reiferen, d. h. die Jugendlichen zwischen etwa 12 und 18 Jahren. Die katholische Jugendbewegung entwickelte sich vor allem in einem urbanen Umfeld. In den ländlichen Regionen, wo die Burschenvereine stark präsent waren, vermochte sie hingegen kaum Fuß zu fassen.99 So erinnerte sich der Diözesanpriester Johannes Baumgartner100, Jahrgang 1909, ein Spätberufener, an den Einfluss der Jugendbewegung auf seine Berufsentscheidung in den frühen 1930er Jahren:

 96 So bot etwa eine im Elsass ansässige Zinnwarenfirma um 1900 in ihrem Versandkatalog über 60 verschiedene Typen von Miniaturmonstranzen für Kinder an. Freundlicher Hinweis von Fr. Raphael Sperber OPraem (Windberg/Niederbay.) an den Verfasser.  97 Vgl. zur katholischen Jugendbewegung Henrich, Jugendbewegung; Schellenberger, Katholische Jugend und Drittes Reich; Hastenteufel, Katholische Jugend; Pahlke, Trotz Verbot nicht tot sowie Eilers, Konfession und Lebenswelt (zum Bund Neudeutschland) und Binkowski, Jugend als Wegbegleiter (zum Quickborn).  98 Vgl. zur liturgischen Bewegung Maas-Ewerd, Liturgie und Pfarrei.  99 Vgl. auch Gatz, Priester und Jugendbewegung, 286. 100 Johannes Baumgartner, geb. am 28. 05. 1909 in München, Priesterweihe 1938 in Freising, KooperaturVerweser in Traunstein, 1941–1945 aktiver Wehrdienst als Sanitäter, 1945 Kaplan in St. Achaz, Subregens im Erzb. Klerikalseminar Freising, 1949 Stadtpfarrer in Rosenheim-St. Nikolaus, 1958 Regens des Erzb. Klerikalseminars in Freising und Lehrbeauftragter für Pastoraltheologie an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Freising, 1962 Prälat, 1965 Stadtpfarrer in MünchenSolln-St. Johann Baptist, 1978 Versetzung in den dauernden Ruhestand, Seelsorgemithilfe in München-St. Margaret, gest. am 12. 02. 2008; vgl. AEM, Chronologie der Diözesanpriester 2004, 19; Schematismus 2007/2008, 611. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Ich bin in der Münchener Pfarrei St. Paul groß geworden. Das war liturgisch eine sehr lebendige Pfarrei, damals unter Schrallhammer101. […] Das ist auch mit ein Anlass gewesen, dass ich zur Theologie gekommen bin, also zunächst in München und dann im Georgianum studiert habe. […] Kifinger102, der später dann Heliandführer geworden ist, der hat auch unsere Neudeutschland-Gruppe geführt und da war ich mit dabei, und das war ausschlaggebend, dass ich zum Priesterberuf gekommen bin.103

Stark von der Neudeutung der Liturgie durch Romano Guardini104, einem der Wegbereiter der liturgischen Bewegung und Führer der Jugendbewegung Quickborn, fühlte sich der junge Aloys Goergen105 angezogen, der aber auch zum Führungskreis

101 Josef Schrallhammer, geb. am 07. 02. 1881 in Oberdorfen, Priesterweihe 1907 in Freising, Koadjutor in Trostberg, 1909 Kooperator in München-St. Benno, 1912 Prediger in München-St. Ludwig, 1922 Stadtpfarrer in München-St. Paul, 1949 frei resigniert, Kommorant in München, gest. am 07. 01. 1950, vgl. Schematismus 1950, XXX, 76, 214 und 404. Die liturgische Bewegung hatte ihre Zentren in München in den Pfarreien St. Paul und St. Laurentius, vgl. hierzu Fellner, Kirche in Bayern, 239. 102 Georg Kifinger, geb. am 10. 11. 1889 in Mettenheim, Priesterweihe 1914 in Freising, Aushilfspriester in Landshut und Freising, 1915 zu Studien beurlaubt, Stipendiat in München, 1918 Oberlehrer und Offiziator an der Kreislehrerinnenbildungsanstalt, 1932 Studienrat an der Maria-Theresia-Realschule, 1933 Studienrat an der Lehrerinnenbildungsanstalt in Pasing, 1935 Studienrat am neuen Realgymnasium München, 1938 Stadtpfarrer in München-Maria Ramersdorf, 1963 Prälat, 1967 frei resigniert, gest. am 15. 05. 1976; Kifinger war Geistlicher Beirat des Heliandbundes in der Erzdiözese; vgl. AEM, Priesterpersonalakten P III 864. 103 EAM, Priesterbefragung 2003, Interview mit Johannes Baumgartner. 104 Romano Guardini, geb. am 17. 02. 1885 in Verona, Priesterweihe 1910 in Mainz, 1915 Promotion zum Dr. phil., 1922 Habilitation für das Fach Dogmatik in Bonn, Mitarbeit in der katholischen Jugendbewegung, v. a. im Quickborn, der sein Zentrum auf der Burg Rothenfels am Main hatte, 1923 Professor für Christliche Weltanschauung und Religionsphilosophie an der Humboldt-Universität Berlin, 1939 erzwungene Emeritierung, 1943–1945 Rückzug nach Mooshausen (Schwaben), 1945 Professor in Tübingen, 1948–1962 Professor für Christliche Weltanschauung und Religionsphilosophie an der Ludwig-Maximilians-Universität München, gest. am 01. 10. 1968; vgl. Bautz, Guardini; Gerl-Falkovitz, Guardini (mit weiterführender Literatur). 105 Aloys Goergen, geb. am 14. 01. 1911 in Saarlouis, Studien in Trier, Fulda, München, Salzburg und Wien, 1935 Promotion zum Dr. phil., 1936 Priesterweihe in Salzburg, 1936–1945 Mitglied der Weltpriestergenosssenschaft vom Kostbaren Blut, 1940 Promotion zum Dr. theol., anschließend Wehrdienst bis Kriegsende, 1945 Kaplan in München-Hl. Familie, 1947 in die Erzdiözese München und Freising inkardiniert, 1946–1963 Religionslehrer am Städtischen Max-Weber-Gymnasium in München, 1963–1979 Professor für Philosophie der Ästhetik und der Symbolischen Formen und Theologie des christlichen Kirchenbaus an der Akademie der bildenden Künste München, 1969–1975 Präsident der Akademie der bildenden Künste München, 1979 Emeritierung, seit den 1950er Jahren Aufbau einer Personalgemeinde, in der ein künstlerischer und meditativer Zugang zu Liturgie und Glaube in den Vordergrund gestellt wird, zunächst in München und Urfeld am Walchensee (Oberbayern), nach Spaltung der Gruppierung Ende der 1960er Jahre in Rattenbach bei Eggenfelden (Niederbayern), gest. am 01. 04. 2005; vgl. EAM, Priesterbefragung 2003, Interview mit Aloys Goergen; AEM, Chronologie der Diözesanpriester 2004, 85 f.; Veit-Discherl, Nachruf. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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der katholischen Sturmschar106 gehörte und, nachdem er bereits das Theologiestudium aufgenommen hatte, auch zeitweise als deren Reichsführer fungierte: »Eines Tages bekam ich ein kleines Heftchen in die Hand, mehr oder weniger durch Zufall. Es hieß: Von heiligen Zeichen.107 Das habe ich zuhause gelesen. Und das hat mich beeindruckt. Da fing es dann an.«108 Die eigentliche Schlüsselstellung bei der Nachwuchsrekrutierung kam dem Klerus selbst zu.109 War er in die Erziehung der katholischen Knaben in Schule und Gemeinde ohnehin involviert und konnte hier bereits ihm geeignet erscheinende Kandidaten ins Auge fassen, so fungierten zudem gerade die jüngeren Geistlichen in den Gemeinden auch als priesterliche Vorbilder, denen die Knaben nacheiferten. »An sich schon in der Kindheit«110, antwortete ein Geistlicher111 auf die Frage, ab wann er dem Priesterberuf zustrebte. »Ja, damals hat es sich schon so ergeben. Da hat schon der Kaplan in der Schule gefragt, Kaplan Kislinger112, ein wunderbarer Kaplan«113. Bei Max Eham114, der aus dem Bayerischen Oberland stammte, verlief es Ende der 1920er Jahre ähnlich, wenngleich in seinem autobiographischen Bericht die entscheidende Rolle des Heimatgeistlichen nur indirekt angesprochen wird:

106 Die Sturmschar war ein 1929 aus dem Katholischen Jungmännerverband hervorgegangener Jugendverband; sie war nach 1933 massiven Behinderungen unterworfen und wurde 1939 durch die Gestapo aufgelöst; vgl. Stoll, Sturmschar 1929–1938/39. 107 Diese Schrift Guardinis erschien erstmals 1922 im Verlag des Quickborn auf Rothenfels. 108 EAM, Priesterbefragung 2003, Interview mit Aloys Goergen. 109 So auch Crottogini, Werden und Krise, 271: Unter den eigentlichen, den Wunsch nach dem Priesterberuf konkret auslösenden Faktoren stehen nach Auskunft der hierzu Befragten an erster Stelle »Wort und Beispiel eines Priesters«. 110 EAM, Priesterbefragung 2003, Interview mit Adalbert Albrecht. 111 Adalbert Albrecht, geb. 29. 08. 1916 in Freilassing-Salzburghofen, 1947 Priesterweihe in Freising, Koadjutor in Niklasreuth, 1948 Kaplan in München-Zu den Hl. 12 Aposteln, Präfekt im Erzbischöflichen Knabenseminar Traunstein, 1949 Kaplan in München-Berg am Laim, 1962 Pfarrer in Schönau-Maria Himmelfahrt, 1986 Versetzung in den dauernden Ruhestand, gest. am 05. 12. 2008; vgl. EAM, Priesterbefragung 2003, Interview mit Adalbert Albrecht; AEM, Chronologie der Diözesanpriester 2004, 2; Direktorium 2010/2011, 20. 112 Josef Kislinger, geb. am 27. 03. 1898 in Petershausen, 1923 Priesterweihe in Freising, Aushilfspriester in Asbach und Salzburghofen (Freilassing), 1926 Hilfspriester in Freilassing, 1932 Vikar in Tengling, 1935 Pfarrkurat ebenda, 1950 Pfarrer daselbst, 1960 frei resigniert, Kommorant in Rabenden, gest. am 30. 12. 1963; Schematismus 1962, 7 und 234; Direktorium 2004/2005, 31. 113 EAM, Priesterbefragung 2003, Interview mit Adalbert Albrecht. Kislinger wirkte von 1923 bis 1932 in der Heimatgemeinde von Albrecht. 114 Max Eham, geb. am 16. 02. 1915 in Bergham, 1939 Priesterweihe in Freising, Koadjutor in Schliersee, 1939–1948 Präfekt im Erzbischöflichen Knabenseminar Freising, 1948 Chordirektor an der Domkirche in Freising, 1949–1965 Domkapellmeister in Freising, 1969–1975 Domkapellmeister in München, 1975–1990 Honorarprofessor an der Hochschule für Musik München, 1977 Prälat, 1990 Versetzung in den dauernden Ruhestand, gest. am 27. 07. 2008; EAM, Priesterbefragung 2003, Interview mit Max Eham; AEM, Chronologie der Diözesanpriester 2004, 57; Schematismus 2007/2008, 499. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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… ich komme aus einer Bauernfamilie, aus Bergham bei Miesbach im Oberland. Wir waren zwölf Kinder, ich war das zwölfte Kind, und dann, na ja, wie es halt ist, dort haben wir einen guten Heimatpfarrer gehabt, Pfarrer Haarpaintner115 in Parsberg bei Miesbach. […] Zu meiner Kinderzeit war Parsberg doch ein sehr gutes Pfarrhaus. Ja, und dann bin ich eine zeitlang nach Miesbach in die Realschule gegangen, habe nebenbei bei einem Kooperator in Miesbach Lateinunterricht genommen, denn in der Realschule gab es ja kein Latein. […] Im nächsten Jahr habe ich dann die Aufnahmeprüfung gemacht für Freising, bin also dann seit 1926 im Freisinger Knabenseminar gewesen.116

Die Geistlichen leisteten durchaus auch materielle Unterstützung, wenn das Elternhaus nicht über die nötigen finanziellen Mittel verfügte. Johannes Baumgartner erinnert sich: »Da war der gute Benefiziat Maier von der Asamkirche, nicht wahr. Der hat mich finanziert, hat mir geholfen, meine Eltern konnten sich das nicht leisten.«117 Dabei wurde gelegentlich durchaus sanfter Druck angewandt und so mancher Knabe musste – wie schon aus den Berichten von Johann Jäger und Albert Hartl deutlich hervorging – erst von diesem Weg überzeugt werden oder wurde zumindest nicht gefragt. So verhielt es sich im Falle von Franz Kronberger118, der 1928 nach Vorunterricht bei einem Priester in seiner Heimat in das Knabenseminar auf dem Freisinger Domberg und in die dritte Klasse des Freisinger Gymnasiums kam: Ich bin eigentlich mehr oder weniger – im Gegensatz zu vielen anderen – mehr oder weniger geschoben worden. […] Der Oberlehrer hat seinen Abschied in die Pension genommen. Da musste ich mit dem Bürgermeistersohn ein Gedicht aufsagen und hernach kam der Benefiziat zu uns, und hat gefragt, ob wir nicht studieren möchten. Auf mein Zögern hin, es hat sich mehrere Tage und Wochen hingespielt, hat er dann gesagt: […] ›Machen wir sechs Wochen Probezeit und dann sehen wir schon, wie es weitergeht.‹ Nach diesen sechs Wochen war gar keine Rede mehr davon, wenn es geheißen hat, ob ich studieren wolle, was fast genauso viel hieß, als wollte man Priester werden. […] So kam ich also mehr oder weniger automatisch ins 115 Franz Seraph Haarpaintner, geb. am 08. 10. 1872 in Stephanskirchen, Priesterweihe 1898 in Freising, Kooperatur-Verweser in St. Wolfgang und Eching bei Landshut, 1900 Koadjutor in Königsdorf, Pfarrvikar ebenda, Kaplan in München-St. Paul, 1905 Kooperator in München-St. Ludwig, 1915 Benefiziat am Dom zu Unserer Lieben Frau in München, 1918 Pfarrer in Parsberg, 1934 frei resigniert, Kommorant daselbst, gest. am 23. 03. 1957; vgl. AEM, Priesterpersonalakten P III 583. 116 EAM, Priesterbefragung 2003, Interview mit Max Eham. 117 EAM, Priesterbefragung 2003, Interview mit Johannes Baumgartner. 118 Franz Kronberger, geb. am 12. 12. 1913 in Thann bei Aschau am Inn, 1940 Priesterweihe in Freising, Koadjutor in Endorf, 1943 Koadjutor in Wartenberg, 1945 Koadjutor in Markt Grafing, 1946 Assistent in der Erzbischöflichen Finanzkammer, 1949 Domvikar, 1953 Notar am Erzbischöflichen Konsistorium und Metropolitangericht, daneben 1961–1994 Rector ecclesiae am MathildenPensionat in München, 1966 Prosynodalrichter, 1982 Monsignore, 1983 Diözesanrichter, 2002 Versetzung in den dauernden Ruhestand, gest. am 31. 10. 2010; vgl. EAM, Priesterbefragung 2003, Interview mit Franz Kronberger; AEM, Chronologie der Diözesanpriester 2004, 159; Kronberger, Erinnerungen. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Zwischen Selbstbindung und Gehorsam: Berufung und Berufsvorbereitung

Priesterseminar […] Aber es war fast das Normale, vom Knabenseminar in das große Klerikalseminar überzutreten für die fünf Jahre Philosophisch-Theologische Hochschule, das ging bei mir fast ohne Probleme. Man hat sich natürlich innerlich schon ernstlich gefragt, kann man, was das Zölibat und das Breviergebet anbelangt, kann man diese Verantwortung übernehmen? Aber nach außen hin ging das ohne Probleme.119

Es liegt durchaus nahe anzunehmen, dass in einer Zeit, in der die Berufswahl Heranwachsender noch stark von äußeren Faktoren wie dem Einfluss Dritter und dem sozialen Status bestimmt wurde, die Entscheidung für den Priesterberuf nicht in allen Fällen und nicht immer von den Knaben allein ausging. Zwischen dem Entschluss aus freien Stücken, motiviert von kindlicher Berufsneigung, dem Nacheifern patenter Jugendkapläne, und dem mehr passiven über sich ergehen lassen einer Berufsentscheidung durch den Ortsgeistlichen und nachfolgenden sozialen Zwängen eröffnete sich ein weites Feld. Dass es Priester gab, die zu ihrem Berufswunsch nicht aus freien Stücken oder aus anderen denn aus geistlichen Motiven gekommen waren, räumte selbst die Enzyklika Ad catholici sacerdotii ein: Wer dagegen, vielleicht von übelberatenen Eltern gedrängt, diesen Stand erwählen wollte wegen der Aussicht auf zeitliche und irdische Vorteile, die er im Priestertum sieht oder von ihm erhofft – wie es in der Vergangenheit häufiger geschehen mochte … [ist] nicht geeignet und fähig für ein so heiliges Amt!120

Tatsächlich war dann auch äußerer Zwang zur Weihe die einzige Möglichkeit, diese gewissermaßen wieder rückgängig zu machen und einen Priester in den Laienstand zurückzuversetzen.121 Doch Zwang im eigentlichen Sinne wird es kaum je gegeben haben, wohl aber soziale oder auch ökonomische Zwänge. Der Freisinger Regens Johann Baptist Westermayr wies 1931 darauf hin, dass in einer Zeit, in der die wirtschaftlichen Verhältnisse der priesterlichen Laufbahn auch zeitliche Vorteile versprechen und vor allem den schweren Kampf um eine andere Existenz ersparen […], die Versuchung nur allzu naheliegend [sei], dass sich auch Nichtberufene, vielleicht zugleich von Seiten der Eltern gedrängt, den Priesterberuf in verhängnisvoller zweckhafter Selbsttäuschung suggerieren.122

119 EAM, Priesterbefragung 2003, Interview mit Franz Kronberger; ähnlich in: Kronberger, Erinnerungen, 3 f. 120 Pius XI., Ad catholici sacerdotii, 25 f. 121 Die Weihe konnte in einem solchen Fall durch den betroffenen Kleriker in einem Weiheprozess angefochten werden, die Zuständigkeit lag bei der Sakramentenkongregation in Rom, vgl. Eichmann, Kirchenrecht, Bd. I 205 ff. Von dieser Möglichkeit wurde aber nur in seltensten Fällen Gebrauch gemacht, zumal der Begriff des Zwangs sehr eng ausgelegt wurde und der Nachweis schwer war. 122 Westermayr, Berufserziehung, 313. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

Die Berufung zum Priestertum121

Kritik am zeitüblichen Gang der Berufung, an der mitunter wahllosen Rekrutierung von lediglich hinlänglich talentierten braven Buben für die Knabenseminare durch die Ortspfarrer, wurde gelegentlich bereits von Zeitgenossen geübt.123 Zum Zeitpunkt des Eintritts in die diözesanen Knabenseminare Scheyern, Freising und Traunstein waren die Knaben zwischen elf und 15 Jahre alt124, die jüngeren mithin in einem Alter, in welchem die Tragweite einer Berufsentscheidung kaum abgeschätzt werden kann, noch weniger die in diesem Fall damit verknüpften besonderen Implikationen wie die Verpflichtung zum zölibatären Leben.125 Freilich war mit dem Entschluss auf das Knabenseminar zu gehen, um später einmal zu studieren, noch keine definitive Entscheidung für den Priesterstand verbunden. Die Entscheidung nach dem Abitur vom Knabenseminar nicht in das Klerikalseminar zu wechseln, war aber eine Entscheidung gegen den Priesterberuf, nicht eine Entscheidung für etwas. Damit unterschieden sich die Knabenseminaristen von den übrigen Abiturienten, die sich mit 18 oder 19 Jahren für etwas entscheiden konnten, wenngleich auch diese naturgemäß sozialen Zwängen unterlagen. Gegen die Entscheidung vom Knaben- in das Klerikalseminar zu wechseln, sprach vor allem die Erwartung derjenigen, die dem Kandidaten die Ausbildung verknüpft mit der Hoffnung auf die Klerikerlaufbahn ermöglicht hatten, d. h. sowohl das Elternhaus als auch die Heimatgemeinde sowie die Leitung des Knabenseminars. Es sprachen aber wohl auch mangelnde Alternativen dagegen. Sofern das Studium nur durch kirchliche Stipendien und Subsidien ermöglicht wurde – was, wie noch zu zeigen sein wird, auf eine Vielzahl der Kandidaten zutraf – gab es keine Alternative zur Theologie. Die Alternative war dann ein Zurück in die zumeist nichtakademische Herkunftswelt und damit auch der Verzicht auf sozialen Aufstieg. Zudem handelte es sich bei den kleinen Seminaren nicht um weltanschauungsneutrale Internatseinrichtungen, sondern um Anstalten, in denen das Leben und Lernen bereits ganz in derselben Weise rhythmisiert und strukturiert war, wie im Klerikalseminar und entsprechend bereits auf das Leben und Studium dort vorbereitete.

123 Vgl. etwa den Beitrag des Mettener Benediktinerpaters Godehard Geiger in der Passauer Theologisch-praktischen Monatsschrift, auf den Nickel, Theologisch-praktische Monatsschrift, 253 f. hinwies: Geiger warnte vor allem vor solchen Kandidaten, die den Priesterstand schließlich vorwiegend im Hinblick auf materielle Interessen und dem Wunsch nach einer höheren sozialen Stellung anstreben würden. 124 Bei der o. g. Auswahlstichprobe von 100 Diözesanpriestern, die der Verfasser auf Basis des Schematismus 1939 zog, ergab sich ein durchschnittliches Alter von 13 Jahren und 5 Monaten beim Eintritt in das Knabenseminar. 125 Crottogini, Werden und Krise, 272, ging davon aus, dass eine definitive Berufsentscheidung nicht vor dem 16. oder 17. Lebensjahr möglich sei. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Zwischen Selbstbindung und Gehorsam: Berufung und Berufsvorbereitung

2.2 Die kleinen Seminare: Vorschule des Priestertums 2.2.1 Erziehungsziel und Profil der kleinen Seminare Vorbereitung und Erziehung spielen beim Priestertum eine zentrale Rolle. Dem Religionssoziologen Johannes Wach zufolge zielt die priesterliche Ausbildung darauf ab, die Anlagen und Fähigkeiten zu entwickeln, welche zur Kultübung erforderlich sind. Sie konzentriert sich auf Entfaltung und Aufrechterhaltung der angemessenen Kommunikation mit dem Numinosen, aus der das mana oder die ›Heiligkeit‹ des Priesters entspringt. Asketische Übungen bringen Körper und Willen unter die nötige Kontrolle; Meditation und Gebet sollen die Seele vorbereiten; Unterricht und Studium bilden den Geist.126

Diese Ausbildung beginnt nicht erst im Klerikalseminar, sondern sie beginnt im Idealfall, der mit der Verwirklichung des tridentinischen Seminarmodells bis gegen Ende der 1960er Jahre der Regelfall blieb, mit dem Eintritt der im Knabenalter stehenden Kandidaten in das Knabenseminar, vom Kirchenrecht als kleines Seminar bezeichnet. Die kirchenrechtlichen Bestimmungen empfahlen für die Anwärter zu den heiligen Weihen Seminarerziehung »von frühester Jugend«127 an. Obwohl die priesterliche Berufsentscheidung zu diesem Zeitpunkt formal noch nicht gefallen war, so war sie doch durch den Prozess der Rekrutierung faktisch bereits vorgezeichnet. Der Codex Iuris Canonici von 1917 sah für beide Seminartypen völlig identische Ausbildungsordnungen im Hinblick auf Tagesablauf und formale Gestaltung des Alltags der Kandidaten vor.128 Das Ziel der Ausbildung in den Knabenseminaren bestand darin, bei für den Priesternachwuchs geeignet erscheinenden Knaben den Berufswunsch zu stärken und zu festigen, während diese sich gleichzeitig durch den Erwerb der allgemeinen Hochschulreife an einem mit dem Seminar in Verbindung stehenden Gymnasium für das Studium der Theologie formal qualifizierten. Die »lückenlose Erziehung der späteren Geistlichen«129 und ihre Prägung durch ein hierarchisch geordnetes, strengkirchliches Umfeld sollten so bereits ab dem 10. Lebensjahr erreicht werden. Das geistliche Leben im Seminar sollte auf das Priesterseminar vorbereiten und durch die Erfahrung der Zusammengehörigkeit ein Gemeinschaftsgefühl entwickeln, das die Entscheidung für den Priesterberuf erleichterte.130 Als geeignet für das Seminar galten grundsätzlich nur »Knaben mit aus-

126 Wach, Religionssoziologie, 412. 127 Eichmann/Mörsdorf, Kirchenrecht, Bd. 1, 107. 128 Vgl. Bitterli, Priesterseminar, 12. Zu Ursprung, Idee und Bestimmungen des tridentinischen Seminardekrets von 1563 und den ersten Entwicklungen in Bayern vgl. Brunner, Statuta, 27–37 bzw. 64–72. 129 Laube, Knabenseminare. 130 Vgl. Strötz, Kleruserziehung, 398. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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gesprochener priesterlicher Berufsneigung.«131 Zum einen entzog das Seminarleben die Anwärter auf den Priesterberuf schon frühzeitig dem weltlichen Umfeld und den negativ auf den Berufungsgedanken wirkenden Einflüssen von außen und bereitete so in idealer Weise auf die weitere Formung im Priesterseminar vor. Zum anderen zogen die kirchlichen Erziehungsanstalten vorwiegend den Nachwuchs solcher Familien an, denen der Zugang zu höherer Bildung aus materiellen Gründen ansonsten für gewöhnlich verschlossen blieb. Indem die Kirche auf diese Weise unterprivilegierten Schichten zum bildungsmäßigen und damit zugleich auch zum sozialen Aufstieg verhalf, versicherte sie sich in besonderer Weise deren Loyalität.132 Die Erziehung an den Knabenseminarien war aus kirchlicher Sicht erfolgreich verlaufen, wenn ein möglichst großer Anteil der Absolventen nach dem Erwerb der Hochschulreife tatsächlich mit der Absicht sich zum Priester weihen zu lassen, das Studium der Theologie aufnahm. Bereits die Zeitgenossen übten entsprechende Kritik an diesen klerikalen »Erziehungsfabriken«133. Seit Mitte der 1920er Jahre standen für die schulische Ausbildung der potentiellen Priesteramtskandidaten im Erzbistum München und Freising an drei Ausbildungsstätten die Kombination von höherer, zur allgemeinen Hochschulreife führender Schule und Knabenseminar zur Verfügung. Zwei davon, das Gymnasium auf dem Freisinger Domberg und das dortige Knabenseminar sowie das Progymnasium und Knabenseminar in Scheyern, hatten ältere Wurzeln, das Knabenseminar Traunstein hingegen war eine Neugründung der 1920er Jahre. Die Knabenseminare in Scheyern, Freising und Traunstein waren für den Klerikernachwuchs von eminenter Bedeutung. Etwa 80 % der zukünftigen Theologen durchliefen eines oder mehrere dieser kirchlichen Seminare und die mit ihnen verbundenen Gymnasien, nur etwa ein Fünftel der Kleriker hatte mithin diese Seminare nicht besucht und die Hochschulreife an einem sonstigen Gymnasium oder auf dem zweiten Bildungsweg erworben.134 Die Knabenseminare hatten sich parallel zu den Klerikal- bzw. Priesterseminaren, den Seminaria maiora, als Folge des Konzils von Trient in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts entwickelt.135 Formal gesehen handelte es sich um Internate, deren erzieherischer Schwerpunkt auf der religiös-aszetischen Bildung lag.136 Nach verschiedenen, vor allem im Bereich der Klöster und Stifte angesiedelten Seminarien in 131 Aufnahme in die Erzbischöflichen Knabenseminare, Amtsblatt München 1938, 11–12, hier 12. 132 Vgl. hierzu auch Busch, Frömmigkeit und Moderne, 214 unter Verweis auf Thesen Max Webers zur Machtsteigerung durch die Rekrutierung des herrschaftlichen Gefolges aus besitzlosen Schichten. 133 So etwa die Kritik des Reformkatholiken Josef Müller, vgl. Weiss, Otto, Modernismus in Deutschland, 185. 134 Vgl. EAM, NL Faulhaber 5752, Ordinariat München an StMuK vom 22. 1. 1934. 135 Zur Geschichte der Knabenseminare allgemein vgl. v. a. Garhammer, Seminaridee (mit speziellem Fokus auf Bayern); Gatz, Priesterausbildungsstätten; Gatz, Optionen, bes. 84–87. 136 Als theologische Disziplin beschäftigte sich die Aszetik mit der Frage nach dem praktischen Weg zur rechten, gottgefälligen Daseinsbewältigung entlang der Richtschnur der kirchlichen Dogmen und Morallehren, die gehorsam zu befolgen sind. Ziel der aszetischen Lebenshaltung im christlichen Sinn ist die Einübung der Überwindung innerer und äußerer Widerstände, der Kampf gegen © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Zwischen Selbstbindung und Gehorsam: Berufung und Berufsvorbereitung

der Zeit vor der Säkularisation wurde das erste bischöfliche Knabenseminar der Erzdiözese München und Freising im Jahr 1826 durch Erzbischof Lothar Anselm von Gebsattel auf dem Freisinger Domberg gegründet.137 Bedeutsam und folgenreich auch für Freising wurde in der Folge die Einrichtung des Eichstätter Seminars im Jahr 1838 durch den dortigen Bischof Karl August von Reisach, der selbst die streng formalisierte Ausbildung auf dem Collegium Germanikum in Rom absolviert hatte. Nachdem Reisach 1846 Erzbischof von München und Freising geworden war, übertrug er das von ihm maßgeblich geprägte Modell eines ausschließlich der Leitung des Ortsbischofs unterstehenden Seminars, in dem die Schüler von der Außenwelt abgeschottet, auf geistliche Belange konzentriert und einer rigorosen Disziplin unterworfen waren, auch auf Freising.138 Das Gymnasium Freising, 1828 unter König Ludwig I. von Bayern in Verbindung mit dem Knabenseminar als Humanistisches Gymnasium begründet, führte die Tradition des in der Säkularisation aufgelösten fürstbischöflichen Gymnasiums nominell fort, war jedoch seit 1858 eine staatliche Schule.139 Das 1860 begründete Knabenseminar in Scheyern war nicht nur in den Räumlichkeiten der dortigen Abtei untergebracht. Lateinschule und Seminar standen seit der Wiederbegründung der Schule im Jahr 1838 auch in der unmittelbaren Obhut des Benediktinerordens und damit in der langen Tradition benediktinischer Wissenschaftspflege in Bayern.140 Allerdings handelte es sich bei Scheyern bis in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg nicht um ein vollwertiges Gymnasium, der Unterricht umfasste nur die zweite bis sechste, ab 1926 die ersten sechs Jahrgangsstufen.141 Versuchung und Sünde, vgl. etwa das bei Seminaristen in den 1930er Jahren häufig verwendete Lehrbuch des Paderborner Regens Friedrich Jürgensmeier, Aszetik. 137 Zu seiner Geschichte vgl. Musiol, Schultopographie Freisings (mit Bibliographie der älteren Literatur). 138 Vgl. Garhammer, Seminaridee, 114–129; ein Überblick über die Geschichte des Freisinger Knabenseminars bei Müller, Rainer A., Knabenseminare; zur Entwicklung der Priesterausbildung im Anschluss an die Säkularisation 1803 vgl. Ries, Wandel. 139 Zu seiner Geschichte vgl. allgemein: Punkes, Freisings höhere Lehranstalten; Abele, Humanistisches Gymnasium Freising; Danner, Dom-Gymnasium Freising; Goerge, Freising nach 1800; Hahn, Freisinger Schulgeschichte. 140 Neubauer, Scheyern. 141 In Anlehnung an die Quellen wird im Kontext dieser Arbeit die zeitgenössische Einteilung der Jahrgangsstufen an den höheren Schulen verwendet, d. h. die Zählung der Jahrgangsstufen beginnt nach der vierjährigen Grundschule (Volkshauptschule) an den höheren Schulen wieder von vorn. Für einen das Priestertum anstrebenden Jungen kam als Schulart in der Regel nur das neunjährige humanistische Vollgymnasium in Frage (hierunter v. a. Freising, ab 1934 auch Traunstein, beide bevorzugt wegen der Verbindung mit den Seminaren), häufig wurde aber zunächst eine fünfjährige Lateinschule (Scheyern bis 1926) oder ein sechsjähriges Progymnasium (Scheyern ab 1926, Traunstein bis 1933) vor dem Wechsel auf die entsprechende Jahrgangsstufe des Vollgymnasiums absolviert. Die höheren Schulen waren kostenpflichtig und konnten erst nach dem Bestehen einer Aufnahmeprüfung in den Fächern Deutsch, Rechnen und Religion besucht werden. Bei Eintritt in eine höhere – etwa die zweite Klasse des Gymnasiums – war die Kenntnis des entsprechenden Stoffs ebenfalls in einer Aufnahmeprüfung nachzuweisen; vgl. für einen kurzen Überblick: Grosspietsch, Schulwesen; zur bayerischen Schulgeschichte grundlegend: Liedtke, Bildungswesen, Bd. 3. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Innerhalb des Seminars erfolgte eine relativ ausgeprägte Separation nach Alterstufen, die vor allem durch die altersgemäß unterschiedliche Entwicklung in körperlicher und geistiger Hinsicht geboten war. So waren auch die Schlaf- und Studiensäle nach Altersgruppen getrennt, ebenso die Freizeitflächen. Auch bei den gemeinschaftlichen Spaziergängen bildete man drei nach Alter differenzierte Kohorten. Innerhalb der einzelnen Alterskohorten, bildeten sich – ebenso wie in den höheren Schulklassen – kameradschaftliche Beziehungen, die oft ein Leben lang anhielten und die für die spätere Bildung von Netzwerken nicht unwesentlich gewesen sein dürften.142 Das Seminar hatte die unausgesprochene Aufgabe, die »Zöglinge von den andersgerichteten Einflüssen der Familie und Umwelt zu bewahren.«143 Im Hintergrund stand zum einen die Furcht vor Fremdeinflüssen, welche die Knaben vom einmal eingeschlagenen Weg zum Priestertum hätten abbringen können, zum anderen die Verwirklichung des klerikalen Habituskonzepts144, dass »den Priester als eigenen Stand begriff, der sich sowohl durch seine äußere Lebensweise als auch durch seine innere Haltung von seinem Umfeld abheben«145 und eine eigene priesterliche Lebenskultur entwickeln sollte. Die Hausordnung für das Freisinger Knabenseminar aus dem Jahr 1930 formulierte dementsprechend unmissverständlich, das Seminar wolle dem Studenten ein zweites Vaterhaus sein, in welchem die Traditionen des christlichen Elternhauses weitergeführt, die Stelle der Eltern durch die Priesterautorität ersetzt und dem studierenden Jüngling eine Umwelt dargeboten wird, in welcher alles Gedeihliche, Aufbauende, Nützliche und Edle gepflegt wird, um für den künftigen Beruf vorzubereiten.146 142 Demal, Pastoralpsychologie, 291 wies auf die Bedeutung von Freundschaft und Kameradschaft als »Ersatz für die in der Abgeschlossenheit des Internats nicht mögliche Liebe zu einem Mädchen« hin. In diesem Kontext kann die anzunehmende Bedeutung der homosozialen Männergemeinschaft für die Konstruktion des habitus clericalis nur am Rande erwähnt werden, hier erschließen sich noch reiche Betätigungsfelder für entsprechende Studien; vgl. hierzu etwa Bourdieu, männliche Herrschaft; Meuser, Soziologie der Männlichkeit. 143 Strötz, Kleruserziehung, 398. 144 Der Habitusbegriff wird hier in Anlehnung an die Soziologie, vor allem die Forschungen Pierre Bourdieus, verwendet als den Mitgliedern einer sozialen Gruppe gemeinsame Art und Weise des Denkens, Fühlens und Handelns bis hin zu jeweils analogen Mustern in Auftreten, Lebensstil, Sprache und den Formen der ästhetischen Wahrnehmung und sozialen Differenzierung von anderen Gruppen, vgl. zur Einführung in die Begrifflichkeit: Nickl, Ordnung der Gefühle; Gebauer/Krais, Habitus. 145 Laube, Knabenseminare. 146 EAM, NL Faulhaber 5793, Hausordnung des Erzbischöflichen Knabenseminars Freising (1930), 4. Dass weniger eine Ergänzung, sondern tatsächlich eine Ersetzung der elterlichen Autorität angestrebt wurde, zeigt die Bestimmung, allzu häufige Besuche der Eltern im Seminar zu vermeiden; vgl. EAM, NL Faulhaber 5793, Hausordnung des Erzbischöflichen Knabenseminars Freising (1930), 25. Nach Westermayr, Berufserziehung, 309 f. gehörte die Pflege des familiären Geistes zu den zentralen Zielen der Seminarerziehung: »Selbst für den zölibatären Priester besteht das Bedürfnis einer gewissen Familienhaftigkeit, auch für ihn ist das Bewusstsein der Mitgliedschaft in einer © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Zwischen Selbstbindung und Gehorsam: Berufung und Berufsvorbereitung

Im Seminar entstanden bereits durch den Umstand, dass sich die Knaben in punkto Ausbildungsgang, Gemeinschaftsleben und teilweise auch durch einheitliche dunkle Kleidung nach Vorbild der Priester147 von ihren gewöhnlichen Altersgenossen unterschieden und ihnen zugleich ein formal streng geregelter Tagesablauf auferlegt wurde, die Grundzüge eines spezifischen Standesbewusstseins, das sich – sofern sich der jeweilige Kandidat tatsächlich für das Studium der Theologie entschied – zum priesterlichen Standesbewusstsein verfestigen konnte. Frömmigkeit, Ehrfurcht und Gehorsam – die Grundparadigmen priesterlicher Existenz – bildeten unverzichtbare Tugenden, doch machten sie das Wesen des Seminars allein nicht aus.148 Es ging nicht um das Prinzip von Befehl und Gehorsam in einem militärischen Sinne, zumal ein solches angesichts der organisatorischen Struktur der Kirche mangels eines entsprechenden Apparats dauerhaft auch gar nicht umsetzbar gewesen wäre. Erziehungsziel war vielmehr, im Einzelnen die Einsicht zu verankern, dass eine Ausrichtung des Lebensvollzugs am Willen der kirchlichen Obrigkeit nicht nur gottgefällig ist, sondern auch dem Leben an sich dient. »Selbsterziehung« war ein häufig gebrauchter Begriff der Seminarpädagogik dieser Zeit149 und entsprechend lautete auch das Motto des Seminars auf dem Freisinger Domberg: »Serva ordinem et ordo servabit te«.150 Diese Seminarerziehung wurde von den ZögFamilie Quelle beglückenden Gefühls der Geborgenheit, Antrieb zu froher Arbeit und Schutz gegen Vereinsamung und innere Heimatlosigkeit.« Doch wurde unmissverständlich formuliert, welche Familie hiermit gemeint war: »Diese Familie aber ist für ihn die katholische Kirche.« 147 Vgl. Strötz, Kleruserziehung, 398 f. 148 Die Freisinger Hausordnung, die als zentrale Quelle für das Selbstverständnis und den Geist des Seminars gelten kann, formulierte entsprechend: »Das Seminar ist weder eine Kaserne mit militärischem Drill, noch ein Hotel zur zeitweisen Unterkunft, auch keine Anstalt zur Zwangserziehung, kein Korrektionshaus, auch nicht ein freies Land-Erziehungsheim mit Einzelbehandlung, sondern eine kirchliche Gründung mit ausgesprochen religiösem Berufsziel, in welchem der humanistische Bildungsgang des Gymnasiums mit den kirchlichen Erziehungsmethoden für den Priesterberuf aufs engste verbunden scheint. Das Seminar bildet eine einzige große Familie, in welcher die Autorität, gemeinsame Ordnung, die Wahrung guter Zucht und Disziplin und gediegene Pflichterfüllung dem Studenten möglichst fruchtbare Studienjahre verbürgen. […] Seminarist sein bedeutet für jeden Studenten eine Ehre, ein Glück, eine Wohltat, bedeutet aber auch die Übernahme von ernsten Pflichten, Verantwortungen und Opfern. Wer in das Seminar eintritt, übernimmt von Anfang an die Verpflichtung, sich als Glied der großen Familie willig in das ganze einzugliedern, sich den Normen des gemeinsamen Lebens zu fügen und im Geiste der Willigkeit und des Gehorsams alle Maßnahmen und Gepflogenheiten des geistlichen Erziehungshauses auf sich wirken zu lassen. Das was das große Ganze einer solchen Erziehungsanstalt im Gange hält, regelt, zur Einheit, Harmonie und Erfolg führt, ist die Ordnung und der gute Geist des Hauses. Diese Ordnung, die das ganze Seminarleben beherrscht und zu einem Staatswesen im Kleinen gestaltet, ist auch die sicherste Gewähr, dass der Einzelne im Seminar sich wohl und glücklich fühle …«; EAM, NL Faulhaber 5793, Hausordnung des Erzbischöflichen Knabenseminars Freising (1930), 4 f. 149 Etwa in den verschiedenen Beiträgen in dem Sammelband von Sellmair, Internatserziehung. 150 Vgl. EAM, NL Faulhaber 5793, Hausordnung des Erzbischöflichen Knabenseminars Freising (1930), 4. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

Die kleinen Seminare: Vorschule des Priestertums127

lingen nicht zwangsläufig als erfüllend erlebt. Kaplan Z.151, ein Priester, der dabei war sich von seinem Beruf abzuwenden, schrieb diesbezüglich 1943 an Kardinal Faulhaber: Die schematische Erziehung in den Seminarien [hier Scheyern und Freising; Th. Fo.] habe ich wohl ertragen, aber sie hat mich nie froh gemacht. Ich hatte immer das Gefühl, ich bin eben der Zögling mit der Nummer 102. Der Großteil meiner Vorgesetzten hat es nicht der Mühe wert gefunden sich in die Seele des unscheinbaren, untermittel begabten, schlechten Schülers Z[…] hineinzuleben.152

Was die Strenge der Erziehung betrifft, scheint es eine gewisse Hierarchie unter den diözesanen Knabenseminaren gegeben zu haben. Während die Benediktiner in Scheyern eher als etwas lockerer und offener galten und den Knaben einige Freiheiten ließen153, hatte das Seminar in Traunstein unter seinem langjährigen Direktor Johann Evangelist Mair154, der zu Beginn seiner pädagogischen Laufbahn an einer Schule für schwer erziehbare Kinder gelehrt hatte, den Ruf besonderer Strenge. Vor körperlichen Zuchtmitteln schreckte man in dieser Zeit kaum zurück.155 Johann Baptist Westermayr156, seit 1921 Subregens, seit 1932 Regens des Freisinger Klerikalseminars, reflektierte hingegen in einem programmatischen Aufsatz zur geistlichen Berufserziehung 1931 die Problematik, welche eine zu strenge und rein an Gehorsam und Autorität orientierte Erziehung, vor dem Hintergrund dessen, was er die »Mentalität

151 L. Z., geb. am 04. 07. 1913 in Knotzenberg (Schwindkirchen), Priesterweihe 1938 in Freising, Chorregentenkaplan in Egern, nach Kriegsausbruch aktiver Wehrdienst als Sanitätssoldat, noch vor Kriegsende schied Z. aus dem Priesterstand aus und ging vermutlich eine Zivilehe ein. Von Faulhaber teilweise unterstützte Bemühungen eine reductio ad statum laicalem nach can. 214 CIC zu erreichen, waren nicht erfolgreich. Seine Spur verliert sich 1944; vgl. Schematismus 1939, 94 und 321; Pfister, Priester und Theologiestudenten im militärischen Dienst, 399. Der Personalakt des AEM ist nicht erhalten; die Biographie ist teilweise zu rekonstruieren aus dem ausführlichen Schriftwechsel in EAM, NL Faulhaber 5404. 152 EAM, NL Faulhaber 5404, Z. an Faulhaber vom 26. 01. 1943. 153 Vgl. etwa EAM, Priesterbefragung 2003, Interview Forstmayr. 154 Johann Evangelist Mair, Dr. theol., geb. am 31. 08. 1891 in Seeon, Priesterweihe 1916 in Freising, Koadjutor in Pullach, 1917 Hilfspriester und Anstaltslehrer im Piusheim bei Glonn, 1921 Präfekt am Knabenseminar Freising, 1925 beurlaubt für das Promotionsstudium in Rom, 1928 Direktor des Erzbischöflichen Studienseminars Traunstein, 1956 Leiter des Diözesanexerzitienhauses Fürstenried, gest. am 24. 05. 1974; vgl. Schematismus 1969, 110 und 321; Direktorium 2004/05, 84. Ausführlicher zu Mair und den Personalverhältnissen im Traunsteier Seminar: Laube, Studienseminar St. Michael, 48–52. 155 Ehemalige Seminaristen erinnerten sich: »Natürlich war er [Mair; Th. Fo.] auch streng, manchmal sogar überstreng. Er konnte auch Watschen austeilen. […] Wir haben uns immer gefürchtet …« EAM, Priesterbefragung 2003, Interview Albrecht; »Er war sehr streng, eigentlich sehr autoritär. Wir waren von Scheyern her einen viel lockeren Umgang gewohnt. […] [Direktor Mair] duldete keinen Widerspruch […] kritische Fragen zu stellen, das war bei ihm nicht möglich« EAM, Priesterbefragung 2003, Interview Forstmayr. 156 Vgl. zu Westermayr ausführlich Kap. 2.4.1 dieser Arbeit. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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der modernen Jugend«157 nannte, mit sich bringe. Mit Blick auf die Vorbereitungszeit in den Knabenseminaren hielt er fest: Autorität und Gehorsam bleiben auch heute und immer Grundpfeiler der christlichen Pädagogik […] andererseits jedoch hat die heranwachsende Jugend der Gegenwart die glückliche, kindlich unreflektierte Naivität der guten alten Zeit eingebüßt, der kritisch realistische Wirklichkeitssinn hat ihr Auge geschärft; und so wenig man einen, der bereits aufgeklärt ist, in den Zustand der Unwissenheit zurückführen kann, so aussichtslos und unmöglich ist jeder pädagogische Versuch, die so geartete Jugend wieder zu kindlicher Denkweise zu bringen.158

Westermayr plädierte – von seinen Erfahrung mit den Klerikalseminaristen ausgehend – neben der Beibehaltung der autoritären gehorsamsorientierten Erziehungselemente für eine gewisse Öffnung, vor allem im Hinblick auf die offene Diskussion von Überzeugungen und Werturteilen, mithin für eine gewisse Kultur der Toleranz, die abweichende Meinungen nicht unbedingt anerkannte, aber zunächst einmal doch zuließ. Gewaltmittel werden dann pädagogisch gänzlich unwirksam bleiben, wenn es sich nicht um Fragen der bloßen Disziplin, sondern um gegensätzliche Überzeugungen und Werturteile handelt, wenn die Jugend sich im unveräußerlichen Recht auf die Wahrheit bedroht glaubt.159

Gleichwohl blieben solche Ansätze vielfach Theorie, vor allem die zu Beginn der 1930er Jahre herandrängende weltanschauliche Bedrohung durch den Nationalsozialismus ließ kaum noch Spielraum für pädagogische Experimente. Vielmehr war, wie noch zu zeigen sein wird, die Ausrichtung auf eine in Lebensstil und Weltanschauung homogene Gemeinschaft nach 1933 mehr denn je Gebot der Stunde. Zu einem zaghaften Aufbruch in der praktischen Seminarpädagogik kam es erst im Verlauf der 1950er Jahre unter Erzbischof Wendel und Regens Michael Höck.

2.2.2 Die Entwicklung der diözesanen Knabenseminare bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs Die Erzdiözese München und Freising hatte durch den Ersten Weltkrieg, dem eine ganze Generation auf den Schlachtfeldern geopfert worden war, einen Ausfall von etwa 200 Priesterberufungen erlitten.160 In einem Bericht aus dem Jahr 1925 wurden 157 Westermayr, Berufserziehung, 308. 158 Ebenda. 159 Ebenda, 309. 160 Vgl. EAM, NL Faulhaber 5794, Ordinariat an StMuK vom 16. 01. 1928. In der Nachkriegszeit gingen die Berufungszahlen weiter zurück. Die Erzdiözese war hiervon besonders stark betroffen. Im Verhältnis zu den übrigen deutschen Diözesen stand sie im Hinblick auf den Nachwuchs an viertletzter Stelle; vgl. Kirchliches Handbuch XIV, 1926/27, 308. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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für diesen Rückgang im Wesentlichen drei Faktoren verantwortlich gemacht: Zum ersten die wirtschaftlichen Verhältnisse der Kriegs- und Nachkriegszeit, welche »den ländlichen und gewerblichen Mittelstand gehindert oder scheu gemacht« hätten, »die Söhne dem Studium zuzuführen.« Zum zweiten den »angeborene[n] Freiheitsdrang des Jugendalters«, der sich unter den »Gegenwartsverhältnissen« vielfach zu einer gewissen »Seminarscheu« entwickle, die besonders stark im akademischen Milieu zutage trete. Und schließlich drittens als »Hauptgrund« die »allzustarke[n] Abwanderung« vieler Studierwilliger in die »zahlreichen neu entstandenen Missionsund Ordensseminarien.«161 Insgesamt lassen sich also sehr verschiedene Ursachen für den Rückgang der Seminarzöglinge ausmachen. Berechnungen der Ordinariatsleitung zufolge benötigte man im Schnitt mindestens 45 Neupriester je Jahrgang, um das Niveau der Seelsorgearbeit im Diözesangebiet langfristig zu gewährleisten. Noch im Jahr 1928 ging man jedoch davon aus, dass bei gleich bleibender Entwicklung in den Jahren 1928–1938 nur mit maximal 35 Neupriestern jährlich zu rechnen sei.162 Somit ergab sich dringender Handlungsbedarf im Hinblick auf die Förderung des Priesternachwuchses. Insofern die Knabenseminare die Vorschule zum Priestertum bildeten und den wesentlichen Rekrutierungspool für den diözesanen Klerikernachwuchs darstellten, waren entsprechende Maßnahmen hier anzusetzen. Im Ordinariat war seit seiner Ernennung zum Domkapitular im Jahr 1920 Johann Baptist Schauer163 für die Angelegenheiten der Seminare und den Klerikernachwuchs zuständig. Schauer, selbst hochgebildeter Germaniker und Absolvent der Päpstlichen Universität Gregoriana, war die federführende Kraft bei der Reformierung und Modernisierung der Ausbildungsstätten. Unter seiner Führung fand ihre weitgehende Umstrukturierung, Neuordnung und Erweiterung statt.164 Zunächst 161 Bericht über den Stand der Diözesanseminarien und des St. Korbiniansvereins im Jahre 1925, Amtsblatt München 1925, Nr. 14, Erste Beilage (27. 11. 1925). 162 Vgl. EAM, NL Faulhaber 5794, Ordinariat an StMuK vom 16. 01. 1928. Dies ergab sich aus der Zahl der Knaben- und Priesterseminaristen und langfristigen Erfahrungen im Hinblick auf deren Fluktuation. Entscheidend war neben der Zahl der Seminaristen naturgemäß vor allem die Frage, wie viele dauerhaft auf dem einmal eingeschlagenen Weg zum Priestertum bleiben und wie viele vorzeitig abspringen würden. 163 Johann Baptist Schauer, geb. am 05. 06. 1872 in Lindach (Obb.), Studium der Philosophie und Theologie als Alumne des Collegium Germanikum an der Päpstlichen Universität Gregoriana, 1897 Priesterweihe in Rom, 1898 Promotion zum Dr. theol., Kaplan in München-Neuhausen, 1899 Benefiziat und Prediger bei München-St. Peter, 1902 Direktor des Erzb. Knabenseminars in Freising, 1906 Direktor des Erzb. Klerikalseminars Freising, Professor für Pastoraltheologie und Pädagogik am kgl. Lyzeum, 1920 Domkapitular, im Domkapitel Referent für die Seminare, 1928 Weihbischof (Titularbischof von Sabadia), 1933 Dompropst, gest. am 15. 09. 1942; vgl. AEM, Metropolitankapitel, Personalakt; Gatz, Bischöfe 1785/1803 bis 1945, 651; Benker, Metropolitankapitel, 263 ff.; Nesner, Metropolitankapitel, 498 f.; Laube, Studienseminar St. Michael, 30 f. 164 Der Anteil der Domkapitulare an strukturellen Fragen der Diözesanverwaltung ist im Einzelfall oft schwer nachzuweisen, da Initiativen nachträglich traditionell dem Diözesanbischof zugeschrieben wurden und die Verwaltungsakten der Diözese im Gegensatz zu jenen Faulhabers überwiegend nicht erhalten blieben. So vermerkte auch der Bayerische Kurier zur Eröffnung des Traunsteiner © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Abb. 3: Luftaufnahme des Freisinger Dombergs um 1930. In dem Gebäude rechts neben dem Dom befanden sich die Philosophisch-Theologische Hochschule und das Staatliche Gymnasium Freising (heute Dombibliothek), in der Bildmitte das Gebäude des Klerikalseminars (heute Bildungszentrum Kardinal-Döpfner-Haus), vorne links das Knabenseminar (heute Diözesanmuseum); Foto: AEM, Dokumentation Topographie.

wurden die traditionellen Seminare in Freising und Scheyern fortentwickelt. Seit 1926 wurden in das Knabenseminar auf dem Freisinger Domberg auch Schüler der unteren Gymnasialklassen (ab der zweiten Lateinklasse) aufgenommen. Bis dahin war dieses ausschließlich für die letzten Klassen vor dem Abitur bestimmt gewesen.165 Die jüngeren Knaben hatten bis zu diesem Zeitpunkt das Seminar in Scheyern und die dortige Lateinschule zu besuchen, die bis dahin aber nur den Lehrstoff der ersten Seminars: »Es war ein weitschauender, hochsinniger Gedanke des Hochwürdigsten Herrn Kardinals, die Zahl der bisher bestandenen 3 Diözesanseminare […] durch das nunmehr vollendete Studienseminar in Traunstein zu ergänzen.« Vgl. Artikel Erzbischöfliches Studienseminar Traunstein, Bayerischer Kurier, 14. 09. 1929. Hingegen schreibt Nesner, Metropolitankapitel, 499 in diesem Fall Schauer selbst die Gründungsinitiative zu. Unabhängig von der Frage, wer den Anstoß gab, bleibt festzuhalten, dass der engagierte Gestaltungswille Schauers nicht nur wesentlich zum Gelingen dieses Projekts beigetragen haben dürfte, sondern dass er neben dem Erzbischof einen starken gestaltenden Impuls bezüglich aller Fragen des Klerikernachwuchses ausübte. Dies ist auch aus den erhaltenen Akten zu den Diözesanseminaren im Nachlass Faulhabers ersichtlich. 165 Vgl. Bericht über den Stand der Diözesanseminarien und des St. Korbiniansvereins im Jahre 1925, Amtsblatt München 1925, Nr. 14, Erste Beilage (27. 11. 1925) ferner Kneissl/Regul, Interview Eham, 16. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

Die kleinen Seminare: Vorschule des Priestertums131

Gymnasialjahre zu vermitteln vermochte.166 Zugleich wurde unter Schauer nun auch der Standort Scheyern weiterentwickelt, die Lateinschule wurde ab 1926 zum Progymnasium mit 6 Klassen ausgebaut.167 In das dortige Seminar wurden ab diesem Zeitpunkt auch Schüler ab der ersten Lateinklasse aufgenommen. Damit erhoffte man sich eine Erweiterung der Rekrutierungsbasis, war doch nun auch Knaben der Zugang zu höherer Schulbildung möglich, bei denen die »heimatlichen (häuslichen oder seelsorglichen) Verhältnisse« den für den üblicherweise unmittelbaren Einstieg in die Zweite Klasse obligatorischen Vorunterricht durch den Ortsgeistlichen nicht ermöglichten.168 Neben dieser Angebotserweiterung der bereits bestehenden älteren Bildungsstätten in Scheyern und Freising wurden im Verlauf der zwanziger Jahre aber auch zwei weitere Einrichtungen völlig neu ins Leben gerufen: Das Knabenseminar in Traunstein und das Spätberufenenseminar Fürstenried. Während das 1927 begründete Spätberufenenseminar im nahe bei München gelegenen Schloss Fürstenried unterkam, wurde für das Traunsteiner Seminar 1928/29 ein aufwändiger Neubau errichtet, der enorme Mittel verschlang.169 Da sowohl Scheyern als auch Freising im nördlichen Teil des Erzbistums gelegen waren, hatte Schauer Mitte der 1920er Jahre die Neuanlage eines Seminars in dessen südlicher Hälfte initiiert. Die Wahl war im Einvernehmen mit dem Kultusministerium auf Traunstein gefallen, wo bereits seit 1901 ein Progymnasium existierte, in dem die künftigen Zöglinge ihre schulische Ausbildung erhalten sollten.170 Die Einrichtung des nach dem Namenspatron Faulhabers St. Michael benannten Seminars ging rasch und von einigen Querelen mit Lokalpotentaten abgesehen171, ohne Störung vonstatten, nach nur 17 Monaten Bauzeit konnte das fertige Gebäude am 1. September 1929 eingeweiht und seiner Bestimmung übergeben werden. Auch Traunstein wurde in den folgenden Jahren sukzessive zum Vollgymnasium ausgebaut, am 26. Januar 1934 erhob das Kultusministerium die Anstalt zum Humanistischen

166 Nesner, Bettinger, 147. 167 Neubauer, Scheyern, 52. Dennoch blieb Scheyern somit nur ein Rumpfgymnasium. Um das Abitur abzulegen, mussten die Schüler nach der 6. Klasse die Schule wechseln, die Seminaristen kamen in fast allen Fällen nach Freising, nach dem Ausbau Traunsteins zu einem Vollgymnasium auch nach Traunstein. 168 Vgl. Bericht über den Stand der Diözesanseminarien und des St. Korbiniansvereins im Jahre 1925, Amtsblatt München 1925, Nr. 14, Erste Beilage (27. 11. 1925). 169 Die Gesamtkosten beliefen sich nach einer vorläufigen Abschätzung vom Juni 1928 auf etwa 1,65 Mio. RM, vgl. EAM, NL Faulhaber 5794. 170 Die vorbereitenden Verhandlungen und Geschäfte vor Ort führte nicht Schauer, sondern Domkapitular Rudolf Hindringer, der als gebürtiger Traunsteiner zudem die lokale Szene gut gekannt haben dürfte; vgl. Haselbeck, Studienseminar, 45 f. 171 Vgl. Haselbeck, Studienseminar, 50–55: Die Gemeinde Traunstein erhoffte sich von der Ansiedlung des Seminars vor allem wirtschaftliche Vorteile. So erregte es etwa nicht geringen Unmut, dass während der Bauausführung eine Reihe von Aufträgen an nicht ortsansässige Firmen gegangen waren. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Zwischen Selbstbindung und Gehorsam: Berufung und Berufsvorbereitung

Gymnasium Traunstein.172 Somit war auch hier, analog zu Freising, ein Schulwechsel vor dem Erreichen der Hochschulreife nicht mehr erforderlich. Offensichtlich war dieses Reform- und Erneuerungsprogramm der diözesanen Seminare zunächst erfolgreich, denn die Zahl der Seminarzöglinge stieg ab Mitte der 1920er Jahre kontinuierlich an. Lebten und arbeiteten im Schuljahr 1924/25 insgesamt 353 Knaben in Freising und Scheyern, so stieg diese Zahl bis zum Schuljahr 1928/29 auf 414 Knaben. Nach der deutlichen Kapazitätserweiterung durch die Neueröffnung des Traunsteiner Seminars 1929 wuchs die Zahl aller Seminarzöglinge bis zum Schuljahr 1931/32 nochmals auf nun insgesamt 518 Knaben in allen drei Seminaren an. Innerhalb weniger Jahre war das Rekrutierungspotential damit deutlich erweitert worden.173 Die ersten Jahre der NS-Herrschaft markierten dann aber, wie an den Schülerzahlen deutlich sichtbar wird, einen Wendepunkt. Tabelle 1: Entwicklung der Anzahl der Zöglinge in den diözesanen Knabenseminaren 1920–1938. Die erste Zahl gibt den Schülerstand in der Regel zu Schuljahresbeginn wieder, in runden Klammern werden, sofern bekannt, die Veränderungen im Verlauf des Schuljahres durch Aus- und Eintritte angegeben. In eckigen Klammern wird die Zahl der Schüler vermerkt, welche die Pensionskosten in voller Höhe tragen konnten. Die Zahlen wurden den Jahresberichten der Seminare in den Schematismen der Erzdiözese München und Freising 1920–1939 entnommen. Schuljahr

Freising

Scheyern

Traunstein174

Gesamt

1918/19

204 [20]

178 [16]



382

1919/20

200 [22]

176 [25]



376

1922/23

208

Nicht erm.



Nicht erm.

1923/24

214

Nicht erm.



Nicht erm.

1924/25

178

175



353

1925/26

178

183 (−6) [36]



361

1926/27

218 [30]

182 (−7) [34]



400

1927/28

214 [21]

182 (−2)



396

172 Haselbeck, Studienseminar, 66. Die dort genannten Ursachen hierfür (Druck Faulhabers auf das Staatsministerium für Unterricht und Kultus) erscheinen angesichts der politischen Verhältnisse abwegig, vielmehr ist zu berücksichtigen, dass der Ausbau sukzessive Jahr um Jahr erfolgt war, es somit auch aus Sicht der NS-Schulpolitik unsinnig gewesen wäre, ein Gymnasium zu betreiben, das durch das Fehlen der letzten Oberstufenklassen nur ein Fragment war. 173 Mit der entsprechenden zeitlichen Verzögerung schlug sich dies dann auch in den Priesterweihen nieder, deren Zahl von 30 Neupriestern im Jahr 1930 auf 51 Neupriester im Jahr 1939 ebenfalls kontinuierlich anstieg; vgl. hierzu Kapitel 2.7.1. 174 Die starken Schülerzuwächse in den Jahren 1929 bis 1935 sind aus der Entwicklung der Traunsteiner Schule vom Progymnasium zum Vollgymnasium zu erklären, die stufenweise erfolgte. Hierzu wurden auch Schüler aus anderen Seminaren und Schulen in die Klassen aufgenommen, um diese aufzufüllen, vgl. den Bericht in Schematismus 1933, 314 f. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

Die kleinen Seminare: Vorschule des Priestertums133

1928/29

220 [20]

194 (−5) [28]



1929/30

219 [24]

194 (−14) [28]

69 [23]

1930/31

219 (+3) [27]

187 (−11) [30]

101 (−4) [24]

507

1931/32

210 (+2/−5) [15]

182 (−7) [28]

126 (−6) [27]

518

1932/33

Nicht erm.

181

152

Nicht erm.

1933/34

175 [12]

176 (−7) [16]

167 (−10) [19]

518

1934/35

158 [9]

166 (−7) [18]

172 (−6) [18]

496

1935/36

163

Nicht erm.

Nicht erm.

Nicht erm.

1936/37

165 [10]

161 [20]

167 (−3)

493

1937/38

143 [8]

152 [20]

150 (−8) [11]

445

1938/39

153

106

146 [11]

405

414 175

482

Obwohl das Seminar in Traunstein zunächst weiter auf Erfolgskurs lag und die Schülerzahl hier im Zuge des Ausbaus des Traunsteiner Gymnasiums zu einem Vollgymnasium bis 1935 weiterhin stark stieg, ging dies offenbar zu Lasten der übrigen Seminare, deren Zöglingszahlen inzwischen nicht nur stagnierten, sondern zurückgingen. So war die Zahl der Zöglinge in Freising bereits im Schuljahr 1933/34 auf 175 gesunken, zwei Jahre zuvor waren es noch 35 mehr gewesen. In Scheyern war der Rückgang geringer aber ebenfalls merklich. In Traunstein setzte der Abwärtstrend 1935 ein, von nun an ging die Zahl der Seminaristen in allen Seminaren kontinuierlich zurück. In der Ordinariatssitzung vom Februar 1937 machte Weihbischof Schauer auf den fatalen Trend aufmerksam.176 Zu Beginn des Schuljahres 1938/39 lag die Zahl der Seminaristen in allen drei Einrichtungen bei nur noch 405 und somit niedriger, als vor der Eröffnung des Traunsteiner Seminars knapp 10 Jahre zuvor.177 Obgleich die Zahl der Priesterweihen im Jahr 1939 einen Höhepunkt erreichte, wäre es vollkommen irrig, hieraus auf einen ungebrochenen Trend zum Priestertum oder gar einen Anstieg der Berufungen unter den Bedingungen des äußeren weltanschaulichen Drucks durch den Nationalsozialismus zu sprechen.178 Denn die wesentlichen Rekrutierungsprozesse spielten sich – wie ausführlich dargelegt – im Knabenalter ab. Zwischen faktischer Berufsentscheidung und Weihe lag in der Regel ein Zeitraum von 10 bis 12 Jahren in welchem die notwendige Schulausbildung und das Studium absolviert wurden. Die hohen Weihezahlen der späten 1930er Jahre waren 175 Eröffnung des Traunsteiner Seminars am 01. 09. 1929. 176 AEM, Ordinariatssitzungsprotokoll vom 19. 02. 1937. 177 Am 22. 12. 1937 hatte Kultusminister Adolf Wagner den stufenweisen Abbau des Progymnasiums Scheyern verfügt, der zu Beginn des folgenden Schuljahres begann und hier für einen drastischen Einbruch der Schülerzahlen sorgte. 178 So etwa Raem, Diözesanklerus, 178. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Ergebnis der Rekrutierungserfolge der mittleren und späten 1920er Jahre. Der entscheidende Faktor lag zunächst in der Zahl der Halbwüchsigen, die für den Priesterberuf begeistert werden konnten und diese Zahl war vor dem Hintergrund des weltanschaulichen Wandels nach 1933 auch in der Erzdiözese München und Freising signifikant zurückgegangen.179 Die Seminare hatten ihre Anziehungskraft zum Teil bereits verloren als die bayerische NS-Regierung zum großen Schlag ausholte und sich Ende der 1930er Jahre anschickte, das katholische Seminarwesen endgültig zu beseitigen. Die äußere Entwicklung der Knabenseminare in der Zeit des Nationalsozialismus wurde vor allem durch zwei markante Ereignisse bestimmt, die auf die Lebensumstände der Seminaristen tief ein- und nachwirkten. Zum einen die Denunziation des Freisinger Seminardirektors Josef Roßberger durch den nazifreundlichen Präfekten Albert Hartl, zum anderen die Beanspruchung der verschiedenen Seminargebäude durch militärische Einrichtungen nach Kriegsbeginn. Der aus Miesbach stammende Josef Roßberger180 war seit Oktober 1931 Direktor im Freisinger Knabenseminar. Über die Amtsführung Roßbergers als Direktor, der zum Zeitpunkt seiner Ernennung 44 Jahre alt war und zuvor fast zwei Jahrzehnte als Musikpräfekt in Knaben- und Klerikalseminaren gewirkt hatte, ist wenig Konkretes bekannt. Bemerkenswert erscheint, dass der musikalisch hochbegabte Roßberger auch nach seiner Ernennung zum Direktor die Verantwortung für die musikalische Erziehung sowohl am Knaben- als auch am Klerikalseminar behielt, ein neuer Musikpräfekt wurde nicht ernannt. Es scheint, als habe seine außerordentliche Qualifikation vor allem auf diesem Gebiet gelegen. Albert Hartl181 war seit Sommer 1932 einer der vier Präfekten am Knabenseminar. Die Vorstandschaft – mit Ausnahme des Direktors – war wie üblich sehr jung, das Durchschnittsalter der Präfekten lag bei unter 30 Jahren.182 Hartl selbst war 1933 erst 179 Das Sinken der Schülerzahlen in Freising hingegen auf den Ausbau Traunsteins zurückzuführen – wie Schwaiger, Erzbistum im 19. und 20. Jahrhundert, 313 – ist schon deshalb verfehlt, da mit der äußerst kostenintensiven Traunsteiner Neugründung nicht eine Verlagerung der Seminaristen an einen anderen Ort, sondern die Hebung der Seminaristenzahlen insgesamt angestrebt wurde, was bis 1933 durchaus gelang. Hingegen kann man Schwaiger durchaus zustimmen, wenn er bemerkt, dass nicht nur steigende Feindseligkeiten der NS-Regierung zu einem Rückgang der Schülerzahlen führten, sondern auch der forcierte Ausbau des Oberschulwesens insgesamt. Der Zugang zur höheren Schulbildung wurde mit der zunehmenden Schaffung höherer Schulen auch außerhalb der städtischen Ballungszentren vermehrt breiteren Bevölkerungsschichten zugänglich und damit zunehmend auch von kirchlicher Förderung entkoppelt. 180 Josef Roßberger, geb. am 16. 09. 1887 in Miesbach, Priesterweihe 1913 in Freising, 1913 Musikpräfekt im Knabenseminar Scheyern, 1925 Musikpräfekt im Knabenseminar und im Klerikalseminar Freising, 1931–35 Direktor im Knabenseminar Freising, gest. am 13. 12. 1936; vgl. Schematismus 1933, XXII und 250; AEM, Priesterpersonalakten P I Josef Roßberger. 181 Zu seiner Biographie vgl. v. a. Dierker, Glaubenskrieger, 98–118 ferner Bleistein, Überläufer, 89–109 sowie die Ausführungen in Kapitel 6.2.2.1 dieser Arbeit. 182 Die übrigen Freisinger Präfektenstellen hatten zu Beginn des Jahres 1933 die Diözesanpriester Max Mangold (geb. 1902, Priesterweihe 1927), Michael Höck (geb. 1903, Priesterweihe 1930) und Georg Oberndorfer (geb. 1906, Priesterweihe 1931) inne, vgl. Schematismus 1933, XXII. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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28 Jahre. Die Mitgliedschaft Hartls in der NSDAP, in die er am 1. Mai 1933 eingetreten war183, dürfte seinen Vorgesetzten und Kollegen nicht bekannt geworden sein, wenngleich seine nationalsozialistische Gesinnung durchaus bekannt war.184 Über politische Themen diskutierten die Männer, die im Seminar in enger häuslicher Gemeinschaft lebten, gerade im ereignisreichen Jahr der nationalsozialistischen Machtergreifung durchaus.185 Bei einer dieser Gelegenheiten im Spätherbst 1933 erlaubte sich Hartls Vorgesetzter äußerst kritische Bemerkungen über die politische Lage in Deutschland. Roßberger hatte, in dem Glauben, innerhalb des Kreises der Präfekten seine Meinung über die Verhältnisse unverblümt äußern zu können, unter anderem Funktionäre der NSDAP als Hanswurste beschimpft und bezüglich des Reichstagsbrandes bemerkt, die Regierung solle doch endlich zugeben, dass sie den Reichstag selbst angezündet habe.186 Unklar bleibt, ob Hartl seinen Vorgesetzten gezielt denunzierte, jedenfalls hinterbrachte er die Äußerungen dem Freisinger Kreisleiter Karl Lederer, der daraufhin am 8. November 1933 gegen Roßberger Anzeige wegen fortgesetzten Vergehens gegen das Heimtückegesetz bei der Bayerischen Politischen Polizei erstattete.187 Diese nahm Roßberger am 17. November 1933 in Schutzhaft. In der Folge belastete Hartl Roßberger – im Gegensatz zu den übrigen Präfekten, die sich um Entlastung des Direktors bemühten – bei seinen Aussagen vor der Bayerischen Politischen Polizei so schwer, dass dieser einzig aufgrund von Hartls Aussagen vom Sondergericht München im Januar 1934 zu acht Monaten Haft verurteilt wurde.188 Dieses Ereignis hat sich, weil es sich nicht um einen der rein äußerlichen Angriffe gegen kirchliche Strukturen – gegen die man zwar nicht immunisiert war, für die man sich aber doch gewisse Abwehrstrategien zurecht gelegt hatte –, sondern um einen vollkommen überraschenden und ob seiner Heftigkeit schockierenden Angriff von innen heraus 183 Vgl. Dierker, Glaubenskrieger, 98. 184 So hatte Hartl beispielsweise die Angewohnheit, während der Beaufsichtigung der Knaben beim Morgenstudium unverhohlen den Völkischen Beobachter zu lesen, wohingegen die übrigen Präfekten bei dieser Tätigkeit ihr Breviergebet verrichteten; vgl. Läpple, Freising, 36; Musiol, Interview Niedermeier, 41. 185 Vgl. Kochendörfer, Freising, 677 f. 186 Vgl. AEM, Priesterpersonalakten P I, Josef Roßberger, Beglaubigte Abschrift des Urteils des Sondergerichts München vom 16. 01. 1934; Dierker, Glaubenskrieger, 99; Bleistein, Überläufer, 92 f. 187 Vgl. Dierker, Glaubenskrieger, 99. 188 Vgl. AEM, Priesterpersonalakten P I, Josef Roßberger, Beglaubigte Abschrift des Urteils des Sondergerichts München vom 16. Januar 1934; Dierker, Glaubenskrieger, 99; Bleistein, Überläufer, 93. Möglicherweise standen tatsächlich weniger politische als persönliche Animositäten zwischen Roßberger und Hartl im Hintergrund der Denunziation. Roßberger kannte Hartl bereits seit 1914, als dieser selbst noch Zögling im Freisinger Seminar und er dort bereits Präfekt gewesen war. Nun als Präfekt fühlte Hartl sich von Roßberger wegen eines ungünstigen Berichts an das Ordinariat, der Karrierepläne Hartls zunichte gemacht hatte, ungerecht behandelt. Bereits die Verteidigung im Prozess gegen Roßberger verwandte dies als Argument indem sie darlegte, die Behauptungen Hartls seien aus der Luft gegriffen und lediglich durch Rachegefühle motiviert. Das Gericht wollte dem aber nicht folgen; vgl. AEM, Priesterpersonalakten P I, Josef Roßberger, Beglaubigte Abschrift des Urteils des Sondergerichts München vom 16. 01. 1934. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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handelte, durch den das Prinzip der standesinternen Solidarität auf das Schärfste verletzt wurde, tief in das kollektive Gedächtnis des Klerikerstandes eingegraben.189 Die Seminaristen reagierten verstört auf die Geschehnisse, das hermetisch-homogene, streng dualistische Weltbild, das die katholische Lebenswelt des Seminars als sichere Welt gegenüber den Zumutungen des Draußen wahrnahm, bekam Risse.190 Das Schicksal Roßbergers bekam den Charakter eines Menetekels, das an die allgegenwärtige Bedrohung durch den Nationalsozialismus gemahnte, sein Schicksal stand geradezu zeichenhaft für die Folgen unvorsichtigen Verhaltens und wurde – stellenweise mit einem pseudotheologischen Überbau – idealisiert und überhöht.191 Roßbergers unmittelbarer Nachfolger am Freisinger Knabenseminar wurde Rudolf Bruner192, zu diesem Zeitpunkt erst 32 Jahre alt und zuvor Dozent am Klerikalseminar. Er war ein ernster und in sich gekehrter Typus193, der weder in den Quellen noch im Gedächtnis der hierzu befragten ehemaligen Seminaristen besonders markante 189 Dies zeigt zum einen die Aufmerksamkeit, die dem Thema in der ansonsten eher spärlichen älteren Literatur zur Diözesangeschichte in der NS-Zeit schon früh entgegen gebracht wurde; vgl. etwa Natterer, Klerus, 287; Kochendörfer, Freising, 677–680; Ziegler, Adolf Wilhelm, Freisinger Domberg, 665; Fall Roßberger; Bleistein, Überläufer, 92 f. Zum anderen berichteten nahezu alle im Jahr 2003 interviewten Diözesanpriester über dieses Ereignis ausführlich und zwar unabhängig davon, ob sie selbst zum fraglichen Zeitpunkt Zöglinge im Freisinger Seminar oder in einem anderen der diözesanen Seminare gewesen waren. Auf die Bedeutung des kollektiven Wachhaltens dieses Ereignisses zur abwehrenden Homogenitätserzwingung im Hinblick auf allfällige Bedrohungen durch den Nationalsozialismus hat der Verfasser zusammen mit Michael Volpert bereits an anderer Stelle hingewiesen, vgl. Forstner/Volpert, Priesterliches Leben, 109 f. 190 Vgl. die Bemerkung Adolf Wilhelm Zieglers, die Jugend habe »an dem Verrat eines ihrer Präfekten schweres Ärgernis« genommen; Ziegler, Adolf Wilhelm, Freisinger Domberg, 665. 191 So etwa in der Deutung des Stadtpfarrpredigers Josef Hörmann, eines Kurskollegen Roßbergers, der im Rahmen seiner Trauerrede für Roßberger in eine eigenwillige anmutende Opfermystik verfiel, welche die Freisinger Ereignisse im Sinne einer Imitatio Christi ausdeutete und Roßberger damit zum Märtyrer stilisierte: »Darum litten wir auch mit ihm [Roßberger, Th. Fo.] alle, als an dieses so harmonische Leben plötzlich von außen her sich eine Disharmonie herandrängen wollte, als der Domberg ihm zum Ölberg wurde und ihm nichts ersparen wollte von dem, was die Ölbergsnacht seines Herrn und Meisters so schwer und bitter machte.« Vgl. das Gedächtnisheft in AEM, Priesterpersonalakten P I, Josef Roßberger. Ob Roßberger nach seiner Entlastung aus der Haftanstalt im August 1934 tatsächlich ein »gebrochener Mann« (so die spätere Aussage von Präfekt Michael Höck, vgl. Bleistein, Überläufer, 95) gewesen sei, wie es der Roßberger-Mythos will, sei dahingestellt, jedenfalls trat er nach seinem Weggang von Freising, wohl im März 1935, eine neue Stelle als Chordirektor in München-Hl. Geist an. Sein früher Tod im darauf folgenden Jahr, der die Mystifizierung seiner Person noch begünstigte, ist jedenfalls keine Spätfolge der Freisinger Ereignisse: Roßberger starb an den Folgen eines Autounfalls; vgl. AEM, Priesterpersonalakten P I, Josef Roßberger, Todesanzeige vom 13. 12. 1936. 192 Rudolf Bruner, geb. am 26. 03. 1903 in Frankenthal, Priesterweihe 1926 in Gars, 1926 Präfekt am Knabenseminar Freising, 1932 Dozent am Klerikalseminar Freising, 1935–47 Direktor des Knabenseminars Freising, 1945 Geistlicher Rat, 1947 Religionslehrer am Gymnasium in Freising, gest. am 03. 12. 1961; vgl. AEM, Priesterpersonalakten P III 210. 193 Das Seminarabgangszeugnis Bruners aus dem Jahr 1927 in seinem Personalakt vermerkte: »Eine stille und ernste Natur von guten Fähigkeiten. Verlässig und gewissenhaft. Vielleicht wäre ihm für die Einwirkung auf die Jugend etwas mehr heiterer Sinn zu wünschen.« © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Spuren hinterlassen hat. Es scheint, als habe Bruner bereits unmittelbar nach der Verhaftung Roßbergers – wohl im Auftrag des Erzbischofs – die Geschäfte des Direktors übernommen.194 Bruner führte das Freisinger Knabenseminar durch die folgenden schwierigen Jahre bis in die Nachkriegszeit. 1947 trat er die Religionslehrerstelle am Freisinger Gymnasium an und wirkte dort bis zu seinem Tod im Jahre 1961, er prägte also eine ganze Generation Freisinger Knaben wesentlich. Auf die weltanschauliche Prägung der Seminarzöglinge hatte der Staat kaum eine direkte Einflussmöglichkeit. Anders verhielt es sich mit dem Schulbetrieb. Da es sich bei den Gymnasien in Freising und Traunstein – im Gegensatz zum in der Obhut der Benediktiner stehenden Progymnasium Scheyern – um staatliche Gymnasien handelte, kann zunächst einmal nicht davon ausgegangen werden, dass diese Schulen mehr oder weniger nazifiziert gewesen wären, als andere Schulen. Auf die Zusammensetzung des Lehrkörpers hatte man von kirchlicher Seite – von den Religionslehrkräften abgesehen – keinen Einfluss. Bereits im Juni 1931 hielt der Traunsteiner Seminardirektor in einem Bericht für das Ordinariat fest: »Die Professoren sind größtenteils wohlgesinnt. Der Turnlehrer ist allerdings ausgesprochener Nationalsozialist und hat bei den Stadtratswahlen kandidiert …«195 Die Erinnerung der Schüler ist gemischt und teilweise widersprüchlich: Alfred Läpple, von 1928 bis 1936 Schüler des Domgymnasiums und Knabenseminarist, charakterisierte den Freisinger Lehrkörper rückblickend einerseits als unpolitisch und von klassischen Erziehungsidealen geprägt,196 andererseits räumte Läpple aber durchaus das Vordringen ideologischer Elemente ein.197 Die Politik drängte zudem – wie an allen staatlichen Schulen – unaufhaltsam in die Unterrichtsinhalte. Als 1935 das Abitur – damals Absolvia genannt – anstand, hatten die Schüler im deutschen Aufsatz das Thema »Welche Gründe

194 Aus einem Brief Bruners an Roßbergers Bruder Franz vom 17. 01. 1934 geht hervor, dass Bruner zu diesem Zeitpunkt bereits die Freisinger Direktorenwohnung bewohnte; vgl. AEM, Priesterpersonalakten P I, Josef Roßberger. 195 EAM, NL Faulhaber 5794, Mair an Faulhaber vom 14. 06. 1931. 196 »Sie [die Lehrer; Th. Fo.] waren für uns die letzten Überlebenden der römischen und griechischen Antike. Die Antike war das Biotop, der Jungbrunnen, die Freude ihres Lebens und Wirkens. Sie waren streng und unerbittlich gegen sich selbst und verlangten von uns (ohne dass man von autoritärer Erziehung gesprochen hat) Lernbereitschaft, Genauigkeit, Disziplin. Das griechische Ideal des Kalós kagathós sollte in uns aufleuchten, wie es Friedrich Nietzsche aussprach: ›Rechtwinkelig an Leib und Seele.‹ Vom persönlichen und familiären Leben unserer Lehrer wussten wir kaum etwas. Ihr religiöses Leben begegnete uns beim Schulgebet, vor allem beim Anfangs- und Schlußgottesdienst im Hohen Dom, wo sie mit feierlicher Umständlichkeit im Chorgestühl Platz nahmen.« Vgl. Läpple, Freising, 34. 197 So berichtet er etwa über den Geschichtslehrer des Gymnasiums, dieser habe plötzlich begonnen, Karl den Großen als »Karl den Sachsenschlächter« zu titulieren und Schüler, die an der gängigen Nomenklatur festhielten, entsprechend zu verbessern; vgl. EAM, Priesterbefragung 2003, Interview Läpple. In völkisch-nationalistischen Kreisen war seit den 1920er Jahren die Abwertung Karls des Großen aufgrund der von ihm geführten Sachsenkriege, die als Bruderkrieg gegen die eigene Nation interpretiert wurden, weit verbreitet. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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sprechen für die Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht in Deutschland?« zu bearbeiten.198 In Freising war noch von der Regierung Held 1933 mit Karl Enzinger ein neuer Schulleiter bestellt worden, der die Anstalt bis in die Nachkriegszeit leiten konnte.199 Enzinger war offenbar zunächst kein Nationalsozialist. Da er aber im September 1945 durch die Militärregierung abgelöst wurde, ist davon auszugehen, dass er später der NSDAP beigetreten ist.200 Von den 26 Lehrkräften des Freisinger Gymnasiums, die im September 1945 durch das Counter Intelligence Corps der Militärregierung politisch überprüft worden waren, wurden zunächst 16, nach nochmaliger Prüfung schließlich 19 wieder zum Unterricht zugelassen.201 Das bedeutet im Umkehrschluss, dass sieben der Lehrkräfte, die für die inhaltliche Gestaltung des Unterrichts des Priesternachwuchses verantwortlich waren, in so hohem Maße nationalsozialistisch ideologisiert waren, dass sie nach 1945 im Schulbetrieb nicht mehr tragbar waren. Von einer apolitischen Oase auf dem Freisinger Domberg zwischen 1933 und 1945 kann also mitnichten die Rede sein. Ähnlich gelagert war die Situation in Traunstein, wo im Oktober 1933 mit Oskar Schwarz ein Nationalsozialist zum Schulleiter ernannt worden war.202 Der Historiker Volker Laube sprach in diesem Zusammenhang von einem »tiefen Riss im Lehrerkollegium« zwischen den konservativ-katholischen, vormals oft der Bayerischen Volkspartei nahe stehenden und den aktivistisch-nationalsozialistischen Lehrkräften.203 Die Gestaltungsmacht des Staates machte sich auch in der politisch motivierten Zurückdrängung des religiösen Lebens im Schulbetrieb bemerkbar. Gegen Ende 198 Vgl. EAM, Priesterbefragung 2003, Interview Kronberger. 199 Vgl. Danner, Dom-Gymnasium Freising, 17. 200 Diese Umstände der Ablösung wurden im 1949/50 erschienenen ersten Nachkriegsjahresbericht der Schule zwar etwas verklausuliert, aber dennoch hinreichend nachvollziehbar erwähnt, vgl. Dombibliothek Freising, Jahresbericht des Domgymnasium Freising für das Schuljahr 1949/50 (mit Rückblick auf die Jahre 1941–1949), 26. Auch bei Danner, Dom-Gymnasium Freising, 17 ff. wird in der für die Nachkriegszeit charakteristischen, die tatsächlichen Verhältnisse kaschierenden Entlastungsrhetorik, die Rolle Enzingers, der sich offenbar mit einigem Opportunismus an die veränderte politische Situation nach 1933 angepasst hatte, zwischen den Zeilen deutlich und Enzinger dabei zum Opfer stilisiert: »Oberstudiendirektor Enzinger ist es gelungen, mit weitschauender Umsicht, mit Achtung und Schonung jeder weltanschaulichen und politischen Überzeugung [sic!], die Anstalt durch alle Fährnisse der Zeit hindurchzusteuern und ihr den Geist echt christlicher Humanität, aus der er persönlich nie ein Hehl machte, zu erhalten. Nur ein Eingeweihter kann es wissen, mit welchen Schwierigkeiten und Widerständen aus Kreisen politischer Organisationen und Jugendgruppen er dabei zu rechnen hatte. […] Mit dem unseligen Ende des 2. Weltkrieges wurde die Tätigkeit des Herrn O.St.D. Enzinger an der Schule abgeschlossen. Er musste mit so vielen unserer Volksgenossen, die das Beste gewollt hatten, auf Grund eines schematisch angewandten Verfahrens der Besatzungsbehörden das Los teilen.« 201 Vgl. Dombibliothek Freising, Jahresbericht des Domgymnasium Freising für das Schuljahr 1949/50 (mit Rückblick auf die Jahre 1941–1949), 25. 202 Vgl. die ausführliche Schilderung der Vorgänge am Traunsteiner Gymnasium bei Laube, Studienseminar St. Michael, 77–92. 203 Ebenda, 82. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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der 1930er Jahre kam es zu folgenreichen Umstrukturierungen im Schulwesen. 1938 wurde das Gymnasium Freising in eine acht Jahrgangsstufen umfassende so genannte Deutsche Oberschule umgewandelt, der im Folgejahr auch die bis dahin selbständige Realschule eingegliedert wurde.204 Ähnliches geschah im Schuljahr 1939/40 auch in Traunstein.205 Für die Priesterausbildung wesentliche Fächer, vor allem das Lateinische, wurden empfindlich gekürzt, der Unterricht in ideologieträchtigen Fächern wie Deutsch, Geschichte und Erdkunde dagegen ausgedehnt.206 Doch gab es durchaus auch kirchliche Teilerfolge auf schulpolitischem Gebiet: So sollte bereits Anfang 1937 gemäß einer Planung des Kultusministeriums der für das Theologiestudium wesentliche Hebräischunterricht an den Gymnasien abgeschafft werden,207 da dieser vor allem angesichts der antisemitischen Staatsideologie als wenig passend empfunden wurde. Nach einer Eingabe Faulhabers gelang es aber, diesen zumindest an den gymnasialen Schulorten mit Seminarien als Wahlpflichtfach zu erhalten.208 Dennoch gingen die Einschränkungen weiter. Der Religionsunterricht wurde im Schuljahr 1941/42 auf die unteren vier Klassen beschränkt und den Religionslehrern die außerschulische Unterweisung der Knaben strikt untersagt.209 Auch in Freising wurden nach dem Kruzifixerlass Adolf Wagners vom 23. April 1941 die Schulkreuze aus den Klassenzimmern entfernt und blieben es offenbar bis in die Nachkriegszeit.210 Dass die allgegenwärtigen Hitlerbilder auch in den Klassenzimmern auf dem Domberg angebracht waren, ist anzunehmen, wenngleich unmittelbare Quellenbelege hierfür fehlen. Der so genannte Gemeinschaftsempfang der Rundfunkreden Hitlers war gleichfalls üblich.211 Der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs brachte für den Betrieb des Freisinger Knabenseminars erhebliche Einschränkungen mit sich, das Seminargebäude wurde – gemeinsam mit dem Klerikalseminar – für militärische Zwecke in Anspruch genommen, die Seminaristen verdrängt.212 Im Verlauf des Krieges löste sich auch der 204 Vgl. Danner, Dom-Gymnasium Freising, 17. Ob sich hinter dieser Maßnahme, wie Danner vermeint, freilich tatsächlich und primär die »unverkennbare Absicht« verbarg, Theologen die Ausbildung zu erschweren, erscheint fraglich. Zunächst dürfte sie vor allem den allgemeinen, auf Schaffung einer einheitlichen Volksgemeinschaft gerichteten schulpolitischen Zielen der Nationalsozialisten entsprochen haben, die den Sonderweg einer bildungselitären Institution ablehnten, wie sie das klassische humanistische Gymnasiums verkörperte. 205 Vgl. Laube, Studienseminar St. Michael, 88. 206 Ebenda. 207 AEM, Ordinariatssitzungsprotokoll vom 08. 01. 1937. 208 Vgl. AEM, Ordinariatssitzungsprotokoll vom 12. 02. 1937; EAM, NL Faulhaber 5771/3, Faulhaber an Dietz vom 12. 08. 1940; vgl. auch Ziegler, Adolf Wilhelm, Freisinger Domberg, 1984, 665, der dies als »Kuriosum« wertete. 209 Vgl. Dombibliothek Freising, Jahresbericht des Domgymnasium Freising für das Schuljahr 1949/50 (mit Rückblick auf die Jahre 1941–1949), 31. Kirchlicherseits behalf man sich in dieser Situation mit freiwilligen Glaubensstunden, die von Angehörigen des Pfarrklerus abgehalten wurden. 210 Vgl. ebenda; zum Schulkreuzerlass vgl. Forstner, Auseinandersetzungen, 292–301. 211 Vgl. Läpple, Freising, 34. 212 Der Priester Max Eham von September 1939 bis zum Oktober 1948 Präfekt im Freisinger Knabenseminar, erinnerte sich an diese Ereignisse: »Das Knabenseminar in Freising wurde schlagartig © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Schulbetrieb immer mehr auf. Lehrer und Schüler der oberen Klassen wurden zum Heeresdienst herangezogen, vom Juli 1943 an mussten bereits die 16- und 17-Jährigen als Luftwaffenhelfer Dienst leisten.213 Ganze Klassen wurden überdies für den Arbeitseinsatz in der Heu-, Hopfen- und Kartoffelernte oder zur Arbeit in den Betrieben herangezogen.214 Der Unterricht konnte auch infolge von Inanspruchnahme der Schulräume durch Einquartierungen u. ä. schließlich nur noch unregelmäßig stattfinden. Das Traunsteiner Knabenseminar wurde bereits unmittelbar vor Kriegsbeginn im August 1939 aus seinen Räumlichkeiten verdrängt. Das Seminargebäude wurde von der Wehrmacht zunächst als Lazarett in Anspruch genommen, dann diente es vorübergehend als Umsiedlungslager für Auslandsdeutsche, schließlich ab Herbst 1941 wieder als Lazarett.215 Die 137 Zöglinge wurden bei Kriegsausbruch ähnlich wie in Freising in kleinere Gemeinschaften aufgeteilt und in vier Einrichtungen der Umgebung untergebracht:216 Im Traunsteiner Kurhaus, im Erholungsheim der Franziskanerinnen von Mallersdorf in Eisenärzt bei Siegsdorf, im Pfarrhof von Waging und im Internat der Englischen Fräulein in Sparz nahe Traunstein. Der Besuch des Traunsteiner Gymnasiums war auch von dort aus möglich, da die weiter entfernten Einrichtungen über eine direkte Bahnanbindung an Traunstein verfügten. Im Sommer 1941 endeten jedoch auch diese provisorischen Seminarteilgemeinschaften. Die Schüler mussten fortan privat in Traunstein und Umgebung untergebracht werden. Von einer gemeinschaftlichen Seminarerziehung konnte nun nur noch sehr bedingt die Rede sein. Diese bestand nun im Wesentlichen aus regelmäßigen Zusammenkünften, die mehrmals wöchentlich im Vorraum der Traunsteiner Seminarkirche stattfanden.217 Dies war mit Beginn des Krieges aufgehoben. […] Das Haus wurde ab sofort in ein Gefangenenlazarett umgewandelt. Schon kamen die ersten polnischen Gefangenen den Domberg herauf in langen Scharen und wurden einquartiert. […] Wir mussten dann ab sofort das Haus räumen und haben dann in den Nachbarhäusern, sehr alte Häuser, die es heute noch gibt [Zuflucht gefunden; Th. Fo.], […] die wurden dann als Behelfsstudienseminar weitergeführt. Da waren drei Klassen, […] die ersten drei Klassen, die wurden dort untergebracht. Es war alles nicht sehr komfortabel, aber immerhin ging es. Und die anderen, die oberen Klassen, die wurden dann im Freisinger Leosaal, den es nicht mehr gibt, später auch noch im Pallotiner-Seminar, […] in Freising, untergebracht. Von den vier Präfekten, die wir waren, wurden die ersten beiden bereits eingezogen, die leisteten bereits Militärdienst. […] Als dann aber die ersten Fliegeralarme kamen, sind wir mit unseren Büblein immer schnell hinüber ins frühere Knabenseminar und haben dort im Kartoffelkeller so lange Unterschlupf gesucht, bis die Alarme wieder vorbei waren. Eine schwierige Situation natürlich, man musste die Büblein in den letzten Kriegsjahren oft aus dem ersten tiefen Schlaf heraus reißen und dann mit abgedunkelten Taschenlampen schleunigst hinunter in den Kohlenkeller, Kartoffelkeller flüchten. Und da haben die Kleinen gewartet und gewartet, bis wieder Entwarnung kam.« Vgl. EAM, Priesterbefragung 2003, Interview Eham. 213 Vgl. Dombibliothek Freising, Jahresbericht des Domgymnasium Freising für das Schuljahr 1949/50 (mit Rückblick auf die Jahre 1941–1949), 24. 214 Ebenda. 215 Vgl. Laube, Studienseminar St. Michael, 100–115. 216 Vgl. EAM, NL Faulhaber 5796, Dreijahresbericht des Studienseminars Traunstein 1940–1942; vgl. auch Laube, Studienseminar St. Michael, 115–124. 217 Ebenda. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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offenbar der einzige Raum, welcher dem Seminar für Zusammenkünfte noch verblieben war. Für Unterredungen und Nachhilfe bestand für die Schüler die Möglichkeit, die Seminarvorstände aufzusuchen, die zumindest zum Teil bis Kriegsende eine Wohnmöglichkeit im Seminar behalten hatten. Da Räume auch nach Beendigung des Krieges knapp waren, dauerte es einige Zeit, bis die Seminare wieder ihrer eigentlichen Bestimmung zugeführt werden konnten.

2.2.3 Der Alltag der Zöglinge in Schule und Knabenseminar Der organisatorische Aufbau der verschiedenen Knabenseminare war grundsätzlich analog und dem Klerikalseminar nachgebildet. Die Seminarerziehung lag ausschließlich in der Hand von Priestern. Neben einem Direktor an der Spitze verfügte jedes Seminar über einen Spiritual218 und drei (Traunstein) oder vier (Freising, Scheyern) Präfekten. Gemeinsam bildeten sie die Vorstandschaft des Seminars. Jeder der Präfekten war für eine der Alterskohorten verantwortlich, in welche die Seminaristen eingeteilt waren. Vor allem die Präfekten waren in aller Regel sehr jung und wechselten ihre Stellen häufig, formal zeichnete sie meist hohe Qualifikation aus.219 Die Aufgaben der Vorstandschaft waren relativ vielfältig. Sie hatte nicht nur das Seminarleben zu organisieren und die Studien der Knaben zu überwachen, sie erfüllte auch die allgemeinen erzieherischen Aufgaben und musste sogar für das Freizeitprogramm in den wenigen Ruhestunden sorgen. Ebenfalls zu den Aufgaben der Vorstandschaft gehörten geistliche Übungen, Andachten, Vorträge und Predigten, die Anleitung zu Musik und Gesang – hierauf wurde im Rahmen der Ausbildung stets besonderer Wert gelegt220 – sowie die individuelle Unterstützung schwächerer Schüler, denen bei Bedarf Nachhilfe zu erteilen war.221 Die Vorstandschaft wählte zudem aus den Zöglingen jährlich geeignete Ältere aus, die zu sogenannten Instruktoren ernannt wurden. Jeweils zwei dieser Instruktoren waren für die Einhaltung der Disziplin innerhalb eines Schlaf- oder Studiensaals bei den jüngeren Zöglingen verantwort-

218 In Freising war der Spiritual sowohl für das Knabenseminar als auch für das Klerikalseminar zuständig. 219 So betrug der Altersdurchschnitt der elf an den drei diözesanen Knabenseminaren beschäftigten Präfekten im Jahr 1939 lediglich 31 Jahre, somit waren diese Priester im Schnitt erst seit fünf Jahren geweiht, manche – etwa der Freisinger Präfekt und spätere Seminardirektor Adalbert Stadlhuber – wurden noch im Jahr ihrer Priesterweihe zu Präfekten ernannt. Eine gewisse Ausnahme bildete Scheyern, wo regelmäßig eine oder zwei der Präfektenstellen mit Benediktinern besetzt wurden, die zumeist auch etwas älter waren; vgl. Schematismus 1933, 1935, 1939, 1953. 220 Die Bedeutung der musikalischen Erziehung lässt sich bereits daraus ablesen, dass sowohl der Freisinger Direktor Roßberger wie auch sein Traunsteiner Kollege Johann Evangelist Mair als begnadete Musiker und Musikerzieher galten. 221 Vgl. EAM, NL Faulhaber 5794, Bericht über das Erzb. Studienseminar Traunstein 1932/32. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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lich, sie fungierten auch als eine Art Vermittlungsorgan zwischen Vorstandschaft und Seminaristen.222 Das Freisinger Knabenseminar war in einem großzügig dimensionierten, 1870 eigens für diesen Zweck errichteten klassizistischen Neubau auf dem Domberg untergebracht,223 in dem die Schüler gemeinsam mit dem Direktor, den vier Präfekten sowie geistlichem und weltlichem Personal lebten.224 Die Seminarzöglinge schliefen in Schlafsälen, von denen es zwei größere, die etwa 50 Knaben fassten und einige weitere kleinere gab. Hier stand Bett neben Bett. Einer der älteren Seminaristen, der das Privileg genoss, hinter einem abgetrennten Vorhang zu schlafen, führte als Instruktor nachts die Aufsicht.225 Tagsüber war der Aufenthalt in den Schlafsälen verboten. Für persönliche Gegenstände gab es für jeden einen eigenen nummerierten Spind, der auch verschließbar war.226 Die erforderliche Wäsche mussten die Seminaristen selbst stellen. Dabei war exakt vorgeschrieben, welche Stücke notwendig waren.227 222 Vgl. EAM, Priesterbefragung 2003, Interview Franz Xaver Kronberger. Offenbar wurde die Vergabe des Instruktorenamtes selbst auch als Mittel zur Charakterbildung eingesetzt. Kronberger berichtete: »Höck [1931–34 Präfekt im Knabenseminar Freising; Th. Fo.] hat später einmal zu mir gesagt: ›Du, weißt du, warum du neben Haslinger Michael zu einem der beiden Instruktoren für die Kleinen gewählt worden bist, von uns ausersehen wurdest? Weil du ein bisschen unsicher warst in deinem Betragen, ob du Priester werden willst. Und da hatten wir die Überzeugung, dass man einem jungen Menschen Verantwortung und Aufgaben übergeben muss, damit er bei der Sache bleibt.‹ Das sei damals der Grund gewesen, dass ich neben Haslinger da zum Instruktor gewählt worden sei.« 223 Das in der äußeren Form unverändert erhaltene Gebäude beherbergt seit 1974 das Diözesanmuseum Freising, vgl. Goerge, Freising nach 1800, 170. 224 Wie in geistlichen Einrichtungen dieser Art üblich, verrichteten katholische Ordensfrauen – hier die Franziskanerinnen von Mallersdorf – im Knaben- wie auch im Klerikalseminar die traditionellen Haushaltsaufgaben: Zubereitung der Speisen, Reinigung der Leibwäsche der Zöglinge, Raumpflege, etc. Im Knabenseminar waren hiermit regelmäßig 12 Schwestern beschäftigt, die unter der Aufsicht einer Vorsteherin in einem eigenen, vom übrigen Seminarbetrieb streng geschiedenen Bereich lebten, im Klerikalseminar waren es 18 Schwestern; vgl. Schematismus 1939, 173. Über das weltliche Personal ist nichts überliefert, doch dürfte es sich überwiegend um wenige männliche Kräfte für Aufgaben wie die des Pförtners, Hausdieners und Hausmeisters gehandelt haben. In Traunstein oblag die Besorgung des Haushalts 10 Barmherzigen Schwestern vom hl. Vinzenz von Paul und fünf bis sieben anderen weiblichen Personen. Für schwere Hausarbeit, Wartung der Maschinen, der Heizungsanlage u. ä. technischer Anlagen sowie für Garten- und Stallarbeit standen drei männliche Laienkräfte zur Verfügung, vgl. EAM, NL Faulhaber 5796, Dreijahresbericht des Studienseminars Traunstein 1940–1942. 225 Vgl. EAM Priesterbefragung 2003, Interview Franz Xaver Kronberger. 226 Ebenda. 227 Ein Kandidat erinnerte sich an die Zeit vor dem Eintritt ins Scheyerner Seminar: »Nach Ostern [1936; Th. Fo.] kam von Scheyern ein Prospekt, was ich alles an Gewand, Wäsche usw. mitbringen musste. Dazu gehörten auch vier Servietten, die ich bisher noch nie gebraucht hatte. Auch ein Regenschirm war dabei, den ich dann in meiner ganzen Scheyerer Zeit nicht einmal brauchen sollte. In alle Wäschestücke war die Nummer 132 einzunähen. Beim Einkaufen der Textildinge wurden wir an das Geschäft Krempelsetzer verwiesen. Ein Sohn aus dem Geschäft war ein junger Kaplan.« Vgl. Urzinger, Kindheitserinnerungen, 64. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Die defizitäre wirtschaftliche Situation des größten Teils der Knabenseminaristen wird anhand einer näheren Betrachtung der finanziellen Verhältnisse ihrer Herkunftsfamilien deutlich. Für Wohnung und Verpflegung im Seminar hatten die Zöglinge der Knabenseminare ein jährliches Kostgeld aufzubringen. Die Pensionskosten waren nicht unerheblich, in Freising betrugen sie etwa im Schuljahr 1937/38 400,- RM jährlich.228 Dies zu tragen war jedoch nur einem Teil der Familien der Seminaristen möglich. So konnten etwa im Schuljahr 1938/39 von 146 Zöglingen des Studienseminars in Traunstein nur 11 die volle Pension entrichten. Während 12 Zöglinge von den Pensionskosten vollkommen befreit waren, erhielt die überwiegende Mehrheit von 123 Zöglingen »großenteils bedeutende Ermäßigungen.«229 Diese Zahlenverhältnisse blieben nach Ausweis der vorliegenden Quellen über die Jahre hinweg einigermaßen konstant.230 Nur bei einem geringen Teil der Zöglinge waren die Eltern in der Lage, die Mittel für die Pensionskosten in voller Höhe aufzubringen. Dieser Teil überschritt in den zur Verfügung stehenden Statistiken in keinem Fall 25 Prozent eines Jahrganges und lag zumeist deutlich niedriger. Die große Mehrheit der Familien war demnach in den 1920er und 1930er Jahren nicht in der Lage, die für das Priesteramt erforderliche höhere Schulbildung ihres Nachwuchses aus eigenen Mitteln zu finanzieren, sie waren überwiegend auf Zuschüsse angewiesen. Ein kleiner Teil der Familien konnte überhaupt keinen finanziellen Beitrag leisten und war vollkommen auf Fremdunterstützung angewiesen. Doch war das Phänomen der materiellen Bedürftigkeit einer Mehrzahl der Zöglinge an sich nicht neu. Deshalb stand in den Seminaren eine Reihe von ganz oder teilweise von Pensionszahlungen befreiten Plätzen zur Verfügung. Die hierfür erforderlichen Mittel wurden v. a. über den St. Korbinansverein der Erzdiözese, der sich traditionell der Förderung der geistlichen Berufe widmete, eingeworben.231 Die Gelder wurden einerseits durch die Vereinsbeiträge, andererseits durch spezielle

228 Vgl. Schematismus 1939, 351. 229 Vgl. EAM, NL Faulhaber 5795, Bericht über das Schuljahr 1938/39 im Erzbischöflichen Studienseminar Traunstein. 230 Vergleichsbeispiele (soweit verfügbar): Studienseminar Traunstein, Schuljahr 1930/31: 97 Zöglinge, 14 Vollzahler, 69 von den Pensionszahlungen teilweise Befreite, vier vollkommen Befreite (EAM, NL Faulhaber 5794, Anlage zum Bericht über das Schuljahr 1930/31 für das Studienseminar Traunstein); Knabenseminar Freising, Schuljahr 1931/32: 210 Zöglinge, 17 Vollzahler, 23 von Pensionszahlungen vollkommen Befreite, 170 teilweise Befreite (EAM, NL Faulhaber 5791, Jahresbericht über das Schuljahr 1931/32 im Erzbischöflichen Knabenseminar Freising); Knabenseminar Freising, Schuljahr 1932/33: 210 Zöglinge: 17 Vollzahler, 11 von Pensionszahlungen vollkommen Befreite, 182 teilweise Befreite (Ebenda, Jahresbericht über das Schuljahr 1932/33 im Erzbischöflichen Knabenseminar Freising); Knabenseminar Scheyern, Schuljahr 1935/36: 154 Zöglinge, 19 Vollzahler, fünf von den Pensionszahlungen vollkommen Befreite, 130 teilweise Befreite (EAM, NL Faulhaber 5799, Bericht über das Schuljahr 1935/36 im Erzbischöflichen Knabenseminar Scheyern); 231 Vgl. zu diesem Rinser, Korbiniansverein. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Kirchensammlungen am Korbinianssonntag aufgebracht.232 Seit 1922 leistete zudem der Diözesanklerus das Seminaristicum, eine halbprozentige Abgabe auf das jährliche Seelsorgereinkommen, welche ausschließlich für die Gewährung von Freiplätzen an bedürftige Studierende verwendet wurde.233 Die materielle Versorgung der Zöglinge im Seminar kann den allgemeinen Zeitumständen entsprechend als gut bezeichnet werden.234 Der Tagesablauf eines Knabenseminaristen zeichnete sich entsprechend der alten geistlichen Einsicht, dass Müßiggang der Feind der Seele sei235, durch eine äußerst straffe und umfassende Reglementierung aus, die auch die Freizeiten umfasste und nahezu alle denkbaren Lebensvollzüge berücksichtigte. Wie schwer manchem die Einordnung in dieses Ideal fiel, beschrieb Joseph Ratzinger in seinen Erinnerungen: »Ich musste lernen, mich in das Ganze einzufügen, aus meiner Eigenbrötelei herauszutreten und im Geben und Empfangen eine Gemeinschaft mit den anderen zu bilden.«236 Die Knaben, die zu Beginn ihrer Freisinger Seminarzeit ein 32-Seitiges, eng bedrucktes Heft mit dem Titel Hausordnung in die Hand gedrückt bekamen, konnten feststellen, dass dieses keineswegs »die gesamten Hausstatuten und die grundsätzlichen Maximen des erzbischöflichen Knabenseminars« enthielt, sondern lediglich »die wichtigsten Punkte.«237 Exemplarisch für die anderen Seminare, die über ähnliche Regelwerke verfügten,238 soll der Tagesablauf der Freisinger Seminaristen anhand dieser Hausordnung rekonstruiert werden. 232 Bericht über den Stand der Diözesanseminarien und des St. Korbiniansvereins im Jahre 1925, Amtsblatt München 1925, Nr. 14, Erste Beilage (27. 11. 1925). 233 Da die Knabenseminare bereits indirekt auf den Priesterberuf vorbereiteten, kamen auch deren Zöglinge und nicht nur die eigentlichen Priesterseminaristen in den Genuss der Erträge aus dem Seminaristicum ebenso wie aus den Mitteln des St. Korbiniansvereins; vgl. Bericht über den Stand der Diözesanseminarien und des St. Korbiniansvereins im Jahre 1925, Amtsblatt München 1925, Nr. 14, Erste Beilage (27. 11. 1925). 234 Gleichwohl war das Gefühl des Hungers den Seminaristen in wirtschaftlich schwierigen Zeiten – etwa in den Krisenjahren am Ende des Weltkriegs und zu Beginn der Republik – durchaus vertraut. Ein Zögling, Jahrgang 1907, der unmittelbar nach Ende des Ersten Weltkriegs in das Freisinger Knabenseminar gekommen war, erinnerte sich: »Wir mussten schon Hunger leiden. Die Hauptmahlzeiten sättigten einigermaßen. Aber der lange Nachmittag! Um vier Uhr nach der Schule gab es eine halbe Scheibe trockenes Brot. Die Hausmeister legten auf jede Studiertischreihe die entsprechenden Stücke.« Vgl. Johann Jäger, Autobiographisches Fragment (Familienbesitz), 2. In späteren Jahren scheint die Versorgungslage aber besser gewesen zu sein, die Seminarleitung nahm Klagen der Seminaristen auch ernst und schuf – wo möglich – Abhilfe; vgl. etwa EAM, Priesterbefragung 2003, Interview Kronberger: Dieser berichtete, Präfekt Michael Höck habe einmal zu Beginn der 1930er Jahre nach Klagen über eine zu geringe Menge an Speisen in der Küche Nachschub geordert. Dies deutet darauf hin, dass man auf Hinweise einging, aber eher bedacht war, die Seminaristen knapp zu halten. 235 So etwa die Regula Benedicti, Cap. 48. 236 Ratzinger, Leben, 30. 237 EAM, NL Faulhaber 5793, Hausordnung des Erzbischöflichen Knabenseminars Freising (1930), 5. 238 Vgl. etwa die Traunsteiner Statuten und die dortige Hausordnung in AEM, Knabenseminar Traunstein 2 und 3; ausführlicher hierzu Laube, Studienseminar St. Michael, 53–62. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Abb. 4: Zöglinge des Knabenseminars Freising vor dem Seminargebäude auf dem Domberg, um 1925, Sammlung Kronberger, München.

Der Werktag begann für die Seminaristen in den Sommermonaten (Mai bis Juli) um 5 Uhr, im übrigen Jahr eine halbe Stunde später. Die Knaben, die häufig aus Familien mit landwirtschaftlichem Erwerb stammten, dürften an das frühe Aufstehen durchaus gewöhnt gewesen sein. An die hygienischen Verrichtungen und ein kurzes gemeinsames Morgengebet um 5.25 Uhr (bzw. 5.55 Uhr vom September bis zum April) in der Hauskapelle, schloss sich die Zeit des Morgenstudiums an. Bezüglich der Hygienevorschriften kann die dem Katholizismus öfters nachgesagte Tendenz zur Vernachlässigung des Körpers nicht festgestellt werden. Ganz im Gegenteil legte man entsprechend der allgemeinen Tendenz der Zeit auf die Pflege und Reinhaltung des Körpers ein relativ hohes Augenmerk.239 239 »In den Wachstumsjahren mit dem Wechsel der Körperzustände, da aus dem Knaben der junge Mann erwächst, ist es eine der ernstesten Pflichten, auf die Gesundheit und Pflege des körperlichen Wohlseins im weitesten Maße Bedacht zu nehmen.« Vgl. EAM, NL Faulhaber 5793, Hausordnung des Erzbischöflichen Knabenseminars Freising (1930), 19. Bemerkenswert ist der sehr weit gefasste Hygienebegriff der Hausordnung, der körperliche ebenso wie seelisch-geistige Aspekte umfasste. Unter dem sehr ausführlichen Oberabschnitt Hygiene werden dort Ruhe und Entspannung (Ruhen in der Freizeit, Bewegung nach der Arbeit), Hygiene der Augen (Sorge um das gesunde Sehvermögen, Warnung vor augenschädlichem Leseverhalten), Hygiene der Kleidung (Mahnung zur Ordentlichkeit und Sauberkeit), Hygiene der Ernährung (Mahnung zu regelmäßiger, maßvoller © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Die täglichen Studiereinheiten waren in den hierfür vorgesehenen vier Studiensälen, die in alter humanistischer Tradition auch als Museen240 bezeichnet wurden, gemeinschaftlich aber schweigend zu absolvieren. Jeder Schüler hatte hierfür ein eigenes schrankartiges Pult, an dem die Arbeit stehend verrichtet wurde und in dem er auch seine für die Schule bestimmten Dinge wie Bücher, Unterlagen, Schreibmaterial etc. unterzubringen hatte. Während der Studienzeiten durften nur Themen des Schulunterrichts bearbeitet werden. Die Gemeinschaftsarbeit entsprach nicht jedem: Ich hatte in großer Freiheit zu Hause gelebt, studiert, wie ich wollte, und meine eigene kindliche Welt gebaut. Nun in einen Studiersaal mit etwa sechzig anderen Buben eingefügt zu sein, war für mich eine Folter, in der mir das Lernen, das mir vorher so leicht gefallen war, fast unmöglich schien,

vermerkte ein ehemaliger Seminarist in seinen Erinnerungen.241 Auf diese erste Studienzeit folgten um 7 Uhr die Heilige Messe und anschließend das Frühstück, bei welchem auch erstmals gesprochen werden durfte. Um 7.50 Uhr hatten sich die Knaben zum gemeinsamen Gang in die Schulklasse aufzustellen. Der Unterricht, gemeinsam mit den Schülern aus der Stadt Freising und der Umgebung, begann dann um 8 Uhr, war aber bereits um 11 Uhr wieder beendet. Bis zur gemeinsamen Adoration um 11.45 Uhr stand somit noch Zeit für Studien zur Verfügung. Zu Tisch rief die Speisesaalglocke. Der Speisesaal war schweigend zu betreten, erst nach dem Gebet durfte miteinander gesprochen werden.242 Tischdienste gab es nicht. Auf- und Abtragen der Speisen erledigten Angestellte des Seminars. Getreu der und gesunder Ernährung, Warnung vor Tabak und Alkohol), Hygiene des Schlafes (ausreichender Schlaf) und die Körperreinlichkeit (tägliches Waschen, Reinlichkeit, Warmbäder, Duschen etc.) behandelt. Bezüglich des Umgangs mit dem Körper bemerkt vergleichbares Hertling in seinem Standardwerk zu den priesterlichen Umgangsformen: »Noch mehr soll der Mann selber sauber sein. Er braucht durchaus nicht alle Exzesse moderner Körperkultur und Kosmetik mitzumachen. Aber sich jeden Tag rasieren ist kein Exzeß. Es ist mit dem Rasieren wie mit dem Beichten: je seltener man es tut, desto schwerer ist jedes Mal der Entschluß. Die Haare sich lang wachsen lassen wie ein Klaviervirtuose wäre für den Priester unfein; sich den Kopf mit Öl voll schmieren erst recht. Aber er braucht auch nicht kurzgeschoren wie ein Sträfling herumzugehen. […] Ganz besonders soll der Priester die Hände pflegen. Die dürfen geradezu schön sein. Sie sind wie ein Paramentenstück.« Hertling, Priesterliche Umgangsformen, 13. 240 Die hier wie auch in anderen Seminaren übliche euphemistische Benennung rührt von den Musen, den Schutzgöttinnen der Künste in der griechischen Mythologie her; vgl. Bernhart, Erinnerungen 1881–1930, Bd. 1, 202. Eigenwilligerweise standen die Seminare hier eher in der bildungsbürgerlichen Ideologietradition des deutschen Gymnasiums des 19. Jahrhunderts mit der ihm eigenen skurrilen Überhöhung der griechisch-römischen Antike, denn in der Tradition eines an neuscholastischen Ideen orientierten Seminars. 241 So Joseph Ratzinger, Leben, 28 f., der hier auf die im Traunsteiner Seminar verbrachten Jahre 1939–1941 zurückblickte. 242 EAM, NL Faulhaber 5793, Hausordnung des Erzbischöflichen Knabenseminars Freising (1930), 23 f. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Maxime Plenus venter non studet libenter folgte auf das gemeinsame Mittagessen um 12.30 Uhr eine 35-Minütige Freizeiteinheit. Hierbei war Bewegung als Ausgleich zur geistigen Betätigung sehr erwünscht.243 Auf die erste Nachmittagsfreizeit folgte um 13.15 Uhr nochmals Zeit für Schulaufgaben, unmittelbar anschließend von 14.00 Uhr bis 14.45 Uhr der nachmittägliche Unterricht im Gymnasium, dann eine weitere Stunde Freizeit von 14.45 Uhr bis 15.45 Uhr. Hier wurde dem Sport, sehr zum Leidwesen so mancher sportlich eher unbegabter Zöglinge, viel Raum gegeben.244 1928 hatte man in Freising ein eigenes Sportgelände erworben, das Seminar selbst verfügte auch über zwei Kegelbahnen. Auch der Sport hatte in sittsamer Weise zu erfolgen, hinsichtlich der Sportkleidung vermerkte die Hausordnung, es sei »vernünftiges Maß zu halten«245, was wohl als Gebot eines standesgemäßen Auftretens verstanden werden konnte. Grundsätzlich galt auch in den freien Stunden die Maxime: »Während der Freizeit ist Lärmen und Schreien, Pfeifen, ungebührliches Herumstürmen, Ringkämpfe und überhaupt alles zu unterlassen, was gutem Ton, edler Sitte widerspricht und das gemeinsame Leben belästigt.«246 Auf die zweite Nachmittagsfreizeit folgte nun bis zum Abendessen um 19.00 Uhr (in den Wintermonaten bereits um 18.30 Uhr) die Libera occupatio bzw. das Abendstudium. Diese Zeiteinheit hatte gewissermaßen eine Pufferfunktion. Je nach Umfang der Schulaufgaben bzw. Leistungsstärke oder Arbeitsgeschwindigkeit des Einzelnen konnten die Zöglinge sie entweder für ein zusätzliches Lern- und Arbeitspensum nutzen, oder sich, wenn alle schulbezogenen Aufgaben bereits erledigt waren, mit geistigen Dingen beschäftigen, die nicht Gegenstand des Schulunterrichts waren: Unterhaltungslektüre, Zeichnen und Malen, Briefeschreiben, u. ä. Bei mangelndem Fleiß und schlechten Schulleistungen konnte die Libera occupatio entzogen, d. h. der Knabe zum Lernen verpflichtet werden.247 Auf das 35-Minütige Abendessen folgten im Winter 40, im Sommer 70 Minuten Freizeit, die im Garten oder im Lichthof – also vorzugsweise in Bewegung – zu verbringen waren. Der Tag schloss mit einer 15-Minütigen geistlichen Lesung und dem Abendgebet. Um 20.45 Uhr (bzw. um 21 Uhr im Sommer) herrschte Nachtruhe.248 Mittwochs und samstags war nachmittags schulfrei, weshalb an diesen Tagen die Nachmittagsfreizeit bis 14 Uhr verlängert und nach einer Stunde für Schulaufgaben um 15.10 Uhr ein kollektiver Spaziergang verpflichtend vorgeschrieben war. 243 Ebenda, 16: »Es ist zu wünschen, daß die freie Zeit möglichst ausgiebig außerhalb des Studiersaales, in freier Luft und im Hofe zugebracht werde, sofern Jahreszeit, Witterung und Beleuchtung es gestatten. Immerhin kann man, zumal in der kälteren Jahreszeit und mangels eines eigenen Spielsaales, auch im Studiersaal verbleiben zur Unterhaltung, zu Zimmerspielen, Lesen usw.« 244 Vgl. wiederum Ratzinger, Leben, 29. 245 EAM, NL Faulhaber 5793, Hausordnung des Erzbischöflichen Knabenseminars Freising (1930), 18. 246 Ebenda, 16. 247 Ebenda, 14. Auch für die Libera occupatio galten strenge Bestimmungen, was in dieser Zeit gestattet war und was nicht: »Auch während der Libera ist bloßes Tändeln und Spielen (Zeitungslesen, Pulteinrichten, Markenkleben, Schachspiel) auszuschließen.« 248 Ebenda, 6 f. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Nicht weniger reglementiert verliefen die Sonntage.249 Man stand eine halbe Stunde später auf, um zunächst zu studieren und/oder in der Kapelle die Kommunion zu empfangen. Auf das Frühstück um 7.00 Uhr folgte um 7.30 Uhr der Studiengottesdienst im Dom, danach eine erneute Studienzeit, anschließend eine gemeinsame Gesangsübung und dann vor dem Mittagstisch ein erster längerer Spaziergang. Musste dieser infolge ungeeigneter Witterung ausfallen, hielt man Musikproben ab oder schaltete eine Libera occupatio ein. Nach dem Mittagstisch und einstündiger Freizeit war erneut Libera occupatio, um 14.00 Uhr eine Nachmittagsandacht und daran anschließend ein erneuter gemeinsamer Spaziergang vorgesehen. So standen auch am Sonntag insgesamt bestenfalls 3 Stunden und 15 Minuten – unter Einbeziehung der Libera occupatio eine Stunde mehr – zur freien Verfügung, wobei zu bedenken ist, dass diese sich auf drei bzw. fünf Zeiteinheiten verteilten und wiederum einem festen Regelwerk unterlagen. Letzteres sah für die Freizeitstunden in aller Regel nur die genannten sportlichen Betätigungen in und um das Seminargebäude vor. Ausgang wurde nicht mehr als einmal je Trimester bei Verwandtenbesuch gewährt; auch dann aber lediglich sonntags zwischen 10.00 Uhr und 17.00 Uhr, wobei die Verpflichtung zum Besuch des gemeinsamen Mittagessens und der Nachmittagsandacht um 14.00 Uhr nicht entfiel. Das Verlassen des Seminars und der dazugehörigen Außenanlagen auf dem Domberg war den Knaben nur mit besonderer Erlaubnis gestattet, die von der Seminarleitung bzw. den Präfekten zu erbitten war. Hierzu musste ein wichtiger Grund vorliegen.250 Ausgänge in die Stadt ohne die entsprechende Erlaubnis, »müßiges Umherstreunen« und das Aufsuchen von Läden zogen im Falle der Entdeckung Disziplinarstrafen nach sich.251 Wenn Gasthäuser und Cafes, Wohnungen von Stadtschülern oder Kinos aufgesucht wurden, konnte dies die Entlassung aus dem Seminar zur Folge haben.252 Überrascht die Bestimmung hinsichtlich der Betriebe des Gastgewerbes und der Kinos kaum, da diese im katholischen Verständnis der Zeit als klassische Stätten der Unmoral galten, verdient das Verbot hinsichtlich der Wohnungen von Stadtschülern, also Gymnasiasten, die nicht im Seminar lebten und sich nicht auf den Beruf des Theologen vorbereiteten, besondere Beachtung, zumal es sich um ein regelrechtes Kontaktverbot handelte: »Besuche bei Stadtschülern werden grundsätz249 Ebenda, 7. 250 Wichtige Gründe dürften rar gewesen sein, da die Organisation des Seminarbetriebs darauf bedacht war, den Schülern keinen Anlass zum unbeaufsichtigten Verlassen der Anstalt zu geben. Das Seminar selbst verfügte über ein eigenes Schreibwarenkabinett, in dem alle Gebrauchs- und Verbrauchsgegenstände angeboten wurden, die ein Schüler normalerweise benötigte; verschiedene Dienstleister (Schneider, Schuhmacher, Barbier) kamen regelmäßig ins Haus; Bücherbestellungen erledigte ein eigener Bücheragent; sonstige Botengänge waren dem Pförtner und den Hausdienern aufzutragen; im Falle von Krankheit wurden die Zöglinge in der seminareigenen Krankenstation umsorgt; vgl. EAM, NL Faulhaber 5793, Hausordnung des Erzbischöflichen Knabenseminars Freising (1930), 26 f. 251 Ebenda, 27. 252 Ebenda. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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lich nicht erlaubt«,253 vermerkte die Seminarordnung. Dies stand in Zusammenhang mit dem Verbot von so genannten Separatfreundschaften, die auch innerhalb des Seminars nicht gern gesehen wurden. Zudem bestand gerade bei den Stadtschülern die Gefahr, dass diese hinsichtlich des Berufswunsches einen ungünstigen Einfluss auf die Seminaristen ausüben könnten. Der Wechsel zwischen den einzelnen Tagesabschnitten wurde durch intensive religiöse Übungen gerahmt. Morgengebet, Hl. Messe, Adoration vor dem Mittagessen, Gebete jeweils vor und nach dem Studium sowie vor und nach Tisch, Angelusgebet, an Sonntagen eine Nachmittagsandacht, Abendvorträge oder Segensandachten und das Abendgebet. Die Beichte war mindestens monatlich vorgeschrieben, ebenso die Kommunion (Monatskommunion). Auch der wöchentliche Rosenkranz war in den Seminaren üblich, ebenso wie die monatliche Feier der Herz-Jesu-Freitage und der Priestersamstage.254 Hinzu kamen jährliche Exerzitien, die Ende August abgehalten wurden. Ein wesentliches Element der Zucht bildete das Silentium, die Verpflichtung zum Stillschweigen, für die es zeitliche und örtliche Bestimmungen gab. Die zeitlichen, das Silentium sacratum, verpflichteten zum vollkommenen Stillschweigen von Beginn der abendlichen geistlichen Lesung um 20.15 Uhr bzw. 20.30 Uhr bis zum Ende der Hl. Messe am nächsten Morgen um 7.30 Uhr. Das örtliche Silentium verpflichtete zum Schweigen unabhängig von der Tageszeit in der Kirche und ihren Nebenräumen, den Schlafsälen, in Bad und Toiletten sowie im Speisesaal bis zum Ende der Tischlesung. Da die Knabenseminare stets mit regulären Gymnasien gekoppelt waren, die von den Schülern der Region besucht wurden, waren die Schulklassen folglich gemischt, es wurde zwischen Stadtschülern und Seminarschülern unterschieden.255 Es gab zudem in den höheren Klassen auch Mädchen, sie bildeten jedoch eine rare Spezies, was mit dem allgemein geringen Frauenanteil an höheren Schulen Bayerns zusammenhing.256 Äußerlich unterschieden sich die Seminaristen bereits durch ihre Kleidung von den übrigen Schülern. Wenn auch in der Erzdiözese München und Freising nach dem Ersten Weltkrieg keine spezielle Seminarkleidung mehr vorgeschrieben war, so waren im Allgemeinen doch nur dunkle Farben zugelassen und »alles Auffallende, Grelle oder rein Sportmäßige« sollte vermieden werden.257 Hinzu kamen die oft bescheidenen Herkunftsverhältnisse der Seminaristen, die schon aus finanziellen Gründen auch in der Bekleidung keinen ostentativen Luxus zuließen. Die Seminaristen wurden in Frei253 Ebenda. 254 EAM, NL Faulhaber 5796, Dreijahresbericht des Studienseminars Traunstein 1940–1942. 255 Für Freising lässt sich allerdings die Neigung nachweisen, die Seminaristen in den ersten beiden Klassen eines Jahrgangs zu konzentrieren; vgl. Domgymnasium Freising, Jahresbericht 1952/53, 9 ff. Reine Seminaristenklassen scheint es jedoch nicht gegeben zu haben. 256 Seit dem Schuljahr 1919/20 waren in Bayern Mädchen an Knabengymnasien zugelassen, sofern am entsprechenden Ort keine abiturberechtigte Mädchenschule vorhanden war, vgl. Grosspietsch, Schulwesen. Dies traf auf Freising zu. 257 EAM, NL Faulhaber 5793, Hausordnung des Erzbischöflichen Knabenseminars Freising (1930), 21. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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sing umgangssprachlich – mit deutlich pejorativem Einschlag – Krauterer genannt, das Knabenseminar selbst als das Kraut bezeichnet, was auf die Herkunft der Zöglinge aus sozial schwachen Schichten anspielte.258 Zwischen den Seminarzöglingen und den übrigen Freisinger Schülern bestand stets ein gewisses Spannungsverhältnis, das vorwiegend im sozialen Gefälle seine Ursache gehabt zu haben scheint. Wie sehr das Leben der Seminaristen noch bis ins kleinste Detail einer peniblen Ordnung und Reglementierung unterworfen war, die darauf abzielte, Fremdkontakte zu unterbinden und eine geschlossene, homogene Gemeinschaft zu erzeugen, zeigen exemplarisch die Bestimmungen zu den gemeinsamen Spaziergängen, also einer Freizeitbeschäftigung, die viermal wöchentlich, nämlich Mittwoch- und Samstagnachmittag sowie Sonntagvormittag und Sonntagnachmittag stattfand.259 Das straff reglementierte Zeitkorsett, der rastlos erscheinende Stundenplan, der vom Aufstehen bis zum Zubettgehen jede Viertelstunde im Leben des Seminaristen exakt regelt, kann 258 Der in Oberbayern weit verbreitet Begriff Krauterer, aus dem Idiom des Handwerks stammend, verweist auf inferiore Herkunftsstrukturen und gering ausgeprägte ökonomische Leistungsfähigkeit, indem er suggeriert, die so bezeichneten Personen müssten sich aus materiellen Gründen nur von als billigem Grundnahrungsmittel zur Verfügung stehendem Kraut ernähren. Diese Bezeichnung wurde auch von der Mehrzahl der ehemaligen Freisinger Knabenseminaristen noch erwähnt, die im Rahmen der Priesterbefragung 2003 interviewt wurden, vgl. etwa EAM, Priesterbefragung 2003, Interview Hobmair oder ebenda, Interview Kronberger: »Was das heutige Diözesanmuseum ist, das war damals das so genannte Knabenseminar, im Volksmund das Kraut. Wir waren die Krauterer. Das war ein bisschen spöttisch«. Andererseits grenzten sich diejenigen, die nicht auf dem Knabenseminar waren, teilweise noch im hohen Alter rückblickend hiervon ab, vgl. ebenda, Interview mit Johann Bengl, der gefragt, ob er in Freising in das Knabenseminar gegangen sei, antwortete: »Nein, nicht ins Knabenseminar, nicht ins Kraut, sondern ins Priesterseminar …« ebenso Engelbert Neuhäusler, der sein Abitur auf dem Wittelsbacher Gymnasium in München abgelegt hatte: »Ich gehöre nicht zum Kraut. Das Knabenseminar in Freising war’s Kraut!« 259 Die Freisinger Hausordnung bestimmte: »Angesichts der jetzigen Zöglingszahl werden die allgemeinen Spaziergänge in drei Abteilungen gehalten. Ohne ausdrückliche Erlaubnis des Herrn Präfekten darf kein Zögling von diesen Spaziergängen wegbleiben. Zwei Zöglinge der obersten Klasse gehen als Führer voran und erhalten von dem begleitenden Herrn Präfekten die Wegrichtung angewiesen. Zwei Zöglinge – in durchgehendem Turnus der einzelnen Klassen – begleiten den Herrn Präfekten. In geschlossener Ordnung, paarweise, gehen die Zöglinge in anständiger Kleidung, also in der kälteren Zeit mit Überrock und Handschuhen, jedenfalls immer bedeckten Hauptes einher, ohne jemals den Zug durch Lücken trennen zu lassen. Den vorausgehenden Führern ist unter allen Umständen willig Gefolgschaft zu leisten. Kein Zögling darf sich auf dem Wege absondern, Häuser oder Läden betreten. Die mittlere Hauptstraße darf nie von den Spaziergängen [sic!] des Seminars benutzt werden, auch Winkelgäßchen sind zu vermeiden. Man trachte möglichst rasch aus dem Häuserbereich der Stadt ins Freie zu gelangen. Standespersönlichkeiten, namentlich Professoren, Vorstände, Geistliche, sind höflich zu grüßen. Die Gebote des Anstandes und Bescheidenheit sind auf dem Spaziergang mit besonderem Bedacht zu beobachten. Schneeballwerfen, Abreißen von Blumen und Zweigen, Lärm und Ungezogenheit, auch das Essen auf öffentlichen Wegen sind schwere Anstandsverletzungen und bringen der ganzen Anstalt Unehre.« Vgl. EAM, NL Faulhaber 5793, Hausordnung des Erzbischöflichen Knabenseminars Freising (1930), 18 f. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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im Sinne Foucaults als wesentliches Element der Disziplinierung verstanden werden.260 Hartmut Rosa hat in seiner Zeitsoziologie gleichfalls betont, »dass die moderne ›Disziplinargesellschaft‹ ihre disziplinierende und disponierende Kraft ganz wesentlich über die Etablierung und Internalisierung von Zeitstrukturen«261 erfasse. Tatsächlich handelt es sich bei der Kleruserziehung nach dem im 19. Jahrhundert zur vollen Entfaltung kommenden tridentinischen Muster um ein Phänomen, das im Hinblick auf seinen totalen und normierenden Charakter auf gewisse Tendenzen der Moderne voraus wies, ohne dabei freilich moderne Inhalte zu transportieren.

2.2.4 Die Mitgliedschaft der Knabenseminaristen in der Hitler-Jugend Die Frage nach der Mitgliedschaft der Seminarzöglinge in der Hitler-Jugend (HJ) stellte im Verlauf der 1930er Jahre eines der latenten Konfliktfelder zwischen den Seminaren und den nationalsozialistischen Kräften dar.262 Die Bischöfe und die Seminarleitungen standen einer Mitgliedschaft der Seminarzöglinge in der HJ ablehnend gegenüber, da dies dem auf Abschottung von Fremdeinflüssen gerichteten Erziehungsgedanken der Seminare schon grundsätzlich widersprach. Hinzu kamen inhaltliche Bedenken bezüglich der weltanschaulichen Ausrichtung der NS-Organisation.263 Kardinal Faulhaber knüpfte die eventuelle Mitgliedschaft von Seminaristen in der HJ an Bedingungen. Vor allem sollten die HJ-Veranstaltungen grundsätzlich der Hausordnung der Seminare nachgeordnet sein.264 Dies kam »faktisch […] einem Verbot der Mitgliedschaft von Seminaristen in der Hitler-Jugend gleich«,265 wenngleich ein tatsächliches Verbot nie ausgesprochen wurde. So war vor Frühjahr 1939 keiner der Traunsteiner Seminaristen Mitglied der HJ,266 es kann wohl angenommen werden, dass die Verhältnisse in Freising und Scheyern ähnlich gelagert waren. Der Druck auf die Seminaristen nahm zu, nachdem im Dezember 1936 mit dem Gesetz über die Hitler-Jugend bestimmt worden war, dass die gesamte deutsche Jugend 260 Vgl. Foucault, Überwachen und Strafen. 261 Rosa, Beschleunigung, 30. 262 Zur Hitlerjugend allgemein vgl. Buddrus, Totale Erziehung; Kater, Hitlerjugend; Sauerwein, Hitlerjugend. Die Frage nach der Mitgliedschaft von Seminarzöglingen in der HJ wurde im Hinblick auf die HJ-Mitgliedschaft von Joseph Ratzinger auch ausführlich bei Laube, Studienseminar St. Michael, 93–100 behandelt. 263 Vgl. auch die bei Laube, Studienseminar St. Michael, 94 referierte Begründung des Passauer Generalvikars Franz S. Riemer gegenüber dem Bayerischen Staatsministerium für Unterricht und Kultus. 264 So sollten solche Gruppen nur an Schulen möglich sein, an denen nicht ausschließlich Seminaristen studierten, die Leitung einer solchen Gruppe sollte dann aber auf jeden Fall in der Hand eines Seminaristen liegen, um terminliche Konflikte mit seminarinternen Veranstaltungen oder Inhalte, die den Erziehungsgrundsätzen des Seminars widersprächen, verhindern zu können. 265 Laube, Studienseminar St. Michael, 95. 266 Vgl. ebenda 96. Im Gegensatz dazu waren 1935 bereits 62,5 % aller Nichtseminaristen am Traunsteiner Gymnasium der HJ beigetreten. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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»in der Hitlerjugend körperlich, geistig und sittlich im Geiste des Nationalsozialismus zum Dienst am Volk und zur Volksgemeinschaft zu erziehen«267 sei. Dies veränderte zunächst nichts im Hinblick auf die Nichtmitgliedschaft der Seminaristen, da staatlicherseits eine Erzwingung der HJ-Mitgliedschaft gegen den Elternwillen zunächst noch nicht möglich war.268 Doch die Rivalitäten und Konflikte zwischen den nun fast vollständig zur HJ gehörigen Stadtschülern und den nicht der HJ angehörenden Seminaristen wuchsen. Die HJ-Mitgliedschaft war für viele gesellschaftliche Bereiche, etwa die Zulassung zum Studium, obligatorisch, weshalb die nicht zum Seminar gehörenden Schüler ihr in der Folge fast vollständig beitraten. Die HJ-Angehörigen agierten vielfach in provozierender Weise kirchenfeindlich und antikatholisch, so kam es etwa 1937 in Traunstein zu einem typischen Konfliktfall, als einige Jungvolkführer einer Gruppe von Schülern, darunter auch Seminaristen, ihre Absolventenmützen raubten und diese als Symbole des reaktionären Geistes und Standesdünkels verbrennen wollten.269 Auch in Freising waren die Schwarzen und die Braunen bereits 1935 so zerstritten, dass nicht einmal mehr eine gemeinsame Abiturfeier zustande kam.270 Die nazifizierte Schülerschaft verspottete die Seminaristen auch wegen deren Festhaltens an den traditionellen Gepflogenheiten.271 Das Bayerische Kultusministerium fand schließlich eine neue Möglichkeit, den Druck auf die Seminaristen zu erhöhen, um diese bei noch unveränderter Gesetzeslage  – noch immer galt formal die Freiwilligkeit der Mitgliedschaft in der HJ  – dennoch in die Hitler-Jugend zu zwingen. Durch eine ministerielle Verordnung wurde im August 1938 verfügt, dass mit Wirkung vom 1. September 1938 Schulgeldermäßigung an allen Schularten nur noch gewährt werden könne, wenn der betreffende Schüler Mitglied in der Hitler-Jugend sei.272 Da viele Schüler unterstützungsbedürftig waren, hätte der Wegfall der Schulgeldermäßigung von vielen Familien finanziell nicht getragen werden können. Um jedoch weiterhin eine Mitgliedschaft der Seminaristen in der HJ oder gar den Abbruch des Schul- und Seminar267 RGBl. 1936 I, 993, hier § 2. 268 Dies wurde erst mit dem Erlass der zweiten Durchführungsverordnung zum HJ-Gesetz vom 25. 03. 1939 möglich, im Rahmen derer die so genannte Jugenddienstpflicht eingeführt und die HJ-Mitgliedschaft nun auch gegen den Elternwillen polizeilich erzwungen werden konnte, vgl. Sauerwein, Hitlerjugend. 269 Vgl. die Schilderung bei Laube, Studienseminar St. Michael, 97. 270 Vgl. Musiol, Interview Niedermeier, 40. 271 Ein damaliger Schüler erinnerte sich: »Wir [die Seminaristen; Th. Fo.], sind bei den anderen verschrien gewesen als die Vorgestrigen, die Rückständigen, welche die neue Zeit nicht erfasst haben, auch nicht erfassen werden, mit denen man Mitleid haben muss, die nicht mehr auf der Höhe der Zeit leben. Das war sehr deutlich zu spüren. Die Hitlerjungen haben natürlich auch versucht uns lächerlich zu machen, weil wir noch im Seminar wohnten und dort behütet sind und keine Freiheiten haben und zu tun haben, was die Hausordnung vorschreibt. Es hat schon ein gewisser Bekennermut dazu gehört, diesem Druck standzuhalten.«; vgl. Musiol, Interview Niedermeier, 40. 272 Vgl. Laube, Studienseminar St. Michael, 97. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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besuchs einzelner Schüler zu verhindern, entschloss sich Weihbischof Schauer, die Pensionsbeiträge der Seminaristen um den entsprechenden Betrag zu senken, sofern die Eltern nicht in der Lage waren, die Mehrkosten zu finanzieren, ggf. wurden sogar zusätzliche Zuschüsse gewährt.273 Erst die Einführung der Pflicht-HJ als Folge der zweiten Durchführungsverordnung zum HJ-Gesetz vom 25. März 1939 hatte schließlich zur Folge, dass alle Seminaristen zwischen dem 10. und 14. Lebensjahr dem Jungvolk, alle 14- bis 18-Jährigen bis Oktober dieses Jahres ausnahmslos in die Hitler-Jugend eingeschrieben wurden.274 Eine Verweigerung war nun aufgrund der geänderten Rechtslage nicht mehr möglich. Da jedoch mit der oben genannten Verordnung zugleich eine Unterscheidung zwischen Pflicht-HJ und Stamm-HJ eingeführt und alle Jugendlichen, die nach dem 20. April 1938 der Hitler-Jugend beigetreten waren, der Pflicht-HJ zugerechnet wurden, gehörten auch die Seminaristen nur der Pflicht-HJ an. Schulgeldermäßigung wurde aber nur Mitgliedern der Stamm-HJ gewährt, weshalb die erhebliche finanzielle Mehrbelastung der Seminare bestehen blieb.

2.3 Spätberufene als Sonderfall in der Klerusausbildung Einen Sonderfall in der Klerusausbildung bildeten ab den 1920er Jahren die so genannten Spätberufenen. Hierbei handelte es sich um junge Männer ohne gymnasiale Schulbildung, deren Entscheidung für den Priesterberuf nicht in dem üblichen Alter von etwa 12 Jahren gefallen war, sondern erst zu einem Zeitpunkt, zu dem sie in das gewöhnliche Schulsystem und in die regulären Knabenseminare aufgrund ihres Alters nicht mehr integrierbar waren.275 Das Spätberufenenseminar diente bei diesen also dazu, die schulischen Voraussetzungen für das Studium der Philosophie und Theologie zu schaffen. Der Unterrichtsstoff des Gymnasiums musste hierbei in etwa fünf Jahren nachgeholt werden.276 Spätberufene gab es erstmals nach dem Ersten Weltkrieg in nennenswertem, wenngleich noch verhältnismäßig geringem Umfang – eine für die Kirche positive Folge der freieren, individuelleren Orientierung des Einzelnen, der den einmal ergriffenen Beruf nicht mehr als zwangsläufiges Schicksal betrachtete. Die Biographien der Spätberufenen waren höchst unterschiedlich, ebenso ihr Alter 273 Vgl. ebenda, 98. Die Summen waren nicht unerheblich, allein für Traunstein ermittelte Laube für das Schuljahr 1938/39 annähernd 24.000,- RM von der Erzdiözese zu tragende Mehrkosten. 274 Vgl. ebenda, 98. 275 Zur Geschichte der Spätberufenenseminare in der Erzdiözese München und Freising vgl. Braun, Karl, Spätberufenenseminar Fürstenried; Altmann, Exerzitienhaus; Kornacker, Susanne, Fürstenried sowie entsprechende – überwiegend redundante – Beiträge in den Festschriften zu den Jubiläen des Spätberufenenseminars St. Matthias: Spätberufenenseminar St. Matthias, 50 Jahre St. Matthias; 60 Jahre St. Matthias und 70 Jahre Spätberufenenseminar Fürstenried; zur grundsätzlichen Problematik der Spätberufenen aus zeitgenössischer Sicht: Böhi, spätberufene Priester. 276 Vgl. Braun, Karl, Spätberufenenseminar Fürstenried, 747. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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beim Eintritt in das Spätberufenseminar, welches meistens zwischen 15 und 30 Jahren, manchmal aber auch darüber lag.277 Drei Wege von Spätberufenen zum Priestertum sollen exemplarisch angeführt werden: Johann Backer278, geboren 1909 in München, absolvierte zunächst eine Ausbildung zum Elektrotechniker, bevor er als 21-Jähriger 1930 in das Spätberufenenseminar eintrat. Dort legte er 1936 – wie vorgesehen, vor einer staatlichen Kommission279 – das Abitur ab und begann dann in Freising an der Philosophisch-Theologischen Hochschule mit dem Studium. Im Dezember 1940, kurz bevor er zum Wehrdienst eingezogen wurde, erteilte Kardinal Faulhaber ihm die Priesterweihe.280 Andreas Bals281, 1905 in Malching geboren, ging als 16-Jähriger zunächst bei einem Schuhmacher in die Lehre. 1924 absolvierte er die Gesellenprüfung in seinem Handwerk, erwarb 1928 dann sogar den Meisterbrief. Aus einer autobiographischen Notiz Bals’ geht hervor, dass er enge Kontakte zum Katholischen Gesellenverein unterhielt.282 Vermutlich empfing er hier die entscheidenden Impulse, die den 25-Jährigen dazu bewogen, sich 1930 zum Eintritt in das Spätberufenenseminar zu entschließen. Nach dem Abitur 1934 nahm er das Theologiestudium auf und wurde im März 1940 zum Priester geweiht. Johannes Zinkl283, 1892 in München geboren, besuchte bis 1908 die Realschule und anschließend das Freisinger Lehrerseminar, wo er 1910 die Prüfung zum Volksschullehrer ablegte. Nach einer Anstellung in Freising-Neustift unterrichtete er von 1912 bis 1924 – unterbrochenen durch einen dreijährigen Heeresdienst 1914 bis 1917 – an 277 Vgl. ebenda: Der jüngste Spätberufene im ersten Jahrgang der Eröffnung des Münchener Seminars 1927 war demnach 15, der älteste bereits 36 Jahre alt. 278 Johann Backer, geb. am 27. 08. 1909 in München, Priesterweihe 1940 in Freising, 1941 kurzzeitig Vikar des 1. Koadjutors in Schliersee, dann zum aktiven Wehrdienst (Sanitäter) einberufen, 1945 Kooperator in Rohrdorf, 1947 Kooperator in München-St. Michael Perlach, 1953 Pfarrkurat in Höhenkirchen, 1955 Pfarrer daselbst, gest. am 24. 04. 1981; vgl. AEM, Priesterpersonalakten P III 72. 279 Zu den allgemeinen Modalitäten vgl. Braun, Karl, Spätberufenenseminar Fürstenried, 747. 280 Vgl. Schematismus 1940, 309. 281 Andreas Bals, geb. am 07. 11. 1905 in Malching, Priesterweihe 1940 in Freising, Koadjutor in Wolfratshausen, 1942 Pfarrvikar daselbst, 1943 Kaplan in Landshut St. Margaret, 1946 Domkooperator in München, 1948 Kaplan in München St. Paul, 1949 Prediger und Benefiziums-Verweser in Landshut St. Jodok, 1953 Pfarrkurat in Landshut St. Peter und Paul, 1954 Pfarrer in Prien am Chiemsee, gest. am 02. 09. 1979; vgl. AEM, Priesterpersonalakten P III 78 (Eigenhändiger Lebenslauf im Akt). 282 Vgl. ebenda. 283 Johannes Zinkl, geb. am 29. 07. 1892 in München, Priesterweihe 1927 in Freising, Kaplan in München-St. Franziskus, 1928 Landessekretär der katholischen Schulorganisation in Bayern (in dieser Funktion vor allem Organisation der katholischen Elternvereinigungen), 1937 von Faulhaber zum Domkapitular ernannt, Leitung des Schulreferats in der Ordinariatsverwaltung, am 04. 05. 1941 aus politischen Gründen Aufenthaltsverbot in Bayern, Umzug nach Berlin, später nach Wien, dort Promotion zum Dr. theol., 1944 Rückkehr des schwer Erkrankten in ein Sanatorium nach Ebenhausen bei München, ab 1945 Wiederaufnahme der vorherigen Tätigkeiten, gest. am 26. 07. 1953; vgl. Benker, Metropolitankapitel, 277 f.; Nesner, Metropolitankapitel, 560; AEM, Metropolitankapitel, Personalakt. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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der Domschule in München als Volksschullehrer. Im Selbststudium eignete er sich die für das Gymnasialabsolutorium notwendigen Kenntnisse an und legte schließlich 1923 auf dem Münchener Wilhelmsgymnasium das Abitur ab. Anschließend begann er an der Münchener Universität Philosophie, Theologie und Pädagogik zu studieren. Vier Jahre später wurde er, einem Monat vor seinem 35. Geburtstag, zum Priester geweiht. Zinkl scheint außerordentlich begabt gewesen zu sein und wurde von seinen Vorgesetzten entsprechend gefördert: 1928 wurde er Landessekretär der katholischen Schulorganisation in Bayern, 1937 schließlich Domkapitular und Leiter des Schulreferats im Ordinariat.284 Zinkl brachte sich die für das Hochschulstudium erforderlichen Kenntnisse selbst bei, wozu er als Pädagoge naturgemäß gute Voraussetzungen hatte. Auf ein Spätberufenenseminar konnte er sich in den frühen zwanziger Jahren noch nicht stützen, denn dieses wurde erst 1927 eingerichtet.285 Zuerst war es eher provisorisch in den Hansa-Heimen in München-Schwabing untergebracht286, bevor die Schule am 1. Mai 1929 in das – von der Diözese zunächst gepachtete später erworbene – Schloss Fürstenried übersiedelte.287 Hierbei handelte es sich um eine ehemalige Nebenresidenz der Wittelsbacher am Stadtrand von München, die auch als diözesanes Exerzitienhaus diente. Im Februar 1930 erteilte der bayerische Staat die Genehmigung für den ordentlichen Betrieb des Seminars in Fürstenried.288 Die ersten Absolventen erwarben dort zu Beginn der 1930er Jahre die Hochschulreife. Neben dem Alter der Seminaristen war vor allem der Umstand, dass man hier einen eigenen separaten Schulbetrieb initiierte, eine Besonderheit. Auch in Fürstenried waren die Leitung von Schule und Seminar jedoch getrennt. Während erstere in der Hand von Benediktinern lag, war der Gründungsdirektor des Seminars, Anton Kothieringer289, der das Spätberufenenseminar bis zur

284 Vgl. ebenda. 285 Der Erwerb des Abiturs außerhalb des Spätberufenenseminars war aber auch nach dessen Gründung nicht ungewöhnlich, wie etwa der Lebensweg von Johannes Evangelist Baumgartner (Jg. 1909) zeigt, der nach einer Lehre als kaufmännischer Angestellter im elterlichen Betrieb Anfang der 1930er Jahre im Wittelsbacher Gymnasium in München das Abitur ablegte, anschließend an der Universität das Studium der Philosophie und Theologie aufnahm und 1938 zum Priester geweiht wurde, vgl. EAM, Priesterbefragung 2003, Interview Baumgartner. 286 Diese Verbindung lag nahe, da es sich bei den 1922 gegründeten Hansa-Heimen um Wohnheime für jüngere katholische Männer in Aus- und Weiterbildung handelte, die auch unter Leitung eines geistlichen Direktors standen. Die Verlegung nach Fürstenried dürfte eine Folge des Konkurses der Hansa-Heime im Jahr 1928 gewesen sein; zur Geschichte der Hansa-Heime in den Gründungsjahren vgl. auch die Chronik in EAM, NL Faulhaber 6651. 287 Vgl. Braun, Karl, Spätberufenenseminar Fürstenried, 747. 288 Ebenda. 289 Anton Kothieringer, geb. 04. 09. 1888 in Simbach, Priesterweihe 1924, Koadjutor in Dachau, 1925 Direktor des Exerzitienhauses Fürstenried, seit 1929 auch des Spätberufenenseminars ebenda (bis zur Aufhebung 1941), gest. am 13. 06. 1944 bei einem Fliegerangriff; vgl. AEM, Priesterpersonalakten P I, Anton Kothieringer ferner Schematismus 1939, 56 und 284; Schematismus 1950, 340. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Aufhebung durch die NS-Regierung leitete, ein Diözesankleriker und auch selbst Spätberufener, der erst mit 36 Jahren zum Priester geweiht worden war.290 Die Zugangszahlen zum Fürstenrieder Seminar entwickelten sich gut. 1929, im dritten Jahr nach Gründung, zählte man bereits 100 Spätberufene in drei Kursen, im Folgejahr bereits 134 in vier Kursen.291 Dies legt nahe, das je Jahrgang etwa 30 neue Kandidaten in das Seminar aufgenommen worden sein dürften. Im Jahr 1932 legten die ersten 13 Kandidaten vor einer Kommission die erforderlichen Prüfungen ab, zehn von ihnen erfolgreich. Im Folgejahr waren es dann 15 erfolgreiche Prüflinge.292 Diese Zahlen zeigen aber auch, dass keineswegs alle bis zum Schluss durchhielten. Eine Ausfallquote von mehr als 50 Prozent ist aus dem Verhältnis von jährlichen Neueintritten und Abschlüssen indirekt ableitbar. Insgesamt gingen bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs etwa 140 erfolgreiche Absolventen aus der Anstalt hervor, etwa 90 hiervon wurden zu Priestern geweiht.293 Diese scheinbar hohen Zahlen relativeren sich im Hinblick auf ihre Bedeutung für die Rekrutierung des Klerikernachwuchses jedoch. Wie eine Statistik aus dem Schuljahr 1937/38 zeigt, stammte nur etwa ein Fünftel der Studierenden aus der Erzdiözese selbst, denn das Seminar nahm auch Kandidaten aus den Suffraganbistümern, in geringerem Umfang auch aus der nordbayerischen Kirchenprovinz und anderen deutschen Diözesen auf.294 Insgesamt lag in den 1930er Jahren der Anteil der Spätberufenen unter den Diözesanpriestern bei deutlich unter fünf Prozent.295 Wohl auch deshalb führte das Seminar bis zu seiner vorübergehenden Aufhebung 1939 eine gewisse Sonderexistenz. Nicht nur, dass es in Schloss Fürstenried nur gewissermaßen Untermieter des dortigen Exerzitienhauses war, auch Seminardirektor Kothieringer war zunächst Direktor des Exerzitienhauses und führte das Spätberufenenseminar im Nebenamt. Obwohl auch die Spätberufenen einem strengen Tagesrhythmus mit festen Gebets-, Studien-, und Erholungsstunden unterworfen waren – der Tag begann in der Regel um 5 Uhr morgens und endete um 20.30 Uhr, die tägliche Feier der heiligen Messe war obligatorisch296 – dürften die jungen Männer, deren Charakter- und Persönlichkeitsbildung aufgrund ihres Alters und der schon vorhandenen Berufs- und Lebenserfahrung weitgehend abgeschlossen 290 Vgl die Schilderung Kothieringers in dessen autobiographischer Skizze in AEM, Priesterpersonalakten P I, Anton Kothieringer. 291 Zahlen nach Kornacker, Susanne, Fürstenried, 236. 292 Vgl. Braun, Karl, Spätberufenenseminar Fürstenried, 747 und 749. 293 Vgl. ebenda, 756. 294 Vgl. ebenda, 753. 295 Eine signifikante Steigerung an Spätberufungen lässt sich erst ab Ende der 1950er Jahre ausmachen. In dieser Zeit stiegen die Schülerzahlen enorm an, so dass das Spätberufenenseminar im Jahr 1957 von Fürstenried nach Wolfratshausen-Waldram in ein größeres und eigenes Gebäude verlegt werden musste, vgl. Spätberufenenseminar St. Matthias, 70 Jahre Spätberufenenseminar Fürstenried, 35. 296 Der genaue Tagesablauf bei Braun, Karl, Spätberufenenseminar Fürstenried, 748. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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war, größere Freiheiten genossen haben, als die Zöglinge eines regulären kleinen Seminars. Neben den in Fürstenried tätigen Benediktinern unterrichteten auch zivile Lehrkräfte in Fürstenried. Eine enge Verbindung bestand zum staatlichen Gymnasium in Pasing, an welchem die Schüler auch die Prüfungen ablegen mussten. Auch dadurch wurde nach 1933 nationalsozialistischer Geist in die Anstalt hineingetragen. Die Hausleitung bemühte sich, nicht hinten anzustehen, und folgte dem Fest- und Feierkanon der neuen Machthaber, indem man die entsprechenden NS-Gedenktage mit Flaggenehrung, Ansprachen und Gottesdiensten beging.297 Für den so genannten Gemeinschaftsempfang von Rundfunkreden Hitlers oder anderer Parteigrößen wurde ein Volksempfänger mit mehreren Lautsprechern angeschafft. Der Unterricht in Deutsch und Geschichte wurde entsprechend der veränderten ideologischen Ausrichtung umstrukturiert. Rassenerblehre und Rassenhygiene wurden zusätzlich in den Fächerkanon aufgenommen.298 Der Leiter des Pasinger Gymnasiums bestätigte den Absolventen des Jahrgangs 1937, dass diese »auch im Gedankengut der Bewegung unterrichtet und zur Aufbauarbeit am deutschen Volk und Staat ausgerüstet wurden.«299 Anfänglich konnten sich die Seminaristen auch hier der Mitgliedschaft in der HJ verweigern, nach Einführung der Pflicht-HJ mussten diejenigen – die altersmäßig hierfür überhaupt noch in Frage kamen – in diese eintreten.300 Das von der kirchenfeindlichen Kultuspolitik Adolf Wagners vorbereitete Ende der Anstalt konnte dennoch nicht abgewendet werden. Gemäß einem Dekret Wagners durften ab dem Schuljahr 1938/39 keine neuen Schüler mehr aufgenommen werden,301 wodurch diese Quelle des Priesternachwuchses ganz zum Versiegen gebracht werden sollte. Nach Kriegsbeginn 1939 wurde das Fürstenrieder Schloss vorübergehend beschlagnahmt, schließlich zwar wieder zurückgegeben, aber durch militärische Einrichtungen in Anspruch genommen. Der Schulbetrieb konnte nicht mehr fortgesetzt werden und das Spätberufenenseminar wurde für die Dauer des Krieges geschlossen.302 Insgesamt erwies sich die kirchliche Förderung von Spätberufenen  – trotz 297 So veranstaltete das Fürstenrieder Seminar bspw. 1935 anlässlich der Wiedereingliederung des Saargebietes in das deutsche Reich einen Festakt mit Dankgottesdienst und im selben Jahr eine Trauerfeier für den verunglückten bayerischen NS-Kultusminister Hans Schemm; letzteres erscheint umso bemerkenswerter, da dieser der evangelischen Konfession angehörte; vgl. Braun, Karl, Spätberufenenseminar Fürstenried, 750. 298 Vgl. ebenda. 299 Vgl. ebenda, 752. 300 Offenbar war aber aufgrund der Altersstruktur nur eine Minderheit der Seminaristen hiervon betroffen. Auch scheint der entsprechende Erlass nicht wirklich konsequent umgesetzt worden zu sein; vgl. ebenda, 752 f. 301 Vgl. hierzu zuletzt Kornacker, Susanne, Fürstenried, 237 f. 302 Vgl. Kornacker, Susanne, Fürstenried, 238. Die Mehrzahl der noch verbliebenen Schüler, zumeist schon im Mannesalter, war inzwischen ohnehin zum Wehrdienst eingezogen worden. Ein Teil konnte das Abitur noch auf staatlichen Gymnasien ablegen; vgl. Braun, Karl, Spätberufenenseminar © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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der zunächst nur verhältnismäßig geringen Zahl an Kandidaten, die diesen Weg beschritten – als langfristig erfolgreiche Strategie, bei der Rekrutierung des Klerus neue Wege zu beschreiten. Dabei waren die zumeist bereits im Mannesalter stehenden Spätberufenen aus kirchlicher Sicht eine besonders risikobehaftete Gruppe. Ihr Identitätsbildungsprozess war weitgehend abgeschlossen, als diese in das Seminar aufgenommen wurden. Die Möglichkeiten der weltanschaulichen Einwirkungen auf den Einzelnen waren damit weit weniger gegeben als bei einer Sozialisation im Knabenseminar. Auch dürften viele der Männer, besonders die älteren, bereits Erfahrungen auf sexuellem Gebiet gemacht haben, was bei Priesteramtskandidaten äußerst ungern gesehen wurde. Die Motivation der Kandidaten half diese Hindernisse zu überwinden. Hier entschieden sich Erwachsene und damit charakterlich bereits gefestigte und beruflich zumeist schon etablierte Männer aus freien Stücken für einen völlig neuen Lebensweg.

2.4 Die Seminarerziehung der Priesteramtskandidaten 2.4.1 Die Formung der Priesteramtskandidaten im tridentinischen Seminar Der Codex Iuris Canonici hatte zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Tendenz zur Abschottung der Kleriker von der äußeren Welt noch einmal verstärkt, in dem er die Praxis des freien Studiums beendete.303 Priester konnte nun nur noch werden, wer sich im Klerikalseminar tridentinischer Ordnung während eines mindestens vierjährigen Aufenthalts unter Aufsicht der Seminarvorstände und damit mittelbar unter Aufsicht des Ortsbischofs hierauf vorbereitete. Ein freies Universitätsstudium der katholischen Theologie – bei wohlhabenden Kandidaten zuvor durchaus üblich – kam nun nicht mehr in Frage.304 Nur das Philosophicum konnte noch extern absolviert werden. Speziell für den deutschen Raum, mit der Sondersituation der staatlichen StudienFürstenried, 756. Erst 1949 konnte das nun überwiegend mit Kriegsheimkehrern belegte Seminar in Fürstenried wieder eröffnet werden. 303 Der 1917 promulgierte Codex Iuris Canonici fixierte in den cann. 1352–1371 erstmals konkret den Unterschied zwischen Knabenseminar und Klerikalseminar und legte – noch immer auf Basis des Tridentinischen Seminardekrets von 1564 – die Grundstrukturen beider fest. Zur Bedeutung des Tridentiner Dekrets Cum adolescentium aetas für die Klerusausbildung vgl. auch Jedin, Bedeutung des Tridentinischen Dekrets; Wolf, Priesterausbildungsstätten. 304 Vgl. Bitterli, Priesterseminar, 12. Kleriker, die nicht in der Seminargemeinschaft sozialisiert worden waren, eckten häufig an bzw. sie wurden bereits aus diesem Grund kritisch beobachtet. Über den 1922 geweihten Neupriester Ludwig Mayrhofer, der noch nicht unter die o. g. verschärfte Bestimmung der Seminarpflicht gefallen war, vermerkte der Regens im Seminarabgangszeugnis: »War nur 1 Jahr im Seminar; hängt auf Kosten des klerikalen Geistes und Benehmens noch stark am Verbindungsstudenten; bedarf noch sehr einer weiteren Einführung in das Aszetische und Priesterliche …« AEM, Priesterpersonalakten P III 1138, Seminarabgangszeugnis vom 29. 06. 1922. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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anstalten, wurden die Bestimmungen des kirchlichen Gesetzbuches 1921 mit dem Schreiben De Clericis instituendis der Seminar- und Studienkongregation nochmals präzisiert und den Bischöfen in besonderer Weise aufgetragen, von den Kandidaten alles fernzuhalten, was sich für einen Kleriker nicht ziemt.305 Das Korsett, das Rom für die Klerikerausbildung vorgab, war so eng gefasst und detailliert geregelt, dass selbst der Tagesablauf in den Seminaren bis hin zu Einzelheiten wie der wöchentlichen frommen Aufmunterung der Kandidaten im Codex vorgegeben war.306 Mit Blick auf das gesamte Ausbildungskonzept des CIC 1917 lässt sich zudem die starke Schwerpunktbildung im Bereich der religiösen Doktrin erkennen.307 Wie Hubert Wolf überzeugend darlegen konnte, handelte es sich beim tridentinischen Seminarmodell des 19. und 20. Jahrhunderts nicht um eine verspätete Umsetzung des Seminardekrets aus dem 16. Jahrhundert, sondern vielmehr um eine zeitbedingte authentische Interpretation desselben308 – der Klerus sollte in einer intellektuell hermetisch verschlossenen Welt gegen die Gefahren der modernen Welt immunisiert und auf Rom geprägt werden.309 Johann Baptist Westermayr310, zwischen 1921 und 1932 zunächst Subregens, dann bis 1945 Regens des Freisinger Klerikalseminars, legte 1931 im Rahmen eines Sammelbandes zu Fragen der katholischen Internatserziehung seine Sicht auf Ziele, Aufgaben und Probleme der geistlichen Berufserziehung nach tridentinischem Muster dar.311 Nach Westermayr obliegen dem Seminar drei Ausbildungsziele – ein aszetisches, ein wissenschaftliches und ein praktisches: Von einem guten Priester könne man nur sprechen, wenn dreierlei gegeben sei: »priesterliche Frömmigkeit und Tugend, priesterlicher Berufseifer, wissenschaftliche und praktische Befähigung zur Ausübung des Lehr-, Priester- und Hirtenamtes.«312 Die »Erziehung zu echt priesterlicher 305 Vgl. Brunner, Statuta, 307 f. 306 Vgl. Bitterli, Priesterseminar, 13. 307 Ebenda. 308 Vgl. Wolf, Priesterausbildung. 309 Gleiches gilt für die Neuscholastik, die kaum an die große Tradition der in viele Schulen untergliederten und diskussionsoffenen mittelalterlichen Scholastik anknüpfte, nach Weitlauff, Georgianerschicksale, 324 handelte es sich hierbei nur um deren »uniformierte[n] Verdünnung«. 310 Johann Baptist Westermayr, geb. am 11. 02. 1884 in Prittlbach, Priesterweihe 1908 in Freising, 1908– 1912 Präfekt am Erzbischöflichen Klerikalseminar, zugleich Dozent für Rhetorik und Homiletik, 1912–1921 Spiritual und Religionslehrer am Institut der Servitinnen in München, zugleich Benefiziums-Verweser bei München-St. Stephan, später Vorstand der Herzogspitalkirche, 1921–1932 Subregens am Erzbischöflichen Klerikalseminar, 1932 Regens ebenda (bis 1945), zugleich Dozent für Pastoraltheologie und Religionspädagogik an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Freising, 1946 ordentlicher Professor für Pädagogik, Religionspädagogik und Psychologie ebenda, seit 1947 Rektor ebenda, gest. am 22. 11. 1950; zu seiner Biographie vgl. AEM, Priesterpersonalakten P III 1960; Ziegler, Adolf Wilhelm, Freisinger Domberg, 661 f.; Madey, Westermayr. 311 Vgl. Westermayr, Berufserziehung. Da die pädagogischen Auffassungen Westermayrs für die diözesane Priesterausbildung von unmittelbarer Bedeutung sind, soll hier ausführlicher darauf eingegangen werden. 312 Vgl. Westermayr, Berufserziehung, 310. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Frömmigkeit und Tugend« ist für ihn die »wichtigste Aufgabe und verantwortungsvollste Obliegenheit des Priesterseminars.«313 Westermayr begründet dies damit, dass der Weltpriester im Gegensatz zum Ordensgeistlichen »den Gefahren des Weltlebens, der Veräußerlichung und der Verführung sowie der weniger kontrollierten Lebensweise in viel höherem Maße ausgesetzt ist als der durch die Klausur und viel strengere Aufsicht geschützte Ordensmann.«314 Darum käme es darauf an, die innere aszetische und religiöse Festigkeit zu stärken und zur Selbständigkeit zu führen. Dies werde zwar durch gewisse äußere Umstände erschwert, könne aber mit kluger Seminarpädagogik überwunden werden. Westermayr führte hierbei an, worin er die Übel der Zeit sah: ein auf »Außenkultur« eingestellter Zeitgeist, Unrast, ablenkende Einflüsse wie Presse und Radio, einseitige Pflege der Wissenschaft oder peripherer Interessen. Als Gegenmittel empfiehlt er die Pflege des Gebetsgeistes und Gebetseifers durch täglichen Messbesuch und Breviergebet, die Pflege der Innerlichkeit durch Betrachtung und private Andacht sowie die »tägliche Übung der Tugend und im besonderen auch der Abtötung der äußeren und inneren Sinne und des Eigenwillens.«315 Gerade dies biete »einen wirksamen Schutz gegenüber den offenen Gefahren des späteren Lebens und Wirkens in der Welt.«316 Der rhythmisierte Tagesablauf im Seminar wurde zum höheren Gesetz auch um der Disziplin willen, er stellte eine Form der Gehorsamsübung dar.317 Der Priester Aloys Goergen, zuvor nicht im Knabenseminar, erinnerte sich an seine Trierer Priesterseminarzeit und den dortigen Regens, der ihm beim Eintritt bedeutet habe: Aloys, […] wenn es morgens um halb sechs Uhr läutet, ist das die Stimme des Heiligen Geistes und wenn du zur Vorlesung gehst, ist das der Heilige Geist und die Tagesordnung, die ist Ausdruck des Heiligen Geistes. Und du bist jetzt also nicht mehr der Aloys Goergen, der Gauführer von der Saar, sondern du bist jetzt in meiner Hand wie Wachs. Ich werde dich kneten und einen Priester aus dir machen nach dem Herzen Gottes!318

313 Ebenda. 314 Ebenda, 311. 315 Ebenda, 312. 316 Ebenda. 317 Vgl. Deschwanden, Rollenanalyse, 131. 318 Vgl. EAM, Priesterbefragung 2003, Interview mit Aloys Goergen. Als Goergen, früh ein eigenwilliger Kopf und uniformierenden Tendenzen gegenüber abwehrend, sich dieser Pädagogik systematisch verweigerte, musste er das Seminar verlassen: »Und dann war ich einfach anders, wie ich war, war ich anders und das hat ihm [dem Regens; Th. Fo.] nicht gefallen. Nach einem Jahr hat er gesagt: ›Aloys, schau dich mal sonst wo um, hier in Trier bist du nicht der richtige Mann.‹ Da war ich rausgeflogen.« © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Bisweilen erweckten die Vorschriften der Seminarvorstände den Anschein einer Willkürherrschaft, zumal dann, wenn Fragen des Lebenswandels oder des rechten Glaubens überhaupt nicht berührt waren.319 Neben der Erziehung zu den priesterlichen Tugenden sah Westermayr in der Pflege und Vertiefung des Berufsgedankens die zweite wichtige Aufgabe des Klerikalseminars: »Im Besonderen wird es auf ein Dreifaches ankommen: auf eine tief innerliche übernatürliche Berufsauffassung, auf das berufliche Pflicht- und Verantwortlichkeitsgefühl und auf eine ideale Berufsfreude.«320 Zur Pflege des Berufsgedankens rechnete er auch die Vorbereitung auf den Zölibat, wobei aber unklar bleibt, wie diese konkret zu bewerkstelligen sei. Die dritte zentrale Säule der Seminarerziehung bildete für Westermayr schließlich die wissenschaftliche Ausbildung. Mit für einen Priesterausbilder gewiss ungewöhnlicher Schärfe, übte er hierbei Kritik an der »ungebührlichen Vernachlässigung der Zeitideen und -irrtümer […] zugunsten geschichtlich gewordener Lehren« innerhalb der traditionellen neuscholastischen bzw. neuthomistischen Theologie und mutmaßte spöttisch, dass man möglicherweise im Falle einer »Rücksichtnahme auf zeitbedingte Bedürfnisse der Seelsorge für Unabhängigkeit und wissenschaftliches Ansehen des Lehrfaches« fürchte.321 Zugleich beklagte er die Weltfremdheit so mancher durch diese Schule des Neuthomismus gegangener Theologen.322 Hingegen nehme die Pastoraltheologie, »die doch die unmittelbarste Beziehung zum eigentlichen Beruf des künftigen Seelsorgers« habe »im Organismus der theologischen Lehrfächer einen allzu bescheidenen Platz ein, der ihrer Bedeutung nicht gerecht wird.«323 Obgleich hier mit Westermayr selbst ein – von akademischen Berufsinteressen naturgemäß nicht freier – Pastoraltheologe für die Stärkung seiner Wissenschaft eintrat, lassen sich die Bestrebungen, die Kandidaten verstärkt an Zeitströmungen und Zeitfragen heranzuführen und ihnen damit einen besseren Start in die pastorale Praxis zu ermöglichen, vor allem auch in seiner eigenen Seminarführung erkennen. Dort stand etwa die Behandlung 319 So wurde es beispielsweise in den zwanziger Jahren Mode, schwarze Hornbrillen zu tragen. Der Direktor des Georgianums, der an sich liberale Eduard Weigl, mochte keine schwarzen Hornbrillen, warum auch immer, »diese Brillen erregten seinen Unmut« und er forderte die Kandidaten in einer Ansprache am Festtag der heiligen Lucia auf, diese Brillen nicht mehr zu tragen. In gleicher Weise verbot Weigel den Alumnen den Gebrauch von Spazierstöcken, offenbar weil er es schlichtweg lächerlich fand, dass junge Männer sich solcher bedienten; vgl. Vierbach, Eduard Weigl, 3. Abschnitt [unpaginiert]. 320 Westermayr, Berufserziehung, 314. 321 Ebenda, 315. 322 »So kommt es dann im besonderen, dass der durch die theologische Schule hindurchgegangene Seelsorger sich anfänglich so schwer tut, erst allmählich darauf kommt, wo es in der Welt eigentlich fehlt, sich erst mühsam in der Schule der Erfahrung den Weg von der Wissenschaft zum Leben, vom sachlichen ›Lehrgut‹ zu den individuellen Menschen bahnen muss und nur langsam, priesterlichen Eifer vorausgesetzt, die psychologische Methode findet […] sein theologisches, ohnehin mit einer rein sachlichen Begriffssprache assoziiertes Wissen in lebendige, heilwirkende, seelsorgliche Werte umzusetzen.« Westermayr, Berufserziehung, 316. 323 Ebenda. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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aktueller Zeitfragen, politischer und weltanschaulicher Themen regelmäßig auf der Tagesordnung. Zentral in Westermayrs Ausführungen erscheint immer wieder der Gedanke der Selbsterziehung der Kandidaten und die damit verbundene Auffassung, dass ohne die Erziehung zu einem hohen Maß an Eigenständigkeit und Eigenverantwortung nachhaltiger Erziehungserfolg nicht zu erzielen sei, da nach Beendigung des Seminarlebens aller äußerer Gehorsamszwang wegfalle und wirksame Kontrollen kaum noch stattfänden.324 In dieser zentralen pädagogischen Einsicht kommt ein grundsätzliches Dilemma zum Ausdruck. In seiner soziologischen Rollenanalyse des katholischen Priesters hat Leo von Deschwanden zwei unausgesprochene Kernziele des Sozialisationsprozesses bei Weltklerikern herausgearbeitet: Die Sicherung der Loyalität der Kandidaten der Kirche gegenüber einerseits, die Ausbildung der charismatischen Priesterpersönlichkeit andererseits.325 Diese hidden agenda der Kleruserziehung birgt in sich eine gewisse Widersprüchlichkeit, die der Kirche eine »außergewöhnliche, permanente Organisationsleistung«326 abverlangt. Denn die Seminarerziehung zielte im Wesentlichen nicht darauf ab, die Eigenverantwortlichkeit, soziale, pädagogische und wissenschaftliche Kompetenzen der künftigen Kleriker zu fördern. Stattdessen standen »Gehorsam, Ehrerbietung und Demut gegenüber den Oberen« zuvörderst auf der Agenda, diese bildeten die

324 Vgl. Westermayr, Berufserziehung, 317: Westermayr plädierte in diesem Zusammenhang etwa für die Schaffung von Einzelzimmern für die älteren Kandidaten und begründete dies ausführlich vorwiegend mit der Gewöhnung an Umstände, die spätestens nach der Beendigung der Seminarzeit mit dem »einsamen Kaplanszimmer« unweigerlich eintreten würden. Dass diese Vorstellung jedoch in Freising während der Amtszeit Westermayrs nie umgesetzt wurde, zeigt die Grenzen, welche die Praxis seiner theoretischen Konzeption setzte. Auch ein Pädagoge wie Reuss, Ausbildung, 92 f. sah in der Erziehung zur »Eigenständigkeit« und »Eigenverantwortung« die Erziehung zum »echten Gehorsam« und im »Ja zur Autorität um ihretwillen« die Erfüllung des Willens Gottes nach dem Muster von Christi Bejahung des Kreuzestodes, der gleichfalls keinem äußeren Zwang geschuldet wurde. Diese Imitatio Christi im Hinblick auf dessen Gehorsam gegenüber dem Vater, nun als Gehorsam des Klerikers gegenüber der Kirche, war eine Argumentationsform, welche die Enzyklika Ad catholici sacerdotii gebraucht hatte, die sich innerhalb des der Heiligkeit und dem Tugendleben des Priesters gewidmeten dritten Abschnittes auch mit dem »Gehorsam am Beispiel Jesu Christi« beschäftigte: »In der Tat wollte der göttliche Hohepriester, dass sein ganz vollkommener Gehorsam gegen den himmlischen Vater uns in ganz besonderer Weise offenbar würde, und deshalb sind die Zeugnisse der Propheten und Evangelisten für diese restlose und vollkommene Unterwerfung des Sohnes Gottes unter den Willen des Vaters sehr zahlreich.« Und nach Anführung einiger Beispiele für den Gehorsam Jesu: »Er wollte damit zeigen, wie auch der glühendste Eifer immer dem Willen des Vaters vollkommen untergeordnet sein müsse, mit andern Worten, stets geregelt sein müsse durch den Gehorsam dem gegenüber, der für uns die Stelle des Vaters im Himmel vertritt und uns seinen Willen übermittelt, das heißt, gegenüber den rechtmäßigen kirchlichen Oberen.« 325 Vgl. Deschwanden, Rollenanalyse, 130 f. 326 Ebenda, 130. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Leitideale, auf die der geistliche Nachwuchs eingeschworen wurde. Als Repräsentant des Papstes und als handgreifliche Manifestation kirchlicher Autorität auf Bistumsebene profitierte zuerst und unmittelbar der Ortsbischof von dieser Sozialisation zur Subalternität, die ihren Gipfelpunkt in dem Gehorsamsgelübde fand, durch das sich jeder Priester bei der Weihe an die Person ›seines‹ Bischofs band,327

so Norbert Busch. Im Hinblick auf die theologische Wissenschaft wird dies vor allem im Projekt der theologischen »Diskurshomogenisierung«328, in der Fixierung auf die Neuscholastik und ihren Kampf gegen alle progressiv-sozialphilosophischen Strömungen und der Konzentration auf die kirchlichen Dogmen deutlich.329 Die aus Sicht der Hierarchie notwendige Prägung der Kandidaten, die Erzeugung der erforderlichen moralischen Einstellung zur Kirche und die Anerkennung und Internalisierung ihrer internen Machthierarchie und deren Normen kollidierte mit dem Ziel der sukzessiven Entwicklung charismatischer und patenter Persönlichkeiten, die sich nach Abschluss der Ausbildung »vom ersten Tag an durch einen diffusen persönlichen Einfluss auf die normative Orientierung anderer auszeichnen«330 und diese Ordnung habituell auch selbst verkörpern sollten. Die Klerikerausbildung hatte wenig mit dem späteren Tätigkeitsprofil eines Weltpriesters zu tun. Sie schuf lediglich die formal geforderten Voraussetzungen für diesen Dienst und diente der Normierung und Strukturierung des Glaubensdiskurses, während selbst die praktischen Kenntnisse – etwa die Predigtlehre, die Katechetik, also zum Beispiel die Beschäftigung mit der Frage, wie denn später in der Schule den Kindern die Glaubensbotschaft nahe gebracht werden sollte, oder der »Geistliche Geschäftsstil«, für die praktische Bewältigung der vielfältigen administrativen Aufgaben eines Klerikers – im Klerikalseminar im Zuge einiger Kurse gewissermaßen nur am Rande vermittelt wurden.331 Der kulturelle Rahmen des Priesterseminars entsprach zudem in keiner Weise der technisch-rationalen Welt der Moderne, mit welcher der Priester später konfrontiert werden sollte. Die Ausbildung war geradezu geprägt von einer systematischen Weltentfremdung. Die Kirche und ihre Glieder bildete die primäre Bezugsgruppe der jungen Theologen, Interaktionen mit anderen Bezugsgruppen wurden systematisch gemieden oder verhindert. Neben Außenkontakten waren auch Fraternisierungen untereinander, 327 Busch, Frömmigkeit und Moderne, 212 f. 328 Vgl. hierzu Bucher, Kirchenbildung, 56–62. 329 Nach Bucher, Kirchenbildung, 61, kommt in der Neuscholastik ein Theologie- und Glaubenskonzept zum Ausdruck, welches Glaube als »Zustimmung zu den von der kirchlichen Autorität vorgelegten Sätzen sowie zu den sich aus ihnen und aus dem von der Kirche autoritativ interpretierten Naturgesetz ergebenden Handlungsnormen« begreift. 330 Deschwanden, Rollenanalyse, 130. Als Charisma bezeichnet Deschwanden in Anlehnung an den amerikanischen Soziologen Amitai Etzioni »die Fähigkeit eines Akteurs, diffusen und intensiven Einfluss auf die normative Orientierung von anderen Akteuren auszuüben«; vgl. ebenda, 125 Anm. 4. 331 Entsprechend häufig waren später Klagen über mangelhafte Geschäftsführung der Pfarrer, etwa in den Protokollen der Ordinariatssitzung. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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die so genannten Partikularfreundschaften, die als »Störung des gemeinschaftlichen Lebens« betrachtet wurden, nicht erwünscht.332 Die strikte Absonderung der Seminaristen von den »vermeintlich verderblichen Einflüssen der Außenwelt«, bildete ein probates Mittel, um eine ausschließliche Fixierung auf die klerikale Hierarchie und Gehorsam gegenüber dieser zu erreichen.333 Diese Sozialisierung stand beim Weltgeistlichen in einem scharfen Gegensatz zu seinem späteren Interaktionsnetz, das primär von der Beziehung zur außerkirchlichen Welt der Laien geprägt ist, d. h. vor allem von der sozialen Interaktion mit den Gemeindemitgliedern, auf die seine Tätigkeit als Geistlicher bezogen ist, aber auch mit den Repräsentanten der weltlichen Behörden, Ämter und Parteien.334 Insofern bereitete die übliche Praxis der Kleruserziehung nur sehr bedingt auf die tatsächlichen Anforderungen des späteren Berufslebens vor, sie diente vor allem der Formung der priesterlichen Identität und der Ausprägung des klerikalen Habitus, die Sozialisierung im Seminar bezweckte die Internalisierung der »totalen Rolle«335 des Klerikers.

2.4.2 Das Klerikalseminar auf dem Freisinger Domberg Die historische Entwicklung der Priesterausbildungsstätten in der Erzdiözese München und Freising stellt sich relativ komplex dar. Bei dem 1494 ursprünglich in Ingolstadt begründeten Herzoglichen Georgianum handelte es sich um eine Stiftung des Landesherrn.336 Seit 1826 war das Georgianum mit der seit diesem Zeitpunkt in München angesiedelten Universität verbunden und diente der Unterbringung der dort studierenden Theologen. Das Georgianum war nicht dem Ortsbischof unterstellt und konnte deshalb innerhalb eines gewissen Rahmens von diesem autonom agieren.337 Es war zudem auch dadurch, dass stets einer der Lehrstuhlinhaber aus den Fächern 332 Vgl. hierzu Winkler, Friedrich, Internatserziehung, 207 f. Zumal diese als »Ersatz für die in der Abgeschlossenheit des Internates nicht mögliche Liebe zu einem Mädchen« (Demal, Pastoralpsychologie, 291) immer die latente Gefahr der Entwicklung gleichfalls unerwünschter homoerotischer Beziehungen in sich bargen. 333 Busch, Frömmigkeit und Moderne, 213. 334 Vgl. Deschwanden, Rollenanalyse, 131. 335 Als totale Rolle des Klerikers charakterisierte Deschwanden, Rollenanalyse, 124 f. das Phänomen, »dass beim Priester auch heute noch das Großgebilde Kirche sein persönliches Leben genauso erfasst wie sein öffentliches.« Im Gegensatz zu einer öffentlichen Amtsperson, die über die Möglichkeit des Rückzugs in ein alternativ strukturiertes Privatleben verfüge, stehe dem Priester dies qua Rollendefinition nicht zur Verfügung. »Ein allgemein anerkanntes Privatleben, wie es in der hochspezialisierten Gesellschaft üblich und funktional notwendig ist, gibt es bei ihm nicht.« Deschwanden sprach in Bezug auf die priesterliche Existenz deshalb auch von einer »mittelalterlichen Sozialform«. 336 Zu seiner Geschichte vgl. Dürig, Georgianum; Schwaiger, Georgianum; Schwaiger, Georgianum 1494–1994 (mit älterer Literatur), v. a. zur rechtsgeschichtlichen Entwicklung Brunner, Statuta; Unterburger, Zwischen Universität und bischöflicher Kontrolle. Vgl. zu Archiv und Sammlungen auch Stein, Georgianum. 337 Brunner, Statuta, 219 zählt es wegen dieses Merkmals nicht zu den tridentinischen Seminaren. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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der praktischen Theologie an der Münchener Fakultät das Rektorat ausübte, relativ stark an die Katholisch-Theologische Fakultät angebunden.338 Diese Nähe kam auch durch die räumliche Unterbringung der Einrichtung im Universitätsbau Gärtners an der Ludwigstraße zum Ausdruck. Das Georgianum wurde nur für einen kleineren Teil der Diözesanpriester zum Seminar. Drei Viertel der Kleriker erhielten ihre Ausbildung ausschließlich im diözesanen Seminar in Freising.339 Ein diözesaneigenes Priesterseminar auf dem Freisinger Domberg war unter Bischof Joseph Clemens von Freising (1685–1694) erstmals im Jahr 1691 eingerichtet worden, wurde unter seinem Nachfolger aber wegen diverser Streitigkeiten bereits 1696 wieder aufgehoben.340 In der Folge gab es in Freising nur noch ein Lyzeum unter Obhut der Benediktiner, das bereits 1697 mit einer Art Knabenseminar gekoppelt wurde.341 Erst 1719 wurde in Freising ein neues Priesterseminar förmlich eröffnet, »das für die höheren Studien gedacht war und auf den Empfang der Priesterweihe und den Seelsorgedienst in der eigenen Diözese vorbereiten sollte.«342 1776 wurde unter Erzbischof Ludwig Joseph von Welden ein weiteres Seminar in Dorfen im östlichen Teil der Erzdiözese errichtet. Hier – fern jeder Universität oder höheren Lehranstalt – zielte die Ausbildung aber überwiegend auf praktische Seelsorgeaufgaben und die zu führende Verwaltung ab. Bei der Aufnahme mussten die Bewerber ihr Studium in den theologischen Hauptfächern bereits abgeschlossen haben.343 Mit der Säkularisation wurden die Priesterausbildungsstätten in Freising und Dorfen aufgelöst. Im Regelfall waren die Kandidaten für den Priesterberuf nun darauf angewiesen sich selbständig unter hohem Kostenaufwand am Lyzeum in München oder an der Universität in Landshut die nötigen Kenntnisse zu verschaffen.344 Hoher Priestermangel war die Folge. Zur Neugründung eines diözesaneigenen Klerikalseminars auf dem Freisinger Domberg kam es erst unter Erzbischof Gebsattel im Jahre 1826. Im Freisinger Klerikalseminar wurde von seiner Gründung bis zur Auflösung im Jahr 1968 die Mehrzahl des Klerus der Erzdiözese München und Freising ausgebildet. Die Leitung des Seminars war in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts durch personelle Kontinuität geprägt. Seit 1920 stand der Diözesanpriester Peter Röhrl345 dem 338 Vgl. Böhm, Universität München, 381 Anm. 110. 339 Auch am Canisianum in Innsbruck studierten in den 1920er Jahren Münchener Theologen, jedoch nie mehr als zehn. Ab 1927 nahm ihre Zahl dann deutlich ab, vgl. Seiler, Statistik, 302 f. 340 Vgl. Brunner, Statuta, 62 und 64. 341 Vgl. ebenda, 146. 342 Ebenda, 148. Brunner sprach diesem jedoch ebenfalls den »tridentinischen Charakter« ab, weil die Leitungsgewalt des Bischofs zugunsten der Benediktiner eingeschränkt war, vgl. Brunner, Statuta, 152. Dabei wäre freilich mit Wolf, Priesterausbildung, die Frage zu stellen, in welchem Umfang in dieser Zeit überhaupt Seminare existierten, die den tridentinischen Gedanken in reiner Form verwirklichten. 343 Vgl. Brunner, Statuta, 199–202. 344 Vgl. ebenda, 271. 345 Peter Röhrl, geb. am 02. 05. 1875 in Königsreit, Priesterweihe 1898 in Freising, Kaplan in Altenerding, 1899 Präfekt am Erzb. Knabenseminar in Freising, 1905 Subregens am Erzb. Klerikalseminar in © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Seminar als Direktor vor. Als Röhrl nach zwölfjähriger Tätigkeit im Oktober 1932 in das Münchener Domkapitel gewählt wurde, folgte ihm Johann Baptist Westermayr als Regens nach. Dieser hatte unter der Leitung Röhrls bereits 11 Jahre als Subregens amtiert.346 Westermayr, der aus einfachen bäuerlichen Verhältnissen im Dachauer Hinterland stammte, konnte auf eine große praktische Erfahrung in der Theologenausbildung zurückblicken. Seine Zeugnisse waren sowohl in fachlich-theologischer als auch hinsichtlich seiner seelsorglichen Qualifikationen exzellent und bescheinigten ihm »musterhafte Gewissenhaftigkeit und Gründlichkeit«347 – sein priesterlicher Lebenslauf war unzweifelhaft vorbildlich.348 Sein Nachfolger wurde 1945 Michael Höck349, der sich weniger aufgrund pädagogischer Erfahrungen,350 als seiner hohen

Freising, 1906 Direktor des Erzb. Knabenseminars in Freising, 1920 Regens des Erzb. Klerikalseminars Freising, 1932 vom Metropolitankapitel zum Domkapitular gewählt, im Erzb. Ordinariat zuständig für das höhere Schulwesen, 1934 auch Vorsitzender des Diözesancaritasverbandes, gest. am 06. 02. 1935; zu seiner Biographie vgl. AEM, Metropolitankapitel, Personalakt; Nesner, Metropolitankapitel, 557 f. 346 Mit der Ernennung Westermayrs wurde die in München bis dahin übliche Dienstbezeichnung Direktor abgeschafft und die in Deutschland sonst allgemein übliche Bezeichnung Regens für den Leiter des Klerikalseminars eingeführt. 347 AEM, Priesterpersonalakten P III 1960, Allgemeine Seelsorgsqualifikations-Noten. Im Pfarrkonkurs 1913 hatte Westermayr den 1.Platz (von 87) mit der Note 1,5 belegt. 348 Dennoch musste ihn Faulhaber zur Übernahme der Regentie mehr oder weniger nötigen, da Westermayr lieber die akademische Laufbahn weiter verfolgt hätte; vgl. EAM, NL Faulhaber 5771/2, Bericht der Apostolischen Visitation im Klerikalseminar Freising 1939. Dieser Bericht bemerkte zu Westermayr ferner: »Als Priester von untadeligem Charakter. Hat auch in den letzten Jahren ohne größere Zusammenstöße den modus vivendi mit den städtischen Behörden gefunden. Gegner von Konnersreuth, ohne es unfreundlich zu äußern. Erzieht in streng kirchlichem Geiste.« Das Urteil über Subregens Dr. Wilhelm Lurz im selben Bericht fiel hingegen äußerst mangelhaft aus: »… als Priester ebenfalls untadelig, dagegen ohne rechte Initiative, ängstlich und verzagt, öfters von Krankheit heimgesucht und infolgedessen überaus ängstlich um seine Gesundheit besorgt […] wird voraussichtlich nicht mehr sehr lange Zeit den Aufgaben der heutigen Zeit gewachsen sein.« 349 Michael Höck, Dr. phil., Dr. theol., geb. am 20. 09. 1903 in Inzell, 1924–1931 Studium am Germanikum, Priesterweihe 1930 in Rom, 1931 Präfekt am Knabenseminar in Freising, 1934 Schriftleiter der Münchener Katholischen Kirchenzeitung; 1938 Benefiziums-Verweser am Münchener Dom, zugleich inoffizielle Weiterarbeit an der MKKZ (ohne Zulassung der Reichsschrifttumskammer); 1940 Pfarrvikar in München St. Benno, 1941 Kurat in München-Fasanerie Nord, im Mai 1941 wegen seiner Tätigkeit für die MKKZ Verhaftung durch die Gestapo, über Berlin und Oranienburg kommt H. im Juli 1941 in das KZ Dachau, wo er als Sonderhäftling bis 05. 04. 1945 interniert wird. Nach der Befreiung im Mai 1945 zunächst Pfarrvikar in Zweikirchen, im Dezember 1945 Regens und Dozent für Pastoral im Klerikalseminar Freising, 1958 Pfarrer von Rimsting, 1963 Ordinariatsrat und Priesterreferent, 1968 Direktor des Bildungszentrums Freising, Rektor der Freisinger Domkirche, 1974 Versetzung in den Ruhestand, gest. am 31. 05. 1996; vgl. AEM, Priesterpersonalakten P IV 92. 350 Lediglich von 1931 bis 1934 hatte Höck als Präfekt im Freisinger Knabenseminar amtiert. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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moralischen Integrität und des Ansehens, das er im Klerus aufgrund seiner langjährigen KZ-Haft genoss, für dieses Amt empfahl.351 Die Freisinger Regenten hatten, auch aufgrund der Tatsache, dass der Bischof in München saß und fast nur zu den Weihen nach Freising kam, weitgehenden Einfluss auf das Seminarleben und übten eine Art Statthalterfunktion für den Bischof aus.352 Neben dem Regens amtierte ein Subregens als sein Vertreter, ein Spiritual, der auch für das Knabenseminar zuständig war sowie zwei oder drei Präfekten. Letztere wechselten ihre Stellen häufiger. Es waren wie im Knabenseminar wiederum vor allem junge Geistliche, denen man aufgrund ihres Alters zutraute, ein Vertrauensverhältnis zu den Kandidaten aufzubauen. Regens, Subregens und Präfekten waren zugleich auch Dozenten der Fächer für die Praktische Theologie wie der Religionspädagogik und der Liturgie, aber auch der Rhetorik oder der Kirchenmusik, die als Ergänzung zum Studium an der Hochschule innerhalb des Klerikalseminars gelehrt wurden.353 Eine Sonderstellung hatten die Spirituale, deren Amt erst zu Beginn der 1920er Jahre in Freising eingeführt wurde.354 Sie begleiteten die Seminaristen in geistlicher Hinsicht persönlich und individuell und hatten die Aufgabe, sie in eine spirituelle Lebensweise einzuführen. Entsprechend der kirchlichen Vorschriften unterstanden die Spirituale in Ausübung ihres Amtes als Seelenführer (forum internum) nicht der Seminarleitung (forum externum), sie durften etwa dem Regens oder sonstigen Personen nicht über das ihnen im persönlichen Seelsorgegespräch Anvertraute berichten.355 Die Spirituale fungierten oft als Beichtväter der Kandidaten, jedoch war diesen grundsätzlich das Recht der freien Wahl eines Beichtvaters zugestanden.356 351 Vgl. zum besonderen Nimbus Höcks aufgrund seiner KZ-Haft etwa das Interview mit Alfred Läpple, in: Pfister, Ratzinger, 115–127, hier 123. Nach dem Tod von Weihbischof Johannes Neuhäusler (gest. 1973), entwickelte sich der greise Höck im Verlauf der 1980er Jahre in der offiziellen Außendarstellung der Erzdiözese zur Projektionsfigur des kirchlichen Widerstands schlechthin und nahm eine wichtige Funktion für die Selbstlegitimation des Klerus im Rahmen des Widerstandsdiskurses in der Bundesrepublik ein. 352 Die Studentenschaft der Freisinger Hochschule bemerkte hierzu im Januar 1926 kritisch: „Der hochwürdigste Herr Kardinal regirt [sic!] in München und kommt nur zu gewissen Pontifikalfunktionen u[nd] zu den h[ei]l[igen] Weihen nach Freising. Diesem Umstande entspringt der vielbedauerte Mangel eines gewissen engeren Zusammenlebens u[nd] persönlichen Einvernehmens zwischen Theologen und Bischof. Der Direktor des erzbischöfl. Klerikalseminars (z[ur] Z[eit] H. H. Peter Röhrl) hat aber demzufolge umso größere Vollmachten und Jurisdiktion gegenüber der Seminarordnung und den Priesteramtskandidaten; vgl. einen nicht näher datierten Bericht der Studentenschaft der Philosophisch-Theologischen Hochschule Freising aus der Amtszeit von Regens Peter Röhrl [vermutlich zwischen 1925 und 1932 verfasst], hier zit. nach Schröder, Hochschulen in Bayern, 33 Anm. 122. 353 Vgl. die Einträge in den Schematismen, etwa Schematismus 1934, XVIII; Schematismus 1939, XX. 354 Das Amt des Spirituals war in den Priesterseminaren vor der Einführung des Codex Iuris Canonici 1917 allgemein nicht üblich. 355 Vgl. Jansen, Spiritual. 356 Den Seminarvorständen (Regens und Präfekten) war es hingegen nicht gestattet, als Beichtväter der Kandidaten zu fungieren, so sollte eine strikte Trennung zwischen innerer und äußerer Führung erreicht werden. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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In Freising wurde dieses Amt von Jesuiten ausgeübt.357 Es Ordensgeistlichen anzuvertrauen, entsprach der allgemein üblichen Praxis. Von 1922 bis 1928 wirkte Pater Robert von Nostiz-Rieneck S. J. als Spiritual im Klerikal- und Knabenseminar, sein Nachfolger wurde 1929 sein Ordensbruder Pater Eugen Schmid S. J., der bis in die Nachkriegszeit in Freising tätig war. Von Nostiz-Rieneck358, Jurist und Theologe aus altem böhmischen Adel, war ursprünglich Gymnasiallehrer am Jesuitenkolleg Stella Matutina in Vorarlberg gewesen, bevor er im Alter von bereits 66 Jahren in Freising sein Amt antrat. Er galt als tiefsinnige, charismatische Persönlichkeit mit umfassender Bildung, pädagogischem Geschick und großer menschlicher Weite, litt jedoch persönlich etwas darunter, dass seine Aufgaben stets unter seinen intellektuellen Fähigkeiten geblieben waren.359 Im Gegensatz zu ihm war der wesentlich jüngere P. Eugen Schmid S. J.360, zuvor ebenfalls Lehrer an der Stella Matutina, nicht nur Münchner, sondern auch ehemaliger Diözesanpriester der kurz nach dem Ersten Weltkrieg in den Jesuitenorden eingetreten war. Schmid zum Freisinger Spiritual zu berufen war eine persönliche Entscheidung Faulhabers, der den für seine scharfen und klaren Argumentationsweisen und seine strenge jesuitische Spiritualität bekannten Pater hoch schätzte. Schmid galt als theologisch konservativ und blieb auch in seinen Methoden dem Zeitgeist abgewandt. Bereits die Zeitgenossen charakterisierten ihn als »unmodern« und von »wenig jugendgemäße[r] Art«.361 Geschätzt war er vor allem bei denen, die innere Führung suchten, andererseits »fand er wenig Zugang bei den Alumnen, denen Liturgische Bewegung wichtiger war als ignatianische Askese, denen theologisch nur der neueste Schlager, damals die Lehre vom Corpus Christi Mysticum, imponierte.«362 Die Seminarjahre begannen in Freising bis Mitte der 1930er Jahre jeweils Ende Oktober mit der Rückkehr der Kandidaten aus den Sommersemesterferien und dem Eintreffen der Neuen. Traditionell beging man den Semesteranfang mit Exerzitien, die helfen sollten, nach drei Monaten Ferien in den strukturierten Seminaralltag zurück-

357 Eine entsprechende Vereinbarung mit dem Jesuitenorden war mittels eines Gestellungsvertrags zwischen der Erzdiözese München und Freising und der Oberdeutschen Provinz der Jesuiten vom 31. 03. 1922 getroffen worden, vgl. EAM, NL Faulhaber 5776/1. 358 Robert von Nostiz-Rieneck, geb. am 18. 03. 1856 in Slabez (Böhmen), Priesterweihe am 04. 06. 1881, am 04. 10. 1881 Eintritt in den Jesuitenorden, letzte Gelübde am 02. 02. 1895, gest. am 16. 07. 1929. Für die Auskunft zu den Lebensdaten danke ich Dr. Clemens Brodkorb, Archiv der deutschen Provinz der Jesuiten, München. 359 Vgl. den Nachruf von Ernst Böminghaus in: ArchProvGermSJ, Abt. 73, Nr. 4a. 360 Eugen Schmid, geb. am 06. 02. 1884 in München, Priesterweihe am 29. 06. 1907, am 13. 01. 1919 Eintritt in den Jesuitenorden, letzte Gelübde am 02. 02. 1933, gest. am 08. 01. 1970. Für die Auskunft zu den Lebensdaten danke ich Dr. Clemens Brodkorb, Archiv der deutschen Provinz der Jesuiten, München. 361 Nachruf von Franz Löwenstein, in: ArchProvGermSJ, Abt. 74, Nr. 6a. 362 Ebenda. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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zufinden.363 Die Weihnachtsferien, die das Wintersemester unterbrachen, waren zumeist nur kurz und begannen am zweiten Weihnachtsfeiertag und endeten für die Alumnen bereits am Tag vor dem Dreikönigsfest, für die übrigen Studierenden einige Tage später.364 Die bereits im Frühjahr gelegenen Wintersemesterferien begannen an der Hochschule vor dem Osterfest. Die Seminargemeinschaft blieb jedoch auch über die Feiertage beisammen, bis die Kandidaten nach Hause entlassen wurden. Fünf Wochen nach Ostern begann das in Abhängigkeit vom Ostertermin unterschiedlich lange Sommersemester, welches jeweils Ende Juli endete.365 Die Freisinger Seminarstatuten, in den 1920er Jahren nur geringfügig angepasst, entsprachen im Wesentlichen noch der Ursprungsfassung von 1826.366 Das geistliche Leben strukturierte den Alltag. Gemeinsames Morgen- und Abendgebet waren ebenso üblich wie die tägliche Hl. Messe und eine tägliche halbstündige Betrachtung367 mit Gewissenserforschung. Die Beichte war nach Möglichkeit wöchentlich abzulegen, der häufige Kommunionempfang war anempfohlen, ferner die tägliche Lektüre in der Heiligen Schrift und in sonstiger geistlicher Literatur.368 Geistliche Exerzitien wurden alljährlich mindestens einmal gehalten.369 Die Höhepunkte im Jahreslauf wurden vorwiegend durch die kirchlichen Hochfeste und Ereignisse bestimmt. Dem Fest des Diözesanpatrons Korbinian im November, dem Weihnachtsfest, den niederen Weihen zum Ende des Wintersemesters im März oder April, dem Osterfest, dem Pfingstfest und der Priesterweihe Ende Juni. Hinzu kamen Feiern zum Papstsonntag, 363 Die Beschreibung des Jahreslaufs anhand der Freisinger Seminarchroniken 1920–1932 und 1932– 1945 in EAM, NL Faulhaber 5770/2 und 5771/1. 364 Für die Priesterseminaristen waren die zeitgenössischen Begriffe Theologen, Kandidaten, Konviktoren und Alumnen üblich, die verschiedene Bedeutungsnuancierungen haben. Alumnen bezeichnete nur diejenigen der Seminaristen, die sich im letzten Studienjahr, dem sog. Alumnatskurs, auf die Priesterweihe vorbereiten. Die übrigen werden als Konviktoren bezeichnet. Die Begriffe Theologe und Kandidat beschreiben den einzelnen studierenden Seminaristen, gleichgültig welcher Ausbildungsstufe, wobei bei ersterem Begriff eher der Aspekt des Hochschülers, bei letzterem eher der des Priesteramtskandidaten und Seminaristen betont wird. Ganz im Gegensatz zum heutigen Sprachgebrauch ist mit dem Begriff Theologe stets ein noch in Ausbildung befindlicher Mann bezeichnet, für einen bereits zum Priester Geweihten wurde der Begriff nicht verwendet. 365 Vgl. auch EAM, NL Faulhaber 5870, Satzungen für die Studierenden an den Philosophisch-Theologischen Hochschulen (vom Juni 1924), hier § 24. Veränderungen und Vereinheitlichungen der Ferientermine an den Hochschulen ab Mitte der 1930er Jahre führten zu einer Vorverlegung der Semester und der Ferien um etwa einen Monat. Dies wurde als unglücklich empfunden, vor allem weil es im Hinblick auf das liturgische Jahr, insbesondere auf den Ostertermin, ungünstig war; vgl. EAM, NL Faulhaber 5771/1, Chronik des Erzbischöflichen Klerikalseminars Freising 1932–1945, 16. 366 Vgl. Brunner, Statuta, 316. 367 Unter Betrachtung versteht die katholische Kirche ein »ernstes Nachdenken und Erwägen von Glaubenswahrheiten« zu dem Zweck diese zu verinnerlichen und das Leben an ihnen auszurichten. Die Betrachtung galt als »fast unumgängliches Mittel« für ein an der christlichen Vollkommenheit orientiertes Leben; vgl. Schubert, Betrachtung. 368 Vgl. Brunner, Statuta, 320 f. 369 Vgl. EAM, NL Faulhaber 5771/1, Bericht über die Seminarkonferenz am 13. 11. 1933. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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anlässlich der Weihejubiläen des Erzbischofs oder der Mitglieder des Domkapitels, festliche Gottesdienste mit den bayerischen Bischöfen anlässlich der jährlichen Freisinger Bischofskonferenzen und der gelegentliche Besuch hochrangiger kirchlicher Würdenträger, die sich dem Seminar verbunden fühlten.370 Das Alltagsleben der Kandidaten im Seminar vollzog sich, wie auch schon bei den Knabenseminaristen im Wesentlichen in den hierfür vorgesehen Gemeinschaftsräumen: in den auch hier Museen genannten Studiensälen, im Speisesaal oder in der Seminarkapelle, nachts in den Schlafsälen. Jedem Kandidaten war in den jeweiligen Sälen ein eigener Platz zugewiesen, der ohne Wissen der Hausleitung nicht verändert oder getauscht werden durfte.371 Die sanitären Einrichtungen waren Mitte der 1920er Jahre unzureichend und gaben entsprechend Anlass zu studentischer Kritik.372 Innerhalb wie außerhalb des Seminars hatte das Verhalten der Kandidaten stets »wohlgesittet und klerikal«, ihr Auftreten »einfach, ungekünstelt und edel« zu sein, unschickliches und unstandesgemäßes Verhalten war generell zu meiden. Hierzu zählten auch elementare jugendliche Lebensäußerungen wie »Laufen, Lärmen, Singen, Rufen und Lachen«.373 Die Seminarregeln sahen zudem ähnlich wie im Knabenseminar das Schweigen zu bestimmten Zeiten und in bestimmten Räumen vor. Immerhin gab man zu Beginn der 1920er Jahre die bis dahin praktizierte Überwachung des gesprochenen Wortes in den Speisesälen durch die Platzierung der Präfekten und Subpräfekten an den jeweiligen Tischenden auf.374 Dennoch blieben die Verhältnisse in hohem Maße einengend. 370 Höhepunkte, die aus dem Alltag dieser Jahre besonders herausragten, waren die 1200-Jahr-Feier der Errichtung des Bistums durch Korbinian im Jahr 1924 und die 100-Jahr-Feier des Klerikalseminars im Jahr 1926; vgl. die Berichte über diese Ereignisse in: EAM, NL Faulhaber 5770/2, Chronik des Erzbischöflichen Klerikalseminars Freising 1920–1932 und NL Faulhaber 5771/1, Chronik des Erzbischöflichen Klerikalseminars Freising 1932–1945. 371 Vgl. Brunner, Statuta, 325 f. Nur für den Krankheitsfall standen Einzelzimmer zur Verfügung, um die Gesunden von den Erkrankten trennen und den letzteren Ruhe verschaffen zu können. 372 In den 1920er Jahren erschienen mehrere von den Studierenden der Philosophisch-Theologischen Hochschule bzw. den Klerikalseminaristen herausgegeben Faschingszeitungen, die eine hervorragende Quelle für die Stimmungslage in diesen Einrichtungen bieten. Einzelne Exemplare haben sich im Bestand der Dombibliothek Freising erhalten. Vgl. hier Der Scheinwerfer [Faschingszeitschrift der Freisinger Klerikalseminaristen], Nr. 5, 1928, 3: In einer satirischen »statistischen Erhebung« wurde hier festgestellt, es befänden sich im Haus »2 Badewannen (für 150 Herren)«, womit die Studierenden gemeint waren, und »1 bessere Badewanne (für 5 Herren)«, womit die Vorstandschaft des Seminars gemeint war. Obwohl es sich hierbei um Satire und damit in gewissem Maße vermutlich auch um eine Überzeichnung der Realität handelte, dürfte ihr – wie jeder Satire – doch ein tatsächlicher Missstand zugrunde gelegen haben. 373 Brunner, Statuta, 326 und 323. 374 EAM, NL Faulhaber 5770/2, Chronik des Erzbischöflichen Klerikalseminars Freising 1920–1932, 15. Zur studentischen Kritik an der Zensur des gesprochenen Wortes bei Tisch vgl. Der Scheinwerfer [Faschingszeitschrift der Freisinger Klerikalseminaristen], Nr. 3, 1926, 3: »Die weißen Wände des Speisesaals haben während der vergangene großen Ferien einen funkelnagelneuen Anstrich erhalten, damit sie nicht wieder zu erröten brauchen, wenn darin etwas gesagt wird, das all. d. Haare zu Berge stehen lässt.« Die eigenwillige Abkürzung »all. d.« kann mit »allen die« aber © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Abb. 5: Der Kandidat Gottfried Simmerding an seinem Studienpult in einem Museum des Freisinger Klerikalseminars. Die linke Hand bedient den Drahtauslöser der Kamera. Der Besitz eines Photoapparats war seinerzeit absolut unüblich für einen Seminaristen. Simmerding stammte – im Gegensatz zu vielen anderen – aus wohlhabender Familie. Foto um 1926/27, Sammlung Simmerding, München.

Als 1937 vier Kandidaten, die den Führerschein machen wollten, hierzu ein Gesuch einreichen mussten, diskutierte sogar die Ordinariatssitzung unter dem Vorsitz des Kardinals das Für und Wieder, bevor das Ansinnen schließlich abgelehnt wurde.375 Die freie Zeit der Studierenden war äußerst knapp bemessen, ihr Alltag vollzog sich unter dem Diktat der Uhr und war streng reglementiert. Zwischen geistlichen Übungen und Vorlesungsbetrieb blieben täglich insgesamt nur 1 ½ Stunden für private Verrichtungen und auch hier waren die Möglichkeiten, wie diese auszufüllen waren, durch die vielen Ordnungen stark eingeschränkt.376 Tatsächlich kam es hierüber häufiger zu Konflikten zwischen Seminarleitung und Studentenschaft, zumal auch das Schlafbedürfnis der Studenten innerhalb der vorgeschriebenen Ruhezeiten

auch mit »Allerhöchst dieselben« aufgelöst werden, der Anrede, wie sie in Bayern und anderswo für den monarchischen Herrscher im Verlauf eines Schreibens bis zum Ende der Monarchie üblich war, wobei es sich dann um eine Kritik am autokratischen-autoritären Gebaren der Seminarvorstände handeln würde. 375 Vgl. AEM, Ordinariatssitzungsprotokoll vom 29. 10. 1937. 376 Dementsprechende Klagen wurden in der Studentenschaft auch des Öfteren laut, vgl. Schröder, Hochschulen in Bayern, 30. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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zwischen 21 Uhr und 5 Uhr morgens angesichts ihres zudem sehr anstrengenden Tagesablaufs, nach deren Auffassung nicht ausreichend gedeckt zu werden schien.377 Wie schon im Knabenseminar gab es auch im Klerikalseminar eine Spaziergangsordnung, die grundsätzlich verpflichtende gemeinschaftliche Spaziergänge zu festen Zeiten für alle Seminaristen vorsah.378 Diese Ordnung wurde sehr häufig verändert; offenbar war es schwer, ein den Kontrollbedürfnissen der Seminarleitung entsprechendes Reglement zu finden, das auf einigermaßen Akzeptanz bei den Studierenden stieß.379 Bemerkenswert erscheint, dass die exzessive Regelungswut und die daraus resultierende stabsmäßige Planung und Durchführung der kollektiven Spaziergänge der Theologen in einem starken Widerspruch zur eigentlichen Idee der Promenade stand, diese geradezu karikierte. Da der Spaziergang eine wenig altersgemäße Möglichkeit für junge Menschen darstellte, den natürlichen Bewegungsdrang auszuleben, verwundert es nicht, dass die sportliche Betätigung auch unter den Seminaristen nach dem Ersten Weltkrieg stark zunahm und diese sich – wohl auch im Zuge der allgemeinen Welle der Sportbegeisterung in den 1920er Jahren – vermehrt sportlicher Betätigung zuwandten. Obwohl der Regens »die mit dieser [Sportbegeisterung; Th. Fo.] verbundenen Gefahren für die Hausordnung und für die geistig-geistliche Konzentration« befürchtete, sah er darin doch auch eine positive Entwicklung, vor allem im Hinblick auf den Gesundheitszustand der Kandidaten.380 Mehrfach verändert und differenziert wurde auch die Kleiderordnung. Die Studierenden hatten mit Ausnahme der Spaziergänge zunächst stets den Talar zu tragen. Diese Vorschriften wurde Anfang der 1920er Jahre vorübergehend gelockert, da aufgrund der wirtschaftlichen Verhältnisse die Beschaffung angemessener Kleidung nicht immer problemlos möglich war. Faulhaber verfügte 1926 persönlich die Rückkehr zu den strengeren Vorschriften.381 Im Februar 1934 trat dann eine neue differenzierte 377 So forderte die Studentenschaft der Freisinger Hochschule bereits 1926, »dass man alle Wochen einmal oder wenigstens alle 14 Tage einmal Gelegenheit zum Ausschlafen in der Frühe oder Erlaubnis zum früheren Bettgehen abends erhält. Auch der Sonntag, zwar dem Sinne nach Ruhetag, ermöglicht kein Ausschlafen.« Zit. nach Schröder, Hochschulen in Bayern, 31; zur studentischen Kritik am Frühaufstehen vgl. auch: Der Scheinwerfer [Faschingszeitschrift der Freisinger Klerikalseminaristen], Nr. 3, 1926, 2 f. und 5. 378 Zur Kulturgeschichte des Spaziergangs, einer durch das Bürgertum im späten 18. Jahrhundert adaptierten Beschäftigungsform des Adels vgl. König, Spaziergang. 379 Ab 1923 sah die Ordnung Vierergruppen vor, die alle 14 Tage zu wechseln waren, damit sich einerseits eine größere Seminargemeinschaft bilden konnte, andererseits Verschwörerzirkel vermieden wurden; vgl. EAM, NL Faulhaber 5770/2, Chronik des Erzbischöflichen Klerikalseminars Freising 1920–1932, 8. 1926/27 führte man als Neuerung erstmals das Spazierengehen in frei zu bildenden Dreiergruppen ein; vgl. ebenda 15. 380 So Westermayr in: EAM, NL Faulhaber 5771/1, Chronik des Erzbischöflichen Klerikalseminars Freising 1932–1945, 5. 381 EAM, NL Faulhaber 5770/2, Chronik des Erzbischöflichen Klerikalseminars Freising 1920–1932, 13 und 15. Noch 1929 klagten die Studierenden jedoch in ihrer Faschingszeitschrift über – offenbar aufgrund von Mangel oder Sparsamkeit – unpassende Kleidung: »Man predigt immer gegen die heutige Frauenmode und übersieht dabei, dass die Chorröcke gewisser Herren viel zu weit © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Abb. 6: Rekreation der Seminaristen beim Spaziergang vor dem Hauptportal des Freisinger Mariendoms. Erkennbar ist die Formierung in Dreiergruppen, die der zu diesem Zeitpunkt gültigen Spaziergangsordnung entsprach (um 1930), Foto: Münchner Illustrierte Presse Nr. 16, 1930, 540 (Exemplar in EAM, NL Faulhaber 5770).

Kleiderordnung in Kraft die Folgendes bestimmte: »Die Alumnen tragen mit Ausnahme der Zeit des Spazierganges und der Schulbesuche bis zum Spaziergang den Talar, die übrigen Kleriker an Sonn- und Feiertagen (mit Ausnahme der Zeit des Spazierganges) den Talar, sonst Talarrock oder -weste; die Nichtkleriker (Philosophen und Theologen ohne Weihen) dunkle Kleidung.«382 Diese neue Kleiderordnung sollte auch den Rangunterschied zwischen den noch nicht geweihten und den bereits mit Weihen versehenen Kandidaten bewusst machen. Auch die Lektüre der Studierenden, für die neben der rein wissenschaftlichen Bibliothek der Philosophisch-Theologischen Hochschule im Klerikalseminar eine separate Bibliothek eingerichtet war, unterlag Reglementierungen. Der Index der verausgeschnitten sind und die Talare oft nur wenig über die Kniee [sic!] reichen …«; Schwarze Post [Faschingszeitschrift der Freisinger Klerikalseminaristen], Nr. 6, 1929, 1. 382 EAM, NL Faulhaber 5771/1, Chronik des Erzbischöflichen Klerikalseminars Freising 1932–1945, 12. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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botenen Bücher war noch in Gebrauch und hatte für die Theologen seine Relevanz auch noch nicht eingebüßt.383 Seminaristen, die indiziertes Schriftgut lesen wollten, mussten ebenso wie die Geistlichen, Religionslehrkräfte und im Grunde alle kirchentreuen Katholiken entsprechenden Dispens bei der Oberbehörde einholen. Diese wurde – zumindest bei den Kandidaten und den Klerikern, die ohnehin nur wohlbegründete Anträge stellten – in den meisten Fällen auch erteilt, gelegentlich aber nur mit der Auflage, auch die entsprechenden katholischen Gegenschriften zu lesen.384 Im Seminar war die Möglichkeit, indizierte Schriften ohne Erlaubnis zu lesen, aufgrund des Fehlens von Privatsphäre ohnehin sehr eingeschränkt. Die heimliche Lektüre verbotener Bücher wäre den meisten Seminaristen nur in den Ferien am Heimatort möglich gewesen. Auch die Möglichkeiten der Buchbeschaffung waren begrenzt. Im Grunde hatten nur die Seminaristen, die aus der Großstadt München stammten, eine sichere Gelegenheit, sich ohne größere Mühen in den dortigen Buchhandlungen selbst und unerkannt mit Literatur zu versorgen. Die anderen Ortschaften waren zu klein, das Netz der Sozialkontrolle entsprechend zu dicht.385 Für das Klerikalseminar war ein eigener Buchbestelldienst eingerichtet, damit die Seminaristen einerseits unnötige Gänge in die Stadt vermieden, andererseits eine direkte Kontrolle ihrer Lektüregewohnheiten möglich war. Zeitungen und Zeitschriften lagen im Lesesaal des Seminars aus. Den Völkischen Beobachter oder sonstige NS-Blätter gab es nicht. Die übrigen Zeitungen wurden zensiert, Anstößiges, etwa Bilder von normwidrig bekleideten Frauen, herausgeschnitten.386 Inwieweit in Freising auch eine Briefzensur stattfand, war nicht mit Sicherheit zu ermitteln, in anderen Seminaren war sie zu dieser Zeit teilweise noch üblich.387 Bei den Studierenden sorgte der Umstand für Unmut, 383 Vgl. zur Thematik grundsätzlich Wolf, Index. 384 Vgl. AEM, Ordinariatssitzungsprotokoll vom 22. 06. 1934. 385 Verstöße gegen das Bücherverbot wurden mitunter durchaus drastisch geahndet, zumindest dann wenn es um wirklich strittige Literatur ging. Im November 1934 wurde in einer Ordinariatssitzung festgelegt, dass Leser von Rosenbergs »Mythus« zu exkommunizieren seien, sofern sie bei der Lektüre von dem Verbot Kenntnis hatten; vgl. AEM, Ordinariatssitzungsprotokoll vom 30. 11. 1934; zum Hintergrund der Indizierung von Rosenbergs Schrift vgl. Burkard, Häresie und Mythus. 386 Vgl. etwa die Erinnerungen des Priesters Alfred Läpple, der 1936–1939 und nochmals nach 1945 als Student im Freisinger Klerikalseminar war (EAM, Priesterbefragung 2003, Interview mit Alfred Läpple). Nach seiner Erinnerung galten bereits Bilder, die Frauen in Hosen am seinerzeit beliebten Rhönrad zeigten, als unsittlich. Läpple berichtete aber auch von Gegenstrategien die zeigen, dass die Zensurbemühungen der Seminarvorstandschaft nicht immer von Erfolg gekrönt waren: »Und da hat man gemerkt, aha, auf einigen Seiten sind Bilder herausgeschnitten worden. Was haben wir anders gemacht? Wir sind sofort hinunter, einen haben wir geschickt zum ›Plenagel‹, das war damals die Buchhandlung [in der Stadt Freising; Th. Fo.], und dann haben wir genau gesehen, was die herausgeschnitten haben« (Ebenda). Das Beispiel zeigt zugleich, dass die Klerikalseminaristen über größere Bewegungsspielräume verfügten als die Knabenseminaristen. Obwohl individueller Ausgang verboten war (vgl. Brunner, Statuta, 327) scheint es Möglichkeiten gegeben zu haben, sich hierüber hinwegzusetzen. 387 Vgl. die Erinnerungen des Priesters Johannes Würth aus der Diözese Freiburg an die Zensurpraxis im dortigen Seminar St. Peter im Hochschwarzwald: Würth, Priester im Dritten Reich, 11. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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dass die Beobachtung der Kandidaten mittels des sittlichen Zeugnisses, welches der jeweilige Heimatpfarrer über ihr Verhalten während der Sommerferien zu erstellen hatte, auch noch auf die Ferienzeit ausgedehnt wurde.388 Das Geschlechtsleben, das nicht stattfinden durfte, wurde entweder vollkommen tabuisiert oder kriminalisiert. Das Weibliche war in der Kultur des Klerus per se negativ besetzt. Der misogynen Weltsicht der katholischen Theologie entsprechend wurde das weibliche Geschlecht vorwiegend als Bedrohung für die sittliche Reinheit der Kleriker dargestellt,389 in der Gegenwartsgesellschaft witterte man allerorten den »Pansexualismus«390. Gewissensnöte und Konflikte mit der eigenen Sexualität werden wohl nicht nur bei denen aufgetreten sein, die später ihren priesterlichen Beruf aufgaben und darüber berichteten. Sexualität war im Seminar offen nur im Hinblick auf das Sakrament der Ehe ein Thema. Für die komplexen Verhältnisse des katholischen Eherechts waren genaue Kenntnisse der biologischen Vorgänge zwischen Mann und Frau kaum verzichtbar. Insofern erfolgte die sexuelle Aufklärung der Studierenden im Rahmen des philosophischen Kurses in den Vorlesungen des Biologen Dr. Karl Andersen391 und dort in einem sehr funktionalistisch-rationalistischen Sinn.392 Die Auseinandersetzung mit der Sexualität endete dort, wo die Nöte des einzelnen begannen, und auch persönliche Aussprachen zwischen den Studenten 388 Vgl. Schröder, Hochschulen in Bayern, 30. 389 Vgl. etwa Bernhart, Kaplan, 41, der über diesbezügliche Auffassungen berichtete: »Ich erinnere mich an einen geistlichen Vortrag unseres eigenen Vater Regens, der den heiklen Gegenstand [die Frau; Th. Fo.] einst auf gut schwäbisch behandelt hatte. […] Unser Herrgott habe nun einmal zweierlei Leute erschaffen, und wenn auch alles Gefrett in der Welt aus diesem Faktum stamme, so sei es eben doch von oben so gewollt. Der Kleriker aber müsse die Finger von der Liebe lassen, weil er zu Höherem berufen [sei]. Es sei das lange nicht so schwer, als es scheine, wenn man erstens ein übernatürliches Leben führe und zweitens den Wert des Weibes im Vergleich zum Manne recht ins Auge fasse. Es sei erst hinterher aus einer überzähligen Rippe des Adam gemacht und stehe darum den Mannsbildern in allen Dingen nach – geistig, sittlich, körperlich. Durch sein kleineres Gehirn sei es zu einem höheren geistigen Leben kaum befähigt, durch die Ausstattung anderer Organe aber zu einem besondern animalischen Dienste an der Menschheit bestimmt. Sittlich hab es in der Welt mehr Unheil als Segen angerichtet, was die Bibel durch die Erzählung vieler trauriger Begebenheiten, wie des Falls der Eva […] beweise. […] Immerhin, der Mann sei nun einmal ins Weib vergafft und umgekehrt, auch der Kleriker müsse auf der Hut sein, dass ihn der Teufel, mit einem Mädle an der Hand, nicht überrumple.« Denzler, Zölibat, 11, sah eine wesentliche Ursache der katholischen Misogynie in der Rezeption gnostisch-dualistischen Gedankenguts der Spätantike, aus der eine Geringschätzung des weiblichen Geschlechts erwachsen sei. 390 Vgl. etwa Josef Hirschvogl, Erziehung zur Reinheit um Reifealter, Klerusblatt 1933, 54 ff. (25. 01. 1933). 391 Karl Andersen, geb. 1898, Dr. phil., 1923 Habilitation an der Universität Erlangen für Zoologie, vergleichende Anatomie und Biologie, 1925 ao. Professor für Biologie an der Phil.-Theol. Hochschule Freising, 1925–1934 zeitgleich Lehrauftrag für Zoologie und Schädlingskunde in Weihenstephan, Institutsvorstand ebenda, 1938 Professor für Biologie an der Phil.-Theol. Hochschule Regensburg, 1946/47 Rückkehr nach Freising als ordentlicher Professor, 1953–1959 Rektor der Phil.-Theol. Hochschule Freising, 1966 emeritiert, gest. 1974; vgl. Nickel, Hochschule in Freising, 439 Anm. 90 (mit weiterführender Literatur). 392 Vgl. die Mitschriften der Vorlesungen Andersens in: AEM, NL Hubert Wagner, Manuskripte. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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und ihren Seelenführern verliefen nicht immer in besonders hilfreicher Weise.393 Im Seminar waren sexuelle Handlungen immer ein Grund für die Entlassung des jeweiligen Kandidaten, im Falle von Homosexualität war schon das Bekanntwerden der Veranlagung hierzu ausreichend.394 Die mangelnde Einhaltung der Disziplin durch die Seminaristen wurde in den Jahresberichten des Klerikalseminars regelmäßig thematisiert. Ob es sich bei den »häufigere[n] Wirtshausbesuche[n]« oder »verbotenen Zusammenkünfte[n] mit Rauchen im Speicher« auch aus der Sicht des Seminardirektors tatsächlich schon um »schwere Verstöße« handelte395 oder ob hiermit nur im Jahresbericht dem Oberhirten suggeriert werden sollte, dass es um die Disziplin nicht so schlecht bestellt sei, wenn es nichts Gravierendes anzumahnen gab, sei dahingestellt. Die Faschingstage, die im Seminar für gewöhnlich sehr ausgiebig mit Fastnachtsspielen und Theateraufführungen begangen wurden, boten den Kandidaten ein legitimes Ventil, das entsprechend der katholischen Tradition regelmäßig auch genutzt wurde, um ungestraft die Obrigkeit nachzuäffen und zu kritisieren – nicht immer zu deren Freude.396 In der Faschingszeitung des Jahres 1926 fanden die Studierenden in einer anonym verfassten Seminarpolitischen Rundschau deutliche Worte über die Seminarobrigkeit, für welche »das Wort Fortschritt« noch immer »auf dem Seminarindex« stehe.397 Anlässlich des bevorstehenden einhundertjährigen Seminarjubiläums sollten auch die »hundertjährigen Seminarstatuten endlich einmal gebührend geehrt und eingeglast werden.«398 Ein anderer Artikel, in welchem eine Kritik an den strikten Ausgangsregelungen zum Tragen kam, wurde mit einem satirisch gemeinten Schriftzug »Von der Zensur gestrichen« überstempelt, blieb aber lesbar.399 Die Sportbegeisterten unter den Kandidaten brachten in der Faschingszeitung ihre Enttäuschung über die Weigerung der Seminarobrigkeit, mehr Möglichkeiten zur sportlichen Betätigung zu schaffen, in einem gleichfalls satirischen Beitrag zum Ausdruck: »Einem Antrag der ›Neuerungssüchtler‹ auf Verschaffung einer Frei-Badegelegenheit konnte nicht statt393 So berichtet der Priester L. Z. über seine Seminarzeit 1933 ff.: »Was sollte ich denn schon sagen, wenn ich gelegentlich einer solchen Aussprache einmal gefragt wurde: ›Spüren Sie eine sexuelle Erregung, wenn Sie Damenunterwäsche sehen?‹ Lag denn darin das Problem?« EAM, NL Faulhaber 5404, L. Z. an Faulhaber vom 26. 01. 1943. 394 Vgl. etwa den Vermerk in AEM, Ordinariatssitzungsprotokoll vom 05. 07. 1935: »Kandidat L[…] in Freising wird wegen pathologischer Veranlagung entlassen.« Pathologische Veranlagung war eine zeitgenössische Bezeichnung für Homosexualität. 395 EAM, NL Faulhaber 5770/2, Chronik des Erzbischöflichen Klerikalseminars Freising 1920–1932, 20. 396 Vgl. EAM, NL Faulhaber 5770/2, Chronik des Erzbischöflichen Klerikalseminars Freising 1920– 1932, 6: »Dass nicht alle Kurse und gerade tonangebende Kandidaten nicht immer das wünschenswerte Maß an Kultur besitzen, zeigte die geschmacklose Faschingsveranstaltung eines theologischen Kurses …« [Erinnerung Westermayrs über den Fasching 1921]. 397 Der Scheinwerfer [Faschingszeitschrift der Freisinger Klerikalseminaristen], Nr. 3, 1926, 3. 398 Ebenda. 399 Ebenda, 4. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Abb. 7: Fasching im Freisinger Klerikalseminar. Kandidaten bei der Aufführung des Bauernschwanks Die Brautschau von Ludwig Thoma, Foto 1929, Sammlung Simmerding, München.

gegeben werden, da 1. ein Bedürfnis nicht eingesehen werden konnte; und 2. weil es früher auch nicht so war.«400 Ungeachtet dieser Kritik bekundeten die Kandidaten bei einer 1925 durchgeführten Umfrage unter den Studentenschaften der bayerischen Philosophisch-Theologischen Hochschulen trotz der strengen Zucht und Ordnung, die in den Seminaren herrschte, eine allgemeine Zufriedenheit mit ihren Studien- und Lebensverhältnissen.401 Dies dürfte nicht zuletzt auch auf die relativ günstigen ökonomischen Verhältnisse zurückzuführen gewesen sein. Zwar hatten auch die Klerikalseminaristen gerade in den frühen zwanziger Jahren unter der allgemeinen materiellen Not zu leiden, jedoch gelang es den Verantwortlichen, Mittel in nicht unwesentlichem Umfang zu ihrer finanziellen Unterstützung zu beschaffen. Insbesondere die Tätigkeit des Korbiniansvereins der Erzdiözese, Schenkungen, Stiftungen, testamentarische Zuwendungen und Sammlungen zugunsten der Seminarien und die beiden Caritas-

400 Ebenda, 3. 401 Vgl. Schröder, Hochschulen in Bayern, 30. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Reisen von Kardinal Faulhaber in die USA in den Jahren 1923 und 1926 trugen wesentlich zur finanziellen Unterstützung vor allem materiell schwächerer Studierender bei.402 Das kulturelle Leben des Seminars war vielfältig und kreiste ähnlich wie im Knabenseminar zwar schwerpunktmäßig um kirchliche Themen, es wurden aber durchaus auch andere Akzente gesetzt. So wurden den Seminaristen, wohl vor allem auf Initiative Westermayrs, Vorträge zu aktuellen politischen Themen geboten, so etwa 1922/23 zu Fragen des Völkerbundes und Völkerfriedens oder 1924/25 über die Vorgeschichte des Weltkrieges.403 Gelegentlich muteten die Themen etwas bizarr an, wie etwa der Vortrag eines Missionars über »das Seelenleben eines Naturvolkes und über seine Erlebnisse unter Menschenfressern.«404 Die Referenten kamen oft aus dem Kreis der Kandidaten selbst, hinzu kamen Gastreferenten, hauptsächlich Priester, aber auch Laien, vor allem Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens Bayerns wie etwa der BVP-Politiker Georg Heim.405 Studienfahrten, wenngleich sie nur unregelmäßig angeboten wurden, rundeten das Repertoire der Fortbildungsveranstaltungen ab. Die Alumnatskurse der Studienjahre 1927, 1928 und 1929 besuchten auf einer Fahrt mit dem Generalpräses der Katholischen Jungmännerverbandes Ludwig Wolker das Rheinland, das Ruhrgebiet und Berlin – dass eine solche Fahrt die Billigung der Seminarleitung fand zeigt, dass man den Anliegen der katholischen Jugendbewegung dort durchaus offen gegenüber stand.406 Ab der zweiten Hälfte der 1920er Jahre nahmen im Rahmen eines sozialen Zirkels Vorträge und Exkursionen zu sozialen Fragen zu. So besuchte man Münchener Betriebe, um den Studierenden einen Einblick in die soziale Realität der Arbeitswelt zu geben, oder die Heil- und Pflegeanstalt Eglfing-Haar, um den Anstaltsbetrieb zu studieren, hielt Vorträge ab über das »Dienstbotenproblem auf dem Lande« oder auch über den Bolschewismus.407 1930 wurde zu letzterem Thema sogar eine Ausstellung veranstaltet und ein »russische[r] Film, im großen Hörsaal der Hochschule in Gegenwart des Direktor[s] des Staatsbibliothek und anderer Gäste« gezeigt, der »durch einen Vortrag des Kandidaten Baron v[on] Soden eingeleitet

402 Vgl. zur Seminarfinanzierung auch das Referat Faulhabers in: Bericht Diözesansynode 1930, 10; zu den Caritasreisen Faulhabers: Kornacker, Susanne, Spenden aus den USA. Aus den auf der ersten Reise von April bis Juni 1923 eingeworbenen Geldern konnten den Theologiestudierenden 100 Stipendien zugewendet werden. Dies war in Anbetracht der Gesamtzahl der Studierenden eine erhebliche Anzahl und trug in Ergänzung zu den bereits bestehenden Freiplätzen dazu bei, dass das Stipendium beinahe zum Regelfall wurde. In seinem Bericht im Rahmen der Diözesansynode 1930 legte Faulhaber dar, dass die amerikanischen Studienbeihilfen bis zu diesem Zeitpunkt den Betrag von 100.000 Dollar überschritten hatten. 403 EAM, NL Faulhaber 5770/2, Chronik des Erzbischöflichen Klerikalseminars Freising 1920–1932, 7 und 10. 404 Ebenda, 6. 405 Dieser hielt im Studienjahr 1930/31 einen Vortrag auf Einladung des sozialen Zirkels, vgl. ebenda, 21. 406 Ebenda, 17. 407 Ebenda, 17 ff. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Abb. 8: Brevierlesen auf der Terrasse vor dem Klerikalseminar. Auf dieser vermutlich arrangierten Fotografie tragen alle Seminaristen den vorgeschriebenen Talar mit weißem Collar (um 1930), Foto: Münchner Illustrierte Presse Nr. 16, 1930, 541 (Exemplar in EAM, NL Faulhaber 5770).

wurde.«408 Im Jahr 1930 wurde auch ein Radiogerät angeschafft, das »besonders bei Übertragungen klassischer Musik interessierte.«409 Die Vorträge und Veranstaltungen innerhalb des Klerikalseminars hatten aber nicht nur allgemeinbildenden Charakter, sondern verstanden sich zum Teil auch als Ergänzung und Vertiefung des rein abstrakt-formalistischen Studiums an der Philosophisch-Theologischen Hochschule. In zusätzlichen Ferienkursen vor Beginn oder nach Ende des Studienjahrs wurden Themen vertieft, die im Studium sonst nur wenig anschaulich oder überhaupt nicht vermittelt werden konnten. Vor allem Fragen der 408 Ebenda, 21. Bei dem genannten Baron von Soden handelte es sich um den Spätberufenen Carl Oskar Freiherr von Soden, geb. am 06. 06. 1898 in München, der nach staatswissenschaftlichen und juristischen Studien zunächst eine Politikerlaufbahn einschlug, bevor er sich nach einem einjährigen Aufenthalt als Korrespondent in Polen 1925/26 für den priesterlichen Lebensweg entschied. Nach Studien am Canisianum in Innsbruck und Förderung durch Konrad Graf von Preysing empfing Soden 1931 in Freising die Priesterweihe. Nach Kaplansjahren in Indersdorf und Geisenhausen wurde er 1933 Jugendseelsorger bei St. Maximilian in München und 1936 Expositus in Marzling. Seine Gegnerschaft gegen den Nationalsozialismus zwang ihn 1939 zur Flucht in die Schweiz, von wo aus er über Portugal und Brasilien in die USA emigrierte. Er starb am 06. 08. 1943 in New York; vgl. die Biographie von Trenner, Carl-Oskar Freiherr von Soden. 409 Vgl. EAM, NL Faulhaber 5770/2, Chronik des Erzbischöflichen Klerikalseminars Freising 1920– 1932, 21. Später diente es dem Gemeinschaftsempfang der Rundfunkreden Hitlers. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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praktischen Theologie oder verwandter Gebiete wurden hierbei angesprochen, etwa sozialethische Themen, Mission, Pastoralpsychologie und -psychiatrie, Jugendpflege und -fürsorge, Caritas sowie Matrikelführung.410 Auch für ein im späteren Alltag der Geistlichen so zentrales Thema wie die pfarramtliche Verwaltung wurde ein siebentägiger Ferienkurs angeboten.411 Trotz aller äußerlichen Uniformität bildeten die Theologen innerhalb des Seminars verschiedene Kreise, die einerseits mit ihrer Herkunft, anderseits mit ihren Interessen zu tun hatten. So existierten neben dem sozialen Zirkel, der schwerpunktmäßig in der praktischen Caritas tätig war und Geld, Lebensmittel, Bekleidung etwa für eine Weihnachtsbescherung mittelloser Familien Freisings sammelte, eine Marianische Theologenkongregation, die eher auf eine innerliche Form von Religiosität abzielte, sowie die Thomasakademie, die verschiedenste Vortrags- und Fortbildungsinitiativen veranstaltete. Die caritative Tätigkeit der Seminaristen wurde auch während der NSZeit weitergeführt412, was bemerkenswert erscheint, da die Nationalsozialistische Volkswohlfahrt Konkurrenz dieser Art normalerweise ungern duldete und eine an der Philosophisch-Theologischen Hochschule bestehende Studentenhilfe e. V., die bedürftige Theologiestudenten mit Spendengeldern unterstützte, 1933 zunächst umgewandelt und im Juli 1938 aufgelöst wurde.413 Neben den disziplinarischen Maßnahmen der Seminarvorstände standen die Theologen auch einer eigenen disziplinarischen Gerichtsbarkeit an der PhilosophischTheologischen Hochschule gegenüber. Diese sah verschiedene Formen von Strafen vor: Verweis, verschärfter Verweis, Nichtanrechnung einzelner Semester, consilium abeundi und Relegation.414 Daneben verfügte sie, wie vormals nahezu alle deutschen Hochschulen, auch über einen Karzer, in dem renitente Studenten bis zu 14 Tage in Arrest genommen wurden. Wie lange diese Praxis in Freising geübt wurde und wie oft entsprechende Strafen gegen die Theologen verhängt wurden, ist nicht bekannt. 410 Vgl. etwa EAM, NL Faulhaber 5771/1, Chronik des Erzbischöflichen Klerikalseminars Freising 1932–1945, 23. 411 Vgl. AEM, Ordinariatssitzungsprotokoll vom 12. 08. 1938. Die zeitliche Knappheit, mit der dieses Thema behandelt wurde, erscheint etwas verwunderlich, zumal die hier bei den Geistlichen vielfach bestehenden Defizite im Ordinariat bekannt waren. Doch blieb kaum eine andere Möglichkeit, da sich ein solches Thema im klassischen und zugleich praxisfernen Fächerkanon des theologischen Hochschulstudiums nicht unterbringen ließ. 412 So erbrachte etwa eine Werbe- und Sammelaktion in der Adventszeit 1937 400,- RM, mit denen an die hundert bedürftigen Freisinger Familien eine nicht näher spezifizierte »Weihnachtsfreude« finanziert wurde, vgl. EAM, NL Faulhaber 5771/1, Chronik des Erzbischöflichen Klerikalseminars Freising 1932–1945, 34. 413 Vgl. Lindner, Hochschule in Freising, 642. Allerdings ist das Urteil dieses Autors nicht besonders zuverlässig. 414 Vgl. EAM, NL Faulhaber 5870, Satzungen für die Studierenden an den Philosophisch-Theologischen Hochschulen (Juni 1924), hier §§ 54–72. Das consilium abeundi hatte die Wegweisung von der Hochschule zur Folge, die Relegation verschärfte dies noch, indem sie dem so Bestraften die Fähigkeit absprach, einer öffentlichen Lehranstalt als Studierender anzugehören. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Jedoch sah die gemeinsame Satzung der bayerischen Philosophisch-Theologischen Hochschulen aus dem Jahr 1924 die Karzerstrafe noch durchaus vor. 415 Die Entwicklung der Zahl der Kandidaten im Freisinger Klerikalseminar korrespondierte – mit der entsprechenden zeitlichen Verschiebung um etwa fünf bis sechs Jahre – mit den im Abschnitt über die Entwicklung der Knabenseminare bereits erläuterten Zugangszahlen der kleinen Seminare, da das Klerikalseminar seine Kandidaten ganz überwiegend aus den Knabenseminaren erhielt. Die im Verlauf der 1920er Jahre eher stagnierenden Zahlen nahmen zu Beginn der 1930er Jahre einen deutlichen Aufschwung. Im Sommersemester 1931 überschritt die Zahl der Kandidaten erstmals seit dem letzten Weltkrieg die Marke von 200. Diese wurde ab 1933 bis zum neuerlichen Kriegsausbruch 1939 nicht mehr unterschritten.416 Während in den Knabenseminaren der Zustrom an Zöglingen nach 1933/34 sichtbar verebbte, hielt er im Klerikalseminar durch die Übernahme der starken Jahrgänge aus den Knabenseminaren noch einige Jahre an.417

415 Vgl. ebenda, hier § 59. An den übrigen deutschen Hochschulen hatte diese Praxis zu diesem Zeitpunkt zumeist bereits ein Ende gefunden. 416 Zu den Zahlen vgl. Tabelle 2. 417 Vgl. EAM, NL Faulhaber 5771/1, Chronik des Erzbischöflichen Klerikalseminars Freising 1932– 1945, 17. Da wegen der zeitweisen Überfüllung des Klerikalseminars negative Auswirkungen auf die Seminardisziplin befürchtet wurden, setzte man den Termin der Priesterweihe im Jahr 1935, in dem das Seminar besonders unter der Überbelegung litt, bereits auf den 5. Mai, um so frühzeitig personelle Entlastung zu schaffen. Im Sommersemester 1939 erreichte das Seminar mit 266 Kandidaten – von denen allerdings 25 aus dem bereits aufgelösten Herzoglichen Georgianum in München stammten – seinen Belegungshöhepunkt. Da die eigenen Räumlichkeiten nicht mehr ausreichten, wurden zusätzlich auch Räume im Knabenseminar belegt und weitere im Landbauamt Freising angemietet. Es mussten sogar Kandidaten abgewiesen werden. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Tabelle 2: Entwicklung der Anzahl der Kandidaten im Klerikalseminar Freising und der Priesterweihen 1921–1939. Die Zahl in der Spalte SoSe gibt jeweils die Anzahl der Kandidaten zu Beginn des Sommersemesters, die in der Spalte WiSe die zu Beginn des Wintersemesters an. Die weiteren Spalten zeigen die Anzahl der Priesterweihen im jeweiligen Jahr sowie (sofern bekannt) die Zahl der Neueintritte. Die neuen Kandidaten trafen in der Regel zu Beginn des Wintersemesters ein, die neu geweihten Priester verließen das Seminar zum Ende des Sommersemesters. Jahr

SoSe418

1921

WiSe419

Pr.-Weihen420

144

37

Neueintritte421

1922

180

134

47

1923

155

131

25

1924

166

147

22

1925

167

127

45

44

1926

165

146

27

34

1927

182

144

37

30

1928

177

157

31

»über 40«

1929

195

157

38

»gegen 50«

1930

199

170

27

1931

204

179

38

1932

205

190

36

1933

220

213

33

1934

231

241

35

1935

243

247

42

1936

245

243

47

1937

197

263

49

1938

255

257

50

1939

266

422

423

48

76

50

418 Nach EAM, NL Faulhaber 5770/2, Chronik des Erzbischöflichen Klerikalseminars Freising 1920– 1932 und NL Faulhaber 5771/1, Chronik des Erzbischöflichen Klerikalseminars Freising 1932–1945. 419 Nach ebenda. 420 Nach Gatz, Priesterausbildungsstätten, 269. 421 Nach EAM, NL Faulhaber 5770/2, Chronik des Erzbischöflichen Klerikalseminars Freising 1920– 1932 und NL Faulhaber 5771/1, Chronik des Erzbischöflichen Klerikalseminars Freising 1932–1945. 422 Der Rückgang zu diesem Zeitpunkt erklärt sich aus den erstmalig zum Frühjahr 1937 zum Reichsarbeitsdienst verpflichteten Theologen, vgl. hierzu die nachfolgenden Ausführungen. 423 Einschließlich 25 Kandidaten des Herzoglichen Georgianums, das zum Ende des Wintersemesters 1938/39 geschlossen worden war. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Wenn es auf den ersten Blick so aussehen könnte, als sei der Zustrom zum Priesterberuf gewissermaßen eine Abwehrreaktion Angehöriger katholisch gesinnter Bevölkerungsgruppen auf Hitler gewesen, erweist sich dies bei näherer Betrachtung als Trugschluss. Die Ursachen für das überbelegte Klerikalseminar waren vor allem die mittelfristige Folge einer weitsichtigen Nachwuchsplanung der kirchlichen Oberbehörde, die sich im forcierten Ausbau der kleinen Seminare in den 1920er Jahren und der umfassenden Unterstützung der Knaben aus mittellosen Familien durch Stipendien, Kostgeldermäßigung und sonstigen finanziellen Hilfen manifestiert hatte, ferner auch eine Folge der gestiegenen Attraktivität der Kirche für junge Menschen durch die geistlichen Reform- und Jugendbewegungen, die in den 1920er Jahren ihre große Strahlkraft entfaltet hatten. Tatsächlich waren jedoch die Krisensymptome nach 1933, ungeachtet der Rekordzahlen im Seminar, nicht zu übersehen. Diese manifestierten sich zunächst in den Austrittszahlen. Waren vor 1933 nur vereinzelt Kandidaten aus dem Klerikalseminar ausgetreten, so stieg deren Zahl nun überproportional an. Im Verlauf des Studienjahres 1932/33 – also im Jahr der nationalsozialistischen Machtergreifung – traten 20 Kandidaten aus dem Seminar aus. In den nachfolgenden Jahren ging die Zahl der Austritte zunächst wieder etwas zurück, im Studienjahr 1933/34 waren es zwölf Kandidaten, die das Seminar verließen, 1935/36 deren 17 und 1936/37 14. Doch dann stieg die Zahl wieder an auf 18 ausgetretene Kandidaten im Jahr 1937/38 und 23 im Jahr 1938/39.424 Nicht immer lag einem Austritt die Entscheidung des jeweiligen Seminaristen selbst zugrunde. Oft musste die Seminarleitung, nicht selten gegen den Willen des Betroffenen, seiner Eltern oder des Heimatgeistlichen425 ungeeignete Kandidaten ausschließen: »Nicht weniger als 23 Kandidaten sind im Laufe dieses Studienjahres ausgetreten; bei einigen bedurfte es eines Druckes von Seiten des Regens«,426 notierte Westermayr für das Studienjahr 1938/39. Die Gründe für Austritt oder Entlassung waren durchaus unterschiedlich, jedoch war eine fehlende tiefere Identifizierung mit dem Priesterstand mit Abstand am häufigsten.427 Die im Verlauf der 1930er Jahre steigenden Austrittszahlen dürften weniger ein Indiz für den Abfall 424 Sämtliche Austrittszahlen aus EAM, NL Faulhaber 5771/1, Chronik des Erzbischöflichen Klerikalseminars Freising 1932–1945, hier 4 f., 11, 16, 22, 32 und 37. 425 Vgl. ebenda, 37: »… freilich findet der Regens, wenn er einen Kandidaten entlassen soll, nicht immer das wünschenswerte Verständnis von Seiten der Eltern, auch nicht immer bei den Heimatpfarrern, die sich manchmal auch bei den Feriensittenzeugnissen und den Weihfragebogen mit zu allgemeinen Angaben begnügen.« 426 Ebenda. 427 Von den 18 Kandidaten, die zwischen Oktober 1938 und März 1939 austraten, wurden zwei aus medizinischen Gründen von der Seminarleitung zum Austritt veranlasst, je einer wechselte in eine andere Diözese bzw. trat in einen Orden ein, einer musste wegen mangelhafter Eignung zum Austritt gedrängt werden, ein weiterer trat wegen eines »Gemütsleidens« selber aus. Die übrigen 13 verließen das Seminar »freiwillig wegen mangelnden Berufes«, wie es nun generalisierend genannt wurde; vgl. EAM, NL Faulhaber 5771/3, Auflistung der Austritte aus dem Erzbischöflichen Klerikalseminar von Oktober 1938 bis März 1939. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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vom Glauben oder eine Hinorientierung einzelner zum Nationalsozialismus darstellen. Vielmehr dürften sie als Ausdruck einer allgemeinen Berufskrise zu interpretieren sein, die sich unter den Vorzeichen einer kirchfeindlichen Umgebung sukzessive manifestierte. Eine nochmalige drastische Erhöhung der Zahl der Austritte brachte der Krieg mit sich, unter dessen Umständen sich die Seminargemeinschaft dann faktisch ohnehin auflöste.428 Welche grundsätzlichen Entwicklungen bestimmten die Verhältnisse im Seminar zwischen den beiden Weltkriegen? Bereits der erste Weltkrieg hatte das Seminarleben gehörig durcheinander gebracht. Infolge der Wehrverpflichtung von rund 300 Theologiestudenten zum Kriegsdienst hatte sich nicht nur die Altersstruktur der Kandidaten nach 1918 durch die Kriegsheimkehrer stark verändert.429 Mit den durch das Kriegserlebnis oft völlig veränderten Kandidaten konnte man nicht mehr in gewohnter Weise umgehen. Regens Westermayr schrieb hierzu 1942, rückblickend auf die Amtszeit seines Vorgängers Peter Röhrl, die er als Subregens hatte beobachten können: »Es mag für den neuen Direktor kein Leichtes gewesen sein, gegenüber einer Kommunität, die zum großen Teil noch aus ehemaligen Kriegsteilnehmern bestand, die pädagogische Linie zwischen zu schonender Nachsicht und zu kleinlicher Strenge zu finden.«430 So wurde nach 1918 das Rauchen, zumindest nach Tisch und im Garten, vorübergehend geduldet431 – derartiges wäre zuvor undenkbar gewesen. Diese Situation sollte sich in gewisser Weise nach 1945 wiederholen. Obwohl die Theologen in einer Welt für sich lebten, lebten sie doch nicht außerhalb der Realität und äußere politische Ereignisse wurden naturgemäß wahrgenommen und fanden ihren Niederschlag auch im Seminarleben. Als im Januar 1923 Frankreich im Ruhrgebiet einmarschierte, nahm man diese »traurige politische Lage« zum Anlass, die traditionellen Faschingsveranstaltungen des Seminars abzusagen.432 Dies wirft durchaus ein Licht auf die nationale Grundorientierung innerhalb des Seminars. Der Nationalsozialismus wurde unter den Seminaristen bereits 1929 erst428 Eine Aufstellung aus der unmittelbaren Nachkriegszeit (EAM, NL Faulhaber 5772/1, Liste der ausgetretenen Kandidaten; ca. 1945/46), listet insgesamt 82 zum Kriegsdienst einberufene Theologen auf, welche in den Jahren 1940 bis 1945 gegenüber der Seminarleitung ihren Austritt erklärt hatten. Setzt man diese in Relation zur Gesamtzahl der zum Kriegsdienst eingezogenen 285 Theologen (vgl. EAM, NL Faulhaber 5772/2, Zusammenstellung zur Dankwallfahrt der heimgekehrten Priester und Theologen unserer Erzdiözese am St. Korbiniansfest 1946), so traten immerhin 30 % der Theologen während der Jahre des Kriegsdienstes vom Berufsziel Priester zurück. Den tatsächlichen Wert wird man jedoch noch höher veranschlagen müssen, da sich von den 285 Theologen zum Zeitpunkt der statistischen Erhebung noch 37 in Kriegsgefangenschaft befanden, 27 vermisst wurden und 75 gefallen waren. Nur 64 der 285 waren zum Zeitpunkt der Erhebung tatsächlich in das Klerikalseminar zurückgekehrt (vgl. ebenda). 429 Im Ersten Weltkrieg leisteten 301 Theologiestudenten Wehrdienst, 95 von ihnen fielen; vgl. Börst, Theologen, 101. 430 Vgl. EAM, NL Faulhaber 5770/2, Chronik des Erzbischöflichen Klerikalseminars Freising 1920– 1932, 2. 431 Ebenda. 432 Ebenda, 7. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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mals zum Thema, als die zur Gemeinderatswahl in Freising angetretene NSDAP die Behauptung aufstellte, sie würde 43 der Alumnen des Seminars zu ihren Anhängern zählen. Dies stieß auf nicht geringe Empörung der Verantwortlichen. Seminardirektor Röhrl erklärte öffentlich, dass kein Seminarist Mitglied der NSDAP sei.433 Dennoch erscheint es durchaus wahrscheinlich, dass es einige NS-Sympathisanten unter den Seminaristen gab. In seinem im November 1945 verfassten, umfangreichen Bericht über seine Regentenzeit, vermerkte Westermayr hierzu: Leider konnten die politischen Ereignisse des Frühjahrs 1933 […] nicht ohne aufregende Wirkung auf die jugendlichen Gemüter der Kandidaten mit ihrer selbstverständlichen vaterländischen Gesinnung bleiben; der Regens vertrat mit energischer Forderung den Standpunkt der einmütigen Geschlossenheit im weltanschaulichen Bereich und der gegenseitigen Duldung in Fragen des weltanschaulich nicht gebundenen Ermessens.434

Andererseits nahm an der politischen Feier zur Hochschuleröffnung am 21. März 1933 nur die Hälfte der Studierenden teil. Bereits dies wertete Westermayr als Erfolg, war er doch bemüht, das Seminar nicht als Hort antinational(sozialistisch)er Gesinnung erscheinen zu lassen und so – wie er schrieb – »eine Situation mit unberechenbaren Auswirkungen« zu verhüten.435 Die anfängliche Begeisterung mancher flaute dem Bericht Westermayrs zufolge nach Ereignissen wie den antikatholischen Übergriffen beim Münchener Gesellentag im Juni 1933436 rasch ab. Spätestens im Zuge der Causa Hartl-Roßberger, die auch im Klerikalseminar »allzu begreifliche Erregung«437 hervorrief, dürfte bei den Alumnen, von Ausnahmen abgesehen, eine vorübergehende Begeisterung für die Nationalsozialisten beendet gewesen sein.438 Im April 1934 wurden während der Abwesenheit des Regens durch ein Aufgebot der Bayerischen Politischen Polizei Knaben- und Klerikalseminar sowie die Domherrengruft nach dort vermuteten Waffen durchsucht.439 Für die Betroffenen war es 433 Ebenda, 19. 434 EAM, NL Faulhaber 5771/1, Chronik des Erzbischöflichen Klerikalseminars Freising 1932–1945, 6. 435 Ebenda. 436 Vgl. zu den Ereignissen auf dem Gesellentag, bei dem es zu Übergriffen marodierender SA-Trupps auf katholische Gesellen gekommen war: Forstner, Auseinandersetzungen, 279–283. 437 EAM, NL Faulhaber 5771/1, Chronik des Erzbischöflichen Klerikalseminars Freising 1932–1945, 9. 438 Freilich blieb bei vielen Kandidaten eine nationale Grundhaltung erhalten, die sie über außenpolitische Erfolge des Regimes durchaus jubeln ließ. Für das Georgianum berichtete dessen Subregens Albert Vierbach, dass sich 1935 eine Reihe von aus der Pfalz stammenden Seminaristen an den Feiern an der Münchener Feldherrenhalle anlässlich der Rückgliederung des Saarlandes beteiligen wollte. Direktor Weigel jedoch verbot es ihnen. Daraufhin stiegen die Seminaristen auf das Dach des Georgianums, um die Feier an der (etwa 1 km entfernten) Halle aus der Entfernung zu beobachten; vgl. Vierbach, Eduard Weigl, 3. Abschnitt [unpaginiert]. 439 Vgl. EAM, NL Faulhaber 5771/1, Chronik des Erzbischöflichen Klerikalseminars Freising 1932– 1945, 12, Bericht über die Haussuchung der Politischen Polizei Münchens im Erzb. Knabenseminar Freising am 05. 04. 1934; Bericht über die Vernehmung des Domkapitulars Peter Röhrl durch den Kriminalkommissar der politischen Polizei Mair am 06. 04. 1934. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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wenig überraschend, dass die Durchsuchungen ergebnislos verliefen, doch hatten sie darüber hinaus ihren politischen Zweck erfüllt. Was blieb, war Verunsicherung. Am 25. Januar 1938 wurde das Seminar nach dem im selben Monat wirksam gewordenen Verbot der konfessionellen Jugendverbände in Bayern durch die Geheime Staatspolizei erneut durchsucht, da man dort Inventar, Schrifttum und Vermögen des aufgelösten katholischen Jungmännervereins vermutete.440 Unmittelbar nach Kriegsausbruch 1939 wurden das Freisinger Knaben- und Klerikalseminar auf Basis des Kriegsleistungsgesetzes als Reservelazarette in Anspruch genommen. Zunächst wurde ein Wehrmachtslazarett für deutsche Soldaten eingerichtet, bereits kurz darauf wegen der Nähe des Kriegsgefangenenlagers Moosburg ein Kriegsgefangenenlazarett.441 Die Seminarleitung beschloss in dieser Situation die Trennung von Alumnen und Konviktoren. In Freising konnten infolge fehlender Räumlichkeiten nur die noch nicht eingezogenen 26 Alumnen bleiben. Zehn von diesen hatten bereits die Diakonenweihe empfangen und waren entsprechend der Regelungen des geheimen Anhangs zum Reichskonkordat nicht zum Dienst mit der Waffe verpflichtet.442 16 waren wegen vorgerückten Alters oder Untauglichkeit nicht eingezogen worden.443 Mit diesen versuchte man den Betrieb in den wenigen noch zur Verfügung stehenden Räumlichkeiten soweit als möglich aufrecht zu erhalten, was sich auch aufgrund der fehlenden Hochschule – diese war im Oktober 1939 ebenfalls geschlossen worden – als schwierig erwies.444 Am 31. März 1940 wurden die verbliebenen 26 Alumnen zu Priestern geweiht. Die unmittelbar nach Kriegsausbruch noch nicht einberufenen 96 Konviktoren hatten vom Regens die Aufforderung erhalten, sich bis zum 30. Oktober 1939 in Eichstätt einzufinden, um ihre Studien an der dortigen Philosophisch-Theologischen Hochschule fortzusetzen. Diese war als bischöfliche Hochschule nicht geschlossen worden und hatte infolge eines Seminarneubaus ausreichend Kapazitäten.445 Aber auch die Zahl der Konviktoren reduzierte sich infolge der Einberufungen rasch. Bis Ende 440 Vgl. EAM, NL Faulhaber 5771/1, Chronik des Erzbischöflichen Klerikalseminars Freising 1932– 1945, 34 f. 441 Vgl. Laube 2005, 167 f. Da die Seminargebäude in ihrer bisherigen Form für einen Lazarettbetrieb nur bedingt geeignet waren, wurden sie baulich entsprechend adaptiert. Sehr ausführlich hierzu: EAM, NL Faulhaber 5771/1, Chronik des Erzbischöflichen Klerikalseminars Freising 1932–1945, 42 ff. 442 Vgl. Geheimanhang zum Reichskonkordat, Abschnitt d) in: Listl, Konkordate und Kirchenverträge, 61; siehe zu den Regelungen hinsichtlich der Kriegsdienstpflicht auch das Kapitel 7.2.1 dieser Arbeit. 443 Vgl. EAM, NL Faulhaber 5771/1, Chronik des Erzbischöflichen Klerikalseminars Freising 1932– 1945, 46. 444 Die Vorlesungen wurden nun von Regens Westermayr, Subregens Lurz, Knabenseminardirektor Bruner und durch den Dozenten Ziegler gehalten, Lücken wurden durch auswärtige Professoren und Referenten gefüllt; vgl. ebenda, 47. 445 Vgl. EAM, NL Faulhaber 5771/1, Chronik des Erzbischöflichen Klerikalseminars Freising 1932– 1945, 45; vgl. zu den Verhältnissen dort: Brandl, Hochschule Eichstätt, bes. 599–602. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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1939 waren insgesamt bereits 133 Studierende zum Kriegsdienst eingezogen worden, im Verlauf des Jahres 1940 folgten weitere 44, 1941 nochmals 58 und bis zum Juli 1942 schließlich weitere 20 Studierende.446 Im Sommersemester 1942 war der infolge einer Sehbehinderung nicht kriegsdiensttaugliche Alexander Siebenhärl der letzte in Eichstätt verbliebene Freisinger Kandidat.447 Im Oktober 1940 waren noch einmal sechs neue Kandidaten aus Eichstätt kommend in Freising aufgenommen worden, um sich auf die Priesterweihe vorzubereiten, die sie am 8. September 1941 empfingen. Die im Folgekurs zum Oktober 1941 eintretende Kandidaten wurden bereits kurz nach ihrem Eintritt eingezogen, so dass schließlich im Frühjahr 1942 nur noch zwei Kandidaten im Haus verblieben, beide waren nicht wehrtauglich und konnten deshalb im April 1943 zu Priestern geweiht werden.448 Danach kam der Seminarbetrieb faktisch zum Erliegen. Die letzte Priesterweihe während des Krieges fand am 2. Juli 1944 statt, der einzige zu weihende Priester war der o. g. Alexander Siebenhärl. Dieser hatte die Monate zuvor unter für einen Priesteramtskandidaten ungewohnten Umständen verbracht: »Siebenhärl bewohnte als der einzige Kandidat im Seminar das sog[enannte] Mesnerzimmer und hatte sich leicht an das Alleinsein gewöhnt; als Diakon war er für die liturgischen Dienste unentbehrlich geworden«, notierte Regens Westermayr zu diesem »in der Geschichte des Seminars noch nie dagewesene[n] Fall.«449 Immer häufiger trafen Nachrichten über im Krieg gefallene Kandidaten ein. Für sie wurde jeweils ein eigenes Requiem im Dom abgehalten.450 Zum Ende des Krieges im Mai 1945 waren 68 Kandidaten als gefallen gemeldet, hinzu kamen Vermisste und in Gefangenschaft befindliche Theologen.451

446 Vgl. EAM, NL Faulhaber 5771/1, Chronik des Erzbischöflichen Klerikalseminars Freising 1932– 1945, 45 f. 447 Alexander Siebenhärl, geb. am 18. 12. 1919 in München, Priesterweihe 1944 in Freising, 1944 Kooperatur-Verweser in Friedolfing, 1945 Aushilfspriester in Weildorf, 1946 Kaplan in München-Maria Heimsuchung, 1952 Aushilfspriester in Ottobrunn-St. Otto, 1959 Kurat in Ottobrunn-St. Magdalena, 1960 Pfarrkurat ebenda, 1963 Pfarrer ebenda, 1971–1976 Dekan des Dekants Ottobrunn, 1995 Versetzung in den dauernden Ruhestand, gest. am 12. 06. 2008; vgl. Chronologie der Diözesanpriester 2004, 262; EAM, Priesterbefragung 2003, Interview mit Alexander Siebenhärl. 448 Vgl. EAM, NL Faulhaber 5771/1, Chronik des Erzbischöflichen Klerikalseminars Freising 1932– 1945, 54 f. 449 Vgl. ebenda, 59 und 64. 450 Vgl. ebenda, 49 f., 52 f. und 56. 451 Vgl. ebenda, 68 und Abschnitt 7.2.2 dieser Arbeit. Insgesamt fielen 77 Theologiestudierende im Zweiten Weltkrieg. Zur Lage in den Diözesanseminaren nach 1945 vgl. Moreau, Priesternachwuchs. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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2.4.3 Das Herzogliche Georgianum in München Im Herzoglichen Georgianum in München, der zweiten Ausbildungsstätte für Theologen innerhalb der Erzdiözese, lebten im Schnitt um die 60–70 Studierende.452 Da das Georgianum für alle an der Münchner Universität studierenden katholischen Theologen offen war, nahm es auch Kandidaten aus anderen Diözesen auf. Die Münchner blieben demgegenüber wohl in der Minderzahl: 1933 gehörten insgesamt 24 Studierende des Georgianums der Erzdiözese an.453 Ihre Zahl stieg jedoch mit der Gesamtzahl der Studierenden kontinuierlich und erreichte 1938 mit 31 Studierenden den Höchststand. Im Folgejahr waren es noch 29.454 Aufgenommen wurden sowohl Kandidaten, die Freiplätze genossen, als auch solche, die ihren Platz selbst finanzierten.455 Bei einem Teil der Bewohner handelte es sich um Priester, die an der Theologischen Fakultät der Münchener Universität an wissenschaftlichen Qualifikationsarbeiten arbeiteten.456 452 Die Gesamtzahl der Kandidaten ist aufgrund der schlechten Quellenlage nicht bekannt. Kurz vor der Auflösung im Frühjahr 1939 vermerkte der Bericht des Apostolischen Visitators den Stand von 78 Kandidaten (vgl. EAM, NL Faulhaber 5776/2, Visitatio Apostolica im Georgianum, Januar 1939). Da gegen Ende der 1930er Jahre alle Seminare überbelegt waren, ist für die Zeit davor auch für das Georgianum von einer etwas niedrigeren Zahl an Kandidaten auszugehen. Eine möglichst vollständige Belegung der Plätze am Georgianum war aber auch aus wirtschaftlichen Gründen geboten. Durch die Inflation nach dem Ersten Weltkrieg war das Stiftungsvermögen fast vollständig verloren gegangen und man war nun auf die Verpflegungsgelder der Studenten und Spenden angewiesen; vgl. Dürig, Eduard Weigl, 267. 453 Vgl. Schematismus 1933, XXIII. 454 Vgl. Schematismus 1938, XXVII. und Schematismus 1939, XXVII. 455 Vgl. Brunner, Statuta, 299. 456 Zur Promotion, zu der die Erlaubnis des Bischofs erforderlich war, wurden normalerweise nur diejenigen zugelassen, welche bereits im Studium hervorragende Leistungen gezeigt hatten und sich so für höhere Aufgaben empfahlen. Obwohl die Promotion in der Theologie den Regelfall darstellte, fanden sich durchaus immer wieder Theologen, die auch über wissenschaftliche Qualifikationen in anderen Fächern verfügten. Dass dies durchaus für höhere, oft sehr spezielle Ämter qualifizierte, zeigt ein Blick in das Münchener Metropolitankapitel, in dem mit dem promovierten Juristen und Kanonisten Dr. Dr. Erwin Roderich von Kienitz, dem promovierten Kunsthistoriker Dr. Michael Hartig und dem promovierten Ökonomen Dr. Nikolaus Brem mehrere Männer saßen, die ihre akademischen Meriten in nichttheologischen Fächern erworben hatten. Die größte Gruppe unter den promovierten Kleriker bildeten naturgemäß diejenigen, die im Schul- oder Hochschuldienst tätig waren oder sich darauf vorbereiteten. 1939 traf dies, entsprechend der Chronologischen Übersicht der Säkularpriester im Schematismus auf mindestens 46 der 117 promovierten Kleriker zu. Der Anteil der Promovierten unter den Klerikern lag insgesamt bei etwa acht Prozent (Dem Schematismus 1939 zufolge hatten 117 [d. h. 7,91 Prozent] der in der dortigen Chronologischen Übersicht der Säkularpriester [192–321] aufgeführten 1.479 Diözesanpriester den Doktorgrad). Hingegen war der Anteil der Promovierten unter den Pfarrern im Verhältnis zur Gesamtzahl der Pfarrstellen relativ gering. Im Jahr 1939 verfügten gerade einmal 21 der 443 Pfarrer der Erzdiözese, also nur 4,74 Prozent über den Doktorgrad (vgl. ebenda). Nicht wenige der promovierten Kleriker übten Funktionen außerhalb des üblichen Tätigkeitsprofils eines Geistlichen, d. h. außerhalb der Seelsorge aus, etwa der Prähistoriker Dr. Ferdinand Birkner, der seit 1927 der Prähistorischen Staatssammlung als Direktor vorstand, der Schriftleiter der Münchener Kirchenzeitung Dr. Michael Höck und der Archivar Dr. Heinrich Held. Gerade im Kreis der Promovierten fanden sich zudem © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Direktor des Georgianums war von 1909 bis 1946 der aus der Diözese Passau stammende Priester Eduard Weigl457, der zugleich als Professor für Pastoraltheologie, Homiletik und Liturgik an der Universität München wirkte. Weigl galt bei den Studierenden als ausgesprochen liberal und weitherzig, was auch in seinem Spitznamen Papa Weigl zum Audruck kam.458 Ein Student der 1930er Jahre bemerkte hierzu im Interview: »Papa Weigl […] war ein großzügiger Mann, aber das hat man leider erst später gemerkt. Er gehörte in diese Linie der tief frommen, aber pastoral Eingestellten, mit einer wirklich inneren Weite.«459 Das Verhältnis Weigls zur Diözesanleitung, besonders zu Faulhaber, war spätestens seit Ende der 1920er Jahre vor allem infolge von Streitigkeiten um die bischöfliche Ernennung eines Spirituals am Georgianum – die Weigl verhindern wollte – belastet. Faulhaber wiederum vertrat die Auffassung, das Georgianum leide »an einem Geburtsfehler«460, da er als Ortsbischof nicht die alleinige Bestimmungsgewalt über das Haus habe, wohingegen doch in den staatlichen Gremien – Personalentscheidungen am Georgianum trafen vor allem die Universitätsverwaltung und das Kultusministerium – »ebenso leicht Sozialdemokraten, Juden und Freimaurer sitzen können.«461 Faulhaber warf Weigl in diesem Zusammenhang eine »antibischöfliche« und »antikanonische« Verhaltensweise und anderes mehr vor.462 Der Erzbischof verweigerte dem Georgianum sogar Unterstützung aus immer wieder Sonderlinge, die für die reguläre Seelsorge nur bedingt verwendbar waren und ihr Dasein auf unbedeutenden Abschiebeposten fristeten. 457 Eduard Weigl, geb. am 31. 05. 1869 in Lackenhäuser (Diözese Passau), Priesterweihe 1893 in Passau, zunächst Kooperator in Passau und Birnbach, ab 1896 Subregens im Bischöflichen Klerikalseminar in Passau, 1900 Promotion zum Dr. theol., 1901 Direktor des Klerikalseminars, 1909 Universitätsprofessor in München (Emeritierung 1935) und Direktor des Herzoglichen Georgianums (bis 1946), 1917–1918 auch Rektor der Ludwig-Maximilians-Universität München, gest. am 04. 02. 1960 in München; zu seiner Biographie vgl. Dürig, Eduard Weigl; Vierbach, Eduard Weigl. 458 Der aber offenbar eine gewisse Tradition hatte, denn bereits Weigls Vorgänger, Prälat Andreas Schmid, hatte von den Studierenden den Spitznamen Papa Schmid erhalten; vgl. Dürig, Eduard Weigl, 266. Unklar ist, ob hiermit eine spöttische Absicht verbunden war. Denn der Spitzname Papa Schmid war im München des 19. Jahrhunderts an sich schon vergeben: Josef Leonhard Schmid (1822–1912), der Begründer des Münchener Marionettentheaters, der gemeinsam mit Graf Franz von Pocci die Figur des Kasperl Larifari entwickelt hatte, war als Papa Schmid weiten Bevölkerungskreisen ein Begriff. Nach ihm wurde auch die entsprechende Straße in München benannt. Derselbe Spitzname für einen katholischen Seminardirektor und den Direktor eines Kasperltheaters lässt zumindest aufhorchen. 459 EAM, Priesterbefragung 2003, Interview mit Alfred Läpple. 460 So Weigl in seiner Denkschrift »Differenzen und Schwierigkeiten mit der kirchlichen Behörde 1920–1939« überliefert im Archiv des Georgianums, zit. nach Unterburger, Zwischen Universität und bischöflicher Kontrolle, 312. 461 So Faulhaber am 20. 05. 1928 in einem Brief an Eduard Weigl, zit. nach ebenda. 462 Vgl. ebenda. Auch das Urteil, das Faulhaber über Weigl und das Georgianum im Rahmen der dort im Januar 1939 durchgeführten kanonischen Visitation abgab, war mehr als kritisch: »Man kann aber nicht sagen, dass der kirchliche canon dem Buchstaben oder auch nur dem Sinne nach in diesem interdiözesanen Seminar erfüllt ist.« Vgl. EAM, NL Faulhaber 5776/2, Visitatio Apostolica im Georgianum, Januar 1939; hierzu Schwaiger, Georgianum 1494–1994, 170–174 und Unterburger, Zwischen Universität und bischöflicher Kontrolle, 310–315. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Abb. 9: Die Gruppe Neudeutschland der Theologen des Herzoglichen Georgianums, 1928 (3. v. r. Albert Hartl), Foto: Sammlung Simmerding, München.

den Spendengeldern, die er für das Seminarwesen in den USA gesammelt hatte.463 Auch die Vorgehensweise Faulhabers im Fall der Kirchenrechtslehrer Hans Barion und Sebastian Schröcker hielt Weigl für falsch, zumal er eine Zerschlagung der theologischen Fakultät und damit des Georgianums als staatliche Gegenreaktion bereits früh befürchtete.464 Neben Weigel und dem Spiritual Anton Anwander465 – einem

463 Vgl. Schwaiger, Georgianum 1494–1994, 171. 464 Vgl. Dürig, Eduard Weigl, 270 f.; zu Schröcker Kapitel 6.2.2.1 dieser Arbeit, zu Barion und der Schließung der Fakultät Kapitel 2.5.3. 465 Anton Anwander, Dr. theol., geb. am 27. 03. 1887 in München, Priesterweihe 1911 in Freising, 1911 Kaplan in Reichenhall, 1913 zu Studienzwecken beurlaubt, 1914 Kaplan in München, 1920 vorübergehend zum Ordenseintritt beurlaubt, 1924 Prediger und Benefiziumsverweser in Bad Aibling, 1928–1933 Spiritual am Herzoglichen Georgianum, anschließend in die Diözese Augsburg inkardiniert, 1933 Pfarrer in Pöcking, 1940 Benefiziat in Landsberg, 1959 frei resigniert, Kommorant in Bad Aibling, gest. am 24. 04. 1977, vgl. Schematismus 1933, XXIII und 241; für weiterführende Auskünfte zur Biographie danke ich ferner dem Archiv des Bistums Augsburg; Dürig, Eduard Weigl, 269; EAM, NL Faulhaber 5776/2, Faulhaber an EOM vom 06. 10. 1933. Die Ernennung Anwanders – entgegen der sonst üblichen Praxis kein Ordensgeistlicher – war das Ergebnis eines Kompromisses zwischen Weigl und Faulhaber; vgl. Unterburger, Zwischen Universität und bischöflicher Kontrolle, 314. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Schüler Weigls – wirkten Dr. Albert Vierbach466 von 1919 bis 1934 und Dr. Rudolf Hofmann467 von 1934 bis 1939 als Subregenten.468 Die Lebensumstände der Studierenden am Georgianum waren liberaler und offener als an einem diözesanen Priesterseminar.469 Zwar ähnelte sich die räumliche Struktur mit Schlaf- und Studiensälen, jedoch waren diese mit weniger Personen belegt.470 Der Tag begann am frühen Morgen für alle mit der gemeinsamen Feier der Heiligen Messe, ansonsten war der Tagesablauf aber nicht in dem Maße strukturiert wie in Freising  – vermutlich eine mittelbare Folge des ebenfalls weniger stark strukturierten akademischen Angebots an der Münchener Universität. Es bestand auch keine unmittelbare Überwachung, ob und was die Studierenden an der Universität für Vorlesungen besuchten. Auf mangelnden Fleiß lässt dies keine Rückschlüsse zu, denn selbstverständlich hatten die Studenten auch hier Prüfungen am Ende jedes Semesters zu absolvieren. Da jedoch das Leistungsniveau derjenigen, die überhaupt zum Studium an die Universität kamen, ohnehin höher war als jenes des

Nach Anwanders Weggang konnte die Spiritualsstelle – wohl aufgrund der politischen Verhältnisse – nicht mehr ordentlich besetzt werden. Die bayerischen Bischöfe beschlossen daraufhin, einen Priester des Franziskanerordens mit der Wahrnehmung der Aufgaben des Spirituals zu betrauen, dieser stand aber nur stundenweise zur Verfügung. Bereits der Umstand, dass die diesbezügliche Mitteilung an Weigl jede Kleinigkeit regelt, bis hin zu der Vorschrift, dass dem entsprechenden Franziskanerpater ein »bei kalter Jahreszeit geheizte[s] Zimmer« zur Verfügung zu stellen sei, wirft ein bezeichnendes Licht auf das schlechte Verhältnis zwischen Erzbischof und Georgianum und lässt die Methoden erahnen, mit denen Weigl sich gegen jede bischöfliche Einmischung sträubte, vgl. EAM, NL Faulhaber 5776/2, Faulhaber an Weigl vom 06. 04. 1935. Hingegen berichtete Weigl in seinen Erinnerungen, der Spiritual sei hinter seinem Rücken ernannt worden und er habe erst davon erfahren, als dieser vor der Tür stand und sich vorstellte; vgl. Unterburger, Zwischen Universität und bischöflicher Kontrolle, 314. 466 Albert Vierbach, Dr. theol., geb. am 28. 03. 1886 in Pfronten, Priesterweihe 1893, gehörte der Diözese Augsburg an. Neben seiner Tätigkeit als Subregens am Herzoglichen Georgianum war er als Assistent am Homiletischen Seminar der Universität München tätig, nach 1945 Generalvikar und Dompropst im Bistum Augsburg, gest. 1972; vgl. Schematismus 1933, XXIII. 467 Rudolf Hofmann, Dr. theol., geb. am 15. 03. 1903 in Straubing, Priesterweihe 1927 in Freising, 1927 Kaplan in Pasing, 1929 wegen Krankheit zeitweiser Ruhestand, 1930 zu Studien beurlaubt und Hausgeistlicher im Herz-Jesu-Kloster in München, 1934 Subregens im Herzoglichen Georgianum und Assistent am Homiletischen Seminar der Universität München, 1939 Prediger in München Hl. Geist, 1940 Vertretung der Prof. für Moraltheologie an der Universität Prag, 1943 aktiver Wehrdienst, 1946 ao. Professor für Moraltheologie in Passau, 1956 Professor für Moraltheologie in Freiburg/Brsg., 1969 emeritiert, gest. am 28. 02. 1994; vgl. Schematismus 1969, 225 und 336; Direktorium 2004/05, 52. 468 Vgl. Dürig, Georgianum, 739. 469 Die durchaus strengkirchlich geprägten Statuten aus dem Jahr 1893, die bis zur Auflösung 1939 formell gültig waren, sind überliefert in EAM, NL Faulhaber 5776/2. Jedoch scheinen diese – vor allem dem nachfolgenden noch zitierten Zeugnis der Zeitzeugen zufolge – in dieser strengen Form in der Amtszeit Weigls nicht mehr angewandt worden zu sein. 470 Vgl. EAM, NL Faulhaber 5776/2, Visitatio Apostolica im Georgianum, Januar 1939: »Adsunt 6 contubernia communia, in quibus alumni secundum ordinem alphabeticum habitant; minimum contubernium 8, maximum 12 alumnos complectitur.« © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Durchschnitts der Studierenden, blieb den Georgianern gelegentlich Raum nebenbei privaten Interessen und Neigungen nachzugehen und Vorlesungen in nichttheologischen Fächern zu besuchen, die nicht auf dem Studienplan standen.471 Diese Hobbys hatten einen gewissen elitären Status innerhalb der Theologenschaft zur Folge.472 Der liberale Führungsstil und die Lage mitten in der Münchener Innenstadt brachten stärkere Durchlässigkeit zu äußeren Welt mit sich. Obwohl den Studierenden abendlicher Ausgang naturgemäß nicht offiziell gestattet war, wurde er faktisch von Weigl geduldet: Der Seminarist Engelbert Neuhäusler, der Mitte der 1930er Jahre im Georgianum lebte, erinnerte sich: »Wir konnten also nach 22 Uhr tun, was wir wollten. Jeder hat seine Petroleumlampe gehabt und da konnte man also aufbleiben, niemand hat uns kontrolliert.«473 Die Studenten blieben aber nicht nur auf, sie gingen auch aus: »… wie viele sind wir damals zum Weiß Ferdl gegangen, am Platzl, gegenüber vom Hofbräuhaus. Ja und dann wollten wir nicht erkannt werden, dass wir Schwarze sind.«474 Damit sie als Kleriker nicht erkannt wurden, trugen die Studenten helle Mäntel über dem Priesterrock, die man in einem speziellen Raum nahe der Pforte des Georgianums verbarg. Der Pförtner wurde mit einer Mark pro Mann bestochen. Das Platzl gegenüber dem Hofbräuhaus, wo Münchener Volkssängergrößen auftraten, war ebenso Ziel, wie die Oper, verschiedene Theater und Konzerte.475 Bei den Interessen mischten sich also Vergnügungen ohne besonderen Anspruch für ein eher kleinbürgerliches Zielpublikum mit bürgerlicher Hochkultur. Weigl duldete dieses für ein Priesterseminar äußerst ungewöhnliche Treiben offenbar. Dass es ihm verborgen geblieben war, nahm keiner an.476 471 So berichtete ein ehemaliger Student: »Und in der Uni in München, da habe ich faktisch alles gehört, bloß nicht Theologie. Theologie hatte ich entweder durchs Manuskript eines Mitschülers, dessen Stenographie ich lesen konnte, und das habe ich dann durchgeochst in ein oder zwei Stunden im Englischen Garten. (…) Ich war also frei und bin herumzigeunert an der Uni die ganzen vielen Semester.« EAM, Priesterbefragung 2003, Interview mit Engelbert Neuhäusler. 472 EAM, Priesterbefragung 2003, Interview mit Johannes Baumgartner. 473 EAM, Priesterbefragung 2003, Interview mit Engelbert Neuhäusler. 474 EAM, Priesterbefragung 2003, Interview mit Alfred Läpple. Weiß Ferdl war der Künstlername des Münchener Volkssängers Ferdinand Weißheitinger (1883–1949). Er trat seit 1906 mit volkstümlichen Programmen im Szenelokal Platzl auf und bediente mit seinen Themen vorwiegend die Ressentiments kleinbürgerlicher Schichten. 475 EAM, Priesterbefragung 2003, Interview mit Alfred Läpple. Diese Umstände blieben auch den Freisinger Studenten nicht verborgen, entsprechend setzten diese sich hiermit in der Faschingszeitschrift des Jahres 1926 satirisch auseinander: »Nach einer noch nicht bestätigen Mitteilung aus München sollen in Konzertsälen Zöglinge des Georgianums gesehen worden sein, die sich nachweislich weder im Chor noch im Orchester beteiligten. Dies ist für den Ruf der Erzdiözese u[nd] Landeshauptstadt umso bedauerlicher, als z. B. in der Provinzstadt Freising durch Maßnehmen [sic!] gesorgt ist, dass die Musik durch den Besuch solcher Elemente nicht entweiht wird.« In: Der Scheinwerfer [Faschingszeitschrift der Freisinger Klerikalseminaristen], Nr. 3, 1926, 4. 476 Vgl. EAM, Priesterbefragung 2003, Interviews mit Alfred Läpple und mit Engelbert Neuhäusler. Weigls Biograph Walter Dürig (Dürig, Eduard Weigl, 269) vertrat die Auffassung, dieser sei ab Ende der 1920er Jahre stark resignativ gestimmt gewesen, weil ihm die Aufgabe der persönlichen © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Das Jahr 1933 markierte für das Georgianum und seine Studenten keinen fundamentalen Umbruch. Ob dies tatsächlich auf das Wohlwollen der höheren Beamten im Kultusministerium zurückzuführen war – wie Walter Dürig mit Verweis auf einen Zeitzeugen konstatierte477 –, ist fraglich. Dem Verfasser scheint eine solche These eher abwegig, zumal das Kultusministerium sich in anderen kirchlichen Belangen – etwa beim Abbau der Bekenntnisschulen oder bei der Schließung der klösterlichen Mittelschulen  – kaum sensibel zeigte.478 Vielmehr scheint das Georgianum, ungeachtet seiner räumlichen Nähe zur Universität, zunächst nicht in besonderer Weise im Fokus der nationalsozialistischen Kirchenpolitik gestanden zu haben. Die Studierenden beteiligten sich wie andere auch an der Fachschaftsarbeit, in politischer Hinsicht hielten sie sich zurück und gingen ihren Studien nach. Infolge der engen Anbindung des Georgianums an die theologische Fakultät der Münchener Universität, geriet es aber 1939 schließlich in den Sog der Ereignisse, die zur Schließung der Fakultät zum Ende des Wintersemesters 1938/39 führten,479 und wurde nur zwei Monate später ebenfalls geschlossen.480 Das Max-Joseph-Stift, ein staatliches Mädchen-Internat, zog noch im Verlauf des Jahres 1939 auf Weisung des Kultusministeriums in das Georgianums-Gebäude ein.481 Die Studenten mussten zurück in Ihre Heimatdiözesen oder an andere Universitäten und Seminare, sofern sie nicht ohnehin zum Heeresdienst eingezogen wurden. Direktor Weigl konnte seine Wohnung im Georgianum zunächst behalten und wurde mit der Abwicklung der Stiftung betraut, gegen Ende des Jahres 1942 musste er dann aber doch endgültig ausziehen, um das gesamte Gebäude für staatliche Zwecke frei zu machen.482 Im Luftkrieg wurde das Georgianumsgebäude im Juli 1944 schließlich so schwer beschädigt, dass es nicht mehr bewohnbar war. Der Neuanfang erfolgte nach den Krieg zusammen mit der theologischen Fakultät in den Räumen des Schlosses Fürstenried.483

2.4.4 Diözesankleriker im Collegium Germanikum in Rom Eine besondere Rolle bei der Ausbildung des Klerus hatte das 1552 im Zusammenhang mit den tridentinischen Reformen speziell für die Förderung zukünftiger kirchlicher Führungskräfte aus dem deutschsprachigen Raum gegründete römische Priesterkolleg Formung der Theologen durch die von Faulhaber durchgesetzte Ernennung eines Spirituals verunmöglicht worden sei und sich andere Entwicklungsmöglichkeiten für ihn nicht mehr auftaten. Möglicherweise liegt hierin eine der Ursachen für seinen Verzicht auf ein rigoroses Durchsetzen der Hausdisziplin. 477 Vgl. Dürig, Georgianum, 740 f. 478 Vgl. Müller, Staatsministerium für Unterricht und Kultus, 206. 479 Vgl. hierzu die Ausführungen im noch folgenden Abschnitt über die Katholisch-Theologische Fakultät der Universität München. 480 Vgl. Brunner, Statuta, 359. 481 Vgl. Dürig, Georgianum, 744 f. 482 Vgl. Dürig, Georgianum, 745 und Dürig, Eduard Weigl, 272. 483 Vgl. Brunner, Statuta, 359 f. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Collegium Germanicum et Hungaricum.484 Die so genannten Germaniker, ausgewählt aus den Begabtesten unter den Studenten des jeweiligen Jahrgangs, studierten an der von Jesuiten geleiteten Päpstlichen Universität Gregoriana. Das gesamte Studium dauerte sieben Jahre, die Vorlesungen fanden in lateinischer Sprache statt.485 Zum eigentlichen Studium kam – ähnlich wie in den sonstigen Priesterseminaren auch – eine Vielzahl von hausinternen Veranstaltungen vor allem pastoraltheologischer Natur, aber auch auf die musische Bildung wurde viel Wert gelegt. Untergebracht waren die Studenten seit 1886 im als Seminargebäude dienenden ehemaligen Hotel Costanzi in der Via S. Nicola da Tolentino.486 Das Germanikum diente als »sekundäre Sozialisationsinstanz« des Priesternachwuchses deutscher Bistümer der »Steigerung [der] Qualifikationen wie auch der hierarchischen Abhängigkeit und Berechenbarkeit des Kirchenpersonals«487, welches hier auf die mögliche spätere Übernahme von Spitzenpositionen vorbereitet wurde. Die bayerischen Bistümer, besonders München-Freising und Regensburg, bildeten unter den deutschen Bistümern zunächst das Hauptreservoir für den Nachwuchs. Während des Kulturkampfs war 1873 jedoch in Bayern ein formelles Verbot des Studiums am Germanikum erlassen worden, welches erst 1888 wieder aufgehoben wurde.488 Durch das Bayerische Konkordat von 1924 war das römische Studium dann einem im Inland absolvierten gleichgestellt worden.489 Die Zahl der Germaniker erreichte 1935 mit 147 Seminaristen ihren Höchststand und sank schließlich bis Mitte der 1940er Jahre auf unter 30490, was einerseits mit dem Ende der 1930er Jahre in Angriff genommenen Seminarneubau,491 andererseits mit dem fast zeitgleich ausgebrochenen Weltkrieg zusammenhing. Die persönlichkeitsprägende Wirkung der Ausbildung war noch massiver als in den heimischen Priesterseminaren. Heimaturlaub war während der siebenjährigen Ausbildungszeit nicht gestattet. Auch die Ferien wurden gemeinsam auf dem haus484 Zur älteren Geschichte des Germanikums vgl. ausführlich Steinhuber, Germanikum und Schmidt, Peter, Germanicum; einen zusammenfassenden Überblick bietet Walter, Germanicum; zu den aus dem Germanikum hervorgegangenen Eliten im 19. und 20. Jahrhundert und ihrem Selbstverständnis Leitgöb, Vom Seelenhirten zum Wegführer. Das Germanikum war Ende des 18. Jahrhunderts in Zusammenhang mit der Aufhebung des Jesuitenordens und dem Verbot Kaiser Joseph II., das Germanikum zu besuchen, zunächst vom wichtigsten Nachwuchsreservoir abgeschnitten und dann schließlich ganz aufgehoben, 1818 jedoch neu begründet worden. 485 Vgl. Walter, Germanicum, 256. 486 Vgl. Walter, Germanicum, 254 f. Das 1886 erworbene Hotelgebäude wurde 1939–1944 durch einen Neubau an gleicher Stelle ersetzt, der das Kolleg bis heute beherbergt. 487 Ebertz, Modernisierungsprozesse, 70. 488 Vgl. Walter, Germanicum, 258 f. 489 Vgl. Art 13 § 1c des Bayerischen Konkordats vom 29. 03. 1924, in: Listl, Konkordate und Kirchenverträge, Bd. 1, 300. 490 Vgl. Walter, Germanicum, 255. 491 Da man das alte Kolleg Ende der 1930er Jahre abriss, war man für einige Jahre auf Ausweichquartiere angewiesen, die nur wenige Seminaristen aufnehmen konnten. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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eigenen Landgut San Pastore in der römischen Campagna verbracht.492 Alle denkbaren Fremdeinflüsse, welche der Internalisierung kirchenoffizieller Werte und Normen hätten hinderlich sein können, wurden von den Seminaristen dadurch ferngehalten. Bei ihrer Aufnahme erhielten die Kandidaten den berühmten roten Talar.493 In der Öffentlichkeit waren sie damit sofort als Seminaristen des Germanikums erkennbar, was einerseits ihre herausgehobene Sonderstellung bereits früh betonte, aber auch die Möglichkeit zur Sozialkontrolle verstärkte. Die Germaniker genossen manchen Komfort, der ihren Studiengenossen in der Heimat fremd war. Einzelzimmer waren im Kolleg ganz im Gegensatz zu den diözesanen Seminaren die Regel. Für ein vielfältiges kulturell-musisches Rahmenprogramm, welches das Ziel verfolgte, die Kandidaten zu umfassend gebildeten Persönlichkeiten heranzuziehen und »zur Behandlung zeitgemäßer Fragen zu befähigen«, war gesorgt. Zudem verbrachten die Alumnen »damit der Geist bei der angestrengten Arbeit nicht seine Frische verliere, […] einen freien Tag der Woche auf einer Villa des Kollegs bei Rom zu.«494 Zeitfragen gegenüber war man in gewisser Weise aufgeschlossen – so beschäftigte man sich etwa im Winter 1934/35 in einem Seminar mit den »soziologischen Grundlagen des Nationalsozialismus.«495 Gleichwohl kann das Germanikum mit seiner strengen jesuitischen Observanz grundsätzlich nicht als Ort theologischen Aufbruchs charakterisiert werden.496 Germaniker fanden sich – wie auch die nachfolgenden Beispiele zeigen – häufiger in besonderen Vertrauensstellungen und verantwortlichen Positionen als gewöhnliche Priester. Die Germaniker bildeten ein besonderes »Rekrutierungsreservoir des geistlichen Personals.«497 Hierfür dürften zwei Kriterien ausschlaggebend gewesen sein: einerseits die Leistung, andererseits die in Rom vermittelte besonders ausgeprägte Treue zur kirchlichen Hierarchie. Nicht unberücksichtigt gelassen werden darf hierbei der Umstand, dass das römische Studium ohnehin nur den Begabtesten unter den Theologen offen stand. Mithin kann man durchaus annehmen, dass der Aufenthalt im Germanikum nicht erst die Voraussetzungen für eine kirchliche Karriere schuf, sondern nur ein Schritt auf dem Weg zu dieser war. Das Personalverzeichnis des Germanikums aus dem Jahr 1936 führte 24 Männer aus der Erzdiözese München und Freising auf.498 Hiervon waren sechs noch 492 Vgl. Walter, Germanicum, 256. Erst ab den 1950er Jahren wurden Ferien in der Heimat möglich. 493 Vgl. Walter, Germanicum, 256. Der rote Talar wurde 1966 abgeschafft. 494 EAM, NL Faulhaber 1405/2, Prospekt des Pontif[icium] Collegium Germanicum Hungaricum zu Rom. 495 Vgl. EAM, NL Faulhaber 1405/1, Rektor des Collegium Germanikum an Faulhaber vom 31. 12. 1934. 496 Zur Schilderung der Atmosphäre am Germanikum vgl. die zahlreichen Erinnerungen und Briefwechsel einzelner Germaniker, etwa den Briefwechsel des Studenten Julius Döpfner mit seinem Freund Georg Angermaier bei: Leugers, Julius Döpfner. 497 Ebertz, Modernisierungsprozesse, 70; zu den Germanikerbischöfen: Leitgöb, Vom Seelenhirten zum Wegführer. 498 Katalog Germanicum 1936 mit Stand 01. 01. 1936. Das Verzeichnis führt sowohl die zu diesem Zeitpunkt im Kolleg befindlichen Kandidaten auf, wie auch die noch lebenden Ehemaligen. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Studierende499, einer war nicht zum Priester geweiht worden und nun in seiner Heimat Studienreferendar500, 16 standen im priesterlichen Dienst501, ein weiterer hatte seinen priesterlichen Beruf aufgegeben.502 Die sechs zum Stichjahr noch Studierenden verfolgten ihren eingeschlagenen Weg und wurden alle zu Priestern geweiht, der letzte dieser Gruppe, Eduard Kammermeier, im Kriegsjahr 1940. Im Gegensatz zu den übrigen Alumnen, die der Bischof als Individuen nicht zur Kenntnis nahm, waren die am Germanikum Studierenden ihrem Bischof von Anfang an persönlich vertraut. Der Rektor des Germanikums informierte Kardinal Faulhaber regelmäßig über 499 Diese waren: Josef Bliemel, geb. am 08. 12. 1912, seit 1934 im Kolleg (Priesterweihe 1939); Jakob Fellermeier, geb. am 21. 07. 1911, seit 1930 im Kolleg (Priesterweihe 1936); Eduard Kammermeier, geb. am 31. 07. 1916, seit 1935 im Kolleg (Priesterweihe 1940); Franz Meyer, geb. am 22. 11. 1914, seit 1934 im Kolleg (Priesterweihe 1939); Emmeran Scharl, geb. am 04. 12. 1911, seit 1933 im Kolleg (Priesterweihe 1938) und Adalbert Stadlhuber, geb. am 21. 03. 1911, seit 1931 im Kolleg (Priesterweihe 1938); alle Angaben nach Katalog Germanicum 1936 und Schematismus 1939 und 1950. 500 Bernhard W. geb. am 09. 02. 1910, 1929–1930 im Germanikum. 501 Diese waren (mit Angabe ihres Status im Jahr 1936): Jakob Angermaier, geb. am 23. 07. 1884, 1906– 1912 im Kolleg, Priesterweihe 1911, Pfarrer in Endorf; Joseph Bader, geb. am 15. 05. 1886, 1908– 1914 im Kolleg, Priesterweihe 1913, Studienrat in München; Johannes Bauer, geb. am 22. 12. 1902, 1923–1929 im Kolleg, Priesterweihe 1928, Seminarpräfekt; Max Berger, geb. am 02. 02. 1868, 1889– 1894 im Kolleg, Priesterweihe 1893, Oberstudienrat a. D.; Josef Berghofer, geb. am 30. 01. 1888, 1909–1915 im Kolleg, Benefiziat und Religionslehrer in München-St. Peter; Michael Höck, geb. am 20. 09. 1903, 1924–1931 im Kolleg, Priesterweihe 1930, Schriftwalter der Münchener Katholischen Kirchenzeitung; Josef Holzner, geb. am 12. 12. 1875, 1895–1902 im Kolleg, Priesterweihe 1901, Studienprofessor in München; Franz Kendler, geb. am 21. 08. 1891, 1911–1914 und 1915–1918 im Kolleg, Priesterweihe 1917, Stiftsvikar bei München-St. Kajetan, Landes- und Diözesanpräses des katholischen Jungmännerverbandes; Georg Lipp, geb. am 16. 10. 1884, 1903–1910 im Kolleg, Priesterweihe 1909, Pfarrer in Ampfing bei Mühldorf; Josef Maier, geb. am 29. 01. 1902, 1925–1929 im Kolleg, Priesterweihe 1928, Spiritual und Benefiziums-Verweser in Traunstein-Sparz; Franz Müller, geb. am 11. 04. 1900, 1920–1924 im Kolleg, Priesterweihe 1925, Direktor des DiözesanCaritasverbandes; Ernst Rüppel, geb. am 17. 03. 1902, 1921–1923 im Kolleg, Priesterweihe 1934, Jesuit, tätig in Florianopolis (Brasilien); Johann Baptist Schauer, geb. am 05. 06. 1872, 1891–1898 im Kolleg, Priesterweihe 1897, Weihbischof und Dompropst; Wendelin Stöttner, geb. am 30. 09. 1905, 1924–1931 im Kolleg, Priesterweihe 1930, Kaplan bei München-St. Johann Baptist; Hubert Wagner, geb. am 30. 12. 1907, 1926–1934 im Kolleg, Präfekt und Dozent am Erzbischöflichen Klerikalseminar; Josef Weißthanner, geb. am 10. 02. 1901, 1922–1929 am Kolleg, Priesterweihe 1928, Erzbischöflicher Sekretär; alle Angaben nach Katalog Germanicum 1936 und Schematismus 1939. 502 Hierbei handelte es sich um Otto Pretzl, geb. am 20. 03. 1893 in Ingolstadt, 1912–1914 im Kolleg, Priesterweihe 1920 anschließend Präfekt am Erzbischöflichen Klerikalseminar Freising, 1925 Direktor der Hansaheime in München, 1926 Promotion zum Dr. theol., 1928 Privatdozent für Alttestamentliche Exegese an der Ludwig-Maximilians-Universität München, 1933 in die philosophische Fakultät umhabilitiert, 1934 ao. Professor, 1935 Ordinarius für semitische Philologie und Islamwissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität München, 1937 ordentliches Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften und Leiter der Kommission für den Apparatus Criticus zum Koran, um 1939 (zivile) Eheschließung und Zurückversetzung in den Laienstand, 1939 aktiver Wehrdienst als Hauptmann d. R., im Januar 1941 Mitarbeiter im Oberkommando der Wehrmacht, gest. am 28. 10. 1941; vgl. Archiv der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Personalakt Otto Pretzl; Higgins, Lost Archive; Ellinger, Orientalistik; Scharff, Otto Pretzl. Der Personalakt im AEM ist nicht erhalten. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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die Entwicklung der ihm anvertrauten Studenten und beurteilte hierbei auch deren Neigungen und Begabungen.503 Die Zukunftspläne der am Germanikum Studierenden waren gelegentlich sogar Gegenstand der Erörterung in den Ordinariatssitzungen, was bei gewöhnlichen Alumnen allenfalls dann geschah, wenn diese sich schwere Vergehen zuschulden hatten kommen lassen.504 Von den 16 Germanikern, die 1936 bereits im priesterlichen Dienst standen, waren 15 im Dienst ihrer Heimatdiözese, einer, Ernst Rüppel, war dem Jesuitenorden beigetreten.505 Traditionell war die Anziehungskraft der Jesuiten auf die Germaniker sehr hoch, obwohl der Eintritt in einen Orden nicht im Sinne des Kollegs war und der Sondergenehmigung des Papstes bedurfte.506 Immerhin drei dieser 15 Geistlichen bekleideten Schlüsselpositionen innerhalb der Diözesanverwaltung im weiteren Sinne. Damit war dem Kerngedanken des Germanikums, verlässliche Kräfte für die Leitung der Diözesen heranzubilden, Rechnung getragen. Die prominenteste Figur ist sicherlich Weihbischof und Dompropst Johann Baptist Schauer. Der Germaniker Josef Weißthanner wurde unmittelbar nach seiner Rückkehr aus Rom 1929 von Kardinal Faulhaber zu dessen Sekretär ernannt, eine Vertrauensstellung, die er 10 Jahre inne hatte. 1946 wurde er Domkapitular und stand schließlich dem Caritasverband der Erzdiözese vor.507 Dass Faulhaber mit Hubert Wagner 1939 erneut einen frisch geweihten Germaniker zum Sekretär ernannte, zeigt sein Vertrauen in die römische Eliteausbildung, wenngleich das Verhältnis zu Wagner schwierig blieb und man schließlich missgestimmt auseinander ging. Wagners anschließende Karriere verlief ohne besondere Höhepunkte.508 Auch in sonstigen besonderen Vertrauensstellungen 503 So schrieb der Rektor des Germanikums im Jahr 1928 über die damals Studierenden Michael Höck und Wendelin Stöttner: »H. Höck neigt zwar seiner Charakteranlage nach zur Melancholie und Depression, kennt aber diese seine Anlage und hat in der Besserung derselben bereits Fortschritte gemacht. Er ist fromm, hält Disciplin und macht seine Studien zur Zufriedenheit. Sein Talent ist mittelmäßig, hat aber einen praktischen Sinn und gute Anlagen zur Schriftstellerei. Gegen die Oberen ist er sehr gehorsam und ergeben. – H. Wendelin Stöttner ist ein heiterer zutraulicher Charakter. Er ist fromm, gewissenhaft in Beobachtung der Disciplin und ein gutes Talent.«, EAM, NL Faulhaber 1405/1, Rektor an Faulhaber vom 25. 01. 1928. 504 Vgl. etwa den Hinweis in AEM, Ordinariatssitzungsprotokoll vom 19. 01. 1934: »Rektor vom Germanikum schickt die Zeugnisse für Fellermaier und Stadlhuber. Fellermaier ist für eine Dissertation bestimmt, erwünscht wäre eine Arbeit aus dem Gebiet der Moraltheologie.« 505 Vgl. Katalog Germanicum 1936, 68. 506 Vgl. EAM, NL Faulhaber 1405/2, Prospekt des Pontif[icium] Collegium Germanicum Hungaricum zu Rom (§ 10) und Walter, Germanicum, 261. 507 Josef Weißthanner, geb. am 10. 02. 1901 in München, 1925 Promotion zum Dr. phil., 1928 Priesterweihe in Rom, 1929 Promotion zum Dr. theol., 1929 Erzbischöflicher Sekretär, 1939 Domprediger und Domkooperator, 1945 Pfarrvikar in Oberornau, Stiftsprediger bei München-St. Kajetan, 1946 Domkapitular, Caritasreferent und Vorsitzender des Diözesancaritasverbandes, gest. am 02. 12. 1971; vgl. AEM, Metropolitankapitel, Personalakt; Nesner, Metropolitankapitel, 561 f. 508 Hubert Wagner, geb. am 30. 12. 1907 in München, nach Studien in Freising und Rom 1932 Priesterweihe ebenda, Promotion zum Dr. theol., 1933 Aushilfspriester bei München-St. Benedikt, 1934 Koadjutor in Schliersee, 1935 Präfekt und Dozent am Erzb. Klerikalseminar Freising, 1939 Erzb. Sekretär, 1945 Rektor des Ursulinenklosters in Landshut, 1955 Pfarrer von Au bei Bad Aibling, © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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wurden Germaniker offenbar gerne eingesetzt: Michael Höck war als Herausgeber der Münchener Kirchenzeitung seit 1934 bis zu deren Verbot 1940 gerade während der Jahre des Nationalsozialismus in einer besonders heiklen und bedeutsamen Position. Es erscheint auffällig, dass Germaniker ausgesprochen zahlreich mit pädagogischen Aufgaben, speziell mit der Ausbildung des Priesternachwuchses und mit der Jugendseelsorge betraut wurden.509 Offenbar galten sie aufgrund ihrer römischen Ausbildung durch Jesuiten als besonders geeignet, im Sinne der römischen Doktrin auf die Jugend einzuwirken. Überproportional viele Germaniker wirkten zudem als hauptamtliche Religionslehrer (Studienräte)510 oder machten als Universitätsprofessoren Karriere.511 Von den 23 zu Priestern geweihten Germanikern der o. g. Gruppe ist einzig Georg Lipp nie mit pädagogischen Aufgaben betraut worden. Er absolvierte 22 Jahre die übliche Routinelaufbahn eines Kooperators und Kaplans auf verschiedensten Posten, bevor er 1932 auf eine eigene Pfarrei investiert wurde.512 1975 Versetzung in den dauernden Ruhestand, gest. am 17. 09. 1978; vgl. AEM, Priesterpersonalakten P III 1892. Ein Teilnachlass des begeisterten Fotografen Wagner mit einer umfangreichen und kulturgeschichtlich bedeutsamen Fotosammlung überwiegend aus den Jahren im Collegium Germanikum ebenfalls im AEM. 509 Jakob Angermaier, Michael Höck, Otto Pretzl und Adalbert Stadlhuber wirkten als Präfekten am Freisinger Knabenseminar, Stadlhuber wurde 1947 dann auch Direktor dieses Seminars; vgl. AEM, Priesterpersonalakten P III 34, P IV 92 und P III 1737. Der Personalakt Otto Pretzls ist im AEM nicht erhalten, die Angabe nach Schematismus 1935, 264. Jakob Fellermeier, Hubert Wagner und Franz Kendler waren Präfekten und Dozenten am Freisinger Klerikalseminar; vgl. AEM, Priesterpersonalakten P III 1892 und P III 855. Der Personalakt Fellermeiers (gest. 2004) war dem Verfasser nicht zugänglich, die Angabe nach Schematismus 1950, 293. Michael Höck wurde 1945 dann auch Regens des Klerikalseminars. Joseph Bader war Präfekt am Albertinum, Josef Maier hatte dasselbe Amt im Studienseminar Traunstein inne; vgl. AEM, Priesterpersonalakten P III 75 und P III 1079. Johann Baptist Schauer war wie bereits ausgeführt zuerst 4 Jahre Direktor des Knabenseminars und dann 14 Jahre Direktor des Klerikalseminars gewesen, bevor er ins Domkapitel aufstieg und dort Referent für die Seminare wurde. Franz Kendler wirkte von 1927–1937 als Jugendseelsorger der Erzdiözese; vgl. AEM PA P III 855. Emmeran Scharl wurde 1947 Landesjugendseelsorger und auch die Leitung des Erzbischöflichen Jugendamtes, das 1938 zu einem Zeitpunkt gegründet wurde, als kirchliche Jugendarbeit durch den Druck der NS-Jugendverbände fast unmöglich geworden war, wurde mit Wendelin Stöttner (neben Stefan Wellenhofer) einem Germaniker anvertraut; vgl. AEM, Priesterpersonalakten P III 1496; Erzbischöfliches Jugendamt, Talente, Aufbruch, Leben, bes. 14–43. 510 Zu den Religionslehrern gehörten Jakob Angermeier (AEM, Priesterpersonalakten P III 34), Max Berger (Personalakt fehlt, Angabe nach Katalog Germanicum 1936, 14), Josef Bliemel (P III 163), Joseph Bader (P III 75), Josef Berghofer (P III 134), Josef Holzner (P III 736) und Josef Maier (P III 1079). 511 Hierzu gehörten Johannes Bauer (AEM, Priesterpersonalakten P III 90), der einen Lehrstuhl für Philosophie an der Universität Salzburg innehatte, Jakob Fellermeier (Personalakt unzugänglich, Angabe nach Schematismus 1999) der Philosophiegeschichte zunächst in Freising, dann in Bamberg lehrte, Eduard Kammermeier (P III 819), Professor für Kirchenrecht in Regensburg und Passau und der in München lehrende Islamwissenschaftler Otto Pretzl (Personalakt fehlt, Angabe nach Katalog Germanicum 1936, 63). 512 Vgl. AEM, Priesterpersonalakten P III 1045. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Eine Garantie für eine außerordentliche Karriere war das römische Studium nicht. Auch die Charakterisierung des Germanikums als Bischofsschmiede lässt sich durch die vorliegende – freilich nur begrenzt aussagekräftige – Stichprobe, zumindest für den Untersuchungszeitraum dieser Arbeit, nicht erhellen.513 Dennoch verliefen die Karrieren der Germaniker fast immer überdurchschnittlich. Sie wurden früher als andere mit Führungs- und Leitungsaufgaben sowie mit verantwortungsvollen Stellungen in der Lehre und Klerusausbildung betraut. Diejenigen, die nicht dauerhaft in der Verwaltung oder Lehre blieben, erlangten im Anschluss an diese Positionen zumeist rasch eigene Pfarrstellen.

2.5 Die Hochschulbildung für den Weltpriesternachwuchs 2.5.1 Voraussetzungen und Rahmenbedingungen des katholischen Theologiestudiums Die Grundanforderungen an die wissenschaftliche Ausbildung der Geistlichen in Bayern waren durch das Bayerischen Konkordat von 1924 festgelegt, in welchem vereinbart wurde, dass die Kirche nur Geistliche in Dienst stellen wird, welche die von der Kirche vorgeschriebenen philosophisch-theologischen Studien an einer deutschen staatlichen Hochschule oder an einer […] entsprechenden deutschen bischöflichen Hochschule oder an einer päpstlichen Hochschule in Rom erfolgreich zurückgelegt haben.514

Die entsprechenden kirchenrechtlichen Bestimmungen sahen für einen Priesteramtskandidaten mindestens zweijährige philosophische Studien und daran anschließend mindestens vierjährige theologische Studien vor.515 Die Systematisierung und Vereinheitlichung der bisherigen kirchenrechtlichen Bestimmungen zum Theologiestudium erfolgt von kirchlicher Seite mit dem Kirchlichen Gesetzbuch von 1917 und der Apostolischen Konstitution Deus scientiarum 513 Jedoch muss hier noch darauf hingewiesen werden, dass mit den Erzbischöfen Joseph Wendel (1952–1960), Julius Döpfner (1961–1976) und Friedrich Wetter (1982–2007/2008) gleich drei der Münchner Erzbischöfe des 20. Jahrhunderts Germaniker waren. Keiner von diesen entstammte jedoch selbst der Erzdiözese. Wie Walter, Germanicum, 262 konstatierte, setzte die Förderung von Germanikern durch die Kurie nach dem Ersten Weltkrieg ein, der Anteil der Germaniker unter den zwischen 1918 und 1962 ernannten deutschen und österreichischen Bischöfen betrug insgesamt etwa ein Drittel. 514 Vgl. Bayerisches Konkordat von 1924, Art. 13 § 1c, nach: Listl, Konkordate und Kirchenverträge, Bd. I, 299 f. Die beiden anderen Bedingungen, die sich aus diesem Konkordatsartikel für den Dienst eines Geistlichen in Bayern ergaben, waren die bayerische oder eine andere deutsche Staatsangehörigkeit (Art.13 § 1a) und das Reifezeugnis eines deutschen vollwertigen humanistischen Gymnasiums (Art.13 § 1b). 515 Vgl. Schröder, Hochschulen in Bayern, 27; Brunner, Statuta, 306. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Dominus vom 24. Mai 1931 und den entsprechenden Durchführungsverordnungen.516 Die Stoßrichtung letzterer im Hinblick auf Deutschland, wo die theologische Ausbildung bereits ein sehr hohes Niveau erreicht hatte, wurde eher als Versuch Roms interpretiert, die »Uniformierung, Romanisierung und neuscholastische Umformung«517 der deutschen theologischen Fakultäten zu erreichen, die aus römischer Sicht zu wenig auf Linie lagen, was sich in »einer übermäßigen Kritiksucht an der amtlichen kirchlichen Lehre«, einem »Übermaß an positiver und einem Mangel an spekulativer Theologie« und in der »ungenügenden Ausrichtung des Studiums an der Neuscholastik und insbesondere dem Neuthomismus« zeige.518 Grundsätzlich war das Studium der Theologie für einen Priesteramtskandidaten in der Erzdiözese München und Freising sowohl an der Philosophisch-Theologischen Hochschule in Freising als auch an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Münchener Universität möglich. Faktisch bildete sich, wie in den vorangegangen Abschnitten zum Klerikalseminar und zum Georgianum bereits angedeutet, eine Art Arbeitsteilung heraus: Annähernd vier Fünftel der Diözesankleriker erhielten ihre wissenschaftliche Ausbildung in der Philosophisch-Theologischen Hochschule auf dem Domberg und lebten im dortigen Klerikalseminar. Nur etwa ein Fünftel, vorwiegend diejenigen, die in Freising als besonders begabt erkannt worden waren und deshalb eine wissenschaftlich höherwertige Ausbildung genießen sollten, absolvierte das philosophische Grundstudium in Freising und wechselte dann zum Studium der Theologie an die Münchener Universität.519 Das Studium an anderen Universitäten, kirchlichen oder staatlichen philosophisch-theologischen Hochschulen oder an einer der päpstlichen Hochschulen in Rom blieb die Ausnahme.520 Ein freies Studium außerhalb des Seminars war aufgrund der geltenden kirchenrechtlichen Bestimmungen nicht möglich.521 Erst zum letzten Studienjahr, dem Alumnatskurs, war es für alle notwendig nach Freising zurückzukehren, um sich innerhalb des Seminars auf die Priesterweihe vorzubereiten. Der Unterschied zwischen der Ausbildung in der 516 AAS 23 (1931), 241–262 und 263–280 (Durchführungsverordnungen der Studienkongregation); Übersetzung: Mayer OSB, Kirchenrechts-Sammlung, Bd. II, 429–442 und 442–455; vgl. auch die umfassende, aus römischen Quellen gearbeitete Habilitationsschrift von Unterburger, Lehramt. 517 Unterburger, Fakultäten, 122. 518 So das Urteil Eugenio Pacellis in seinem Abschlussbereicht als Nuntius in Deutschland aus dem Jahre 1929, vgl. hierzu Unterburger, Fakultäten, 111. Der CIC von 1917 erhob die Methode des Thomas von Aquin in den Rang eines Kirchengesetzes; vgl. Bitterli, Priesterseminar, 12 f. 519 Die Zahlenverhältnisse ergeben sich aus dem Vergleich der Anzahl der Freisinger Konviktoren aus den jeweils drei theologischen Kursen mit den am Georgianum studierenden Konviktoren eben dieser Kurse in den Schematismen. Das entsprechende Zahlenverhältnis liegt langfristig bei 1 zu 4. 520 Gelegentlich studierten Alumnen der Erzdiözese am Canisianum der Jesuiten in Innsbruck, häufig wohl mit der Absicht, in den Jesuitenorden einzutreten. Die Zahl der Germaniker lag im Verhältnis zur Gesamtzahl der Studierenden stets bei unter 3 Prozent. 521 Vgl. Eichmann/Mörsdorf, Kirchenrecht, Bd. II, 107. Die mindestens vierjährige Seminarerziehung war für Priesteramtskandidaten zwingend vorgeschrieben, nur in Ausnahmefällen konnte der Bischof davon befreien. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Provinzhochschule auf dem Domberg und der Universität in der Landeshauptstadt war zunächst vor allem ein qualitativer. Unterschiede ergaben sich dann aber auch hinsichtlich der Methodik und letzten Endes auch hinsichtlich der Weite des vermittelten Weltbildes. Es ist nicht möglich, im Rahmen dieser Arbeit die Grundtendenzen der akademischen theologischen Disziplinen, die Spannungen zwischen den einzelnen Strömungen, die verschiedenen Schulen und Richtungen in der entsprechenden Zeitspanne auch nur annähernd zu skizzieren. Von Hubert Wolf und Claus Arnold wurde auf den doppelten Grundkonflikt der deutschen Theologie in dieser Zeit hingewiesen, zum einen die Auseinandersetzung zwischen der »lehramtlich geförderten neuscholastischen Philosophie und Theologie, die in betont traditionaler Weise das kirchliche Glaubensgut vor dem Hintergrund der aristotelisch-thomistischen Metaphysik auslegen wollte, und den Neuansätzen in den einzelnen theologischen Fächern, wo unter neuzeitlichen Vorzeichen gearbeitet wurde«522, zum anderen die Herausforderung der theologischen Disziplinen durch die neuartigen Zeittendenzen wie den Ersten Weltkrieg, die demokratische Weimarer Nachkriegsordnung, die totalitären Ideologien oder die allgemeinen gesellschaftlichen Modernisierungsprozesse und die mit diesen einhergehenden sittlich-moralischen Liberalisierungstendenzen.523 All das wirkte naturgemäß auf die Studierenden zurück, die unter diesen Vorzeichen ihre akademischen Studien betrieben. Wegen der besonderen Bedeutung des Themas soll hier aber in groben Umrissen zumindest auf den Problemkreis katholische Theologie und Nationalsozialismus hingewiesen werden. Im Hinblick auf die Stellung der katholischen Theologie und der katholischen Theologen zu Politik und Gesellschaft wurde für die nationalsozialistische Zeit in der jüngeren Forschung eine zwischen »Selbsterhaltung« und »Brückenschlag« changierende Spannweite ausgemacht.524 Das vor allem von der älteren Forschung vertretene, aber nicht durch relevante Untersuchungen gestützte Paradigma, nachdem die katholische Universitätstheologie von der nationalsozialistischen Weltanschauung gänzlich unberührt geblieben sei oder sich lediglich partiell und temporär mit dem Nationalsozialismus eingelassen habe, um Schlimmeres zu verhüten – letzteres ein beliebter Topos gerade nach 1945 –, kann inzwischen als überholt,525 respektive als 522 Vgl. die Einleitung von Claus Arnold und Hubert Wolf in: Wolf, Disziplinen, hier 9 f. 523 Zu den theologischen Kontroversen speziell an bayerischen Hochschulen, etwa den Fall Schell oder die Modernismuskrise, vgl. Imkamp, Theologie in Bayern, bes. 551–581. 524 Vgl. die in Burkard/Weiss, Theologie im Nationalsozialismus, zusammengefassten Ergebnisse der Würzburger Tagungsreihe zur katholischen Theologie im Nationalsozialismus mit dem Rahmentitel: »Selbsterhaltung oder Brückenschlag?« 525 Hierzu haben jüngere Forschungen über einzelne Theologen wie die von Gabriele Lautenschläger über Joseph Lortz (Lautenschläger, Joseph Lortz), die von Lucia Scherzberg über Karl Adam (Scherzberg, Kirchenreform) und die von Thomas Marschler über Hans Barion (Marschler, Hans Barion) sowie weitere, umfassend angelegte Forschungsprojekte wie die von Robert Anthony Krieg (Krieg, Catholic theologians) über eine ganze Gruppe von Theologen sowie von Dominik Burkard und Wolfgang Weiß (Burkard/Weiss, Theologie im Nationalsozialismus) © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Form der Vergangenheitsbewältigung526 betrachtet werden. Tatsächlich ist die Lage komplexer, die weltanschauliche Prägung der Professoren vielschichtiger und ihre Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus unterschiedlicher Art. Es lassen sich bei katholischen Theologen dieser Zeit sowohl Vorstellungen einer Politik des Brückenschlags, also des Versuchs, inhaltlich an Konzepte des Nationalsozialismus anzuknüpfen, wie auch Muster von Nonkonformität, Resistenz und Widerstand ausmachen. Diese Feststellung ist im Rahmen dieser Arbeit bedeutsam, weil Hochschulprofessoren in gewisser Weise naturgemäß eminent auf die von ihnen geprägte Generation von Studierenden einwirken.527 Auf den ersten Blick mag es überraschen, dass es vielfach als modern geltende Theologen waren, die dem Nationalsozialismus zuneigten:528 Karl Adam, Hans Barion, Engelbert Krebs, Linus Bopp, Karl Eschweiler, Michael Schmaus und weitere. Die Theologen, die sich um einen Brückenschlag zum Nationalsozialismus bemühten, hatten jedenfalls ihren intellektuellen Horizont bereits für die Modebegriffe der Zeit: Nation, Volk, Raum, Gemeinschaft geöffnet, ein Maßstab, der den älteren Kollegen verschlossen blieb. Eine Schülerin von Michael Schmaus bemerkte später im Hinblick auf dessen NS-Engagement, dass ihm »insbesondere […] seine grundsätzliche Offenheit gegenbeigetragen. Burkard/Weiss, Koordinaten eines Forschungsprojekts, 14, kleideten die Hypothese, dass personelle Kontinuitäten nach 1945 und deren Fortwirken in der Schülergeneration eine Beschäftigung mit »möglicherweise anrüchige[n] Traditionen« innerhalb der katholischen Theologie verhindert habe, vorsichtig in eine Frage. Analoge Phänomene sind jedoch etwa für die Geschichte der deutschen Geschichtswissenschaft nach 1933 bzw. nach 1945 seit dem Historikertag 1998 evident, vgl. Schulze/Oexle, Historiker. Dass solche Faktoren tatsächlich eine Rolle spielen, erlebte auch der Verfasser, dem von wohlmeinender Seite noch im Jahre 2004 von einer Beschäftigung mit der Vita des Dogmatikers Michael Schmaus während der NS-Zeit unter Verweis auf den Umstand abgeraten wurde, dass der seinerzeit amtierende Erzbischof von München und Freising ein Schüler von Schmaus sei und dieser dadurch in ein ungünstiges Licht geraten könnte. Zur Kontoverse um Schmaus, der eine ganze Generation von Nachkriegstheologen wissenschaftlich prägte, vgl. auch Gössmann, Michael Schmaus und Reck, Diskurse. 526 Vgl. hierzu etwa Bendel-Maidl/Bendel, Geschichte und Theologie. Welch obskure Strategien manche Professoren nach 1945 anwandten, um ihre NS-Verstrickung zu verschleiern, zeigt der Fall des Inhabers des Lehrstuhls für Philosophie an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Bamberg, Vinzenz Rüfner. Dessen 1937 erschienenes Werk Gemeinschaft, Staat und Recht transportierte NS-Gedankengut in erheblichem Maß, wurde aber dennoch bald makuliert. Nach 1945 nahm Rüfner dies zum Anlass, sich zum Widerstandkämpfer zu stilisieren. 527 Relativierend ist zu bemerken, dass der Anteil der Priester, die zwischen 1933 und dem faktischen Ende der universitären Theologenausbildung in Freising und München im Jahr 1939 inhaltlich geprägt wurden, im Verhältnis zur Gesamtzahl der Priester gering ist. 528 So auch die These von Imkamp, Theologie in Bayern, zu der Burkard, Kirchenpolitik, 91 jedoch wohl zu Recht anmerkte, dass sie kein wirklich hinreichendes Erklärungsmuster biete. M. E. könnte ein generationeller Ansatz, wie ihn Wildt, Generation des Unbedingten, im Hinblick auf die Führergeneration des Reichssicherheitshauptamtes vertrat und der die besondere Prägung dieser Theologengeneration, auch gerade vor dem Hintergrund des Ersten Weltkrieges, berücksichtigen würde, befruchtend für weitere Forschungen sein. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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über allem Dynamischen und Sich-Verändernden« zum »Verhängnis« geworden sei.529 Häufig waren diese Theologen infolge von Erfahrungen aus dem Ersten Weltkrieg soldatisch geprägt530 und lehnten den politischen Katholizismus, den sie als überlebtes Modell betrachteten, ab. Der Typus des Zentrumsprälaten war ihnen gewissermaßen ein Schreckgespenst aus der Vergangenheit. Hinzu kam häufig eine deutschnationale Tönung, gelegentliche auch sozialromantische Vorstellungen von Volkstum. Der traditionelle kirchliche Antijudaismus erlaubte es, an die antisemitischen Vorstellungen der Nationalsozialisten anzudocken. Schließlich waren auch grundsätzliche antiliberale Haltungen weit verbreitet, ein Hass auf die Phänomene der Massenkultur, Freigeisterei, Zügellosigkeit, Verwahrlosung der Sitten etc. In diesem Zusammenhang bleibt auch auf die grundsätzliche philosophische Problematik hinzuweisen, dass der für das katholische Staatsdenken konstitutive Naturrechtsgedanke Staatsideen fern vom Modell der westlichen Demokratien begründet. So war es zumindest nicht vollkommen abwegig, wenn ein Teil der Theologieprofessoren keinen fundamentalen Gegensatz zwischen katholischer Lehre und nationalsozialistischer Weltanschauung, sondern vielmehr die Möglichkeit zu einer gegenseitig befruchtenden Synthesis sah. Von nationalsozialistischer Seite wurde dieser Gedanke eines Brückenschlags von den maßgeblichen Kräften jedoch nie verfolgt. Im Hinblick auf die Wissenschaftspolitik hat Dominik Burkard zwei Ziele nationalsozialistischer Kirchenpolitik ausgemacht: Die strukturelle Zurückdrängung der Theologie im Ganzen, die als schädlich eingeschätzt wurde und deren inhaltliche Gleichschaltung.531 Diese beiden Ziele bestimmten im Wesentlichen das äußere Schicksal der theologischen Ausbildungsstätten im Nationalsozialismus. Das erstere sollte durch die Aufhebung einer ganzen Reihe von Ausbildungsstätten erreicht werden, die vielfach zunächst auf eine Verschlankung hinauslief, das zweite durch eine entsprechende Berufungspolitik, wobei es nicht so sehr auf die – inhaltlich in der Breite kaum zu erreichende – Zustimmung der Betreffenden zum Nationalsozialismus als auf die »Zurückdrängung des politischen, kämpferischen (ultramontanen) Katholizismus« und die diesen vertretenden Kräfte ankam.532

2.5.2 Die Philosophisch-Theologische Hochschule Freising Die Philosophisch-Theologische Hochschule Freising war die mit Abstand wichtigste Ausbildungsstätte für den Klerus in der Erzdiözese München und Freising.533 Ihre 529 Gössman, Michael Schmaus, 153. 530 Häufig gehörten sie der Generation der gegen Ende des 19. oder zu Beginn des 20. Jahrhunderts Geborenen an, aus der sich auch die Mehrzahl der braunen Priester rekrutierte, vgl. hierzu Kapitel 6 dieser Arbeit. 531 Vgl. Burkard, Kirchenpolitik, 68 und 72. 532 Vgl. ebenda, 90. 533 Gemessen daran ist ihre Geschichte auch auf lokalgeschichtlicher Ebene lange Zeit vernachlässigt worden. Erst in jüngerer Zeit begann man mit einer näheren Betrachtung, jedoch steht eine Untersuchung des Wirkens der Professoren noch aus. Hier ist vor allem der Beitrag von Nickel, © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Geschichte geht bis in das späte 17. Jahrhundert zurück, die Anstalt in der hier zu betrachtenden Form wurde jedoch erst unter Erzbischof Lothar Anselm Freiherr von Gebsattel (1821–1846) im Jahr 1834 zunächst als Lyzeum errichtet. Erst nach einer Neuorganisation zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatte die Freisinger Anstalt dann den Status einer Hochschule und nannte sich seit 1923 entsprechend PhilosophischTheologische Hochschule.534 Dabei handelte es sich nicht um eine kirchliche, sondern um eine staatliche Hochschule, jedoch hatte die kirchliche Obrigkeit aufgrund der geltenden staatskirchenrechtlichen Bestimmungen weitgehende Rechte im Hinblick auf Studieninhalte und Studienorganisation. Insbesondere konnte sie über das Instrument des nihil obstat auf eine ihr genehme Zusammensetzung des Lehrkörpers Einfluss nehmen.535 Im Unterschied zu einer Universität fehlte der PhilosophischTheologischen Hochschule das Promotionsrecht, was sie in gewisser Hinsicht zu einer Einrichtung zweiter Ordnung machte, da wissenschaftliche Forschung infolgedessen hier nicht stattfand.536 Das Freisinger Studium war in hohem Maße verschult und vom Auswendiglernen der Inhalte geprägt, hatte in weiten Teilen folglich nur begrenzt wissenschaftlichen Charakter im engeren Sinn. Am wissenschaftlichen Niveau der philosophisch-theologischen Hochschulen ist bereits von den Zeitgenossen starke Kritik geübt worden.537 Die Theologenausbildung in der Erzdiözese dauerte insgesamt sechs Jahre. Der Studienplan sah zunächst ein dreisemestriges Philosophiestudium vor, an dessen Ende ein je zweistündiges schriftliches Abschlussexamen in den Fächern Metaphysik (evtl. Ethik), Noetik und Psychologie (evtl. Logik), Geschichte der Philosophie, Profangeschichte und einem naturwissenschaftlichen Fach nach Wahl bzw. nach den gehörten Vorlesungen (Physik, Chemie, Biologie, Anthropologie) stand.538 Das philosophische Studium umfasste, wie hier deutlich wird, auch Fächer, die nicht zur Philosophie im eigentlichen Sinn gehörten, sondern den Naturwissenschaften zuzurechnen sind. Die naturwissenschaftlichen Fächer dienten einer vertiefenden Hochschule in Freising, zu nennen, dort 420 Anm. 5 auch ein ausführlicher und kommentierter Forschungs- und Quellenüberblick. Von der älteren Literatur sei hier explizit der Beitrag von Lindner, Hochschule in Freising (überarbeiteter Wiederabdruck eines an anderer Stelle bereits 1969 veröffentlichen Beitrags) genannt, der jedoch für sich selbst höchst problematisch ist und erhebliche Verzerrungen der tatsächlichen Situation enthält, zumal es sich um den Bericht eines selbst Betroffenen handelt, da der Autor in der betrachteten Zeit als Professor für Moraltheologie und Kirchenrecht in Freising amtierte. Er verdient aber mentalitätsgeschichtliches Interesse im Hinblick auf die Selbstwahrnehmung der Professorenschaft nach 1945. 534 Vgl. Nickel, Hochschule in Freising, 421 f. 535 Vgl. zu den staatskirchenrechtlichen Rahmenbedingungen Haering, Vorraussetzungen; Schröder, Hochschulen in Bayern, bes. 25–28. Art. 3 § 1 des Bayerischen Konkordats sah sogar ein kirchliches Beanstandungsrecht bei bereits amtierenden Professoren vor. 536 Vgl. Schröder, Hochschulen in Bayern, 24. 537 Vgl. Imkamp, Theologie in Bayern, 543, der jedoch bemüht war, diese Kritik zu relativieren. 538 Vgl. EAM, NL Faulhaber 5771/1, Examens-Ordnung für die Theologiestudierenden der Erzdiözese München und Freising [ca. 1934]. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Allgemeinbildung und schufen die begrifflichen Grundlagen für die theologischen Fächer. Erst nach erfolgreichem Philosophiestudium konnte das theologische Studium aufgenommen werden. Die theologischen Vorlesungen erstreckten sich auf sieben Semester und umfassten Mitte der 1930er Jahre folgende Teildisziplinen und Semestralprüfungen:539: Einleitung in das Alte Testament Exegese des Alten Testaments Einleitung in das Neue Testament Exegese des Neuen Testaments Kirchengeschichte Patrologie Dogmatik und Apologetik Moraltheologie Kirchenrecht Pastoraltheologie mit Liturgik Pädagogik

1 Semester 3 Semester 1 Semester 3 Semester 4 Semester 4 Semester 6 Semester 4 Semester 4 Semester 2 Semester 4 Semester

1 Examen 1 Examen 1 Examen 2 Examina 2 Examina 2 Examina 5 Examina 3 Examina 2 Examina 2 Examina 3 Examina

Nach Vollendung des akademischen Studiums war für die Kandidaten das Synodalexamen (auch Prüfung pro alumnate genannt) vorgeschrieben. Dieses war vor einer erzbischöflichen Kommission aus dem Gesamtgebiet der Dogmatik, Moraltheologie und des Kirchenrechts jeweils schriftlich und mündlich, aus einem enger abgegrenzten Gebiet der neutestamentlichen Exegese nur schriftlich abzulegen.540 Der nach Ablegen des Synodalexamens in den letzten zwei Semestern folgende Alumnatskurs war ein selbständiger, von der Hochschule unabhängiger und unter Leitung der Vorstände des Klerikalseminars zu absolvierender Kurs, mit dem die Kandidaten für die praktische Seelsorge und auf die Priesterweihe vorbereitet wurden. Die Vorlesungen und Übungen innerhalb des Alumnatskurses wurden dann auch größtenteils nicht mehr durch Professoren der Philosophisch-Theologischen Hochschule gehalten. Sie erstreckten sich auf die Themenkreise Verwaltung des Bußsakraments, Praktische Sakramentenlehre (besonders Eherecht), Rubrizistik (Brevier, Hl. Messe, Rituale), Katechetik, Homiletik, Aszetik (und Mystik) sowie die Verwaltung des Pfarramtes, den so genannten Geistlichen Geschäftsstil.541 Nach 1933 galt die Hochschule bald als schließungsgefährdet, zumal sich in der Erzdiözese mit der theologischen Fakultät der Universität München eine weitere Ausbildungsstätte für den Klerus befand. Da die Philosophisch-Theologischen Hochschulen durch das Bayerische Konkordat eine staatskirchenrechtlich fundamentierte 539 Vgl. EAM, NL Faulhaber 5771/1, Examens-Ordnung für die Theologiestudierenden der Erzdiözese München und Freising [ca. 1934]. 540 Ebenda. 541 Ebenda. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Bestandsgarantie genossen, führte die Staatsregierung den Kampf um ihren Bestand nur bedingt offen. Sie setzte stattdessen, zumal absehbar war, dass die bayerischen Bischöfe und Kardinalstaatssekretär Pacelli nicht gewillt waren, einem Abbau zuzustimmen, auf eine Politik der sukzessiven Erosion. Dies wurde erreicht, indem frei werdende Lehrstühle ab 1936/37 nicht mehr besetzt wurden.542 Geschickt instrumentalisierte die bayerische NS-Regierung nach 1933 die Wünsche des Episkopats nach einer Umwandlung frei werdender naturwissenschaftlicher in theologische Professuren.543 Nach der Entpflichtung des Freisinger Chemikers Alois Ries im April 1933 wies man im Sinne einer Politik des divide et impera auf entgegenstehende Vorstellungen des Professorenkollegiums hin und wandelte schließlich die Professur nicht nur nicht – wie von Faulhaber gewünscht – in eine Professur für Philosophie- und Religionsgeschichte um, sondern ließ sie schlichtweg unbesetzt.544 Außer dem Kirchenrecht (Dominikus Lindner), der Kirchengeschichte (Anton Michel), der Moraltheologie (Robert Linhardt) und der Philosophie (Johann Nepomuk Espenberger) wurden Ende der 1930er Jahre alle Fächer nur noch notdürftig durch jedes Jahr zu verlängernde Lehrstuhlvertretungen oder Lehrbeauftragte gelehrt. Die Jubiläumsfeierlichkeiten zum hundertjährigen Bestehen der Hochschule 1934 fielen – vor allem auf Druck seitens des Kultusministeriums – sehr bescheiden aus.545 Dass schließlich auch nationalsozialistische Fest- und Gedenktage neben die kirchlichen Feiertage traten, ließ sich an der staatlichen Philosophisch-Theologischen Hochschule nicht vermeiden, wenngleich die Leitung des Klerikalseminars – sofern dies möglich war – darum bemüht blieb, ihre Bedeutung mit möglichst unpolitischer Gestaltung herunterzuspielen. Am vorlesungsfreien 20. April 1939, dem 50. Geburtstag Hitlers, schickte man die Seminaristen zur Kirchenbesichtigung nach Landshut und Moosburg.546 Ende 1937 wurden von kirchlicher Seite Überlegungen für eine den Anforderungen der Zeit angepasste Reform der Studienordnung angestellt. Ursache hierfür waren die Einführung des Reichsarbeitsdienstes, die Verkürzung der Gymnasialzeit und die akademische Verpflichtung zu Leibesübungen, welche gesetzlich vorgeschrieben

542 Zu den einzelnen Entwicklungen und Verhandlungen im Vorfeld vgl. Nickel, Hochschule in Freising, 432–436; zur »Personalpolitik der Ausdünnung« ebenda 438–441. 543 Seit Ende der 1920er Jahre strebten die bayerischen Bischöfe einen Umbau der Theologenausbildung an den Philosophisch-Theologischen Hochschulen an. Sie waren bestrebt, gegen den Widerstand der Mehrheit der Professoren, die eine Marginalisierung der Hochschulen befürchteten, die Vielfalt an theologischen Fächern vor allem zu Lasten der naturwissenschaftlichen Fächer der philosophischen Abteilung auszuweiten. Die Bischöfe sahen sich durch die Konstitution Deus scientiarum Dominus von 1931 in ihrer Neigung zu einer stärkeren Akzentverschiebung weg von den Realien, hin zu den theologischen Fächern noch bestärkt; vgl. Nickel, Hochschule in Freising, 428 f. 544 Vgl. ebenda, 428–431. 545 Vgl. ebenda, 425 f. 546 EAM, NL Faulhaber 5771/1, Chronik des Erzbischöflichen Klerikalseminars Freising 1932–1945, 39. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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wurden.547 Beabsichtigt war nun wiederum vor allem eine Ausdehnung der philosophischen Studien, womit der als defizitär empfundenen »Reife und geistige[n] Aufnahmefähigkeit« der Gymnasialabsolventen – eine Folge der durch die Nationalsozialisten verkürzten Gymnasialzeit – begegnet werden sollte. Hingegen sollten die theologischen Studien um ein Semester gekürzt werden und dafür Kirchengeschichte und biblische Fächer bereits während des Philosophiestudiums gelehrt werden.548 Eigenartigerweise war es dann der Apostolische Visitator, welcher im Jahr 1939 die Überfrachtung des Philosophiestudiums mit theologischen Fächern monierte und nochmals eine Ausweitung der philosophischen Fächer, insbesondere der Biologie und Rassenkunde forderte. Dass die Forderung nach derartigen Modefächern zu Lasten der Theologie nicht von staatlicher, sondern von kirchlicher Seite erhoben wurde, überrascht.549 Die jugend- und hochschulpolitischen Maßnahmen der Nationalsozialisten hatten auf die Freisinger Studierenden – ebenso wie auf die Studenten an der Münchener Ludwig-Maximilians-Universität – nur eine geringe unmittelbare Auswirkung. So gab es an der Freisinger Hochschule bereits seit Mitte der 1920er Jahre eine verfasste Studentenschaft.550 Auf Seiten der Studierenden überwog jedoch von Anbeginn an das Desinteresse an dieser, da vielen nicht deutlich wurde, warum sie als Theologiestudierende an einer theologischen Hochschule nun nochmals eine eigene Fachschaft bilden sollten.551 Das Verhältnis zum Gesamtverband, der Deutschen Studentenschaft, blieb seit jeher schwierig, zumal dieser seit seiner Gründung nationalistisch und antisemitisch ausgerichtet, zudem protestantisch dominiert und seit Ende der 1920er Jahre zunehmend nationalsozialistisch unterwandert worden war. Nach 1933 wurde die Deutsche Studentenschaft gleichgeschaltet und per Reichsgesetz auf das Führerprinzip verpflichtet. Dieses galt nun auch für die Studentenschaft der Freisinger Hochschule. Dennoch scheint es auf diesem Gebiet nicht zu einem Konflikt mit der Seminarleitung gekommen zu sein. Regens Westermayr machte hierfür die »maßvolle Klugheit der Studentenführer« verantwortlich, welche den zu erwartenden Störungen und Unverträglichkeiten durch eine Politik des beiderseitigen Einvernehmens vorgebeugt habe.552 Außer der Einrichtung einer Bibliothek, die 1938 an das Seminar 547 Vgl. EAM, NL Faulhaber 5771/3, Denkschrift zur philosophisch-theologischen Ausbildung der Priesteramtskandidaten der Erzdiözese München und Freising (Dezember 1937). 548 Ebenda. Insgesamt mutet der Kurs der Bischöfe in dieser Hinsicht bemerkenswert unentschlossen an. Annähernd ebenso häufig, wie man im Klerikalseminar an der Spaziergangsordnung herumlaborierte, entwarf die Bischofskonferenz Ideen für eine Umgestaltung der Studienordnung. 549 Vgl. EAM, NL Faulhaber 5771/2, Bericht der Apostolischen Visitation im Klerikalseminar Freising 1939. Die Visitation wurde allerdings nicht von einer vatikanischen Delegation, sondern – wie in solchen Fällen üblich – durch einen für diesen Zweck durch den Papst bestellten Apostolischen Visitator durchgeführt. Hierbei handelte es sich um den Koadjutor (seit 1936) und nachmaligen (1939–1958) Bischof des Bistums Fulda, Dr. Johann Baptist Dietz. 550 Vgl. Schröder, Hochschulen in Bayern, 28–49. 551 Ebenda, 28. 552 Vgl. EAM, NL Faulhaber 5771/1, Chronik des Erzbischöflichen Klerikalseminars Freising 1932– 1945, 9 f. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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verkauft wurde, scheint die Studentenschaft der Hochschule keine erwähnenswerte Aktivität entfaltet zu haben. Politische Schulungen fanden hier nicht statt.553 Im Januar 1934 wurde auch für die Freisinger Studenten die Wehrsportpflicht eingeführt, die aber offenbar nur die Philosophen traf.554 An zwei vorlesungsfreien Nachmittagen in der Woche wurden die entsprechenden theoretischen und praktischen Übungen (Wehrkunde, Kartenlesen, Geländeübungen, Kleinkaliberschießen etc.) unter Leitung des SA-Hochschulamtes in München durchgeführt.555 Die zum Ende des Wintersemesters 1938/39 erfolgte Schließung der theologischen Fakultät der Universität München schien zunächst den Fortbestand der Freisinger Hochschule als nun einziger theologischer Hochschule in Oberbayern zu sichern. Nicht zuletzt deshalb war schon von den Zeitgenossen darüber spekuliert worden, diese sei gerade deshalb von Faulhaber bewusst provoziert worden.556 Doch trog der Schein: Nach Kriegsbeginn wurde die Hochschule bereits am 9. Oktober 1939 geschlossen und ihre Räumlichkeiten für vermeintlich kriegsnotwendige Zwecke beschlagnahmt.557 Die noch nicht eingezogenen Studenten wurden an die bischöfliche Eichstätter Hochschule verlegt. 1941 waren trotz der Schließung der Hochschule die Professoren Michel, Linhardt und Lindner an dieser verblieben. Lindner amtierte auch als Rektor.558 Für die Frage nach der Prägung des Klerus durch die Freisinger Hochschule wesentlich entscheidender als die äußeren Umstände ist die Zusammensetzung ihres Lehrkörpers. Insofern die Klerusausbildung bemüht war, äußere Einflüsse zu minimieren, wurden die Inneren umso bedeutsamer. Welche Männer prägten das akademische Weltbild des Klerikernachwuchses gerade in den entscheidenden Jahren der weltanschaulichen Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus? Zunächst waren es vor allem wiederum Priester, denen der Klerikernachwuchs auch in den Hörsälen auf dem Domberg begegnete. Fast alle Professoren hatten zunächst eine Seelsorgerlaufbahn eingeschlagen und dort bei der Verrichtung der üblichen Hilfspriesterdienste oder im Schuldienst Erfahrungen gesammelt, bevor sie ihre akademische Karriere – die sich jedoch bei Priestern in ihren Umrissen stets frühzeitig, in aller Regel bereits während der Studienjahre abzuzeichnen begann – fortsetzen konnten. Während der

553 Ebenda. 554 Vgl. Lindner, Hochschule in Freising, 642. 555 Ebenda. 556 Vgl. Weitlauff, Fakultät, 190 f. 557 Vgl. Nickel, Hochschule in Freising, 442 f. Die bisherigen Hochschulräume wurden von der Oberschule beansprucht, die aus der Vereinigung von Realschule und Gymnasium hervorgegangenen war; vgl. EAM, NL Faulhaber 5771/1, Chronik des Erzbischöflichen Klerikalseminars Freising 1932–1945, 45. 558 Vgl. Lindner, Hochschule in Freising, 649. Die Professoren erteilten den wenigen noch im Klerikalseminar befindlichen Studenten Unterricht; vgl. hierzu die obigen Ausführungen über das Klerikalseminar. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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nationalsozialistischen Zeit amtierten an der Philosophisch-Theologischen Hochschule die nachfolgend aufgelisteten Professoren und Dozenten:559 Name Jahrgang Fach Bartholomäus Heigl560 1870 Neues Testament Johannes Muth561 1868 Dogmatik Stephan Randlinger562 1875 Pädagogik Johann Nep. Espenberger563 1876 Philosophie Alois Ries564 1867 Chemie

lehrte in Freising 1907–1935 1911–1933 1912–1940 1914–1941 1920–1933

559 Unberücksichtig blieben Lehraufträge und Lehrstuhlvertreter bei den nichttheologischen Fächern sowie nebenamtlich als Dozenten an der Hochschule tätige Präfekten des Klerikalseminars, hingegen wurden die theologischen Lehrstuhlvertreter mit aufgeführt. 560 Bartholomäus Heigl, geb. am 24. 04. 1870 in Moosburg, Dr. theol., Priesterweihe 1896 in Freising, Koadjutor in Inzell, Kooperatur-Verweser in Mettenheim, 1897 Kooperatur-Verweser in Hohenbrunn, 1889 Kooperator in München-Sendling, 1899 Benefiziat bei München-St. Peter, 1905 Privatdozent in München, 1907 Professor der Exegese des Neuen Testaments und der biblischen Hermeneutik an der Phil.-Theol. Hochschule in Freising, 1923–1926 Rektor ebenda, 1935 emeritiert, gest. am 02. 04. 1939; vgl. Nickel, Hochschule in Freising, 437 Anm. 75 (mit weiterführender Literatur); Schematismus 1934, XXIII u. 196. 561 Johannes Muth geb. am 03. 10. 1868 in Großohrenbrunn, Priesterweihe 1893 in Bamberg, 1895 Kaplan in Bamberg-St. Martin, Anstaltsgeistlicher in Eglfing-Haar, 1899 Promotion zum Dr. theol., 1904 Privatdozent für Dogmatik in München, 1911–1933 Professor für Dogmatik an der Phil.-Theol. Hochschule Freising, 1930–1933 auch Rektor, 1933 schwer erkrankt, zum 01. 11. 1933 entpflichtet, seit SoSe 1933 vertreten von Joh. Bapt. Walz, gest. am 30. 12. 1933; vgl. Nickel, Hochschule in Freising, 436 Anm. 73 (mit weiterführender Literatur); Schematismus 1933, XXIII. 562 Stephan Randlinger, geb. am 06. 12. 1875 in Feldkirchen, Priesterweihe 1902 in Freising, Heckenstaller-Stipendiat im Klerikalseminar Freising, 1906 Dozent im Klerikalseminar Freising, 1912 Dozent an der Phil.-Theol. Hochschule Freising, 1919 ao. Professor ebenda, 1927 ord. Professor für Psychologie und Pädagogik ebenda, gest. am 24. 04. 1940; vgl. Nickel, Hochschule in Freising, 439 Anm. 89 (mit weiterführender Literatur); Schematismus 1934, XXIII u. 214. 563 Johann Nepomuk Espenberger, geb. am 01. 02. 1876 in Neustift (Diözese Passau), Priesterweihe 1899 in Passau, 1900 Promotion zum Dr. phil., 1901 Stadtpfarrkooperator in Vilshofen, 1903 Promotion zum Dr. theol., 1904–1914 Benefiziat bei München-St. Peter, 1905–1914 Privatdozent für Apologetik an der Universität München, 1912 ao. Universitätsprofessor ebenda, 1914 ao. Professor an der Phil.-Theol. Hochschule Freising, 1923 ordentlicher Professor für Philosophie ebenda, 1933– 1939 Rektor ebenda, 1941 emeritiert, gest. 1954; vgl. AEM, Priesterpersonalakten P III 363; Nickel, Hochschule in Freising, 423 Anm. 12 (mit weiterführender Literatur); Schematismus 1933, XXIII und 204. 564 Alois Ries, geb. am 01. 11. 1867 in Zaiertshofen, Priesterweihe 1891 in Augsburg, Dr. phil., 1903– 1920 Professor in Bamberg, 1920–1933 ordentlicher Professor für Chemie an der Phil.-Theol. Hochschule in Freising, 1924–1933 zugleich Dozent für Mineralogie und Geologie in Weihenstephan, 1933 entpflichtet, seit 01. 01. 1934 durch wissenschaftlichen Assistenten Dr. Julius Schwaibold aus Weihenstephan vertreten; vgl. Nickel, Hochschule in Freising, 428 Anm. 33; Schematismus 1933, XXIII. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Dominikus Lindner565 1889 Moraltheologie/ 1923–1957 Kirchenrecht Anton Mayer-Pfannholz566 1891 Geschichte 1924–1938 Karl Andersen567 1898 Biologie 1925–1938 u. 1946–66 Anton Michel568 1884 Kirchengesch. u. 1929–1950 Patrologie Robert Linhardt569 1895 Moraltheologie 1931–1945 (1960) Lorenz Dürr570 1886 Altes Testament 1933–1938 565 Dominikus Lindner, geb. am 17. 01. 1889 in Grafenwöhr, Priesterweihe 1913 in Regensburg, 1913 Kooperator, 1914 Berufsschulkatechet in München, 1917 Promotion zum Dr. theol., 1918 Benefiziat bei St. Michael in München, 1919 Habilitation für das Fach Kirchenrecht, anschl. Privatdozent in München, 1922/23 Vertreter der Professur für Moraltheologie in Regensburg, 1923 ao. Professor für Moraltheologie an Phil.-Theol. Hochschule Freising, 1930 ordentlicher Professor für Kirchenrecht ebenda, 1939–1945 stv. Rektor ebenda, 1945–1947 ernannter Rektor ebenda, 1957 emeritiert, gest. am 23. 06. 1974; vgl. AEM, Priesterpersonalakten P III 1037; Nickel, Hochschule in Bayern, 438 Anm. 85 (mit weiterführender Literatur); Ziegler, Adolf Wilhelm, Freisinger Domberg, 663; Lindner, Hochschule in Freising. 566 Anton Ludwig Mayer-Pfannholz, geb. am 18. 11. 1891 in München, Absolvent der Stiftung Maximilianeum, Studium der Geschichtswissenschaften an der Universität München, Staatsexamen und Promotion, ab 1915 Gymnasiallehrer, 1924–1938 Professor für Geschichte und Kunstgeschichte an der Phil.-Theol. Hochschule Freising, 1938–1956 an der Phil.-Theol. Hochschule Passau, dort 1944–1947 auch Rektor, 1956 emeritiert, 1959 Bayer. Verdienstorden, gest. 1982; vgl. Nickel, Hochschule in Freising, 419 Anm. 3; Kranemann, Liturgiewissenschaft, 370 f. (beide mit weitererführender Literatur). 567 Vgl. zu seiner Biographie Kapitel 2.4.2. 568 Anton Michel, geb. am 19. 12. 1884 in Ebersberg, Priesterweihe 1909 in Freising, Koadjutor in Bad Reichenhall, 1911 Pfarrvikar in Piding, Präfekt im Städt. Gymnasial-Pensionat in Rosenheim, 1914 Präfekt im Aufseesianum in Bamberg, 1918 Religionslehrer in Rosenheim, 1923 Direktor des Schülerheims in Rosenheim, 1927 zu Studien nach Rom beurlaubt, 1929 ao. Professor für Kirchengeschichte und Patrologie an der Phil.-Theol. Hochschule in Freising, 1945 ord. Professor ebenda, 1950 emeritiert, 1955 Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, gest. am 10. 05. 1958; vgl. AEM, Priesterpersonalakten P III 1163; Nickel, Hochschule in Freising, 438 Anm. 87 (mit weiterführender Literatur); Schematismus 1934, XXIII u. 238. 569 Robert Linhardt, geb. am 24. 03. 1895 in Nürnberg, Priesterweihe 1919 in Freising, Dr. theol., 1919 Hilfspriester in Pullach, 1920 Hilfspriester in Solln, 1921 Hilfspriester in München-Oberföhring, 1922 Benefiziums-Verweser bei Unserer Lieben Frau zu München (Dompfarrei), 1924 Stiftsprediger bei München-St. Kajetan, 1931 ao. Professor für Moraltheologie an der Phil.-Theol. Hochschule in Freising, las seit 1945 nicht mehr, Tätigkeit als Religionslehrer an der Gisela-Oberrealschule in München, 1960 pensioniert, gest. am 16. 01. 1981; vgl. Nickel, Hochschule in Freising, 439 Anm. 88 (mit weiterführender Literatur); Schematismus 1934, XXIII u. 261; AEM, Priesterpersonalakten P III 1039. Eine umfänglichere Untersuchung von Monika Nickel zu Linhardt ist in Vorbereitung, sie wurde in Umrissen auf der Tagung Katholische Theologie im Nationalsozialismus: Moraltheologie und Sozialethik am 20. 09. 2010 in Würzburg vorgetragen. 570 Lorenz Dürr, geb. am 07. 04. 1886 in Oberschwarzach, Priesterweihe 1910 in Würzburg, Dr. theol. und Dr. phil., 1921 Privatdozent für alttestamentliche Exegese und vorderasiatische Religionsgeschichte in Bonn, 1925 Professor an der staatlichen Akademie in Braunsberg, 1933 Professor für alttestamentliche Exegese und biblisch-orientalische Sprachen in Freising, ab Dezember 1937 Professor in Regensburg (bis SoSe 1938 aber noch Vertreter seiner eigenen Professur in Freising), © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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J. B. Walz571 Josef Sickenberger572 Johann Ev. Michl573 Donatus Haugg574 Josef Hasenfuß575

1894 Dogmatik 1872 Neues Testament 1904 Neues Testament 1900 Neues Testament 1901 Dogmatik

1933–1937 1935/36 1936/37 u. 1945–1968 1936–1939 1937–39 u. 1945–48

gest. 1939; vgl. Nickel, Hochschule in Freising, 438 Anm. 80 (mit weiterführender Literatur); Schematismus 1934, XXIII. 571 Johann Baptist Walz, geb. am 18. 07. 1894 in Reundorf, 1915–1917 Weltkriegsteilnehmer, kriegsbeschädigt, 1920 Priesterweihe in Bamberg, Dr. theol., 1927 Privatdozent in Würzburg, 1929/30 Vertretung der Dogmatikprofessur in Bamberg, als Privatdozent seit SoSe 1933 Vertretung der Dogmatikprofessur in Freising (für Johannes Muth), 1934 ordentlicher Professor ebenda, 1937 Professor in Bamberg, 1945 pensioniert, gest. 1966; vgl. Nickel, Hochschule in Freising, 436 f. Anm. 74 (mit weiterführender Literatur); Krenz, Hochschule Bamberg, 393 f.; Denzler, Widerstand, 97–100; Mayer, Lyzeum in Freising, 83; Schematismus 1934, XXIII. 572 Josef Sickenberger, geb. am 19. 03. 1872 in Kempten, Priesterweihe 1896 in Freising, 1896 nach kurzem Seelsorgseinsatz in der Heimat Kaplan am Campo Santo in Rom, 1898 Kurat bei St. Johann Nepomuk in München, 1900 Promotion zum Dr. theol., 1902 Habilitation für neutestamentliche Theologie, Privatdozent an der Universität München, 1903 ao. Professor für Patrologie und christliche Archäologie ebenda, 1905 ord. Professor für Patrologie und christliche Archäologie in Würzburg, 1906 Professor für neutestamentliche Exegese in Breslau, 1924 Professor für neutestamentliche Exegese in München, 1937 Emeritierung, 1937–1939 Vertretung seines vormaligen Lehrstuhls, daneben 1935/36 und 1937–1939 auch Lehrstuhlvertretung an der Phil.-Theol. Hochschule in Freising, gest. am 27. 03. 1945; vgl. AEM, Priesterpersonalakten P III 1690; Nickel, Hochschule in Freising, 437 Anm. 76 (mit weiterführender Literatur); Wesseling, Sickenberger; Schematismus 1935, 57 und 198. 573 Johann Ev. Michl, geb. am 25. 09. 1904, Priesterweihe 1928 in Freising, Kaplan bei St. Vinzenz in München, 1930 Kaplan an der Anima in Rom, 1931 Aushilfspriester bei St. Vinzenz in München, 1932 Kaplan bei Hl. Kreuz in München-Forstenried, 1934 Kurat im Priesterhaus St. Johannes Nepomuk in München, 1935 Promotion zum Dr. theol., 1936/37 Vertretung der Professur für Neues Testament an der Phil.-Theol. Hochschule in Freising, 1939 Habilitation in München, 1939 und 1940 Ernennung zum Dozenten abgelehnt, 1945 ao. Professor in Freising, 1948 ordentlicher Professor ebenda, mehrmals Rektor ebenda, 1969 Professor in München, gest. am 04. 07. 1977; vgl. AEM, Priesterpersonalakten P III 1164; Nickel, Hochschule in Freising, 437 Anm. 77 (mit weiterführender Literatur); Schematismus 1938, 115 und 296. 574 Donatus Haugg, geb. am 27. 03. 1900 in Denklingen, Dr. theol., Priesterweihe 1924 in Augsburg, Habilitation in Braunsberg, ab WiSe 1936/37 Lehrstuhlvertreter für Neues Testament an der Phil.-Theol. Hochschule in Freising, 1939 aufgrund negativer politischer Beurteilung Aufgabe der Hochschullaufbahn und Wechsel in den Kirchendienst, Chorregent in Füssen, ab 1940 Dienst als Feldgeistlicher, 1943 in Woronesch (Rußland) gefallen; vgl. Nickel, Hochschule in Freising, 437 Anm. 78 (mit weiterführender Literatur); Schematismus 1939, XXVI. 575 Josef Hasenfuß, geb. 28. 06. 1901 in Karbach bei Marktheidenfeld, Dr. theol., Dr. phil., Priesterweihe 1927 in Würzburg, anschl. Tätigkeit als Kaplan, 1936 Habilitation, Privatdozent für phil.-theol. Propädeutik in Würzburg, 1937–1939 Vertretung der Professur für Dogmatik in Freising, anschließen wieder Universitätsdozent in Würzburg, 1945 ao. Professor für Fundamentaltheologie an der Phil.Theol. Hochschule in Freising, 1948 ord. Professor für Apologetik und Religionswissenschaft in Würzburg, 1969 emeritiert, gest. 1983; vgl. Nickel, Hochschule in Freising, 438 Anm. 84. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Bei den 16 hier angeführten Professoren, darunter mit dem Historiker MayerPfannholz und dem Biologen Andersen nur zwei Laien, fällt zunächst auf, dass sie allesamt aus Bayern stammten. Sechs der 14 Kleriker waren Priester der Erzdiözese München und Freising, je zwei gehörten den Diözesen Würzburg, Augsburg und der Erzdiözese Bamberg an, je einer den Diözesen Regensburg und Passau. Auch die beiden Laien stammten aus Bayern. Für die Mehrzahl der hier betrachteten Professoren stellte die Freisinger Hochschule, mit Ausnahme der Jahre als Privatdozent und gelegentlichen Lehrstuhlvertretungen, die einzige Station und damit auch bereits den Höhepunkt der wissenschaftlichen Karriere dar. Allenfalls ein Wechsel an eine andere der bayerischen Philosophisch-Theologischen Hochschulen gelang einigen, nicht aber der Wechsel an eine Volluniversität. Ausnahmen bildeten unter den Theologen nur Lorenz Dürr sowie die Lehrstuhlvertreter Sickenberger und Haugg. Dürr stammte aus Würzburg, hatte sich in Bonn habilitiert und war nach einigen Jahren als Privatdozent zunächst an die Akademie in Braunsberg gewechselt, bevor er 1933 nach Freising kam, das er 1937 wieder verließ, um eine Stelle in Regensburg anzutreten. Sickenberger war eigentlich ordentlicher Professor in München. Haugg gehörte einer deutlich jüngeren Generation von Dozenten an, bei denen sich nach dem Zweiten Weltkrieg eine gewisse Mobilität abzuzeichnen begann.576 Der Chemiker Alois Ries – der ebenfalls katholischer Priester war – hatte zuvor bereits 17 Jahre als Professor in Bamberg gewirkt und lehrte Chemie neben Freising auch an der Landwirtschaftsfakultät der Technischen Hochschule München im benachbarten Weihenstephan. Die übrigen Professoren kamen über den provinziellen Dunstkreis der Alma Mater Frisingensis auf dem Domberg, von den Betroffenen selbst mit einer gewissen provinziell-intellektuellen Selbstgefälligkeit und in Anlehnung an barocke Traditionen euphemisierend als Gelehrtenberg (Mons doctus) bezeichnet, nicht hinaus. Die geringe Mobilität der Professoren bedingte zum einen eine außerordentliche lange Zeit des Wirkens in Freising. Die Professoren Bartholomäus Heigl, Stephan Randlinger und Johann Nepomuk Espenberger waren noch vor dem ersten Weltkrieg jeweils im Alter von 37 oder 38 Jahren berufen worden und lehrten fast 30 Jahre lang bis in die NS-Zeit in Freising. Zum anderen führte diese Immobilität zu gewissen Ermüdungs- und Ermattungserscheinungen, die nicht gerade zur Verbesserung der Qualität der Lehre in inhaltlicher und pädagogischer Sicht beitrugen. So sind von studentischer Seite vor allem negative Urteile über die Qualität der Lehrveranstaltungen überliefert. Die Feststellung, die Professoren seien »ältere Herren, biedere Leute«577 gewesen, kann man noch als wertneutral verstehen. Der Theologe 576 Das Paradebeispiel für diese Nachkriegsgeneration ist der junge Joseph Ratzinger, dessen kometenhafte akademische Karriere im November 1954 ebenfalls an der Freisinger Hochschule begann; vgl. AEM, Klerikalseminar Freising, Seminarchronik 1945–1960 (Eintragung vom 3. November 1954): »Der Beginn des Wintersemesters an der Hochschule bringt eine Überraschung: der bisherige Dozent Dr. Ratzinger hat die Professur für Dogmatik übernommen. Schon die ersten paar Vorlesungen werden zu einem Genuß.« 577 EAM, Priesterbefragung 2003, Interview mit Bernhard Egger. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Rupert Berger578, ein Studienfreund Joseph Ratzingers, der vor seinem Wechsel an die Münchener Universität von 1945 bis 1947 in Freising studierte und bei einem Teil der oben angeführten Professoren noch hörte, äußerte in einem Interview mit dem Verfasser im März 2006, die didaktisch-pädagogische und wissenschaftliche Qualität der Freisinger Professoren sei sehr disparat gewesen.579 Erst als Berger an die Universität nach München wechseln konnte, sei ihm auch in anderen Fächern ein wissenschaftlicher Zugang zur Materie im eigentlichen Sinn vermittelt worden.580 Damit soll aber nicht zum Ausdruck gebracht werden, dass die Freisinger Professoren nicht in der Lage gewesen wären, in Wissenschaft und Lehre erstklassiges zu leisten. Es gab durchaus positive Beispiele erfolgreichen Forscherwirkens, etwa Anton Michel, der aufgrund seiner Forschungen zum Schisma des Jahres 1054 im Jahr 1955 in die Bayerische Akademie der Wissenschaften aufgenommen wurde581, oder Anton MayerPfannholz, der zwar vor allem geistes- und kulturgeschichtlich interessiert war582, aber auch auf liturgiegeschichtlichem Gebiet Erstaunliches hervorbrachte583 und als erster Laie 1951 die Ehrendoktorwürde der theologischen Fakultät der Münchener Universität erhielt.584 Im Hinblick auf den Nationalsozialismus ist die Mehrzahl der Professoren nicht in besonderer Weise hervorgetreten. Gleichwohl gab es einige, deren Karrieren unter den Bedingungen des neuen Regimes ungünstig verliefen. Im Fall des Neutestamentlers Johann Michl verhinderte dessen distanzierte Einstellung zum nationalsozialistischen Staat die Ernennung zum Dozenten, diese wurde zweimal abgelehnt,

578 Rupert Berger, Dr. theol., geb. am 26. 06. 1926 in Traunstein, Priesterweihe 1951, Kaplan in Berchtesgaden, 1954 Kaplan in München-Hl. Familie, 1956 Präfekt im Spätberufenenseminar Fürstenried, 1957 Präfekt und Dozent im Klerikalseminar Freising, 1965 Seminarprofessor für Liturgie am Klerikalseminar Freising, 1968 Pfarrer in Bad Tölz, Berater in der Liturgiekommission der Deutschen Bischofskonferenz, seit 1997 im Ruhestand; vgl. Chronologie der Diözesanpriester 2004, 24. 579 So bemerkte Berger etwa über den Philosophen Johann Nepomuk Espenberger, der von 1914 bis 1941 und danach noch vertretungsweise die Philosophieausbildung einer ganzen Theologengeneration prägte, dessen Lehre sei auf der einen Seite »banal«, auf der anderen Seite »weltfremd« und fern der Erfahrungswelt der Studenten gewesen, die überhaupt nicht verstanden, welchen Sinn der von ihm vermittelte Lehrstoff überhaupt hatte. Espenberger habe es nicht geschafft, seinen Studenten einen Zugang zum Lehrstoff zu vermitteln: »Inhaltlich war es reines Papier, was der [Espenberger; Th. Fo.] erzählt hat. Logik- und Erkenntnistheorie hat das geheißen. Wir haben es mühsam mitgeschrieben. Wir haben gar nicht gewusst, was der eigentlich will.« Interview mit Pfarrer Dr. Rupert Berger in Pfister, Ratzinger, 98–114, hier 101 f. 580 Zur neutestamentlichen Exegese bemerkte Berger, ihm sei erst in München »aufgegangen, was unter Exegese überhaupt zu verstehen ist, dass das also etwas anderes ist, als nur griechische Buchstaben zu entziffern.« Ebenda, 103. 581 Vgl. Nickel, Hochschule in Freising, 438 Anm. 87. 582 Vgl. Imkamp, Theologie in Bayern, 641. 583 Vgl. Kranemann, Liturgiewissenschaft, 370 f. 584 Vgl. Nickel, Hochschule in Freising, 419 Anm. 3. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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erst nach dem Ende des NS-Regimes erhielt Michl rasch eine Professur.585 Donatus Haugg musste seine akademische Karriere 1939 infolge einer negativen politischen Beurteilung schließlich ganz aufgeben und wechselte zurück in den Seelsorgsdienst – er fiel 1943 als Kriegspfarrer in der Sowjetunion.586 Bezüglich Josef Hasenfuß’ hält sich das nicht überprüfbare Gerücht, dieser sei aufgrund seines engagierten Eintretens für Juden nicht auf die von ihm vertretungsweise übernommene Freisinger Dogmatikprofessur berufen worden.587 Lorenz Dürr galt als strikter Verfechter des religiösen Wertes des Alten Testamentes588, was für einen Vertreter dieser Fachrichtung zwar nicht verwunderlich ist, während der NS-Zeit aber ein gewisses Politikum darstellte. Die Frage, was als politischer Widerstand, was als bloße Selbstbehauptung oder sich aus der weltanschaulichen Fundierung ergebender Abstand zum Regime zu werten ist, stellt sich auch hier.589 Wenngleich sie der Partei nicht angehörten, standen zumindest die Professoren Johannes Walz und Robert Linhardt dem Nationalsozialismus ausgesprochen positiv gegenüber. Linhardts Positionen waren im Wesentlichen antiindividualistisch, antidemokratisch und nationalistisch.590 Die Kirchenhistorikerin Monika Nickel 585 Bereits im Dezember 1945 wurde er ao. Professor in Freising. Die negativen Einschätzungen Michls durch die Nationalsozialisten finden sich in dessen Personalakt im Universitätsarchiv München (E II 2470 Johann Michl). Der Verfasser dankt Dipl.-Theol. Florian Heinritzi (München) für den freundlichen Hinweis und die Überlassung von Kopien. 586 Vgl. Nickel, Hochschule in Freising, 437 Anm. 78. 587 Vgl. Franz, Hasenfuß. Dies erscheint einerseits insofern fraglich, als aus den oben angeführten Gründen von Seiten des Kultusministeriums schlichtweg grundsätzlich keine Absicht mehr bestand, die frei werdenden Freisinger Lehrstühle wieder zu besetzen, andererseits erhielt Hasenfuß bis zum Ende des NS-Regimes auch an anderem Ort tatsächlich keine Professur, wurde nach dessen Ende aber rasch auf einen Lehrstuhl berufen. 588 Vgl. Imkamp, Theologie in Bayern, 586. 589 Vgl. hierzu Kapitel 8 dieser Arbeit. 590 Seine Weltanschauung lässt sich exemplarisch etwa anhand eines Beitrags transparent machen, den Linhardt auf der ersten Seite der Sylvesterausgabe des Bayerischen Kuriers 1933 prominent platzieren konnte. Unter dem Titel »Von dem Sinn der neuen Zeit. Gedanken zum Jahreswechsel« legt Linhardt hier ein Bekenntnis zum nationalsozialistischen Staat ab, den »jedes ehrliche deutsche Herz als historische Notwendigkeit, als Erfüllungen oder doch Ansätze zu einer Besserung und Sicherung auch unseres irdischen, nationalen Daseins dankbar und hingebungsvoll grüßen« müsse, da er das »Volk aus der Überfremdung, aus der Selbstverlorenheit, aus dem Verrat an gesunder eigener Art in elementarstem Aufflammen seines sittlichen und nationalen Lebenswillens wieder zu sich selbst« zurückführe. Der von Linhardt in Anführungsstriche gesetzte politische Katholizismus wird hier als »nunmehr der Vergangenheit angehörende[s]« und »eigenartige[s] Gefüge« bezeichnet, dessen Beseitigung durch ein »Gottesgericht« herbeigeführt worden sei, die Säuberung vom »großstädtischen Morast« durch die Nationalsozialisten wird ebenso begrüßt wie das Führerprinzip, das »Erlösung« von der »hyperdemokratischen Geschwätzigkeit und Anonymität« gebracht habe. Das katholische Vereinswesen schrieb er als ebenso zeitgebunden und damit überlebt ab. Der »Rückgriff auf die deutsche Tradition« werde, so Linhardt, »zu einer neuen zeitgemäßen Vermählung des Deutschtums und des Christentums führen.« Seine Auffassung eines kommenden »Hand-in-Hand-Arbeitens von Staat und Kirche zum Wohl des Volkes«, eines »heiligen Bundes« zwischen Gott und Volk zeugt freilich von großer politischer Naivität und einem verqueren theo© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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bezeichnete ihn als »Sozialdarwinisten« und hegte Zweifel an der christlichen Fundierung seines Menschenbildes.591 Vor seiner Berufung auf den Freisinger Lehrstuhl für Moraltheologie wirkte Linhardt von 1927 bis 1931 als Stiftsprediger an der Theatinerkirche, parallel zu Heinrich Himmlers Vetter August Wilhelm Patin und anderen.592 Mithin ist er zum spezifischen Umfeld des nationalistischen ehemaligen Hofklerus zu rechnen. Obwohl Linhardt seit 1919 der BVP angehört hatte593, trat er spätestens seit Beginn der 1930er Jahre deutlich für eine Annäherung der Katholiken an Hitler ein.594 Als Professor bemühte er sich, in der Freisinger Hochschule den NSFeiertagskalender zu etablieren, etwa indem er als Redner bei einer Schlageterfeier im Domhof auftrat.595 Bei den Studenten war Linhardt nicht unbeliebt, genoss aber, wegen seiner Eitelkeit und seines exaltierten Auftretens, einen etwas zweifelhaften Ruf, der ihm auch den Spitznamen »der schöne Robert«596 einbrachte. Fachlich war er, selbst angesichts der bescheidenen Freisinger Maßstäbe, ein denkbar unbeschriebenes Blatt. Zu moraltheologischen Fragen publizierte er so gut wie überhaupt nichts und beschränkte sich stattdessen auf das gelegentliche Verfassen von erbaulicher Literatur. Dies bedeutete nicht, dass seine Positionen inhaltlich unproblematisch gewesen wären: Linhardt bewegte sich etwa hinsichtlich der Beurteilung der Eugenik im Fahrwasser des Paderborner Moraltheologen Joseph Mayer597, der in seiner 1927 im Druck logischen Standpunkt. Aus kirchlicher Sicht war seine ungeschminkte Verehrung Hitlers gepaart mit einem starken antirömischen Affekt – Linhardt sprach in Zusammenhang mit dem Papst von »zäsaropapistischen Übergriffen« – indiskutabel; vgl. Robert Linhardt, Vom Sinn der neuen Zeit, in: Bayerischer Kurier 77, 1933, Nr. 364/65 vom 30/31. Dezember 1933. 591 Entsprechende Erläuterungen im Rahmen ihres Vortrags Robert Linhardt (1895–1981) – eine moraltheologische Marginale vorgetragen auf der Tagung Katholische Theologie im Nationalsozialismus: Moraltheologie und Sozialethik am 20. September 2010 in Würzburg. 592 Vgl. zu diesem Kapitel 6.2.2.1 dieser Arbeit. 593 Freundlicher Hinweis von Frau Prof. Monika Nickel (Passau) vom 20. 09. 2010 an den Verfasser. 594 So kritisierte er den politischen Katholizismus in seiner 1933 erschienen Schrift Verfassungsreform und katholisches Gewissen scharf; vgl. Linhardt, Verfassungsreform. 595 Vgl. hierzu Lindner, Hochschule in Freising, 641. Bemerkenswert die Interpretation dieses Ereignisses ebenda, durch die der pronationalsozialistische Linhardt, weil angeblich im Anschluss an die Veranstaltung – aus welchen Gründen auch immer – im Freisinger Rathaus gerügt, von Lindner zu einem Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus stilisiert wurde! 596 Vgl. etwa EAM, Priesterbefragung 2003, Interview mit Karl Hobmair: »Linhardt, von dem hat es geheißen: ›Der schöne Robert‹. Der hat eine gute Nummer bei den Nazis gehabt. Wenn da Kontakt zu knüpfen war, ging das nur über Professor Linhardt.« 597 Joseph Mayer, geb. am 23. 05. 1886 in Egg an der Günz, Priesterweihe 1909 in Augsburg, Präfekt am Knabenseminar in Dillingen, 1913 Kaplan in Oberstorf, 1919 Pfarrer in Berg bei Donauwörth, im Mai 1924 zum Studium der Caritaswissenschaften in Freiburg beurlaubt, 1926 Promotion zum Dr. theol., in seiner Dissertation sprach er, sich auf Thomas von Aquin berufend, für eine Zwangsasylierung ebenso wie Zwangssterilisierung Geisteskranker aus; 1927 Habilitation für das Fach Moraltheologie; 1930 Professor für Moraltheologie an der Philosophisch-Theologischen Akademie Paderborn, 1934 Rektor ebenda; nach 1933 relativierte Mayer seine Positionen teilweise, kam aber zu keiner klaren Haltung; 1939 angebliches Geheimgutachten für die Reichsregierung zur Euthanasiefrage (umstritten); Tätigkeit als V-Mann für die Gestapo; 1945 von seiner Position enthoben und aus der Erzdiözese Paderborn vertrieben; Mayer kam nach München und wurde © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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erschienen Dissertation Gesetzliche Unfruchtbarmachung Geisteskranker erklärt hatte, dass der Missbrauch der Zeugungskraft durch Geisteskranke, worunter er auch die »moralisch Schwachsinnigen« rechnete, das gewaltsame Eingreifen der Staatsgewalt in die Geschlechtsphäre rechtfertige.598 Linhardt verfocht diese Idee der Zwangssterilisierung auch dann noch, als Papst Pius XI. diese in seiner Enzyklika Casti Conubii explizit als der katholischen Glaubens- und Sittenlehre widersprechend verworfen und auch Mayer selbst diese bereits wieder relativiert hatte, und hielt noch nach 1945 beharrlich an seinen diesbezügliche Thesen fest.599 Dass seine Affinität zum Nationalsozialismus keine anfängliche Verirrung war, zeigt etwa der Umstand, dass sich die Ordinariatssitzung noch im Oktober 1941 dazu entschloss, Linhardt künftig die Mitteilungen an den Seelsorgeklerus nicht mehr zukommen zu lassen und ihn damit von wichtigen internen Informationen endgültig abzuschneiden.600 Seine Gesinnung wurde an der Hochschule durchaus reflektiert, so äußerte ein ehemaliger Student im Gespräch mit dem Verfasser hierzu: »Der Linhardt war schon etwas braun angestrichen. Das haben die Theologen schon gewusst.«601 Linhardt konnte seine Karriere »wegen seines aufdringlichen Eintretens für den Nationalsozialismus« – so Faulhaber – nach dem Ende der NS-Zeit, aufgrund eines Einspruchs des Kardinals im Kultusministerium gegen seine Wiederernennung bezeichnenderweise nicht fortsetzen.602 Er prozessierte bis in die 1960er Jahre gegen die zwangsweise Ruhestandsversetzung, unterlag aber schließlich.603 Johann Baptist Walz, ein Priester der Erzdiözese Bamberg und seit 1927 Privatdozent für Dogmatik an der Universität Würzburg, erhielt im Sommersemester 1933 die Vertretung der Freisinger Dogmatikprofessur für den schwer erkrankten Johannes Muth. Walz, Jahrgang 1894, hatte als Kanonier am Ersten Weltkrieg teilgenommen und war schwer kriegsbeschädigt. Er galt als pronationalsozialistisch, gehörte der NSDAP aber nicht an.604 Walz’ akademische Karriere war bis 1933 wenig erfolgreich 1946 (bis 1956) Schriftleiter des Klerusblatts und 1950 (bis 1963) auch des Pfarramtsblatts, gest. am 30. 10. 1967; vgl. Berger, Johannes, Mayer (mit weiterführender Literatur). 598 Vgl. Mayer, Unfruchtbarmachung. 599 Freundlicher Hinweis von Frau Prof. Monika Nickel (Passau) vom 20. 09. 2010 an den Verfasser. 600 Vgl. AEM, Ordinariatssitzungsprotokoll vom 24. 10. 1941. Welcher Vorfall diese Entscheidung auslöste war nicht ermittelbar. 601 EAM, Priesterbefragung 2003, Interview mit Bernhard Egger. 602 Vgl. AEM, Priesterpersonalakten P III 1039, Faulhaber an StMuK vom 08. 10. 1945. Mit unverhüllter Deutlichkeit hatte Faulhaber sich nach 1945 in diesem Dokument zu Linhardt geäußert: »Da ich annehmen muss, dass zur Zeit die Namensliste der Professoren für die theologischen Fakultäten von München und Freising in Vorbereitung ist, bitte ich zur Kenntnis zu nehmen, dass ich gegen das weitere Verbleiben von Professor Dr. Robert Linhardt, des bisherigen Professors für Moraltheologie in Freising, wegen seines aufdringlichen Eintretens für den Nationalsozialismus nach Art. 3 § 1 des Bayerischen Konkordates Erinnerung erheben müsste.« Der genannte Konkordatsartikel beinhaltet das Vetorecht des Diözesanbischofs bei der Ernennung von Theologieprofessoren an staatlichen Fakultäten. 603 Vgl. hierzu den Schriftwechsel in seinem Personalakt im AEM. 604 Hierzu zuletzt Krenz, Hochschule in Bamberg, 393. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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verlaufen. Insbesondere seine Würzburger Referenzen, wo Walz sechs Jahre gelehrt hatte, waren ausgesprochen schlecht, der dortige Dekan Sebastian Merkle schrieb Anfang 1934 über ihn an den bayerischen Kultusminister Hans Schemm: Die Fakultät konnte den Dr. Walz lediglich deswegen nicht für Verleihung und Rang eines a[ußer]o[rdentlichen] Professors (oder einer Professur) vorschlagen, weil seine literarischen Leistungen […] allzu schwach waren. Schon als Privatdozenten hatte man ihn s[einer]Z[eit] nur aus Mitleid mit dem vermeintlich schwer Kriegsbeschädigten empfohlen. Von seinem Habilitationsakt […] sagte mir nachher ein sehr urteilsfähiger Kollege, er sei ›unter allem Luder‹ gewesen.605

Auch aus Freising war Kultusminister Hans Schemm zunächst wenig Positives über Walz zu Ohren gekommen, ein von ihm bei Rektor Espenberger angefordertes Gutachten fiel aber offenbar nicht ungünstig aus, so dass Walz im Dezember 1934 schließlich doch zum außerordentlichen Professor ernannt wurde.606 Walz blieb bis 1937 in Freising, zu diesem Zeitpunkt erhielt er eine ordentliche Professor an der Hochschule in Bamberg. Nach 1945 konnte er seine Karriere nicht fortsetzen. Aufgrund von Dokumenten, die seine Nähe zu den Nationalsozialisten belegten, wurde er 1946 in den vorzeitigen Ruhestand versetzt.607 Inwiefern auch die Lehre und die sonstigen Aktivitäten Walz’ vom Nationalsozialismus beeinflusst waren ließ sich nicht ermitteln. Jochen Krenz wertet seine Kontakte zu den Machthabern als »Anbiederungen«608 eines nur gering Begabten, der sich mit unbedingtem Willen um eine Festanstellung bemühte. Es erscheint jedoch durchaus wahrscheinlich, dass Walz auch von seiner generationellen Prägung her der eingangs charakterisierten soldatisch-nationalen Gruppe von Professoren zuzurechnen ist.

2.5.3 Die Katholisch-Theologische Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität in München In Bayern gab es bis in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg Katholisch-Theologische Fakultäten nur an den Universitäten München und Würzburg.609 An beiden Fakultäten befanden sich, im Gegensatz zu den diözesanen Hochschulen, Studenten aus ganz 605 Zitiert nach Denzler, Widerstand, 99. Das ungünstige Urteil Merkles – der von dem Kirchenhistoriker Professor Wolfgang Weiß (Würzburg) in einem Gespräch mit dem Verfasser selbst als nazifreundlich charakterisiert wurde – kann naturgemäß auch von anderen als rein sachlichen Motiven getragen sein. Jedoch tendieren die fachlichen Urteile über Walz, soweit verfügbar, alle in eine durchaus ähnliche Richtung. 606 Vgl. Nickel, Hochschule in Freising, 436 Anm. 74. 607 Vgl. Krenz, Hochschule in Bamberg, 394 Anm. 113 608 Vgl. ebenda. 609 Vgl. zur Geschichte der Katholisch-Theologischen Fakultät der Münchener Universität v. a. Böhm, Theologische Fakultät; Heim, Theologische Fakultät und Weitlauff, Fakultät (hier 149 Anm. 1 und 150 Anm. 2 ein Überblick über die ältere Literatur zur Fakultätsgeschichte). © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Bayern, auch solche aus den außerbayerischen deutschen Ländern und zum geringeren Teil aus dem vorwiegend deutschsprachigen Ausland. Die Münchener theologische Fakultät war freilich nicht nur die kleinste Fakultät der Universität, sondern auch die kleinste der theologischen Universitätsfakultäten im Deutschen Reich.610 Selbst auf dem Höhepunkt der Auslastung in den 1930er Jahren, blieb die Zahl der an der Münchner Universität immatrikulierten Studenten mit etwa 180 bis 200 auch hinter der Freisinger Hochschule zurück.611 Die bayerischen Katholisch-Theologischen Fakultäten hatten gegenüber anderen universitären Fakultäten – ebenso wie die Philosophisch-Theologischen Hochschulen – eine konkordatsrechtlich garantierte Sonderstellung.612 Das Verhältnis zwischen der Fakultät und der Diözese war wie das zum Herzoglichen Georgianum »durch Distanz gekennzeichnet«.613 Faulhabers seit den 1920er Jahren immer deutlicher werdende strikte Romorientierung bedingte ein Spannungsverhältnis zu Fragen der akademischen Freiheit. Zu Beginn des Jahres 1933 lehrten an der Münchner Fakultät neun ordentliche und zwei planmäßige außerordentliche Professoren, daneben gab es noch einen Emeritus, zwei Dozenten und einen Honorarprofessor. Alle Professoren waren Priester und Theologen, nichttheologische Fächer wurden – im Gegensatz zu Freising – nicht gelehrt, für das Philosophicum hörten die Theologen, sofern sie nicht aus Freising kamen und es bereits dort absolviert hatten, an der philosophischen Fakultät. Im Gegensatz zur Freisinger Hochschule lehrten in München einige der bedeutendsten Vertreter ihrer Fächer. Hervorzuheben sind besonders der Dogmatiker Martin Grabmann614 – dessen Forschungen zur mittelalterlichen Philosophie und Theologie als Epoche machend bezeichnet werden können – und der Kanonist Eduard Eichmann615, 610 Vgl. Weitlauff, Fakultät, 151 f. Weitlauff weist darauf hin, dass unter diesen Voraussetzungen der Wunsch der bayerischen NS-Staatsregierung, die Freisinger Hochschule abzubauen und die Theologenausbildung an der Münchener Universität zu konzentrieren, auch aus Ersparnisgründen durchaus plausibel erscheint. 611 Zur Zusammensetzung der Studentenschaft vgl. Weitlauff, Fakultät, 151 f.; zur Zahl der Studierenden zwischen 1932/33 und 1938/39 vgl. Böhm, Theologische Fakultät, 704. 612 Diese war sowohl durch Art. 3 § 1 und 2 und Art. 4 § 1 des Bayerischen Konkordats als auch durch Art. 19 des Reichskonkordats garantiert. 613 Weitlauff, Fakultät, 196. 614 Martin Grabmann, Dr. phil., Dr. theol., geb. am 05. 01. 1875 in Winterzhofen, Priesterweihe 1898 in Eichstätt, 1898–1900 im Seelsorgsdienst seiner Heimatdiözese, 1900–1902 zu Studienzwecken in Rom, 1902 Kooperator in Eichstätt-St. Walburg, 1906 ao. Professor für Dogmatik am Bischöflichen Lyzeum in Eichstätt, 1913 ord. Professor für christliche Philosophie an der Universität Wien, 1918 ord. Professor für Dogmatik an der Ludwig-Maximilians-Universität München, 1939 Emeritierung, gest. am 09. 01. 1949; vgl. Bautz, Grabmann. 615 Eduard Eichmann, Dr. jur., Dr. theol., geb. am 14. 02. 1870 in Hagenbach, Priesterweihe 1895 in Würzburg, Kaplanstätigkeit, 1898 Jurastudium in München, 1905 ao. Professor für Kirchenrecht an der Deutschen Universität in Prag, 1909 ord. Professor ebenda, 1913 ord. Professor für Kirchenrecht an der Universität Wien, 1918 ord. Professor für Kirchenrecht an der Ludwig-MaximiliansUniversität München, Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, 1936 emeritiert, gest. 1946; vgl. Imkamp, Theologie in Bayern, 643 f. (mit weiterführender Literatur); Schematismus 1939, 70. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Abb. 10: Abschlusstreffen eines Seminars von Prof. Josef Sickenberger (2. v. l., 1924–1937 Ordinarius für Neutestamentliche Exegese an der Ludwig-Maximilians-Universität München) im Sommersemester 1928. Die Aufnahme macht deutlich, dass die strengen Kleidungsvorschriften bezüglich des Talars, in München keineswegs von allen eingehalten wurden, auch nicht vom Ordinarius selbst. Foto: Sammlung Simmerding, München.

der 1929/30 der Universität auch als Rektor vorstand, eine »überragende Gestalt in der Kanonistik seiner Zeit.«616 Auch der Kirchenhistoriker Georg Pfeilschifter617, ebenfalls zeitweiliger Universitätsrektor und einer der Initiatoren der Deutschen Akademie, der Vorläuferinstitution des Goethe-Instituts, Johann Goettsberger618, Professor für 616 Imkamp, Theologie in Bayern, 643. 617 Georg Pfeilschifter, Dr. theol., geb. am 13. 05. 1870 in Mering, Priesterweihe 1894 in Freising, Aushilfspriester in Odelzhausen, Kurat bei St. Johann Nepomuk in München, 1900 Habilitation, 1901 ao. Professor für Kirchengeschichte und Patrologie an der Phil.-Theol. Hochschule in Freising, 1903 Professor für Kirchengeschichte in Freiburg, 1917 Professor für Kirchengeschichte an der LudwigMaximilians-Universität München, 1935 emeritiert, gest. am 02. 08. 1936; vgl. Schematismus 1933, 55 und 192; Wolf, Hubert, Pfeilschifter. Ein Priester desselben Namens, ebenfalls aus der Erzdiözese München und Freising, geb. 1901 in Bad Aibling, war gleichfalls Kirchenhistoriker von 1929 bis 1938 Professor an der Phil.-Theol. Hochschule Dillingen, anschließend Professor an der Universität Würzburg, vgl. Schematismus 1939, 117 und 287. Beide Priesterprofessoren werden häufig miteinander verwechselt. 618 Johann Baptist Goettsberger, geb. am 21. 12. 1868 in Kobl, 1894 Priesterweihe in Freising, Koadjutor in Miesbach, 1895 Präfekt im Erzbischöflichen Knabenseminar Freising, 1897 Dozent und Präfekt © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Alttestamentliche Exegese und Joseph Sickenberger, Professor für Neutestamentliche Exegese, gehörten zu den überregional bedeutsamen Vertretern ihres Fachs. Wie Helmut Böhm, der das Sozialprofil der katholischen Theologieprofessoren näher betrachtet hat, betonte, kamen die Professoren ausnahmslos aus Bayern und stammten aus mittleren und unteren Schichten der Bevölkerung.619 Letzteres unterschied sie recht deutlich von den Professoren anderer Fakultäten, nicht jedoch von ihren Studenten, die überwiegend dieselbe soziale und auch regionale Herkunft hatten. Auch auf dieser Ebene standen sich Studenten und Professoren nahe, im universitären Betrieb insgesamt nahmen sie eine Sonderrolle ein. Die Münchener Professoren waren aber im Vergleich zu den Freisinger Kollegen deutlich mobiler und hatten vielfach bereits Lehrerfahrungen an anderen, auch außerbayerischen Universitäten gesammelt. Als Dekane amtierten an der Münchener Fakultät von 1933 bis 1935 der Pastoraltheologe und Direktor des Georgianums, Eduard Weigl, und nach diesem von 1935 an bis zur Aufhebung der Fakultät 1939 der Vertreter der Alten Kirchengeschichte und Patrologie Johannes Zellinger620. Beide machten von Ihrer Führerkompetenz im Sinne der neuen Hochschulordnung keinen Gebrauch und führten die Fakultät kollegial nach altem Muster.621 Der Einfluss der NSDAP auf die Fakultät blieb nach Ausweis der bisherigen Forschungen zunächst gering. Dekan Weigl war es gelungen, einen unmittelbaren Einfluss der Partei auf die Fakultätsangelegenheiten insoweit zu verhindern, als kein amtlicher Vertreter der nationalsozialistischen Dozentenschaft in die Fakultät entsandt wurde.622 Dies war dem Umstand zu verdanken, dass keiner der Fakultätsmitglieder selbst über die politischen Vorraussetzungen, d. h. eine entsprechende Nähe zur Partei verfügte, um ihm eine solche Aufgabe anzuvertrauen, zugleich aber die Entsendung eines nicht habilitierten Laien in die Fakultät aufgrund deren Statuten nicht möglich war. Man kann das durchaus als Indiz für die Ferne der zu diesem Zeitpunkt an der Fakultät befindlichen Theologen zum Nationalsozialismus insgesamt werten. Gleichwohl waren die Professoren innerhalb der Universität keineswegs isoliert, auch nach 1933 waren sie in wichtigen Aus-

im Erzbischöflichen Klerikalseminar Freising, 1899 Promotion zum Dr. theol., 1900 ao. Professor für alttestamentliche Exegese in Freising, 1903 ord. Professor für alttestamentliche Exegese und biblische Sprachen an der Ludwig-Maximilians-Universität München, 1934 emeritiert, gest. am 11. 08. 1958; vgl. AEM, Priesterpersonalakten P III 507. 619 Vgl. Böhm, Theologische Fakultät, 693. 620 Johannes Zellinger, geb. am 24. 01. 1880 in Hausen bei Nördlingen, 1905 Priesterweihe in Augsburg, Kaplan in Göggingen, 1906 zu Studienzwecken beurlaubt, 1907 Promotion zum Dr. theol., Subregens im Herzoglichen Georgianum in München, in die Erzdiözese München und Freising inkardiniert, 1916 Privatdozent für Kirchengeschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität München, 1919 ao. Professor für Kirchengeschichte des Altertums und Geschichte der christlichen Kunst ebenda, 1927 ord. Professor ebenda, 1947 entpflichtet, Kommorant in Chieming, gest. am 04. 11. 1958; vgl. AEM, Priesterpersonalakten P III 2030. 621 Vgl. Böhm, Universität München, 381. 622 Vgl. ebenda, 689 ff. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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schüssen vertreten.623 Dass die Professoren der theologischen Fakultät bis zu deren Schließung weitgehend unbehelligt blieben und der universitäre Lehrbetrieb seinen geregelten Fortgang nehmen konnte, mochte auch damit zusammenhängen, dass die Professoren – obwohl bis 1933 vielfach Mitglieder der BVP oder des Zentrums – parteipolitisch nie aktiv hervorgetreten waren und teilweise zugleich ein »außergewöhnliches nationales Engagement«624 entwickelt hatten. Dies traf insbesondere auf Eichmann und Pfeilschifter zu.625 Die Fakultät war im Jahr 1933 jedoch bereits deutlich überaltert, sieben Professoren waren bereits über 60  Jahre alt. Sickenberger und Zellinger waren die einzigen Professoren, die ihr Amt im Verlauf der Republik angetreten hatten, die übrigen sieben Professoren amtierten bereits während der Monarchie, einige Professoren hatten ihre Lehrstühle bereits seit annähernd dreißig Jahren inne, und seit der Berufung Sickenbergers im Jahr 1924 war niemand mehr neu an die Fakultät berufen worden. Mithin war eine Neubesetzung der Mehrzahl der Lehrstühle in den dreißiger Jahren zu erwarten. Zudem wurde durch das Gesetz über die Entpflichtung und Versetzung der Hochschullehrer626 ab 1935 die Entpflichtung von Professoren mit dem 65. Lebensjahr verbindlich vorgeschrieben, um so jüngeren und parteinahen Kräften den Weg zu Lehrstühlen frei zu machen. Tatsächlich wurden innerhalb der sechs Jahre von 1933 bis zur Schließung der Fakultät zum Ende des Wintersemesters 1938/39 acht Lehrstühle an der Münchner Fakultät vakant. Sechs hiervon wurden auch zeitnah neu besetzt, anders als an der Philosophisch-Theologischen Hochschule in Freising verfolgte das Ministerium hier also nicht den Weg der systematischen Ausdünnung der Professorenschaft. Wie hier deutlich sichtbar wird, zielten die mittelfristigen Planungen des Ministeriums auf einen Erhalt der universitären Theologenausbildung zu Lasten der Freisinger Hochschule. Es ist deshalb von besonderem Interessen, den Fokus auf diese während der NS-Herrschaft neu berufenen Professoren zu lenken. Zunächst wurden 1935 der Fundamentaltheologe Albert Lang627, der Moraltheologe Theodor Steinbüchel628 623 So wurde etwa der Kanonist Eduard Eichmann im Oktober 1933 in den Senat gewählt und im November 1933 durch den Rektor zu dessen Stellvertreter bestimmt, vgl. ebenda, 382. 624 Böhm, Universität München, 381 Anm. 109. 625 Vgl. ebenda. Hubert Wolf notierte über Pfeilschifter, dieser habe zu »einer neuen Generation national gesinnter kath[olischer] Theologen [gehört], welche die volle Integration in die Universität liberaler Prägung suchte«; Wolf, Hubert, Pfeilschifter, 329. 626 Vgl. Gesetz über die Entpflichtung und Versetzung von Hochschullehrern aus Anlaß des Neuaufbaus des deutschen Hochschulwesens vom 21. 01. 1935, RGBl. I, 1935, 23 f. 627 Albert Lang, Dr. theol., geb. am 05. 10. 1890 in Falkenberg, 1919 Priesterweihe in Regensburg, 1928 Habilitation, 1929 ao. Professor für Dogmatik und Apologetik an der Phil.-Theol. Hochschule in Regensburg, 1935 ord. Professor für Fundamentaltheologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München, 1939 an die Universität Bonn versetzt, 1959 Emeritierung, gest. 1973; vgl. Weitlauff, Fakultät, 157 Anm. 16. 628 Theodor Steinbüchel, Dr. phil., Dr. theol., geb. am 15. 06. 1888 in Köln, 1913 Priesterweihe in Köln, 1922 Habilitation an der Universität Bonn, anschließend ebendort Lehre, 1926 ao. Professor für © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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und der Alttestamentler Friedrich Stummer629 neu berufen. 1936 wurde ein neu geschaffenes Extraordinariat für Pastoraltheologie mit dem Würzburger Privatdozenten Joseph Pascher630 besetzt. Bemerkenswert erscheint, dass bei den Neuberufungen die bayerische Herkunft nun keine maßgebliche Rolle mehr zu spielen schien: Steinbüchel war Rheinländer, Pascher stammte aus dem Westerwald – die Fakultät weitete ihren Horizont nun deutlich über die Grenzen des bayerischen Raumes aus. Keinem dieser Professoren kann eine besondere Nähe zum Nationalsozialismus nachgesagt werden. Fachlich waren sie hervorragend qualifiziert, mit Steinbüchel und Pascher wurden sogar zwei der bedeutendsten Vertreter ihrer Fächer im 20. Jahrhundert nach München berufen. Dies veränderte sich mit der 1936 anstehenden Nachfolge Georg Pfeilschifters auf den Lehrstuhl für die Kirchengeschichte des Mittelalters und der Neuzeit. Die Fakultät hatte auf ihrer einstimmig verabschiedeten Vorschlagsliste auf den ersten beiden Plätzen Männer platziert, deren Nähe zum Nationalsozialismus unübersehbar

Moraltheologie an der Universität Gießen, 1935 ord. Professor für Moraltheologie an der LudwigMaximilians-Universität München, 1941 Ordinarius in Tübingen, 1946–1948 Rektor ebenda, gest. am 11. 02. 1949; vgl. Weitlauff, Fakultät, 157 Anm. 17; von Kloeden, Steinbüchel. Joseph Ratzinger zählte Steinbüchels Schriften zu seinen maßgeblichen geistigen Impulsen. 629 Friedrich Stummer, Dr. theol., Dr. phil., geb. am 07. 09. 1886 in Münnerstadt, 1909 Priesterweihe in Würzburg, 1910–1914 Studienaufenthalt in Berlin, 1918 Habilitation in Würzburg, Privatdozent ebenda, 1923 ao. Prof. für Alttestamentliche Wissenschaft ebenda, 1927–1929 als Stipendiat der Goerres-Gesellschaft in Jerusalem, 1929 Professor an der Phil.-Theol. Hochschule Freising, 1932 ord. Professor für alttestamentliche Theologie in Würzburg, 1936 ord. Professor an der LudwigMaximilians-Universität München, nach der Schließung der Münchner Fakultät Professor in Breslau, 1946 erneut Professor in München, 1952 Emeritierung, gest. 1955; vgl. Weitlauff, Fakultät, 157 Anm. 18; Mühlek, Stummer. 630 Joseph Pascher, geb. am 26. 09. 1893 in Härtlingen, 1916 Priesterweihe in Limburg, anschl. Studium der Mathematik, Pädagogik und orientalischen Sprachen in Frankfurt und Gießen zur Vorbereitung auf das Lehramt, anschl. Priester im Schuldienst in Wiesbaden, 1921 Promotion zum Dr. phil. Frankfurt a. M., 1928 Promotion zum Dr. theol. in Würzburg, 1929 Habilitation für Fundamentaltheologie in Würzburg anschließend Privatdozent ebenda, 1934 Lehrauftrag für phil.-theol. Propädeutik und Apologetik an der Ludwig-Maximilians-Universität München, 1936 ao. Professor für Pastoraltheologie mit Lehrauftrag für Religionspädagogik und Katechetik ebenda, 1940 Professor für Pastoraltheologie in Münster, 1946 Rückkehr nach München, ord. Professor für Liturgiewissenschaft und Pastoraltheologie, zugleich Direktor des Herzoglichen Georgianums, 1957/58 Dekan, 1958/59 Rektor, 1960 Emeritierung, Mitglied der Vorbereitungskommission für das Zweite Vatikanische Konzil, theologischer Berater von Julius Kardinal Döpfner auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil, 1966 ord. Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, gest. am 05. 07. 1979; vgl. Weitlauff, Fakultät, 158 Anm. 19; Schmitt, Pascher. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

Die Hochschulbildung für den Weltpriesternachwuchs223

war. Ludwig Mohler631 und Adolf Herte632. Mohler, seit 1935 Ordinarius und Dekan in Würzburg, war Mitglied der NSDAP, Herte, damals akademisch ein noch eher unbeschriebenes Blatt, stand dem Nationalsozialismus inhaltlich positiv gegenüber und kann zur Gruppe der »Brückenbauer« gerechnet werden. Das Kultusministerium lehnte Mohler ab, da es diesen lieber auf seinem Posten in Würzburg belassen wollte, den er kurz zuvor angetreten hatte. Das Reichserziehungsministerium sah jedoch Herte, der bislang nur an einer diözesanen Hochschule gelehrt hatte und nicht habilitiert war, als zu gering qualifiziert an – ein Urteil das formal sicher zutreffend war – und setzte Mohler, der auch das nihil obstat des Erzbischofs erhielt, schließlich durch.633 Weshalb die Fakultät zwei Kandidaten auf die vordersten Listenplätze setzte, die dezidiert für den Nationalsozialismus eintraten, ist rückblickend schwerlich abzuschätzen.634 Es spricht aber manches dafür, als sei die Frage, ob ein Kollege nun der Partei angehörte oder nicht, für die Professoren zweitrangig gewesen, solange er sich nicht aktiv im Sinne der NS-Ideologie exponierte und daraus resultierende Schwierigkeiten verursachte. Zur Gruppe der Dozenten, denen man neben ihrer katholischen eine genuin nationalsozialistische Überzeugung attestieren muss, zählte auch Anton Stonner635, 631 Ludwig Mohler, geb. am. 16. 07. 1883 in Mannheim, 1907 Priesterweihe in Freiburg, nach Seelsorgsdienst 1910–1912 historische und philologische Studien in Freiburg, 1912 Dr. phil, 1918 Dr. theol., 1920 Habilitation für Kirchengeschichte in Freiburg, 1920 Vertretung des Lehrstuhls für Kirchengeschichte in Münster, 1924 ao. Professor ebenda, 1935 ord. Professor für christl. Dogmengeschichte und christl. Archäologie in Würzburg, Dekan der kath.-theol. Fakultät ebenda, 1937 ord. Prof. für Kirchengeschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität München, 1939 ord. Professor in Freiburg, gest. am 25. 12. 1943; vgl. Weitlauff, Fakultät, 159 Anm. 22. 632 Adolf Herte, Dr. theol., geb. am 28. 08. 1887 in Brilon (Sauerland), 1914 Priesterweihe in Paderborn, Domvikar und Lehrer an der kath. Vorbereitungsschule in Erfurt, 1916 Bischöflicher Kaplan und Geheimsekretär, 1922 Professor für Kirchengeschichte und Patrologie an der Phil.-Theol. Akademie in Paderborn, 1945 wegen Nähe zum Nationalsozialismus aus dem Hochschuldienst entlassen, Seelsorger für Kriegslazarette, 1949 Rektor im St.-Petri-Hospital in Warburg, 1950 Hausgeistlicher im St.-Nikolai-Krankenhaus in Höxter, gest. 03. 03. 1970. H. gilt als herausragende Gestalt der katholischen Lutherforschung; vgl. Drobner, Herte. 633 Vgl. Weitlauff, Fakultät, 158–161. 634 Die Einschätzung von Manfred Weitlauff (Weitlauff, Fakultät, 161), Mohler sei nur aus taktischen Gründen auf den ersten Platz der Fakultätsliste gesetzt worden, mit seiner Berufung nach München habe die Fakultät aber aufgrund seiner erst kurz zuvor erfolgten Berufung nach Würzburg nicht gerechnet, erscheint etwas zweifelhaft, bedenkt man, dass auch Herte als Zweitplatzierter ein nskonformes Profil aufwies. 635 Anton Stonner, geb. am 02. 08. 1895 in Starkstadt, 1914 bis 1928 Mitglied des Jesuitenordens, Priesterweihe 1922 in Innsbruck, seit 1928 als Weltpriester der Diözese Berlin angehörend, 1930 Dr. phil., 1932 Dr. theol., 1935 Habilitation für Pastoraltheologie in München, 1935 bis 1939 Lehrstuhlvertreter für Pädagogik und Katechetik an der Theologischen Fakultät der Universität München, 1940 bis 1945 Lehrstuhlvertreter für christl. Philosophie an der Deutschen Universität in Prag, 1946/47 wiederum Dozent in München, seit 1948 zunächst Lehrstuhlvertreter, dann ordentl. Professor für Pastoraltheologie in Bonn, 1963 emeritiert, gest. am 22. 01. 1973; vgl. AEM, Priesterpersonalakten P III 1771; Borengässer, Pastoraltheologie, 360 f.; Denzler, Widerstand, 74–82. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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seit 1935 Lehrstuhlvertreter für Pädagogik und Katechetik. Stonner legte 1934 sein katechetisches Werk Nationale Erziehung und Religions-Unterricht vor, in dem er sich um eine Verchristlichung der nationalsozialistischen Begriffswelt bemühte und mahnte, »an der großen Erneuerungsbewegung der Gegenwart« teilzunehmen und nicht abseits zu stehen oder gar zu hoffen, »daß sie scheitert«636. Diese Auffassung teilte man zu diesem Zeitpunkt offenbar sogar im Münchener Generalvikariat, weshalb das Werk im Amtsblatt »bestens empfohlen« wurde.637 Stonner hielt bis zum Ende des NS-Regimes an seiner nationalsozialistischen Überzeugung fest – im November 1946 entfernte ihn die amerikanische Militärregierung aus seinem Amt.638 Die große Krise der Münchner Fakultät nahm ihren Anfang, als der Kanonist Eduard Eichmann im April 1936 emeritiert wurde. Da diese Vorgänge bekannt und in der Literatur erschöpfend dargestellt wurden, sollen sie hier nur kurz resümiert werden.639 Zunächst einigten sich die Fakultät, die beteiligten Ministerien und der Erzbischof relativ rasch auf den an der Freisinger Hochschule lehrenden Dominikus Lindner als Nachfolger Eichmanns.640 Doch Lindner sagte überraschenderweise ab, bevor noch überhaupt der offizielle Ruf an ihn ergangen war, indem er gesundheitliche Gründe vorschob, tatsächlich fühlte er sich wohl überfordert.641 Daraufhin brachte das Reichserziehungsministerium den Namen des Rektors der staatlichen Akademie Braunsberg, Hans Barion, ins Spiel.642 Die Fakultät lehnte Barion, der akademisch 636 Stonner, Nationale Erziehung, 164 und 166 (zit. nach Paul, Eugen, Sozialisation und Erziehung, 708). 637 Amtsblatt München 1934, 108. 638 Jedoch verlief das Entnazifizierungsverfahren für ihn günstig, er wurde als »nicht betroffen« eingestuft, konnte auf die Protektion von Domdekan Scharnagl rechnen und wurde im Oktober 1947 von der Bayerischen Staatsregierung wieder eingestellt; kurze Zeit darauf wechselte er dann nach Bonn; vgl. Denzler, Widerstand, 81. 639 Vgl. v. a. die Forschungen von Manfred Weitlauff: Weitlauff, Fall Barion, Weitlauff, Fakultät; Weitlauff, Fakultät in München. Der 2005 erschienene Aufsatz (Fakultät) bietet den umfassendsten Überblick und detaillierte Quellennachweise. 640 Vgl. Weitlauff, Fakultät, 162–165; zur Biographie Lindners den Abschnitt über die Freisinger Hochschule. 641 Vgl. Ebenda, 170 ff. Zu recht wurde bemerkt, dass der Fakultät viel erspart geblieben wäre, hätte Lindner dem Ruf Folge geleistet. 642 Zu Barion vgl. v. a. die umfassende Studie Marschler, Hans Barion; zusammenfassend den Artikel des selben Verfassers im BBKL. Hans Barion, Dr. theol., Dr. iur. can., geb. am 16. 12. 1899 in Düsseldorf, 1917/18 als Soldat im Weltkrieg, 1924 Priesterweihe in Köln, anschl. Seelsorgstätigkeit u. a. als Religionslehrer in Honnef und Kaplan in Menden, 1928 zum Studium an der päpstlichen Universität Gregoriana in Rom, 1930 Habilitation in Bonn, 1931 Dozent an der staatlichen Akademie Braunsberg (Ostpreußen), 1933 ord. Professor für Kirchenrecht ebenda, Eintritt in die NSDAP, Gegner des Reichskonkordats, geheime Gutachtertätigkeit (für die Reichsregierung) in staatskirchenrechtlichen Fragen, im August 1934 vermutlich deshalb durch die römische Konzilskongregation suspendiert (suspensio a divinis), Suspension im Oktober 1935 wieder aufgehoben, 1938 Professor für Kirchenrecht an der Ludwig-Maximilians-Universität München, nach der Schließung der Fakultät 1939 Professor für Kirchenrecht in Bonn, Mitarbeit an der Akademie für Deutsches Recht, 1945 wegen seines © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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seinerzeit noch eher wenig hervorgetreten war, ab und zwar wohl ausschließlich wegen dessen vorangegangener zeitweiliger Suspension, die für einen Theologen, noch dazu einen Hochschullehrer, als starker Makel galt. »Barions NSDAP-Mitgliedschaft scheint demgegenüber kaum ins Gewicht gefallen zu sein«, resümierte der Kirchenhistoriker Manfred Weitlauff.643 Während man im bayerischen Kultusministerium noch immer an Lindner festhielt, der nun nicht berufen, sondern, da bereits in Bayern verbeamtet, schlichtweg von Freising nach München versetzt werden sollte, legte sich das Reichserziehungsministerium, nicht zuletzt unter Druck des Reichskirchenministeriums, auf Barion fest.644 Im November 1937 informierte Reichserziehungsminister Hans Rust Faulhaber über die Absicht, Barion nach München zu berufen und bat ihn entsprechend Art. 3 des Bayerischen Konkordats um das nihil obstat.645 Faulhaber lehnte ab und machte deutlich, dass im Falle einer Berufung gegen seinen Willen damit zu rechnen sei, dass er und die übrigen Bischöfe Bayerns ihre Theologen von der Universität abziehen oder ihnen den Besuch der Lehrveranstaltungen Barions verbieten würden. Rust ignorierte diesen Einwand, Hans Barion wurde mit Wirkung zum 1. Juli 1938 auf den Münchener Kirchenrechtslehrstuhl berufen. Faulhaber verhielt sich in der Folge diplomatisch äußerst ungeschickt, er verweigerte Barion jegliche Anhörung und fuhr, unter Verkennung und Fehleinschätzung der tatsächlichen Machtverhältnisse und Gepflogenheiten des Dritten Reichs, eine harte formaljuristische Linie. Bemerkenswert bleibt der Hinweis, dass Barion auch durch Faulhaber nicht wegen seines NS-Engagments, sondern ausschließlich aufgrund der vorangegangenen Suspendierung abgelehnt wurde, dies ergibt sich zweifelsfrei aus seinem Schriftwechsel mit Kardinalstaatssekretär Pacelli in dieser Angelegenheit.646 In der Folge verbot Faulhaber den in München studierenden Theologen und Doktoranden den Besuch der Lehrveranstaltungen Barions wie angekündigt, widrigenfalls sollten diese von den Weihen zurückgestellt werden.647 Andere bayerische Bischöfe schlossen sich – wohl auf Druck des Konferenzvorsitzenden – aber nicht

NS-Engagements des Amtes enthoben, lebte fortan als Privatgelehrter und freier Schriftsteller, gest. 1973. Barion, der stark vom Denken des Staatsrechtlers Carl Schmitt beeinflusst war, gilt heute als hochintelligenter und höchst origineller Außenseiter innerhalb der Kirchenrechtswissenschaft. Sein Verhältnis zur Kirche blieb auch nach 1945 distanziert und gespannt, die Entwicklungen der Nachkriegszeit, insbesondere das Zweite Vatikanische Konzil, geißelte der Konservative mit kompromissloser und teilweise ätzender Kritik. 643 Weitlauff, Fakultät, 168. Um so mehr steht – im Gegensatz zur Annahme Weitlauffs – zu vermuten, dass sie auch im Falle Mohlers keine Rolle spielte. 644 Das Engagement des RMfKA für Barion ging maßgeblich auf den dortigen Ministerialrat Joseph Roth, einen abgefallenen Priester der Erzdiözese München und Freising, zurück; zu ihm vgl. Kap. 6.2.2.1. 645 Weitlauff, Fakultät, 195. 646 Ebenda, 189. 647 Ebenda. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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ohne Bedenken hinsichtlich der möglichen Folgen, dieser Vorgehensweise an.648 Das bayerische Kultusministerium unterrichtete die Fakultät im Dezember 1938 darüber, dass sie die Schließung zu erwarten habe, sollte das Verbot des Besuchs der Vorlesungen Barions – der sich inzwischen hatte beurlauben lassen – nicht zurückgenommen werden. Es war durchaus beabsichtigt, Faulhaber durch diese indirekte Drohgebärde zum Einlenken zu bewegen. Bischof Kumpfmüller intervenierte daraufhin bei Faulhaber, erhielt aber offenbar keine Antwort.649 Der Kardinal blieb vollkommen unbeweglich, schließlich erreichte ihn im Februar 1939 in Rom die Nachricht von der für das Ende des Semesters angekündigten Fakultätsschließung. Bei einer Konferenz mit dem soeben zum Papst erwählten Eugenio Pacelli am 6. März stellte sich eher überraschend heraus, dass Faulhaber mit seiner Auffassung zu Barion nicht nur im deutschen Episkopat allein stand – auch der Papst stimmte einer friedlichen Lösung des Falles Barion zu, war also mit einer Erteilung des nihil obstat in diesem Fall durchaus einverstanden.650 Faulhaber war dadurch vollkommen isoliert und versuchte nach seiner Rückkehr nach München nun gegenüber den Ministerien einzulenken, ohne dabei sein Gesicht zu verlieren und den Eindruck zu erwecken, er habe »gestern ›Nein!‹ und heute ›Ja!‹ gesagt«.651 Doch hierzu war es bereits zu spät. Die Münchener Fakultät wurde zum Ende des Wintersemesters Ende Februar 1939 geschlossen, die Professoren – soweit wie Sickenberger und Grabmann nicht ohnehin bereits emeritiert oder kurz vor der Entpflichtung – erhielten noch im selben Monat Nachricht über ihre künftige Weiterverwendung an anderen theologischen Universitätsfakultäten. Barion selbst wurde Nachfolger seines Lehrers an der Universität Bonn. Die Studierenden kehrten zumeist in ihre Heimatdiözesen zurück oder wechselten an andere Universitäten. Die Schließung der Münchener Fakultät ist im Kontext der Radikalisierung des Regimes Ende der 1930er Jahre und der vor diesem Hintergrund mehr und mehr eskalierenden Auseinandersetzungen zwischen Staat und Kirche zu sehen. Die Fakultät wurde »Opfer übergeordneter antikirchlicher politischer Interessen, weil sie ohne ihr Dazutun

648 So hegte etwa der Augsburger Weihbischof und Generalvikar Franz Xaver Eberle gegenüber Dekan Eduard Weigl erhebliche Bedenken, ob diese Vorgehensweise »in der heutigen Zeit« klug sei und ob man »es nicht für opportuner ansehen müsste, ein Auge zuzudrücken, um eine größere Katastrophe zu vermeiden. De facto muss es als möglich bezeichnet werden, dass die Theologische Fakultät der Universität München und damit das Georgianum zerschlagen wird. Oder will man das vielleicht?« (Eberle an Weigl vom 18. 10. 1938, zit. nach Weitlauff, Fakultät, 190 f.) Der letzte Satz spielt auf die Vermutung Eberles an, der Eklat sei von Faulhaber bewusst herbei geführt worden, um die Schließung der Münchener Fakultät zu provozieren und so im Gegenzug die von den Nationalsozialisten personell ausgetrocknete Freisinger Hochschule – die ihm als Bischof wesentlich mehr Eingriffsmöglichkeiten erlaubte – als dann einzige Theologenausbildungsstätte in der Erzdiözese zu retten. Diese Hypothese erscheint nicht abwegig, lässt sich aus den Quellen aber nicht erhärten. 649 Vgl. Weitlauff, Fakultät, 192. 650 Vgl. ebenda, 193. 651 Zit. nach ebenda, 194. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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in einer bestimmten historischen Situation in den Brennpunkt der Auseinandersetzungen zwischen Staat und Kirche geraten war.«652

2.6 Theologen beim Reichsarbeitsdienst Kam es vor 1936 nur vereinzelt zur Heranziehung von Theologiestudierenden zum Arbeitsdienst653 und waren diese infolge einer Verfügung des Reichsinnenministeriums vom Januar 1934 zunächst von diesem befreit, so veränderte sich dies durch das Reichsarbeitsdienstgesetz vom 26. Juni 1935.654 Dieses verpflichtete alle jungen Männer zwischen 18 und 25 Jahren zu einem sechsmonatigen Arbeitsdienst. Die Sonderbestimmung für Theologen wurde im Folgejahr aufgehoben und erstmals die Kandidaten des Jahrgangs 1916 zum 1. April 1937 zum Arbeitsdienst einberufen.655 Hiervon waren 51 Kandidaten und 74 bereits zum Studium der Theologie angemeldete Abiturienten betroffen.656 Seitens des Klerikalseminars entließ man die Kandidaten nicht unvorbereitet in den Arbeitsdienst, vermutete man doch dort erhebliche Gefährdungen bezüglich ihrer weltanschaulichen Prägung und sittlich-moralischen Integrität. Die Mehrzahl der Theologen kam während des Arbeitsdienstes zum ersten Mal in ihrem Leben über eine längere Zeit mit einer ihnen fremden Gemeinschaft in Berührung, die größtenteils nicht durch die tief wurzelnde Verankerung in der katholischen Wertegemeinschaft geprägt war. Am Ende des Wintersemesters 1937 wurden den für das Sommerhalbjahr neu Verpflichteten deshalb nicht nur einführende Instruktionen durch zwei Kandidaten, die den Reichsarbeitdienst bereits absolviert hatten sowie durch Regens und Spiritual gegeben, vielmehr kam Kardinal Faulhaber selbst am 21. Februar 1937 nach Freising, um die Kandidaten in einer Exhorte657 besonders auf 652 Böhm, Theologische Fakultät, 724. 653 Zum Arbeitsdienst vgl. grundlegend: Köhler, Arbeitsdienst; Patel, Soldaten der Arbeit. Bereits vom 01.08. bis 15. 10. 1933 leisteten 42 Studierende des dritten philosophischen Kurses Arbeitsdienst in verschiedenen Arbeitsdienstlagern Bayerns. Inwieweit dies freiwillig geschah, bleibt unklar; vgl. EAM, NL Faulhaber 5771/1, Chronik des Erzbischöflichen Klerikalseminars Freising 1932–1945, 10. 654 RGBl. 1935 I, 769–771. 655 AEM, Ordinariatssitzungsprotokoll vom 08. 05. 1936. Im Protokoll ist noch von der Einberufung der Kandidaten des Jahrgangs 1915 zum 01. 10. 1936 die Rede. Diese scheint jedoch – ausweislich der Chronik des Klerikalseminars und der Entwicklung der Kandidatenzahlen – nicht stattgefunden zu haben. 656 EAM, NL Faulhaber 5771/1, Chronik des Erzbischöflichen Klerikalseminars Freising 1932–1945, 26. 657 Bei der Exhorte (von lat. ex hortus = außerhalb des umfriedeten Bereichs) handelt es sich um eine besondere Form der priesterlichen Verkündigung, die anders als die Predigt nicht in der Kirche, sondern ggf. im öffentlichen Raum stattfindet und nicht dogmatisch ausgerichtet ist sondern starken und unmittelbaren Praxisbezug hat. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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die vor ihnen liegende Zeit einzustimmen.658 Es war eine Art Einschwören auf die gemeinsame katholische Sache, gleichsam auf eine Prüfungszeit, die den Kandidaten bevorstehen würde. Künftighin wurden auch regelmäßig Einkehrtage und Exerzitien für die Arbeitsmänner, in der Regel durch Jesuiten, die auch sonstige Exerzitien im Freisinger Klerikalseminar durchführten, abgehalten. Mittels diesen sollten die beim Arbeitsdienst gemachten Erfahrungen verarbeitet und der Weg zurück in den Seminaralltag gestaltet werden.659 Um die Kandidaten auch während der Arbeitsdienstzeit nicht gänzlich ohne theologische Betreuung zu lassen, erhielten diese zudem die »Anweisung, sich zu Beginn des Arbeitsdienstes beim zuständigen Ortspfarrer vorzustellen und von diesem nach Beendigung des Arbeitsdienstes ein Führungszeugnis […] geben zu lassen.«660 Auf diese Weise sollte zumindest die Aufrechterhaltung eines Mindestmaßes an katholischer Lebensordnung (sonntäglicher Kirchgang, regelmäßiger Gang zur Beichte etc.) eingefordert und überwacht werden. Die Erfahrungen der einzelnen Kandidaten beim Arbeitsdienst gestalteten sich in Abhängigkeit von den jeweiligen Dienstvorgesetzten und den Umständen, unter denen sie eingesetzt waren, unterschiedlich. Die körperliche Arbeit an sich scheint weniger Probleme verursacht zu haben.661 Straßen- und Wegebau, Kultivierung von neuem Ackerland, Erntehilfe und sonstige landwirtschaftliche Hilfsarbeiten waren typische Einsatzgebiete der Arbeitskolonnen mit dem Spaten. Die Tätigkeit als solche war dabei aber nur ein Aspekt, vermehrt ging es dem Regime um Erziehungsarbeit im nationalsozialistischen Sinn, mittels der Standesunterschiede eingeebnet und die nationalsozialistische Volksgemeinschaftsgesinnung gefördert werden sollten. An der katholischen Werteauffassung orientierte Theologiestudierende passten nur wenig in dieses Schema. Dies erklärt, warum es gerade beim Arbeitsdienst vielfach zu Konflikten zwischen Theologen und nazifizierten RAD-Führern kam, die unter diesen Umständen ihre temporäre Machtvollkommenheit gegenüber dem weltanschaulichen Gegner ausspielten.662 Dabei kam es offenbar auch zu direkten Versuchen, die Theo658 Vgl. EAM, NL Faulhaber 5771/1, Chronik des Erzbischöflichen Klerikalseminars Freising 1932– 1945, 29. 659 Vgl. etwa ebenda, 33: »Die durch den bereits erwähnten Einkehrtag vorbereiteten Exerzitien für die Arbeitsmänner hielt wieder P. v[on] Gumppenberg vom 7. bis 10. Jan[uar] [19]38.« 660 AEM, Ordinariatssitzungsprotokoll vom 26. 08. 1938. 661 Ein Seminarist, Jahrgang 1916, der zu den im Frühjahr 1937 Einberufenen zählte, berichtete: »In Gauting haben wir ein schönes Gebiet gehabt. Wir mussten von Gauting nach Germering, da waren kleine Waldstraßen, die mussten wir verbreitern. Wir sind also jeden Tag in den Wald hinausmarschiert und haben da eine schöne Arbeit gehabt. Um 10.00 Uhr war Pause, da hat es Milch gegeben, die sehr gut war. Diese Art von Arbeitsdienst hat uns wiederum recht gut getan«; vgl. EAM, Priesterbefragung 2003, Interview mit Adalbert Albrecht. 662 Derselbe Seminarist erzählte in diesem Zusammenhang: »Da haben wir einen Lagerleiter gehabt […] natürlich ein hundertprozentiger Nazi, welcher auch politischen Unterricht gegeben hat. Eines Tages hat er über die Kirche losgezogen, z. B. es sei ein Schmarren, das vom Fegfeuer, dass die Leute dort schmoren müssten usf. Und vor ihm stand ein gewisser Karl Schuster, ein Augsburger Theologe. Der hat immer nur wieder mit dem Kopf geschüttelt, so quasi, was der für einen Schmarren © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

Theologen beim Reichsarbeitsdienst229

logen von ihrem Berufsziel abzubringen.663 Die Kirchenfeindlichkeit einiger Führer zeigte sich in Schikanen, die jene zu erdulden hatten, die aus nationalsozialistischer Sicht gemeinschaftsfremde Tendenzen zeigten. Später im Krieg habe er nie Probleme gehabt, berichtete ein Kandidat, »dagegen sehr viel im Reichsarbeitsdienst. Dort wurde ich regelrecht schikaniert, und zwar nur deswegen, weil ich Theologie studiert habe.«664 Ein weiterer Kandidat berichtete, er sei, da er am Sonntag die Messe besucht und auch einige andere Kameraden dazu veranlasst habe, deshalb zusammen mit seinen Kameraden am normalerweise arbeitsfreien Samstagnachmittag regelmäßig zur Reinigung der Abtritte herangezogen worden.665 Erfahrungen und Herabsetzungen dieser Art finden sich zuhauf.666 Hingegen berichteten nahezu alle hierzu Befragten von positiven kameradschaftlichen Verhältnissen untereinander.667 Auch und gerade deshalb wurde der Arbeitsdienst nicht zwangsläufig als negativ empfunden. Gemeinschaft mit Gleichaltrigen und Loslösung von der Familie waren den meisten Theologen, im Gegensatz zur Mehrheit der übrigen Bevölkerung, bereits vertraut, stellten für sie – sofern keine weiteren widrigen Umstände hinzu kamen – also nichts grundsätzlich Bedrohliches dar. Mitunter wurden sogar Gewohnheiten, die der Arbeitsdienst erzählt. Da hat der Chef eine Wut bekommen und schrie ihn an«; vgl. EAM, Priesterbefragung 2003, Interview mit Adalbert Albrecht. 663 Ein anderer Seminarist berichtete über die weltanschaulichen Schulungen im RAD-Lager: »Das war eine reine weltanschauliche Erziehung, zum Teil gab es Truppführer, die selbst religiös, aber feindlich eingestellt waren gegenüber uns. Ich hatte damals sogar manchen Kampf mit denen auszufechten, vor allem mit einem Truppführer, der selbst im Seminar gewesen ist als Student und mich abbringen wollte von meinem Berufsziel. Er hat mich vor dem ganzen Lager bloßstellen wollen«; vgl. EAM, Priesterbefragung 2003, Interview mit Ludwig Geisinger. 664 Vgl. EAM, Priesterbefragung 2003, Interview mit Valentin Niedermeier. 665 Vgl. EAM, Priesterbefragung 2003, Interview mit Alfred Läpple. 666 »Glauben Sie, weil Sie Theologie studieren, brauchen Sie die Sachen nicht in Ordnung zu halten?«, äußerte ein RAD-Führer gegenüber einem Kandidaten; vgl. EAM, Priesterbefragung 2003, Interview mit Valentin Niedermeier. Derselbe Theologe berichtete ebenda auch von Versuchen, den sonntäglichen Messbesuch durch Schikanen zu verhindern: »Einmal gab es Unterricht am Samstagabend bis um 23.00 Uhr. Um 23.00 Uhr hat sich dann der betreffende Feldmeister verabschiedet mit den Worten: ›Morgen ist Sonntag. Wenn einer von Euch in den Wald hinausgehen möchte, um den Herrgott anzubeten, wird das selbstverständlich genehmigt. Aber dass mir kein so ein Schweinehund daher kommt und sagt, er möchte zum Gottesdienst gehen. Den schmeiße ich hinaus. Heil Hitler‹. Da haben sich einige Gleichgesinnte zusammengetan. Ich sagte: ›Wenn wir nichts tun, dann meint der, er hätte uns eingeschüchtert. Den Gefallen tun wir ihm nicht.‹ Sodann sind wir in die Kanzlei marschiert. […] Wir haben uns abgemeldet. Da waren die Stiefel nicht geputzt. ›Erst putzen Sie Ihre Stiefel.‹ Da haben wir die Stiefel geputzt. Dann wurde der Spaten angeschaut. ›Der blitzt nicht. Machen Sie erst Ihren Spaten sauber.‹ Dann haben wir den Spaten sauber gemacht. Dann wurde das Bett kontrolliert. Das war auch nicht ordentlich gemacht. ›Machen Sie zuerst Ihre Betten in Ordnung.‹ Dann endlich konnten wir gehen.« 667 »Wir haben immer gesungen, wenn wir zur Arbeit gegangen sind, und zwar: ›Oh du schöner Arbeitsdienst, 25 Pfennig Reinverdienst, ein jeder muss zum Arbeitsdienst und dann zum Militär.‹ […] Die Stimmung unter den Kameraden war jedoch gut«; vgl. EAM, Priesterbefragung 2003, Interview mit Adalbert Albrecht. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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mit sich brachte, etwa sportliche Aktivitäten, in das spätere Seminarleben integriert, nicht immer zur Freude der Seminarvorstände oder des weiteren Umfelds.668 Die antikirchliche Propaganda im Rahmen des Arbeitsdienstes scheint bei den Theologen eher das Gegenteil bewirkt und zum Festhalten am Beruf geführt zu haben. Auch die von der Seminarleitung befürchteten Probleme sind offenbar nicht eingetreten. Weder wurden sittlich-moralische Verfehlungen der Kandidaten bekannt, noch kam es zur Veränderungen des Berufsziels. Regens Westermayr resümierte: »Es gereicht den Kandidaten zum Ruhme, dem Seminar und der Kirche zur Ehre und ist ein Beweis der pädagogischen Wirksamkeit und Fernwirkung unserer Seminarerziehung, dass die Arbeitsmänner aus dem Seminar sich das Lob gewissenhafter Pflichterfüllung, brüderlicher Kameradschaftlichkeit und unbeirrbarer Berufstreue verdient haben.«669

2.7 Priesterweihe und Primiz 2.7.1 Die Entwicklung der Priesterweihen 1918–1945 Die Priesterweihe, d. h. die Übertragung des geistlichen Amtes, und die daran anschließende Primiz, die erste feierliche Messe durch den neu geweihten Priester, bildeten den Abschluss und zugleich Höhepunkt des langen kirchlichen Ausbildungsweges und den Beginn des priesterlichen Wirkens. Auch die priesterlichen Jubiläumsfeiern, vor allem das silberne oder das goldene Priesterjubiläum, orientierten sich an diesem Wendepunkt. Die Mehrzahl der Kandidaten war zum Zeitpunkt der Priesterweihe zwischen 24 und 27 Jahre alt670, sie hatten dieses Lebensziel mit zumeist hoher Motivation und Stringenz, aber auch unter Bewältigung so mancher Krisen verfolgt. Zwischen der Berufsentscheidung und dem Akt der Priesterweihe, der die Männer erst in den angestrebten Berufsstand versetzte, lag ein Zeitraum von etwa 12 Jahren. 668 So berichtete etwa ein Seminarist, dass er nach Beendigung der Arbeitsdienstpflicht im Klerikalseminar gemeinsam mit anderen die Gewohnheit des morgendlichen Waldlaufs, der während des RAD Pflicht gewesen war, fortgeführt habe. Der Widerstand gegen diese Neuerung erwuchs hier nicht zuerst aus der Vorstandschaft, sondern aus einer Gruppe frommer älterer Freisinger Frauen (vom Interviewten pejorativ als »Domrutsch’n« bezeichnet), die sich durch die nur spärlich bekleidet umherlaufenden Seminaristen aufs äußerste irritiert zeigten und die Vorstandschaft des Seminars zum Einlenken drängten. Der Dissens wurde schließlich durch die Einführung einer weiteren Kleidervorschrift beigelegt, vgl. EAM, Priesterbefragung 2003, Interview mit Alfred Läpple (dort auch die mundartliche Wendung). Das Beispiel zeigt darüber hinaus, dass auch außerhalb des Seminars stehende Personen an der Sozialkontrolle mitwirkten und in gewisser Weise Einfluss auf die Lebensgestaltung der Seminaristen nehmen konnten. 669 EAM, NL Faulhaber 5771/1, Chronik des Erzbischöflichen Klerikalseminars Freising 1932–1945, 29. 670 Anhand der Auswahlstichprobe von 100 Diözesanpriestern, die der Verfasser auf Basis des Schematismus 1939 zog, ergab sich ein durchschnittliches Weihealter von 25 Jahren und 9 Monaten. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Abb. 11: Die 50 Neupriester des Weihekurses 1939: Oben links Papst Pius XII., oben rechts Kardinal Faulhaber, in der Mitte der Vorstand des Klerikalseminars Regens Johann Baptist Westermayr (4. Reihe, 4. v. l.), Subregens Wilhelm Lurz (4. Reihe, 4. v. r.), Chordirektor Franz X. Geisenhofer (5. Reihe, 4. v. l.), Spiritual P. Eugen Schmid SJ (5. Reihe, 4. v. r.), Präfekt und Dozent Adolf Wilhelm Ziegler (6. Reihe, 4. v. l.) und Präfekt und Dozent Hubert Wagner (6. Reihe, 4. v. r.), Sammlung Kronberger, München.

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Bereits durch diese lange Vorbereitungs- und Ausbildungszeit wurden fahrlässige und unabgewogene Berufsentscheidungen vermieden, andererseits sorgte der Modus der Ausbildung zugleich dafür, dass Einflüsse, die sich auf die Berufsentscheidung möglicherweise negativ hätten auswirken können, weitgehend zurückgedrängt wurden. Die Priesterweihe war nur der Endpunkt einer Reihe von insgesamt sieben niederen (Ostiarat, Lektorat, Exozistat, Akolythat) und höheren (Subdiakonat, Diakonat, Presbyterat) Weihen, die den priesterlichen Ausbildungsgang strukturierten.671 Vor der ersten Tonsur und dem Empfang der niederen Weihen, die in der Regel am Ende der philosophischen Studien, also nach etwa zwei Jahren Studium erteilt wurden672, mussten die Kandidaten ein eigenhändig abgefasstes und unterschriebenes Gesuch bei ihrem Seminarvorstand abgeben, aus dem hervorging, dass sie sich frei und selbständig für den geistlichen Stand entschieden hatten. Dieses Gesuch wurde dem Bischof zusammen mit Tauf- und Firmzeugnis sowie persönlichen Feststellungen des Seminarvorstands über die Eignung des Kandidaten übermittelt. Auch das Heimatpfarramt hatte anhand eines Fragebogens Bericht über den Weihekandidaten zu erstatten. Vor Empfang der Weihen standen zudem die Skrutinien, eine Art Gesinnungs- und Haltungsprüfung; wörtlich bedeutet der Begriff Durchsuchung. Der entsprechende Fragebogen bestand aus 17 Fragen, die vorrangig auf die Frömmigkeit des Kandidaten, seinen Leumund und sein standeskonformes Verhalten abzielten.673 671 Vgl. Fuchs, Vinzenz, Ordo u. Ordination. 672 Der Priester Franz Kronberger erinnert sich an die niederen Weihen 1937: »Die niederen Weihen gab es damals noch: zuvor die Tonsur, wo der Kardinal mit der Schere liturgisch vier Büschel Haare herausschnitt, vorne, rückwärts, seitwärts in Kreuzform. Der [Peter] Rothengaß [ein anderer Kandidat; Th. Fo.] hatte schon eine Glatze. Das war die Aufnahme in den Klerikerstand. […] Anschließend an den nächsten zwei Tagen die so genannten vier niederen Weihen: Akolythat, Lektorat usw. Die sind alle abgeschafft worden«; vgl. AEM, Priesterbefragung 2003, Franz Kronberger. 673 Vgl. die vatikanische Instruktion an die Ortsordinarien in Betreff des Skrutiniums der Alumnen vor Empfang der Weihen, in: AAS XXIII, Nr. 4 vom 01. 04. 1931, 120 ff. (Sonderdruck mit deutscher Übersetzung in: EAM, NL Faulhaber 5770/2); vgl. zudem EAM, NL Faulhaber 5770/1, Skrutinium der Alumnen vor Empfang der Weihen (Fragebogen). Die 17 Fragen waren im Rahmen der vatikanischen Instruktion zum Skrutinium vorgegeben, sie lauteten: »1. Ist der Kleriker in der Betätigung der Frömmigkeit, d. h. in den geistlichen Übungen, in der Anhörung der Messe, im Besuch des Allerheiligsten und im Rosenkranzbeten eifrig und andächtig? 2. Geht er häufig und andächtig zur hl. Beicht und zur hl. Kommunion? 3. Macht er in der Kirche seinen liturgischen Dienst sorgfältig und fromm? 4. Obliegt er eifrig der Erteilung des Religionsunterrichtes, soweit er damit außerhalb des Seminars betraut ist? 5. Zeigt er Interesse und Eifer für den Gottesdienst und die Seelsorge und leistet er gern Altardienste? 6. Welchen Studien obliegt er im besonderen und mit Fleiß? 7. Liest er gerne profane Bücher und Zeitungen mit glaubens- und sittenfeindlicher Tendenz? 8. Hat er in den Ferien außerhalb des Seminars klerikale Kleidung getragen und trägt er sie noch? 9. Hat er in den Ferien vertrauten Verkehr gepflogen mit irgendwelchen Personen beiderlei Geschlechts von nicht gutem Ruf oder auch mit gut beleumundeten Personen des anderen Geschlechts, aber so, dass die Gläubigen daran Anstoß genommen oder sich darüber verwundert haben? Oder hat er Lokale besucht, die nicht einwandfrei sind? 10. Hat er sich im Reden und in der Unterhaltung rechtschaffen und tadellos gezeigt? 11. Hat er hinsichtlich der sittlichen Führung © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Ab der Subdiakonatsweihe musste der Kandidat eine Erklärung abgeben, dass ihm die mit der Weihe verbundenen Verpflichtungen – vor allem war dies nun der Zölibat und die Pflicht zum Breviergebet, wozu bereits die Subdiakone verpflichtet waren – bekannt seien und er willens sei, diese einzugehen. Diese Erklärung war wortwörtlich exakt vorgeben.674 Die Anzahl der neu geweihten Priester bildet, wie Erwin Gatz bemerkt hat, »angesichts der zentralen Bedeutung der Priester für das kirchliche Leben einen zuverlässigen Indikator für dessen Vitalität.«675 Die Weihezahlen waren in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen starken Schwankungen unterworfen.676 Lagen sie in den Jahren 1918 und 1919 mit 12 bzw. 13 Neupriestern je Jahr als unmittelbare Folge des soeben beendeten Krieges noch auf sehr niedrigem Niveau, verliefen sie anschließend während der 1920er Jahre sehr unstet und mit starken Ausschlägen zwischen 47 (1922) und 22 (1924) neu geweihten Priestern je Jahrgang. Eine Konsolidierung trat erst zu Beginn der 1930er Jahre ein, als beginnend mit dem Jahr 1931 die Zahl der jährlichen Neupriester 30 nicht mehr unterschritt und sich schließlich gegen Ende des Jahrzehnts auf sehr hohem Niveau einpendelte. Der dann beginnende Zweite Weltkrieg brachte einen deutlichen Einbruch, schließlich brach die Klerusausbildung so gut wie vollkommen ab. Diese Tendenz entsprach im Wesentlichen auch den Entwicklungen in den sonstigen deutschen Diözesen. Jedoch lagen die Nachwuchszahlen in der Erzdiözese München und Freising mit 20,3 Studenten auf 100 aktiven Weltgeistlichen unter dem Reichsdurchschnitt von 25,2 Studenten zu 100 Geistlichen. Insbesondere in den rheinischen Diözesen lagen die Nachwuchszahlen zum Teil bei über 30 Studenten auf je 100 aktiven Geistlichen. Innerhalb Bayerns stand die Erzdiözese München und Freising jedoch günstiger da als die anderen bayerischen Bistümer. Besonders schlecht stand es um Augsburg, wo nur 15,1 Studierende auf 100 aktive Geistliche kamen.677 Bemerkenswert erscheint, dass ungeachtet der nationalsozialistischen Attacken auf die Kirchen die Zahl derjenigen, die sich bereits auf dem Weg zum Priestertum befanden und sich nun nicht mehr von der Sache abbringen oder der kirchlichen Lehre und Disziplin Anlass zu Beanstandungen gegeben? 12. Wie ist er im Umgang mit Knaben, mit Mädchen und sonstigen Personen des anderen Geschlechts? 13. Zeigt er einen Hang zur Bequemlichkeit, zu reichlichem Alkoholgenuss und zu weltlichen Vergnügungen? 14. Zeigt er christliche Liebe und erweist er den Vorgesetzten Ehrerbietung und Gehorsam? 15. Wie denkt die öffentliche Meinung über seinen Beruf? 16. Finden sich bei den Eltern Anzeichen irgendeiner Krankheit, namentlich geistiger oder moralischer Defekte, die erbliche Belastung befürchten lassen? 17. Drängen ihn die Eltern oder sonst jemand von den Angehörigen zum Priestertum?« 674 Vgl. ebenda, Anhang, Schema I: Eigenhändig unterschriebene Erklärung der Kandidaten bei den einzelnen höheren Weihen unter Ablegung des Eides vor dem Ordinarius. 675 Gatz, Priesterausbildungsstätten, 241. 676 Vgl. die tabellarische Darstellung. Die Zahlen bei Gatz, Priesterausbildungsstätten wurden durch die Angaben in den Schematismen der Erzdiözese München und Freising teilweise korrigiert. Siehe zur längerfristigen Entwicklung in allen bayerischen Diözesen die Graphik in Brandmüller, Handbuch, 917. 677 Vgl. Gatz, Priesterausbildungsstätten, 241–279; Seiler, Statistik, 302 ff. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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ließen, hoch genug war, um bis Kriegsausbruch einen kontinuierlichen Anstieg der Weihezahlen zu ermöglichen. In einer längerfristigen Perspektive ist vor allem der Zusammenbruch im Verlauf des Zweiten Weltkriegs bemerkenswert, weil er etwas völlig Neuartiges bedeutete. Weder im Ersten Weltkrieg noch zuvor, war es seit der Errichtung des Erzbistums 1816 jemals zu einem völligen Abbruch der jährlichen Reihe an Neupriestern gekommen, nie war ihre Zahl unter 12 gefallen.678 Tabelle 3: Entwicklung der Priesterweihen in der Erzdiözese München und Freising 1918–1945 (Quelle: Gatz, Priesterausbildungsstätten, korrigiert durch Angaben in den Schematismen der Erzdiözese.)

Eine in ihren Auswirkungen zwar marginale, aber dennoch nicht unwesentliche Besonderheit im Hinblick auf die Weihen nach 1933, die deutlich zeigt, wie sehr die äußeren Rahmenbedingungen auch auf das kirchliche Binnenleben zurückwirkten, ist zu vermerken: Ab Ende 1935 entwickelten sich die Bestimmungen der Nürnberger Rassengesetze zu einem im Kirchenrecht nicht vorgesehenen, aber nun faktisch existierenden Weihehindernis. Ein Jude im Sinne des § 5 der Ersten Verordnung

678 Von jeher waren aber die Nachwuchszahlen schwankend gewesen, bereits in den ersten Jahren nach der Umgründung des Bistums zu Beginn des 19. Jahrhunderts waren sie eher spärlich, stiegen dann bis 1830 (67 Neupriester) aber sehr rasch an, um sich anschließend in Wellenbewegungen fortzuentwickeln, bereits 1859 klagte Erzbischof Gregor von Scherr über Priestermangel und nicht alle Seelsorgestellen konnten besetzt werden; vgl. Schauer, Seelsorgsklerus, 5. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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zum Reichsbürgergesetz vom 14. 11. 1935679 galt nicht als Reichsbürger im Sinne dieses Gesetzes und war als solcher unter anderem von der Übernahme öffentlicher Ämter ausgeschlossen. Zwar hieß es im § 3 dieser Verordnung explizit, dass die Angelegenheiten der Religionsgemeinschaften hiervon unberührt blieben, dennoch kam es faktisch in mehreren Fällen zu starken Bedenken der kirchlichen Leitungsverantwortlichen bei der Weihe von »nichtarischen« Kandidaten. So berichtete Generalvikar Buchwieser in der Ordinariatssitzung vom 4. 10. 1938, die »Zulassung eines Kandidaten nichtarischer Abstammung zum Theologiestudium« sei nur »gegen unterschriftliche Eröffnung der Schwierigkeiten, die der Verwendung nichtarischer Priester entgegenstehen« erfolgt. Der namentlich nicht bekannte Kandidat ließ sich hierdurch von seinem Vorhaben nicht abbringen, weshalb die spätere »Weihe auf den titulus patrimonii« angedacht wurde.680 Diese kirchenrechtliche Sonderkonstruktion deutet darauf hin, dass an eine Verwendung dieses künftigen Priesters im regulären Seelsorgedienst nicht gedacht war, da man der Auffassung war, dass dem Einsatz eines »nichtarischen« Priesters erhebliche Widerstände entgegen gebracht werden würden.681 Nur wenige Tage später, kurz vor der Reichspogromnacht, trug Weihbischof Schauer in der Ordinariatssitzung hinsichtlich des Gesuches eines »Spät679 Vgl. RGBl. 1935 I, 1146: »§ 5 (1) Jude ist, wer von mindestens drei der Rasse nach volljüdischen Großeltern abstammt. § 2 Abs. 2 Satz 2 findet Anwendung. (2) Als Jude gilt auch der von zwei volljüdischen Großeltern abstammende staatsangehörige jüdische Mischling. a) der beim Erlass des Gesetzes der jüdischen Religionsgemeinschaft angehört hat oder danach in sie aufgenommen wird, b) der beim Erlass des Gesetzes mit einem Juden verheiratet war oder sich danach mit einem solchen verheiratet, c) der aus einer Ehe mit einem Juden im Sinne des Absatzes 1 stammt, die nach dem Inkrafttreten des Gesetzes zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre vom 15. September 1935 (Reichsgesetzbl. 1 S. 1146) geschlossen ist, d) der aus dem außerehelichen Verkehr mit einem Juden im Sinne des Absatzes 1 stammt und nach dem 31. Juli 1936 außerehelich geboren wird.« 680 Vgl. AEM, Ordinariatssitzungsprotokoll vom 28. 10. 1938. 681 Der Titel im Sinn von Weihetitel bedeutet im Kirchenrecht die Garantie des Lebensunterhalts als Grundlage für den Empfang der höheren Weihen (vgl. Feine, Rechtsgeschichte, 392; Hinschius, System, Bd. 1, 63–80). Bereits seit der frühesten Kirchengeschichte bestand ein Verbot der absoluten Weihe, das heißt der Weihe ohne einen Titel, der einen angemessenen Unterhalt sicherte. Das Recht des CIC von 1917 unterscheidet zwischen ordentlichen Titeln und Ersatztiteln, bei letzteren zwischen Ersatztiteln kirchenamtlicher und privater Art. Die ordentlichen Titel waren in der Praxis fast nur noch bei der Weihe von regierenden Bischöfen in Gebrauch. Die kirchenamtlichen Ersatztitel (sog. »System der absoluten Ordination«) waren bei gewöhnlichen Klerikern faktisch der Regelfall. Mit der Weihe auf diesen »Titel des Diözesandienstes« war die Verpflichtung des Ortsoberhirten verbunden, dem Priester ein Benefizium oder Amt zu übertragen und so die zum standesgemäßen Unterhalt hinreichende Versorgung zu gewähren. Der titulus patrimonii gehört hingegen zu den Ersatztiteln privater Art. Für diesen Weihetitel musste ein Vermögen (Patrimonium) zweckgebunden und sicher (etwa in Form von Grundstücken, Hypotheken, Wertpapieren) bereitgestellt werden, aus dem der Unterhalt des Klerikers bestritten werden konnte. Bei der Weihe auf den titulus patrimonii ist folglich davon auszugehen, dass der betreffende Kleriker nicht im regulären Seelsorgedienst verwendet werden sollte; vgl. auch Eichmann/Mörsdorf, Kirchenrecht, Bd. II, 109–112. Für freundliche Hinweise danke ich Dr. René Löffler, Erzbischöfliches Konsistorium und Metropolitangericht München. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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berufenen nichtarischer Abstammung um Zulassung zur Priesterweihe« vor, diesem seien ebenfalls die »Schwierigkeiten, die der Verwendung nichtarischer Priester in der Münchener Diözese entgegenstehen« mitgeteilt worden. Eine »Verwendung im Ausland (Brasilien)« sei in diesem Falle anzuraten.682 Den vom Staat geforderten »Nachweis der arischen Abstammung für Seminaristen bzw. für die Seminarvorstände« hatte Kardinal Faulhaber jedoch bereits im Januar desselben Jahres abgelehnt, doch war die Entscheidung in dieser Sache von bemerkenswerter Inkonsequenz: Eine Genehmigung für die Anstellung können wir der Regierung nicht zugestehen. Es wird der Vorschlag gemacht, dass künftighin nur Priester arischer Abstammung zu Seminarvorständen gemacht werden, aber von einer Nachprüfung seitens des Staates soll abgesehen werden.683

Zwar blieb dies faktisch ohne Bedeutung, da es kaum »nichtarische« Priester gab. Insofern konnte man ein solches Zugeständnis machen, ohne praktische Auswirkungen fürchten zu müssen. Dennoch wurde hier eine kirchenrechtlich und juristisch problematische Praxis etabliert. Da der Arierbegriff weder im Kirchenrecht noch in staatskirchenrechtlichen Verträgen wie dem Bayerischen Konkordat oder dem Reichskonkordat existierte, gab es für diese Übernahme eines nationalsozialistischen Selektionsprinzips in die kirchliche Praxis keine Rechtsgrundlage. Zudem bedeutete ein derartiges Einknicken gegenüber den nationalsozialistischen Forderungen schlichtweg eine Form der duldenden Billigung der NS-Rassenlehre, die im offenen Widerspruch zur kirchlichen Lehre stand. Faktisch war es den Nationalsozialisten mithin gelungen, ihre eigenen rassistischen Selektionsprinzipien ohne eine entsprechende unmittelbare gesetzliche Regelung auch für den kirchlichen Dienst durchzusetzen.

2.7.2 Die Primizfeier: Selbstvergegenwärtigung des klerikalen Standes und Konfliktfeld mit dem Nationalsozialismus Die Primiz war eine der wichtigsten Feiern zur Selbstvergegenwärtigung des klerikalen Standes. Sie war der nach außen gewandte, volkstümliche Teil der Aufnahme in den priesterlichen Stand, in den traditionell die gesamte Heimatgemeinde eines Priesters, in machen Fällen sogar die ganze Region eingebunden wurde. Insoweit die Primizfeier eine Veranstaltung von öffentlichem Manifestationscharakter war, verwundert es nicht, dass sie nach 1933 regelmäßig Anlass für Konflikte mit dem Nationalsozialismus bot. Der Ablauf von Primizfeierlichkeiten war weitgehend ritualisiert und entsprach Traditionen, die häufig in vorreformatorische Zeit zurückgingen, verschiedene lokale Ausprägungen erfahren hatten und in Maßen immer wieder für ihre Zeit neu adaptiert

682 Vgl. AEM, Ordinariatssitzungsprotokoll vom 04. 11. 1938. 683 AEM, Ordinariatssitzungsprotokoll vom 20. 01. 1938. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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wurden.684 Der Neupriester wurde bald nach seiner Weihe normalerweise mit der Kutsche von einer nahe gelegenen Bahnstation, oft auch bereits mit einem Auto direkt aus Freising abgeholt und in einer Art Triumphzug in seine Heimatgemeinde gefahren. Straßen und Plätze im Heimatort wurden hierbei ebenso reich geschmückt wie die heimatliche Pfarrkirche685, oft war am Ortseingang eine Ehrenpforte aufgerichtet, ein mit Grünzeug, Blumen und Bändern verziertes torartiges Gerüst.686 Sehr häufig fanden die im Regelfall im Sommer stattfindenden Primizfeiern im ländlichen Bayern wegen des großen Zustroms der Bevölkerung nicht in der Kirche, sondern im Freien, zumeist an einem eigens aufgebauten Festaltar auf freiem Feld statt. Der feierliche Zug des Primizianten von seinem Wohnsitz zum Ort der Meßfeier, der so genannte Kirchenzug, stellte ein weiteres zentrales Element dar, an welchem der stark auf die Person des Neupriesters konzentrierte Charakter des Festes ablesbar ist. Der Kirchenzug hatte zudem mit Elementen wie Kreuz, Prozessionsstangen und Kirchenfahnen Prozessionscharakter.687 Die bei diesem Anlass gehaltenen Primzipredigten wurden meist von höherrangigen Gastpredigern, nicht vom Primizianten selbst gehalten. Es kam selten vor, »dass sie anderes als die Größe des Priestertums feier[te]n.«688 Dem ersten Segen der Neupriester, der im Rahmen der Primizfeierlichkeiten erteilt wurde, maß man besonderen Wert und besondere Wirksamkeit zu, weshalb Gläubige hierzu oft von weither anreisten.689 Die Primizfeier war neben diesen um die liturgische Ausgestaltung kreisenden 684 Zur kulturgeschichtlichen Einordnung der Primiz vgl. grundlegend die Habilitationsschrift von Haunerland, Primiz (mit weiterführender Literatur); Gatz, Kultur des priesterlichen Alltags, 282–286; speziell für Bayern Wiebel-Fanderl, Primiz; Ritz, Primiz. 685 Vgl. Haunerland, Primiz, 256–262 (zur Einholung) und 244–250 (zur Tradition des Kirchenund Ortsschmucks). 686 Vgl. Ritz, Primiz, 265 f.: Hier wird die Herkunft dieses Brauchs vom römischen arcus triumphalis abgeleitet, der durch die Humanisten des 16. Jahrhunderts in Form der Ehrenpforte neu belebt wurde. Triumphbogen und Ehrenpforte sind kulturgeschichtlich sonst allein weltlichen oder geistlichen Herrschern vorbehalten, im Barock wird sie gelegentlich auch beim triumphalen Einzug von Reliquien entlang des Prozessionswegs errichtet. Allein hieraus wird ersichtlich, warum der triumphale Einzug eines Primizianten – der hier wohl Christus repräsentieren dürfte – dem nationalsozialistischen Totalitätsanspruch zuwider lief. 687 Vgl. Haunerland, Primiz, 262–268 und Ritz, Primiz, 228. 688 Pfliegler, Existenz, 83. 689 Vgl. Haunerland, Primiz, 291–330 ferner die bei Kratzer, Als die Pfarrer Bräute hatten, überlieferte bayerische Volksweisheit: »Für einen Primizsegen musst du dir ein paar Schuhe durchlaufen«, der auf die überregionale Attraktivität von Primizfeiern verweist. Der Priester Josef Forstmayr berichtete im Zusammenhang mit seiner eigenen Primiz 1939: »Einer der Kirchenpfleger hatte damals ein Auto, der hat mich also von Freising abgeholt. Auf dem Weg sind wir noch nach Fendsbach, da war ein Pfarrer, der mein Vorgänger war als Primiziant, der 1913 schon Primiz gehabt hat. Der war dort als Kranker, als Pflegebedürftiger […]. Ich habe ihm dann noch den Primizsegen gegeben. Ich kann mich noch erinnern, er ist dann bald darauf gestorben«; vgl. EAM, Priesterbefragung 2003, Interview Forstmayr. In diesen Zusammenhang gehört der Hinweis von Haunerland, Primiz, 293, dass der Primizsegen bereits nach der Priesterweihe gespendet werden konnte und nicht zwangsläufig in Verbindung mit der Primizfeier stand. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Abb. 12: Geistliche Hochzeit: ein neu geweihter Priester mit seinen Primizbräuten. Auf einem Seidenkissen Primizkranz und Primizkrone. Die rückseitig auf den 29. Juli 1928 datierte Aufnahme zeigt den Augsburger Diözesanpriester Franz Kreuzer. Foto: Sammlung Simmerding, München.

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Aspekten in Oberbayern, insbesondere in den ländlichen Regionen, in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts noch stark von religiösem Volksbrauchtum bestimmt690, welches in seinen einzelnen Ausprägungen nicht immer die Billigung der kirchlichen Obrigkeit erfuhr.691 Ein wichtiges Merkmal ländlicher Primizfeiern war die bis in die 1960er Jahre übliche, so genannte geistliche Hochzeit, bei welcher der Neupriester als Bräutigam symbolisch mit der durch ein junges Mädchen repräsentierten Kirche vermählt wurde.692 Auffallend sind auch in der sonstigen Gestaltung, etwa dem Brauch des Primizladers oder beim Primizmahl, die Parallelisierungen der Primizfeierlichkeiten zu den Hochzeitsfeierlichkeiten.693 Die Rolle der Primizbraut wurde dabei normalerweise durch ein Mädchen übernommen, welches zumeist aus der Verwandtschaft des Priesters oder auch aus der Nachbarschaft stammte.694 In Altbayern scheinen im 20. Jahrhundert nur noch junge Mädchen von etwa 10 bis 14 Jahren als Primizbräute in Erscheinung getreten zu sein. Häufig gab es gerade hier nicht nur eine, sondern mehrere Primizbräute oder auch die so genannten Kränzeljungfern.695 Die Primizbräute waren weiß gekleidet und mit einem Schleier wie eine tatsächliche Braut geschmückt, sie erfüllten gewisse quasizeremonielle Funktionen, trugen etwa den Primizkranz oder die Primizkrone696 auf einem Kissen und überreichten dem Neupriester ein zu seinem Stand passendes Geschenk, häufig liturgisches Gerät oder liturgische Kleidung. Analog zu den Gaben bei einer Hochzeitsfeier waren die Sammlung von Geld oder entsprechende Individualspenden zugunsten des Neupriesters im Rahmen des Primizgottesdienstes oder in Verbindung mit der Erteilung des Primizsegens weitgehend üblich.697 Die hierbei zusammenkommenden Geldbeträge scheinen nach dem Bericht eines Zeitzeugens oft nicht unerheblich 690 Eine kulturgeschichtliche Ausstellung vorwiegend zum bayerischen Primizbrauchtum mit dem Titel »Pfarrergschicht’n« veranstaltete im Frühjahr 2007 das Archiv des Prämonstratenserklosters Windberg (Niederbayern), das über eine entsprechende Sammlung an Primizdevotionalien verfügt; bedauerlicherweise wurde ein Katalog nicht vorgelegt. Vgl. speziell zum Primizbrauchtum in den Alpenländern Tropper, Lebenskultur des alpenländischen Seelsorgeklerus, 333 f. ferner Weber-Kellermann, Landleben, 86 f. 691 So forderte Faulhaber etwa in seinem Referat zu priesterlichen Standesfragen auf der Münchener Diözesansynode 1930, »die Primizfeier soll von weltlichen und zerstreuenden Auswüchsen mehr und mehr gesäubert werden«; vgl. Referat I: Priesterliche Standesfragen, in: Bericht Diözesansynode 1930, 10–13, hier 10. 692 Vgl. zur Primizbraut: Haunerland, Primiz, 403–409. 693 Vgl. Ritz, Primiz, 229 f.; Pfliegler, Existenz, 82 bemerkte hierzu: »Es ist die Hochzeit des Verzichts. Dass dies eigens gefeiert wird, ist groß. Aber auch erschütternd.« 694 Bei Josef Forstmayr, der sich hierzu näher äußerte, war die Primizbraut die Nachbarstochter; vgl. EAM, Priesterbefragung 2003, Interview Forstmayr. 695 Vgl. Haunerland, Primiz, 407; Ritz, Primiz, 229. Das Primizbrauchtum war regional stark ausdifferenziert, so dürften auch innerhalb der Erzdiözese München und Freising unterschiedliche Traditionslinien zu finden gewesen sein. Die Primizbräute leben heute fast nur noch in dem Brauch der Begleitung des Primizianten durch Erstkommunionkinder fort. 696 Zu diesen Elementen vgl. Haunerland, Primiz, 412–420; Ritz, Primiz, 229 und 266. 697 Vgl. Ritz, Primiz, 267. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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gewesen zu sein, so dass sie mitunter ein gewisses finanzielles Polster für die ersten Kooperatorenjahre mit nur spärlicher Entlohnung boten.698 Es ist evident, dass die derartig üppige und prachtvolle Ausgestaltung einer Feier, die noch dazu ein einzelnes Individuum in den Mittelpunkt stellte und durch zeremonielle Gesten erhöhte, Konflikte mit Repräsentanten des nationalsozialistischen Staates geradezu herausfordern musste. Primizfeiern sind eines der sinnfälligsten Beispiele einer Konkurrenzsituation zwischen Kirche und nationalsozialistischer Herrschaftsorganisation. Der Regierungspräsident von Niederbayern und Oberpfalz formulierte diese Grundsituation in einem seiner Berichte im Jahr 1939 sehr deutlich: »Die Aufmachung der Primizzüge und auch des 1. Messopfers im Freien muß, abgesehen von öffentlichen Verkehrsstörungen, als Demonstration gegen den nationalsozialistischen Staat aufgefasst werden.«699 Zugleich fürchtete das Regime in dieser Demonstration eine, wenn auch indirekte, Einflussnahme gegen den Staat und sein weltanschauliches Monopol. Der Regierungspräsident von Oberbayern analysierte dies folgendermaßen: Aus der meist regen Teilnahme der kath[olischen] Bevölkerung an den Prozessionen und Primizfeiern auf dem Lande und besonders auch im Gebirge geht hervor, dass der Einfluss der Geistlichkeit, die sich fast durchwegs passiv, wenn nicht ablehnend gegen die nationalsozialistische Staatsführung einstellt, noch immer sehr bedeutend ist.700

Bereits der Zustrom der Bevölkerung zu diesen Veranstaltungen wurde also skeptisch gesehen – inhaltliche Aspekte waren hierbei noch gar nicht berücksichtigt. Entsprechend versuchte die nationalsozialistische Staatsführung die Primizfeierlichkeiten sukzessive einzudämmen. Kirchenzug, Prozession und Primizgottesdienste im Freien wurden durch eine Verordnung, welche festlegte, dass Wallfahrten und Prozessionen, bei denen öffentliche Straßen mehr als verkehrsüblich beansprucht wurden, einer Genehmigung der örtlichen Polizeibehörden bedurften, seit 1937 eingeschränkt, respektive der Genehmigungswillkür lokaler Parteikräfte unterworfen.701

698 Der Diözesanpriester Franz Kronberger (Priesterweihe und Primiz 1936), berichtete nach seinen Einkommens- und Lebensverhältnissen in den ersten Priesterjahren befragt: »Von der Primiz her, wo man ja in der Gemeinde mit einem Begleiter von Haus zu Haus ging und den Primizsegen erteilte, haben mir die Leute viel Geld zugesteckt, so dass ich damals einige tausend Mark, Reichsmark, in Reserve hatte. Davon konnte ich leicht leben«; vgl. EAM, Priesterbefragung 2003, Franz Kronberger. 699 Ziegler, Walter, Regierungspräsidentenberichte Niederbayern und Oberpfalz, 240 (Monatsbericht der Regierung vom 07. 08. 1939) 700 Witetschek, Regierungspräsidentenberichte Oberbayern, 241 (Monatsbericht der Regierung vom 09. 06. 1937). 701 Es handelt sich im eine Verordnung des Reichsministers für die kirchlichen Angelegenheiten vom 17. 08. 1937 in Verbindung mit einem Erlass des Chefs der Geheimen Staatspolizei in Berlin vom 07. 12. 1934, zusätzlich berief man sich auf die Straßenverkehrsordnung; vgl. hierzu Witetschek, Regierungspräsidentenberichte Oberbayern, 310 Anm. 1. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Pfarrer Matthias Kern702 von Wolfratshausen berichtete über eine dort abgehaltene Primizfeier im Jahre 1938 in seinem Tagebuch und hielt dabei fest, in welchem Umfang die Feier bereits behindert war: Am 27. Juni kam Josef Winklmaier703 [sic!] als neu geweihter Priester von Freising nach Wolfratshausen: mit [einem] 8-Personen-Auto wurde er in Kloster Schäftlarn abgeholt. Hier kein Schmuck, keine Fahne, keine Girlande, kein Einzug. Empfang nur vor der Kirche. Ebenso 8 Tage später am 3. VII. bei der Primiz. Aber um so prachtvoller die Kirche, deren Altar (unterer Teil), deren Barockleuchter, den 4 Statuetten der Kirchenlehrer, die neu gefasst waren, und dem Kreuz. Oben überaus wirkungsvoller Blumenschmuck gerichtet von seinen Brüdern, die Gärtner sind. In der Kirche sind fast 200 Girlanden. Birken. Etwa 3000 Besucher. Primiziant ging nur in wenige Häuser, wo er besonders eingeladen war, und nahm nirgends Gaben. Opfer in der Kirche für Primizianten 1.600 R(eichs)M(ark).704

Blumenschmuck und Feier im Freien scheinen in diesem Fall verboten worden zu sein. Hingegen suchte der Ortspfarrer von Taching bei der Primiz von Josef Forstmayr705 im Mai 1939 um die entsprechende Erlaubnis zu einer Messe auf dem Feld nach und erhielt diese auch, woraufhin die Primiz ohne Schwierigkeiten im Freien und in den traditionellen Formen durchgeführt werden konnte.706 In Mühldorf wiederum gab der für seinen antikirchlichen Furor berüchtigte Kreisleiter 1940 die Mitteilung heraus, den Autobesitzern, die ihre Fahrzeuge für einen Primizianten zur Verfügung stellten, würde sofort die Fahrerlaubnis entzogen.707 Die Handhabung der Bestimmungen war also durchaus unterschiedlich und vom Verhältnis der Einzelnen zu den lokalen Parteigrößen abhängig. Auch die Rechtssprechung war – hier wie grundsätzlich – 702 Matthias Kern, geb. am 30. 05. 1877 in Bachleiten (Isen), Priesterweihe 1902 in Freising, Kaplan in Berchtesgaden, 1907 Präfekt am Studienseminar Burghausen, 1908 Kooperator in Ainring, 1911 Domkooperator in München, 1922 Pfarrer in Wolfratshausen, Oktober 1942 frei resigniert, Kommorant in Bachleiten, Dezember 1942 Pfarrvirkar in Anzing, 1943 Pfarrvikar in Pemmering, Pfarrvikar in St. Wolfgang, 1947 Vicarius substitutus in Aschau bei Kraiburg, 1948 Hausgeistlicher im Hildegardisheim in Garmisch-Partenkirchen, gest. am 06. 02. 1963; vgl. AEM, Priesterpersonalakten P III 858. 703 Josef Winklmeier, geb. am 30. 06. 1906 in Wolfratshausen, Priesterweihe 1938 in Freising, Hilfspriester in Salzburghofen, 1940 als Sanitäter zum aktiven Wehrdienst einberufen, 1941 Kriegspfarrer, 1946 Kooperator in München-Feldmoching, Hilfspriester in Freilassing, 1954 Pfarrer in Gauting, 1965 Pfarrer in Ampermoching, 1989 in den Ruhestand versetzt, gest. am 07. 07. 1990; vgl. Schematismus 1969, 63 und 377; Direktorium 2004/05, 100. 704 Kern, Tagebuch 1922–1942, 28. 705 Josef Forstmayr, geb. am 13. 05. 1914 in Taching am See, Priesterweihe 1939 in Freising, Katechetenkaplan in Mühldorf-St. Nikolaus, 1941–1945 aktiver Wehrdienst (Sanitäter), 1945 Kaplan in Oberammergau, 1951 Pfarrer in Rottenbuch, 1970 Pfarrer in Oberammergau, 1985 Versetzung in den dauernden Ruhestand, gest. am 16. 11. 2010; vgl. Chronologie der Diözesanpriester 2004, 71 f.; Freundl. Mitteilung des AEM zum Sterbedatum. 706 Vgl. EAM, Priesterbefragung 2003, Interview Forstmayr. 707 Vgl. Kronberger, Erinnerungen, 13. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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ambivalent und durchaus nicht einheitlich gegen den Klerus gerichtet. So wurde das traditionelle Entgegennehmen von Geldspenden durch den Primizianten bei der Erteilung des Primizsegens, das seit Mitte der 1930er Jahre als Verstoß gegen das Sammlungsgesetz708 interpretiert worden war, durch ein Urteil in einem Berufungsverfahren im April 1940 plötzlich wieder gestattet.709 Auseinandersetzungen gab es auch um scheinbar reine Äußerlichkeiten wie die ordnungsgemäße Einhaltung der Flaggenvorschriften.710 So wurden noch 1938 bei Primizfeiern im Bezirk Freising zunächst einmal die Kirchenfarben weiß-gelb gezeigt, bevor diese Beflaggung in der Folge aber durch die Polizeibehörden »reibungslos« beseitigt wurde, wie es im entsprechenden Bericht formuliert ist.711 Gerade im ländlichen Oberbayern war die Beteiligung von zahlreichen Vereinen mit ihren Traditionsfahnen an der Primiz weitgehend üblich, bei diesem Anlass wurden durch den Primizianten auch neue weiß-gelbe Fahnenbänder geweiht, die an den Vereinsfahnen befestigt wurden.712 In Parsberg kam es hierüber 1939 zu einer Auseinandersetzung, da der Veteranen- und Kriegerverein, dem wie anderen Vereinen die Beteiligung an der Primiz in geschlossener Form und mit Fahnen verboten war, sich diesem Verbot widersetzte und schließlich »beim Einschreiten der Gendarmerie den Beamten Widerstand«713 entgegenbrachte. Die Konfrontationsstellung des Staates führte mitunter zu unerwünschter und damit für den Staat auch kontraproduktiver Unruhe in der Bevölkerung. Anlässlich einer genehmigten Primizfeier in Höhenkirchen verbreitete sich 1938 das Gerücht, diese solle von 2000 SA-Männern gestört und der im Freien 708 Nach dem Gesetz zur Regelung der öffentlichen Sammlungen und sammlungsähnlichen Veranstaltungen vom 05. 11. 1934, RGBl. I, 1086 musste jede öffentliche Sammlung, die nicht in einem geschlossenen Kirchenraum zu rein kirchlichen Zwecken stattfand, staatlich genehmigt werden. 709 Vgl. die Vorgänge um die Beschlagnahmung des bei der Primiz von Georg Nothaft in Ampfing ersammelten Geldes, in: AEM, NL Thalhamer, Stw. Primiz, EOM an Gestapo München vom 02. 10. 1939 und EOM an deutsche Ordinariate vom 17. 05. 1940. Die Strafkammer des Landgerichts Traunstein kam im Berufungsverfahren am 15. 04. 1940 zu dem durchaus kurios und sehr kirchenfreundlich anmutenden Ergebnis, dass die Beschlagnahmung des bei einer Primiz ersammelten Geldes deshalb unzulässig sei, da die Erteilung des Primizsegens »nicht auf die Erlangung unentgeltlicher, sondern auf die Erlangung entgeltlicher Leistungen gerichtet« sei, und es sich somit bei den Geldspenden nicht um eine freiwillige Spende im Sinne des Sammlungsgesetzes, sondern vielmehr um eine monetäre Gegenleistung für die Spendung des Primizsegens handle. Das EOM versandte dieses Urteil zur Kenntnisnahme sofort an alle deutschen Ordinariate. 710 Das Reichsflaggengesetz vom 15. 09. 1935 (RGBl. I, 1145) und die dazugehörigen Ausführungsbestimmungen bestimmten die Reichsfarben, legte die Hakenkreuzfahne als Reichs-, National- und Handelsflagge fest und verboten das öffentliche Zeigen sonstiger Flaggen im öffentlichen Raum; vgl. zu den Detailregelungen die Angaben bei Buschmann, Gesetzgebung, 27 f.; von Hehl/Kösters, Terror, Bd. I, 55. 711 Witetschek, Regierungspräsidentenberichte Oberbayern, 294 (Monatsbericht der Regierung vom 10. 08. 1938). 712 Vgl. Ritz, Primiz, 229. 713 Witetschek, Regierungspräsidentenberichte Oberbayern, 312 (Monatsbericht der Regierung vom 10. 08. 1939). Entsprechend diesem Bericht führte dies in der Folge zur Auflösung des Vereins und einer Anzeige gegen die betroffenen Vereinsmitglieder. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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aufgebaute Altar zerstört werden. Dies führte offenbar zu einem so erheblichen Aufruhr in der Bevölkerung, dass sich die örtliche NSDAP-Gliederung genötigt sah, dem Gerücht offensiv entgegenzutreten und zu versichern, dass man die Feier nicht stören werde.714 Inwieweit solche Gerüchte aus dem kirchlichen Umfeld bewusst gestreut wurden, um eine prokirchliche Proteststimmung in der Bevölkerung zu erzeugen, lässt sich nicht mehr feststellen. Da der Zustrom zu den Primizfeiern unvermindert anhielt, sah sich die Partei schließlich im Frühsommer 1939 in einem weiteren Schritt genötigt, Kirchenzug und Gottesdienst im Freien grundsätzlich zu verbieten.715 Nun war nur noch der Gottesdienst in der Kirche möglich, das kirchliche Leben war damit auf seinen innersten Raum zurückgeworfen und seine gesamtgesellschaftliche Relevanz stark eingedämmt.

714 Ebenda, 293 f. (Monatsbericht der Regierung vom 09. 07. 1938). 715 Vgl. Haunerland, Primiz, 242. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Amt und Identität: Standesideal und priesterliches Wirken

3.1 Der Habitus clericalis: Anatomie eines Standesideals Als Priester werden Menschen bezeichnet, die innerhalb einer Religionsgemeinschaft als berufsmäßige Mittler zwischen dem Göttlichen und den Menschen stehen. Der Priester ist »die von Gott für eine Gemeinschaft (zum Lehren, Prophezeien, Leiten, Vermitteln göttlicher Hulderweise) bevollmächtigte und die Gemeinschaft vor Gott kultisch (durch Gebet, Opfer, gottgefälliges Leben) vertretende Amtsperson.«1 Seit dem Hochmittelalter war das Priesterbild der katholischen Kirche durch die scholastische Lehre gefestigt. Diese besagte, dass mit der Ordination ein »unauslöschliches Siegel« (character indelebilis) in den Geweihten gewissermaßen eingeprägt werde, »mit dem eine seinsmäßige Veränderung in der Person des Empfängers verbunden ist.«2 Damit war gewissermaßen eine Sakralisierung des Priesters verbunden. Der Priester verkündete das Evangelium im Bewusstsein der ihm von Gott – durch den Akt der Weihe – verliehenen Vollmachten. Das priesterliche Standesideal innerhalb der katholischen Kirche war auch noch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts von der Idee eines von den Nichtklerikern deutlich abgehobenen und diese führenden Standes geprägt.3 Gemäß der bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil vorherrschenden neuscholastischen Konzeption des Priesteramtes, ist der Priester Verwalter und Ausspender der Gnadenmittel in der »Heilsanstalt« Kirche, die hierzu von ihrem Stifter Jesus Christus mit allen notwendigen Mitteln und Amtsgewalten ausgestattet wurde.4 Dem liegt die Vorstellung zugrunde, dass die übernatürlichen Ziele der Kirche nicht mit rein menschlichen Anstrengungen zu erreichen sind, es hierzu vielmehr ebenso 1 Vgl. Kösters, Ludwig, Priester, 462. 2 Denzler, Zölibat, 10. 3 Nach dem Verständnis der katholischen Kirche in dieser Zeit ist der Kleriker durch die Ordination aus dem Volk der Laien ausgesondert und ihm gegenübergestellt. Der Kanonist Eduard Eichmann führte hierzu 1934 aus: »Die Unterscheidung der beiden Stände beruht auf göttlicher Anordnung (§ 2) und ist von grundlegender rechtlicher Bedeutung: Die Gesamtheit der Hirten bildet den ›Klerus‹, die Führerschaft, ›die kirchliche Hierarchie‹; die der gläubigen Herde ›das christliche Volk‹, die Gefolgschaft; erstere die ecclesia regnans oder docens, letztere die ecclesia oboediens oder discens«; vgl. hierzu Eichmann, Kirchenrecht, Bd. I, 135. In der nachkonziliaren Theologie ist an dieser scholastischen Konzeption viel Kritik geübt worden: »Die Idee eines von den übrigen Gemeindemitgliedern unterschiedenen Klerikerstandes, für den eine besondere ontologische Verfasstheit kraft der Weihe (character indelebilis) und der alleinige Führungsanspruch oder eine heilsmittlerische Kompetenz postuliert wird, findet im Zeugnis des Neuen Testaments keine Stütze.« (So der Neutestamentler Paul Hoffmann, zit. nach Denzler, Zölibat, 11). 4 Vgl. Müller, Judith, Priester sein, 23–29. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Amt und Identität: Standesideal und priesterliches Wirken

übernatürlicher Gnadenmittel bedürfe, die nur durch den Priester vermittelt werden können. Nach dem Verständnis in der Priesterenzyklika Ad catholici Sacerdotii sollte der Priester wie ein »zweiter Christus« wirken und mit dem Glanz seiner Tugend die Welt erleuchten.5 Die Betonung des Herde-Hirt-Bildes und des in ihm zum Ausdruck kommenden hyperbolisch-elitären Selbstverständnisses des Klerus wurde verstärkt durch den Ultramontanismus und des mit ihm verbundenen restaurativen und antiliberalen Zeitgeistes. Kardinal Karl August Graf von Reisach, von 1846 bis 1856 Erzbischof von München und Freising und anschließend als Kurienkardinal in Rom einer der eifrigsten Förderer der Neuscholastik, formulierte es Mitte des 19. Jahrhunderts in drastischer Weise, als er dem Klerus das Memento mit auf den Weg gab, dass dieser Stand es sei, welcher über Wohl und Wehe der ihm anvertrauten Seelen entscheide: Vergesset nie, geliebte Brüder, dass ihr es seid, die letzten, die äußersten Organe und Werkzeuge des ganzen Körpers der lehrenden und regierenden Kirche, die Glieder, durch welche das Leben der ganzen Kirche, die Gnade unseres Herrn Jesu Christi wirksam und lebendig ausströmt, dass ihr es also seid, denen das Seelenheil der Gläubigen so recht unmittelbar gleichsam in die Hand gegeben ist, dass es von euch abhängt, ob ihr diese euere gesegnete Hand karg verschließen oder zum Heilen und Segnen eröffnen wollet, um es zu brechen das Brot des Lebens, das Wort des Lebens euren nach Brot und Licht schreienden Kindern6.

Im 19. Jahrhundert hatte das priesterliche Standesbewusstsein starke Impulse aus Romantik und politischer Restauration erhalten, die frömmigkeitsbezogene und die Kirche affirmierende Momente im Idealbild des Priesters verstärkten. Dieses Idealbild konstituierte sich nun ganz aus einer stereotypisierten Standeshaltung und einem damit verbundenem Tugendkanon.7 Der Berufungsgedanke, die Idee der Erwählung durch Gott, hatte hierbei eine zentrale Funktion, denn damit wurde dieses Priesterideal vollständig: »vor Gott gestellt, für Gott ausgesondert (und daher ehelos), von Gott berufen und erwählt.«8 Das Aufblühen des Standesdenkens, das im Codex Iuris Canonici von 1917 in kirchenrechtlich verbindlicher Form verankert und dadurch noch mal gestärkt wurde9, wirkt parallel zum Ende der europäischen Monarchien besonders anachronistisch, ist aber als Reaktion auf die egalitäre Komponente der Moderne und 5 Vgl. Pius XI., Ad catholici sacerdotii, 20. 6 Johann Baptist Götz, Kardinal Karl August Graf von Reisach, in: Theologisch-praktische Monatsschrift XXV (1915), 661 zit. nach Nickel, Theologisch-praktische Monatsschrift, 220. 7 Vgl. Grasmück, Vom Presbyter zum Priester, 127 f. 8 Ebenda, 128; vgl. auch Nickel, Theologisch-praktische Monatsschrift, 218. 9 Dies wird bereits am Aufbau dieses Gesetzbuches deutlich, das den Klerikern explizit den 382 Artikel umfassenden Hauptabschnitt mit den Canones 108–486 widmete, den Laien hingegen nur die zwei einzelnen Canones 682 und 683, in denen noch dazu im Wesentlichen deren Unterhaltspflicht für die Kleriker und die Kirche durch Steuern und Abgaben und das Verbot des Tragens klerikaler Kleidung durch die Laien geregelt wurden; vgl. Eichmann, Kirchenrecht, Bd. I, 369 f. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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als Versuch zur Abgrenzung hiervon zu deuten.10 Michael Ebertz konstatierte im Hinblick auf diese »hochgradig asymmetrische Binnenstruktur« der katholischen Kirche, »dass in ihr der – selbst wieder arbeits- und herrschaftsteilig differenzierte – Klerus weitgehend exklusiv die Legitimität beansprucht, die religiösen Heilswahrheiten und Heilsziele zu definieren, die Verfügung über die Heilsmittel zu kontrollieren und somit die Gewährung und Versagung der Heilsgüter zu monopolisieren.«11 Der Kirchenhistoriker Norbert Busch machte drei Faktoren aus, welche die Ausprägung dieses Selbstverständnisses zur Folge hatten: erstens die kontrollierte und isolierte Sozialisation des Klerus, wozu wohl vor allem der Kosmos der Seminarien gerechnet werden darf – denen Michael Ebertz die Züge einer »totalen Institution« zuschrieb12 –, zweitens die straffe Reglementierung und Disziplinierung des Klerus in der Zeit des strengkirchlichen Priesterideals und drittens schließlich die zunehmende Sakralisierung des Priesterideals selbst.13 Die ausgeprägte Tendenz zur Sakralisierung kulminierte in einer Form der »Priesterverehrung«14, die durch die kirchlichen Autoritäten eifrig gefördert wurde. Busch machte für diese »obrigkeitlichen Sakralisierungsbemühungen«15 des Klerikerstandes eine doppelte Motivation aus: Zum einen machten sie großen Eindruck auf die laikale Bevölkerung und halfen, das kirchliche Sinnstiftungsmonopol zu legitimieren und zu stabilisieren. Zum anderen festigte die Rede vom ›geheiligten Priestertum‹ die Bindung des geistlichen Basispersonals an die Hierarchie. Der Kirche und konkret ihren verantwortlichen Funktionsträgern, dessen waren sich die Kleriker wohl bewusst, hatten sie ihren sozialen Status und den damit in der Regel verbundenen sozialen Aufstieg zu verdanken. Allein im Amt lag ihr Ansehen und ihre Autorität begründet, keinesfalls in der eigenen Person.16

Denn obwohl, wie bereits ausführlich erörtert, der katholische Priester entsprechend kirchlichem Berufungsverständnis zu seiner Mittlerfunktion zwischen göttlicher und menschlicher Sphäre von Gott selbst berufen ist, rührt seine Autorität nicht von dieser Berufung oder seiner Person her, sondern aus dem ihm übertragenen Amt.17 Unterschieden werden bei den durch den Akt der Priesterweihe verliehenen Gewalten entweder in einem Dreierschema Lehrgewalt, eigentliche priesterliche 10 Vgl. Baumann/Sieve, Oldenburger Land, 83 f. 11 Ebertz, Modernisierungsprozesse, 67. 12 Vgl. Ebertz, Bürokratisierung, 154. 13 Vgl. Busch, Frömmigkeit und Moderne, 212–221. 14 Mensching, Soziologie, 292 ff. 15 Busch, Frömmigkeit und Moderne, 221. 16 Ebenda. 17 Vgl. Wach, Religionssoziologie, 410. Bereits Max Weber hat zwischen dem Charisma, das auf persönlichen Eigenschaften beruht und dem Charisma des Amtes unterschieden. Der Priester unterscheidet sich durch sein Amtscharisma von anderen Typen religiöser Autorität, etwa dem Religionsstifter, dem Reformator, dem Propheten, dem Seher oder dem Heiligen, vgl. ebd. 375–427. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Gewalt und Hirtengewalt oder einem Zweierschema Weihe- und Jurisdiktionsgewalt.18 Dabei ist die »vorzüglichste und höchste der Gewalten […] die Priester- oder Weihegewalt, weil sie exklusiv zur Verwaltung und Spendung der Sacramente, der ›eigentlichen priesterliche[n] Function oder Amtsverrichtung‹ befähigt.«19 Durch diese Gewalt kommen dem Priester innerhalb der Kirche die entscheidenden vermittelnden Funktionen zu, aus denen sich dann wiederum sein Aufgabenspektrum ableiten lässt, in dessen Zentrum vor allem die beiden Sakramente der Eucharistie und der Absolution liegen.20 Priester sind – so definiert es die Enzyklika über das Katholische Priestertum von 1935 – Personen, »die durch ihre amtliche Sendung Mittler zwischen Gott und den Menschen sind.«21 Die persönliche Autorität des Priesters ist allenfalls ein Nebenaspekt, aber niemals konstitutiv. Demgemäß existiert der Priester – anders als andere Typen religiöser Autorität – auch stets nur in Gemeinschaft mit seiner Kirche, die ihm das Amt verleiht, nachdem sie den Akt der göttlichen Berufung in der Ordination erst legitimiert. Unterliegt die Aufnahme in die Gemeinschaft der Katholiken, die in der Regel durch die Säuglingstaufe vollzogen wird, kaum Schranken, so ist »der Zugang zum religiösen Charisma weitgehend an ein Segment von Ämtern und Amtshandlungen gebunden, damit aber auch jeder privaten Disposition der Amtsträger – des Klerus – entzogen.«22 Dadurch werden der Priester und seine Kirche, die als »mystischer Leib Christi«23 verstanden wird, durch eine Art Rückkoppelungsprozess auf das engste miteinander verknüpft und dementsprechend ist gemäß katholischem 18 Vgl. Müller, Judith, Priester sein, 24. Diese Konzeption wurde in der Zeit nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil zwar mit neuen Akzenten versehen, kaum aber substantiell verändert. In einer aktuellen Publikation aus dem Jahr 2009 werden die priesterlichen Aufgaben wie folgt beschrieben: »Der Amtsträger ist Priester, also ›sacerdos‹, Diener des Kultes. Spender der Sakramente, Vermittler der Gnaden Gottes. Er ist Prophet, also Verkünder des Wortes, Lehrer, Tröster, Seelsorger. Er ist Leiter, also Verwalter und Regent der kirchlichen Güter und Einrichtungen, im weltlichinstitutionellen wie im geistigen Sinn. Diese drei ›Funktionen‹ finden sich schon im MessiasChristus-Bild: Dieser ist sacerdos, propheta und rex. In seiner Nachfolge repräsentieren ihn die Priester, und er führt seine Aufgaben in der Kirche weiter.« (Kiechle, Zuversicht, 553) Während Lehr- bzw. Prophetenamt und eigentliche priesterliche Weihegewalt im Wesentlichen unverändert bleiben, erscheint der Begriff der Hirtengewalt nun in modifizierter Form als Leitungsgewalt, die auch moderative Aufgaben in quasidemokratisch strukturierten (Laien-)Gremien umfasst. 19 Müller, Judith, Priester sein, 24 (Eingeschobene Zitate aus dem bei Müller zitierten zeitgenössischen Werk: Nikolaus Gihr, Die heiligen Sakramente der katholischen Kirche, 2 Bd., Freiburg 1897/1903, hier Bd. 1, 140). 20 Neben dem ebenfalls den Priestern vorbehaltenem, aber in seiner Bedeutung nachrangigen Sakrament der Letzten Ölung. Den Bischöfen exklusiv vorbehalten sind die Sakramente der Weihe. Das Sakrament der Firmung wird im Regelfall von einem Bischof gespendet, die Spendung kann von diesem aber auch einem Priester übertragen werden. Während das Sakrament der Taufe notfalls von einem Laien, ja selbst von einem Nichtchristen gespendet werden kann, spenden die Eheleute in Gegenwart eines Priesters das Sakrament der Ehe einander; vgl. Nocke, Sakramentenlehre. 21 Pius XI., Ad catholici sacerdotii, 3 (Hervorhebung durch den Verfasser). 22 Ebertz, Modernisierungsprozesse, 67. 23 Pius XI., Ad catholici sacerdotii, 6. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Kirchenverständnis ein Priester ohne Kirche mindestens ebenso undenkbar wie eine Kirche ohne Priester. Theologisch basiert die Aura, die dem priesterlichen Amt anhaftet, auf der participatio sacerdotii christi, an der jeder Priester durch seine Weihe Anteil erlangt.24 Der Priester wird entsprechend dem Verständnis der katholischen Dogmatik dadurch einerseits »Diener Jesu Christi, er ist also Werkzeug in der Hand des göttlichen Erlösers zur Fortführung seines Erlösungswerkes«, er wird aber andererseits auch »wie man mit voller Berechtigung zu sagen pflegt, in der Tat ›ein zweiter Christus‹, weil er in der Person Christi seine Sendung fortsetzt: ›Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch‹.«25 Diese Betrachtungsweise findet in der Opfertheologie eine nochmalige Überhöhung, »denn derselbe, der sich damals selbst am Kreuze geopfert hat, bringt jetzt durch den Dienst der Priester das Opfer dar.«26 Durch den Vollzug des Messopfers und den in der Transsubstantiation in Brot und Wein gegenwärtig werdenden Christus, gewinnt der Priester und mit ihm die Kirche, die ihn mit dieser Amtsvollmacht ausstattet, schließlich Macht über Christus selbst: »Daraus erhellt sich«, so formuliert wiederum die Enzyklika Ad catholici sacerdotii, »die unaussprechliche Größe des menschlichen Priesters, der Gewalt selbst über den Leib Jesu Christi hat.«27 Diese innige Teilhabe am Göttlichen, die Kommunion mit der Gottheit und die Vermittlung der Heilswirkung dieses Aktes, wie sie im katholischen Glauben in der Feier der Eucharistie zum Ausdruck gelangt, ist Ziel und Gegenstand jedes priesterlichen Wirkens.28 Die Gemeinschaft der gläubigen Laien soll zugleich an diesem entscheidenden Erlebnis nach ihren Möglichkeiten Anteil haben. Denn die Segnungen der Teilhabe an der Kommunion mit dem Göttlichen müssen mitgeteilt und möglichst vielen zugänglich gemacht werden.29 Jedoch sind die Laien vom eigentlichen Vollzug der heiligen Handlungen ausgeschlossen. Sie sind nur mittelbare Empfänger der Gnadenmittel, denn Gott wirkt nicht durch sie – dies bleibt den Priestern als Gefäßen Gottes vorbehalten. Seelsorge reduziert sich vor diesem Hintergrund vor allem auf

24 Vgl. Busch, Frömmigkeit und Moderne, 219. 25 Pius XI., Ad catholici sacerdotii, 5. 26 Ebenda. 27 Ebenda, 6. Ähnlich Vorstellungen finden sich auch in Enzykliken Pius XII., etwa in Mystici corporis vom 29. 06. 1943 oder in der Liturgieenzyklika Mediator Dei vom 20. 11. 1947, in der formuliert wird: »Es ist demnach der gleiche Priester, Christus Jesus, dessen heilige Person sein berufener Diener vertritt. Durch die Priesterweihe dem Hohepriester angeglichen, besitzt er die Vollmacht, in der Kraft und an der Stelle der Person Christi selbst zu handeln. Durch seine priesterliche Handlung leiht er also Christus gleichsam‚ seine Zunge und reicht ihm seine Hand.« (Übersetzung und Druck bei Mayer, Kirchenrechts-Sammlung, Bd. III, 316–360, hier 332). Der Titel der letztgenannten Enzyklika bezeichnet den im Priester vergegenwärtigen Jesus Christus, den Mittler zwischen Gott und den Menschen. 28 Vgl. Wach, Religionssoziologie, 410. 29 Vgl. ebenda, 385 zur religionssoziologischen Einordnung dieses Phänomens. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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die korrekte Verwaltung und Ausspendung der Sakramente.30 Die Seelsorgepriester setzen das Hirtenwerk Jesu Christi fort, zugleich setzt Christus in ihnen und durch sie sein Priesterwerk fort.31 Die Sakralisierung des Priesteramtes zeitigte bedeutsame Auswirkungen für den konkreten Lebensvollzug der Priester: »Weil der heilige Dienst nur noch von ›Geheiligten‹ (Konsekrierten) versehen werden durfte, erwartete man jetzt, dass diese Priester, ihrem heiligen Dienst entsprechend, auch ein heiliges Leben führten.«32 Entsprechend dem obersten Ziel der Kommunion mit dem Göttlichen und des Wirken Gottes durch und in den Priestern, in dem der ganze Sinn ihres Daseins ruht, hat im Leben der hominis religiosi dasjenige absoluten Vorrang, was die Kommunion mit der Gottheit unterstützt und fördert und die Geistlichen in den Augen der Gläubigen würdig erscheinen lässt, das Opfer zu vollziehen. Es liegt also ein großer Nachdruck auf Vorbereitung und Erhaltung der richtigen Gemütsverfassung für die Kommunion mit dem Numinosen und den Mitteln, die diese Stimmung nähren, d. h. geistliche Exerzitien, Selbsterforschung, Andacht, Gebet, Meditation etc. kurzum auf einem frommen priesterlichen Leben,33 mit dem Ziel der Heiligung der priesterlichen Existenz.34 Neben den geistlichen Übungen wird jedoch ebensoviel Wert auf eine strikten Regeln folgende Lebensordnung gelegt, deren Parameter exakt normiert sind und deren Einhaltung von den zuständigen Autoritäten je nach Möglichkeit mit mehr oder minder großer Akribie überwacht wird. Die Betonung der abgrenzenden Exklusivität zeigte sich hinsichtlich der Vorbilder, die dem priesterlichen Stand etwa in der einschlägigen Literatur als Lichtgestalten präsentiert wurden. Hierbei handelte es sich nahezu ausschließlich um Angehörige des eigenen Standes, die sich abhoben »von dem oft so düsteren Grund der Weltgeschichte« und so das ideale »Bild des katholischen

30 Vgl. Nickel, Theologisch-praktische Monatsschrift, 216. Ein Priester konnte jedoch nicht ohne weiteres seelsorgliche Tätigkeiten ausüben. Hierzu bedurfte er wiederum einer gesonderten Erlaubnis seines Bischofs, der so genannten cura animarum, die in schriftlicher Form, zunächst zumeist befristet auf ein oder mehrere Jahre, erteilt wurde. (vgl. ebenda, 258). Diese schriftliche Erlaubnis wurde als Cura-instrument bezeichnet. Die Fähigkeit zur Ausspendung der Gnadenmittel wurde also auch nach der Weihe zusätzlich reglementiert und durch formale Akte beschränkt. Geistliche, die an einen Ort kamen an dem sie persönlich unbekannt waren – etwa als Urlaubsvertretung – hatten dem dortigen Ortsgeistlichen stets ihr Cura-Instrument vorzuzeigen, um den Nachweis zu führen, dass sie berechtigt waren z. B. die Messe zu lesen. Wurde einem Priester, aus welchen Gründen auch immer, die cura animarum verweigert, kam dies faktisch einem Berufsverbot gleich. 31 Vgl. Reuss, Priesterliche Ausbildung heute, 85. 32 Denzler, Zölibat, 12. 33 Dieser Aspekt besonders betont bei Wach, Religionssoziologie, 385. 34 Die entsprechenden Vorstellungen zur Heiligung des priesterlichen Lebens gipfelten im Heiligen Jahr 1950 in der apostolischen Exhortation Menti Nostrae vom 23. 09. 1950, AAS 42, 1950, 662– 702, einer »Mahnung an den Klerus der ganzen Welt […] über die Förderung der Heiligkeit des Priesterlebens«. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Priestertums vor dieser unserer Zeit aufrichten«35 sollten. Vor diesem Hintergrund erschien es durchaus passend, dass eine weltabgewandte Figur wie der intellektuell äußerst bescheiden begabte, stark neurotische, aber durch besondere Frömmigkeit ausgezeichnete Pfarrer von Ars, kurz nach seiner 1925 erfolgten Kanonisation zum Patron des Klerus bestimmt und diesem also als Idealbild vor Augen gestellt wurde.36 Wie stets in vormodernen Gesellschaften, muss auch im Fall des katholischen Priestertums, das wir als vormoderne Sondergesellschaft innerhalb der modernen Gesellschaft charakterisieren können, die grundlegende Identität stiftende Konzeption nicht erst gefunden oder entwickelt werden, sie ist in der Tradition vorgegeben und ist der individuellen Gestaltung und Beeinflussung des Einzelnen nicht zugänglich. In der vormodernen Gesellschaft ist, wie der Soziologe Hartmut Rosa ausführte, die substantielle soziale Identität von Subjekten gleichsam von außen festgelegt und vordefiniert […] Tradition und Religion weisen dem vormodernen Subjekt seinen Platz im Weltgefüge und in der Gesellschaft zu und prädefinieren, wer es ist, wie es in der Gemeinschaft steht und was es zu tun hat. Seine ›Identitätsparamter‹, die erst im Fraglichwerden von Traditionen und Konventionen als solche überhaupt erkennbar werden, also etwa Religion, Wohnort, ›politische Orientierung‹, Erwerbstätigkeit, Lebensform etc. sind gegeben nicht gewählt.37

Wie auch Charles Taylor in seiner Geschichte der neuzeitlichen Identität herausgearbeitet hat, besitzen die Subjekte in traditionalen Gesellschaften eine substanzielle Identität a priori, die nicht Gegenstand von innergesellschaftlichen Diskursen ist.38 Das Identitätskonzept des Klerus und der mit ihm verknüpfte Habitus clericalis – als solchen bezeichnen wir im folgenden die Art und Weise des Verhaltens und der Selbst35 Vgl. Knapp, Priester des Herrn, Vorwort (o. S.). Dieses Werk führt in einzelnen Lebensbildern die Heiligen Augustinus, Philipp Neri, Franz von Sales, Vinzenz von Paul, Clemens Maria Hofbauer sowie den als »Pfarrer von Ars« bekannt gewordenen Jean-Marie Vianney auf, ferner Bischof Wilhelm Emmanuel von Ketteler, Adolf Kolping und den Priester und populären Volksschriftsteller Alban Stolz. Vgl. auch das Werk von Zeller, Licht- und Lebensbilder, der 74 Biographien, ganz unterschiedlicher hierarchischer Stufen, aus dem Kreis des Klerus der Erzdiözese München und Freising zusammentrug. Auch im Klerusblatt erschienen regelmäßig Portraits prägender priesterlicher Gestalten. 36 Vgl. Busch, Frömmigkeit und Moderne, 135 f. Jean-Marie Vianney war zudem ein Vertreter der stark sozial disziplinierenden »höllischen Pastoral«, der durch die in seinen Predigten regelmäßig entfalteten Schreckenszenarien die angsterfüllten Gemeindemitglieder gruppenweise in den Beichtstuhl getrieben hatte; vgl. hierzu Vorgrimmler, Hölle, 270–274. Noch Papst Benedikt XVI. stellte den Pfarrer von Ars im Jahr 2009 in seinem »Schreiben zum Beginn des Priesterjahres anlässlich des 150. Jahrestages des Dies natalis von Johannes Maria Vianney« dem Weltklerus als Vorbild vor Augen: »Nach dem Beispiel des heiligen Pfarrers von Ars lasst euch von ihm [Christus; Th. Fo.] vereinnahmen, dann seid in der Welt von heute auch ihr Boten der Hoffnung, der Versöhnung und des Friedens!« vgl.: www.vatican.va/holy_father/benedict_xvi/letters/2009/documents/hf_ ben-xvi_let_20090616_anno-sacerdotale_ge.html (04. 10. 2012). 37 Rosa, Beschleunigung, 356 (Hervorhebung im Original). 38 Vgl. Taylor, Quellen des Selbst. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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und Standesrepräsentation der Kleriker – ist kein Thema reflexiver Auseinandersetzung innerhalb des eigenen Standes. Priesterliches Identitätskonzept und Habitus clericalis sind von denen, die zum Priestertum berufen sind, in einem komplexen Prozess der Gewöhnung und Einübung anzueignen und zu verinnerlichen. Dieser Prozess vollzieht sich für gewöhnlich zwischen dem 10. und 25. Lebensjahr, mithin in der Zeitspanne der menschlichen Entwicklung, in welcher die grundlegende Identitätsbildung hauptsächlich abläuft. Die priesterliche Identität ist kein Ergebnis einer individuellen biographischen Entwicklung, sie ist auch nicht das Ergebnis einer kollektiven Entwicklung als Ergebnis eines gemeinsamen Ringens um Ideen und Wert- und Weltvorstellungen. Damit ist die priesterliche Identitätskonstruktion jedoch kontratypisch zu modernen Identitätskonstruktionen und -konzeptionen. Denn: In der Moderne wird der Prozess der individuellen Gestaltung von Lebensentwürfen, die Eröffnung konzeptioneller Gestaltungsspielräume hinsichtlich Lebensstil und Weltanschauung bei gleichzeitiger Verflüssigung der traditionellen Vorgaben und Rollenmuster unter dem Schlagwort der Individualisierung zu einem Konstitutivum ihrer selbst.39 Wobei hier einschränkend anzumerken ist, dass in der klassischen Moderne im Gegensatz zur Postmoderne, die Kombination von Identitätsbausteinen durch Ausbildungswege, Herkunftsmilieus, Berufstraditionen, Lebensformen etc. im Regelfall noch stark eingeschränkt ist, weshalb Hartmut Rosa für die klassische Moderne dazu tendierte, von »Identitätsclustern« zu sprechen, die sich durch starke Binnenhomogenität auszeichnen.40 Die priesterliche Existenz ist demgegenüber auch noch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Ergebnis eines überwiegend determinierten Entwicklungsprozesses, sowohl hinsichtlich der Rekrutierung und Ausbildung der dem priesterlichen Stand Zugehörigen, als auch was die Ausprägung ihres kollektiven Identitätskonzeptes und der damit verbundenen habituellen Muster betrifft. Das Konzept der Abgrenzung und Sakralisierung zur Versicherung und Absicherung der Standesidentität gegenüber sich selbst und den andern, geriet aber um so mehr ins Wanken, je mehr das einst so gefestigte Ständemodell alteuropäischer Prägung, in das es über Jahrhunderte hinweg eingebettet war, schließlich der Idee von einem offeneren bürgerlichen Gesellschaftskonzept wich. Während das Bild des Priesters durch die katholische Theologie immer mehr überhöht wurde, wurde es zugleich im öffentlichen Diskurs mehr und mehr entmystifiziert. Die Schere zwischen Selbstwahrnehmung und Fremdwahrnehmung öffnete sich immer weiter.

39 Vgl. Rosa, Beschleunigung, 357. 40 Vgl. ebenda, 359. Mit dem Modell binnenhomogener Cluster lieferte Hartmut Rosa einen überzeugenden Ansatz für die Überwindung des zu starren Milieukonzepts, welches für das 20. Jahrhundert überwiegend nicht mehr als zutreffend angesehen werden kann. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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3.2 Priesterliche Lebensnormen und ihr Vollzug Konzentriert man sich auf den geistlichen Lebensvollzug als eigentlichen Kern der priesterlichen Existenz, stellt sich zunächst einmal die Frage nach der Frömmigkeit der Kleriker.41 Die im Kontext einer Arbeit über katholische Priester zu erwartende Frage, ob und in welchem Umfang diese eine über die ihnen durch das Kirchengesetz auferlegten Formen hinausgehende persönliche innere Frömmigkeit pflegten, muss vor allem mangels geeigneter Quellen weitgehend unbeantwortet bleiben.42 Betrachtet man die im kirchlichen Gesetzbuch kodifizierte Lebensordnung, die während der Ausbildung eingeübt wurde, finden wir nur formale Kriterien für einen normgerechten geistlichen Lebensvollzug. Von den Frömmigkeitsübungen für einen Priester ist zunächst vor allem die in can. 135 CIC festgeschrieben Pflicht zum täglichen Breviergebet, einer Tagesheiligung durch Gebet und Lesung, zu nennen.43 Das Brevier, gelegentlich als »mystische Braut des Geistlichen«44 bezeichnet, nahm diesen durchaus stark in Anspruch, denn für das vorkonziliare Breviergebet war ein Zeitaufwand von etwa eineinhalb Stunden zu veranschlagen45, also wesentlich mehr, als für eine einfach Messfeier. Der Pastoraltheologe Michael Pfliegler kommt in seinem Werk Priesterliche Existenz auch gleich auf die mit dem überlangen Breviergebet verbundene grundsätzliche Gefahr der Veräußerlichung des Gebetslebens zu sprechen: »Der mit Arbeit überlastete Seelsorger muss zwischen der Hetze des Tages das Breviergebet unterbringen, es, wie der verdächtige Ausdruck sagt: ›persolvieren‹. Er muss trachten, es zwischendurch zu verrichten. Auch auf Wegen, in den Zwischenpausen der Schule, in der Straßenbahn.«46 Mahnungen, 41 Hierbei scheitert man bereits am Mangel an frömmigkeitsgeschichtlichen Studien zum 20. Jahrhundert an sich. Ansätze finden sich etwa bei Blaschke, Kolonialisierung; Blessing, Kirchenfromm; Kösters, Verbände; Liedhegener, Urbanisierung. Auf den Klerus fokussierte Studien fehlen. 42 Frömmigkeit und damit verbundene Übungen und Gewohnheiten halfen den Priestern, wie anderen Menschen auch, persönliche Krisensituationen durchzustehen und besser zu bewältigen. Eindrucksvolle Zeugnisse jenseits formelhafter Bekenntnisse finden sich angesichts äußerer Bedrängnis, etwa bei jenen, die Opfer nationalsozialistischer Verfolgung wurden und denen in schweren Zeiten »das Gebet einzige Zerstreuung und letzter Halt« wurde; vgl. etwa AEM, Nationalsozialistische Verfolgung katholischer Geistlicher, Fragebogen A, Karl Schuster, Beilage ErlebnisBericht, 10 [Bericht über das Weihnachtsfest 1939 in der Haftanstalt Stadelheim], 15 f. [Bericht über die Freude wieder tägliche Kommunion feiern zu können], Zitat ebenda 16. 43 Vgl. zum Breviergebet ausführlich Nickel, Theologisch-praktische Monatsschrift, 238–244. 44 Bernhart, Kaplan, 15. 45 Vgl. Pfliegler, Existenz, 117. Pfliegler führt als abschreckendes Beispiel eine karikaturhafte Priestergestalt aus Stefan Andres Roman Das Tier aus der Tiefe an, die »nur eine Stunde« zum herunterleiern des Breviergebets benötige. Pfliegler, den fortschrittlichen Theologen zuzurechnen, übte dann aber auch vorsichtige Kritik am Breviergebet und bezeichnete es als »reformbedürftig«, was im Zuge der Liturgiekonstitution Sacrosanctum Concilium des Zweiten Vatikanischen Konzils und deren Vollzug in der Apostolischen Konstitution Laudis Canticum vom 01. 11. 1970 auch geschah. Diese Reform führte unter anderem zu einer erheblichen Verkürzung des Breviergebets. 46 Ebenda. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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das Brevier nicht zur Routine verkommen zu lassen, sondern es mit innerer Anteilnahme zu verrichten und so als Kraftquell fruchtbarer Seelsorge zu nutzen, finden sich in der aszetischen Literatur der Zeit entsprechend häufig.47 Diese immer wiederkehrenden Mahnungen lassen vermuten, dass hier Einiges im Argen lag. Monika Nickel stellte in ihrer Untersuchung zur Passauer Theologisch-praktischen Monatsschrift fest, dass keine andere Frömmigkeitsübung oder geistliche Standespflicht, nicht einmal der Zölibat, eine so breite Diskussion erfahren hat, wie der Themenkreis des Breviergebets.48 Neben dem Brevier schärfte Kardinal Faulhaber auf der Münchener Diözesansynode 1940 die häufige Beichte sowie als tägliche Pflichten das innere Gebet, den Besuch des Allerheiligsten, den Rosenkranz und die Gewissenserforschung ein.49 Wenigstens in jedem dritten Jahr hatten die Kleriker an Exerzitien teilzunehmen.50 Die 1917 im CIC kodifizierten Pflichten zu Frömmigkeit und Lebensgestaltung der Kleriker sind das Ergebnis einer längerfristigen historischen Entwicklung einerseits, besonderer Ausdruck der strengkirchlichen Epoche und ihrer Normierungsideale andererseits. Die Überwachung ihrer Einhaltung oblag der kirchlichen Hierarchie, diese verwaltete nicht nur das Wissen um die für alle verbindlichen Normen und Regeln, sie definierte auch im Detail, was zum Habitus clericalis gehörte und sanktionierte abweichendes, norm- oder regelverletzendes Verhalten im Falle der Aufdeckung unter bestimmten Prämissen.51 Neben der zölibatären 47 Stets drohe die Gefahr der Erstarrung der Frömmigkeitsübung: »Aber nur wo der Seelsorger Geist, Herz und Hände mit den natürlichen und übernatürlichen Früchten unablässiger Baumannsarbeit an sich selber erfüllt hat, besitzt er Tiefe und Ruhe, Kraft des Geistes und Weisheit des Herzens, Zähigkeit und Milde, Optimismus und zugleich Energie genug, um sturmfest zu bauen und zu bleiben. Ohne bloß die Routine und die blinde Ausdauer einer Maschine zu verkörpern«; Josef Rußwurm, Geistliche Selbstsorge des Priesters. Grundlage und Kraft fruchtbarer Seelsorge, Klerusblatt 1933, 24 f., hier 25. Vgl. auch Sellmair, Priester, 137: »Die entscheidende Bedingung ist aber, dass das objektive Gebet auch subjektiv mitgelebt wird. Die pflichtmäßige Verrichtung bestimmter Gebetsformeln darf das subjektive, persönliche Gebetsleben nicht verdrängen. Die Seele würde ohne diesen lebendigen Atem allmählich verhungern. Mit dem mechanischen Lippendienst aber sich begnügen wollen, wäre gleichviel wie die äußere Verrichtung der liturgischen Handlungen.« Ob sich aber in »äußerst gewissenhaft[er]« Verrichtung des Breviergebetes und einer dabei von Dritten beobachteten »beinahe skrupulöse[n] Ängstlichkeit« (so Subregens Albert Vierbach über seinen Vorgesetzten, Georgianumsdirektor Eduard Weigl, in: Vierbach, Eduard Weigl, Abschnitt 3) schon eine formale Erstarrung des Gebetslebens zeigt, entzieht sich der Beurteilung durch den Historiker. 48 Vgl. Nickel, Theologisch-praktische Monatsschrift, 243. 49 Vgl. Standespflichten des Klerus, in: Bericht Diözesan-Synode 1940, 16–20, hier 16. Gerade im Hinblick auf die eigene Sündenschuld erwartete man von den Klerikern eine besondere Sensibilität, da sie wiederum selbst aktiv den Gläubigen ins Gewissen redeten. Als ideale Tugenden eines priesterlichen Beichtvaters galten neben vorzüglichem theologischen Wissen, hervorragender priesterlicher Frömmigkeit und väterlicher Güte »zuletzt, aber nicht am wenigsten weise Festigkeit und Strenge«. So der Verfasser eines 1899 in der Passauer Theologisch-praktischen Monatsschrift erschienen Artikels, zit. nach Nickel, Theologisch-praktische Monatsschrift, 245. 50 Vgl. Bericht Diözesan-Synode 1940, 16. 51 Vgl. hierzu Kapitel 5 dieser Arbeit. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

Priesterliche Lebensnormen und ihr Vollzug255

Lebensform (can. 132 § 1 mit 1072, 1073 CIC) und dem damit verbundenen Gebot der vollkommenen Keuschheit »sowohl im äußeren Tun wie im inneren Denken und Wollen«52 mussten die Kleriker sich auch grundsätzlich sittlich aus der Laienwelt herausheben und in Gesinnung und Leben den Laien Vorbilder sein (can. 124 CIC). Neben dem täglichen Breviergebet waren sie zu regelmäßiger Messfeier verpflichtet53, in der Praxis bildete sich die tägliche Messfeier oder zumindest der tägliche Kommunionempfang heraus.54 Der Priester musste sich bei seiner Lebensgestaltung von allem fernhalten, was seinem Stand nicht entsprach, nicht zur Ehre gereichte oder von Dritten als unstandesgemäßes Verhalten interpretiert werden konnte (can. 138 CIC). Hierzu gehörten jede unstandesgemäße Berufstätigkeit (Gastwirtschaftsbetrieb, Teilnahme an Tänzen und Maskeraden und anderen weltlichen Lustbarkeiten, Hasardspiel, Waffentragen, die Jagd, Besuch von Wirtshäusern und ähnlichen Lokalen, von öffentlichen Theatern, in denen anzügliche Stück, Balletts und ähnlich Vorstellungen gegeben werden, Teilnahme an derartigen Schaustücken (Pferderennen) und Aufzügen, Kinos und dergleichen.55

Eine Verpflichtung bestand ferner zum Tragen des geistlichen Gewandes, der Tonsur und einfacher Haartracht (can. 136 CIC). Der Klerus war zur regelmäßigen wissenschaftlichen d. h. theologischen Weiterbildung verpflichtet (cann.  129–131 CIC), dies geschah auch gemeinschaftlich in der Form regelmäßig abgehaltener Pastoralkonferenzen und Diözesansynoden.56 Die Ausübung von Handelsgeschäften war den Klerikern ebenso verboten wie die von Heilberufen oder die Übernahme von Bürg- und Patenschaften oder von Staatsämtern (cann. 142, 766, 796 CIC). Die Vermögensverwaltung für Laien war ebenso wie die Übernahme von Abgeordneten52 Eichmann/Mörsdorf, Kirchenrecht, Bd. I, 487. 53 Wobei festzuhalten ist, dass allein aus der Priesterweihe keine grundsätzliche Verpflichtung zur täglichen Messfeier resultierte. Wie häufig ein Priester Messe zu lesen hatte, war im CIC nicht exakt festgelegt, gemeinrechtlich ging man von mindestens viermal im Jahr aus. Der CIC 1917 bestimmte jedoch in can. 1247, die Bischöfe und Ordensoberen sollten dafür Sorge tragen, dass die ihnen unterstellten Kleriker wenigstens an allen Sonntagen und gebotenen Feiertagen zelebrierten. Die Rechtspflicht zu weit häufigerer bzw. täglicher Zelebration resultierte erst aus der Übertragung seelsorglicher Ämter; vgl. Eichmann, Kirchenrecht, Bd. I, 401 f. 54 Betrachtet man die handschriftlichen Anmerkungen und Anstreichungen, die Weihbischof Johannes Neuhäusler nach 1946 an den Fragebogen zur NS-Verfolgung katholischer Geistlicher und den dort beigegebenen Berichten der Geistlichen vornahm, wird deutlich, dass für ihn die Frage, ob ein inhaftierter Priester die Möglichkeit zur Zelebration oder zum Kommunionempfang hatte, als bedeutsamer eingeschätzt wurde als die Frage, ob er ausreichend zu Essen hatte. Das Seelenheil, welches hier in einer formalistischen Betrachtungsweise an die Möglichkeit zum Eucharistieempfang gekoppelt wurde, hatte Vorrang vor dem körperlichen Wohl. 55 Eichmann, Kirchenrecht, Bd. I, 155. 56 Vgl. hierzu Langenfeld, Weiterbildung und Kooperation, bes. 366–372. Nach Langenfeld trugen die Pastoralkonferenzen zur Entstehung einer Art Gesamtbewusstsein des Diözesanklerus bei, indem sie Priester von unterschiedlichster Herkunft und Prägung zusammenführten. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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mandaten an die Zustimmung des Ortsordinarius gebunden, wobei bei politischer Tätigkeit die Erlaubnis eher erschwert als erleichtert werden sollte.57 Kleriker durften sich schließlich auch nicht freiwillig dem Militärdienst widmen, weil dadurch das Immunitätsprivileg des Standes ausgehöhlt worden wäre.58 Die Residenzpflicht der Kleriker beschränkte ihre räumliche Freizügigkeit. Sie mussten in ihrer jeweiligen Diözese ihren Wohnsitz und dauernden Aufenthalt haben und diese ohne ausdrückliche oder wenigstens als wahrscheinlich anzunehmende Erlaubnis ihres Ordinarius nicht auf längere Zeit verlassen. Die Inhaber von Kirchenämtern hatten darüber hinaus eine Residenzpflicht am Amtssitz, d. h. sie mussten dort präsent sein und im Pfarrhaus Wohnung nehmen.59 Die Kleriker oblagen schließlich in besonderer Weise auch der Pflicht der Reverenz und Obedienz gegen ihren Ordinarius (cann. 127, 198 CIC), dem sie durch das feierliche Versprechen bei der Weihe Gehorsam gelobten.60 Hierzu gehörte auch der Lehrgehorsam gegenüber dem Papst als Ordinarius omnium pastorum61 und die Pflicht zur Übernahme eines Dienstes (can. 128 CIC). Das Vertreten oder schon die Beschäftigung mit von der kirchlichen Doktrin abweichenden Meinungen62 stand unter Strafandrohung, erwähnt sei in diesem Zusammenhang der bis 1966 in Gebrauch befindliche Index librorum Prohibitorum. Erst seit 1919 verfügte der Klerus über eine eigene Standesorganisation. Es war 57 Vgl. Eichmann, Kirchenrecht, Bd. I, 156. Hierbei sah man die Gefahr, dass »der in das öffentliche Amt verstrickte Kleriker an Ehre und Gewissen Schaden nimmt, Anfeindungen sich aussetzt, den Beruf vernachlässigt, die Seelsorge auf die Parteipolitik einstellt [und] Katholiken anderer politischer Richtung abstößt.« Ausnahmen wurden gestattet, »weil es wünschenswert sein kann, dass Geistliche in den Parlamenten sitzen wegen der religiös-sittlichen Fragen, die hier zur Verhandlung stehen.« (Ebenda, Anm. 2). 58 Can. 141 mit 121 und 138 und 188 CIC; vgl. Eichmann, Kirchenrecht, Bd. I, 156 f.; vgl. auch Kapitel 7.2.1. 59 Vgl. Eichmann, Kirchenrecht, Bd. I, 157; Gatz, Kultur des priesterlichen Alltags, 309; Noll, Pfarramt, 494; Nickel, Theologisch-praktische Monatsschrift, 211 Anm. 79. 60 Hierbei handelte es sich um einen kanonischen Gehorsam, der im Allgemeinen auf den Kreis der Amts- und Standesobliegenheiten des Klerus beschränkt war, durch die canones und das natürliche Sittengesetz seine Begrenzung fand und Privatangelegenheiten der Kleriker nicht einbezog; vgl. Eichmann, Kirchenrecht, Bd. I, 150. Jedoch war der Bereich dessen, wo der Priester wirklich Privatmann im engeren Sinne blieb, äußerst beschränkt – wie sich aus den folgenden Ausführungen noch ergibt – und auch Eichmann räumte ein, dass der Gehorsam sich durchaus auch auf Privatangelegenheiten erstrecken konnte, sofern durch »das Privatleben eines Geistlichen Würde, Ansehen und Wirksamkeit des geistlichen Amtes und Standes geschädigt würden oder Ärgernis und Zwietracht entstünde.« (Ebenda). 61 Vgl. Eichmann, Kirchenrecht, Bd. I, 149. 62 Ein unabhängiger Kopf galt als Gefährdung der Standesdisziplin und der Gehorsamsordnung, die als gottgegebenen verstanden wurde. Regens Westermayr äußerte sich in diesem Zusammenhang gegenüber dem Ordinariat bezüglich eines freiwillig aus dem Klerikalseminar ausgetretenen Alumnen, dessen Austritt sei kein Verlust für den Priesterstand, denn »er [dieser Alumne] war ein strebsamer Kandidat, aber ein kritischer Kopf mit einer Selbständigkeit des eigenen Urteils, der eine freudige Erfüllung der mit dem Priestertum gegebenen Pflicht des kirchlichen Gehorsams kaum möglich wäre.«; AEM, Priesterseminar Freising, Austritte aus dem Klerikalseminar 1934– 1947, Westermayr an EOM vom 26. 02. 1945. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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zunächst das Schulwesen, welches die Priester 1909 in einer Art Oppositionsbewegung gegen den Bayerischen Lehrerverein im Landesverband der katholischen geistlichen Schulvorstände Bayerns zusammengeführt hatte. Mit der Beseitigung der Geistlichen Schulaufsicht durch den sozialdemokratischen Kultusminister Johannes Hoffmann im Dezember 1918 war dem Schulverband dann jedoch mit einem Schlag sein Existenzzweck entzogen.63 Kardinal Faulhaber selbst war es, der den Klerus in dieser Umbruchsituation noch im Dezember 1918 aufforderte, in einer Zeit, in der alle Stände zur Vertretung ihrer Interessen die Gründung von Standesorganisation betrieben, auch eine priesterliche Standesvertretung ins Auge zu fassen.64 Diese sollte freilich nur auf caritative, aszetische, erzieherische oder wirtschaftliche Ziele gerichtet sein.65 Vor allem einer überdiözesanen Organisation stand der Episkopat, welcher eine Art »Priestergewerkschaft« auf jeden Fall verhindern wollte, ablehnend gegenüber.66 Unter diesen Rahmenbedingungen kam es schließlich im Dezember 1919 zur Konstituierung des Landesverbandes der Diözesanpriestervereine Bayerns, des so genannten Klerusverbands.67 Obwohl die Priestervereinigungen in den einzelnen Diözesen rechtlich für sich unabhängig waren, kam der Münchener Zentrale doch eine entscheidende Lenkungs- und Steuerungsfunktion zu. Als Vorsitzender des Diözesan-Priestervereins München fungierte von 1922–1942 der Münchener Stadtpfarrer Prälat Georg 63 Vgl. Trenner, Klerusverband, 11. 64 Vgl. ebenda, 12; Natterer, Klerus, 46–54. 65 Die Bayerische Bischofskonferenz hielt im Oktober 1919 in ihren Leitsätzen für eine Standesvereinigung der Geistlichen aber unmissverständlich fest, wo die Grenzen einer solchen Vereinigung lagen: Eine neue Standesvereinigung der Geistlichen, welche berufsrechtliche und kirchenrechtliche Zwecke im Sinne einer Gewerkschaft und nach Art einer laienständischen Organisation verfolge, stünde im Widerspruch mit der Kirchenverfassung. Bestrebungen in diese Richtung seien eine Missachtung des unabänderlichen hierarchischen Charakters der Kirche, die zu keiner Zeit eine Umgestaltung in mehr oder minder parlamentarische oder demokratische Formen dulde; vgl. Volk, Akten Faulhabers, Bd. I, 102 f. 66 Vgl. Volk, Akten Faulhabers, Bd. I, ebenda und 52–58 (Konferenz des bayerischen Episkopats vom 17.-18. 12. 1918), bes. 56 f. Bereits in den 1870er Jahren war, unter den Vorzeichen des Kulturkampfes, durch den Landtagsabgeordneten Balthasar von Daller die Gründung einer priesterlichen Verbandsorganisation geplant gewesen. Die Mehrzahl der Bischöfe hatte den Plan jedoch abgelehnt; vgl. Natterer, Klerus, 15. Auch Bestrebungen des Münchener Priesters und Herausgeber der reformkatholischen Zeitschrift Renaissance, Joseph Müller, zur Gründung einer Standesorganisation, zu der er 1907 mit der an die Arbeiterbewegung erinnernden Parole »Vereinigt Euch!« aufrief, scheiterte wohl nicht zuletzt an der Minderheitenposition Müllers, mit der sich die Mehrheit des Klerus kaum identifizieren konnte; vgl. ebenda, 15 f., zu Müller und der Bedeutung der Renaissance vgl. Hastings, Feminized Church, 40 ff. ferner Weiss, Otto, Modernismus in Deutschland, 181–196. 67 Zu seiner Geschichte vgl. Natterer, Klerus und Maas-Ewerd, Kleriker, ferner die im Klerusblatt veröffentlichten Tätigkeits- und Kassenberichte. Die Struktur des Klerusverbands lässt sich gut aus den jährlich als Beilage zum Klerusblatt erschienenen Übersichten über die Vorstandschaft in den einzelnen Diözesen entnehmen. Demnach war der Verband auf Diözesanebene in sogenannte Bezirksgruppen eingeteilt, welche die Dekanatsstruktur widerspiegelten. Archivalien des Klerusverbands haben sich bedauerlicherweise nicht erhalten; freundliche Mitteilung des Geschäftsführers des Klerusverbandes, Dr. Florian Trenner, am 09. 01. 2002 an den Verfasser. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Böhmer68, 1933 übernahm Böhmer vom Würzburger Dompropst Thaddäus Stahler auch das Amt als Vorsitzender des Landesverbandes.69 In beiden Ämtern folgte ihm 1942 der Münchener Franz Stadler70 nach. Der priesterliche Organisationsgrad war sehr hoch und stieg in den Jahren der NS-Herrschaft weiter an: 1933 gehörten dem Klerusverband in der Erzdiözese München und Freising 1.102 Weltgeistliche an, bis zum Jahr 1937 stieg ihre Zahl auf 1.309.71 Damit lag der Organisationsgrad zu Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft noch bei 77,6 Prozent, im Jahr 1937 indes schon bei 89,11 Prozent des Diözesanklerus.72 Während der nationalsozialistischen Zeit bestand die wichtigste Aufgabe des Klerusverbandes in der Gewährung von Rechtsschutz für seine Mitglieder.73 Der Verband unterstützte Priester durch die 1929 gegründete Klerushilfe auch in wirtschaftlicher Hinsicht, indem er unmittelbare finanzielle Unterstützung, meist durch zinslose Darlehen leistete, bei Überschuldung Sanierungsdarlehen vermittelte und erforderlichenfalls auch als Bürge hierfür fungierte.74 Eine Kommission für Katechese und Katecheten veranstaltete Kurse und Tagungen zum Thema Religionsunterricht und Volkskatechese und bemühte sich dadurch, den Klerus auf den aktuellen Stand der religionspädagogischen Erkenntnisse zu bringen.75 Als ökonomisches Äquivalent zum Klerusverband existierten seit 1917 die Liga, Spar- und Kreditgenossenschaft eGmbH und die ihr zugehörige Liga-Krankenkasse katholischer Priester in Bayern und die Liga-Lebensversicherung der katholischen 68 Georg Böhmer, Päpstlicher Hausprälat, geb. am 11. 11. 1875 in Thurn, Priesterweihe 1900 in Freising, Koadjutor in Pasing, 1901 Kaplan in München-Neuhausen, 1904 Kooperator in Fürstenfeldbruck, 1906 Expositus in Olching, 1909 Pfarrer ebenda, 1912 Pfarrer in Aubing, 1922 Stadtpfarrer von München-St. Margaret, 1942 frei resigniert, Kommorant in Jetzendorf, gest. am 18. 08. 1943; vgl. Schematismus 1939, 217; Schematismus 1943, 63; Der Personalakt des AEM ist nicht erhalten. 69 Vgl. Natterer, Klerus, 11. 70 Franz Stadler, Dr. h. c., geb. am 18. 03. 1899 in Oberschiltern, Priesterweihe 1925 in Freising, Aushilfspriester in Grünthal, Präfekt am Knabenseminar in Freising, 1929 Domkooperator, Landesund Diözesanpräses der ländlichen Dienstbotenvereine Bayerns, 1931 Filialdirektor der Münchener Geschäftsstelle der LIGA-Spar- und Kreditgenossenschaft, 1941 Präses bzw. Superior der Kreszenz Schmitterschen Anstalt zur Pflege und Versorgung weiblicher Personen, 1942 Vorsitzender des Klerusverbandes (bis 1954) und Zweiter Vorsitzender des Diözesancaritasverbandes, 1948 Domkapitular, Erzbischöflicher Finanzdirektor und zugleich Baureferent, Stellv. Vorsitzender des Diözesansteuerausschusses, 1950 Direktor des Allgemeinen Geistlichen Rates, 1957 Prälat, 1965 Domdekan, 1967 Ehrendomherr der Erzdiözese Quito/Ecuador, 1972 von seinen Ämtern entpflichtet, gest. am 25. 11. 1977; vgl. Nesner, Metropolitankapitel, 513. 71 Vgl. Bruggaier, Generalversammlung 1938, 113. 72 Am 01. 01. 1933 gehörten 1.421 Priester der Erzdiözese München und Freising an, am 01. 02. 1938 waren es 1.469; vgl. Schematismus 1933, 296 und Schematismus 1938, 335. 73 Vgl. hierzu die Ausführungen in Kapitel 8.3. 74 Vgl. Bruggaier, Generalversammlung 1938, 115 f. Im Berichtsjahr 1937 wurde – bayernweit – in 27 Fällen wirtschaftliche Hilfe geleistet. Im vorliegenden Tätigkeitsbericht wird aber auch über die mangelnde Bereitschaft der Gesamtheit der Kleriker geklagt, den Verband mit Zuwendungen zu unterstützen. 75 Vgl. ebenda, 119. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Geistlichen.76 Selbst ein Privatbrandunterstützungsverein auf Gegenseitigkeit für den Diözesanklerus existierte.77 Hieraus wird deutlich, in wie starkem Maße der Klerus auch in seinen ökonomischen Angelegenheiten auf Unabhängigkeit und Eigenständigkeit in standesspezifischen Organisationen ausgerichtet war. Die Absonderung des Klerus von der Sphäre der Laien und damit von der Majoritätsgesellschaft manifestierte sich bis in die 1960er Jahre auch in Äußerlichkeiten. Der Klerus bildete die einzige gesellschaftliche Gruppe, in der sich das Standesvorrecht zum Tragen spezifischer Kleidung und bestimmter Farben in verbindlicher Form und in festgelegten hierarchischen Stufen bis in das 20. Jahrhundert hinein erhalten hatte. Das geistliche Gewand stärkte die klerikale Identität, es beförderte die Erfahrung der Einheit und Zusammengehörigkeit gleichermaßen wie diejenige der distinktiven Abgrenzung. Der Soziologe Hans-Peter Thurn bemerkt hierzu: Die »aus religiöser Weltabsage motivierte Farbarmut spricht sich unverkennbar sozial aus, indem sie das Kollektiv der Gleichgesinnten sowie Gleichgefärbten profiliert, zusammenschweißt und gegenüber anderen abgrenzt.« 78 Die Einheitsgarderobe sicherte dem Klerus darüber hinaus in weiten Teilen der katholischen Bevölkerung ein hohes Maß an Erkennbarkeit und dadurch zugleich eine besondere Achtung. Dementsprechend konstatierte die weit verbreitete priesterliche Anstandslehre von Hertling folgerichtig im Umkehrschluss: »Der Priester degradiert sich durch Ziviltragen. Im geistlichen Rock, auch in einem alten und abgetragenen, sieht er immer irgendwie ehrwürdig aus, wie ein Herr; sobald er in Zivil erscheint, sieht er aus wie ein Stromer oder Flüchtling.«79 Zugleich ermöglichte die bereits durch die Kleidung gegebene äußere Erkennbarkeit des Klerus eine Effektivierung der Sozialkontrolle. Die Kleiderordnung galt deshalb auch in der Ferienzeit. Nicht zuletzt stellten die priesterliche Kleidung und das äußere Erscheinungsbild auch Kriterien bei der Beurteilung eines Geistlichen durch seine Vorgesetzten dar.

76 Vgl. zu deren Geschichte: Hierhammer/Wagner-Braun, 75 Jahre LIGA. Bei der Liga-Bank handelte es sich um eine Genossenschaftsbank, bei den beiden Versicherungsgesellschaften um Versicherungs-Vereine auf Gegenseitigkeit. Alle Institutionen wirtschafteten also nach dem ökonomischen Prinzip, waren aber nicht auf Gewinnerzielung aus. Die Liga-Bank ging aus einer genossenschaftlichen Selbsthilfeeinrichtung der Ökonomiepfarrer zur Abwicklung ihrer Finanzgeschäfte im Zusammenhang mit der kapitalintensiven Mechanisierung der Landwirtschaft zu Beginn des 20. Jahrhunderts hervor. Die Generalversammlungen der Gesellschaften, zu denen alle Mitglieder der Genossenschaft bzw. der Versicherungsvereine stimmberechtigt waren, fanden regelmäßig in Verbindung mit den Generalversammlungen des Klerusverbandes statt. 77 Vgl. den Jahres- und Kassenbericht dieses Vereins im Amtsblatt München 1933, 75 f. aus dem hervorgeht, dass dem Verein im Jahr 1932 836 Mitglieder angehörten. Grundsätzlich zum berufsständischen Versicherungswesen des Klerus vgl.: Die Verselbständigung des kirchlichen Versicherungswesens, Klerusblatt 1933, 131. 78 Thurn, Farbwirkungen, 88. 79 Hertling, Priesterliche Umgangsformen, 11. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Die Kleidungsvorschriften gestalteten sich seit der Mitte des 19. Jahrhunderts unter römischem Einfluss sehr strikt und ließen wenig Spielraum für Interpretationen.80 Für die kirchlichen Funktionen war Priestern, gleichgültig ob darüber noch eine liturgische Gewandung anzulegen war oder nicht, der lange Talar vorgeschrieben. Außerhalb der Kirche war der so genannte Talarrock, auch Soutanelle genannt, vorgesehen.81 Hinzu kamen weitere, teilweise sehr spezielle Kleidungsvorschriften in Sonderfällen, etwa die Vorschrift, das Viatikum auf dem Land im Chorrock zu den Kranken zu bringen und Vergleichbares.82 Obwohl es sich um römische, also universalkirchlich gültige Vorschriften handelte, bildeten sich bei gewissen Punkten landestypische Regeln und Gewohnheiten heraus. So vermochte sich etwa der Saturno (Capello romano), der runde, weitkrempige Hut einfacher Geistlicher, in Bayern kaum durchzusetzen. Bei älteren Geistlichen war in Bayern das Tragen des Gehrocks auch nach dem Ersten Weltkrieg noch vielfach üblich. Dies wurde aber in den 1920er Jahren nicht mehr gern gesehen, da dieses Kleidungsstück als zu bürgerlich galt.83 Kleidungsvorschriften wurden vom Klerus immer wieder vernachlässigt und mussten dementsprechend wiederholt eingeschärft werden, etwa auf den Dekanekonferenzen oder durch Veröffentlichungen im Amtsblatt.84 Die Korrektheit und Normgebundenheit, die im Hinblick auf Kleidungsfragen zu beachten war, sollte den Kleriker in seiner priesterlichen Würde unterstützen und seine Amtsautorität unterstreichen. Dabei war es zugleich bedeutsam, dass er »in seinem äußeren Erscheinen und Gebaren« alles vermied, »was ihn in den Ruf eines Modesklaven oder andererseits eines geistlichen Proletariers bringen und so die Würde seines Standes schädigen könnte.«85 Auch gerade während der NS-Zeit legte man seitens der Obrig80 Vgl. Gatz, Kultur des priesterlichen Alltags, 302. 81 Vgl. Amtsblatt München 1926, Protokoll der Freisinger Dekanskonferenz vom 18. 11. 1926, 4. Die Rocklänge war wohl nicht konkret vorgeschrieben und es scheint unterschiedliche Varianten gegeben zu haben. Dabei konnte sie wohl durchaus auch als kirchenpolitisches Statement verstanden werden: Je kürzer der Rock, desto fortschrittlicher sein Träger. Die Mode der extrem kurzen, d. h. nur noch knapp über die Hüfte reichenden Priesterröcke, scheint nach dem Zweiten Weltkrieg aus den USA nach Europa gekommen zu sein (vgl. Hertling, Priesterliche Umgangsformen, 8), möglicherweise zusammen mit katholischen Seelsorgern der amerikanischen Besatzungstruppen. Noch 1940 wurde auf der Münchener Diözesansynode formuliert: »Nicht anerkannt ist der nur bis an die Hüften reichende amerikanische Sakko.« Vgl. Standespflichten des Klerus, in: Bericht Diözesan-Synode 1940, 17. 82 AEM, Ordinariatssitzungsprotokoll vom 13. 03. 1936. 83 Vgl. Amtsblatt München 1926, Protokoll der Freisinger Dekanskonferenz vom 18. 11. 1926, 4. Dass gerade ältere Geistliche dieses bürgerliche Kleidungsstück trugen, dürfte darauf zurückzuführen sein, dass die Zivilkleidung für den Klerus im Zuge der Aufklärung durchaus üblich geworden war, erst ab der Mitte des 19. Jahrhunderts breitete sich nach und nach von den Seminaren her kommend erneut der Gebrauch der geistlichen Kleidung aus, vgl. Gatz, Kultur des priesterlichen Alltags, 301. Entsprechende Kleidungsgewohnheiten hielten sich aber oft länger. 84 Vgl. Amtsblatt München 1926, Protokoll der Freisinger Dekanskonferenz vom 18. 11. 1926, 4; AAS 18, 1926, 312 f. und Amtsblatt München 1931, 163. 85 Amtsblatt München 1926, Protokoll der Freisinger Dekanskonferenz vom 18. 11. 1926, 4. In einzelnen Qualifikationszeugnissen tauchen vor allem Klagen über äußere Vernachlässigung auf, welche © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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keit Wert auf die visuelle Präsenz der Geistlichen im Straßenbild, die folglich auch schon an ihrer Kleidung erkennbar sein mussten, auch wenn sie dadurch gelegentliche Anfeindungen zu erdulden hatten. Ein Zusammenhang zwischen dem Aufkommen des modernen Priesterzivils und dem Nationalsozialismus lässt sich für die bayerische Weltgeistlichkeit jedenfalls nicht herstellen.86 Neben den Ämtern stellten kirchliche Ehrentitel wesentliche Distinktionsmerkmale innerhalb des Klerus dar. Diese traten in gewisser Weise dekorativ vorwiegend zu höheren Ämtern hinzu und erlaubten die soziale Abgrenzung innerhalb des Standes. Dies geschah im Wesentlichen wiederum aufgrund einer ausdifferenzierten Kleiderordnung und damit verbundenen Vorrechten zum Tragen bestimmter Farben. Begehrt waren vor allem die römischen Ehrenprälatentitel Monsignore, Prälat und der nur sehr selten verliehene Titel eines Apostolischen Protonotars. Diese Titel wurden auf Antrag des Heimatbischofs formal durch den Papst verliehen, wofür eine festgelegte Gebühr zu entrichten war. Die Ehrenprälatentitel waren vor allem deshalb prestigeträchtig, da sie mit sichtbaren Standesattributen verknüpft waren. So besaß bereits der Monsignore das Vorrecht zum Tragen einer Soutane mit violettfarbenem Saum und violetten Knöpfen und ebenfalls violettem Zingulum aus Seide. Auch das schwarze Birett verfügte nun über eine violette Quaste. Diese sichtbaren Attribute hoben ihre Träger bereits rein äußerlich aus dem Stand der gewöhnlichen einheitsschwarzen Geistlichen hervor und verschafften ihnen Anteil am Glanz römischen Purpurs.87 die Würde des Standes beeinträchtige. Sich selbst äußerlich vernachlässigende Geistliche riefen nicht selten Spott und Hohn bei den weltanschaulichen Gegnern hervor. Eine Beschreibung, wie jene des Geistlichen Johann Daxberger (geb. 1877, gest. 1940) in einem Artikel des Zentralorgans des NS-Studentenbundes war gewiss überzeichnet, aber nicht völlig aus der Luft gegriffen: »Wer den Herrn das erstemal sieht, erschrickt vor ihm. Man meint, einen Einsiedler des frühen Mittelalters vor sich zu haben. Sein Gewand ist nicht grau, es ist nicht braun, nicht schwarz, es ist gar nichts, es ist nur schmutzig, sogar sehr schmutzig, weil es niemals gewaschen wird. Es ist von Schnupftabak übersäht (welch sündiger Genuß!!) und von Hundehaaren; leben doch als einzige Gefährten des Herrn Pfarrers vier Hündlein im geistlichen Hause …« vgl. AEM, Nationalsozialistische Verfolgung katholischer Geistlicher, Fragebogen A, Johann Daxberger mit Beilage des Artikels Schmutz ist Schmutz und bleibt Schmutz, aus: Die Bewegung, Zentralorgan des N.S.D.-Studentenbundes vom 07. 10. 1936. 86 Für Österreich wurde gelegentlich behauptet, die Jesuiten seien dort nach dem Anschluss an das Deutsche Reich 1938 die ersten Geistlichen gewesen, welche die traditionelle Priestertracht durch graue Maßanzüge ersetzt hätten, vgl. Tropper, Lebenskultur des alpenländischen Seelsorgeklerus, 347 f. 87 Vgl. die entsprechenden Regelungen im Motu proprio Inter multiplices vom 21. 02. 1905, ASS 37, 491–512 und in der Konstitution Ad incrementum vom 15. 08. 1934, AAS 26, 497–521 ferner Guggenberger, Prälat; 1969 wurden neue Regelungen erlassen. Weniger prestigeträchtig war der Titel eines Geistlichen Rates, der durch den Erzbischof verliehen wurde und auch nicht in der Kleidung sichtbar wurde. Verdiente Pfarrer und Dekane, Universitäts-, Hochschul-, und Gymnasialprofessoren stellten die Mehrzahl der Ausgezeichneten. Hingegen gaben sich Domkapitulare mit diesem Titel nicht zufrieden. Eine Funktion als Rat – wie es die Bezeichnung nahe legt – war mit dem Geistlichen Rat nicht verbunden, es handelte sich um einen reinen Ehrentitel. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Das Bemühen um Abgrenzung des Klerus von den Laien und der Absicherung der Standesidentität durch standeskonformes Auftreten und Äußeres trieb darüber hinaus oft eigenwillige Blüten, die auf den ersten Blick kurios anmuten: So hatte es im 19. Jahrhundert noch einen oberhirtlich verordneten Brillenboykott gegeben, da die Brille als Attribut des bürgerlichen Standes galt, von dem eine Abgrenzung erwünscht war. Während das Brillenverbot bereits im Verlauf der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts aufgeweicht und schließlich abgeschafft wurde,88 war das generelle Verbot des Barttragens zwar mit dem Codex von 1917 abgeschafft worden, durch eine eigentümliche Interpretation der Konzilskongregation bestand es aber dennoch weiter und wurde in den Gebieten, in denen es seit jeher zum Traditionsbestand gehört hatte, entsprechend eingeschärft.89 1926 bemerkte Kardinal Faulhaber in seinem Referat zu den Fragen der kirchlichen Disziplin und Seelsorge auf der Freisinger Dekanskonferenz: »Das Tragen des Bartes ist, da wir nicht in Ostasien oder Südafrika leben, ›nach rechtmäßigen örtlichen Gewohnheiten und den Vorschriften des Ortsbischofs‹ verboten.«90 Tatsächlich wurde das entsprechende Verbot in der Erzdiözese München und Freising – wie gelegentliche Dispense in dieser Sache zeigen – zumindest bis in die 1940er Jahre auch praktisch angewandt.91 Die österreichische Bischofskonferenz hatte 1919 festgestellt, dass eine »consuetudo immemorabilis zu Recht besteht, wonach der Klerus bei uns keinen Bart trägt. Es gehört dies zum habitus clericalis.«92 Als mit dem Priestertum unvereinbar galt, zumindest für Kardinal Faulhaber, schließlich auch der öffentliche Tabakkonsum, weshalb er im Rahmen seiner Möglichkeiten zur partikularrechtlichen Erweiterung der kirchlichen Verbotsnormen auf der Freisinger Dekanekonferenz 1926 persönlich festlegte, dass »das Rauchen auf der Straße, auf den Bahnhöfen und anderen öffentlichen Plätzen […] von heute ab den Klerikern verboten«93 sei. Die genaue Motivlage hierfür wird nicht genannt, jedenfalls ging es nicht um die gesundheitsschädlichen Wirkungen des Tabakkonsums, vermutlich galt die Zigarre als zu bürgerlich-distinguiert94, die Zigarette hingegen symbolisierte seinerzeit für viele »zugleich Weltläufigkeit und elegante Lebenskunst

88 Busch, Frömmigkeit und Moderne, 218 Anm. 61. 89 Vgl. AAS 12, 43–47; Amtsblatt München 1920, 60 f.; siehe hierzu auch Mayer, Neueste Kirchenrechts-Sammlung, Bd. 1, 54; zur Bartfrage grundsätzlich: Thalhofer, Bart. 90 Vgl. Amtsblatt München 1926, Protokoll der Freisinger Dekanskonferenz vom 18. 11. 1926, 4. 91 Vgl. z. B. AEM, Ordinariatssitzungsprotokoll vom 27. 10. 1934: »Erlaubnis zum Barttragen für Pfarrer Braunmüller erneuert« und vom 17. 01. 1936: »Barttragen H. Pfr. Ruhland wegen seines Leidens auf ein halbes Jahr gestattet.« Ein Dispensgrund war – wie etwa im Falle Ruhlands – eine Hauterkrankung, die das Rasieren verunmöglichte oder sehr erschwerte, sie musste durch ärztliches Attest nachgewiesen werden. Nach Gatz, Kultur des priesterlichen Alltags, 303, wurde das Verbot in der Erzdiözese Köln bis in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg aufrecht erhalten. 92 Schreiben des Gurker Ordinariats an den Klerus vom 20. 11. 1919, zit. nach: Tropper, Lebenskultur des alpenländischen Seelsorgeklerus, 347. 93 Amtsblatt München 1926, Protokoll der Freisinger Dekanskonferenz vom 18. 11. 1926, 4. 94 Vgl. Hess, Rauchen, 37. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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mit einem Hauch von Verruchtheit.«95 Derartiges war für den Priesterstand naturgemäß vollkommen inakzeptabel. Faulhaber stand mit seinem Verbot nicht allein, auch aus anderen Diözesen, etwa aus Mainz, sind bereits aus früherer Zeit Versuche bekannt, das öffentliche Rauchen des Klerus einzuschränken oder ganz zu unterbinden96, mit vermutlich geringem Erfolg.97 Die Notwendigkeit zu Verboten dieser Art zeigt freilich auch, dass eine nicht ganz unwesentliche Diskrepanz zwischen den von der kirchlichen Obrigkeit vertretenen Maßstäben für standesgemäßes Verhalten und der Praxis des Klerus bestand. Nicht jeder Geistliche gab das gewünschte Bild ab.98 Als besonders augenfälliger, wenngleich auf den ersten Blick ungewöhnlicher Prüfstein dieser Diskrepanz erweist sich die Haltung gegenüber den in dieser Zeit erstmals größere Verbreitung findenden Kraftfahrzeugen. Vor allem Motorräder, aber auch Autos, erfreuten sich ab den 1930er Jahren zunehmender Verbreitung im Klerus, nicht zur Freude der geistlichen Obrigkeit.99 Während in Berlin die Nationalsozialisten die Macht an sich rissen, sah es das Münchener Ordinariat im Januar 1933 in einem neuerlichen Anfall von Regelungsfuror für erforderlich an, dem Klerus Richtlinien für den Kauf und die Benutzung von Kraftfahrzeugen an die Hand zu geben. Diesen zufolge war Priestern rein formal die Beschaffung von Kraftfahrzeugen nur erlaubt, »wenn sie durch seelsorgliche Bedürfnisse oder besondere lokale oder persönliche Verhältnisse notwendig sind.«100 Welcher Art die »besonderen« Verhält 95 Ebenda, 42.  96 Auf die vielfältigen Formen der Verbreitung des Tabakkonsums im Klerus, auch etwa in der Form des Schnupftabaks, und die zumeist vergeblichen Versuche zu dessen Eindämmung wies Rommel, Diözese Mainz, 408–410 hin.  97 Wenn Priester über ihren Tabakkonsum berichteten, dann eher beiläufig und ohne Schuldbewusstsein, wie etwa Huber, Erinnerungen, 65 über die Anfangszeit in der Ökonomiepfarrei Oberbergkichen: »Die Wirtin trägt auf. Gedämpfte Unterhaltung! Ich trinke mein Bier, rauche an meiner Zigarre …«  98 Vgl. etwa Ostermeier-Aigner, Pendelpfarrer, 7 über den  – freilich grundsätzlich ziemlich skurrilen – Expositus Kaspar Huber: »Für die Kinder waren seine Angewohnheiten sehr derb und furchteinflößend. Ein Pfarrer, der immer nach Knoblauch riecht, auf dem Spazierweg pendelt und rohe Eier trinkt, oder als Respektsperson öffentlich auf bayerisch schneuzt, so etwas war den Kindern oft nicht geheuer.«  99 In das Seminarabgangszeugnis eines Neupriesters schrieb Regens Peter Röhrl 1927 bei der Rubrik klerikales Auftreten: »beeinträchtigt durch vieles Autofahren«. AEM, Priesterpersonalakten P III 915, Seminarabgangszeugnis. 100 Vgl. Amtsblatt München 1933, 5. Eine Kontrolle der Notwendigkeit unterblieb, jedoch musste der Erwerb jedes Fahrzeugs dem Ordinariat gemeldet werden. Dort führte man tatsächlich in höchst aufwändiger Weise entsprechende Listen (vgl. AEM, NL Thalhamer, Stw. Kraftfahrzeuge, neueste Liste), in welchen exakt aufgeschlüsselt war, welche Geistlichen welche Art von Kraftfahrzeugen besaßen. Demnach verfügten mit Stand vom 01. 01. 1937 insgesamt 340 Kleriker über ein Kraftfahrzeug, darunter 144 Pfarrer, 90 Hilfsgeistliche, 37 Expositi, 19 Benefiziaten, 18 Kommoranten und 32 Andere. 5 weitere Kleriker hatten einen Führerschein, aber kein eigenes Kraftfahrzeug. 111 der Geistlichen besaßen ein Auto oder Kleinauto, 63 ein Motorrad und 169 ein Leicht- oder Hilfsmotorrad (bis 200 ccm). Die Gesamtsumme von 343 dürfte auf den Besitz von mehreren Kraftfahrzeugen zurückzuführen sein. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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nisse sein mussten, blieb freilich offen.101 1938 wurden die Bestimmungen verschärft, der Erwerb eines Kraftfahrzeugs war nun ausdrücklich genehmigungspflichtig.102 Besonderes Augenmerk galt der Frage, ob und wann ein Priester sein Fahrzeug selbst steuern könne. Vor allem bei Versehfahrten blieb dies explizit verboten, da das Steuern des Kraftfahrzeugs »die geistige Aufmerksamkeit so stark in Anspruch [nehme], dass eine Anbetung des Sanctissimum unmöglich und dort, wo nicht Gefahr in Verzuge liegt, ein Ärgernis im Volk wahrscheinlich ist.«103 Dass das Kraftfahrzeug eine Versehfahrt erheblich beschleunigen konnte – was im Notfall den betroffenen Katholiken zugutekam – wurde eigenwilligerweise nicht thematisiert. Grundsätzlich waren natürlich auch bei der Benutzung von Kraftfahrzeugen »alle Begleitumstände zu vermeiden, welche beim gläubigen Volk irgendwie Anstoß erregen könnten.«104 Auch diese Formulierung ließ so viele Deutungsmöglichkeiten offen, dass hinter ihr vor allem die Ratlosigkeit der zwischen Duldung und Ablehnung schwankenden Obrigkeit angesichts des Neuen und Ungewohnten deutlich wird. Die Ursachen für die ablehnende Haltung der Kirchenobrigkeit gegenüber Kraftfahrzeugen sind unterschiedlicher Natur. Meines Erachtens wurde hier vor allem das Unbehagen an der modernen Welt und ihren Erscheinungen deutlich, gepaart mit einer Variante neuzeitlicher Technikkritik. Nur knapp eine Generation zuvor hatte man auch Fahrrädern noch ablehnend gegenüber gestanden.105 Bereits auf der Münchener Diözesansynode 1930 war zudem die Befürchtung geäußert worden, »dass der Besitz eines Autos den Priester dem verarmten Volk entfremden könnte«106, deshalb wurde mehr »Einfachheit in der Lebenshaltung« angemahnt.107 Dies war ganz im Sinn der Evangelischen Räte, der Weisungen Jesu an die Jünger, in denen er unter anderem zu Armut und Einfachheit der Lebensgestaltung riet.108 101 Die Protestanten schienen hier grundsätzlich fortschrittlicher, was auch der Diasporasituation geschuldet gewesen sein dürfte, so hob etwa der zuständige Dekan in einem Visitationsbericht der protestantischen Erlöserkirche Fürstenfeldbruck den Besitz eines Kraftfahrzeugs beim dortigen Ortsgeistlichen besonders lobend hervor; vgl. Forstner, Fürstenfeldbruck, 263 Anm. 191. 102 AEM, Ordinariatssitzungsprotokoll vom 14. 01. 1938. 103 Vgl. Amtsblatt München 1933, 5. 104 Vgl. Ebenda. Als Beispiel wurde das Mitnehmen von »ungeeigneten Personen« genannt, womit vermutlich Frauen gemeint waren. 105 Vgl. etwa AEM, Priesterpersonalakten P III 610 Vitus Hartig, Qualifikationsnoten 1915: Hier wird – lobend – vermerkt, dass der Geistliche nur gelegentlich ein Fahrrad benutze. 106 Vgl. Referat IV (2. Teil): Was soll nun geschehen in der Arbeiterseelsorge?, in: Bericht Diözesansynode 1930, 19–21, hier 21. 107 Drei Jahre später sorgte man sich um das standesgemäße Erscheinungsbild und gebot den Priestern, wenn sie denn schon Motorrad fahren müssten, die Benutzung von »leicht abnehmbaren, wetterfesten und staubdichten Schutzkleidern über dem standesgemäßen priesterlichen Kleid.« Vgl. Amtsblatt München 1933, 5. 108 Über den aus den Bemühungen zu dieser Einfachheit mitunter resultierenden Zusammenstoß unterschiedlicher Lebenswelten berichtete Bernhart, Kaplan, 19 nicht ohne Ironie: »In evangelischer Einfachheit, wie sie dem niedersten Klerus schon durch die Umstände auferlegt ist, bestieg ich einen Wagen dritter Klasse. Er war mit einer Menschenmenge angefüllt, die dem © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Grundsätzlich positiver stand man dem gleichfalls neuen Phänomen des Rundfunks gegenüber, wenngleich die Verantwortlichen auch hier nicht müde wurden, an die damit verbundenen Gefahrenpotentiale zu erinnern und entsprechende Umsicht im Umgang mit dem Medium anzumahnen. So betonte die Diözesansynode 1930 einerseits, dass »die neue Technik des Rundfunks […] an sich ein wirksames Hilfsmittel der Seelsorge und für die Einsamen unseres Standes besonders auf entlegenen Dörfern eine Quelle geistiger Anregung und Abspannung werden« könne, andererseits dürfe das »Radiohören nicht zur Leidenschaft werden und das tiefere Studium zurückdrängen, also auf Kosten der priesterlichen Würde und seelsorglichen Pflicht zur Verflachung und Verweltlichung führen.« Dieselbe Synode thematisierte ein »schweres Ärgernis«, welches einige Hilfspriester gegeben hätten, indem sie »bis tief in die Nacht hinein in fremden Häusern weilten, um Radio zu hören, so dass ihre Versetzung notwendig wurde.«109 Gerade für Kardinal Faulhaber, dessen ungewöhnlicher Wahlspruch bekanntlich »Vox temporis vox Dei« lautete110, spielten aktuelle Zeitfragen auch im Hinblick auf die Disziplin des Klerus immer eine besondere Rolle. So verwundert es wenig, dass er in seinem programmatischen Referat zu den priesterlichen Standesfragen und Pflichten des Klerus auf der Diözesansynode 1940 neben das Kirchengesetz die »Kanones der Zeit, Imperative der Gegenwart« stellte, die unter den aktuellen Zeitumständen besonders zu beachten seien.111 Vier dieser von Faulhaber so genannten fünf »Kanones der Zeit«, die er mit einem rhetorischen Kniff hiermit also durchaus bewusst in den – wenngleich nur metaphorisch zu verstehenden – Rang eines Kirchengesetzes hob, sind vor allem auf die politischen Umstände der Zeit bezogen: Gehorsam gegenüber der rechtmäßigen staatlichen Obrigkeit, Bereitschaft zur kriegsbedingten Mehrarbeit in der Seelsorge, ein »soziales Verhalten« gegenüber dem Volksganzen, worunter explizit auch politische Zurückhaltung verstanden wurde112, sowie die einfache Gestaltung des Haushalts und des gesamten Lebens, um ein Ärgernis im Volk zu vermeiden. Lediglich der fünfte »Kanon«, die Mahnung zur regelmäßigen Feier des Priestersamstags zur Heiligung des Priesterstandes und zur Weckung neuer Priesterberufe, lässt sich nur indirekt auf die Zeitumstände beziehen.113 Die Tendenz Meditieren über die höheren Wahrheiten wenig förderlich war und weit mehr an das irdische denn das himmlische Jerusalem erinnerte.« 109 Vgl. Referat I: Priesterliche Standesfragen, in: Bericht Diözesansynode 1930, 10–13, hier 13. 110 Vgl. zur Erläuterung des Wappenspruchs durch Faulhaber: Kornacker, Jörg, Bischof von Speyer, 134–136. 111 Vgl. Standespflichten des Klerus, in: Bericht Diözesan-Synode 1940, 16–20, hier 17. Die »Kanones der Zeit« nehmen in der Druckfassung des Referats ebensoviel Raum ein, wie die Kanones des kirchlichen Gesetzbuchs. 112 »Ein Kanon der Zeit verpflichtet uns […] in allem, in jedem Wort auf der Kanzel, in jedem Wort der Privatgespräche eine Wache an den Mund zu stellen. Die Zungenwache auf der Kanzel ist ein strenger Kanon der Zeit!« Ebenda, 18. 113 Wobei im öffentlichen Gebet für das Priestertum natürlich auch die Öffentlichkeitswirksamkeit einer solchen Maßnahme, gewissermaßen eine besondere Form von public relations für den © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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dieser »Imperative der Gegenwart« ist defensiv-adaptiv: Gehorsam, Opferbereitschaft, Gemeinsinn, Zurückhaltung und ein möglichst unauffälliges Verhalten erwartet Faulhaber von seinem Klerus. Die Einübung dieser von Faulhaber geforderten »Kanones« verlangte aber keine grundsätzliche Um- oder Neuorientierung von den Klerikern, handelte es sich doch hier lediglich um die Neuakzentuierung von Tugenden, die der Klerus bereits im Zuge seiner Ausbildung internalisiert hatte und die sich in eine lange Tradition einfügten.

3.3 Die Pfarrseelsorge in einer sich wandelnden Gesellschaft 3.3.1 Die Entwicklung des Diözesanklerus und der Strukturen der Pfarrseelsorge Die quantitative Entwicklung des Seelsorgeklerus verlief im 19. und 20. Jahrhundert in kleinen Wellenbewegungen mit einer tendenziell langfristigen Verschlechterung des Verhältnisses zwischen Seelsorgern und seelsorglich zu betreuender Bevölkerung.114 Klerikerstand, bedeutsam ist: »Weckung der Priesterberufe und Berufstreue der Priester müssen ein Herzensanliegen unseres Volkes sein.« (Ebenda, 18). Wenngleich das Gebet um Berufungen während des Dritten Reichs besonders dringlich erscheinen mochte, ist es doch keine unmittelbare Reaktion auf die politischen Zeitumstände. 114 Die Betrachtung der quantitativen Entwicklung des Diözesanklerus ist mit einer Reihe von methodischen Problemen verknüpft. Überliefert haben sich mindestens drei verschiedene Statistiken, die bezüglich der absoluten Zahlen in nicht unerheblichem Maße voneinander abweichen. Neben den entsprechenden Jahrgängen des Kirchlichen Handbuchs für das katholische Deutschland und den diözesanen Schematismen ist vor allem auf Schauer, Seelsorgsklerus, zu verweisen. Es ist aus heutiger Perspektive nicht mehr möglich exakt zu bestimmen, welche Datenbasis für welche Fragestellung treffender ist. Bereits Seiler, Statistik, 305 ff., wies auf diese Problematik hin. Die Unterschiede ergeben sich im Wesentlichen wohl aus dem unterschiedlichen Verständnis, welche Geistlichen zum Seelsorgeklerus zu rechnen sind und welche nicht und aus der unterschiedlichen Bestimmung der Zugehörigkeit eines Klerikers zu einer Diözese (Erheblichkeit der jurisdiktionellen Zugehörigkeit). Entscheidet man sich mit der Überlegung, dass die diözesanen Schematismen direkt vor Ort entstanden und vermutlich auch als Datenbasis für die Meldungen an die Zentralstelle für kirchliche Statistik in Köln dienten, dafür, diese zu verwenden, wird man mit der zusätzlichen Problematik einer mangelnden Einheitlichkeit der Datenstrukturierung über die Jahre konfrontiert. So wechselt etwa der Zähltag für die Erfassung der Kleriker fortwährend. Dies ist vor allem deshalb nicht unerheblich für die statistische Kontinuität, da durch die Priesterweihen im Juni auf einmal eine große Gruppe an Neupriestern hinzukommt, während Todesfälle natürlicherweise über das Jahr verteilt auftreten. Zugänge erfolgen also überwiegend zu einem festen Stichtag im Sommer, Abgänge über das Jahr verteilt. Wechselt der Zähltag vom Herbst in das Frühjahr, fehlt statistisch plötzlich ein gesamter Neupriesterjahrgang. Zudem ist anzunehmen, dass in der Kölner Zentralstelle die Notwendigkeit bestand, die sehr unterschiedlich strukturierten Meldungen aus allen deutschen Diözesen, mit ihrer regional oft sehr unterschiedlichen Nomenklatur, zu vereinheitlichen, um überhaupt eine einheitliche Schematisierung und Vergleichbarkeit zu erzeugen. Ein weiteres wesentliches Problem ergibt sich aus der Kategorisierung der Kleriker in verschiedene Untergruppen. So wurden das Metropolitankapitel und der Hofklerus (d. h. die © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Im Jahr 1821, als sich die Diözese eben neu formiert hatte, standen rein rechnerisch 1.090 Geistliche rund 439.000 Katholiken im Diözesangebiet gegenüber.115 Einer der 763 in der Seelsorge tätigen Geistlichen hatte etwa 575 Katholiken zu betreuen.116 Erscheint dies aus heutiger Perspektive äußerst komfortabel, so wurde es von den Zeitgenossen bereits als Mangel empfunden, zumal die Erzdiözese in den Anfangsjahren mit dem Problem ausbleibenden Nachwuchses konfrontiert war.117 Im Jahr 1870 standen für die Betreuung der nun 595.000 Katholiken im Diözesangebiet 755 in der aktiven Seelsorge tätige Geistliche zur Verfügung118, mithin kamen 788 Katholiken auf einen Priester. In den Jahren nach 1870 konnte die Situation bei rasch anwachsender Bevölkerung – 1880 lebten bereits 678.000 Katholiken im Diözesangebiet – und gleichzeitiger Stagnation des Priesternachwuchses, nur durch den vorübergehenden Zuzug von rund 140 Klerikern aus norddeutschen Diözesen, die ihre Heimat wegen des Kulturkampfes in Preußen verlassen hatten, einigermaßen konstant gehalten werden.119

Kanoniker aus München-St. Kajetan) 1918 noch in der Kategorie der Benefiziaten geführt, 1928 dann in der Rubrik »Andere Säkularpriester«. Diese Abweichung wurde im Schematismus explizit vermerkt, es sind jedoch weitere Veränderungen in der Zuordnung ohne entsprechenden Vermerk wahrscheinlich. Mutmaßlich hatte das zeitgenössische Datenchaos seine Ursache in fehlenden Vorgaben für die Pflege dieser Daten in Verbindung mit Personal- und Zuständigkeitswechseln innerhalb des Ordinariats. Nachdem sich im Verlauf der 1930er Jahre eine gewisse Kontinuität herausgebildet hatte, konnte das so herausgebildete System nach Kriegsbeginn nicht mehr lange Aufrecht erhalten werden. Zwar wurde vermutlich noch eine interne Statistik geführt, diese erschien zwischen 1941 und 1949 aber nicht mehr im Druck und muss zudem für die Kriegsjahre als komplett verloren betrachtet werden. Da die erste für die Nachkriegszeit verfügbare Gesamtstatistik des Klerus den Stand zum 01. 11. 1949 wiedergibt, wurde in diesem Abschnitt 1949 als Schlussjahr der Betrachtung gewählt. Ein Vergleich absoluter Zahlenwerte mit anderen Diözesen erscheint aufgrund der mangelnden Vergleichbarkeit des Datenmaterials nicht angebracht. 115 Vgl. Schauer, Seelsorgsklerus, 2. Die Zahlen bei Schauer – der bemüht war, einen Erfolgsbericht für die Festschrift zu Faulhabers fünfundzwanzigjährigem Bischofsjubiläum abzuliefern – bedürfen einer kritischen Revision, insbesondere sind die nicht mehr aktiv in der Seelsorge tätigen Geistlichen herauszurechnen. Unter diesen 1.090 Priestern fanden sich zahlreiche aus den in der Säkularisation aufgehobenen Klöstern und Stiften. 116 Bei der Zahlenrelation ist zu berücksichtigen, dass nicht alle 1.090 Priester in der Seelsorge zur Verfügung standen. Ein Teil war bereits im Ruhestand, ein anderer übte nichtseelsorgliche Aufgaben aus. Der Anteil des nicht in der Seelsorge verwendeten Klerus schwankte über die Jahre zwischen ca. 25 und 35 Prozent des gesamten Diözesanklerus. Nimmt man, da für das Verhältnis von Seelsorge und Nichtseelsorgeklerus hier keine Zahlenangaben vorliegen, 30 Prozent Nichtseelsorgeklerus an, so verbleiben von 1.090 Klerikern insgesamt 763 für die Seelsorge, mithin einer auf 575 Katholiken. 117 Das diözesaneigene Priesterseminar und damit die institutionelle Voraussetzung für die regelmäßige und kontinuierliche Erneuerung des Klerus wurde, wie in Kapitel 2 erläutert, erst 1826 unter Erzbischof Gebsattel errichtet. 118 Vgl. Schauer, Seelsorgsklerus, 5. Insgesamt 1. 078 diözesane Weltgeistliche, hiervon geschätzt 70 Prozent (755) aktiv in der Seelsorge tätig. 119 Vgl. ebenda, 6 f. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Tabelle 4: Entwicklung des Diözesanklerus 1918–1949: Die Tabelle zeigt die Gesamtzahl an diözesanen Weltgeistlichen, einschließlich der nicht in der Seelsorge tätigen Geistlichen und zuzüglich der als Pfarrvikare amtierenden Ordensgeistlichen. Deutlich wird das stetige Anwachsen des Klerus seit Mitte der 1920er Jahre bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs (Datenbasis: Schematismen 1918– 1950. In den Jahren ohne Angaben sind entweder keine Schematismen erschienen oder sie enthielten keine Klerusstatistik).

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Ab den 1880er Jahren verschlechterte sich die Situation jedoch fühlbar. Im Jahr 1900 standen den nun 980.000 Katholiken in der Erzdiözese nur wenig mehr Geistliche gegenüber, als 30 Jahre zuvor, nämlich 777 aktive Seelsorgegeistliche.120 Mithin kamen nun bereits 1.261 Katholiken auf einen aktiven Seelsorgepriester. Hatte im Zeitraum 1870 bis 1900 die Bevölkerung im Diözesangebiet um rund 65 Prozent zugenommen, so konnte der Seelsorgeklerus im selben Zeitraum nur eine Zunahme um knapp drei Prozent verzeichnen. Unter den Erzbischöfen Thoma (1889–1897) und Stein (1897–1909) wurde angesichts dieser Situation eine Reihe von Ausbaumaßnahmen in den bischöflichen Seminaren und Konvikten durchgeführt, die einen Anstieg des Klerikernachwuchses zur Folge hatten.121 Dies war eine Stellschraube, die also bereits gegen Ende des 19. Jahrhunderts erstmals angewandt worden war und auch in den 1920er Jahren nochmals erfolgreich funktionierte.122 Auch infolge dieser Maßnahmen konnte die Versorgung der katholischen Bevölkerung mit Seelsorgern bis zum Jahr 1920 – trotz ansteigenden Bevölkerungswachstums und der Ausfälle an Priesternachwuchs, die der Erste Weltkrieg verursacht hatte – gegenüber 1900 sogar leicht verbessert werden. Den nunmehr 1.175.000 Katholiken standen im Jahr 1920 969 aktive Seelsorgegeistliche gegenüber,123 auf 1.213 Katholiken kam nun ein aktiver Seelsorgepriester. Auch durch den neuerlichen Aufschwung an Priesterberufungen in den 1920er Jahren, die sich im nahezu kontinuierlichen Anstieg der Priesterweihen ab Mitte der 1920er Jahre und einem starken Anstieg in den 1930er Jahren niederschlug, war diese Trendwende jedoch nicht von Dauer. Unmittelbar vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, im Jahr 1939, standen 1.079 aktive Seelsorgegeistliche124 1.417.164 Katholiken gegenüber, d. h. 1.313 Katholiken je Priester. Der zweite Weltkrieg führte nicht nur zur Einberufung von Geistlichen in nie gekanntem Ausmaß – insgesamt wurden 230 Diözesankleriker, fast ausschließlich Hilfsgeistliche, dienstverpflichtet –, sondern auch zu massiven Einbrüchen beim Nachwuchs. Ab 1941 fanden kaum noch Weihen statt, die Seminaristen wurden zum Dienst mit der Waffe herangezogen, viele von ihnen kamen nicht zurück. Der Kriegs120 Vgl. ebenda, 7. 1.110 diözesane Weltgeistliche, hiervon geschätzt 70 Prozent (777) aktiv in der Seelsorge tätig. 121 Vgl. ebenda, 7–9. 122 Erst nach dem Zweiten Weltkrieg entkoppelte sich angesichts vielfältigerer Berufschancen der Mechanismus von Seminarplätzen und Klerikernachwuchs. 123 Vgl. ebenda, 9; Schematismus 1921, 171. 1.385 diözesane Weltgeistliche, hiervon geschätzt 70 Prozent (969) aktiv in der Seelsorge tätig. 124 Vgl. Schematismus 1939, 337 f. ferner die Tabelle 4 zur Entwicklung des Diözesanklerus 1918–1949. Die Zahl der aktiven Seelsorgegeistlichen ergibt sich nun – da seit Beginn der 1930er Jahre in den Schematismen detaillierte Aufstellungen vorliegen – aus der Summe der zum 2. Februar 1939 aktiven Pfarrer, Pfarrkuraten, Pfarrvikare, Kirchenrektoren, Benefiziaten (ohne Inkuratbenefiziaten), Expositi und exponierten Hilfspriester, Koadjutoren, Kooperatoren, Kapläne, Prediger, Katecheten und Chorregenten in der auf den Schematismusdaten beruhenden Tabelle 4. Diese Statistik ist mithin exakter als die der Vorjahre, bei der die Zahl der aktiven Seelsorgegeistlichen jeweils mit 70 Prozent des Klerus angenommen wurde. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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einsatz der jüngeren Hilfsgeistlichen führte vor allem während des Krieges in den Pfarreien zu einer Verschärfung des Priestermangels. Im Jahr 1949 war die katholische Bevölkerung in der Erzdiözese bedingt durch Flucht und Vertreibung auf 1.744.574 Personen angewachsen.125 Der Bestand des Diözesanklerus war hingegen, bedingt durch den totalen Ausfall mehrer Nachwuchsjahrgänge und 25 im Weltkrieg gefallener Geistlicher126, die zu den üblichen Sterbefällen noch hinzu kamen, um rund 15 Prozent abgeschmolzen. 1949 zählte die Erzdiözese nur noch 1.289 Diözesanpriester und mithin 218 weniger als nur 8 Jahre zuvor.127 Die Zahl der aktiven Seelsorgegeistlichen hatte sich jedoch nicht so dramatisch verringert wie die Zahl der Diözesanpriester und lag nun bei immerhin noch 1.060 Klerikern.128 Dies hatte seine Ursache in der nicht unerheblichen Anzahl an heimatvertriebenen Priestern, die sich in der Erzdiözese angesiedelt hatten und teilweise zu seelsorglichen Zwecken herangezogen werden konnten.129 Dennoch war die seelsorgliche Situation mit 1.646 Katholiken je Seelsorgegeistlichen nach dem Zweiten Weltkrieg so ungünstig wie nie zuvor. Eine langfristige Umkehrung dieses Trends sollte jedoch nicht mehr eintreten.130 Die Zahl der zu betreuenden Katholiken war in den jeweiligen Pfarreien sehr unterschiedlich. So zählte etwa die Pfarrei Oberroth im Dekanat Altomünster lediglich 277 Katholiken, hingegen die Münchner Stadtpfarrei St. Ludwig – die gemessen an der Zahl der Katholiken größte Pfarrei des Erzbistums – fast einhundert mal soviel, nämlich 27.000 Katholiken.131 Während der Pfarrer von Oberroth die ihm anvertrauten Seelen132 allein betreute, standen dem Stadtpfarrer von St. Ludwig hierfür vier Kooperatoren und ein Prediger zur Verfügung. Damit ergab sich hier ein Betreuungsverhältnis von einem Geistlichen zu 4.500 Katholiken (im Vergleich hierzu ein Verhältnis von eins zu 277 in Oberroth). Obwohl es sich hierbei um zwei Extremfälle handelt, lässt sich durch Vergleiche mit anderen Pfarreien133 folgende grundsätzliche 125 Vgl. Schematismus 1950, 333. 126 Vgl. ebenda, 340. 127 Vgl. Schematismus 1941, 144 f. 128 Vgl. Schematismus 1950, 334 f. ferner die Tabelle 5. 129 Laut Seiler, Statistik, 305 f. waren es 1950 130 heimatvertriebene Priester, die vorwiegend aus dem Erzbistum Breslau (31 Priester), dem Erzbistum Prag (23 Priester), dem Bistum Leitmeritz (20 Priester) und dem Erzbistum Olmütz (12 Priester) stammten, darunter 19 Ordensleute. In den übrigen bayerischen Diözesen lag der Anteil der heimatvertriebenen Priester noch höher. 130 Im Jahr 2009 betreuten 716 aktive Priester (davon 325 Priester fremder Diözesen und Ordenspriester) rund 1.800.000 Katholiken, davon waren 524 in der Pfarrseelsorge (territorialen Seelsorge) tätig, die übrigen in der Kategorialseelsorge. In der territorialen Seelsorge kamen mithin im Jahr 2009 etwa 3.435 Katholiken auf einen Priester. Zu Ihrer Unterstützung stehen aber heute auch Diakone, Pastoral- und Gemeindereferenten und -referentinnen zur Verfügung; vgl. Schematismus 2009/2010, 83. 131 Vgl. Schematismus 1939, 5 und 65. 132 So der zeitgenössische Begriff für die zu betreuenden Katholiken. 133 Z. B. Stadtpfarrei München-St. Paul: 14.910 Katholiken, 5 Geistliche, Betreuungsverhältnis 1 zu 2.982; Stadtpfarrei München-St. Sylvester: 10.500 Katholiken, 3 Geistliche, Betreuungsverhältnis 1 zu 3.500; Stadtpfarrei München-St. Michael: 3.500 Seelen, 2 Geistliche, Betreuungsverhältnis 1 zu © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Tendenz zeigen: In der Großstadt und auch in den kleineren Städten des Erzbistums hatte ein einzelner Priester grundsätzlich mehr Katholiken zu betreuen als in ländlichen Gebieten. Je ländlicher ein Gebiet wurde, desto besser wurde das Betreuungsverhältnis. In den stark ländlich geprägten Regionen des Erzbistums (etwa in den Dekanaten Egenhofen, Scheyern, Wartenberg u. a.) handelte es sich bei den meisten Pfarreien um mit nur einem Seelsorger besetzte Kleinstpfarreien, denen jeweils nur wenige hundert Katholiken zugehörten. Jedoch war der Aufwand für die Betreuung des einzelnen Katholiken aufgrund der oft unzureichenden Verkehrsverhältnisse hier auch größer. Die großen Stadtpfarreien hatten hingegen den Charakter von Seelsorgezentren in denen im Extremfall bis zu einem Dutzend Geistliche wirkten, die vielfach auch eine Hausgemeinschaft bildeten.134 Die absolute Anzahl der Kleriker vermag in Relation zur Zahl der Katholiken zwar widerzuspiegeln, wie günstig oder ungünstig sich die Seelsorgemöglichkeiten infolge der zur Verfügung stehenden Priester entwickelten, für eine differenziertere Betrachtung des Klerus selbst ist es aber erforderlich, die Binnengliederung in den Blick zu nehmen. So vielfältig wie die Gestalt der Kirche selbst stellen sich die unterschiedlichen Ränge, Funktionen und damit verknüpfte Aufgaben ihrer Amtsträger dar. Der Klerus der Erzdiözese München und Freising umfasste zum 1. Februar 1939, also unmittelbar vor den durch den Zweiten Weltkrieg bedingten Veränderungen, 1.479 dem Diözesanverband angehörende Weltpriester.135 Nahezu alle diese Geistlichen entstammten der Erzdiözese selbst.136 Hinzu kamen 123 Geistliche aus anderen Diözesen (insgesamt somit 1.602 Weltpriester) sowie 424 Ordensgeistliche, die innerhalb der Diözese ansässig waren. Kirchenrechtlich sind diese beiden letzteren Gruppen aber nicht zum Diözesanklerus zu rechnen, da sie nicht oder nur beschränkt der Jurisdiktionsgewalt des Ortsbischofs unterstanden. Von den 424 Ordensgeistlichen nahmen 106 eine dienstliche Aufgabe im Auftrag der Erzdiözese wahr, zehn hiervon amtierten als Pfarrvikare, waren also im wesentlichen Pfarrern gleichgestellt. Nachdem der Ordensklerus in der Pfarrseelsorge seit der Säkularisation nur noch eine eher geringe Rolle gespielt hatte (noch 1920 waren im Erzbistum nur 24 Ordenspriester in der Pfarrseelsorge tätig gewesen), hatte er unter Kardinal Faulhaber seit 1.750; Pfarrkuratie München-Königin des Friedens: 8.216 Katholiken, 3 Geistliche, Betreuungsverhältnis 1 zu 2.739; vgl. Schematismus 1939, 45, 67 und 49. Hingegen Pfarrei Berchtesgaden: 6.470 Katholiken, 5 Geistliche, Betreuungsverhältnis 1 zu 1.294; Pfarrei Marktschellenberg, 1.500 Katholiken, 2 Geistliche, Betreuungsverhältnis 1 zu 750; Pfarrei Freilassing-Salzburghofen: 3.650 Katholiken, 4 Geistliche, Betreuungsverhältnis 1 zu 913; Pfarrei Pfrombach: 635 Katholiken, 1 Geistlicher, Betreuungsverhältnis 1 zu 635; vgl. Schematismus 1939, 9, 96 und 107. 134 So z. B. die Stadtpfarrei München-St. Peter, in der einschließlich der Benefiziaten bis zu 13 Geistliche oder die Stadtpfarrei München Hl. Kreuz, an der 1939 acht Geistliche tätig waren, die zum Teil im Pfarrhaus auch gemeinsam lebten, vgl. Schematismus 1939, 40 und 46. 135 Vgl. zu den Zahlen die Tabelle 5. 136 In anderen Diözesen war dies keineswegs immer der Fall, so entstammte etwa der Kärntner Klerus nur zu 62 % aus Kärnten selbst, vgl. Tropper, Lebenskultur des alpenländischen Seelsorgeklerus, 333. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Amt und Identität: Standesideal und priesterliches Wirken

den 1920er Jahren wieder einen gewissen Aufschwung erfahren.137 Insgesamt 297 der 1.602 Weltpriester, also nicht ganz ein Fünftel, befanden sich dauernd oder vorübergehend im Ruhestand – der zeitgenössische Begriff hierfür lautet Kommoranten. Mithin standen zu diesem Zeitpunkt 1.411 Welt- und Ordensgeistliche im aktiven Dienst.138 Das Durchschnittsalter des Klerus betrug 1939 46 Jahre.139 Nicht alle diese Geistlichen standen jedoch auch für die Pfarrseelsorge zur Verfügung. So waren 120 Kleriker ausschließlich im Schuldienst tätig, 78 wirkten als Spirituale, Anstalts- oder Hausgeistliche, 63 waren in der Diözesanverwaltung und in den Seminarien tätig, darunter die Mitglieder des Metropolitankapitels, 15 dienten hauptamtlich der Vereinsarbeit und sechs standen der Wehrmachtsseelsorge zur Verfügung. Insgesamt 50 der Erzdiözese angehörende Geistliche hatten ihren Tätigkeits- und Lebensmittelpunkt außerhalb des Diözesangebiets, etwa als Professoren an auswärtigen Hochschulen. Ein Teil von letzterer Gruppe befand sich bereits im Ruhestand oder war aus unterschiedlichen Gründen nicht mehr dienstfähig.140

137 Dieser stimmte neuen Ordensniederlassungen in der Stadt München nur dann zu, wenn die Ordenskleriker zugleich Aufgaben in der Pfarrseelsorge übernahmen; vgl. Gatz, München und Freising, 482 f. Das Zentrum des pfarrlichen Wirkens von Ordensgeistlichen war zweifelsohne München: Neben St. Bonifaz, das als Pfarrei von den dortigen Benediktinern seelsorglich betreut wurde, wurden die Pfarreien St. Anna, St. Anton, St. Joseph und St. Gabriel von Franziskanern oder Kapuzinern betreut, in der Pfarrei St. Albert waren Dominikaner tätig, in St. Theresia wirkte der Orden der Unbeschuhten Karmeliten; vgl. Schematismus 1939, passim. 138 Die Zahl errechnet sich aus der Summe von 1.602 Weltgeistlichen und 106 in der Pfarrseelsorge tätigen Ordensgeistlichen abzüglich der 297 Ruhestandsgeistlichen. 139 Durchschnittswert ermittelt anhand der Auswahlstichprobe von 100 Diözesanpriestern auf Basis des Schematismus 1939. 140 Vgl. Schematismus 1939, 116 ff. Hier kommt es zu einer teilweisen Überschneidung mit den Kommoranten. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

427142

472147

443/37/20152

494/24/32159

1928/ 29146

1939151

1949158

Pfarrer/Pfarrkuraten/Pfarrvikare und Kirchenrektoren

1918141

Jahr

88160

87153

(83)148

202143

Benefiziaten

250161

276154

728149

757144

Andere Priester

98

110

Expositi und exponierte Hilfspriester

312/20/ 19/24162

352/29/ 34/23155

Koadjutoren, Kooperatoren und Kapläne/ Prediger/Katecheten/Chorregenten

318163

297

Ruhestandsgeistliche

478164

424156

365

214

Ordenspriester

1.547165

1.602157

1.283150

1.379145

Gesamt (ohne Ordenspriester)

Tabelle 5: Übersicht zur Binnenstruktur des Klerus der Erzdiözese München und Freising in den Jahren 1918 bis 1949 (Datenbasis: Schematismen 1919/20, 1929, 1939, 1950).

Die Pfarrseelsorge in einer sich wandelnden Gesellschaft273

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Amt und Identität: Standesideal und priesterliches Wirken

141 Vgl. Schematismus 1919/20, 167 (Stand: gegen Schluss des Jahres 1918). 142 Einschließlich der sieben Ordensgeistlichen, die als Pfarrvikare amtierten, sowie aller sonstigen Pfarrvikare und Pfarrkuraten, aber ohne Kirchenrektoren; letztere in der Rubrik Andere Priester. 143 1918 einschließlich Metropolitankapitel und Kapitel der Hofkirche St. Kajetan. Eine weitere Aufschlüsselung lag 1928/29 nicht vor. 144 Ohne Ordensgeistliche; für 1918 lag keine weitere Aufschlüsselung der Priester vor. 145 In der Summe enthalten sind auch Weltpriester fremder Diözesen, ihre Anzahl ist nicht gesondert ausgewiesen. Das Kirchliche Handbuch VIII, 1918–1919, 458 f. weist für das Jahr 1918 1.017 Seelsorgegeistliche (ohne die im Seelsorgedienst tätigen Ordensgeistlichen) und 290 sonstige Weltgeistliche aus, insgesamt also 1.307 Geistliche. 146 Vgl. Schematismus 1929, 266 (Stand: 01. 01. 1929). 147 Einschließlich der sieben Ordensgeistlichen, die als Pfarrvikare amtierten. 148 Zahl enthält nur die investierten Benefiziaten. 149 1928/29 einschließlich Metropolitankapitel und Kapitel der ehem. Hofkirche St. Kajetan. 150 In dieser Summe enthalten sind auch die Weltpriester fremder Diözesen, ihre Anzahl ist nicht gesondert ausgewiesen. Die im Vergleich zu 1918 erheblich niedrigere Zahl an Priestern erklärt sich zum Teil aus Veränderungen in der Datenbasis (Verlegung des Erfassungsstichtags vor die Priesterweihe). Das Kirchliche Handbuch XVI (1928–1929), 194 f. weist für das Jahr 1927 1.059 Seelsorgegeistliche (ohne die im Seelsorgedienst tätigen Ordensgeistlichen) und 379 sonstige Weltgeistliche aus, insgesamt also 1.438 Geistliche. 151 Vgl. Schematismus 1939, 338 f. (Stand: 01. 02. 1939). 152 Einschließlich der zehn Ordensgeistlichen, die als Pfarrvikare amtierten. 153 Davon 19 Kuratbenefiziaten und 15 Inkuratbenefiziaten außerhalb des Pfarrsitzes sowie 12 Kuratund Kaplaneibenefizien und 41 Inkuratbenefizien am Pfarrsitz. 154 Davon 78 Spirituale, Anstalts- und Hausgeistliche, 63 in der Diözesanverwaltung und in Seminarien tätige Priester sowie Angehörige von Kollegiatkapiteln, 120 hauptamtliche im Lehrfach (Hoch-, Mittel- und Berufsschulen) tätige Geistliche und 15 hauptamtlich im Vereinswesen tätige Geistliche. 155 Davon 346 Koadjutoren, Kooperatoren, Kapläne und 6 Aushilfspriester, ferner 29 Prediger, 34 Hauptamtliche und Honorarkatechten und Katechetenkapläne sowie 23 Chorregenten. 156 Davon hatten 106 eine Stellung im Dienst der Erzdiözese (hierunter 10 Pfarrvikare). 157 Hiervon 1.479 Diözesanpriester und 123 Priester aus anderen Diözesen. Die dem Schematismus entnommene Gesamtzahl von 1.602 Weltpriestern differiert um 106 Priester mit der Summe aus den Spalten 2 bis 7 dieser Tabelle (1.708 Priestern). Dies rührt daher, dass in den Spalten 2 bis 7 auch die 106 Ordensgeistlichen im Dienst der Erzdiözese enthalten sind. Das Kirchliche Handbuch XXII (1943), 367 f. weist für das Jahr 1940 997 diözesane Seelsorgegeistliche und 431 sonstige Weltgeistliche aus, insgesamt also 1.428 Geistliche. (Eine Statistik für 1939 wurde nicht erstellt). 158 Vgl. Schematismus 1950, 334 f. (Stand: 01. 11. 1949). 159 Einschließlich der 12 Ordensgeistlichen, die als Pfarrvikare amtierten, ohne die vier Geistlichen, die als Flüchtlingslagerpfarrer tätig waren. 160 Davon 20 Kuratbenefiziaten und 18 Inkuratbenefiziaten außerhalb des Pfarrsitzes sowie 17 Kuratund Kaplaneibenefizien und 33 Inkuratbenefizien am Pfarrsitz. 161 Davon 80 Spirituale, Anstalts- und Hausgeistliche, 37 in der Diözesanverwaltung und in Seminarien tätige Priester sowie Angehörige von Kollegiatkapiteln, 111 hauptamtlich im Lehrfach (»Hoch-, Mittel- und Berufsschulen«) tätige Geistliche und 22 hauptamtlich im Vereinswesen tätige Geistliche. 162 Davon 278 Koadjutoren, Kooperatoren und Kapläne und 34 Aushilfspriester ferner 20 Prediger, 19 Hauptamtliche und Honorarkatecheten und Katechetenkapläne sowie 24 Chorregenten. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

Die Pfarrseelsorge in einer sich wandelnden Gesellschaft275

Für die Aufgaben der territorialen Seelsorge verblieben im Jahr 1939 mithin 1.079 aktive Geistliche.166 Nicht ganz die Hälfte dieser Gruppe, nämlich 500, verfügte über einen selbständigen Seelsorgeposten als Pfarrer, Pfarrkurat oder Pfarrvikar. Eine etwas kleinere Gruppe von 438 Männern hatte hingegen nur den Status eines Hilfsgeistlichen; sie wurden als Kooperatoren, Koadjutoren, Kapläne, Prediger, Katecheten und Chorregenten eingesetzt.167 Die Hilfsgeistlichen können gewissermaßen als Gesellen des Priesterstandes bezeichnet werden, eine Formulierung, die auf Generalvikar Buchwieser zurückgehen soll.168 Der Gesellenbegriff charakterisiert dabei vor allem die soziale Situation der Hilfsgeistlichen, die durch eine starke Abhängigkeit vom jeweiligen Pfarrherrn geprägt war.169 Eine Art Mittelstellung zwischen Pfarrern und Hilfspriestern nahmen die 110 Expositi ein. Die Exposituren waren vor allem in den ländlichen Gebieten des Erzbistums angesiedelte Seelsorgesprengel niederen Ranges. Sie waren von der Mutterpfarrei trotz territorialer Abgrenzung und teilweise auch vermögensrechtlicher Verselbständigung abhängig und wurden durch den Expositus, in Unterordnung unter den Pfarrer der Mutterpfarrei, selbständig verwaltet. Mit der Expositur war immer eine eigene, von der Pfarrkirche meist räumlich weiter entfernte Tochterkirche verknüpft. Trotz formalrechtlicher Abhängigkeit waren die Expositi wesentlich unabhängiger als etwa die Kooperatoren und Koadjutoren und erledigten ihre Amtsgeschäfte weitgehend selbständig und ohne unmittelbare Weisung des Pfarrers. Sie waren, anders als

163 Einschließlich der 22 zum Zeitpunkt der Erhebung noch in Kriegsgefangenschaft befindlichen Diözesangeistlichen. 164 Davon hatten 132 eine Stellung im Dienst der Erzdiözese (hierunter 12 Pfarrvikare). 165 Hiervon 1.289 Diözesanpriester und 258 Priester aus anderen Diözesen. Die dem Schematismus entnommene Gesamtzahl von 1.547 Weltpriestern differiert um 132 Priester mit der Summe aus den Spalten 2 bis 7 dieser Tabelle (1.679 Priestern). Dies rührt daher, dass in den Spalten 2 bis 7 auch die 132 Ordensgeistlichen im Dienst der Erzdiözese enthalten sind. 166 Diese Zahl ergibt sich aus der Summe der in der Pfarrseelsorge aktiven Diözesankleriker (Pfarrer, Pfarrkuraten, Pfarrvikare, Kirchenrektoren, Kuratbenefiziaten, Kurat- und Kaplaneibenefizien, Expositi und exponierte Hilfsgeistliche, Koadjutoren, Kooperatoren, Kapläne, Prediger und Chorregenten) und der in der Pfarrseelsorge tätigen Ordensgeistlichen. 167 Als Hilfsgeistliche, im CIC 1917 als vicarii cooperatores bezeichnet, lassen sich all jene Priester charakterisieren, die keine selbständige Seelsorgestelle inne hatten, sondern aufgrund der Größe oder besonderen Verhältnisse einer Seelsorgestelle in dieser zusätzlich zum Pfarrer angewiesen wurden. (Vgl. Eichmann/Mörsdorf, Kirchenrecht, Bd. 1, 428 und 475). Zeitgenössisch waren für die Hilfsgeistlichen verschiedene Begriffe üblich, die graduelle Unterschiede in ihrer Funktion andeuteten. Gebrauch und Bedeutung der Amtsbezeichnungen war je nach Diözese unterschiedlich. In der Erzdiözese München und Freising unterschied man im Wesentlichen zwischen Kooperatoren, die eine feste Stelle und damit fest umrissene Aufgabe hatten und Koadjutoren, die einem Pfarrer persönlich zur Unterstützung beigegeben waren (Vgl. Gatz, München und Freising, 482). Der Begriff des Kaplans, der diese Unterschiede nivellierte, setzte sich nur sehr zögerlich durch. 168 Vgl. EAM, NL Faulhaber 5401, Denkschrift Käufl vom 29. 06. 1939. 169 Vgl. hierzu Kapitel 4. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Amt und Identität: Standesideal und priesterliches Wirken

die Hilfsgeistlichen, auch explizit nicht zu Dienstleistungen außerhalb ihres Expositurbezirks verpflichtbar.170 Eine Sondergruppe stellten die 87 Benefiziaten dar.171 Bei den Benefizien ist eine Fülle verschiedener, historisch gewachsener Formen zu unterscheiden, auf die hier nicht näher eingegangen werden soll. Wesentlich in unserem Zusammenhang erscheint die Unterscheidung zwischen den so genannten Kuratbenefizien, welche zur Seelsorge in einem bestimmten Sprengel verpflichten und den Inkuratbenefizien, ohne Verpflichtung zu einer territorial gebundenen seelsorglichen Tätigkeit. Die Bedeutung der Benefizien für die Seelsorge hatte zu Beginn des 20. Jahrhunderts bereits stark abgenommen, viele waren im Verlauf der Jahre sukzessive in Kuratien oder Pfarreien umgewandelt worden, die übrigen dienten als eine Art variable Verfügungsmasse für den Unterhalt von Seelsorgern mit nicht fest dotierten Stellen.172 Von den 229 zur Verfügung stehenden Inkuratbenefizien waren 1939 nur noch 56 – also etwa ein Viertel – ordentlich besetzt.173

170 Vgl. Guggenberger, Expositur; zur historischen Entwicklung in der Erzdiözese München und Freising Gatz, München und Freising, 483 f. Durch den CIC war die rechtliche Stellung der Expositi nicht einheitlich geregelt, sie richtete sich vielmehr nach den Diözesanstatuten, dem bischöflichen Anstellungsdekret, dem oberhirtlich bestätigten Regulativ und zum Teil auch nach dem Herkommen. In der Erzdiözese führten die Exposituren ein eigenes Amtssiegel, der Expositus war zudem regelmäßig rector ecclesiae der Expositurkirche. Beides kann als deutliches Zeichen ihrer faktischen rechtlichen Verselbständigung gewertet werden; vgl. Vermerk »Grundsätzliches über die Stellung eines Expositus« [um 1938], in: AEM, NL Thalhamer, Stw. Kirche (Dienstanweisungen). 171 Benefiziat bezeichnet den Inhaber eines Benefiziums, eines Rechtsinstituts, das ein geistliches Amt (officium) und das Recht zum Bezug der damit verbundenen Einkünfte (praebenda) verknüpft; vgl. Hilgenreiner, Benefizium. 172 Vgl. Gatz, München und Freising, 483. So war eine Anzahl von ca. 40 Benefizien am Münchner Dom konzentriert und diente teilweise zur Finanzierung des Domklerus, etwa des Dompredigers Karl Abenthum, der Inhaber des Rottenkolber-Benefiziums war, oder des Domkooperators Josef Hillreiner, der Inhaber dreier kleiner Benefizien »Dichtl, Wölfl und Schweindl« war; vgl. Schematismus 1939, 38 f. 173 Vgl. Tabelle 6. Zu den in der Pfarrseelsorge aktiven Geistlichen wurden nur die 31 Kuratbenefiziaten gerechnet. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

Die Pfarrseelsorge in einer sich wandelnden Gesellschaft277

Tabelle 6: Übersicht über die Stellenentwicklung in der Pfarrseelsorge (Datenbasis: Schematismen 1919/20, 1929, 1939, 1950) Jahr

Pfarreien/ Pfarrkuratien

Exposituren und Vikariate/Kuratbenefizien/Wallfahrtskuratien

Sonstige Benefizien und Manualien

Hilfspriesterstellen (und andere kirchendienstliche Stellen)

1918174

427175

94/

449

ca. 400 + (ca. 100)

1928176

467177

108/

287

k. A.

1939178

472/37

110/14/6

229

432179

1949180

519/24

98/14/6

229181

410182

Für den Pfarrklerus im engeren Sinn standen 1939 als selbständige Dienstposten 472 Pfarreien, 37 Pfarrkuratien, 110 Exposituren, 14 Kuratbenefizien und sechs Wallfahrtskuratien zur Verfügung. Hinzu kamen als unselbständige Dienstposten 369 Hilfspriesterstellen, 29 Predigerstellen und 34 Katechetenstellen. Insgesamt standen also 1.071 regelmäßig zu besetzende Stellen in der Pfarrseelsorge zur Verfügung, hiervon 60 Prozent selbständige und 40 Prozent unselbständige Stellen.183 Die Ausgangssituation für die Seelsorger stellte sich in den verschiedenen Teilen des Erzbistums höchst unterschiedlich dar. Betrachtet man ein mittleres Landdekanat wie das Dekanat Isen systematisch, so standen dort im Jahr 1939 18 Geistliche für die Seelsorge an 14.514 Katholiken zur Verfügung. Das Dekanat bestand aus neun nicht gehobenen Pfarreien184, drei Exposituren und einem Kuratbenefizium. Von den neun Pfarreien hatten vier weniger als 1.000 Katholiken am Pfarrsitz zu 174 Vgl. Schematismus 1919/20, 167 (Stand »gegen Schluss des Jahres 1918«). 175 424 Pfarreien, dazu 2 Hofkuratien und die Anstaltspfarrei Eglfing-Haar. 176 Vgl. Schematismus 1929, 266 (Stand: »zu Beginn des Jahres 1928«). 177 Einschließlich 5 Pfarrvikariate. 178 Vgl. Schematismus 1939, 339 (Stand: 01. 02. 1939). 179 Hiervon 369 Hilfspriesterstellen am Pfarrsitz, 29 Predigerstellen und 34 Katechetenstellen. 180 Vgl. Schematismus 1950, 335 (Stand: 01. 11. 1949). 181 Hiervon 1949 nur noch 51 besetzt. 182 Hiervon 362 Hilfspriesterstellen am Pfarrsitz, 29 Predigerstellen und 19 Katechetenstellen. 183 Vgl. Tabelle 6. 184 Der Unterschied zwischen gehobenen und nicht gehobenen Pfarreien war für die Bemessung des Seelsorgereinkommens von Bedeutung. Als gehobene Pfarreien galten seit 1933 sämtliche Stadtpfarreien mit über 2.500 Katholiken und von den übrigen Pfarreien jene mit über 2.500 Katholiken, die eine besonders hohe Seelenzahl aufzuweisen hatten oder in Orten mit überdurchschnittlich hohen Lebensführungskosten lagen; vgl. AEM, Ordinariatssitzungsprotokoll vom 28. 07. 1933; Amtsblatt München 1933, 168 f. Im Sommer 1933 hatten 70 Pfarreien der Erzdiözese den Status einer gehobenen Pfarrei. Vgl. zur Einkommensentwicklung Kapitel 4.2.1. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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betreuen, nur zwei Pfarreien, nämlich die des Marktes Isen mit 2.590 Katholiken und die der Gemeinde Markt Schwaben mit 2.260 Katholiken erreichten bedeutendere Dimensionen. Die Geistlichen waren entsprechend in der Fläche verstreut, nur die Pfarreien Anzing, Forstinning und Markt Schwaben verfügten neben dem Pfarrer über je einen Kooperator bzw. Koadjutor, die Pfarrei Isen verfügte über zwei Kooperatorenstellen. In Isen und in Pastetten lebte zudem jeweils ein Ruhestandsgeistlicher.185 Im Verhältnis zu den anderen bayerischen Bistümern fielen die Seelsorgestellen im Erzbistum groß aus, sie umfassten im Jahr 1927 im Durchschnitt 2.120 Katholiken, in Passau und Regensburg kamen hingegen weniger als 1.500 Katholiken auf eine Seelsorgestelle.186 Eine Ausnahme selbst innerhalb Deutschlands bildeten die Bistümer Augsburg und Eichstätt, deren Seelsorgestellen vor dem Zweiten Weltkrieg weniger als 1.000 Katholiken umfassten.187 Die hohen Durchschnittswerte im Erzbistum sind auf die Sondersituation in der Großstadt München zurückzuführen. Das beispielhaft herangezogene Stadtdekanat München-Südost zählte 1939 114.017 Katholiken, die sich auf zehn Pfarreien und drei Pfarrkuratien verteilten.188 Vier der Pfarreien zählten über 10.000, zwei davon, die Stadtpfarrei Maria Hilf in der Au und die Stadtpfarrei Hl. Kreuz in Giesing, sogar mehr als 20.000 Katholiken. Nur die Pfarrkuratie Ottobrunn und die Pfarrei Grünwald zählten weniger als 2.000 Katholiken. Für diese Katholiken standen 46 Diözesanpriester im aktiven Dienst zur Verfügung, 13 davon im Status eines Pfarrers oder Kuraten. Mit Ausnahme der Pfarreien Grünwald und Ottobrunn verfügten alle Pfarreien über Hilfsgeistliche, in der größten Pfarrei Hl. Kreuz mir 23.500 Katholiken standen dem Pfarrer drei Kapläne, ein Prediger, zwei Hilfspriester und Katecheten und ein Chordirektor zur Verfügung. Die zur Pfarrei Hl. Kreuz gehörende Strafanstalt Stadelheim verfügte ebenso über einen eigenen Geistlichen wie das Städtische Altersheim Giesing und das Clemens-Maria-Kinderheim in der Spixstraße.189 Während in einem Landdekanat wie Isen also im Durchschnitt nur 806 Katholiken von einem Geistlichen zu betreuen waren, standen dem in einem städtischen Dekanat wie München-Südost 2.479 – also etwa dreimal soviel – Katholiken gegenüber. Die rasche Bevölkerungsentwicklung in München190 bedingte seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vermehrt den Bau von Großkirchen, jedoch vermochte die Neugründung von Pfarreien im Stadtgebiet mit der Zunahme der Bevölkerung nicht Schritt zu halten, so dass die Zahl der Gläubigen je Pfarrei bis 185 Vgl. Schematismus 1939, 28 f. 186 Vgl. Seiler, Statistik, 304 f. 187 Ebenda, 305. Die Ansiedelung von Flüchtlingen und Heimatvertriebenen nach dem Zweiten Weltkrieg veränderte die Verhältnisse dann auch in diesen Bistümern massiv. 188 Vgl. Schematismus 1939, 46–50. 189 Vgl. ebenda. 190 Um 1850 hatte die Stadt München lediglich etwa 90.000 Einwohner. Bis 1875 hatte sich diese Zahl mehr als verdoppelt, bis zum Ende des Jahrhunderts war sie dann sogar auf 500.000 angestiegen. Die Pfarreientwicklung blieb hinter diesem starken Wachstum zurück, insbesondere die ehemaligen Dorfkirchen der eingemeindeten Vororte waren zumeist viel zu klein, um die stark angewachsene Bevölkerung aufnehmen zu können, vgl. Laube, Kirchenbau, 229. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges beständig zunahm. Im Extremfall lag die Zahl von Gläubigen je Gemeinde bei über 50.000.191 Doch auch bereits eine Gemeindegröße von 20.000–30.000 Katholiken war für die Anforderungen zeitgemäßer Großstadtseelsorge überdimensioniert. Ein Großteil der Aufgaben konnte nur noch von Hilfspriestern wahrgenommen werden. Der Pfarrer hingegen war mit den gewaltigen administrativen Aufgaben, die eine Pfarrei dieser Größe mit sich brachte, häufig überlastet und konnte sich kaum noch auf seine Seelsorgsaufgaben konzentrieren. Reformmaßnahmen, mit dem Ziel die Größe einer durchschnittlichen Pfarrei auf etwa 10.000 Katholiken zu senken, setzten kurz nach dem Amtsantritt Erzbischof Bettingers (1909–1917) ein.192 Erst unter Faulhaber wurde dann, beginnend in den 1920er Jahren, ein gigantisches Kirchenbauprogramm in Angriff genommen: In der 35-jährigen Amtszeit Faulhabers wurden 77 neue Pfarreien errichtet (davon 38 im Stadtgebiet Münchens) und 109 Kirchen, 66 Anstaltskapellen bzw. -kirchen und 20 Notkirchen gebaut.193 Während also in den 1920er und 1930er Jahren die absolute Zahl der zur Verfügung stehenden Stellen durch den Abbau von Benefizien insgesamt abnahm, kam es im Gegenzug durch die Errichtung von Pfarrkuratien und Neugründung von Pfarreien zu einem kontinuierlichen Ausbau der selbständigen Stellen. Mittelfristig boten sich dem Klerus also prinzipiell bessere Optionen, eine gut dotierte selbständige Stelle zu erhalten. Diese Verbesserung der Karrierechancen wurde aber zunächst durch den gleichzeitigen Zuwachs an Klerikern in den 1930er Jahren relativiert. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg, als die Zahl der Kleriker stetig abzunehmen begann, stieg die Aussicht, relativ zügig eine eigene Pfarrei zu erhalten. Zugleich sank das Alter, in dem Kleriker auf eine Pfarrei berufen wurden. Wie lange ein Geistlicher auf Hilfspriesterstellen zubringen musste, bevor es ihm möglich war eine eigene Pfarrei zu erlangen, war von der Relation zwischen den aktiven Geistlichen einer Diözese und den zur Verfügung stehenden Pfarrstellen abhängig.194 Im Jahr 1939 war ein Geistlicher bei der erstmaligen Investitur auf eine Pfarrei im Schnitt 43 Jahre und 6 Monate alt.195 191 So bei München-St.  Peter. Die Pfarreien München-St.  Bonifaz, München-Hl.  Geist und München-St. Ludwig zählten über 40.000 Gläubige; vgl. Laube, Kirchenbau, 229 f. 192 Im Jahr 1912 kam es zur Gründung der Gesamtkirchengemeinde Münchens, die vor allem dem Finanzausgleich zwischen den sehr unterschiedlich vermögenden Pfarreien diente. Durch eine auf acht Prozent festgesetzte Umlage sollte die kirchliche Infrastruktur und Organisation im gesamten Stadtgebiet Münchens verbessert werden. Der Erste Weltkrieg verhinderte, dass diese Maßnahmen noch unter Kardinal Bettinger nachhaltig wirkten; vgl. Laube, Kirchenbau, 231. 193 Vgl. ebenda; zum Vergleich: In den knapp hundert Jahren von der Gründung des Erzbistums 1821 bis zum Amtsantritt Faulhabers waren 41 reine Kirchenneubauten (ohne Ersatzbauten) errichtet worden, vgl. Hartig, Kirchenbau, 81 f. 194 Je mehr Geistliche auf eine Pfarrstelle warteten, desto länger hatte der einzelne auf unselbständigen Seelsorgeposten zuzubringen; vgl. Nickel, Theologisch-praktische Monatsschrift, 257 f. 195 Zahl ermittelt anhand der Auswahlstichprobe von 100 Diözesanpriestern auf Basis des Schematismus 1939. Dennoch gab es immer wieder bemerkenswerte Ausreißer nach unten und oben. So wurde etwa Emil Muhler bereits im Alter von 32 Jahren und nur fünf Jahre nach seiner Priester© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Die Geistlichen standen also im Regelfall bereits in ihren Vierzigern, wenn sie endlich ein gewisses Maß an Unabhängigkeit erlangten. Um sich überhaupt auf eine Pfarrei bewerben zu können, musste ein Priester die so genannte Pfarrkonkursprüfung erfolgreich absolviert haben.196 Diese wurde alle zwei Jahre in München abgehalten. Die Termine wurden ausgeschrieben, bis sechs Wochen vor dem Termin konnten sich diejenigen Priester zur Prüfung anmelden, die dem Diözesanklerus angehörten und bereits mindestens vier Jahre »mit befriedigendem Eifer und untadelhaftem sittlichen Betragen« seelsorgliche Dienste geleistet hatten.197 Die Prüfung selbst fand an vier aufeinander folgenden Tagen statt und umfasste Aufgaben aus Dogmatik, Exegese, Moraltheologie, Kirchengeschichte, Kirchenrecht, Pastoraltheologie, Katechetik, Pädagogik und Homiletik.198 In jedem dieser Fächer war durch die Kandidaten eine Probeaufgabe schriftlich auszuarbeiten. Nach Abschluss der schriftlichen Ausarbeitung hatten die Prüflinge zudem eine Probepredigt vor der Prüfungskommission vorzutragen.199 Die sich aus den Einzelprüfungen ergebende Gesamtnote des Pfarrkonkurses war höchst bedeutsam für die berufliche Zukunft der Kleriker.200 Ähnlich wie bei Staatsexamina wurde eine Rangliste der Prüflinge nach Notenergebnissen erstellt. Eine sehr gute Note und damit ein vorderer Platz auf der jeweiligen Ergebnisliste, war eine entscheidende Karrierevoraussetzung. Hingegen konnten Prüflinge, welche den Pfarrkonkurs nur mit einer Note 3 (mittelmäßig) bestanden hatten, kaum damit rechnen, eine große Pfarrei anvertraut zu bekommen. Die Entscheidung wer eine Pfarrei erhielt, wurde unter Federführung des Generalvikars vorbereitet, der eine Vorauswahl unter den für die jeweilige Pfarrei in Frage kommenden Bewerbern traf. Grundsätzlich waren Kleriker auf allen Arten von Dienstweihe von Faulhaber zum Stadtpfarrer der neu errichteten Pfarrei St. Andreas in München ernannt, vgl. Haas, Kampf der Geister, 14. Ob hier der bei Deschwanden, Rollenanalyse, 132, beschriebene Mechanismus wirksam wurde, Persönlichkeiten mit hohem Grad an Charisma beschleunigt zu befördern, um zu gewährleisten, dass sie der Kirche treu bleiben, muss offen bleiben. Teilweise noch jünger – aber aus anderen Gründen – waren die in den 1930er Jahren ernannten Ökonomiepfarrer, vgl. hierzu Kapitel 4. 196 Die Notwendigkeit ergab sich aus can. 459 CIC 1917, der eine Prüfung des Stands der theologischen Bildung bei den Bewerbern um eine Pfarrei vorsah; vgl. Eichmann/Mörsdorf, Kirchenrecht, Bd. 1, 433. Die 1921 neu erstellte Pfarrkonkursordnung in EAM, NL Faulhaber 5771/1 und 4053, Druck: Volk, Akten Faulhaber, Bd. 1, 215 f.; zum bayerischen Pfarrkonkurs im 19. Jahrhundert vgl. Nickel, Theologisch-praktische Monatsschrift, 258 Anm. 482. 197 Vgl. EAM, NL Faulhaber 5771/1, Kirchlicher Pfarrkonkurs in Bayern (Prüfungsordnung). 198 Vgl. ebenda. 199 Vgl. ebenda. Obwohl die Prüfung unter »strenger Aufsicht der Kommission« (ebenda) stattzufinden hatte, kam es dabei offenbar nicht selten zu Versuchen des Unterschleifs. So vermerkte das Ordinariatssitzungsprotokoll vom 07. 01. 1938: »Pfarrkonkurs 1937: […] Bei 9 Herren wurde konstatiert, dass sie abgeschrieben haben. Diese Herren haben in jenen Fächern, in welchen sie abgeschrieben haben, ein Nachexamen zu machen.« 200 Die Prüfungsordnung sah vier Gesamtnoten vor, die Note 4 (ungenügend) hatte das Nichtbestehen der Prüfung zur Folge. Vgl. Notenschlüssel zur Pfarrkonkursordnung, in: EAM, NL Faulhaber 4053, Druck: Volk, Akten Faulhaber, Bd. 1, 216 f. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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posten verwendbar. Jedoch stellte die Frage der Eignung für Stadt- oder Landposten und damit das Vermögen, auf die zum Teil doch sehr unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen adäquat eingehen zu können, ein Beurteilungskriterium innerhalb der Qualifikationsnoten dar, auf welches bei der Auswahl der zukünftigen Pfarrer geachtet wurde.201 Die eigentliche Entscheidung wurde offenbar in der Ordinariatssitzung gefällt. Obwohl eine Aussprache und Diskussion über einzelne Kandidaten in den Protokollen nur selten belegt ist, darf angenommen werden, dass stets eine solche erfolgte.202 Die Sitzung folgte den Vorschlägen des Generalvikars jedoch fast immer. So präsentierte Generalvikar Buchwieser im September 1933 für sieben offene Pfarreien 17 verschiedene Kandidaten203 – zum Pfarrer ernannt wurde in allen sieben Fällen der Kandidat, den bereits der Generalvikar auf den ersten Listenplatz gesetzt hatte.204 Hierdurch wird auch deutlich, dass der Erzbischof selbst, obwohl nach kanonischen Recht formal der einzige der einen Pfarrer rechtmäßig zu installieren vermochte, auf die Besetzungsfragen im Regelfall keinen Einfluss nahm, sondern seinem Generalvikar auf diesem Feld, wie auch bei anderen Verwaltungsaufgaben, weitgehend freie Hand ließ.

3.3.2 Seelsorglicher Alltag vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Marginalisierung des Klerus Fragt man nach dem alltäglichen Dienst der Seelsorger, wodurch ihr Arbeitsalltag bestimmt wurde und wie sich das Verhältnis zu ihrer Umwelt ausprägte, so ist der Regelfall schwer zu bestimmen. Das Arbeits- und Aufgabenspektrum eines Seelsorgers hing von vielen äußeren Faktoren ab, zunächst davon, ob es sich um einen Hilfsgeistlichen, einen Geistlichen in der Kategorialseelsorge oder im Schuldienst, oder um einen Geistlichen mit eigener Seelsorgestelle handelte, nicht zuletzt auch davon, ob sich die Seelsorge im Kontext einer kleineren oder größeren Land- oder Stadtpfarrei abspielte. Nicht zuletzt sei auf eine überraschend schwierige Quellensituation hingewiesen. So berichten Geistliche über ihre eigentlichen Aufgaben – etwa 201 Dies galt jedoch nur für die Inhaber selbständiger Seelsorgestellen, von Hilfsgeistlichen wurde eine Verwendbarkeit auf allen Posten erwartet. 202 Nach Kenntnis des Verfassers ist diese Vorgehensweise bei Pfarrverleihungen bis in die Gegenwart üblich. Nur bei Protokollführern, die zu großer Ausführlichkeit neigten, sind in den Protokollen der Ordinariatssitzungen auch die Diskussionsprozesse innerhalb des Kapitels bei Pfarrernennungen ablesbar, vgl. etwa AEM, Ordinariatssitzungsprotokoll vom 23. 07. 1937: »Generalvikar: Dieser schlägt die Besetzung von 4 Pfarreien vor. […] 3. Steinhöring, 7 Bewerber. Gen. Vik. schwankt zwischen Reinhardt und Aniser. Letzerer wird für Landshut vorgeschlagen, Reinhardt als Pfarrer ernannt.« 203 Mehrere von diesen waren für verschiedene Pfarreien vorgeschlagen. 204 Vgl. AEM, Ordinariatssitzungsprotokolle vom 01. und 16. 09. 1933. Das Verfahren ist in dieser Deutlichkeit aber nicht für alle Jahre nachweisbar, was auch mit der Protokollführung zu tun haben kann, vgl. etwa AEM, Ordinariatssitzungsprotokoll vom 15. 2. 1935, in dem zwar eine Diskussion möglicher Kandidaten belegt ist, jedoch kein konkreter Vorschlag. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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in Priesterautobiographien – kaum. Insofern erscheint zunächst eine Orientierung an den Normen nützlich: Mit dem Amt des Pfarrers waren durch das kanonische Recht eo ipso eine Reihe von fest umschriebenen Rechten und Pflichten verbunden.205 Der Pfarrer war verpflichtet, für alle seine Pfarrangehörigen206 die Seelsorge auszuüben (can. 464 § 1 CIC), d. h. für diese den Gottesdienst zu feiern, die Sakramente zu spenden, zu predigen und Katechesen zu erteilen. Die so genannte Applikationspflicht umfasste dabei, dass er selbst für seine Pfarrangehörigen die Gottesdienste an Sonnund Feiertagen halten musste, was für gewöhnlich in der Pfarrkirche zu geschehen hatte (cann. 466 und 339 CIC). Ferner oblag ihm die Pflicht zur Verwahrung des Pfarrsiegels, zur Betreuung des Pfarrarchivs und zur Führung der Pfarrbücher. Dies waren im Einzelnen das Taufbuch, das Firmbuch, das Ehebuch, das Totenbuch und ein Buch über den Seelenstand der Gläubigen in welchem auch deren Erfüllung der Osterpflicht dokumentiert wurde (vgl. can. 470 CIC). Er hatte sich zudem auch um das sittlich-moralische Verhalten seiner Pfarrangehörigen zu kümmern und war verpflichtet, die Irrenden in kluger, angemessener Form zurechtzuweisen. Außerdem war er gehalten, sich um die Armen und Kranken zu kümmern und die Jugend religiös zu unterweisen (vgl. can. 467 § 1, cann. 468–469 CIC). Er war ferner verpflichtet, am Pfarrort in einem Haus nahe bei der Kirche seine Wohnung zu nehmen und für den Fall legitimer Abwesenheit Sorge dafür zu tragen, dass die Gläubigen seiner Pfarrei der Seelsorge nicht entbehrten (can. 465 CIC). Er hatte im Gegenzug das Recht, Einkünfte aus seiner pfarrlichen Tätigkeit zu beziehen (vgl. can. 463 CIC) und er hatte Anspruch auf ein Einkommen aus den Erträgen der Pfarrpfründe (can. 1472 CIC). Die Pfarrer übten außerdem noch die Dienstaufsicht über die Hilfsgeistlichen in Ihrer Pfarrei sowie über den niederen Kirchendienst, d. h. die Haupt- und Hilfsmesner aus.207 Weitere Aufgaben kamen hinzu, wenn ein Pfarrer das wichtige Amt des Dekans versah. Die Dekane bildeten als Mittler zwischen Pfarrklerus und Oberbehörde eine wesentliche Funktionselite. Kirchenrechtlich betrachtet waren sie »Außenvikare« und übten damit eine Art Aufsichtfunktion über die Geistlichen ihres Dekanats aus.208 Sie wurden vom Dekanatskapitel, das sich aus allen investierten Pfarrern, Benefiziaten 205 Vgl. zum folgenden Hallermann, Pfarrei, 68 f. 206 Aufgrund der territorialen Konstitution von Kirche in Pfarreien, waren die Gläubigen nicht frei in der Wahl einer Kirchengemeinde, sondern exakt der Pfarrei zugeordnet, an der sie ihren Wohnsitz hatten. Dieser so genannte Pfarrzwang hatte zur Folge, dass die pastoralen Dienstleistungen von den Gläubigen rechtmäßig nur von ihrem eigenen Pfarrer erbeten werden konnten, andererseits aber der jeweilige Pfarrer von Amts wegen zur Erfüllung dieser Dienstleistungen verpflichtet war, sofern nicht im Einzelfall andere rechtliche Hemmnisse dem entgegen standen; vgl. zu den rechtlichen Implikationen des Pfarrzwangs: Hallermann, Pfarrei, 66. 207 Vgl. zu ersterem Kapitel 4 dieser Arbeit, zu letzterem »Rechts- und Dienstordnung für den niederen Kirchendienst in München« [April 1936], in: AEM, NL Thalhamer, Stw. Kirche (Dienstanweisungen). 208 Ihre Rechtsstellung und ihren Pflichtenkreis regelten der CIC 1917 in den canones 445–450 sowie weitere partikularrechtliche Normen, in der Erzdiözese das Dekanestatut und die Dienstanweisung für die Dekane der Erzdiözese München und Freising; vgl. Amtsblatt München 1926, Protokoll © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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und Pfarrkuraten eines Dekanats zusammensetzte, auf unbefristete Zeit gewählt.209 Die Dekane wachten als »Auge und Ohr« des Bischofs in ihrem Dekanat über den Lebenswandel und die Erfüllung der geistlichen Amtspflicht ihrer Mitbrüder, hatten aber zugleich auch eine gewisse Sorge für deren geistliches und leibliches Wohl, etwa im Krankheitsfall, zu tragen.210 Überdies führten sie die regelmäßig abzuhaltenden Pastoralkonferenzen in ihrem Sprengel durch und legten dem Bischof jährlich einen Bericht über den Stand der seelsorglichen Verhältnisse ihres Dekanats vor.211 Die Dekane fungierten gerade auch in Krisenzeiten als wichtige Scharnierstelle zwischen der Zentrale d. h. dem Ordinariat und der Peripherie d. h. den Pfarreien.212 Wie war es um den seelsorglichen Alltag bestellt? Zunächst gab es in der Zeit ausgeprägter eucharistischer Frömmigkeit in allen Gemeinden täglich eine Fülle an Messfeiern, die von den Geistlichen abzuhalten waren.213 Dies war zumeist die erste Tätigkeit der Geistlichen noch vor dem Frühstück, es galt das ieiunium eucharisticum, das Gebot der Eucharistischen Nüchternheit.214 Da die Konzelebration, also die gemeinsame aktive Gestaltung der Eucharistie durch mehrere Priester, vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil in einer regulären Messe nicht möglich war, musste jeder Priester für sich seine eigene Messe feiern. Dadurch vervielfältigte sich das Angebot an Messen mit der Zahl der Priester. In einer großen Stadtpfarrei wie St. Peter in München sah dies in einer Septemberwoche des Jahres 1934 folgendermaßen aus: Sonntags 5 Uhr Messe, 5.30 Uhr Rosenkranzmesse, 6 Uhr Messe mit Frühlehre, 6.30 Uhr, 7 Uhr, 7.30 Uhr, 8 Uhr weitere Messen, 8.30 Uhr Predigt, 9 Uhr Hochamt, 10.05 Uhr Kindergottesdienst mit Vortrag, 11 Uhr, 11.30 Uhr und 12 Uhr erneut Messen.215 An einem gewöhnlichen Sonntagvormittag fanden dort also 12 Messder Freisinger Dekanskonferenz vom 18. November, 6 f.; AEM, NL Thalhamer, Stw. Dekane ferner Eichmann/Mörsdorf, Kirchenrecht, Bd. 1, 445–447 sowie Krieg, Dekan. 209 Vgl. AEM, NL Thalhamer, Stw. Dekane, Dienstanweisung für die Dekane der Erzdiözese München und Freising [1942]. Die Wahl musste vom Erzbischof bestätigt werden. Dieser hatte bei einem nach seiner Ansicht nicht angemessenen Wahlergebnis die Möglichkeit, einen anderen Geistlichen seiner Wahl zum Dekan zu ernennen. In einem Teil der Dekanate war das Dekanatsamt zudem traditionell fest mit einem bestimmten Pfarramt verbunden. 210 Eichmann/Mörsdorf, Kirchenrecht, Bd. 1, 446. 211 Hierbei handelte es sich um die sogenannten Generalseelsorgeberichte. Diese sind für die Erzdiözese München und Freising aus der hier relevanten Epoche infolge Kriegsverlustes nur in wenigen Einzelexemplaren erhalten. 212 Dies wird nochmals besonders deutlich in der expliziten Weisung Faulhabers im Kriegsjahr 1940, dass »bei sämtlichen Dekanen Fernsprechanlagen eingerichtet werden« müssen; Bericht DiözesanSynode 1940, 92. 213 Die Enzyklika Mirae Caritatis von Papst Leo XIII. (1902) und die Kommuniondekrete Sacra Tridentina Synodus (1905) und Quam singulari (1910) von Pius X. forderten die Gläubigen zu häufigem, falls möglich sogar täglichem Kommunionempfang auf; vgl. Scheule, Beichten, 32. 214 Die Geistlichen waren, wie alle katholischen Gläubigen welche die Kommunion empfangen wollten, entsprechend can. 808 CIC 1917 ab der einer Messfeier vorangehenden Mitternachtsstunde zur Nüchternheit verpflichtet. 215 Vgl. Münchner Katholische Kirchenzeitung 27, 1934, 556 (Kirchenanzeiger vom 23. mit 29. 09. 1934). © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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feiern statt, die aber alle von unterschiedlichen Priestern gehalten wurden. Auch in einer mittelgroßen Pfarrei, wie St. Magdalena in dem 20 km westlich von München gelegenen Ort Fürstenfeldbruck, fanden werktags zwischen zwei und fünf Messen und Sonntags ebenfalls regelmäßig fünf Messen statt.216 Nur im Ausnahmefall und mit besonderer Erlaubnis las ein Geistlicher mehrere Messen hintereinander.217 Die Frage nach der Häufigkeit des Messbesuchs der Gläubigen und damit verknüpft jene nach dem Kommunionempfang gehört, entsprechend dem damaligen, stark verrechtlichten und funktionalistischen Seelsorgebegriff, zu den zentralen Fragen, die den Klerus beschäftigten.218 Neben der Eucharistie bildete die Erteilung des Bußsakraments die zweite Säule der ausschließlich dem Priester vorbehaltenen Aufgaben.219 Umso häufiger die Gläubigen die Kommunion empfingen, umso höher wurde faktisch auch die Beichtfrequenz, da die Kommunion entsprechend der katholischen Glaubenslehre für einen Gläubigen keinesfalls in einem sündigen Zustand möglich ist.220 Dies führte im Verlauf des 19. Jahrhunderts zu den häufigen Andachtsbeichten bei denen vor allem läßliche Sünden bekannt wurden. Der Arbeitsaufwand des Klerus erhöhte sich hierdurch erheblich. Überdies war jeder Katholik vor dem Osterfest zur Beichte verpflichtet. Noch weitgehend üblich war hier die Ausgabe von Beichtzetteln nach vollzogener Beichte. Die Beichtzettel wurden jährlich nach Ostern in Verbindung mit Hausbesuchen wieder eingesammelt, was häufig die Aufgabe von Hilfsgeistlichen war.221 Dieses ursprünglich in der Gegenreformation entstandene Kontrollinstrument hatte auch im 20. Jahrhundert in den ländlichen Gebieten durchaus noch eine – wenngleich sich langsam 216 Vgl. Forstner, Fürstenfeldbruck, 237. 217 Die Bination, d. h. die zweimalige Messfeier an einem Tag, war Geistlichen nur im Ausnahmefall und mit besonderer Erlaubnis des Ortsoberhirten gestattet; vgl. can. 806 CIC 1917. Diese wurde vor allem dann erteilt, wenn Mangel an Seelsorgern herrschte; vgl. Eichmann/Mörsdorf, Kirchenrecht, Bd. 2, 46. 218 So berichtete ein Geistlicher im Seelsorgebericht: »Vonseiten des Seelsorgers wird kein gangbares Mittel unversucht gelassen, um Säumige zum Besuch des Sonntagsgottesdienstes zu bewegen, nicht immer ohne Erfolg. Ein Beispiel: Ein Mann starb an einem Sonntagmorgen. Er, seine Frau und die Tochter waren sonntags nie in die Kirche gekommen. In der Grabrede sagte ich unter ander[em] Folgendes: ›In der Morgenfrühe des Sonntags ging Herr N. N. in die Ewigkeit. So ruft er denn Sonntag für Sonntag seine Angehörigen an sein Grab, dass sie für ihn beten und seiner beim hl. Opfer im Gotteshaus gedenken.‹ Seitdem sind Frau und Tochter fast regelmäßig jeden Sonntag in der Kirche.« AEM, Seelsorgeberichte, Dekanat München-Südwest, Seelsorgebericht der Pfarrei Unterpfaffenhofen für die Jahre 1944 und 1945. 219 Zu den Detailregelungen hinsichtlich der Spendung des Bußsakramentes vgl. Seelsorgsvollmachten in der Erzdiözese München und Freising, Teil A: Vollmachten zur Spendung des Bußsakramentes [o. J., nach 1920] und Vollmachten für die erzbischöflichen Geistlichen Räte, Stadtpfarrer und Kuraten in München [März 1929], in: AEM, NL Thalhamer, Stw. Kirche (Dienstanweisungen). 220 Vgl. Scheule, Beichten, 32. Obwohl diese Entwicklung nach Scheule durch das kirchliche Lehramt ursprünglich nicht intendiert war, begrüßten spätere päpstliche Lehrschreiben, so die Enzyklika Mystici Corporis von Pius XII. [1943], die gestiegene Beichtfrequenz explizit. 221 Vgl. exemplarisch die Beschreibung dieser Praxis in AEM, Seelsorgeberichte, Dekanat Dachau, Seelsorgeberichte der Pfarreien Großinzemoos 1944 und Kollbach 1944/45. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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abschwächende – Bedeutung bei der Disziplinierung der Gläubigen.222 Von einer gewissen ökonomischen Relevanz für den Klerus blieb die vor allem auf dem Land verbreitete Sitte, zusammen mit dem Beichtzettel eine Geld- oder Nahrungsspende (z. B. Eier) entgegenzunehmen, über die der jeweilige Pfarrherr frei disponieren konnte.223 Zu den täglichen Messfeiern kamen weitere geistliche Übungen, Andachten, Gebetsstunden, Rosenkränze, Frauendreißiger, Vespern, 40stündige Gebete, Triduen etc. hinzu, die zum einen Teil ganzjährig regelmäßig stattfanden, zum anderen Teil am Verlauf des Kirchenjahres orientiert zu bestimmten Fest- oder Vorbereitungszeiten verstärkt wurden, wie etwa die Rorateämter in der Adventszeit, der Oktoberrosenkranz oder die Maiandachten, so dass für die Gläubigen ein stark strukturiertes und partiell auch adressatenspezifisch differenziertes Angebot an Devotions- und Frömmigkeitsübungen bereitstand. Ein eher traditionelles und besonders beliebtes Element der Pastoral zur Aktivierung des Glaubenslebens im Sinne der Eucharistischen Frömmigkeit und zur Vertiefung des Glaubenswissens bildete die Volksmission. Diese »psychologisch virtuose Religionseinübung«224 erfolgte überwiegend in Zusammenarbeit mit Angehörigen des Kapuziner-, Franziskaner- oder Redemptoristenordens, die in den Gemeinden zu speziellen Themen predigten, Vorträge hielten und Beichten abnahmen.225 Während die traditionellen religiösen Übungen weiter bestanden, traten in den 1920er Jahren vermehrt neue religiöse Gruppierungen und mit ihnen verbundene spezifische Formen von Glaubensäußerungen auf. Nach dem Ersten Weltkrieg gewann auch in Bayern »besonders in gebildeten Kreisen und bei der Jugend« die liturgische Bewegung mit ihrem Bemühen um eine Aktivierung der Gemeinde und deren aktiver Teilhaber an einem verlebendigten gottesdienstlichen Geschehen in der so genannten Gemeinschaftsmesse an Einfluss.226 Bedeutsam wurde diese insbesondere während der NS-Zeit, da sie sich – als unpolitisch geltend – einerseits ungestört entfalten konnte, anderseits angesichts der Unterdrückung außergottesdienstlicher Aktivitäten 222 Auch hier hatte man sich die Frage, nach dem richtigen Verhalten angesichts der politischen Zeitumstände zu stellen, was folgendes Beispiel illustriert: Pfarrer Dr. Jakob Angermaier hatte während seiner Tätigkeit in Bad Endorf die Hausbesuche mit dem Hilfsgeistlichen aufgeteilt. Er selbst ging zu den umliegenden Dörfern, sein Kooperator zu den nach dessen Erinnerung »etwas kritischeren Leuten im Hauptort.« Bei solchen Besuchen hatte der Hilfsgeistliche zu bedenken, ob er »zum Ortsgruppenleiter gehen sollte, der mich wegen einer Predigt schon einmal verwarnt hatte. Ich ging trotzdem zu ihm. Es waren bei dem Gespräch ziemlich energische Auseinandersetzungen und dennoch sagte er mir am Schluß zu meiner Überraschung, wenn ich ihn übergangen hätte bei diesen Besuchen, wäre er enttäuscht gewesen.« Kronberger, Erinnerungen, 15. 223 Vgl. Bernhart, Kaplan, 217. 224 Blessing, Staat und Kirche, 240. 225 Zwischen 1920 und 1930 wurden in der Diözese 558 Volksmissionen abgehalten, im darauf folgenden Dezennium lag die Zahl annähernd gleich hoch; vgl. Bericht Diözesansynode 1930, 5 und Bericht Diözesan-Synode 1940, 9. 226 Vgl. Reifenberg, Gottesdienstliches Leben, 728–736 (Zitat ebenda, 734); zur liturgischen Bewegung allgemein vgl. Maas-Ewerd, Liturgie und Pfarrei; zu den Entwicklungen in der auf diesem Gebiet besonders aktiven Münchener Stadtpfarrei St. Paul vgl. die Erinnerungen von Fröhlich, St. Paul. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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einen der wenigen innerkirchlichen Entfaltungs- und Gestaltungsräume darstellte.227 Während die jüngeren Geistlichen der liturgischen Bewegung häufig aufgeschlossen gegenüberstanden, sahen die arrivierten Pfarrherren dieses Thema häufig mit einer gewissen Reserviertheit.228 Doch unterstütze die Kirchenleitung die Neuerungen und damit die Jugend in dieser Hinsicht durchaus offensiv, die liturgische Bewegung wurde als eine berechtigte und nicht mehr zu überhörende Zeitforderung angesehen. Auf der Diözesan-Synode 1940 beklagte Dompfarrer Stadler explizit, dass die Feier der Gemeinschaftsmesse in mancher Pfarrei noch unbekannt sei.229 Unter der nationalsozialistischen Herrschaft waren die Priester zunehmend gezwungen sich auf die unverzichtbaren Aufgaben der Seelsorge zu konzentrieren: die Feier der Eucharistie, die Spendung der Sakramente und die Verkündigung des Wortes Gottes. Paradoxerweise führte dann aber der Ausnahmezustand des Krieges zu einer Fülle neuer seelsorglicher Ausdrucksformen und kirchlichen Aktivitäten. So kam es in der Kriegszeit unter dem Druck der Verhältnisse erstmals zur regelmäßigen Abhaltung von Abendmessen. Es gab darüber hinaus nun vermehrt außerordentliche Gottesdienste für bestimmte gesellschaftliche Gruppen, wie die beliebten Krieger- oder Heldengottesdienste.230 Teilweise entbrannte ein bizarrer weltanschau-

227 Vgl. Reifenberg, Gottesdienstliches Leben, 729. 228 Vgl. Zeitforderungen an die Feier des Gottesdienstes und die Spendung der Sakramente, in: Bericht Diözesan-Synode 1940, 28–39, hier 28. Die Reserviertheit kommt etwa im Seelsorgebericht von Pfarrer Karl Besold aus Großinzemoos zum Ausdruck: »Ich bin […] nur für das lateinische Amt zu haben und habe keine Veranlassung so etwas Deutsches einzuführen […] Das ist doch ganz gewiss ein abusus, der von vornherein verboten gehört. Der jüngere Klerus ist da gleich zu haben.« AEM, Seelsorgeberichte, Dekanat Rosenheim, Seelsorgebericht der Pfarrei Großholzhausen für die Jahre 1944 und 1945. 229 Vgl. Bericht Diözesan-Synode 1940, 29. 230 »… der Kriegergottesdienst sah beinahe mehr Leute in der Kirche wie irgend eine andere hochfestliche Feier«, vermerkte ein exemplarischer Seelsorgebericht. AEM, Seelsorgeberichte, Dekanat Berchtesgaden, Seelsorgebericht der Pfarrei Au bei Berchtesgaden 1944/45. Ein anderer Bericht vermerkte: »Der Hauptgottesdienst ist besser besucht als die Frühmesse, ganz bes[onders] gut aber ist der Besuch der ›Heldengottesdienste‹, die am Sonntag gehalten werden, was aber durchaus nicht nach dem Wunsch des Berichterstatters ist, sich jedoch jetzt nicht mehr abbringen lässt, nachdem es seit 1940 so geübt wurde, weil die Leute es in der Nachbarschaft (Kolbermoor, Karolinenfeld, Schloßberg etc.) so gesehen haben. Der pfarrliche Frühgottesdienst ist an solchen Tagen ganz minder besucht, weil alles (aus Neugierde und wegen der schönen Musik!) in den Heldengottesdienst geht.« AEM, Seelsorgeberichte, Dekanat Rosenheim, Seelsorgebericht der Pfarrkuratie St. Quirinus in Rosenheim-Fürstett für das Jahr 1943. Gemäß Verordnung im Amtsblatt München 1942, 95 war das Abhalten eines Heldengottesdienstes am Sonntag nur ausnahmsweise und nur als Spätgottesdienst gestattet, in vielen Pfarreien scheint sich dies aber zum Regelfall entwickelt zu haben, weil die Heldengottesdienste stark nachgefragt wurden; vgl. hierzu auch den Seelsorgebericht der im selben Dekanat gelegenen Pfarrei Großholzhausen für das Jahr 1943, aus dem deutlich wird, dass es über die Frage des korrekten Zeitpunkts für die Heldengottesdienste sogar zu Konflikten zwischen Geistlichen kam, die sich des gegenseitigen Abwerbens von Pfarrkindern – mittels attraktiverer Gottesdienstgestaltung – bezichtigten. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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licher Kampf um die Gefallenen des Weltkriegs.231 In einer großen Stadtpfarrei wie München-Ramersdorf brachte der Krieg eine ganze Reihe außerordentlicher Aktivitäten hervor: »Einkehrstunden für die Eltern, Kriegsbittandachten an allen Tagen, Abendmessen an Sonntagen (mit ganz starkem Besuch) u[nd] Mittwochen, Frauendreißiger, Liebfrauenkreis der Mütter, Sorge um die Frontsoldaten und landverschickten Frauen und Kinder«232. Eine Reihe kirchlicher Feiertage wurde durch Verordnungen des Reichsinnenministers und Generalbevollmächtigten für die Reichsverwaltung, Wilhelm Frick, im Jahr 1941 unter dem Vorwand der Kriegsnotwendigkeit faktisch aufgehoben, indem sie zu Werktagen erklärt wurden und die kirchlichen Feiern auf die nachfolgenden Sonntage verlegt werden mussten.233 Bereits im Jahr zuvor hatten staatlichen Anordnungen an Tagen nach nächtlichem Fliegeralarm die Abhaltung von kirchlichen Veranstaltungen vor 10 Uhr und Glockenläuten vor 13 Uhr verboten.234 Der auf die Beeinflussung des Lebensvollzugs der Gläubigen im Sinne der katholischen Glaubenslehre gerichtete normative Anspruch des Klerus wurde durch die radikale Anwendung von Gesetzen und Verordnungen wie dem Kanzelparagraphen, die Heim231 So wurde dem Geistlichen Joseph Imminger in einem Polizeiverhör vorgeworfen, das 1943 – wie schon in den Vorjahren – auf einen Werktag verlegte Fronleichnamsfest sei mit zu vielen Lichtern und Ministranten zu feierlich ausgestaltet gewesen. Zwei Jahre zuvor war derselbe Geistliche verwarnt worden, da er bei einer Gedenkfeier für 100 Gefallene des Kriegsjahres 1940 diese alle namentlich aufgeführt hatte. Dies wurde als Wehrmachtszersetzung qualifiziert, weil die Öffentlichkeit von solch starken Verlustziffern nichts wissen dürfe; vgl. AEM, Nationalsozialistische Verfolgung katholischer Geistlicher, Fragebogen A, Joseph Imminger. 232 AEM, Seelsorgeberichte, Dekanat München-Südost, Seelsorgebericht der Stadtpfarrei Maria Ramersdorf. Unter welchen widrigen Umständen sich die Seelsorge unter Kriegsbedingungen gestaltete, wird in vielen Berichten deutlich. Beispielhaft hierfür ein Auszug aus dem Bericht der Stadtpfarrei Fronleichnam: »Die Investitur des neuernannten Stadtpfarrers erfolgte am Dienstag, 20. Februar [1945; Th. Fo.] nachmittags 3 Uhr im Luftschutzkeller des Erzbischöflichen Palais vor dem Notaltar. Am Sonntag, 4. März fand die Erhebungsfeier der Pfarrkuratie zur Stadtpfarrei verbunden mit der Installation statt. […] Leider wurde der nachfolgende feierliche lev. Gottesdienst jäh gestört. Während des Singens des hl. Evangeliums, gegen 10 Uhr vormittags wurde Großalarm ausgegeben. Der Gottesdienst musste ca. 1 Std. unterbrochen werden. Die Kirchenbesucher gingen teils nach Hause, teils in die Luftschutzkeller des Pfarrhauses oder der Nachbarschaft. Gott sei Dank war kein Angriff. Nach der Vorentwarnung, etwa gegen 11 Uhr kamen die Kirchenbesucher fast vollständig wieder zurück und der Gottesdienst konnte beim Credo wieder fortgesetzt und ohne weitere Störung glücklich zu Ende geführt werden.« AEM, Seelsorgeberichte, Dekanat MünchenSüdwest, Seelsorgebericht der Stadtpfarrei Fronleichnam für das Jahr 1945. 233 Betroffen waren Christi Himmelfahrt und Fronleichnam sowie der Reformationstag und der Bußund Bettag; vgl. die reichsweit gültigen Verordnungen vom 15.05. und 27. 10. 1941, RGBl. I, 269 und 662; Volk, Akten deutscher Bischöfe, Bd. 5, 357 f. Anm. 1 und 586 Anm. 1. Bayern war in dieser Sache Vorreiter, da hier analoge Bestimmungen durch eine Verordnung sämtlicher bayerischer Staatsministerien vom 15. 03. 1941 (BayGVBl. 1941, 56) bereits zwei Monate früher in Kraft gesetzt worden waren. 234 Vgl. Volk, Akten deutscher Bischöfe, Bd. 5, 234 f.; Volk, Akten Faulhaber, Bd. 2, 698 ff.; ein Überblick über die zahlreichen Bestimmungen zur Läuteordnung während des Krieges bei von Hehl/ Kösters, Terror, Bd. 1, 58. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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tückeverordnung oder die Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat stark beschnitten.235 Zudem führte der äußere Druck auf das kirchliche Leben in der nationalsozialistischen Zeit, insbesondere die Zerschlagung des Vereinswesens, zu einem verstärkten Ausbau von Elementen der kategorialen Seelsorge in den Pfarreien. So hatte etwa die kirchliche Jugendarbeit bereits seit Beginn des 20. Jahrhunderts einen der Schwerpunkte in der pastoralen Praxis dargestellt, traditionell war sie aber eher in Verbänden, Vereinen und der Jugendbewegung, also überpfarrlich organisiert, wohingegen der unmittelbare Einfluss der einzelnen Territorialpfarrei gering geblieben war.236 Die Jugend traf sich im Vereinslokal, nicht in der Pfarrkirche. Dies wandelte sich einerseits durch den wachsenden Einfluss der Katholischen Aktion, andererseits aber auch gezwungenermaßen unter den äußeren Bedingungen des Nationalsozialismus, der den Druck auf das katholische Vereins- und Verbandswesen erhöhte und dessen Strukturen sukzessive zerschlug.237 Die kirchliche Oberbehörde forcierte entsprechend seit Mitte der 1930er Jahre ihr Engagement zur Stärkung der Jugendarbeit auf Gemeindeebene. In den einzelnen Dekanaten wurden 1936 erstmals Dekanatsjugendseelsorger ernannt. 1938 wurde schließlich das Erzbischöfliche Jugendamt errichtet, und zwei Diözesanjugendseelsorger bestellt, beide sollten die Ortsgeistlichen, vor allem die Kapläne unterstützen,238 die mit den Jugendlichen auf Gemeindeebene nun Jugendfahrten mit »Wandern, Zelten, Abkochen [sic!] und froher Gemeinschaft junger Christen« unternahmen.239 Zu starken Veränderungen und daraus resultierenden Konflikten mit anderen gesellschaftlichen Kräften kam es in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts im Schulwesen. Die Durchführung des Religionsunterrichts zählte zu den Hauptaufgaben der Geistlichen. Auf diesem traditionellen Aufgabenfeld des Klerus wurde nicht nur dessen formale Gestaltungskraft sukzessive beschnitten, sondern auch die Möglichkeit zur weltanschaulichen Einflussnahme auf die Schulkinder im Sinne der katholischen Glaubenslehre immer stärker beschränkt. 1918 wurde in Bayern die geistliche Schulaufsicht abgeschafft und im Folgejahr der Prozess der Entkonfessionalisierung der Volksschulen eingeleitet. Die im schulischen Bereich nach dem Wegfall der geistlichen 235 Vgl. von Hehl/Kösters, Terror, Bd. 1, 57 und 59; Blumberg-Ebel, Sondergerichtsbarkeit, 46–52; Volkmann, Rechtssprechung, 51–72. 236 Vgl. Erzbischöfliches Jugendamt, Talente, Aufbruch, Leben, 27–31; zur Jugendbewegung vgl. Henrich, Jugendbewegung; Eilers, Konfession und Lebenswelt (zum Bund Neudeutschland); Binkowski, Jugend als Wegbegleiter (zum Quickborn); Schellenberger, Katholische Jugend und Drittes Reich; Hastenteufel, Katholische Jugend und Pahlke, Trotz Verbot nicht tot (zum Katholischen Jungmännerverband). 237 So wurden etwa am 31. 01. 1938 die Marianische Jungfrauenkongregation, die ihr angeschlossenen Jungfrauenvereine, die katholischen Jungmännervereine, die St. Georgs-Pfadfinderschaft und die Sturmscharen des Bundes Neudeutschland für das Land Bayern aufgehoben; vgl. Erzbischöfliches Jugendamt, Talente, Aufbruch, Leben, 30. 238 Vgl. ebenda, 31 f. 239 So Erhard Huber, zu diesem Zeitpunkt Kaplan in München-St. Paul (Huber, Erinnerungen, 34). © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Schulaufsicht insbesondere zur Lehrerschaft entstehende Konkurrenz, führte bereits in den 1920er Jahren immer wieder zu verschärften Auseinandersetzungen zwischen Pfarrklerus und Lehrerschaft. Obwohl der Prozess der Entkonfessionalisierung des Schulwesens durch das Bayerische Konkordat 1924 zunächst gestoppt wurde, flammte der Konflikt in der Folge immer wieder auf und radikalisierte sich nach 1933. Dies erklärt sich auch dadurch, dass die Lehrerschaft einen hohen Anteil an NS-Sympathisanten aufwies und durch den schlagkräftigen Nationalsozialistischen Lehrerbund zudem mit antiklerikalen Ideologemen munitioniert wurde. Die Bestrebungen zur Entkonfessionalisierung des Schulwesen erreichten ihren vorläufigen Höhepunkte in der Entfernung der klösterlichen Lehrkräfte, der Einführung der Simultanschule und antikirchlichen Aktionen wie der Entfernung der Schulkreuze und den Bemühungen um die Abschaffung des Schulgebets.240 Schulverbote für einzelne Kleriker – insgesamt waren mindestens 126 Diözesanpriester hiervon betroffen – erschwerten oder verunmöglichten die Abhaltung des Religionsunterrichtes zusätzlich.241 Karl Schuster, zu Beginn der 1930er Jahre Hilfsgeistlicher in Wolfratshausen, ist nur eine der vielen Stimmen, die über die schwierige Situation im Unterricht berichteten, die durch die teils massive Feindschaft der nazifizierten Lehrerschaft nur noch verschärft wurde: Ein Lehrer bereitete die Einstimmung für den Religionsunterricht in einer 7. und 8. Knabenklasse mit den Worten: ›So, Buben, jetzt könnt ihr tun, was ihr wollt, jetzt kommt der Schwarze.‹ – Eine Glaubensstunde in der Fortbildungsschule leitete ich mit den Worten ein: Wir wollen heute etwas über den Papst und die Regierung der Kirche hören. Der Satz wurde mir von einem ›Hitlerjungen‹ abgeschnitten: ›Geh, lass uns doch von dem römischen Pfarrer unser’ Ruah‹ […] Ein Schüler in Uniform verließ während des Unterrichts seinen Platz, spazierte durch das Klassenzimmer und rief mir zu: ›Ja, do konnst gor nix macha, mir san bei der HJ.‹242

Gleichwohl war nicht jeder Lehrer kirchenfeindlich, selbst dann nicht, wenn er Parteigenosse war. Der Pfarrer von St. Otto in Ottobrunn bemerkte hinsichtlich seiner Erfahrungen: Der […] stellvertretende Ortsgruppenleiter und Lehrer Fritz Schollwöck, war vernünftig und vermied jede Quälerei. Sein Eintreten für den Pfarrer in der Schulsache [dieser hatte Schulverbot; Th. Fo.] hatte leider keinen Erfolg. Auf HJ und BDM hatte er kaum einen Einfluss; diese hatten ihren verderblichen Einfluss schon weit ausgebaut. Es war dadurch dem Pfarrer 240 Vgl. den Überblick bei Paul, Sozialisation und Erziehung, 704–708; zur Geistlichen Schulaufsicht Grosspietsch, Geistliche Schulaufsicht; zur Schulpolitik der Weimarer Republik: Dieselbe, Schulpolitik; zum so genannten Schulkampf in Bayern v. a. Schäffer, Gleichschaltung der Volksschule; Kleinöder, Kampf um die Schulen. 241 Vgl. von Hehl/Kösters, Terror, Bd. 1, 199, Tabelle 98. 242 AEM, Nationalsozialistische Verfolgung katholischer Geistlicher, Fragebogen A, Karl Schuster, Beilage Erlebnis-Bericht, 1. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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unmöglich, außer der Schule auf die Kinder und Jugend einzuwirken; wer nicht gegen den Pfarrer eingestellt war, wurde wenigsten so eingeschüchtert, dass er jede Berührung mit diesem vermied.243

Zu den Lehrtätigkeiten der Kleriker gehörte auch die Durchführung der Christenlehre für die Berufsschüler.244 Die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg war von Bemühungen zur Steigerung der Attraktivität dieser Form der religiösen Unterweisung charakterisiert, d. h. eine Tendenz weg »vom Katechismus zugunsten altersspezifischer Glaubens- und Lebensfragen«.245 Eine beständige Herausforderung bestand darin, die Durchsetzung als Pflichtveranstaltung zu erreichen. Mit dem Verbot des Religionsunterrichts nach dem Volksschulalter für die Berufs- und höheren Schulen während der NS-Zeit246 wurde eine außerschulische freiwillige Christenlehre eingerichtet, die jedoch unter starkem Teilnehmerschwund litt. Die »Gewissenspflicht«, diese auch tatsächlich zu besuchen, musste vom Klerus fortwährend eingeschärft werden,247 die Erfolge blieben häufig gering, wie etwa in Berchtesgaden, wo Pfarrer Otto Schuller, dessen pastorale Bemührungen nach Ausweis der Seelsorgeberichte grundsätzlich sehr erfolgreich waren, eingestehen musste, die Christenlehre bleibe sein »Schmerzenskind«, da nur eine kleine Gruppe zusammen komme.248 Wie war es um die gesellschaftspolitischen Funktionen bestellt, welche Geistliche aufgrund ihrer Rolle als lokale Bildungselite traditionell inne hatten? Der Geistliche war vor allem in ländlichen Regionen nicht nur Seelsorger, sondern eine zentrale Figur des wirtschaftlichen und sozialen Lebens. Erinnert sei hier etwa an die Rolle von Geistlichen bei der Initiierung von landwirtschaftlichen Genossenschaften und Darlehnskassen, als Vorstände von Obst- und Gartenbauvereinen oder generell als »Vermittler der Agrarinnovation« etwa hinsichtlich der Bodenmelioration.249 Im Jahr 1800 hatte der damalige Regens des Georgianums, Matthäus Fingerlos, in seiner Schrift Wozu sind Geistliche da? die Auffassung vertreten, es sei deren wesentliche Aufgabe, 243 AEM, Seelsorgeberichte, Dekanat München-Südost, Seelsorgebericht der Pfarrei St. Otto Ottobrunn für die Jahre 1944 und 1945. 244 Die Christenlehre, vom Tridentinum erstmals gefordert, war die religiöse Unterweisung der nicht mehr volksschulpflichtigen Heranwachsenden, sie entwickelte sich zunächst an den sog. Sonn- und Feiertagsschulen (den Vorläufern der modernen Berufsschulen) und ab Ende des 19. Jahrhunderts im Kontext der Berufsschulen; vgl. Paul, Sozialisation und Erziehung, 705–708. 245 Paul, Sozialisation und Erziehung, 705 f. 246 Dieses erfolgte 1939 für die Berufsschulen und 1941 für die höheren Schulen; vgl. ebenda, 706. 247 Ebenda. 248 Vgl. AEM, Seelsorgeberichte, Dekanat Berchtesgaden, Seelsorgebericht der Pfarrei Berchtesgaden für das Jahr 1944. 249 Vgl. Salm, Genossenschaftswesen; Hierhammer/Wagner-Braun, 75 Jahre LIGA; Aschhoff/ Henningsen, Genossenschaftswesen; Schmid, Weltklerus und Landwirtschaft, 326–339 (Zitat ebenda 326). »Die Türen der Bauernhäuser mussten sich leichter öffnen« – so Alois Schmid – »wenn die Bewohner sahen, dass Geistliche ihre Vertretung in Genossenschaften; Verbänden und Parteien übernahmen …« Ebenda, 342. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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ihre Gemeinden über Ackerbau, Viehzucht, Obst- und Gartenbau, Wetterverhältnisse und Blitzableiter zu belehren.250 Der Priester Josef Dürnegger251 etwa initiierte 1919 zur Elektrizitätsversorgung seiner am Samerberg gelegenen Gemeinde, einer infrastrukturell damals nur unzureichend erschlossenen Hochfläche im bayerischen Voralpenland, gegen anfänglich große Widerstände eine Elektrizitätsgenossenschaft mit dem Ziel, die natürliche Wasserkraft zur Stormversorgung auszunützen.252 Und noch der Ökonomiegeistliche Johann Jäger vermerkte in seinen autobiographischen Aufzeichnungen über die 1930er bis 50er Jahre nicht nur seine priesterliche Tätigkeit, sondern auch sein Engagement beim Raiffeisenverein, dessen Aufsichtsrat er vorstand.253 Doch wird man bei Beispielen dieser Art im hier näher betrachteten Zeitraum von Ausnahmeerscheinungen sprechen müssen. Tatsächlich waren Geistliche in der ersten Hälfte des 20.  Jahrhunderts nur noch selten Wegbereiter der infrastrukturellen Modernisierung des ländlichen Raumes. Obwohl vor allem auch aus dem entsprechenden Traditionsbestand resultierend, gesellschaftliche Reputation, Prestige und Einfluss der Geistlichen in den Landgemeinden allgemein noch höher gewesen sein dürften als in der Großstadt München,254 war der Prozess der allgemeinen Erosion des priesterlichen Amtscharismas in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg auch auf dem Land bereits deutlich ausgeprägt. Nach Joachim Wach hatte dies seine Ursache nicht zuletzt in der »beruflichen Spezialisierung und Differenzierung«255, welche die früher dem Priester zukommenden Aufgaben und Ehrenämter nach und nach auf andere Berufsgruppen verteilte.256 Hinzu kam, dass mit steigenden Bildungsstandards die Geistlichen in den Dörfern nicht mehr die einzigen Personen mit höherer Ausbildung blieben. Somit 250 Vgl. Ebenda, 329. 251 Josef Dürnegger, geb. am 26. 10. 1869 in Asham, Priesterweihe 1895 in Freising, KooperaturVerweser in Rohrdorf, 1898 Expositus in Beyharting, 1901 Vikar in Törwang, 1909 Pfarrer in Törwang, gest. am 15. 09. 1952; vgl. AEM, Priesterpersonalakten P III 289. 252 Dürnegger, Samerberg, 263–268. Der Stolz auf diese Tat kommt auch in dem nach dem Zweiten Weltkrieg veröffentlichten Tätigkeitsbericht Dürneggers zum Ausdruck, in dem er formulierte: »Wenn einmal der alte Pfarrer nicht mehr sein wird, der 50 Jahre hier für Leib und Seele seiner Anvertrauten besorgt gewesen ist, wird elektrische Energie, die er hier erdacht und mitgeschaffen hat, noch auf ihn hinweisen und dem einen oder anderen noch ein Wort des Dankes abnötigen …«; Dürnegger, 50 Jahre Seelsorge, 15. 253 Vgl. Johann Jäger, Autobiographisches Fragment (Familienbesitz), 8. 254 So auch Breuer, Wandel, 326 f. für die Erzdiözese Bamberg. Hier ist von einem »patriarchalischen Verhältnis« zwischen Pfarrherrn und Pfarrkindern in den Landgemeinden die Rede. Auch Nickel, Theologisch-praktische Monatsschrift, 223 konstatierte, dass in Bayern der »Typus des Geistlichen, der aufgrund seiner letztlich sakral, aber auch aufgrund seiner höheren Bildung begründeten Autorität als patriarchalischer Herr seines Seelsorgssprengels nicht nur in kirchlichen Belangen das Sagen hatte«, noch bis in das 20. Jahrhundert hinein anzutreffen gewesen sei, wenngleich die Gefechte um die Herrschaft über die Köpfe bereits in vollem Gange waren. 255 Wach, Religionssoziologie, 420. 256 Dies trifft nach Wach auch und vor allem zu hinsichtlich der priesterlichen Rollen des Lehrers und Ratgebers sowie des Mediators bei Konflikten. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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wurde der Priester sukzessive auf das Priesterliche beschränkt – ein Prozess, der durch das Priesterideal der pianischen Epoche zusätzlich verstärkt wurde. Eine in der Erzbischöflichen Finanzkammer Ende der 1930er Jahre entstandene Denkschrift über Fragen der kirchlichen Finanzverwaltung bemerkte zu diesem Bedeutungsverlust des Pfarrers wehmütig: Vor 50 Jahren war es noch ganz selbstverständlich, dass der Pfarrer der Gemeinde der Führer und Berater seiner Gemeinde auch in Dingen war, die nicht die Seelsorge betraf. [sic!] Es war selbstverständlich: In allen Zweifelsfällen des Lebens ging man zunächst zum Herrn Pfarrer, um sich Rat und Hilfe zu erholen. Der Pfarrer war das erste Auskunftsbüro des Dorfes für alles. Allmählich wurde das anders. Es kamen die Jahre, wo der Gewerkschaftsbeamte, der Sekretär der Standesvereine, des Bauernvereins in den Vordergrund trat. Die jüngeren intelligenteren Leute der Pfarreien kamen in die landwirtschaftlichen Winterkurse oder besuchten andere Kurse, bekamen dort Unterricht über das soziale Versicherungswesen, über Berufsunfälle, über Steuerfragen, über Buchführung, über brennende Fragen der modernen Gesetzgebung und bald merkte die Bevölkerung wie dieser und jener in praktischen Fragen des Lebens viel besser beschlagen und viel besser auf dem Laufenden war wie der Herr Pfarrer.257

Herbert Wurster hat auf die enorme Anpassungsleistung hingewiesen, die der bayerische Klerus in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg – zusätzlich bedingt durch den Verlust von Aufgabengebieten infolge der Trennung von Staat und Kirche – vollbringen musste: »Im Bereich der Ortsfürsorge übernahm der Bürgermeister die Aufgaben des Pfarrers, im schulischen Bereich konnte der Lehrer, bis dahin dem Pfarrer als niederer Kirchendiener unterstellt, eine im Prinzip gleich hohe und gleichberechtigte Stellung erringen.«258 Nach 1933 erleichterten die politischen Umstände die Verdrängung des Klerus aus seinen angestammten gesellschaftlichen Ämtern und Honoratiorenposten. Vielfach blieb dem Klerus nur mehr der binnenkirchliche Raum, in gesamtgesellschaftlicher Hinsicht wurde er mehr und mehr marginalisiert.

3.3.3 Defensive Abwehrhaltung des Klerus gegenüber den Lebensäußerungen der modernen Welt Grundsätzliche Werthaltungen und Einstellungsmuster des Klerus gegenüber seiner Umwelt blieben – zumindest bis in die 1950er Jahre – von einer gewissen Einheitlichkeit geprägt.259 So innovativ sich die kirchliche Hierarchie mitunter in konzeptioneller Hinsicht bei der Anpassung der überkommenen liturgischen Formen an manche 257 AEM; Finanzkammer Abt. II, 173, Vortragsmanuskript Kirchliche Vermögensverwaltung vom 6. 10. 1938. 258 Wurster, Passauer Diözesanklerus, 358; vgl. hierzu auch Liedtke, Bildungswesen, 81 f. und 409 ff. 259 Vgl. hierzu auch Fellner, Kirche in Bayern, 90. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Zeitumstände zeigte,260 so sehr standen sie und der Klerus dem gewandelten Kirchenund Wertverständnis der modernen Gesellschaft in einer vorwiegend defensiven Abwehrhaltung gegenüber. Bemerkenswert erscheint in diesem Zusammenhang eine im Kriegsjahr 1944 durch Bischof Maximilian Kaller von Ermland verbreitete seelsorgliche Leitlinie für den Klerus, die in Abdrucken auch in anderen Diözesen Verbreitung fand.261 In dieser 12-seitigen, von tief greifender Technik-, Konsum-, und Modernitätsskepsis geprägten Schrift, die auf einem durchaus hohen analytischen Reflexionsniveau einen Einblick in das katholische Menschenbild dieser Zeit eröffnet, werden immer mehr um sich greifender »Lebenshunger« und »Genußsucht« beklagt, deren »Intensität alles zu überbieten scheint, was die Vergangenheit an Beispielen bietet.«262 Kritisiert wird der moderne »Vergnügungsbetrieb«, welcher nur einer »Aufpeitschung der ohnehin schon geschädigten Nerven« diene und in dem Alkohol, Tabak, Kino, Mode, mondänes Leben und geschlechtliche Unzucht, kurz eine »Sturmflut von sündigem Genießen« im Mittelpunkt stünden. »Zwischen der Verlorenheit des Menschen an die Genussgüter und dem Absinken der Religiosität« bestünde eine enge Wechselbeziehung, »beides bedingt und steigert sich gegenseitig«263, so diese Schrift. Hierbei mischt sich Kritik am Verhalten der Individuen mit einer grundsätzlichen, negativen Charakterisierung der Moderne. Als Ursache der oben beschriebenen Phänomene werden Verstädterung und Entfremdung von der Natur durch industrielle Arbeit,264 260 Immer wieder vermochte die Kirche neben der Entwicklung neuer Strömungen wie der liturgischen Bewegung, die freilich überwiegend von Laien getragen wurde, auch in den 1920er und 1930er Jahren auf zeitbedingte seelsorgliche Herausforderungen mit der Entwicklung neuer Konzepte und Lösungen zu reagieren. Hier erschien sie überraschend beweglich und anpassungsfähig. So wurden unter anderem völlig neue Formen des Gottesdienstes etabliert. Bereits in den 1920er Jahren hatte beispielsweise Pater Rupert Mayer begonnen, für den stetig anwachsenden Strom an Bergsteigern und Tagesausflüglern sonntägliche Frühmessen in einer Seitenhalle des Münchener Hauptbahnhofs abzuhalten (Im November 1937 wurde die Abhaltung im Bahnhof untersagt, die Messen fanden von diesem Zeitpunkt ab in der Bürgersaalkirche statt, vgl. AEM, Ordinariatssitzungsprotokoll vom 05. 11. 1937). Erinnert sei auch an die oben genannten außerordentlichen religiösen Aktivitäten vor dem Hintergrund des Krieges. 261 Ein Exemplar in AEM, NL Thalhamer, Stw. Hirtenbriefe, Die Oberhirten der deutschen Diözesen an den hochwürdigen Klerus [07. 07. 1944]. 262 Ebenda, 1. 263 Ebenda, 4. 264 Vgl. ebenda, 4: »Der moderne Vergnügungsbetrieb trägt gerade dort, wo er seelsorgliche Gefahren heraufbeschwört, überall das Gepräge der Unnatürlichkeit. Dieses Erscheinen hängt zusammen zunächst mit der Verstädterung unseres Volkes. Mit Ausnahme der Sonn- und Feiertage ist den meisten Menschen die Möglichkeit genommen, die Schönheiten von Gottes Schöpfung in Wald und Feld zu genießen. Statt dessen ist eine geschäftige Industrie am Werk, für den freudehungrigen Menschen tausend künstliche Reize bereitzustellen, um dann selbst an dieser Technisierung des Genussverlangens zu verdienen. Zur naturfremden, künstlichen Reizbefriedigung führt auch die Art und die Dauer der industriellen Arbeit. Im Gegensatz zur Vergangenheit wird die Nervenkraft des einzelnen heute oft bis zur Grenze des Erträglichen beansprucht. Dadurch bekommt alles, was die Nerven aufpeitscht, eine besondere Anziehungskraft. Stille und Besinnlichkeit werden nicht © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Amt und Identität: Standesideal und priesterliches Wirken

ein neuzeitliches Ablenkungs- und Betäubungsbedürfnis,265 Unersättlichkeit266 und als tiefster Grund eine Lebensangst beschrieben, »bei der sich in eigenartigem Bunde die Flucht vor Gott mit der Flucht vor dem Leben vermählt.«267 Letztere sei Ausfluss einer systematisch betriebenen Loslösung des Menschen vom Göttlichen: Alle Gebiete des Wissens und des Schaffens werden planmäßig säkularisiert. Kein Wunder, dass der von seinem Schöpfer emanzipierte Mensch sich dann an das Geschöpf verliert, dass ihm in jenem ungeheuerlichen Loslösungsprozess allein noch nahebleibt. Gleichzeitig vollzieht sich ein anderes Geschehen: die aus ihrer tieferen Lebensordnung losgelöste Dingwelt beginnt, sich nach eigenen Gesetzen zu entwickeln. Sie versetzt dadurch den Menschen in eine Verlorenheit und Daseinsangst, die geradezu in überstürzte Flucht vor den Dingen ausartet.268

Dieser negativ charakterisierten Welt des Materialismus und ihren verfeinerten Lebensformen wird eine Welt der Einfachheit und Schlichtheit, der Bereitschaft zu Sühne und zum Opfer als Weg zum Heil gegenübergestellt. Dieser oberhirtlichen Weltsicht entsprach – in zumeist deutlich vergröberter Form  – auch die Weltsicht des Klerus und seine Einordnung der Gegenwartsphänomene, wie sie sich aus einer Vielzahl von Einzelquellen rekonstruieren lässt. Das patriarchalische Menschenbild des Klerus war dabei an überkommenen, von männlicher Dominanz und weiblicher Unterordnung bestimmten Wert- und Ordnungsvorstellungen orientiert. In den Seelsorgeberichten scheinen, neben aller sachlichen Grundierung, angesichts der vermeintlichen »Zersetzungserscheinungen, die dem Zeitgeist der Lauheit und seelischen Haltlosigkeit«269 entsprängen, häufig Ressentiment und Polemik durch, eine bei Seelsorgern doch in gewisser Weise irritierende Haltung.270 Vor allem die »Familie als Keimzelle der Volksgemeinschaft« und damit die mehr ertragen. Der Lärm wird zum Bedürfnis und zum Wesensmerkmal solcher ›Erholung‹.« (Hervorhebung im Original). 265 Vgl. ebenda, 4 f.: »Der moderne, von Gott losgelöste Mensch sucht in der Qual der schweren Unlustgefühle Stunden der Betäubung, um für kurze Zeit alles zu vergessen, was ihn bedrückt. […] Der vom Leben wirklich oder vermeintlich überbelastete Mensch sucht die Erlösung nur zu gerne in einer Berauschung, die er sich in verschiedenster Weise überall bequem und ohne Anstrengung verschaffen kann – eine armselige Nachahmung der echten Ekstase! Hierher gehören nicht nur die alkoholischen Getränke, nach denen er gierig greift, sobald sie erreichbar sind, sondern auch aufregende sensationelle Vergnügungen aller Art, die wenigstens zeitweise aus der Nüchternheit des Lebens herausführen.« 266 Vgl. ebenda, 5: »Endlich ist festzustellen, dass der Lebenshunger des heutigen Menschen häufig den Stempel der Unersättlichkeit an sich trägt. Faustische Begierden beherrschen ihn und führen in ihrem nie zu erfüllenden Steigerungsbedürfnis bis zum Übermaß.« (Hervorhebung im Original). 267 Ebenda, 5 (Hervorhebung im Original). 268 Ebenda, 5. 269 AEM, Seelsorgeberichte, Dekanat Mühldorf, Seelsorgebericht der Pfarrei Kraiburg für das Jahr 1944. 270 Irritieren muss es auch, wenn der Pfarrer von Feldkirchen im Seelsorgebericht nicht nur darauf hinweist, dass einzelne »Kriegersfrauen« hinsichtlich »ihrer Männerbekanntschaften« ein schlechtes © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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natürliche sittliche Ordnung war nach Auffassung des Klerus »stark in der Auflösung begriffen.«271 Von den Männern unter den ihnen anvertrauten Pfarrkindern erwartete der Klerus vor allem, dass sie in der Lage seien, die »häusliche Zucht«272 gegenüber den eigenen Familien und den Dienstboten aufrechtzuerhalten. Dies war nach Auffassung des Klerus häufig nicht der Fall, vor allem im Hinblick auf die religiöse Erziehung »versagen die Väter fast vollständig«273 und »die Kinder spielen mit dem Verhütungsgummi und wissen genau, wozu dieser gehört«274 – um ein besonders bizarr anmutendes Bild aus einem Seelsorgebericht zu bemühen. Die Frauen hatten entsprechend dem Idealbild des Klerus ein besonders sittliches und frommes Erscheinungsbild abzugeben, doch gerade sie waren immer in Gefahr, einem »leichtsinnigen, um nicht zu sagen sehr oft sogar sehr liederlichen Lebenswandel« zu verfallen. Der Erzbischof befeuerte den Kampf gegen die sittenverderbende Präsenz des weiblichen Körpers mit detaillierten Anweisungen zur »Durchführung der bischöflichen Leitsätze zur öffentlichen Sittlichkeit insbesondere im Kampf gegen die Familienbäder und das Schauturnen von Frauen und Mädchen«275. Viele Frauen könnten »Versuchung und Verlockung«276 nicht widerstehen, ihnen wurde vorgeworfen, sie hätten sich in »würdelose[m] Verhalten« etwa nach 1945 »an die fremden Besatzungssoldaten geradezu weggeworfen«277. Dass nach Kriegsende angeblich von »polnischen und russischen Weibern ganze Nächte Beispiel gegeben hätten, sondern dass dieser Umstand auch durch öffentlichen Aushang bekannt gemacht wurde; vgl. AEM, Seelsorgeberichte, Dekanat München-Nordost, Seelsorgebericht der Pfarrei Feldkirchen bei München für das Jahr 1944. 271 AEM, Seelsorgeberichte, Dekanat München-Süd, Seelsorgebericht der Stadtpfarrei St. Margaret für das Jahr 1944. 272 AEM, Seelsorgeberichte, Dekanat Baumburg, Neujahresbericht der Pfarrei Engelsberg für das Jahr 1946. Ähnlich Dekanat Berchtesgaden, Seelsorgebericht der Pfarrei Asbach 1944: »Es fehlt in vielen Familien die strafende Hand des Vaters.« Klagen über die »Verlotterung« der Kindererziehung – womit vor allem liberalistische Tendenzen gemeint sind – sind häufig, dies wird als »bedauerliche Frucht der Nazizeit« gesehen; vgl. AEM, Seelsorgeberichte, Dekanat Dachau, Seelsorgebericht der Pfarrei Dachau-St. Jakob für 1944 und 1945. Ähnlich Kriegs- und Einmarschbericht der Pfarrei Ismaning, in: Pfister, Kriegs- und Einmarschberichte, Bd. 1, 231 ff., hier 231: »Durch die nationalsozialistische Erziehung ist die Jugend schon vom Kindergarten angefangen zum Fordern und zur Frechheit, nicht aber zum Gehorsam und zur Ehrfurcht und zur Arbeit erzogen worden.« Der NS-Pädagogik wird in diesem Bericht mithin kurioserweise ein liberalistischer Zug unterstellt. 273 AEM, Seelsorgeberichte, Dekanat Baumburg, Seelsorgebericht der Expositur Feldkirchen bei Trostberg für das Jahr 1943. 274 Vgl. AEM, Seelsorgeberichte, Dekanat München-Südost, Seelsorgebericht der Pfarrei St. Otto in Ottobrunn für die Jahre 1944 und 1945. »Ehrfurchtslosigkeit vor allem, was Menschen heilig ist, zeichnet die Kinder aus, besonders auch vor der Autorität als solcher«, resümiert der Bericht. 275 Amtsblatt München 1926, Protokoll der Freisinger Dekanskonferenz vom 18. 11. 1926, 7. 276 AEM, Seelsorgeberichte, Dekanat Dachau, Seelsorgebericht der Pfarrei Dachau-St. Jakob für 1944 und 1945. 277 AEM, Seelsorgeberichte, Dekanat Baumburg, Neujahresbericht der Pfarrei Engelsberg für das Jahr 1946. Bereits das Zeigen von bloßen Armen beim Dorftanz galt als Zeichen einer »verlotterte[n] Moral« und gab Pfarrer Kaspar Huber Anlass zu entsprechenden mahnenden Worten auf der Kanzel; vgl. Ostermeier-Aigner, Pendelpfarrer, 7. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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hindurch […] Orgien« gemeinsam mit amerikanischen Besatzungssoldaten veranstaltet wurden, fügte sich ins allgemeine Frauenbild des Klerus.278 Dem Krieg wurden jedoch nicht nur negative Entwicklungen zugesprochen: »Was keine Mission, keine Nachmission, kein Triduum, keine Predigten fertig gebracht haben, haben die Bomben zuwege gebracht: die Pfarrkinder von Ottendichl haben wieder zu beten angefangen«279, bemerkte der dortige Pfarrer in seinem Seelsorgebericht.280 Die Verachtung, die aus dem in vielen Seelsorgeberichten verwendeten Vokabular spricht, wird auch dann nicht nachvollziehbar, wenn man die Aufgabe des Klerus als Hirte der Moral und Sittlichkeit in Betracht zieht. Frauen wurden vor allem dort wertgeschätzt, wo sie als »Mütter zum weitaus größten Teil religiöse Wärme verbreiten«281. Die traditionelle Frömmigkeitspraxis war auch im 20. Jahrhundert jedoch überwiegend weiblich geprägt.282 So berichtete Pfarrer Anton Huber im Seelsorgebericht 1944 der Pfarrei Großinzemoos: »Die Monatskommunion empfangen von den Kindern 100 %, von den Frauen 70 %, von den Jungfrauen 10 %, von den Männern 1 %, von den Burschen 0 %.« Beklagt wurde bei den Pfarrkindern ferner die »religiöse Gleichgültigkeit«283 278 Pfister, Kriegs- und Einmarschberichte, Bd. 1, 251 ff., hier 252. Ähnlich ein Seelsorgebericht aus dem Jahr 1945: »Der Krieg ist aus, aber nicht der Leichtsinn. Unser Dorf, das bisher ohne Straßennamen war, hat ein Negergäßchen erhalten. Verheiratete Frauen schämen sich nicht sich selber und ihre heranwachsenden Töchter den Negern anzubieten mit der Ausrede, wir müssen doch was verdienen.« AEM, Seelsorgeberichte, Dekanat Rosenheim, Seelsorgebericht der Pfarrei Großholzhausen für die Jahre 1944 und 1945. 279 AEM, Seelsorgeberichte, Dekanat München-Nordost, Seelsorgebericht der Pfarrei Ottendichl für die Jahre 1944 und 1945. 280 Ähnliches findet sich auch in anderen Seelsorgeberichten, etwa in der Pfarrkuratie St. Joachim, wo der Pfarrer vermerkt: »Die Zerstörung der Kirche hat nicht unwesentlich zur Bildung eines lebendigen Gemeindebewusstseins beigetragen und die Guten noch mehr gestärkt in ihrem Zusammenhalt.« AEM, Seelsorgeberichte, Dekanat München-Süd, Seelsorgebericht der Pfarrkuratie St. Joachim für das Jahr 1944. Der Expositus von Pfraundorf vermerkte: »Der Krieg mit seinem Elend hat sich für das christliche Leben der Gemeinde eher zum Vorteil als zum Nachteil ausgewirkt. Das Sprichtwort ›Not lehrt beten‹ mag hier gelten. […] Besonders bei den Frauen, deren Mann oder Sohn im Felde steht, fällt das Gebet unter das Prädikat: Kriegswichtig.« AEM, Seelsorgeberichte, Dekanat Rosenheim, Seelsorgebericht der Expositur Pfraundorf für das Jahr 1944. Anders hingegen der Pfarrer von Ottobrunn: »Eine Einwirkung der Kriegsgeschehnisse auf eine Besinnung und Besserung ist kaum feststellbar.« AEM, Seelsorgeberichte, Dekanat MünchenSüdost, Seelsorgebericht der Pfarrei Ottobrunn für die Jahre 1944 und 1945. Positive und negative Deutungen hinsichtlich der Rückwirkungen der Kriegsereignisse auf die Seelsorge dürften sich beim Klerus in etwa die Waage halten. 281 AEM, Seelsorgeberichte, Dekanat Baumburg, Seelsorgebericht der Expositur Feldkirchen bei Trostberg für das Jahr 1943. 282 Vgl. zum Themenkomplex der weiblich geprägten katholischen Religion die instruktive Fallstudie von Moser, Frauen im katholischen Milieu, zu Olten (Schweiz). Dass die Rhetorik des Klerus in den 1920er Jahren gleichzeitig stark mit zeittypischer Männlichkeitssemantik aufgeladen wurde, stellt keinen Widerspruch hierzu dar; vgl. entsprechend: Meissner, Ganze Kerle. 283 AEM, Seelsorgeberichte, Dekanat Aibling, Seelsorgbericht der Pfarrei Berbling für 1945. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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der »notorischen Kirchenschwänzer[n]«284 und der »Ewig-Lauen«285 ebenso wie das »Interesse für weltliche Vergnügungen und Lustbarkeiten«286 und eine damit in Verbindung zu bringende »moralische Hemmungslosigkeit«.287 Auf die Frage, welche Missstände und Hindernisse in der Seelsorge existieren, gab ein Geistlicher dem Visitator zu Protokoll: »Sehr viele religiös gleichgültig, teilweise feindlich gesinnt. Terror!«288 Als dem kirchlichen Leben abträglich wurde in diesem Bericht aus dem Jahre 1930 der Sozialdemokratische Verein bezeichnet, 15 Jahre später beklagte ein anderer Bericht, »eine durch die Irrlehren des Nationalsozialismus bedingte sittliche Entartung auf allen Gebieten.«289 Geklagt wurde in fast allen Berichten über immer häufiger werdende Bigamien.290 Der Bericht der Stadtpfarrei St. Peter vermerkte zu den religiösen Verhältnissen nur noch mit einem gewissen lakonischen Gleichmut: »wie überall in der Großstadt«.291 »Die religiöse Gleichgültigkeit der Großstadt hat die meisten erfasst«292, formulierte auch der Pfarrer von St. Michael in MünchenPerlach. Bei den Einheimischen gehe »die überwiegende Mehrzahl in die Kirche […] weil und solange es Brauch ist«293, innere Anteilnahme und aktives Mitleben mit der Kirche fehlten. In den Seelsorgeberichten der Landpfarreien scheint nur selten ein günstigeres 284 AEM, Seelsorgeberichte, Dekanat Dachau, Seelsorgebericht der Pfarrei Großinzemoos 1944. 285 AEM, Seelsorgeberichte, Dekanat Baumburg, Seelsorgejahresbericht der Kuratie Garching-Siedlung 1945. 286 AEM, Seelsorgeberichte, Dekanat Aibling, Seelsorgbericht der Pfarrei Berbling für 1945. 287 AEM, Seelsorgeberichte, Dekanat Aibling, Seelsorgbericht der Pfarrei Au bei Aibling für das Jahr 1945. 288 AEM, Ordinariat, Visitationen 367, Protokoll über die Visitation von St. Achaz am 27. 08. 1930. Mit anderer Akzentsetzung ein Urteil aus der unmittelbaren Nachkriegszeit: »Die Signatur der Zeit ist nicht Hass gegen die Kirche, sondern Gleichgültigkeit.« AEM, Seelsorgeberichte, Dekanat München-Südost, Seelsorgebericht der Stadtpfarrei St. Franziskus für das Jahr 1945. 289 AEM, Seelsorgeberichte, Dekanat München-Süd, Seelsorgebericht der Stadtpfarrei St. Joachim für das Jahr 1945. 290 Gemeint ist hier eine zivile Wiederverheiratung nach vorheriger Scheidung ohne kirchliche Annullierung der vorherigen Ehe. Letztere war nur in vom kirchlichen Recht eng umgrenzten Fällen möglich. Die Bigamie galt als schwere Sünde und wurde in den Seelsorgberichten entsprechend kommentiert: »Ein Bauer, stramm mit dem Parteizeichen geschmückt, Vorstand des Veteranenvereins, hat sich von seiner im Dezember 1941 kirchlich angetrauten Frau scheiden lassen und hat mit Hilfe des Hitlerschen Standesamtes eine Geschiedene bekommen. Die Heimsuchung des Krieges macht die Christen nicht christlicher.« AEM, Seelsorgeberichte, Dekanat Rosenheim, Seelsorgebericht der Pfarrei Großholzhausen für die Jahre 1944 und 1945. Auf der Freisinger Dekanskonferenz 1926 hatte Faulhaber in Umsetzung eines Beschlusses der Bayerischen Bischofskonferenz von 1920 gefordert, im Kampf gegen die Bigamie müssten Bigamisten öffentlich und namentlich exkommuniziert werden; vgl. Amtsblatt München 1926, Protokoll der Freisinger Dekanskonferenz vom 18. 11. 1926, 7. 291 AEM, Ordinariat, Visitationen 367, Protokoll über die Visitation von St. Peter am 19. 09. 1933. 292 AEM, Seelsorgeberichte, Dekanat München-Südost, Seelsorgebericht der Stadtpfarrei St. Michael Perlach für die Jahre 1944 und 1945. 293 AEM, Seelsorgeberichte, Dekanat München-Land, Seelsorgebericht der Expositur Hofolding für die Jahre 1944 und 1945. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Bild auf, als in der Stadt. Der Pfarrer von Unterpfaffenhofen teilte seine Pfarrkinder in vier Kategorien ein: »Ablehnende, innerlich Fremde 20 %, Feige und Laue 35–40 %, Traditionell Denkende mit Beharrungsvermögen 30–35 %, Zuverlässige Kerntruppe 6–8 %.«294 Den Evakuierten, die während des Krieges in den ländlichen Gebieten Zuflucht suchten, wurde meist ein ebenso schlechtes Zeugnis ausgestellt: »Von den Evakuierten in der Gemeinde ist ein kleiner Teil der Kirche zugetan, der größere Prozentsatz hat durch ein freizügiges Leben (Kinofahren, spätes Aufstehen, Arbeitsscheu u[nd] Ehebruch!) kein kirchliches Interesse.«295 Zumindest in der Wahrnehmung des Klerus – die für die hier untersuchten Zusammenhänge allein von Interesse ist – herrschte auch hier überwiegend religiöser und sittlich-moralischer Notstand. In einem Überblicksreferat zur seelsorglichen Situation auf dem Lande wurden auf der Diözesansynode 1930 eine Reihe von Missständen in den ländlichen religiösen Verhältnissen angeführt: Illegitime Kindsväter und -mütter, Bigamien, Mischehen, Ehescheidung, »Exzesse« (Männer und Burschen im Wirtshaus und auf dem Dorfplatz während des sonntäglichen Gottesdienstes), Abmeldung vom Religionsunterricht, Kirchenaustritt und -übertritt und eine glaubens- und sittenlose Jugend. Seien früher Sünden hauptsächlich gegen die zweite Gesetzestafel verübt worden, so wären jetzt auch Angriffe auf die erste Tafel weithin verbreitet.296 Begründet lag dies nach Auffassung des Referenten in einer Fülle von Ursachen, deren Zusammenstellung höchst eigenwillig anmutet. Auf weltlicher Seite waren zu nennen das Gasthaus mit seinen Veranstaltungen. Warenhaus mit Mode und Ansichtskarten. Kaserne und dortige Moral und Politik. Fremdenverkehr und Ansiedelung haben Kirche und Gott auf den Warteposten gestellt. Moral der Strandbäder und Trachtenvereine. Reklame und Kataloge. Neuzeitlicher Verkehr und Genusssucht. Politik und Wirtschaftsnöte …297

Doch auch auf kirchlicher Seite seien Defizite zu beklagen, welche für die oben genannten Missstände mit verantwortlich seien: Der Priestermangel, das kirchliche Filialsystem und damit verbundene Wechselgottesdienste, der Raummangel in vielen Landkirchen, das Fehlen eines Vereinshauses, weite Wege und unzureichende Bemühungen seitens des Klerus in der Meinung, der Bauernstand gehe nicht verloren. Die Auswirkungen dieser Zustände auf die Jugend seien eine religiöse und seelische Not, die zu drückender Wirtschaftsnot noch hinzukomme. Diese komme 294 AEM, Seelsorgeberichte, Dekanat München-Südwest, Seelsorgebericht der Pfarrei Unterpfaffenhofen für die Jahre 1944 und 1945. 295 AEM, Seelsorgeberichte, Dekanat Rosenheim, Seelsorgebericht der Expositur Pfraundorf für das Jahr 1944. 296 Doppelreferat V: Seelsorge auf dem Lande, besonders für die Bauernjugend, in: Bericht Diözesansynode 1930, 21–23, hier 22. Mit den beiden Gesetzestafeln sind die Gebote 1 bis 3 (erste Tafel) und 4 bis 10 (zweite Tafel) des Dekalogs gemeint. Die erste Tafel regelt das Verhältnis der Menschen zu Gott, die zweite Tafel das Verhalten der Menschen untereinander. 297 Ebenda. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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zum Ausdruck in einer förmlichen »Kirchen- und Priesterscheu«, der Missachtung aller Gebote, Genusssucht und Unzufriedenheit.298 In durch das Generalvikariat verbreiteten Anregungen zu den Fastenpredigten für das Jahr 1938, wurde als deren Ziel im Hinblick auf das christliche sittliche Leben die »Sicherung gegen moralische Zeitkrankheiten und Gefahren (Naturalismus, krasser Vitalismus)« bezeichnet.299 Während des Zweiten Weltkriegs wurde das Repertoire der Ressentiments erweitert, etwa um Fremdarbeiter: Die meisten sind religiös sehr uninteressiert, abgestumpft, verbittert und verhungert und nur ein kleiner Teil besonders der Italiener und einiger weniger Franzosen kommen regelmäßig in die Kirche und zu den Sakramenten. Umso größer wirkt sich aber das Lasterleben aus. Ein Blick in das Taufbuch zeigt den Rassenmischmasch und den sittlichen Tiefstand.300

Stereotypen dieser Art ließen sich in beliebiger Folge aneinanderreihen. In ihnen kommt eine tiefe Distanz und Verständnislosigkeit angesichts des sozialen und gesellschaftlichen Wandels und der Transformation gesellschaftlicher Strukturverhältnisse zum Ausdruck, auf die der Klerus in keiner Weise vorbereitet war. Sein Leitbild blieb ein »Lebensrhythmus, der sich ausrichtete an natürlichen Zeitläuften und damit alles Übereilte und Flüchtige ebenso ablehnt wie die oberflächliche Genusssucht«, konstatierte Michael Fellner.301 Das Normengerüst des Klerus war bestimmt von reglementierenden Wertbezügen wie Einfachheit, Genügsamkeit, Zucht, Ordnung, Askese und Maßhalten302 also Werten, die einerseits mit seinem Herkunftsmilieu harmonierten und andererseits in seiner Ausbildung umfassend internalisiert worden waren. Die »Rettung« vor den Zeitübeln und Missständen sah man in »der Gnade Gottes« und im »katholischen Priester, der die Rettungsmittel in Händen trägt«303. Der Klerus vertraute auf Gott als Weltenlenker und nicht zuletzt auf die normativen Kräfte des eigenen Standes.

298 Vgl. Ebenda. 299 Vgl. AEM, NL Thalhamer, Stw. Fasten, Fastenzeit, Anregungen zu den Fastenpredigten 1938. 300 AEM, Seelsorgeberichte, Dekanat Mühldorf, Seelsorgebericht der Pfarrei Kraiburg für das Jahr 1944. 301 Fellner, Kirche in Bayern, 91. 302 Ebenda. 303 Doppelreferat V: Seelsorge auf dem Lande, besonders für die Bauernjugend, in: Bericht Diözesansynode 1930, 21–23, hier 22. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Zwischen Distanz und Partizipation: Aspekte der priesterlichen Identität und Lebenskultur

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Das katholische Pfarrhaus: Organisationsformen und Bewohner

4.1.1 Die Hausgenossen des Pfarrers Wenngleich der katholische Priester zu einem zölibatären Leben verpflichtet war, so bedeutete dies keineswegs, dass er sein Leben allein zubrachte. Der Weltpriester war durch seinen Stand nicht zu einem Eremitendasein verpflichtet und er pflegte ein solches im Regelfall auch nicht. Die soziale Gemeinschaft des katholischen Pfarrhauses bildete mit ihren je unterschiedlichen Ausprägungen einen gewissen Ersatz für familiäre Strukturen.1 Im Vergleich zum evangelischen Pfarrhaus bildete das katholische Pfarrhaus aufgrund des Zölibates jedoch keine intergenerationellen Strukturen heraus, auch ist es bislang nicht wissenschaftlich untersucht.2 Das engere soziale Umfeld des Priesters setzte sich in je unterschiedlicher Zusammensetzung vorwiegend aus Angehörigen seiner eigenen Kernfamilie, häufig den Eltern oder einem Elternteil, Geschwistern, einer oder mehreren Haushaltskräften sowie Mitbrüdern aus dem priesterlichen Stand zusammen. Dazu kamen häufig Gäste, wie etwa zur Vorbereitung auf die höheren Schulen in das Pfarrhaus aufgenommene Knaben. Bei aller Verschiedenheit der Formen des Zusammenlebens ist allen gemeinsam, dass in ihnen Priester und Laien in Gemeinschaft lebten. Die Laien unter den Hausgenossen nahmen nicht selten auch pfarramtliche Hilfsaufgaben, wie den Empfang von Besuchern, Verwaltungstätigkeiten u. ä. wahr.3 Somit ist eine gewisse Spannung zur Klerikalisierung des Priesterideals festzustellen. Sobald der Weltgeistliche das Seminar hinter sich gelassen hatte, war er nicht nur im Berufsalltag, sondern auch bei seinen privaten Lebensvollzügen von Laien umgeben. Auch die Inhaber von kleineren und Kleinstpfarreien, Expositi und exponierte Kooperatoren, verfügten ebenso wie die Ruhestandsgeistlichen im Regelfall über eine mit ihnen in Hausgemeinschaft lebende Haushälterin, die häufig eine 1 Wenn Kerschbaumer, Paterfamilias, 8 konstatierte, dass ein Priester am besten in seiner Pfarrei stürbe, denn dort, in ihr habe er seine Familie, trifft dies die soziale Realität nur bedingt, in der auch beim größten persönlichen Einsatz eine Pfarrgemeinde die familiäre Nahbindung zu einigen wenigen Personen nicht ersetzen konnte. 2 Zur Kultur- und Sozialgeschichte des evangelischen Pfarrhauses vgl. Greiffenhagen 1984. 3 Vgl. Gatz, Kultur des priesterlichen Alltags, 296. 1918 waren in größeren deutschen Städten erstmals Frauen zur Unterstützung der Pfarrseelsorge hauptamtlich angestellt worden, erst im Verlauf der 1920er Jahre bildete sich allmählich der Beruf der Gemeinde- bzw. Seelsorgehelferin heraus, vgl. Sohn-Kronthaler/Sohn, Frauen in der Kirche, 511–514. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Zwischen Distanz und Partizipation: Aspekte der priesterlichen Identität und Lebenskultur

nahe Familienangehörige war, nur in seltenen Fällen lebten sie vollkommen allein. Diese Lebensform der kleinen Hausgenossenschaft kam überwiegend auf dem Land und zum kleineren Teil – etwa bei Kommoranten oder bei Universitätsprofessoren – auch in der Stadt vor. Ein kleineres Landdekanat, wie etwa das rund 7.000 Katholiken zählende Dekanat Egenhofen, in dessen 12 jeweils nur für einige hundert Katholiken zuständigen Pfarreien zumeist nur ein Seelsorger wirkte, bestand fast ausschließlich aus solchen kleinen Hausgenossenschaften.4 Weiter verbreitet als diese waren jedoch Lebensformen, die vor allem durch die Gemeinschaft mehrerer Geistlicher, zumeist unterschiedlicher Hierarchieebenen, in einem Haushalt geprägt waren. Bei diesen Klerikern handelte es sich neben dem Pfarrherrn um die unselbständigen Hilfsgeistlichen, Prediger und Benefiziaten einer Pfarrei. Auch in den größeren Hausgemeinschaften lebten immer Laien zum Zwecke der Haushaltsführung. Vorherrschend war diese Lebensform sowohl in den mittelgroßen Landpfarreien sowie in den Pfarreien der Klein- und Mittelstädte und auch in der Großstadt München. Die Größe der Pfarreien und auch die Zahl der zur Verfügung stehenden Wohngebäude und Wohnräume variierte bedeutend. Nicht alle Geistlichen einer Pfarrei lebten zwangsläufig in einem Haus. Je nach Pfarrei standen mehrere Gebäude, oft eigene Benefiziaten- oder Kaplanshäuser zur Verfügung.5 Einen Sonderfall stellten die selbst bewirtschafteten Ökonomiepfarreien dar, die in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg jedoch bereits eine Ausnahmeerscheinung waren. Da es sich hier um arbeitsintensive landwirtschaftliche Betriebe handelte, war zu deren Führung einiges an Personal, d. h. vor allem Knechte und Mägde erforderlich. In der Pfarrökonomie Schwindkirchen lebten in den 1920er Jahren neben Pfarrer Ludwig Schwaiger6 seine Knechte und Mägde und auch seine Schwester, beider Mutter, ferner eine Pfarrhaushelferin und der Kooperator.7 Hieraus wird auch die im Vergleich zu 4

Das Dekanat bestand im Jahr 1939 aus 12 Pfarreien. In diesen wirkten insgesamt 17 Geistliche. In zehn Pfarreien war jeweils nur ein Geistlicher, nämlich der Pfarrer selbst, tätig. Nur ein Pfarrer hatte einen Kooperator am Pfarrort, ein weiterer beherbergte einen Kommoranten. Die übrigen drei Geistlichen hatten als exponierte Kooperatoren und Benefiziaten ihren Sitz nicht am Pfarrort; vgl. Schematismus 1939, 18 f. Über die Zahl des Hauspersonals liegen keine Erkenntnisse vor. 5 So verfügte etwa die Pfarrei München-St. Peter mit sechs Nebenkirchen nicht nur über einen Pfarrhof, sondern auch über ein separates Pfarrerwohnhaus, ein eigenes Benefiziatenhaus und weitere Wohnhäuser. 1939 lebten in der Pfarrei 27 Geistliche; vgl. Schematismus 1939, 40 ff. Für wiederholte hilfreiche Auskünfte zur Struktur von St. Peter in dieser Zeit danke ich Pfarrarchivar Johannes Haidn M.A. 6 Ludwig Schwaiger, geb. am 31. 07. 1875 in Binsham, Priesterweihe 1902 in Freising, Aushilfspriester in Steinkirchen, Koadjutor in Niederbergkirchen, 1903 Kooperator in Schönberg, 1908 auf Ansuchen von dort enthoben, Pfarrvikar in Asbach, Pfarrvikar in Mettenheim, 1909 Expositus in Sünzhausen, Pfarrvikar in Pfrombach, dann Pfarrer ebenda, 1920 Pfarrer in Schwindkirchen, vor dem 09. 10. 1943 frei resiginiert (genaues Datum nicht feststellbar), gest. am 21. 01. 1944; vgl. Schematismus 1939, 15 und 226; Nekrologium 1962. Der Personalakt ist nicht erhalten. 7 Vgl. Kerschbaumer/Waxenberger, Schwindkirchen, 17. Der Ökonomiegeistliche Johann Jäger erinnerte sich an das sukzessive Anwachsen des Haushalts in der gemeinsam mit seinem Bruder geführten Pfarrökonomie Kay nach dessen Eheschließung: »Nun war auch die Schwägerin in © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

Das katholische Pfarrhaus: Organisationsformen und Bewohner 303

seinen Standesgenossen unterschiedliche soziale Umwelt des Ökonomiegeistlichen deutlich. Statt allein mit seiner Haushälterin, oder im größeren Kreis von Mitbrüdern, war er Teil bzw. Vorstand einer bäuerlich geprägten Großfamilie, mithin blieb er seiner Herkunftswelt – die Ökonomiegeistlichen stammten in allen eruierbaren Fällen aus bäuerlichen Familien – stärker verbunden als seine Mitbrüder. Im Gesamtblick auf die Formen priesterlicher Hausgenossenschaften kann kein idealisiertes Bild einer Ersatzfamilie gezeichnet werden, welche die sozialen Folgen des Zölibates und eines auf Distanz, Zurückhaltung und Musterhaftigkeit des Lebenswandels ausgerichteten priesterlichen Standesideals hätte vergessen lassen. Das Verhältnis zwischen den Pfarrherrn und ihren Hilfspriestern war häufig belastet.8 Hinzu kamen nicht selten die negativen Folgen der in den nachfolgenden Abschnitten geschilderten Hausgemeinschaften mit nahen Familienangehörigen oder Haushälterinnen. Mitbrüder, denen man aus gemeinsamen Seminartagen freundschaftlich zugetan war und mit denen man vertrauten Umgang auf Augenhöhe hätte pflegen können, waren räumlich zumeist nicht schnell erreichbar. Dies führte offenbar nicht selten zu Vereinsamung, Resignation, Verbitterung und als kauzig geschilderten Verhaltensweisen, die immer wieder beklagt wurden.9 4.1.1.1 Priestermütter Die Mutter blieb auch nach der Priesterweihe häufig eine wichtige, wenn nicht die zentrale Bezugsperson im Leben vieler Kleriker.10 Die Wohngemeinschaft mit der Mutter, welche die Haushaltsführung übernahm, war nicht selten.11 In seiner pastoral-

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unserem Kreis, dazu noch 4–5 Dienstboten. Im Lauf der Jahre sind dann 5 Kinder im Pfarrhof herumgelaufen«; vgl. Johann Jäger, Autobiographisches Fragment, 6. In Kay lebte neben dem Pfarrer mit dessen Bruder sogar ein zweiter (männlicher) Haushaltsvorstand. Vgl. etwa die Beschreibung bei Bernhart, Kaplan, 183 f.: »Dieser Herr [der Pfarrer; Th. Fo.] der auf den ersten Blick aus Misstrauen und Eigensinn zusammengesetzt erschien, händigte mir das Verzeichnis meiner Pflichten aus und führte mich in mein Zimmer, das vom seinigen nur durch das öde Geviert des Korridors getrennt war. Hier hat man sich sehr ruhig zu verhalten, sagte er, und als ich die Frage wagte, ob auch Violinspiel nicht erlaubt sei, versetzte er, in der Stunde seines Dämmerschoppens möge ich nach Belieben kratzen. […] Die Mahlzeiten wurden im Zimmer unseres Herrn eingenommen, und der ersten glichen alle folgenden: schweigsam wie die Kartäuser leerten wir unsern Teller, und da es den Kaplänen nicht gestattet war, sich in den Pausen gemäß dem Beispiel ihres Befehlshabers mit der Zeitung zu beschäftigen, so blieb uns Stummen nur der Blick nach Tisch und Fenster, es sei denn noch, und auch diese Freude überlebte sich, das Studium des Profils, das der Lesende uns, die sich zu beiden Seiten gegenübersaßen, in steinerner Regungslosigkeit zuwandte.« Vgl. ebenda und 277 f. Eine ausführliche pastoralsoziologische Betrachtung des Themas Priestermütter, die aber historische Bezüge weitgehend ausspart, bietet Körber-Hübschmann, Priestermütter. Der Mutter ging dann häufig eine zweite Kraft als Hilfe zur Hand; vgl. entsprechende Stellenanzeigen und -gesuche im Klerusblatt, etwa: Klerusblatt 1931, 15. Aus Formulierungen wie »Einfaches Fräulein […] sucht Stelle als Haushälterin. Geht auch neben Schwester oder Mutter« wird deutlich, dass diese Situation nicht von allen Haushaltsgehilfinnen akzeptiert wurde; vgl. auch Klerusblatt 1931, 63. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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soziologischen Studie über Werden und Krise des Priesterberufs hob Jakob Crottogini den »überragenden Einfluss« hervor, den die Mutter bereits im Hinblick auf die Berufswahl und frühe Prägung der Priester einnahm: »Deren [der Priestermütter; Th. Fo.] seelische Macht ist stärker, als alle anderen gesellschaftlichen Kräfte.«12 Ähnlich äußerte sich der Jesuit Robert Quardt, der konstatierte, dass »die Frage des Priesternachwuchses […] weithin eine Frage der Mutter, der priesterlichen Mutter [sei] die, selbst priesterlich gesinnt, den priesterlichen Geist den Söhnen vermittelt.«13 Dies bedeutete gemäß der zeitgenössischen Interpretation, dass die Mutter für »echt christliches Familienleben, sittliche Sauberkeit, priesterfreundliche Stimmung«14 und anderes mehr Sorge zu tragen hatte. Das Mutter-Sohn-Verhältnis war gelegentlich derart eng, dass man in manchen Fällen von mangelnden Ablöseprozessen von der mütterlichen Fürsorge und entsprechend fehlender Reife sprechen muss.15 Die enge Mutterbindung hatte jedoch nicht zuletzt auch einen theologisch begründbaren Zusammenhang mit der katholischen Marienverehrung, galt doch Maria als die »wahre geistige Mutter jedes einzelnen Gliedes Christi«16. Dies wurde theologisch als »geheimnisvolle Berufsverwandtschaft« zwischen der Mutter Jesu und den Priestermüttern interpretiert.17 Das enge Bindungsverhältnis zur Mutter als »einzige menschliche Liebe, welcher man sich mit ganzem Herzen hingeben kann ohne Entweihung fürchten zu müssen« überhöhte und sublimierte der Priester idealerweise durch die besonderen Verehrung der Muttergottes, so der Jesuit Josef Lachmair.18 Bereits bei den Zeitgenossen findet sich mitunter durchaus eine gewisse Kritik an diesem Nahverhältnis, etwa wenn der Subregens des Münchener Georgianums über den dortigen Direktor Eduard Weigl und dessen Mutter berichtet: »Die einfache, aber kluge und praktisch veranlagte Frau war, 75 Jahre alt, mit ihrem Sohn nach München ins Georgianum gezogen. Ihr widmete er [d. i. Weigl; Th. Fo.] täglich nach dem Abendessen einige Zeit, plauderte mit ihr und besprach mit ihr auch Angelegenheiten des Hauses. Bisweilen zeigte sich, dass Weigls Mutter über das Geschehen im

12 Vgl. Crottogini, Priesterberuf, 368: Kein einziger von 621 hierzu befragten Geistlichen hatte eine nicht-fromme und »nicht praktizierende« Mutter, sehr häufig aber »konventionelle« oder »unreligiöse« Väter. Die Rolle der Mütter wird auch in den autobiographischen Reflexionen der Kleriker über ihre Berufswahl deutlich. 13 Quardt, Priestermütter, 44. 14 Ebenda, 46 f. 15 Gelegentlich konnte die dauerhafte Gegenwart der Mutter für die betroffenen Geistlichen auch ins Unerträglich ausarten, wie etwa folgendes Qualifikationszeugnis eines zu diesem Zeitpunkt bereits 57-jährigen Geistlichen zeigt: »H. Pfarrer leidet unter den Verhältnissen im Pfarrhause. Wie mir öfters schon erzählt wurde, wird er von seiner betagten Mutter, bei der es ein Dienstmädchen kaum wenige Monate aushalten kann, zu Arbeiten herangezogen, die sonst nur eine Hausgehilfin verrichtet.« AEM, Priesterpersonalakten P III 77, Qualifikationszeugnis vom 24. 06. 1958. 16 Vgl. Lachmair, Maria als Mutter [unpaginiert]. 17 Ebenda. 18 Ebenda. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Hause besser unterrichtet war als sein Subregens.«19 Der junge Kirchenhistoriker Anton Michel20, damals noch nicht Professor, begründete 1917 ein Stellengesuch mit der schlechten Gesundheit seiner Mutter, die durch »schwere Schicksalsschläge […] in Bedrängnis gebracht« worden sei: »Es ist daher Kindespflicht für den ehrfurchtsvoll Unterfertigten [d. i. Michel; Th. Fo.], sich um eine Lebensstellung umzusehen, die ihn zu einer greifbaren Stütze seiner schwer geprüften Mutter werden lässt«, schrieb Michel an Kardinal Bettinger um seine Bewerbung auf das Allerseelenbenefizium bei St. Peter zu untermauern.21 Eine derartige Begründung war keinesfalls außergewöhnlich, sie galt gegenüber Vorgesetzten durchaus als legitim und mit ihr ließ sich auch Fehlverhalten, etwa Überschuldung um für die Mutter oder gar beide Eltern aufkommen zu können, entschuldigen, konnte der betroffene Geistliche doch stets auf das vierte Gebot verweisen.22 4.1.1.2 Pfarrhaushälterinnen Bis in die 1970er Jahre, in denen sich das Rollenverständnis des Klerus stark veränderte, gehörte eine Pfarrhaushälterin fest zum priesterlichen Lebensumfeld. Über eigene Haushälterinnen verfügten im Regelfall nur Priester mit selbständigen oder teilselbstständigen Seelsorgestellen und damit verbundenem eigenen Haushalt. Die Hilfsgeistlichen wurden von der Haushälterin des Pfarrvorstandes mit versorgt. Idealerweise führte eine »nächste oder nähere Verwandte, in jedem Fall nur Personen von untadeligem Ruf und vorgerücktem Alter«23 den Haushalt. Häufig war dies die Mutter, eine leibliche Schwester oder eine Nichte des Priesters. Durch diese Bestimmung beugte das Kirchenrecht zugleich einem ansonsten denkbaren Konkubinat oder möglichen Gerüchten über ein solches vor. Marianne-Franziska Imhasly wies auf die möglichen Motivlagen der Frauen hin: Eine sichere, wenngleich bescheidene Lebensstellung, bei den älteren Frauen auch eine Form der Altersversorgung. Häufig dürfte auch der Wunsch des geistlichen Bruders oder Onkels ausschlaggebend gewesen sein.24 Diese Lebensform findet sich bis in die obersten Ränge des Klerus. Den Haushalt des Münchener Generalvikars Ferdinand Buchwieser führten zwei seiner Nichten25, 19 Vierbach, Eduard Weigl, Abschnitt 3 [unpaginiert]. 20 Vgl. zu seiner Biographie Kapitel 2.4.3 dieser Arbeit. 21 AEM, Priesterpersonalakten P III 1163, Michel an Bettinger vom 02. 04. 1917. Die Bewerbung war nicht erfolgreich, vermutlich hat sie den schwer erkrankten Kardinal, der wenige Tage später verstarb, auch nicht mehr erreicht. 22 Die Notwendigkeit zur Versorgung der Eltern wurde bei Überschuldung auch dann als Ausrede benutzt, wenn eine solche Notwendigkeit gar nicht gegeben war, vgl. etwa den Fall von Korbinian K. in Kapitel 4.2.3. 23 Vgl. Standespflichten des Klerus, in: Bericht Diözesan-Synode 1940, 16–20, hier 16. Die entsprechende Vorschrift war in can. 133 des CIC niedergelegt. Als »vorgerückt« galt im Allgemeinen ein Alter von über 40 Jahren, also ein Alter, in welchem Frauen seinerzeit im Regelfall nicht mehr empfängnisbereit waren. 24 Vgl. Imhasly, Pfarrer, 72 25 Vgl. Frei, Verfolgungen, 408. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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im Haushalt von Kardinal Faulhaber war die bei ihm wohnende leibliche Schwester Katharina zwar nicht für die Haushaltsführung zuständig – dies erledigten Ordensschwestern –, sie fungierte aber als Privatsekretärin und rechte Hand des Kardinals und war, gewissermaßen als Äquivalent zum Priestersekretär, unter anderem für die Erledigung seiner umfangreichen Privatkorrespondenz zuständig.26 Betrachtet man die zahlreichen Stellengesuche von Pfarrhaushälterinnen im Anzeigenteil des Klerusblatts, wird ihr Idealprofil deutlich: Selbständig, sparsam, gesund, kräftig, zufrieden auch mit einfachen Verhältnissen, arbeitsam, sittlich einwandfrei, erfahren, vielfältig einsetzbar sowohl für Haushalts- und Garten-, als gelegentlich auch für Büroarbeit.27 Die Anforderungen an den Berufsstand waren nicht gering: Eine gute Pfarrhaushälterin soll der ganzen Pfarrgemeinde Vorbild und Beispiel sein. […] Es ist bei weitem nicht genug, dass sie in der Stille danach trachtet, ein gottnahes Leben zu leben. Nein, sie muss noch im Besonderen nach außen hin ein ganz und gar vorbildliches Leben führen. Deshalb ist es so überaus wichtig, dass sie, nachdem sie nun ihre Tätigkeit im Priesterhause aufgenommen hat, in all ihrem Tun und Lassen, im Kleinsten wie im Großen ein Heiliges sieht.28

Da die Priester zumeist aus kinderreichen Familien stammten, stellte die Suche nach einer Haushälterin im familiären Umfeld selten ein Problem dar.29 Ihre Entlohnung war dabei im Regelfall gering, die nahen Verwandten erhielten häufig gar keine Entlohnung und wurden auch nicht versichert, da ihre Stellung in dieser Hinsicht nicht als »dienend« angesehen wurde, sondern als Form der »Familiengemeinschaft«,30 wenngleich mit deutlicher Unterordnung unter den Pfarrherrn. Auch Angestellte scheinen gelegentlich hinsichtlich ihrer künftigen Versorgung auf testamentarische Verfügungen des Pfarrherrn vertröstet worden zu sein.31 Die Pfarrhaushälterinnen waren in Bayern seit den 1920er Jahren zunehmend in eigenen Vereinen organisiert, die den Zweck von Berufsverbänden erfüllten. In München und Freising wurde 1925

26 Freundliche Mitteilung von Lic. theol. Susanne Kornacker vom 09. 10. 2009 an den Verfasser. 27 Zum Idealprofil der Pfarrhaushälterin auch: Nickel, Theologisch-praktische Monatsschrift, 279 f.; Wibbelt, Martha und Maria. 28 M.E.K., Religion und Leben in der Häuslichkeit eines Pfarrers. Die Pfarrhaushälterin, eine besondere Berufstätigkeit, in: Klerusblatt 1940, 174. 29 Stellengesuche im Klerusblatt deuten darauf hin, dass tendenziell ein Überangebot an Arbeitskräften bestand; vgl. diesbezüglich auch Gatz, Kultur des priesterlichen Alltags, 296. 30 Vgl. Bobinger, Altersversorgung, 4. Zum Problemkreis der (fehlenden) Entlohnung der Pfarrhaushälterin siehe auch Nickel, Theologisch-praktische Monatsschrift, 273 Anm. 594. 31 Vgl. Wurster, Passauer Diözesanklerus, 363, für die Diözese Passau. Dort musste im Rahmen der Diözesansynode 1929 ausdrücklich darauf hingewiesen werden, dass diese Praxis unzulässig ist. Bobinger, Altersversorgung, 4 betonte, dass die herrschende Praxis, vor allem die mangelnde Versicherung bzw. Altersvorsorge, im Fall des Todes des Pfarrherrn vielfach »bittere Not« der betroffenen Frauen zur Folge hatte. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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zur Behebung der wirtschaftlichen Notlage vieler Haushälterinnen der Verein der Pfarrhausangestellten gegründet und eine Fürsorgekasse eingerichtet.32 Das Aufgabenprofil der Pfarrhaushälterinnen war vielfältig und durchaus anspruchsvoll, es reichte von hausfraulichen Arbeiten wie der Zubereitung der Mahlzeiten, die Besorgung der Wäsche und der Reinigungsarbeiten über den Gartenbau, die Bewirtung von Gästen, bei Pfarrökonomien umfasste es auch landwirtschaftliche Arbeiten. Da vor dem Zweiten Weltkrieg Sekretariatskräfte in den Pfarreien noch weitgehend unüblich waren, erledigte die Haushälterin vielfach auch Aufgaben der pfarramtlichen Geschäftsführung, empfing Besucher, nahm deren Anliegen entgegen und vermittelte den Zugang zu den Geistlichen. Damit ging die Rolle einer Pfarrhaushälterin, auch wenn sie keine nahe Verwandte des Pfarrherrn war, fast immer über die einer gewöhnlichen Angestellten hinaus. Es handelte sich um ein besonderes Nahverhältnis, das tatsächlich Züge einer familiären Gemeinschaft von oft lebenslanger Dauer trug, auch wenn dabei die zölibatären Vorschriften eingehalten wurden. Sichtbar wurde dieses Nahverhältnis auch in äußeren Zeichen, wie etwa der weitgehend üblichen Mahlgemeinschaft mit dem Dienstherrn33 und gemeinsamen Urlaubsreisen.34 Aufgrund der Vielfältigkeit ihrer Aufgaben, der oft verwandtschaftlichen Nähe zum Pfarrherren, oder einer durch das Herkunftsmilieu der Geistlichen bedingten mangelnden Distanz gegenüber Hauspersonal, und nicht zuletzt aufgrund ihrer Ersatzfunktion im Hinblick auf die fehlenden Familienstrukturen des Geistlichen, spielten die Haushälterinnen häufig eine bedeutsame und einflussreiche Rolle. Zeitgenössische Mahnungen lassen erahnen, dass die gebotene Distanz oft nicht aufrechterhalten wurde. So warnt Joseph Lenhart in seinem Buch Der Priester und sein Tagwerk den Geistlichen: Dem Hauspersonal gegenüber ist natürlich jene Reserve am Platze, die unser priesterlicher Charakter verlangt. […] Besondere Sorge ist geboten im Hinblick auf das in der weiblichen Natur liegende Bestreben, sich Macht und Einfluss zu sichern und über den engeren Pflichten-

32 Vgl. Amtsblatt München 1925, 35 f.; Pimmer-Jüsten, tributa sacerdotibus, 173 f. Ferner war beabsichtigt, durch eine freiwillige Abgabe von einem Prozent des Klerikereinkommens eine »karitative Notstandshilfe« einzurichten, die in besonderen Notfällen einspringen und mittellosen ehemaligen Pfarrhaushälterinnen eine Nachversicherung ermöglichen sollte (vgl. ebenda, 174). Ob diese zustande kam, bleibt unklar. 33 In einem bürgerlichen, nichtklerikalen Haushalt, wäre eine derartige Praxis kaum denkbar gewesen. An der Mahlgemeinschaft mit dem Personal wird auch die Prägung durch eine kleinbürgerliche oder bäuerliche Herkunft deutlich. Im ersten Fall ist der Priester nicht an Hauspersonal gewöhnt und hat den gesellschaftsüblichen Umgang mit diesem entsprechend nicht internalisiert, im zweiten Fall überträgt er die bäuerliche Praxis der Mahlgemeinschaft mit dem Gesinde in den priesterlichen Haushalt. 34 Explizite Verbote für den Klerus gemeinsam mit der Haushälterin zu verreisen, sind für die Erzdiözese München und Freising nicht überliefert. Gatz, Kultur des priesterlichen Alltags, 297, berichtet derartiges etwa für die Diözese Trier in der Mitte des 19. Jahrhunderts. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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kreis hinauszugreifen. Wird der Hausstand des Geistlichen von einer Mutter, Schwester oder sonstigen näheren Anverwandten bedient, dann liegt sicher die Gefahr noch näher …35

Der Einfluss der Pfarrhaushälterinnen auf den Pfarrherrn und in gewisser Weise dadurch auch auf den Gang der Geschäfte, dürfte ungeachtet aller vorherrschenden Klischees etwa in der Belletristik36 oder eines grundsätzlichen misogyn geprägten Weltbildes des Klerus, nicht zu unterschätzen sein. Bekanntlich verfügte selbst Papst Pius XII. über eine Haushälterin, die eigene Initiativen entwickelte und eine weit über ihren Aufgabenkreis hinausreichende Wirksamkeit entfaltete.37 In den Quellen und der einschlägigen Literatur finden sich tatsächlich durchaus nicht selten Hinweise auf den Problemkreis dieses Standes, den es nach Joseph Bernhart »von Natur zum Regimente drängt«38 und entsprechend defensiv agierende Kleriker. Dabei wurde derartiges bei der Oberbehörde aber ohnehin nur ruchbar, wenn es sich um einen besonders massiven Fall handelte, der zu einem Ärgernis geworden war oder zu werden drohte. So vermerkt ein Protokoll der Ordinariatssitzung über Pfarrer Alois Scheiber39 von Peiting »Er steht zu stark unter dem Regiment seiner Haushälterin, die auch in religiöse Dinge hineinregiert.«40 Der Pfarrer von Grünthal, Josef Schwaiger41, hatte derartigen Respekt vor seiner Haushälterin, dass er seinem 35 Lenhart, Tagwerk, 237. 36 Eine Auswahl bietet Pfliegler, Existenz, 155–158, der aber zugleich durchaus affirmativ ausführlich aus dem Roman von Ernst Claes, Der Pfarrer aus dem Kempenland, München 1941 zitiert, in dem eine prototypische, fromme und keusche, aber machtbewusste Pfarrhaushälterin namens Rosalie skizziert wird: »Sie [Rosalie; Th. Fo.] sagte nie ›ich‹ oder ›der Herr Pfarrer‹, sondern immer ›wir‹. Und eigentlich bedeutete das doch nur ›ich‹« (Ebenda, 156). 37 Josephine Lehnert, geb. am 25. 08. 1894 in Ebersberg, 1913 Eintritt in den Orden der Lehrschwestern vom Hl. Kreuz in Altötting, Ordensname Pascalina, seit 1918 Haushälterin des Apostolischen Nuntius Eugenio Pacelli, dem sie später nach Berlin und Rom folgte, ab 1944 spielte sie eine wichtige Rolle im Päpstlichen Hilfswerk für Kriegsflüchtlinge, der Pontificia Commissione di Assistenza, gest. am 13. 11. 1983. Ihre Memoiren wurden nach ihrem Tod unter dem Titel Ich durfte ihm dienen veröffentlicht, allgemein wird ihr Einfluss auf den Papst relativ hoch eingeschätzt; vgl. Schad, Dienerin. 38 Bernhart, Kaplan, 157. 39 Alois Scheiber, geb. am 28. 03. 1891 in Böbing, Priesterweihe 1915 in Freising, Koadjutor in Trostberg, 1917 Kaplan in Kolbermoor, 1919 Hilfspriester bei St. Margaret in München, 1920 Predigerkaplan ebenda, 1926 Schulbenefiziat und Expositus in Puch, 1934 Pfarrer in Peiting, 1938 Pfarrer in Großhartpenning, gest. am 14. 09. 1939; vgl. Schematismus 1939, 95 und 267; Schematismus 1941, 148. Der Personalakt des AEM ist nicht erhalten. 40 AEM, Ordinariatssitzungsprotokoll vom 28. 01. 1938; vgl. auch Protokoll vom 04. 02. 1938: Scheiber wurde, vor allem wegen grundsätzlicher Schwierigkeiten mit der Gemeinde, unter Androhung der Amtsenthebung zur Resignation gezwungen und auf die unbedeutende Kleinstpfarrei Großhartpenning investiert. 41 Josef Schwaiger, geb. am 08. 03. 1880 in Schelchenvils, Priesterweihe 1905 in Freising, Koadjutor in Rieden, 1906 Koadjutor in Kraiburg, 1907 Schulexpositus in Degerndorf, Expositus in Ising, 1911 Pfarrvikar in Truchtlaching, 1931 Pfarrer in Grünthal, 1946 frei resiginiert, Benefiziums-Verweser in Eggstätt, gest. am 20. 01. 1967; vgl. AEM, Priesterpersonalakten P III 1643. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Dekan die schwere Bedenken vortrug, die sich aus der Versetzung einer Lehrerin an seinen Pfarrort ergaben und er fürchtete, ob damit »nicht die Gefahr verknüpft sei, dass die Eifersucht der Haushälterin geweckt werden könne; denn dazu hätte sie eine gewisse Neigung.«42 Beide Geistliche hatten ihre Pfarreien so wenig im Griff, dass sie noch im selben Jahr zur Resignation gezwungen wurden. In Prien am Chiemsee kam es 1931 aus ähnlichen Gründen gar zu erheblichen Tumulten, als im Zuge einer Visitation deutlich wurde, dass Pfarrer Georg Rupp43 den Amtsgeschäften nicht mehr gewachsen war und deshalb resignieren sollte, was er dem Erzbischof auch bereits versprochen hatte. Doch die Haushälterin intervenierte und brachte die Gemeinde gegen die kirchliche Oberbehörde auf.44 Das Ordinariat sah sich aufgrund des Vorfalls zu dem ungewöhnlichen Schritt veranlasst, den am Ort angewiesenen Kooperator mit der Verlesung einer Kanzelerklärung zu beauftragen, welche den oberhirtlichen Standpunkt darlegte. Der unter der Kuratel seiner Haushälterin stehende Rupp entging nur knapp einem Amotionsverfahren und wurde noch im selben Jahr zur freiwilligen Resignation gebracht.45 Wenngleich sich aus Einzelfällen wie diesen nur bedingt Generalisierbares über den Umfang der Einflussnahme von Pfarrhaushälterinnen auf die Amtsgeschäfte der Kleriker ablesen lässt, wird an der Darstellung dieser Vorfälle in den Quellen als interessanter Nebenaspekt ein überwiegend negativ besetztes Bild der Frau an sich deutlich.46 Zu einem ähnlichen Ergebnis gelangte auch Monika Nickel in ihrer Analyse des Frauenbildes der Passauer Theologisch-praktischen Monatsschrift, in der sich eine Fülle abschreckender Beispielerzählungen von Missständen im Pfarrhaushalt fanden, in denen weibliches Hauspersonal als notwendiges Übel oder »gesellschaftlich mitbedingte[s] Negativ« charakterisiert wird, dem der Geistliche kaum ausweichen könne.47 Nickel konstatierte geradezu eine »Angst vor dominanten Pfarrköchinnen« 42 AEM, Priesterpersonalakten P III 1643, Murschhauser an Buchwieser vom 06. 06. 1946. 43 Georg Rupp, geb. am 22. 05. 1872 in Höhenmoos, Priesterweihe 1897 in Freising, KooperaturVerweser in Aufkirchen, 1898 Kooperatur-Verweser in Schwindkirchen, 1902 Pfarrer in Steinhöring, 1921 Pfarrer in Prien, im Mai 1931 resigniert, gest. am 20. 10. 1931; vgl. Schematismus 1931, 9 und 196; Schematismus 1932, 122. 44 Die Pfarrchronik (Pfarrarchiv Prien am Chiemsee Mariä Himmelfahrt, Pfarrchronik 1901–1939, 92 f.) vermerkte hierzu: »Die kommandierende Haushälterin konnte diesen Sturz vom Thron nicht verwinden u[nd] machte Stimmung bei den Leuten, die dann Unterschriften sammelten und gegen die Abberufung des Pfarrers protestierten. Der Pfarrer selbst ließ sich leider auch einfädeln u[nd] aufstacheln, nahm sein Resignationsgesuch zurück und suchte sich auf der Kanzel zu verteidigen, wobei ihm scheinbar das verletzte Ehrgefühl den Blick für Wahrheit, priesterlichen Gehorsam u[nd] pastorale Klugheit trübten. Die Wogen gingen immer höher und ausgerechnet die am wenigsten praktizierenden sogen[annten] Geschäftskatholiken hatten es am eiligsten, gegen die kirchl[iche] Autorität Sturm zu laufen.« 45 Vgl. ebenda. 46 Vgl. auch Kapitel 5.3.1 zur Deutung der Frau als »instrumentum diaboli«. 47 Nickel, Theologisch-praktische Monatsschrift, 279 Anm. 647 zitiert einen Geistlichen, der gegenüber seinen Mitbrüdern folgenden Bericht abgab: »Eure Beileidsbezeugungen werdet ihr mir nicht versagen, denn von allen, die je einen schwarzen Rock und Schuhe mit Schnallen trugen, © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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und beschreibt als dem entgegen gesetztes Idealbild ein »zurückhaltendes, stilles, von Bescheidenheit geprägtes Wirken im Hintergrund ohne den Anspruch auf irgendeine Form von Anerkennung […] eine Marthaseele […] ein Mittelding zwischen Magd und Mamsell.«48 In diesen kollektiven Ängsten manifestierten sich nicht zuletzt die mangelnde Ausprägung eines angemessenen Umgangs mit dem anderen Geschlecht und die fehlende Internalisierung eines adäquaten Frauenbildes. 4.1.1.3 Hilfsgeistliche Das katholische Pfarrhaus war stark durch das Mit-, Neben- und auch Gegeneinander von Geistlichen unterschiedlicher Hierarchiestufen gekennzeichnet. Zentral war hierbei das Verhältnis zwischen Pfarrern und Hilfsgeistlichen. Noch im 19. Jahrhundert glichen die Anstellungs- und Einkommensverhältnisse sowie die soziale Absicherung der Hilfsgeistlichen eher denen bäuerlicher Knechte.49 Im 20. Jahrhundert verbesserte sich diese Situation sukzessive. Die Versetzung der Hilfspriester war eine rein administrative Aufgabe der Diözesanverwaltung und wurde dementsprechend durch den Generalvikar veranlasst.50 Die Hilfsgeistlichen waren jederzeit binnen kurzer Frist versetzbar und wurden dorthin abgestellt, wo sie gerade benötigt wurden. Versetzungen erfolgten oft sehr kurzfristig und ohne vorherige Absprachen, weder mit dem zu Versetzenden, noch mit seiner neuen Einsatzpfarrei. In der Regel genügte eine Postkarte oder ein Brief, in welchem dem Betroffenen mitgeteilt wurde, wann er sich wo einzufinden hatte.51 Entsprechend formulierte Joseph Bernhart in ist wohl keiner je so heimgesucht, als ich, mit jenen notwendigen Übeln, die wir Haushälterinnen, Köchinnen, Wirtinnen oder gar Hausdrachen nennen.« 48 Ebenda, 279 f. 49 So Wurster, Passauer Diözesanklerus, 361. 50 Während die Besetzung von Pfarrstellen in den Protokollen der Ordinariatssitzung regelmäßig nachweisbar ist, wurden die Hilfspriesterstellen dort nicht verhandelt. Eine separate Abstimmung des Generalvikars mit dem Erzbischof über den Einsatz der Hilfsgeistlichen ist nicht belegt und erscheint unwahrscheinlich. 51 Vgl. EAM, Priesterbefragung 2003, Interview mit Engelbert Neuhäusler: »Bei uns hat es genügt zur Versetzung eines Priesters bzw. Kaplans eine offene Postkarte, vorgedruckt, zuzschicken: ›Herr Sowieso, dritter Kaplan von St. Nikolaus in Reichenhall, hat am Soundsovielten als zweiter Kaplan in Thalkirchen anzutreten.‹«; Vgl. ebenda, Interview mit Adalbert Albrecht: »Nach der Weihe wussten wir zunächst nicht, wohin wir kommen würden. Da kam dann ein Schreiben von wegen, dass ich meine Kaplanstelle in Niklasreuth bei Miesbach antreten müsste. Ich habe gar nicht gewusst, wo das liegt. Also bin ich dorthin gefahren, im Monat August, da hat Pfarrer Eichmeier [gesagt]: ›Ja, sind Sie schon da? […] Ja, ich brauche Sie noch nicht, die Schule hat noch nicht begonnen. Sie können also wieder heimfahren.‹ So bin ich also zunächst wieder heimgefahren und zu Schulanfang wieder zurück. […] Es war nur ein kurzes Gastspiel. Ich musste weiter nach Hausham, wo der Pfarrer rasch weggekommen ist. […] Auch dort war ich nur kurze Zeit, denn da brachte mir die Pfarrschwester Monika ein offenes blaues Kuvert. Was war drin? Der Kaplan wird versetzt nach München-Zwölf Apostel, worüber ich überrascht war. Eigentlich wollte ich nicht weggehen, auch der Pfarrer wollte mich nicht ziehen lassen, aber es hat nichts geholfen. Ich musste nach München. […] Aber auch dort war ich nicht sehr lange, denn da kam ein Brief mit dem Befehl, nach Traunstein zu gehen ins Seminar.« © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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seinem autobiographischen Roman Der Kaplan mit kaum verhohlener ironischer Distanz, dass »so ein Kaplänchen in der Hand einer Obrigkeit gleich sei einem leichten Ding, mit dem der Wind nach seiner Laune spielt.«52 Gleichwohl waren diese Versetzungsmechanismen nichts kirchenspezifisches – der Staat ging mit examinierten Lehrern in dieser Zeit in ähnlicher Weise um. Häufige Versetzungen waren die Regel. Ein erwünschter Nebeneffekt war die daraus resultierende Verhinderung sozialer Verwurzelung. Das Entstehen unerwünschter Bekanntschaften, v. a. mit Frauen, die sich im zeitlichen Fortgang ungünstig hätten entwickeln können, konnte dadurch oft vermieden werden. Bis zum Zeitpunkt ihrer Priesterweihe hatten die nun im Regelfall zwischen 24 und 27 Jahre alten Hilfsgeistlichen weder auf eigenen Beinen gestanden, noch hatten sie jemals allein gelebt. Der gemeinschaftliche Alltag des Seminars mit seinem straff reglementierten Tagesablauf hatte bis anhin ihr Leben bestimmt. Umso mehr mussten die Prozesse der Sozialkontrolle gerade in den ersten Priesterjahren fortgesetzt werden, um die Standesdisziplin aufrecht zu erhalten. Die Aufgabe der Sozialkontrolle vor Ort übernahmen nach dem Ende der Seminarzeit zuvörderst die Pfarrer, bei denen die Hilfsgeistlichen eingesetzt wurden.53 Entsprechend formulierte Kardinal Faulhaber auf der Diözesansynode 1930 das Idealbild: Der Pfarrer der ersten Stelle möge an dem jungen Priester das Erziehungswerk des Seminars fortsetzen […] Der Pfarrer sei seinem Hilfspriester ein väterlicher Freund, der Hilfspriester seinem Pfarrer ein arbeitsfreudiger, bescheidener Cooperator. Die Priester des Herrn müssen den Mut und die Demut zur rechtzeitigen correctio fraterna haben.54

Auf eine Hilfspriesterstelle mit eigenem Haushalt – etwa als exponierter Kooperator – hatten Geistliche erst nach einigen Priesterjahren Aussicht.55 Ein wesentliches Element der Sozialkontrolle stellte die zumeist sehr ausgeprägte ökonomische Abhängigkeit der 52 Bernhart, Kaplan, 11. 53 Sie erstellten die Berichte über das angemessene priesterliche Verhalten, die so genannten Qualifikationen, welche an die Oberbehörde zu senden waren und dort zu den Personalakten genommen wurden. Bis zum zehnten Priesterjahr waren alljährlich Qualifikationszeugnisse zu erstellen, später nur noch alle drei Jahre; vgl. AEM, Ordinariatssitzungsprotokoll vom 29. 05. 1936. 54 Vgl. Referat I: Priesterliche Standesfragen, in: Bericht Diözesansynode 1930, 10–13, hier 10 f. Die »brüderliche Zurechtweisung« geht auf den Hl. Benedikt von Nursia zurück, der diese in seiner Regel erstmals forderte. Diese hatte aber nicht öffentlich und nur gegenüber der kirchlichen Obrigkeit zu erfolgen. Entsprechend dem kirchlichen Gesetzbuch verfiel ein Kleriker, der gegen einen Mitbruder ohne Genehmigung des Oberhirten Klage vor einer weltlichen Stelle führte, der Zensur (vgl. CIC 1917, can. 2341). Standesinterne Solidarität und Vermeidung von Öffentlichkeit waren primär zu beachtende Gebote. 55 Amtsblatt München 1937, 66 vermerkt, dass nur solchen Bewerbern um eine Stelle mit selbständigem Haushalt (Hilfspriesterstellen, Katecheten- und Predigerstellen, Expositi, Schulbenefiziaten) Aussicht auf Erfolg beschieden sei, welche wenigstens sechs Dienstjahre zurückgelegt hätten. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Hilfsgeistlichen von ihren jeweiligen Pfarrherren dar. Aus der materiellen Knappheit folgte eine Einschränkung der Mobilität und der Möglichkeiten zur Partizipation an gesellschaftlichen Ereignissen außerhalb der klerikalen Subgesellschaft. Für Wirtshausbesuche, Urlaubsreisen etc. war bei jüngeren Hilfsgeistlichen häufig kein Geld übrig. Ein Hilfsgeistlicher ohne eigenen Haushalt hatte Ende der 1920er Jahre 65 Prozent seines Anfangseinkommens als Verpflegungssatz für Kost und Logis an seinen Pfarrherrn abzuliefern.56 Einige Kooperatoren und Kapläne sahen sich deshalb nach Nebenerwerbsquellen um: Messstipendien waren ein willkommenes Zubrot, andere betrieben gegen Bezahlung auch Ahnenforschung in den Pfarrbüchern, zumal nach 1933, als die Nachfrage nach den so genannten Ariernachweisen stark angestiegen war.57 Die zur Verpflegung ihrer Hilfsgeistlichen verpflichteten Pfarrherren erwiesen sich nicht immer als großzügig. Vielmehr erscheint es, als habe ihnen die Abgabe der Hilfsgeistlichen vor allem selbst wiederum als zusätzliche Einkommensquelle gedient. Erinnerungen an knauserige Pfarrer und ebensolche Haushälterinnen kommen unter den Kaplänen vergleichsweise häufig vor. »Ich habe im Pfarrhaus gewohnt. […] Der Pfarrer war etwas berüchtigt, dass er die Kapläne etwas knapp hält, essensmäßig«,58 erinnerte sich etwa Franz Kronberger an seine Kooperatorenzeit in Bad Endorf. Bisweilen scheint das Verhältnis zwischen Pfarrherren und Hilfsgeistlichen bis aufs äußerste angespannt gewesen zu sein, was wohl nicht nur auf unzureichende Verpflegung zurückzuführen gewesen sein dürfte.59 Oft spielten im Falle von Aversionen auch die übrigen Hausgenossen des Pfarrherren, etwa die Mutter oder Haushälterin 56 Vgl. Scharnagl, Seelsorger-Einkommens-Ergänzung, 400. Etwas andere Zahlenverhältnisse, die aber in eine ähnlich Richtung weisen, laut EAM, Priesterbefragung 2003, Interview Kronberger. Diese beziehen sich auf dessen Zeit als Hilfsgeistlicher Anfang der 1940er Jahre: »Ich habe damals ein Anfangsgehalt gehabt von 120 Reichsmark pro Monat, 108 Mark waren festgelegt, die der Pfarrer bekam.« 57 Vgl. wiederum EAM, Priesterbefragung 2003, Interview Kronberger: »Ich habe dann in der Pfarrei [Bad Endorf; Th. Fo.] auch die Ahnenforschung aus den Pfarrbüchern [gemacht]. Da kamen viele Anfragen. Da waren Taufeintragungen im Taufbuch, im Trauungsbuch waren die Trauungen eingetragen, dann die Todesfälle, die waren im Totenbuch eingetragen. Da habe ich dann als Kaplan 1,50 Mark oder eine Mark oder 80 Pfennig für verschiedene Sachen verlangen dürfen. Das war so eine kleine Nebeneinkunft.« 58 Vgl. ebenda. 59 Eine sehr drastische Erinnerung an seinen ehemaligen Pfarrherrn überlieferte Engelbert Neuhäusler: »Der Pfarrer, das war der mieseste Pfarrer überhaupt, […] das war ein Geizkragen sondersgleichen. […] Ich habe tatsächlich gehungert. Wir haben tagelang nichts anderes gehabt als Brot, eingeweicht in Milch. Das war das Mittagessen. Ich bin faktisch ernährt worden von meinen Eltern. Da ist meine Mutter herübergekommen und hat mir Kuchen gebracht oder mein Vater und dann habe ich wieder für ein paar Tage was zu essen gehabt. Ich bin aber nicht zu den Nachbarn, ›Zum alten Wirt‹ gegangen […] die hätten mir natürlich geholfen, klar. Tabu. Es kommt nichts aus dem Pfarrhof hinaus. […] Dem Pfarrer habe ich gewünscht ein langes Fegfeuer, jahrelang […] So ein Sauhund war der Kerl. Ein Geizkragen. Der hat mich dann angezeigt, ich würde protestantisch predigen.« EAM, Priesterbefragung 2003, Interview mit Engelbert Neuhäusler. Dass ein Geistlicher selbst nach langen Jahren, in der Rückschau derart hart urteilt, erscheint © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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eine Rolle.60 Der fremde Hilfspriester wurde als Eindringling in der eingespielten Hausgemeinschaft wahrgenommen. Dass Pfarrer und die Ihnen zugewiesenen Hilfspriester oft nicht in der Lage waren, ihre Hausgemeinschaft einvernehmlich selbständig zu organisieren, zeigt nicht nur die relative Häufigkeit derartiger Berichte, sondern auch der Umstand, dass von oberhirtlicher Seite immer wieder detaillierte Regelungen zu Alltagsfragen der Haushaltsorganisation erlassen werden mussten, so z. B. 1921 ein so genanntes Regulativ für die Bezüge der ›Hilfspriester in Verpflegung des Pfarrers‹ in den katholischen Pfarreien der Stadt München.61 Dieses regelte detailliert die gegenseitigen Pflichten, bis zur Festlegungen, dass zur Verpflegung der Hilfspriester »außer Frühstück, Mittag- und Abendessen auch ein nachmittägliches Vesperbrot (Kaffee oder Tee mit Brot), welches zu einer vom Pfarrer im Einvernehmen mit den Hilfspriestern bestimmten Stunde zur Verfügung gestellt wird« gehöre.62 Offenbar barg also sogar die Frage, wann ein solches Vesperbrot bereitzustellen sei, schon Konfliktpotential, andernfalls wäre der Regelungsbedarf nicht einsichtig. Das Dokument verwies auch auf eine weitere Vereinbarung zu den Themen Heizung und Wäschereinigung. Bisweilen muten die Hintergründe mancher Konflikte, soweit sie überliefert sind, durchaus bizarr an. Engelbert Neuhäusler berichtete: »Der Pfarrer hat zum Schafkopfen einen dritten Mann gebraucht, und den hatte er nicht. Mich wollte er dann im Schafkopfen unterrichten, aber ich wollte das nicht.«63 Es kam zu anonymen Denunziationen im Generalvikariat, mit anschließender Versetzung. »Der Grund war – wessen wir angeklagt wurden, weiß ich nicht – praktisch nur, weil keiner Karten gespielt hat. […] Am Ersten flog der erste Kaplan, am 15. der zweite Kaplan, am 30. ich.«64 Das nicht spannungsfreie Verhältnis zwischen jüngeren und älteren Geistlichen wurde schließlich auch auf der Diözesansynode 1940 diskutiert, wobei Generalvikar Buchwieser freilich über allgemeine Appelle zu intragenerationeller Toleranz nicht hinauskam.65

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ungewöhnlich. Der tieferen Ursache des zugrundeliegenden Konflikts konnte im Rahmen dieser Arbeit nicht nachgegangen werden. Vgl. etwa EAM, Priesterbefragung 2003, Interview Siebenhärl: »Als ich mich dann dort [im Juli 1945 in Weildorf; Th. Fo.] vorstellte, als der neue Kaplan bzw. Kooperator, bei der Haushälterin, die mir die Tür öffnete, bekam ich zu hören: ›Mein Bruder braucht keinen Kooperator, der kann seine Arbeit schon noch selber machen.‹« AEM, NL Thalhamer, Stw. Hilfspriester. Ebenda; vgl. auch das bei Bernhart, Kaplan, 187, beschriebene Ringen des Kaplans mit Pfarrherr und Haushälterin um das nachmittägliche Vesperbrot. EAM, Priesterbefragung 2003, Interview Neuhäusler. Ebenda. Schriftliches Material hierzu ist nicht überliefert. »Die grundsätzliche Verschiedenheit der gesamten Gefühls- und Denkungsart zwischen Jung und Alt berge wie für alle Stände so auch für den Priesterstand eine gewisse Spannungsgefahr in sich. Eine solche Spannung sei nun freilich etwas Naturgemäßes. […] Das könne indes im Interesse der Seelsorge fruchtbringend sich auswirken, vorausgesetzt, dass ein Ausgleich zwischen diesen beiden Spannungen stattfindet. Das sei möglich, wenn man von dem Standpunkt ausgeht: Beide sind einander gebend. Die Jugend kommt zur Seelsorge mit ihrem Optimismus, ihrer frischen © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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4.1.1.4 Ruhestandsgeistliche Nur selten zählten Ruhestandsgeistliche zu den Hausgenossen eines noch aktiven Pfarrers. Von oberhirtlicher Seite war es unerwünscht, wenn Geistliche ihren Ruhestandssitz am letzten Einsatzort nahmen, da sich in solchen Fällen allzu häufig Konflikte und Rivalitäten mit dem Nachfolger auf der Pfarrstelle ergaben.66 Idealerweise lag der Ruhestandssitz in einem anderen Teil der Diözese. Die freie Resignation auf ein geistliches Amt erfolgte nicht automatisch mit Erreichen eines bestimmten Lebensalters, sondern aufgrund eines Gesuchs des Betroffenen. Ein festes Ruhestandsalter für Geistliche gab es nicht, es wurde erwartet, dass diese tätig blieben, solange ihre Kräfte dies zuließen. Dies war nicht nur von Robustheit und Gesundheit des einzelnen abhängig sondern auch davon, wie groß oder klein seine Stelle und wie anstrengend und an den Kräften zehrend die jeweiligen Ämter waren. Wurde ein Ruhestandsgesuch vor dem Erreichen des 70. Lebensjahrs gestellt, so waren nicht nur ein amtsärztliches Zeugnis, sondern auch zwei schriftliche Voten des zuständigen Dekans und eines weiteren Pfarrers des Bezirks abzugeben, die das Gesuch begründet befürworten mussten.67 Die Resignationsgesuche wurden einzeln in der Ordinariatssitzung verhandelt und ein entsprechender Beschluss herbeigeführt. Auch noch nach der Ruhestandsversetzung arbeiteten die Kommoranten im Regelfall in der Seelsorge mit.68 Insbesondere im Krieg wurde dies, bedingt durch den Ausfall jüngerer Kräfte, wichtig für die zureichende Versorgung der Gläubigen mit den Sakramenten.69 Im Jahr 1939 hatten 297 der 2.032 in der Erzdiözese lebenden

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Arbeitskraft und Initiative, das Alter bildet durch seine Ruhe, Abgeklärtheit, Sachlichkeit und Erfahrung den Ausgleich. Beide miteinander vereint, das gibt den Wein in der besten Mischung; beide müssen sich vertragen, manchmal auch ertragen und immer versuchen einander zu verstehen. Dann ist auch eine Voraussetzung für das Ideal gegeben: gegenseitiges Zugetansein in echter Priesterfreundschaft.« Standespflichten des Klerus, in: Bericht Diözesan-Synode 1940, 16–20, hier 20. So hielt die Pfarrchronik der Pfarrei Prien am Chiemsee im Fall des o. g., im Mai 1931 abgesetzten Pfarrers Georg Rupp, der seinen Wohnsitz im nahen Rosenheim genommen hatte, nach seinem frühen Ableben im Oktober desselben Jahres fest: »Man muss diese Lösung, die der Himmel gesandt hat [d. i. der Tod Rupps; Th. Fo.], als die beste für die seelsorglichen Belange anschauen. Solange der abgegangene Pfarrer in solcher Nähe lebte, war es für ihn immer eine Versuchung, wieder nach Prien zu kommen, obwohl er seinem Bischof das ausdrückliche Versprechen gegeben hat, diese Besuche im Interesse einer friedlichen Weiterentwicklung zu unterlassen. Dabei mußten alte Wunden immer wieder aufbrechen.« (Pfarrarchiv Prien am Chiemsee Mariä Himmelfahrt, Pfarrchronik 1901–1939, 95). Satzung Erzdiözesan-Emeriten-Anstalt, § 9 Abs. III. Mit dem Begriff Kommorant wurden nicht nur die aus Altersgründen in den dauernden Ruhestand versetzten Geistlichen, sondern auch die aufgrund gesundheitlicher Mängel oder Verfehlungen verschiedener Art in den (zeitlichen) Ruhestand versetzten Geistlichen bezeichnet. Entsprechenden Niederschlag fand dies immer wieder in Seelsorgeberichten. So vermerkt etwa der Seelsorgebericht der Pfarrei Maria Dorfen 1942 (AEM, Seelsorgeberichte): »H. H. Pfarrer Wagner kann fast noch täglich in der Marktkirche zelebrieren, wenn auch zum Kommunionausteilen täglich ein Priester hinuntergehen muss. So ist er noch eine gesegnete Hilfe.« © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Geistlichen, also 14,6 Prozent, den Status eines Kommoranten, mithin kamen sechs aktive Priester auf einen Ruhstandsgeistlichen.70 Wurde der Ruhestand gewährt, erhielt der Geistliche eine so genannte Emeritenpension, die abhängig von der Zahl an Dienstjahren war und entsprechend stark schwanken konnte.71 Die Emeritenpension wurde durch die Diözesan-EmeritenAnstalt ausbezahlt, einer kirchlichen Pensionskasse, die in Bayern bereits seit 1842 bestand.72 Die 1923 neu verhandelte Satzung der Emeritenanstalt galt für alle bayerischen Diözesen, sie überdauerte uneingeschränkt auch die Zeit des Dritten Reichs.73 Alle Diözesanpriester waren Zwangsmitglieder der Emeritenanstalt und hatten Pflichtbeiträge zu entrichten, die aber relativ niedrig ausfielen.74 Dies erklärt sich nicht nur aus den staatlichen Zuschüssen, sondern auch aus dem Umstand, dass die Ruhestandsversetzung der Geistlichen im Regelfall nach dem 70. Lebensjahr erfolgte und infolge der verbleibenden Lebensjahre oft nur wenige Jahre Pensionsleistungen zu leisten waren.75 Als Altersruhesitze spielten Priesterhäuser in der Erzdiözese München und Freising nur eine sehr untergeordnete Rolle. Im Priesterhaus Dorfen lebten bis zu dessen Verkauf 1913 nur noch einige Ruhestandsgeistliche, die dann in das neu erbaute Dorfener Pfarrhaus übersiedelten.76 Das 1922 von der Kongregation der Dienerinnen der göttlichen Vorsehung aus der Assoziationsanstalt Schönbrunn77 gegründete 70 Schematismus 1939, 339. 71 Vgl. Ruhestandsbezüge für die kath[olischen] Seelsorge-Geistlichen, Klerusblatt 1923, 190. 72 Die bis heute bestehende Emeriten-Anstalt ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts, die den Mitgliedern für den einstweiligen oder dauernden Ruhestand Versorgungsansprüche nach beamtenrechtlichen Grundsätzen gewährt. Vgl. Pimmer-Jüsten, tributa sacerdotibus, 167 f. 73 In der 1923 verabschiedeten Form war sie bis 1976 gültig, vgl. ebenda. 74 Die von der Diözesan-Emeriten-Anstalt aufzubringenden Ruhestandsbezüge wurden erwirtschaftet durch die Beiträge aller aktiven Geistlichen in Höhe von 2 % des gesamten Jahreseinkommens und einer Beförderungsabgabe von ebenfalls 2 % auf die Mehrung des gesamten Jahreseinkommens (vgl. Satzung Erzdiözesan-Emeriten-Anstalt, § 6 Abs. I) sowie aus den Zinsen des eigenen Vermögens der Anstalt, den Zinsen der Zuwendungen und Stiftungen in die Anstalt, aus Staatszuschüssen und Zuschüssen vermögender Kirchenstiftungen, dem Stelleneinkommen erledigter Pfründen und einigen weiteren besonderen Einkunftsarten (vgl. ebenda § 2); siehe hierzu auch PimmerJüsten, tributa sacerdotibus, 172. Wenngleich die Höhe der staatlichen Zuschüsse im Bayerischen Konkordat von 1924 nicht festgelegt wurde, waren diese durch die explizite Benennung dennoch rechtlich entschiedener fixiert, als die staatliche Seelsorgereinkommensergänzung, die sich nur in rechtlich uneindeutiger Weise aus der schwammigen Eingangsformulierung des Art. 10 ableiten ließ. 75 Die staatlichen Zuschüsse ergaben sich aus den Bestimmungen des Art. 10 § 1 i) des Bayerischen Konkordats vom 29. März 1924; vgl. Listl, Konkordate und Kirchenverträge, Bd. 1, 297. Im Jahr 1933 lag das durchschnittliche Sterbealter eines Klerikers nach Berechnungen des Pfarrers Josef Angerer bei 63 Jahren; vgl. AEM, Ordinariatssitzungsprotokoll vom 01. 12. 1933. 76 Vgl. den historischen Bericht: AEM, Ordinariat, Priesterhausstiftung Dorfen 1968–1974, Auflösung der Priesterhausstiftung und Ablösung des staatlichen Substentationsbeitrages, Schmelcher an EFK vom 14. 05. 1971. 77 Vgl. Anstalt Schönbrunn, 125 Jahre Anstalt Schönbrunn. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Priesterversorgungsheim Mariabrunn (bei Röhrmoos, Landkreis Dachau), scheint seinen Zweck nicht erfüllt zu haben. Obwohl zum 1. Juni 1922 Wohnungen für insgesamt 20 Emeriten »mit einem größeren oder 2 kleineren unmöblierten Zimmern bei vollständiger Verpflegung und Bedienung durch Schwestern des III. Ordens«78 hergerichtet wurden, lebte dort stets nur eine Handvoll Priester. Vermutlich war die fern einer Bahnstation und außerhalb einer Siedlung mitten im Wald gelegene Liegenschaft der Mehrzahl der Kleriker zu weit abgelegen, weshalb sie sich schließlich zu einer Mischung aus Pflegeheim und Korrektionsanstalt entwickelte.79 Im Regelfall lebten die Ruhestandsgeistlichen in geeigneten Pfarrliegenschaften verstreut in der Erzdiözese. Im Jahr 1939 lebten 93 der 297 Kommoranten in München, 28 außerhalb der Erzdiözese, die übrigen 176 verteilten sich relativ gleichmäßig auf die einzelnen Dekanate, in denen zwischen einem und elf Kommoranten lebten, lediglich in sechs Dekanaten lebten keine Ruhestandsgeistlichen.80 Ihre Haushälterinnen begleiteten die Geistlichen zumeist auch während der Jahre des Ruhestands und setzen ihre entsprechende Tätigkeit fort. Alleinstehende Geistliche zogen sich – etwa wenn die letzte Haushälterin verstorben war und sie sich an keine neue mehr gewöhnen mochten – oft in kleinere Niederlassungen von weiblichen Ordensgemeinschaften zurück, beispielsweise zu den Barmherzigen Schwestern in Trostberg, Haag und Moosburg oder zu den Franziskanerinnen in Glonn, Grafing und Olching.81 Hier hatten sie einerseits die Möglichkeit, in beschränktem Umfang noch seelsorglich tätig zu sein, andererseits wurden sie gepflegt und bis zum Tod betreut, wenn ihre körperlichen und geistigen Kräfte nachließen.

4.1.2 Der Pfarrhof Pfarrhöfe lagen immer in der Nähe der Kirche und, sofern es sich um eine ländliche Pfarrei handelte, damit in der Dorfmitte. Dies verlieh dem Haus des Pfarrers in hohem Maße Öffentlichkeitscharakter und unabhängig von der baulichen Ausgestaltung eine herausgehobene Stellung. Der Pfarrhof war nicht nur Wohnsitz, sondern auch Amtsitz des Pfarrers. In diesem waren auch das Pfarrbüro, in dem der Pfarrer den amtlichen Schriftverkehr, die Führung der Matrikeln und Pfarramtsbücher erledigte, die Pfarramtsregistratur und das Pfarrarchiv untergebracht. Hier wurde gewohnt und gearbeitet, es wurden Besucher empfangen, Lateinschüler unterrichtet, Besprechungen und Sitzungen abgehalten. Zumeist, aber nicht immer, handelte es sich bei den Pfarrhöfen um eher geräumige Bauten, die den Hausgenossen ausreichend Platz boten. So verfügte etwa der Pfarrhof von Schwindkirchen, einer Landgemeinde im agrarisch 78 Amtsblatt München 1922, 96. 79 Vgl. hierzu Abschnitt 5.2.1 dieser Arbeit. Spätestens damit dürfte sich die Funktion als Heim für reguläre Emeriten erledigt haben. 80 Vgl. Schematismus 1939, 339. 81 Vgl. Schematismus 1939, 7, 16 f., 22, 25, 34 (ausschnittsweise exemplarische Aufzählung). Es scheinen kaum mehr als zwei oder drei Priester in einer Schwesternniederlassung gelebt zu haben. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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geprägten östlichen Teil der Erzdiözese, in dem Pfarrer Josef Bauer82 allein mit seiner Haushälterin lebte, im Erdgeschoß über sieben Zimmer und eine Küche und im Obergeschoß über weitere neun Zimmer, also insgesamt 16 Zimmer.83 Bisweilen, aber keinesfalls immer, hatten die Pfarrhöfe einen ausgeprägt repräsentativen Charakter.84 Es gibt, wenngleich der würfelfömige Kubus mit Satteloder Walmdach sicherlich eine der beliebtesten baulichen Ausprägung sein dürfte, keine eigentliche Typisierung im Pfarrhausbau. Vor allem in den im 19. Jahrhundert rasch gewachsenen Städten kam es im Zuge der Neugründung von Pfarreien zu Pfarrhausneubauten, die wie die Kirchen zumeist in einem historisierenden Stil gehalten waren. Hier dominierte in Bayern ganz klar der Neobarock. Die bauliche Gestalt der Pfarrhöfe ist häufig den örtlichen Gegebenheiten und Baugewohnheiten angepasst. Für die Diözese Augsburg hielt Martin Stankowski den allgemein gültigen Grundsatz fest, »dass Pfarrhöfe zu allen Zeiten als zentrale bauliche Fixpunkte im Ort handwerklich in einer bemerkenswert seriösen Weise hergestellt wurden.«85 Dies sagt freilich nichts über den jeweiligen Zustand der Erhaltung, die Innenausstattung und den damit verbundenen Wohnkomfort aus, der mitunter mäßig war. Bis zur Einführung der Kirchensteuer war die bauliche Gestaltung der Pfarrhöfe ausschließlich vom Vermögen der Pfarrei abhängig. So sah sich manch neu ernannter Pfarrherr zunächst einmal zur Renovierung genötigt, etwa Pfarrer Matthias Kern, der im Mai 1922 kurz nach der Installation auf die Pfarrei Wolfratshausen in seinem Tagebuch notierte: »Der Pfarrhof war arg heruntergekommen, ebenso die Grundstücke. Es wurde fast alles geweißt und ausgebessert. Das Bad neu eingebaut im I. Stock.«86 Ähnlich äußerte sich der Geistliche Josef Dürnegger, der 1898 die Expositur Beyharting übernommen hatte, die schon Verschiedene wegen der ungünstigen Wohnungsverhältnisse abgelehnt hatten. Auch ich sprach in diesem Sinne beim H. H. Generalvikar vor, erhielt aber die kurze Weisung: ›Etwas tun sie schon dort, entweder kaufen oder tauschen oder bauen.‹ Ich ging – und zog dort bei

82 Josef Bauer, geb. am 06. 02. 1893 in Wasentegernbach, Priesterweihe 1921 in Freising, Koadjutor in Einsbach, Kaplan in Gauting, 1930 Kooperator in Moosburg, 1935 Pfarrer in Schellenberg, 1943 Pfarrer in Schwindkirchen, 1964 frei resigniert, Kommorant in Wasentegernbach, gest. am 15. 10. 1967; vgl. Schematismus 1950, 15 und 245; AEM Priesterpersonalakten P III 93. 83 Vgl. AEM, Priesterpersonalakten P III 93, Bericht von Domkapitular Martin Grassl [November 1946]. Gleichwohl waren die Räume angeblich nicht ungenutzt, womit der Geistliche seine Weigerung begründete, mehr als zwei Evakuierte in die ihm zur Verfügung stehenden 16 Räume aufzunehmen. Zur Detailbeschreibung des Gebäudes bzw. seines identischen Vorgängerbaus vgl. nachfolgende Ausführungen in diesem Abschnitt. 84 Vgl. Stankowski, Landpfarrhöfe, 297, für die Diözese Augsburg. 85 Stankowski, Landpfarrhöfe, 303. Untersuchungen zu den Pfarrhäusern in der Erzdiözese München und Freising fehlen. 86 Kern, Tagebuch 1922–1942, 3 (Mai 1922). © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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regnerischem Wetter ein. […] Ein alter Pferdestall aus Klosterszeiten, freilich für menschliche Wohnung umgestaltet, ein in die Länge gezogener Darm, war meine Wohnung.87

Eine systematische Bautypologie für die Pfarrhöfe der Erzdiözese München und Freising liegt nicht vor. Eine Aufnahme der Pfarrhäuser in dem unmittelbar westlich an die Erzdiözese angrenzenden, in der Diözese Augsburg liegenden Landkreis Landsberg, ergab, dass die überwiegend aus dem 18. und 19. Jahrhundert stammenden Gebäude untereinander vergleichbare gestalterische Merkmale aufwiesen.88 Handelte es sich um eine Ökonomiepfarrei, kamen zum Wohngebäude mitunter ausgedehnte Wirtschaftsgebäude (Stall, Scheune, Wasch- und Backhaus, Remise etc.) hinzu. Der Regensburger Oberregierungsbaurat F. Schildhauer legte 1922 einen Bauratgeber für Pfarrpfründebesitzer vor, in dem er neben Fragen zur bautechnischen Ausführung auch auf den Raumbedarf von Pfarrhöfen einging.89 Schildhauer unterschied zwischen Benefiziatengebäuden, Pfarrgebäuden mit oder ohne Kaplanwohnung, Kaplaneigebäuden und Pfarrhöfen mit oder ohne Ökonomiebetrieb. Das Raumprogramm für ein einfaches Pfarrhaus sah dieser Konzeption entsprechend bereits sehr differenziert aus. Zunächst ging Schildhauer auf die Amtsbedürfnisse des Geistlichen ein: Die Aufgaben eines Geistlichen seien inzwischen so vielseitig geworden, dass für ihn unbedingt ein eigenes Amts- und Arbeitszimmer verlangt werden muss. Eher geht es an, das Eß- und Wohnzimmer zu vereinigen, besonders, wenn der Pfarrer allein im Hause ist. Neben dem Amts- und Sprechzimmer muss immer ein Raum vorhanden sein zur Unterbringung der Pfarrregistratur und der unendlichen Zahl von Gesetz- und Verordnungsbüchern sowie der Bibliothek.90

Für die Wohnzwecke des katholischen Pfarrers selbst ist laut Schildhauers Konzeption erforderlich ein Schlafzimmer, eine Garderobe und ein möglichst an das Schlafzimmer anstoßender Baderaum, sowie ein Abort. […] Zur Aufnahme von Besuchen ist mindestens ein Gastzimmer nötig, lieber zwei kleinere als ein großes, wie es die Normalprogramme vorsehen. Wenn jedoch im Pfarrorte die heilige Firmung gespendet zu werden pflegt, wird der Bischof am liebsten im 87 Dürnegger, Samerberg, 3. In den folgenden drei Jahren gelang Dürnegger tatsächlich der Neubau eines Expositurhauses. Als es 1901 fertig gestellt war, wurde er versetzt. 88 »Die Pfarrhofbauten sind zweigeschossige, verputzte Ziegel- bzw. Steinbauten, oft auf nahezu quadratischem Grundriss und sie besitzen in der Regel Sattel- bzw. in einigen Fällen auch Walmdächer. Charakteristisch ist auch die Grundrissgestaltung der alten Pfarrhöfe: links und rechts eines breiten Mittelganges gruppieren sich häufig achsialsymetrisch angeordnete Zimmerfolgen, ein Schema, das auf beide Geschosse übertragen wurde.« Fachbereich Architektur der Fachhochschule München, Pfarrhäuser, 11. 89 Vgl. Schildhauer, Pfarrhof, 180–191. 90 Ebenda, 184 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Pfarrhof Aufenthalt nehmen. Daher ist für diesen ein Wohn- und ein Schlafraum nötig, ferner ein Schlafraum für den bischöflichen Sekretär und eine Schlafkammer für den bischöflichen Diener. Auch das Esszimmer ist in diesem Falle größer zu berechnen und jedenfalls vom Wohnzimmer zu trennen. Ist die Pfarrei auch mit einem Kaplan besetzt, so ist für diesen ein Wohnzimmer und ein Schlafzimmer nötig. […] Für den Haushalt ist nötig: eine Küche, die nicht zu klein bemessen werden darf, eine Speise, ein heizbares Zimmer für die Haushälterin, eine Magdkammer, ein Abort, wenn möglich auch eine Holz- und Besenkammer. Außerdem ein Wirtschaftskeller mit abgeschlossenem Weinkeller, wenn Kohlen gebrannt werden auch ein Kohlenkeller, eine Waschküche und eine Holzlege.91

Auf den Bau von Ökonomiepfarrhöfen geht Schildhauer nicht gesondert ein und merkt bei dieser Gelegenheit kritisch an, es sei bei den heutigen zahlreichen seelsorgerischen und sozialen Aufgaben eines Geistlichen wohl auch nicht mehr erstrebenswert, noch neue Pfarrökonomien zu gründen.92 Jedoch empfiehlt er, es solle zu jedem Pfarrhof ein Hausgarten und Obstgarten gehören, groß genug, um den Eigenbedarf an Gemüse, Kartoffeln, Küchenkräutern und Obst zu decken. Ein kleiner angefügter Ziergarten mit Gartenhäuschen zur Erholung und zum Luftschöpfen nach des Tages Hitze und Anstrengung wird gewiss dankbar begrüßt werden.93

Schließlich gibt Schildhauer noch eine Reihe von praktischen Hinweisen, etwa dass die Amtsräume sich wegen des Personenverkehrs idealerweise im Erdgeschoss befinden sollten, ebenso wie die Küche, das Zimmer der Haushälterin und die Magdkammer, wohingegen der Pfarrer seine Schlafräume im Obergeschoss unterbringen solle. Diese sehr konkreten Überlegungen dürften gleichwohl einen Idealfall beschreiben. Zum einen fehlte es vielen Pfarreien an den erforderlichen Mitteln für die Umsetzung aufwendiger Bauprogramme, zum anderen lag nicht allen Geistlichen gleichermaßen die Beschäftigung mit der Architekturtheorie. Als 1928 in Schwindkirchen das bereits eingangs erwähnte neue Pfarrhaus errichtet wurde, lies Pfarrer Ludwig Schwaiger den Grundriss des Neubaus größtenteils dem alten Pfarrhaus von 1734 nachbauen.94 Bereits dieses, Mittelpunkt einer Ökonomiepfarrei mit 40 Hektar Grundbesitz, hatte die staatlichen Ausmaße von 22x12 Metern gehabt: Das Gebäude war ebenerdig angelegt, eine Hälfte unterkellert. Das Erdgeschoß teilte sich auf in: Speis 16 qm; Sommerküche 19 qm mit einem gemauerten Kochherd (1,7 m mal 1,1 m) mit Brat- und Rauchrohr, einen Wassergrand enthielt die Küche ebenfalls; 2 Hausgänge (einer Ost-West, der andere Süd-Nord), drei Haustüren (südlich, nördlich und östlich); ein Speise91 Ebenda. 92 Vgl. ebenda, 185. 93 Ebenda. 94 Vgl. Kerschbaumer/Waxenberger, Schwindkirchen, 17 und 31–38. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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zimmer mit 29 qm; eine Baustube (Aufenthaltsraum für Knechte und Mägde) mit Kochherd (1,1 m mal 0,7 m); sowie 2 Kammern für Magd und Köchin; einen Kartoffelraum und einen Abort, der auch von außen zugänglich war. Im ersten Stock befanden sich: südlich ein Speisesaal, drei Zimmer (Wohnung des Pfarrers); bloß ein Gang (Ost-West); ein Klo; 4 Schlafzimmer auf der Nordseite.95

In einem Nebengebäude waren ein Entenstall, ein Waschraum und der Backofen untergebracht, dazu kamen ein stattlicher Pfarrstadl und Stallungen.96 Die persönliche Einrichtung der Pfarrhöfe, über die uns kaum Quellen vorliegen, war wohl überwiegend von Einfachheit geprägt, wie Beispiele aus anderen Diözesen zeigen.97 Ein bescheidener Komfort dürfte sich vor allem mit wachsendem Alter und beruflichem Aufstieg entwickelt haben. Gerade die Neupriester hatten bei Stellenantritt kaum eigenen Besitz und auch keine großen finanziellen Spielräume für Neuanschaffungen.

4.1.3 Die Pfarrökonomie als Sonderfall des Pfarrhauses Eine Besonderheit der ländlichen Regionen stellten die Pfarrökonomien dar. Bei diesen Pfarreien bestand die Pfarrpfründe, die das Einkommen des Amtsinhabers sicherte, aus einem landwirtschaftlichen Anwesen, das durch den Pfründeinhaber überwiegend selbst bewirtschaftet wurde. Der Ökonomiepfarrer war mithin im Grunde ein Geistlicher, der im Nebenberuf Landwirt war, oder – je nach Priorisierung des Einzelnen – auch umgekehrt. Diese Verbindung war sehr traditionsreich, denn der Pfarrhof war im ländlichen Raum ursprünglich zumeist ein »wirklicher Bauernhof«98. Im Untersuchungszeitraum dieser Arbeit waren die selbst bewirtschafteten Pfarrökonomien jedoch bereits ein Randphänomen. Die Garantie eines staatlichen Mindesteinkommens für Geistliche führte ab 1861 dazu, dass mehr und mehr Geistliche ihre Pfarrpfründe nicht mehr selbst bewirtschafteten, sondern die Grundstücke verpachteten.99 Parallel zum grundsätzlichen Strukturwandel und Bedeutungsver-

95 Ebenda, 16. 96 Ebenda. 97 Vgl. etwa Imhasly, Pfarrer, 22–25 für das Oberwallis und Rommel, Diözese Mainz, 319 ff. (beide jedoch mit Blick auf das 19. Jahrhundert). 98 Schmid, Weltklerus und Landwirtschaft, 327. 99 Vgl. Schmitz, Besoldung und Versorgung, 27. Als Pfarrer Ludwig Schwaiger 1920 die Pfarrökonomie Schwindkirchen übernahm, war er zunächst nicht in der Lage eine selbständige Bewirtschaftung durchzuführen und verpachtete den nicht unbeträchtlichen Besitz der Pfarrei von über 99 Tagwerk landwirtschaftlichen Nutzgrund und 19 Tagwerk Waldfläche (umgerechnet insgesamt ca. 40 Hektar) an die umliegenden Bauern; vgl. Kerschbaumer/Waxenberger, Schwindkirchen, 13. Im Jahr 1925 nahm er zunächst einen Teil des Grundes wieder zurück, der nun von zwei seiner Neffen bewirtschaftet wurde. 1928 wurde die selbständige Landwirtschaft dann aber endgültig aufgegeben und der Grundbesitz dauerhaft verpachtet. Auch das Kooperatorenhaus wurde nun nicht © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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lust des agrarischen Sektors als Erwerbsquelle verloren auch die Pfarrökonomien an Bedeutung. In den 1960er Jahren verschwand das Phänomen schließlich ganz.100 Bereits in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg brachte die Besetzung der Ökonomiepfarreien, die nun zunehmend als unattraktiv galten, nicht selten Probleme mit sich. Oft mussten hohe Geldbeträge zu Ablöse des Vieh- und Maschinenbestandes oder für Investitionen aufgebracht werden. Infolge der vorangegangenen Inflation zu Beginn der 1920er Jahre und der Weltwirtschaftskrise in den frühen dreißiger Jahren, waren die Geldvermögen jedoch oftmals aufgezehrt. Junge Bewerber, die offenbar als einzige noch zur Übernahme von Pfarrökonomien zu bewegen waren, besaßen zudem so gut wie kaum Geldmittel. Als 1933 die Ökonomiepfarrei Otting im südöstlichen Teil der Erzdiözese ausgeschrieben wurde, verfügte sie über einen Bestand an Inventar und Vieh im Gegenwert von ca. 30.000,− Reichsmark.101 Da der einzige Bewerber für diese Pfarrei das erforderliche Kapital für die Ablöse an den Vorgänger nicht aufbringen konnte, sah sich Generalvikar Buchwieser veranlasst, nun seinerseits auf Priester zuzugehen, die er für geeignet hielt, um ihnen diese Pfarrei anzubieten. Diese Vorgehensweise bedeutete eine Umkehrung des gewöhnlichen Bewerbungsverfahrens, wurde bei Ökonomiepfarreien aber mehr und mehr zur Regel.102 So bot der Generalvikar 1936 auch die Ökonomiepfarrei Kay dem erst 29-jähren Kaplan Johann Jäger an.103 Jäger stammte zwar aus einer Bauernfamilie, hatte aber zunächst kein Interesse, die wirtschaftlich sehr marode Pfarrökonomie zu übernehmen, zumal er sich soeben als Kaplan in München gut eingelebt hatte und mit den dortigen Verhältnissen zufrieden war. Der Generalvikar ließ aber nicht locker und drängte so lange, bis Jäger zusammen mit seinem älteren Bruder, der eben die Landwirtschaftsschule absolviert hatte, die Pfarrökonomie schließlich doch übernahm. Da Jäger die Pfarrkonkursprüfung, deren erfolgreiches Bestehen Voraussetzung für die Übernahme einer Pfarrstelle war, noch nicht einmal angetreten hatte, wurde er mehr benötigt und ebenso wie der sehr geräumige Pfarrstadel an die örtliche Raiffeisengenossenschaft verpachtet; vgl. ebenda 38 f. 100 Vgl. grundlegend Schmid, Weltklerus und Landwirtschaft. Wie dieser hervorhob, besaßen die Pfarreien um 1800 noch 13,6 Prozent der Bauernanwesen im gesamten Kurfürstentum Bayern, wobei es sich hier sowohl um den Besitz der Pfarrpfründe als auch der Kirchenstiftungen handelte und nicht all dieser Besitz selbst bewirtschaftet wurde (Ebenda, 321 f.). Dass die Mitarbeiter des Münchener Erzbischöflichen Ordinariats noch in der Gegenwart die Möglichkeit zum verbilligten Bezug von Wildbret aus Pfründewäldern haben, mutet wie eine Reminiszenz an vergangene Zeiten an. 101 Vgl. AEM, Ordinariatssitzungsprotokolle vom 10.11. und 09. 12. 1933. 102 In diesem Fall zunächst ohne Erfolg – im Januar 1934 wurde die Besetzung dieser Pfarrei mangels geeigneter Personen erneut zurückgestellt, vgl. AEM, Ordinariatssitzungsprotokoll vom 19. 01. 1934. In ähnlicher Weise verfuhr man im Mai 1938 mit der Besetzung der Pfarrei Holzhausen bei Vilsbiburg. Hier forderte der Generalvikar den erst 31-jährigen Koadjutor Franz Kaindl aus Anger auf, sich um die Pfarrei zu bewerben. Kaindl bewarb sich daraufhin tatsächlich und wurde im August 1938 auf die Pfarrei investiert; vgl. AEM, Ordinariatssitzungsprotokoll vom 24. 05. 1938 und Schematismus 1939, 28; 103 Vgl. Johann Jäger, Autobiographisches Fragment (Familienbesitz), 5. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Zwischen Distanz und Partizipation: Aspekte der priesterlichen Identität und Lebenskultur

zunächst mit Sondergenehmigung zum Pfarrvikar ernannt.104 Jäger ging zusammen mit seiner Schwester und zwei Brüdern nach Kay, um mit diesen gemeinsam das landwirtschaftliche Anwesen zu führen. Um die durch den Vorgänger offenbar stark vernachlässigte Landwirtschaft wieder in Gang zu bringen, waren entsprechende Investitionen zu tätigen, er verschuldete sich. Bald war die für den jungen Geistlichen aus ärmlichen kleinbäuerlichen Verhältnissen enorme Schuldsumme von 12.000,− Reichsmark erreicht.105 Trotz Mithilfe der Pfarrgemeinde bei landwirtschaftlichen Arbeiten kam es in den Anfangsjahren immer wieder zu Rückschlägen.106 Nur durch die Mitarbeit des Geistlichen und die staatliche Einkommensergänzung, die Jägers spärliche Einkünfte auf den Pfarrern zustehenden Regelsatz aufstockte, gelang es unter persönlichen Entbehrungen den Betrieb nach und nach ökonomisch erfolgreich zu machen: »Die Schulden wurden im Laufe der Jahre weniger, so dass ich nach drei Jahren meinem Bruder die Heirat erlauben konnte.«107 Auch Ökonomiepfarrer Erhard Huber hatte seinen Bruder und eine seiner Schwestern als Köchin auf den Pfarrhof in Oberbergkirchen mitgenommen. Der Anfang war schwierig, die Ställe der Pfarrei und der Pfarrhof waren leer, die Felder lagen brach, Startkapital war nicht vorhanden.108 Die Ökonomiegeistlichen mussten der erheblichen Doppelbelastung, die aus der Führung von Pfarramt und Landwirtschaft resultierte, standhalten. Aus heutiger Sicht erscheint es mehr als erstaunlich, wie sie dies meistern konnten. Die Pfarrökonomien führten im Grund das zentrale praktische Funktionsargument des Zölibats ad absurdum, der Priester solle von der aus einer eigenen Familie resultierenden Last der ökonomischen Sorge für Dritte befreit werden, um sich ganz auf seine seelsorgliche 104 Vgl. Johann Jäger, Autobiographisches Fragment (Familienbesitz), 5. In ähnlicher Weise war auch bereits bei der Verleihung der Ökonomiepfarrei Oberbergkirchen an Kaplan Erhard Huber im Jahr 1935 verfahren worden. Auch Huber hatte die Pfarrkonkursprüfung noch nicht absolviert, weshalb die Ordinariatssitzung entschieden hatte, ihn zunächst als Pfarrvikar aufzustellen. Vgl. AEM, Ordinariatssitzungsprotokoll vom 08. 02. 1935; Schilderung der Ereignisse durch Huber, Erinnerungen, 34 f. Huber wurde im April 1935 mit 29 Jahren als seinerzeit jüngster Pfarrer bzw. Pfarrvikar der Erzdiözese auf die Ökonomiepfarrei Oberbergkirchen investiert. 105 Vgl. Johann Jäger, Autobiographisches Fragment (Familienbesitz), 6 f. 106 »Mit der Weizenernte kamen wir wegen des nassen Wetters sehr in Verzug, der Weizen keimte schon im Stehen an. Das bedeutete schon die 1. Verlustrechnung. Wir konnten den Ertrag zum größten Teil nur noch als Futtergetreide an den Mann bringen. Die Einnahmen betrugen nur etwas mehr als die Hälfte der Ausgaben. Nun hieß es Kopf hochhalten. Meine Geschwister stundeten den Lohn. Ich selber schaltete mich bei der Arbeit tatkräftig ein.« Johann Jäger, Autobiographisches Fragment (Familienbesitz), 6. 107 Vgl. ebenda. 108 Vgl. Huber, Erinnerung, 40 f. Erhard Huber, zuvor Kaplan in München-St. Paul, berichtete ebenda 42, auch über die Skepsis der einheimischen Bevölkerung bei seinem Amtsantritt: »Vo Minga kimt er außa, wos wird der mit dem Hof ofanga?« (Aus München kommt er, was wird der mit dem Hof anzufangen wissen?) Hubers Erinnerungen sind auch stark geprägt von Auseinandersetzungen mit den lokalen Größen der NSDAP, darunter etwa dem Mühldorfer Kreisleiter. Schikanen waren nicht selten, etwa der Vorwurf der Verfütterung von Brotgetreide (ebenda, 54 f.) oder die Verweigerung einer Baugenehmigung (ebenda, 57–61). Schilderungen des bäuerlichen Alltags treten dahinter zurück. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

Materielle Situation und Einkommensentwicklung323

Aufgabe konzentrieren zu können. Denn die ökonomische Sorge stand hier oft im Vordergrund.109 Es erscheint evident, dass die seelsorglichen Aufgaben des Ökonomiepfarrers oft unter den Zwängen des zudem von äußeren Faktoren wie Wetter und Jahreszeit abhängigen landwirtschaftlichen Betriebs litten. Faktisch war der Priester als Ökonomiepfarrer für einen eigenen Kleinbetrieb mit entsprechender Anzahl an Gesinde oder Angehörigen der eigenen Familie, die im Betrieb mitarbeiteten, verantwortlich. Er übernahm also zusätzlich zu seiner seelsorglichen Aufgabe eine ganz enorme weltliche Last und dies oft in erstaunlich jungen Jahren. Diese erschwerten Umstände mögen erklären, warum die Ökonomiegeistlichen den Betrieb mehr und mehr als Last empfanden und schließlich früher oder später wieder aufgaben, d. h. sich nach Möglichkeit nach einer Pfarrei ohne Landwirtschaft umsahen. Bemerkenswert erscheint, dass die Ökonomiegeistlichen – ähnlich wie die geistlichen Weltkriegsveteranen110 – nicht selten über ein durch ihre praktische Tätigkeit zusätzlich aufgeladenes Selbstbewusstsein verfügten, dass sie vielfach gegenüber Exponenten der NSDAP markanter auftreten ließ. Viele Zeugnisse deuten in diese Richtung.111

4.2 Materielle Situation und Einkommensentwicklung 4.2.1 Herkunft und Höhe des Seelsorgereinkommens Die materielle Situation von Weltklerikern als Folge ihrer Einkommenssituation war nicht nur zwischen den einzelnen Ländern, sondern auch von Diözese zu Diözese und sogar innerhalb einer einzelnen Diözese sehr unterschiedlich.112 In Deutschland war sie zumeist jedoch sehr günstig. Ungeachtet einer tatsächlich wesentlich komplexeren kirchenrechtlichen Situation, die hier nur ausschnittsweise dargestellt werden kann, war der deutsche Geistliche des 20. Jahrhunderts de facto ein Gehaltsempfänger. Dies war das Ergebnis eines längerfristigen Wandlungsprozesses vom Benefizial- zum

109 In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hatte sich ein österreichischer Theologe darüber mokiert, dass die dortigen Ökonomiegeistlichen ihre Besucher zuerst in den Schweinestall und dann in die Kirche führen würden; vgl. Tropper, Lebenskultur des alpenländische Seelsorgeklerus, 344. 110 Vgl. hierzu Kapitel 7.1. 111 Johann Jäger, Ökonomiepfarrer in Kay, erinnerte sich: »Meine Einstellung zur Partei war bekannt. Ich konnte mir aber an Kritik viel mehr leisten, als meine Kollegen. Bei verschiedenen und nicht seltenen Verwarnungen hielt ich den Herren immer entgegen, ihr könnt es selbst beobachten, wie ich durch meine Arbeit zur Ernährung des Volkes beitrage. Ob noch soviel geschafft würde auf dem Hof, wenn ihr mich verhaften würdet müsstet ihr erst sehen.« Vgl. Johann Jäger, Autobiographisches Fragment (Familienbesitz), 7. Entsprechendes findet sich in den Erinnerungen des Ökonomiegeistliche Erhard Huber. Nach der Verhaftung durch die Gestapo »berichte [ich] von meinem persönlichen Einsatz bei der Erntearbeit, zeige meine schwieligen Hände«; vgl. Huber, Erinnerungen, 72. 112 Vgl. Gatz, Kultur des priesterlichen Alltags, 287. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Gehaltssystem, der sich im Verlauf der letzten beiden Jahrhunderte vollzog.113 Bis 1848 war die Klerikerbesoldung ausschließlich auf Basis der Pfründe erfolgt, dann kam es sukzessive zu Ergänzungen des Einkommens, wenn das Pfründeeinkommen die vom Staat festgesetzte Mindesthöhe nicht mehr erreichte.114 Die Höhe des Einkommens war dabei, ähnlich wie bei staatlichen Beamten, abhängig vom persönlichen Status und vom Lebensalter des Stelleninhabers. Während die materielle Lage der Pfarrer stets eher bequem gewesen war, blieb die der Geistlichen ohne selbständige Seelsorgestelle lange sehr prekär. Der Status eines Geistlichen in der Gehaltstabelle bestimmte sich im Grundsatz danach, ob es sich um den Inhaber eines unselbständigen Postens (hierzu wurden in dieser Hinsicht die Kooperatoren, Koadjutoren, Kapläne und Expositi gerechnet) oder um einen selbständigen Seelsorger, d. h. um einen Pfarrer oder Kuraten handelte. Bei den Pfarrern unterschied man zwischen den Inhabern von gehobenen und nicht gehobenen Dienstposten. Das hierfür angewandte Kriterium war die Anzahl an Gemeindemitgliedern der Pfarrei.115 Bis zum Sommer des Jahres 1933 hatten neben der Dompfarrei 139 der 469 Pfarreien des Erzbistums den Status einer gehobenen Pfarrei, danach kam es aus Einsparungsgründen zu einer Reform, in deren Zuge die Zahl der gehobenen Pfarreien auf nur noch 70, also weniger als jede sechste Pfarrei reduziert wurde.116 Bei den Hilfsgeistlichen wurde zwischen jenen mit und ohne eigenen Haushalt ein Unterschied gemacht. Hilfsgeistliche mit eigenem Haushalt erhielten Mitte der 1920er Jahre 75 Prozent der Bezüge eines nicht gehoben Pfarrers, diejenigen ohne eigenen Haushalt 70 Prozent.117 Letztere mussten zudem 65 Prozent ihres Anfangsgehalts für Kost und Logis an ihren Pfarrherrn abgeben, Ihnen wurde also nur etwa

113 Vgl. hierzu Schmitz, Besoldung und Versorgung, 27 f.; Pimmer-Jüsten, tributa sacerdotibus, 13–16. Nach Pimmer-Jüsten ist das Benefizialsystem dadurch charakterisiert, dass der Amtsinhaber das Recht besitzt, aus den Erträgnissen des mit dem Amt verbundenen Vermögens ein ständiges Einkommen zu beziehen. Im Gegensatz dazu wird bei dem sich später entwickelnden Gehaltssystem ein festes Gehalt gezahlt, unabhängig davon, ob mit dem Amt ein Vermögen verbunden ist und dieses hinlängliche Erträge erbringt. 114 Vgl. Schmitz, Besoldung und Versorgung, 27. 115 Vgl. Schmitz, Besoldung und Versorgung, 27: Die Unterscheidung verschiedener, nach Gemeindeangehörigen gestaffelter Gehaltsklassen war erstmals 1888 eingeführt, 1908 wieder abgeschafft und 1924 erneut eingeführt worden. Ab 1931 wurde noch stärker differenziert zwischen einer Sonderklasse und den Ortsklassen A-D, in den Folgejahren gab es weitere Reformen. 116 Vgl. AEM, Ordinariatssitzungsprotokoll vom 28. 07. 1933; Amtsblatt München 1933, 168 f. Dies waren ab 1933 sämtliche Stadtpfarreien mit mehr als 2.500 Pfarreiangehörigen und von den übrigen Pfarreien mit über 2.500 Pfarreiangehörigen jene, die eine besonders hohe Zahl an Gemeindemitgliedern aufzuweisen hatten oder in Orten mit besonders verteuerter Lebensführung lagen. 117 Vgl. Gesetz über die Ergänzung des Einkommens der Seelsorgegeistlichen vom 07. 04. 1925, Art. 2 Abs. I § 1–3, Bay GVBl. 1925, 137. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

Materielle Situation und Einkommensentwicklung325

ein Drittel ihres Gehalts in bar ausbezahlt.118 Dies hatte zur Folge, dass die tatsächlichen Unterschiede beim frei verfügbaren Einkommen eines Geistlichen erheblich von dessen Stellung abhängig waren. Woher kam das Geld, mit dem der Klerus in Bayern bezahlt wurde und woran orientierte sich dessen Einkommen?119 Ursprünglich finanzierte eine Pfarrei ihre Seelsorger aus ihrem eigenen Vermögen, der Pfarrpfründe.120 Diese Pfarrpfründe waren ebenso wie das Kirchenstiftungsvermögen121 in der Säkularisation im rechtsrheinischen Bayern zwar weitgehend unangetastet geblieben, verloren gegangen waren auf der Pfarrebene jedoch die Vermögen der vormals in den Klöstern inkorporierten Pfarreien.122 Diesen wurden als Ersatz durch den Staat teilweise Realien zugewiesen, 118 Zu den Regelungen vgl. sehr detailliert Scharnagl, Seelsorger-Einkommens-Ergänzung, bes. 400 ff. Dieser Satz blieb bei steigendem Gehalt mit dem Anstieg des Dienstalters gleich, so dass das frei verfügbare Einkommen der Hilfsgeistlichen mit den Jahren sukzessive anstieg. 119 Vgl. neben Scharnagl, Seelsorger-Einkommens-Ergänzung; Müller, Staatsleistungen, 110 f. sowie Aschoff, Weimarer Republik und Gatz, Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft, in dem Überblickswerk Gatz, Kirchenfinanzen. 120 Die Pfarrpfründe sind die mit der Amtsstelle eines Pfarrers vertrags- oder stiftungsgemäß verbundenen Besitzungen und die daraus zu ziehenden Einkünfte. Der jeweils amtierende Pfarrer hat das Recht, die Früchte aus der Pfarrpfründe zu genießen. Bedingt durch die historische Entwicklung der Pfarreien fällt der Pfründebesitz sehr unterschiedlich aus. Während die älteren Stadtpfarreien häufig sehr vermögend sind, ist der Pfründebesitz jüngerer Pfarreien oft sehr gering; vgl. Nelles, Pfründe. Im Jahr 1936 befand sich ein Grundbesitz von 42.570 Tagwerk im Besitz der katholischen Kirche innerhalb der Erzdiözese München und Freising (Pfründe- und Kirchenstiftungen, Männer- und Frauenklöster). Der Anteil des kirchlichen Grundbesitzes an den landund forstwirtschaftlich genutzten Flächen Bayerns betrug lediglich 1,3 Prozent und lag damit unter dem Reichsdurchschnitt des kirchlichen Grundbesitzes von 1,6 Prozent; vgl. Pfarramtliche Vermögensverwaltung, in: Bericht Diözesan-Synode 1940, 87 ff. 121 Das Vermögen der Kirchenstiftung, das ebenfalls sehr unterschiedlich groß ausfallen kann, ist getrennt von der Pfarrpfründe. Es dient der Unterhaltung der jeweiligen Ortskirche selbst (Finanzierung des Gottesdienstbetriebs, Baumaßnahmen etc). Die Verwaltung des Kirchenstiftungsvermögens ist strikt dezentral geregelt und obliegt der jeweiligen Kirchenverwaltung mit dem Pfarrer als Vorsitzenden; vgl. Pree, Kirchenstiftung. Über die Verteilung des Vermögens auf die einzelnen Kirchenstiftungen und Pfründe innerhalb der Erzdözese – insbesondere über die anzunehmenden Verschiebungen infolge des Ersten Weltkrieges und der Inflation in den 1920er Jahren – lassen sich mangels Übersichten bzw. einer Gesamtstatistik keine Aussagen machen. Auch kulturgeschichtlich interessante Informationen, wie etwa Größe und Ausstattung der Pfarrhöfe etc., lassen sich für den hier betrachteten Zeitraum infolgedessen nicht systematisch ermitteln. Der letzte Realschematismus Mayer/Westermayer, Statistische Beschreibung, abgeschlossen im Jahr 1880, spiegelt die Verhältnisse der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wieder. Die systematische Neuerarbeitung eines aktuellen Realschematismus für die Erzdiözese München und Freising wird seit Jahrzehnten immer wieder angekündigt, ist bislang aber nicht erfolgt. 122 Mit dem Reichsdeputationshauptschluss 1803 war bekanntermaßen die Säkularisation von nicht unbeträchtlichen kirchlichen Vermögenswerten rechtlich sanktioniert worden. Zugleich waren aber Ausgleichbestimmungen, so genannte Schutzklauseln in Kraft getreten, welche den Staat zu kompensatorischen Ersatzleistungen verpflichteten. Diese sicherten nicht nur den persönlichen und sachlichen Bedarf der kirchlichen Verwaltung und die Baulast an bestimmten Kirchen, © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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teilweise wurden fehlende Realienzuweisungen durch Ausgleichszahlungen kompensiert.123 Hinsichtlich der Frage, inwieweit diese Ausgleichzahlungen – insbesondere vor dem Hintergrund der Veränderungen der pfarrlichen Bedürfnisse und der zu realen Erträgniseinbußen des Pfründevermögens führenden Grundentlastung von 1848124 – ausreichend waren oder nicht und inwieweit es sich um freiwillige Leistungen des Staates handle, bzw. in welchem Umfang ein kirchlicher Rechtsanspruch auf diese Zahlungen bestehe, entspann sich seit der Mitte des 19. Jahrhunderts eine Auseinandersetzung, die bis in die Gegenwart nie mehr vollständig verebbte. Infolge der Grundentlastung kam es »im Interesse einer geregelten Seelsorge und eines dem Klerus angemessenen Lebensunterhalts« erstmals seit 1849 zur regelmäßigen Zahlung einer staatlichen Einkommensergänzung an den Klerus, sofern das Pfründeeinkommen des betroffenen Geistlichen eine vom Staat bestimmte Höhe nicht erreichte.125 Dies war zunehmend häufig der Fall. Da der Staat nicht pauschale Summen entrichtete, sondern bis zu einem gewissen Betrag aufzahlte, war den Pfarrern somit ein Mindesteinkommen garantiert. Seit 1909 leistete der bayerische Staat auch Beiträge zur Entlohnung der Hilfspriester.126 Die politische Neuordnung nach der Revolution stellte die Einkünfte der Kleriker 1921 mit dem Gesetz über die Ergänzung des Einkommens der Seelsorgegeistlichen, das mehrere Novellierungen erfuhr, auf neue gesetzliche Grundlagen.127 Diese für die

sondern auch Dotationskapitalien für Pfarrstellen sowie Leistungen für die Ausbildung, Besoldung und Versorgung von Geistlichen (vgl. Müller, Staatsleistungen, 111). Bezüglich der Bischöfe und Domkapitel formulierten beide bayerische Konkordate – das von 1817 und das von 1924 – dass für deren Einkünfte Realdotationen vorzusehen seien, die der freien Verwaltung der Bischöfe und Domkapitel zu übergeben seien (Bayerisches Konkordat 1817, Art. IV und Bayerisches Konkordat 1924, Art. 10; vgl. Busley, Kirche und Staat, 180–195), doch kam es aus verschiedenen Gründen in der Praxis nie zu dieser Übereignung von Realien und an ihre Stelle trat die Ersatzdotation der Bischöfe und Domkapitel mit Geld aus dem laufenden Staatshaushalt (vgl. Müller, Staatsleistungen, 114 f.). Auch Bischöfe, Dignitäre, Domkapitulare, Domvikare, Ordinariatsoffizianten, bischöfliche Sekretäre und andere waren und sind in Bayern dementsprechend Gehaltsempfänger des Staates. 123 Vgl. Müller, Staatsleistungen, 116. 124 Gemeint ist die aus dem Gesetz, die Aufhebung der standes- und gutsherrlichen Gerichtsbarkeit, dann die Aufhebung, Fixierung und Ablösung von Grundlasten betreffend, vom 8. Juni 1848, resultierende Bauernbefreiung; vgl. Wilhelm Volkert, in: Schmid, Handbuch, Bd. 1, 250–254. 125 Müller, Staatsleistungen, 116. 126 Vgl. Schmitz, Besoldung und Versorgung, 28. Schmitz wies auf regional – auch innerhalb Bayerns – unterschiedliche Lösungen vor diesem Zeitpunkt hin. Nach Wurster, Passauer Diözesanklerus, 362, erhielten die Hilfsgeistlichen bereits seit 1862 staatliche Ergänzungsbeiträge. Dies konnte nicht verifiziert werden. 127 Vgl. Bay.GVBl. 1921, 452; Bay.GVBl. 1924, 72 und Bay.GVBl. 1925, 137 ferner die Verordnung über die Ergänzung des Einkommens der Seelsorgegeistlichen vom 03. 05. 1928 (Bay.GVBl. 1928, 323) und die Entschließung über den Vollzug des Art. 1 Abs. 1 des Seelsorger-Einkommensergänzungsgesetzes vom 23. 02. 1925 (BayGVBl. 1925, 77). Die wichtigsten gesetzlichen Bestimmungen zusammengefasst bei Roedel, Kirchenrecht, 170–189. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Kirche sehr vorteilhaften Gesetze128, an deren Ausgestaltung der Landtagsabgeordnete und später Münchner Domdekan und Weihbischof Anton Scharnagl129 wesentlich beteiligt war, koppelte die Seelsorgereinkommensergänzung zudem an die Besoldung der höheren Staatsbeamten.130 Die Bezüge der Inhaber der gehobenen Pfarreien wurden auf 80 Prozent des jeweiligen Gehalts der Staatsbeamten der Besoldungsgruppe XI, die der Inhaber der übrigen Pfarrstellen und der Predigerstellen auf 80 Prozent der Staatsbeamten der Besoldungsgruppe X festgelegt. Die Hilfsgeistlichen erhielten mit eigenem Haushalt 75 Prozent und ohne eigenen Haushalt 70 Prozent der Bezüge der Besoldungsgruppe X. Aus diesen Regelungen ergaben sich für das Jahr 1925 folgende Gehaltstabellen: Tabelle 7: Seelsorgeeinkommen der Pfarrer p. a. (nach Klerusblatt 1925, 101) Dienstjahr

nicht gehobene Pfarreien

gehobene Pfarreien

1. bis 10.

3168,− RM

3696,− RM

11. bis 12.

3432,− RM

3960,− RM

13. bis 14.

3643,− RM

4224,− RM

15. bis 16.

3854,− RM

4488,− RM

17. bis 18.

4066,− RM

4752,− RM

19. bis 20.

4277,− RM

5016,− RM

21. bis 22.

4488,− RM

5280,− RM

23. bis 24.

4752,− RM

5544,− RM

vom 25. an

5016,− RM

A)

A) Der gehobene Pfarrer hatte sein Endgehalt bereits mit dem 23. Dienstjahr erreicht.

128 Anders als etwa in Preußen, Baden, Württemberg oder Hessen wurde die gesamte Einkommensergänzung vom Staat getragen und es musste kein kirchlicher Eigenanteil durch Kirchenumlagen der Einzelgemeinden oder die diözesane Kirchensteuer erbracht werden. In Preußen gewährte der Staat für die Hilfsgeistlichen zudem überhaupt keine Einkommensergänzung; vgl. Scharnagl, Seelsorger-Einkommens-Ergänzung, passim. 129 Scharnagl, der eine Reihe von Rechtsgutachten zur Frage der Seelsorgereinkommensergänzung verfasste, war auf kirchlicher Seite dann auch der Hauptexponent bei den Auseinandersetzungen mit der NS-Regierung zur dieser Frage. Ein umfangreiches Konvolut zu diesem und anderen Themen der kirchlichen Finanzverwaltung in AEM, NL Scharnagl, S5. 130 Diese endgültige Koppelung geschah aber erst 1925 nach anfänglichem kirchlichem Widerstand. Noch 1921 vermerkten die bayerischen Bischöfe diesbezüglich: »Es wird dankbar begrüßt, dass Stola und Stipendien, auch die Gebühr für Stiftsmessen, nicht in den Gehalt eingerechnet, und dass die Geistlichen nicht durch Einstufung in die Gehaltsgruppen der Staatsbeamten besoldet werden«; vgl. Protokoll der Konferenz des bayerischen Episkopats vom 06. und 07. 09. 1921, in: Volk, Akten Faulhabers, Bd. 1, 202–213, hier 204. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Tabelle 8: Seelsorgeeinkommen der Hilfsgeistlichen p. a. (nach Klerusblatt 1925, 101) Dienstjahr

ohne eigenen Haushalt

mit eigenem Haushalt

1. und 2.

2218,− RM

2376,− RM

3. und 4.

2402,− RM

2574,− RM

5. und 6.

2550,− RM

2732,− RM

7. und 8.

2698,− RM

2890,− RM

9. und 10.

2846,− RM

3049,− RM

11. und 12.

2994,− RM

3207,− RM

13. und 14.

3142,− RM

3366,− RM

15. und 16.

3326,− RM

3564,− RM

vom 17. an

3511,− RM

3762,− RM

Bei der Seelsorgereinkommensergänzung wurde bis 1936 das tatsächliche Einkommen jeder katholischen (und evangelischen) Seelsorgestelle bis auf den dem jeweiligen Stelleninhaber zustehenden Höchstsatz ergänzt, wobei zur Berechnung das Pfründeoder Stelleneinkommen des jeweils laufenden Jahres zugrunde gelegt wurde. Denn bei weitem nicht alle Pfarreien erwirtschafteten genügend, um den Pfarrer allein aus der Pfründe finanzieren zu können.131 Überschritt das tatsächliche Stelleneinkommen in einem Jahr die für den Inhaber entsprechend seinem Dienstalter und Rang vorgesehene Gehaltsstufe, sah das Gesetz die Möglichkeit einer entsprechende innerkirchliche Umverteilung an die leistungsschwächeren Seelsorgestellen durch einen Ausgleichsfonds vor.132 Mehrerträge durften also nicht in jedem Falle einbehalten werden – insofern war die Übernahme ertragreicher Pfründen nicht mehr so attraktiv wie bisher.133 Stolgebühren, Messstipendien und die Erträge freiwilliger Sammlungen 131 So bestand etwa die Pfarrpfründe der Stadtpfarrei München Hl. Geist Mitte der 1930er Jahre nur aus dem Einkommen von fünf Benefizien und einer späteren Zustiftung eines Prälaten. Das Vermögen der Benefizialstiftungen war aber in der Inflation weitgehend aufgezehrt worden, so dass die Kapitaleinkünfte der Stadtpfarrpfründe sich nur noch auf 850,− bis 900,− Reichsmark pro Jahr beliefen, hinzu kam jährlicher Holzbezug vom Stadtrat, also eine Naturalleistung; vgl. EAM, NL Faulhaber 8315, EOM an Oberbürgermeister München vom 02. 10. 1935. Der Pfarrer von Hl. Geist war – obwohl es sich um eine alte Stadtpfarrei handelte – also ganz wesentlich auf die staatliche Einkommensergänzung angewiesen. 132 Vgl. Gesetz über die Ergänzung des Einkommens der Seelsorgegeistlichen vom 07. 04. 1925, Art. 1 Abs. II § 1 (Bay GVBl. 1925, 137). 133 Auch die Übernahme von Ökonomiepfarreien wurde durch das Gesetz vom 07. 04. 1925 nicht attraktiver. Im Fall der Selbstbewirtschaftung einer Landwirtschaft musste der Geistliche zwar lediglich 90 Prozent des ortsüblichen Pachtwerts als Ertrag verrechnen, konnte über einen eventuellen Überschuss also frei verfügen, dies galt jedoch auch dann, wenn der tatsächliche Ertrag unter dem Pachtwert blieb. Der Ökonomiepfarrer trug demnach sogar ein höheres finanzielles Risiko als ein sonstiger Pfründeinhaber, etwa im Falle einer Missernte; vgl. Entschließung über den Vollzug des Art. 1 Abs. 1 des Seelsorger-Einkommensergänzungsgesetzes vom 23. 02. 1925 (hier nach Roedel, © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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und eine freie Dienstwohnung wurden auf das Einkommen aber nicht angerechnet,134 wichtig wurden die ersteren vor allem für die Hilfsgeistlichen, die ihr Einkommen auf diese Weise zusätzlich aufbessern konnten. Für den Vollzug des Gesetzes, d. h. vor allem für das sehr komplexe Abrechnungswesen, war die kirchliche Oberbehörde zuständig,135 die entsprechend in dieser Zeit eine starke organisatorische Ausweitung und Professionalisierung erfuhr, die durch die Gründung der Erzbischöflichen Finanzkammer zu Beginn des Jahres 1928 ihren vorläufigen Abschluss fand.136

4.2.2 Auswirkungen der NS-Kirchenpolitik auf das Seelsorgereinkommen Obwohl die Kirche in materieller Hinsicht mit der geübten Praxis der staatlichen Seelsorgereinkommensergänzung zufrieden sein konnte, gelang es ihr im Verlauf der 1920er Jahre nicht, diese Frage staatskirchenrechtlich einwandfrei zu lösen und den bayerischen Staat bezüglich der staatlichen Einkommensergänzung zur dauerhaften Anerkennung seiner Leistungspflicht zu bewegen. Denn rein rechtlich handelte es sich um eine – wenn auch in gesetzliche Formen gegossene – freiwillige Leistung des Staates.137 Entsprechend einfach gestaltete es sich für die staatliche Seite in juristischer Hinsicht, nach 1933 die staatliche Seelsorgereinkommensergänzung ganz abzuschaffen. Bereits in den Jahren vor der nationalsozialistischen Machtergreifung kam es mehrfach zu Sparmaßnahmen und einer daraus resultierenden deutlichen Minderung der Einkommensergänzung von Seiten des bayerischen Staates.138 Auch die übrigen Staatsleistungen – etwa die Zuschüsse zu den Seminaren – wurden immer wieder gekürzt, so dass Faulhaber im Mai 1932 an den bayerischen Episkopat schrieb, »wenn die Kürzungen in diesem Ausmaß weitergehen, was anzunehmen ist, und die jetzige Regierung noch 1 ¼ Jahre im Amte bleibt, dann werden ›die angemessenen Zuschüsse‹ Kirchenrecht, 184 f.). Zudem musste er für seinen Lebensunterhalt, wie bereits erläutert, zusätzlich zu den seelsorglichen Aufgaben auch noch landwirtschaftliche Arbeit leisten. 134 Vgl. Scharnagl, Seelsorger-Einkommens-Ergänzung, hier 400 ff. 135 Vgl. Gesetz über die Ergänzung des Einkommens der Seelsorgegeistlichen vom 07. 04. 1925, Art. 12 Abs. IV (Bay GVBl. 1925, 137). 136 Vgl. Amtsblatt München 1928, 3 f.; Pimmer-Jüsten, tributa sacerdotibus, 170; Laube, Ordinariat, 42 f. 137 Vgl. Müller, Staatsleistungen, 119 f. 138 Die Versuche von Seiten des Staates, die Staatsleistungen und damit die Seelsorgereinkommensergänzung wieder zu kürzen, begannen schon in der Mitte der 1920er Jahre. Unmittelbar nachdem das Bayerische Kabinett der Seelsorgereinkommensergänzung zugestimmt hatte, begann es mit Verminderungsforderungen an die Kirche heranzutreten, was sich in den häufigen Novellierungen der entsprechenden Gesetze widerspiegelt, vgl. etwa das Protokoll der Konferenz des bayerischen Episkopats vom 09. und 10. 09. 1924, in: Volk, Akten Faulhabers, Bd. 1, 339–347, hier 340: »Laut Zuschrift des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus vom 9. August 1924 betr. ›Verminderung der Seelsorger-Einkommensergänzung‹ sollen die Gehälter der Hilfsgeistlichen abgebaut, kleinere Pfarreien durch Personalunion zusammengelegt und Pfründeinhaber über 65 Jahre emeritiert werden, eventuell unter Weiterverwaltung ihrer Pfarrei vicario modo.« © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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[…] null gegen null aufgehen.«139 Zudem führte auch die faktische Koppelung an die Beamtenbesoldung zu einem Rückgang der Einkommensergänzung beim Klerus, als die Beamtengehälter durch das so genannte Beamtennotopfer in der Wirtschaftskrise zu schrumpfen begannen. 1931 gingen die Bezüge des Klerus dadurch um sechs Prozent zurück.140 Darüber hinaus initiierte noch die BVP-Regierung im Winter 1932/33 eine Absenkung der Staatsleistungen an die Kirche um 2,25 Millionen Reichsmark, die schließlich nach langen Verhandlungen unter der neuen NS-Regierung im Sommer 1933 wirksam wurde.141 Durch die Verleihung eines päpstlichen Privilegs für die bayerischen Kirchenprovinzen wurde die Lastenverteilung infolgedessen neu geregelt. Das Privileg gestand den Diözesen unter anderem die Erhebung einer speziellen Einkommensabgabe für alle im aktiven Dienst stehenden Kleriker zu, welche den Verlust der staatlichen Zuschüsse ausgleichen sollte.142 Diese Abgabe in Höhe von fünf Prozent des Jahreseinkommens wurde rückwirkend ab April 1933 von allen aktiven Seelsorgegeistlichen eingezogen, dies bedeutete faktisch eine Gehaltskürzung. Daneben kam es zu einer Reihe von weiteren direkten oder indirekten Kürzungsmaßnahmen bei den Gehältern, mittels derer die Kirche den Ausfall der staatlichen Zuschüsse aufzufangen suchte.143 Der Klerus hatte also in den Jahren bis 1933 als Folge der Wirtschaftskrise und der damit verbundenen Kürzung der Staatsleistungen bereits nicht unerhebliche finanzielle Einbußen hinzunehmen, die sich in der Größenordnung zwischen 10 und 15 Prozent der Bruttojahreseinkommen bewegt haben dürften. In Bayern war es dann aber doch vor allem Gauleiter und Staatsminister Adolf Wagner, dessen konsequent kirchenfeindliche Politik nach 1933 auf die endgültige und vollständige Abschaffung der staatlichen Einkommensergänzung zielte. Noch bevor Wagner im Dezember 1936 neben dem Innenministerium auch das Staatsministerium für Unterricht und Kultus übernahm, aber sicherlich nicht ohne seinen Einfluss, war im Juni 1936 das Gesetz über die Senkung der Staatsleistungen144 in Kraft getreten, mit dem die staatliche Ergänzung des Seelsorgereinkommens auf ein neues Verfahren 139 Faulhaber an den bayerischen Episkopat vom 17. 05. 1932, in: Volk, Akten Faulhabers, Bd. 1, 602 f. 140 Vgl. Pimmer-Jüsten, tributa sacerdotibus, 170. Die Rechtsgrundlage für diese Gehaltskürzung bildete die Verordnung des Reichspräsidenten zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen vom 01. 12. 1930 (RGBl. I, 1930, 1517). 141 Vgl. Pimmer-Jüsten, tributa sacerdotibus, 170 f.; Amtsblatt München 1933, 223 f.; AEM, Ordinariatssitzungsprotokoll vom 24. 11. 1933. Dass die Installierung einer grundsätzlich den Kirchen feindlich gegenüberstehenden Regierung deren Verhandlungsposition, zumindest psychologisch, schwächte, ist anzunehmen. Andererseits dürften sich die Detailverhandlungen hier auf Ebene der Ministerialbeamtenschaft vollzogen haben, deren alte Riege nicht per se als kirchengegnerisch einzustufen ist, vermutlich aber entschieden und wenig kompromissgeneigt die fiskalpolitische Linie der alten wie der neuen Regierung vertrat. 142 Vgl. Amtsblatt München 1933, 167 f.; Pimmer-Jüsten, tributa sacerdotibus, 170 f. 143 Vgl. Amtsblatt München 1933, 167 f. Hierzu gehörte etwa die bereits erwähnte Reduzierung der Zahl der gehobenen Pfarreien. 144 Vom 27. 06. 1936, Bay.GVBl. 1936, 105. Die Maßnahme war den Kirchen bereits in der Entschließung der Staatsregierung vom 16. 12. 1935 übermittelt worden, vgl. Volk, Akten Faulhabers, Bd. 2, 98 Anm. 2. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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umgestellt und mit der Perspektive einer völligen Abschaffung binnen drei Jahren zugleich reduziert wurde.145 Waren bislang die Konkordatsleistungen – die 1936 für ganz Bayern noch rund 5,2 Millionen Reichsmark betrugen – separat von der Einkommensergänzung geleistet worden, wurde nun beides in eine Pauschalsumme zusammengefasst, deren Berechnungsgrundlage »nach der Zahl der Bekenntnisgenossen pauschaliert wurde.«146 Je Kopf der katholischen Bevölkerung leistete der Staat nun einen Pauschalbetrag von 2,80 Reichsmark, daraus ergab sich eine Gesamtsumme von etwa 15 Millionen Reichsmark für ganz Bayern.147 Da der Pauschalbetrag je Kirchenmitglied in den beiden Folgejahren jeweils abgesenkt wurde, sank nach Abzug der Konkordatsleistungen der für die Seelsorgereinkommensergänzung zur Verfügung verbleibende Anteil kontinuierlich. Bereits die 9,8 Millionen Reichsmark, die 1936 noch bayernweit für die Seelsorgereinkommensergänzung zur Verfügung gestanden hatten, waren nur »noch ungefähr die Hälfte des Betrages, der nach der Inflation für diesen Zweck gegeben worden war.«148 Die Kürzung machte in der Erzdiözese München und Freising rund 720.000 Reichsmark gegenüber 1933 aus. Um diesen erneuten Ausfall wenigstens teilweise zu kompensieren, mussten die Geistlichen eine Reihe weiterer Einschnitte hinnehmen: Die Gehälter wurden quer durch alle Gehaltsgruppen gekürzt, die Intervalle des Vorrückens in die nächste Besoldungsstufe von zwei auf drei Jahre gestreckt, die Zahl der gehobenen Pfarreien wurde erneut, nun auf diejenigen Pfarreien mit mehr als 5.000 Pfarreiangehörigen, reduziert und einige weitere kleinere Kürzungs- und Sparmaßnahmen vorgenommen.149 Berück145 Vgl. AEM, NL Scharnagl S5, Die staatliche Seelsorgereinkommensergänzung in Bayern und deren Aufhebung im Jahre 1939 [19. 02. 1940], 3b. Das Gesetz war von vornherein auf eine dreijährige Übergangszeit beschränkt, nach der die Staatsleistungen vollständig abgeschafft werden sollten. Gegen die Senkung und vorgesehene Abschaffung protestierte der Hl. Stuhl bei der Reichsregierung vergeblich, vgl. Pacelli an Menshausen vom 16. 09. 1936, in: Albrecht, Notenwechsel, Bd. 1, 342– 345. 146 Vgl. AEM, NL Scharnagl S5, Die staatliche Seelsorgereinkommensergänzung in Bayern und deren Aufhebung im Jahre 1939 [19. 02. 1940], 3b. 147 Hierzu ist jedoch zweierlei zu bemerken: Erstens stellte die Pauschalierung methodisch tatsächlich eine wesentliche Vereinfachung dar, zieht man in Betracht, wie komplex und kompliziert das Verfahren der Abrechnung vor allem aufgrund der vielen Ausnahmen, d. h. einzurechnende Sondereinkünfte und abzuziehende Lasten, zuvor gewesen war (vgl. hierzu etwa die Bemerkungen zur Entschließung über den Vollzug des Art. 1 Abs. I des Seelsorgereinkommensgesetzes, in: Klerusblatt 1925, 97 f. mit einer Fülle an detaillierten Vorschriften). Zum zweiten hielt auch der Freistaat Bayern mit der gesetzlichen Neureglung der staatlichen Seelsorgereinkommensergänzung im Jahr 1949 an der von den Nationalsozialisten erstmals praktizierten Lösung mit der Kopfpauschale fest, es wäre also verfehlt, in der Umstellung des Verfahrens selbst schon eine kirchenfeindliche Maßnahme erkennen zu wollen; vgl. hierzu Müller, Staatsleistungen, 121 f. Anm. 43. 148 AEM, NL Scharnagl S5, Die staatliche Seelsorgereinkommensergänzung in Bayern und deren Aufhebung im Jahre 1939 [19. 02. 1940], 3b. 149 Alle Einzelmaßnahmen aufgelistet in: Amtsblatt München 1936, 173 f. Dort auch die neue sich hieraus ergebende Besoldungstabelle. Das Einstiegsgehalt eines Hilfsgeistlichen mit Verpflegung beim Pfarrer lag nach dieser nun vor Abzug der Verpflegungspauschale bei 1.896,− RM jährlich bzw. 158,− RM monatlich (gegenüber 2.218,− RM im Jahr 1925), das Endgehalt eines gehobenen © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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sichtigt man die inflationären Tendenzen, kann von deutlichen realen Einkommensverlusten quer durch alle Typen von Seelsorgestellen gesprochen werden. Diese waren jedoch nicht so drastisch, dass hierdurch etwa der Pfarrerberuf grundsätzlich finanziell unattraktiv geworden wäre. 1939 wurde, wie im Gesetz von 1936 bereits vorgesehen, die staatliche Seelsorgereinkommensergänzung für die Geistlichen beider Konfessionen schließlich ganz abgeschafft.150 Die letzten Zahlungen erfolgten im April 1939. Diesmal kam es nicht zu einer erneuten Kürzung der Gehälter der Geistlichen, vielmehr wurden die Defizite nun aus dem Landeskirchensteueraufkommen finanziert.151 Dies war offenbar eine bewusste Entscheidung der Bischöfe, die dem Klerus eine weitere Gehaltskürzung, die rein theoretisch denkbar gewesen wäre, nicht zumuten wollten. Sie hatte aber zur Folge, dass der finanzielle Spielraum der Kirche – etwa für den Unterhalt und Neubau von Kirchen – insgesamt sank, da ein beachtlicher Teil des Kirchensteueraufkommens nun durch Gehaltsergänzungen aufgezehrt wurde.152 Bereits 1936 war gegenüber den Pfarreien deshalb deutlich gemacht worden, dass zur Deckung des Sachbedarfs der Kirchengemeinden künftig vermehrt das allgemeine Kirchengeld eingeführt werden müsse.153 Aus nationalsozialistischer Sicht war diese Vorgehensweise also nur ein teilweiser Erfolg: Die Kirchen wurden durch die Abschaffung der staatlichen Seelsorgereinkommensergänzung finanziell zwar eingeschränkt, hatten jedoch die Möglichkeit, die Einnahmeausfälle durch eigene Umlagen zumindest teilweise zu kompensieren. Durch die Ortskirchenumlage gewannen sie sogar eine größere finanzielle Unabhängigkeit vom Staat, waren jedoch zugleich stärker als zuvor auf die freiwillige Solidarität der Gemeindeangehörigen angewiesen.

Pfarrers ab dem 29. Dienstjahr bei 5.064,− RM jährlich bzw. 422,− RM monatlich (gegenüber 5.544,− RM im Jahr 1925). 150 Vgl. Faulhaber und Hauck an das Bayerische Kultusministerium vom 06. 05. 1939, in: Volk, Akten Faulhabers, Bd. 2, 641 f. 151 Müller, Staatsleistungen, 121, bes. Anm. 140. 152 Zu den finanziellen Auswirkungen bemerkte Anton Scharnagl im Jahr 1940: »Da die Einnahmen aus den Kirchenumlagen in den einzelnen Diözesen sehr verschieden sind, ist auch die Möglichkeit das Seelsorgereinkommen aus den Kirchenumlagen zu ergänzen, sehr verschieden. Jedenfalls haben alle Diözesen die bisherigen Aufwendungen für den Sachbedarf, insbesondere für die Neuerbauung der unbedingt notwendigen Kirchen und die Instandhaltung der bereits vorhandenen auf das notwendigste Maß einschränken müssen, manche Diözesen, die ein geringes Aufkommen an Kirchensteuern haben sind dazu überhaupt nicht mehr in der Lage, sondern müssen es den einzelnen Kirchengemeinden überlassen, ob und wie sie eine Deckung für die Ortskirchenbedürfnisse finden können.« Vgl. AEM, NL Scharnagl S5, Die staatliche Seelsorgereinkommensergänzung in Bayern und deren Aufhebung im Jahre 1939 [19. 02. 1940], 4. 153 Amtsblatt München 1936, 173. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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4.2.3 Die prekäre finanzielle Absicherung der Außenseiter Priester, die infolge von Krankheit früh arbeitsunfähig oder aufgrund von Fehlverhalten suspendiert und damit stellenlos wurden, fielen weitgehend aus dem System der wirtschaftlichen Absicherung und konnten dadurch in arge finanzielle Bedrängnis kommen.154 In den Jahren der wirtschaftlichen Not nach dem Krieg wirkte sich dies mitunter besonders ungünstig aus. Im Klerusblatt 1923 schilderte ein wegen Krankheit frühzeitig in den Ruhestand versetzter Geistlicher seine entsprechende Situation: … hier in unserer klösterlichen Anstalt sind wir nahezu ein Dutzend kränklicher Priester, meist in jüngeren Jahren. Mit unserer geringen Emeritenpension können wir kaum die Hälfte des gewöhnlichen Tagegeldes für unsere Verpflegung zahlen. An einen neuen Hut, ein Paar neue Schuhe, einen neuen Talar oder Talarrock können wir nicht einmal denken; wir dürfen froh sein, wenn wir nur die Mittel zur Ausbesserung erschwingen können.155

Frühzeitig emeritierte Priester hielten sich oft durch zusätzliche Messstipendien mehr schlecht als recht finanziell über Wasser. Wenngleich diese ein reguläres Festeinkommen kaum ersetzen konnten, trugen sie doch zur Ergänzung der unzureichenden Frühemeritenpension bei.156 Noch schlechter stand es um Priester, die aufgrund von Verfehlungen keine Stelle mehr bekamen. Selbst wenn solchen Priestern die regelmäßige Zelebration und damit zumindest die damit verbundenen Einkünfte aus Messstipendien weiterhin zugestanden wurden,157 reichte dies für den erforderlichen Lebensunterhalt kaum aus. Der Priester Korbinian K.158, der sich durch Konkubinat 154 Vgl. Ruhestandsbezüge für die kath[olischen] Seelsorge-Geistlichen, in: Klerusblatt 1923, 190. Eine sehr geringe Mindestpension aus der Diözesanemeritenanstalt stand den Geistlichen ohne eine bestimmte Anwartschaftsfrist bereits nach ihrer Weihe zu, ab dem 12. Dienstjahr steigerte sich der Pensionsanspruch alle drei Jahre, mit dem 39. Dienstjahr war dann der Höchstsatz erreicht. Dies galt jedoch nicht für diejenigen, welche aus dem Priesterberuf ausschieden. 155 Hilfe in dringender Not, in: Klerusblatt 1923, 190. 156 Ab dem 01. 01. 1937 wurde eine Messe mit 2,− Reichsmark festgesetzt, der Priester erhielt hiervon 1,30 Reichsmark. Der Rest fiel an Kirche und Sakristeipersonal (je 30 Pfennige) sowie die Ministranten (10 Pfennige); vgl. AEM, Ordinariatssitzungsprotokoll vom 27. 11. 1936. Bei täglichem Messelesen – und einer entsprechenden Anzahl an Stipendien – konnte ein Priester also auf ein zusätzliches Monatseinkommen von maximal etwa 40,− Reichsmark kommen. 157 Gelegentlich zu findende flehentliche Bitten von suspendierten Geistlichen an ihren Oberhirten, ihnen zumindest die regelmäßige Zelebration wieder zu gestatten, müssen also auch vor dem Hintergrund der damit verbundenen Möglichkeit zur Erzielung zumindest eines geringfügigen Einkommens durch die Übernahme von Messstipendien gesehen werden, wenngleich sich diese pekuniäre Begründung in den Bitten der Priester kaum jemals finden lässt. 158 Korbinian K., geb. am 10. 02. 1875 in Dorfen, Redemptorist, 1897–1902 in Brasilien tätig, 1898 Priesterweihe in Brasilien (Diözese St. Paul), 1911 aus dem Redemptoristenorden entlassen, 1911 Schloßkaplan bei Graf Bray-Steinberg, 1914 in seiner Heimat Dorfen (evtl. Priesterhaus), 1915 Kommorant, studienhalber in München, hat facultas celebrandi in St. Ursula in München, jedoch keine Anweisung. Seit 1926 Klagen über unklerikalen Lebenswandel, ab 1932 Tätigkeit im Dienst der Erzdiözese auf häufig wechselnden Aushilfsposten: 1932 Kooperatur-Verweser in Moosen/Vils, © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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und unklerikalen Lebenswandel ins Abseits gebracht hatte, sah sich 1937 veranlasst, beim Wohlfahrtsamt München Antrag auf Unterstützung einzureichen, da er trotz täglichen Zelebrierens nur etwa 35,− Reichsmark je Monat an Einkünften erzielte. In diesem – extremen – Fall, führte das geringe Einkommen gepaart mit der offenbaren Unfähigkeit mit Geld umzugehen, sogar zur Unterernährung des Betroffenen.159 Eine weitere Einkommensmöglichkeit für Geistliche, die aufgrund von Krankheit oder Fehlverhaltens außer Dienst gestellt waren, bot der so genannte Tischtitel, eine Form der staatlichen Unterstützung für stellenlose Geistliche, die aber das Existenzminimum kaum abzudecken vermochte.160 Der Priester Klemens B., wegen Sittlichkeitsvergehen im Priesterhaus Mariabrunn untergebracht und infolgedessen ohne Einkommen aus priesterlicher Tätigkeit, erhielt von August 1913 bis Januar 1915 einen Unterhaltsbeitrag aus dem Landesherrlichen Tischtitelfonds von täglich 1,50 Reichsmark.161 Für den Lebensunterhalt war dies nur dann ausreichend, wenn der Priester – wie der genannte B. – in einer entsprechenden kirchlichen Anstalt untergebracht war. Wie der Fall des aus der Diözese Speyer stammenden und in München ansässigen Priesters Dr. Franz Rödel162 zeigt, waren Priester, die aufgrund ihres unklerikalen Lebenswandels mit ihrem Oberhirten im Streit lagen und keine Stellung mehr erhielten, auf eine Vielzahl von Einkommensquellen angewiesen und kamen dennoch häufig aus einer finanziell prekären Lebenssituation nicht heraus, sofern sie sich nicht grundsätzlich beruflich neu orientierten, was bei vielen infolge des Alters kaum mehr 1933 Pfarrvikar in Eschlbach, 1934–1937 vermutlich suspendiert, 1937 Aushilfspriester in Eiselfing, Aushilfspriester in Lafering-Taufkirchen, Kooperatur-Verweser in Pittenhart, 1938 KooperaturVerweser in Oberdarching, Kooperatur-Verweser in Aufkirchen, 1939 Kooperatur-Verweser in Bergkirchen, 1939 Kooperatur-Verweser in Rieden, 1941 Koadjutor in Wolfersdorf, 1942 Aushilfspriester bei St. Peter und Paul in München-Trudering, 1943 Aushilfspriester in Gerolzbach, 1944 Kaplan in Miesbach, 1945 Aushilfspriester in Grünthal, Aushilfspriester in Ranoldsberg, Aushilfspriester in Welshofen, gest. am 08. 10. 1945; vgl. AEM, Priesterpersonalakten P III 869. 159 AEM, Priesterpersonalakten P III 869, Wohlfahrtsamt München an EOM vom 08. 02. 1937. K. hatte über Jahre hinweg nur von der öffentlichen Suppenküche gelebt, so dass er schließlich auf Vermittlung des Caritasverbandes ein kostenloses tägliches Abendessen im Münchener Gesellenhaus erhielt, vgl. ebenda, Bericht des Caritasverbands der Erzdiözese München und Freising über H. H. Korbinian K[…] vom 01. 09. 1936, Anlage 3. Eine Versorgung aus dem Diözesanemeritenfonds war für K. auch deshalb ausgeschlossen, da dieser nicht der Erzdiözese München und Freising, sondern der Diözese St. Paul in Brasilien angehörte. 160 Vgl. Götz von Olenhusen, abweichendes Verhalten, 62. 161 Vgl. AEM, Priesterpersonalakten P I Klemens B., Regierung von Oberbayern an EOM vom 10. 09. 1913 und vom 18. 01. 1915. Zum Fall B.s vgl. Kapitel 5.3.3 dieser Arbeit. 162 Franz Rödel, Dr. phil., geb. am 30. 03. 1891 in Zell (Pfalz), Priesterweihe 1918 in Speyer, Einsatz als Hilfspriester auf diversen Seelsorgestellen, infolge Konkubinats mit einer verheirateten Frau Anfang der 1920er Jahre kanonischer Prozess, 1924 vom priesterlichen Dienst suspendiert, lebte seit 1926 in München, in der Folge Engagement in verschiedenen Vereinigungen gegen Antijudaismus und Antisemitismus, das zu seiner Lebensaufgabe wird, Anfang der 1940er Jahre Wiederannäherung an die Kirche, ab 1953 Kommorant in Jetzendorf/Ilm, 1956 Gründung des privaten Institutum Judaeologicum Catholicum, 1966 Institutsumzug nach München, gest. am 08. 07. 1969; vgl. zu seinem Leben und Wirken ausführlich Forstner, Franz Rödel. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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möglich war. Rödel, ebenfalls ein Konkubinist, erreichte Ende des Jahres 1941 trotz eines ihm gewährten Tischtitels, regelmäßiger Zelebration und einer zusätzlichen Teilzeitbeschäftigung als Bürokraft, nur ein Monatseinkommen in Höhe von 157,− Reichsmark.163 Das Monatseinkommen des 50-jährigen Rödel reichte zwar zum Überleben, lag aber noch unter den monatlichen Bezügen eines 25 oder 26 Jahre alten Hilfsgeistlichen im ersten Dienstjahr. Im Gegensatz zu diesem konnte er auf beruflichen Aufstieg aber nicht mehr hoffen.164 Der gescheiterte Geistliche stand also nicht nur beruflich und gesellschaftlich, sondern häufig auch finanziell im Abseits.

4.3 Freizeitgestaltung, Urlaub, Reisen 4.3.1 Priesterliche Freizeitgestaltungen im Spannungsfeld von Standeskonformität und Anpassung an die bürgerliche Lebenswelt Die Trennung zwischen beruflichen Verpflichtungen auf der einen und Freizeit und Urlaub auf der anderen Seite, sind bei Klerikern nicht so stark ausgeprägt, wie in sonstigen bürgerlichen Berufen.165 Priester haben weder einen normierten AchtStunden-Arbeitstag, noch legen sie das geistliche Gewand und damit verbunden den habitus clericalis nach Erfüllung ihres Arbeitspensums ab.166 Die relative Eigenständigkeit der Geistlichen mit der Möglichkeit zur einigermaßen freien Einteilung der Arbeitszeit, etwa bei der Vorbereitung von Ansprachen, Predigten oder Schulstunden, dürfte dennoch selbst bei den Inhabern unselbständiger Seelsorgestellen durchaus einen »natürlichen Rhythmus von Arbeit und Entspannung«167 möglich gemacht haben.168 Grundsätzlich arbeitsfrei war der Sonntagnachmittag, zumal für 163 Vgl. ABSp, Personalakt Rödel, Pfarramt Planegg an Ordinariat Speyer vom 15. 01. 1942. 164 Auch für Priester, die während der NS-Zeit mit dem Staat in Konflikt gerieten, konnte dies finanzielle Auswirkungen haben. Dies ist zumindest in Einzelfällen belegt. Stadtpfarrer Emil Muhler wurde während seiner Haft die staatliche Einkommensergänzung durch das Kultusministerium gestrichen, da es – so das Kultusministerium – nicht angängig sei, ihm im Hinblick auf seine Verurteilung eine »freiwillige Staatsleistung« zukommen zu lassen; vgl. Pörnbacher, Emil Muhler, 133. 165 Vgl. zum Freizeitverhalten von Klerikern bes. Gatz, Kultur des priesterlichen Alltags, 307–311 ferner Tropper, Lebenskultur des alpenländischen Seelsorgeklerus, 349 ff.; zur Sozialgeschichte der Freizeit grundsätzlich Shivers/Delisle, Story of Leisure. 166 In Interviews betonten Geistliche gegenüber dem Verfasser immer wieder das Fehlen normierter arbeitsfreier Zeiten: »Aber so, wie man es heute macht, z. B. am Montag keine Beerdigung abhalten, weil das ein freier Tag ist, [das gab es nicht; Th. Fo.]. Bei uns hat es geheißen: ›Ihr seid für die Leute da, nicht die Leute für euch.‹« Vgl. EAM, Priesterbefragung 2003, Interview Siebenhärl. 167 Wurster, Passauer Diözesanklerus, 365. 168 Dass auf der Diözesansynode 1930 im Referat über priesterliche Standesfragen der Hinweis gegeben wurde, dass die Tage des Priesters »zum mindesten achtstündige Arbeitstage sein« müssten, deutete darauf hin, dass die Arbeitsauslastung zumindest nicht überall gleich hoch war und es an manchen © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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den Klerus das allgemeine Gebot der Sonntagsruhe auch eine religiöse Verpflichtung darstellte.169 Jedoch wurde in seelsorglichen Notfällen, etwa für die Spendung der Krankenkommunion, naturgemäß auch zu diesen Zeiten Dienstbereitschaft erwartet. In Ermangelung einer eigenen Familie waren Kleriker in ihren Mußestunden im Regelfall zunächst allein. Klagen über Einsamkeit sind vor allem von denen überliefert, die dem Priestertum aus diesem Grund den Rücken kehrten.170 Im Umkehrschluss darf man nicht davon ausgehen, dass nur wenige von ihr betroffen waren.171 Je nach Dienstposten war das Arbeitspensum mitunter nur gering, umso mehr erschienen alternative Beschäftigungsoptionen notwendig.172 Gefährten für gemeinsame Freizeitaktivitäten fanden Kleriker vorwiegend in eigenen gleichaltrigen Standesgenossen oder im Kreis der Hausgenossen. Ein Priester bemerkte hierzu: »Wir haben die Gemeinschaft gesucht. Das war schon wichtig und wir haben sie auch gepflegt, vor allem unter den Theologen.«173 Andere scharten Jugendgruppen um sich, wie der jugendbewegte Domkaplan und Religionslehrer Gottfried Simmerding174, der einen neuen Pfadfinderstamm begründete und mit diesem auch in seiner Freizeit auf Stellen zeitliche Freiräume gab, die als zu groß eingeschätzt wurden; vgl. Referat I: Priesterliche Standesfragen, in: Bericht Diözesansynode 1930, 10–13, hier 11. 169 Die Sonntagsruhe war durch Art. 139 der Weimarer Reichsverfassung vom 11. 08. 1919 auch gesetzlich geschützt. 170 So etwa Bernhart, Kaplan, 36: »Ich wusste wohl, dass in dieser Einsamkeit die großen Dinge reifen, aber als sie nicht kommen wollten, wandte ich mich den kleinen zu. Heute zeichnete ich den Kirchturm in mein Skizzenbuch, morgen nahm ich die Geige hervor und strich eine leichte Sonate herunter, aber wenn dergleichen geschehen war, fehlte das Echo eines anderen …«. Im selben Zusammenhang beschreibt Bernhart das Verhalten seines damaligen Pfarrherrn, welcher der Einsamkeit ausweichend allabendlich ins Wirtshaus floh. 171 Vgl. zum Problemkreis der Einsamkeit des Priesters in zeitgenössischer Perspektive: Leister, Priesterliche Einsamkeit; Sellmair, Priester, 185–188. 172 Vgl. wiederum Bernhart, Erinnerungen 1881–1930, 209 über diesbezügliche Ausführungen des Georgianumsdirektors Schmid: »Um mit Gefühlen der Vereinsamung fertig zu werden, brauche der Pfarrer irgendwelche Liebhaberei. ›Auf dr kleine Pfarrei werdet Täg kommen, da standet S’scho in der Früh um 8 Uhr unter der Haustür, d’ Händ in da Hosentasch, und fraget S’: Jatz, was tun mer heut?‹« 173 EAM, Priesterbefragung 2003, Interview Geisinger. Ludwig Geisinger, geb. am 02. 01. 1915 in Oberwössen, 1939 Priesterweihe in Freising, Hilfspriester in Gauting-St. Benedikt, 1940 KooperaturVerweser in Zorneding-St. Martin, 1941 aktiver Wehrdienst (Sanitäter), anschl. Kriegsgefangenschaft in der Sowjetunion (bis 1949), 1950 Präfekt im Erzbischöflichen Studienseminar Traunstein, 1955 Pfarrer in St. Georgen-St. Georg, 1988 Versetzung in den dauernden Ruhestand, gest. am 09. 02. 2005; vgl. AEM, Chronologie der Diözesanpriester 2004, 81 f.; Schematismus 2005/2006, 564. 174 Gottfried Simmerding, geb. am 03. 02. 1905 in Landau/Isar, 1929 Priesterweihe in Freising, Kaplan in Bad Reichenhall-St. Nikolaus, 1930 Aushilfspriester in München-St. Franziskus, Kaplan in München-St. Margaret, 1934 Katechetenkaplan in Pasing-Maria Schutz, 1937 Domkooperator in München, 1945 Kaplanei-Verweser in München-St. Johann Baptist/Solln, 1946 Religionslehrer an der Gisela-Oberrealschule in München, 1968 Versetzung in den dauernden Ruhestand, Kommorant in München, gest. am 29. 03. 2006; vgl. AEM, Chronologie der Diözesanpriester 2004, 265 f.; EAM, Priesterbefragung 2003, Interview Simmerding. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Fahrten ging. Nicht gern gesehen wurden hingegen gemeinsame Freizeitaktivitäten mit der Haushälterin. Die standestypischen Pflichten, etwa die Verpflichtung zum täglichen Breviergebet, entfielen nicht während der Urlaubszeit und die Kleriker waren auch in ihren Mußestunden verpflichtet, sich der Würde ihres Standes gemäß zu verhalten. »Was einen körperlich oder geistig erholt, lässt sich nicht vorschreiben. Der Priester muss aber trachten, seine Erholung in solchen Dingen zu finden, die ihn nicht in den Augen der Gläubigen herabsetzen und so indirekt seiner geistlichen Wirksamkeit schaden«175, bemerkte Hertling in seinen Hinweisen zum standesgemäßen Verhalten des Klerikers. Dadurch entfielen bestimmte Möglichkeiten der Freizeitgestaltung naturgemäß vollkommen. 4.3.1.1 Der Problemkreis des Wirtshauses Die Stadt bot andere Freizeitmöglichkeiten als das Land. Insbesondere der schon unter Studierenden häufig beliebte Besuch bürgerlicher Vergnügungen wie Konzert, Oper und Theater bleib beim städtischen Klerus vielfach auch weiterhin eine beliebte Freizeitbeschäftigung. Hingegen fanden auf dem Land weitaus mehr die dort üblichen Geselligkeiten Verbreitung. Zwar waren den Klerikern Freizeitbeschäftigungen wie Glücks- und Würfelspiel, der Besuch von Lokalitäten, die für Geistliche als unschicklich galten, insbesondere die aktive Beteiligung an Tanzveranstaltungen untersagt, dennoch scheint der Wirtshausbesuch und auch das Kegel- und Kartenspiel eine weit verbreitete und, sofern nicht um Geld gespielt wurde, von der Obrigkeit schließlich geduldete Praxis gewesen zu sein.176 Der Priester Franz Kronberger erinnerte sich diesbezüglich: Damals, als es noch kein Radio und kein Fernsehen gab, oft auch keine Tageszeitung oder gar kein Auto, war für Priester das Kartenspiel eine willkommene Abwechslung. Manchmal ging der lustige Spruch eines Pfarrers um: ›Ohne Kenntnisse im Schafkopf, hätte der Kaplan seinen Beruf verfehlt.‹177

Ein eher musisch geprägter Kleriker, antwortete, befragt nach dem Freizeitverhalten seiner Mitbrüder in dieser Zeit, lapidar und mit etwas abfälligem Gestus: »Bier 175 Hertling, Priesterliche Umgangsformen, 64. 176 Rein formal war der Wirtshausbesuch nur zulässig, sofern eine Notwendigkeit vorlag. Der Kanonist Eichmann rechnete hierzu »Reise, Vereinstätigkeit, gesellschaftliche Rücksichten«; vgl. Eichmann, Kirchenrecht, Bd. 1, 155 Anm. 4., gerade letzteres war fast beliebig interpretierbar; vgl. zum Problemkreis auch Lexis, Wirtshausbesuch. 177 Kronberger, Erinnerungen, 7. Vgl. auch die missbilligende Reaktion eines Pfarrherrn auf den neuen Kaplan, als dieser bekundet, er würde das Kartenspiel Tarock nicht spielen, bei Bernhart, Kaplan, 27; ähnlich die unter 4.1.1.3 beschriebene Reaktion bei Engelbert Neuhäusler. Modlmayr, Hetzkaplan, 10 f. stellte sich in seinen Erinnerungen selbst als leidenschaftlichen Kartenspieler da: »Einige Zuschauer standen um unseren Tisch, da mein Spiel immer etwas frech und kühn war. Meine schlechten Solos waren als ›Kaplansolo‹ bekannt.« © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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trinken und Karten spielen.«178 Über einen auch in anderer Hinsicht bereits auffällig gewordenen Geistlichen wurde berichtet: Er war ein echter Wirtshausheiliger, dem das Wirtshaussitzen, Kartenspielen und Schimpfen als Lebensinhalt erschien. Er erzählte gleich am ersten Tage öffentlich am Biertisch Dinge, die auf seinen Charakter ein schlechtes Licht warfe[n]. […] Er aß im Pfarrhof, ging aber täglich aus zum Kartenspielen. Nach Schließung des Gasthauses begleitete er irgendeinen Bauern heim, um dann in dessen Hof weiterzuspielen.179

Das Bewusstsein, bereits mit dem Wirtshausbesuch gegen eine Norm zu verstoßen, war im Übrigen kaum vorhanden. So räumte ein Geistlicher sogar gegenüber dem Ordinariat ein, dass er während des Dritten Reichs – aus politischen Gründen – nicht mehr in das Wirtshaus gegangen sei, dieses früher aber sehr wohl praktiziert habe.180 Das Wirtshaus war aber nicht nur hinsichtlich eines nicht standeskonformen Habitus, sondern auch hinsichtlich des Alkoholkonsums problematisch. Alkoholismus stellte im Priesterstand ein nicht geringes Problem dar, der Umgang damit war schwierig. Die Dunkelziffer der Betroffenen, bei denen die Sucht nicht amtsbekannt wurde oder von Seiten der Oberbehörde keine Maßnahmen eingeleitet wurden, dürfte hoch einzuschätzen sein.181 Vermutlich kann in der sozialen Isolation vieler Kleriker, d. h. vor allem dem Fehlen einer familiären Bindung, eine Ursache hierfür gesehen werden. Die Übergänge zwischen regelmäßigem Alkoholkonsum und Suchtverhalten erwiesen sich, zumal in Bayern mit seiner ausgeprägten Wirtshauskultur und angesichts der traditionellen Beteiligung der katholischen Kirche an Entwicklung, Herstellung und Vertrieb von alkoholischen Getränken, vorwiegend des Bieres, als fließend.182 Seit 1901 bestand ein eigener Priesterabstinentenbund, der zeitweilig auch

178 EAM, Priesterbefragung 2003, Interview Neuhäusler. 179 AEM, Priesterpersonalakten P III 1643, Murschhauser an Buchwieser vom 06. 06. 1946. Bei diesem Geistlichen handelte es sich um den bereits genannten Korbinian K. 180 Vgl. AEM, Nationalsozialistische Verfolgung katholischer Geistlicher, Fragebogen A, Jakob Engl, Anlage, Blatt 3. 181 Alkoholismus galt bis in die 1960er Jahre hinein nicht als Krankheit, sondern allenfalls als fehlgeleitetes Sozialverhalten. Auch der regelmäßige Konsum ganz erheblicher Mengen an Alkohol war gesellschaftlich weitgehend akzeptiert, solange der Betreffende die Affektkontrolle bewahrte. Götz von Olenhusen, abweichendes Verhalten, 202, stellte für Baden eine hohe Toleranzgrenze gegenüber priesterlichem Alkoholkonsum innerhalb der Bevölkerung fest: »Grundsätzlich wurde es auch von der katholischen Bevölkerung toleriert, wenn der Pfarrer sein Bier oder ›Viertele‹ trank, auch wenn er es gelegentlich übertrieb.« Gleiches kann für Oberbayern gelten; vgl. zur Häufigkeit des Problems auch Nickel, Theologisch-praktische Monatsschrift, 252 Anm. 429. 182 Trotz dieser Tradition wandte sich der Bundesausschuss der Katholiken Bayerns gegen den Alkoholmissbrauch, in dem 22 katholische Verbände aus Bayern zum Kampf gegen den Alkoholismus zusammengeschlossen waren, energisch gegen den Missbrauch von Religion und Kirche in der Alkoholreklame, vgl. Gegen den Missbrauch der Religion zur Alkoholreklame, in: Klerusblatt 1931, 24. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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eine Zeitschrift herausgab, die sich der Thematik Klerus und Alkohol annahm.183 Auch in der Münchener Erzdiözese beschäftigte man sich mit dem Thema Fürsorge für alkoholgefährdete Priester. Kardinal Faulhaber regte in einer Ordinariatssitzung des Jahres 1938 die Beratung dieses Themas im engen Kreis von Ordinariatsvertretern an.184 Ursprünglich war sogar eine Konferenz in größerem Rahmen angedacht gewesen, von der Faulhaber aber absah, da er angesichts dieser Themenstellung eine »Ausbeutung durch [die] Presse«185 fürchtete. Die im Falle alkoholkranker Priester zu Gebote stehenden Mittel waren im Regelfall gering, solange man die Betroffenen nicht unmittelbar in eine Anstalt einwies, was nur bei schweren Fällen möglich war und in der Praxis aber häufig weitere Probleme mit sich brachte. Kooperatur-Verweser Ludwig B.186 gehörte zu den eher hoffnungslosen Fällen: Nach einer ersten Amtsenthebung des gerade einmal 30-jährigen alkoholkranken Geistlichen im Jahr 1913, kam er als Chorregent in die Diözese Augsburg, später als Hausgeistlicher in die Lungenheilstätte Donaustauf in der Diözese Regensburg. Letzteres war ein typischer Abschiebeposten, auf dem man als Alkoholiker nur wenig auffiel respektive die Gefahr, Ärgernis zu erregen, noch am geringsten war. Nach weiteren Problemen landete B. 1932 – mit noch nicht einmal 50 Jahren – als Ruhestandgeistlicher in Mariabrunn. Im Dachauer Umland wurde er ein so eifriger Stammgast zahlreicher Wirtshäuser, dass das Ordinariat sich genötigt sah, ein »allgemeines Wirtshausverbot« gegen ihn zu verhängen.187 Doch der Direktor der Anstalt erwies sich hier durchaus als der größere Pragmatiker als die Domkapitulare in München und teilte Generalvikar Buchwieser im Oktober 1933 seine diesbezüglichen Bedenken mit:

183 Begründer war der aus Düsseldorf stammende Priester Wilhelm Josef Maria Anno Neumann (1856–1912), einer der frühesten Vorreiter der Abstinentenbewegung und Begründer zahlreicher Vereinigungen gegen den Alkoholmissbrauch, darunter des Kreuzbundes. Zu den von ihm herausgegebenen Zeitschriften gehörten u. a. die Katholischen Mäßigkeitsblätter, Sobrietas und die Rundschau in der Alkoholfrage; vgl. Lutsch, Neumann. Der Kreuzbund verfügte in der Erzdiözese über einen eigenen Diözesanverband, 1933 bestanden zwei Arbeitsgruppen in München; vgl. Schematismus 1933, 316. 184 Vgl. AEM, Ordinariatssitzungsprotokoll vom 18. 02. 1938. Ergebnisse der Konferenz sind nicht überliefert. 185 Ebenda. 186 Ludwig B., geb. am 01. 06. 1883, Priesterweihe 1909 in Freising, Koadjutor in Langenpettenbach, 1910 Vizepräses des Zentralgesellenvereins in München, Chorregent und Benefiziumsverweser in Bad Aibling, 1912 Kooperator in St. Wolfgang, am 01. 02. 1913 vom Dienst enthoben, 1915 Chorregent in Füssen (Diözese Augsburg), 1924 Chorregent bei St. Jodok in Landshut, 1928 Hilfsgeistlicher an der Lungenheilstätte Donaustauf (Diözese Regensburg), 1931 Kooperatur-Verweser in Haimhausen, 1932 in den zeitlichen Ruhestand versetzt (Anstalt Schönbrunn), 1934 Kommorant in Birkeneck, 1935 Kooperator in Holzhausen, gest. am 23. 08. 1935; vgl. Schematismus 1935, 91 und 237; Schematismus 1936, 314; der Personalakt des AEM ist nicht erhalten, die Angaben zum Suchtverhalten folgen dem Patientenakt im ZAFWS, 4.1.5.2., 1/1934 Ludwig B. 187 Diese Maßnahme weißt auch auf die grundsätzliche Duldung des Wirtshausbesuchs von Geistlichen durch die Kirchenobrigkeit hin. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Sowie ich Herrn B[…] kenne, wird er ein allgemeines Wirtshausverbot durchaus nicht beachten. Es ist anzunehmen, dass er seltener in andere Gasthäuser geht, wenn ihm der Besuch des Gasthauses Mariabrunn erlaubt wird. Deshalb erachte ich es als zweckmäßig, ihm den Besuch des Mariabrunner Gasthauses zu gestatten, den Besuch anderer Gasthäuser dagegen streng zu verbieten.188

Da diese Methode aber offenbar wenig Wirkung zeigte, plante man anlässlich seiner Versetzung in das Kloster Birkeneck im Folgejahr, ihm die Ruhestandsbezüge nicht mehr unmittelbar auszubezahlen, um zu vermeiden, dass diese direkt in Alkohol umgesetzt werden konnten. Auch diese Idee wurde dann aber offensichtlich verworfen, da man sie als wenig praktikabel erachtete.189 Der Fall macht deutlich, wie wenig wirksame Mittel der Obrigkeit im Falle von Suchterkrankungen zur Verfügung standen. 4.3.1.2 Das neue Phänomen des Sports Der bereits aus der Priesterausbildung bekannte Spaziergang, ursprünglich ein Schlüsselmotiv bürgerlicher Selbstrepräsentation, spielte auch als Sonntagnachmittagsbeschäftigung des Klerus eine zentrale Rolle. Es erscheint wenig überraschend, dass es im Zuge des Wandels der Freizeitbeschäftigungen schließlich nicht beim Spaziergang blieb, sondern gerade bei den Jüngeren ihm verwandte Bewegungsarten, vor allem das Wandern und das Bergsteigen, aber auch das Radfahren zu den Lieblingssportarten des Klerus avancierten. Gerade die jüngeren Geistlichen begeisterten sich zunächst zögerlich, doch schließlich zunehmend für Sport, was zur Beantwortung der Frage nötigte, welche Sportarten denn mit dem Klerikerstand vereinbar seien. Noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts war in der Passauer Theologisch-praktischen Monatsschrift eine umfassende Kontroverse über diesen »vernachlässigten Zweig der Ascese« geführt worden.190 Als standesgemäß hatten sich bei den eher progressiv argumentierenden Geistlichen sukzessive die überwiegend »mit Naturgenuss verbundenen«191 Sportarten durchgesetzt: Bergsteigen, Skifahren, Schlittschuhlaufen, auch die Jagd192 galten als 188 ZAFWS, 4.1.5.2., 1/1934 Ludwig B., Anstaltsdirektor Steininger an EOM vom 20. 10. 1933. 189 Ebenda, EOM an Steininger vom 19. 05. 1934. 190 Vgl. hierzu Nickel, Theologisch-praktische Monatsschrift, 247–251: In seinem Aufsatz Ein von uns vernachlässigter Zweig der Ascese (ThPM 11, 1901, 21–28) hatte der Hammelburger Stadtpfarrer Emil Weber die priesterliche Leibesertüchtigung nicht nur in den Kontext positiver männlicher Tugenden gestellt, sondern auch als Form der asketischen Vervollkommnung interpretiert. Dieser Beitrag rief heftige Gegenreaktionen hervor, er ist mit seiner positiven Betonung des starken und gesunden männlichen Körpers auch im Hinblick auf die Männlichkeitsdiskurse innerhalb des Katholizismus und der Zurückweisung des pejorativen Fremdbildes von den effeminierten ultramontanen Klerikern von weitergehendem Interesse. 191 Vgl. Hertling, Priesterliche Umgangsformen, 64–69. 192 Wobei der CIC 1917 in can. 138 explizit zwischen der gelegentlichen Jagd als erlaubt und der Treibjagd und »häufigen Jagd« als verboten differenzierte; vgl. auch Mayer, Kirchenrechts-Sammlung, Bd. 1, 54 f. Zur problematischen Beurteilung des Schlittschuhlaufens als zu körperbetont siehe noch Bernhart, Kaplan, 66 f. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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standesgemäß. Schwimmen schien für den Klerus »ungemein erschwert«, weil sich »kaum mehr eine Badeanstalt findet, in die er [der Priester; Th. Fo.] anständigerweise gehen kann, wo wenigstens getrennte Zeiten für Herren und Damen sind. In den üblichen Strandbädern kann er sich nicht sehen lassen.«193 Trotz dieser Erschwernisse erfreute sich das Schwimmen einiger Beliebtheit, offenbar wurde es geduldet, zumal wenn man abgelegene Plätze fern der Badeanstalten aufsuchte.194 Keinesfalls als standesgemäß galten die in den 1920er und 30er Jahren beliebten, körperbetonten Sportarten wie Ringen, Boxen, Fechten oder Turnen. Beim Turnen hielt man für den Priester allenfalls »Zimmergymnastik« für möglich, »von einer weiteren turnerischen Betätigung, besonders in der Öffentlichkeit, wird ihn schon das Kostüm abhalten.«195 Tennis und andere Ballspiele wie Fußball galten im Wesentlichen nur für Seminaristen als statthaft, sofern sie in angemessener Kleidung ausgeübt wurden. Ein »Burschenpräses«, der mit seinen Leuten auf öffentlichem Platz Fußball spielte, würde hingegen »peinliches Aufsehen erregen«196 und somit den von Joseph Bernhart beschriebenen »allezeit wachsame[n] Sinn der Leute für die Grenzen des Schicklichen im Leben ihrer Kleriker«197 empfindlich berühren. Gerade wenn der Priester nicht die priesterlichen Funktionen ausübte, galt es den Amtsnimbus nicht zu beschädigen: »Der Priester, den die Gläubigen gewohnt sind am Altar, auf der Kanzel und im Beichtstuhl zu sehen, darf sich nirgends in der Turnhose zeigen und seine Muskeln zu Schau stellen. Das zerstört den Nimbus, den der Priester in den Augen der Gläubigen hat und haben soll.«198 In der Erzdiözese wurde bereits 1920 die katholische Sportorganisation Deutsche Jugendkraft (DJK) gegründet, sie scheint aber erst zu Beginn des Jahres 1932 wirklich institutionalisiert199 worden zu sein. Als Bezirkspräses fungierte Domkooperator Josef 193 Hertling, Priesterliche Umgangsformen, 65 f. 194 Hierfür lassen sich zahlreiche Beispiel finden: Kronberger, Erinnerungen, 10, früh im Besitz eines eigenen Autos, erinnerte sich, sogar den zu vorbildlichem Verhalten verpflichteten Regens des Klerikalseminars, Joseph Westermayr, und einen Freisinger Religionsprofessor zum Baden an die Amper chauffiert zu haben. Geradezu schockiert reagierte der gesamte Klerus, als zwei Primizianten unmittelbar nach ihrer Primiz beim gemeinsamen Baden im Starnberger See ertranken (Vgl. EAM, Priesterbefragung 2003, Interview Eham). 195 Hertling, Priesterliche Umgangsformen, 66. 196 Ebenda, 67. 197 Bernhart, Kaplan, 67. Wie Bernhart ebenda bemerkte, galten Sportarten die sich um »reinen Selbstgenuss in schöner Bewegung« drehten (z. B. der Eiskunstlauf), beim Landvolk als unschicklich für den Priester, nicht jedoch Sportarten, bei denen um Geld gespielt wurde, wie das Eisstockschießen. Die Einschätzung der Bevölkerung war also durch einen gewissen Materialismus geprägt, der das rein Ästhetische – wohl mangels Verständnis hierfür – ablehnte. 198 Hertling, Priesterliche Umgangsformen, 68. 199 Vgl. Amtsblatt München 1933, 82 f.: »Immer weitere Kreise zieht die Turn- und Sportbewegung in ihren Bann, immer tiefer setzt sich die Erkenntnis von der Notwendigkeit einer vernünftigen Leibespflege durch. […] Andererseits haben wir Katholiken unverrückbare Grundsätze, die wie in der Seelenpflege so auch in der Leibespflege berücksichtigt werden müssen. Die ›Bischöfl. Leitsätze und Weisungen‹ scheinen für verschiedene Turn- und Sportvereine nicht zu bestehen! Deshalb sahen sich die verantwortlichen Führer gezwungen, einen eigenen Verband für Leibesübungen in katholischen Vereinen zu gründen: die ›Deutsche Jugendkraft‹.« Bei den genannten Leitsätzen © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Thalhamer. Das Anliegen der DJK bestand darin, der gewachsenen Bedeutung der Körperkultur aus katholischer Sicht Rechnung zu tragen und angemessen zu begegnen: »Der Sinn der Leibesübungen muss der Geist sein. Ihn, der an den Leib gebunden ist, von dessen Last zu befreien, ihn frisch, froh, stark und frei zu machen, damit er ganz Herr im Menschen sei«200, formuliert die Programmschrift des Verbandes. 1928 wurde erstmals ein so genannter Informationslehrgang für geistliche Jugendvereinsleiter zum Thema »Klerus und Leibesübungen« abgehalten, der in seinem Bestreben »Zweck und Stellung der Leibesübungen zum Gesamtziel der Erziehung, hinsichtlich der biologisch-hygienischen und seelisch-sittlichen Wirkungen, hinsichtlich des Maßes und der Grenzen und ihrer mannigfaltigen Übertreibungen« zu bestimmen, zunächst eher theoretisch überfrachtet zu sein schien, schließlich den Teilnehmern aber auch »praktische Übungen, der Hauptsache nach Freiübungen und Turnspiele« und somit einen »Erlebnisunterricht« mit dem »Erleben ›süßen Schmerzes‹ in bislang unerlebten Muskelpartien« bot, der manchem der priesterlichen Teilnehmer durchaus zu behagen schien.201 Auch das Fußballspiel ließ, trotz eines Betätigungsverbots, Teile des jüngeren Klerus nicht unberührt.202 Insbesondere der Bergsport hatte im Klerus eine weit in das 19. Jahrhundert zurückreichende Traditionslinie, die vermutlich durch die im Zuge der Jugendbewegung modisch gewordenen Wanderungen noch verstärkt wurde.203 Der Geistliche Adalbert Albrecht204 erinnerte sich: Ich und meine Brüder waren sehr begeisterte Bergsteiger. Wir sind also mit dem Radl oft nach Bad Reichenhall und Berchtesgaden gefahren, haben dort die Räder eingestellt und sind auf

handelt es sich um die zuvörderst für Laien bestimmten Katholischen Leitsätze und Weisungen zu verschiedenen modernen Sittlichkeitsfragen aus dem Jahr 1925, vgl. Amtsblatt München 1925, 27–30. 200 Vgl. Unbek. Verf., Deutsche Jugendkraft. 201 Vgl. Klerus und Leibesübungen, in: Klerusblatt 1928, 481. 202 Valentin Niedermeier, geb. 1916, berichtete von einer Fußballmannschaft im Knaben- und Klerikalseminar, die sich trotz des offiziellen Verbots zu etablieren vermochte: »Fußballspielen war verboten, weil es angeblich eine rohe Sportart sei, wie es damals hieß, was natürlich nicht ganz haltbar war, aber so war das halt damals.« EAM, Priesterbefragung 2003, Interview Niedermeier. 203 Erinnert sei etwa an den berühmten Tiroler Geistlichen Franz Senn (1831–1884), der zu den Initiatoren des 1869 gegründeten Alpenvereins zählte, vgl. zur bedeutsamen Rolle des Klerus bei der Entstehung der alpinistischen Bewegung Zannini, Tonache e piccozze. Dass selbst hochrangige Kleriker dieser Zeit in ihrer Jugend begeisterte Anhänger des Bergsportes waren, belegen etwa der späteren Münchener Erzbischof Julius Kardinal Döpfner (vgl. Wittstadt, Döpfner, 281) oder Papst Pius XI. (vgl. Gatz, Kultur des priesterlichen Alltags, 310). 204 Adalbert Albrecht, geb. am 29. 08. 1916 in Salzburghofen, 1947 Priesterweihe in Freising, Koadjutor in Niklasreuth, 1948 Kaplan in München-Zu den Hl. Zwölf Aposteln, Präfekt im Erzbischöflichen Knabenseminar Traunstein, 1949 Kaplan in München-St. Michael/Berg am Laim, 1962 Pfarrer in Schönau, 1986 Versetzung in den dauernden Ruhestand, gest. am 05. 12. 2008; vgl. AEM, Chronologie der Diözesanpriester 2004, 2 f.; Schematismus 2008/2009, 617. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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die Reiteralm, den Untersberg, den Staufen oder die Schönfeldspitze gegangen. […] Auch Radtouren haben wir gemacht.205

Dabei wagte man sich durchaus auch in die Extremzonen des Alpinismus vor: Friedrich Frei206, seit 1939 als Sekretär des Generalvikars im Erzbischöflichen Ordinariat an einer Scharnierstelle tätig, bestieg in seiner Freizeit zahlreiche Viertausender der Alpen, davon einige mehrmals, und hielt als Hobbyfotograf seine Exkursionen auch fotografisch fest.207 Neben den Sommeralpinismus trat im Winter der Skisport.208 Der Bergsport hielt früh auch in die zeittypische Metaphorik Einzug, etwa wenn der Lebensweg eines verstorbenen Klerikers in einem lyrisch gehaltenen Nachruf mit einer Bergwanderung assoziiert wurde.209

4.3.2 Urlaub und Reisen Von der wachsenden Mobilität, die sie aufgrund der damit verbundenen sittlichen Gefahren bei den Laien beklagten, profitierten die Geistlichen auch selbst. Das Motorrad wurde unter jüngeren Klerikern zunehmend beliebt, es erhöhte ihre persönliche Beweglichkeit und vergrößerte ihren Aktionsradius. Zugleich erschwerte die Möglichkeit der raschen und flexiblen Entfernung die Überwachung durch den Pfarrherrn oder Dekan. Zuvor war man, vor allem auf dem Land, auf Eisenbahn oder Fahrrad angewiesen gewesen. Bedenkt man dabei, dass die Mehrzahl der kleinräumigen ländlichen Regionen Oberbayerns erst um 1900 an das Bahnnetz angeschlossen wurden,210 wird deutlich, welch enormer Mobilisierungsschub sich innerhalb einer Generation zwischen 1900 und 1930 auch für die Angehörigen des Weltklerus vollzogen hatte. Auch infolge ihrer familiären Unabhängigkeit reisten Kleriker gerne, sofern es ihre 205 EAM, Priesterbefragung 2003, Interview Albrecht. 206 Friedrich Frei, geb. am 12. 02. 1910 in Augsburg, 1935 Priesterweihe in Freising, Koadjutor in Ohlstadt, Kooperatur-Verweser in Hohenkammer, 1937 Kaplan in München-St. Andreas, 1939 Sekretär des Generalvikars, 1939–2002 auch Domvikar, 1949 Kanzleirat, 1950–1981 Leiter der Registratur des Generalvikars, 1981 Versetzung in den dauernden Ruhestand, gest. am 21. 06. 2008; vgl. AEM, Chronologie der Diözesanpriester 2004, 75; Schematismus 2008/2009, 616. 207 EAM, Priesterbefragung 2003, Interview Frei. 208 Nicht immer zur Freude aller Standsgenossen. Auch hier werden Generationenkonflikte sichtbar, etwa wenn ein Geistlicher im Seelsorgebericht über seinen Koadjutor bemerkt: »Am Nachmittag hat [Koadjutor Sebastian] Aicher dem Pfarrer keine Andacht und Funktionen abgenommen; er ist zum Skifahren gegangen. Die Degerndorfer Kinder, die nachmittags sich bei der Kinderbetstunde einfanden, haben das Ungehörige dieser Handlungsweise gefühlt und bemerkt: ›Uns schickt der Rel[igions]lehrer zum Beten; er fährt auf den Wendelstein zum Skifahren.‹ Es wäre höchste Zeit, diesen Priester zur Ordnung zu rufen, noch besser ihn von Deg[ern]d[or]f abzurufen.« [sic!] AEM, Seelsorgeberichte, Dekanat Rosenheim, Seelsorgebericht der Pfarrei Flintsbach für das Jahr 1943. 209 Vgl. den Nachruf auf Kooperator Anton Forsteneichner (gest. 1865) bei Zeller, Licht- und Lebensbilder, 4 der folgendermaßen beginnt: »So manchen Berg hast Du bestiegen, / Dich zog empor der inn’re Drang / In tiefer Einsamkeit zu liegen, / Am hohen, steilen Felsenhang …« 210 Vgl. Generaldirektion, Weichenstellungen. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Abb. 13: Domkaplan Gottfried Simmerding (1905–2006) beim Breviergebet auf einer Skihütte, undat., ca. 1930er Jahre, Sammlung Simmerding, München.

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finanziellen Verhältnisse zuließen. Hierfür kam in der Regel nur der Sommermonat August in Frage, traditionell der Ferienmonat des Klerus. Infolge der Residenzpflicht bedurfte die Abwesenheit vom Pfarrort der Erlaubnis des Ortsordinarius, wobei die Gründe des Urlaubs und das Ziel der Reise anzugeben waren. Zugleich musste für die Zeit der Abwesenheit selbständig eine Vertretung organisiert werden, da das seelsorgliche Angebot für die Gemeinde trotz Abwesenheit des Seelsorgers kontinuierlich aufrecht erhalten werden musste.211 Gelegentlich ergaben sich auch die wechselseitige Übernahme von Pfarrstellen durch Geistliche oder temporärer Ferienaufenthalt in einer anderen Diözese bei gleichzeitiger Übernahme einiger seelsorglicher Verpflichtungen wie der sonntäglichen Zelebration.212 Im Anzeigenteil des Klerusblattes oder im diözesanen Amtsblatt veröffentlichte Werbeangebote für Priesterferien verdeutlichen, welche Vorstellungen Erholung suchende Priester von einem idealen Urlaubsziel hatten: ruhig, bodenständig, sauber und auf klerikale Bedürfnisse eingestellt.213 Die Erzdiözese unterhielt in Partenkirchen das Priestererholungsheim St. Josef, das von Barmherzigen Schwestern bewirtschaftet wurde.214 Es bot bei mäßigen Preisen beste Verpflegung und angenehme Unterkunft […] Die große Auswahl an Spaziergängen und Bergtouren, einschließlich dreier Bergbahnen, vornehmlich aber die äußerst günstigen klimatischen Verhältnisse geben Gewähr rascher und gründlicher Erholung, wie dies schon viele Hunderte von Priestern in den letzten Jahren erfahren konnten.215

211 Vgl. Amtsblatt München 1926, Beilage: Protokoll der Freisinger Dekanskonferenz vom 18. 11. 1926, 4 und Amtsblatt München 1934, 137 f. Da in einer Pfarrei zumeist mehrer Kleriker tätig waren, stellte die gegenseitige Vertretung im Regelfall aber kein besonderes logistisches Problem dar. Die exakten römischen Vorschriften zum Verhalten der Priester während eines Ferienaufenthalts außerhalb ihrer Diözese in: AAS 18, 1926, 312 f.; siehe auch Mayer, Kirchenrechts-Sammlung, Bd. 1, 57–59. 212 Vgl. etwa Amtsblatt München 1937, 105 wo vom Pfarramt Rügen Ferienaufenthalte für Geistliche auf dieser Insel angeboten wurden. Angebote dieser Art kamen vor allem aus Diasporaregionen, in denen mangels ausreichender eigener Seelsorger in der Urlaubszeit eine seelsorgliche Unterversorgung der Gläubigen drohte. 213 Vgl. z. B. Klerusblatt 1931, 31: Hier wirbt eine Anzeige für Ferien in Tirol: »Fremdenpension, für Priester bestens empfohlen; anerkannt gut. Herrliche Gebirgswelt; sehr ruhig. Sechs Altäre.« Im Amtsblatt München 1935, 95 wird für das Priester- und Pilgerheim der Waldbreitbacher Franziskaner in Rom geworben: »Das Haus ist neuzeitlich eingerichtet, hat eine Hauskapelle mit 5 Altären, befindet sich in günstiger, ruhiger Lage der Stadt und hat gute Straßenbahnverbindungen zu allen Hauptkirchen. (In 12 Minuten nach St. Peter!)«; Die Pension Kleinholz in Kufstein warb: »einsam, ruhig und doch Stadtnähe (15 Min.) Ebene Spaziergänge durch Wiesen und Wälder, sanfte Anhöhen, Hochgebirge (Wilder Kaiser), Bergseen. Anerkannt gute Wiener Küche, Hauskirchlein mit 6 Altären.« Klerusblatt 1933, 91. Im Klerusblatt 1933, 74 wird für die Heime des St. Josef-Priestervereins in Meran, Opatija und Bad Gastein geworben. Auch hier wurde die Bewirtschaftung durch Schwestern und das Vorhandensein eigener Hauskapellen besonders hervorgehoben. 214 Vgl. Schematismus 1933, 128. 215 Amtsblatt München 1931, 137. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Das Haus verfügte wie die Mehrzahl der Priestererholungsheime auch über eine eigene Kapelle, damit die Kleriker ihren geistlichen Verpflichtungen nachkommen konnten. Auch des 1925 gegründeten Bayerische Pilgerbüros, eines in katholischer Trägerschaft stehenden Veranstalters von Wall- und Pilgerfahrten, bedienten sich Priester häufig für die Durchführung entsprechender Reisen, nicht selten als geistliche Begleiter entsprechender Reisegruppen von katholischen Laien. Traumziel aller deutschen Kleriker war naturgemäß zunächst einmal Rom als Zentrum der katholischen Welt. Exotische Fernreisen, wie sie der aus vermögender Familie stammende und finanziell unabhängige Domkaplan Gottfried Simmerding in großer Anzahl unternahm, blieben die Ausnahme.216 Dennoch sah sich die Diözesanleitung 1934 veranlasst, den Klerus zu mahnen, er möge aufgrund der wirtschaftlichen Notlage »von weiten und kostspieligen Reisen ins Ausland auch heuer Abstand nehmen.«217 Auch im Hinblick auf seine Urlaubsziele hatte der Klerus darauf zu achten, dass niemand an zu üppigem Lebenswandel Anstoß nahm und es darüber nicht zu einem Ärgernis kam. Naturgemäß waren auch bei den Reisen die strengen kirchlichen Kleidungsvorschriften einzuhalten.218

216 Vgl. EAM, Priesterbefragung 2003, Interview Simmerding. 217 Amtsblatt München 1934, 137 f. 218 Das Tragen der priesterlichen Kleidung während der Urlaubszeit wurde wiederholt eingeschärft, etwa auf der Dekanekonferenz in Freising 1926: »Ausflüge oder Reisen in Laienkleidern sind den Priestern der Münchener Erzdiözese strengstens verboten. Auch bei Vereinsausflügen und Radtouren muss der Priester für jedermann als Priester kenntlich sein.« Amtsblatt München 1926, Beilage Protokoll der Freisinger Dekanskonferenz vom 18. 11. 1926, 4. 1931 präzisierte man die Vorschriften nach römischen Direktiven erneut: »Die S. Congr. Concilii hat […] erklärt, dass in der Zeit der Sommerferien (›tempore aestivarum vacationum‹) die Verpflichtung das Priesterkleid ›nach Form und Farbe‹ zu tragen nicht stillesteht. Hiernach finden die Verfügungen der Freisinger Dekanskonferenz vom 18. November 1926 analoge Anwendung: auch während der heißen Jahreszeit ist für die Hochwürdigen Herren der hochgeschlossene schwarze Talarrock nicht bloß für die Amtstätigkeiten außerhalb des Gotteshauses, sondern allgemein für Straße und Reise vorgeschrieben.« Amtsblatt 1931, 163; vgl. auch AAS 23, 1931, 336. Gerade die Selbstbewussten unter den Geistlichen lehnten die Tarnung, die ihnen der Zivilanzug bot, nicht nur im Hinblick auf die Vorschriften, sondern auch im Sinne eines offensiven Bekenntnisses zu ihrem Stand ab. Der Geistliche Aloys Goergen etwa, bemerkte hierzu: »Ich habe immer Wert darauf gelegt, erkennbar zu sein. Ich habe mich nie getarnt. Ich habe das auch immer falsch gefunden bei den großen Reisen, die ich machte. Da sah ich dann immer, wie die deutschen Geistlichen – meist waren sie zu zweit oder mit ihrer Haushälterin – so ein Phantasiekostüm trugen. Aber man sah ihnen an, dass sie Geistliche waren. Ich habe das nie gemacht, ich bin immer in Dunkel gegangen.« EAM, Priesterbefragung 2003, Interview mit Aloys Goergen. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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4.4 Geistige und wissenschaftliche Interessen 4.4.1 Lektüre Für Priester als Angehörige einer bildungsnahen Schicht spielte Lektüre nicht nur im Hinblick auf ihre fachliche Weiterbildung eine Rolle, sondern auch als Form der Freizeitgestaltung.219 Neben der Theologie und den pädagogischen Fragen galten die schwerpunktmäßigen Interessen der Priester offenbar der Geschichte, der Kunst und der belletristischen Literatur.220 In der Geschichte wie in der Kunst lag der Schwerpunkt sehr stark auf kirchlichen Themen mit regionaler Fokussierung auf Bayern, wobei man sowohl historische Ereignisse, die sich nach der französischen Revolution abspielten, wie auch künstlerische Tendenzen nach dem Ende des Barock kaum noch wahrgenommen zu haben scheint. In geringerem Maße bestand ein Interesse an naturwissenschaftlichen Fragestellungen. Letztere scheinen vor allem in Verbindung mit praktischen Fragen der Landwirtschaft (etwa Obstbau, Imkerei) oder der angewandten Naturkunde (etwa Ornithologie, Anlage von Herbarien u. ä.) von Interesse gewesen zu sein. Daneben fanden sich viel Reiseliteratur und Alpinistika.

219 Auf die theologische Literatur kann hier nicht eingegangen werden, da eine auch nur einigermaßen oberflächliche Darstellung der Rezeption theologischer Literatur durch den Klerus, eine separate Studie völlig anders gearteten methodischen Zuschnitts erfordern würde. Die Fachlektüre verrät zudem kaum etwas über die außerberuflichen Interessen und Neigungen der Kleriker, denen in diesem Kapitel in erster Linie nachgegangen werden soll. Lediglich am Rande sei darauf hingewiesen, dass – wie Buchnachlässe von Klerikern zeigen – die aszetische, homiletische und katechetische Literatur in den Klerikerbibliotheken den breitesten Raum einnahm, was darauf hinzudeuten scheint, dass konkrete Fragen des priesterlichen Alltags vor der Auseinandersetzung mit komplexen dogmatischen Spezialfragen standen. Die Kleriker waren in dieser Hinsicht also durchaus Praktiker, die Fachliteratur hatte den Zweck, sie bei der Erledigung ihrer Alltagsgeschäfte zu unterstützen. Gleiches gilt auch für die Mehrzahl der Artikel im Klerusblatt. Dieses verfügte zwar über eine Redaktion, aber nicht über einen festen Stamm an journalistischen Mitarbeitern, insofern schrieben hier vor allem Kleriker für Kleriker und das Angebot an Artikeln war stark von den Neigungen einer schriftstellerisch tätigen intellektuellen Elite innerhalb des Klerus bestimmt. 220 Die zur Erzdiözese München und Freising gehörige Dombibliothek Freising verwahrte bis in das Jahr 2008 einen inzwischen aufgelösten, etwa 80.000–100.000 Bände umfassenden, unkatalogisierten Depotbestand an Büchern aus Priesternachlässen, der grob nach Themen, bei der Belletristik auch nach Autoren geordnet war. Die folgenden Beobachtungen stützen sich zum Teil auf eine Durchsicht dieses seinerzeit systematisch aufgestellten Bestandes durch den Verfasser. Anhand der Häufigkeit bestimmter Autoren und Schlüsselthemen können Rückschlüsse auf das Lektüreverhalten und die Interessensgebiete der Priester gezogen. Autoren, Werke und Themen der Zeit nach 1950 blieben unberücksichtigt. Der Verfasser dankt Herrn Bibliotheksoberrat i. K. Dr. Martin Walko (Dombibliothek Freising) für wertvolle Hinweise. Zur Thematik grundlegend: Nüssler, Pressverein; Rauscher, Katholizismus, Bildung und Wissenschaft; Grunewald/ Puschner, milieu intellectuel catholique. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Bei der Belletristik überwogen in den Klerikerbibliotheken die Autoren, die in ihrer Zeit für ein ausgeprägt religiöses Profil bekannt waren:221 Gertrud von Le Fort222, Reinhold Schneider223, Ida Friederike Görres224, Elisabeth Langgässer225, Peter 221 Angaben zur Biographie und zu zentralen Werken der im Folgenden genannten Autorinnen und Autoren wurden im Regelfall nur bei heute weitgehend in Vergessenheit geratenen Schriftstellern gemacht. Zum Forschungsfeld des literarischen Katholizismus vgl. zudem den Überblick von Pittrof, Literarischer Katholizismus; zur katholischen Belletristik nach der Modernismuskrise Ries, Literaturstreit. 222 Getrud von Le Fort, geb. am 11. 10. 1876 in Minden, studierte evangelische Theologie, Geschichte und Philosophie. Ursprünglich Protestantin, konvertierte sie 1926 zum Katholizismus. In ihrem aus Romanen, Erzählungen und Lyrik bestehenden Werk behandelte sie vorwiegend religiöse Fragen, Frauen stehen zumeist im Vordergrund einer heilgeschichtlich orientierten Handlung, die katholische Kirche erscheint als zentrale sittliche Ordnungsmacht. Während des Nationalsozialismus, dem sie ablehnend gegenüberstand, verblieb Le Fort in Deutschland, sie starb am 01. 11. 1971 in Oberstorf; wichtige Werke: Hymnen an die Kirche (1924), Das Schweißtuch der Veronika (1928), Die Letzte am Schafott (1932), Die Magdeburgische Hochzeit (1938), Der Kranz der Engel (1946); vgl. Kettern, Le Fort (mit weiterführender Literatur). 223 Reinhold Schneider, geb. am 13. 03. 1903 in Baden-Baden, aus dem badischen Großbürgertum stammend, nach Tod der Eltern und Selbstmordversuch kaufm. Ausbildung, seit 1928 freier Schriftsteller, seit 1938 in Freiburg, galt im Dritten Reich als politisch unerwünschter Autor, doch konnten seine Werke erscheinen, 1945 Anklage wegen Hochverrats, große Anerkennung und Popularität nach 1945, zahlreiche Preise und Mitgliedschaften in literarischen Akademien, gest. am 06. 04. 1958 in Freiburg/Brsg. Schneider vertrat eine tragische Weltsicht, politisch pflegte er eine konservativ-monarchistische Haltung, zum Katholizismus fand er nach Distanzierung in seiner Jugend Ende der 1930er Jahre zurück, er verfasste sowohl Lyrik als auch Prosawerke, historische Dramen, Essays und theoretische Traktate, annähernd 200 Titel; einige wichtige Werke: La Casas vor Karl V. (1938), Der Balkon (1957), Der große Verzicht (1958); vgl. Lüttich, Schneider (mit weiterführender Literatur). 224 Ida Friederike Görres, geb. Reichsgräfin Coudenhove-Kalergi, geb. am 02. 12. 1901 auf Schloss Ronsperg/Böhmen, Novizin bei den Englischen Fräulein, Mitarbeit in der Jugendbewegung Quickborn, Studium der Geschichte und Kirchengeschichte, 1928 Jugendsekretärin für Mädchenseelsorge in Dresden, seit 1931 Veröffentlichung literarischer Werke, in denen ein zeitgemäßer, auf die Durchbrechung traditioneller Schemata gerichteter, aber inhaltlich kirchentreuer Katholizismus deutlich wird, 1935 Heirat mit Carl-Josef Görres, gest. am 15. 05. 1971 in Frankfurt a. M.; wichtige Werke: Gespräche über die Heiligkeit (1931), Der Kristall (1939), Des anderen Last (1940), Johanna (1943), Das verborgene Antlitz (1944), Brief über die Kirche (1946); vgl. Kleinert, Ida Friederike Görres. 225 Elisabeth Langgässser, geb. am 23. 02. 1899 in Alzey, 1919 bis 1931 Tätigkeit als Volksschullehrerin, seit 1931 als freie Schriftstellerin, zeitweise Begeisterung für den Nationalsozialismus, 1935 Eheschließung mit dem katholischen Philosophen Wilhelm Hoffmann, 1936 aufgrund der Nürnberger Rassengesetze Entlassung aus der Reichsschrifttumskammer, in den letzten Kriegsjahren Zwangsarbeit in einer Munitionsfabrik, Erkrankung an Multipler Sklerose, gest. am 25. 07. 1950 in Karlsruhe. L. empfing Anregungen durch den Renouveau catholique, ihre Lyrik gilt als mythologisch überfrachtet, auch in den Romanen vermag sie die andrängende Bilderfülle nicht immer konzeptionell zu bewältigen. Ihr Werk gilt gerade wegen manch eigentümlicher Überspanntheit als Faszinosum. Zu ihren zentralen Themen gehörte das Ringen zwischen den Mächten des Unheils und der Gnade. Nach 1945 übte sie scharfe Kritik an den Dichtern der inneren Emigration und an ihrer eigenen Haltung während des Nationalsozialismus; wichtige Werke: Der Wendekreis des Lammes (1924), © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Dörfler226, Werner Bergengruen227 und Ernst Wiechert228 sind tatsächlich die Namen der am häufigsten in den Klerikerbibliotheken anzutreffenden Autoren. Diese Autoren Rettung am Rhein (1938), Das unauslöschliche Siegel (1946), Der Torso (1947), vgl. Kettern, Langgässer (mit weiterführender Literatur); Hilzinger, Elisabeth Langgässer. 226 Peter Dörfler, geb. am 29. 04. 1878 in Untergermaringen bei Kaufbeuren, nach dem Studium der Theologie an der Universität München 1903 Priesterweihe (Diözese Augsburg), nach seelsorglicher Tätigkeit 1906/07 Stipendiat am Campo Santo, Studium der christlichen Archäologie, 1907 Stadtkaplan in Landsberg/Lech, 1909 Promotion zum Dr. theol., Benefiziumsvikar in Mindelheim, ab 1915 Leitung des St. Marien-Ludwig-Ferdinand-Kinderheims in München-Neuhausen (bis 1949), 1933 Aufnahme in die Preußische Akademie der Wissenschaften, Unterzeichner des Gelöbnisses treuester Gefolgschaft für Adolf Hitler, 1948 Mitglied der Bayerischen Akademie der Schönen Künste, 1949 Prälat, Großes Bundesverdienstkreuz, gest. am 10. 11. 1955; vgl. Manfred Weitlauff in Bernhart, Erinnerungen 1881–1930, 1059–1061. Dörfler war literarischer Mitarbeiter des Hochland und veröffentlichte ab 1912 eine große Reihe von in ihrer Zeit sehr populären Romanen, die vielfach im schwäbischen Voralpenland spielen und in denen ab 1930 die Thematik der Volksgemeinschaft im Vordergrund steht. Zu den bekanntesten zählen: Judith Finsterwalderin (1916), Der ungerechte Heller (1922), Die Wessobrunner (1941) und Der Sohn des Malefizschenk (1947). Kindlers Neues Literatur Lexikon, Bd. 4, Sp. 753 vermerkt zu ihm: »Dörfler blieb in der Tradition des konventionellen Bauern- und Heimatromans befangen, der die Funktionalisierung durch den Nationalsozialismus nicht suchte, dem aber auch nicht entgegenstand.« 227 Werner Bergengruen, geb. am 16. 09. 1892 in Riga als Sohn eines Arztes, 1903–1910 Schulbesuch in Lübeck und Marburg, ab 1910 Studium der evangelischen Theologie, Kunstgeschichte und Germanistik in Marburg und München, 1914–1918 Kriegsfreiwilliger, seit 1920 als Journalist tätig, dem Nationalsozialismus stand er, obwohl deutsch-national orientiert – auch aufgrund seiner aus jüdischer Familie stammenden Ehefrau – ablehnend gegenüber, 1936 Konversion zum Katholizismus, 1937 Ausschluss aus der Reichsschrifttumskammer, 1946 Übersiedelung in die Schweiz, seit 1958 in Baden-Baden, Ehrendoktorwürde der Universität München, Mitglied des Ordens Pour le mérite für Wissenschaften und Künste, gest. am 04. 09. 1964; vgl. die Biographie auf der Seite des Haus der Geschichte: URL: (20. 12. 2012). Bergengruen veröffentlichte von christlicher Weltanschauung geprägte Lyrik, die formal in traditionellen Mustern verhaftet bleibt, u. a. Die verborgene Frucht (1938), Zauber und Segenssprüche (1947), Dies Irae (1946), Die heile Welt (1950) sowie Romane und Erzählungen. Nach dem Krieg ordnet er die NS-Verbrechen in göttliche Sinnzusammenhänge ein, woraus ein Großteil seines Erfolgs in den 1950er und 1960er Jahren resultieren dürfte. Sein Roman Der Großtyrann und das Gericht (1935) wurde als Buch des Widerstands gelesen; vgl. Kindlers Neues Literatur Lexikon, Bd. 2, 545–551. 228 Ernst Wiechert, geb. am 18. 05. 1887 in Sensburg/Ostpreußen, nach Studium der Anglistik, Germanistik und Naturwissenschaften in Königsberg seit 1911 Studienrat ebenda, Kriegsfreiwilliger im 1. Weltkrieg, seit 1916 zahlreiche literarische Veröffentlichungen, 1930 Übersiedelung nach Berlin. Im April 1933 in den Ruhestand versetzt, lebte in Oberbayern, Stellungnahmen gegen den Nationalsozialismus, 1938 vorübergehend im KZ Buchenwald inhaftiert, anschließend Überwachung und Schreibverbot, 1948 Übersiedelung in die Schweiz, gest. am 24. 08. 1950 in Uerikon/ Schweiz. Seine Romane und Erzählungen kreisen um das Spannungsverhältnis von Natur und Zivilisation, handeln vom Gegensatz von heiler und zerstörter Welt. Allein die Natur ist echt, zu ihr zurückkehrend findet der Mensch zu sich selbst zurück. Neben der Suche nach der heilen Natur steht die grüblerische Suche nach Gott, W. greift häufig auf Bibelworte zurück, lehnt einen konfessionellen Glauben auch angesichts des Theodizeeproblems jedoch ab; wichtige Werke: Die Majorin (1934), Das einfache Leben (1939), Die Jerominkinder (1945/47), Missa sine nomine (1950); vgl. Krug, Wiechert (mit weiterführender Literatur). © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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thematisierten Fragestellungen wie die zwischen Gut und Böse, zwischen göttlicher und teuflischer Macht, sie hatten folglich vielfach die Komplexität des Faktischen reduzierende, dualistische Weltbilder. Sie verorteten das ideale Christentum häufig in bukolischen Heimatentwürfen. Das Schaffen dieser Autoren war vielfach von Verunsicherungen und Abwehrreflexen bestimmt, nicht zuletzt deshalb rückten sie häufig integralistische Konzeptionen in den Mittelpunkt ihres literarischen Schaffens. In der Mehrzahl pflegten sie einen konventionellen, oft überladenen und an sich unzeitgemäßen Erzählstil fern der Muster der literarischen Avantgarde: Dithyrambische Wortkaskaden als stilistische Apotropaia gegen die Verunsicherungen der Gegenwart. Heinz Hürten, der auch von der »Einsamkeit der Katholiken im modernen Deutschland« sprach, formulierte bezüglich der katholischen Kulturschaffenden der Zwischenkriegszeit: Von all denen, auf die sich damals die Hoffnung gründete, dass Katholiken wieder schöpferischen Anteil an deutscher, der ganzen Nation zum Besitz werdenden Kultur gewinnen könnten, hat keiner dieses Ziel erreicht, bevor Hitler ihnen diese Möglichkeit versperrte.229

Ob sie freilich dieses Ziel je erreicht hätten, erscheint angesichts der Rückwärtsgewandtheit ihres eher mediokren Schaffens äußerst fraglich. Dennoch ist darauf hinzuweisen, dass die 1920er Jahre innerhalb des Katholizismus selbst als Zeit einer umfassenden kulturellen Neufindung, des Aufbruchs und der überwundenen Depression angesehen wurden und dies nicht nur etwa im Hinblick auf die Jugendbewegung oder die neuen liturgischen Strömungen sondern durchaus und explizit auch im Hinblick auf das eigene literarische Schaffen.230 Diese heute weitgehend der Vergessenheit anheim gefallenen Autoren der katholischen Literatur des 20. Jahrhunderts, deren kurzzeitige Popularität innerhalb einer katholisch geprägten Umwelt in aller Regel mit ihrem Tod, spätestens Ende der 1960er Jahre abbrach, fanden in den Priesterbibliotheken ihr Äquivalent in den kanonischen Klassikern: Johann Wolfgang von Goethe, Friedrich Hebbel, Adalbert Stifter, Joseph von Eichendorff, Anette von Droste-Hülshoff, Fjodor Dostojewski, aber auch Thomas Mann scheinen die beliebtesten Vertreter der Weltliteratur in den Bibliotheken von Klerikern gewesen zu sein.231 Auch hier treffen wir einerseits die versunkene Welt des 229 Beide Zitate: Hürten, Deutsche Katholiken, 144. 230 Vgl. Ries, Literaturstreit, 294 f. 231 Selbstverständlich ist dies nicht, bedenkt man, dass die deutsche Klassik noch in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts als unvereinbar mit der katholischen Weltanschauung galt. Prominentester Vertreter dieser Meinung war der Schweizer Jesuit Alexander Baumgartner, der seine Thesen vor allem in seinem monumentalen Werk über den deutschen Dichterfürsten schlechthin, Johann Wolfgang von Goethe, zum Ausdruck brachte, das eine einzige Abrechnung mit Goethes von ihm behaupteter Verneinung der Grundlagen eines positiven Christentums darstellte: Alexander Baumgartner, Göthe. Sein Leben und seine Werke, 3 Bde., Freiburg 1879–1885; vgl. hierzu auch Ries, Literaturstreit, 286 f. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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18. oder 19. Jahrhunderts und zugleich – wie etwa bei Dostojewski – das Ringen um existenzielle Fragestellungen hinsichtlich der Natur der menschlichen Seele und ihrer Abgründe. Daneben fanden sich zudem häufig Autoren mit einem stark regionalen Bezug, darunter in geradezu exzessivem Ausmaß die populären bayerischen Heimatdichter Ludwig Thoma und Ludwig Ganghofer.232 Bei den Priesterinterviews wurde von den Befragten vor allem auf die Klassiker rekurriert, hingegen waren den meisten die zeitgenössischen katholischen Autoren schon aus dem Gedächtnis entschwunden.233 Auch der französische renouveau catholique234 vertreten vor allem durch Georges Bernanos235 und Paul Claudel236 scheint von den Klerikern rezipiert worden zu sein, jedoch fand sich in den Klerikerbibliotheken erstaunlicherweise nichts von Léon Bloy237, dem kompromisslosen Zeloten des Katholizismus. War er den Klerikern in 232 Auch dies erscheint durchaus bemerkenswert, da Thoma zumindest vor dem Ersten Weltkrieg als antiklerikaler Schriftsteller galt; vgl. etwa die zunächst harsche diesbezügliche Kritik von Natterer, Klerus, 19 f. der Thoma jedoch nach dem Weltkrieg eine Wandlung unterstellte und konstatierte, er habe schlussendlich vielen Geistlichen ein »schönes Denkmal gesetzt«. 233 Gelesen habe er »sehr gern und sehr viel«, erinnerte sich zum Beispiel Adalbert Albrecht: »Beim Hugendubel [einer Buchhandlung in München; Th. Fo.] habe ich Dostojewski-Romane gekauft und dann noch – etwas später – Annette von Droste-Hülshoff und dann Romane und Klassiker, z. B. Goethe, Faust; die habe ich sehr geschätzt. Die Klassiker waren so ein bisschen eine Liebhaberei.« EAM, Priesterbefragung 2003, Interview mit Adalbert Albrecht. 234 Vgl. zu dieser literarischen Strömung: Fuss, Renouveau catholique; Ries, Literaturstreit, 289–292. 235 George Bernanos, geb. am 20. 02. 1888 in Paris, Prägung durch katholisches und monarchistisches Elternhaus, Studium an der Sorbonne, Soldat im Ersten  Weltkrieg, bis 1919 Mitglied der nationalistischen, militaristischen, antisemitischen und katholischen Bewegung Action française, 1926 Veröffentlichung des ersten Romans Die Sonne Satans. Gilt als Hauptvertreter der literarischen Bewegung des renouveau catholique, die eine Erneuerung der Gesellschaft durch die Hinwendung zu Werten eines ursprünglichen Katholizismus anstrebte. Ablehnung totalitärer Regime, lebte 1934–1937 auf Mallorca, ab 1938 Exil in Paraguay und Brasilien, entschiedener Gegner des VichyRegimes und Anhänger der Résistance unter General de Gaulle, 1945 Rückkehr nach Frankreich, gest. am 05. 07. 1948 in Neuilly-sur-Seine; wichtige Werke: Tagebuch eines Landpfarrers (1936), Die großen Friedhöfe unter dem Mond (1938), Wider die Roboter (1945); vgl. Bautz, Bernanos; Neumann, Renouveau catholique. 236 Paul Claudel, geb. am 06. 08. 1868 in Villeneuve-sur-Fère, mit 18 Jahren religiöses Erweckungserlebnis, rechtswissenschaftliches Studium, Ausbildung im konsularischen Dienst, seit 1893 diplomatische Tätigkeit in USA, China, Deutschland, Österreich, Brasilien, Dänemark, Japan und Belgien, verfasste neben seinem Beruf lyrische Werke, Essayistik und Theaterstücke, im Mittelpunkt seiner Dramen steht häufig der Gedanke des Opfers, 1935 pensioniert, 1946 Aufnahme in die Académie Française, gest. am 23. 02. 1955 in Paris; wichtige Werke: Mariä Verkündigung (1912), Die Geisel (1909), Das harte Brot (1914), Der gedemütigte Vater (1916) und vor allem Der seidene Schuh (1926); vgl. Bautz, Claudel. 237 Léon Bloy, geb. am 11. 07. 1846 in Périgueux als Sohn eines freimaurerisch orientierten Ingenieurs, lernte zunächst den Beruf eines technischen Zeichners, bevor er sich 1864 nach Paris wandte um Maler zu werden, arbeitete aber in anderen Berufen u. a. als Buchhalter, zunächst antikatholisch und Sozialist, 1869 Rückkehr zum katholischen Glauben, spirituelle Erlebnisse, diverse Liebschaften und Verhältnisse, 1889 Eheschließung, danach führte Bloy bis zum Tod ein Leben in Armut und Verzweiflung, zwei seiner vier Kinder verhungerten, gest. am 03. 11. 1917. Bloy gilt als Repräsentant des renouveau catholique, in seinen Schriften »kämpfte er gegen die Unterdrückung der Armen, © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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seinem Eifer dann doch wiederum zu radikal oder lag es daran, dass es sich hier nur um eine literarische Randerscheinung handelte, der ihre Wiederentdeckung erst bevorstand? Exponenten der literarischen Moderne vermisst man in den Bibliotheken oder Erinnerungen der Kleriker hingegen nahezu völlig, ebenso wie Autoren mit politisch linken oder antikirchlichen Profil: Kein Lion Feuchtwanger, Bertolt Brecht, Hermann Hesse, Franz Kafka, Robert Musil, Hermann Broch oder Oskar Maria Graf. Als auffallend erwies sich hingegen der Umstand, dass Hans Grimms238 1926 erschienener Roman Volk ohne Raum, das Musterbeispiel präfaschistischer deutscher Literatur, in dem der Lebensraumgedanke als Lösungsstrategie für die politischen und wirtschaftlichen Probleme Deutschlands in der Zwischenkriegszeit propagiert wurde, in den Bibliotheken der Priester relativ häufig zu finden war.239 Ob diese Auffälligkeit als ein Indiz dafür gewertet werden darf, dass auch katholische Kleriker von derartigen Vorstellungen beeinflusst waren, oder dass es sich hier um die Auseinandersetzung mit gegnerischen Positionen handelte, ist nicht mehr seriös zu beurteilen. Vermutlich wird man Grimm in diesem Kontext als Mode-Autor sehen können. Ein nennenswerter Anteil an nationalsozialistischer Literatur fand sich im Übrigen nicht. Inwieweit prononciert katholische Intellektuelle der 1920er Jahre, wie etwa der Staatsrechtler Carl Schmitt oder der von der Kirche eher abseits stehende, aber aus dem katholischen Milieu gewachsene Martin Heidegger in den 1920er Jahren auf den einfachen Klerus zu wirken vermochten, kann nicht vollständig geklärt werden. Die im universitären Bereich verankerten Kleriker waren mit Schmitt und Heidegger sicherlich vertraut oder rieben sich an diesen – hierfür gibt es einige Beispiele.240 gegen Ungerechtigkeit und Grausamkeit, den materialistisch-genusssüchtigen Zeitgeist, die Sattheit des Klerus und die Verbürgerlichung der Christen. B. predigte das Mysterium der Armut. Er erwartete das Eingreifen Gottes in die Geschehnisse seiner Zeit und hat als Prophet Gottes in oft apokalyptischen Visionen Gerichte der Endzeit und das Kommen des Reiches Gottes angekündigt. Obwohl ihm literarischer Erfolg versagt blieb, hat B. doch schon zu seinen Lebzeiten durch seine Freunde auf die katholische Erneuerungsbewegung in Frankreich zu Beginn des 20. Jahrhunderts weitverzweigten Einfluß ausgeübt«; vgl. Bautz, Bloy (Zitat ebenda). 238 Hans Grimm, geb. am 22. 03. 1875 in Wiesbaden, nach kaufmännischer Lehre in London und Südafrika tätig, Presseberichte aus den deutschen Kolonien, ab 1911 Studium der Staatswissenschaften in München, im Ersten Weltkrieg Frontsoldat, anschl. wiss. Hilfskraft in der Auslandsabteilung der Obersten Heeresleitung, nach dem Krieg freier Schriftsteller und Publizist, seit den frühen 1920er Jahren Sympathisant der NSDAP, Durchbruch 1926 mit dem Roman Volk ohne Raum, Propagandist der Politik des Lebensraums, 1935 im Präsidialrat der Reichsschrifttumskammer, später Konflikte mit dem Regime, aber keine Distanz, verteidigte zentrale Ideen des Nationalsozialismus auch nach 1945, gest. am 27. 09. 1959; vgl. Gümbel, Hans Grimm. 239 Im entsprechenden Bestand der Dombibliothek fanden sich 11 Exemplare dieses Werks. Vgl. zur Ideologie Grimms und ihrer Bedeutung für die Lebensraumvorstellung der Nationalsozialisten Smith, Nazi imperialism; Gümbel, Hans Grimm. 240 Das bekannteste Beispiel ist sicherlich der Kanonist Hans Barion, dessen ganzes wissenschaftliches Schaffen von Ideen Schmitts durchdrungen ist (vgl. Marschler, Hans Barion), auch bei seinem Münchener Kollegen Sebastian Schröcker ist die Schmitt-Rezeption nachweisbar (vgl. zu ihm Kapitel 6.2.2.1). Die Heidegger-Rezeption lässt sich etwa für Alfred Delp belegen. Leo Scheffczyk © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Darüber hinaus wirkte Schmitt aber durchaus auch in die katholische Zeitschriftenwelt hinein.241 Auch die den Werken Schmitts und Heideggers immanente, eindringliche und originelle, dabei konservative Zeitkritik, dürfte so manchem Kleriker im Grundsatz behagt haben. Jedoch setzt die Rezeption dieser Figuren naturgemäß eine gewisse Teilhabe an intellektuellen Diskursen überhaupt voraus. Eine solche scheint innerhalb des gewöhnlichen Pfarrklerus aber nicht die Regel gewesen zu sein, weshalb die Wirkung dieser und anderer Denker auf die Priester im gesamten nicht überschätzt werden sollte. In diesem Zusammenhang zu erwähnen sind schließlich die in dieser Zeit noch wichtigen Zeitschriften. Das Klerusblatt empfahl seinen Lesern neben Fachorganen wie beispielsweise den Katechetischen Blättern, den homiletischen Zeitschriften Chrysologus – Katholische Kanzelberedsamkeit und Haec loquere et exhortare – Wochenschrift für homiletische Wissenschaft und Praxis auch allgemeine Periodika wie die katholische Familienzeitschriften Deutscher Hausschatz oder Sonntagsblatt für die katholische Familie. Auf die Bedeutung der Passauer Theologisch-praktischen Monatsschrift für den bayerischen Klerus hat Monika Nickel hingewiesen.242 Umgekehrt schrieb der durchschnittliche Geistliche, wenn er überhaupt schrieb, vor allem für Katholische Standesorgane, wie Die Arbeiterin oder Der Arbeiter, die Organe des Verbands der süddeutschen katholischen Arbeiterinnen bzw. Arbeiter, Die gute Freundin, das Organ des Verbandes der katholischen Jugendvereinigungen für die im Erwerbsleben stehenden Mädchen, Haus und Herd, die Verbandszeitschrift für die katholischen Dienstmädchen, Die Jungmannschaft eine Halbmonatsschrift für katholische junge Männer oder Treu wie Gold, das Organ des süddeutschen Verbandes der Vereine katholischer kaufmännischer Gehilfinnen und Beamtinnen.243 Wie breit etwa die wohl bedeutendste der katholischen Zeitschriften, das seit 1903 von Karl Muth als Reaktion auf die Diskussionen um das Phänomen der katholischen Inferiorität herausgegebene Hochland und die Autoren seines literarischen Umkreises, etwa der (Jahrgang 1920) – der über die viel gelesenen Schriften des Wiener Pastoraltheologen Michael Pfliegler bereits in seinen Breslauer Jahren 1938–41 mit Heideggers Schriften bekannt wurde – äußerte sich im Gespräch mit dem Verfasser ausführlicher zur Heidegger-Rezeption innerhalb des universitären Katholizismus der 1930er Jahre und bemerkte hierzu: »Man wusste auch, dass dieser aus dem Katholizismus stammende Philosoph immer wieder auch Gelegenheit zu einer positiven Interpretation bot.« Vgl. Forstner, Scheffczyk, 134 f. 241 Vgl. Hürten, Deutsche Katholiken, 147 f. Er publizierte u. a. im Hochland. Für den deutschen Katholizismus war Schmitt bedeutsam, »weil er dem philosophischen Impetus seiner Fragestellungen folgend, Religion und Metaphysik in den Kreis seiner Reflexionen zog […] In Schmitts Darstellung war die Kirche Gestaltungsmacht der politischen Ordnung, ja mehr noch Repräsentantin der civitas humana wie der Inkarnation und des Opfer Christi« (ebenda, 148). Dies war freilich eine Interpretation von Kirche nach dem Geschmack des Klerus, wenngleich es – wie Hürten ebenfalls betonte – nicht an kritischen Stimmen auch aus dem Katholizismus fehlte. 242 Vgl. Nickel, Theologisch-praktische Monatsschrift. 243 Vgl. Schematismus 1919/20, 205 f. Die dortige Rubrik »Schriftstellerische Arbeiten des DiözesanKlerus«, in der die genannten Zeitschriften aufgeführt sind, erschien später leider nicht mehr. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Philosoph und Satiriker Theodor Haecker244 oder der Pädagoge und Romanautor Leo Weismantel245 vom Klerus breit rezipiert wurden, ist unklar. Das Hochland richtete sich vornehmlich an die Laien und war überdies wegen einer zu modernistischen Einstellung zeitweise indiziert.246 Auch die Haltung der kirchlichen Hierarchie gegenüber der Zeitschrift blieb wohl bis in die 1930er Jahre angespannt.247 Insofern ist es denkbar, dass hier, bei einer einigermaßen progressiven, aber von ihrem Profil her noch unzweifelhaft konservativen katholischen Zeitschrift, bereits eine Grenzlinie zwischen der Rezeption durch Laien einerseits und Kleriker andererseits gezogen war. In ihrer Gesamtheit hinterlässt die Durchsicht der kollektiven Klerikerbibliothek dann auch eher den Eindruck einer gewissen Enge, einer Fixiertheit auf die eigene Weltsicht, das Lokale und die eigenen Themen, die man beständig umkreiste, ohne dass dabei der Blickwinkel allzu sehr verändert werden musste. Bei der Belletristik überwogen qualitätvolle, aber sehr zeitgebundene Autoren, die sich nahezu vollständig der eigenen weltanschaulichen Richtung zuordnen ließen. Der Literaturwissenschaftler Hans Pörnbacher räumte auf die berühmte Frage Muths, ob die »katholische Belletristik auf der Höhe der Zeit«248 stehe, für das 20. Jahrhundert ein, dass dies eher zu verneinen sei. Durch die in der Folge des Kulturkampfes »sich verstärkende Polarisierung zwischen Christentum und säkularisierter Lebensauffassung« habe sich die Kirche vor allem »zur Abwehr gezwungen« gesehen, und eine gewisse »Ängstlichkeit« entwickelt, »die zu bewahren suchte und eine damit zusammenhängende Enge, die sich gerade im innerkirchlichen Bereich auswirkte. […] Dabei kam die Literatur, das dichterische Wort zu kurz.«249 Es regierte im Regelfall das 244 Vgl. zur Wirkung Haeckers in München Pörnbacher, Katholische Literatur, 855–859. Zum Umkreis Haeckers gehörte auch der Priester Aloys Goergen; vgl. EAM, Priesterbefragung 2003, Interview Goergen. 245 Leo Weismantel, geb. am 10. 06. 1888 in Obersinn/Rhön, nach diversen Studien 1914 Promotion zum Dr. phil., anschließend zunächst Handelslehrer in Würzburg, nach dem Ende des Ersten Weltkriegs freier Schriftsteller und Redakteur, 1924 bis 1928 Mitglied des Bayerischen Landtags, 1928 Gründung einer reformpädagogischen Einrichtung in Marktbreit, die nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten wieder aufgelöst wurde, während des NS aufgrund seiner kritischen, prokatholischen Haltung zweimal in Gestapo-Haft, nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs geriet er aufgrund seiner Ablehnung der Konfessionsschule und seines Eintretens für eine Verständigung mit DDR und UDSSR ins Abseits, gest. am 16. 09. 1964. W. Schriften verfolgten v. a. pädagogische und humanistische Absichten, durch eine Förderung individueller schöpferischer Anlagen sollte der Einzelne vor den Bedrohungen einer negativ charakterisierten Gegenwartskultur bewahrt werden; vgl. Schmitt, Weismantel. 246 Vgl. Ackermann, Hochland; zur NS-Zeit speziell Ackermann, Hochland gegen den Nationalsozialismus; zur auf die von Antisemitismus nicht freie Frühgeschichte der Zeitschrift: Hastings, Feminized Church, 47 f. 247 So Konrad Ackermann in seinem Beitrag für das Historische Lexikon Bayerns. Zur Rolle des MuthKreises im Kontext reformkatholischer Männlichkeitsdiskurse vgl. den interessanten Ansatz von Hastings, Feminized Church, bes. 42 f. 248 Einen diese Frage formulierenden Aufsatz hatte Muth 1898 publiziert, er mündete schließlich in einem innerkatholischen Literaturstreit, vgl. hierzu Weitlauff, Modernismus litterarius. 249 Pörnbacher, Katholische Literatur, 855 f. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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»Mittelmaß«250. Mit dem Anderen, dem Fremden, mit modernen und gegnerischen Positionen in der Literatur setzte man sich im Klerus scheinbar nur wenig auseinander und durfte es bei als kirchenkritisch oder gegnerisch eingestuften Autoren ohne entsprechende Dispensierung aufgrund des Index Librorum Prohibitorum vielfach auch gar nicht. Es regierten zwar nicht mehr unbedingt Engherzigkeit, Prüderie und Dilettantismus, wie Muth 1898 noch konstatiert hatte, zu einer umfassenden Weite war man im Gegenzug aber auch nicht gelangt. Doch so sehr dieses Urteil auf die schöne Literatur zutreffen mag und so wenig hier die Rezeption von Gegnerischem von der Obrigkeit gewünscht und gestattet war, so sehr ist es im Hinblick auf die weltanschauliche Auseinandersetzung des Klerus mit den als feindlich und gegnerisch wahrgenommenen Weltanschauungen grundsätzlich zu relativieren. Betrachtet man die Buchempfehlungen und Besprechungen, die in dieser Zeit im Standesorgan Klerusblatt erschienen, so lässt sich dort in sehr intensiver Weise die Beschäftigung mit aktuellen politischen Zeitfragen und den Ideologien der 1920er und 1930er Jahre verfolgen. Ein besonderer Fokus galt dabei den politischen Entwicklungen in jenen Ländern, in denen die Freiheit und Unabhängigkeit der Kirche zu bestimmten Zeiten in besonderer Weise durch die politischen Rahmenbedingungen bedroht war, oder als bedroht angesehen wurde: Das kommunistische Russland, das revolutionäre Mexiko der 1920er Jahre und das republikanische Spanien der 1930er Jahre. Empfohlen werden im Klerusblatt neben theologischer und pädagogischer Literatur, Musikalien, Unterrichtswerken etc. dann vor allem immer wieder kritische Literatur zu diesen politischen und sozialen Zeitfragen (Sozialismus, Bolschewismus, Nationalsozialismus, Arbeiterfrage, Lebensreformbewegung), wobei diese überwiegend aus kirchennahen Verlagen stammten, die Sache also aus katholischer Perspektive darstellten.251 Zu diesen zeitbedingten Fragestellungen erschienen im Klerusblatt nicht nur Buchbesprechungen, sondern auch ausführlichere, oft mehrteilige Artikel.252 Im Sinne einer durch den Klerusverband kanalisierten Aufklärung über aktuelle politische Zeitfragen setzte man sich also durchaus kritisch und auf durchschnittlich hohem Niveau mit den weltanschaulichen Gegnern und Phänomenen auseinander. Freilich sagen Buchanzeigen und Veröffentlichungen in einem Standesorgan noch nichts darüber aus, in welchem Umfang die 250 So Pörnbacher, Katholische Literatur, 862 summarisch über die katholische Literatur Bayerns im 19. und 20. Jahrhundert, dabei aber auch einige große Gestalten einräumend, »die weit über Bayern hinaus von Bedeutung sind«. 251 Etwa: Zyrill Fischer, Die Kinderfreunde-Bewegung. Aus dem Werke sozialistischer Erzieher, Wien o. J.; Hans Halm, Sowjetrussland von heute, Bericht eines Augenzeugen, Berlin 1932; Friedrich Muckermann, Das Los des Arbeiters in Sowjet-Rußland, Köln 1932; Anton Scharnagl, Die Gottlosenbewegung in Russland und Deutschland, München 1932; Ders., Die Völkische Weltanschauung und wir Katholiken, München, 21932; Helene von Watter, Eine deutsche Frau erlebt Sowjetrussland, Breslau 1932 u. v. a. 252 Vgl. etwa Ernst Harth, Religiöse Sozialisten, Klerusblatt 1928, 497 f.; Richard Wiebel, Das Hakenkreuz, seine Herkunft und Bedeutung, Klerusblatt 1931, 81–87; A. M. Scherer, Zur Weltgefahr des Bolschewismus, Klerusblatt 1938, 481–484, 503 f. und 516 f. u. v. a. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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empfohlenen Bücher durch den Einzelnen dann auch tatsächlich angeschafft wurden und ebenso wenig, ob die angeführten Artikel auch gelesen wurden. In den Artikeln des Klerusblattes lässt sich die Fixierung auf eine abgrenzende Weltsicht, die bisweilen übersteigerte Züge trägt253, ebenso beobachten, wie durchaus auch eine Amalgamisierung katholischer Weltanschauung mit deutlich antisemitischen und nationalsozialistischen Versatzstücken.254 Doch findet man auch Stimmen, die Rassismus und Antisemitismus deutlich zurückweisen.255 Eindeutig ist bei allen diesen Publikationen stets der normative Bezugsrahmen des Klerus. Alle begegnenden Phänomene werden auf ihr Verhältnis zur katholischen Glaubenslehre, zum katholischen Sitten- und Moralverständnis hin geprüft. Als zukunftsfähig und akzeptabel erscheint nur, was der Prüfung innerhalb dieses Koordinatensystems standhält.

4.4.2 Private Gelehrsamkeit Eine besondere Betrachtung verdienen schließlich noch jene Priester, die sich nicht nur rezeptiv, sondern auch produktiv mit Wissenschaft und Volksbildung beschäftigten, also selbst als Forscher und Gelehrte in den (nichttheologischen) Wissenschaften hervortraten, und somit als gelehrte Dilettanten im alten, durchaus positiven Sinne des Wortes bezeichnet werden können. Die Epoche, in der Priester »so an die Spitze

253 Etwa wenn Bedenken geäußert werden, die Wahl von Franklin D. Roosevelt zum amerikanischen Präsidenten könne den Freimaurern in Europa Auftrieb geben; vgl. Klerusblatt 1933, 11. 254 So stellte der vorgenannte Artikel zur Weltgefahr des Bolschewismus diesen in eine längere heilsgeschichtliche Perspektive und bemerkte betreffend der Juden: »Da der Jude als völkischer Fremdkörper und Außenseitler [sic!] noch in einem viel höheren Grad an der allgemeinen Entwurzlung des Bürgertums Anteil hatte, als davon je ein Volksgenosse betroffen werden konnte, spielt er innerhalb dieser marxistisch-bolschewistischen Führerschicht eine besonders auffallende Rolle.« Doch sei dies kein Anlass für den Christen, zu verzweifeln, denn »die Rettung Deutschlands und Italiens vor der Bolschewisierung 1919/21 ruht geheimnisvoll im Heilsplan der göttlichen Weltgeschichte« und »die Errettung Deutschlands und Italiens 1919/21 und die Bildung der schärfsten Antibolschewistenfront in beiden Ländern durch den Durchbruch der faschistischen und nationalsozialistischen Bewegung seit dieser Zeit legt uns Christen den Gedanken nahe, dass Gott unseren Völkern heilsgeschichtlich eine andere Art der Zeugenschaft aufgetragen hat, als den slavischen Völkern der Ostkirche. Es scheint so, als wollte er von uns die Zeugenschaft für ihn durch Wort und Tat!« Vgl. Klerusblatt 1938, 481 f.; Hervorhebung im Original. Als wesentliche antibolschewistische Abwehrkraft des Abendlandes sieht der Artikel dann naturgemäß das Christentum. Vgl. in diesem Zusammenhang auch den mit K. K. gezeichneten Artikel Bolschewismus, Gottlosenbewegung und Judentum, Klerusblatt 1935, 554 f. mit der dort vertretenen These eines »überwältigenden jüdischen Einflusses« in Sowjetrussland und eines daraus resultierenden »Vernichtungskampf[s]« gegen die christlichen Religionen. 255 So warnt etwa der Autor eines Artikels über den Komponisten Richard Wagner deutlich vor dessen biologistischer Auffassung (vor allem gegenüber dem Judentum) und seinem Irrationalismus, vgl. H. Ziegler, Richard Wagner. (Zum 50.Todestag am 13. Februar 1933), Klerusblatt 1933, 65 ff. und 80 ff., hier 81 f. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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der Wissenschaft [traten], dass ›Kleriker‹ gleichbedeutend wurde mit ›Gelehrter‹«256, gehörte zu Beginn des 20. Jahrhunderts bereits der Vergangenheit an. Vor allem seit der Aufklärungszeit und während des 19. Jahrhunderts waren Geistliche in besonderer Weise als Schriftsteller und Wissenschaftler, darunter vor allem immer wieder als Historiker und in besonderer Weise in der Landes-, Regional- und Ortsgeschichtsschreibung257 aber auch in den Naturwissenschaften, etwa als Mineralogen, Botaniker oder Meteorologen in Erscheinung getreten, sie hatten ihre Freizeit vielfach überwiegend der praktischen Kulturarbeit gewidmet.258 Priester hatten solange eine zentrale Funktion als Privatgelehrte, »so lange nur ein verhältnismäßig kleiner Teil der Bevölkerung eine höhere Schul- und Spezialausbildung«259 besessen hatte. Die Gefahr, dass sich »ihre Aufgabe als Volksbildner sogar vor ihren geistlichen Beruf zu schieben«260 drohte, bestand zu Beginn des 20. Jahrhunderts aber nur noch in Ausnahmefällen. Männer wir Karl Hobmair, der bereits während der Kooperatorenjahre an seinem Einsatzort von Hof zu Hof ging und sich so eine Hausgeschichte erarbeitet, die später in einem auch für die historische Forschung grundlegenden Heimatbuch mündete261 oder Josef Weber, der seine heimatgeschichtlichen Forschungen in einer eigens gegründeten Zeitschrift publizierte262, waren im 20. Jahrhundert bereits singuläre Erscheinungen. Gegen Ende des Ersten Weltkriegs noch üblich waren die Beiträge von Klerikern zu den zahlreichen Kalendern – eigentlich eine Art Jahr-

256 Pius XI., Ad catholici sacerdotii, 63. 257 Vgl. hierzu Burkard, Priester als Landeshistoriker. 258 Vgl. zu dieser Thematik einführend Gatz, Kultur des priesterlichen Alltags, 311–317; bes. 314 f.; Für die Alpenregion einschlägig Imhasly, Pfarrer, bes. 331–360. 259 Vgl. Gatz, Kultur des priesterlichen Alltags, 311. 260 Vgl. ebenda über den Typus des »josephinischen Pfarrers«. 261 Karl Hobmair, geb. am 21. 09. 1911 in Freising, 1937 Priesterweihe in Freising, Hilfspriester in Vogtareuth und Heldenstein, 1937 Hilfspriester in Oberhaching–St. Stephan, 1952 Pfarrer in Oberhaching–St. Stephan, 1981 Versetzung in den dauernden Ruhestand, gest. am 20. 02. 2003; vgl. EAM, Priesterbefragung 2003, Interview Hobmair und Waltner, Nachruf. Von den Publikationen Hobmairs ist vor allem das Hachinger Heimatbuch hervorzuheben, dass nach 40 Jahren Forschungsarbeit 1979 erschien. Für sein Bemühen um die heimatkundliche Forschung erhielt Hobmair das Bundesverdienstkreuz. 262 Josef Weber, geb. am 18. 12. 1883 in Palxöd, Priesterweihe 1908 in Freising, Hilfspriester in Kirchdorf am Inn, 1909 Präfekt im Gymnasialpensionat Rosenheim, 1911 Kooperator in Indersdorf, 1912 Kooperator in Weichs, 1913 Kuratbenefiziat in Unterschleißheim, 1914 Pfarrvikar in Hohenlinden, 1915 Hilfspriester in Hart, 1916 Aushilfspriester in Wartenberg und Kirchdorf, Schloßkaplan in Grafenaschau, 1917 Koadjutor in Wartenberg, 1918 Koadjutor in Taufkirchen/Vils, 1921 Expositus in Watzling, 1932 Pfarrer in Hirschenhausen, gest. am 23. 01. 1945; vgl. Schematismus 1936, 235; Krausen, Josef Weber. W. gehörte zu den Gründungsmitgliedern des Diözesangeschichtsvereins. Bei der genannten Zeitschrift handelte es sich um Der Inn-Isengau. Blätter für Geschichte und Heimatkunde. Zwischen 1923 und 1934 erschienen 12 Jahrgänge in 36 Einzelheften, danach erschienen bis 1938 weitere vier Jahrgänge unter dem Titel Der Inn-Salzachgau, bevor die Zeitschrift offenbar eingestellt wurde. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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bücher – die für standesspezifische Adressatenkreise produziert wurden.263 Dass der Klerus selbst zum Forschungs- und Betrachtungsobjekt eines dilettierenden Geistlichen wird – wie es im 19. Jahrhundert beispielsweise noch mit dem kulturhistorisch bedeutsamen Ausnahmewerk von Ernest Zeller der Fall war264 – kam nun nicht mehr vor. Stattdessen musste den Priestern wiederholt sogar die erforderliche wissenschaftliche Fortbildung im eigenen Fach eingeschärft werden.265 Fast scheint es, als seien die Kleriker den neuzeitlichen Zerstreuungsphänomenen, welche sie zwar regelmäßig verteufelten, selbst verfallen und hätten darüber die Wissenschaft als Ausgleichsbeschäftigung zum priesterlichen Dienst vernachlässigt.266 Marianne Franziska Imhasly hob die Bedeutung langer Winterabende in abgeschiedenen Regionen in Verbindung mit mangelnder Mobilität als überaus befruchtend für Nebenbeschäftigungen wissenschaftlicher Art hervor. Die von Imhasly für die Schweizer Alpenregion in der Mitte des 19. Jahrhunderts beschriebenen Voraussetzungen waren in der Erzdiözese München und Freising in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg aber eben zunehmend nicht mehr gegeben. So blieb auch der heimatkundlich forschende Priester Josef Dürnegger, der in seiner über 50-jährigen Tätigkeit in der abgeschiedenen Landgemeinde Törwang am Samerberg eine ganze Reihe heimatgeschichtlicher Publikationen hervorbrachte, eher die Ausnahme. Gleichwohl wusste auch Dürnegger durchaus bereits die Möglichkeiten der Mobilität in seinem Sinn zu nutzen: Das Wort ›Müßig‹ kannte ich kaum. In Feierstunden durchsuchte ich alte Urkunden, durchstöberte ich die Archive in München und Landshut und brachte immer wieder Arbeit nach Hause. Da entstanden die Schriften vom Baumsepp, von den Orten ›Rohrdorf einst und jetzt‹, vom ›Samerberg in Vergangenheit und Gegenwart‹, von ›Neubeuern am Inn‹, von ›Amerang‹ und ›Nussdorf am Inn‹. Eine kleine Studie über Frasdorf liegt noch in den Akten. Kleinere Schriften über Darlehnskassen und Obstbaujubiläum entstanden nebenbei wie so mancher Artikel in den Tageszeitungen und das Panorama auf der Hochries.267

263 Vgl. Schematismus 1919/20, 205 f.: Hier sind unter der Rubrik Schriftstellerische Arbeiten des Diözesan-Klerus aus dieser Gattung aufgeführt der Genossenschafts-Kalender des Bayerischen Landesverbandes, der Kalender bayerischer und schwäbischer Kunst, der Katholische ArbeiterinnenKalender, der Katholische Dienstboten-Kalender, der Kirchliche Diözesan-Kalender, der St. AnnaKalender und der St. Peters-Kalender. 264 Vgl. Zeller, Licht- und Lebensbilder: Der Geistliche trug die Lebensläufe von 74 – in der Mehrzahl ansonsten unbekannten – Geistlichen der Erzdiözese München und Freising aus dem 19. Jahrhundert zusammen und schuf so eine zwar subjektive, kulturhistorisch aber höchst interessante Prosopographie des Diözesanklerus der Jahre 1840–1890. Bemerkenswert erscheint in diesem Zusammenhang der Umstand, dass eine große Zahl der von Zeller beschriebenen Geistlichen wissenschaftliche Studien außertheologischer Art betrieben. 265 Vgl. Referat I: Priesterliche Standesfragen, in: Bericht Diözesansynode 1930, 10–13, hier 12. 266 Vgl. Imhasly, Pfarrer, 53 f. 267 Dürnegger, 50 Jahre Seelsorge, 13 f. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Die Beschäftigung von Klerikern mit außertheologischen Wissensgebieten wurde von kirchenamtlicher Seite im Grundsatz hoch geschätzt. Noch 1935 wurde in der Enzyklika Ad catholici sacerdotii von den Bischöfen erwartet, sie möchten jene Glieder des Klerus, die sich durch Neigung oder besondere Anlagen zur Pflege oder Vertiefung dieses oder jenes Kunst- oder Wissensgebietes – sofern es für die kirchliche Stellung nicht unpassend ist – berufen fühlen, in kluger Weise ermutigen und unterstützen.268

Auch Faulhaber begrüßte auf der Münchener Dekanekonferenz zu priesterlichen Standesfragen im November 1926 »die Mitarbeit des Klerus in katholischen Zeitungen und Zeitschriften« und dankte insbesondere auch den Mitarbeitern im Verein für Diözesangeschichte.269 Zugleich sah er aber Anlass auf die geltenden Rechtsbestimmungen hinzuweisen, die vorsahen, dass »für jede Veröffentlichung eines Klerikers, auch für jene rein profanen Inhalts« das kirchliche Imprimatur, die oberhirtliche Druckerlaubnis, erforderlich sei.270 Das Schwerpunktinteresse wissenschaftlich interessierter Geistlicher betraf wiederum vor allem geistesgeschichtliche Wissensgebiete, die mit der Kirche selbst in irgendeiner Weise verbunden waren, vor allem die Historie, hier vorwiegend die Kirchengeschichte, die Musik- und Kunstpflege, aber auch die quellenbasierte Familienforschung – wozu die kirchlichen Matrikelbücher eine hervorragende Grundlage boten – und die Heimatforschung. Über die wissenschaftlichen Interessen geben nicht zuletzt wiederum zahlreiche von den Klerikern selbst verfasste Artikel im Klerusblatt sowie Übersichten in den Schematismen Auskunft.271 Neben den fast in jeder Ausgabe des Klerusblatt erscheinenden (kirchen)historischen Artikeln sind dabei zwar durchaus Beiträge zu Wissenschaften anzutreffen, die eher kirchenfern sind – wie etwa die Onomastik272 – doch bemühen sich die Autoren auch hier im 268 Pius XI., Ad catholici sacerdotii, 64. 269 1924 war in der Erzdiözese ein eigener Verein zur Erforschung der Diözesangeschichte von MünchenFreising gegründet worden. Im ersten Jahr seines Bestehens gehörten ihm bereits fünf Domkapitulare und rund weitere 50 Kleriker an. Die Mitarbeit von Laien war möglich, lag aber nicht im Fokus des Vereins; vgl. Amtsblatt München 1924, Beilage zu Nr. 13. Inzwischen wird die Arbeit des Vereins ganz überwiegend von Laien getragen. 270 Amtsblatt München 1926, Beilage: Protokoll der Freisinger Dekanskonferenz vom 18. 11. 1926, 5. 271 Seit 1825 war in den Schematismen der Erzdiözese München und Freising regelmäßig – bis 1919/20 im Wesentlichen jährlich – eine Übersicht über literarische und schriftstellerische Arbeiten des Klerus erschienen, vgl. Kaup, Chronik, 547 f. Nach 1920 erschien diese Übersicht nur noch zweimal: Im Schematismus 1927, 285–288 (für die Jahre von 1918 bis 1926) und im Schematismus 1928, 291 f. (für das Jahr 1927). Die überwiegende Zahl der in den zuletzt genannten Übersichten aufgelisteten Beiträge ist jedoch bereits theologischer und pädagogischer, zum geringeren Teil kunstoder musikwissenschaftlicher Natur. Beiträge aus anderen Wissensgebieten treten demgegenüber stark zurück. 272 Vgl. etwa Friedrich Wilhelm Holzer, Die ›Wolf‹-Orte in Bayern, Klerusblatt 1931, 55–57 und 71–74; Michael Raich, Religiöse Beziehungen in süddeutschen Flurnamen, Klerusblatt 1938, 8 f.; G. M. Roschini, Die etymologische Bedeutung des Namens ›Maria‹, Klerusblatt 1939, 510. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Zwischen Distanz und Partizipation: Aspekte der priesterlichen Identität und Lebenskultur

Regelfall um einen Kirchenbezug, etwa wenn versucht wird religiöse Beziehungen in Flurnamen aufzuspüren. Auch die Beschäftigung mit naturwissenschaftlichen Fragen ist Priestern nicht fremd, wenngleich sie gegenüber den Geisteswissenschaften in den Hintergrund tritt und die praktische Nutzanwendung gegenüber der Theorie zumeist im Vordergrund steht. So ist etwa die Auseinandersetzung mit Fragen der Heilkunde, wobei hier häufig alternative Praktiken von besonderem Interesse waren, bei Priestern nicht nur in der Nachfolge des legendären Sebastian Kneipp gelegentlich anzutreffen.273 Dies führte mitunter jedoch zu Konflikten mit der Diözesanleitung, da Priestern die Ausübung der Heilkunde prinzipiell untersagt war.274 Selbst mit parawissenschaftlichen oder esoterischen Fragen beschäftigen sich Priester offenbar nicht allzu selten. Der Fall des Pendelpfarrers Kaspar Huber275, der überregional als Wünschelrutengänger bekannt war und vom Landvolk wegen allerlei Problemen konsultiert wurde, scheint insofern kein Einzelfall gewesen zu sein, als sich das Ordinariat genötigt sah, in einer Amtsblattveröffentlichung Geistlichen die Ausübung der Radiästhesie grundsätzlich zu untersagen.276 Derartige Phänomene traten überwiegend im ländlichen Raum auf. Dies trifft auch für die Beschäftigung mit Fragen der Agrikultur zu, vorwiegend die Betätigung von Geistlichen in der Imkerei, der Obstbaumzucht oder als Vorsitzende von Obst- und Gartenbauvereinen, die teilweise noch bis in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg zu vermerken war.277 Der bekannteste Pomologe unter den Klerikern ist

273 Vgl. etwa den Fall des Geistlichen Vitus Hartig, der nach seiner Emeritierung 1940 ein Gesuch um die »Zulassung zur Ausübung der Heilpraxis« stellte; vgl. AEM, Ordinariatssitzungsprotokoll vom 12. 01. 1940; vgl. auch einschlägige Artikel im Klerusblatt, etwa: Wie vermeidet und heilt man Erkältungs-Katarrhe und Erkrankungen der Atmungsorgane?, Klerusblatt 1925, 53; Naturgemäße Wege zur Gesundheit: Interessante Wandlungen in der Medizin, Klerusblatt 1938, 32–34. 274 Mit Verweis auf can. 139 § 2 CIC 1917; siehe auch Amtsblatt München 1926, Beilage Protokoll der Freisinger Dekanskonferenz vom 18. 11. 1926, 5; vgl. zur Praxis etwa AEM, Ordinariatssitzungsprotokoll vom 10. 12. 1937 und vom 21. 01. 1938 wo es zu Beschwerden über die Tätigkeit eines Geistlichen als »Diagnostiker« und Heilpraktiker kam und ihm diese Betätigung schließlich untersagt wurde. 275 Kaspar Huber, geb. am 06. 05. 1887 in Pastetten, Priesterweihe 1912 in Freising, Aushilfspriester in Kirchseeon-Bahnhof, Hilfspriester in Moosinning, 1917 Kooperator in Rechtmehring, 1920 Kooperator in Schlehdorf, 1927 Expositus in Ramsau bei Haag, 1957 Pfarrkurat ebenda, 1965 frei resigniert, Kommorant ebenda, gest. am 13. 08. 1969; vgl. Schematismus 1969, 83 und 317; Ostermeier-Aigner, Pendelpfarrer. Huber scheint in mancher Hinsicht ein Extremfall gewesen zu sein, er pendelte auch mit dem Rosenkranz (ebenda, 6) und führte »Fernheilungen« durch: »Zum Gesundpendeln brauchte er die Patienten selbst nicht. Es genügte, wenn Verwandte oder Nachbarn die Haarbüschel, ein Hemd, oder einen Zettel mit dem Namen des Patienten brachten. Genauso kritzelte er nur schnell seine ausgependelten Verordnungen auf einen Zettel.« Für seine Tätigkeit empfing Huber freiwillige Spenden, manchmal verlangte er offenbar auch Geld; vgl. ebenda 7 und 8 (Zitat). 276 Vgl. auch den Bericht über die Tätigkeit eines Pfarrers als Wünschelrutengänger in: Pfarrarchiv Prien am Chiemsee – Mariä Himmelfahrt, Pfarrchronik 1901–1939, 100 [9. August 1932]. 277 Vgl. hierzu auch Schmid, Weltklerus und Landwirtschaft, bes. 332–341. Zumindest bis in die 1920er Jahre wurden eigene Obstbaukurse speziell für Geistliche angeboten; vgl. ebenda, 332. Zur © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

Geistige und wissenschaftliche Interessen361

gewiss Korbinian Aigner278, Pfarrer von Hohenbercha und Vorsitzender des Landesverbandes für Obst- und Gartenbau in Bayern, der von den Apfelbäumen derartig besessen war, dass ihm der zuständige Dekan vorwarf, mehr »Baumsorge als Seelsorge«279 zu betreiben. Der äußerst skurrile Aigner setzte seine Leidenschaft selbst dann noch fort, als er nach Verbüßung einer Gefängnisstrafe wegen eines Verstoßes gegen das Heimtückegesetz 1941 in das Konzentrationslager Dachau eingewiesen wurde. Zwischen den Baracken züchtete er neue Sorten, denen er bizarr anmutenden Benennungen gab: KZ-1, KZ-2, KZ-3 und KZ-4.280 Auch über den Pfarrer von Grünthal, wurde anerkennend im Personalakt vermerkt, er sei »ein sehr tüchtiger Obstbaumzüchter« und teile »sein Obst gern mit Bedürftigen.«281 Der Historiker Alois Schmid betonte im Zusammenhang mit diesen Betätigungsfeldern auch die Vorbildfunktion des Klerus: »Der Pfarrer sollte seiner Gemeinde demonstrieren, wie man schon auf kleinstem Grund Lebensmittel gewinnen konnte, die kaum etwas kosteten und gesund waren.«282 Und nicht zuletzt erschien die Beschäftigung mit den Vorgängen in der natürlichen Welt als eine dem Geistlichen angemessene Beschäftigung, waren in ihr doch mannigfaltige transzendentale Bezüge auszumachen: »Das umfassende Studium des Naturlebens musste darüber hinaus in die vertiefte Einsicht der göttlichen Weltordnung münden, indem es den ewigen Kreislauf von Werden, Sein und Vergehen nachvollziehbar macht.«283 Die Betätigung in der Landwirtschaft wurde so zum Mittel religiöser Erkenntnis.

Bienenzucht im Klerus vgl. den Artikel von Alois Natterer, Der Pfarrer bei seinen Bienen, Klerusblatt 1947, 56. 278 Korbinian Aigner, geb. am 11. 05. 1885 in Hohenpolding, Priesterweihe 1911 in Freising, Koadjutor in Ilmmünster, 1912 Lehrer und Präfekt am Knabenseminar Scheyern, 1916 Koadjutor in Markt Grafing, 1918 Pfarrvikar ebenda, 1921 Kooperator in Haimhausen, 1924 Aushilfspriester in Söllhuben, 1925 Kooperator in Dorfen, 1931 zunächst Kooperator, dann Pfarrer in Sittenbach, 1936 Pfarrer in Hohenbercha, gest. am 05. 10. 1966; vgl. AEM, Priesterpersonalakten P III 12; ferner die – teilweise zu stark psychologisierende und in vielen Urteilen anachronistische und fehlerhafte – Artikelserie in der Süddeutschen Zeitung von Ohorn; vgl. von Aigners eigenen Veröffentlichungen: Klerus und Obstbau, Klerusblatt 1947, 64 f. 279 Vgl. AEM, Priesterpersonalakten P III 12, Qualifikationsnoten vom 01. 06. 1927. 280 Zugleich ist dieser Fall ein bemerkenswertes Beispiel dafür, wie es gelingen konnte, mit der Fixierung auf eine unter diesen Umständen vollkommen absurd anmutende Beschäftigung das Grauen des Konzentrationslagers zu bewältigen. 281 AEM, Priesterpersonalakten P III 1643, Murschhauser an Buchwieser vom 06. 06. 1946. 282 Schmid, Weltklerus und Landwirtschaft, 332 f. An der Weitergabe seines landwirtschaftlichen Fachwissens beteiligte sich der in diesen Bereichen engagierte Klerus deshalb auch im Rahmen von Fachschulen; vgl. ebenda, 335. 283 Ebenda, 343. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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5.

Abweichendes Verhalten: Erscheinungsformen und Korrekturmechanismen

5.1

Die Bedeutung abweichenden Verhaltens im Klerikerstand

Die Kirche lieferte eine schlüssige Begründung dafür, weshalb ein Priester einen untadeligen Lebenswandel zu führen hat: »… wenn jemand, der heilige Dinge zu besorgen oder zu verwalten hat, ein tadelnswertes Leben führt, so entheiligt er sie und macht sich des Sakrilegs schuldig. Wer nicht heilig ist, soll auch nicht mit Heiligem umgehen«1, formuliert die 1935 erschienen Enzyklika Ad catholici sacerdotii. Die Frage nach dem abweichenden Verhalten des Klerus setzt die Frage nach der Norm voraus.2 In diesem Zusammenhang ist aber nicht nur danach zu fragen, in welchen Formen und in welcher Häufigkeit abweichendes Verhalten im Klerikerstand in Erscheinung tritt, sondern auch, inwieweit oder unter welchen Umständen Abweichungen toleriert oder sanktioniert wurden und welche Mechanismen zu ihrer Unterbindung angewandt wurden. Dem Phänomen des abweichenden Verhaltens wird in dieser Arbeit auch deshalb breiterer Raum eingeräumt, da »sich über das abweichende Verhalten die normative Kraft« der Kirchenobrigkeit gegenüber dem Klerus bestimmen und somit eine Annäherung an das »theoretische Konstrukt Normalpfarrer« vornehmen lässt.3 Da die Abweichung stets individueller Natur ist, liegt der Fokus der Darstellung vorrangig auf einer ausführlicheren, quellennahen Schilderung prototypischer Einzelfälle, aus denen sich Rückschlüsse auf generelle Muster ziehen lassen. Die Existenz von Ordnungen und Regeln gewährleistet, wie Howard Becker in seiner Soziologie abweichenden Verhaltens betonte, noch nicht automatisch deren Durchsetzung.4 Vielmehr können Regeln länger ignoriert, Abweichungen toleriert, absichtlich oder unabsichtlich übersehen oder aus welchen Motiven auch immer hingenommen werden, oder die entsprechenden Mechanismen, welche Abweichungen verhindern oder anzeigen sollen, funktionieren nicht oder nicht in der gewünschten 1 Pius XI., Ad catholici sacerdotii, 12. 2 Insofern sich abweichendes Verhalten nur anhand des jeweiligen Bezugssystems messen lässt, erscheint es evident, dass in diesem Abschnitt einerseits sowohl grundsätzliche Abweichungen vom gesellschaftlichen Normsystem der betrachteten Epoche untersucht, andererseits Abweichungen vom spezifischen Normsystem des katholischen Klerus behandelt werden. Dieses überschnitt sich mit dem allgemein-gesellschaftlichen Normsystem seiner Zeit zwar in vielen Bereichen, ging über dieses jedoch im Fall der spezifischen priesterlichen Standes- und Amtspflichten, etwa der Verpflichtung zu Keuschheit und Ehelosigkeit, weit hinaus. Zur Soziologie abweichenden Verhaltens grundlegend Becker, Außenseiter; zu diesem Problemkreis speziell im Klerus Götz von Olenhusen, abweichendes Verhalten. 3 Vgl. Götz von Olenhusen, abweichendes Verhalten, 15. 4 Becker, Außenseiter, 109. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Abweichendes Verhalten: Erscheinungsformen und Korrekturmechanismen

Weise. Für Regeln in sozialen Gruppen ist es typisch, dass sie in vollem Umfang nur dann durchgesetzt werden, wenn irgendetwas diese Durchsetzung provoziert. Die Herbeiführung der Regeldurchsetzung und die Sanktionierung des Regelverstoßes ist von äußeren Faktoren und von der persönlichen Motivlage dessen, der die Sanktionierung des abweichenden Verhaltens herbeiführt abhängig.5 Hier kommt vor allem die Denunziation bei der Kontrollinstanz ins Spiel. Derjenige Faktor, der im Bereich der katholischen Kirche in allen Fällen zu einer Regeldurchsetzung führt, ist die öffentliche Aufmerksamkeit, das öffentliche Gewahrwerden des Regelverstoßes. Selbstkritik und Selbstreinigung findet in der Kirche traditionell unter völligem Ausschluss von Öffentlichkeit statt.6 Das öffentlich gemachte abweichende Verhalten kann durch die kirchliche Obrigkeit nicht mehr ignoriert werden, ohne das Gesamtsystem und seine Glaubwürdigkeit zu gefährden. Insofern ergibt sich durch bekannt werden eines Normverstoßes ein starker Druck diesen zu sanktionieren und dies paradoxerweise sogar dann, wenn die Öffentlichkeit an sich grundsätzlich geneigt wäre, ihn zu tolerieren oder geneigt ist, Nachsicht zu üben, etwa wenn das subjektive Rechtsempfinden einer Gruppe einen Sachverhalt anders bewertet, als die offizielle kirchliche Doktrin.7 Hierüber noch hinausgehend, 5 Zu den Motiven der Regeldurchsetzung vgl. ebenda, 109–116. 6 Eine Rechenschaftspflicht gegenüber der säkularen Öffentlichkeit besteht nach kirchlichem Verständnis schon deshalb nicht, da alle Sünden Verfehlungen wider Gott sind. Ist Gott selbst der Verletzte, kann dieser Sichtweise zufolge nur Gott selbst und nicht die Öffentlichkeit von dem sündhaften Priester Genugtuung verlangen und Verzeihung gewähren. Hingegen ziehe die Involvierung der Öffentlichkeit eine Schwächung der Autorität der Institution nach sich. Die Kirche hat darüber zu wachen, dass die eigenen Glieder die von Gott selbst gesetzten Regeln einhalten und Abweichungen von diesen sanktioniert werden. In organisationssoziologischer Hinsicht erscheint die Befürchtung einer Schwächung der Institution durch (öffentlichen) Diskurs im Übrigen als ein Grundcharakteristikum totalitärer Strukturen. 7 Mitunter erfreuten sich gerade skurrile und häufig bei den Oberbehörden Anstoß erregende Priestergestalten einer gewissen Beliebtheit bei der lokalen Bevölkerung. Ein Beispiel hierfür ist der Priester Josef Schleich, der sich regelmäßig nicht standeskonform verhielt, häufig betrunken war, Beziehungen zu Frauen pflegte und öfters durch verbale Ausfälle auffiel. So soll Schleich etwa in einer Frühmesse, als er zur Kommunionausteilung vom Altar wegtrat und bemerkte, dass niemand an das Kommuniongitter herangetreten war, mit dem Allerheiligsten in der Hand laut in die Kirche gerufen haben: ›Steigt mir den Buckel hinauf‹, was prompt eine Beschwerde des Dorfener Spirituals im Ordinariat nach sich zog (vgl. AEM, Priesterpersonalakten P III 1533, Rechenauer an EOM vom 23. 02. 1927). Obwohl immer wieder Beschwerden über ihn beim Ordinariat einliefen und er fortwährend Konflikte mit der kirchlichen Obrigkeit austrug, erwarb sich Schleich, der in der Bevölkerung schließlich den Spitznamen Schleichvater trug, eine enorme Popularität, er galt als verschrobenes, knorriges Original, zu dessen Beerdigung schließlich »eine überraschende Vielzahl gläubigen Volkes« strömte. (Vgl. ebenda, Stadtpfarramt Dachau an EOM vom 05. 05. 1953). Josef Schleich, geb. am 05. 07. 1882 in Inzell, 1908 Priesterweihe in Freising, Aushilfspriester in Steinhöring, Koadjutor in Ismaning, 1909 Kooperatur-Verweser in Steinhöring, 1915 Kooperator in Rechtmehring, 1917 Kommorant in Dorfen (Priesterhaus), 1927 Kommorant in Mariabrunn, 1928 Aushilfspriester in Ampermoching, 1929 Pfarrvikar in Ampermoching, 1930 Aushilfspriester in Garching bei München, gest. am 30. 04. 1953; vgl. Schematismus 1939, 12 und 244; AEM, Priesterpersonalakten P III 1533. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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bestand im Falle einiger Deliktarten – etwa bei einem öffentlich gewordenen Verdacht auf Vorliegen eines Konkubinats8 – das Ziel unabhängig von der Frage, ob der Vorwurf überhaupt zutraf, nur noch darin, das Ärgernis aus der Welt zu schaffen. »Dabei braucht auf Seite des betr[effenden] Klerikers gar keine Schuld vorzuliegen; es handelt sich hier in erster Linie um Beseitigung des Ärgernisses«, teilte das Ordinariat einem des Konkubinats beschuldigten Geistlichen mit, der sich Anordnungen mit Verweis auf seine Unschuld widersetzte.9 Abweichendes Verhalten stellt im Klerus ein verschärftes Problem dar, weil dieser für die Aufrechterhaltung und Durchsetzung des strengen sittlich-moralischen Normgerüstes, das sich aus der katholischen Glaubenslehre ergibt, verantwortlich ist.10 Um die Glaubwürdigkeit und Durchsetzbarkeit der von der Kirche vertretenen Normen gegenüber den Gläubigen zu gewährleisten, erscheint es deshalb in besonderem Maße erforderlich, dass ihre Repräsentanten ihr eigenes Leben in höchstem Maße nach diesen sittlich-moralischen Normen ausrichten und der Grad der öffentlich wahrnehmbaren Abweichung des Klerus von diesen so gering wie irgend möglich bleibt.11 Kleriker, die selbst vom kirchlichen Normgerüst abweichen, stellen durch ihr Handeln faktisch die moralische Autorität der Kirche in Frage. Die Notwendigkeit zu einer Verhaltenskorrektur bei Einzelnen wird umso dringlicher, je größer der Schaden der für das System der Normen und für den Klerikerstand als dessen Wächterorgan insgesamt zu erwarten ist. Mit der Begründung, das Ansehen des Priesterstandes sei gefährdet, konnte durch die Oberbehörde dem Klerus faktisch nahezu alles verboten werden.12 Um den Schaden weitgehend einzudämmen war es zudem geboten, Fehlverhalten in einer Art und Weise zu sanktionieren, die das normwidrige Verhalten nach Möglichkeit nicht öffentlich machte, sofern es nicht ohnehin bereits öffentlich geworden und von der Öffentlichkeit auch als normwidrig erkannt worden war.13 Im   8 Vgl. hierzu die entsprechenden kanonistischen Bestimmungen des CIC 1917, can. 133 ferner Eichmann/Mörsdorf, Kirchenrecht, Bd. I, 271 f.   9 Vgl. AEM, Priesterpersonalakten P I, Jakob S., EOM an S. vom 10. 08. 1935. 10 Gemäß der Systematik von Becker, Außenseiter, 133–148, gehört der Priester zur Gruppe der »moralischen Unternehmer«. 11 Die Enzyklika Ad catholici sacerdotii formulierte hierzu: »Zur würdigen Ausübung der Weihen genügt nicht, wie der hl. Thomas lehrt, irgend eine Stufe der Vollkommenheit, sondern ein hervorragender Grad der Tugend wird verlangt; wie nämlich durch den Weihegrad der Empfänger der Weihe über das Volk gestellt wird, so soll er auch durch das Verdienst seiner Heiligkeit über ihm stehen.« 12 So wurde etwa selbst das durch die Ordinariatssitzung erteilte Verbot der Ausübung der Heilpraktikertätigkeit durch einen Geistlichen mit der Gefahr der Ansehensschädigung des Priesterstandes begründet: »Zur Vermeidung von Missdeutungen und von persönlichen Angriffen, die schließlich auf den ganzen Stand übertragen werden, ist es besser, wenn ihm seine Tätigkeit als Heilpraktiker verboten wird.« Vgl. AEM, Ordinariatssitzungsprotokoll vom 21. 01. 1938. 13 Ein Kirchenrechtslehrer wie Eduard Eichmann, Kirchenrecht, Bd. II, 342 f. interpretierte den CIC sogar dahingehend, dass gestraft wird, »wenn und weil aus strafbarer Betätigung ein Schaden für das öffentliche Wohl oder ein Ärgernis für die Öffentlichkeit entstanden ist. Daraus folgt a) der Grundsatz der Offizialstrafverfolgung. […] b) das nur Handlungen, die die äußere Ordnung in © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Abweichendes Verhalten: Erscheinungsformen und Korrekturmechanismen

Zweifelsfall wurde durch die Kirchenobrigkeit sogar abweichendes Verhalten toleriert, verdeckt oder erst mit Verzögerung unterbunden, sofern die Gefahr bestand, dass es durch den Akt oder die Umstände der Unterbindung öffentlich bekannt würde. Heinrich Popitz beschrieb den Sinn dieses auch außerhalb der kirchlichen Sphäre zu beobachtenden Phänomens der Verdeckung von Normverstößen mit dem Ziel der dauerhaften Normerhaltung als »Präventivwirkung des Nichtwissens«14. Als beispielsweise Domvikar Rudolf Hindringer im Mai 1921 von Generalvikar Buchberger nach Reichenhall entsandt wurde, um dort den Vorwurf des Kindesmissbrauchs, der gegenüber einem Priester erhoben worden war, zu untersuchen, gehörte nicht nur die eigentliche Aufklärung des Falles zu seinen Aufgaben. Vielmehr sollte Hindringer erstens herausfinden, ob bereits ein polizeiliches Untersuchungsverfahren anhängig sei, zweitens untersuchen, wer von dem Vorwurf bislang sonst noch Kenntnis erlangt hatte und drittens Vorsorge treffen, dass im Fall einer Aburteilung der Beschuldigten keinerlei »Skandalberichte« in der Lokalpresse erscheinen würden.15 Zu diesem Zeitpunkt war noch nicht einmal klar, ob die gegen den Priester erhobenen Vorwürfe überhaupt zutrafen. Nach Möglichkeit wurde beim Vorliegen strafrechtlich relevanter Handlungen versucht, die Einleitung eines staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens und eine darauf folgende Anklageerhebung vor einem weltlichen Gericht zu verhindern. Obgleich die entsprechenden rechtlichen Grundlagen im Verhältnis von staatlicher und kirchlicher Rechtsgewalt gegenüber Klerikern in Bayern bislang nicht untersucht sind, dürfte davon auszugehen sein, dass trotz des Verlustes der klerikalen Standesprivilegien, welcher die kirchliche Obrigkeitsgewalt auf reine Disziplinarfälle beschränkte, zumindest bis zum Ende der Monarchie und vermutlich auch noch äußerlich erkennbarer Weise verletzen (c. 2195), und c) nur öffentliche Verbrechen (c.1933) in Strafe genommen werden, dass also nur gestraft wird, wenn und weil ein Ärgernis gegeben worden ist.« Das Strafinteresse war entsprechend dieser Auffassung also nur gegeben, wenn die Tat der Öffentlichkeit bekannt geworden war. 14 Vgl. Popitz, Präventivwirkung: Wenn die Normverletzungen zu häufig werden, die Strafen jedoch nicht beliebig verschärft oder bei allen Normverletzern angewendet werden können, verbraucht sich die Strafe und verliert ihre Wirkung, die Norm verfällt. Gleiches gilt, wenn die Vertreter der Normgeber selbst die Normen unterlaufen. Deshalb erscheint es für eine Obrigkeit zur Aufrechterhaltung einer Norm taktisch günstiger, das Wissen über die Normverstöße möglichst geheim zu halten. Dies gilt in besonderem Maße dann, wenn die normverletzenden Instanzen solche sind, die an sich aufgestellt sind, um für die Aufrechterhaltung ebendieser Normen einzutreten. 15 Vgl. AEM, NL Thalhamer, Sittlichkeitsdelikte, Dr. Benedikt A.: Bericht Hindringers vom 12. 05. 1921. Zu letzterem Punkt schrieb Hindringer in diesem Bericht: »Die Reichenhaller Lokalpresse steht auf unserem Standpunkte. Sie wird nach der Meinung des Herrn Stadtpfarrers im Fall des Bekanntwerdens der Angelegenheit keine Steine auf das Ansehen der Kirche und auf den katholischen Priesterstand werfen. Gefährlicher könnte das ›Traunsteiner Morgenblatt‹ werden. Da aber die etwaige Verhandlung am Landgericht Traunstein unter Ausschluß der Öffentlichkeit geschehen und der Pressevertreter nur zur Urteilsverkündung zugelassen würde, könnten aus den Verhandlungen selbst keine Einzelheiten in die Presse kommen. Sollte aber das Blatt eigenen Kommentar bringen und namentlich die kirchliche Oberbehörde angreifen, so wird Herr Stadtpfarrer Stelzle in Traunstein, den ich darum gebeten habe, unter Berufung auf mich die entgegnende Antwort in die Öffentlichkeit geben.« © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

Die Bedeutung abweichenden Verhaltens im Klerikerstand367

darüber hinaus, ähnlich wie im Land Baden, der Grundsatz galt, dass »ein Kleriker nur in Extremfällen vor ein weltliches Gericht gestellt werden sollte.«16 Dies wird auch am Beispiel des soeben genannten Mißbrauchsfalls deutlich, in welchem der kirchliche Ermittlungsrichter Hindringer sogleich Fühlung mit den Staatsbehörden aufnahm, um die Einleitung einer staatsanwaltschaftlichen Untersuchung möglichst zu verhindern, obwohl es sich beim sexuellen Missbrauch Minderjähriger naturgemäß um einen auch strafrechtlich relevanten Tatbestand handelte. 17 Diese Vorgehensweise bedeutete keineswegs völlige Straffreiheit für die Täter an sich, da das Kirchenrecht selbst durchaus ein komplexes Strafrecht, insbesondere für den Klerus vorsah, hier jedoch auf Unabhängigkeit von der weltlichen Obrigkeit bestand: »Bei der Handhabung ihrer Straf- und Zuchtgewalt muss die Kirche unabhängig und frei sein; der Staat oder irgendeine irdische Macht darf ihr bei Verhängung und Vollzug von Strafen nicht in den Arm fallen,« stellte der Kanonist Eduard Eichmann in seinem Lehrbuch 1934 fest.18 Entsprechend Art. 157 der Weimarer Reichsverfassung ist die kirchliche Straf- und Zuchtgewalt in den Grenzen der für alle geltenden Gesetze eine eigene Angelegenheit der Kirche. Hingegen bestand nach weltlichem Recht keine Verpflichtung zur Anzeige der Straftat eines Geistlichen, von der die kirchliche Obrigkeit Kenntnis erlangt hatte, vor weltlichen Instanzen.19 Grundsätzlich lässt sich die starke Neigung der kirchlichen Obrigkeit ausmachen, alle Vergehen intern, d. h. nach Maßgabe des kirchlichen Strafrechtes zu regeln. Je nach Straftatbestand wich das Strafmaß hierbei jedoch erheblich vom weltlichen Rahmen ab. Vor allem bei schweren Delikten wurden Kleriker oft wesentlich milder bestraft, als es bei einer Verurteilung vor einem weltlichen Gericht zu erwarten gewesen wäre. Bei der Bestrafung eines Klerikers wird, um die vorgenannte Präventivwirkung des Nichtwissens aufrechtzuerhalten, im Regelfall auf die nichtöffentliche Sichtbarkeit der Strafe geachtet. Die Vermeidung eines Ärgernisses hat zudem Vorrang vor der Sanktion als solcher. Hierin unterscheidet sich das kirchliche Strafrecht des CIC fundamental vom weltlichen Strafrecht, wie es etwa von Foucault analytisch erfasst wurde und in welchem die Sichtbarkeit der Strafe Teil der Strafe ist.20 Diese Ver16 Götz von Olenhusen, abweichendes Verhalten, 75. 17 Vgl. AEM, NL Thalhamer, Sittlichkeitsdelikte, Dr. Benedikt A.: Bericht Hindringers vom 12. 05. 1921. Demgegenüber stand der Schutz potentieller Opfer – etwa im Falle sexuellen Missbrauchs Minderjähriger durch einen Kleriker – vollkommen im Hintergrund. Eine solche Überlegung ist in keiner der herangezogenen Quellen Gegenstand der Erörterung. Diese Denkungsart läge überdies auch völlig außerhalb des innerkirchlichen Diskursfeldes, ist demnach doch Gott derjenige, der durch das Fehlverhalten seines Priesters gekränkt wird. Steht, wie bei der katholischen Kirche der Fall, das Seelenheil des Einzelnen im Vordergrund, so ist das unschuldige Opfer vor Gott ohnehin gerechtfertigt, nicht aber der Täter. Seine Seele muss von der ewigen Verdammnis gerettet werden. 18 Eichmann, Kirchenrecht, Bd. II, 342. 19 Dies ergibt sich aus den Regelungen des Reichsstrafgesetzbuches vom 01. 01. 1872, welches keine allgemeine Anzeigepflicht bereits ausgeführter Straftaten vorsah. 20 Vgl. Foucault, Überwachen und Strafen. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Abweichendes Verhalten: Erscheinungsformen und Korrekturmechanismen

meidung der Sichtbarkeit wird an zahlreichen Rechtsbestimmungen deutlich, wie etwa bei der möglichen Absolvierung von einer oberhirtlich verhängten Zensur durch jeden beliebig mit Beichtvollmacht ausgestatteten Geistlichen in dringenden Fällen.21 Selbst ein Geistlicher, der abgesetzt worden war und kein kirchliches Amt mehr ausüben durfte, sollte »nicht in die Lage gebracht werden, seinen Lebensunterhalt auf eine seinem Stande nicht geziemende Weise suchen zu müssen, zumal er verpflichtet bleibt, die geistliche Tracht zur tragen.«22 Der – an seiner Tracht für jedermann als solcher erkennbare – Priester als Hilfsarbeiter oder Bettler war eine Vorstellung, die sich mit dem habituellen Konzept des geistlichen Standes selbst dann nicht vertrug, wenn der entsprechende Geistliche sich solch schwere Verfehlungen hatte zuschulden kommen lassen, dass er seiner Ämter, Pfründe und Würden für verlustig erklärt wurde. Das auch in der Weimarer Republik noch durchaus kooperative Verhältnis zwischen kirchlicher und staatlicher Obrigkeit bei der diskreten Aufklärung und gleichzeitigen öffentlichen Verdeckung strafrechtlich relevanter Delikte von Klerikern, erfuhr nach 1933 einen tief greifenden Wandel. Dieser fand seinen deutlichsten Niederschlag in den so genannten Sittlichkeitsprozessen gegen katholische Laienbrüder und Priester, die 1936/37 ihren Höhepunkt erreichten.23 Diese Prozesse stellten nun »eine neue Waffe im Kampf gegen die verhasste Kirche, eine Rechtfertigung der ganzen kirchenfeindlichen Haltung des Ns« mit dem Ziel der »Diffamierung des katholischen Klerus und der katholischen Orden«24 dar, wie Johannes Neuhäusler unmittelbar nach dem Ende des NS-Regimes beklagte. Die Tätigkeit der Organe des NS-Staates von der Geheimen Staatspolizei bis hin zur vom Reichspropagandaministerium gelenkten Presseberichterstattung zielte nun aktiv auf die Erzeugung des Ärgernisses und damit auf die Diffamierung der Kirche in ihrer Gesamtheit. Hierbei bedienten sie sich eines Repertoires antiklerikaler und antikatholischer Stereotype, deren Wurzeln in der Tradition des europäischen Antikatholizismus zu suchen sind.25 21 Wenn etwa einem Pfarrer die Bloßstellung vor der Gemeinde drohte, da er durch eine über ihn verhängte Exkommunikation seine pfarrlichen Funktionen nicht ausüben konnte und durch diese Nichtausübung die Gefahr seiner Bloßstellung bestand, konnte er sich durch einen anderen Geistlichen selbst dann zumindest temporär aus dieser Exkommunikation lösen, wenn die Absolution von der Exkommunikation einer hierarchisch höheren Instanz – in der Regel dem Ortsordinarius – vorbehalten war, vgl. Eichmann, Kirchenrecht, Bd. II, 384 f. 22 Eichmann, Kirchenrecht, Bd. II, 402. Die Versorgung abgesetzter Geistlicher blieb jedoch Gnadensache, ein Rechtsanspruch bestand hier nicht. 23 Vgl. hierzu Hockerts, Sittlichkeitsprozesse. Bedauerlicherweise versäumte es Hockerts, der nur die Zeit nach 1933 behandelte, den Aspekt des Wandels von einem eng kooperativen Verhältnis Staat-Kirche bei der Aufklärung respektive Verdeckung von strafbaren Sexualdelikten vor 1933 zu einem propagandistischen Kampf des Staates gegen die Kirche nach 1933 herauszuarbeiten. 24 Neuhäusler, Kreuz, Bd. 1, 133. 25 Vgl. Borutta, Antikatholizismus. Gleichwohl wird man dem Ansatz dieses Autors, der den Katholizismus in der Deutungstradition Edward Saids und der postcolonial studies als Objekt eines westlichen »Orientalismus« und damit in gewisser Weise als Opfer eines Fortschrittsfundamentalismus westlicher männlicher Eliten betrachtet, nur sehr bedingt folgen können, da er die unbestrittenermaßen evidente antimoderne Ideologie des römischen Katholizismus marginalisiert. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

Mechanismen zur Normenkontrolle und Verhaltenskorrektur369

In der nationalsozialistischen Zeit wurde das normwidrige Verhalten von Klerikern in verstärktem Maße zu einer beliebten Waffe von Staat und Partei im Kampf gegen die kirchlichen Institutionen, denen nun in der Presse Doppelmoral, Scheinheiligkeit und die aktive Vertuschung von Straftaten vorgeworfen wurden,26 während zugleich von staatlicher Seite Kenntnisse über sittlich-moralische Fehltritte für Erpressungsversuche gegen Kleriker eingesetzt wurden, wie im Fall des Münchner Weihbischofs Anton Scharnagl.27 Dabei waren es nicht nur Sittlichkeitsdelikte – die im Bereich der Erzdiözese München und Freising ohnehin nur eine geringe Rolle spielten – sondern auch Vermögensdelikte, wie etwa der nachfolgend noch zu schildernde Fall von Karl Walterbach, die von staatlicher Seite propagandistisch instrumentalisiert wurden.28

5.2 Mechanismen zur Normenkontrolle und Verhaltenskorrektur Der Religionssoziologe Leo von Deschwanden unterschied hinsichtlich der kirchlichen Mechanismen für die Kontrolle und Disziplinierung des Klerus zwischen PräventivMechanismen und Post-Factum-Mechanismen.29 Beide Instrumentarien waren unterschiedlich ausgebildet und wirksam. Die Präventiv-Mechanismen, die dazu dienten, abweichendes Verhalten möglichst gar nicht erst entstehen zu lassen, waren sehr stark ausdifferenziert und effektiv. Hierzu gehörte zunächst und vor allem der gesamte umfassende und langwierige Sozialisationsprozess des Klerikers mit dem Ziel der Internalisierung der totalen Rolle, der in dieser Arbeit bereits ausführlich betrachtet wurde. Persönlichkeiten, die für die Klerikerlaufbahn ungeeignet erschienen, die sich den Anforderungen nicht gewachsen zeigten, ungünstige Charaktereigenschaften aufwiesen, oder sich als zu labil erwiesen, wurden erst gar nicht zur Ausbildung zugelassen oder vor der Weihe frühzeitig aus der Gemeinschaft der Kandidaten ausgeschieden.30 Damit wurde das Risiko späterer Abweichungstendenzen nach Möglichkeit von vornherein minimiert. Dass Borutta außerhalb der Wissenschaft von denen Zuspruch erfuhr, die auch in der Debatte über den Missbrauch von Kindern durch katholische Kleriker vor allem den »Fundamentalismus der Aufklärung« am Werk sehen, erscheint bezeichnend: vgl. Patrick Bahners, Fundamentalismus der Aufklärung. Missbrauchsdebatten in der Gründerzeit des liberalen Staates: Manuel Borutta enthüllt das Gewaltpotential eines Antiklerikalismus, der die katholische Kirche als inneren Orient beschreibt, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27. 06. 2010. 26 Charakteristische Beispiele für tendenziöse Berichterstattung bei Sexualdelikten etwa bei Neuhäusler, Kreuz, Bd. I, 136–144. 27 Vgl. Kapitel 1.1.5 und Gritschneder, Scharnagl. 28 Die sogenannten Devisenprozesse (vgl. hierzu Rapp, Devisenprozesse) spielten im Weltklerus der Erzdiözese keine Rolle. 29 Vgl. Deschwanden, Rollenanalyse, 132 f. 30 So wurden in den Seminaren frühzeitig Kandidaten ausgesiebt, bei denen sich auch nur andeutungsweise abzeichnete, dass sie den Anforderungen des Zölibates nicht standhalten würden; vgl. hierzu etwa AEM, Ordinariatssitzungsprotokoll vom 21. 01. 1938. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Der Prozess der Kontrolle und Überwachung des Einzelnen setzte sich nach der Weihe weiter fort, wenngleich unter anderen Bedingungen. Die disziplinarische Grundproblematik des Weltklerus bestand – im Gegensatz zum auch nach der Weihe in der Kommunität lebenden Ordenskleriker – zunächst in der Vereinzelung. Bis zu seiner Weihe war auch der Weltpriester an das Leben in einer Gemeinschaft gewöhnt und ihren Regularien und Kontrollmechanismen unterworfen. Dies änderte sich nach seiner Weihe und ersten Anweisung auf eine Stelle grundlegend. Bei Inhabern unselbständiger Seelsorgestellen war nun der jeweilige Pfarrherr für die Sozialkontrolle verantwortlich. Deren Ergebnisse flossen direkt in die dienstliche Beurteilung, die so genannten Qualifikationsnoten ein. Diese umfassten Zensuren für Wissenschaftliche Bildung, Amtseifer und Sittliches Betragen, wobei bei der Benotung des Amtseifers zwischen jenem in der Seelsorge und jenem in Angelegenheiten der Verwaltung zu unterscheiden war.31 Zusätzlich sollten ergänzende »Bemerkungen über Persönlichkeit und Wirken«32 der zu beurteilenden Geistlichen abgegeben werden. Vielen Pfarrern scheint die Beurteilung jedoch lästig gewesen zu sein, möglicherweise weil sie den Vorgang als bürokratischen Akt empfanden, der ihnen unangenehm war, oder weil sie den Mechanismus als solches ablehnten. Meist sind die Urteile knapp und beschränken sich auf wenige Worte, an Härte und Deutlichkeit lassen sie mitunter jedoch nichts vermissen.33 Für gewöhnlich wurden schlechtere Qualifikationsnoten – mit Ausnahme der Note für das sittliche Betragen, wo dies von der Oberbehörde ausdrücklich verlangt wurde – nicht näher begründet.34 Naturgemäß kommen in den 31 Beispiele für Qualifikationsbögen haben sich in beinahe allen Priesterpersonalakten des AEM erhalten. Die in den 1930er Jahren gebräuchlichen Vordrucke sahen jeweils ein festes Schema von vier Notenstufen vor. Bei der Note für die wissenschaftliche Bildung die (in der Formulierung etwas eigenwillig anmutenden) Stufen 1 »sehr viele«, 2 »viele«, 3 »hinlängliche« und 4 »geringe«; bei der Note für den Amtseifer die Stufen 1 »sehr großer«, 2 »großer«, 3 »mittelmäßiger« und 4 »ungenügender«; bei der Note für das sittliche Betragen die Stufen 1 »sehr gutes«, 2 »gutes«, 3 »nicht tadelfreies« und 4 »tadelhaftes«. 32 Vgl. ebenda. 33 Im Vergleich zur üblichen Knappheit, die kaum Rückschlüsse auf die tatsächlichen Priesterpersönlichkeiten zulässt, mutet die Beurteilung des Steinhöringer Kooperators Josef Albertshauser (geb. am 25. 08. 1896 in Ilmmünster, Priesterweihe 1925, gest. am 31. 12. 1977; vgl. AEM, Priesterpersonalakten P III 15) durch seinen Pfarrherrn Phillip Schmid (geb. am 23. 06. 1877 in Pirmasens, Priesterweihe 1900 in Freising, 1917 Stadtpfarrer in München–St. Georg/Milbertshofen, 1922 Pfarrer in Steinhöring, nach 1945 Kommorant in Teisendorf, gest. am 27. 12. 1948; vgl. AEM, Priesterpersonalakten P III 1565) aus dem Jahr 1931 fast schon geschwätzig an: »Das sehr gute sittliche Betragen des H[errn] Koop[erators] A[lbertshauser] ist besonders hervorzuheben. Für Amtseifer wurde deshalb nicht die 1.Note gegeben, weil H[err] Koop[erator] gern eine passende Gelegenheit benutzt, um sich seinen Dienst etwas bequemer zu machen. Auch hat er für Vereinstätigkeit kein Interesse u[nd] keinen Eifer. Seine starke Neigung zu Neuerungen u[nd] Änderungen des guten Althergebrachten wirkt oft unangenehm. Sein künstlerisches Geschick u[nd] künstlerisches Verständnis ist hervorzuheben.« Vgl. ebenda, Qualifikations-Noten vom 31. 05. 1931. 34 Insofern ist das vorgenannte Beispiel nicht repräsentativ. Gleiches gilt für Koadjutor Ludwig K. (geb. am 23. 05. 1903 in Laufen/Salzach, Priesterweihe 1927, gest. am 25. 11. 1983; vgl. AEM, Priesterpersonalakten P III 915) über den das Gesamturteil 1928 wesentlich negativer ausfiel: Bildung © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Beurteilungen stets auch Ressentiments, Zu- und Abneigungen, persönliche Freundund Feindschaften35 sowie Generationenkonflikte zum tragen.36 Generell lässt sich m. E. beobachten, dass die Qualifikationsnoten für die Sittlichkeit wesentlich besser ausfielen, als die sonstigen Noten. Dies kann einerseits ein Indiz dafür sein, dass die Disziplinierung des Priesterstandes auf diesem Gebiet tatsächlich besonders erfolgreich war, andererseits dass die Betroffenen sich Mühe gaben, anstößiges und normwidriges Verhalten hier eher zu verbergen, als etwa mangelnden Seelsorgeeifer. War dies nicht der Fall, fielen die Urteile zumeist deutlich aus und benannten den entsprechenden Sachverhalt, wie im Falle des jungen Korbinian Aigner, dessen sittliches Betragen von seinem vorgesetzten Dienstherrn im Mai 1924 als »nicht tadelfrei« bewertet wurde: Obwohl Hr. Cooperator Aigner wegen seines unklugen Verhaltens Fortbildungsschülerinnen gegenüber im Februar 1923 von hochwürdigster Stelle vorgeladen war, ließ er sich trotz Warnung in Liebeleien mit einem Dienstmädchen ein. An seine baldige Amovierung von hier sieht die ganze Pfarrei mit großem Interesse entgegen.37

Hier gab der vorgesetzte Pfarrer also sogar einen recht deutlichen Hinweis, welche Reaktion er von der Oberbehörde erwartete, nämlich die Versetzung des auffällig gewordenen Hilfsgeistlichen. Andere wiederum beließen es bei Andeutungen. So vermerkt die Beurteilung des Kooperators August Thomas38 in Ruhpolding dessen mehr

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und Amtseifer wurden nur mit »hinlänglich« und »mittelmäßig« bewertet, der junge Kleriker als »nervös und vergnügungssüchtig« sowie überwachungsbedürftig charakterisiert, da er sonst seinen Aufgaben nicht nachkomme und »mit Freunden die Zeit vertrödelt«. Am sittlichen Betragen gab es aber auch bei K. nichts auszusetzen, vgl. ebenda, Qualifikations-Noten vom 17. 04. 1928 und vom 04. 04. 1929. Etwa wenn ein Geistlicher sich sogar im Seelsorgebericht abfällig über seine Mitbrüder äußerte, so z. B. der Stadtpfarrer von München-Hl. Kreuz: »Über die ›Mitarbeit‹ des Kaplans schweigt man am besten, sie ist ohnehin an oberhirtlicher Stelle bekannt. (›Bei der Bezahlung kann man nicht wenig genug tun!‹). Zur Entlohnung habe ich nun schon 10 Monate seine ausgebombten und ausgebrannten Angehörigen (4 Personen!) bei mir in Wohnung und Verpflegung […] H. Studienrat P[…] spielt gerne den Domkapitular, vor dem alles aufstehen und bereit sein muss und erlaubt sich dann und wann respektwidrige Äußerungen gegen den Pfarrvorstand.« Vgl. AEM, Seelsorgeberichte, Dekanat München-Süd, Seelsorgebericht der Stadtpfarrei München-Hl. Kreuz für das Jahr 1944. So schlug etwa der Vorwurf der Neuerungssucht, der dem 35-jährigen Alberstshauser 1931 noch gemacht worden war, eine Generation später in ein nahezu gegenteiliges Verdikt um: Er »geht nicht mehr mit der Zeit« und sei zu »eng, auf Bestimmtes versessen«, lautete das Urteil über den 62-jährigen Albertshauser in einem Zeugnis des Dekans Georg Huber aus dem Jahr 1958; vgl. AEM, Priesterpersonalakten P III 15, Qualifikation vom 10. 11. 1958. AEM, Priesterpersonalakten P III 12, Qualifikation vom 01. 05. 1924. Aigner wurde daraufhin zur Aushilfe nach Söllhuben versetzt. August Thomas, geb. am 04. 02. 1900 in Lindau, Priesterweihe 1925 in Freising, Aushilfspriester in Rottenbuch und Teisendorf, 1926 Kooperator in Steinhöring, 1928 Aushilfspriester in München-St. Georg/Milbertshofen, Kooperator in Ruhpolding, 1934 Verweser der Pfarrei Neukirchen bei © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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als auffälliges Verhalten, »fast zu jeder Tageszeit Kinder, hauptsächlich Mädchen, auf seinem Zimmer, zum Spiel zu vereinigen, eine Gewohnheit, die schon auf früheren Posten sich gezeigt hat.«39 Obwohl der beurteilende Pfarrer gleich im Folgesatz betonte, »gegen die Sitte kommen natürlich keine Verstöße vor« und bereits einleitend auf die sittliche Reinheit des Kooperators Thomas hingewiesen hatte, deutete er durch diese Bemerkung in dem ansonsten sehr knappen Bericht gegenüber dem Ordinariat doch an, dass ihm der Vorgang nicht ganz geheuer sei. Die Überwachung der selbständigen Seelsorgegeistlichen, also allen voran der Pfarrer, übernahmen die Dekane, die Kraft ihres Amtes als Aufsichtsorgane für den Klerus eines Dekanates fungierten. Bei den Dekanen handelte es sich zumeist um ältere und erfahrene Geistliche, die neben den regulären Kontroll- und Beurteilungsvorgängen40 von Fall zu Fall auch als Untersuchungsorgane fungierten, etwa wenn dem Ordinariat ein Gerücht zu Gehör kam, oder ein Geistlicher von dritter Seite denunziert und eines Fehlverhaltens angeschuldigt wurde. Die Dekane führten dann durchaus auch Gespräche mit Laien, die als Vertrauenspersonen galten und die zur Vertraulichkeit verpflichtet werden konnten, sie zogen Erkundigungen ein und berichteten die Ergebnisse schriftlich dem Ordinariat nach München.41 Dieses System war auf seine Weise effektiv, stieß jedoch vor allem bei den Betroffenen immer wieder auf Kritik, da diese selbst meist erst spät oder gar nicht gehört wurden und durch die unter dem Deckmantel der Verschwiegenheit geführten Nachforschungen weiteren Gerüchten oder Zwistigkeiten oft erst Vorschub geleistet wurde.42

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Teisendorf, 1935 Kooperator in Fürstenfeldruck, 1939 Pfarrer in Puchheim, gest. am 13. 12. 1952; vgl. AEM, Priesterpersonalakten P III 1827. Vgl. ebenda, Qualifikation (undat., vermutlich 1931). Das Ordinariat griff diesen Hinweis jedoch nicht auf, auch zu einer Versetzung Thomas’ kam es nicht. Vgl. AEM, NL Thalhamer, Stw. Dekane, Dienstanweisung für die Dekane der Erzdiözese München und Freising (1942). Hier ist in § 9 formuliert: »Die Dekane sollen darüber wachen, daß alle Geistlichen ihres Dekanats einschließlich der Kommoranten gemäß den kirchlichen Vorschriften ein ihrem Stande entsprechendes Leben führen, in allen Lebensverhältnissen auch den Schein des Bösen vermeiden, dem christlichen Volk durch Frömmigkeit und Tugend zur Erbauung gereichen und ihre seelsorglichen Pflichten eifrig und gewissenhaft erfüllen. Sie mögen deshalb mit ihrem Klerus enge Fühlung halten, die ihnen unterstellten Geistlichen von Zeit zu Zeit freundschaftlich besuchen und ihnen in allen Fragen der Seelsorge wie auch in persönlichen Anliegen mit ihrem Rat zur Seite stehen. Mißhelligkeiten unter dem Klerus soll der Dekan klug beizulegen bemüht sein.« In § 10 wird ausgeführt: »Wenn ein Geistlicher sich in seiner Pflichterfüllung nachlässig erweist oder sonst Vergehen geringerer Art zuschulden kommen läßt, soll der Dekan nach der Vorschrift des Evangeliums die brüderliche Zurechtweisung in Anwendung bringen und erst dann, wenn diese nach zwei- oder dreimaliger Wiederholung erfolglos geblieben ist, an die oberhirtliche Stelle berichten. Bei schwereren Vergehen ist es Gewissenspflicht des Dekans, sofort die kirchliche Behörde in Kenntnis zu setzen.« Vgl. etwa die Vorgehensweise in den Fällen Jakob S. (AEM, Priesterpersonalakten P I Jakob S.) und Alois K. (AEM, NL Thalhamer, Sittlichkeitsdelikte, Alois K.). Im Fall des beschuldigten Jakob S. befragte der Dekan sogar dessen eigene Mutter und verpflichtete sie anschließend zum Schweigen gegenüber ihrem Sohn. S. hierzu: »Warum ich da als Angeklagter nicht persönlich gerufen werde, ist mir ein Rätsel. Ich meine, dass Sie mich soweit kennen, dass © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Den Dekanen oblagen im Regefall auch die mindestens alle fünf Jahre, in der Erzdiözese München und Freising normalerweise alle drei Jahre, im Auftrag des Erzbischofs durchzuführenden kanonischen Visitationen der Pfarreien.43 Hierbei handelte es sich um ein weiteres Instrument zum Zweck der Überwachung und Normenkontrolle. Im Rahmen der Visitation wurde ein ausführlicher Bericht über den Zustand der Kirchen der Pfarrei, ihre Ausstattung, Ordnung und Reinlichkeit, den ordnungsgemäßen Umgang mit den liturgischen Gerätschaften, den Friedhof, die Pfarrgebäude, die Pfarramtsverwaltung, die seelsorglichen und schulischen Verhältnisse, den Pfarrer, die Hilfspriester und Mesner erstellt und dem Ordinariat übersandt. Die Vorgehensweise hatte durchaus inquisitorische Züge, neben einer Begutachtung der Örtlichkeiten wurden auch Befragungen vorgenommen, wobei in Einzelgesprächen des Dekans mit den Geistlichen und sonstigen im Dienstverhältnis der Pfarrei stehenden Personen, diese auch wechselseitige Urteile übereinander abzugeben hatten. Der Dekan war angehalten, eine »genaue Beobachtung der kirchlichen Gesetze« etwa über »Wirtshausbesuch, geistliche Kleidung, klerikalen Wandel« abzuliefern.44 Auch welche Bücher der jeweilige Geistliche besaß, war zu berichten, ebenso, welches Personal er beschäftigt, wie alt die in seinem Dienst stehenden Personen waren und wie es um deren Sittlichkeit stand.45 Hierbei war etwa auch die Frage interessant, ob ihre Dienstwohnungen im Pfarrhaus abgesondert waren, ob also nicht anstelle des Dienstverhältnisses ein verdecktes Konkubinat der Geistlichen mit Pfarrhaushälterinnen vorlag.46 Naturgemäß wurde das Netz der Kontrolle vor allem durch räumliche Entfernung der kontrollierenden Instanzen weitmaschiger. Insbesondere auf dem Land lagen die Pfarreien und exponierten unselbständigen Seelsorgestellen auch nicht immer in einer unmittelbaren Verkehrsbeziehung zueinander, so dass die Dekane gar nicht die Möglichkeiten hatten, kontinuierliche Normenkontrolle auszuüben, zumal dies für sie nur eine Nebenaufgabe darstellte. Jedoch war grundsätzlich jeder Kleriker angehalten, im Sinne der correctio fraterna positiv auf seine Mitbrüder einzuwirken

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Sie keinen Schuljungen mehr vor sich haben. […] Wenn ich etwas verbrochen (habe), dann bitte ist es Ihre Pflicht, soweit das Sie etwas angeht, mich persönlich zu sprechen und nicht einem alten Weibe gegenüber auszupacken …« vgl. AEM, Priesterpersonalakten P I, Jakob S., S. an Dekan Popfinger vom 06. 07. 1935. Vgl. can. 447 § 2 CIC 1917; AEM, NL Thalhamer, Stw. Dekane, Dienstanweisung für die Dekane der Erzdiözese München und Freising, hier §§ 19–21; Koeniger, Visitation. In Sonderfällen – etwa wenn bei den Dekanen selbst zu visitieren war – oder bei schwierigen Problemlagen, visitierte einer der Domkapitulare, gelegentlich auch der Weihbischof, die Dekane führten jedoch durchaus auch außerordentliche Visitationen durch. Vgl. hierzu AEM, Ordinariat, Visitationen 367, eine Sammlung verschiedener Visitationsprotokolle Münchener Pfarreien aus den Jahren 1870 bis 1933. Das in den 1920er und 30er Jahren übliche und dort überlieferte Fragemuster für Visitationen wies 76 Hauptfragen in 10 verschiedenen Kategorien auf. Vgl. ebenda. Ein systematischer Bestand an Visitationsberichten hat sich für den in dieser Arbeit untersuchten Zeitraum nicht erhalten (Kriegsverlust). Vgl. ebenda. Vermutlich deshalb wurde auch genau geprüft, ob die Haushälterin Lohn vom Pfarrer empfing. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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und im Falle von gravierenden Verstößen diese der Oberbehörde auch anzuzeigen.47 Einen nicht geringen Anteil bei der Aufdeckung abweichenden Verhaltens hatten in der Praxis entgegen der kirchlichen Intention die Laien, obgleich der – insbesondere im ländlichen Raum noch sehr effektiv arbeitende – Mechanismus der Sozialkontrolle durch Laien an sich bereits als Versagen der kirchlichen Kontrollinstanzen galt, da in Verbindung mit diesem das Ärgernis, durch das öffentliche oder zumindest teilweise öffentliche bekannt werden der Abweichung, bereits eingetreten war. Andererseits bot das geistliche Kleid den Tätern einen gewissen Schutz, indem es eine einschüchternde Wirkung auf Betroffene und Zeugen ausübte. Dass Kleriker im Umfeld frommer Katholiken einen durch Stand und Auftreten bedingten Vertrauensvorschuss genossen, wurde auch im Fall des bereits genannten Priesters Benedikt A. deutlich, der des Missbrauchs Minderjähriger angeschuldigt war. Als eine Schwester des Franziskanerordens als Zeugin befragt wurde, ob sie am Verhalten des Geistlichen nie etwas Auffälliges bemerkt habe, gab sie zu Protokoll: »Der Umstand, dass der Herr Doktor täglich die Heilige Messe las, ließ mich an der Reinheit seiner Gedanken nicht irre werden.«48 Trotz aller Prävention gelang es naturgemäß nicht, normwidriges Verhalten zu verhindern. Hier kamen nun die Post-Factum-Mechanismen ins Spiel und als deren rechtliche Rahmenbedingung das Gerüst des kirchlichen Strafrechtes. Dieses hielt ein breites und differenziertes Instrumentarium an Sanktionsmöglichkeiten bereit. Das kirchliche Strafrecht dient entsprechend dem kirchlichen Rechtsverständnis dem Schutz der kirchlichen Gemeinschaft und gibt Mittel an die Hand, »schwerwiegende Störungen des kirchlichen Gemeinschaftslebens in wirksamer Weise zu ahnden.«49 Die kirchliche Strafgewalt ist dabei eine hoheitliche Hirtengewalt, welche die Kirche gemäß diesem Verständnis nicht Kraft Rechtsaktes, sondern als ihr angeborenes und unveräußerliches Recht gegenüber allen Gliedern der Kirche – also gegenüber Klerikern ebenso wie gegenüber Laien – infolge der Verleihung durch Jesus Christus besitzt.50 Im Gegensatz zum staatlichen Strafrecht ist die Kirche dabei in der Zeit des CIC von 1917 im Regelfall auf die Anwendung psychischen Zwangs beschränkt, sie hat also normalerweise keine körperliche Verfügungsgewalt über den Straffälligen.51 Die kirchlichen Strafmittel bestehen demzufolge vor allem in der Vorenthaltung oder Entziehung von bestimmten Gütern oder Rechten gegenüber dem Straffälligen, sie leiten sich aus Bann und Buße her. Für die kirchliche Strafpraxis wird bereits daraus deutlich, dass die Strafmittel, welche die kirchliche Obrigkeit gegenüber einem Kleriker 47 Vgl. Referat I: Priesterliche Standesfragen, in: Bericht Diözesansynode 1930, 10–13, hier 10 f. 48 Vgl. AEM, NL Thalhamer, Sittlichkeitsdelikte, Dr. Benedikt A., Protokoll zur Vernehmung der Schwester Pilgrim Frischhut vom 11. 05. 1921. 49 Eichmann/Mörsdorf, Kirchenrecht, Bd. 3, 249. 50 Ebenda. 51 Ausnahmen ergeben sich vor allem gegenüber Klerikern im Falle der Bestimmung des Aufenthaltsortes (Konfinierung) oder Festhaltung in einem Kloster oder Priesterhaus; vgl. CIC 1917 can. 671, 2; auch Eichmann, Kirchenrecht, Bd. 2, 401 f. Beide Maßnahmen hatte eine Einschränkung der physischen Bewegungsfreiheit zur Folge. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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anwenden kann, wesentlich wirksamer und massiver sind, als die gegenüber einem Laien anwendbaren Mittel, da die Kleriker nicht nur in einem geistlich-religiösen, sondern auch in einem rein materiellen Bindungsverhältnis zur Kirche stehen, sie also auch durch den Entzug von materiellen Gütern bestraft werden können. Durch die kirchliche Strafe soll zum einen das begangene Unrecht ausgeglichen und die verletzte Gemeinschaftsordnung wiederhergestellt werden, zum anderen leitet auch das kirchliche Strafrecht des CIC 1917 der Präventionsgedanke: Durch die Androhung von Strafen sollen einerseits die Glieder der Gemeinschaft davon abgeschreckt werden, gegen die Ordnung zu verstoßen, andererseits die Täter von weiterem straffälligen Verhalten abgehalten, innerlich verbessert oder unschädlich gemacht werden.52 Das kirchliche Strafrecht unterschied hinsichtlich der Strafmittel zwischen Besserungsstrafen, Vergeltungsstrafen und Sicherungsstrafen.53 Bei den Besserungsstrafen, auch Zensuren genannt, handelte es sich um Zwangsmittel mit dem Zweck, »einen gegenwärtigen, unberechtigten Widerstand zu brechen (und) Gehorsam und Genugtuung zu erzwingen.«54 Die Zensuren entzogen dem Betroffenen geistliche und diesen verwandte Güter, etwa das Recht auf Sakramentenspendung und -empfang oder die Ausübung von Weihe- und Jurisdiktionsgewalten.55 Drei verschiedene Zensuren sind zu unterscheiden: Die Exkommunikation, das Interdikt und die Suspension.56 Die Exkommunikation57 bedeutete Ausschluss von der Gemeinschaft mit den Gläubigen, d. h. faktisch den (einstweiligen) Verlust der kirchlichen Mitgliedschaftsrechte im Hinblick auf deren Ausübung. Ein exkommunizierter Kleriker durfte weder Sakramente empfangen noch spenden, keine Beichte hören und verlor bei gerichtlicher Exkommunikation für deren Dauer als mittelbare Rechtsfolge auch das Einkommen aus seinen kirchlichen Pfründen. Das Interdikt58, in der Form des Personalinterdikts, untersagte einer Person die Vornahme der heiligen Handlungen (Gottesdienst, Empfang und Spendung von Sakramenten sowie Sakramentalien). Somit ist das Interdikt eine schwächer ausgeprägte Form der Exkommunikation, die auch keine mittelbaren Folgen auf die Einkommensverhältnisse eines Klerikers hatte, weil Benefizien und Pfründe 52 Vgl. Eichmann/Mörsdorf, Kirchenrecht, Bd. 3, 295 f. 53 Alle kanonistischen Ausführungen im Folgenden nach Eichmann, Kirchenrecht, Bd. 2, 376–396. 54 Ebenda, 376. 55 Obwohl die Zensuren unmittelbar keine zeitlichen Güter, etwa Vermögen, Einkünfte, Freiheit etc. entzogen, konnte der Verlust der geistlichen Güter indirekt den Verlust der zeitlichen (etwa Einkünfte aus dem Amt) für die Dauer einer Zensur nach sich ziehen. Da dies einen schweren Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellte, durften Zensuren nur bei schweren Verletzungen der Rechtsordnung verhängt werden, die mit Wissen und Wollen und mit sträflicher Gesinnung begangen wurden und die überdies mit der so genannten Kontumanz einhergingen, d. h. der Uneinsichtigkeit und Reuelosigkeit des Straffälligen. 56 Exkommunikation und Interdikt konnten gegen Kleriker und Laien verhängt werden, die Suspension nur gegen Kleriker, vgl. Eichmann, Kirchenrecht, Bd. 2, 385. Im Zusammenhang dieser Arbeit werden die kirchlichen Strafen nur mit Blick auf den Klerus betrachtet. 57 Eichmann, Kirchenrecht, Bd. 2, 386–389. 58 Vgl. ebenda, 390–393. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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dadurch nicht berührt wurden. Die dritte Form einer Zensur, die Suspension59, entzog einem Kleriker das Recht, sein Offizium, d. h. seine Amts- und Weihegewalt auszuüben (Suspensio ab officio) oder die Erträge seines Benefiziums (Suspensio a beneficio) oder beides zugleich. Sie entzog also nicht das Amt oder das Benefizium selbst, zudem war der Suspendierte auch nicht von der Gemeinschaft der Gläubigen ausgeschlossen, d. h. er selbst durfte am Gottesdienst teilnehmen und die Sakramente empfangen. Aus der zweiten Kategorie der Strafmittel, den Sühne- und Vergeltungsstrafen60, sind hier nur wiederum die zeitliche Suspension von Ämtern, Vollmachten oder bereits erlangten Gnaden (darunter etwa auch die Lehrbefugnis oder das Promotionsrecht)61 und die Strafversetzung auf ein geringeres Amt oder Benefizium zu nennen, da sie sich wegen ihrer ökonomischen Folgewirkungen für den Betroffenen als besonders effektiv erwiesen und deshalb häufiger angewandt wurden. Einen nur noch selten angewandten Sonderfall stellte die Bestimmung des Aufenthaltsortes (Konfinierung) dar, die sowohl als Zuweisung eines bestimmten Ortes, Pfarrbezirks etc. als Aufenthaltsort erfolgen konnte als auch als die körperliche Freiheit einschränkende Festhaltung (Detention) etwa in einem Kloster oder einer Besserungsanstalt. Nur bei sehr schwerwiegenden Delikten kam es zur dauerhaften Absetzung eines Geistlichen (Depositio) verbunden mit dem Verlust aller bisher innegehabten Ämter, Pfründe, Würden und Versorgungsansprüche.62 Die schwerste und härteste aller Strafen stellte die Zurückversetzung in den Laienstand (Degradatio) dar, die nur in ausdrücklich vorgesehenen Fällen63 möglich war. Die Bedeutung von Depositio und Degradatio sollte nicht grundsätzlich unterschätzt werden. Michael Niehaus hat in Anlehnung an Thomas Hobbes und Carl Schmitt auf die Bedeutung der Definition des »inneren Feindes« im kirchlichen

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Vgl. ebenda, 393–396. Vgl. ebenda, 396–403. Vgl. ebenda, 400. Verloren gingen hierbei jedoch weder die geistlichen Standesvorrechte, noch die Pflichten, die sich aus der Priesterweihe ergaben (zölibatäre Lebensweise, Breviergebet, geistliche Tracht). Die Absetzung konnte erfolgen bei Vergehen gegen den Glauben und die Einheit der Kirche (CIC 1917, can. 2314 § 1), Entehrung und Diebstahl geweihter Hostien (CIC 1917, can. 2320), Leichen und Gräberschändung (CIC 1917, can. 2328), Mitwirkung bei einer Abtreibung (CIC 1917, can. 2350 § 1), schweren gemischten Delikten [etwa Menschenraub und -handel, Raub] (CIC 1917, can. 2354), qualifizierten Sittlichkeitsvergehen (CIC 1917, can. 2359 § 2), dauerhaftem Ablegen der geistlichen Tracht (CIC 1917, can. 2379), schweren Fällen unbefugter Besitzergreifung von kirchlichen Ämtern, Benefizien oder Dignitäten (CIC 1917, can. 2394) sowie in bestimmten Fällen bei der Nichtherausgabe von aberkannten Ämtern (CIC 1917, can. 2401). 63 Dies waren schwere Vergehen gegen den Glauben und die Einheit der Kirche (CIC 1917, can. 2314 § 1), Gewalttaten gegen den Papst (CIC 1917, can. 2343 § 1), Mord [gleichgültig an wem] (CIC 1917, can. 2354 § 2), schwere Fälle von Sollizitation d. i. Missbrauch der Beichte und Beichtkinder zu Sünden gegen die Keuschheit (CIC 1917, can. 2368 § 1) und eine Eheschließung [auch zivil vorgenommen] (CIC 1917 can. 2388 § 1). Die klerikalen Verpflichtungen blieben auch nach einer erfolgten Degradation bestehen. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Kontext hingewiesen.64 Die »Ausstoßung« aus der klerikalen Sphäre oder gar aus dem gesamten kirchlichen Raum bei gleichzeitigem Entzug der mit dem bisherigen Status verbundenen Privilegien war das Äußerste, was im kirchlichen Kontext an Strafe möglich war. Zugleich war in diesen Strafen die Feststellung der Unverbesserlichkeit impliziert.65 Dennoch bleibt zu bedenken, dass sich in einer modernen, säkularen Welt, die Folgen einer solchen Ausstoßung für den Betroffen relativierten, zumal dann, wenn – wie während der NS-Zeit – die äußere Welt eine der Kirche grundsätzlich feindselig gestimmte Umgebung darstellte, die dem Abweichler grundsätzlich offen, wenn nicht freundlich und aufnahmewillig gegenüberstand. Die dritte Gruppe der kirchlichen Strafmittel bildeten schließlich die Sicherungsstrafen. Ihre Funktion wird deutlicher im lateinischen Begriff Remedia poenalia, der anzeigt, dass es sich weniger um Strafen denn um Instrumente handelt, eine strafbare Verhaltensweise zu korrigieren oder deren Auftreten zu verhindern.66 Am häufigsten angewandt wurde die Verwarnung, sie wurde ausgesprochen gegen den, der in der Gefahr schwebte, dass eine bestimmte Verhaltensweise zum Delikt wurde oder gegen denjenigen, gegen den sich bereits konkrete Verdachtsmomente für Fehlverhalten ergeben hatten.67 Dem Betroffenen sollte die Möglichkeit gegeben werden, durch rechtzeitige Umkehr einer eigentlichen Bestrafung zu entgehen. Eine Stufe darüber liegt der Verweis68, der vor allem dann ausgesprochen wurde, wenn der Lebenswandel eines Klerikers Anstoß erregte oder eine ernsthafte Störung der sittlichen Ordnung bedingte. Beim qualifizierten Befehl handelte es sich um eine spezielle Anweisung des Ordinarius, mit dem eine Strafandrohung für den Fall der Nichteinhaltung verknüpft war.69 Er wurde erst dann ausgesprochen, wenn sich Verwarnung und Verweis als fruchtlos erwiesen hatten. Als letztes und schärfstes Mittel konnte der straffällige Kleriker schließlich unter Aufsicht (vigilantia) gestellt werden.70 Die Aufsicht wurde dabei in der Regel durch den zuständigen Dekan (bei Geistlichen mit selbständigen Seelsorgestellen) oder Pfarrer (bei Geistlichen mit nichtselbständigen Seelsorgestellen) ausgeübt. Der unter Aufsicht Gestellte hatte sich den entsprechenden Anordnungen des Aufsehers zu unterwerfen. Dieses breite und ausdifferenzierte Instrumentarium an Strafmitteln wurde mit sehr variabler Intensität und unterschiedlichem Erfolg angewandt. Im Gegensatz zu den Präventiv-Mechanismen, ist bei den – erst nach vollzogener Tat zum Einsatz kommenden – Post-Factum-Mechanismen eine Disparität zwischen dem gegebenen Instrumentarium zur Unterbindung von Abweichungen einerseits und dessen Anwendung in der Praxis andererseits zu beobachten. Deschwanden hat 64 Vgl. Niehaus, mit inneren Feinden, 161 65 Ebenda. 66 Vgl. Eichmann, Kirchenrecht, Bd. 2, 403–405. 67 Vgl. ebenda, 403 f. 68 Vgl. ebenda, 404. 69 Vgl. ebenda. 70 Vgl. ebenda, 405. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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die m. E. schlüssige These vertreten, dass es bei den Post-Factum-Mechanismen nicht in erster Linie darum ging, »denjenigen, bei dem offenkundig ein Fall von abweichendem Verhalten vorliegt, zu bestrafen, sondern den Einfluss, den dieses Verhalten u[nter] U[mständen] auf andere Mitglieder oder auf Laien haben könnte, zu unterbinden.«71 Bei einmaligem Fehlverhalten seien deshalb zunächst Tabuierung und Verschweigen die übliche Vorgehensweise. Zu tatsächlichen Sanktionen komme es hingegen erst bei einem Mangel an Loyalität, etwa bei Abweichungen von der Lehre der Kirche, ihrem Ordnungsgefüge oder bei offener Kritik an den Vorgesetzten.72 Wenngleich dies zwar nicht auf alle Formen und Einzelfälle abweichenden Verhaltens zutrifft, so lässt es sich doch der Tendenz nach bestätigen. Dies erklärt auch, weshalb es nach 1933 zu einer spürbaren Verschärfung der innerkirchlichen Strafpraxis, zum Teil mit Vorverurteilungen und deutlicher Distanzierung von den Straffälligen kam. Das Autoritätsgefüge der Kirche, welche sich vermehrt Angriffen von Außen ausgesetzt sah, sollte durch das moralisch fragwürdige Verhalten einzelner nicht in Frage gestellt werden. Abweichendes Verhalten schuf, gerade angesichts der äußeren Bedrohung, eine offene Flanke, die es notfalls auch durch Aufgabe der standesinternen Solidarität zu schließen galt.

5.2.1 Exkurs: Die Priesterheime in Dorfen und Mariabrunn Eine gesonderte Betrachtung verdienen diejenigen Örtlichkeiten, die einerseits dem Vollzug der Strafen der Konfinierung und der Detention und andererseits auch zur Unterbringung kranker oder verhaltensauffälliger Geistlicher dienten. Bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts war es üblich, straffällige Priester in so genannte Besserungsoder Korrektionsanstalten einzuweisen. In der Erzdiözese erfüllte seit dem Ende des 18. Jahrhunderts das Priesterhaus in Dorfen diese Funktion.73 In dem Reskript aus dem Jahr 1813, welches die Rechtsgrundlage für diese Institution darstellt, ist die Zweckbestimmung erläutert: Neben der Funktion als Reserve-Institut für junge Diözesanpriester, »solle es diejenigen Geistlichen […] aufnehmen, welche zu ihrer moralischen Besserung wegen diciplinarischer Vergehen vom Bischofe oder aus Staatspolizey-Gründen von Uns zur Detention dahin gewiesen werden …«74 Zusätz71 Deschwanden, Rollenanalyse, 132 f. 72 Ebenda. 73 Dorfen, im östlichen Teil der Erzdiözese gelegen, war im 17. und 18. Jahrhundert gemessen an der Zahl der Pilger nach Altötting der beliebteste Wallfahrtsort Süddeutschlands. Das Priesterhaus war 1717–1719 ursprünglich errichtet worden, um die große Anzahl an Klerikern, die für die Betreuung der Pilger vonnöten waren, unterzubringen, 1777 kam ein Seminartrakt hinzu. Das Dorfener Klerikalseminar wurde jedoch schon 1804 wieder aufgelöst; vgl. hierzu Stein, Joseph von Widnmann, 207–232. 74 Das Original des Reskripts in StAM, RA 647, Nr. 11186; hier zitiert nach AEM, Ordinariat, Priesterhausstiftung Dorfen 1968–1974, Auflösung der Priesterhausstiftung und Ablösung des staatlichen Substentationsbeitrages, Aktenvermerk vom 24. 11. 1969. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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liche diente das Haus aber offenbar auch als Heim für Ruhestandspriester.75 Über die genaue Funktionsweise der Dorfener Priesterkorrektionsanstalt ist wenig bekannt, doch dienten Häuser dieser Art vor allem als Orte, an denen Priester unter Aufsicht und in gewisser Separation von ihrer Umwelt, Reue und Buße üben konnten.76 Bereits Ende des 18. Jahrhunderts konnte man in der Freisinger Diözese nicht ohne Beschämung sagen, man komme von Dorfen, da der Ort als »geistliches Tollhaus« verrufen war.77 Die Funktion Dorfens als Vollzugsort kirchlicher Strafjustiz hatte sich im kollektiven Gedächtnis des Klerus tief eingegraben und blieb in der in mehreren Varianten kursierenden Redensart: »Bist du verworfen, so kommst du nach Dorfen«78 auch lange nach Auflösung der Anstalt bis in die unmittelbare Gegenwart hinein präsent. Vermutlich gehörte das Priesterhaus in Dorfen nicht zu den geschlossenen, sondern zu den offenen Anstalten, d. h. die Disziplin wurde über Hausordnung, geistliche Übungen, Zwang zum Selbststudium, zur Erarbeitung von Predigten etc. hergestellt. Briefzensur und bestimmte Kontakt- und Aufenthaltsverbote sind anzunehmen. Als Strafmaßnahmen in Korrektionsanstalten dienten abgestufte Formen der Zurechtweisung (einzeln oder in Gegenwart der Mitbrüder), Entzug von bestimmten Speisen und (alkoholischen) Getränken, Hausarrest und die zeitweise Entziehung der Messlizenz.79 Letztere war für den Einzelnen auch deshalb wichtig, weil sie durch die Messstipendien die einzige Einnahmequelle für die ansonsten im Regelfall einkommenslosen Priester bot. Im Ort konnten sich die Priester aber vermutlich grundsätzlich frei bewegen, ggf. nach vorher beim Priesterhausdirektor einzuholender Genehmigung. Das Dorfener Priesterhaus, welches zugleich als Pfarrhaus für die Pfarrei Maria Dorfen diente (der Ortspfarrer fungierte zugleich als Direktor des Priesterhauses) wurde im Jahr 1913 an den Orden der Armen Schulschwestern ver75 AEM, Ordinariat, Priesterhausstiftung Dorfen 1968–1974, Auflösung der Priesterhausstiftung und Ablösung des staatlichen Substentationsbeitrages, Schmelcher an EFK vom 14. 05. 1971. Ähnliche Einrichtungen gab es auch in anderen Diözesen, so etwa im Erzbistum Freiburg das Priestergefängnis (Diskolorium) in Merseburg und das Demeritenhaus Weiterdingen, im Erzbistum Salzburg die Priesterhäuser von Maria Kirchenthal, St. Johann in Tirol, St. Ulrich am Pillersee und Schernberg und im Bistum Mainz das Priesterhaus Marienborn, vgl. hierzu Götz von Olenhusen, abweichendes Verhalten, 117–130; Struber, Priesterkorrektionsanstalten; May, Marienborn. In Diözesen, die nicht über eigene Korrektionshäuser verfügten, wurden die Priester zeitweise in geeignete Klöster eingewiesen. 76 Vgl. May, Marienborn, VI. 77 So der aufgeklärte Kirchenhistoriker und Kanonist Anton Michl, 1778–1780 Kurat in Dorfen und Verfasser einen anonymen, antijesuitischen Flugschrift über die dortigen Zustände, zit. nach Stein, Joseph von Widnmann, 222. 78 Herr Felix Halbgewachs (Pastorale Planungsstelle der Erzdiözese München und Freising) wies den Verfasser auf dieses bei den älteren Angehörigen des Diözesanklerus noch präsente Idiom hin, die Variante »Wen Gott hat verworfen, den schickt er nach Dorfen« bei Stein, Joseph von Widnmann, 222. 79 Vgl. etwa die Bestimmungen in den Statuten des Korrektionshauses zu Schermberg (Erzdiözese Salzburg) von 1906 in: Struber, Priesterkorrektionsanstalten, 348–355. Für Dorfen sind keine Statuten überliefert. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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kauft und von diesem künftig für eigene Zwecke genutzt. Die zu diesem Zeitpunkt noch in der Anstalt befindlichen Korrektionspriester wurden in das 1914 neu erbaute Pfarrhaus umgesiedelt.80 Zugleich scheint es ab diesem Zeitpunkt nicht mehr zur Neueinweisung von Priestern gekommen zu sein. Dies entsprach der Entwicklung in anderen deutschen Diözesen, in denen die Korrektionsanstalten ebenfalls spätestens mit dem Ende des Ersten Weltkrieges geschlossen wurden.81 Die Funktion der Korrektionsanstalt Dorfen ging nun zumindest in Teilen auf das Priesterheim in Mariabrunn über. Dieses Heim lag wenige Kilometer von der Anstalt Schönbrunn (bei Röhrmoos, Landkreis Dachau)82 in einer abgelegenen Waldlichtung. Direktor der Anstalt Schönbrunn und damit zugleich verantwortlich für das Priesterheim war von 1921 bis 1962 der Diözesanpriester Josef Steininger.83 An dem abgelegenen Ort befanden sich neben dem Heimgebäude nur ein Gehöft mit kleiner Gastwirtschaft, eine Marienkapelle und eine wegen ihrer Heilkraft seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts häufig aufgesuchte Quelle. Der Kurbetrieb war nach kurzer starker Blüte zu Beginn des 20. Jahrhunderts fast zum Erliegen gekommen und der Ort dadurch sehr ruhig geworden. Die relative Abgeschiedenheit mag in Verbindung mit der heilkräftigen Quelle und der Nähe zu Schönbrunn mit seinem gut ausgebildeten Pflegepersonal den Ausschlag gegeben haben, das Priesterheim dort einzurichten. In Schönbrunn kamen sowohl straffällig gewordene wie auch erkrankte Geistliche unter, wobei es sich offenbar vor allem um psychische Erkrankungen und Suchtkrankheiten handelte.84 Die Schönbrunner Schwestern bewirtschafteten Mariabrunn in Pacht. Für untergebrachte Priester waren durch die Erzdiözese bzw. die Diözesanemeritenanstalt Pflegesätze zu entrichten. Je nach Verfassung kamen die Priester auch selbst für 80 Vgl. AEM, Ordinariat, Priesterhausstiftung Dorfen 1968–1974, Auflösung der Priesterhausstiftung und Ablösung des staatlichen Substentationsbeitrages, Schmelcher an EFK vom 14. 05. 1971. 81 Vgl. May, Marienborn, VII. 82 Die Anstalt Schönbrunn, eine adelige Gründung des 19. Jahrhunderts, wurde seit 1911 von der Kongregation der Dienerinnen der göttlichen Vorsehung, einer franziskanischen Ordensgemeinschaft geführt, ihr Zweck war die Unterbringung geistig behinderter Menschen; zur Geschichte vgl. Anstalt Schönbrunn, 125 Jahre Anstalt Schönbrunn. Zum Priestererholungsheim Mariabrunn existieren weder Literatur noch Akten mit Ausnahme von Patientenakten im Zentralarchiv des Franziskuswerks Schönbrunn. Der Archivarin der Kongregation der Dienerinnen der Göttlichen Vorsehung, Sr. Maria Anna Rahm (Schönbrunn), verdankt der Verfasser wertvolle Hinweise zur Funktion der Einrichtung. Die Örtlichkeit Mariabrunn mit dem Gebäude des Priesterheims ist bis in die Gegenwart (Besuch des Verfassers im Jahr 2007) weitgehend unverändert, aber nicht mehr in kirchlicher Nutzung. 83 Josef Steininger, geb. am 21. 09. 1886 in Gesseltshausen, Priesterweihe 1911 in Freising, Aushilfspriester in Sittenbach, Hilfspriester in Forstenried, 1912 Pfarrvikar ebenda, Kooperatur-Verweser in Aubing, Pfarrvikar ebenda, 1917 Inspektor der Anstalt Schönbrunn, seit 1921 Direktor ebenda, 1924 auch na. Pfarrvikar in Ampermoching, 1933 Pfarrvikar in Röhrmoos, 1962 in den dauernden Ruhestand versetzt, gest. am 17. 09. 1965; vgl. AEM, Priesterpersonalakten P III 1747; zur Tätigkeit Steiningers in Schönbrunn vgl. bes. Krischer, Kinderhaus, passim und Kap. 5.3.4. 84 Vgl. die in Abschnitt 5.3 ff. geschilderten Fälle ferner ZAFWS, 4.1.5.2 und 4.1.5.3 (Übersichtslisten). © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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ihren Unterhalt auf, indem sie mit seelsorglichen Aufgaben – etwa für die in der Schönbrunner Anstalt lebenden behinderten Menschen – betraut wurden, für die sie wiederum Entlohnung oder zumindest Messstipendien bezogen.85 1933 versahen acht Schwestern mit ihrer Oberin den Dienst vor Ort, was auf eine doch nicht zu geringe Zahl an zu betreuenden Priestern hinweist.86 Zwischen 1918 und 1945 konnte die Aufnahme von 32 verschiedenen Priestern, größtenteils aus der Erzdiözese München und Freising in Mariabrunn nachgewiesen werden.87 Die Dauer ihres Aufenthalts war dabei sehr unterschiedlich, ein Teil blieb nur einige Wochen oder Monate, die Mehrzahl einige Jahre, einige jedoch sogar über Jahrzehnte.88

5.3 Erscheinungsformen abweichenden Verhaltens Im Folgenden sollen unterschiedliche Muster abweichenden Verhaltens und entsprechende reaktive Maßnahmen seitens der Oberbehörde zur Korrektur der Abweichung und Disziplinierung des Klerus näher betrachtet werden. Da sich über die verschiedenen Formen abweichenden Verhaltens im Klerus eine eigene Untersuchung schreiben ließe, erschien es geboten, sich im Kontext dieser Arbeit auf einige zentrale Formen und Fälle zu beschränken, die aber im Sinne der Anschaulichkeit in ausführlicherer Form geschildert werden sollen. Ausgewählt wurden quellenmäßig besonders detailliert überlieferte Fälle. Im Gegenzug wurde darauf verzichtet, einfaches nicht standeskonformes Verhalten von Klerikern – also einfachere Formen der Abweichung von der im vorherigen Abschnitt beschrieben standesspezifischen Lebenskultur – oder Dienstvergehen zu berücksichtigen.89 Für die Systematisierung 85 Vgl. AEM, Priesterpersonalakten P III 869, Aktenvermerk von Steininger (undat., ca. September 1934). 86 Vgl. Schematismus 1933, 157. 87 ZAFWS, 4.1.5.2 und 4.1.5.3 (Übersichtslisten). Diözesanpriester wurden jedoch immer wieder auch in anderen kirchlichen und nichtkirchlichen Anstalten, Klöstern und Erholungsheimen untergebracht, insofern lässt diese Zahl keine Rückschlüsse auf die Gesamtzahl erkrankter oder straffälliger Priester zu. 88 Vgl. hierzu auch Kap. 5.3.4. 89 Hierzu gehören etwa Nachlässigkeiten bei der Ausübung der priesterlichen Pflichten, etwa »Lässigkeit im Predigtamt«, vgl. AEM, Ordinariatssitzungsprotokoll vom 10. 09. 1937; Verstöße gegen die Kleidervorschriften, vgl. etwa AEM, Ordinariatssitzungsprotokoll vom 21. 07. 1933 oder nichtstandesgemäßes Verhalten wie die Betätigung in der Standeswürde abträglicher Sportarten, vgl. z. B. eine Rüge Faulhabers wegen Ausübung des Schwimmsports durch einen Geistlichen, in: EAM, NL Faulhaber 5404, Bader an Faulhaber vom 22. 02. 1938. Nicht standeskonformes Verhalten ist nicht immer zweifelsfrei als solches erkennbar, wenn nicht bereits die Information über die Sanktionswürdigkeit mitgegeben ist. Entscheidungen der kirchlichen Obrigkeit erscheinen in vielen Einzelfällen zudem in hohem Maße subjektiv. So erhielt etwa ein Expositus im Jahr 1935 einen oberhirtlichen Verweis »weil er das Filmen einer Hochzeit in der Kirche nicht verhindert hat«, vgl. AEM, Ordinariatssitzungsprotokoll vom 01. 03. 1935. Auf welcher Grundlage dies als Fehlverhalten eines Klerikers angesprochen wurde, bleibt unklar. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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der hier darzustellenden Phänomene wurden vier Kategorien gebildet: Erstens wird das Konkubinat von Klerikern betrachtet, zum zweiten finanzielle Unregelmäßigkeiten und Eigentumsdelikte, drittens, als Beispiel für die strafbaren Sittlichkeitsdelikte, homosexuelle Handlungen und viertens, die psychische Erkrankung von Priestern als Beispiel für den Umgang mit unverschuldeten Normabweichungen. Der schwierigen Quellenlage geschuldet, können in der Regel kaum quantifizierbare Aussagen zur Häufigkeit des Auftretens der verschiedenen Phänomene gemacht werden. Am Ende des Abschnitts soll die Frage stehen, ob sich beim Umgang mit diesen gravierenden Formen von abweichendem Verhalten im Klerus generalisierbare Muster erkennen lassen.

5.3.1 Konkubinat Sexualität stellt im Zusammenhang mit dem Klerus ein weitgehend tabuisiertes oder nur abstrakt gefasstes Thema dar. Auch die historische Forschung vernachlässigt das Thema Priester und Sexualität im Regelfall, sofern es sich nicht um individuelle Biographien handelt, oder behandelt es im Kontext der historischen Entwicklung des Zölibatsgesetzes.90 Infolge der Vermeidung dieses Themas entsteht gelegentlich der Anschein, als ob sich der Priester mit den Weihen in ein asexuelles Wesen wandle, das fortan aus der Geschlechtlichkeit resultierende Konflikte zwar unter Umständen kenne, aber stets bewältige. Dabei stellte bereits der Schweizer Theologe Jakob Crottogini in seiner pastoralpsychologischen Studie zu Beginn der 1950er Jahre fest, dass mehr als der Hälfte der befragten Priester der Verzicht auf die eheliche Gemeinschaft schwer oder sehr schwer falle91 und rund zwei Drittel der Theologen während der Reifezeit mit großen sexuellen Schwierigkeiten zu ringen hätten.92 Die Idee der Heiligkeit des priesterlichen Lebens bedingte die Vorstellung von Reinheit im Sinne sexueller Enthaltsamkeit.93 Erst im Hochmittelalter entstand auf Basis dieses Ideengebäudes der Pflichtzölibat, der allerdings erst nach dem Konzil 90 So enthält z. B. das kulturgeschichtliche Handbuch von Gatz, Diözesanklerus, zwar einen von Erwin Gatz selbst verfassten Beitrag über den Zölibat als Spezifikum priesterlicher Lebenskultur, dieser reflektiert aber lediglich die Diskussion um den Pflichtzölibat, nicht die gelebte Praxis. Gatz selbst bemerkte: »So gut die Diskussion über den Priesterzölibat erforscht ist, so wenig untersucht ist die gelebte Wirklichkeit.« (Gatz, Zölibat, 357). Zu den Ausnahmen gehört die bereits mehrfach erwähnte Untersuchung von Götz von Olenhusen, abweichendes Verhalten. Die Verfasserin konnte offenbar auf besonders gute Überlieferungen in Personalakten von Klerikern des 19. Jahrhunderts zurückgreifen. Diese wurden nach Erscheinen der Arbeit jedoch für jede weitere Benutzung gesperrt. (Freundlicher Hinweis von Archivleiter Dr. Christoph Schmider, Erzbischöfliches Archiv Freiburg.) Dies zeigt, wie problematisch der Verweis auf priesterliche Sexualität noch in der unmittelbaren Gegenwart erscheint, selbst wenn es sich um eine historische Studie handelt. Zur geschichtlichen Entwicklung des Zölibats vgl. Denzler, Zölibat. 91 Vgl. Crottogini, Werden und Krise, 181–184. 92 Ebenda, 148. 93 Vgl. Denzler, Zölibat, 9–18. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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von Trient (1545–1563) mit einigem Nachdruck durchgesetzt wurde.94 Das Einfügen in die vom Zölibat diktierte Norm, die laut der Religionssoziologie von Joachim Wach den zentralen Zweck erfüllt, »den Priester von den anderen abzusondern«95, stellte eine existentielle Aufgabe dar, die sich dem einzelnen Kleriker stets von neuem stellte. Debatten über den Sinn und Zweck des Priesterzölibats kamen auch innerkirchlich immer wieder auf, gerade in München trug die Bewegung des Reformkatholizismus um 1900 hierzu entschieden bei.96 Gleichwohl war die kirchliche Hierarchie an dieser vorwiegend unter Laien und wenigen, reformerisch gesinnten Priestern geführten Debatte nicht oder allenfalls im Zuge ihrer Abwehr beteiligt. Rückwirkungen auf die Klerusausbildung hatten diese Diskussionen vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges nicht in erkennbarer Weise. In der pastoraltheologischen Literatur der Epoche wird das Thema der priesterlichen Sexualität seit den 1930er Jahren von den als fortschrittlich geltenden Theologen zwar regelmäßig angesprochen, verbleibt aber – bei vielfach klarer Erkenntnis der Problemlagen – hinsichtlich der Lösungsansätze in der theologischen Abstraktion. Bereits Josef Sellmaier hatte 1939 konstatiert: Der junge Mann, der sich zum katholischen Priestertum berufen glaubt, muss sich darüber klar sein oder ohne jeden Versuch einer Beschönigung und Abschwächung aufgeklärt werden, dass er mit der Verpflichtung zum Zölibat, mit dem Gesetz, das lebenslängliche Beachtung vorschreibt, ein Gesetz gegen die Natur und über die Natur hinaus auf sich nimmt. Die Verpflichtung zum Zölibat bedeutet schließlich für jeden letzte lebenslängliche Einsamkeit, letztes Alleinsein: dies ist das eigentliche Opfer, das zweifellos größere Anforderungen an seine Opferkraft stellen wird als die geschlechtliche Enthaltsamkeit.97

Zugleich warnte Sellmaier dann im Gegenzug vor dem »vergrämte[n] Zölibatär« und forderte eine gesunde Einstellung des Priesters zum anderen Geschlecht, die ihr Vorbild in der Begegnung des Priesters mit Mutter und Schwester finden solle – ein für die Praxis sicherlich wenig hilfreicher Lösungsansatz.98 Auch dem Wiener Pastoral94 Wie verbreitet etwa im frühneuzeitlichen Bayern der Priesterkonkubinat war, zeigt die Studie über die Visitation des Jahres 1558 in den bayerischen Teilen des Erzbistums Salzburg und des Bistums Chiemsee von Braun, Visitation des Jahres 1558, 66–72: Demnach lebten im Jahr der Visitation von 111 examinierten Weltpriestern 86 mit einer Frau zusammen, das waren mehr als drei Viertel (ebenda, 68). 95 Wach, Religionssoziologie, 414. Historisch betrachtet lassen sich neben den theologischen Argumenten eine ganze Reihe von Motiven für das Zölibatsgesetz ausmachen, die Denzler, Zölibat 60–121 ausführlich dargelegt hat: Kultische Reinheit, asketische Reinheit, gesellschaftliches Prestige, ökonomisches Interesse und Machtstreben. 96 Vgl. hierzu Hastings, Feminized church, bes. 44–50. 97 Sellmaier, Priester, 211. 98 Vgl. ebenda, 197 f. Dies ist ein für den Laien zunächst verblüffender, für den innertheologischen Diskurs jedoch typischer Vorschlag, der, indem er ein apodiktisch gesetztes, virtuelles Konkretum liefert, das Problem mehr oder weniger elegant umgeht, durch den hohen Abstraktionsgrad © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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theologen Michael Pfliegler galt als Hauptquell der Zölibatschwierigkeiten weniger der Geschlechtstrieb, als die Einsamkeit des Priesters.99 Zu anderen Ergebnissen kam hingegen der empirisch arbeitende Crottogini.100 Die Theologen hatten also keine besonders praktikablen Hinweise zur Hand, wie sich das Problem des priesterlichen Zölibates in der Lebenspraxis des Priesters bewältigen lasse, räumten aber zumindest die Existenz dieses Problems ein. Die Mehrzahl der Sexualdelikte des Klerus zählte infolge der Besonderheit des kirchlichen Zölibatsgesetzes zu den Delikten kanonischen Rechts, nicht aber zu den strafbaren Handlungen im Sinne des Strafgesetzbuches. Hierunter sind vor allem das Konkubinat, also das außereheliche Zusammenleben von Mann und Frau sowie die aus diesen Verbindungen mitunter entstandenen Kinder zu rechnen. Das Kirchenrecht sah im Falle des Konkubinats ein mehrstufiges Verfahren vor. Zunächst sei eine oberhirtliche Warnung auszusprechen, dann – sofern diese ohne Wirkung blieb – Strafmaßnahmen, darunter als Beugestrafe in jedem Fall die Enthebung vom Weihedienst. Bei Befehlsverweigerung kam schließlich ein Verfahren vor dem kirchlichen Gericht in Betracht.101 Über die Häufigkeit von Zölibatsverstößen und die Anzahl der aus diesen resultierenden Kindern lassen sich keine konkreten Angaben machen. Systematische schriftliche Aufzeichnungen fehlen, eine zentrale Erfassung, etwa der unehelichen Kinder, existierte nicht und war aus Sicht der Oberbehörde auch nicht erforderlich, zumal die betroffenen Geistlichen naturgemäß selbst für die Unterhaltszahlungen aufzukommen hatten.102 1937 startete die Geheime Staatspolizei in Bayern eine Initiative, um sich zu antikirchlichen Propagandazwecken selbst Informationen über die Zahl der unehelichen Kinder von Klerikern zu verschaffen. Sie scheiterte aber offenbar am oberhirtlich koordinierten Widerstand des Klerus.103 Wenn Kinder des Lösungsansatzes jedoch für den einzelnen zur konkreten Problemlösung nichts beiträgt. Drewermann 1989, 191 bemerkte zu Mechanismen dieser Art: »Die Angst vor der Einsamkeit endet auf diese Weise mit der lebenslänglichen Pflicht zur Einsamkeit.«  99 Vgl. Pfliegler, Existenz, 144–150. 100 Nach Crottogini, Werden und Krise, 182, spielte das Motiv der Angst vor der Einsamkeit bei Zölibatsschwierigkeiten eine völlig untergeordnete Rolle (es wurde nur von weniger als 7 % der Befragten angegeben), während der Verzicht auf seelische Ergänzung (42 %) und der Verzicht auf Heim und Kind (28 %) vor dem Sexualtrieb (22 %) genannt wurden. 101 Vgl. Eichmann/Mörsdorf, Kirchenrecht, Bd. 3, 284 ff. Die Regelungen des CIC 1917 zum Konkubinat umfassten sechs canones (can. 2176–2181), was auf starken Regelungsbedarf hindeutet. 102 So ist etwa im Protokoll der Ordinariatssitzung vom 06. 12. 1935 (AEM, Ordinariatssitzungsprotokolle) unter den von Weihbischof Schauer behandelten Punkten auch der Punkt »Illegitimi« vermerkt. Weitere Angaben, etwa zu konkreten Personen oder Zahlen sind nicht vermerkt, das Thema wurde nur mündlich verhandelt, schriftliche Aufzeichnungen offenbar vermieden. 103 In der Ordinariatssitzung vom 01. 10. 1937 berichtet Weihbischof Schauer über diese »Entwürdigende Anfrage bei Geistlichen wegen Vorhandenseins unehelicher Kinder.« In derselben Sitzung brachte auch Domkapitular Neuhäusler das Thema zur Sprache, da zudem eine Umfrage der Bezirksämter zur Alimentenzahlung durch Geistliche vorlag. Es wurde Protest beim zuständigen Ministerium beschlossen und zwei Weisungen an den Klerus herausgegeben (vgl. AEM, Ordinariatssitzungsprotokoll vom 01. 10. 1937). Diese wurden am 1. und am 2. 10. in Umlauf © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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existierten, war es in der Regel kaum möglich, diese im Pfarrhaus unterzubringen, da sonst sofort Gerede entstanden wäre.104 Vermutlich kannten sie auch häufig ihren leiblichen Vater nicht.105 Die Versorgung der Kinder war mitunter kostenintensiv, die »Bestreitung der Alimente zwingt den Expositus zur äußersten Sparsamkeit in der Lebenshaltung«106, bemerkte der Dekan im Fall Alois K. Am häufigsten gab das Verhältnis des Priesters zu seiner Haushälterin zu Klagen Anlass, dies scheint auch die Regelform des klerikalen Konkubinats gewesen zu sein. Unter dem Anschein eines Dienstverhältnisses war es am ehestens möglich, das Zusammenleben mit einer ledigen Frau nach außen hin korrekt zu arrangieren und den tatsächlichen Charakter der Beziehung zu verschleiern.107 Das Kirchenrecht hatte, um der »Gefahr der Unenthaltsamkeit« und der »Erregung von Verdacht und Ärgernis« vorzubeugen, bestimmt, dass Kleriker »weibliche Personen, gegen die (z. B. wegen ihrer Vergangenheit, Jugend, körperlichen Reize usw.) Verdacht entstehen könnte«, weder in ihren Haushalt aufnehmen noch öfter besuchen oder zu Besuch empfangen durften.108 Das Ärgernis erregende Verhältnis musste dabei keine sexuelle Beziehung im eigentlichen Sinn sein. Bereits die Erregung des Verdachts, eine solche könnte bestehen, stellte ein Ärgernis und damit ein sanktionswürdiges Fehlverhalten dar. Das Zusammenleben war Priestern folglich nur mit nahe verwandten weiblichen Personen erlaubt, d. h. Mutter, Schwester, Tante, Nichte oder mit Personen, bei denen »wegen ihrer ehrbaren Lebensführung in Verbindung mit einem vorgerückten Alter (etwa 35 bis 40 Jahre) kein Argwohn entstehen kann«.109 Hier war die Hausgemeinschaft dann ebenso in einer Weise zu gestalten, dass kein Anstoß daran genommen

gebracht (Exemplare in AEM, Ordinariat, Rundschreiben und Erlasse 1933–1945, Gen. Vik.-Nr. 12187 und 12250). Dem Klerus wurde darin empfohlen, entsprechende Auskünfte mit Verweis auf die fehlende gesetzliche Grundlage zurückzuweisen. 104 So lebten etwa die beiden Kinder des Expositus Alois K. und seiner Haushälterin in München bei getrennten Pflegefamilien. Diese wussten – nach Auskunft des Dekans – nicht, wer der Vater war, noch wussten die Pflegeltern von dem jeweils anderen Kind bzw. die Kinder selbst voneinander; vgl. AEM, NL Thalhamer, Sittlichkeitsdelikte, Alois K., Dekanalamt Mühldorf an EOM vom 29. 04. 1932. Zur Vita K.s und zu den Details des Falls vgl. die nachfolgenden Ausführungen. 105 Das Kind des Priesters Jakob S. aus Laufen lebte angeblich bei Verwandten der Haushälterin im nahen Salzburg; vgl. AEM, Priesterpersonalakten P I, Jakob S. Zur Vita S.s und zu den Details des Falls vgl. die nachfolgenden Ausführungen. 106 AEM, NL Thalhamer, Sittlichkeitsdelikte, Alois K., Dekanalamt Mühldorf an EOM vom 29. 04. 1932. 107 Dass es daneben auch Kleriker gab, die Beziehungen zu verheirateten Frauen eingingen, sich also auch des Ehebruchs schuldig machten, zeigte etwa der Fall des Priesters Dr. Franz Rödel, hierzu ausführlich Forstner, Franz Rödel, bes. 227 ff. 108 Eichmann/Mörsdorf, Kirchenrecht, Bd. 1, 271 f. 109 Ebenda, 272. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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werden konnte.110 Wurde von oberhirtlicher Seite ein Konkubinat nur vermutet, lag die Beweislast, dass ein solches nicht vorliegt, bei dem betroffenen Kleriker selbst.111 Für den Priesterstand war die Schuldige, das instrumentum diaboli112, nicht selten die betroffene Frau, weniger der Geistliche selbst, der ihren vermeintlichen Nachstellungen und ihren Verführungskünsten erlegen war: Wenn sich die Dinge bewahrheiten, dann denke ich […] in erster Linie daran, wie es möglich sein wird, den H. H. Vikar vor dieser und vielleicht vor anderen Frauenspersonen aus früherer Zeit, vor denen er immer noch keine Ruhe zu haben scheint, vor Verpflichtungen etwa, zu schützen, damit er sein Leben noch einmal aufbauen kann113

äußerte Expositus Eduard Pichler von Hörgersdorf gegenüber dem Erdinger Dekan im Fall des eines Konkubinats überführten Korbinian K. Dies hatte freilich seine Ursache auch in der latenten Bedrohung, die aus einem verbotenen Verhältnis dieser Art stets resultierte. »Wenn ich auf die Straße muss, dann muss er auch mit«, lautet die überlieferte Äußerung der Haushälterin Korbinian K’s.114 Drohungen oder Einwendungen der betroffenen Frauen scheinen nicht selten gewesen zu sein, keinesfalls fügten sich diese immer reumütig, wenn das entsprechende Verhältnis entdeckt wurde.115 Konkubinatsverhältnisse mit im Haushalt tätigen Personen dauerten 110 Im Fall des Priesters Jakob S. aus Laufen wurde etwa über den Vorwurf diskutiert, dass der Geistliche mit seiner Haushältern zu zweit spazieren ging, ein Merkmal, das ebenso wie das vertrauliche »Du« als Indiz für das Vorliegen eines Konkubinates gesehen wurde, vgl. AEM, Priesterpersonalakten P I Jakob S., Stadtpfarramt Laufen an EOM vom 07. 07. 1935. Grundsätzlich waren Indizien dieser Art aber variabel. In einer Umgebung, die dem Priester wohl gesonnen und von dessen Integrität überzeugt war, oder aus welchen Gründen auch immer kein Ärgernis erkennen wollte, waren wesentlich offenere und unkompliziertere Umgangsformen zwischen Klerikern und weiblichen Personen möglich, denn in einer dem einzelnen Priester oder dem Priesterstand als ganzes feindlich gesinnten Umgebung. Auch hier verschärfte sich durch das Aufkommen der antikirchlichen Kräfte einiges, insbesondere durch den Nationalsozialismus nach 1933. 111 Vgl. Eichmann/Mörsdorf, Kirchenrecht, Bd. 1, 272. 112 Pfliegler, Existenz, 152. Dieser distanzierte sich zwar von einer solch ausschließlichen Betrachtungsweise, räumt aber ein: »Es gibt Exemplare [der Gattung Frau; Th. F.], auf die dieser Terminus im eigentlichen zutrifft, das wird niemand bestreiten.« Erinnert sei an den gegenteiligen Entwurf im Berufungsroman von Rendl, Berufene, in dem die Figur der Maria, welche die priesterliche Berufung ernstlich bedroht, mit Attributen der Gottesmutter versehen wurde. Dies war die Sichtweise eines Mannes, dessen priesterliche Berufung durch die Beziehung zu einer Frau verhindert worden war. Auch die Lektüre der Erinnerungen des in Zivilehe verheirateten Ex-Priesters Joseph Bernhart legt den Schluss nahe, dass der Aufbau einer dauerhaften festen Beziehung zu einer Frau der Entwicklung eines positiven Frauenbildes durchaus förderlich entgegenkam. 113 AEM, Priesterpersonalakten P III 869, Expositur Hörgersdorf an EOM vom 22. 07. 1934. Ob der Verweis auf die »Verpflichtungen« als Frage zu verstehen ist, wie ein Priester Alimentenzahlungen verweigern könne, sei dahingestellt. 114 AEM, Priesterpersonalakten P III 869, Expositur Hörgersdorf an EOM vom 22. 07. 1934. 115 So etwa auch im Fall der Haushälterin des Pfarrers von Grüntal, Josef S. Hier hatte der Ordinarius wie üblich eine Frist zur Entlassung gesetzt, die Haushälterin Einspruch erhoben, vgl. AEM, © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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oft lange an, bevor sie entdeckt wurden. Die Strategien, diese zu verbergen, waren meistens nicht ungeschickt und für Außenstehende schwer zu durchschauen. Häufig kam Verborgenes erst ans Tageslicht, wenn bei einem bereits begründeten Verdacht eine Visitation ins Detail ging und der Visitator näher hin sah.116 Zwei Geistliche, die langjährige Verhältnisse zu Frauen pflegten und sich gegenüber der kirchlichen Obrigkeit äußerst renitent verhielten, sollen nachfolgend näher betrachtet werden: Jakob S. und Alois K. Der in seinem Heimatort Laufen an der Salzach ansässige Jakob S.117 lebte bereits sechs Jahre mit seiner Haushälterin im Konkubinat, bevor das Ordinariat im Juni 1935 durch ein anonymes Denunziationsschreiben Kenntnis von den Verhältnissen erlangte.118 S., der vermutlich aufgrund Krankheit dienstunfähig war119, war bereits 1933 wegen Betrugs mit Messstipendien in arge Bedrängnis geraten.120 Das Ordinariat zog aufgrund der neuen Anschuldigungen über den Dekan Erkundigungen ein. Dieser bestätigte die Anschuldigungen zumindest insoweit, als er einräumte, dass entsprechende Gerüchte über eine Beziehung zwischen S. und der Haushälterin bestünden und das Verhalten des Geistlichen durchaus Anlass für ein Ärgernis gäbe.121 Das Ordinariat ordnete daraufhin die Entlassung Ordinariatssitzungsprotokolle vom 5. und 12. 02. 1937. 116 Im Fall des Priesters Korbinian K. bemerkte der Dekan im Visitationsbericht: »Die Schlafzimmer des H. H. Vikars u[nd] der Haushälterin sind separat gelegen. Ein Fremdenzimmer enthält ein Doppelbett, welches wie die übrige Zimmereinrichtung der Haushälterin gehört. Auf die Frage, warum die beiden Betten neben einander belassen wurden, bemerkte H. H. Vikar: es sei geschehen in Rücksicht auf etwaige Besuche von Eheleuten!! (Nach Angabe des H. H. Expositus von Hörgersdorf sei dieses Zimmer mit Doppelbett das wirkliche Schlafzimmer des H. H. Vikars)«, AEM, Priesterpersonalakten P III 869, Dekanalamt Erding an EOM vom 23. 07. 1934. 117 Jakob S., geb. am 14. 06. 1898 in Laufen, Priesterweihe 1924 in Freising, Koadjutor in Hohenkammer, 1925 Aushilfspriester in Aubing, 1926 wegen Krankheit enthoben, anschließend Koadjutor in Traunwalchen, 1928 Aushilfpriester in Kirchdorf bei Haag, zum Oktober 1928 wegen Krankheit in den zeitlichen Ruhestand versetzt, 1930 Landessekretär des Katholischen Pressvereins für Bayern, im Februar 1933 neuerlich wegen Krankheit in den zeitlichen Ruhestand versetzt, Juli 1934 Kommorant in Laufen, nach 1936 endgültiges Ausscheiden aus dem Priesterberuf, später in der Privatwirtschaft tätig, lebte in Zivilehe, Zeitpunkt des Todes unbekannt (nach 1949); vgl. Schematismus 1935, 79 und 273; EAM, NL Faulhaber 5402, Engl an Faulhaber vom 22. 07. 1947. Ein eigentlicher Personalakt existiert nicht, der Akt AEM, Priesterpersonalakten P I Jakob S. enthält nahezu ausschließlich Material zur Konkubinatssache aus den Jahren 1934–1937. 118 AEM, Priesterpersonalakten P I Jakob S., Anonymes Schreiben an das EOM vom 26. 06. 1935. 119 Dass es sich tatsächlich um eine krankheitsbedingte Dienstunfähigkeit handelte, geht aus verschiedenen Schriftstücken in AEM, Priesterpersonalakten P I Jakob S. indirekt hervor. 120 Der Vorfall ist nur in den Ordinariatssitzungsprotokollen dokumentiert. Demnach ließ S. sich von vier verschiedenen Stellen mit Messstipendien versorgen, um so sein vermutlich geringes Ruhestandsgehalt aufzubessern. Insgesamt handelte es sich um über 600 Stipendien, die in betrügerischer Absicht gesammelt wurden. Ein kanonischer Prozess wurde in Aussicht genommen, ob er eröffnet wurde und wie er ggf. ausging, ist nicht dokumentiert; vgl. AEM, Ordinariatssitzungsprotokolle vom 03. 11. 1933 und vom 05. 01. 1934. Vermutlich wurde S. aufgrund des Vorfalls seine Beichtvollmacht entzogen, das sog. Cura-Instrument befindet sich im Personalakt, es war mit Wirkung zum 27. 05. 1934 abgelaufen. 121 Vgl. AEM, Priesterpersonalakten P I Jakob S., Dekan Popfinger an EOM vom 07. 07. 1935. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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der Haushälterin bis zum 1. Oktober an und drohte S. für den Weigerungsfall mit Suspension.122 S., der selbst nie angehört worden war, stritt alles ab. Da er das Verhältnis zur Haushälterin selbst als einwandfrei beschrieb, teilte er dem Ordinariat mit, dass er nicht beabsichtige, diese zu entlassen.123 Da S. nach Stil und Inhalt seiner Schreiben ein hitziger Kopf zu sein gewesen scheint und in seiner misslichen Position als junger Kommorant ohnehin nur noch wenig zu verlieren hatte,124 zeigte er keine Bereitschaft sich den Forderungen des Ordinariats zu beugen. Unklar ist, welche Rolle die anonymen Denunzianten in diesem Fall spielten, die sich insgesamt dreimal an das Ordinariat wandten und zuletzt unverhohlen damit drohten, sich an die Schriftleitung des Stürmer zu wenden, wenn man gegen S. nicht vorginge.125 Jedenfalls notierte Generalvikar Buchwieser den Entwurf zu einer letzten Fristsetzung an S. direkt auf dieses anonyme Dokument. Die Drohung veranlasste Buchwieser folglich zu einer Reaktion. Da S. den Forderungen nicht nachgab, wurde er zum 31. Oktober 1935 tatsächlich suspendiert.126 Der nun folgende Streit um die Pensionsansprüche von S. zog sich etliche Monate hin und war von unschönen wechselseitigen Drohungen begleitet: Während S. dem Ordinariat in einem letzten Akt der Verzweiflung im April 1936 mitteilte, er habe sich »jetzt an die [NSDAP-]Kreisleitung gewandt mit der Bitte, mir zu helfen,«127 antwortete ihm das Ordinariat hierauf: »Übrigens würde wohl die Kreisleitung wie die Schriftleitung des ›Völk[ischen] Beob[achters]‹ sehr erstaunt sein, wenn sie in den sehr umfangreichen Personalakt des H. H. Kommoranten Einsicht nehmen könnten.«128 Dies dürfte freilich keine ernsthafte Absicht Buchwiesers gewesen sein. In der Ordinariatssitzung bemerkte er hierzu, man lasse sich durch »Drohungen nicht einschüchtern.«129 S., von einer ungeheuren Wut angestachelt, schwankte zwischen Demut und rasendem Zorn. Er unterstellte dem verstorbenen Generalvikar Dunstmair uneheliche Kinder und Erpressbarkeit, einem Mitbruder, er hätte ihn »abgerichtet zur Homosexualität«, einem anderen, er sei »bekannt als Wüstling«, und drohte schließlich mit »Abschwenken zu den Gottgläubigen«130 als 122 Vgl. AEM, Ordinariatssitzungsprotokoll vom 20. 07. 1935 und AEM, Priesterpersonalakten P I Jakob S., EOM an S. vom 10. 08. 1935. 123 Vgl. AEM, Priesterpersonalakten P I Jakob S., S. an EOM vom 11. 08. 1935. 124 Zudem bestritt S. den Großteil seines Lebensunterhalts inzwischen offenbar aus einer Tätigkeit als Versicherungsvertreter; vgl. den Hinweis in AEM, Priesterpersonalakten P I Jakob S., S. an Dekan Popfinger vom 06. 07. 1935. Auch diese Tätigkeit wurde S. vorgehalten, da sie als nicht standeskonform galt. 125 Vgl. AEM, Priesterpersonalakten P I Jakob S., Anonymes Schreiben an das EOM vom 07. 10. 1935. Stil und Form des Schreibens ist anzumerken, dass es dem bzw. den Verfassern um einen persönlichen Racheakt an S. ging. 126 Vgl. ebenda, EOM an S. vom 31. 10. 1935; AEM, Ordinariatssitzungsprotokoll vom 31. 10. 1935. 127 Vgl. AEM, Priesterpersonalakten P I Jakob S., S. an EOM vom 12. 04. 1936. 128 Ebenda, EOM an S. vom 18. 04. 1936. 129 AEM, Ordinariatssitzungsprotokoll vom 17. 04. 1936. 130 Vgl. AEM, Priesterpersonalakten P I Jakob S., S. an EOM vom 12. 08. 1936 und 26. 10. 1936; AEM, Ordinariatssitzungsprotokoll vom 08.01. und vom 16. 04. 1937. Weitere Denunziationen von angeblichen »§ 175 zigern« (also homosexuellen Klerikern) in einem Schreiben vom 26. 05. 1937. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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man die Gewährung des ganzen Ruhestandgehaltes mit Verweis auf den bestehenden Ungehorsam weiterhin ablehnte.131 Später bezeichnete sich S. als »Nationalsozialist«.132 An diesem Fall wird deutlich, dass die oberhirtliche Stelle zwar sehr wohl wirksame Mittel besaß, einen Priester mittels des Instruments der Suspension zu disziplinieren, gegen seinen verbalen Amoklauf und entfesselten Furor aber mehr oder weniger hilflos war. S. schied in der Folge aus dem Priesterberuf aus.133 Obwohl die Entwicklung im Verlauf der 1930er Jahre eher darauf hindeutete, dass es mit ihm bergab gehen würde, stabilisierten sich seine persönlichen Verhältnisse. Er kam in der Privatwirtschaft unter, machte dort eine verhältnismäßig steile Karriere und lebte mit seiner Familie, auch nach Beendigung des Dritten Reichs, »als Versicherungsdirektor finanziell in sehr guten Verhältnissen«.134 Politisch engagierte er sich nun in der Bayernpartei und war auch – so gut es einem suspendierten Priester mit nichtsanierter Zivilehe möglich war – kirchlich aktiv.135 Ein ebenfalls besonders detailliert dokumentierter Fall ist derjenige des exponierten Kooperators von Lengmoos, Alois K.136 Unter Verweis auf den can. 133 des CIC machte das Ordinariat im Januar 1920 K. darauf aufmerksam, seine bekannt geworden 131 In der Auseinandersetzung ging es um den freiwilligen Beitrag des Diözesansteuerausschusses zur gesetzlichen Emeritenpension von 76,- RM, dieser wurde wegen des fortdauernden Ungehorsams einbehalten. Die gesetzliche Emeritenpension betrug 71,− RM netto monatlich. 132 AEM, Priesterpersonalakten P I Jakob S., S. an EOM vom 12. 04. 1937. Ein ernsthaftes NSEngagement von S. ist aber nicht nachweisbar, eher dürfte es sich um eine Drohgebärde handeln. S. war wohl einerseits ein impulsiver und schwieriger Charakter, andererseits im Priesterberuf, in den ihn seine Eltern offenbar gedrängt hatten (so die spätere Äußerung seines Studienfreundes Pfarrer Jakob Engl gegenüber Kardinal Faulhaber, vgl. EAM, NL Faulhaber 5402, Engl an Faulhaber vom 22. 07. 1947), unglücklich und fehl am Platz. 133 In den Diözesanschematismen ist er bereits 1936 nicht mehr aufgelistet. Weitere Akten zu diesem Fall sind nicht überliefert, doch scheint es noch im Verlauf der 1930er Jahre zu einem kanonischen Prozess gegen S. gekommen zu sein, der mit seiner dauerhaften Suspension endete. Entsprechende Hinweise ergeben sich aus der Korrespondenz zwischen Faulhaber und S. nach 1945 in EAM, NL Faulhaber 5402. 134 EAM, NL Faulhaber 5402, Engl an Faulhaber vom 22. 07. 1947. 135 Vgl. EAM, NL Faulhaber 5402, S. an Faulhaber vom 28. 01. 1949 und vom 01. 03. 1949. An Faulhaber schrieb er Ende der 1940er Jahre – etwa anlässlich Faulhabers 80. Geburtstag – in sehr freundlichem, offenen Tonfall und ohne den Versuch der Selbstrechtfertigung: »Seien Sie überzeugt, dass auch ich meine Erziehung im Priesterseminar nicht vergessen habe, dass ich gerade heuer sehr daran denke, denn vor 25 Jahren durfte auch ich an den Stufen des Weihaltars knien, freilich war ich kein glücklicher Priester, aber trotzdem bin ich noch heute ein überzeugter Katholik. Ich stehe auf der Seite der kath. Kirche nach wie vor und niemand kann mich davon abbringen, wenngleich die Nazis damals glaubten in mir einen Verräter zu finden.« EAM, NL Faulhaber 5402, S. an Faulhaber vom 01. 03. 1949. Da S., materiell und gesellschaftlich gesichert, von Faulhaber nichts erbat, dürfte das Schreiben durchaus aufrichtig gemeint gewesen sein. 136 Alois K., geb. am 10. 05. 1886 in Miesbach, Priesterweihe 1913, Koadjutor in Mammendorf, 1914 Kooperator in Eching, 1918 Kooperator in Kirchdorf bei Haag, 1920 exponiert in Lengmoos, 1928 Kooperator der Pfarrei Ensdorf, exponiert in Frauendorf, 1932 Kaplaneibenefiziums-Verweser in Maisach, 1936 aus dem Kirchendienst ausgeschieden, Zivilehe, 1937 Eintritt in die NSDAP; Zeitpunkt des Todes unbekannt (nach 1949); vgl. Schematismus 1935, 19 und 251; EAM NL Faulhaber © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Absicht, eine erst 26-Jährige und mit ihm nicht verwandte Frau als Haushälterin zu nehmen, sei nicht statthaft.137 Nachdem sich aber der Pfarrer von Kirchdorf für seinen Kooperator und dessen Haushälterin mit dem Hinweise eingesetzt hatte, dass »ein Ärgernis in der Gemeinde Lengmoos« nicht vorläge, weil die als Haushälterin in Aussicht genommene »Person eine wirklich kernige Frömmigkeit zu besitzen scheint, und durch ihr bescheidenes Benehmen bei den Leuten den besten Eindruck macht«138, erklärte sich das Ordinariat tatsächlich bereit, die Verhältnisse vorerst zu billigen.139 Im September desselben Jahres drängte Generalvikar Buchberger beim Pfarramt nochmals erfolglos auf die Ablösung der Haushälterin, verfolgte die Sache dann aber offenbar nicht weiter.140 Erst acht Jahre später, im Februar 1928 wurde die Angelegenheit wieder aufgegriffen. Offenbar war inzwischen doch ein »Ärgernis« entstanden, da K. sich nur noch wenig Mühe gab, den Charakter seiner Beziehung zu seiner Haushälterin Johanna T. zu verbergen.141 Der zuständige Dekan riet dem Ordinariat, K. zu versetzen, die Haushälterin solle er zurücklassen. Tatsächlich kam es aber erst im November desselben Jahres zu einer Unterredung K.s mit Generalvikar Dunstmair, bei der im gegenseitigen Einvernehmen die Versetzung K.s nach Frauendorf vereinbart wurde.142 Doch K. hatte den Generalvikar hintergangen, eine Trennung von Johanna war nicht beabsichtigt, zumal diese bereits hochschwanger war und nur knapp eine Woche nach der Unterredung, Anfang Dezember 1928, das erste gemeinsame Kind gebar.143 K. versicherte dem Ordinariat in gehorsamem Tonfall sofort, es werde kein Ärgernis geben, da Mutter und Kind bereits in München seien und in Lengmoos niemand etwas mitbekommen habe.144 Ganz offensichtlich war er der Auffassung, dass die Oberbehörde bereit sei ein Konkubinat solange zu dulden, bis es zu einem öffentlichen Ärgernis werde. Diese Annahme erschien nicht völlig abwegig, da K. faktisch bereits 8 Jahre mit seiner Haushälterin im Konkubinat lebte, ohne dass ernsthafte Anstrengungen unternommen worden wären, dies zu unterbinden. Dennoch mutet die Offenheit, mit der K. dem Generalvikar seinen Plan unterbreitete, er werde auf seinem neuen Posten in Frauendorf »auch ihre Tante zu

5402, Liste der abgefallenen Priester; BA R (ehem. BDC), PK F 391, Nr. 2212 ff.; ein Personalakt im AEM ist nicht überliefert. 137 Vgl. AEM, NL Thalhamer, Sittlichkeitsdelikte, Alois K., EOM an K. vom 09. 01. 1920. 138 Ebenda, Stadler an EOM vom 12. 04. 1920. 139 Ebenda, EOM an Pfarramt Kirchdorf vom 19. 04. 1920. 140 Ebenda, EOM an Pfarramt Kirchdorf vom 26. 09. 1920. 141 »Ich habe Johanna gern’, sagte er vor etwa 2 Jahren, als ich ihm darüber Vorhalt machte, dass er Johanna hinter sich auf das Motorrad genommen – es war gar kein Zweisitzer, sondern rückwärts war nur der Gepäckhalter,« schrieb Dekan Weinsteiger empört an den Generalvikar und: »Die Gerüchte haben sich weit verbreitet.« Ebenda, Weinsteiger an EOM vom 12. 2. 1928. 142 Ebenda, K. an Hindringer vom 27. 11. 1928. 143 Ebenda, Notiz über Kinder des Expositus Alois K. (undat., ca. 1932). 144 Ebenda, K. an Dunstmair vom 07. 12. 1928. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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mir nehmen um in Zukunft vor üblem Verdacht geschützt zu sein«145, verwegen an. Das Ordinariat teilte K. daraufhin mit, es sei ihm verboten, seine bisherige Haushälterin Johanna je wieder als Haushälterin in sein Haus aufzunehmen oder weiter Beziehungen zu derselben zu unterhalten, mit dem Beifügen, dass über ihn sofort die Suspension verhängt werden würde, falls er je unser Verbot übertreten würde.146

Dies hinderte K. keinesfalls daran, den einmal ins Auge gefassten Plan umzusetzen. Drei Jahre später erfuhr der neue Generalvikar Rudolf Hindringer auf Nachfragen beim Dekanalamt in Mühldorf, dass Herr Expositus K. in Frauendorf von Anfang an eine in den 50iger Jahren stehende Person, namens Rosalia, als Haushälterin hatte und später zu derselben auch noch Johanna T., Gastwirtstochter von Mühltal, ins Haus kam. Vor einem Jahr ungefähr kehrte Rosalia in die Heimat nach Lengmoos zurück, seitdem versieht Johanna T. allein den Haushalt.147

Im Juni 1930 – eineinhalb Jahre nach dem Umgangsverbot – war das zweite Kind geboren worden.148 Generalvikar Hindringer wies daraufhin den zuständigen Dekan an, er möge für Aufklärung sorgen.149 Dieser, K. offenbar eher geneigt, fasste den Sachstand folgendermaßen zusammen: Das Fazit der Vernehmung dürfte sich in folgender Weise kurz zusammenfassen lassen: Herr Expositus K. ist geständig, ist reumütig und will von dieser Person ganz lassen. Um das große Ärgernis nicht ein öffentliches werden zu lassen, ist eine Versetzung förmlich geboten zumal dann der Wechsel der Haushälterin verhältnismäßig unauffällig vor sich geht. […] Der Ort Frauendorf ist mit Kommunisten, Nazi-Sozis und Bündlern gesegnet. Es wäre gut, wenn alles ruhig und unauffällig durchgeführt werden könnte.150

Hindringer antwortete mit detaillierten Weisungen: K. solle moralisch umkehren, im Sommer 14-tägige Strafexerzitien bei den Kapuzinern in Altötting absolvieren, seiner jetzigen Haushälterin zum nächstmöglichen Termin kündigen und die Haushälterin eines kürzlich verstorbenen Pfarrers zu sich nehmen. Zudem solle er dem Ordinariat mitteilen, wo die beiden Kinder untergebracht und versorgt seien und sich während 145 Ebenda. 146 Ebenda, EOM an K. vom 11. 12. 1928. 147 Ebenda, Dekan Finster an EOM vom 08. 11. 1931. 148 Ebenda, Pfarramt Mariae Himmelfahrt an EOM vom 25. 02. 1932. 149 Ebenda, Hindringer an Dekanalamt Mühldorf vom 30. 03. 1932. 150 Ebenda, Dekanalamt Mühldorf an EOM vom 05. 04. 1932. Mit »Bündlern« sind Anhänger des Bayerischen Bauernbundes gemeint, der Partei des bäuerlichen Mittelstandes, die »dezidiert antiklerikal, dem Adel sowie den kirchlichen und staatlichen Obrigkeiten und der Bürokratie gegenüber sehr kritisch eingestellt« war; vgl. Braun, Bauernbund. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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der nächsten drei Jahre vierteljährlich beim Dekan melden und diesem mitteilen, ob der Abbruch jeglicher Beziehung zu Johanna T. noch fortdauere. Eine Versetzung sei derzeit mangels geeigneter adäquater Posten nicht möglich, sollte jedoch am Ort Gerede über den Fall aufkommen, sei eine Versetzung auf einen unselbständigen d. h. geringeren Posten unausweichlich.151 Als der Dekan dem Generalvikar Ende April mitteilte, im Ort gebe es nun im Flüsterton doch Gerede, weshalb jetzt die Haushälterin des Expositus plötzlich so schnell fort müsse,152 antwortete ihm der Generalvikar, den Leuten sei die offizielle Version zu unterbreiten, dass K. die andere ältere Haushälterin, die durch den Tod ihres bisherigen Pfarrherrn stellenlos geworden sei, bei sich aufnehmen müsse, um diese zu versorgen: Mit diesem Grund müssen alle Verdächtigungen als Lieblosigkeiten und als Verletzung der Priesterehre zurückgewiesen und als Sünde gegen das 8. Gebot [Du sollte nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten, 2 Mose 20,16; Th. Fo.] qualifiziert werden.153

K. dachte jedoch nicht daran sein Konkubinat aufzugeben. Die Angelegenheit endete für beide Parteien erst, als K. im September 1936 aus dem Kirchendienst ausschied, aus der Kirche austrat, eine Zivilehe einging, am 1. Mai 1937 der NSDAP beitrat und eine Stelle als Verwaltungsangestellter der Stadt Fürstenfeldbruck annahm.154 Der Fall K. ist bezeichnend für einige Grundmechanismen im Verhältnis von niederer Geistlichkeit, kirchlicher Obrigkeit und lokaler Bevölkerung. Das Eingeständnis der Schuld, verbunden mit der ostentativen Bereitschaft zu Reue und Umkehr – ob nun echt oder in heuchlerischer Absicht – führte zu einem verhältnismäßig milden Urteil der Obrigkeit über einen Geistlichen. Von einer Strafe im eigentlichen Sinn wird man hier kaum sprechen können. Zugleich stand das Bemühen im Vordergrund, ein Ärgernis, d. h. ein öffentliches Bekanntwerden der Sache, auf jeden Fall zu vermeiden. Im Fall aufkommender Gerüchte über den tatsächlichen Sachverhalt wurden die Geistlichen angewiesen, diese als Sünde gegen das 8. Gebot zu qualifizieren. Die priesterliche Ehre stand also über den Geboten, da zu ihrer Verteidigung nicht nur selbst falsch Zeugnis abgelegt wurde, sondern der entsprechende Vorwurf in einer reflexhaften Abwehr des Schuldanwurfes jenen zur Last gelegt wurde, welche nach der Wahrheit zu fragen wagten. Die tatsächliche Bereitschaft 151 Ebenda, EOM an Dekanalamt Mühldorf vom 20. 04. 1932. 152 Ebenda, Dekanalamt Mühldorf an EOM vom 29. 04. 1932. 153 Ebenda, EOM an Dekanalamt Mühldorf vom 03. 05. 1932. 154 Vgl. BA R (ehem. BDC), PK F 391, Nr. 2212 ff.: Anfrage der Volksdeutschen Mittelstelle an Reichsorganisationsleitung vom 03. 03. 1941; Parteistatistische Erhebung 1939, Meldebogen Alois K. ferner EAM, NL Faulhaber 5402, Liste der abgefallenen Priester. Ab 1940 amtierte K. als Verwaltungsführer eines Umsiedler-Lagers in der Nähe von Wasserburg (Oberbayern). Nach 1945 suchte der durch die Militärregierung seiner Stellung enthobene K. vermittelt durch seinen ehemaligen Kurskollegen, den Fürstenfeldbrucker Stadtpfarrer Dr. Martin Mayr, wieder Kontakt zur Kirche, vor allem um eine Unterstützung aus dem Emeritenfonds zu erlangen; vgl. EAM NL Faulhaber 5402, K. an Faulhaber vom 09. 01. 1949. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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zur Umkehr wurde im Falle K.s von seinen Vorgesetzten nicht wirklich überprüft und mangels geeigneter organisatorischer Mittel auch nicht nachhaltig überwacht. Man verließ sich auf die immer wieder vorgebrachten verbalen Bekundungen des Betroffenen. Die in dieser Zeit häufigen Wechsel im Amt des Generalvikars taten ein Übriges, dass Fälle wie dieser nicht mit der erforderlichen Effektivität verfolgt werden konnten.

5.3.2 Finanzielle Unregelmäßigkeiten und Eigentumsdelikte Bei den Finanzdelikten von Klerikern lassen sich im Wesentlichen solche, die sich aus der mangelnden Obsorge oder dem Missbrauch der ihnen anvertrauten Temporalien – also vor allem dem Pfründebesitz einer Pfarrei – ergaben, von jenen unterscheiden, die aus Geschäften privatrechtlicher Natur folgten. Gelegentlich vermischte sich auch beides, wenn die Unfähigkeit zur Haushaltung sich auch auf den privaten Bereich erstreckte. Bei der Temporalienverwaltung ist die Grenzziehung zwischen bewusster und vorsätzlicher oder bloßer Nachlässigkeit geschuldeter finanzieller Unregelmäßigkeit fließend. Gerade im Nachhinein ist sie nicht immer eindeutig zu bestimmen.155 Die Delikte ersterer Art konnten zumeist ohne großes Aufsehen intern geregelt werden, da Dritte in die Kontrolle der kirchlichen Finanzverwaltung nicht oder nur in geringem Maße – etwa Laien im Diözesansteuerausschuss – involviert waren. Zudem war das Interesse der staatlichen Behörden an der Temporalienverwaltung eher gering. Für antikirchliche Propaganda eignete sich das Thema zudem nur bedingt, jedenfalls wurde es von Seiten der Nationalsozialisten kaum in dieser Weise instrumentalisiert.156 Betrugsdelikte wurden hingegen vor allem durch staatsanwaltschaftliche Untersuchungen bekannt und den Umständen entsprechend dann auch öffentlich. In Einzelfällen wurden sie auch zu antikirchlichen Propagandazwecken verwendet. Wie bei allen anderen Deliktkategorien auch, war die kirchliche Obrigkeit bemüht, das Bekanntwerden der Verfehlungen eines Geistlichen in der Öffentlichkeit zu vermeiden. Finanzielle Unregelmäßigkeiten in der Pfarramtsverwaltung wurden in der Mehrzahl der Fälle durch Revisionen aufgedeckt. Mit diesen hatte man es, wohl auch bedingt durch Personalmangel, lange offenbar nicht so genau genommen.157 155 Vgl. zum Komplex der kirchlichen Finanzverwaltung allgemein Gatz, Kirchenfinanzen. 156 Auch sah man von Seiten des Ordinariates hier offenbar keine entsprechende Gefahr. So wurde etwa 1938 im Zuge der Vorbereitung des Amotionsverfahrens gegen Pfarrer Epimach Riester von Eching bei Landshut (vgl. nachfolgende Ausführungen) dessen sofortige Entbindung von der Verwaltung der Pfarrpfründe unter Angabe der Gründe auch dem örtlichen Bezirksamt und der zuständigen Bezirksregierung mitgeteilt; vgl. AEM, Priesterpersonalakten P III 1433, EOM an Bezirksamt Landshut und an die Regierung von Niederbayern und der Oberpfalz vom 25. 01. 1938. 157 Zwar waren die Pfarrvisitationen und mit diesen auch die Prüfung der kirchlichen Finanzverwaltung durch die can. 343–346 CIC 1917 mindestens alle fünf Jahre kanonisch vorgeschrieben, doch verfügten die prüfenden Dekane nicht immer über die erforderliche Sachkompetenz, um Unregelmäßigkeiten in der Temporalienverwaltung aufzudecken. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Erst durch die 1928 von Kardinal Faulhaber angestoßene Umstrukturierung der Erzbischöflichen Finanzverwaltung158 und die Ernennung eines Finanzrats für die Steuerung des gesamten diözesanen Rechnungs-, Kassen- und Bürowesens, wurden auch die Finanzrevisionen mit der Zeit erheblich ausgeweitet. Aufgrund der Mehrung der Fälle schwerer Beanstandungen in den 1930er Jahren setzte der Erzbischöfliche Finanzrat Martin Grassl159 schließlich 1938 die Ernennung eines eigenen Geistlichen als Pfarramtsrevisor durch.160 Häufig war zunächst Nachlässigkeit und ein geringes Interesse der Geistlichen an Verwaltungsaufgaben die Ursache für finanzielle Unregelmäßigkeiten: »Pfarrer Nirschl161 in Solln, sonst ein eifriger Seelsorger, hat offenbar Hemmungen in Ausführung der pfarramtlichen schriftlichen Arbeiten«162, stellte Domkapitular Martin Grassl in einer Ordinariatssitzung im Februar 1938 fest, in der die Frage finanzieller Unregelmäßigkeiten schwerpunktmäßig erörtert wurde. Dies kam durchaus häufiger und in sehr unterschiedlichem Ausmaß vor. In derselben Sitzung stellte Grassl fest: Pfarrer [Epimach] Riester163, der seit einem Jahr in Eching als Pfarrer wirkt, hat während dieser Zeit sich um die Kirchenstiftungsrechnung nicht gekümmert, hat noch nicht einmal die im Januar vorigen Jahres überwiesenen Kirchensteuern mit dem Kirchenpfleger abgerechnet, hat seit Monaten die Stipendien und Stolarienanteile an den Mesner nicht mehr ausbezahlt, diese mit der Kirchenstiftung überhaupt noch nicht verrechnet usw. Sammelgelder, Vereinsbeiträge werden nicht ordnungsgemäß verwaltet. Pfarrer Riester muss als ungeeignet für die Führung der Pfarramtsgeschäfte erklärt werden.164

158 Vgl. Laube, Ordinariat, 42 f. 159 Martin Grassl, geb. am 03. 04. 1886 in München, 1910 Priesterweihe in Freising, Kaplan in Chieming, 1911 Freistellung zum Studium, 1916 Assistent des Superiors der Barmherzigen Schwestern, 1928 Finanzrat in der Erzb. Finanzkammer, 1937 Domkapitular, Stellvertretender Finanzdirektor, gest. am 09. 10. 1948; vgl. AEM, Metropolitankapitel, Personalakten; Benker, Metropolitankapitel, 277 f.; Nesner, Metropolitankapitel, 559 f. 160 Vgl. AEM, Ordinariatssitzungsprotokoll vom 11. 02. 1938. 161 Erhard Nirschl, geb. am 11. 09. 1884 in Hallnberg, Priesterweihe 1910 in Freising, Aushilfspriester in Wörth und Hofkirchen, Koadjutor in Egern, 1911 Koadjutor in Miesbach, 1913 Kaplan in Altomünster, 1917 Pfarrvikar in Giebing und Wollomoos, Hilfspriester bei St. Ulrich in München-Laim, 1930 Pfarrer in Oberneuching, 1935 Pfarrer in Schönberg, gest. am 27. 10. 1953; vgl. AEM, Priesterpersonalakten P III 1258. 162 AEM, Ordinariatssitzungsprotokoll vom 21. 01. 1938. 163 Epimach Riester, geb. am 04. 05. 1885 in Lengdorf, Priesterweihe 1909 in Freising, Koadjutor in Griesstätt, 1911 Pfarrvikar ebenda, Hilfspriester in München-Mariä Himmelfahrt, 1916 Kooperator in Kay, 1917 Kooperator in Schönau, 1920 exponiert in Berganger, 1936 Pfarrer in Eching bei Landshut, 01. 05. 1938 frei resigniert, 07. 05. 1938 Pfarrer in Fraunberg, 1953 frei resigniert, Kommorant in Waging, gest. am 19. 10. 1961; vgl. AEM, Priesterpersonalakten P III 1433. 164 AEM, Ordinariatssitzungsprotokoll vom 21. 01. 1938. Wie aus dem Personalakt hervorgeht, waren bereits bei der Verwaltung der exponierten Kooperatur Berganger, die Riester zuvor inne hatte, Mängel derselben Art aufgetreten. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Als Konsequenz aus diesen Missständen wurde Riester bereits vier Tage nach dieser Sitzung mittels eines Einschreibebriefes, in dem seine Verfehlungen detailliert aufgelistet waren, die Einleitung des kirchlichen Amotionsverfahrens angedroht, er könne dieses nur durch freiwillige Resignation abwenden.165 Nach einigem hin und her gab Riester nach und reichte knapp vor Ablauf der ihm gesetzten Frist das Resignationsgesuch ein, das mit Wirkung zum 1. Mai 1938 angenommen wurde.166 Eine Bestrafung des Pfarrers ist nicht nachweisbar. Sie erscheint auch unwahrscheinlich, denn bereits sieben Tage nach seiner Resignation erhielt Riester eine neue Pfarrstelle in Fraunberg.167 Durch sein freiwilliges Nachgeben stellt Riester sich besser, als wenn er die dann vermutlich unausweichliche Amotion abgewartet hätte. Es ist auch bei anderen Fällen eine grundsätzliche Neigung der Diözesanleitung erkennbar, formelle kanonistische Strafverfahren nach Möglichkeit zu vermeiden und auf die Einsicht und das (freiwillige) Nachgeben der unter Druck gesetzten Geistlichen zu setzen.168 Vor der Wiederverwendung der Geistlichen scheint bei Finanzdelikten das so genannte Revers, ein formelles schriftliches Versprechen der Besserung, ein häufig benutztes, aber faktisch schwaches Disziplinierungsinstrument gewesen zu sein. Die Nichtvorlage der Kirchenrechnungen war ein relativ häufiges Vergehen, im Juli 1937 musste deshalb gegen sieben Seelsorgsvorstände gleichzeitig vorgegangen werden.169 Bereits im Vorjahr hatte die Ordinariatssitzung die nur »mangelhafte kirchliche Finanzverwaltung« in den Pfarreien Aufkirchen, Berganger, Buch am Buchrain, Wollomoos und Sittenbach moniert und eine Revision durch den

165 Vgl. AEM, Priesterpersonalakten P III 1433, EOM an Riester vom 25. 01. 1938. Kirchenrechtlich wurde der Tatbestand des can. 2147 § 2 Ziff. 5 CIC (Schlechte Vermögensverwaltung) als erfüllt angesehen, dies war für eine Amtsenthebung ausreichend; vgl. Eichmann/Mörsdorf, Kirchenrecht, Bd. 3, 272 ff. 166 Vgl. AEM, Priesterpersonalakten P III 1433, handschriftl. Note von Personalreferent Anton Fischer (undat.) 167 Vgl. AEM, Priesterpersonalakten P III 1433, Übersicht über die Versetzungen. Diese war jedoch mit nur 245 Katholiken wesentlich kleiner und unbedeutender, als die Echinger Pfarrstelle mit 1.493 Katholiken und infolgedessen auch wesentlich einfacher zu verwalten, vgl. Schematismus 1939, 27 und 107. 168 Diese Vorgehensweise mag vor allem dem Umstand geschuldet sein, dass ein Amotionsverfahren kompliziert und unter Umständen langwierig war, vgl. Eichmann/Mörsdorf, Kirchenrecht, Bd. 3, 274–277. Dass auch in anderen Fällen so vorgegangen und die freiwillige Resignation eines Pfarrers durch Androhung der Amotion herbeigeführt wurde, zeigt etwa der Fall des Pfarrers von Kay, Andreas Gastager, der infolge von Misswirtschaft zum Rückzug von seiner Pfarrökonomie gezwungen war, vgl. AEM, Ordinariatssitzungsprotokoll vom 03. 04. 1936. 169 AEM, Ordinariatssitzungsprotokoll vom 02. 07. 1937. Betroffen waren die Seelsorgestellen St. Vinzenz in München, Eching bei Freising, Au und Unterstein bei Berchtesgaden, Rechtmehring, Wollomoos und Kirchheim. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Finanzkammerassistenten Anton Forsthuber170 angeordnet.171 In der Pfarrei Sittenbach kamen im Zuge dieser Revision Vorfälle ans Tageslicht, die zur Enthebung des dortige Pfarrers Korbinian Aigner von der Verwaltung der Temporalien und seiner anschließenden Resignation führten.172 Aigner wurde von seiner bisherigen Pfarrei mit immerhin noch 890 Katholiken im Dezember 1936 in die abgelegene Zwergpfarrei Hohenbercha versetzt, in der er nur noch für 288 Katholiken verantwortlich war.173 Auf dieser marginalen Stelle verblieb er bis zu seinem Tod im Jahr 1966.174 Auch wenn private Finanzprobleme, die mit der Temporalienverwaltung nichts zu tun hatten, aus dem Ruder liefen und das Ansehen des Klerus zu beschädigen drohten, verfuhr das Ordinariat mit den Betroffenen in ähnlicher Weise: Abberufung und Versetzung auf einen neuen Posten. So geschah es mit Josef Oberlinner175, dem Pfarrer von Übersee, dessen privater Schuldenberg im Verlauf der 1930er Jahre mehr und mehr angewachsen war, woraufhin er am 1. Dezember 1934 relativ kurz170 Anton Forsthuber, geb. am 15. 07. 1904 in Asenreuth (Schönberg), Priesterweihe 1932 in Freising, Kooperatur-Verweser in Allershausen, Kaplan in Hl. Kreuz in München-Giesing, 1934 Assistent in der Erzbischöflichen Finanzkammer, 1939 Domvikar, 1947 Stadtpfarrer in München-St. Ludwig, 1976 in den Ruhestand versetzt, gest. 1977, vgl. AEM, Priesterpersonalakten P III 422. 171 Vgl. AEM, Ordinariatssitzungsprotokoll vom 03. 04. 1936. 172 Bereits 1932 war Aigner – offenbar aber nur temporär – wegen gravierender Beanstandungen die Verwaltung der Pfründekapitalien entzogen und dem Dekan übertragen worden, vgl. AEM, Priesterpersonalakten P III 12, EOM an Aigner vom 29. 08. 1932. 173 Katholikenzahlen entsprechend der Angaben im Schematismus 1939, 5 und 111. 174 In der Literatur (vgl. etwa die Beiträge von Ohorn) hat sich die Auffassung herausgebildet, Aigner sei aufgrund seiner politisch unbequemen Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus 1936 durch das Ordinariat nach Hohenbercha strafversetzt worden. Nach Ausweis der Ordinariatssitzungsprotokolle scheinen aber die finanziellen Unregelmäßigkeiten in der Temporalienverwaltung der eigentliche Grund hierfür gewesen zu sein. Da derartiges der Öffentlichkeit nicht kommuniziert wurde, ergab sich reichlich Raum für spätere Legendenbildung um Aigner, zumal dieser zweifelsohne stark antinationalsozialistisch eingestellt war und wegen einer Äußerung zum Attentat auf Hitler im Bürgerbräukeller von 1939 bis 1945 in verschiedenen Konzentrationslagern inhaftiert war. Der bei Ohorn, »Ich wollte kein stummer Hund sein«, angeführte (spätere) Antrag des Kultusministeriums auf Versetzung Aigners könnte in den Überlegungen des Ordinariats eine Rolle gespielt haben, dürfte aber m. E. nicht ausschlaggebend für seine Versetzung gewesen sein. Im Personalakt Aigners im AEM fehlen alle die Zeit von 1933 bis 1945 betreffenden Dokumente, eine genaue Rekonstruktion der Ereignisse ist mithin nicht mehr möglich. Die bereits im Titel des Artikels von Ohorn angedeutete Feststellung, dass Aigner zu den Geistlichen gehört habe, die sich »von der Kirche nicht vereinnahmen« ließen, kann zudem nur als anachronistische Projektion zurückgewiesen werden: Die hinter dieser Formulierung stehende Idee eines in seinen Handlungen und Wertvorstellungen von der so genannten Amtskirche unabhängigen, gewissermaßen frei schwebenden bzw. in Opposition zur Hierarchie stehenden Geistlichen, ist in der vorkonziliaren Zeit nicht denkbar. 175 Josef Oberlinner, geb. am 20. 11. 1883 in Halfing, Priesterweihe 1908 in Freising, Aushilfspriester in Söchtenau, Koadjutor in Salzburghofen, 1909 Koadjutor in Velden, 1912 Kooperator ebenda, 1914 Schulbenefiziat in Glashütte, 1916 Schulbenefiziat in Lindach, 1927 Pfarrer in Chieming, 1932 Pfarrer in Übersee, 1934 (1. Dez.) frei resigniert, 1935 (16. Jan.) Kommorant in Puch, 1936 (25. Juni) Pfarrer in Bergkirchen, 1949 frei resigniert, Kommorant in Kirchdorf am Inn, gest. am 24. 07. 1956; vgl. AEM, Priesterpersonalakten P III 1267. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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fristig auf seine Pfarrei resignieren musste und vorübergehend auf die unbedeutende Expositur Puch strafversetzte wurde. Doch konnte Oberlinner bereits nach eineinhalb Jahren eine neue Pfarrstelle antreten, die nur unwesentlich kleiner war als die ursprüngliche.176 Härter traf es den im Leohaus, der Zentralstelle der katholischen Arbeiter- und Arbeiterinnenvereine, tätigen Priester Leonhard Wackerl177, der von Konten seines Vaters ohne Bevollmächtigung über 14.000,− Reichsmark abgehoben und teils zu Darlehen an andere, teils zur Einrichtung seines eigenen Haushalts verwendet hatte.178 Die Einleitung staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen ließ sich in diesem Fall nicht verhindern. Zudem wurde der Vorfall in der Öffentlichkeit bekannt. Wackerl wurde im Mai 1934 zu einer mehrmonatigen Haftstrafe auf der Festung Landsberg verurteilt, die er auch absaß.179 Nach seiner Haftentlassung versetzte Generalvikar Buchwieser ihn auf die Stelle des Anstaltskaplans in Schönbrunn, offenbar mit dem Hintergedanken, dass er bei den Geisteskranken keinen Anstoß erregen würde. 10 Jahre später galt Wackerl aber dann als ausreichend rehabilitiert, Kardinal Faulhaber verlieh ihm noch während der NS-Herrschaft die stattliche Pfarrei Oberhaching.180 Finanzielle Unregelmäßigkeiten konnten eine priesterliche Karriere zwar vorübergehend beeinträchtigen, sobald die Vorfälle jedoch aus dem öffentlichen Gedächtnis verschwunden waren, konnte der betroffene Kleriker durchaus auf eine seiner früheren Position vergleichbare Stellung hoffen. Etwas anders verhielt sich die Sache im Fall des sich um seine Rehabilitierung als katholischer Geistlicher bemühenden zeitweiligen Altkatholiken Dr. Karl Rieger.181 176 Zunächst konnte Oberlinner die Pfarrei Übersee sogar noch für einige Wochen als Vikar betreuen, zu Beginn des Jahres 1935 wurde er dann auf die Expositur Puch bei Fürstenfeldbruck strafversetzt und schließlich im Juni 1936 auf die Pfarrei Bergkirchen neu investiert; vgl. zu den Vorgängen: AEM, Priesterpersonalakten P III 1267. 177 Leonhard Wackerl, geb. am 03. 11. 1897 in Ottmarshart, Priesterweihe 1922 in Freising, Koadjutor in Riedering, 1923 Koadjutor in Übersee, 1925 für soziale Arbeit am Leohaus beurlaubt, 1933 Aushilfspriester in Moosen, 1934 Anstaltskaplan in Schönbrunn, 1944 Pfarrer in Oberhaching, gest. am 17. 02. 1947; AEM, Priesterpersonalakten P III 1887. 178 Vgl. AEM, Ordinariatssitzungsprotokoll vom 28. 07. 1933. 179 AEM, Priesterpersonalakten P III 1887, Beschluss des Reichsgerichts Leipzig vom 05. 05. 1936. Dass Wackerl sich trotz seiner wohl unstreitig feststehenden Handlungen »keiner moralischen Schuld bewusst« war, sei am Rande erwähnt, vgl. ebenda, Wackerl an EOM vom 16. 06. 1936. 180 Vgl. Schematismus 1943, 39. Diese zählte 1941 2.450 Katholiken; vgl. Schematismus 1941, 83. 181 Dieser hatte eine für die damalige Zeit eigenwillig unstete Biographie: Am 21. 01. 1880 in München geboren, kam er bereits 1895 als Zögling zu den Salvatorianern nach Rom. Dort legte er auch sein Abitur ab und studierte anschließend an der päpstlichen Universität Gregoriana Theologie. Nach der Priesterweihe und Promotion in Philosophie sandte ihn der Salvatorianerorden 1904 nach Bregenz, ab 1906 war er – offenbar auf eigenen Wunsch – exklaustriert als Seelsorger in St. Moritz und Winterthur tätig. Möglicherweise aufgrund von Schwierigkeiten mit dem Ordensleben entschloss sich Rieger 1908 zum Übertritt in die altkatholische Kirche und amtierte fortan in der Nähe von Basel als altkatholischer Pfarrer. 1911 heiratete er, schloss die Ehe aber nur standesamtlich. Nach Beginn des Ersten Weltkriegs wurde Rieger 1915 zum Militärdienst einberufen, ehe es dem deutschen altkatholischen Bischof im August 1917 gelang, ihn für Seelsorgsaufgaben freistellen zu lassen. Von seiner Ehefrau lebte er zu diesem Zeitpunkt bereits getrennt, die Ehe wurde © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Dieser verdiente seinen Lebensunterhalt auf Vermittlung Faulhabers seit Oktober 1920 als Bibliothekar und Erzieher. Seit 1923 war er für Kronprinz Rupprecht tätig und bekam von diesem den Auftrag, die aus ehemaligem königlichen Besitz in den Privatbesitz des Hauses Wittelsbach übergegangenen Bibliotheksbestände zu katalogisieren.182 Diese Vertrauensstellung missbrauchte Rieger zu seiner persönlichen Bereicherung. Über Jahre hinweg entwendete er wertvolle Bücher und Bilder aus der Sammlung des Kronprinzen und verkaufte diese an Antiquariate. Im Zuge polizeilicher Ermittlungen kam man ihm schließlich auf die Schliche. Im März 1927 wurde er, noch dazu an einem für einen Geistlichen unpassenden Ort, dem Münchener Hofbräuhaus, verhaftet und in das Untersuchungsgefängnis Neudeck gebracht.183 Im August 1927 wurde er wegen »fortgesetzten Diebstahls« zu einem Jahr Gefängnis verurteilt.184 Bereits im Mai 1929 leitete offenbar Faulhaber selbst jedoch die Rehabilitierung Riegers ein, »zudem Dr. Rieger seine Strafe schon längere Zeit hinter sich hat« – wie es in der entsprechenden Begründung hieß.185 Rieger, nun auch im Besitz der entsprechenden Zelebrationserlaubnis durch das Hl. Offizium, erhielt im Oktober 1930 die Stelle eines Benefiziums-Verwesers in Egling. Dort machte er sich nun aber erneut strafbar, indem er »Simonie mit Messstipendien« betrieb und wurde im September 1934 nach der Entdeckung des Vorfalls von seiner Stelle enthoben und suspendiert.186 Strafrechtlich verfolgt wurde der Vorfall offenbar nicht. Allerdings kam das Ordinariat Riegers Bitte um Aufhebung der Suspension vom Frühjahr 1935 nicht nach – er blieb dauerhaft suspendiert.187 Faulhabers Geduld hatte offensichtlich ein Ende. Ab Mitte der 1930er Jahre lebte Rieger als stellenloser Kommorant in München und wurde schließlich ein Fall für die öffentliche Fürsorge. Danach verliert sich seine Spur.188 1918/19 wieder geschieden. Ebenso trennte sich Rieger 1918 von der altkatholischen Kirche und kam wieder zur römisch-katholischen Kirche zurück. In München ansässig, bemühte sich Rieger, der als Priester der Diözese Rom angehörte, nun um seine Rehabilitierung als katholischer Geistlicher. Kardinal Faulhaber wandte sich deshalb mehrfach an die römischen Stellen, doch zog sich die Sache über Jahre, bis ein positives Ergebnis erreicht wurde. Zwischenzeitlich zelebrierte Rieger wieder die Messe, bekam aber zunächst keine Erlaubnis zu seelsorglicher Tätigkeit; vgl. AEM, NL Thalhamer, Sittlichkeitsdelikte, Karl Rieger (obwohl kein Sittlichkeitsdelikt vorliegt, wird der Akt in dem entsprechenden Aktenfaszikel verwahrt) ferner AEM, Priesterpersonalakten P II Carl Rieger (dort Schreibung des Vornamens mit »C«). 182 Vgl. AEM, NL Thalhamer, Sittlichkeitsdelikte, Karl Rieger, Rieger an EOM vom 02. 06. 1923. 183 Vgl. ebenda, Polizeidirektion München an EOM vom 21. 03. 1927. 184 Vgl. ebenda, handschriftliche Notiz des Generalvikars auf einem Schreiben der Staatsanwaltschaft München an das EOM vom 13. 05. 1927. 185 Vgl. AEM, Priesterpersonalakten P II Carl Rieger, Aktenvermerk von Erzb. Sekretär Hindringer vom 31. 05. 1929. 186 Vgl. ebenda, Buchwieser an Rieger vom 16. 03. 1935. 187 Vgl. ebenda. 188 Vgl. Schematismus 1935, 67 und AEM, Priesterpersonalakten P II Carl Rieger, Städtisches Wohlfahrtsamt München an EOM vom 29. 06. 1936. Ab 1936 erscheint Rieger nicht mehr in den Schematismen der Erzdiözese. Da ihn die Totentafel des Schematismus 1936 nicht verzeichnet, © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Auch im Fall der Eigentumsdelikte ist bei der kirchlichen Obrigkeit und den Standesgenossen das Bemühen um Distanz von den jeweils betroffenen Priestern erkennbar, sobald die entsprechenden Vorwürfe öffentlich bekannt wurden. Dieser Effekt verstärkte sich nach 1933 ganz erheblich, wenn es darum ging, antikirchlicher NS-Propaganda zu begegnen. Exemplarisch hierfür ist der Fall des Leohaus-Skandals und des mit diesem verbundenen Priesters Karl Walterbach.189 Dieser hatte vor 1933 zu den prominenten Persönlichkeiten des politischen Katholizismus gezählt. Von 1907 bis 1918 und wiederum von 1918 bis 1924 hatte er als Abgeordneter des Zentrums bzw. der Bayerischen Volkspartei dem Bayerischen Landtag angehört.190 Daneben war Walterbach Verbandspräses der Katholischen Arbeiter- und Arbeiterinnenvereine, die den Zeitgenossen unter dem Namen »Leohaus«191 ein Begriff waren. Mit dem Münchener Leohaus hatte Walterbach im Verlauf der 1920er Jahre ein undurchsichtiges und verschachteltes Geflecht verschiedener Organisationen und Unternehmen geschaffen, darunter u. a. eine Filmproduktionsgesellschaft und eine Bank, wobei erstere vor allem durch die Einlagen von Kleinsparern aus dem Arbeiterund Angestelltenmilieu in letztere finanziert wurde.192 Ende 1932 geriet dieses System in Folge der Weltwirtschaftskrise in wirtschaftliche Schwierigkeiten, im Mai 1933 kam es zum endgültigen Zusammenbruch. Walterbach wurde in Schutzhaft genommen, das Leohaus polizeilich geschlossen und wegen Untreue und Konkursbetrugs gegen ihn und andere ermittelt. Die NS-Presse schlachtete die Vorgänge, bei denen zahlreiche Kleinanleger um ihre Ersparnisse gebracht worden waren, zu ihren Gunsten aus.193 In einem gegen ihn angestrengten Gerichtsverfahren wurde Walterbach jedoch schließlich frei gesprochen und im Oktober 1934 aus der Untersuchungshaft im Gefängnis München-Stadelheim entlassen.194 Doch bekam er fortan in der Erzdiözese keinen festen Boden mehr unter die Füße. Aus dem Kreis der Geistlichen Räte und der familia erscheint wahrscheinlich, dass er um 1936 entweder die Münchener Erzdiözese verlassen hatte oder vollständig aus dem priesterlichen Dienst ausgeschieden war. 189 Karl Walterbach, geb. am 06. 11. 1870 in Oberwesel (Diözese Trier), Priesterweihe 1896 in Bamberg, 1896 Kooperator in Ludwigschorgast und Schnaitach, 1898 Kaplan in Nürnberg-St. Elisabeth, 1903 für soziale Tätigkeiten beurlaubt, 1909 in die Erzdiözese München und Freising inkardiniert, Verbands- und Diözesanpräses der katholischen Arbeiter- und Arbeiterinnenvereine, 1928 als Diözesanpräses enthoben, 1933 als Verbandspräses zurückgetreten, 1934 in den dauernden Ruhestand versetzt, Kommorant in Fürstenfeldbruck, gest. am 04. 05. 1952; vgl. AEM Priesterpersonalakten P III 1907. Der Fall wurde von mir bereits ausführlich dargelegt in: Forstner, Fürstenfeldbruck, 233 f. 190 Vgl. den Eintrag zu Walterbach in: Götschmann/Henker, Geschichte des bayerischen Parlaments. 191 Der in mehreren deutschen Städten übliche Name für Einrichtungen der katholischen Arbeiterfürsorge ist eine Reverenz an den Begründer der modernen katholischen Soziallehre, Papst Leo XIII; zur Geschichte des Münchener Leohauses vgl. Krenn, Leohaus. 192 Vgl. EAM, NL Faulhaber 6501, Bericht über den gegenwärtigen Stand beim Leohaus vom 02. 05. 1933. 193 Vgl. die Presseausschnitte in EAM, NL Faulhaber 6501. 194 AEM, Nationalsozialistische Verfolgung katholischer Geistlicher, Fragebogen A, Walterbach Carl; vgl. auch die Rechtfertigungsschrift Walterbachs in EAM, NL Faulhaber 5405. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Pontifica war Walterbach in einem bemerkenswerten Akt von standesinterner Vorverurteilung bereits im November 1933 ausgeschlossen worden, noch bevor die staatsanwaltschaftlichen Untersuchungen gegen ihn abgeschlossen waren.195 An seinem Ruhestandwohnsitz Fürstenfeldbruck galt der mit 64 Jahren bereits in den dauernden Ruhestand versetzte Geistliche der Öffentlichkeit schlichtweg als nicht mehr vermittelbar und wurde entsprechend kaum noch mit seelsorglichen Aufgaben betraut. Der dortige Ortspfarrer, Heinrich Feller, schrieb 1936 diesbezüglich an Generalvikar Buchwieser: »Ich würde ihn [Walterbach; Th. Fo.] gerne mehr zu irgendeiner Arbeit heranziehen, aber es besteht nun leider nicht bei wenigen eine Abneigung gegen ihn, die ich beim besten Willen nicht so einfach ignorieren kann.«196 Die politische Vergangenheit Walterbachs als Abgeordneter des Zentrums und der BVP mag zudem dazu beigetragen haben, dass er nach 1933 trotz Fehlens persönlicher Schuld, als nicht mehr tragbar galt. Mindestens ebenso schwer wie das persönliche Vergehen wog auch bei Eigentumsdelikten stets, dass der Betroffene ein nachteiliges Licht auf den Klerikerstand warf. Insofern wurde die Schuld auch geringer eingeschätzt, wenn es nicht zu einem öffentlichen Ärgernis gekommen war. Ein solches zu verhindern, lag naturgemäß durchaus im Interesse aber nicht in der Macht der betroffenen Geistlichen. Umgekehrt nutzte aber auch die NS-Propaganda nicht zwangsläufig alle Verfehlungen von Priestern für Ihre Zwecke, selbst dann nicht, wenn es sich um hochrangige Geistliche handelte. Beides zeigt der Fall des Domkapitulars Josef Gartmeier.197 Dieser hatte zu Beginn der 1930er Jahre das Doppelamt des Offizials und Direktors des Metropolitangerichts, also die gesamte Justizgewalt innerhalb der Erzdiözese inne, zugleich war er Vorsitzender des Caritasverbandes, Referent für die höhere Mädchenschulen und Direktor des Priesterhauses St. Johann Nepomuk. Innerhalb des Domkapitels wurde im Herbst 1933 bekannt, dass Gartmeier bereits seit 1929 – offenbar aufgrund einer vorangegangenen sexuellen Beziehung – erpresst wurde und überschuldet war.198 Das Kapitel übernahm daraufhin die Schulden und pfändete im Gegenzug seine

195 AEM, Ordinariatssitzungsprotokoll vom 24. 11. 1933. 196 AEM, Priesterpersonalakten P III 1907, Feller an Buchwieser vom 06. 06. 1936. 197 Josef Gartmeier, geb. am 14. 01. 1868 in Sonderdilching, 1895 Priesterweihe in Freising, Koadjutor in Miesbach, 1897 Präfekt im Knabenseminar Freising, 1900 Subregens im Erzb. Klerikalseminar Freising, 1902 Promotion zum Dr. theol., 1905 Seminarlehrer und Präfekt am Schullehrerseminar Freising, 1910 Religionslehrer im Gymnasium Neuburg a. d. Donau, 1913 Religionslehrer in Landshut, 1922 Geistl. Rat, Domkapitular (vom bayerischen Kultusminister ernannt), Direktor des Priesterhauses St. Johann Nepomuk, Vorsitzender des Caritasreferats, 1932 Offizial und Direktor des Metropolitangerichts, 1933/34 wegen finanzieller Unregelmäßigkeiten von einem Teil seiner Ämter entbunden, 1937 verhaftet und in der Folge resigniert, 1938 wegen Betrug, Untreue und Unterschlagung zu Gefängnishaft verurteilt, 1939 Haftentlassung, gest. am 28. 03. 1945; vgl. AEM, Metropolitankapitel, Personalakten; Ordinariatssitzungsprotokoll vom 23. 07. 1937; EAM, NL Faulhaber 5013; Benker, Metropolitankapitel, 265 f.; Nesner, Metropolitankapitel, 553. 198 Ausführliche Dokumentation in EAM, NL Faulhaber 5013. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Bezüge bis auf den nötigsten Lebensunterhalt.199 Die Mehrzahl seiner Ämter, vor allem diejenigen, mit denen eine finanzielle Verantwortung verbunden war, musste Gartmeier daraufhin abgegeben, dennoch behielt er, auch ungeachtet der inhaltlichen Implikationen der Affäre, seinen Rang als Domkapitular und die Leitung der gesamten diözesanen Wohlfahrtspflege. Die Öffentlichkeit erfuhr von diesen Vorfällen nichts und die standesinterne Solidarität hielt, zumal die Fassade nach außen gewahrt werden konnte. Offenbar gelang es in den folgenden Jahren aber nicht, die Ursache der Erpressung abzustellen, zumal man vor einer Anzeige gegen die Erpresser, die den Vorfall öffentlich gemacht hätte, zurückschreckte. Gartmeier machte neue Schulden und unterschlug nun auch Geld aus kirchlichen Kassen.200 Während man von Seiten des Ordinariates noch immer bemüht war, den Vorfall intern zu klären, führte eine Beschlagnahmungsaktion der Gestapo in der Kanzlei des mit der Sache befassten Rechtsanwaltes Dr. Warmuth201 im Jahre 1937 dazu, dass die Angelegenheit der Staatsanwaltschaft zur Kenntnis gebracht und Strafanzeige gegen Gartmeier gestellt wurde. Gartmeier wurde daraufhin am 17. Juli 1937 verhaftet. Erst unmittelbar darauf forderte das Kapitel ihn zur Resignation auf Ämter und Kapitelssitz auf, die bereits zum 1. August desselben Jahres erfolgte.202 Die standesinterne Solidarität mit dem Täter, die trotz dessen Verstößen gegen den Zölibat und der Veruntreuung von Kirchengeldern nicht zerbrochen war, endete genau in dem Moment, in welchem die Vorfälle öffentlich wurden. Sie endete zu dem Zeitpunkt, in dem sich die Präventivwirkung des öffentlichen Nichtwissens verflüchtigte und die Kirche als Einheit selbst Gefahr lief, zum Opfer der Fehltritte ihres Repräsentanten zu werden. Der gegen Gartmeier geführte Prozess verlief nach dem Urteil von Nesner »relativ sachlich und ohne antikirchliche Polemik«.203

5.3.3 Homosexuelle Handlungen Da ihnen sowohl im Hinblick auf die katholische Morallehre als auch auf die nationalsozialistische Antikirchenpropaganda eine besondere Bedeutung zukommt, sollen die homosexuellen Handlungen von Klerikern paradigmatisch für das Auftreten von strafbaren Sittlichkeitsdelikten im Klerus und entsprechende kirchliche Reaktionsmuster betrachtet werden. Das vitium sodomiticum204 galt gemäß der Lehre der katholischen 199 Vgl. Nesner, Metropolitankapitel, 553. 200 Vgl. ebenda die Schilderung der folgenden Ereignisse. 201 Vgl. zu Warmuth Kapitel 8 dieser Arbeit. 202 Vgl. Nesner, Metropolitankapitel, 553. Gartmeier wurde am 16. 09. 1938 wegen Betrugs in 42 Fällen und Untreue in Tateinheit mit Unterschlagung zu zwei Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt. Wegen guter Führung wurde er bereits im August 1939 aus der Haft entlassen und verbrachte seine letzten Jahre zurückgezogen in einem kirchlichen Heim in Oberfranken. Hier verstarb er im März 1945. 203 Ebenda. 204 Die kirchliche Lehre definierte Homosexualität – ähnlich wie später der § 175 StGB in seiner alten, bis 1935 gültigen Fassung – als beischlafähnliche Handlungen zwischen zwei erwachsenen Personen © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Kirche seit dem 13. Jahrhundert als Todsünde. Das Kirchenrecht ordnete homosexuelle Handlungen unter die qualifizierten, also besonders schweren Sittlichkeitsvergehen ein.205 Obgleich die Verpflichtung des Klerus zur zölibatären Lebensform, die gleichgeschlechtlich orientierte und damit zur Ehe oft unwillige Männer anzog, und die kommunitäre Lebensform in Seminaren und Ordensgemeinschaften206, immer wieder gerade den Klerus in Konflikt mit diesem Gebot brachte207, stellten andererseits die Rekrutierungsmechanismen des Weltklerus, in Verbindung mit einer fortwährenden strengen Normkontrolle in den Seminaren und meist striktem Ausschluss bei Bekanntwerden der homosexuellen Veranlagung eines Kandidaten, ein seinerzeit offenbar funktionierendes Korrektiv dar, welches entsprechende Tendenzen grundsätzlich einzudämmen vermochte. Insofern darf man homosexuelle Veranlagung und entsprechende Handlungsmuster bei katholischen Klerikern in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts keineswegs in dem Ausmaß erwarten, wie in der Kirche am Beginn des 21. Jahrhunderts.208 Im weltlichen Strafrecht wurden Vergehen gegen den seit 1872 im Reichsstrafgesetzbuch209 bestehenden § 175 vor 1935 in Deutschland nur im geringen Umfang geahndet.210 Erst die Verschärfung und Ergänzung dieses Artikels durch die NSRegierung im Jahr 1935 machte alle Formen »unzüchtiger Handlungen« zwischen zwei Personen männlichen Geschlechts zu Straftatbeständen.211 Kirchliche und nationalsozialistische Auffassungen von Homosexualität lagen grundsätzlich nicht weit vonmännlichen Geschlechts, vgl. zum theologischen Begründungszusammenhang Jordan, Sodomy. 205 Vgl. Eichmann, Kirchenrecht, Bd. 2, 433. 206 Auch in einem Artikel des Lexikons für Theologie und Kirche wurde 1933 die Auffassung vertreten, dass »das lange abgeschlossene Zusammenleben von gleichgeschlechtlichen Personen in Erziehungsanstalten, Kasernen« und ähnlichem die Homosexualität begünstige, vgl. Hilgenreiner, Homosexualität. 207 Eine grundlegende, seriöse historische Studie zur homosexuellen Praxis im klerikalen Umfeld der neueren Zeit existiert nicht. Zur Historiographie der Homosexualitäten allgemein vgl. die historiographischen und bibliographischen Einführungen von Lautmann, Homosexualität, bes. 353–361 und Hergemöller, Historiographie der Homosexualitäten; zur NS-Verfolgung Homosexueller vgl. die Überblickswerke von Jellonnek, Homosexuelle und Grau, Homosexuelle; speziell zur Thematik der Sittlichkeitsprozesse, von denen vorwiegend homosexuelle Geistliche betroffen waren, Hockerts, Sittlichkeitsprozesse. 208 Vgl. zur aktuellen Situation etwa Kiechle, Zuversicht, 553 f., der die »homophilen Stile« in manchen Seminaren und Klöstern zu Beginn des 21. Jahrhunderts als »dominant« ansieht. 209 In Bayern waren homosexuelle Handlungen vor Einführung des Reichsstrafgesetzbuches 1872 überhaupt nicht strafbar; vgl. Heiss, Polizei und Homosexuelle, 206 f. 210 Zumal der bis dahin erforderliche Nachweis der beischlafähnlichen Handlungen selten zu erbringen war und die Mehrzahl der entsprechenden Handlungen einvernehmlich erfolgte. Das Strafmaß bei einer entsprechenden Verurteilung war zudem relativ gering, die Mindeststrafe lag bei einem Tag, vgl. Grau, Homosexuelle, 93 f. 211 Waren zuvor nur beischlafähnliche Handlungen – im Juristenjargon als »widernatürliche Unzucht« bezeichnet – strafbar gewesen, wurde nun durch Streichung des Begriffes »widernatürlich« der Unzuchtbegriff auf alle denkbaren sexuell motivierten Interaktionen zwischen zwei Männern ausgedehnt. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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einander entfernt. Der Franziskanerpater Erhard Schlund212, der Diözesanbeauftragte im Kampf gegen »Schmutz und Schund«213, worunter man auch die Homosexuellen rechnete, verfasste im Juni 1937 im Zusammenhang mit den Sittlichkeitsprozessen im Auftrag des Erzbischöflichen Ordinariats eine interne Denkschrift Der Stand der Homosexualität in Deutschland, in welcher er bei der Beschreibung der gegenwärtigen Lage ausführlich einen hierzu passenden Artikel der SS-Zeitung Das schwarze Korps mit dem prägnanten Titel »Das sind Staatsfeinde!« referierte, der in der Forderung der Ausmerze gipfelte.214 In der Kundgebung der bayerischen Bischöfe zu den Sittlichkeitsprozessen 1937 wurden die Verirrungen und Verfehlungen der zu besonderer Vollkommenheit verpflichteten Priester und Ordenspersonen aufs bitterste [beklagt], weil dadurch Gott schwer beleidigt, Menschen verdorben, die Braut Christi, die Kirche, mit Schmach bedeckt, Priester- und Ordensstand herabgewürdigt, Glaube und Kirchentreue vieler hart geprüft wurden. Wir folgen hierbei dem Urteil unseres göttlichen Heilandes […], der in der heiligsten Stunde des Abendmahls über Judas den Verräter aus seinem engsten Jüngerkreis, das furchtbare Wort gesprochen hat: ›Es wäre besser, er wäre nicht geboren.‹215

212 Lorenz Schlund, geb. am 25. 07. 1888 in Siegenburg/Niederbayern, nach dem Abitur 1907 Eintritt in den Franziskanerorden, Annahme des Ordensnamens Erhard, Priesterweihe 1912 in Freising, 1913 Seminarpräfekt in Bamberg, im Weltkrieg 1914–1918 Feldgeistlicher, anschließend Tätigkeit für den Cartellverband der katholischen Studentenverbindungen und Hochschulseelsorger in München, 1928 von Kardinal Faulhaber mit der Leitung des Consilium a vigilantia in der Erzdiözese München und Freising betraut, 1943 Schlaganfall, seither auf den Rollstuhl angewiesen, nach langer Krankheit am 02. 12. 1953 gestorben; vgl. zu seiner Biographie und seinem Wirken ausführlich Fellner, Schlund, 134–158. 213 Mit einer Instruktion des Hl. Offiziums vom 03. 05. 1927 wurden alle Diözesen verpflichtet, Stellen zum Zwecke der Bekämpfung von »Schmutz und Schund« einzurichten. Kardinal Faulhaber ernannte im Februar 1928 P. Erhard Schlund zum Leiter dieser Consilium a vigilantia genannten Stelle. Da andere Diözesen die Installation entsprechender Stellen nicht bewerkstelligten, erlangte die Münchener Stelle reichsweite Bedeutung. Bedingt durch die persönlichen Interessen Schlunds richtete sich sein Beobachtungsfeld, sehr zur Verärgerung Faulhabers, schwerpunktmäßig nicht auf sittlich-moralische Themen, sondern überwiegend auf politische Bewegungen, darunter Kommunismus und Nationalsozialismus. Es gab jedoch kein aktives Vorgehen, nicht einmal apologetische Stellungnahmen, gegen die gegnerischen Strömungen, sondern überwiegend deren Dokumentation und die Information kirchlicher Stellen durch Rundschreiben. Zum Wirken des Consiliums vgl. EAM, NL Faulhaber 3038, 3039, 3040, 3041, 3042 und Fellner, Schlund, 152–158. 214 Vgl. AEM, NL Thalhamer, Stw. Homosexualität, Denkschrift »Der Stand der Homosexualität in Deutschland vom 14. Juni 1937« (E. Schlund). Der genannte Artikel erschien in: Das Schwarze Korps, Nr. 9 vom 04. 03. 1937. Bereits 1933 hatte Schlund seine Liste von »Schmutzverlagen« der Münchener Polizeidirektion zur Verfügung gestellt (vgl. Heiss, Polizei und Homosexuelle); die kirchlichen Institutionen unterstützen mithin im Kampf gegen »Schmutz und Schund« auch das staatliche Vorgehen gegen Homosexuelle aktiv. 215 AEM, Ordinariat, Rundschreiben und Erlasse 1933–1945, Kundgebung der bayerischen Bischöfe zu den neuen Sittlichkeitsprozessen 1937, Druck: Volk, Akten Faulhabers, Bd. 2, 343–346. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Im Bereich der Erzdiözese gab es vermutlich vor allem in München einige wenige öffentliche Orte, die Homosexuellen anonyme Kontaktmöglichkeiten boten: Öffentliche Pissoirs, Parkanlagen, einige einschlägige Kneipen und Cafés. Seit 1909 beobachtet die Münchner Polizei eine starke Zunahme männlicher Prostitution216, in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg trat dann eine weitere Verstärkung der Registrierung homosexueller Aktivitäten ein, allein 1920 kam es in München zu 305 Anzeigen der Sittenpolizei wegen Verstößen gegen den § 175.217 Seit Beginn der 1920er Jahre griff die Polizei aber auch stärker durch, entsprechende Lokale wurden meist geschlossen, sonstige Treffpunkte polizeilich überwacht.218 Die neuere Forschung betont, dass es ein aktives Vorgehen gegen Homosexuelle auch während des Dritten Reichs vor allem im Bereich entsprechender Subkulturen, d. h. vor allem in einschlägigen Lokalitäten gab.219 Doch nutzten gerade die Geistlichen, wie die folgenden Fälle aufzeigen, anders als zu erwarten, immer wieder in geradezu unerschrockener Weise das nähere und mithin nicht anonyme Umfeld für die Anbahnung von Kontakten: Im ländlichen Gasthof verkehrende junge Burschen, den Friseurlehrling, den ehemaligen Ministranten. Die Verfolgung homosexueller Geistlicher und Laienbrüder durch die Staatsorgane in der Zeit des Nationalsozialismus ist eine besondere Form der Auseinandersetzung zwischen Staat und Kirche im Dritten Reich. Hierbei stand die mediale Aufbereitung der Vorfälle in der gelenkten NS-Presse mit der propagandistischen Absicht, die Kirche in ihrer Integrität und Glaubwürdigkeit zu beschädigen, im Vordergrund.220 Die Sittlichkeitsprozesse dienten vor allem dem Geheimen Staatspolizeiamt unter Heydrich als Mittel, Geistliche als Staats- und Volksfeinde und Klöster als Horte des Sittenverfalls anprangern zu können.221 Diese Antikirchenpropaganda stand in einer langen Tradition, stellte der Themenkreis Homosexualität wie der gesamte Sexualbereich seit dem 19. Jahrhundert doch eines der grundsätzlichen Stereotype antiklerikaler Kritik und Polemik dar.222 In den katholischen Gebieten Bayerns stieß die mit den Sittlichkeitsprozessen verbundene antiklerikale Propaganda gemäß den Forschungen von Hans-Günter Hockerts jedoch nur auf wenig Resonanz.223 Die kirchliche Obrigkeit distanzierte sich zudem in Kanzelworten und Hirtenbriefen erwartungsgemäß nachhaltig von den Angeschuldigten.224 Im Ordinariat ging Prälat Neuhäusler im Verlauf der Sittlichkeitsprozesse dazu über, Beispiele für sittliches Fehlverhalten von 216 Vgl. Heiss, Polizei und Homosexuelle, 194. 217 Vgl. ebenda, 197. 218 Vgl. ebenda, 199 ff. 219 Vgl. Jellonnek, Homosexuelle, 350 und 353 f. 220 Zum Ablauf der Prozesse, des Propagandafeldzugs und den Reaktionen von Kirchenobrigkeit und katholischer Öffentlichkeit vgl. Hockerts, Sittlichkeitsprozesse. 221 Vgl. ebenda, 12. 222 Borutta, Antikatholizismus, widmete den von ihm so genannten Sex Crimes in seiner Untersuchung einen mehr als hundert Seiten umfassenden Abschnitt; vgl. ebenda, 155–265. 223 Vgl. Hockerts, Sittlichkeitsprozesse, 191–204. 224 Vgl. ebenda, 158–183. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Exponenten der Partei zusammenzutragen225, möglicherweise um Staats- und Parteistellen diese in geeigneter Weise vorhalten zu können. Das Erzbischöfliche Ordinariat sah sich im Juni 1937 auch veranlasst, dem Klerus als Instrument gegen entsprechende Parteipropaganda eine Statistik der gerichtlich verfolgten Sittlichkeitsdelikte von Geistlichen und Ordensleuten innerhalb der Erzdiözese mit der Maßgabe zu überlassen, »entsprechenden Gebrauch« davon zu machen.226 Dieser zufolge waren seit dem 1. Januar 1933 drei Weltgeistliche zu Gefängnisstrafen von eineinhalb und zwei Jahren verurteilt worden,227 ein weiteres Verfahren war noch nicht abgeschlossen, ferner waren sechs Ordensgeistliche in Verfahren verwickelt, davon einer bereits verurteilt. Mithin waren bis 1937 mindestens drei Geistliche der Erzdiözese in die Sittlichkeitsprozesse verstrickt. In der Studie von Hockerts konnten zwischen Januar 1933 und dem Ende der großen Welle der Sittlichkeitsprozesse im Juli 1937, deutschlandweit insgesamt 94 Verfahren gegen katholische Weltgeistliche wegen Vergehen gegen den § 175 nachgewiesen werden, mindestens 57 der Verfahren endeten mit einer Verurteilung.228 Insgesamt waren Kleriker von Sittlichkeitsvergehen wesentlich stärker betroffen als der Schnitt der Normalbevölkerung.229 Ob dies allein darauf zurückzuführen war, dass der Klerus wesentlich stärker im Fokus der Beobachtung durch die Gestapo stand, sei dahingestellt. Zwei gut dokumentierte Vorkommnisse, die beide noch in die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg zurückreichen, sollen nun näher betrachtet werden, um Rückschlüsse auf das Verhalten homosexuell veranlagter und zugleich sexuell aktiver Geistlicher und den Umgang der Oberbehörden mit diesen zu ziehen. Im ersten Fall wurde der 225 Vgl. etwa AEM, Ordinariatssitzungsprotokolle vom 04. 06. 1937 und vom 15. 10. 1937. 226 AEM, Ordinariat, Rundschreiben und Erlasse 1933–1945, Rundschreiben des EOM an den Klerus der Erzdiözese vom 08. 06. 1937 (GV-Nr. 7006). 227 Davon gehörte ein Geistlicher nicht der Erzdiözese München und Freising, sondern der Diözese Trier an. 228 Vgl. Hockerts, Sittlichkeitsprozesse, 53 f. 229 Obgleich Bischof Konrad von Preysing in einer zeitgenössischen Eingabe an Reichskirchenminister Kerrl betonte, es handle sich bei den verurteilten Priestern um lediglich 0,44 Prozent der im Kirchlichen Handbuch 1935/36 angeführten Gesamtzahl von 21.461 Weltgeistlichen, eine Zahl die auch Hockerts, Sittlichkeitsprozesse, 54 Anm. 433 unkommentiert wiederholt, muss diese in Relation zur Gesamtbevölkerung gesehen werden. Zwischen 1933 und 1937 wurden in Deutschland insgesamt 19.434 Erwachsene und Jugendliche nach den §§ 175, 175a und 175b Reichsstrafgesetzbuch verurteilt (vgl. Baumann, Paragraph 175, 61) demgegenüber stand 1937 eine Reichsbevölkerung von 67,8 Millionen Einwohnern (vgl. Hubert, Deutschland im Wandel, 330). Zieht man hiervon die vom § 175 nicht betroffenen Frauen ab und setzt die verbleibenden rund 33 Millionen Männer in Relation zur Gesamtzahl der Verurteilten, ergibt sich, dass bis zu diesem Zeitpunkt rund 0,057 Prozent der männlichen Reichsbevölkerung nach einem der oben genannten Paragraphen verurteilt wurde, d. h. etwa einer von rund 1.745 Männern und Jugendlichen. Hingegen ergibt sich bei den Weltgeistlichen – selbst wenn man nur die 57 mit Sicherheit Verurteilten heranzieht – eine mindestens 4,6fach höhere Betroffenheit von Vergehen nach § 175 (nämlich 1 zu < 376) als in der männlichen Normalbevölkerung. Die männlichen Laienbrüder, bei denen die Zahlen der Verurteilten im Verhältnis zu ihrer Gesamtzahl nach Hockerts, Sittlichkeitsprozesse, 48–53 erheblich höher lagen, sind hier nicht berücksichtigt. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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ursprünglich aus der Würzburger Diözese stammende Benefiziat und Religionslehrer an den städtischen Gewerbeschulen, Josef G.230, der Päderastie und widernatürlichen Unzucht mit einem 16-jährigen Kellnerlehrling angeklagt.231 G. machte daraufhin einen »seine freie Willensbestimmung ausschließenden Zustande krankhafter Störung der Geistestätigkeit«232 geltend, stritt die Tat aber nicht ab. Das Ordinariat mochte sich dieser Sichtweise auf Nachfrage der Staatsanwaltschaft nicht anschließen und vermeinte, »G. legte zwar ein auffallend exaltiertes Wesen an den Tag, aber Wahrnehmungen, welche auf eine anormale oder krankhafte Geistesbeschaffenheit schließen ließen wurden an ihm nicht gemacht.«233 Für den Fall einer sofortigen freiwilligen Resignation »mit Rücksicht auf die Ehre des ganzen Priesterstandes«, bot man G. eine »entsprechende Sustentation aus Mitteln des Emeritenfonds […] bis zur definitiven Regelung seiner zukünftigen Verhältnisse« an.234 Das oberhirtliche Bemühen, den Fall, über den bereits die Presse berichtete, nicht zu einem dauerhaften Ärgernis werden zu lassen, ist auch hier deutlich zu erkennen. G. gab sein geistliches Amt jedoch nicht auf und plädierte vor Gericht weiterhin auf Unzurechnungsfähigkeit, womit er tatsächlich Erfolg hatte – das Strafverfahren beim Landgericht München I wurde im September 1913 aus diesem Grund eingestellt. Im Ordinariat versuchte man G. daraufhin zur freiwilligen Resignation zu bewegen und versprach gleichzeitig für seinen Unterhalt zu sorgen.235 Gegenüber der Regierung äußerte das Ordinariat die Absicht, G. im Priesterhaus in Dorfen unterzubringen.236 G. resignierte schließlich tatsächlich und ließ sich auch in das Dorfener Priesterhaus einweisen. Doch nur wenige Tage später griff eine Polizeistreife G. nachts um ½ 3 Uhr zusammen mit einem arbeitslosen Bäcker in den Isaranlagen Münchens auf, »es kamen dabei Dinge vor, die als schwer unsittlich bezeichnet werden müssen.«237 Das Ordinariat

230 Josef G., geb. am 26. 07. 1873 in Wiesentheid, Priesterweihe 1898 in Würzburg, Kaplan in Großthal (Diözese Würzburg), 1901 Präfekt am Studienseminar Julianeum in Würzburg, 1905 Lokalkaplan in Untereuerheim (Diözese Würzburg), 1908 Wechsel in die Erzdiözese München und Freising, Inhaber des Knöbl- und des Weinschenk-Benefiziums bei St. Peter in München und Katechet an den städt. Gewerbeschulen, 1913 Resignation auf die Benefizien, Kommorant im Priesterhaus Dorfen, 1915/16 Feldgeistlicher bei der Marine während des Ersten Weltkriegs, 1916 Einweisung in das Priesterhospiz St. Augustin in Neuburg an der Donau, 1918 Lazarettgeistlicher in Nürnberg, 1919 Verweser der Expositur Kleinmünster (Diözese Würzburg), 1937 Versetzung in den Ruhestand, fortan Kommorant in Münnerstadt (Diözese Würzburg), gest. am 09. 10. 1947; vgl. Schematismus 1912, 45; Schematismus 1950, 338; AEM, Priesterpersonalakten P III 483. 231 Der Vorfall ist dokumentiert in AEM, NL Thalhamer, Sittlichkeitsdelikte, Josef G. 232 AEM, NL Thalhamer, Sittlichkeitsdelikte, Josef G., Staatsanwaltschaft München an EOM vom 07. 07. 1913. 233 Ebenda, EOM an Staatsanwaltschaft München vom 11. 07. 1913. 234 Ebenda, EOM an Josef G. vom 22. 07. 1913. 235 Ebenda, EOM an Josef G. vom 16. 09. 1913. 236 Ebenda, EOM an Regierung von Oberbayern vom 17. 09. 1913. 237 Ebenda, EOM an Josef G. vom 01. 10. 1913. Eine erneute Strafanzeige erfolgte jedoch nicht – dies zeigt das enge Zusammenspiel von Behörden und Kirchenleitung in dieser Zeit. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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entzog G. daraufhin die facultas celebrandi bis auf weiteres.238 Davon war G. schwer getroffen, denn am 22. Oktober richtete er ein äußerst reumütiges und demutsvolles Gnadengesuch an Erzbischof Bettinger mit der Bitte, ihm die Zelebration wieder zu gestatten und ihn erneut in der Seelsorge zu verwenden.239 Bettinger zeigte hierzu zunächst wenig Neigung.240 Ein Schreiben des Priesterhausdirektors, in welchem dieser gegenüber Bettinger die Befürchtung äußerte, G. beabsichtige möglicherweise Selbstmord zu begehen241, führte jedoch zu einer milderen Stimmung des Oberhirten. Am 7. November 1913 erteilte der Generalvikar G. die Erlaubnis zur Zelebration in der Hauskapelle des Priesterhauses, ferner legte man ihm nahe, »sich auf einige Zeit zur Beobachtung seines geistigen Zustandes in die Heil- und Pflegeanstalt Eglfing zu begeben.«242 Ein neuerliches, in höchst gedrechselten Worten demütig vorgetragenes Gesuch G.s um Wiederverwendung in der Seelsorge, welches Erzbischof Bettinger Anfang Dezember 1913 erreichte, stieß bei diesem auf keine positive Resonanz.243 Der Erste Weltkrieg bot G. dann die Möglichkeit, sich als Marinefeldgeistlicher zu bewähren. Zu einer endgültigen Übernahme in die Marineseelsorge kam es jedoch nicht, vermutlich war seine Vorgeschichte in der Feldpropstei bekannt geworden.244 G. bewarb sich daraufhin um Wiederaufnahme in der Diözese Würzburg. Dort lehnte man sein Ansinnen, nachdem der Würzburger Generalvikar sich den Personalakt hatte zusenden lassen, zunächst ab245, doch änderte sich die Meinung drei Jahre später, woraufhin G. eine kleine Expositurstelle im Bistum Würzburg erhielt.246 Diese verrichtete G. 18 Jahre scheinbar ohne Aufsehen, bevor er 1937 auf eigenen Antrag unter 238 Ebenda, EOM an Priesterhausdirektion Dorfen vom 01. 10. 1913. Die Zelebrationserlaubnis war G. aber bereits zuvor im Zusammenhang mit der Suspension entzogen worden, durch die neuerliche Verfügung verlängerte sich dieser Entzug auf unbestimmte Zeit. 239 AEM, NL Thalhamer, Sittlichkeitsdelikte, Josef G., G. an Erzbischof Bettinger vom 22. 10. 1913. 240 Bereits die mit dickem Rotstift vorgenommenen Markierungen in diesem Schreiben durch den Empfänger, etwa die doppelte Unterstreichung des Wortes »Seelsorge«, das zudem mit einem Ausrufezeichen versehen wurde, lassen erahnen, dass von oberhirtlicher Seite wenig Neigung bestand, den Bitten G.s nachzukommen, diese vielmehr – zumal nur wenige Wochen nach einer erneuten Verfehlung – als Affront begriffen wurden. 241 AEM, NL Thalhamer, Sittlichkeitsdelikte, Josef G., Priesterhausdirektion Dorfen an Erzbischof Bettinger vom 04. 11. 1913. 242 AEM, NL Thalhamer, Sittlichkeitsdelikte, Josef G., EOM an Priesterhausdirektion vom 07. 11. 1913. Vorsorglich merkte man zugleich an, dass die Oberbehörde die Kosten hierfür nicht tragen könne. Zugleich äußerte der Generalvikar über das Verhalten G.s sein deutliches Befremden: »Wir würden uns von der Bußgesinnung des Genannten weit mehr überzeugen, wenn derselbe in Demut und Ergebung die wohlverdiente Buße tragen würde statt seines fortgesetzten ungestümen Drängens um Aufhebung der verhängten Strafe.« 243 AEM, NL Thalhamer, Sittlichkeitsdelikte, Josef G., G. an Erzbischof Bettinger vom 30. 11. 1913. 244 AEM, Priesterpersonalakten P III 483, Feldpropst an EOM vom 06. 02. 1916. 245 AEM, Priesterpersonalakten P III 483, Bischöfliches Ordinariat Würzburg an EOM vom 05. 06. 1916. Die Zuständigkeit für G. wurde zwischen den Diözesen hin und her geschoben. Zeitweilig setzte sich kurioserweise sogar der Zentrumsabgeordnete Matthias Erzberger für G. ein; vgl. ebenda, Erzberger an Bettinger vom 14. 11. 1916. 246 Schematismus 1950, 338. Er blieb aber Priester der Erzdiözese München und Freising. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Vorlage einiger ärztlicher Gutachten, die ihm Dienstunfähigkeit bescheinigten, in den Ruhestand versetzt wurde.247 Ob dies zufällig im Jahr der Sittlichkeitsprozesse geschah, bleibt unklar. Erneute Verstöße gegen den § 175 sind nicht bekannt geworden.248 Auf dem Schreiben, welches an die für die Versorgungsbezüge von Ruhestandsgeistlichen zuständige Diözesanemeritenanstalt gerichteten war, hatte ein umsichtiger Bearbeiter im Erzbischöflichen Ordinariat mit Bleistift den Vermerk »nicht ins Amtsblatt!« angebracht.249 Offenbar sollte verhindert werden, dass der Name des Geistlichen unnötigerweise noch einmal in der Öffentlichkeit, und sei es nur im kirchlichen Amtsblatt, auftauchte. G. trat eine Kommorantenstelle in Münnerstadt (Bistum Würzburg) an, hier verstarb er am 9. Oktober 1947.250 Gleichfalls in das Jahr 1913 reicht ein homosexuell motiviertes Sittlichkeitsvergehen des Benefiziums-Verwesers in Maria Egg, Klemens B.251 zurück. B., zum Zeitpunkt des entsprechenden Vorfalls 39 Jahre alt, bedrängte auf dem Pissoir einer Gastwirtschaft wiederholt den ihm zuvor offenbar unbekannten Johann P.252 B. wurde zu 247 Vgl. AEM, Priesterpersonalakten P III 483, vier ärztliche Gutachten aus dem Jahr 1937. Im Jahr 1937 versucht die Diözese Würzburg den Ruheständler, der sich in einem Würzburger Bürgerspital zur Ruhe zu setzen beabsichtigte, erneut in die Erzdiözese München und Freising zurück zu empfehlen, vgl. BO Würzburg an EOM vom 10. 09. 1937. München antwortete hierauf ablehnend: »… im Hinblick auf die kurze Zeitdauer von 6 Jahren, die er bei uns weilte, u[nd] auf die Begleitumstände seiner Resignation, möchten wir dringend wünschen, dass er in seiner Heimatdiözese verbleiben könnte.« Ebenda, Reskript vom 14. 09. 1937. Der unliebsame Geistliche wurde hin- und hergeschoben, wie die sprichwörtliche heiße Kartoffel. 248 Im Archiv des Bistums Würzburg gibt es keine Akten über G., nur Einträge in der Klerikerkartei und in den Personalschematismen, freundliche Auskunft von Archivoberrat Dr. Norbert Kandler, Archiv des Bistums Würzburg, vom 14. 11. 2008 an den Verfasser. 249 Vgl. AEM, Priesterpersonalakten P III 483, G. an Diözesanemeritenanstalt München vom 27. 06. 1937. Stellenwechsel und Ruhestandsversetzungen von Geistlichen wurden normalerweise im Amtsblatt veröffentlicht. 250 Vgl. ebenda, BO Würzburg an EOM vom 10. 10. 1947. 251 Klemens B., geb. am 24. 08. 1873 in München, Priesterweihe 1898 in Freising, Kooperatur-Verweser in Egmating, 1899 Kooperatur-Verweser in Vilsheim, 1905 Benefiziums-Verweser in Esting, 1906 Expositus in Adelshofen, 1912 Benefiziums-Verweser von Maria-Egg in Peiting, 1913 Kommorant in Schönbrunn, 1915 Benefiziums-Verweser in Unterweilbach, 1933 Benefiziums-Verweser in Schwindegg, 1937 Kommorant ebenda, gest. am 28. 01. 1944; vgl. Schematismus 1939, 15 u. 212; Schematismus 1944, 64; AEM, Priesterpersonalakten P I Klemens B. 252 Laut Gerichtsprotokoll ereignete sich der Vorfall folgendermaßen: B. traf »am Samstag, den 19. April 1913 mit dem Zeugen Johann P[…] in der Wirtschaft zum Neuwirt in Peiting zusammen. Der Angeklagte fasste sinnliche Neigung zu P[…]. Als dieser in das Pissoir ging, folgte der Angeklagte ihm und schenkte ihm, ohne ein Wort zu sagen, eine Mark. Als P[…] eine Viertelstunde darnach aus der Wirtschaft ging, folgte ihm der Angeklagte wieder, gab ihm vor der Türe des Gastlokales wieder eine Mark und gab ihm auch einen Kuss, indem er zu ihm sagte, er solle nächsten Samstag wieder kommen. Am Samstag, den 26. April 1913 trafen die Beiden beim Neuwirt in Peiting wieder zusammen. Auch diesmal folgte der Angeklagte dem Johann P[…] auf den Abort nach, als dieser hinausging und gab ihm wieder eine Mark und küsste ihn auch. Als Johann P[…] abermals austreten musste, ging ihm der Angeklagte wieder nach. Als nun P[…] seine Notdurft verrichtet hatte, packte ihn der Angeklagte vorne am Rock, drückte ihn an die Wand und zog ihn © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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14 Tagen Gefängnis verurteilt,253 das Strafmaß erscheint, angesichts der Mindeststrafe bei Vergehen nach § 175 von nur einem Tag, nicht außergewöhnlich. Die homosexuelle Veranlagung B.s ließ sich bereits vor diesem Vorfall aus seinen Zeugnissen herauslesen. So war bereits in seiner ersten dienstlichen Beurteilung bemerkt worden, »seine schwärmerischen Anlagen bedürfen einiger Überwachung, dass er nicht auf Irrwege gerate«.254 Bereits unmittelbar nachdem die Anklage gegen B. erhoben worden war, wurde dieser aus Maria Egg abberufen und nach Schönbrunn verbracht.255 Das Ordinariat schrieb hierzu an Anstaltsdirektor Noescher in Schönbrunn: Nachdem genannter Priester wegen Vergehens der widernatürlichen Unzucht und wegen Vergehens gegen die Sittlichkeit zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden ist, ist es momentan unmöglich demselben irgendeine kirchliche Anstellung zu geben. Statt den Priester B. in das Priesterhaus in Dorfen zu weisen, wird ihm mit Zustimmung des Herrn Direktor erlaubt, in Schönbrunn zu kommorieren. Der Herr Direktor hat jedoch das Betragen des Genannten sorgfältig zu überwachen und von Zeit zu Zeit hierüber zur oberhirtlichen Stelle Bericht zu erstatten.256

Bereits am 13. August teilte Direktor Noescher mit, dass B.s Schwester sich derzeit in Schönbrunn um ihn kümmere, er sich gut führe, aber unter Geldsorgen leide, da er von seiner Stelle in Peiting her noch Schulden habe. Deswegen habe er mehrere befreundete Priester um Unterstützung gebeten, die diese ihm auch gewährt hätten.257 Zum 1. Januar 1915, also knapp 1 ½ Jahre nach dem Verbüßen seiner weltlichen Strafe, erhielt B. die Stelle eines Benefiziums-Verwesers in Unterweilbach, das nur wenige Kilometer von Schönbrunn entfernt lag. Vermutlich war dies kein Zufall, sondern Ausdruck des Bemühens, ihn in der Nähe der Anstalt unter einer gewissen Kontrolle zu halten. Dies scheint auch notwendig gewesen zu sein, denn im Qualifikationsmit den Worten: ›Da ist nichts‹ in die Ecke des Aborts. Dort knüpfte der Angeklagte dem P[…] den Hosenlatz auf, nahm das Glied des P[…] in die Hand, dann steckte er sein eigenes erregtes Glied dem P[…] in den Hosenlatz, machte mit seinem Glied Stossbewegungen gegen P[…] und rieb auch an demselben, bis es bei ihm zum Samenerguss kam. P[…] verhielt sich dabei gänzlich passiv, sein Glied war auch nicht erregt. Er getraute sich nicht, den Angeklagten abzuwehren, da ihn der Respekt vor dem Geistlichen und Furcht vor Misshandlung davon abhielt. Er nahm aber an der Tat des Angeklagten Ärgernis. Der ganze Vorfall spielte sich in dem jedermann zugänglichen Abort ab«; vgl. AEM, NL Thalhamer, Sittlichkeitsdelikte, Klemens B./Adolf D., Abschrift des Urteils des Landgerichts Kempten gegen Klemens B. vom 01. 08. 1913. 253 Ebenda. 254 AEM, Priesterpersonalakten P I Klemens B., Qualifikations-Noten vom 21. 08. 1899. Der Terminus »schwärmerische Anlagen« kann hier als Umschreibung einer homosexuellen Neigung gedeutet werden. 255 Vgl. Schematismus 1939, 200. Die chronologische Übersicht der Säkularpriester vermerkt für diesen Zeitraum den Status »Kommorant«, d. h. B. war in den zeitlichen Ruhestand versetzt worden. 256 AEM, NL Thalhamer, Sittlichkeitsdelikte, Klemens B./Adolf D., EOM an Anstaltsdirektor Noescher vom 12. 08. 1913. 257 Ebenda, Anstaltsdirektor Noescher an EOM vom 13. 08. 1913. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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zeugnis vom 1. Juni 1916 ist bereits wieder von einem »Rückfall«258 die Rede. Die Zeugnisse der Folgejahre weisen keine Auffälligkeiten mehr auf, das sittliche Betragen B.s wird stets als »sehr gut« beurteilt, was aber auch in den mangelnden Kenntnissen seiner jeweiligen Vorgesetzten über seine homosexuellen Aktivitäten begründet sein mag.259 Nach 18 Jahren in Unterweilbach wurde B. im Mai 1933 »wegen Krankheit«260 in den zeitlichen Ruhestand versetzt und mit der Stelle eines nebenamtlichen Benefiziums-Verweser in Schwindegg betraut, zwei Jahre später folgte die dauernde Ruhestandsversetzung.261 Infolge einer Anzeige bei der Gestapo wurde der inzwischen 68-jährige Geistliche am 17. Dezember 1941 in Schwindegg verhaftet.262 B. hatte mit einem seiner ehemaligen Ministranten, dem 18-jährigen Mechaniker Andreas H., im Sommer 1941 gegen Bezahlung u. a. mehrfach Fellatio praktiziert.263 B. gab die gegen ihn vorgebrachten Anschuldigungen in einer Vernehmung am 18. Dezember zu und räumte sogar noch frühere, weiter zurückliegende Vorfälle ein.264 Der Sachverhalt war dem Ordinariat zu diesem Zeitpunkt bereits seit mehreren Monaten durch die vertrauliche Mitteilung eines Ruhestandsgeistlichen bekannt gewesen.265 Generalvikar Buchwieser hatte daraufhin den Ortspfarrer Jakob Engl266 mit vertraulichen Erkundigungen betraut267, offenbar war auch eine neuerliche Versetzung B.s geplant.268 Nach längeren Ermittlungen, während derer B. und der Mitangeklagte Andreas H. in Untersuchungshaft saßen, eröffnete die Strafkammer beim Landgericht Traunstein im April 1942 gegen beide das Strafverfahren.269 Am 4. Mai 1942 wurden beide 258 AEM, Priesterpersonalakten P I Klemens B., Qualifikations-Noten vom 01. 06. 1916. 259 Aus dem späteren Urteil des Landgerichts Traunstein gegen B. ergibt sich, dass es nach der Verbüßung der Haftstrafe während des Ersten Weltkriegs zu zwei amtsbekannt gewordenen Vorfällen gekommen war; vgl. StA München, Staatsanwaltschaften 15890, Urteil der Strafkammer des Landgerichts Traunstein vom 04. 05. 1942. 260 AEM, Priesterpersonalakten P I Klemens B., Übersicht über die Versetzungen. 261 Der Versetzung lagen nach Ausweis des Personalakts neben ernsthafteren gesundheitlichen Problemen auch Streitigkeiten mit Laien in Unterweilbach und einige wirre, schwer einzuordnende politische Äußerungen B.s, aber keine sexuellen Verfehlungen zugrunde. 262 Die Vorgänge sind umfassend dokumentiert im Personalakt B.s im AEM. 263 AEM, Priesterpersonalakten P I Klemens B., Bericht der Geheimen Staatspolizei vom 17. 12. 1941. 264 Ebenda, Vernehmungsprotokoll der Geheimen Staatspolizei vom 18. 12. 1941. 265 Ebenda. 266 Jakob Engl, geb. am 13. 07. 1899 in Jakobrettenbach, 1924 Priesterweihe in Freising, Kaplan in Mittenwald, 1926 Kooperator in Jarzt, Pfarrvikar in Kollbach, Koadjutor in Achdorf, 1928 Kaplan bei St. Margaret in Landshut, Krankenhaus-Benefiziums-Verweser in Bad Tölz, 1930 Prediger in Erding, 1936 Kaplaneibenefiziumsverweser daselbst, 1939 Pfarrer in Obertaufkirchen, 1969 frei resigniert, Kommorant daselbst, gest. am 13. 02. 1982; vgl. AEM, Priesterpersonalakten P III 345. 267 Vgl. AEM, Nationalsozialistische Verfolgung katholischer Geistlicher, Fragebogen A, Jakob Engl, Anlage. 268 AEM, Priesterpersonalakten P I Klemens B., Vernehmungsprotokoll der Geheimen Staatspolizei vom 18. 12. 1941. 269 AEM, Priesterpersonalakten P I Klemens B., Eröffnungsbeschluss vom 09. 04. 1942. In das Verfahren wurde auch ein weiteres Vergehen B.s aus dem Frühjahr 1941 einbezogen. In diesem Fall hatte sich B. einem 18-jährigen Friseurgehilfen »unsittlich genähert«; er hatte versucht, diesen © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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für schuldig befunden, B. wurde zu einer Strafe von zwei Jahren und sechs Monaten Zuchthaus, abzüglich der viermonatigen Untersuchungshaft verurteilt, die bürgerlichen Ehrenrechte wurden ihm für die Dauer von drei Jahren aberkannt.270 B. verstarb am 28. Januar 1944, vermutlich noch während der Haft, die erst im Juli 1944 beendet gewesen wäre – der Schematismus der Erzdiözese führte ihn, seinen Aufenthaltsort verschweigend, bis zuletzt als »Kommorant in Schwindegg«.271 In diesen beiden – wie auch in anderen Fällen – sind wiederum einige Grundmuster erkennbar. Gerade im Fall von Sexualdelikten ist das Verlangen nach Tabuisierung und Geheimhaltung der vorgefallenen Ereignisse absolut prioritär. Die vorübergehende Detention bzw. Konfinierung des Täters erfüllt die Doppelfunktion, diesen einerseits vom Tatort zu entfernen und damit möglichen Angriffen gegen ihn (und gegen die Kirche) zu entziehen, ihn andererseits zugleich zur Besinnung und Einkehr zu bringen. Im Falle von durch den Geschlechtstrieb motiviertem Verhalten war letzteres selten erfolgreich. Bei der späteren Wiederverwendung der auf diese Weise straffällig gewordenen Geistlichen scheinen diese überwiegend auf abgelegenen Außenposten eingesetzt worden zu sein, schon deshalb, da ihre Mobilität dort stärker eingeschränkt war. Durchaus denkbare Maßnahmen, auffällige oder ehemals straffällige Geistliche unter verstärkte Beobachtung zu stellen, etwa außerplanmäßige Visitationen zu halten, oder die Berichtspflicht der Vorgesetzten zu intensivieren, gab es eher selten und wenn, dann stets nur für einen befristeten Zeitraum. Das Zeigen von Einsicht, Reue, Bußfertigkeit und Umkehrbereitschaft der Täter öffnete in aller Regel die Herzen der Vorgesetzten und führte zur Milderung oder vorzeitigen Rücknahme verhängter Bußen, Straf- und Kontrollmaßnahmen. Den Ausschluss aus dem Klerikerstand hatte ein auf diese Weise straffällig gewordener Geistlicher jedenfalls nicht zu befürchten. Es lässt sich vielmehr eine gewisse Diskrepanz zwischen der Härte der kirchlichen Morallehre hinsichtlich der Qualifizierung der Homosexualität als Todsünde und dem praktischen Umgang mit homosexueller Veranlagung in den eigenen Reihen ausmachen, zumal – etwa im Falle B.s – dessen Neigung durchaus bereits bekannt war, noch bevor es zu Verfehlungen kam. Für seine priesterliche Laufbahn hatte dies jedoch keine grundsätzlichen Konsequenzen.

durch hohe Trinkgelder und Essenseinladungen gefügig zu machen, ihn geküsst und »über den Kleidern in der Gegend des Geschlechtsteils« unsittlich betastet; vgl. StA München, Staatsanwaltschaften 15890, Urteil der Strafkammer des Landgerichts Traunstein vom 04. 05. 1942. 270 Vgl. StA München, Staatsanwaltschaften 15890, Urteil der Strafkammer des Landgerichts Traunstein vom 04. 05. 1942. Andreas H. erhielt eine sechsmonatige Gefängnisstrafe. 271 Schematismus 1944, 64. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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5.3.4 Abweichung infolge psychischer Erkrankung: Der Fall des Priesters Richard H. als tragisches Exempel Die Erregung von Anstoß und Aufsehen, welche sich auf das Ansehen des Klerikerstandes nachteilig auswirken hätte können, sollte auch bei geistig kranken Priestern tunlichst vermieden werden. Insofern blieb innerhalb der Kirche bis in das 20. Jahrhundert hinein ein relativ einheitlicher Umgang mit sozial devianten, kriminellen und psychisch kranken Priestern üblich.272 Wie in Dorfen wurden auch in Mariabrunn nicht nur Straffällige und Suchtkranke, sondern auch Geistliche mit leichteren psychischen Auffälligkeiten untergebracht. Priester mit schwereren psychischen Störungen und Erkrankungen brachte man, sofern der einzelne Fall es zuließ, in der von Franziskanerinnen geführten Assoziationsanstalt Schönbrunn273, im Erholungsheim Malseneck der Alexianer bei Kraiburg am Inn274, oder in ähnlichen Anstalten in anderen Diözesen, etwa in der kirchlichen Heil- und Pflegeanstalt Rottenmünster in Württemberg275 unter. Nur die schwersten Fälle, bei denen die Unterbringung in einer geschlossenen Abteilung erforderlich war, wurden in staatliche Heil- und Pflegeanstalten verlegt, vor allem in die Anstalt Eglfing-Haar bei München.276 In manchen Fällen ergaben sich priesterliche Anstaltsschicksale wie dasjenige von Franz W.277 aus München, der an einer Form der Enzephalitis litt. Bereits 1931, nur ein Jahr nach seiner Weihe, kam W. im Alter von 25 Jahren nach Mariabrunn und verblieb dort bis zu seinem Tod im Jahr 1957.278 Etwa zwei Drittel der kranken Priester in Mariabrunn verblieb bis zum Tod 272 Aus diesem Grund ist den psychisch kranken Priestern in der Typologie des abweichenden Verhaltens ein eigener Abschnitt gewidmet; zur Frage der gesellschaftlichen Exklusion von Geisteskranken vgl. noch immer Foucault 1973; zur Thematik Zwangsbehandlung und Unfreiheit Schott/Tölle 2006, 240–252. 273 Vgl. Anstalt Schönbrunn, 125 Jahre Anstalt Schönbrunn; speziell zu den Entwicklungen während des Nationalsozialismus Krischer, Kinderhaus. 274 Schloss Malseneck dient seit 1922 als Wohnheim für behinderte Menschen und wird von der Brüdergemeinschaft der Alexianer betrieben, die traditionell in der Krankenpflege engagiert ist; vgl. Schematismus 1939, 141. Den Schematismen ist jeweils jahrgangsweise zu entnehmen, welche Geistlichen sich dort aufhielten; sie stammten überwiegend aus auswärtigen Diözesen. 275 Das ehemalige, 1803 säkularisierte Zisterzienserkloster Rottenmünster, beherbergte seit 1898 eine Heil- und Pflegestätte für geisteskranke Menschen, die vom Orden der Schwestern vom Hl. Vinzenz von Paul betrieben wurde. Aktenbestände zum Betrieb der Anstalt und zu den Patienten befinden sich im Staatsarchiv Ludwigsburg, E 163, Bü 857–860, zur Geschichte vgl. Reichenmiller, Rottenmünster. 276 Vgl. zu deren Geschichte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, den Therapieansätzen und Lebensbedingungen der Patienten sehr ausführlich Richarz, Heilen, Pflegen, Töten. 277 Franz W., geb. am 11. 02. 1906 in München, 1930 Priesterweihe in Freising, Kooperatur-Verweser in Allershausen, Aushilfspriester in Hörgertshausen und Pfaffenhofen/Ilm, 1931 wegen Krankheit in den zeitlichen Ruhestand versetzt, Aufenthalt im Priesterheim Mariabrunn, wirkte in Schönbrunn zeitweise als Kaplan, gest. am 27. 02. 1957 in Schönbrunn; vgl. Schematismus 1939, 12 und 301; AEM, Priesterpersonalakten P III 1889. 278 ZAFWS, 4.1.5.3, 4/1956 Franz W. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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dort, vom übrigen Drittel kehrten einige nach Besserung in die Seelsorge zurück. Einige Geistliche mussten aufgrund des Krankheitsverlaufs in andere Anstalten verlegt werden. Zu diesen Geistlichen gehörte Matthäus M.279, dessen Wahnvorstellungen sich seit seiner Verbringung nach Mariabrunn so sehr verschlimmert hatten, dass er im Januar 1925 nach knapp dreimonatigem Aufenthalt »wegen Selbst- und Gemeingefährlichkeit in die Heilanstalt nach Eglfing verbracht werden musste.«280 Auch der schizophrene Geistliche Wilhelm H.281, der 1937 erstmals nach Schönbrunn gebracht worden war, konnte hier zunächst nur wenige Monate verbleiben und wurde im August 1937 wegen seines Verhaltens vorübergehend wieder in die staatliche Psychiatrie, dann nach Rottenmünster verlegt282, bevor er auf Veranlassung des Ordinariats im Dezember 1940 von dort wiederum nach Schönbrunn zurück verlegt und in einem eigens für ihn hergerichteten Separatzimmer untergebracht wurde.283 Hier verstarb er im Mai 1942 an den Folgen einer Lungenentzündung.284 Die Bewertung psychisch Kranker als »lebensunwertes Leben« durch die nationalsozialistischen Behörden brachte für die betroffenen Priester eine Reihe von Bedrohungen mit sich. Dass offenbar kein Kleriker der Erzdiözese München und Freising aufgrund der Verfolgung psychisch Kranker unmittelbar ermordet wurde, ist Zufall, aber nicht Ergebnis einer rationalen Entscheidung der staatlichen Behörden. Kleriker genossen keinen gesonderten Schutz vor dem zeitgenössischen Erbgesundheitswahn, von den entsprechenden gesetzlichen Maßnahmen waren sie im selben Umfang betroffen wie die übrige Bevölkerung. Jedoch war es in bestimmten Umfang möglich, Kleriker dem Zugriff des Staates zumindest partiell zu entziehen und zwar vor allem dann, wenn kirchliche Institutionen sich bereit erklärten, einen von staatlicher Seite als unnützen Esser qualifizierten Kranken aufzunehmen und eigenverantwortlich zu umsorgen. Fiel diese Solidarität aus, waren die entsprechenden Geistlichen Zugriff und Methoden des staatlichen Apparates schutzlos preisgegeben. Besonders deutlich wird dies im gut dokumentierten tragischen Fall des schizophrenen Priesters Richard H.285 Nach der Priesterweihe im April 1936 hatte 279 Matthäus M., geb. am 17. 03. 1859 in Schleißheim, Priesterweihe 1884 in Freising, gest. am 31. 07. 1926; vgl. Schematismus 1926, 60. Der Personalakt des AEM ist nicht erhalten. 280 ZAFWS, 4.1.5.2, 2/1925 Matthäus M., Anstaltsdirektor Steininger an EOM vom 21. 11. 1926. 281 Wilhelm H., geb. am 24. 12. 1905 in Augsburg, Priesterweihe 1933, Koadjutor in Vachendorf, spätestens 1937 an Schizophrenie erkrankt, Aufenthalte in verschiedenen Heil- und Pflegeanstalten, gest. am 06. 05. 1942; vgl. Schematismus 1935, 84; der Personalakt des AEM ist nicht erhalten. 282 ZAFWS, 4.1.5.2, 3/1937 Wilhelm H., Personalbogen. 283 ZAFWS, 4.1.5.3., 3/1942 Wilhelm H., Anstaltsdirektor Steininger an Emma H. vom 14. 01. 1941. 284 ZAFWS, 4.1.5.3., 3/1942 Wilhelm H., Übersicht. 285 Dieser, geboren 1906 als Sohn eines Konditormeisters in Laufen an der Salzach, studierte nach dem Abitur in Metten seit 1929 mittels eines Stipendiums der Studienstiftung des deutschen Volkes am Canisianum in Innsbruck, 1935 wurde er ebenda zum Dr. theol. promoviert, im November 1935 trat er in das Freisinger Klerikalseminar ein; vgl. AEM, Priesterpersonalakten P III 688, Noten und Zeugnisse. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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der äußerst begabte H. wie üblich verschiedene Stellen als Aushilfspriester inne und kam schließlich im Oktober 1936 nach Berglern bei Erding.286 Dort fühlte H. sich verfolgt und beobachtet, er hatte plötzlich Angstzustände und befürchtete, man beabsichtige ihn zu vergiften.287 Im November desselben Jahres wurde er mit der Diagnose Schizophrenie in die geschlossene psychiatrische Abteilung des Städtischen Krankenhauses München-Schwabing eingeliefert. Nach anfänglicher Hoffnung auf baldige Besserung der Situation verdüsterten sich die ärztlichen Prognosen. Im Februar 1937 teilte der behandelnde Arzt dem Ordinariat mit, dass die Unterbringung in einer geschlossenen Anstalt zumindest bis auf weiteres unumgänglich sei.288 Inzwischen war auch ein Verfahren beim Erbgesundheitsgericht eröffnet worden, in welchem geprüft wurde, ob in diesem Fall eine Unfruchtbarmachung des Kranken vorzunehmen sei.289 Ende Juni wurde diese durch das Gericht tatsächlich angeordnet und obwohl H.s Vater, der als Vormund des Unmündigen eingesetzt war, widersprach und ausdrücklich erklärte, er werde seinen Sohn in eine geschlossene Anstalt verbringen lassen – gedacht war an Schönbrunn –, um dadurch aufgrund der bestehenden gesetzlichen Vorschriften die Durchführung der Sterilisation zu verhindern, wurde diese unter Umgehung der vom Gesetz vorgesehenen Einspruchsfristen Ende Juli 1937 im Krankenhaus München-Schwabing durchgeführt.290 Bereits kurz darauf kam H. in die Obhut seiner Eltern. Neun Monate später wurde er auf Anordnung des Bezirksarztes jedoch erneut in eine Irrenanstalt eingewiesen und kam so im Februar 1938 in die staatliche Anstalt Gabersee291, zwei Monaten später in das kirchliche Erholungsheim Malseneck, in dem man ihn gegen tägliche Lesung der Messe und das Abhalten

286 Vgl. Schematismus 1939, 315. 287 Vgl. AEM, Priesterpersonalakten P III 688, Psychiatrisches Gutachten des Klinischen Instituts der Deutschen Forschungsanstalt für Psychiatrie, München vom 16./17. 11. 1936. 288 Vgl. ebenda, Krankenhaus München-Schwabing an EOM vom 05. 02. 1937. 289 Vgl. ebenda, Rechtsanwalt Simon an Generalvikar Buchwieser vom 07. 04. 1937 und AEM, Ordinariatssitzungsprotokoll vom 04. 06. 1937: »Verschlechterung im Befinden H[…]s. Über Sterilisation nach Anwendung aller gesetzlichen Mittel Entscheidung durch den Vater. Eventuelle spätere seelsorgliche Verwendung cura posterior.« 290 Vgl. ebenda: Rechtsanwalt Simon an Krankenhaus München Schwabing vom 13. 08. 1937, an Generalvikar Buchwieser vom 17. 08. 1937, vom 02. 09. 1937 und vom 10. 09. 1937 (jeweils mit Anlagen). Das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses vom 14. Juli 1933, RGBl. I, 529 bestimmte in § 1: »(1) Wer erbkrank ist, kann durch chirurgischen Eingriff unfruchtbar gemacht (sterilisiert) werden, wenn nach den Erfahrungen der ärztlichen Wissenschaft mit großer Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass seine Nachkommen an schweren körperlichen oder geistigen Erbschäden leiden werden. (2) Erbkrank im Sinne dieses Gesetzes ist, wer an einer der folgenden Krankheiten leidet: 1) angeborenem Schwachsinn 2) Schizophrenie …«; vgl. zur Problematik im Hinblick auf die Kirchen auch Nowak, ›Euthanasie‹ und Sterilisierung. 291 Vgl. AEM, Ordinariatssitzungsprotokoll vom 01. 04. 1938: »Kommorant H[…] kann aus Gabersee entlassen werden. Die krankhaften Hemmungen sind aber nach wie vor vorhanden. Wiederanstellung nicht möglich«; vgl. auch ABObb, Heil- und Pflegeanstalt Eglfing-Haar, Patientenakte 1977, Richard H. (enthält auch den Nebenakt der Anstalt Gabersee). © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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der üblichen Andachten kostenfrei aufnahm.292 Da er hierzu trotz seiner Krankheit in der Lage war, scheint diese nur temporär zum Ausbruch gekommen zu sein. Jedoch blieb H. auch in Malseneck nur knapp ein halbes Jahr, bevor neue Schwierigkeiten auftraten. Das Ordinariat empfahl seinem Vater im November 1938 Richard wegen »dessen eigensinnige[n] Einfälle[n]« und aufgrund der Befürchtung »dass es einmal irgendeinen öffentlichen Skandal gibt, der nicht nur Ihrer Familie, sondern vor allem der Kirche bzw. dem Priestertum schweren Schaden zufügt«, entmündigen zu lassen.293 Ob dies geschah wird nicht deutlich, doch wurde H. am 2. Dezember 1938 nach Rottenmünster in Württemberg verlegt.294 Von dort aus kam er entweder unmittelbar, oder über eine nicht mehr nachweisbare Zwischenstation am 17. Dezember 1940 nach Schönbrunn. Seit dem Frühling 1941 wurde die Anstalt Schönbrunn infolge äußeren Drucks aber auch auf eigene Initiative des Direktors Josef Steininger systematisch umstrukturiert. Geisteskranke Patienten mussten die Häuser räumen, damit aus München evakuierte Insassen von Altenheimen und Krankenhäusern aufgenommen werden konnten. Direktor Steininger versprach sich von dieser – nach 1945 von ihm systematisch verschleierten – Politik eines aktiven Paktierens mit Einrichtungen, die Schönbrunn für Patientenverlegungen in Anspruch nahmen, einen Schutz der Anstalt vor Beschlagnahme durch NS-Institutionen.295 Den Abtransport der Schönbrunner Patienten in die staatlichen Heil- und Pflegeanstalten und deren dortige Ermordung nahm der Priester Josef Steininger als – aus seiner Sicht – vermutlich kleineres Übel, billigend in Kauf. Dass man in Schönbrunn wusste, dass die Patienten in den staatlichen Heilund Pflegeanstalten der Tod erwartet, ist sowohl durch Quellen296 als auch durch Zeitzeugenbefragungen297 eindeutig belegbar. Die erste große Phase der Patienten292 Vgl. AEM, Priesterpersonalakten P III 688, Anstaltspfarrei Gabersee an Ordinariat München vom 25. 03. 1938 und Erholungsheim Malseneck an Ordinariat München vom 07. 04. 1938. Als günstig wurde hierbei der Umstand gesehen, dass der Rektor von Malseneck, Fr. Burkard Rieber, berufliche Erfahrungen als Irrenpfleger gesammelt hatte und man auf diese Weise vermeinte, dem Kranken eine ideale Heimstätte bieten zu können (vgl. ebenda). 293 Vgl. AEM, Priesterpersonalakten P III 688, Domkapitular Grassl an Richard H. sen. vom 02. 11. 1938. 294 Vgl. ebenda: Heilanstalt Rottenmünster an Ordinariat München vom 17. 12. 1938. 295 Vgl. hierzu Krischer, Kinderhaus, bes. 135–160. Obwohl journalistisch aufbereitet und stellenweise nicht ohne Polemik, basieren die Ausführungen Krischers auf breiter Quellenbasis und deren methodisch fundierter Auswertung. Die Rechercheergebnisse Krischers wurden im Wesentlichen durch ein Forschungskolloquium unter Leitung von Diözesanarchivar Peter Pfister bestätigt, welches im Oktober 2010 in Schönbrunn stattfand. Demzufolge fielen der Zusammenarbeit Prälat Steiningers mit den nationalsozialistischen Behörden rund 900 Menschenleben zum Opfer. Der Historiker Winfried Süß sprach von »mutwilliger« Kooperation mit den Nationalsozialisten; vgl. den Pressebericht über das Kolloquium: Eitler, Schweigen der Kirche. 296 Vgl. Krischer, Kinderhaus, 217 ff., Bericht des Vorstands der Krankenfürsorge des Dritten Ordens in Bayern über die Situation in Schönbrunn und Äußerungen Steiningers (April 1944). 297 Am 16. 07. 2007 befragte der Verfasser im Auftrag des Archivs des Erzbistums München und Freising gemeinsam mit dessen Leiter Dr. Peter Pfister und der Medizinhistorikerin Tanja Kipfelsberger in Schönbrunn drei noch lebende Pflegeschwestern, die bereits in der fraglichen Zeit in Schönbrunn © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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verlegungen aus Schönbrunn fiel in das Frühjahr 1941. Im Zeitraum März bis Juli 1941 wurden insgesamt 582 Patienten von Schönbrunn nach Eglfing-Haar verlegt298, ein Teil von ihnen wurde unmittelbar von dort in die Tötungsanstalt Hartheim bei Linz gebracht und dort ermordet. Dieser ersten großen Verlegungs- und Mordaktion entging Richard H. Möglicherweise genoss er als Priester auch noch einen gewissen Sonderstatus, obwohl er aufgrund der Schwere der Krankheit nicht im Priesterheim Mariabrunn untergebracht werden konnte. Jedenfalls hatte der Selektionsarzt Schmalenbach, der am Karsamstag 1941 anhand der Patientenakten die zu Deportierenden bestimmte299, ihn nicht mit ausgewählt. Im August 1941 endete die erste Phase systematischer Massentötungen, die Aktion T4 – nicht zuletzt aufgrund der zunehmenden Beunruhigung der Bevölkerung auch durch die anklagenden Predigten des Bischofs von Münster, Clemens Graf von Galen.300 Im März 1942 wandte sich Anstaltsleiter Steininger an das Ordinariat und teilte mit, dass der Geisteszustand H.s »sich so sehr verschlimmert [habe], dass er in Schönbrunn weiterhin nicht mehr behalten werden kann.«301 Als Alternative schlug Steininger die Verlegung in die gleichfalls kirchliche Anstalt der Barmherzigen Brüder in Neuburg vor, andernfalls bliebe nur die Einweisung in die psychiatrische Klinik nach München.302 Dabei dürfte von vornherein klar gewesen sein, dass ein Klinikaufenthalt nur vorübergehend möglich war und diesem eine weitere Einweisung in eine (staatliche) Anstalt folgen würde, da die psychiatrische Klinik Patienten nur vorübergehend bei einer Veränderung ihres Gesundheitszustands aufnahm. Das Ordinariat bat daraufhin Steininger inständig, H. in Schönbrunn zu behalten, da die Unterbringung in Neuburg wegen Überfüllung der dortigen Anstalt nicht in Frage kam.303 In Schönbrunn gewährte man nur kurzfristigen Aufschub. Am 29. Mai 1942 ordnete der dortige Anstaltsarzt Bernhard Burkhard die Verlegung H.s in die Psychiatrische Klinik nach München mit der Begründung an, der Patient sei »sehr unruhig«304. Am 30. Mai teilte Direktor Steininger dem Ordinariat schließlich mit, dass »der geisteskranke Priester Richard H[…] auf Anordnung des Anstaltsarztes in tätig waren. Alle bestätigten unabhängig voneinander, dass den Schwestern ebenso wie einem Teil der Patienten (je nach deren geistigem Auffassungsvermögen) bewusst war, dass eine Verlegung in die staatliche Heil- und Pflegeanstalt Eglfing-Haar einem Todesurteil für die Betroffenen gleichkam. 298 Vgl. Krischer, Kinderhaus, 136. 299 Vgl. ebenda, 154 f. 300 Vgl. grundlegend Süss, Volkskörper im Krieg, 127–151. Dieses Ereignis markiert auf deutliche Weise, dass das Regime sensibel auf gesellschaftlichen Widerstand reagierte, den es nicht ohne öffentliches Aufsehen unterdrücken konnte. 301 AEM, Priesterpersonalakten P III 688, Steininger an EOM vom 24. 03. 1942. 302 Ebenda. 303 Ebenda, Ordinariat München an Steininger vom 28. 03. 1942. 304 ZAFWS, 5.6.2.1, Patientenakte Richard H., Ärztliches Zeugnis vom 29. 05. 1942: »Der ehemalige Kaplan Richard H. leidet an Schizophrenie. Da er in letzter Zeit sehr unruhig ist, ist er für Schönbrunn nicht mehr geeignet und wird der Psych[iatrischen] Klinik überwiesen.« © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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die Psych[iatrische] Klinik nach München überführt werden« musste. Es sei »trotz aller Aufopferung des Pflegepersonals nicht mehr möglich, den kranken Herrn in Schönbrunn weiter zu behalten.«305 Bei seiner Aufnahme in München zeigte sich H., den Ärzten gegenüber »ratlos« und stellte fest, dass er mit Gewalt gegen seinen Willen hierher gebracht worden sei.306 Von München überwies man ihn, wie es nicht anders zu erwarten gewesen war, noch im Juni desselben Jahres in die staatliche Anstalt Eglfing-Haar.307 Ab November 1942 ging die Ermordung der Patienten in den staatlichen Heil- und Pflegeanstalten in Form der »dezentralen Euthanasie« weiter.308 In Bayern geschah dies vor allem aufgrund des so genannten »Hungerkosterlasses« des Leiters der Medizinalabteilung des Innenministeriums, Ministerialdirektor Prof. Dr. Walter Schultze, der die systematische Unterernährung derjenigen Patienten vorsah, die keine nutzbringende Arbeit leisten konnten.309 Aus den Akten H.s hervor, dass er weitgehend arbeitsunfähig war und allenfalls zu Papierarbeiten herangezogen werden konnte. Der ärztliche Meldebogen vom 29. März 1943 charakterisierte ihn als »manieriert« und »verschroben«.310 Im Juli 1943 erkrankte H. Nach Ausweis der Akten bekam er Fieber und eine Lungenentzündung, an deren Folgen er am 31. Juli 1943 im Alter von 35 Jahren verstarb.311 Es ist aufgrund der Akten nicht zweifelsfrei zu klären, ob Richard H. in gezielter Weise ein Opfer der dezentralen NS-Euthanasie wurde oder nicht. H. war in EglfingHaar in Haus Nr. 7 untergebracht312, die Opfer der Hungereuthanasie in den Häusern 21, 25 und zeitweise auch 39.313 Zudem sind in seiner Krankenakte bis kurz vor seinem Tod Behandlungen nachweisbar. So war er vom 5. bis 20. Juli 1943 »wegen Nahrungsverweigerung und störrisch ablehnenden Verhaltens wieder in El[ektro]-SchockBehandlung.«314 Da diese Behandlungsform recht aufwendig und teuer war, erscheint 305 AEM, Priesterpersonalakten P III 688, Steininger an EOM vom 30. 05. 1942. 306 Vgl. ABObb, Heil- und Pflegeanstalt Eglfing-Haar, Patientenakt 1977 Richard H., Krankheitsgeschichte H.s in München. 307 Ebenda; vgl. auch AEM, Priesterpersonalakten P III 688, Richard H. senior an EOM vom 23. 06. 1942. 308 Vgl. Süss, Volkskörper im Krieg 319–326. Zu den Entwicklungen in den einzelnen staatlichen Heilund Pflegeanstalten Bayerns auch von Cranach/Siemen, Psychiatrie im Nationalsozialismus. 309 Vgl. Süss, Volkskörper im Krieg, 319 f.; zu Schultze: Forstner, Innenministerium, 85–87. 310 Vgl. ABObb, Heil- und Pflegeanstalt Eglfing-Haar, Patientenakt 1977 Richard H., Meldebogen vom 29. 03. 1943. 311 Vgl. ebenda, Leichenschauschein; ebenda auch tägliche Fieberkurven der letzten Krankheitswoche. 312 Vgl. ebenda. 313 Freundlicher Hinweis von Herrn Archivleiter Nikolaus Braun, ABObb vom 25. 07. 2007 an den Verfasser. 314 Vgl. ABObb, Heil- und Pflegeanstalt Eglfing-Haar, Patientenakt 1977 Richard H., Krankengeschichte H.s in Eglfing-Haar. Die Elektrokrampftherapie (EKT, früher auch Elektroschocktherapie genannt), die in den späten 1930er Jahren erstmals angewandt worden war und deren Bedeutung dann mit der Entwicklung der Psychopharmaka stark zurück gehen sollte, galt seinerzeit als in hohem Maße innovativ. Sie beruhte auf der Entdeckung, dass sich bestimmte psychische Defekte wie Wahn oder Depression durch die Auslösung eines generalisierten Krampfanfalls im Gehirn (mittels Strom © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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es fraglich, ob man sie einem schon dem Tode Geweihten noch hätte angedeihen lassen.315 Andererseits spricht das äußerst negative Urteil über H. im Meldebogen, der Umstand, dass er kaum noch arbeitsfähig war und der zuletzt sehr rasche Krankheitsverlauf bei einem zuvor organisch offenbar vollkommen gesunden Patienten gegen einen natürlichen Tod.316 Letzten Endes ist es auch eine Frage, was als »Euthanasie« definiert wird und was nicht. Auch bewusste Vernachlässigung mit der billigenden Inkaufnahme des Todes, wie sie in Eglfing-Haar und anderen Anstalten bei bestimmten Patientengruppen praktiziert wurde, kann aus heutiger medizinischer Sicht als Form der »Euthanasie« betrachtet werden.317 Ungeachtet der offenen Euthanasiefrage kann Richard H. bereits aufgrund der an ihm vorgenommenen Zwangssterilisierung zu den Opfern des nationalsozialistischen Erbgesundheitswahns gerechnet werden. H. wurde aber zugleich auch ein Opfer einer kirchlichen Einrichtung. Hätte Prälat Steininger H.s Verlegung aus Schönbrunn verhindert, hätte der nach Ausweis seiner Patientenakte organisch völlig gesunde H. das Dritte Reich in Obhut und Pflege der Schönbrunner Schwestern höchstwahrscheinlich überlebt.

oder Insulin bzw. kombiniert) deutlich verbessern lassen. Sie wurde jedoch teilweise auch zur Disziplinierung und Bestrafung renitenter Patienten eingesetzt. In Eglfing-Haar wirkte mit Anton von Braunmühl der Pionier der EKT in Deutschland. 315 Die Einschätzung, dass H. eines natürlichen Todes starb, vertrat der Leiter des Archivs des Bezirks Oberbayern, Nikolaus Braun, aufgrund seiner Kenntnis der Akten von tatsächlichen Euthanasieopfern, am 25. 07. 2007 gegenüber dem Verfasser. 316 Dies ist die Einschätzung der Medizinhistorikerin Tanja Kipfelsberger, die eine Dissertation zum Themenfeld »Euthanasie« am Beispiel der Bewohner von Schönbrunn vorbereitet, im Gespräch mit dem Verfasser am 03. 03. 2011. Arbeitsunfähigkeit und mangelndes Interesse der Angehörigen (etwa in Form ausbleibender Besuche) gehörten zu den Faktoren, die »Euthanasiemaßnahmen« begünstigten. Pneumonie als Todesursache sei zudem eine typische Angabe auf den Totenscheinen von Euthanasieopfern. Bei Kindern wurde diese durch bewusste Überdosierung eines Beruhigungsmittels in Tötungsabsicht ausgelöst. 317 So wiederum die Einschätzung von Tanja Kipfelsberger. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

6.

Braune Priester: Kleriker im Spannungsfeld von Katholizismus und Nationalsozialismus

6.1

Katholische Kirche und Nationalsozialismus bis 1933

Der Terminus braune Priester wird für diejenige Gruppe von Geistlichen verwandt, die sich offen zur nationalsozialistischen Weltanschauung bekannten und sich mit den Zielen der NS-Bewegung weitgehend positiv identifizierten.1 In einer Vielzahl der bekannten Fälle ging dies mit dem Eintritt der Betroffenen in die NSDAP und auch mit einem Bruch oder der Beendigung ihrer kirchlichen Laufbahn einher. Kevin Spicer, der die maßgebliche Arbeit zu diesem Themenkomplex vorlegte, bezeichnete nach umfangreichen Quellenstudien insgesamt 138 namentlich ermittelte Geistliche (Welt- und Ordenskleriker) als braune Priester.2 Von diesen 138 Priestern gehörten aber nur etwa ein Drittel als Parteimitglieder auch der NSDAP an.3 Setzt man diese Zahlen ins Verhältnis zur Gesamtzahl der Priester im deutschen Reich4, so ergibt sich, dass sich etwa 0,35 Prozent der deutschen katholischen Priester als braune Priester im Sinne Spicers bezeichnen lassen und noch weniger, nämlich nur etwa 0,12 Prozent der Priester auch Mitglieder der NSDAP waren, d. h. weniger als einer unter achthundert Priestern.5 Hingegen gehörten im Jahr 1937 mindestens 10 Prozent (vermutlich aber sogar 15 Prozent) der bayerischen protestantischen Pfarrer der NSDAP an.6 Zu Beginn des Jahres 1945 hatte die NSDAP insgesamt etwa 8 Millionen Mitglieder, dies entsprach in etwa einem Fünftel der wahlberechtigten deutschen Gesamtbevölkerung.7 Während also faktisch jeder fünfte wahlberechtigte Deutsche Mitglied der NSDAP gewesen war, traf dies zugleich nur auf jeden achthundertsten katholischen Priester zu. 1 Vgl. zum Gesamtphänomen Spicer, Hitler’s Priests und Spicer, Gespaltene Loyalität; ein Überblick über die ältere Literatur ebenda. 2 Vgl. Spicer, Hitler’s Priests, 5. Zu ähnlichen Ergebnissen war nach einer Analyse rein amerikanischer Militärdokumente bereits Spotts, Churches, 109 gelangt, der von rund 150 braunen Priestern im Altreich ausging. 3 Vgl. Spicer, Hitler’s Priests, 5. 4 Laut dem Kirchlichen Handbuch 1939, 276 und 354 (Summen aus Sp. 3 und 4) gab es Mitte der 1930er Jahre in allen deutschen Diözesen 22.221 Weltpriester (Zahl für das Jahr 1936) sowie weitere 4.667 Ordenspriester (Zahl für das Jahr 1937), insgesamt also 26.888 Priester. Interpoliert man diese Zahl im Hinblick auf Sterbefälle und Neuweihen für die zwölf Jahre des deutschen Reichs, so dürfte sich eine Zahl von annähernd 40.000 Geistlichen ergeben, die in Deutschland (bezogen auf das sogenannte Altreich) während des Dritten Reichs aktiv waren. 5 Eine wesentliche Verschiebung dieses Zahlenverhältnisses ist auch dann nicht zu erwarten, wenn in den nächsten Jahren sukzessive immer wieder neue, bislang unbekannte Einzelfälle entdeckt werden – was grundsätzlich zu erwarten ist. 6 Vgl. Mensing, Pfarrer und Nationalsozialismus, 180 ff. 7 Für Bayern liegen für die Jahre nach 1935 keine verwertbaren statistischen Angaben vor, vgl. Hoser, Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Braune Priester: Kleriker im Spannungsfeld von Katholizismus und Nationalsozialismus

In den autobiographischen Selbstzeugnissen der braunen Priester finden sich zumeist nur wenig aussagekräftige Belege für ihre Motive, sich dem Nationalsozialismus anzuschließen. Hier ist etwa von der langsam gewachsenen Einsicht in die Tatsache die Rede, »dass das oberste Gesetz die Verpflichtung dem deutschen Volk gegenüber ist«8 – und nicht die gegenüber der (romhörigen) Kirche. Es findet sich blumiger Edelkitsch über den mühsamen eigenen Weg »aus der finsteren Klosterzelle zur lichten deutschen Freiheit […], zum lebensvollen Anschluss an die deutsche Volksgemeinschaft und zur praktischen Mitarbeit am Wohl des Volkes und am Aufbauwerk des Führers.«9 Es ist evident, dass diese Selbstrechtfertigungsstrategien wenig zur Abklärung der tatsächlichen Motivlagen beitragen. Auf der Münchener Diözesansynode im November 1930 hatte Domdekan Anton Scharnagl festgestellt, dass der Nationalsozialismus, indem er »das Völkische und Rassenmäßige über die Religion« stelle, und dieses dadurch »zum Maßstab für Religion, Offenbarung und Sittlichkeit« mache, eine »Häresie und mit der christlichen Weltanschauung nicht in Einklang zu bringen« sei.10 Seit spätestens dieser Zeit war katholischen Geistlichen die Mitarbeit und damit auch die Mitgliedschaft in der NSDAP allenfalls unter größeren Schwierigkeiten möglich. Priester mit NS-Affinität standen im Regelfall stark im Fokus der Partei, die sie für Ihre Zwecke instrumentalisierte, aber auch unter äußerst kritischer Beobachtung ihrer Standesgenossen. Diesen fiel es bereits ins Auge, wenn einer der ihren den Völkischen Beobachter las und sich somit deutlich als Nazi-freundlich zu erkennen gab.11 Dies war nicht immer so gewesen, hatte die NSDAP – in der katholischen Stadt München gegründet – in ihrer Frühphase doch vielfach gläubige Katholiken unter ihren Anhängern und wandelte sich

 8 Holzner, Gesetz, 102. Vgl. zu dieser Quasiautobiographie Albert Hartls auch Kap. 2.1.2.  9 Lintl, Flucht, 6. Diese reißerisch aufgemachte und in hoher Zahl erschienen Schrift des ehemaligen Priors des in der Erzdiözese gelegenen Karmeliterklosters Reisach am Inn, Martin Lintl, erinnert in Form, Stil und Gestaltung an einen Groschenroman. Lintls Biographie wurde hier nicht näher betrachtet, da er als Ordensgeistlicher nicht dem Diözesanklerus angehörte. Bemerkenswert erscheint grundsätzlich, dass, nimmt man die Anzahl der von ihnen verfassten Rechtfertigungsschriften zum Maßstab, gerade die braunen Priester einem besonderen Rechtfertigungsund Mitteilungsbedürfnis zu unterliegen schienen, das zudem noch zu propagandistischen Zwecken aus Parteikreisen unterstützt wurde. So erschien begleitend zur Publikation Lintls 1939 eine Artikelserie und ein Interview mit dem abgefallen Prior in der SA-Zeitung Der Angriff, die in der Erzdiözese solches Aufsehen erregte, dass das Ordinariat sich am 17. 05. 1939 zu einer richtig stellenden Kanzelerklärung genötigt sah, vgl. AEM, NL Thalhamer, Stw. Priester. 10 Vgl. EAM, NL Faulhaber 3055, Referat von Domdekan Anton Scharnagl auf der Münchener Diözesansynode vom 19. 11. 1930, Druck: Beilage zum Amtsblatt München Nr. 18 vom 23. 12. 1930, vgl. hierzu auch Klemenz, Diözesansysnode, ferner Scharnagl, nationalsozialistische Weltanschauung. 11 Vgl. AEM, Priesterpersonalakten P III 869, Expositur Hörgersdorf an EOM vom 22. 07. 1934. Hier standen freilich andere Probleme mit diesem Geistlichen im Vordergrund und gaben den Anlass zu einer Meldung an das Ordinariat. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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erst im Verlauf des Jahres 1923, unter dem Einfluss ihres völkischen Flügels, zu einer dezidiert kirchenfeindlichen Bewegung.12 Im Jahr 1931 erließ die Fuldaer Bischofskonferenz – nachdem das Problem im Klerus offenbar in einigen Fällen virulent geworden war – deutschlandweit gültige Richtlinien, die Priestern die Mitarbeit in der NS-Bewegung untersagten.13 Diese Regelung galt bis zur NS-Machtergreifung, da nach Hitlers propagandistisch inszenierter Verbindung mit den konservativ-beharrenden Kräften im Staat und seiner Regierungserklärung vom 23. März 1933 die »allgemeinen Verbote und Warnungen nicht mehr als notwendig« (oder opportun) betrachtet wurden, wie es in der entsprechenden, nur wenige Tage später veröffentlichen Erklärung der deutschen Bischöfe vom 29. März 1933 hieß.14 In den wenigen Monaten bis zum Inkrafttreten des Reichskonkordats vom 20. Juli 1933 war eine NSDAP-Mitgliedschaft für einen Priester mithin theoretisch wie praktisch machbar.15 Das Reichskonkordat enthielt dann mit dem Artikel 3216 ein Verbot der Mitgliedschaft von Geistlichen in politischen Parteien. Dies scheint jedoch im Hinblick auf die NSDAP-Mitgliedschaft der Geistlichen nicht durchgängig angewandt worden zu sein.17 Für den Klerus ergab sich aus den Beschlüssen der Diözesansynode von 1930 und den pastoralen Anweisungen von 1931 rein formell die Verpflichtung, aktiven National12 Vgl. Hastings, Roots, 143–176. 13 Vgl. Spicer, Gespaltene Loyalität, 294. 14 Vgl. ebenda, Druck: Stasiewski, Akten deutscher Bischöfe, Bd. I, 35–38. 15 Der Bischof von Ermland, Maximilian Kaller, empfahl den Professoren der Akademie in Braunsberg (Ostpreußen), als diese ihn um eine politische Verhaltensmaßregel baten, zu diesem Zeitpunkt sogar explizit den Parteieintritt, vgl. Reifferscheid, Bistum Ermland, 29 f. 16 Dieser lautete »Auf Grund der in Deutschland bestehenden besonderen Verhältnisse wie im Hinblick auf die durch die Bestimmungen des vorstehenden Konkordats geschaffenen Sicherungen einer die Rechte und Freiheiten der katholischen Kirche im Reich und seinen Ländern wahrenden Gesetzgebung erlässt der Heilige Stuhl Bestimmungen, die für die Geistlichen und Ordensleute die Mitgliedschaft in politischen Parteien und die Tätigkeit für solche Parteien ausschließen.« Bestimmungen dieser Art wurden vom Hl. Stuhl jedoch niemals erlassen. Diese Verpflichtung stand unter dem im Schlussprotokoll zu Art. 32 formulierten Vorbehalt, dass vom Deutschen Reich »bezüglich der nichtkatholischen Konfessionen gleiche Regelungen betreffend parteipolitische Betätigung veranlasst« werden. Durch die deutsche Reichsregierung oder deren Rechtsnachfolger wurden solche Regelungen jedoch niemals getroffen. Deshalb vertraten namhafte Staatsrechtswissenschaftler und Kanonisten die Auffassung, dass die Bestimmung des Art. 32 wegen ihres konditionalen Geltungscharakters niemals in Kraft getreten ist, vgl. Listl, Konkordate und Kirchenverträge, 32 f. bes. Anm. 29. 17 Zudem stand aus Sicht der nationalsozialistischen Rechtswissenschaft wiederum in Frage, ob eine Mitgliedschaft in der NSDAP hiervon betroffen sein könne. Der Oberregierungsrat im Reichswissenschaftsministerium, Werner Weber, äußerte 1938 in der Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht die Auffassung, dass »die staatstragende Bewegung mit den ›politischen Parteien‹ des parlamentarischen Mehrparteienstaates im Sinne des Art. 32 R[eichs]K[onkordat] nicht gleichgestellt werden« könne, folglich Mitgliedschaft und Betätigung in der NSDAP vom Artikel 32 des Reichskonkordates nicht berührt seien (zit. nach Forstner, Auseinandersetzungen, 286 Anm. 6). Dieser Auffassung hatten sich offenbar hohe Beamte des Reichskirchenministeriums angeschlossen, darunter der dort tätige Münchner Diözesanpriester Josef Roth, vgl. Spicer, Gespaltene Loyalität, 294 f. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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sozialisten gegebenenfalls sogar das Buß- und Altarsakrament sowie ein christliches Begräbnis zu verweigern, sofern diese innerlich fest an ihrer Gesinnung festhielten und die Ziele der Partei bewusst bejahten.18 Faktisch dürften diese Bestimmungen jedoch nicht durchgehend in dieser Schärfe angewandt worden sein. Bereits die Pastorale Anweisung enthielt Relativierungen, war doch bei der Sakramentenspendung von Fall zu Fall zu prüfen, ob der Betreffende nur ein Mitläufer der Bewegung ist, der über die religiösen und kulturpolitischen Ziele der Bewegung sich keine Rechenschaft gibt, oder ob er als Abgeordneter, als Schriftleiter, als Agent für die gesamten Ziele seiner Partei sich einsetzt, also auch für jene Punkte, die mit dem Wesen des Christentums und mit der Glaubenslehre der Kirche nicht im Einklang stehen.19

Unterschieden wurde ebenda zwischen den »vaterländischen« und »volkswirtschaftlichen« Zielen der NS-Bewegung einerseits und ihren »kulturpolitischen« Zielen andererseits – nur die letzteren wurden abgelehnt.20 Als sich im März 1932 der Vorstand des katholischen Arbeitervereins Traunstein, Rupert Berger21, Hilfe suchend an Generalvikar Rudolf Hindringer wandte und diesen um sein Eingreifen bat, da in Traunstein der Arzt, Blutordensträger und spätere NS-Kreisleiter Dr. Anton Endrös22, noch dazu ein Verwandter Hindringers, unter Katholiken aktiv für die NS-Bewegung warb, relativierte der Generalvikar das offizielle Verbot in seiner Antwort an Berger:

18 Vgl. Klemenz, Diözesansynode, 274 ferner die Pastorale Anweisung des bayerischen Episkopats vom 10. 02. 1931, Beilage zum Amtsblatt München vom 10. 02. 1931, Druck: Volk, Akten Faulhabers, Bd. 1, 541–543. 19 Ebenda, hier 543. 20 Ebenda. 21 Hierbei handelte es sich um den BVP- und späteren CSU-Politiker Rupert Berger, geb. am 10. 02. 1896, Vater des gleichnamigen Diözesanpriesters (geb. 1926). Er war in der Weimarer Republik Leiter der Bayernwacht, der paramilitärischen Organisation der BVP, im Chiemgau und wurde 1933 kurzzeitig ins KZ Dachau verschleppt. Nach 1945 war er Mitbegründer der CSU, Mitglied der verfassungsgebenden Landesversammlung 1946, Oberbürgermeister von Traunstein von 1946 bis 1952 sowie Abgeordneter des Bayerischen Landtags von 1946 bis 1950 und nochmals von 1954 bis 1958, gest. am 09. 02. 1958; vgl. Götschmann/Henker, Geschichte des bayerischen Parlaments. 22 Dr. med. Anton Endrös, geb. am 15. 06. 1900 in Traunstein, 1910 bis 1917 im Knabenseminar Freising, 1917 Kriegsfreiwilliger, nach Kriegsende Studium der Medizin; 1922 Mitglied der NSDAP und der SA, 1923 Beteiligung am Hitler-Putsch, in den 1920er Jahren Eheschließung und Tätigkeit als Allgemeinarzt in Inzell (Obb.), schriftstellerische Tätigkeit, 1930 Gründung einer NSDAP-Ortsgruppe in Inzell, 1931 Kreispropagandaleiter, 1932 Gauredner, 1933 Gaukommissar und Kreisleiter des Parteikreises Traunstein, Mitglied des NS-Ärztebunds, Träger des Blutordens und des Ehrenzeichens vom 9. November, ab 1940 sukzessiver Rückzug von den Parteiämtern, als Sturmbannführer im Frankreichfeldzug, Beförderung zum Wehrmachtsoberarzt, ab 1941 im diplomatischen Dienst als Gesandtschaftsrat I. Klasse in der Slowakei tätig, 1945 bis 1948 interniert, im Spruchkammerverfahren als Belasteter eingeordnet, in den 1950er Jahren wiederum als Allgemeinarzt in Inzell tätig, gest. am 20. 02. 1962; vgl. Demmelmair, Endrös. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Die Zugehörigkeit zu einer politischen Partei, hier der nationalsozialistischen, ist nicht von vornhinein und nicht bei jedem Parteigänger das Bekenntnis zu einer kirchenfeindlichen Weltanschauung. Würde z. B. Dr. Endrös sagen, dass er sich zur Weltanschauung eines Alfred Rosenberg, Artur Dinter oder gar eines Ludendorff bekenne, so würde er sich natürlich abseits der kirchlichen Wege begeben und ich wäre als Generalvikar selbstverständlich der erste, der ihm auf diesen Wegen entgegentreten würde. Bei Dr. Endrös handelt es sich lediglich um die Bekämpfung der Roten Flut, die leider auch über unseren schönen Chiemgau hereinzubrechen droht. Ihm bei diesem Kampfe in den Arm zu fallen, möchten Sie wohl selber, lieber Herr Arbeitsrat [d. i. Berger; Th. Fo.], nicht übernehmen. Betonen möchte ich, dass D[r]. Endrös, wie manch anderer Anhänger der nationalsozialistischen Partei, ein ausgesprochener Gegner Ludendorffs und seiner antikirchlichen Tendenzen ist.23

Auch Kardinal Faulhabers Generalvikar differenzierte also noch im Frühjahr 1932 zwischen den kirchenfeindlichen Teilen der NS-Bewegung und jenen Kräften, die – aus seiner Sicht – im ebenso hilfreichen wie notwendigen Abwehrkampf gegen die »Rote Flut« standen. Dem politischen Katholizismus, den Berger repräsentierte, traute Hindringer einen solchen erfolgreichen Abwehrkampf offenbar nicht zu und er sprang ihm keinesfalls unterstützend bei. Stattdessen mahnte der Generalvikar Berger, dieser möge nicht vergessen, »dass es auch für Sie eine Pflicht der Nächstenliebe ist, dem politischen Gegner, namentlich in religiösen Dingen, nichts anzuhängen, was man nicht beweisen kann.«24 Die Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus war zu dieser Zeit in mancher Hinsicht ambivalent.

6.2 Formen und Ursachen der Annäherung einzelner Kleriker an den Nationalsozialismus Betrachtet man das Phänomen der braunen Priester näher, so fällt auf, dass sich diese nicht gleichmäßig auf die Diözesen des Reiches verteilten.25 Von den 114 bei Spicer aufgeführten Weltgeistlichen – diese Auflistung ist mit Sicherheit nicht vollständig und ihr haftete zudem hinsichtlich der Auswahlkriterien ein etwas willkürlicher Charakter an – sind etwas mehr als die Hälfte (58 Weltgeistliche) Priester bayerischer 23 Vgl. AEM, NL Thalhamer, Stw. Kirche im Kampf gegen den NS, Hindringer an Berger vom 18. 02. 1932. 24 Ebenda. 25 Das Deutsche Reich umfasste, einschließlich der freien Prälatur Schneidmühl und des Bistums Danzig, 26 Diözesen, hinzu kamen acht österreichische Diözesen, einschließlich der Apostolischen Administratur Burgenland, insgesamt also 34 kirchliche Verwaltungseinheiten. Die Diözesen des Protektorats Böhmen und Mähren blieben unberücksichtigt, vgl. Kirchliches Handbuch 1939, 26–36. Da Spicer auch Ordensgeistliche und österreichische Geistliche in seine Untersuchung einbezog, ergibt sich – zieht man die 24 betroffenen Ordensgeistlichen ab – ein zu erwartender Schnitt von etwa drei bis vier nationalsozialistisch orientierten Weltgeistlichen je Diözese. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Diözesen, darunter 20 Priester der Erzdiözese München und Freising.26 Die durch den Kirchenhistoriker Georg Schwaiger getroffene Aussage, dass zum Abzählen derjenigen katholischen Priester, die dem Nationalsozialismus, in ganz Bayern wirklich anhingen »kaum die fünf Finger einer Hand« benötigt würden, ist also fern jeder Realitätswahrnehmung respektive sie reflektiert einen heute unhaltbaren Forschungsstand.27 Dabei sind unter diesen zwanzig Priestern der Erzdiözese München und Freising diejenigen nationalsozialistisch orientierten Geistlichen, die in der Erzdiözese ihren Lebens- und Wirkungsmittelpunkt hatten, ihr aber nicht angehörten, wie der berühmt-berüchtigte Benediktinerabt Alban Schachleiter28, der Bamberger Priester Alois Kober29, Dozent für Religionspädagogik an der Hans-Schemm-Hochschule in München-Pasing oder der Augsburger Diözesanpriester Christian Huber30, der 26 Vgl. die Auflistung der einzelnen Priester bei Spicer, Hitler’s Priests, 240–300. Hinter München fallen Bamberg mit 11 und Augsburg mit 10 braunen Priestern auf, die übrigen 17 braunen Priester verteilen sich in etwa gleichmäßig auf die Diözesen Eichstätt, Speyer, Würzburg, Passau und Regensburg. Mit Ausnahme Breslaus (11) gibt es in keiner der übrigen Diözesen mehr als sechs braune Priester. 27 Schwaiger, Unter der nationalsozialistischen Herrschaft, 338. Ähnlich argumentierten Baumgärtner, Joseph Roth, 222 (»weniger als eine Handvoll«) und Trenner, Klerusverband, 21, der das ihm offenbar peinliche Phänomen mit der Begründung, es seien so wenige gewesen, dass man sie gleich ganz übergehen könne, nicht weiter zu ergründen suchte. 28 Alban Schachleiter OSB, geb. am 20. 01. 1861 in Mainz, Studium der Musik, Kulturgeschichte und Sozialwissenschaft in Leipzig, 1881 Eintritt in die Abtei Emaus bei Prag, 1908 Wahl zum Abt ebendort, 1918 als Deutscher in Verbindung mit der Zuordnung des Sudetengebiets zur Tschechoslowakei aus dieser ausgewiesen, seit 1920 in München, seit 1923 Kontakte zu Hitler, lebte seit 1930 in Bad Aibling, 1933 Eintritt in die NSDAP, daraufhin von Rom suspendiert, Ehrengast auf den Parteitagen der NSDAP, gest. am 20. 06. 1937 in Feilnbach, vgl. AEM, Priesterpersonalakten P II, Alban Schachleiter OSB; Sauser, Schachleiter; Bleistein, Schachleiter; Haering, Fall Schachleiter; Spicer, Hitler’s Priests, passim (Register). 29 Alois Kober, geb. 1901 in Saarbrücken, Priesterweihe 1927 in Bamberg, bis 1935 Kaplan in Ansbach, 1936 Dozent für Religionspädagogik an der Hans-Schemm-Hochschule in München-Pasing, seit März 1937 offenes Werben für die Deutsche Gemeinschaftsschule und Gegner der Konfessionsschule, im April 1937 zunächst Entzug der missio canonica, anschließend Suspension, anschließend immer stärkeres Engagement für die Nationalsozialisten, im Mai 1937 Eintritt in die NSDAP, zahlreiche kirchenfeindliche Vorträge. Erst nach 1945 fand eine Wiederannäherung Kobers an die katholische Kirche statt, 1952 wurde die Suspension durch den Erzbischof von Bamberg aufgehoben, Kober verstarb am 29. 10. 1968, vgl. AEM, Priesterpersonalakten P III 894; BA R (ehem BDC), Ortskartei 3200 L0013 Kober Alois 27. 12. 01; Volk, Akten Faulhaber, passim (Register). 30 Christian Huber, geb. am 07. 10. 1888 in Freising, Priesterweihe 1915 in Augsburg (gehörte der Diözese Augsburg an), spätestens seit 1933 lebte er als frei resignierter Pfarrer in München, er hielt Schulungsvorträge für die NSDAP und diverse sonstige Vorträge und Reden, die teilweise stark antikirchlich eingefärbt waren (eine Auswahl hiervon überliefert in AEM, NL Neuhäusler 123a). Eine Aufstellung des EOM hielt über ihn fest: »unfähiger Phantast, versuchte den Gesellenverein in Naziformationen einzugliedern und dann aufzulösen, nicht gelungen, nach kurzer Verwendung in der Seelsorge endgültig abgefallen, verheiratet, unfähig, dagegen um so mehr begeistert für NS u[nd] Hitler«, vgl. EAM, NL Faulhaber 5402, Liste der abgefallenen Priester (1948). Ein Personalakt des AEM ist nicht überliefert, sonstige Angaben nach Schematismus 1933, 64; Spicer, Hitler’s Priests, passim (Register). © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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in München nach 1933 als Schulungsredner für die NSDAP auftrat, überhaupt nicht berücksichtigt. Für die Ungleichverteilung der braunen Priester und ihre Konzentration auf Bayern und München fand Spicer keine wirklich stichhaltige Erklärung. Auch die sehr unterschiedlichen absoluten Zahlen von Klerikern je Diözese lösen das Phänomen nicht auf.31 Problematisch bei Spicer erscheint zudem, dass er keine nähere Differenzierung des Begriffs der braunen Priester vornimmt, vielmehr fallen bei ihm alle Geistlichen, die sich in irgendeiner Form dem Nationalsozialismus annäherten, in eine Kategorie. Hingegen hat Olaf Blaschke unlängst ein vierstufiges Klassifikationsmodell für Formen der Annäherung an den Nationalsozialismus entwickelt, welches er dem Widerstands-Modell von Klaus Gotto et al.32 gegenüberstellte. Blaschke unterschied hierbei vier Stufen der Kollaboration zwischen Katholiken und Nationalsozialismus: 1. Punktuelle Zufriedenheit, 2. Kooperation und Anpassung, 3. Loyalität bis Konsens und 4. Aktive Kollaboration.33 Eine nähere Betrachtung zeigt meines Erachtens, dass man von braunen, d. h. nationalsozialistisch geprägten Priestern nur dann sprechen kann, wenn sich ihre Verhaltensmuster den Gruppen 3 oder 4 zuordnen lassen, wenn also Indizien für ein hohes Maß an Konsens mit den Kernzielen der NS-Bewegung vorliegen oder die Betreffenden gegen die Wertvorstellungen der eigenen Gruppe, d. h. denjenigen der Kirche, aktiv und freiwillig mit Organen des NS-Staates kooperierten. Hingegen wird man bei einer bloßen punktuellen Zufriedenheit mit Zielen oder Aktionen des NS-Staates und auch im Falle von Kooperation und Anpassung noch nicht von braunen Priestern sprechen können. Die braunen Priester unterschieden sich damit auch von denjenigen Priestern, wie etwa von der Figur des Dogmatikers Michael Schmaus34, die sich nach 1933 in einer starken nationalen Euphorie Hitler zuwandten, deren Begeisterung für die NS-Bewegung aber bald wieder abebbte, nachdem ihnen die kirchenfeindlichen Bestrebungen des Nationalsozialismus deutliche wurden. Hingegen wurde das NS-Engagement der eigentlichen braunen Priester zumeist auch durch ihren Parteieintritt manifestiert. Nachfolgend sollen nun die beiden Hauptgruppen der braunen Priester, die sich in 31 Bezüglich der Anzahl der Diözesanpriester kam München mit 1.535 Seelsorgegeistlichen im Jahr 1936 erst an vierter Stelle hinter den Erzbistümern Köln (1.982 Geistliche), Freiburg (1.680 Geistliche) und Münster (1.572 Geistliche); vgl. Kirchliches Handbuch 1939, 354. In Köln machte Spicer aber nur sechs braune Priester ausfindig, in Freiburg lediglich deren vier und in Münster keinen einzigen. Eine Rückfrage bei Kevin Spicer, der diese Frage in seinem Buch nicht explizit erörtert, ergab kein klares Bild für die Ursachen: Dass methodische Fragen eine Rolle spielen könnten, hält Spicer in Bezug auf München – wo die Quellensituation infolge des Faulhaber-Nachlasses außerordentlich gut ist – für denkbar. Dies würde aber noch nicht die Konzentration der braunen Priester auf den bayerischen Raum insgesamt erklären. 32 Vgl. Gotto/Hockerts/Repgen, Herausforderung, 103 f. Zu diesem Modell auch Kapitel 8 dieser Arbeit. 33 Vgl. Blaschke, Stufen, 80 f. 34 Vgl. zum Fall Schmaus: Gössmann, Michael Schmaus und Reck, Diskurse. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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weitere Untergruppen aufteilen lassen, näher betrachtet werden. Zunächst die – zahlenmäßig nur unzureichend bestimmbare – Gruppe der konsensorientierten und gegenüber dem Nationalsozialismus Loyalen, in weiteren Abschnitten die aktiven Kollaborateure.

6.2.1 Konsens und Loyalität Die Gruppe der konsensorientierten und naziloyalen Kleriker umfasst diejenigen Priester, die mit der nationalsozialistischen Ideologie über einen längeren Zeitraum in wesentlichen Kernelementen übereinstimmten, sich diese aber nicht in ihrer Totalität zu eigen machten. Diese Priester verbanden Katholizismus und Nationalsozialismus zudem in einer Weise, die eine Entscheidung mit Ausschließlichkeitscharakter nicht erforderlich machte, wie sie für die nachfolgend noch zu betrachtende Gruppe der aktiven Kollaborateure typisch ist. Die konsensorientierten und naziloyalen Kleriker sind mithin jenem nationalistisch grundierten Teil der deutschen Bevölkerung zuzurechnen, der wesentlichen Zielen der NS-Politik – etwa der Revision des Versailler Vertrags, der NS-Sozialpolitik, der Bekämpfung des Bolschewismus und auch der antisemitischen Stoßrichtung – positiv gegenüberstand und dies in Wort, Schrift und/ oder Tat auch öffentlich machte und den NS so mindestens mittelbar unterstützte. Von der kirchlichen Obrigkeit wurden diese Priester zwar überwiegend als nazifreundlich wahrgenommen, ihr Engagement war aber nicht dergestalt ausgeprägt, dass es zu einem Bruch mit der kirchlichen Obrigkeit gekommen wäre. Auch hatten sie umfänglichere Sanktionsmaßnahmen wegen ihres NS-Engagements zumindest vor 1945 nicht zu fürchten. Zur Aufgabe des priesterlichen Berufs kam es bei diesen Geistlichen – im Gegensatz zur Mehrzahl der aktiven Kollaborateure – ebenfalls nicht. Sie konnten ihre kirchlichen Karrieren zumeist auch nach 1945 ungehindert fortsetzten, wenngleich nicht unbedingt in alter Funktion. Die Anzahl dieser Kleriker ist nicht hinreichend bestimmbar, zumal sich das NS-Engagement dieser Gruppe nicht mit sonstigen Formen der Abweichung und auch nicht mit einer inhaltlichen Distanzierung von der offiziellen Lehre der Kirche und vom Priesterberuf verknüpfte. Die Mehrzahl dieser Priester dürfte wenig Anstoß erregt, ihre Haltung folglich in den Quellen auch keinen Niederschlag gefunden haben. Zudem erscheint die Abgrenzung von denjenigen, die sich lediglich teilweise kooperativ verhielten und sich an die neuen politischen Verhältnisse – aus welchen Motiven heraus auch immer – anpassten, methodisch nicht immer sauber durchführbar. Dennoch spricht einiges dafür, dass auch ihre Anzahl eher gering blieb. Ein Beispiel für diese Gruppe ist der aus der Straßburger Diözese stammende Priester Bernhard Weinschenk35, seit 1931 Expositus in dem kleinen Ort Jakobsbaiern. 35 Bernhard Weinschenk, geb. am 11. 04. 1892 in Falkenberg, Priesterweihe 1917 in Langonnet (gehörte zunächst der Diözese Straßburg an), seit 1920 in der Erzdiözese München und Freising tätig, zunächst Koadjutor in Flintsbach, 1922 Koadjutor in Olching, Benefiziums-Verweser bei München-St. Ludwig, 1925 Katechet bei München-St. Ursula, Kooperator in Eitting, 1926 Honorarkatechet an den Fortbildungsschulen in München, 1930 in die Erzdiözese München und Freising inkardiniert, 1931 Expositus in Jakobsbaiern, 1941 Pfarrkurat in Tuntenhausen, 1944 Pfarrer in © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Weinschenk hatte im Expositurhaus ein HJ-Heim eingerichtet und veranstaltete im Braunhemd – das er gelegentlich auch unter dem Chorrock trug – mit einer Gruppe von etwa 12 Hitlerjungen, die er anführte, Marschübungen.36 Das Ordinariat erhielt hiervon bereits im Rahmen der dienstlichen Beurteilung im Juni 1934 Kenntnis, reagierte aber erst im Oktober mit einer Anfrage beim zuständigen Dekan.37 Die Ordinariatssitzung untersagte Weinschenk in der Folge diese Aktivitäten, betonte aber, »kulturelle Mitarbeit« in der NS-Bewegung könne geleistet werden.38 Persönliche Konsequenzen zeitigte der Vorfall für ihn nicht. Jahre später kam es dann wegen »beleidigenden Äußerungen in seinen Predigten« auch noch zu Schwierigkeiten mit der Partei, offenbar handelte es sich bei Weinschenk um einen schwierigen Charakter.39 Weinschenk wurde daraufhin nach Tuntenhausen versetzt und bekam drei Jahre später mit Mettenheim seine erste eigene Pfarrstelle.40 Gleichfalls zu dieser Gruppe rechnen lässt sich Kaplan Georg Käufl41, ein dem Ordinariat äußerst kritisch gegenüberstehender Geistlicher, der die Caritas »für die katholischen Nichtarierer der Diözese«42 kritisierte und aus nationalen Motiven die Abschaffung der lateinischen Sprache in der Messe zugunsten der deutschen Sprache Mettenheim, 1945 Pfarrer in Götting, im Juni 1946 frei resigniert, Emeritenbenefiziumsverweser in Landshut, 1947 Pfarrer in Margarethenried, 1953 Pfarrer in Berbling, 1963 Versetzung in den dauernden Ruhestand, verschiedene Ruhestandssitze, zuletzt im Theresianum in Fürstenfeldbruck, gest. am 27. 01. 1990; vgl. AEM, Priesterpersonalakten P III 1935; Spicer, Hitler’s Priests, 296 f. 36 Vgl. AEM, Priesterpersonalakten P III 1935, Qualifikations-Noten vom 05. 06. 1934; EOM an Pfarramt Glonn vom 19. 10. 1934. 37 Die Antwort des Dekans ist nicht erhalten. 38 Vgl. AEM, Ordinariatssitzungsprotokoll vom 09. 11. 1934. 39 Vgl. Witetschek, Regierungspräsidentenberichte Oberbayern, 325 f., Monatsbericht der Regierung vom März 1941: »Der bereits seit Jahren als unduldsam bekannte Expositus Weinschenk aus Antholing hat sich in den letzten Wochen durch beleidigende Äußerungen in seinen Predigten sowie gegenüber den Schulkindern soweit vergessen, dass seine Festnahme und Überstellung an die Geheime Staatspolizei durchgeführt werden musste. Er wurde am 18. 3. 1941 wieder entlassen und wird nach einem Schreiben des Ordinariats vom gleichen Tage am 1. Mai 1941 strafversetzt.« Neuer Dienstposten Weinschenks ab Mai 1941 war Tuntenhausen. 40 1945 beging das Ordinariat eine grobe Ungeschicklichkeit, indem es Weinschenk auf die verwaiste Pfarrei Götting installierte. Sein Vorgänger, Pfarrer Josef Grimm, war dort in den letzten Kriegstagen wegen des Hissens der weißen Flagge auf dem Kirchturm durch SS-Männer erschossen worden und galt später als Märtyrer; vgl. zum ihm Pfister, Blutzeugen, 30–33. In Götting brach im Dezember 1945 ein beispielloser Sturm der Entrüstung gegen den neuen Pfarrer und das Ordinariat los, als Weinschenks braune Vergangenheit im Ort bekannt wurde. Schließlich sah sich das Ordinariat aufgrund des Aufruhrs gezwungen, Weinschenk die Resignation auf die Pfarrei nahezulegen. Dieser gab nach langem Widerstreben im Juni 1946 nach und resignierte, bekam aber im Folgejahr eine neue Pfarrei. Diese Vorgänge ausführlich dokumentiert in AEM, Priesterpersonalakten P III 1935. 41 Georg Käufl, geb. am 07. 08. 1898 in Landshut, Priesterweihe 1922 in Freising, Koadjutor in Peiting, 1923 Vikar der Pfarrei Peiting, 1935 Kaplan bei Neumarkt-St. Veit, 1939 Koadjutor in Kiefersfelden, 1942 Kooperator in Velden, 1943 Pfarrer in Endlhausen, 1975 frei resigniert, Versetzung in den dauernden Ruhestand, gest. am 19. 04. 1989; AEM, Priesterpersonalakten P III 807. 42 EAM, NL Faulhaber 5401, Denkschrift Käufl. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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forderte.43 Seine 1939 infolge einer Auseinandersetzung mit Domkapitular Grassl erfolgte Strafversetzung nach Kiefersfelden stieß auf außerordentliches Bedauern des NSDAP-Ortsgruppenleiters am bisherigen Dienstort Käufls.44 1943 erhielt Käufl eine eigene, allerdings sehr unbedeutende Pfarrstelle, die er bis zum Jahr 1975 innehatte. Käufl tendierte stark nach rechts, war aber zugleich ein offenbar aufopfernder Priester, der etwa neuen Formen der Kinder- und Jugendkatechese zugeneigt war. So rezipierte er auch die Schriften des als fortschrittlich geltenden Wiener Pastoraltheologen Michael Pfliegler – der seinerseits zeitweise stark dem Nationalsozialismus zuneigte – und plädierte für eine zeitgemäße Form der Verkündigung. Käufls Zeugnisse sind überwiegend günstig und attestieren ihm einen scharfen Verstand. Käufl eckte jedoch vielfach an, da er auch gegenüber der Hierarchie kein Blatt vor den Mund nahm und eine Neigung zum Querulantentum hatte. Auch mit Frauen ging er eher unbefangen d. h. standesunüblich um, was Kollegen für entsprechende Anwürfe benutzten.45 Dass er seine Zölibatspflicht tatsächlich verletzte, erscheint nach Aktenlage aber eher unwahrscheinlich. In einer 23seitigen Rechtfertigungsschrift für Kardinal Faulhaber, die im Sommer 1939 nach dem oben genannten Streit mit Domkapitular Grassl entstanden war, entwarf er unzweifelhaft im Zorn eine sehr persönlich gefärbte kritische Sicht auf die Kirche seiner Zeit, nahm vor allem an ihrer Bürokratisierung, Hierarchisierung und mangelnden Öffnung gegenüber den Zeitphänomenen Anstoß und entwarf das Szenario eines zukünftigen Kampfes um Reinigung der Kirche Christi in unserem Vaterlande, auch von einem überlebten und unchristlichen Bonzentum kleiner und großer Paschas, einem Stein des Anstoßes umso mehr in einer Zeit, da Staatsminister auf den Straßen sammeln geh’n.46

Auch der Kanonist Dr. Karl Hofmann47 wird zur Gruppe der konsensorientierten und naziloyalen Kleriker gerechnet werden müssen. Hofmann hatte dem Freikorps Oberland angehört und war bereits während seines Studiums in den frühen 1920er Jahren der nationalsozialistischen Studentenorganisation beigetreten. Nach der Macht43 44 45 46 47

Ebenda, Dossier »Fall Käufl«, undat.; vgl. auch die Einschätzung von Spicer, Hitler’s Priests, 260. EAM, NL Faulhaber 5401, Dossier »Fall Käufl«, undat. Vgl. die entsprechenden Dokumente in seinem Personalakt. EAM, NL Faulhaber 5401, Denkschrift Käufl. Karl Hofmann, Dr. theol., geb. am 15. 06. 1900 in Straubing, Priesterweihe 1924 in Freising, Koadjutor in Tegernsee, 1926 Präfekt im Klerikalseminar Freising, 1927 Kaplan in Kolbermoor, dann zu Studienzwecken beurlaubt und Aushilfsgeistlicher bei den Barmherzigen Brüdern in Eglfing-Haar, 1931 Kaplan bei der Marienanstalt in München, 1933 Dozent für Kirchenrecht an der Universität München, 1934 Lehrstuhlvertretung an der Universität Würzburg, 1938 Lehrstuhlvertretung an der Phil.-Theol. Hochschule Bamberg, 1940 Prediger bei Hl. Geist in München, 1941 Sabbatjahr in Rom, 1942 Kaplan bei München – St. Johann Baptist, 1943 Vikar bei München-St. Ludwig, 1945 Professor für Kirchenrecht an der Phil.-Theol. Hochschule Dillingen, 1946 Professor für Kirchenrecht an der Universität Tübingen, gest. am 13. 01. 1954; vgl. AEM, Priesterpersonalakten P III 727; Schematismus 1939, 71 und 283; Spicer, Hitler’s Priests, 257. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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ergreifung unterstützte er die NSDAP in Predigt und Lehre48 ohne dass dies erkennbaren Widerspruch der kirchlichen Obrigkeit hervorrief. Auch seine akademische Karriere nach 1945 behinderte dies nicht – zumal er der NSDAP nicht als Mitglied angehört hatte: 1946 erhielt Hofmann einen kanonistischen Lehrstuhl in Tübingen, den er bis zu seinem Tod 1954 innehatte. Weniger durchgängig verlief die Karriere des ebenfalls zu dieser Gruppe gehörenden Freisinger Moraltheologen Robert Linhardt, den Kardinal Faulhaber – wie bereits ausgeführt – nach dem Ende des Dritten Reiches wegen seines »aufdringlichen Eintretens für den Nationalsozialismus« (so Faulhaber) und aufgrund der Übernahme moraltheologischer Positionen, die mit der kirchlichen Lehrmeinung unvereinbar waren, nicht mehr lesen ließ. Doch solange das Dritte Reich Bestand hatte, konnte Linhardt sich voll entfalten.49 Die konsensorientierten und naziloyalen Kleriker unterschieden sich vor allem hinsichtlich des Grades an Affinität zur eigenen katholischen Weltanschauung von der nachfolgend zu behandelnden Gruppe der aktiven Kollaborateure. Gehörte bei der ersteren Gruppe die überwiegende Loyalität noch der Kirche, kam es bei den aktiven Kollaborateuren zumeist zu einem offenen oder verdeckten Bruch mit der kirchlichen Obrigkeit. Die Mitglieder der Gruppe der aktiven Kollaborateure rezipierten zudem in der Mehrzahl den Nationalsozialismus mehr als nur partiell und vorübergehend.

6.2.2 Aktive Kollaboration In der Erzdiözese München und Freising lassen sich nach dem momentanen Stand der Forschung 17 Diözesangeistliche identifizieren, die sich im Sinne der Systematik Blaschkes als »aktive Kollaborateure« bezeichnen lassen.50 Bei 11 dieser 17 Geistlichen lässt sich anhand der Mitgliedskarteien der NSDAP im Bundesarchiv51 die Parteimitgliedschaft nachweisen, bei fünf Priestern konnte kein Nachweis gefunden werden,

48 Vgl. Spicer, Hitler’s Priests, 257. 49 Vgl. hierzu Kapitel 2.5.2 dieser Arbeit, dort auch das Urteil der Studenten über ihn. 50 Vgl. Blaschke, Stufen, 80 f. 51 Es wurden die Bestände BA R (ehem. BDC) 3IXX (Zentralkartei) und 3200 (Ortskartei) nach Priestern durchsucht, bei denen sich aufgrund anderer Quellen ein Verdacht auf eine mögliche NSDAP-Mitgliedschaft ergeben hatte. Hingegen erfolgte keine systematische Überprüfung aller Diözesanpriester der Erzdiözese München und Freising aus den infrage kommenden Jahren; eine solche wäre schon aus zeitlichen Gründen nicht zu bewältigen gewesen. Insofern ist es durchaus möglich, dass vertiefende Forschungen zur Entdeckung einzelner weitere Namen führen. Eine wesentliche Erweiterung der hier vorgestellten Gruppe an braunen Priestern ist jedoch nicht zu erwarten, da die hier Untersuchten fast alle auch auf nach 1945 erstellten kircheninternen Übersichten der abgefallenen bzw. durch den Nationalsozialismus zum Weggang veranlassten Priester erscheinen, vgl. EAM, NL Faulhaber 5402, Liste der abgefallenen Priester (1948) und Aufstellung Sacerdotes apostatae archidioeceseos vom 17. 12. 1949. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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oder die Quellen erwiesen sich als widersprüchlich, einer der 17 Priester gehörte der Partei mit Sicherheit nicht an.52 Das NS-Engagement dieser Gruppe wurde massiv als Form abweichenden Verhaltens wahrgenommen und zumeist auch entsprechend sanktioniert, zumal es in etwa der Hälfte der Fälle mit anderen Formen von Abweichung verknüpft war. Die Mehrzahl dieser Priester, wenngleich nicht alle, legte schließlich früher oder später den Talar ab oder verlies die Kirche sogar ganz. Die aktiven Kollaborateure lassen sich im Wesentlichen in zwei Gruppen einteilen. Die erste Gruppe umfasste Geistliche, die dem Nationalsozialismus aus nationalen Motiven ideologisch positiv gegenüberstanden und zwar in einem solchen Umfang, dass diese positive Rezeption des Nationalsozialismus ihre klerikale Identität – anders als bei den konsensorientierten und naziloyalen Geistlichen mit partieller NS-Affinität – in verdrängender Weise überwölbte. Hingegen umfasst die zweite Gruppe solche Geistliche, die in einer – meist durch Zölibatsschwierigkeiten ausgelösten – persönlichen Krisensituation standen und sich der NS-Bewegung überwiegend aus opportunistischen, oder karrieristischen Gründen anschlossen. Lediglich zwei Geistliche lassen sich keiner dieser Gruppen zuordnen und müssen als Sonderfälle separat betrachtet werden. Während das NS-Engagement bei den aktiven Kollaborateuren früher oder später sichtbar wurde, sind daneben noch jene Geistlichen zu erwähnen, die als Zuträger von Informationen für die Gestapo tätig waren und von dieser als Vertrauens- bzw. Auskunftspersonen geführt wurden. Wolfgang Dierker betonte in seiner Untersuchung über Priester, die als Spitzel für den Sicherheitsdienst der SS arbeiteten, dass Zwang bei ihnen kaum eine Rolle spielte, sie waren überwiegend Überzeugungstäter.53 Jedoch lassen sich über diese Geistlichen nur wenig konkrete Aussagen machen. Ihre Anzahl ist nicht näher bestimmbar, da sie nach 1945 häufig nicht enttarnt wurden und ihre priesterliche Tätigkeit im Regelfall fortsetzen konnten. Im Spruchkammerverfahren gegen Anton Scharnagl benannten ehemalige Gestapomitarbeiterinnen mehrere Geistliche namentlich54, davon aus der Erzdiözese München und Freising Josef Reiter55, der 52 Der Nachweis der NSDAP-Mitgliedschaft war nicht möglich bei Benedikt Bader, Josef Gigl, Hermann Liebl und Theodor Vogel, (im ersten Fall wegen Nichtauffindbarkeit der entsprechenden Filmrolle im Bundesarchiv), im Fall Sebastian Schröckers ist die Mitgliedschaft strittig, da widersprüchliche Quellenangaben existieren, vgl. hierzu den nachfolgenden Abschnitt über Schröcker. Josef Roth gehörte der NSDAP nicht an. 53 Vgl. Dierker, Glaubenskrieger, 361 f. 54 Vgl. EAM, NL Faulhaber 5007, Vernehmung der ehemaligen Angestellten bei der Geheimen Staatspolizei Therese Weigert am 13. 02. 1947 und Vernehmung der ehemaligen Angestellten bei der Geheimen Staatspolizei Fanny Dilger am 25. 02. 1947; Druck: Groll, Spruchkammerverfahren Eberle, 555–559 und 560 ff. 55 Josef Reiter, geb. am 27. 10. 1879 in Aindling, Priesterweihe 1906, div. Kooperatorenstellen, 1926 Pfarrer in Ellbach, zum 01. 06. 1933 aus gesundheitlichen Gründen frei resigniert, Benefiziums-Verweser in Mettenheim, 1936 in den dauernden Ruhestand versetzt, gest. am 12. 05. 1970; vgl. AEM, Priesterpersonalakten P III 1409. Allerdings lässt der Personalakt Reiters keinerlei Sympathien für den Nationalsozialismus erkennen. Im Zuge der NS-Machtergreifung in Bayern kam es zu einem © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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als Ruhestandgeistlicher in Mettenheim bei Mühldorf lebte, Ludwig Mayrhofer56, 1935– 1945 Kaplan in München-Forstenried, sowie einen Geistlichen namens »Trenker aus München« – der aber unter den Diözesanpriestern nicht zu ermitteln war. Lediglich bei Mayrhofer lässt sich zumindest indirekt eine ausgeprägte NS-Affinität nachweisen. Als dieser im September 1935 nach zwei Jahren als Kooperator in Mühldorf, einer Stadt, die vor allem wegen ihres gefürchteten und fanatischen Kreisleiters als einer der in politischer Hinsicht exponiertesten Posten in der Erzdiözese galt, nach München versetzt wurde, brachte die Lokalpresse hierüber großes Bedauern zum Ausdruck.57 Dabei betätigte Mayrhofer sich ansonsten nicht in erkennbarer Weise politisch, der NSDAP gehörte er nicht an, auch sonst verhielt er sich nicht auffällig, erschien eher durchschnittlich und farblos. Welcher Art die für die Gestapo gelieferten Berichte waren und in welchem Umfang Geistliche wie Mayrhofer für die Gestapo tätig waren, lässt sich jedoch ebenso wenig ermitteln, wie sich die Frage hinreichend klären lässt, ob ihnen bewusst war, dass sie von der Gestapo als Informanten geführt wurden.58 Die nach 1945 oft vorgebrachte Schutzbehauptung von Informanten, es seien nur in taktischer Absicht ganz gezielte, aber für die Gegenseite nicht verwertbare Informationen gegeben Eklat, als Reiter sich weigerte Religionsunterricht zu erteilen, solange die Schule mit einer Hakenkreuzflagge geschmückt sei, dies führte zu Interventionen der Partei sowie des Kultusministeriums im Ordinariat; vgl. ebenda, Kreisleitung Miesbach an EOM vom 13. 03. 1933. 56 Ludwig Mayrhofer, geb. am 23. 10. 1895 in München, Priesterweihe 1922, div. Kooperatorenstellen, 1926 Studienpräfekt in Burghausen, 1933 Kaplan in München-St. Rupert, 1933 Kooperator in Mühldorf, 1935 Kaplan in München-Forstenried, 1945 Kooperator in Altenerding, 1950 Vicarius substitutus in Rappoltskirchen, 1958 Expositus in Dünzhausen, gest. am 14. 03. 1970; vgl. AEM Priesterpersonalakten P III 1138. 57 Das Mühldorfer Tagblatt vom 06. 09. 1935 charakterisierte den Geistlichen folgendermaßen: »H. H. Kooperator Mayerhofer [sic!] war der Priester, der es verstand sich in die neue Zeit einzuleben, der seiner Jugend nachfühlen konnte und deshalb hat er sich auch wohl in der verhältnismäßigen kurzen Zeit seines Hierseins die Achtung, Wertschätzung und Liebe der Bevölkerung in einem Maße erringen können, wie kaum ein Priester vor ihm.« Auch ein weiterer Artikel, diesmal aus dem Mühldorfer Anzeiger vom selben Tag, lässt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig und hält fest: »H. H. Kooperator Mayerhofer [sic!] war ein Priester, wie man sich solche in unserer heutigen Zeit nur wünschen kann. Als echter deutscher Mann verstand er es, der neuen Zeit im neuen Deutschland vollauf gerecht zu werden.« AEM Priesterpersonalakten P III 1138, Zeitungsausschnitte. Bezeichnend ist, dass bereits diese Form der Anerkennung des Staates von den Standesgenossen akribisch registriert und kritisch beäugt wurde. Der für Mayrhofer zuständige Dekan Gregor Lunghamer aus Altmühldorf war es, der die beiden Zeitungsausschnitte versehen mit roten Markierungen an die Oberbehörde sandte. Dort landeten sie im Personalakt der vor wichtigen Entscheidungen von den Verantwortlichen stets konsultiert wurde. Aus kirchlicher Sicht war damit der Lobeshymnus für Mayrhofer ein Malus – seine Karriere verlief im Übrigen trotz eines guten Pfarrkonkurses und fortwährender Bewerbungen auf selbständige Posten nur unterdurchschnittlich. 58 Nach Angabe von Pfarrer Oskar Winsauer war ein Schwager Mayrhofers »Direktor im Propagandaministerium«; vgl. AEM, Seelsorgeberichte, Dekanat München-Süd, Seelsorgebericht der Stadtpfarrei München-Hl. Kreuz für das Jahr 1944. Näheres konnte nicht ermittelt werden; vgl. auch die negative Charakterisierung Mayrhofers ebenda. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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worden, erscheinen hingegen doch sehr fragwürdig, da kein Geheimdienst auf Dauer Informanten führt, die ersichtlich keinen Nutzen bzw. Schaden bringen. 6.2.2.1 Anti-Ultramontanismus und Nationalismus als ideologische Motive Ein Erklärungsansatz für die starke Präsenz der in diesem Abschnitt zu betrachtenden Gruppe nationalsozialistischer Kleriker innerhalb der Erzdiözese München und Freising liegt in der Bedeutung Münchens für die frühe NS-Bewegung. Bekanntlich war Bayern und insbesondere München das Zentrum der nach dem Krieg in großer Zahl entstandenen rechtsgerichteten antidemokratischen Bewegungen und Wehrverbände. Die höhere Konzentration von nationalen Kräften bedingte in einer katholischen Stadt naturgemäß eine höhere Konzentration von eben diesen Bewegungen anhängenden Geistlichen. Daran zu erinnern ist in diesem Zusammenhang, dass mindestens 41 Kleriker der Erzdiözese aktive Mitglieder in den Freikorps und nationalistischen Wehrverbänden der Weimarer Republik gewesen waren.59 Nochmals ist mit Verweis auf Kapitel 1 dieser Arbeit und das dort skizzierte Wählerverhalten zudem darauf hinzuweisen, dass es insbesondere in München keine grundsätzliche Identität von Katholiken und politischem Katholizismus gab. Dies allein war aber noch nicht ausschlaggebend für das überproportional häufige Auftreten nationalsozialistischer Kleriker in München. Derek Hastings hat mit einer schlüssigen und quellenbasierten Argumentation auf die Verbindungslinien zwischen der frühen NS-Bewegung und dem Katholizismus in München hingewiesen.60 Hierbei hat er besonders die Bedeutung Münchens als Zentrum christlich-sozialer und reformkatholischer Bewegungen herausgearbeitet, deren Anhänger sich dann in den Reihen der NS-Bewegung vor 1923 überproportional wieder fanden. Diese nationalen und reformorientierten katholischen Strömungen, die freilich im Verhältnis zum Mehrheitskatholizismus immer noch Randerscheinungen blieben und ebenso im Klerus auf nur mäßigen Widerhall stießen, vertraten einen anti-ultramontanen, individuellen religiösen Katholizismus gegen den römischen und wandten sich insbesondere gegen den politischen Katholizismus des Zentrums und der Bayerischen Volkspartei. Ihnen stand im Sinne eines vorwiegend nationalistisch geprägten Politikverständnisses und der Idee eines sogenannten positiven Christentums das Ziel der Überwindung konfessioneller Schranken näher, als die von Zentrum und BVP praktizierte parlamentarische Zusammenarbeit mit Gruppierungen, die sie als marxistisch und »verjudet« zu identifizieren glaubten. Mithin kamen hier mehrere Verbindungslinien zusammen. Eine aktivistische jüngere Frontkämpfergeneration, die nach dem Krieg mit nationalistischen 59 Vgl. die Auflistung bei Börst, Theologen, 97–100 und die Ausführungen in Kapitel 7 dieser Arbeit. Der Klerusverband selbst stand mit dem Dachverband der Einwohnerwehren, der Organisation Escherich unter Leitung des Forstrats Georg Escherich in Verbindung; vgl. Trenner, Klerusverband, 16 f.; zur Organisation Escherich vgl. Hübner, Organisation Escherich. Eine nationalistische Grundierung war in Teilen des Klerus also durchaus vorhanden. 60 Vgl. Hastings, Roots, bes. 17–45. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Ideologemen aufgeladen war und die bereits in der Vorkriegszeit wurzelnde Tradition eines eher antiultramontanen und reformistisch orientierten Katholizismus gleichfalls nationaler Prägung. Letzter hatte in München nach Ausweis der bisherigen Zusammenschau sein bedeutendstes Zentrum in der Gruppe der (ehemaligen) Hofkleriker bei der Stiftskirche St. Kajetan. Aus dem Hofklerus rekrutierte sich dann auch eine überproportionale Anzahl nationalsozialistisch orientierter Priester. Hierzu gehörten Männer wie August Wilhelm Patin61, der Cousin Heinrich Himmlers, der 1918 zum Stiftskanonikus ernannt wurde, Georg Stipperger62, seit 1912 Prediger bei St. Kajetan und 1918 zum Hofprediger ernannt, der spätere Freisinger Professor Robert Linhardt, von 1927 bis 1931 Stiftsprediger bei St. Kajetan, Hermann Maria Stöckle63, der spätere Rektor des Campo Santo Teutonico und Direktor des Römischen Instituts der Görres-Gesellschaft, von 1918 bis 1924 Chorvikar bei St. Kajetan und andere. 61 Vgl. zu ihm die nachfolgenden Ausführungen. 62 Georg Stipperger, geb. am 30. 12. 1881 in München, Priesterweihe 1905 in Freising, Kaplan in Pasing, 1907 Kurat bei St. Johann Nepomuk in München, 1909 Institutskaplan in Nymphenburg, 1910 Stadtpfarrprediger bei St. Ludwig in München, 1912 Chorvikar und Stiftsprediger bei der Hofkirche St. Kajetan in München (als Nachfolger des späteren Augsburger Weihbischofs Franz Xaver Eberle), nahm am Ersten Weltkrieg im freiwilligen Sanitätsdienst teil, mit EK II ausgezeichnet, am 04. 10. 1918 durch König Ludwig III. zum Hofbenefiziaten und Hofprediger an der Allerheiligenhofkirche ernannt, Ehrenkanonikus bei St. Kajetan (vgl. Schematismus 1921, 44 f. und 236). 1921 Abfall vom Priestertum und Zivilehe; Kirchenaustritt jedoch erst 1936. Nach der NSMachtergreifung zum 01. 05. 1933 in die NSDAP eingetreten (vgl. BA R [ehem. BDC] Ortskartei 3200 W0044 Stipperger Georg 30. 12. 1881). Zeitweilig Auftritte als Gauredner für die NSDAP in Oberbayern, fiel besonders durch kirchenfeindliche Ausfälle auf, infolgedessen häufig im Fokus kritischer Beobachtung durch die Kirchenbehörden, vgl. etwa AEM, Ordinariatssitzungsprotokolle vom 03.01. und 31. 01. 1936. Einige seiner Parteivorträge aus den 1930er Jahren dokumentiert in AEM, NL Neuhäusler 123a. Eine kircheninterne Aufstellung aus der Nachkriegszeit bezeichnete ihn spöttisch als »Bajazzo der Nazipartei«, was auf eine eigentümliche Rolle zu verweisen scheint. Nach dem Krieg war er bis 1947/48 in einem amerikanischen Kriegsgefangenenlager interniert; vgl. EAM, NL Faulhaber 5402, Liste der abgefallenen Priester [1948]. Im Mai 1948 suchte er um Wiederaussöhnung mit der Kirche nach, seine Zivilehe wurde im November 1948 geschieden, der Hl. Stuhl erteilte im März 1952 die Vollmacht zur Rekonziliation, Stipperger starb am 16. 11. 1971; vgl. Bernhart, Erinnerungen 1881–1930, Bd. 2, 1055 f. Ein Personalakt des AEM ist nicht erhalten. 63 Hermann Maria Stöckle, geb. am 09. 03. 1888 in Bayreuth, Priesterweihe 1912 in Freising, Aushilfspriester beim Institut der Englischen Fräulein in München-Nymphenburg, noch 1912 zu Studien beurlaubt, 1918 Chorvikar bei St. Kajetan, 1923 Promotion zum Dr. theol., 1924 Hausgeistlicher im Nebenamt an den Universitätskliniken, 1925–26 zu Studien in Rom, 1931 Rektor am Campo Santo Teutonico in Rom, 1941–1949 auch Direktor des Römischen Instituts der Görres-Gesellschaft, 1954 Rücktritt vom Rektorenamt, anschließend Domherr bei St. Peter in Rom, gest. am 12. 03. 1972 in Rom; vgl. AEM, Priesterpersonalakten P III 1767. Nach Hastings, Roots, 91 f. und 220 Anm. 84, spielte neben Stöckle auch sein Bruder Edmund eine bedeutende Rolle hinsichtlich des katholischen Engagements in der frühen NS-Bewegung. Ob Stöckle tatsächlich wegen seiner Sympathien für den Nationalsozialismus 1931 nach Rom versetzt wurde, kann nicht definitiv beantwortet werden, jedenfalls entwickelte er dort »wenig Initiativen« (Gatz, Römisches Institut, 12) und es scheint, man wusste nicht so recht, weshalb ausgerechnet er diesen Posten erhalten habe. Stöckle soll lt. Hastings auch als Spitzel für den SD bzw. für die Gestapo tätig geworden sein. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Der gewiss auch innerhalb der Gruppe des Hofklerus außerordentliche Fall Patins soll zunächst ausführlicher dargestellt werden. Patin wurde am 25. Juni 1879 in Würzburg geboren und 1904 in Freising zum Priester geweiht. Er ist damit der älteste der braunen Priester. In den Kreis des Hofklerus trat Patin 1907 durch seine Ernennung zum Chorvikar bei St. Kajetan ein.64 1918 wurde er ebenda Stiftskanonikus, daneben amtierte er während der 1920er Jahre als Religionslehrer an verschiedenen Schulen in München. Parallel verfolgte Patin wissenschaftliche Interessen, 1908 war er in Theologie promoviert worden65, daneben nahm er ein juristisches Studium auf, welches er im Jahr 1918 mit einer staatskirchenrechtlichen Promotion abschloss.66 Gemäß einem kirchlichen Urteil aus der Nachkriegszeit war Patin ein »für die Seelsorge unverwendbar[er] Schöngeist« und »Verehrer der ›Schönen Künste‹«67. Bereits in den frühen 1920er Jahren pflegte er regelmäßigen Kontakt zu seinem Cousin Heinrich Himmler, dem späteren Reichsführer-SS.68 Patin war der NS-Bewegung offenbar von Anfang an positiv zugetan.69 Vom Katholizismus wandte er sich deswegen keineswegs ab. Im Einvernehmen mit Himmler begann Patin nach der Machtergreifung für den Sicherheitsdienst der SS (SD) tätig zu werden und verfasste dort einschlägige Berichte zu kirchenpolitischen Themen.70 Erst zum 1. Mai 1934 wurde der Gymnasial64 Vgl. Schematismus 1935, 65 und 222. Im Schematismus 1938 ist Patin das letzte Mal genannt. Der Personalakt Patins im AEM (PA P I Patin, August Wilhelm) enthält nur einen Bogen mit den Allgemeinen Seelsorgsqualifikations-Noten aus dem Jahr 1904. Bei Spicer, Hitler’s Priests, 278 f. die biographischen Daten und Angaben zu weiteren Archivquellen. 65 Vgl. August (Wilhelm) Patin, Niceta. Bischof von Remesina als Schriftsteller und Theologe, München 1909. 66 Vgl. August Wilhelm Patin, Das Bayerische Religionsedikt vom 26. Mai 1818 und seine Grundlagen. Eine staatskirchenrechtliche Studie, Erlangen 1919. 67 Vgl. EAM, NL Faulhaber 5402, Liste der abgefallenen Priester (1948). 68 Dabei sollen auch Himmlers Glaubenszweifel thematisiert worden sein; vgl. hierzu Himmler, Brüder Himmler, 107. Patin »traf sich oft mit Heinrich, diskutierte mit ihm über die ›große Bedeutung der NSDAP zur Rettung unseres bedrängten Vaterlandes‹ zusammen besuchten sie politische Versammlungen im Hofbräuhaus« vermerkte die Großnichte Katrin Himmler, Brüder Himmler, 108; ähnliche Angaben in Patins Selbstzeugnis zur politischen Einstellung vom 9. März 1934 in: BA R (ehem. BDC) SSO 365A. Die monumentale Biographie von Longerich, Himmler, erwähnt Patin überraschenderweise nicht. 69 Einen Antrag auf Mitgliedschaft in der NSDAP stellte Patin nach eigenen Angaben erst nach der Machtergreifung im März 1933 bei der Ortsgruppe München-Lehel. Eine Parteimitgliedschaft Patins ist jedoch weder über die Orts- noch über die Zentralkartei der NSDAP (BA R [ehem. BDC] Zentralkartei 3IXX und Ortskartei 3200) nachweisbar. Dies führte bereits 1937 zu einiger Verwirrung, als Patin zum Beamten ernannt werden sollte und die von ihm behauptete Parteimitgliedschaft nicht nachgewiesen werden konnte. Nach einigem Hin- und Her und einer eidesstattlichen Versicherung des für Patin zuständigen Ortsgruppenleiters entschied das Amt für Mitgliedschaftswesen der NSDAP im April 1937, dass Patin unter der Mitgliedsnummer 1691360 als seit dem 01. 04. 1933 der NSDAP angehörig zu betrachten sei, vgl. BA R (ehem BDC) PK I 380, Nr. 636, Nr. 638 f., Nr. 642 und Nr. 644 ff. 70 Patin war damit der erste Kirchensachbearbeiter des SD überhaupt; vgl. Dierker, Glaubenskrieger, 52 und 91 f. Er konnte er sich Himmlers »Aufmerksamkeit für seine Ausarbeitungen sicher sein«, wie Wolfgang Dierker bemerkte, der etwa einen von Patin 1937 verfassten Bericht © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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professor durch das Ordinariat offiziell pensioniert, blieb aber vorerst Geistlicher und kam seinen Standespflichten wohl auch nach, etwa – für einen Mitarbeiter des SD ungewöhnlich genug – dem regelmäßigen Gang zur Beichte.71 Im Herbst 1938 wurde Patin – inzwischen Hauptsturmführer der SS – zum Oberregierungsrat ernannt.72 Zur selben Zeit stellte der nunmehr bereits 59-Jährige einen Antrag beim Rasse- und Siedlungshauptamt für die Eheschließung mit der 15 Jahre jüngeren Wilhelmine Schnitzler.73 In diesem Antrag gaben Patin und seine Braut bei der Konfession noch »katholisch« an, kurz darauf trat Patin jedoch aus der Kirche aus und bezeichnete sich nun als »gottgläubig«74. Ob Patin bei der Anwerbung Albert Hartls für den SD 1933/34 selbst eine Rolle spielte, ist ungeklärt.75 Patins Tätigkeit beim SD scheint primär in der Erstellung von Gutachten, Denkschriften und Berichten bestanden zu haben.76 über das Bamberger Domjubiläum fand, der von Himmler mit der handschriftlichen Bemerkung »gut gemacht« versehen worden war; vgl. ebenda 92 und Anm. 134. 71 Vgl. Dierker, Glaubenskrieger, 92. 72 Vgl. den Antrag auf Ernennung in BA R (ehem BDC), PK I 380, Nr. 652, Stellvertreter des Führers an Gauleitung München-Oberbayern vom 11. 05. 1938. Das Ordinariatssitzungsprotokoll vom 14. 10. 1938 (AEM, Ordinariatssitzungsprotokolle) vermerkt in diesem Zusammenhang: »Mitteilung des Stud. Professors a. D. Dr. Patin über seine Ernennung zum Oberregierungsrat und Antrag auf Streichung aus dem Diözesanschematismus.« Zur SS-Karriere vgl. BA R (ehem. BDC) SSO 365A, Personalbogen Wilhelm Patin aus der Führerkanzlei der SS-Personalkanzlei und SS-StammrollenAuszug Dr. Wilhelm Patin. 73 Vgl. BA R (ehem. BDC) RS E 482 Nr. 1818; ein solcher Antrag war aus rassepolitischen Gründen für alle SS-Angehörigen erforderlich. Ob die Eheschließung in so hohem Alter – nahezu zeitgleich mit der Verbeamtung – aus taktischen Gründen erfolgte, da der Ledigenstand bei höheren SSFunktionären stets ungern gesehen wurde, muss dahingestellt bleiben. M. E. liegt dies jedoch im Bereich des Wahrscheinlichen. Patin und Schnitzler führten bereits vor der Eheschließung einen gemeinsamen Hausstand, möglicherweise war sie als Haushälterin bei ihm beschäftigt. 74 Vgl. BA R (ehem. BDC) SSO 365A, Personalbogen Wilhelm Patin aus der Führerkanzlei der SSPersonalkanzlei. Hier ist in der Spalte Religion vermerkt: »(Kath.) gottgl. K[irchen]A[ustritt] 10.38«, das Kath[olisch] scheint nachträglich eingeklammert und das übrige zu diesem Zeitpunkt hinzugefügt worden zu sein. Im Zusammenhang mit der Eheschließung wird aber noch einmal die Bedeutung der persönlichen Protektion Patins durch Himmler deutlich. Offenkundig hatte seine Braut Schwierigkeiten, die für eine Heiratserlaubnis erforderlichen Nachweise zur »Erbgesundheit« ihrer Vorfahren zu erbringen. Die akribischen Sachbearbeiter im Rasse- und Siedlungshauptamt verlangten wiederholt geeignete Dokumente, die aber offensichtlich nicht zu erbringen waren, da die entsprechenden Unterlagen nicht auffindbar oder verloren waren. Schließlich reichte Patin, dem der Vorgang zu lange dauerte, ein Gesuch auf »bevorzugte Bearbeitung« seines Antrags beim Rasse- und Siedlungshauptamt ein und gab als einzige Begründung hierfür an: »Persönlicher Befehl des Reichsführers-SS« Wenige Tage später war die Genehmigung zur Eheschließung ohne weiteren Schriftverkehr erteilt; vgl. BA R (ehem. BDC) RS E 482 Nr. 1844. 75 Vgl. Dierker, Glaubenskrieger, 101. 76 Nach späteren Aussagen Albert Hartls wurde Patin 1938 damit beauftragt, ein theologisches Fachgutachten zu der Frage zu erstellen, wie die katholische Theologie die Euthanasiefrage beurteile. Patin habe sich die Sache aber zu einfach gemacht und sei in diesem Gutachten nicht auf theologische Detailfragen eingegangen, sondern habe lediglich summarisch festgestellt, »dass die Kirche im Laufe der Jahrhunderte aus allen möglichen Gründen Hunderte von Menschen hingerichtet © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Nach dem Beginn des Angriffskriegs auf Polen sichtete er im Oktober 1939 für den SD in Pelplin die Akten des Bischofs von Kulm, um Erkenntnisse über die Struktur der polnischen Intelligenz und die Aktivitäten und Netzwerke der katholischen Kirche in Polen zu erhalten.77 Patin blieb innerhalb des SD mit seinen aufstrebenden jugendlichen Karrieristen ein Außenseiter, mit dem man teilweise wenig anzufangen wusste.78 Der alternde und schrullige, jedoch sakrosankte Cousin des Reichsführers wurde offenbar mehr und mehr als Belastung gesehen, weshalb er schließlich auf eine Stelle im Reichssicherheitshauptamt transferiert wurde, wo er »wissenschaftliche« Untersuchungen verfasste, darunter eine 1942 nur für den Dienstgebrauch innerhalb der SS veröffentlichte Studie über die deutsch-vatikanischen Beziehungen während und nach dem Ersten Weltkrieg, die vor allem Nuntiatur- und Gesandtschaftsakten und anderes beschlagnahmte Aktenmaterial auswertete.79 Das Kriegsende überlebte Patin nur knapp, am 15. März 1946 starb er in einem amerikanischen Internierungslager.80 Um einen ebenfalls im Staatsdienst für die Nationalsozialisten tätigen Priester handelt es sich bei Joseph Roth.81 Die ältere Forschung tendierte dazu, Roth vor allem als »verirrtes schwarzes Schaf«82 darzustellen. Hingegen zeigte Heike Kreutzer als erste, dass Roth durchaus repräsentativ war für den Teil der Katholiken, der sich Anfang der Weimarer Republik von der Mehrheit des deutschen Katholizismus löste und sich nicht mehr in der Zentrumspartei beheimatet fühlte habe, und deshalb auch der Staat zum Wohle der Menschen Geisteskranke töten könne.« Vgl. Klee, Euthanasie, 279. Dies erschien ungeachtet des gewünschten Ergebnisses selbst dem SD als allzu absurde und am Ziel vorbeischießende Begründung in dieser Angelegenheit, weshalb man dort nochmals ein entsprechendes Gutachten in Auftrag gab, diesmal bei einem Moraltheologen; vgl. zu dieser Frage auch Dierker, Glaubenskrieger, 114 ff. 1938 war Patin an einem weiteren SD-Gutachten zu der Frage beteiligt, ob das Reichs- und österreichische Konkordat nach dem Anschluss im März 1938 noch als gültig anzusehen seien – das Gutachten verneinte diese Frage; vgl. ebenda, 440. 77 Für das gleichzeitig in Pelplin stattfindende Massaker, bei dem am 20. 10. 1939 das Pelpliner Domkapitel durch ein SA-Kommando zusammengetrieben und erschossen wurde, war er wohl nicht verantwortlich; vgl. Dierker, Glaubenskrieger, 505 f. 78 Ein internes SS-Zeugnis aus dem Jahr 1935 bescheinigt ihm, er habe ein »ruhiges Auftreten«, sei »sehr höflich« und »etwas lebensfremd«, zudem sei er »in Personalbeurteilungen nicht sicher, manchmal zu vorurteilslos.« Vgl. BA R (ehem. BDC) SSO 365A, Personalbericht Wilhelm Patin (ca. 1935). Dies sind nicht unbedingt Eigenschaften, die zu einer Führungsaufgabe in der SS qualifizierten. Werner Best charakterisierte ihn 1955 gegenüber Hans Buchheim als »wackelige[n], alte[n] Mann«; zit. nach Dierker, Glaubenskrieger, 91. 79 Vgl. Patin, Beiträge. Der Wert dieser – historisch durchaus interessanten – Untersuchung für die kirchenpolitischen Ziele der Nationalsozialisten dürfte eher gering zu veranschlagen gewesen sein. 80 Vgl. Spicer, Hitler’s Priests, 279. 81 Zu seiner Biographie siehe Bleistein, Überläufer; Baumgärtner, Joseph Roth (einseitig); Kreutzer, Reichskirchenministerium, 161–182 (mit Angabe der älteren, teilweise verstreuten Literatur in Anm. 269); Spicer, Hitler’s Priests, 93–100 und passim (Register) ferner Hastings, Roots, 68–70 und passim (Register). 82 So Kreutzer, Reichskirchenministerium, 162 in ihrer profunden Kritik dieser Sichtweise. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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und glaubte, die katholische Weltanschauung in nationalistischen Organisationen besser vertreten zu können.83

Kreutzer wies auch auf die Verankerung Josef Roths in der Frontkämpfergeneration hin, was seine ambivalente Haltung zu Staat und Kirche besser erklären kann, als moralisierende Haltungen wie die Roman Bleisteins, der die Karriere Roths ebenso wie diejenige Hartls unter der wenig analytisch wirkenden Rubrik »gescheiterte Lebensgeschichte« subsumierte, die nicht um eine Erklärung bemüht ist.84 Roth blieb immer Priester, auch wenn er später in Berlin seine Pflichten vernachlässigte. Er ging keine Ehe ein und fiel nie offiziell von der Kirche ab, wenngleich er deren Haltung gegenüber dem NS-Staat aus seiner nationalsozialistischen Perspektive scharf kritisierte. Roth wurde am 2. August 1897 in München geboren.85 Am Ersten Weltkrieg nahm er ab 1917 als Freiwilliger im 19. Bayer. Reserve-Infanterieregiments teil und erhielt hierfür mehrere Auszeichnungen. Nach dem Krieg studierte er an der Münchner Universität katholische Theologie und engagierte sich in verschiedenen rechtsgerichteten Verbänden u. a. als Studentenführer im Deutsch-Völkischen Schutz- und Trutzbund.86 1922 wurde er in Freising zum Priester geweiht und war dann wie üblich auf verschiedensten Posten eingesetzt. Für den Nationalsozialismus exponierte Roth sich früh87, so veröffentlichte er noch vor dem Hitler-Putsch im Parteiverlag der NSDAP sein Buch Katholizismus und Judenfrage, in welchem er den Ausschluss der Juden aus dem bürgerlichen Leben forderte.88 Andere Schriften folgten, darunter ein 1932 in Max Buchners Gelben Heften erschienener Aufsatz, in welchem er die Feminisierung des Katholizismus und die Verweiblichung katholischer Frömmig-

83 Kreuzer, Reichskirchenministerium, 163. Gleichwohl kann die Biographie Roths die fehlende historische Gesamtanalyse des Rechtskatholizismus, zu der bislang nur Bausteine vorliegen, nicht ersetzen; vgl. Richter, Nationales Denken; Hastings, Roots (fokussiert v. a. die Beziehung von Reformkatholizismus und Nationalsozialismus); Clemens, Martin Spahn und Marschler, Hans Barion, bleiben auf Einzelfiguren beschränkt. Es scheint, als entwickle insbesondere die deutsche historische Forschung übergroßen Respekt und Zurückhaltung angesichts des Themas. 84 Vgl. Kreutzer, Reichskirchenministerium, 161; Bleistein, Überläufer, 109. Auch Dierker, Glaubenskrieger, 75 verweist im Übrigen auf die Bedeutung der Generationenerfahrung bei den Mitarbeitern in der Kirchenabteilung des SD und den Umstand, dass mehr als 90 % der Kirchenreferenten des SD-Hauptamtes nach 1900 geboren wurden. 85 Biographische Angaben nach Kreutzer, Reichskirchenministerium, 161–180. Als Geburtsort Roths wird gelegentlich unzutreffenderweise Ottobeuren angegeben. 86 Vgl. Hastings, Roots, 68. 87 Vgl. hierzu Baumgärtner 1996, 223 f. mit teilweise absurd anmutenden Fehlurteilen, etwa hinsichtlich der angeblichen Verortung Roths in einer »protestantisch-deutschkirchliche[n] Christologie«. 88 Johann Roth, Katholizismus und Judenfrage, München 1923. Roth publizierte hier mit falschem Vornamen, vermutlich um seine Identität gegenüber der kirchlichen Oberbehörde zu verschleiern und das Imprimatur zu umgehen. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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keit beklagte.89 Seit 1924 hauptamtlicher Katechet und seit 1925 zugleich Kaplan in der Schwabinger Pfarrei St. Ursula, wechselte Roth im Jahr 1934 als Studienrat an die Maria-Theresia-Realschule in München und unterrichtete nebenher an einer nationalsozialistischen Jugendführerschule in Feldafing.90 Bis dahin war der Lebenslauf Roths – trotz seiner Sympathien für den Nationalsozialismus – eher unspektakulär verlaufen.91 Dies änderte sich 1935 schlagartig: Roth wurde Mitarbeiter im Reichsministerium für kirchliche Angelegenheiten in Berlin, bereits im Folgejahr wurde er zum Ministerialrat ernannt.92 Gegen anfängliche Bedenken Faulhabers erhielt Roth auf Drängen Neuhäuslers, der sich davon Vorteile für die Kirche versprach und den Reichsminister nicht verstimmen wollte, für seinen Wechsel in den Staatsdienst zunächst das oberhirtliche nihil obstat.93 1936 wurde es ihm jedoch wieder entzogen, vor allem da nun deutlich geworden war, dass Roth im Ministerium keineswegs den deutschen Bischöfen bzw. Rom entgegen zu kommen bereit war.94 Dennoch verblieb Roth im Ministerium. Dort fungierte er zunächst als Generalreferent und dann als Abteilungsleiter für die Katholische Abteilung.95 Seine Rolle hierbei war bedeutsam und einflussreich. Der NSDAP trat Roth merkwürdigerweise zu keinem Zeitpunkt bei. Roth hinterlässt den Eindruck eines sehr eigenständigen Akteurs, der es zwar in seinen Briefen an Faulhaber nie an der gebotenen formalen Reverenz fehlen ließ96, 89 Josef [sic!] Roth, Feminismus im öffentlichen Leben der Gegenwart, Gelbe Hefte 1932, 441–450; vgl. hierzu Baumgärtner, Joseph Roth, 226 f., der wesentliche Thesen dieses Aufsatzes referiert. Ein Exemplar auch in EAM, NL Faulhaber 7269. Mit dieser gerade unter national orientierten Priestern verbreiteten Argumentation knüpfte Roth auch an die Argumentationslinien der reformkatholischen Bewegung an; vgl. hierzu Hastings, Feminized Church. Die Gelben Hefte, in denen der Beitrag erschien, waren eine von dem in Würzburg und München lehrenden Historiker Max Buchner (1881–1941) herausgegebene katholisch-rechtsnationale Zeitschrift, die zwischen 1924 und 1941 erschien und sowohl für einen konfessionellen Brückenschlag, als auch eine Annäherung an die politische Rechte warb. Der Nationalsozialismus erschien Buchner und seinem Umkreis als ein geringeres Übel als der politische Katholizismus. Der Verbreitungsgrad der Zeitschrift blieb aber beschränkt; vgl. Richter, Nationales Denken, 245 f. 90 Vgl. Volk, Akten Faulhaber, Bd. 1, 136 f., Aufzeichnung Faulhabers vom 01. 06. 1936; Kreutzer, Reichskirchenministerium, 162. 91 Seit 1933 bestehende Kontakte zu Alfred Rosenberg (einen entsprechenden Briefwechsel aus dem Bundesarchiv wertete Baumgärtner, Joseph Roth, 228 f. aus), blieben den kirchlichen Behörden sicherlich verborgen. 92 1939 erfolgte die Beförderung Roths zum Ministerialdirigenten, bei beiden Ernennungen fehlten die entsprechenden beamtenrechtlichen Voraussetzungen; vgl. Kreutzer, Reichskirchenministerium, 162 und 177. 93 Vgl. EAM, NL Faulhaber 7269, Neuhäusler an Faulhaber vom 03. 09. 1935. 94 Vgl. Volk, Akten Faulhaber, Bd. 2, 64 f., 65 f. und 134 f. ferner Baumgärtner, Joseph Roth, 230– 232. 95 Dies war entsprechend dem Geschäftsverteilungsplans des Ministeriums vom Mai 1937 (Druck bei Kreutzer, Reichskirchenministerium, 347) eine von drei Abteilungen des Ministeriums. 96 So etwa, wenn er einen höflichen, aber in der Sache durchaus bestimmten Brief an Faulhaber noch im Mai 1936 mit der Bemerkung beendete: »Auch möchte ich diesen Brief nicht schließen, ohne © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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jedoch keineswegs bereit war, kirchliche Lobbyarbeit zu betreiben und stattdessen die Interessen des nationalsozialistischen Staates vertrat. Es war eine durchaus eigenwillige Situation, bei der beide Seiten sich bemühten, den offenen Bruch, der angesichts der Umstände eigentlich unvermeidlich war, dennoch zu vermeiden. Obwohl er die Messe nicht mehr feierte und das priesterliche Gewand abgelegt hatte97, gab Roth sein Priestertum nicht auf und blieb bis zuletzt – zumindest formal – Mitglied des Diözesanklerus.98 Das fehlende nihil obstat zeitigte für ihn keine disziplinarischen Konsequenzen von Seiten der kirchlichen Behörde, obwohl es für Faulhaber an sich geboten gewesen wäre, Roth mit einer Zensur zu belegen, also die Exkommunikation oder die Suspension über ihn zu verhängen. Neben seiner Ministeriumstätigkeit veröffentlichte Roth unter verschiedenen Pseudonymen zahlreiche Publikationen mit kritischer Zielrichtung v. a. über das Reichskonkordat.99 Am 5. Juli 1941 verunglückte er während eines Urlaubs bei einer Faltbootfahrt in der Nähe von Rattenberg am Inn (Tirol) tödlich.100 Patin und Roth hatten, obwohl sie unterschiedlichen Generationen angehörten, wohl ähnliche Motivlagen für ihr nationalsozialistisches Engagement. Beide wurzelten in nationalistischen Strömungen, die den politischen Katholizismus ablehnten und im München der 1920er Jahre früh, d. h. bereits vor dem Hitler-Putsch, mit der nationalsozialistischen Bewegung in Berührung kamen, mithin zu einem Zeitpunkt, als diese das Hauptreservoir ihrer Anhänger mutmaßlich aus Katholiken schöpfte und die Idee eines positiven Christentums vertrat.101 Hingegen fand der Geistliche Sebastian Schröcker102, neun Jahre jünger als Roth, erst wesentlich später, wenngleich aus ähnlichen Motivlagen zur NSDAP. Schröcker unterhielt enge freundschaftliche Bande zu Roth, der mit Schröckers Bruder Mitglied des Freikorps Oberland gewesen war.103 Geboren am 1. September 1906 in München, besuchte er zunächst das Ludwigsgymnasium und dann ab seinem 14. Lebensjahr Knabenseminar und Gymnasium in Freising. Anschließend nahm er das Studium der Rechtswissenschaft an der Universität München auf, etwas später das der katholischen Theologie.104 Schröcker war ein akademischer Überflieger: Seine erste juristische der Ihnen geziemenden Ehrfurcht Ausdruck zu geben.« EAM, NL Faulhaber 7269, Roth an Faulhaber vom 11. 05. 1936.  97 Vgl. Volk, Akten Faulhaber, Bd. 2, 794–796, Mitteilung Faulhabers vom 10. 09. 1941, hier 794 f.  98 Noch im Schematismus 1941, 150, wird seiner in der Totentafel des Diözesanklerus gedacht.  99 Vgl. die Bibliographie seiner Schriften bei Kreutzer, Reichskirchenministerium, 331 f. 100 Vgl. Volk, Akten Faulhaber, Bd. 2, 794–796, Mitteilung Faulhabers vom 10. 09. 1941. 101 Vgl. Hastings, Roots, 77–106. 102 Ein Personalakt Schröckers im AEM ist nicht erhalten, bis 1939 wurde er in den Schematismen der Erzdiözese geführt. Der Nachlass Schröckers befindet sich im privaten Besitz seiner Tochter in Berlin und wurde Ende der 1990er Jahre von Heike Kreutzer für ihre Arbeit über das Reichskirchenministerium ausgewertet, vgl. Kreutzer, Reichskirchenministerium, bes. 182–185, dort Anm. 168 auch der Hinweis auf weitere archivische Quellen zu seiner Person, vorwiegend im Bereich des Bundesarchivs, bei Spicer, Hitler’s Priests, 289 f. nur die biographischen Daten. 103 Vgl. Kreutzer, Reichskirchenministerium, 183 und Anm. 372. 104 Vgl. ebenda, 182. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Staatsprüfung 1929 legte er mit Auszeichnung ab, die juristische Dissertation des 25-Jährigen wurde 1931 mit summa cum laude bewertet.105 Im Jahr darauf schloss er auch das Theologiestudium ab und wurde 1932 in Freising zum Priester geweiht. Unmittelbar nach seiner Weihe war er – wie üblich – auf einigen Aushilfsposten tätig. Im Oktober 1933 wurde Schröcker zum Studium beurlaubt und zwei Jahre später in Kirchenrecht promoviert.106 Bereits im Sommer des Folgejahres legte der erst 29 Jahre alte Geistliche sein Habilitationsschrift über den Anstaltsbegriff im Kirchenrecht vor.107 Als Schröcker schließlich 1938 auf eine Dozentenstelle für Kirchenrecht an die Münchener Universität berufen werden sollte108, widersprach Faulhaber seiner Berufung ebenso wie der Hans Barions109 auf den Münchner kanonistischen Lehrstuhl. Im Falle Schröckers wurde dies damit begründet, dass dieser – so Faulhaber in seinem diesbezüglichen Bericht – wesentliche Verpflichtungen, die er mit den Weihen übernommen hatte, für sich mit der Begründung nicht anerkannte, er sei zu den Weihen gezwungen worden.110 Das Reichskirchenministerium ernannte Schröcker aber ungeachtet des konkordatsmäßig garantierten Einspruchrechts des Diözesanbischofs zum Dozenten. Da entsprechende Eingaben in der Sache nichts fruchteten, verweigerte Faulhaber Schröcker die missio canonica und verbot schließlich vor Beginn des Wintersemesters 1938/39 den Theologiestudenten den Besuch seiner und Barions Lehrveranstaltungen.111 Eine zweieinhalbstündige Aussprache mit Faulhaber über die Erfüllung seiner priesterlichen Pflichten war wohl ohne Erfolg geblieben.112 Schröcker blieb daraufhin nicht an der Universität, zumal deren Theologische Fakultät ohnehin geschlossen werden sollte, sondern wechselte im November 1938 in das Reichskirchenministerium, wo er enger Mitarbeiter Josef Roths wurde, der sich auch bei Reichsminister Kerrl für ihn verwandt hatte.113 Das 105 Ebenda. 106 Sebastian Schröcker, Die Verwaltung des Ortskirchenvermögens nach kirchlichem und staatlichem Recht, Paderborn 1935. 107 Vgl. Kreutzer, Reichskirchenministerium, 182 Anm. 370. Hierzu war eine Ausnahmegenehmigung von der Habilitationsordnung erwirkt worden, da normalerweise ein Zeitraum von zwei Jahren zwischen Dissertation und Habilitation zu liegen hatte. Hilfreich war in dieser Sache, laut Kreutzer, Reichskirchenministerium, 182 Anm. 370, der Jurist Prof. Werner Weber, Oberregierungsrat im Reichswissenschaftsministerium und Mitglied der NSDAP, der sich im Bayerischen Kultusministerium erfolgreich für eine Aufhebung der Wartezeit im Falle Schröckers einsetzte. Das Engagement des nicht kirchenfreundlichen Weber für den Priester Schröcker mag darauf hindeuten, dass bereits zu diesem Zeitpunkt ein Netzwerk Schröckers in Parteikreise existierte und die Bindungen in diese Richtung stärker waren als in Richtung Kirche. Zur Beurteilung der staatskirchenrechtlichen Schriften Schröckers vgl. auch Winter, Staatskirchenrecht im Dritten Reich. 108 Vgl. Volk, Akten Faulhaber, Bd. 2, 574–577, hier 576. 109 Vgl. hierzu Kapitel 2.5.3. 110 Vgl. Volk, Akten Faulhaber, Bd. 2, 633–637, hier 635. Laut Marschler, Hans Barion, 59, handelte es sich u. a. um die Nichtbeachtung der Brevierpflicht. 111 Vgl. Volk, Akten Faulhaber, Bd. 2, 603 f. 112 Diese erwähnt bei Kreutzer, Reichskirchenministerium, 183. 113 Vgl. Volk, Akten Faulhaber, Bd. 2, 637 ff., hier 639; Kreutzer, Reichskirchenministerium, 183 f. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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hierfür erforderliche nihil obstat Faulhabers hatte er nicht eingeholt.114 Da keine Planstelle frei war, wurde Schröcker zunächst Angestellter im höheren Dienst. Schröcker strebte nun wohl eine Karriere im Staatsdienst an, was ihm auch erfolgreich gelang. Bereits zwei Jahre später vertrat er auf der Beerdigung Josef Roths das Reichskirchenministerium. Er führte nun die Dienstbezeichnung eines Landgerichtsrates.115 Im Oktober 1943 wurde er schließlich auch in das ordentliche Beamtenverhältnis übernommen und zum Regierungsrat ernannt.116 Die genauere Tätigkeit Schröckers im Reichskirchenministerium ist bislang nicht untersucht. Er bearbeitete vornehmlich »die katholischen Bereiche, insbesondere Finanz- und Vermögensrecht, Stiftungsund Schulangelegenheiten sowie Fragen des Staatskirchenrechts.«117 Ferner war er für Rundfunk und Film, Kunst und Musik sowie Schrifttum, Presserecht und Zensur zuständig, soweit katholische Angelegenheiten berührt waren.118 Seine Mehrfachausbildung als Theologe, Kanonist und Jurist dürfte ihn für seine Tätigkeit in hervorragender Weise qualifiziert haben. Als besonders aktivistisch im nationalsozialistischen Sinne wird man Schröcker ungeachtet seiner nationalistischen Grundierung und der generationellen Prägung jedoch nicht bezeichnen können. Er stand der NS-Bewegung im Grundsatz positiv, aber ohne großes persönliches Engagement gegenüber. Im Zeugnis eines Dozentenlagers wurde er wie folgt charakterisiert: Schröcker zeigt sich von stillem zurückhaltenden Wesen und spricht in seiner Gesamthaltung weder für noch gegen das Zeitgeschehen. Er wirkt passiv, reserviert und auch ästhetisch. In politischer Hinsicht befindet er sich noch entschieden in der Umklammerung kirchlichkathol[ischer] Stellung gegenüber dem Nat[ional]Soz[ialismus]. Im Allgemeinen mag er über originelles und geistiges Denken verfügen, ist aber aus politischen Gründen sowohl, als auch seiner sensiblen weichen Natur wegen, noch nicht im vollem Umfange brauchbar.119

114 Vgl. ebenda, 639. 115 Vgl. ebenda, 796. 116 Vgl. Kreutzer, Reichskirchenministerium, 184 Anm. 377. 117 Ebenda, 185. 118 Vgl. ebenda. 119 BA R (ehem. BDC) DS B 40, Nr. 1456: Zeugnis des NS-Dozentenbundes für Schröcker vom Oktober 1938 (Die oben angeführte Passage wiederum aus einer hierin zitierten längeren Passage aus dem nicht näher datierten Zeugnis eines Dozentenlagers). Ein im selben Jahr – ebenfalls im Vorfeld seiner Berufung in das Ministerium – erstelltes politisches Zeugnis der NSDAP-Ortsgruppe München-Laim hält fest: »Er steht dem Nationalsozialismus bejahend gegenüber. Er wohnt bei seinem Vater, der in den einfachsten Verhältnissen lebt. Bei Sammlungen und dergleichen gibt er nach seinen Kräften. Eine positive Mitarbeit kann von ihm erwartet werden. In seinem Haushalt wird bei den angeordneten Beflaggungen Folge geleistet. Der Deutsche Gruß wird geboten und erwidert. Versammlungen und Veranstaltungen seiner Ortsgruppe werden hin und wieder besucht, soweit es ihm nach seinen Angaben dienstlich möglich ist.« BA R (ehem. BDC) PK L 47, Nr. 2734 ff., Zeugnis der Ortsgruppe München-Laim vom 08. 11. 1938. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Über die Mitgliedschaft Schröckers in der NSDAP können keine gesicherten Aussagen gemacht werden, er hat diese frühestens im November 1940 beantragt.120 Nach dem Ende des Dritten Reichs war Schröcker seit seiner Entlassung aus englischer Kriegsgefangenschaft im November 1945 zunächst einige Jahre freiberuflich tätig, bevor er 1952 seine Beamtenkarriere zunächst als Richter am Landesverwaltungsgericht Braunschweig fortsetzte. Bereits im Folgejahr wechselte er an das Oberverwaltungsgericht Lüneburg. 1955 erreichte Schröcker schließlich den Gipfelpunkt seiner Karriere, er wurde zum Bundesrichter am Bundesverwaltungsgericht in Berlin ernannt, ein Amt, dass er bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1974 ausübte.121 Die Trennung vom Priestertum manifestierte sich auch in einer Eheschließung, deren Zeitpunkt jedoch nicht bekannt ist. Schröcker verstarb 1992 im hohen Alter von 86 Jahren in Berlin.122 Der Werdegang eines weiteren Priester aus der Gruppe der aktiven Kollaborateure, Albert Hartl, ist – trotz einiger bleibender Unklarheiten – inzwischen relativ gut erforscht.123 Auch seine Biographie weicht zunächst von der eines prototypischen Diözesanklerikers kaum ab.124 1904 in Roßholzen im ländlichen Oberbayern geboren, kam er unter dem Einfluss einer als »sehr kirchlich«125 charakterisierten Mutter, zunächst ins Knabenseminar Scheyern, dann nach Freising. Nach einem Studium an der Münchner Universität empfing er 1929 die Priesterweihe. Nach den üblichen wechselnden Dienstposten erhielt er im Mai 1932 eine der Präfektenstellen am Freisinger Knabenseminar. Bis dahin war Hartl vor allem durch seine Vorzüge und gute Benotungen aufgefallen126, eine entsprechende innerkirchliche Karriere schien durchaus denkbar, doch dann erreichte Hartl in der Pfarrkonkursprüfung 1933 nur den 120 Vgl. hierzu Kreutzer, Reichskirchenministerium, 184 Anm. 379. In den Akten finden sich widersprüchliche Angaben zur Parteimitgliedschaft, da Schröcker bei seiner Ernennung zum Regierungsrat 1943 als Nichtparteimitglied geführt wurde. Auch in einer weiteren Auflistung aus dem Jahr 1944 ist er als Nichtparteimitglied verzeichnet. Es existiert jedoch andererseits eine Mitgliedskarte aus der Zentralkartei der NSDAP, laut der Schröcker am 13. 11. 1940 die Parteimitgliedschaft beantragte und zum 01. 01. 1941 in die NSDAP aufgenommen wurde, vgl. BA R (ehem. BDC) Zentralkartei 3IXX Q0050 Schröcker Sebastian 01. 09. 1906. 121 Vgl. den Kommentar zur Edition »Die Kabinettsprotokolle der Bundesregierung online«, URL: : Kabinettsprotokolle 1955, 71. Kabinettssitzung am 16. 02. 1955 und Kabinettsprotokolle 1962, 14. Kabinettssitzung am 08. 02. 1962 (siehe auch Personenindices). 122 Kreutzer, Reichskirchenministerium, 185 Anm. 384. 123 Vgl. v. a. die sehr gründliche Darstellung durch Dierker, Glaubenskrieger, 96–118 und passim [Register], dort 96 Anm. 2 auch die ältere Literatur und die maßgeblichen Quellen. Spicer, Hitler’s Priests, widmet Hartl keine umfassendere Erörterung. Ein eigentlicher Personalakt Hartls im AEM ist nicht erhalten, jedoch eine nach 1945 angelegte, relativ umfangreiche Personendokumentation, die bei den Personalakten eingeordnet ist: AEM, Priesterpersonalakten P III 613. 124 Vgl. auch die Hinweise zu seiner autobiographischen Selbstreflexion unter dem Pseudonym Anton Holzner in Kapitel 2.1.2 dieser Arbeit. 125 So Hartl in einem Lebenslauf vom Oktober 1938, hier zit. nach Dierker, Glaubenskrieger, 90. 126 Vgl. Bleistein, Überläufer, 91. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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47. von 53 Plätzen, ein denkbar schlechtes Ergebnis, möglicherweise Ausdruck einer bereits vollzogenen innerlichen Abkehr vom Katholizismus.127 Sichere Anzeichen für eine Hinwendung Hartls zum Nationalsozialismus gibt es erst für die Zeit nach der Machtergreifung, doch könnte auch er bereits während seiner Münchner Studienzeit Mitte der 1920er Jahre mit entsprechenden geistigen Strömungen in Berührung gekommen sein.128 Zu seinem Umgang gehörte der Freisinger NSDAP-Kreisleiter Karl Lederer, der Stiefbruder seines Kurskollegen Otto Lederer.129 Zum 1. Mai 1933 trat Hartl in die NSDAP ein, innerkirchlich blieb dieser Schritt wohl verborgen. Gleichzeitig bemühte er sich um eine Anstellung als Religionslehrer an der Freisinger Lehrerbildungsanstalt, offenbar war ihm die Stellung eines Seminarpräfekten lästig. Domkapitular Röhrl lehnte dieses Ansuchen gegenüber dem Kultusministerium jedoch unter Verweis auf bereits vorgefallene »Unvorsichtigkeiten im Umgang mit Mädchen« ab, die Hartl für einen derartigen Posten disqualifizierten.130 Zu ideologisch-weltanschaulichen Motiven traten Zölibatsschwierigkeiten. Hartl verblieb – vermutlich auch mangels anderer Möglichkeiten – zunächst auf seinem Posten als Seminarpräfekt. Erst Ende des Jahres 1933 kam es dann im Zuge der Denunziation des Seminardirektors Roßberger tatsächlich zum finalen Bruch mit der Kirche.131 Nicht zu klären ist, auf welche Weise Hartl in der Folge den Weg zum Sicherheitsdienst des Reichsführers-SS gefunden hat, in den er wenige Monate später eintrat.132 Noch im Jahr 1934 übernahm er in Berlin die Leitung der dortigen Kirchenabteilung, baute das Spitzelnetz des SD aus, hielt Schulungsvorträge und verfasste Aufsätze und Bücher. 127 So das Urteil von Bleistein, Überläufer, 91. Wolfgang Dierker kam nach der Analyse der zur Verfügung stehenden Quellen zu der Auffassung, dass »Hartl von einer tiefen Glaubenssehnsucht erfüllt war, sich aber von der katholischen Lehre, den kirchlichen Institutionen und der priesterlichen Lebenssituation zunehmend entfremdet hatte.« Die Verführungskraft des Nationalsozialismus habe die innere Abwendung dann auch zum äußeren Bruch getrieben; vgl. Dierker, Glaubenskrieger, 98. 128 Der damalige Freisinger Theologiestudent Valentin Niedermeier erinnerte sich im Gespräch mit Roman Bleistein 1995 an Hartl und charakterisierte ihn als »einen Menschen ohne religiöse Tiefe und ohne Achtung«; vgl. Bleistein, Überläufer, 92 Anm. 97. Hier bleibt relativierend zu bemerken, dass Topoi dieser Art in allen Erinnerungen Geistlicher an Hartl auftauchen, was – zumal dieser Eindruck von den offiziellen Beurteilungen Hartls abzuweichen scheint – möglicherweise weniger Ausdruck einer Beobachtung, als eines entsprechenden klerikalen Narrativs im Umgang mit der Geschichte von Abgefallenen sein könnte. 129 Otto Lederer, geb. am 20. 09. 1905 in München, Priesterweihe 1929, 1929 Kaplan in Gilching, 1930 Pfarrvikar in Aubing, Koadjutor in Trudering, 1932 Kaplan in Trudering, 1933 Kurat in Waldtrudering, 1941 Stadtpfarrer daselbst, 1973 Prälat, gest. 17. 05. 1977; vgl. Schematismus 1950, 50 und 269. 130 Bleistein, Überläufer, 94 f.; Dierker, Glaubenskrieger, 99 Anm. 17 verweist darauf, dass es während Hartls Präfektenzeit zu einem »dienstaufsichtlichen Verfahren« nicht näher bekannten Inhalts gegen ihn gekommen sei. Vermutlich handelte es sich um eine Untersuchung bezüglich des von Röhrl erwähnten Tatbestandes. 131 Vgl. zu diesen Ereignissen die Schilderung im Kapitel 2.2.2 dieser Arbeit. 132 Am 25. 04. 1934 wurde Hartl in die SS übernommen, durch die Erzdiözese wurde er rückwirkend zum Januar 1934 beurlaubt, eine Suspension erfolgte jedoch nicht, vgl. Schematismus 1935, 317. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Er war fleißig, ehrgeizig und wurde durch Reinhard Heydrich gefördert. 1937 hatte er bereits den Rang eines SS-Hauptsturmführers erreicht, im selben Jahr heiratete er die wesentlich jüngere Jungmädelführerin Marianne Schürer-Stolle. Seine Persönlichkeit wurde von ihm selbst wie von anderen als eigenwillig beschrieben. Ernst und verschlossen wie er war, fand er zudem kaum Zugang zu Kollegen und Untergebenen, hinzu kam ein für einen SS-Mann wenig passendes Auftreten – er blieb mithin ein Außenseiter.133 Seine Selbstzweifel kompensierte er durch immer neue Varianten schriftstellerischer Talentproben, in denen er seinen Abfall vom Katholizismus vor sich und anderen rechtfertigte und den Glauben an Adolf Hitler und die Ziele der Bewegung beschwor.134 1940 wurde Hartl versetzt, zunächst in die Abteilung II, dann in die Abteilung IV des neu gegründeten Reichssicherheitshauptamts, ab März 1941 leitete er die dortige Gruppe IV B, mit dem Geschäftsbereich »Kirchen, Freimaurer und Judenangelegenheiten«. Damit war Hartl Vorgesetzter von Adolf Eichmann, jedoch traf er offenbar keine Entscheidungen im Zusammenhang mit der Deportation und Ermordung der europäischen Juden.135 Die Anbahnung einer sexuellen Affäre im Dienst kostete Hartl aber schon bald seine Stellung, nach einem Disziplinarverfahren wurde er Anfang 1942 zum Stab der Einsatzgruppe C der Sicherheitspolizei und des SD nach Kiew abkommandiert. Zunächst hatte er auch dort die Aufgabe der kirchenpolitischen Berichterstattung, ab Herbst 1942 war er aber stärker in die Führung der Einsatzgruppe eingebunden (Leitung der Abteilungen Personal und Verwaltung) und wurde im Oktober 1942 auch mit dem Kriegsverdienstkreuz II. Klasse ausgezeichnet. Bis heute ist ungeklärt, inwieweit Hartl im Rahmen seiner Tätigkeit bei der Einsatzgruppe, zu deren Aufgaben ab Spätsommer 1942 die Ermordung der in der Ukraine und in Südrussland noch verblieben Juden zählte, sich an diesen Verbrechen des Nationalsozialismus aktiv beteiligt hat. Es gelang ihm nach 1945 in diversen Gerichtsverfahren stets seine angebliche Sonder- und Außenseiterrolle bei der SS zu betonen, auch dass er Mordbefehle konsequent verweigert habe, so dass er nie angeklagt wurde.136 Nach der Verletzung durch eine Mine im Winter 1942/43 133 Vgl. Dierker, Glaubenskrieger, 103. 134 Zu den – teilweise in großer Auflage veröffentlichten Titeln – zählten die unter dem Pseudonym Anton Holzner veröffentlichten Werke Priestermacht (1939), Das Gesetz Gottes (1940), Ewige Front (1940), Zwinge das Leben (1941) u. a., vgl. die Analyse einiger Schriften Hartls bei Bleistein, Überläufer, 101–105. Jedoch konnte er auch darin den Priester nicht verleugnen, wie Wolfgang Dierker zu dem von Hartl vertretenen »völkischen Pantheismus« treffend bemerkte: »… seinen religiösen Überzeugungen, soweit er sie zu erkennen gab, war die lebensgeschichtliche Prägung des abtrünnigen Priesters anzumerken. Im Mittelpunkt stand ein unbestimmter ›Heiliger Glaube an das Allerhöchste‹, das sich dem Menschen fernab der Zivilisation offenbare, bevorzugt im Anblick der Berge und des Meeres, prächtiger Sonnenaufgänge und des unendlichen Sternenhimmels. Die entscheidende Frage nach einem personalen Gott wischte Hartl als Dogmatismus beiseite, und statt einer Erlösung im Jenseits postulierte er ein Fortleben des ›nordischen Menschen‹ in seinen Kindern und Enkeln.« Vgl. Dierker, Glaubenskrieger, 104 f. 135 Vgl. ebenda, 105 f. 136 Vgl. ebenda, 108 f. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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verbrachte Hartl längere Zeit im Lazarett. Im Sommer 1943 wurde er schließlich dem SD-Auslandsnachrichtendienst zugeteilt und nach Bled (Slowenien) geschickt. Seine genaue Tätigkeit dort ist unklar, im Wesentlichen dürfte es sich um die Pflege nachrichtendienstlicher Kontakte zu verschiedenen Persönlichkeiten aus dem kirchlichen Umfeld gehandelt haben. Im Frühjahr 1945 flüchtete er vor den alliierten Truppen nach Tirol und wurde schließlich im Mai 1945 bei Kitzbühl verhaftet. In der Folge diente sich Hartl nicht ohne Geschick der amerikanischen Besatzungsmacht an, trat als Zeuge in mehrere Kriegsverbrecherprozessen – vor allem im Einsatzgruppenprozess – auf, stilisierte sich selbst dabei »als unschuldiger ›weicher‹ Außenseiter inmitten rücksichtsloser Massenmörder«137 und ließ den Ressentiments gegen seine früheren Kollegen freien Lauf.138 1948 wurde Hartl durch eine Spruchkammer in der britischen Besatzungszone zu vier Jahren Gefängnishaft verurteilt. 1951 heiratete er zum zweiten Mal. Nach seiner Entlassung aus der Haft schloss er sich den Deutschen Unitariern an, einer freireligiös, pantheistisch orientieren Gemeinschaft, in der sich viele ehemalige Nationalsozialisten sammelten. In deren Schriftenreihe veröffentlichte er eine Fülle weiterer Publikationen, die in ihrem Bekenntnis zu einem banal-populären Pantheismus und mit ihrer Kritik an der katholischen Kirche an seine Publikationen während des Dritten Reichs bruchlos anknüpften. Hartl verstarb 1982 im Alter von 78 Jahren. Während Patin, Roth, Schröcker und Hartl der Übergang von der klerikalen zur zivilen Karriere in der NS-Gesellschaft mehr oder weniger erfolgreich gelang, scheiterte der Geistliche Benedikt Bader139 bei diesem Versuch. Auch Bader, 1931 zum Priester geweiht, lehnte den politischen Katholizismus ab und sah im Nationalsozialismus bereits vor der NS-Machtergreifung eine begrüßenswerte nationale Aufbruchs- und Einigungsbewegung.140 Eine Mitgliedschaft in der NSDAP ist 137 Ebenda, 112. 138 Hartl galt dabei bald als Kronzeuge gegen die Entlastungsstrategie vom Befehlsnotstand, er war der Prototyp eines höheren SS-Angehörigen, der angeblich ohne schwerwiegende persönlich Folgen Mordbefehle verweigert hatte. Erst 1965 kam es gegen Hartl selbst zu einem Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts, er und andere Referenten des Amtes IV hätten die Ermordung von Geistlichen angeordnet. Das Verfahren wurde aus Mangel an Beweisen jedoch 1972 wieder eingestellt; vgl. Dierker, Glaubenskrieger, 113. 139 Benedikt Bader, geb. am 10. 07. 1906 in Untergrainau, Priesterweihe 1931 in Freising, Koadjutor in Vachendorf, 1932 Kurat in Lenggries, 1934 Kooperator in Weichs, 1935 Kooperator in Velden, 1937 Kurat und Schulbenefiziat in Frauenried, 1940 Sanitätsdienst, gest. nach 1944 (Todeszeitpunkt unbekannt). Der originale Personalakt Baders ist nicht erhalten, ein offenbar nach 1945 gebildeter Akt enthält nur ein einziges Schriftstück; vgl. AEM, PA P III 74. Die Angaben hier nach Schematismus 1939, 32 und 302 sowie einem selbst verfassten Lebenslauf Baders aus dem Jahr 1943 in BA R (ehem. BDC), PK A 120, Nr. 3018–3022; zu ihm ferner Spicer, Hitler’s Priests, 241 f. 140 Über seine Seminarzeit klagte Bader später, er habe mit dem dort herrschenden »Geisteszwang in politischen und kirchenpolitischen Fragen« ungeheuere Schwierigkeiten gehabt: »Sobald diese Masse [der Seminaristen; Th. Fo.] gewittert hatte, dass ich in Fragen der Politik der Parteien, des Staates, der Kirche anders dachte als sie, wurde[n] ich und meine Freunde insbesondere [in das] Tagesgeschwätz einbezogen. Obwohl ich nie den Versuch unternahm, andere für meine Über© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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jedoch nicht nachweisbar. In einem längeren Schreiben bat Bader, zu dieser Zeit Schulbenefiziat und Kurat in Frauenried, Kardinal Faulhaber im Februar 1938 ihn nicht mehr in der öffentlichen Seelsorge zu verwenden.141 Bader gab später vor allem politische Motive für seine Bitte an, da ihm der Seelsorgsdienst infolge seiner »eigenen politischen Haltung und der sich immer mehr vergrößernden Schwierigkeiten zwischen Episkopat und Partei und Staat wenig Freude«142 gemacht habe. Bader sah sich selbst – dies wird bereits in seinem Schreiben an Faulhaber vom Februar 1938 deutlich – als Opfer, als Mann, dessen hohe nationale Ideale an der Geschlossenheit und Abwehrhaltung des Klerus gegenüber nationalsozialistischen Denken abgeprallt waren, gestand sich jedoch zugleich ein, dass auch sein priesterlicher Lebensentwurf unglücklich verlaufen war: »Meine Priesterideale sind gescheitert, meine Hoffnung nicht«143, formulierte er pathetisch. Nach dem Umsturz 1933 sei er aus dem Klerus heraus verstärkt angefeindet und geschnitten worden, man habe versucht, seine »priesterliche Ehre«144 zu besudeln. Bader ging hierbei ganz im Genuss seiner persönlichen Interpretation der Christusnachfolge auf: »Ich werde auch weiterhin diese Verachtung auf mich nehmen, weil ich ja doch nicht die Macht habe, sie in Wohlwollen umzuwandeln«145, schrieb er an Faulhaber. Diesem ging soviel private Opfermystik entscheiden zu weit: 1938 wurde ein kanonisches Strafverfahren gegen Bader eröffnet, offiziell mit der Begründung, dass er sich öffentlich kritisch über den Fall des Domkapitulars Dr. Gartmeier geäußert habe.146 Er wurde anschließend in das mindere Amt eines Kuratbenefiziaten zurückgestuft und verlor auch seine Stellung

zeugung zu gewinnen, suchte man mich bis auf den heutigen Tag in das urteilslose Denken ihrer Masse hineinzuzwingen. Wenn ich kommunistischen Meinungen angehangen wäre, wäre ich ungeschoren geblieben, aber weil ich meine politische Hoffnung auf den jetzigen Kanzler des Reiches baute, war ich ein weißer Rabe auf den alle loshackten.« EAM, NL Faulhaber 5404, Bader an Faulhaber vom 22. 02. 1938. 141 »Mir schwebte folgendes Seelsorgerbild vor: liturgische Erneuerung nach Klosterneuburger Erkenntnissen, allmählicher Abbau der kirchlichen Vereine, die lediglich als 10 % Erfassung von Gläubigen nicht vereinend, sondern trennend wirkten, Entpolitisierung des religiösen Leben inn[er-] u[nd] außerhalb der Kirche, vor allem aber Entpolitisierung des Priesters in dem Sinne, dass er eine politische Meinung hat, äußert oder aufzwingt, von seiner amtlichen Stellung und von seinem religiösen Glauben her, mit diesem seine politische Meinung und Verkündung begründend. In diesen Idealen wurde ich bestärkt, dass Adolf Hitler u[nd] seine Bewegung im politischen Kampfe mit den Parteien siegen werde.« EAM, NL Faulhaber 5404, Bader an Faulhaber vom 22. 02. 1938. Ein Antwortschreiben Faulhabers ist nicht erhalten. 142 BA R (ehem. BDC), PK A 120, Nr. 3018–3022, Lebenslauf vom 20. 10. 1943. 143 EAM, NL Faulhaber 5404, Bader an Faulhaber vom 22. 02. 1938. 144 Ebenda. 145 Ebenda. 146 So die Angabe Baders in BA R (ehem. BDC), PK A 120, Nr. 3018–3022, Lebenslauf vom 20. 10. 1943. Vermutlich war dieser geringfügige Anlass aber nur der gewollte Aufhänger für eine grundsätzliche obrigkeitliche Disziplinierungsmaßnahme gegen den weltanschaulich abgedrifteten Geistlichen. Zu den Hintergründen der causa Gartmeier vgl. Kapitel 5.3.2 dieser Arbeit. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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in der Schule.147 Zugleich versuchte man offenbar, ihn auf der Hausgeistlichenstelle in einer Anstalt ruhigzustellen.148 Daraufhin beabsichtigte Bader einen Wechsel in die Wehrmachtsseelsorge, den ihm seine Oberbehörde jedoch nicht gestattete. Nach Kriegsausbruch 1939 meldete er sich zur Wehrmacht und wurde schließlich im Januar 1940 zur Sanitäts-ErsatzAbteilung eingezogen.149 Im März 1943 erklärte er gegenüber dem Erzbischöflichen Ordinariat, dass er seinen priesterlichen Beruf nicht wieder auszuüben gedenke und setzte auch seine militärischen Vorgesetzten mit der gleichzeitigen Bitte um Versetzung davon in Kenntnis.150 Bader strebte nun die Übernahme in ein ordentliches Beamten- oder zumindest Angestelltenverhältnis an.151 Zwar gelang es Bader, nach einer Erkrankung nicht erneut zur Wehrmacht eingezogen zu werden, die erwünschte Stellung im öffentlichen Dienst erhielt er jedoch nicht, obwohl sich selbst die Gauleitung München-Oberbayern der NSDAP im Auftrag der Parteikanzlei für ihn verwendete und bei der Stellensuche behilflich war. Möglicherweise weil Bader aus einer Bauernfamilie stammte, versuchte die Gauleitung ihn – allerdings erfolglos – bei der Landesbauernschaft Bayern des Reichsnährstandes unterzubringen.152 Baders Spur verliert sich 1944. Offenbar ging er um diese Zeit auch eine zivile Ehe ein.153 Es ist nicht bekannt, ob er erneut zum Sanitätsdienst herangezogen wurde und möglicherweise gefallen ist, oder doch noch eine Stellung im Staatsdienst erlangt und das Kriegs147 Schematismus 1939, 302. 148 Die dazugehörigen Akten sind nicht überliefert, jedoch Schriftverkehr des Konsistoriums mit Faulhaber in dieser Sache, vgl. EAM, NL Faulhaber 5404. 149 Vgl. BA R (ehem. BDC), PK A 120, Nr. 3018–3022, Lebenslauf vom 20. 10. 1943. Bader wurde zunächst im Rahmen des Frankreichfeldzugs und nach dessen Beendigung in Rumänien als Sanitäter eingesetzt. Im August 1941 erkrankte er und kam nach achtwöchigem Lazarettaufenthalt zur Ersatztruppe. Da er offenbar zu dieser Zeit nicht frontverwendungsfähig war, wurde er zu einem Zahlmeisterkurs abkommandiert und erhielt im März 1942 die Stelle eines Kriegsverwaltungsinspektors (Beamter auf Kriegszeit) beim Reserve-Lazarett Augsburg. 150 Ebenda. Diese Angabe deckt sich auch mit dem Schematismus 1943, in dem Bader erstmals nicht mehr aufgeführt ist. 151 Da die Stellen der Beamten auf Kriegszeit aufgrund einer OKW-Verfügung zum 01. 01. 1944 aufgehoben werden sollten, drohte Bader mithin erneut eine Verwendung als Sanitäter an der Front. Dies wollte er vermeiden. Das Ordinariat gab ihm im September 1943 nur widerwillig die von ihm erwünschte Bestätigung, dass er infolge seiner Erklärung vom März desselben Jahres dem aktiven Klerus der Erzdiözese zwar nicht mehr angehöre, gab aber zugleich zu bedenken, »dass von einer rechtlichen Laisierung damit nicht gesprochen werden kann, sondern dass Sie an sämtliche[n] mit den heiligen Weihen übernommenen klerikalen Standespflichten gebunden bleiben. Kirchenrechtlich ist Ihre Austrittserklärung ohne Wirksamkeit.« Das Schreiben des Ordinariats vom 13. 09. 1943 ist im Original nicht erhalten, wird von Bader in seinem Lebenslauf aber zitiert, vgl. BA R (ehem. BDC), PK A 120, Nr. 3018–3022: Lebenslauf vom 20. 10. 1943. 152 Vgl. BA R (ehem. BDC), PK A 120, Nr. 3016, Gauleitung München-Oberbayern an Landesbauernschaft Bayern vom 08. 06. 1944. Der in der Sache schließlich eingeschaltete Reichsbauernführer teilte jedoch mit, er halte »Bader für den Dienst im Reichsnährstand nicht für geeignet«; vgl. ebenda Nr. 3026, Reichsbauernführer an Gauleitung München-Oberbayern vom 12. 07. 1944. 153 Vgl. Spicer, Hitler’s Priests, 242. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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ende überlebt hat. Vermutlich scheiterte Bader bei seinen Bemühungen an mehreren Faktoren. Einerseits vollzog sich seine Loslösung vom Katholizismus nur langsam und ohne die Konsequenz und Rücksichtslosigkeit, wie sie von den Nationalsozialisten erwartet wurde, zum anderen fehlten ihm die Netzwerke in Parteikreisen, die für die vorgenannten anderen braunen Priester charakteristisch waren. Die Mehrzahl dieser aktiven Kollaborateure, zu denen auch noch die Priester Josef Gigl154, Joseph Springer155 und Franz Sandkuhl156 gerechnet werden müssen, gehörten 154 Joseph Gigl, geb. am 14. 04. 1903 in Heimstetten, Priesterweihe im Dezember 1930, 1931 Kaplan in Ismaning, Koadjutor in Babensham und Langenpettenbach, 1932 Koadjutor in Wartenberg, 1935 Kaplan bei Hl. Kreuz in München-Forstenried, Kurat im Altersheim St. Josef in München, 1938 Religionslehrer für Städtische Berufsschulen in München, vgl. Schematismus 1939, 76 und 299. Eine kircheninterne Aufstellung über braune Priester vermerkte zu ihm: »weggegangen 1942, schon bei der Zulassung zur Priesterweihe Schwierigkeiten wegen nazistischer Einstellung. Zurückgestellt! Aber nach eidlicher Zusicherung zugelassen. Sein Onkel Nazi-Staatssekretär Dauser war ihm alles!! Bei der Aktion: Bestrafung der SS-Leute, die sich kirchlich offen oder geheim trauen ließen, hat er ›unschöne‹ Rolle gespielt, selbst Geistliche belastet, die SS-Leute getraut haben. Während der Kriegszeit städtischer Beamter, Leiter einer Betreuungsstelle für Fliegergeschädigte. Soll sich in München aufhalten, ziemlich heruntergekommen und ärmlich«; vgl. EAM, NL Faulhaber 5402, Liste der abgefallenen Priester (1948). Der erwähnte Hans Dauser (geb. 1877, gest. 1969) gehörte dem Kabinett des nationalsozialistischen Bayerischen Ministerpräsidenten Ludwig Siebert als Staatssekretär im Wirtschaftsministerium an. Die Mitgliedschaft Gigls in der NSDAP konnte anhand der Karteien des Bundesarchivs nicht verifiziert werden, da die entsprechende Filmrolle des Bestands Zentralkartei (BA R [ehem. BDC] 3IXX, G0136) zum Zeitpunkt des Archivbesuchs nicht auffindbar war. In der Ortskartei wurde er nachweislich nicht geführt. 155 Joseph Springer, geb. am 12. 08. 1902 in Steinkirchen an der Ilm, Priesterweihe 1928 in Freising, Koadjutor und Pfarrvikar in Langenpettenbach, Aushilfspriester in Holzkirchen, 1929 Koadjutor ebenda, Kooperator in Ebersberg, 1930 Kooperator in Grassau, am 01. 03. 1935 »wegen Krankheit« in den zeitlichen Ruhestand versetzt, als Aufenthaltsort wurde nun Leipzig angegeben, vgl. Schematismus 1936, 97 und 284. Im Schematismus 1939 ist Springer nicht mehr aufgeführt. Der Personalakt des AEM (PA P I Josef Springer) enthält nur das Qualifikationszeugnis aus dem Jahr 1928 mit dem Hinweis auf geringen Eifer und Mangel an Zuverlässigkeit. Am 01. 02. 1932 trat Springer in die Ortsgruppe Marquartstein der NSDAP ein – mit diesem frühen Eintrittsdatum war er ein so genannter Altparteigenosse. Springer trat vermutlich im Jahr 1943 (der entsprechende Eintrag auf der Mitgliedskarte ist unleserlich) wieder aus der Partei aus, vgl. BA R (ehem. BDC) Ortskartei 3200 W0002 Springer Josef 12. 08. 1902. Die Berufsbezeichnung auf der Mitgliedskarte lautete wahrheitsgemäß »Cooperator«. 156 Franz Sandkuhl, geb. 04. 05. 1898 in Minden/Weser, Priesterweihe 1926 vermutlich in Aachen, 1926 in die Erzdiözese München und Freising inkardiniert, Aushilfspriester in Gauting, 1929 Benefiziums-Verweser und Religionslehrer bei den Englischen Fräulein in München-Berg am Laim, Dezember 1933 Kooperator bei München-St. Peter. S. trat am 01. 05. 1933 in die NSDAP ein (Mitgliedsnummer 3213295), im August 1934 trat er jedoch bereits wieder aus (vgl. BA R [ehem. BDC] Zentralkartei 3XII O00012 Sandkuhl Franz 04. 05. 1898). 1934 beteiligte sich Sandkuhl unter anderem an einem Feldgottesdienst der HJ im Perlacher Forst, wofür ihm vom Ordinariat die Suspension angedroht wurde; vgl. AEM, Ordinariatssitzungsprotokoll vom 20. 04. 1934. S. wurde zum 01. 05. 1936 beurlaubt, er trat in einen Orden ein und ging nach England, dort wurde er später in die Erzdiözese Birmingham inkardiniert, vgl. Schematismus 1933, 43; Schematismus 1939, 290 und Schematismus 1962, 118 und 242. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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einer Generation an, die Detlev Peukert einst als »überflüssige Generation«157 und Michael Wildt nicht nur mit Hinblick auf die Führungselite des Reichssicherheitshauptamtes als »Generation des Unbedingten«158 charakterisiert haben. Es handelte sich um jene Generation der zwischen 1900 und 1910 Geborenen, welche die Chance zur Bewährung im Ersten Weltkrieg knapp verpasst hatte. Mit denen, die den Krieg noch mitgemacht hatten, teilte sie die Verachtung für die bürgerliche Gesellschaft. Die Instabilität der Verhältnisse wurde für sie zu einer existentiellen Grunderfahrung: Für diese jungen Männer – zu jung, um noch eingezogen zu werden, und zu alt, um den Krieg nur als eine fern liegende Kindheitszeit zu erinnern – wurde der Krieg zum bohrenden Stachel der verpassten Chance der Bewährung, die den älteren zuteil geworden war. Obwohl der Kriegsjugendgeneration das existentielle körperliche Erlebnis fehlte, fand der Krieg dennoch nicht fern jeder eigenen Erfahrung statt. […] Die Diskontinuität, der Bruch mit der Vergangenheit und der Blick auf das zukünftige wurden Kennzeichen dieser Generation,

so Wildt.159 Hinzu kam das Heranwachsen in den unstabilen Nachkriegsverhältnissen. Die immateriellen Werte der bürgerlichen Gesellschaft waren zerbrochen, die Werteordnung hatte sich verschoben, die Zeiten waren liberaler geworden, aus den großen Städten, besonders aus Berlin, drohte die Asphaltkultur die Oberhand zu gewinnen. Die Monarchien als gewohnte Ordnung waren hinweggefegt worden, an ihre Stelle trat die tagespolitische Auseinandersetzung zwischen Vertretern unterschiedlichster Parteien in den Parlamenten, die von Angehörigen einer Generation, welche die öffentliche Diskussion und das Ringen um einen politischen Weg nicht als Errungenschaft sondern als Phänomen des Zerfalls wahrnahm, nicht verstanden wurde.160 Diese Grundcharakteristik trifft auch auf die Mehrzahl der aktiven Kollaborateure unter den Priestern zu. Im Regelfall ließen sie bereits vor 1933 Sympathien für den Nationalsozialismus erkennen. Gesichert lässt sich dies feststellen bei Springer, Bader, Patin, Hartl, Roth und Schröcker. Das Jahr 1933 stellte für diese Gruppe mithin weniger eine Zäsur dar, als man gemeinhin annehmen würde.161 Damit soll nicht zum Ausdruck gebracht werden, dass für die Priester dieser Generation die individuelle Heilserwartung nicht mehr mit dem Glauben und der Kirche verknüpft wurde. Doch die 157 Peukert, Weimarer Republik, 30 f. 158 Vgl. Wildt, Generation des Unbedingten. 159 Wildt, Anfang und Beschleunigung, 171 f. 160 Wildt konstatierte entsprechend: »Zukunft hieß für diese Kriegsjugendgeneration, die bis dahin nur Instabilität, Diskontinuität und Zusammenbruch erlebt hatte, vor allem radikale Kritik am bürgerlichen Mummenschanz, an den hohlen Versprechen liberaler Politiker, hieß Misstrauen in die Steuerungsmedien bürgerlicher Gesellschaft wie parlamentarische Demokratie, Gewaltenteilung und durch Gesetz verbürgtes Recht. Zukunft konnte in den Augen dieser Generation nur ein Gegenmodell zum Bestehenden, eine neue, radikal andere Ordnung sein, die ›wahre‹ Gemeinschaft stiftete und einen verlässlichen Sinn seiner selbst gab.« Wildt, Anfang und Beschleunigung, 172 f. 161 Vgl. hierzu auch Kreutzer, Reichskirchenministerium, 163. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Mittel und Wege waren grundsätzlich andere geworden, vor allem teilten viele nun die bisherigen Wege christlich-katholischer Gesellschaftsgestaltung nicht mehr, sie lehnten vor allem den politischen Katholizismus in seiner bisherigen Form radikal ab, dachten primär national und vertraten eine tief sitzende Abneigung gegenüber dem Zentrum und seine politischen Repräsentanten. Diese Abneigung teilten sie mit den Nationalsozialisten. So verwahrt sich der Religionspädagoge und katholische Priester Alois Kober – als Bamberger Diözesane gehört er nicht zu unserer Gruppe – im April 1937 explizit gegen die Behauptung, dass er ein verirrter Geistlicher sei und konstatierte, »sein ›Irrweg‹ bestehe einzig und allein darin, dass er die machtpolitischen Bestrebungen des politischen Katholizismus im Interesse von Kirche und Volk bekämpft und für die echte nationalsozialistische Volksgemeinschaft jederzeit eintritt.«162 6.2.2.2 Lebens- und Existenzkrisen als pragmatische Motive An der Seite der Mehrzahl der braunen Priester traten früher oder später Frauen in Erscheinung. Nur bei Dreien aus der Gruppe der 17 aktiven Kollaborateure, neben Josef Roth163 handelt es sich um Simon Veicht und Franz Sandkuhl, kann mit Sicherheit ausgeschlossen werden, dass sie eine (zivile) Ehe eingingen. Bei vier weiteren ist die Situation ungeklärt.164 Insofern erscheint die Feststellung gerechtfertigt, dass politische Motive allein nicht immer ausschlaggebend gewesen sein dürften für den Abfall vom Priestertum. Exemplarisch lässt sich dies an der Vita von Sebastian Huber165 aus Edling zeigen. Bereits sein Seminarabgangszeugnis vermerkte 1928, er sei »bis in das letzte Jahr [vor der Weihe; Th. Fo.] hinein Schwankungen in der Berufssicherheit ausgesetzt«166 gewesen. 1935 gab Huber, der zuletzt Kaplan in Bad Reichenhall gewesen war, seine Priesterlaufbahn unter nicht näher bekannten Umständen auf, im Februar 1936 heiratete er zivil und versuchte anschließend seine Existenz auf neue Füße zu 162 AEM, Priesterpersonalakten P III 894, Zeitungsartikel Was ich behaupte, ist Wahrheit. Dozent Kober (Pasing) verteidigt sein Eintreten für die Gemeinschaftsschule, Münchener Neueste Nachrichten vom 17. 04. 1937. 163 Laut Marschler, Hans Barion, 56 Anm. 5 soll Roth zwar keine Ehe eingegangen sein, aber eine feste Beziehung zu einer Frau unterhalten haben. 164 Keine Hinweise auf eine Eheschließung fanden sich bei Benedikt Bader, Joseph Gigl, Leonhard Götz und Joseph Springer. 165 Sebastian Huber, geb. am 31. 12. 1903 in Edling, Priesterweihe 1928 in Freising, Koadjutor in Peterskirchen, Kurat im Kindersanatorium am Obersalzberg, 1932 Kaplan in Bad Reichenhall-St. Nikolaus, vgl. Schematismus 1935, 6 und 282. Der Personalakt des AEM, PA P III 770, enthält nur das Seminarabgangszeugnis aus dem Jahr 1928. 1935 Ausscheiden aus dem kirchlichen Dienst und Mitarbeiter der Deutschen Reichsbahn, 1939 Reichsbahninspektor, 1941 Reichsbahnoberinspektor. Im Februar 1936 zivile Eheschließung, vgl. auch AEM, Ordinariatssitzungsprotokolle vom 13.03. und vom 27. 03. 1936; vgl. BA R (ehem. BDC) Zentralkartei 3XII J0099 Huber Sebastian 31. 12. 1903. 166 AEM, PA P III 770, Seminarabgangszeugnis 1928. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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stellen. Dies gelang ihm nicht ohne Geschick. Huber trat in den Verwaltungsdienst der Deutschen Reichsbahn ein und nach Lockerung der allgemeinen Mitgliedersperre zum 1. Mai 1937 auch in die NSDAP. Bei der Reichsbahn stieg er relativ rasch auf und wurde auch verbeamtet. Eine in Zusammenhang mit einer Beförderung erstellte politische Beurteilung aus dem Jahr 1939 hielt über ihn fest: Bei W[inter]H[ilfs]W[erk-Sammlungen] und sonstigen Sammlungen gibt er seinen Verhältnissen entsprechend. Er ist Mitarbeiter der NSV und hat den Posten eines Blockwalters inne. Bei den angeordneten Beflaggungen beteiligt er sich. Der Deutsche Gruß wird geboten und erwidert. Er ist Bezieher des V[ölkischen] B[eobachters]. Der Angefragte ist ein regelmäßiger Besucher der Ortsgruppenveranstaltungen und Versammlungen.167

Huber heiratete also unmittelbar nach dem Ausscheiden aus dem kirchlichen Dienst und trat erst anschließend in die NSDAP ein, möglicherweise um sich den Aufstieg als Quereinsteiger im Staatsdienst zu vereinfachen und den negativen Nimbus, der ehemaligen Priestern anhaftete, dadurch mit abzustreifen. Er beteiligte sich, wie es von einem einfachen Parteimitglied erwartet wurde, am Leben der Partei, ließ ansonsten eine besondere Aktivität, vor allem in Hinblick auf kirchenpolitische Fragen, aber nicht erkennen. In eine ähnliche Richtung geht der Fall von Alois K., der wegen seines paradigmatischen Charakters im Hinblick auf die wechselseitigen Handlungsmuster von Priestern und Oberbehörde bereits im Abschnitt über abweichendes Verhalten ausführlicher behandelt worden ist.168 Auch K. trat, nachdem er im September 1936 infolge seines Konkubinats aus dem Kirchendienst ausgeschieden und aus der Kirche ausgetreten war, am 1. Mai 1937 der NSDAP bei und nahm eine Stelle als städtischer Verwaltungsangestellter an.169 Ebenfalls dieser Gruppe zuzurechnen ist der Geistliche Hermann Kendler.170 Dieser gab im Oktober 1938 das Priesteramt auf, heiratete fünf 167 BA R (ehem. BDC) PK F 64, Nr. 2420 ff., Politische Beurteilung vom 19. 07. 1939. 168 Vgl. hierzu Kapitel 5.3.1. 169 Vgl. BA R (ehem. BDC), PK F 391, Nr. 2212 ff., Anfrage der Volksdeutschen Mittelstelle an Reichsorganisationsleitung vom 03. 03. 1941; Parteistatistische Erhebung 1939, Meldebogen Alois K. ferner EAM, NL Faulhaber 5402, Liste der abgefallenen Priester. Ab 1940 amtierte K. dann als Verwaltungsführer eines Umsiedler-Lagers in der Nähe von Wasserburg. Nach 1945 suchte der durch die Militärregierung seiner Stellung enthobene K. vermittelt durch seinen Kurskollegen, den Fürstenfeldbrucker Stadtpfarrer Dr. Martin Mayr wieder Kontakt zur Kirche, vor allem um eine Unterstützung aus dem Emeritenfonds zu erlangen; vgl. EAM, NL Faulhaber 5402, K. an Faulhaber vom 09. 01. 1949. 170 Hermann Kendler, geb. am 27. 05. 1901 in Marzoll, Priesterweihe 1927 in Freising, Koadjutor in Babensham, 1928 Aushilfspriester in Niederaschau, Kooperator in Frasdorf, 1929 Kooperator in Schwindkirchen, zum 01. 12. 1929 »wegen Krankheit zeitl. quiesziert«, zum 01. 02. 1930 Kooperator in Kirchdorf a. A., anschließend Kooperator in Bergkirchen, Aushilfspriester in Rottenbuch, 1931 Aushilfspriester in Großhadern, 1932 Aushilfspriester in Kirchseeon-Bahnhof, 1933 Pfarrvikar in Schwabhausen, Aushilfspriester in Dachau, 1935 exponierter Kooperator in Marzling bei Freising vgl. Schematismus 1935, 18 und 279. Der Personalakt des AEM (PA P III 856) enthält neben © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Monate später, trat noch im Verlauf des Jahres 1939 in die NSDAP ein und arbeitete fortan als Volksschullehrer. Ähnliche Lebensmuster finden sich bei den Geistlichen Leonhard Götz171, Herrmann Liebl172 und Georg Stipperger. Dabei ist Stipperger sicher ein Sonderfall innerhalb dieser Gruppe, vor allem wegen des langen Zeitraums von über 10 Jahren, der zwischen seiner Trennung von der Kirche und seinem NSEngagement liegt. Zudem hat Stipperger wie kein zweiter Vertreter dieser Gruppe nach Aufnahme seines NS-Engagements die Kirche immer wieder aufs schärfste öffentlich attackiert und angegriffen – unklar bleibt, ob dies in ideologischer Überzeugung oder in gekränkter Eitelkeit des ehemaligen Hofpredigers seine Wurzeln hatte. Vermutlich kann auch der Geistliche Theodor Vogel173 zu dieser Gruppe gerechnet werden, jedoch ist über ihn zu wenig bekannt, um ein definitives Urteil zu fällen. dem Seminarabgangszeugnis aus dem Jahr 1927, das ihm nur mäßige Begabung attestiert, nur Unterlagen im Zusammenhang mit einer in den 1960er Jahren durch Kendler beantragten Nachversicherung. Hieraus wird ersichtlich, dass er den Kirchendienst im Oktober 1938 aufgab und im Februar 1939 eine Zivilehe einging. Am 24. 10. 1939 beantragte Kendler die Aufnahme in die NSDAP, zum 01. 01. 1940 wurde er aufgenommen; vgl. BA R (ehem. BDC) Ortskartei 3200 K0030 Kendler Hermann 27. 05. 1901. Vom September 1939 bis Mai 1946 war Kendler in der Position eines Beamten auf Widerruf als Volksschullehrer tätig. Sein weiterer Lebenslauf ist nicht bekannt, er verstarb aber erst nach 1970. 171 Leonhard Götz, geb. am 16. 10. 1905 in Mauern, Priesterweihe 1937 in Freising, Kaplan in St. Martin bei Garmisch-Partenkirchen, vgl. Schematismus 1939, 112 und 317. Im Schematismus 1941 ist Götz nicht mehr aufgeführt. Der Personalakt des AEM (PA P I Götz, Leonhard) enthält nur einen Bogen mit der Bewertung der Seelsorgsqualifikation aus dem Jahr 1937. Götz beantragte die Aufnahme in die NSDAP am 25. 05. 1941 und wurde am 01. 07. 1941 aufgenommen; vgl. BA R (ehem. BDC) Ortskartei 3200 F0083 Götz Leonhard 16. 10. 05. Eine interne Aufstellung der braunen Priester vermerkt über ihn: »… abgefallen 1940. Schwierigkeiten mit dem Zölibat, vermutlich ›Mithelfer‹ beim Prozess gegen Pfarrer Mencke wegen Auslandssender! Mitglied der SS, soll in Ostpreußen eingesetzt gewesen sein beim SD? Jetziger Aufenthalt unbekannt«, vgl. EAM, NL Faulhaber 5402, Liste der abgefallenen Priester (1948). Vgl. auch die analogen Behauptungen in AEM, Nationalsozialistische Verfolgung katholischer Geistlicher, Fragebogen A, Herman Mencke. Dierker, Glaubenskrieger, erwähnt jedoch keinen Priester namens Götz in Diensten des SD, auch sonst war diese Behauptung nicht verifizierbar. 172 Hermann Liebl, geb. am 30. 03. 1912 in München, Priesterweihe 1936 in Freising, 1936 KooperaturVerweser in Kirchdorf a. A., Kaplan in Bad Reichenhall-St. Nikolaus, 1937 Kaplan bei Mariahilf in München, vgl. Schematismus 1939, 46 und 316. Der Personalakt des AEM (PA PIII 1033) enthält nur die Allgemeinen Seelsorgsqualifikationsnoten aus dem Jahr 1936. Liebl kehrte seinem Beruf um 1941 den Rücken, die Liste der abgefallenen Priester hält fest: »… nicht Gegner der Kirche, aber ›gefangen‹, verheiratet, 4? [sic!] Kinder, hat eine mecklenburgische Protestantin geheiratet, ›innerlich katholisch, aber will bei seiner Familie bleiben‹, 1945 meldete er sich und wollte zurück, jetzt Lager Dachau«, vgl. EAM, NL Faulhaber 5402, Liste der abgefallenen Priester (1948). Eine Parteimitgliedschaft ist nicht nachweisbar. Laut der Aufstellung in EAM, NL Faulhaber 5402, Sacerdotes apostatae archidioeceseos vom 17. 12. 1949, wurde er aber durch den Nationalsozialismus zum Weggang von der Kirche veranlasst. Entsprechend einer Mitteilung des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD an das RMfkA vom 01. 11. 1940 gehörte Liebl zu diesem Zeitpunkt der Waffen-SS an, vgl. BA R 5101 21813. 173 Dr. phil. Theodor Vogel, geb. am 03. 04. 1902 in München, Priesterweihe 1927 in Freising, 1927 Aushilfspriester in Großhadern, Koadjutor in Oberammergau, 1929 Koadjutor in Tegernsee, 1930 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Für alle Priester dieser Gruppe waren Schwierigkeiten mit dem Zölibat ausschlaggebend für ihre Trennung von der Kirche. Der NSDAP schlossen sie sich in der Mehrzahl der Fälle kurz nach ihrer Trennung vom kirchlichen Dienst, wohl überwiegend aus opportunistischen Motiven an. Die Parteimitgliedschaft diente gewissermaßen ihrer Existenzsicherung, doch wird man Nähe zu den Zielen der NS-Bewegung wohl sicherlich unterstellen dürfen, zumal in den späten 1930er Jahren, in denen sich die Mehrzahl der Priester zum Weggang entschloss, in Deutschland Vollbeschäftigung herrschte und es auch ohne Parteimitgliedschaft möglich war, eine Arbeitsstelle zu finden. 6.2.2.3 Nicht kategorisierbare Sonderfälle Zwei der Münchener Priester lassen sich nicht eindeutig einer der beiden genannten Gruppen zuordnen. Beider Biographien fielen aber auch schon vor ihrem NSEngagement aus dem Rahmen. Es handelt sich um die beiden Priester Emil Scheller und Simon Veicht. Scheller174, Jahrgang 1892, ein westfälischer Protestant und Arzt, fand nach seiner Teilnahme am Weltkrieg in den zwanziger Jahren in München Präfekt in den Hansaheimen in München, seit Dezember 1930 Kommorant und Hausgeistlicher im Alfonsusheim in München, 1933 hauptamtlicher Katechet bei St. Benedikt in München, vgl. Schematismus 1939, 55 und 293. Der Personalakt des AEM (PA P I Theodor Vogel) enthält nur das Seminarabgangszeugnis von 1927 mit dem Urteil: »geweckt rührig und unternehmend, zeigt hierin Geschick, ging aber in jugendlich unüberlegtem Ungestüm zu weit.« Bei Spicer, Hitler’s Priests, 295 erscheint Vogel mit der falsche Schreibweise »Vogl«. In der Liste der abgefallenen Priester ist zu ihm vermerkt: »… abgefallen 1941, begeisterter Nazi, will aber jetzt nicht bei der Partei gewesen sein. Phantast, der nicht objektiv sein kann. Egoist. Verheiratet, will aber seine Familie nach christl(ichen) Grundsätzen führen, zur Zeit macht er sich sehr unbeliebt, weil er als Mitglied der WAV seine ehemaligen Kollegen als Nazi belastet. Während der Nazizeit war er Jugendreferent in einer großen Versicherungsanstalt, wohnt in München«, vgl. EAM, NL Faulhaber 5402, Liste der abgefallenen Priester (1948). Bei der erwähnten WAV handelt es sich um die von Alfred Loritz 1946 gegründete Partei Wirtschaftliche Aufbau-Vereinigung, in der sich viele ehemalige Nationalsozialisten versammelten. Eine NSDAP-Mitgliedschaft war über die Karteien des Bundesarchivs jedoch nicht nachweisbar. 174 Dr. Dr. Dr. Emil Scheller, geb. am 17. 07. 1892 in Marienthal bei Hameln, Protestant, Studium der Medizin, Weltkriegsteilnahme, 1921 Konversion zum katholischen Glauben in München, Studium der Theologie in München und Innsbruck, 1926 Priesterweihe in Freising, anschließend zunächst Hausgeistlicher bei den Frauen vom Guten Hirten in München, 1934 Beurlaubung zum Eintritt in den Dominikanerorden, unter dem Ordensnamen P. Joseph Maria OP in Warburg/Ostwestfalen, 1937 Rückkehr in die Erzdiözese, kurzzeitig Spiritual bei den Salesianerinnen in Dietramszell, 1938 in den zeitlichen Ruhestand versetzt, lebte in München. Als geistlicher Schriftsteller v. a. von aszetischer Literatur (u. a. Das Priestertum Christi, 1934 und Vom Opfer Christi, 1936) scheint er einen gewissen Bekanntheitsgrad in Theologenkreisen gehabt zu haben, vgl. Schematismus 1939, 79 und 290 ferner Kosch, Das katholische Deutschland, Sp. 4242. Der Personalakt des AEM (PA P I Emil Scheller) enthält nur ein Professbild und die Kopie eines Lexikonartikels. Scheller beantragte am 07. 10. 1941 die Aufnahme in die NSDAP und wurde zum 01. 01. 1942 aufgenommen; vgl. BA R (ehem. BDC) Ortskartei 3200 T0028 Scheller Emil Dr. 17. 07. 1892. Am 20. 11. 1943 ging S. in Klagenfurt eine Zivilehe ein, vgl. AEM, Ordinariatssitzungsprotokoll vom 26. 11. 1943. Über seinen weiteren Lebensweg ist nichts bekannt. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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zum katholischen Glauben und nahm nach seiner Konversion das Studium der katholischen Theologie auf. Nach seiner Priesterweihe 1926 führte Scheller, der neben Theologie auch noch in Philosophie promoviert war, also insgesamt drei Doktorgrade hatte, in München eine eigenwillige Sonderexistenz. Seine Tätigkeit als Hausgeistlicher in einem Nonnenorden kann den kaum 35-Jährigen kaum ausgefüllt haben. 1934 ließ er sich zum Eintritt in den Dominikanerorden beurlauben, ging als P. Joseph Maria OP in seine westfälische Heimat, kam aber bereits 1937 wieder zurück und wirkte fortan als Spiritual bei den Salesianerinnen in Dietramszell, bevor er 1938 wegen angeblicher Krankheit in den zeitlichen Ruhestand versetzt wurde.175 Ab 1939 bemühte sich Scheller um eine Stelle als Arzt bei der Stadt München, da aus diesem Anlass eine politische Beurteilung erforderlich war, fragte der Gau München-Oberbayern bei verschiedensten Parteidienstellen wegen einer politischen Beurteilung Schellers nach, doch niemand war imstande, eine konkrete Auskunft zu erteilen, da er offenbar in außerordentlicher Weise zurückgezogen lebte und politisch bislang nicht in Erscheinung getreten war.176 Erst zwei Jahre später wurde Scheller Mitglied der NSDAP.177 Im November 1943 ging er in Klagenfurt dann schließlich auch eine Zivilehe ein.178 Dann verliert sich sein weiterer Lebensweg. Scheller scheint also weder durch sein NS-Engagement noch durch konkrete Zölibatsschwierigkeiten zum Weggang veranlasst worden zu sein. Vielmehr hat man den Eindruck eines stark unsteten Charakters ohne konkrete Lebensplanung. Etwas anders verhält es sich mit dem knapp zehn Jahre jüngeren Simon Veicht179 175 vgl. Schematismus 1939, 79 und 290 ferner Kosch, Das katholische Deutschland, Sp. 4242. Der Hinweis auf Krankheit im Schematismus ist nicht wörtlich zu verstehen, derartige Formulierungen wurden immer wieder in Zusammenhang mit abweichendem Verhalten gebraucht, so dass ein solcher Vorfall wahrscheinlicher ist. 176 Vgl. die diversen Anfragen in BA R (ehem. BDC) RS P 16 Nr. 2924 ff. 177 Vgl. BA R (ehem. BDC) Ortskartei 3200 T0028 Scheller Emil Dr. 17. 07. 1892. 178 Vgl. AEM, Ordinariatssitzungsprotokoll vom 26. 11. 1943. 179 Dr. med. Simon Veicht, geb. am 29. 08. 1901 in Siglfing, Priesterweihe 1926 in Freising, KooperaturVerweser in Pfaffing und Massenhausen, 1927 Koadjutor in Haag (Obb.), von dort auf Ansuchen zum 01. 02. 1928 enthoben, ab Oktober 1928 Kaplan in Gilching, 1929 Kooperator in Niederbergkirchen, 1930 Kooperator in Vilslern, 1932 wegen Krankheit in den zeitlichen Ruhestand versetzt, kurz darauf jedoch zum Benefiziums-Verweser in Odelzhausen ernannt, im Mai 1934 als Benefiziumsverweser von dort enthoben und als Aushilfspriester weiterbeschäftigt, ab Juli 1934 Aushilfspriester in Isen, wegen »unpriesterlicher Lebensführung« im Oktober 1934 erneut in den zeitl. Ruhestand versetzt, von September 1937 bis Mai 1938 in Rottenmünster/Württemberg (Heilund Pflegeanstalt für Geisteskranke), im Mai 1938 Kommorant im Erholungsheim Maria Trost in Meitingen bei Augsburg, dort offenbar zeitweilig wieder Ausübung priesterlicher Funktionen, im Herbst 1938 Aufnahme eines Medizinstudiums in Würzburg. Am 06. 10. 1940 beantragte er die Aufnahme in die NSDAP und wurde am 01. 01. 1941 in die Ortsgruppe Meitingen aufgenommen; vgl. BA R (ehem. BDC) Ortskartei 3200 X0061 Veicht Simon 29. 08. 1901. 1941 Sanitätsdienst, 1944 Abschluss des Studiums und Promotion zum Dr. med., 1945 Assistenzarzt in Landshut, später Bezirksarzt. 1966 Hausgeistlicher in Kochel (Oberbayern/Diözese Augsburg), gestorben am 07. 11. 1969, vgl. Schematismus 1939, 118 und 290. Ein Personalakt des AEM zu Veicht (PA P III 1866) enthält nur Seminarzeugnis und Schriftverkehr nach 1945, darunter aber einen hand© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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aus Siglfing. Auch hier werden die Motive nicht ganz klar, sie scheinen aber ebenfalls eher in der individuellen Persönlichkeit Veichts, denn in einer generationellen Prägung begründet zu sein. Veicht war chronisch krank, er litt – wie ein zeitgenössisches Gutachten vermerkte – an einer »Störungen des Blutumlaufs/Blutdrang zum Kopf«, was auch immer hinter dieser Krankheit steckte, sie äußerte sich wohl vor allem in psychischen Verhaltensauffälligkeiten, so etwa einer fast schon extremen Menschenscheu und einer ausgeprägten Neigung zum Rückzug in die private Lebenswelt. Veicht wurde ohnehin nur auf einfachen Aushilfsposten beschäftigt, 1934 dann aber wegen »unpriesterlichen Verhaltens«180 in den zeitlichen Ruhestand versetzt, was vermutlich in Zusammenhang mit seiner Krankheit, sicherlich aber nicht mit Zölibatsschwierigkeiten in Verbindung zu bringen ist.181 1937/38 hielt er sich zeitweilig sogar in Rottenmünster in der dortigen Heil- und Pflegeanstalt auf.182 Beurlaubt und nur noch aushilfsweise mit priesterlichen Funktionen betraut, nahm Veicht dann aber 1938 plötzlich das Medizinstudium in Würzburg auf. 1940 beantragte er schließlich sogar die Aufnahme in die NSDAP.183 1941 wurde er kurzzeitig zum Sanitätsdienst eingezogen, jedoch bald wieder entlassen, so dass er mitten im Krieg, 1944, sein Medizinstudium tatsächlich abschließen konnte und Anfang 1945 Assistenzarzt am Krankenhaus in Landshut wurde. Der nun eingeschlagenen medizinischen Laufbahn blieb Veicht zunächst auch nach 1945 treu, in Landshut wurde er bald Bezirksarzt. Ein Verfahren auf Nichtigkeitserklärung der Weiheverpflichtungen wegen Furcht und Zwang wurde auf seinen Antrag hin eingeleitet, der entsprechende Antrag durch ihn selbst später aber wieder zurückgezogen.184 In den 1960er Jahren fand Veicht, der stets allein gelebt und nicht geheiratet hatte, zum Priestertum zurück. 1966 – als Arzt pensioniert – erhielt er schließlich sogar eine Hausgeistlichenstelle in einem Schwesternheim in Kochel (Bistum Augsburg), wenige Jahre darauf verstarb er. Weder scheint Veicht sich tatsächlich von der Kirche abgewandt oder getrennt zu haben, noch werden seine Motive wirklich deutlich, sich der NSDAP anzuschließen. Möglicherweise hing dies mit dem Medizinstudium zusammen, die Ärzteschaft war bekanntlich stark nationalsozialistisch durchzogen. Sowohl bei Scheller als auch bei Veicht dürfte es sich um priesterliche Sonderexistenzen gehandelt haben, wie sie gelegentlich in Erscheinung traten. schriftlichen Lebenslauf und einen ausführlichen Bericht des Münchner Generalvikars Defregger an den Augsburger Generalvikar Achter vom 13. 01. 1966. 180 Vgl. AEM, Priesterpersonalakten P III 1866, Bericht von Generalvikar Defregger vom 13. 01. 1966. 181 Dies ergibt sich relativ zweifelsfrei aus dem Bericht Defreggers von 1966. 182 Vgl. AEM, Priesterpersonalakten P III 1866, Eigenhändiger Lebenslauf. 183 Vgl. BA R (ehem. BDC) Ortskartei 3200 X0061 Veicht Simon 29. 08. 1901. 184 Es handelte sich um ein Verfahren entsprechend der strengen Bestimmungen des CIC 1917, can. 214, vgl. den Bericht Generalvikar Defreggers im Personalakt. Dass ein solches Verfahren durch den Hl. Stuhl überhaupt eingeleitet wurde, deutet daraufhin, dass tatsächlich massive Beweise vorgelegen haben mussten, welche die Behauptung, Veicht wäre gegen seinen freien Willen zur Priesterweihe gezwungen worden, glaubhaft erschienen ließen. Möglicherweise handelte es sich um ein Plädoyer auf mangelnde Willensfreiheit im Hinblick auf die psychische Erkrankung Veichts. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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7.

Bewährung in extremer Lage: Priester in den beiden Weltkriegen

7.1

Erster Weltkrieg

Bis in die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg war der Militärdienst in der bayerischen Armee, häufig als Einjährig-Freiwilliger, für angehende Theologiestudierende verpflichtend gewesen,1 auch der junge Michael Faulhaber hatte diese militärische Ausbildung durchlaufen.2 Während des Ersten Weltkriegs standen rund 6,5 Prozent der Weltgeistlichen und nahezu alle Theologiestudierenden der Erzdiözese München und Freising im Heeresdienst. Die 301 Theologiestudierenden leisteten ihren Dienst mit der Waffe. Von den 90 Klerikern war die Mehrzahl in der Feld- und Lazarettseelsorge, ein kleinerer Teil auch in der freiwilligen Krankenpflege eingesetzt.3 Von den Theologiestudierenden waren 95, also gut ein Drittel gefallen, hingegen kein Mitglied des Klerus. 115 Studierende und sechs Priester waren verwundet worden.4 Bezüglich der mentalen Haltung gegenüber dem Ersten Weltkrieg lässt sich eine weitgehende Durchdringung des Klerus mit den üblichen nationalen Stereotypen konstatieren. Wie in der gesamten deutschen Bevölkerung, so herrschte auch unter den katholischen Priestern zu Beginn des Ersten Weltkrieges eine nationale Begeisterung und das Bewusstsein, für eine gerechte Sache zu kämpfen. Aus der Loyalität zum Staat resultierte auch die Bereitschaft, die Konsequenzen des Krieges auf sich zu nehmen.5 In einer von Freunden verfassten Würdigung des Priesters Dr. Philipp Aurnhammer6, 1 Der Dienst als Einjährig-Freiwilliger war ein privilegierter, weil verkürzter Militärdienst, der mindestens die Sekundarreife an einem Gymnasium oder einer Mittelschule voraussetzte und die Option auf eine Offizierslaufbahn erschloss, vgl. hierzu Mertens, Lothar, Einjährig-Freiwilligen-Privileg. 2 Vgl. Kornacker, Susanne, Bäckerssohn, 116. Wie in Abschnitt 2.1.2 erläutert, tendierte Faulhaber laut seiner Autobiographie zeitweilig sogar dazu, eine Offizierslaufbahn einzuschlagen, schätzte er doch »Kameradschaftsgeist und Disziplin, Pünktlichkeit und Ordnung« (vgl. ebenda, 117) als das Leben stabilisierende Elemente. Der Tausch des »Waffenrock[s] mit dem Priesterrock« (vgl. Faulhabers Geleitwort in: Meier, Klerus im Felde, 9 f.) erschien ihm als nicht näher erläuterungsbedürftige Form der Kontinuität eines Lebenslaufes. Vermutlich handelt es sich hierbei jedoch um bewusst gesetzte militaristische Topoi, die nicht ohne Blick auf ihre Wirkung in einer stark militarisierten Gesellschaft gebraucht wurden. 3 Vgl. die Statistik bei Börst, Theologen, 101. Im Jahr 1918 zählte die Erzdiözese 1.675 Weltgeistliche und Theologiestudierende; vgl. zur katholischen Militärseelsorge in Bayern während des Ersten Weltkriegs den Überblick bei Zillober/Häger, Recht und Organisation, XLVI–L. 4 Börst, Theologen, 101. 5 Vgl. Baumann/Sieve, Oldenburger Land, 86. 6 Philipp Aurnhammer, geb. am 14. 06. 1896 in Stopfenheim, 1915–1919 Kriegsdienst, 1923 Priesterweihe in Augsburg (gehörte der Diözese Augsburg an), Aushilfspriester in Weilheim, Pfarrvikar in Wittislingen, 1924 Kaplan in Neuburg, 1925 Heimleiter in den Hansa-Heimen in München, 1929 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Jahrgang 1896, der 1915 zur Ersatz-Eskadron des kgl. bayerischen 8. ChevaulegerRegiments einrückte, heißt es über seine Militärdienstzeit: Wie die studierende Jugend ganz allgemein, war auch er von der Gerechtigkeit der ›deutschen Sache‹ voll und ganz überzeugt. Die Zugehörigkeit zur Kavallerie erfüllte ihn zusätzlich mit Stolz. Seine monarchistische Gesinnung fand gerade bei dieser Waffengattung Nahrung und Vertiefung.7

Dies kann wohl für die überwältigende Mehrheit dieser Generation gelten. Nach Erwin Gatz »unterschied sich die Haltung des Klerus weder in Österreich noch im Deutschen Reich von der der Mehrheit der Bevölkerung. Hier wie dort herrschte vielmehr eine nationale Begeisterung, für die die Gerechtigkeit der eigenen Sache außer jedem Zweifel stand.«8 Der Krieg schien geradezu prädestiniert für eine Bewährungsprobe in nationaler Zuverlässigkeit, um so gegen den katholischen Inferioritätskomplex anzukämpfen und endlich die Zweifel des protestantischen Deutschland an der Staatsloyalität des Katholizismus ein für alle Mal gründlich zu widerlegen.9 Hans-Ulrich Wehler sprach von einer »Heiligung des Krieges durch die Kirchen« und sah bei den Katholiken auch die Unterstützung der annexionistischen Kriegsziele, da sich durch die Eingliederung von Teilen Belgiens und Polens in das Reich ein konfessionsstatistischer Ausgleich zugunsten der katholischen Bevölkerung ergeben hätte.10 Auch am Verhalten der Universitätsprofessoren der katholischen Theologie wird deutlich, dass es konfessionsspezifische Unterschiede im Hinblick auf den Grad der Nationalisierung und Kriegsbegeisterung nicht gegeben hat.11 Eine Sondersituation für Bayern im Verhältnis zum übrigen Reich scheint sich nicht abzuzeichnen. Der Kirchenhistoriker Übernahme der Gesamtleitung ebenda, 1934 Studienrat, 1941 Einberufung zum Wehrdienst und Ernennung zum Kriegsverwaltungsinspektor, 1947–1962 Direktor des Studienseminars Neuburg/ Donau, 1963–1973 Heimleiter und Hausgeistlicher im Wohnheim der Ursulinen in München, gest. am 13. 12. 1981; vgl. AEM, Priesterpersonalakten P III 59.   7 Aus dem Lebenslauf eines tatkräftigen Idealisten. Ein Rückblick auf 80 Jahre des schaffenden Lebens von Dr. Phillipp Aurnhammer, Mindelheim 1976, 12. Ein Exemplar in AEM, Priesterpersonalakten P III 59.  8 Gatz, Beilegung des Kulturkampfes, 141. Vgl. zur Nationalisierung des deutschen Katholizismus vor dem Ersten Weltkrieg die Studien von Lutz, Katholiken in und nach dem Ersten Weltkrieg; Leugers, Krieg und Frieden; van Dülmen, Katholizismus und der Erste Weltkrieg; Walser Smith, German nationalism; zur grundsätzlichen Situation des deutschen Katholizismus am Ende des Kaiserreichs vgl. Hürten, Deutsche Katholiken, 13–34.  9 Vgl. Burkard, Kaiser; Fuchs, Stephan, Segen des Krieges, 72; Gatz, Beilegung des Kulturkampfes, 142. Paradoxerweise wiederholte sich dieses Handlungsmuster 25 Jahre später während des Zweiten Weltkrieges in geradezu reflexhafter Weise nochmals. 10 Vgl. Wehler, Gesellschaftsgeschichte IV, 21 und 26. 11 Vgl. Imkamp, Theologie in Bayern, 616 Anm. 780: »Die bisherigen Erkenntnisse zur Haltung katholischer Universitätstheologen im Ersten Weltkrieg deuten nicht auf ein signifikant anderes Verhalten als das der großen Mehrheit deutscher Hochschullehrer hin.« Dort auch weitere Literatur zu diesem Themenkreis. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Wilhelm Imkamp stellte sogar die These in den Raum, die bayerischen Bischöfe, die in der Tradition des bayerischen Staatskirchentums des 19. Jahrhunderts dem regierenden Königshaus in besonderer Weise verbunden und verpflichtet gewesen wären, hätten »einen unbekümmerteren Nationalismus als die übrigen Bischöfe des Reichs« gezeigt.12 Der im August 1914 zum Feldpropst der bayerischen Armee ernannte Münchner Erzbischof Franz von Bettinger deutete in einer seiner Feldpredigten die Anordnungen militärischer Vorgesetzter als direkten Willen Gottes und befahl den gläubigen Katholiken den militärischen Gehorsam folglich als »Erfüllung des göttlichen Willens.«13 Die Kriegspredigt als für den Klerus dieser Zeit typisches literarisches Genre markiert hinsichtlich der Indienstnahme der Religion für nationalpatriotische Zwecke einen peinlichen Höhepunkt.14 In der Regel verteidigte der Klerus die staatlichen Kriegsziele und bemühte sich auch um eine moralische Rechtfertigung des Krieges.15 Die als aufgezwungen deklarierte militärische Auseinandersetzung wurde mit einem kultischreligiösen Nimbus versehen. Dabei deutete man den Krieg nicht nur als Strafgericht Gottes oder als Erzieher zu sittlicher und religiöser Erneuerung, vielmehr erschien er in der Überzeugung eigener moralischer Überlegenheit als ein heiliges Unternehmen. Die grundsätzliche Frage nach der christlichen Verpflichtung zu Friedenswerken blieb dabei weitgehend ausgespart, desgleichen die Frage nach der ethischen Verantwortung der Menschen für ihr Handeln in der ihnen gegeben Freiheit. Auch bei Kardinal Faulhaber, der in seinen Jahren als Stellvertretender Feldpropst der Bayerischen Armee zwischen 1914 und 1917 eine Reihe von Predigten gehalten hatte und Priester in Anlehnung an eine Stelle aus den Paulusbriefen bei Gelegenheit als Soldaten Christi bezeichnete16, finden wir entsprechende Motive wieder, etwa in der 1915 erschienen Predigtsammlung Waffen des Lichtes, in welcher der Krieg als »heilige, gerechte Sache, die diesen furchtbaren Einsatz an Blut und Gut wert ist«17 charakterisiert wird. Die Theologen und die Geistlichkeit kamen – sofern überhaupt – hoch dekoriert aus dem Weltkrieg zurück: 20 Theologen und 10 Geistliche waren mit dem Eisernern 12 Ebenda, 616 f. Eine ähnliche Auffassung im Übrigen bei Wehler, Gesellschaftsgeschichte IV, 25 f. 13 Faulhaber, Schwert des Geistes, 504. 14 Vgl. Missalla, Kriegspredigt 1914–1918; Achleitner, Gott im Krieg (mit Fokus auf Österreich), eine Auswahl aus den zahlreichen Quellen bei Gatz, Beilegung des Kulturkampfes, 142 Anm. 59. Von mentalitätsgeschichtlichem Interesse auch die Sammlung von Feldbriefen katholischer Soldaten, darunter auch Theologiekandidaten und Kleriker: Pfeilschifter, Feldbriefe. 15 Vgl. hierzu besonders Missalla, Kriegspredigt 1914–1918. 16 Vgl. Meier, Klerus im Felde, 9. Faulhaber zitiert hier eine Stelle aus dem 2. Brief des Apostels Paulus an Timotheus (2 Tim. 2,3), in welcher der Apostel den Gemeindevorsteher Timotheus auffordert: »Leide mit mir als guter Soldat Christi Jesu«. Faulhaber bezieht sie auf das Priestertum der Gegenwart. 17 Faulhaber, Waffen des Lichtes, 3. Zur Tätigkeit Faulhabers als stellvertretender Feldpropst der bayerischen Armee vgl. Lankes, Weltkrieg; zur Kriegstheologie Faulhabers vgl. seine Schriften Der Krieg im Lichte des Evangeliums, Waffen des Lichts, Das Schwert des Geistes und Das Hohe Lied der Kriegsfürsorge ferner die Analyse von Moenius, Faulhaber, 19–38 und Klier, Von der Kriegspredigt zum Friedensapell. Nicht unerwähnt bleiben sollte die deutliche Hinwendung Faulhabers zu einer Theologie des Friedens Ende der 1920er Jahre. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Kreuz I. Klasse ausgezeichnet worden, 171 Theologen und 57 Geistliche erhielten immerhin noch das Eiserne Kreuz II. Klasse. Zusätzlich erhielten 49 Geistliche den Bayerischen Militärverdienstorden.18 Kleriker und Theologen zeigten ihre Kriegsauszeichnungen noch Jahre später mit Stolz: Abbildungen, wie diejenige von Josef Albertshauser19, der sich am Tag seiner Priesterweihe 1925, also immerhin bereits sieben Jahre nach Kriegsende, im Talar mit militärischen Auszeichnungen fotografieren ließ, waren keine Seltenheit. Der Krieg bot in einer Zeit, in der die Selbst- und Fremdwahrnehmung katholischer Männer und insbesondere auch der Kleriker – die häufig als androgyn und effiminiert angesehen wurden – in eine Krise geraten waren, nicht zuletzt eine Chance Mannhaftigkeit und Männlichkeit zu demonstrieren.20 Die Bezugnahme auf das gesellschaftlich in hohem Ansehen stehende Männlichkeitsideal des Soldaten stellte dann insbesondere in der stark national und militärisch orientierten Zwischenkriegszeit ein zentrales Diskursmuster katholischer Männer – darunter auch Kleriker – dar, welches sich in der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus nach 1933 verfestigen sollte.21 Die Kombination von Priester und Krieger stattete die geistlichen Weltkriegsveteranen, die sich nach dem Krieg in der Vereinigung der katholischen geistlichen Kriegsteilnehmer Bayerns22 zusammengeschlossen hatten, mit einem spezifischen Nimbus aus. Phänotyp dieser Gruppe von Weltkriegsgeistlichen war der in München seit den 1920er Jahren legendäre und überaus beliebte Präses der Marianischen Männerkongregation,

18 Vgl. Börst, Theologen, 101. Da das Eiserne Kreuz nur an Truppenangehörige verliehen wurde, nicht aber an die in der Krankenpflege Tätigen, ergibt sich, dass nur sieben der 74 in der Feldseelsorge tätigen Geistlichen nicht mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet wurden. Ob dies als Hinweis auf die besondere Aufopferungs- und Einsatzbereitschaft des Klerus gesehen werden kann, oder eher ein Hinweis auf die Neigung Vorgesetzter, Kleriker bei Auszeichnungen zu bevorzugen, sei dahingestellt. 19 Josef Albertshauser, geb. am 25. 08. 1896 in Ilmmünster, vom November 1915 bis Dezember 1918 im Feld, Priesterweihe 1925 in Freising, Koadjutor in Wolfratshausen, Kooperaturverweser in Altenerding, 1928 Koadjutor in Kirchdorf an der Amper, Kooperator in Steinhöring, 1931 Kurat in Frauenried, 1937 exponierter Kooperator in Berganger, 1940 Pfarrer in Schweitenkirchen, 1949 Pfarrer in Schönau, 1954 Pfarrer in Frauenberg, 1967 frei resigniert, Kommorant in Ilmmünster, gest. am 31. 12. 1977; vgl. AEM, Priesterpersonalakten P III 15. 20 Vgl. zur Diskussion um die Krise der Männlichkeit im Katholizismus nach 1900: Hastings, Feminized Church; Blaschke, Piety of men. 21 Vgl. hierzu die instruktive Untersuchung von Meissner, Ganze Kerle, zu Gender-Semantiken im deutschen Katholizismus der Weimarer Jahre. Meissner konstatierte eine deutliche »Maskulinisierung des Katholizismus in der Weimarer Republik« (ebenda, 243). Im Gegenzug warfen nationalsozialistisch orientierte Kleriker wie Josef Roth dem Katholizismus römisch-ultramontaner Prägung »Verweiblichung« vor; vgl. hierzu Baumgärtner, Josef Roth, 226 f. 22 Vgl. Klerusblatt 1939 vom 13. 09. 1939, 498. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Abb. 14: Der Priester Josef Albertshauser (1896–1977) mit Weltkriegsorden. Die Aufnahme trägt rückseitig die Aufschrift: »Zur Erinnerung an unseren Weihetag! 29. 6. 25 Jos. Albertshauser«. Foto: AEM, Priesterpersonalakten P III 15.

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der Jesuitenpater Rupert Mayer23, der als erster Geistlicher im Weltkrieg mit dem Eisernern Kreuz Erster Klasse ausgezeichnet worden war und zudem infolge einer schweren Verletzung bei seiner Tätigkeit als Divisionspfarrer im Winter 1916/17 das linke Bein verloren hatte. Nicht wenige der geistlichen Weltkriegsveteranen spielten ihren Heldennimbus erfolgreich auch noch nach 1933 aus, wenn es zu Wortgefechten oder weitergehenden Auseinandersetzungen zwischen ihnen und Nationalsozialisten kam.24 23 Rupert Mayer, geb. am 23. 01. 1876 in Stuttgart, seit 1894 Studium der Theologie in Fribourg (Schweiz), Tübingen und München, 1899 Priesterweihe (Diözese Rottenburg), 1900 Eintritt in das Noviziat der Jesuiten in Feldkirch (Österreich), seit 1906 als Volksmissionar tätig, ab 1912 Seelsorge der Zuwanderer in München, ab 1914 Militärseelsorger, 1916 schwer verwundet, infolgedessen Beinamputation, seit 1921 Präses der Marianischen Männerkongregation in München, wegen regimekritischer Predigten 1937 Redeverbot, Verurteilung wegen Kanzelmissbrauchs, zeitweilige Inhaftierung, infolge weiterer Predigten gegen den Nationalsozialismus, 1938 Inhaftierung im Gefängnis Landsberg, nach Freilassung 1939 erneut inhaftiert und in das KZ Sachsenhausen verbracht, 1940 wegen Krankheit entlassen und im Kloster Ettal konfiniert, im Mai 1945 Wiederaufnahme der Tätigkeit in München-St. Michael, an den Folgen eines Schlaganfalls am 01. 11. 1945 gestorben. Rupert Mayer wurde 1987 selig gesprochen; vgl. zu seiner Biographie Bleistein, Rupert Mayer. 24 So sprach etwa Kurat Georg Freiberger (Jg. 1892, Priesterweihe 1922), ein zu diesem Zeitpunkt als Anstaltsgeistlicher im Hl. Geistspital in München-Neuhausen tätiger Weltkriegsveteran mit sichtbaren Verletzungen im Gesicht und einer Fülle von Orden an seiner Brust, in seiner Primizpredigt für Rupert Aschauer am 7. Juli 1935 in Tuntenhausen von den »sogenannten Frontkämpfern«, welche im Krieg »nie im Frontkampf und Feuergefecht standen« und deshalb an sich gar nicht mitreden könnten, obwohl sie umso lauter schwätzten und den ganzen Klerus aufgrund der Verfehlungen einzelner diffamieren würden, die wahre Opfergesinnung des Priesterstandes aber überhaupt nicht zu Kenntnis nähmen. Mit den »sogenannten Frontkämpfern« waren offenbar die Nationalsozialisten gemeint, die aufgrund der kurz zuvor begonnen Devisenprozesse mit antikirchlicher Propaganda den Klerusstand als Ganzes in Misskredit bringen wollten. Sich und seine Zuhörer rechnete Freiberger aber zu den »wirklichen Frontkämpfer[n], [die] den Krieg vier Jahre lang miterduldet haben.« Er führte weiter aus: »Darum schweigt auch der wirkliche Frontkämpfer und will nichts wissen und hören vom Krieg, nicht aber aus Feigheit, denn die haben wir draußen auch nicht gekannt, sondern weil er weiß, dass die Größe und das stille Heldentum eines Frontkämpfers und Frontkampfes nicht mit Worten geschildert werden kann. Und ganz ähnlich, meine Lieben, ist es auch mit der Einschätzung des Priester- und Ordensstandes: Die, welche am meisten darüber wissen und schwätzen und lügen und verleumden, die können das nur, weil sie den Priester- und Ordensstand auch nur von der ›rückwärtigen Seite‹, von außen, kennen …« Vgl. AEM, Priesterpersonalakten P III 45, Festpredigt Freibergers zur Primiz von Rupert Aschauer in Tuntenhausen am 07. 07. 1935. Im Akt auch ein Portraitfoto Freibergers mit 8 Orden auf dem Priesterrock und dem Spruch: »Auch die Priester – kämpften und bluteten …«; zu den Devisenprozessen vgl. Rapp, Devisenprozesse. Auch in rein defensiver Hinsicht wurde der Weltkriegsnimbus aktiviert. Nach der Verhaftung des Münchener Stadtpfarrers Emil Muhler (vgl. hierzu Kapitel 8.4) sammelte das Münchner Ordinariat Informationen über seine militärische Verwendung im Ersten Weltkrieg, vermutlich in der Absicht, diese zur Abwehr des gegen ihn erhobenen Vorwurfs kommunistischer Untergrundarbeit zu verwenden, vgl. EAM, NL Faulhaber 8303, Stadtpfarramt München-St. Andreas an EOM vom 26. 12. 1933. Ähnlich Beispiele finden sich in größerer Zahl. Im Fall des aus Bayern ausgewiesenen Domkapitulars Johannes Zinkl argumentierte Faulhaber gegenüber der Gestapo, © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Auch kollektiv sollte das Gedächtnis an das »Heldentum nie gekannter Größe und unerreichten Ausmaßes«25 während des Ersten Weltkrieges gepflegt werden. Eine besondere Intensivierung erfuhr diese katholische Erinnerungskultur während der NS-Zeit. Unmittelbar nach der Machtergreifung, im März 1933, beschloss der Klerusverband die Herausgabe eines Kriegergedächtnisbuchs, in welchem den Mitgliedern des bayerischen Welt- und Ordensklerus gedacht werden sollte, die während des Ersten Weltkriegs im Kriegs- oder Lazarettdienst tätig gewesen waren.26 Es erscheint evident, dass mit einem solchen Werk vor allem der antikatholischen NS-Propaganda entgegengewirkt werden sollte, welche Kleriker als romhörige Vaterlandsverräter darzustellen trachtete.27 Stattdessen betrieb man nun einen eigenen Heldenkult, in dem an nationalen und den Krieg bejahenden Tönen kein Mangel herrschte. Eine vergleichbare Stoßrichtung hatte auch der Ordinariatssitzungsbeschluss vom November 193728, für die im Ersten Weltkrieg gefallenen Feldgeistlichen und Theologiekandidaten in der Münchner Frauenkirche eine Gedenktafel zu errichten – eine bewusste Demonstration der vaterländischen Treue und Opfergesinnung des Klerus.29 Im Verlauf des Jahres 1938 erschienen schließlich mehrere Bände eines noch umfassender angelegten Gedenk-

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dieser sei »Geistlicher Rat, im Weltkrieg Offizier, dessen staatstreue Gesinnung auch von staatlicher Seite anerkannt wird.« Vgl. EAM, NL Faulhaber 8305, Faulhaber an Gestapo München vom 27. 10. 1940. Im Fall des Stadtpfarrpredigers Heinrich Göttl, bei dem es ebenfalls zu Konflikten mit der Staats- und Parteimacht gekommen war, wurde von kirchlicher Seite ebenfalls darauf hingewiesen, »dass Göttl den ganzen Weltkrieg an der Front mitgemacht, für das Vaterland geblutet und höchste Auszeichnungen sich errungen hat.« Vgl. EAM, NL Faulhaber 8315, Buchwieser an RMfKA vom 10. 02. 1937. Börst, Theologen, 1. Vgl. Amtsblatt München 1933, 73. Das umfangreiche und für Forschungen auf diesem Gebiet heute sehr hilfreiche Werk (Meier, Klerus im Felde) erschien schließlich 1937, als Herausgeber fungierte der aus der Diözese Eichstätt stammende Wehrkreispfarrer i. R. Balthasar Meier, selbst ein Weltkriegsveteran, ehemaliger Begleiter Faulhabers auf der dritten Besuchsreise an der Westfront im Februar 1916 und von 1920 bis 1932 einziger etatmäßiger Reichswehrpfarrer in Bayern, zu seiner Biographie: Brandt/Häger, Biographisches Lexikon, 520. Entsprechend martialisch nahm sich das Vorwort aus, das die Feldgeistlichen zu Mittlern des Kampfeswillens überhaupt stilisierte: »Das [gemeint ist ein solches Buch; Th. Fo.] ist der Klerusverband seinem Gott, seiner Kirche, seinem Stande und dem deutschen Volk schuldig, vor allem jenen Helden, die in einem unerhörten mörderischen Kampf ihr Höchstes, Blut und Leben, einsetzten und opferten für deutsche Ehre und deutsche Scholle. Was der katholische Welt- und Ordensklerus in der Feldseelsorge und seine Kleriker im Dienst mit der Waffe vollbracht haben, brauchen sie ja nicht unter den Scheffel zu stellen. Ja, wollten sie das auch tun, wollten sie davon schweigen, so müssten sie fürchten, dass die Steine sie anklagen, nämlich die Grabsteine der eigene geistlichen Brüder, das ist [sic!] der auf allen Kriegsschauplätzen gefallen Feldgeistlichen und Weltund Ordenskleriker und auch die Millionen Grabsteine all der tapferen Söhne des deutschen Volkes, die im Kampf für deutsche Scholle auf blutiger Walstatt geblieben sind. Haben sie doch alle, mit geringen Ausnahmen, den Mut und die Kraft dazu herausgesogen aus der Kraft des Gotteswortes und der Gottesgnade, deren Träger die Feldgeistlichen waren.« Meier, Klerus im Felde, 7. Vgl. AEM, Ordinariatssitzungsprotokolle vom 12. 11. 1937 und vom 04. 02. 1938. Diese Gedenktafel wurde 30. Mai 1939 geweiht, die Ansprache Faulhabers zu diesem Ereignis im Klerusblatt 1939, 343–345. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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projektes, die von Ludwig Börst herausgegebene Kriegsgeschichte der bayerischen Theologen30. Auch diese beabsichtigte, des »Opfertodes der jungen priesterlichen Helden, die den Primizaltar mit dem Altar des Vaterlandes freudig und heldenmütig austauschten und so zu Blutzeugen der eigenen und der Vaterlandsliebe ihres ganzen Berufstandes wurden«31 zu gedenken. Noch nachdem der Zweite Weltkrieg bereits ausgebrochen war, beschwor der im September 1939 zum Ersten Vorstand der Vereinigung der katholischen geistlichen Kriegsteilnehmern Bayerns gewählte Dachauer Stadtpfarrer Friedrich Pfanzelt32 das »heilige Erbe« der katholischen Kampfgemeinschaft: »Seien und bleiben wir Brüder im priesterlichen Korpsgeist und vaterländischem Pflichtbewusstsein.«33 Das starke nationale Engagement eines nicht unbeträchtlichen Teils des bayerischen Klerus zeigte sich auch in dessen freiwilligem Engagement in den Freikorps und Einwohnerwehren nach 1918, auf welches bereits in Zusammenhang mit dem Phänomen der braunen Priester hingewiesen wurde. Mindestens 41 Priester aus der Erzdiözese München und Freising waren aktiv in diese Organisationen eingebunden und teilweise auch an den Kämpfen gegen die Räterepublik beteiligt34, darunter namhafte Figuren wie Georg Kifinger35 und Adolf Wilhelm Ziegler36, die 30 Dem Verfasser lag nur der Band für die Erzdiözese München und Freising vor, vom selben Herausgeber erschienen 1938 Die Theologen der Diözese Augsburg im Weltkrieg 1914–1918 und 1939 Die Theologen der Erzdiözese Bamberg im Weltkrieg 1914–1918. Weitere Bände ließen sich nicht ermitteln. 31 Börst, Theologen, Vorwort [unpaginiert]. 32 Friedrich Pfanzelt, geb. am 24. 08. 1881 in Moosen/Vils, Priesterweihe 1907 in Freising, 1907 Koadjutor in Mittenwald, 1908 Koadjutor in Salzburghofen, 1909 Missarius in Zangberg, 1911 erst Aushilfspriester, dann Pfarrvikar in Weyarn, 1912 Aushilfspriester in Dietramszell, Kaplan in Pasing, 1913 Koadjutor in Olching, 1917 Pfarrer in Olching, 1930 Stadtpfarrer in Dachau, gest. am 09. 09. 1958; vgl. AEM Priesterpersonalakten P III 1316. 33 Klerusblatt vom 13. 09. 1939, 498. 34 Vgl. die Auflistung bei Börst, Theologen, 97–100. Zur grundsätzlichen Haltung der katholischen Kirche in der Revolution 1918/19 vgl. Hüttl, Revolution in Bayern 1918/19. 35 Georg Kifinger, geb. am 10. 11. 1889 in Mettenheim, Priesterweihe 1914 in Freising, Aushilfspriester in Landshut und Freising, 1915 beurlaubt zu Studien, 1916 Stipendiat in München bei St. Johann Nepomuk, 1918 Oberlehrer und Offiziator in der Kreislehrerinnenbildungsanstalt in München, Gauführer im Bund Neudeutschland, Bundesführer des Heliand, 1932 Studienrat an der MariaTheresia-Realschule München, 1933 Studienrat und Offiziator an der Lehrerbildungsanstalt in Pasing, 1935 Studienrat am Neuen Realgymnasium München, 1938 Stadtpfarrer in München Maria-Ramersdorf, 1957 Dekan, 1967 frei resigniert, gest. am 14. 05. 1976 in München; AEM, Priesterpersonalakten P III 864. 36 Adolf Wilhelm Ziegler, Dr. theol., geb. am 09. 03. 1903 in München, Priesterweihe 1927 in Freising, Kooperator in München-St. Benno, 1930 Kurat in München-St. Raphael, 1934 beurlaubt zu Studien und Hausgeistlicher in München Herz-Jesu-Kloster, 1938 Dozent und Präfekt am Erzbischöflichen Klerikalseminar Freising, während des Zweiten Weltkriegs Beauftragter für die Seelsorge an Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern, 1945 Professor für Kirchengeschichte an der Phil.-Theol. Hochschule in Dillingen, 1948 Professor für Kirchengeschichte des Altertums und Patrologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München, 1968 emeritiert, 1972 Kommorant in Garmisch-Partenkirchen, gest. am 30. 08. 1989; vgl. Chronologie der Diözesanpriester 1976, 21; © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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dem Freikorps Epp37 angehörten oder der spätere Domvikar und Erzbischöfliche Sekretär Josef Thalhamer, der in den Reihen des Freikorps Oberland38 kämpfte. Über den bereits erwähnten Geistlichen Philipp Aurnhammer vermerkte sein Biograph: Bestürzt über den Ausgang des Krieges, ließ er sich jedoch in seiner politischen Überzeugung nicht beirren. Im Gegenteil! […] Nachdem er als Vizewachtmeister der Kavallerie aus der bayerischen Armee ausgeschieden war, fand seine Militärzeit noch eine kurze Fortsetzung beim Freikorps Epp bzw. Wehrregiment München, in den turbulenten Monaten um die Jahreswende 1918/19.39

Ein Engagement für oder in den Freikorps war freilich nicht gleichbedeutend mit einer inhaltlichen Nähe zum Nationalsozialismus, auch wenn später viele Freikorps in der NS-Bewegung aufgingen oder sich aus diesen rekrutierten. Es war jedoch ein deutliches Indiz für eine stark nationale Orientierung der betroffenen Geistlichen. Herman Mencke40, seit 1923 Pfarrer in Garmisch, trat als Seelsorger selbstverständlich auch bei Veranstaltungen des Bundes Oberland auf, der dort eines seiner Zentren hatte, etwa bei der Einweihung einer »Schlageter-Tafel« auf der Zugspitze.41 Wenn nach der NS-Machtergreifung plötzlich Pfarrhöfe nach Waffen durchsucht wurden, hatte dies eine Begründung in der zu Beginn der 1920er Jahre üblichen Praxis der Freikorps und Einwohnerwehren, Pfarrhöfe als Waffenlager zu benutzen, woran sich

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Schematismus 1991, 750; seine Erinnerungen Ziegler, Adolf Wilhelm, Freisinger Domberg und Derselbe, Werk des Friedens. Das Freikorps Epp wurde im Februar 1919 von Oberst Franz Ritter von Epp in Thüringen aufgestellt und war aktiv an der Niederschlagung der Revolution in München beteiligt. Ihm gehörten u. a. die späteren Nationalsozialisten Ernst Röhm, Rudolf Heß, Hans Zöberlein und die Brüder Gregor und Otto Strasser an. Epp wurde in der Bevölkerung als »Befreier Münchens« gefeiert, vgl. Rudloff, Revolution und Gegenrevolution, 52. Das Freikorps Oberland ging im April 1919 aus dem Kampfbund Thule hervor und wurde von Rudolf von Sebottendorf gegründet um gegen die Münchner Räterepublik vorzugehen. Nach 1919 kämpfte das Freikorps gegen kommunistische Aufstände, u. a. im Ruhrgebiet und war 1923 am Münchener Hitlerputsch beteiligt, vgl. Rudloff, Revolution und Gegenrevolution, 58 f. Aus dem Lebenslauf eines tatkräftigen Idealisten. Ein Rückblick auf 80 Jahre des schaffenden Lebens von Dr. Phillipp Aurnhammer, Mindelheim 1976, 12 f. Ein Exemplar in AEM, Priesterpersonalakten P III 59. Hermann Mencke, geb. am 23. 09. 1882 in Papenburg, Priesterweihe 1907 in Freising, Koadjutor in Siegsdorf, Koadjutor in Kohlgrub, 1911 Kooperator in Bad Aibling, 1923 Pfarrer in Garmisch, 1941 Pfarrer in Maria Dorfen, gest. am 01. 12. 1946; vgl. AEM, Priesterpersonalakten P III 1149; vgl. zu Mencke als Opfer von mitbrüderlicher Denunziation bei der Gestapo auch Kapitel 8.4. AEM, Nationalsozialistische Verfolgung katholischer Geistlicher, Fragebogen A, Hermann Mencke. Zur Bedeutung des nationalsozialistischen Terroristen und gläubigen Katholiken Schlageter, der sowohl dem CV als auch der NSDAP angehörte, als Identifikationsfigur für nationalistische Katholiken vgl. Hastings, Roots, 129–135. Faulhaber, der die Schlageter-Verehrung eher aus der Distanz beobachtete, doch tolerierte, schrieb 1937 an einen rheinländischen Geistlichen: »Auf jeden Fall war er [Schlageter; Th. Fo.] katholischer Held im Sterben und als solchen wollen wir uns ihn nicht rauben lassen.« EAM, NL Faulhaber 7278, Faulhaber an Fassbender vom 13. 03. 1937. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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die häufig aus der Freikorps-Bewegung stammenden SA-Leute 1933 erinnerten. Umso aufgebrachter reagierte der nun plötzlich der Konterrevolution verdächtige Klerus, so etwa Pfarrer Johann Schmid von Kolbermoor, der im März 1933 betonte, sein Pfarrhofstadel sei »einst unter Epp Zeiten […] legales Lager von Gewehr und Kanonen gegen Spartakus« gewesen.42

7.2 Zweiter Weltkrieg 7.2.1 Rahmenbedingungen für die Theologen und Priester Zu neuerlicher Bewährung für die Theologenschaft gab der 1939 beginnende Eroberungskrieg Hitlers die Gelegenheit.43 Wenige Wochen nach Kriegsausbruch waren dem in der Heimat verbliebenen Klerus durch sein Standesorgan Klerusblatt Empfehlungen gegeben worden, wie mit Frontsoldaten Kontakt zu halten sei und wie diese bei »ihrer opferreichen Pflichterfüllung« gestärkt werden können, wobei vor allem regelmäßige Besuche bei den Soldatenfamilien und individueller Postverkehr mit den im Feld Stehenden empfohlen wurden.44 Bereits am 20. Juli 1933 war in einem in Rom unterzeichneten geheimen Anhang zum Reichskonkordat45 die Frage nach der Kriegsdienstpflicht der deutschen Theologen geregelt worden. Damit war in diesem Vertragswerk die erst 1935 erfolgte Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht im Deutschen Reich und der damit verbundene Bruch des Versailler Vertrags vorweggenommen worden – nicht zuletzt deshalb blieb das Dokument streng geheim und dürfte auch der Mehrzahl der deutschen Bischöfe bis Kriegsausbruch unbekannt geblieben sein.46 Im CIC von 1917 war grundsätzlich das Privilegium immunitatis, und daraus resultierend die Frei42 Vgl. EAM, NL Faulhaber 8312, Schmid an EOM vom 12. 03. 1933. Mehrere Fälle im selben Akt. 43 Vgl. zur Einführung in den Themenkreis Kirche im Zweiten Weltkrieg etwa Hockerts, Ausblick; Hummel/Kösters, Kirchen im Krieg. Die vorliegende Arbeit fokussiert die viel breitere Thematik der Seelsorge während des Zweiten Weltkrieges ausschließlich auf die Tätigkeit des Klerus als Militärseelsorger und Priestersoldaten der Wehrmacht und das Schicksal der zum Kriegsdienst mit der Waffe eingezogenen Theologen. Die Aspekte der Seelsorge unter Kriegsbedingungen und an speziell durch den Krieg hervorgebrachten gesellschaftlichen Gruppen wie etwa Kriegsgefangenen oder Zwangsarbeitern wird ebenfalls am Beispiel der Erzdiözese München und Freising in einer an der Ludwig-Maximilians-Universität München entstehenden Arbeit von Volker Laube behandelt. Zum bisherigen Forschungsstand hierzu vgl. Laube, Zwangssterilisierung und Euthanasie, Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter und Laube, Fremdarbeiter. 44 Vgl. Dorfpfarrer und Frontsoldat. Anregungen zu direkter und indirekter Seelsorge, Klerusblatt 1939, 565. 45 Text bei Volk, Reichskonkordat, 244; vgl. zur Entstehung und Bedeutung Güsgen, Militärseelorge, 239–254. 46 Vgl. die diesbezüglichen Ausführungen bei Brandt/Militärbischofsamt, Priester in Uniform, 17 f. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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heit vom Dienst mit der Waffe, für alle Kleriker vorgesehen.47 Auch der Artikel 6 des Reichskonkordats sah eine allgemeine Befreiung der Kleriker und Ordensleute »von der Verpflichtung zur Übernahme öffentlicher Ämter und solcher Obliegenheiten, die nach den Vorschriften des kanonischen Rechtes mit dem geistlichen Stande bzw. Ordensstande nicht vereinbar sind«48 vor, dazu gehörte nach der gängigen Interpretation, obwohl nicht ausdrücklich erwähnt, auch der Militärdienst.49 Im Falle einer Mobilmachung sah der geheime Anhang zum Reichskonkordat aber nur die Befreiung derjenigen Geistlichen vom Dienst bei der Truppe vor, die in der Diözesanverwaltung oder auf festen Dienstposten in der Seelsorge beschäftigt waren. Als solche galten »die Ordinarien, die Mitglieder der Ordinariate, die Vorsteher der Seminare und kirchlichen Konvikte, die Seminarprofessoren, die Pfarrer, Kuraten, Rektoren, Koadjutoren und die Geistlichen, die dauernd einer Kirche mit öffentlichem Gottesdienst«50 vorstanden. Die übrigen Geistlichen, also vor allem die Hilfsgeistlichen (Kooperatoren), hatten, »sofern sie tauglich erklärt werden, in die Wehrmacht des Staates« einzutreten, »um unter der kirchlichen Jurisdiktion des Armeebischofs sich der Seelsorge bei den Truppen zu widmen, falls sie nicht zum Sanitätsdienst eingezogen werden.«51 Theologiestudierende waren hingegen nur nach Möglichkeit vom Dienst mit der Waffe freizustellen und dem Sanitätsdienst zuzuordnen, in der Praxis hatte diese Bestimmung wenig Bedeutung, da sie nach Kriegsausbruch kaum Anwendung fand und die Theologen je nach Bedarf allen Waffengattungen zugewiesen wurden.52 Obwohl die in kirchlichen Anstalten Studierenden der Philosophie und Theologie, die sich auf das Priestertum vorbereiteten, in Friedenszeiten vom Wehrdienst befreit waren53, kam es bereits unmittelbar nach der Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht im Deutschen Reich zu vereinzelten freiwilligen Meldungen von Theologen. 12 Kandidaten des Freisinger Klerikalseminar meldeten sich im Oktober 1935 zum einjährigen Dienst in der Wehrmacht. Bei der Mehrzahl vermutete Regens Westermayr »vaterländischen Idealismus«, bei einigen wohl auch die »Prüfung des

47 Vgl. Eichmann/Mörsdorf, Kirchenrecht, Bd. 1, 256. 48 Vgl. Listl, Konkordate und Kirchenverträge, Bd. 1, 38. Das bayerische Konkordat von 1924 berührte diese Frage nicht. 49 Vgl. Brandt/Militärbischofsamt, Priester in Uniform, 16. Zumal Art. 32 des Reichskonkordats zugleich auch auf die totale politische Abstinenz des Klerus zielte. 50 Geheimer Anhang zum Reichskonkordat vom 20. Juli 1933, zit. nach Volk, Reichskonkordat, 244. 51 Ebenda. 52 Vgl. Brandt/Militäbischofsamt, Priester in Uniform, 10. 53 Vor dem Empfang der Subdiakonatsweihe wurden Theologiestudierende aber durchaus gemustert, auch deshalb, da sie zum Reichsarbeitsdienst herangezogen wurden und hierfür ebenfalls Tauglichkeitskriterien galten. Wenn sie bereits die Subdiakonatsweihe empfangen hatten, war eine Musterung ausgeschlossen, die Geistlichen wurden dann der sog. Ersatzreserve II zugeteilt, Vgl. Amtsblatt München 1933, 187. Eine grundsätzliche Veränderung dieser Situation trat mit Kriegsausbruch ein, vgl. die nachfolgenden Ausführungen. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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zweifelhaften Berufs«.54 Bereits im Herbst 1938 machte man sich im Ordinariat vermehrt über den möglichen Ausbruch eines Kriegs und die möglichen Folgen für die Seelsorge Gedanken, so etwa über Kurse für Geistliche, die im Kriegsfall in der Feldseelsorge Verwendung finden sollten55 sowie über die im Kriegsfall als Standortpfarrer vorzusehenden Geistlichen.56 Die deutschen Bischöfe wurden in der Mehrzahl jedoch erst drei Wochen nach Kriegsausbruch durch ein Schreiben der Nuntiatur von den Regelungen zwischen dem Hl. Stuhl und der Reichsregierung im Falle einer allgemeinen Mobilmachung informiert. Dass es sich bei dieser Regelung um das bereits 1933 geschlossene Zusatzprotokoll zum Reichskonkordat handelte, erfuhren sie nicht.57 Erst Mitte Oktober 1939 erließ schließlich auch das Oberkommando der Wehrmacht nähere Ausführungsbestimmungen, welche die Heranziehung der katholischen Geistlichen und Theologiestudierenden zum aktiven Wehrdienst regelten.58 Die deutsche Militärseelsorge war durch die Bestimmungen des Art. 27 des Reichskonkordates exemt, das heißt die Angehörigen der Wehrmacht, darunter auch die Wehrmachtspfarrer und alle sonstigen im militärischen Dienst stehenden Geistlichen und Kandidaten, unterstanden nicht mehr den jeweiligen Ortsbischöfen, sondern bildeten ein eigenes Personalbistum unter einem Feldbischof (Ordinarius castrensis).59 Der Feldbischof war deutscher Beamter und unterstand dem Oberkommando der Wehrmacht respektive dem Führer als Oberstem Befehlshaber der Wehrmacht.60 Dadurch unterstanden auch die in der Militärseelsorge verwendeten Geistlichen – wie die Beamtenschaft – in einer direkten Befehlskette Hitler. Dies unterschied sie von den übrigen Geistlichen. Der Grad der Involvierung war freilich unterschiedlich, je nachdem, ob es sich um eine dauerhafte oder nur vorübergehende Verwendung handelte, und je nach Stellung wurden die in der Wehrmachtsseelsorge tätigen Geistlichen als Reichsbeamte, Vertragsangestellte oder Beauftragte geführt.61 Grundsätzlich bat der Feldbischof die jeweiligen deutschen Bischöfe, ihm für die Militärseelsorge geeignete Geistliche vorzuschlagen und diese für diesen Dienst freizustellen. Katholischer Feldbischof der Deutschen Wehrmacht war von Januar 1938 bis 54 Vgl. EAM, NL Faulhaber 5771/1, Chronik des Erzbischöflichen Klerikalseminars Freising 1932– 1945, 16 f. 55 Vgl. AEM, Ordinariatssitzungsprotokoll vom 14. 10. 1938; die Kurse kamen wegen Vorbehalten des Feldbischofs aber nicht zustande, vgl. Ordinariatssitzungsprotokoll vom 04. 11. 1938. 56 Vgl. AEM, Ordinariatssitzungsprotokoll vom 28. 10. 1938. 57 Vgl. Brandt/Militärbischofsamt, Priester in Uniform, 18. 58 Erlass des Oberkommandos der Wehrmacht betreffend Heranziehung von römisch-katholischen Geistlichen und Theologiestudierenden zum aktiven Wehrdienst vom 14. 10. 1939, zit. nach Brandt/ Militärbischofsamt, Priester in Uniform, 18 f. 59 Vgl. Güsgen, Militärseelsorge, 231–238; Der Feldbischof stand – anders als heute der katholische Militärbischof der deutschen Bundeswehr – nicht zugleich einem Ortsbistum vor. Obwohl diese Lösung nicht den Wünschen des Episkopats entsprochen hatte, war sie der Reichswehrführung im Konkordat auf Drängen der deutschen Reichsregierung schließlich zugestanden worden. 60 Vgl. Brandt/Häger, Biographisches Lexikon, LXIXf. 61 Ebenda, LXXII. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Februar 1945 der aus Ostpreußen (Bistum Ermland) stammende Franz Justus Rarkowski62, er war bereits in der Weimarer Republik die prägende Gestalt innerhalb der katholischen Militärseelsorge gewesen. Rarkowski war eine eigentümliche Figur und hatte eine schwierige Stellung innerhalb des deutschen Episkopats, der ihn nicht als vollwertigen Bischof akzeptierte und sich weigerte, ihn an den Sitzungen der Deutschen Bischofskonferenz teilnehmen zu lassen. Auch im Vatikan hatte man gegen die Bischofsweihe Rarkowski, der als Wunschkandidat der Wehrmachtsführung galt, erhebliche Bedenken. Kirchlich war er als gescheiterter Maristenpater gewissermaßen heimatlos, theologisch galt er als unbedarft, menschlich als schwierig und politisch als zu kompromissbereit gegenüber den Nationalsozialisten.63 Zudem litt er – folgt man Äußerungen seines Feldgeneralvikars Georg Werthmann – möglicherweise bereits 1940 unter einer Demenzstörung und war infolgedessen nur bedingt in der Lage sein Amt überhaupt auszuüben.64 So war denn der aus der Bamberger Erzdiözese stammende Werthmann65 während des Krieges die eigent-

62 Franz Justus Rarkowski, geb. am 08. 06. 1873 in Allenstein/Ostpreußen, Noviziat und Studium bei den Maristen, 1898 Priesterweihe in Innsbruck, 1901 Dispens von den Ordensgelübden und Rückkehr in die Heimatdiözese Ermland, dort Hausgeistlicher und Kurat, 1914 Meldung als Feldseelsorger, Garnisonspfarrer in Berlin, nach Ende des Krieges Karriere als Divisions- und Oberpfarrer in der Reichswehr, 1929 staatl. Beauftragter für die Verhandlungen zur Neuordnung der Militärseelsorge mit der Fuldaer Bischofskonferenz und Beauftragter für die Seelsorge an Reichswehrangehörigen, Dienstaufsichtsführender Geistlicher aller 14 Wehrkreispfarrer, 1932 bis 1936 zugleich Wehrkreispfarrer III in Berlin, 1936 Apostolischer Administrator für die der Wehrmacht angehörenden katholischen Soldaten mit dem Titel Feldpropst, 1938 Ernennung zum Titularbischof von Hierocaesarea und Katholischen Feldbischof der Deutschen Wehrmacht, Wahlspruch »Deo et Militi«, Anfang Februar 1945 Versetzung in den dauernden Ruhestand, gest. am 09. 02. 1950; vgl. Missalla, Volk und Vaterland, 73–92 (mit Analyse der Predigten und Hirtenbriefe); Reifferscheid, Bistum Ermland; Gatz, Bischöfe 1785/1803 bis 1945, 594 f.; Brandt/ Häger, Biographisches Lexikon, 637–640 (mit weiterführender Literatur). 63 Vgl. Missalla, Volk und Vaterland, bes. 85–92. 64 Vgl. ebenda, 89. Werthmann sprach von einem »angeschlagenen Denkapparat« seines Chefs und äußerte, dieser werde hoffentlich keine Dummheiten anstellen (ebenda, 90). 65 Georg Werthmann, geb. am 08. 12. 1898 in Kulmbach, 1916 Kriegsfreiwilliger, nach schwerer Verwundung bis 1920 in franz. Kriegsgefangenschaft, anschließend Studium der Philosophie und Theologie in Bamberg, 1924 Priesterweihe, Kaplan in Nürnberg, 1928 Kaplan in St. Martin Bamberg, Jugendseelsorger und Religionslehrer, 1929 Studienrat, 1931 Erzkaplan des Deutschen MarienRitter-Ordens, 1935 Eintritt in den Militärseelsorgedienst, hauptamtlicher militärischer Vertragspfarrer in Berlin, 1936 Feldgeneralvikar des Apostolischen Administrators für die katholischen Soldaten der Wehrmacht, 1940 Wehrmachtsdekan, 1942 Päpstlicher Hausprälat, Ende Januar 1945 durch Generalfeldmarschall Keitel beauftragt mit der Wahrnehmung der Dienstgeschäfte des Katholischen Feldbischofs, 1946 Stadtpfarrer von Kronach, Dekan, 1951 Übernahme der Amtsgeschäfte als Chief Chaplain der Seelsorge im Labor Service der amerikanischen Besatzungszone, 1955 Militärgeneralvikar des Militärbischofs der Deutschen Bundeswehr, 1962 Ruhestandsversetzung, zahlreiche Orden und Auszeichnungen, gest. am 25. 05. 1980; vgl. Brandt/Häger, Biographisches Lexikon, 896 ff. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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lich bestimmende Figur im Militärbischofsamt.66 Die deutschen Bischöfe mussten angesichts der ablehnenden Haltung der NS-Führung, vor allem Herman Görings67, gegenüber der prinzipiellen Idee einer Wehrmachtsseelsorge schon froh sein, überhaupt eine seelsorgliche Betreuung der Truppen aufrecht erhalten zu können. Insofern akzeptierte man die bestehenden Strukturen mit Rarkowski an der Spitze als kleineres Übel.

7.2.2 Anzahl der Kriegsteilnehmer und Vernetzung mit den diözesanen Strukturen Für die Kirchenführung stand es nach Beginn der Kriegshandlungen im September 1939 außer Frage, dass der Klerus die Verpflichtungen, welche ihm infolge der konkordatären Bestimmungen auferlegt wurden, zu erfüllen habe: In solch schwerer Zeit, wo es um alles geht, ist es unabweislich notwendig, dass jeder an dem Platze, wo er hingestellt ist, seine religiösen, vaterländischen und staatsbürgerlichen Pflichten vollauf erfülle und dass einer dem anderen im Geiste echt christlicher Nächstenliebe und wahren Gemeinschaftsbewusstseins zur Seite stehe. In diesem Sinne mögen insbesondere alle Seelsorger darauf bedacht sein, den Gläubigen durch ihr Vorbild in Wandel und Wirken voranzuleuchten […] und im Besonderen auch alle vaterländischen Dienste, zu welchen sie etwa aufgerufen werden, als Ehrenpflicht zu betrachten und opferbereit ihre ganze Persönlichkeit dafür einzusetzen68,

formulierte Generalvikar Buchwieser am 7. September 1939 in einem im Amtsblatt publizierten Aufruf an die Priester und Gläubigen der Erzdiözese München und Freising.69 66 Soweit dies anhand der Quellen noch zu beurteilen ist. Sämtliche heute im Archiv des Katholischen Militärbischofs für die Deutsche Bundeswehr verwahrten Akten des Katholischen Militärbischofsamts aus der Zeit des Dritten Reiches wurden von Werthmann nach 1945 in apologetisch-hagiographischer Mission bearbeitet und ein Großteil des Schriftguts vernichtet. Weshalb der Bestand heute treffend auch als Sammlung Werthmann bezeichnet wird; Freundliche Mitteilung von Frau Archivoberrätin Monica Sinderhauf, Archiv des Katholischen Militärbischofs der Deutschen Bundeswehr, an den Verfasser. Ein vernünftiges Bild der Militärseelsorge während des Dritten Reichs kann zumindest aus diesem Bestand nicht gezeichnet werden. 67 Vgl. etwa den Geheimerlass Görings vom 23. 11. 1939, der auf ein Zurückdrängen kirchlichen Einflusses auf die Angehörigen der Luftwaffe zielte. Druck in: Volk, Akten deutscher Bischöfe, Bd. 4, 717 Anm. 1. 68 Amtsblatt München 1939, 139. 69 Wie der Kriegsausbruch innerhalb des innersten Führungsgremiums der Erzdiözese wirklich beurteilt wurde, lässt sich mangels Vorliegen entsprechender Protokolle nicht beurteilen. In den im AEM verwahrten Ordinariatssitzungsprotokollen klafft zwischen den Protokollen der Sitzungen vom 15. 05. 1939 und vom 13. 10. 1939 eine Lücke. Dabei ist unklar, ob dies ein Überlieferungsproblem darstellt, oder ob diese Sitzungen tatsächlich ausgefallen sind, zumal bezeugt ist, dass Kardinal Faulhaber im Sommer und Herbst 1939 längere Zeit erkrankt war und sich bei Kriegs© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Die Haltung der Diözesanspitze war dabei ambivalent, einerseits ließ man die Theologen und Kleriker kaum leichten Herzens in den Krieg ziehen, aufmerksam wurde jede der sich schubweise über die Jahreswende 1939/40 vollziehenden Einberufungen vermerkt.70 Von den 46 Priesteramtskandidaten des Freisinger Weihekurses 1940 waren bis Ende des Jahres 1939 schon 20 zum Militärdienst einberufen worden, die übrigen waren vorläufig zurückgestellt, dennoch entschied sich die Diözesanleitung vorsichtshalber, sie nicht zum üblichen Termin am Peter und Paulstag im Juni, sondern bereits am 31. März, dem Weißen Sonntag, zu weihen.71 Andererseits lehnte man das Gesuch eines wehrdienstpflichtigen Kandidaten um vorzeitige Zulassung zur Subdiakonatsweihe – womit dieser die höheren Weihen erlangt hätte und somit vom Dienst mit der Waffe frei gestellt worden wäre – ab.72 Für Kardinal Faulhaber war es ein zentrales Anliegen zu demonstrieren, dass Theologen und Klerus nicht zu den vermeintlichen Drückebergern zählten, sondern pflichtbewusst ihren Dienst am Vaterland erfüllten.73 Die Bestimmung der Anzahl der im Zweiten Weltkrieg zu den verschiedenen Dienstkategorien herangezogenen Geistlichen und Theologen ist nicht mehr absolut exakt möglich. Gemäß einer in den 1980er Jahren erstellten Statistik, nahmen am Zweiten Weltkrieg insgesamt 230 diözesane Weltpriester, 270 Theologiestudierende und 182 Seminaristen aus den Knabenseminaren Freising und Traunstein teil,74 insgesamt also 682 Männer. Nur ein kleiner Teil der Priester war dabei als Kriegs- oder Wehrmachtspfarrer im seelsorglichen Einsatz, die Statistik listet hier fünf aktive ausbruch offenbar auf Kur befand; vgl. Pfister, Priester und Theologiestudenten im militärischen Dienst, 333. An der sehr kurzen Freisinger Bischofskonferenz, die am 23. August am Rande der Deutschen Bischofskonferenz in Fulda stattfand, nahm er aber noch teil, der bevorstehende Krieg wurde dort nicht angesprochen, vgl. Volk, Akten Faulhabers, Bd. 2, 652, Protokoll der Konferenz des bayerischen Episkopats vom 23. 08. 1939. 70 Vgl. etwa AEM, Ordinariatssitzungsprotokolle vom 13.10., 27.10. und 16. 12. 1939. 71 Vgl. Kronberger, Erinnerungen, 12 f. 72 AEM, Ordinariatssitzungsprotokoll vom 02. 02. 1940. 73 So formulierte er noch im November 1944 in einem seiner Rundbriefe hinsichtlich der Opferbereitschaft der gefallenen Kandidaten: »Treu bis in den Tod, haben sie mit ihrem Opfer den Beweis erbracht, dass die vaterländische Gesinnung des Klerus nicht angezweifelt werden kann.«; vgl. Faulhaber an die Priesterkandidaten und Geistlichen im Wehrdienst, Volk, Akten Faulhaber, Bd. 2, 1033–1035, hier 1033. 74 Vgl. Pfister, Priester und Theologiestudenten im militärischen Dienst, 354 f. Pfister wies ebenda auf die methodischen Schwierigkeiten bei der Erstellung dieser Statistik hin, leichtere Abweichungen nach unten oder oben erscheinen denkbar. Eine von den Zahlen bei Pfister nach unten abweichende Statistik findet sich in: EAM, NL Faulhaber 5772/2, Zusammenstellung zur Dankwallfahrt der heimgekehrten Priester und Theologen unserer Erzdiözese am St. Korbiniansfest 1946. Diese gibt den Kenntnisstand der unmittelbaren Nachkriegszeit wieder. Ihr zufolge nahmen 199 Weltpriester und 285 Theologiestudierende am Krieg teil (die Knabenseminaristen wurden in dieser Statistik nicht aufgeführt). Die Diskrepanzen in den verschiedenen Statistiken ergeben sich vermutlich dadurch, dass zum einen teilweise Ordenskleriker bzw. Priester fremder Diözesen, die sich vorübergehend in der Erzdiözese aufhielten, mit erfasst wurden zum anderen vermisste Personen später für tot erklärt wurden. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Militärpfarrer und 29 Kriegspfarrer gegenüber 196 Geistlichen im Sanitäts- und Waffendienst auf.75 Von den 230 in dieser Statistik aufgeführten Priestern fielen 22 an der Front und fünf bei Fliegerangriffen in der Heimat, sechs galten als vermisst, wobei unklar ist zu welchem Zeitpunkt.76 Die Auflistung der Weltkriegsopfer im Schematismus aus dem Jahr 1950 listet hingegen nur 25 gefallene Priester namentlich auf, wovon offenbar 17 durch Kampfhandlungen ums Leben kamen, 2 in Kriegsgefangenschaft verstarben und 5 bei Fliegerangriffen in Deutschland getötet wurden.77 Von den 270 Theologen waren offenbar 77, von den 182 Knabenseminaristen 31 gefallen.78 Die Theologiestudierenden waren somit sowohl in absoluten Zahlen, als auch anteilsmäßig am schwersten getroffen: Ungefähr 30 Prozent der Theologiestudierenden fielen im Zweiten Weltkrieg, im Gegensatz zu etwas über 10 Prozent der am Krieg teilnehmenden Priester.79 Eine nähere Betrachtung zeigt dabei, dass die Mehrzahl dieser Männer im Krieg gegen die Sowjetunion ums Leben kam: 17 Priester, 42 Theologen und 16 Knabenseminaristen fielen in »Russland« oder »im Osten«.80 Gleichfalls aufschlussreich ist ein Vergleich der beiden Weltkriege hinsichtlich der zahlenmäßigen Beteiligung von Klerikern und Theologen. Bei den Theologiestudierenden ergaben sich keine großen Unterschiede: Am Ersten Weltkrieg nahmen mit 301 sogar etwas mehr Theologiestudierende teil, als am Zweiten Weltkrieg mit 270. Im Ersten Weltkrieg fielen auch mehr Theologen, nämlich 95 (31,6 Prozent der 75 Vgl. Pfister, Priester und Theologiestudenten im militärischen Dienst, 355. Die o. g. Statistik in EAM, NL Faulhaber 5772/2 aus dem Jahr 1946 listet ebenfalls 34 in der Seelsorge tätige Geistliche gegenüber 165 als Sanitäter tätigen Geistlichen auf. Ebenfalls 34 Geistliche der Erzdiözese München und Freising sind als Militärseelsorger des Zweiten Weltkrieges namentlich bei Brandt/ Häger, Biographisches Lexikon (vgl. Register) aufgelistet, weshalb diese Zahl als gesichert gelten dürfte. 76 Vgl. Pfister, Priester und Theologiestudenten im militärischen Dienst, 356–359. 77 Vgl. Schematismus 1950, 340. 78 Vgl. Pfister, Priester und Theologiestudenten im militärischen Dienst, 354. Die Statistik der Weltkriegsopfer im Schematismus 1950, 341 f. listet 75 gefallene Studierende der Theologie und Philosophie und ebenfalls 31 gefallene Zöglinge der Erzbischöflichen Knabenseminare (Freising und Traunstein) auf. Zum Vergleich: Im Deutschen Reich waren bis zum 01. 05. 1943 3.819 Weltgeistliche und 4.292 Ordensgeistliche eingezogen worden. Rund 1.700 bis 1.800 dieser Geistlichen waren Wehrmachtsseelsorger, davon etwa 550 als Kriegs- und Marinepfarrer bei den kämpfenden Truppen. Die Mehrheit der Geistlichen war im Sanitätsdienst tätig; vgl. Raem, Diözesanklerus, 174. Noch detailliertere Zahlen finden sich bei Brandt/Militärbischofsamt, Priester in Uniform, 11–15. Zusammen mit den Theologiestudierenden und Ordensbrüdern summiert sich die Zahl der im Zweiten Weltkrieg in irgendeiner Form im militärischen Dienst befindlichen katholischen Theologen auf schätzungsweise über 20.000; vgl. ebenda, 15; Gatz, Vom Weltkrieg zum Konzil, 187 f. 79 Tatsächlich sind die Unterschiede aber noch drastischer, berücksichtig man, dass von den 1.479 diözesanen Weltpriestern, die der Schematismus 1939, 339 auflistet, nur rund 15 Prozent am Weltkrieg teilnahmen. Bezogen auf die Gesamtzahl des Diözesanklerus, fielen also weniger als zwei Prozent der bereits ordinierten Priester im Zweiten Weltkrieg. 80 Vgl. Schematismus 1950, 341 ff. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Teilnehmer) zu 77 (28,5 Prozent der Teilnehmer) Gefallenen im Zweiten Weltkrieg. Markanter ist der Unterschied jedoch bei den Priestern. Rund 6,5 Prozent am Ersten Weltkrieg teilnehmenden Priestern standen etwa 15,5 Prozent Kriegsteilnehmer im Zweiten Weltkrieg gegenüber.81 Während die 90 Priester im Ersten Weltkrieg noch fast ausschließlich mit Feld- und Lazarettseelsorge betraut gewesen waren und nur zum ganz geringen Teil und auf ausschließlich freiwilliger Basis in der Krankenpflege eingesetzt worden waren, war dieses Verhältnis im Zweiten Weltkrieg umgekehrt. Nur noch 34 Priester, etwa halb so viele wie im Ersten Weltkrieg, hatten nun einen seelsorglichen Auftrag, gleichzeitig hatte sich aber die Zahl der am Krieg teilnehmenden Priester von 90 auf 230 um mehr als das 2 ½ -fache erhöht. Sechs von sieben der am Zweiten Weltkrieg teilnehmenden Priester hatten keinen seelsorglichen Auftrag, sie waren zum Sanitätsdienst verpflichtet. Hinzu kam, dass der priesterliche Sanitätsdienst nicht wie noch im Ersten Weltkrieg überwiegend auf die Lazarette beschränkt war, sondern in allen Truppenteilen stattfand und damit auch die Gefahren an der Front, bei der Erstversorgung und dem Abtransport der Verwundeten einschloss. Dies schlug sich dann auch in der Zahl der Kriegsopfer nieder. Während im Ersten Weltkrieg keiner der Weltgeistlichen der Erzdiözese München und Freising unter den Gefallenen gewesen war, war die Zahl im Zweiten Weltkrieg auf immerhin etwa 10 Prozent der am Krieg teilnehmenden Priester gestiegen. Da es sich bei den Kriegsteilnehmern um die Nachwuchsgeneration handelte und zugleich weiterer Nachwuchs infolge der Schließung der Seminare ausblieb, waren die Folgen für die Gesamtstruktur des Klerus erheblich.82 Neben den Gefallenen müssen hier noch jene Beachtung finden, die sich im Verlauf des Krieges von der Theologenausbildung abwandten und ihren Austritt aus dem Seminar erklärten. Einer Aufstellung von Regens Westermayr zufolge sind von Kriegsausbruch bis Mitte April 1944 insgesamt 41 im Militärdienst befindliche Theologen durch formelle Austrittserklärung aus dem Seminar ausgetreten.83 18 hiervon seien – nach Angaben Westermayrs  – »schon vorher (wegen unglücklicher häuslicher Verhältnisse, charakterlicher Fehler oder mangelnder Berufssicherheit) von zweifelhaftem Beruf« 81 Vgl. zum Ersten Weltkrieg Börst, Theologen, 101; zum Zweiten wurde die Zahl von 230 kriegsteilnehmenden Priestern auf die Gesamtzahl diözesaner Weltpriester am Vorabend des Weltkrieges (Schematismus 1939, 339) bezogen. 82 Bereits im November 1940 sah sich das Ordinariat veranlasst, eine sogenannte seelsorgliche Notdienstverordnung zu erlassen, mit welcher der steigenden Anzahl an Einberufungen begegnet werden sollte. Durch diese wurden die bisher gültigen Festlegungen zum Tätigkeitsumfang von Geistlichen für die Dauer des Krieges aufgehoben. »Alle diesbezüglichen Dispensen und Privilegien kommen bis auf weiteres in Wegfall. […] Wir sind sicher, der Hochw[ürdige] Diöz[esan] Klerus wird dieser Notverordnung volles Verständnis entgegenbringen u[nd] sich in opferfreudiger Einsatzbereitschaft von keinem Stande übertreffen lassen.« AEM, NL Thalhamer, Stw. Ordinariat, EOM an sämtliche Seelsorgestellen der Erzdiözese vom 29. 11. 1940. 83 Vgl. AEM, Priesterseminar Freising, Austritte aus dem Seminar 1934–1947, Regens an EOM vom 21. 04. 1944. Nicht erfasst waren in dieser Statistik jene, die ihren Austritt nicht formell erklärten, sondern einfach beschlossen hatten nach dem Krieg nicht mehr in das Seminar zurückzukehren. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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gewesen.84 Die für den Austritt genannten konkreten Gründe blieben zumeist vage, so äußerte etwa der Kandidat Max M. lediglich, es sei ihm inmitten harter Kämpfe immer mehr zum Bewusstsein gekommen, den verschiedenen Ansprüchen, die an einen Theologen und künftigen Priester der Kirche gestellt würden, nicht mehr genügen zu können.85 Häufig waren auch schwere Verwundungen der Anlass, die priesterliche Berufung aufzugeben.86 Vermutlich wird bei der Mehrzahl der ausgetretenen Kandidaten aber eine gewisse grundsätzliche Unsicherheit über ihre Berufswahl – Westermayr bezeichnete dies als »skrupulöse Gemütsverfassung«87 – in Verbindung mit dem fehlenden korrigierenden und normierenden Einfluss des Seminars zu einem sukzessiven Entfremdungsprozess geführt haben, der schließlich die Austrittsentscheidung begünstigte.88 Dennoch wurde nicht jeder Austritt bedauert, war Westermayr doch auch der Auffassung, dass sich hier ein Ausleseprozess vollziehe, durch den die nicht absolut in der priesterlichen Berufung Gefestigten ausschieden und somit späterer Ärger mit ihnen vermieden werde könne.89 Auch hier sollte der Krieg also in gewisser Hinsicht zur Klärung und Läuterung beitragen. 84 Vgl. AEM, Priesterseminar Freising, Austritte aus dem Seminar 1934–1947, Regens an EOM vom 21. 04. 1944. Nach Erhebungen Augustin Schuldis aus den 1950er Jahren gaben über 20 Prozent der deutschen katholischen Theologiestudierenden während oder nach dem Krieg ihre bisherigen Zukunftspläne auf und orientierten sich beruflich neu; vgl. Schuldis, Werk aller Werke, 32 f., Tabelle 1. Setzt man die im April 1944 genannte Zahl von 41 ausgeschiedenen Theologen ins Verhältnis zu den 270 kriegsteilnehmenden Theologen, erreicht man bereits einen Wert von etwa 15 Prozent, hat hierbei jedoch die im letzten Kriegsjahr Austretenden und die ohne formelle Erklärung Austretenden noch nicht berücksichtigt. Die Zahl von Schuldis dürfte mithin einen auch für die Erzdiözese München und Freising annähernd realistischen Wert widerspiegeln. 85 Vgl. AEM, Priesterseminar Freising, Austritte aus dem Seminar 1934–1947, Max M. an Regens Westermayr vom 23. 08. 1943. 86 So führten etwa die Kandidaten Paul F. am 05. 05. 1943 und Georg K. am 29. 11. 1943 jeweils den Verlust eines Beines als Grund für ihren Austritt an, der Kandidat Sebastian P. am 05. 05. 1942 einen dauerhaft geschwächten Gesundheitszustand aufgrund einer Rippenfellentzündung und der Kandidat Alto W. am 06. 11. 1943 eine schwere Verletzung, die zur Bewegungsunfähigkeit des linken Armes geführt hatte. Westermayr zählte insgesamt sieben Kandidaten auf, deren Austrittsentschluss als Folge schwerer Verwundung zustande kam; vgl. AEM, Priesterseminar Freising, Austritte aus dem Seminar 1934–1947, Regens an EOM vom 21. 04. 1944. 87 AEM, Priesterseminar Freising, Austritte aus dem Seminar 1934–1947, Westermayr an EOM vom 15. 12. 1941. 88 In der Seminarchronik hielt Westermayr hierzu fest, der lange Krieg bedeute für die Kandidaten eine »äußerst schwere Prüfung und Bedrohung ihrer beruflichen Treue und religiös-sittlichen Festigkeit. Kein Wunder, dass, wie bisher, so auch weiterhin Kandidaten ihren Berufswechsel auf dem Felde erklärten oder ohne formelle Abmeldung vollzogen: vielfach solche, deren Beruf schon vor dem Kriege zweifelhaft war, aber auch solche, die offensichtlich unter der Einwirkung des Kriegsgeschehens und Milieus die Berufsfreude oder den priesterlichen Geist und religiösen Idealismus eingebüßt hatten.« EAM, NL Faulhaber 5771/1, Chronik des Erzbischöflichen Klerikalseminars Freising 1932–1945, 64. 89 So heißt es etwa über den Kandidaten Paul G.: »Wegen der unglücklichen häuslichen Verhältnisse und einer vielleicht nicht ausgeschlossenen Belastung von Seiten des von der Mutter getrennt lebenden Vaters ist sein Austritt eher zu begrüßen.« AEM, Priesterseminar Freising, Austritte © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Sowohl Kardinal Faulhaber als auch Regens Westermayr bemühten sich, wenn auch in unterschiedlicher Intensität und mit unterschiedlichen Mitteln, um regelmäßige Kontakte zu den im Feld stehenden Theologiestudierenden und Geistlichen. Eines der Grundprobleme bei der Konstruktion der Wehrmachtsseelsorge in Form eines exemten Personalbistums bestand darin, dass die Möglichkeiten der Diözesen, mit dem im Feld stehenden Teil ihres Klerus bzw. den Priesteramtskandidaten Kontakt aufzunehmen, offiziell stark eingeschränkt waren. Regens Westermayr führte dennoch eine umfassende individuelle Korrespondenz mit jedem einzelnen Seminaristen.90 Die aus dem Seminarleben bekannten Muster der Sozialkontrolle wirkten auch hier noch in gewisser Weise fort: Westermayr legte zu jedem seiner Kandidaten eine Karteikarte an, auf der akribisch verzeichnet wurde, wann Briefe und Geschenke an diesen versandt und wann Post von ihm empfangen worden war. Auch wann und wie oft die Theologen während eventueller Fronturlaube dem Seminar auf dem Freisinger Domberg Besuche abstatteten, wurde genau festgehalten.91 Auch die verbliebenen Professoren der vormaligen Philosophisch-Theologische Hochschule in Freising gaben seit 1944 Unterrichtsbriefe für ihre früheren Studenten heraus.92 Überdies wurde der militärische Werdegang jedes einzelnen genau verzeichnet und die Orden und Auszeichnungen, die Geistliche und Theologiestudierende erhalten hatten, genauestens registriert.93 Faulhaber hielt mit den Theologenstudierenden und Diözesanpriestern vorwiegend durch eine Reihe von hektographierten Rundbriefen Kontakt, die er ab 1941/42 in unregelmäßigen, größeren Abständen ins Feld sandte.94 Dieser Kontakt erscheint zwar nicht besonders intensiv, jedoch war Vorsicht und Zurückhaltung geboten, da der Versand von religiösem Schrifttum – hierunter sind die Briefe in

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aus dem Seminar 1934–1947, Westermayr an EOM vom 22. 11. 1941. G. war mit der Begründung ausgetreten, er müsse nach dem »Heldentod« seines Bruders die Versorgung der Mutter sicherstellen. Über den Kandidaten Paul R., der mit der lapidaren Begründung »Berufswechsel« austrat, urteilte Westermayr: »Da in seiner Verwandtschaft zwei Selbstmorde vorgekommen sind, ist sein Entschluss zu begrüßen …« AEM, Priesterseminar Freising, Austritte aus dem Seminar 1934–1947, Westermayr an EOM vom 20. 04. 1940. Erhalten hat sich eine umfangreiche Sammlung mit mehreren tausend Briefen in AEM, Priesterseminar, Briefe von Kandidaten 1939–1945; eine Auswertung, die aber nicht veröffentlicht wurde, erfolgte durch Kislinger, Front und Heimat. Vgl. AEM, Priesterseminar, Korrespondenzkartei. Vgl. EAM, NL Faulhaber 5771/1, Chronik des Erzbischöflichen Klerikalseminars Freising 1932– 1945, 64 f. Vgl. AEM, NL Thalhamer, Stw. Statistik, Westermayr an EOM vom 16. 04. 1942. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten die Eingerückten insgesamt 5 Eiserne Kreuze der I. Klasse, 37 Eiserne Kreuze der II. Klasse, 11 Sturmabzeichen, 5 Verdienstkreuze und 8 Verwundetenabzeichen erhalten. Eine ähnliche Vorgehensweise wurde auch in anderen Diözesen praktiziert, vgl. Brandt/Militärbischofsamt, Priester in Uniform, 8 Anm. 2. Faulhaber selbst erhielt eine Fülle individueller Zuschriften, worauf er im Rundbrief vom 21. 05. 1942 unmittelbar hinwies: »Ich kann leider all den Kandidaten und Sanitätsgeistlichen, die mir so ergreifende Briefe geschrieben haben, im einzelnen nicht antworten …« Faulhaber an die Priesterkandidaten und Geistlichen im Wehrdienst vom 08. 05. 1942, in: Volk, Akten Faulhabers, Bd. 2, 922–924, hier 924. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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jeder Hinsicht zu subsumieren – an Wehrmachtsangehörige durch zivilkirchliche Stellen illegal war.95 In den Rundbriefen berichtete Faulhaber in summarischer Weise wichtige Ereignisse aus dem Leben der Diözese und bemühte sich, die Kandidaten bei der Stange zu halten. Vor allem aber vermittelte Faulhaber Sinn, indem er den Krieg in diesen Rundbriefen theologisch überhöhte.

7.2.3 Kriegsalltag und Kriegserlebnis Der Zweite Weltkrieg traf die Priester unvorbereitet. Viele der Militärgeistlichen waren jung und hatten nur wenige Erfahrungen im priesterlichen Beruf sammeln können, bevor sie mit der ungleich schwierigeren Aufgabe der Truppenbetreuung betraut wurden. Wenngleich die menschliche Extremsituation und die Begleitung der Menschen angesichts existentieller Grenzerfahrungen wie Schmerz, Leid und Tod, grundsätzlich einen elementaren Bestandteil der priesterlichen Erfahrungswelt bildet, brachte der Krieg nun eine neue Qualität mit sich. Denn nun war die Rolle des Klerus nicht mehr auf die des professionellen Seelsorgers beschränkt, der am Lebensschicksal seiner Zeitgenossen zwar berufsmäßigen Anteil nahm, aber selbst außerhalb dieser Schicksalszusammenhänge stand, nun war der Klerus persönlich unmittelbar in diese Lebenszusammenhänge verstrickt, der Krieg wurde für die Kleriker selbst zu einer Erfahrung des Alltags. Auf Erfahrungen des Ersten Weltkriegs ließ sich hierbei kaum zurückgreifen. Die in den Zweiten Weltkrieg involvierte Klerikergeneration, nicht nur die Theologiestudierenden, war ausnehmend jung. Veteranen des Ersten Weltkriegs bildeten in der Wehrmachtsseelsorge die Ausnahme.96 Die Jugend der Geistlichen brachte mangelnde Lebenserfahrung und fehlende Weltgewandtheit mit sich. Sie mussten sich nun zudem in einer Welt zurechtfinden, 95 Vgl. den entsprechenden, auch im Münchner Amtsblatt veröffentlichten Erlass des Reichsministers für die kirchlichen Angelegenheiten vom 12. 07. 1940 (Amtsblatt München 1940, 108). Der Versand erfolgte deshalb, wie an Rückläufern in EAM, NL Faulhaber 5375 ersichtlich ist, in verschlossenen, individuell adressierten Umschlägen. Als Absender war nur die Straßenadresse des Erzbischöflichen Palais, aber kein Name angegeben. 96 In der Erzdiözese München und Freising traf dies nur auf zwei Geistliche zu, beider Karrieren in der Militärseelsorge begannen vor Kriegsausbruch und beide hatten keine Fronteinsätze mehr: Martin Bauer, geb. 1892 in Rainbach, 1915 bis 1918 im aktiven Heeresdienst, Priesterweihe 1920, Kaplan in Kolbermoor, 1923 Kooperator in Rott, 1926 Expositus in Oberbiberg, 1927 Kooperator in Landshut St. Jodok, 1938 Standortpfarrer, 1939 kommissarischer Wehrmachtspfarrer IV in München, 1939 Divisionspfarrer, Stellvertretender Wehrkreispfarrer, ab September 1940 Pfarrer in Mammendorf, gest. 06. 08. 1956; vgl. Brandt/Häger, Biographisches Lexikon, 42 und Stephan Gmeiner, geb. am 25. 09. 1895 in Hendenham, 1915 bis 1918 Heeresdienst, Priesterweihe 1921, Hilfspriester in Solln, 1923 Kooperator in Freising St. Georg, 1927 Pfarrvikar daselbst, 1935 Standortpfarrer in München, 1936 Heerespfarrer, 1938 Divisionspfarrer, 1939 Armeepfarrer, 1940 Dienstaufsichtsführender Kriegspfarrer beim Chef der Militärverwaltung in Frankreich mit Dienstsitz in Paris, zahlreiche weitere Verwendungen in der Militärseelsorge bis Kriegsende, zahlreiche militärische Auszeichnungen, 1947 Strafanstaltspfarrer in Bernau, gest. am 13. 09. 1952; vgl. Brandt/Häger, Biographisches Lexikon, 247 f. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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die ihnen fremd und teilweise feindlich gesinnt war und auf die sie im Rahmen ihrer Ausbildung nie vorbereitet worden waren. Wilhelm Bayerl97, Jahrgang 1909 und seit Februar 1939 als Wehrmachtspfarrer tätig, notierte hierzu später: Ich war jung in jeder Beziehung […] Aus meiner bayerischen Heimat war ich bis dahin noch nie herausgekommen. Als ungeschickter, wenig weltgewandter Bursche war ich der straff und stramm ausgerichteten Welt beim Militär, noch dazu einer nationalsozialistischen, nicht gewachsen.98

Ein anderer Geistlicher berichtete über die Frage des Umgangs mit den ungewohnten Kameraden, dass es darauf ankam, »den richtigen Ton zu treffen, man musste seine Leute kennen, ihren Alltag, ihre Sorgen, Hoffnungen.«99 Noch schwerer fiel es offenbar vielen Theologiestudierenden, die aus der engen Welt des Seminars kamen, sich auf die neue Situation einzustellen. Von ihren Kameraden entwarf die Mehrzahl der Theologen in den Feldpostbriefen ein negatives Bild. Hauptvorwürfe waren die von ihnen als anstößig empfundene Moral – vor allem in sexueller Hinsicht – und die Ablehnung des Glaubens.100 Das neue und ungewohnte, auch im Verhältnis zum eigenen Körper, trat für viele bereits bei der Musterung zutage, wo sich »ein jeder vor den übrigen, darunter auch er selbst, völlig nakt [sic!] ausgezogen ärztlich untersuchen lassen musste«, wie es ein Kooperator später in einer umständlichen Weise schilderte, die den ganzen Abscheu vor der Situation bereits in der Wortwahl deutlich machte.101 Ungeachtet der bestehenden Verbote zur Ausübung praktischer Seelsorgetätigkeit102 erfüllten gerade die Sanitätssoldaten, in Faulhabers Diktion als »Synthesen  97 Wilhelm Bayerl, geb. am 03. 05. 1909 in Obereichstätt, 1935 Priesterweihe in Freising, KooperaturVerweser in Frasdorf, Kaplan in Gilching, 1938 Kooperator in Allershausen, ab Februar 1939 kommissarischer Wehrmachtspfarrer in Salzburg, ab September 1939 als Divisionspfarrer mit der 2. Gebirgsdivision in Lothringen und Norwegen, ab Januar 1940 Wehrmachtspfarrer, ab Januar 1941 als Divisionspfarrer Fronteinsatz in der Sowjetunion und in Italien, nach dreimonatiger Kriegsgefangenschaft ab 1945 Pfarrvikar in Götting, 1946 Benefiziumsverweser in Esting, 1953 Pfarrkurat in Fürstenfeld, 1958 Pfarrer von Garching St. Nikolaus, 1963 Stadtpfarrer in München-Maria Schutz, 1967 frei resigniert, gest. am 06. 10. 1995; vgl. Brandt/Häger, Biographisches Lexikon, 46 f.  98 Vgl. Bayerl in: Katholisches Militärbischofsamt, Christen im Krieg, 19–23, hier 19.  99 Vgl. Georg Paulus, in: Katholisches Militärbischofsamt, Christen im Krieg, 30–35, hier 32. 100 Vgl. Kislinger, Front und Heimat, 57–60. 101 AEM, Nationalsozialistische Verfolgung katholischer Geistlicher, Fragebogen A, Johann Baptist Heldwein, Anlage 9. 102 Den Priestern, die als Angehörigen der Sanitätstruppen im Feld standen, war seit dem März 1940 durch eine gesonderte Dienstvorschrift des Oberkommandos der Wehrmacht die Ausübung jeglicher kirchlicher Handlungen innerhalb der Wehrmacht verboten. Abdruck dieser Heeresdienstvorschrift Nr. 373 vom 18. 03. 1940 bei Brandt/Militärbischofsamt, Priester in Uniform, 22. Ausnahmen waren nur in eng umgrenzten Sonderfällen (z. B. bei Sterbefällen, vor Kampfeinsätzen) zulässig und bedurften jeweils der einvernehmlichen Zustimmung des Truppenkommandeurs, der mindestens im Range eines Regimentskommandeurs stehen musste, und des zuständigen Kriegspfarrers. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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von Soldat und sacerdos«103 bezeichnet, vielfach seelsorgliche Funktionen. Nur ein Teil der Sanitätssoldaten befand sich in den Lazaretten in der Etappe, die Mehrzahl verrichtete ihren Dienst unmittelbar an den Fronten bei der Erstversorgung von verletzten Soldaten. Diese Geistlichen feierten, insbesondere im Bereich der Front, wo es keine festen Kirchenbauten gab, oft unter primitivsten Umständen für ihre Kameraden die Messe. Der Sanitätsgeistliche Franz Xaver Hiendlmayr104 berichtete hierüber im September 1942 in einem geradezu euphorischen Tonfall, der die Gemeinschaft im Bunker zwischen Klerus und Kameraden beschwor: Nicht so herrlich zwar ließ sich das hl. Opfer gestalten, im Bunker wenige 100 m hinter dem vordersten Graben und doch welche Freude hatten die Kameraden gerade hier. Jede Nacht gingen sie in Stellung und darüber hinaus zum nächtlichen Einsatz und ich als ihr ›Sani‹ war mit ihnen und mancher Sonntag fand uns vereint um den Opferaltar unseres Herrn.105

Auch andere seelsorgliche Aufgaben, wie etwa die Spendung des Bußsakraments oder die Erteilung der Sterbesakramente, erledigten viele Sanitätsgeistlichen nebenbei ungeachtet der geltenden Verbote. So berichtet der Sanitätspriester Josef Forstmayr, dass häufig Kameraden bei ihm beichten wollten, »was natürlich ganz unauffällig geschehen musste, konkret stetes Auf- und Abgehen.«106 Die Sanitätsgeistlichen waren für ihre Kameraden greifbarer als die Kriegspfarrer und sie dürften ihnen individuell viel vertrauter gewesen sein, schon deshalb, weil sie gemeinsam mit ihnen an der Front standen. Karl Zielbauer107, seit 1940 als Sanitätssoldat im Einsatz, bemerkte hierzu: Es machte mir nichts mehr aus, dass ich als Kriegspfarrer abgelehnt worden war. Als Sanitäter hatte ich einen viel direkteren Kontakt mit den Leuten. Sie konnten ›du‹ zu mir sagen. Ich war 103 Faulhaber an die Geistlichen im Wehrdienst vom 30. 11. 1942, in: Volk, Akten Faulhabers, Bd. 2, 955–957, hier 955 f. 104 Franz Xaver Hiendlmayr, geb. am 10. 04. 1912 in Fürstenfeldbruck, Priesterweihe 1936 in Freising, Aushilfspriester in Höhenrain, Hörbering und Vilslern, Koadjutor in Prien, 1938 KooperaturVerweser in Planegg, 1939 Kooperator in München-St. Benno, im März 1940 Einberufung zum Sanitätsdienst, 1946 Koadjutor in Peiting, Kooperator in München-St. Benno, 1950 Kooperator in München-St. Peter, 1954 Pfarrer in Aßling, gest. am 16. 11. 1974; vgl. AEM, Priesterpersonalakten P III 685. 105 EAM, NL Faulhaber 6796, Hiendlmayr an Katholische Standortpfarrei München vom 10. 09. 1942 (Abschrift). 106 EAM, Priesterbefragung 2003, Interview mit Josef Forstmayr. 107 Karl Zielbauer, geb. am 06. 03. 1912 in München, Priesterweihe 1936 in Freising, Kaplan in GarmischPartenkirchen, 1937 Katechet in München-Milbertshofen, 1938 Katechetenkaplan in Mühldorf, Kaplan in München-Königin des Friedens, im Januar 1940 eingezogen zur Sanitätsersatzabteilung in München, als Sanitätssoldat, später Sanitätsunteroffizier in Österreich, Frankreich, Russland, 1946 erneut Kaplan in München-Königin des Friedens, Kaplan in München-St. Ursula, 1949 Prediger und Benefiziums-Verweser in Bad Aibling, 1955 Rektor des Erzbischöflichen Seminars für Katechese und Seelsorgshilfe, 1965 Pfarrer in Geisenhausen, 1974 Versetzung in den dauernden Ruhestand, gest. am 29. 05. 1992, vgl. AEM, Priesterpersonalakten P III 2039. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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genauso in Dreck gebadet wie sie. Das hat Vertrauen geschaffen. Auch wenn sie nicht gerade gebeichtet haben, so haben sie doch sehr offen mit mir gesprochen. Themen dieser Gespräche waren vor allem persönliche Nöte, auch sexuelle Schwierigkeiten. Politische Gespräche gab es kaum. Jeder war vorsichtig.108

Oft schenkte dabei den Kameraden, unabhängig vom Vollzug seelsorglicher Handlungen, offenbar die bloße Gegenwart der Sanitätspriester Trost und Stärkung: »Ich weiß nur noch, dass die Kameraden gesagt haben: ›Wir sind froh, dass du da bist!‹«, erinnerte sich diesbezüglich der Sanitätssoldat Johannes Baumgartner.109 Feldbischof Rarkowski und das Oberkommando der Wehrmacht, welche die Einflussmöglichkeiten der Sanitätssoldaten durchaus erkannten, verlangten schließlich sogar Sanktionen gegen diejenigen Priestersoldaten, die entgegen der Verbote seelsorgliche Handlungen ausübten. Konkret ging es in diesem Fall um das Verbot des Schreibens von »konfessionell ausgerichteten Trostbriefen«110 an die Angehörigen von Gefallenen durch Priester aus den Sanitätseinheiten. »Wenn auch weiterhin […] hiergegen in Einzelfällen verstoßen wird, so muss eine strenge Bestrafung für jeden Übertretungsfalle einsetzen«, forderte Rarkowski 1943.111 Obwohl selbst die Feier einer Messe im Beisein Dritter für einen Priestersoldaten nicht zulässig war, kam es wegen Übertretungen des Verbots seelsorglicher Handlungen kaum zu Konflikten.112 Durchaus denkbar erscheint auch, dass den militärischen Vorgesetzten das Verbot zur Ausübung seelsorglicher Handlungen nicht immer bekannt war.113 Neben den Sanitätssoldaten trugen auch die Feldgeistlichen zumindest zeitweilig Waffen zu ihrer Selbstverteidigung, wie sich etwa Joseph Kaul114 erinnerte, der 108 Vgl. den Bericht Zielbauers in: Brandt/Militärbischofsamt, Priester in Uniform, 117–121, hier 118. 109 EAM, Priesterbefragung 2003, Interview mit Johannes Baumgartner. 110 Vgl. den im Verordnungsblatt des Katholischen Feldbischofs veröffentlichten Erlass vom 08. 12. 1942, zit. nach Pfister, Priester und Theologiestudenten im militärischen Dienst, 343. 111 Vgl. AEM, NL Thalhamer, Stw. Feldgeistliche – Feldbischof, Ausschnitt aus dem Kirchlichen Amtsanzeiger Trier 1943, Nr. 6, 35, Verordnungen des Katholischen Feldbischofs der Wehrmacht. 112 Johannes Baumgartner, zuletzt als Sanitäter in einem Lazarett in Oberbayern, bemerkte hierzu: »Es lief eigentlich immer ganz gut. Die Schwestern waren froh, dass Geistliche da waren. Eine Messe zu zelebrieren, das war eigentlich verboten. In Herrsching aber, da gab es einen Turm, nicht wahr, da haben wir eine kleine Kapelle eingerichtet und dort zelebriert.« Vgl. EAM, Priesterbefragung 2003, Interview mit Johannes Baumgartner. 113 Zumindest wurde es nicht immer durchgesetzt. Der Sanitäter Karl Zielbauer berichtete, dass ihn der Rittmeister seiner Kompanie Weihnachten 1942 fragte, wann er seinen Gottesdienst halte und dann die Weihnachtsfeier für die Kompanie so legte, dass es den Soldaten möglich war, Zielbauers Messe zu besuchen; vgl. den Bericht Zielbauers in: Brandt/Militärbischofsamt, Priester in Uniform, 117–121, hier 120 f. 114 Joseph Kaul, geb. am 19. 10. 1912 in Freising, Priesterweihe 1938 in Freising, Koadjutor in Prien, 1939 Kaplan an München-Allerseelen, 1940 als Sanitätssoldat in Frankreich, 1941 Kriegs- und Standortpfarrer im Generalgouvernement in Krakau, ab September 1942 Divisionspfarrer bei der 329. Infanteriedivision, bis 1950 in sowjetischer Kriegsgefangenschaft, anschließend Kaplan in © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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zunächst Kriegs- und Standortpfarrer im Generalgouvernement und ab September 1942 Divisionspfarrer im Russlandfeldzug gewesen war: »Wir hatten ja auch als Pfarrer immer eine Pistole zur Selbstverteidigung dabei. […] Ich selbst hatte die Gnade, während des ganzen Krieges keinen Menschen getötet zu haben.«115 Zu der ungewohnten Erfahrung des Umgangs mit Schusswaffen, dem alltäglich gewordenen Grauen schwerster Verwundungen und des Todes kam noch die moralische Problematik hinzu, in welche die Theologen und Feldgeistlichen durch die unmittelbare Konfrontation mit Kriegsverbrechen gebracht wurden. Die Feldpostbriefe der Theologen berichten in diesem Zusammenhang von Schwierigkeiten, den Glauben gerade angesichts des Leidens und der sinnlosen Verwüstungen die der Krieg hinterließ, vor Kameraden zu rechtfertigen. Manchen fiel es schwer, auf deren Fragen, warum Gott denn derartiges zulasse, eine Antwort zu finden.116 Zudem wurden auch Geistliche Zeugen von Handlungen, die sie zweifelsfrei als Kriegsverbrechen identifizieren konnten, sie erfuhren also spätestens hier, in welche Richtung sich das Regime entwickelt hatte.117 Stellung und Ansehen, die Geistliche bei militärischen Vorgesetzten und Garmisch-Partenkirchen, 1954 Pfarrer in Marquartstein, 1982 frei resigniert, gest. am 24. 06. 1994; vgl. Brandt/Häger, Biographisches Lexikon, 386. 115 vgl. den Bericht von Joseph Kaul in: Militärbischofsamt, Feldseelsorger, 119–125, hier 123. Ähnliche Berichte von den der Erzdiözese München und Freising angehörenden Sanitätern Josef Rosenberger bei Brandt/Militärbischofsamt, Priester in Uniform, 160–163, hier 161 und Hermann Kneidinger, ebenda, 239–244, hier 241; vgl. hierzu auch ebenda, 9: Das Waffentragen von Sanitätssoldaten war offenbar erst im Zusammenhang mit dem Feldzug gegen die Sowjetunion angeordnet worden. 116 Vgl. Kislinger, Front und Heimat, 52 f. Gerade in den späteren Kriegsjahren, gehört auch die seelsorgliche Betreuung zum Tode Verurteilter zu den Aufgaben der Feldgeistlichen. Divisionspfarrer Kaul erinnerte sich: »Schlimme Stunden waren es, wenn ich Soldaten zu betreuen hatte, die zum Tode verurteilt worden waren. Ich verbrachte meist die ganze Nacht bei ihnen, bis zur Erschießung am frühen Morgen. Ich versuchte sie religiös vorzubereiten, so gut ich das vermochte.« Vgl. den Bericht Kauls in: Militärbischofsamt, Feldseelsorger, 119–125, hier 124. 117 Auch hierüber gibt es Berichte, etwa von Wehrmachtspfarrer Wilhelm Bayerl: »Einmal, in Russland, im Juni ’41 während des Vormarsches, wir waren furchtbar müde und dreckig und verschwitzt, wurde ich durch Zufall Augenzeuge einer Erschießung von Zivilisten. Ich nehme an, dass es Juden waren. […] Ich stand allein in einem Fluss und wollte mich waschen. Plötzlich ging ein Schreien und Weinen los, dann kamen die Schüsse. Und dann schwamm auch noch eine Leiche an mir vorüber. Mir war hundeelend zumute. Ich redete mit keinem darüber.« Vgl. Bayerl in: Militärbischofsamt, Feldseelsorger, 19–23, hier 22. Auch der Geistliche Adalbert Albrecht, Jahrgang 1916 und seit Sommer 1941 als Theologiestudent im Sanitätsdienst, erinnerte sich im Gespräch mit dem Verfasser, Zeuge derartiger Massaker im Krieg gegen die Sowjetunion geworden zu sein: »Einmal war ein Dorf, da waren Partisanen. Da gab es den Befehl, das ganze Dorf auszurotten. Wir haben einen Theologen gehabt, einen Franziskaner, der […], ein prima Mann, der musste auch mitgehen, obwohl sie das später bereut haben, ich meine die Vorgesetzten. Da musste das ganze Dorf, jeder Bewohner, erschossen werden. […] Und einmal hat es geheißen, nach einem Überfall, es dürften keine Gefangenen gemacht werden. Eines Tages kommt ein Russe daher, ein einfacher Mann, den mussten wir gefangen nehmen und erschießen. Laut Befehl durfte kein Russe durchkommen.« Vgl. EAM, Priesterbefragung 2003, Interview mit Adalbert Albrecht. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Kameraden innehatten, waren im Wesentlichen von zwei Faktoren abhängig. Dem Grad an Wohlwollen, das die Vorgesetzten einem Vertreter des geistlichen Standes entgegenbrachten – gleichgültig ob es sich nun um einen Feldgeistlichen oder um einen Sanitätssoldaten handelte – und dem Verhalten des einzelnen Geistlichen im Verhältnis zu seinen Waffenbrüdern und Vorgesetzten. Dabei gab es kaum pauschale Regeln, welches Verhalten als günstig anzusehen war. Der Priester Aloys Goergen resümierte: Ich hatte natürlich gewisse Vorteile. Ich war zweimal promoviert und war Geistlicher und konnte mich benehmen. Da habe ich von Anfang an eine Stellung gehabt, die nicht besonders war, aber es war irgendetwas anderes. Die Kommandanten, die wir hatten, die haben alle Zutrauen zu mir gehabt.118

Ein anderer Geistlicher bekam von seinem Vorgesetzten hingegen erst mal folgende Bemerkung zu hören: »Stellen Sie sich nicht so dumm hin, als ob sie auf der Kanzel stehen würden, Sie sind jetzt beim Militär!«119 Schwerere Zusammenstöße mit militärischen Vorgesetzten oder fanatisierten Kameraden gab es nach Bekunden der Zeitzeugen aber immer nur im Einzelfall.120 Auch wurde in Bezug auf die Zeit beim Reichsarbeitsdienst wesentlich häufiger von Problemen mit Vorgesetzten berichtet, als in Bezug auf die Militärdienstzeit.121 Die Ablehnung seitens der ganzen Truppe und daraus resultierende Isolierung der Geistlichen innerhalb der Kameraden dürfte kaum vorgekommen sein. Der Hinweis des Sanitätsgeistlichen Josef Rosenberger122, dass Sanitätssoldaten zumeist Medizinstudenten als Kameraden oder Mediziner als Vorgesetzte hatten, die »Theologen nicht für voll«123 nahmen, ist in dieser Form zwar wohl nicht generalisierbar, jedoch bleibt grundsätzlich zu bedenken, dass die Ärzteschaft einen besonders hohen Grad an Nazifizierung aufwies. Dennoch scheint der Bericht eines Geistlichen, der von seinen Kameraden wegen seiner Standeszugehörigkeit als 118 EAM, Priesterbefragung 2003, Aloys Goergen. 119 AEM, Nationalsozialistische Verfolgung Katholischer Geistlicher, Fragebogen A, Herbert von Leveling. 120 Von der Ablehnung seitens einfacher Soldaten wurde kaum berichtet, fast alle Erinnerungen zu Konflikten gehen in Richtung der dienstlich Vorgesetzten. Ob es sich hierbei möglicherweise um eine retrospektive Verzerrung der Erinnerung handelt, bleibt aber unsicher. 121 Ein Geistlicher sprach dies sogar konkret an: »Nein, überhaupt nicht. Nie habe ich da [beim Militär; Th. Fo.] Schwierigkeiten gehabt – dagegen sehr viel im Reichsarbeitsdienst. Dort wurde ich regelrecht schikaniert, und zwar nur deswegen, weil ich Theologie studiert habe.« EAM, Priesterbefragung 2003, Interview mit Valentin Niedermeier. 122 Josef Rosenberger, geb. am 15. 12. 1910 in Jaibling, Priesterweihe 1936 in Freising, KooperaturVerweser in Vilslern, 1937 Hilfspriester in Oberhaching, Kaplan bei St. Maximilian in München, als Sanitätssoldat ab 1940 in Frankreich, ab 1941 in Russland, im Dezember 1945 aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft entlassen, ab 1946 wieder Kaplan bei St. Maximilian in München, 1949 Pfarrer ebenda, 1974 Versetzung in den dauernden Ruhestand, gest. am 27. 01. 1993; vgl. AEM, Priesterpersonalakten P IV 17. 123 Vgl. den Bericht Rosenbergers in: Brandt/Militärbischofsamt, Priester in Uniform, 160–163, hier 161. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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»Abschaum der Menschheit«124 bezeichnet wurde, ein eher extremer Ausnahmefall zu sein. Gewiss wird auch nicht immer das Priestertum oder der Status als Theologiestudent die Ursache für die Ablehnung gewesen sein, diese kann ja auch durchaus in der Person begründet liegen. Es fehlt denn auch nicht an Erzählungen, in denen Theologen umgekehrt von einer bevorzugten Behandlung durch vorgesetzte Offiziere berichteten.125 Diese Vorgesetzten waren offenbar zumeist auch katholisch, es dürfte teilweise durchaus eine innerkatholische Solidarität gegenüber den Angehörigen des Priesterstandes gegeben haben. Daneben gibt es auch Zeugnisse für eine gewisse landsmannschaftliche Verbundenheit.126 Vor allem auf die Truppe bezogen, scheinen in der Situation des Krieges trotz gelegentlicher Reibereien und der beim Militär üblichen Schikanen127 die integrativen Kräfte überwogen zu haben. Hingegen blieben Priester und Theologen den oberen Rängen der Wehrmachtsführung grundsätzlich suspekt. So war man vor allem darauf bedacht, den möglichen Einfluss der in der Truppe verstreuten Priester gering zu halten und das Wirken des als gegnerisch identifizierten Katholizismus auf die offiziellen und besser kontrollierbaren Kanäle der Wehrmachtsseelsorge mit dem regimetreuen Feldbischof an der Spitze zu beschränken. Zudem war die Wehrmachtsführung bemüht darauf zu achten, dass es nicht zu einer Häufung von Klerikern in bestimmten Einheiten kam.128 Ein Erlass des Oberkommandos der Wehrmacht vom 18. Februar 1942 bestimmte schließlich, das katholische Geistliche und Priesteramtskandidaten nicht als Offiziersanwärter zuzulassen seien, da sie die Gewähr, jederzeit Dienst mit der Waffe leisten zu können, nicht 124 AEM, Nationalsozialistische Verfolgung Katholischer Geistlicher, Fragebogen A, Wilhelm Bleyer. 125 Vgl. EAM, Priesterbefragung 2003, Interview mit Bernhard Egger: »Alle zitterten vor ihm [dem Hauptfeldwebel; Th. Fo.]. Um Gottes Willen, dachte ich da. Zu meinem Erstaunen empfing er mich überaus freundlich, und er empfing mich mit den Worten: ›Ich habe gehört, dass Sie Theologie studieren. Ja, ich bin auch katholisch.‹ Er hat sehr nett mit mir gesprochen.« Bernhard Egger, geb. am 12. 12. 1916 in Leiten (Schloßberg), 1948 Priesterweihe in Freising, Kurat in Lenggries-St. Jakob, 1949 Präfekt im Studienseminar Traunstein, 1956 Direktor des Landschulheims Grunertshofen, 1957 Religionslehrer in Freising, 1958 Studienrat, 1962 nebenamtl. Spiritual im Knabenseminar Freising, 1962 Studienprofessor, 1965 Oberstudienrat, 1970 Ordinariatsrat und Stellvertretender Generalvikar, Vorsitzender des St. Michaelsbundes und Herausgeber der Münchner Kathol. Kirchenzeitung, 1979 Ehrendomherr des Metropolitankapitels München, 1980 Prälat, 1987 Versetzung in den dauernden Ruhestand, gest. am 09. 04. 2008; vgl. Chronologie der Diözesanpriester 2008. Einen ähnlichen Eindruck überlieferte Josef Forstmayr: »Eigentlich habe ich ja Glück gehabt. Ich habe einen Stabsarzt gehabt, der sich sehr bemüht hat, uns Kapläne – wir waren ein paar Kapläne in der Kompanie – zu beschäftigen, so dass wir nicht den schweren Dienst machen mussten.« EAM, Priesterbefragung 2003, Interview mit Josef Forstmayr. 126 EAM, Priesterbefragung 2003, Interview mit Josef Forstmayr: »… es gab da einen Stabsarzt, der mich gefragt hat, woher ich kommen würde. ›Aus Taching am See‹ erwiderte ich. ›Ja‹, sagte er, ›da sind Sie ja ein Landsmann von mir, denn ich bin von Palling. Ich bin dort Arzt. Wollen Sie nicht gleich bei mir bleiben?‹« 127 Vgl. etwa den Bericht Josef Rosenbergers über das bevorzugte Heranziehen von Theologen zum »Lokusputzen« bei Brandt/Militärbischofsamt, Priester in Uniform, 161. 128 Vgl. ebenda. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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böten.129 Dies stellte einzelne Priesteramtskandidaten vor die konkrete Entscheidung, ob sie die geistliche Laufbahn weiter verfolgen wollten, oder nicht. Wie viele diesem Entscheidungsdruck Stand hielten, oder sich unter diesen Voraussetzungen zur Aufgabe des geistlichen Berufsziels entschlossen, kann nicht mit Sicherheit festgestellt werden.130

7.2.4 Verfolgung und Kriegsgefangenschaft Die Stellung der Priester und Theologen im Kriegsdienst wurde vor allem gegen Ende des Krieges immer schwieriger, als das Regime mehr und mehr in eine defensive Position geriet und jede kritisch zu interpretierende Äußerung als Zersetzung der Wehrkraft angeklagt werden konnte. Hierzu konnte bereits die Erwähnung des Gebots der Feindesliebe in einer Predigt Anlass geben.131 Der Vorwurf »Ihr schwarze Brut seid schuld, wenn wir den Krieg verspielen«132, war vor allem von Seiten aktiver Nationalsozialisten gegenüber Geistlichen schnell bei der Hand. Wie stark individuelle Ver129 Vgl. Raem, Diözesanklerus, 175 (Wortlaut des Erlasses in: Volk, Akten Faulhabers, Bd. 2, 923 Anm. 1). Am 11. 06. 1944 wurden alle Priestersoldaten, Priesteramtskandidaten und Ordensleute, die Offiziere in Reserve (i. R.) und zur Verwendung (z. V.) waren, aus dem Heeresdienst entlassen (vgl. Brandt/Militärbischofsamt, Priester in Uniform, 23). In eine ähnliche Richtung, die Zweifel an der Zuverlässigkeit der Geistlichkeit seitens der Heeresleitung vermuten ließ, ging eine an die 2. und 3. Verordnung zur Reichsverteidigung vom 10.06. bzw. 28. 07. 1944 anschließende Bestimmung, die Geistliche von der Tätigkeit im Volkssturm freistellte; vgl. den Bericht im Völkischen Beobachter vom 01. 09. 1944, in: AEM, NL Thalhamer, Stw. Krieg, totaler ferner AEM, Ordinariat, Rundschreiben und Erlasse 1933–1945, Rundschreiben des EOM an den Seelsorgeklerus vom 26. 10. 1944. 130 Erinnerungen an diese Konfliktsituation sind typischerweise nur von denen vorhanden, die beim geistlichen Berufsziel blieben, vgl. etwa den Bericht des Theologen Bernhard Egger, der seit Oktober 1939 als Funker im Kriegsdienst stand: »Eines Tages dann kam unser Leutnant auf mich zu und hat gesagt: ›Ja, Sie sind Abiturient. Sie möchten studieren. Möchten Sie nicht Offizier werden?‹ Dann habe ich gesagt: ›Nein, Offizier möchte ich nicht werden, weil ich, wenn der Krieg zu Ende ist und ich gut nach Hause komme, Theologie studieren möchte.‹ ›Ja‹, sagte er dann, ›wenn Sie kein aktiver Offizier werden wollen, dann wenigstens ein Kriegsoffizier.‹ Und er hat mich dann auf einen Lehrgang geschickt, wo ich jedoch nichts zu sagen gehabt habe – ein so genannter Offiziersvorauswahllehrgang, der zwei Monate gedauert hat. Dann kam die Weisung von Göring, dass Theologiestudenten, Priester, Ordensleute nicht Offiziere werden dürfen, auch nicht Kriegsoffiziere. […] Das war natürlich schon ein Hammer. […] Als diese Verfügung von Göring gekommen ist, in der letzten Woche des besagten Kurses, hat mich der Leutnant kommen lassen und gesagt: ›So, das ist jetzt schon gekommen, was ich befürchtet habe. Jetzt müssen Sie sich entscheiden. Wollen Sie wenigstens Kriegsoffizier werden?‹ Da habe ich gesagt: ›Nein, ich will kein Offizier werden. Ich fühle mich nicht dazu berufen.‹ Dann hat er gesagt: ›Ich bedauere diese Entscheidung, aber ich habe von Ihnen nichts anderes erwartet.‹ Darüber bin ich stolz gewesen, ich meine, dass er mich so eingeschätzt hat, dass ich also nicht umgefallen bin.« EAM, Priesterbefragung 2003, Interview mit Bernhard Egger. 131 Vgl. AEM, Nationalsozialistische Verfolgung Katholischer Geistlicher, Fragebogen A, Thomas Dankerl. 132 So ein Major gegenüber dem Sanitätspriester Joseph Spitzl, vgl. AEM, Nationalsozialistische Verfolgung Katholischer Geistlicher, Fragebogen A, Joseph Spitzl. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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folgungsinteressen einzelner, Protektion und Niederhaltung der Vorwürfe durch Andere sich zu einem spinnennetzartigen Gefüge, mit für den Betroffen mitunter gefährlichen Wendungen, verflechten und somit ein individuelles Schicksal stark beeinflussen konnten, zeigen zwei exemplarische Fälle: Alois Faßnauer133 aus Hausham war nach nur zwei Jahren im priesterlichen Dienst 1939 als Sanitätssoldat zur Wehrmacht einberufen worden und seit 1941 als Lazarettpfarrer tätig. Er war damit ebenso unerfahren wie die Mehrzahl seiner Kollegen. In einer Debatte mit einem fanatisierten Oberstleutnant, der zugleich SA-Standartenführer war, machte Faßnauer im März 1944 der NSDAP den Vorwurf der »heidnischen Jugenderziehung« und erklärte, er sei zwar Deutscher und habe als solcher immer seine Pflicht getan, er »sei aber kein Nationalsozialist und könne es allein schon aus weltanschaulichen Gründen auch nie sein.«134 Obwohl sein unmittelbarer Vorgesetzter, ein Oberstabsarzt, der ebenfalls Parteigenosse und SA-Führer war, den Vorfall wohlwollend behandelte, kam es nach einigem hin und her zu einer Anzeige gegen Faßnauer. Das Oberkommando des Heeres (OKH) erließ daraufhin am 13. 12. 1944 ein Predigt- und Tätigkeitsverbot gegen Faßnauer und ordnete seine Inhaftierung an, bis die Sache vor einem Kriegsgericht geklärt sei. Nur durch das Engagement seiner Vorgesetzten in Belgrad gelang es Faßnauer, am 15. Februar 1945 einen Freispruch vor dem Kriegsgericht zu erwirken.135 Das OKH ließ das Urteil unbestätigt, woraufhin Faßnauer auf Verantwortung des vorgesetzten Generalarztes am 10. März aus der Haft entlassen wurde und am 20. März seine vorherige Tätigkeit wieder aufnehmen konnte.136 Faßnauer hatte Glück und war wohl gut genug vernetzt, um seinen schon in der Schlinge steckenden Kopf mithilfe der Protektion einflussreicher und wohlwollender Vorgesetzter doch noch zu retten. Hinzu kamen die allgemeinen Auflösungszustände am Kriegsende, besonders an den östlichen Kriegsschauplätzen, die bei einer unmittelbaren Protektion begünstigend wirken konnten. Weitaus tragischer verlief hingegen ein ähnlich gearteter Vorfall bei einem Freisinger Theologiestudenten, dem seine aufrichtige Haltung und das damit verbundene offensive Bekenntnis, den Nationalsozialismus abzulehnen, zum Verhängnis wurde.

Joseph Spitzl, geb. am 21. 05. 1906 in Aßling, 1940 Priesterweihe in Freising, anschl. KooperaturVerweser in Niederbergkirchen, im Juni 1940 Einberufung zum Sanitätsdienst, 1945 Kooperator in Teisendorf, 1950 Kooperator in Walpertskirchen, 1956 Kurat und Benefiziums-Verweser in Jettenbach-Grafengars, gest. am 04. 09. 1975; vgl. AEM, Priesterpersonalakten P III 1722. 133 Alois Faßnauer, geb. am 26. 06. 1912 in Hausham, Priesterweihe 1937 in Freising, Koadjutor in Peiting, 1939 Kooperator in Ebersberg, im Dezember 1939 Einberufung als Sanitätssoldat, im Mai 1941 Lazarettpfarrer, später im selben Jahr Divisionspfarrer, im April 1942 erneut Lazarettpfarrer, 1945 Ausscheiden aus dem Militärdienst, 1952 Pfarrer von Baumburg, 1977 Versetzung in den dauernden Ruhestand, gest. am 28. 09. 1977 in Lindach; vgl. Brandt/Häger, Biographisches Lexikon, 191. 134 AEM, Nationalsozialistische Verfolgung Katholischer Geistlicher, Fragebogen A, Alois Faßnauer, Bericht Faßnauers (1946). 135 Ebenda. 136 Ebenda. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Der aus München stammende spätberufene Kandidat Franz Wipplinger137 war im dritten Studienjahr, als er im Sommer 1939 unmittelbar bei Kriegsbeginn eingezogen wurde. Nach der Genesung von einer schweren, im Mai 1942 erlittenen Verwundung, kam Wipplinger Ende des Jahres 1942 zur Ersatztruppe. Dort führte er seine schon seit Jahren betriebene Angewohnheit des Tagebuchschreibens fort. In seinen Tagebuchaufzeichnungen machte Wipplinger keinen Hehl aus seiner Ablehnung des Krieges und des Regimes.138 Wipplingers Tagebuch geriet in falsche Hände, er wurde denunziert, verhaftet und schließlich vor einem Kriegsgericht der Wehrkraftzersetzung angeklagt. Nach längerer Untersuchung wurde Wipplinger am 31. August 1944 zum Tode verurteilt und knapp zwei Monate später im Militärgefängnis BerlinSpandau hingerichtet.139 Wipplinger war der einzige aus dem Kreis der Priester und Priesteramtskandidaten, der wegen Wehrkraftzersetzung hingerichtet wurde.140 Eine Intervention von kirchlicher Seite zu seinen Gunsten erfolgte – wie in solchen Fällen

137 Franz Wipplinger, geb. am 10. 01. 1915 in München, 1934–37 Spätberufenenseminar Fürstenried, nach Abitur und Arbeitsdienst ab Oktober 1937 Studium in Freising, im August 1939 zum Wehrdienst einberufen, am 06. 05. 1941 schwere Verwundung, nach seiner Genesung ab Dezember 1942 Angehöriger der Ersatztruppen, am 04. 12. 1943 Verhaftung. Aufgrund des Vorwurfs der Wehrkraftzersetzung am 31. 08. 1944 zum Tode verurteilt und am 24. 10. 1944 in Berlin-Spandau hingerichtet, vgl. Pfister, Blutzeugen, 69–72. 138 So notierte der 28-Jährige etwa unter dem Datum des 28. 08. 1943: »Wie lange soll dieser Krieg noch so weitergehen? Sehen es denn die verantwortlichen Männer immer noch nicht ein, dass sie das Volk unschuldig hinmorden lassen? Mag auch der Wille und die Macht Hitlers und seiner Paladine total und unbedingt herrschen, so können sie es doch nicht mehr verhindern, dass diesem System immer mehr neue Kämpfer, Kläger und Warner entstehen. Hitler wird auch nach der Einsetzung des Bluthundes (so nannte er sich selbst einmal) Himmler nicht mehr verhindern können, dass trotz aller Stumpfheit, Massenpsychose und Furchtsamkeit der Deutschen das geknechtete Gewissen sich rührt und Sorge, Vernunft und radikale Ablehnung lauter und lauter werden…« Zit. nach Pfister, Blutzeugen, 71. 139 Vgl. Pfister, Blutzeugen, 71. Im Bestand Klerikalseminar Freising des AEM wird unter anderem die Korrespondenz Wipplingers mit Regens Westermayr verwahrt, die Prozessakten des Militärgerichts und gegen ihn erhobenes Beweismaterial befinden sich im Staatsarchiv Schwerin. Eine systematische Durchdringung seines Weltbildes anhand der überlieferten Zeugnisse, die auch im Rahmen dieser Arbeit nicht geleistet werden kann, ist bislang nicht geglückt. 140 Neben dem hier behandelten Franz Wipplinger ist noch der Geistliche Joseph Lamprecht zu erwähnen, der nach mehrfachen Zusammenstößen mit diversen Parteistellen am 20. 04. 1945 durch ein Armeegericht wegen Zersetzung der Wehrkraft zum Tode verurteilt wurde. Das Urteil wurde jedoch nicht mehr vollstreckt und Lamprecht am 17. 05. 1945 aus dem Armeegefängnis entlassen; vgl. AEM, Nationalsozialistische Verfolgung Katholischer Geistlicher, Fragebogen A, Joseph Lamprecht. Joseph Lamprecht, geb. am 18. 01. 1909 in Riedenzhofen, Priesterweihe 1935 in Freising, Koadjutor in Aufkirchen, Kooperatur-Verweser in Allershausen, 1936 Aushilfspriester und Pfarrvikar in Niederroth, 1937 Koadjutor in Flintsbach, 1939 Kooperator in Fürholzen, am 22. 04. 1940 zum Sanitätsdienst einberufen, 1945 Kooperator in Taufkirchen/Vils, 1950 Kooperator in Schwindkirchen, 1951 Pfarrer in Deining, 1955 Pfarrer in Hirtlbach, 1990 Ruhestandsversetzung, gest. am 01. 11. 1996; vgl. Schematismus 1969, 362; Direktorium 2004/2005, 135. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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üblich – nicht.141 Beide Fälle zeigen, dass ähnliche Anklagen gerade in der späten und durch besondere Willkür charakterisierten Regimephase, zu gänzlich unterschiedlichen Ergebnissen führen konnten. Das geistliche Gewand schützte schließlich auch nicht vor Kriegsgefangenschaft. Im August 1946 waren 56 der Diözesanpriester, welche sich zuvor im aktiven Wehrdienst befunden hatten, noch nicht heimgekehrt.142 Der Schematismus des Jahres 1950 führt noch immer 8 Kriegsgefangene auf, 14 weitere Priester waren erst wenige Wochen vor Drucklegung heimgekehrt.143 Während die in amerikanischer Gefangenschaft befindlichen Militärgeistlichen zumeist bereits im Verlauf des Jahres 1945 wieder entlassen wurden, befanden sich sieben der aus der Erzdiözese stammenden Militärpfarrer bis Ende der 1940er Jahre in sowjetischer bzw. jugoslawischer Kriegsgefangenschaft, zwei davon kehrten erst 1950 zurück in ihre Heimat.144 In den sowjetischen Lagern war der Vollzug der Sakramente, insbesondere die Feier der Messe, dabei oftmals nicht oder nur unter großen Schwierigkeiten möglich.145 Die Gefangenschaft wurde von den hierzu befragten Betroffenen, zumindest rückblickend, schlimmer empfunden als der Krieg selbst.146 141 Stattdessen wurde Wipplinger in einem eigentümlichen Prozess der postmortalen Mystifizierung in den 1990er Jahren zum so genannten Blutzeugen. Diese Gedenkfigur lässt sich mit Sigrid Weigel, Schauplätze, 15 f. und 16 (Zitat) »als Symptom des Schuldgefühls von Überlebenden erklären. Weil der unnatürliche oder plötzliche Tod eines anderen erst dann in das eigene Gedächtnis integriert werden kann, wenn er – als bedeutungsvoller Tod – symbolisiert worden ist, geschieht die Verwandlung des Toten in Märtyrer in erster Linie im Interesse der Überlebenden und ihres Weiterlebens.« 142 Vgl. Schematismus 1946, 44 f.; Pfister, Priester und Theologiestudenten im militärischen Dienst, 354 führt insgesamt 61 Kriegsgefangene aus dem Kreis der Diözesanpriester an, die Zahl konnte nicht verifiziert werden. 143 Vgl. Schematismus 1950, 109 f. 144 Es handelte sich um Karl Dietenhauser, Leopold Ellner, Josef Kaul, Johannes Stelzenberger und Johann von Gott Thanbichler in sowjetischer und Martin Wagner in jugoslawischer Kriegsgefangenschaft; vgl. Brandt/Häger, Biographisches Lexikon, 145, 177, 386, 803 f., 831 f. und 867 f. 145 Der vormalige Divisionspfarrer Josef Kaul, der fünf Jahre in sowjetischer Kriegsgefangenschaft verbringen musste, berichtete hierüber: »Aber wehe wenn wir eine Liturgie hielten. Dann drohte er [der Kommissar des Gefangenenlagers] uns mit Sibirien. Ich hielt aber trotzdem heimlich die heilige Messe: In einer Baracke hängten wir eine Decke vor einen Verschlag, und da feierte ich dann mit zwei anderen Pfarrern auf den Knien den Gottesdienst! Einen Kelch hatte ich ja noch gerettet.« Vgl. Kaul, in: Militärbischofsamt, Feldseelsorger, 119–125, hier 125. 146 Ludwig Geisinger (geb. 1915 in Oberwössen, Priesterweihe 1939), der knapp zwei Jahre nach seiner Priesterweihe zum Sanitätsdienst einberufen worden war, verbrachte 6 Jahre in sowjetischer Kriegsgefangenschaft. Er reflektierte diese Zeit folgendermaßen: »Meine furchtbare Zeit war dann die Gefangenschaft, und zwar nicht im Süden sondern in Norden, in Karelien. Das ist oben an der Wolga. Ein Vernichtungslager war das … Dort sind damals beinahe alle gestorben. Dann hat der Russe seine eigenen Leute dorthin gebracht. Gegen seine eigenen Leute war er noch viel brutaler als gegen uns. Später sind wir dann in den Süden gekommen, d. h. südlich von Moskau […] Das waren dann meine letzten Jahre in der Gefangenschaft. Von dort aus bin ich dann endlich heimgekommen, sozusagen als Spätheimkehrer. […] Ich bin einigermaßen gesund heimgekommen, und dann begann für uns eigentlich, und das möchte ich betonen, ein Leben mit neuem Mut. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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7.2.5 Sinngebungsstrategien der Kirchenführung Schwierig und komplex war die Frage der ideologischen Rechtfertigung des Krieges zunächst vor allem für den Episkopat. Heinz Hürten hat in etwas pathetisch anmutender Weise bemerkt, dass die deutschen Bischöfe sich in einer »tragischen Situation« befunden hätten, »weil der Staat, in dem sie lebten, ein Doppelantlitz trug, das der legalen Obrigkeit, welcher der Christ um des Gewissens willen Gehorsam schuldet, und das des apokalyptischen Tieres aus der Offenbarung des Johannes, dem der Christ mit aller Kraft widerstehen muss.«147 Gleichwohl erwarteten die Bischöfe von den Theologen und Klerikern wie von den übrigen Gläubigen die Erfüllung der sogenannten staatsbürgerlichen Pflichten.148 Dass der Katholik den Kriegsdienst verweigern müsse oder auch nur dürfe, stand – gleichgültig ob man nun dem apokalyptischen Tier diente oder nicht – vollkommen außerhalb ihres intellektuellen Horizontes. Analysiert man in dieser Hinsicht exemplarisch die Rundbriefe149, die Kardinal Faulhaber zwischen 1942 und 1944 an die Geistlichen und Theologiestudierenden an der Front sandte, die also diesen Männern Maßregeln und Leitbilder in inhaltlicher Hinsicht vor Augen stellen sollten, so fällt hier vor allem das Bemühen ins Auge, dem Krieg – von Faulhaber 1940 an anderer Stelle als »Geheimnis der göttlichen Weltregierung«150 bezeichnet – und seinen Begleitumständen, einen höheren metaphysischen Sinn abzugewinnen. Von Gott seien »nach weisem Plan diese schwersten Die Jugend der damaligen Zeit hat mit neuem Mut angefangen. Sie alle wollten ein neues Leben beginnen.« EAM, Priesterbefragung 2003, Interview mit Ludwig Geisinger. Ähnlich äußerte sich etwa Bernhard Egger, Jahrgang 1916 und bis 1948 in Kriegsgefangenschaft: »Ich war in der Altmark, dort bin ich dann in Kriegsgefangenschaft gekommen. Ein riesiges Lager war das, welches 50.000 Kriegsgefangene fasste. Verhungert ist jedoch keiner. Trotzdem, es war ganz schlimm.« EAM, Priesterbefragung 2003, Interview mit Bernhard Egger. 147 Hürten, Patriotismus, 31. Der von Hürten hier vertretenen Meinung, die Bischöfe hätten nicht zu erkennen vermocht, »dass durch die totalitäre Struktur des Regimes jeder anscheinend dem Vaterland geleistete Dienst zugleich der Herrschaft des Nationalsozialismus und somit all seinen verheerenden moralischen und politischen Folgen zugute kam« ist deutlich zu widersprechen. Es kann m. E. allenfalls konstatiert werden, dass die Bischöfe einem Sozialisations- und Prägungshorizont entstammten, der ihnen die Idee, der Nation mit Verweigerung und offenem Widerstand gegen das Regime zu dienen, als undenkbar und unrealisierbar erschienen ließ. Dies ist jedoch ein erheblicher Unterschied, der entsprechend auch benannt werden muss. Das tatsächliche Ausmaß der Dimension des nationalsozialistischen Eroberungs- und Vernichtungskrieges dürfte vom deutschen Episkopat wohl durchaus im Verlauf des Krieges erkannt worden sein, wie tief greifend dieses Begreifen war, muss offen bleiben, vgl. hierzu auch Kösters, Heimatfront, 365. 148 Hiermit bewegte sich der Episkopat jedoch, wie Damberg, Krieg, Theologie und Kriegserfahrung, 210–215 beschrieb, innerhalb eines weit in die Kirchengeschichte zurückreichenden religiösen Deutungsmusters. 149 Vgl. die vier Rundbriefe vom 08.05. und 30. 11. 1942, 21. 11. 1943 und 15. 11. 1944, in: Volk, Akten Faulhabers, Bd. 2, 922–924, 955–957, 1006 f. und 1033–1035. 150 So in seinem Fastenhirtenbrief Die Waffenrüstung Gottes zum Sonntag Sexagesima am 20. 01. 1940, vgl. EAM, NL Faulhaber 4172. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Monate und Tage Eures Lebens in den Zusammenhang mit Eurer Vergangenheit und Zukunft eingestellt«151, erklärte er den Theologen in seinem Rundbrief vom Mai 1942. Der Sinn des Krieges sei für die Theologen dabei vor allem in der Läuterung und Bewährung zu sehen: Ein Gedanke ist es besonders, der Euere Seelen festhält, der Gedanke, dass die Kriegsjahre als Jahre der Läuterung und Bewährung, mit den Augen des Glaubens betrachtet, kein Leerlauf sind, dass sie vielmehr für den künftigen Priesterberuf eine gute Vorschule sein können. […] So hat der göttliche Lehrmeister, der auch aus brennenden Dornbüschen zur Menschheit spricht, Euch mit dem Kriegsdienst ein Vorseminar des künftigen geistlichen Berufes eröffnet.152

Für Faulhaber war jedenfalls gewiss: »… der Geist Gottes schwebt auch über den Bunkern!«153 Er hatte »volles Vertrauen« zu seinen Priestern, dass sie »im Beruf gefestigt aus dem Stahlbad des Krieges zurück«154 kommen würden. Wenn Faulhaber, in seinem Bemühen um an der Kriegsrhetorik des Ersten Weltkriegs geschulten, originellen geistlichen Durchhalteparolen beim besten Willen nicht mehr weiter wusste, um den Sinn eines Ereignisses zu erklären, etwa den Erlass des Oberkommandos der Wehrmacht, der die Beförderung von Theologiestudierenden zu Offizieren unterband, so blieb dies vorläufig »eines von den ungelösten Rätseln der Kriegszeit«155 – eine in ihrer Banalität verblüffende, aber unter Theologen durchaus beliebte rhetorische Figur. Noch im November 1944 empfahl Faulhaber den Theologen, angesichts der Sinnfrage, die im fünften Kriegsjahr wohl einige bestürmt haben dürfte: Haltet Euch an diesen Satz: ›Ich helfe mit, einen Plan Gottes zu verwirklichen, wenn ich auch diesen Plan nicht durchschaue.‹ Das Grübeln des einzelnen über das Wozu und Warum führt zu keinem Schluss.156

Dieses ergebene Festhalten an dem Glauben, alles folge irgend einem höheren Plan, die gemeinsame Verbundenheit »in dem tapferen Ja, das wir zu allen Schickungen der

151 Faulhaber an die Priesterkandidaten und Geistlichen im Wehrdienst vom 08. 05. 1942, in: Volk, Akten Faulhabers, Bd. 2, 922–924, hier 924. 152 Faulhaber an die Priesterkandidaten und Geistlichen im Wehrdienst vom 21. 11. 1943, in: ebenda, 1006 f., hier 1006. 153 Ebenda. 154 Ebenda. Die Stahlbad-Metapher ist charakteristisch für die Diskurse der nationalistischen Rechten in der Zwischenkriegszeit. 155 Faulhaber an die Priesterkandidaten und Geistlichen im Wehrdienst vom 08. 05. 1942, in: Volk, Akten Faulhabers, Bd. 2, 922–924, hier 923. 156 Faulhaber an die Priesterkandidaten und Geistlichen im Wehrdienst vom 15. 11. 1944, in: ebenda, 1033–1035, hier 1034. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Vorsehung sprechen«157, nahm jedem Keim eines Gedankens an möglichen Widerstand, an das Nichtbefolgen von Befehlen, bereits schon an das bloße Denken, möglicherweise etwas Falsches zu tun, die Legitimation und stempelte denjenigen, der dies überhaupt nur in Erwägung zog, zu einem Zweifler an Gottes Heilsplan. Deutlich stellte Faulhaber den Theologen hier sein Priesterideal vor Augen, wenn er über die vielen Zuschriften, die er von Theologen im Verlauf des Krieges erhalten hatte, resümierte: Bene scripsisti, carissime. Viele von diesen Briefen offenbaren eine geistige Reife, im klaren Urteil ohne Phrasen, in der hohen Auffassung des Soldatenberufes, in der tapferen Entschlossenheit zum Opfer, in dem ruhigen Ja zu allen Fügungen der Vorsehung.158

Der Opfergedanke in seiner Form der Verschmelzung von Soldatenberuf und Christusnachfolge gehört dabei zu den äußerst merkwürdigen Topoi in diesen Rundbriefen, in denen die Rede ist von heroischen Priester[n], die in der Feldseelsorge oder im Samariterdienst das priesterliche Wort aus dem 118. Psalm erleben: ›Anima mea in manibus meis semper, mein Leben liegt immerdar auf meinen Händen‹, wie eine Hostie auf der Opferschale.159

Der Krieg als solcher erscheint im Grundsatz keineswegs positiv, vielmehr ist von »Tage[n] der Heimsuchung« die Rede, die es durch sogenannte Gebetsstürme abzukürzen gelte, auch dies im Übrigen ein beliebter Topos.160 Zugleich zeigen die Briefe, wie sehr Faulhaber bei seiner Beurteilung des Nationalsozialismus den Diskursen der Kulturkampfzeit verhaftet war. Wiederholt nimmt 157 Faulhaber an die Priesterkandidaten und Geistlichen im Wehrdienst vom 21. 11. 1943, in: ebenda, 1006 f., hier 1007. 158 Faulhaber an die Geistlichen im Wehrdienst vom 30. 11. 1942, in: ebenda, 955–957, hier 957. Wie sehr Faulhaber ein menschliches Eingreifen in den göttlichen Heilsplan ablehnte, zeigt noch sein expliziter Verweis auf das Attentat vom 20. Juli 1944 im Rundbrief vom 15. November desselben Jahres. Faulhaber empfahl den Theologen und Priestern, sie möchten, sollten Kameraden sie nach ihrer Meinung zu diesem Attentat befragen, auf die klare moralische Haltung der Kirche hinsichtlich des fünften Gebotes verweisen: Mord und Mordversuch seien eine »himmelschreiende Sünde« und würden von der Kirche laut und bestimmt für unerlaubt erklärt. Dass die Theologie durchaus ein Widerstandsrecht gegen die pervertierte Staatsgewalt kennt und sich das Attentat vom 20. Juli auch nach damaligen moraltheologischen Maßstäben nicht auf das Stichwort Mord reduzieren ließ, (vgl. auch den Hinweis Ludwig Volks in: Volk, Akten Faulhabers, Bd. 2, 1034, Anm. 1) wird offenbar vollkommen negiert. Nun hätte man im NS-System freilich keinem Priester empfehlen mögen, öffentlich das Attentat auf Hitler zu rechtfertigen, doch hätte Faulhaber das Thema in einem nicht an die Öffentlichkeit gerichteten Rundbrief an seine Theologen schlichtweg auch übergehen können. 159 Faulhaber an die Geistlichen im Wehrdienst vom 30. 11. 1942, in: ebenda, 955–957, hier 955 f. 160 Faulhaber an die Priesterkandidaten und Geistlichen im Wehrdienst vom 08. 05. 1942, in: ebenda, 922–924, hier 923; zum Topos Gebetssturm vgl. Damberg, Krieg, Theologie und Kriegserfahrung, 211. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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er Bezug auf den möglichen Vorwurf mangelnden nationalen Engagements: »Euerem Opfergeist danken wir es zum größten Teil, dass man nach dem Krieg dem Klerus nicht mehr den Vorwurf machen kann, er sei ›nicht dabei gewesen‹«161, schrieb er im November 1942, um im selben Brief noch anzufügen: »Die Stunde wird kommen, da Euch die Heimat öffentlich den Dank wiederholt, der schon heute meinen Diözesanpriestern im stillen gespendet sei.«162 Wird in den Rundbriefen einerseits dem – freilich unfreiwilligen – Dienst für Hitlers verbrecherisches Regime und der Beteiligung an seinem Angriffskrieg durch Faulhabers Worte noch ein höherer positiver Sinn abgezwungen, so fehlt andererseits die an sich zu erwartenden antibolschewistische Stoßrichtung, die Beschwörung einer Kampffront gegen die Feinde der christlich-abendländischen Werteordnung. Faulhaber hatte in den zurückliegenden Jahren genug Gelegenheit gehabt zu erfahren, dass die Nationalsozialisten den Bolschewisten in punkto Kirchenfeindlichkeit kaum nachstanden. Zumindest Faulhaber führte keinen »katholischen Krieg«163 in Hitlers Krieg. Von den vielen Rätseln der Kriegszeit schien für ihn selbst der Sinn dieses Krieges das Größte.

7.2.6 Deutungsmuster des Krieges auf Seiten der Theologen und Kleriker Die Theologen und Priester der Kriegsgeneration von 1939 bis 1945 gingen nach Ausweis der meisten Zeugnisse, ganz im Gegensatz zu den Teilnehmern des Ersten Weltkrieges, in der Mehrzahl eher gezwungen zum Militär.164 Eine ausgeprägte Euphorie gab es nach bisherigem Forschungsstand kaum. Den Eroberungs- und Vernichtungskrieg erkannte man jedoch kaum als solchen, vielmehr sah man den neuerlichen Krieg überwiegend als eine Fortsetzung des 1919 durch einen »erzwungen Gewaltfrieden«165 nur vorübergehend beendeten. Ein Priester, im Juni 1939 geweiht und 1941 zum Sanitätsdienst eingezogen, schilderte seine damalige Stimmungslage rückblickend: Und dann sind wir eingerückt, waren Soldaten. Und dann ging das Theater los, jedoch ohne jegliche Begeisterung für einen Einsatz. Man hat es ja verstanden, den Tod fürs Vaterland als 161 Faulhaber an die Geistlichen im Wehrdienst vom 30. 11. 1942, in: Volk, Akten Faulhabers, Bd. 2, 955–957, hier 955 f. 162 Ebenda, hier 956. 163 Vgl. Leugers, Jesuiten, 51–116, bes. 77–80: Als »katholischen Krieg« bezeichnete Antonia Leugers die Umdeutung der nationalsozialistischen Kriegsziele bei zum Dienst in der Wehrmacht verpflichteten Jesuiten zu eigenen Kriegszielen mit katholischer Stoßrichtung, d. h. vor allem einem heilsgeschichtlich notwendigen Kampf gegen den Bolschewismus für die Rechristianisierung Russlands und die religiöse Erneuerung des eigenen Vaterlandes. 164 So auch Kislinger, Front und Heimat, 32. 165 So etwa eine Äußerung des Bischofs von Münster, Clemens Graf von Galen in einem Rundschreiben vom 14. 09. 1939 an seinen Klerus, zit. nach Hürten, Deutsche Katholiken, 460. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Ideal hinzustellen. […] Wir sind wirklich nicht mit Begeisterung in den Krieg gezogen, aber auch nicht, ohne dass wir gewusst haben, unsere Pflicht zu erfüllen zu haben. Schließlich ging es ja ums Vaterland, um etwas Wertvolles, wie wir gemeint haben.166

Nach meiner Quellenkenntnis ging der in der Heimat verbliebene Diözesanklerus zu Beginn des Krieges auf diesen offenbar kaum ein, nur vereinzelt wurde er als »Gottesurteil« und Strafe für »Sodom und Gomorrha« beurteilt, womit man offenbar mehr sittliche als politische Verfehlungen im Blick hatte.167 Auch das Klerusblatt hatte zunächst sehr zögerlich reagiert. In den ersten Wochen war der Standeszeitschrift der Kleriker so gut wie überhaupt nicht zu entnehmen, dass überhaupt Krieg stattfand.168 Erst Anfang Oktober erschien dort eine vierseitige hymnische Eloge auf den – allerdings bereits im März des Jahres 1939 – abgestürzten Fliegerhauptmann Rudolf Freiherr von Moreau169. Dieser, hoch dekorierter Veteran des Spanischen Bürgerkriegs170 und zugleich bekennender Katholik, eignete sich offenbar – wie später Werner Mölders171 – als ideale Projektionsfigur für eine spezifisch katholische Form der Heldenverehrung.172 Auch der Westfeldzug gegen Frank166 EAM, Priesterbefragung 2003, Interview mit Ludwig Geisinger. 167 Vgl. etwa Witetschek, Regierungspräsidentenberichte Oberbayern, 313 f., Monatsbericht der Regierung vom September 1939. 168 Bereits Anfang August 1939 war jedoch in einem Artikel ausführlich über verschiedene Aspekte des kirchlichen Luftschutzes berichtet worden, Johann Michl, Luftschutz der Kirchen, Klerusblatt 1939, 443–446. 169 Rudolf Freiherr von Moreau, geb. am 10. 02. 1910 in München, 1930 Abitur, anschließend Ausbildung in der Verkehrsfliegerschule Schleißheim, 1934 Infanterieschule Dresden, anschließend Offizier der Deutschen Luftwaffe, 1937 Hauptmann, mehrere Flugrekorde, Beteiligung am Spanischen Bürgerkrieg, tödlich verunglückt bei einem Flugzeugabsturz in Rechlin (Mecklenburg) am 31. 03. 1939; vgl. Rosmus, Passau, 56–60. Für freundliche Hinweise danke ich Dr. Stephan Deutinger, Kommission für bayerische Landesgeschichte bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. 170 Die Ereignisse im Spanien der 1930er Jahre wurden von den Katholiken in Deutschland, besonders wegen der antikirchlichen Repressionen der Republikaner gegen Geistliche, mit großem Interesse und starker Sympathie für die politische Rechte verfolgt und verdrängten auf der Skala der kollektiven katholischen Erregungsproduktion mithin zeitweise sogar die Berichte aus der bolschewistischen Sowjetunion. Dies schlug sich auch im Klerusblatt in einer Fülle entsprechender Nachrichten und Notizen nieder. 171 Werner Mölders, geb. am 18. 03. 1913 in Gelsenkirchen, war als Luftwaffenoffizier im Rahmen des Einsatzes der Legion Condor am Spanischen Bürgerkrieg beteiligt, im Zweiten Weltkrieg galt er als erfolgreichster Jagdflieger der deutschen Luftwaffe, zuletzt Oberst und Inspekteur der Jagdflieger, kam er bei einem Flugzeugabsturz am 22. 11. 1941 in Breslau ums Leben. Anfang 1942 kam ein – vom britischen Geheimdienst gefälschtes – Schriftstück, der sogenannte Möldersbrief in Umlauf, der ihn als angeblich tiefgläubigen Katholiken auswies. Der Möldersbrief und das ihn begleitende Gerücht, Mölders sei aufgrund seiner Glaubensüberzeugung im Auftrag Himmlers abgeschossen worden, fand weite Verbreitung und galt in kirchlichen Kreisen als Manifestation des Widerstands gegen den Nationalsozialismus. Die Verbreitung wurde durch das NS-Regime vergeblich zu verhindern versucht; vgl. Witetschek, Mölders-Brief. 172 Vgl. J. Kürzinger, »Zwischen Himmel und Erde…« Ein Heldenbild unserer Tage: Fliegerhauptmann Rudolf Freiherr von Moreau (+1939), Klerusblatt 1939, 517–520. Die Gedächtnisrede auf Morau © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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reich von Mai bis Juli 1940, der im Reich einen Höhepunkt der Hitler-Verehrung zur Folge hatte und die Zustimmung zum Regime auf einen neuen Höhepunkt brachte, fand im Klerusblatt keinen Niederschlag, fast demonstrativ nahm sich das Schweigen hierzu aus.173 Folgt man den Berichten der Regierung von Oberbayern als wichtiger Quelle für die Stimmungslage in der Bevölkerung und im Klerus, so verstärkte sich, obwohl gelegentlich Interpretation des Krieges als Strafgericht wiederkehrten174, in den ersten Kriegsjahren eine mehrheitlich zurückhaltende Position, die vom weltanschaulichen Gegner zunächst als »auffällig« bezeichnet und schließlich als Desinteresse am »Daseinskampf des Deutschen Volkes« interpretiert wurde.175 Die staatliche Seite erwartete offenbar ein offensiveres Eintreten für den nationalsozialistischen Krieg – dieses blieb weitgehend aus oder lau. Der Pfarrer von Ilmmünster etwa wurde bereits deshalb bei der Gestapo angezeigt, weil er beim Siegesläuten am Ende des Frankreichfeldzuges im Juni 1940 nur vier Glocken anschlagen ließ, auf die Benutzung der größten Glocke, die nur an hohen kirchlichen Feiertagen Verwendung fand, aber verzichtete.176 Jedoch gelang es den Kirchen das wie stets im Krieg verstärkt erwachte Bedürfnis der Bevölkerung nach religiöser Sinnstiftung mit neuen, auf den Krieg abgestimmten seelsorglichen Formen zu befriedigen, insbesondere »Heldengottesdienste« oder »Kriegergelöbnisfeste« erfreuten sich – bei wachsendem Unmut der politischen Beobachter, die schon die Bezeichnung als Missbrauch nationalsozialistischen Sprachguts ansahen – großer Beliebtheit.177 Im Juni 1943 wurde von der Regierung schließhatte der Passauer Domkapitular Franz Xaver Eggersdorfer gehalten, ein ausgewiesener Gegner des Nationalsozialismus. Dennoch kam es auch bei seinem Leichenzug zu einer eigenwilligen Vermengung katholischer und nationalsozialistischer Gruppierungen; vgl. Rosmus, Passau, 58. Später wurde die Vereinnahmung Moreaus durch die Katholische Aktion von NS-Seite kritisiert und entsprechende Denkschriften beschlagnahmt; vgl. Ziegler, Regierungspräsidentenberichte Niederbayern und Oberpfalz, 257 (Monatsbericht der Regierung vom 08. 02. 1940). 173 Nach Beginn des Frankreichfeldzugs dozierte Michael Hartig in einer kunsthistorischen Abhandlung über »Marianische Gnadenbilder«. Wenige Tage nach der deutschen Siegesparade am 14. 06. 1940 in Paris erschienen ein Bericht über die Generalversammlung des Klerusverbandes in München und ein Beitrag über die »Herz-Jesu-Verehrung im Geiste der Liturgie« des Freisinger Subregens Wilhelm Lurz – apolitischere Themenfelder sind kaum denkbar! 174 Vgl. Witetschek, Regierungspräsidentenberichte Oberbayern, 314 (Monatsbericht der Regierung vom November 1939); vgl. zur Tradition dieses Deutungsmusters und seiner Häufigkeit im Zweiten Weltkrieg auch Damberg, Krieg, Theologie und Kriegserfahrung, 211. Einschränkend zu dieser Quelle sei hinzugefügt, dass sie eine affirmative Sicht des Krieges naturgemäß nicht wahrnahm. 175 Ebenda, 316 (Monatsbericht der Regierung vom Februar 1940) und 317 (Monatsbericht der Regierung vom März 1940). 176 Ebenda, 320 (Monatsbericht der Regierung vom Juni 1940). Bei dem betreffenden Geistlichen handelte es sich um Johann Jell, er war deswegen fünf Tage in Haft; vgl. auch von Hehl/Kösters, Terror, Bd. 1, 940. 177 Vgl. Witetschek, Regierungspräsidentenberichte Oberbayern, 350 (Monatsbericht der Regierung vom April 1943): »Die Heldengottesdienste für die gefallenen Soldaten weisen stets volle Kirchen auf, während die weltlichen Heldenfeiern sich keiner besonderen Teilnahme der Bevölkerung erfreuen.«; vgl. auch ebenda 352 f. Zu den einschränkenden gesetzlichen Bestimmungen bei © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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lich missbilligend zur Kenntnis genommen, »dass in den katholischen Kirchen seit einiger Zeit nicht mehr für den Sieg, sondern für einen baldigen Frieden gebetet wird.«178 Offenbar verhielt sich der einfache Klerus gegenüber dem Krieg in seiner Grundhaltung ablehnender als der Episkopat179, zumal er nicht gehalten war, fortwährend offizielle Loyalitätsbezeugungen von sich zu geben. Dennoch musste der Krieg als gegebenes Faktum auf irgendeine Weise in die Biographien integriert werden. Dem eigenen Handeln derer, die auch noch zum Kriegsdienst herangezogen worden waren, musste, zumal dieses Handeln kein freiwilliges und selbstbestimmtes mehr war, ein höherer Sinn verliehen werden, um das Leben trotzdem als sinnerfüllt wahrnehmen und als Einheit begreifen zu können. Insofern überwog eine mit dem Verlauf des Krieges schließlich zunehmende Spiritualisierung des Krieges und des Kriegserlebnisses180, die schließlich in einer eigenwilligen Art katholischer Opfermystik mündete:181 Die geistliche militia Christi verschmolz hier mit dem wirklichen Kriegsdienst […] so gibt es nach 1939/40 tatsächlich Indizien für eine Tendenz zur intensiven Spiritualisierung des Krieges im Sinne eines Sühne-Opfer-Motivs, in der der Kriegsdienst an sich eine religiöse Qualität als Bewährungsform des Glaubens gewinnt182,

bemerkte der Kirchenhistoriker Wilhelm Damberg. Bemerkenswert erscheint in diesem Zusammenhang ein zeitgenössisch viel beachteter Beitrag, den der Jesuit Alfred Delp183 im Jahr 1940 unter dem Titel Der Krieg als geistige Leistung in der Ordenszeitschrift Stimmen der Zeit veröffentlichte.184 Dieser Beitrag enthält im Gefallenengottesdiensten vgl. AEM, NL Thalhamer, Stw. Gefallenengottesdienste. Der Pfarrer von Tuntenhausen, Innozenz Lampl, verlegte Gefallenengottesdienste systematisch auf von den Nationalsozialisten abgeschaffte kirchliche Feiertage, wodurch er sich zusätzlich den Zorn der Gestapo zuzog; vgl. Thurn und Taxis, Tuntenhausen, 84. 178 Vgl. Witetschek, Regierungspräsidentenberichte Oberbayern, 351 (Monatsbericht der Regierung vom Mai 1943). 179 So auch Hürten, Deutsche Katholiken, 463. 180 Vgl. auch das Urteil bei Brandt/Katholisches Militärbischofsamt, Priester in Uniform, 10. 181 Vgl. hierzu Damberg, Kriegserfahrung und Kriegstheologie, 326–333; Damberg, Krieg, Theologie und Kriegserfahrung, 211 f.; Kösters, Heimatfront, 386–392. 182 Damberg, Krieg, Theologie und Kriegserfahrung, 212. 183 P. Alfred Delp S. J., geb. am 15. 09. 1907 in Mannheim, trat 1926 in Tisis (Vorarlberg) in das Noviziat der Gesellschaft Jesu ein, philosophische Studien auf der Ordenshochschule in Pullach bei München, Tätigkeit als Erzieher in Jesuitenkollegien, 1937 zum Priester geweiht, Redakteur der Jesuitenzeitschrift Stimmen der Zeit, publizistische Tätigkeit vornehmlich theologischer, philosophischer und soziologischer Natur, nach Beschlagnahmung des Ordenshauses durch die Gestapo 1941 Kirchenrektor in München-Bogenhausen, seit Frühjahr 1942 Mitglied der Widerstandsgruppe Kreisauer Kreis, am 28. 07. 1944 von der Gestapo verhaftet, am 09. 01. 1945 wegen Hoch- und Landesverrats und Wehrkraftzersetzung vom Volksgerichtshof zum Tod verurteilt und am 02. 02. 1945 in BerlinPlötzensee hingerichtet; vgl. Bleistein, Delp. 184 Vgl. Delp, Krieg; vgl. auch Bleistein, Delp, 159–161; Hürten, Deutsche Katholiken, 464 f. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Kern wesentliche Elemente der katholischen Kriegsideologie, die Heinz Hürten – sehr nahe an Delps eigener Begriffswelt – mit dem Begriff der »Bewährung« zu charakterisieren versucht hat.185 Der Krieg erscheint hier als ein äußeres, das »der einzelne nicht gerufen hat und dessen Liquidierung nicht in seiner Macht steht.« Er sei, so Delp, »als Forderung, gleichsam zu vergeistigende Materie vor uns gestellt, und seine Meisterung bedarf der geistigen Kraft, beim gläubigen Menschen bis hinein in die Herztiefen des Religiösen.«186 Wenngleich der einzelne im Verhältnis zum Krieg »nicht Herr seines Schicksals« ist, so soll er sich im Verhältnis zum Krieg doch bewähren, »soll sein Meister sein und sich ihm überlegen erweisen. […] Wir müssen mit ihm fertig werden.«187 Diese Bewältigung erfordere eine »geistige Leistung«, die »bis in den Raum des Sittlichen« reicht »und erst dort ihre letzte Höhe, Schärfe und Tragfähigkeitsprobe« empfängt. Hierbei rekurriert Delp ausdrücklich auf Clausewitz’ Begriff der »moralischen Größe« und dessen Tugendkanon: »Energie, Festigkeit, Standhaftigkeit, Gemüts- und Charakterstärke«.188 Delp bemühte sich, die faktische Gegebenheit des Krieges für den einzelnen nicht nur bewältigbar zu machen, sondern zugleich metaphysisch zu überhöhen und beschwor die »erzieherische Kraft des kriegerischen Schicksals«, die für diejenigen ausbleibe, die den Krieg nur mit physischem Einsatz meistern wollen: »Das Ringen mit dem Ungewissen der Existenz und des schwankenden Schicksals bildet den Menschen, der dies alles geraden Sinnes durchhält, weiter und macht ihn stark.«189 Interpretationen dieser Art sind keineswegs singulär. Eine derartige Haltung ist vielmehr prototypisch für die katholische Strategie der Kriegsbewältigung und sie lässt sich in den Feldprostbriefen der Feldgeistlichen und Kriegstheologen der Erzdiözese München und Freising, die unlängst bereits einer systematischen Analyse unterzogen worden sind190, ebenso nachweisen, wie bei Jesuiten im Dienst von Hitlers Wehrmacht.191 185 Vgl. Hürten, Deutsche Katholiken, 463 ff. 186 Delp, Krieg, hier 207. 187 Ebenda, 207 und 208. 188 Ebenda, 208. 189 Ebenda, hier 208. Vgl. in diesem Zusammenhang auch die Auffassung von Bleistein, Delp, 159– 161, der den Beitrag als »Pflichtübung« charakterisiert um den Stimmen der Zeit einigermaßen das Wohlwollen der Reichsschrifttumskammer zu sichern und damit seine Brisanz marginalisierte. Diese Auffassung scheint mir kaum haltbar, zumal sich der Beitrag durchaus in die Reihe von Delps übrigen Veröffentlichungen einfügt. Bedauerlicherweise vermied Roman Bleistein in seiner Biographie eine übergreifende Analyse der Beiträge Delps zum Krieg. 190 Florian Kislinger wertete für seine im Wintersemester 2006/2007 am Lehrstuhl für Neueste Geschichte und Zeitgeschichte der Ludwig-Maximilians-Universität München bei Hans Günter Hockerts entstandene Magisterarbeit die in EAM, NL Faulhaber und AEM, Priesterseminar Freising erhaltenen Bestände an Feldpostbriefen systematisch aus. Auf seine sehr fundierten und leider nicht publizierten Ergebnisse greife ich in dieser Arbeit mehrfach zurück; vgl. Kislinger, Front und Heimat. 191 Im Rahmen eines DFG-Projekts wertete Antonia Leugers mehrere tausend Feldprostbriefe von 651 deutschen Jesuitenpatres aus; vgl. Leugers, Jesuiten. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Insgesamt lassen sich in den Briefen der Feldgeistlichen und Kriegstheologen drei grundsätzliche Deutungsmuster ausmachen: Zunächst erschien der Krieg im Delp’schen Sinn als Bewährungsprobe, Herausforderung, Prüfung und Möglichkeit der Läuterung. Es geht darum, durchzuhalten, um später auch im Priesterberuf »seinen Mann [zu] stehen«.192 Der Krieg und die glaubensfremde Umgebung werden als eine Art Vorschule für das Priestertum verstanden. Dieses Motiv erscheint den Untersuchungen Kislingers zufolge verstärkt unter den Vorzeichen der Kriegswende zwischen 1942 und 1944, nun kommt auch das Motiv der schweren Prüfung (durch Gott) und damit verbundener Läuterung stärker zum tragen.193 Bei diesem Motivkomplex überlagern sich also religiöse Motive mit nahezu schon stereotypen neuzeitlichen Männlichkeitsdiskursen von der Bewährung im Kampf etc.194 in eigenwilliger Weise. Zugleich wird hier meines Erachtens auch deutlich, wie sehr die Theologen zum Teil unter ihrer Stigmatisierung und partiellen Ausgrenzung aus der so genannten Volksgemeinschaft litten und die Möglichkeit der Teilhabe an diesem Krieg nun auch als Chance begriffen, zu zeigen, dass sie sich durchaus als Teil der Nation verstanden. Derartiges klingt etwa bei dem Theologen Michael Deimel195 an, der am 28. 07. 1940 an Regens Westermayr schreibt: Doch Gehorsam ist des Soldaten erste Pflicht. Schließlich ist ja doch das Entscheidende, dass jeder auf dem Posten, auf den er gestellt ist, eisern seine Pflicht tut, gleichviel ob an der Front oder

Eine ähnliche Fragestellung verfolgte eine im Frühjahr 2009 bei Omer Bartov an der Brown University (Providence, Rhode Island, USA) abgeschlossene Dissertation: Lauren Faulkner, Negotiating the Cross and the Swastika: Catholic Priests as German Soldiers 1935–1945 (Ph. D. Brown University), Providence 2009. Lauren Faulkner, die derzeit (2013) als Professorin an der University of Notre Dame (Indiana, USA) lehrt, problematisiert in dieser Arbeit das Verhältnis zwischen Nation und Religion und vertritt im Kern die These, dass nationale Aspekte bei den Theologen und Priestern während des Krieges die katholische Weltanschauung überschatteten und in den Hintergrund drängten. Mir war diese bislang unpublizierte Arbeit nicht zugänglich, ich konnte mit Lauren Faulkner im Frühjahr 2007 und Frühjahr 2009 aber mehrere Gespräche führen und danke ihr für Auskünfte über ihre Thesen und Forschungsergebnisse. Ihre Auffassung teile ich nicht. 192 Vgl. Kislinger, Front und Heimat, 32–35, hier 32. Das Zitat ebenda aus dem Brief eines Seminaristen M.A. vom 25. 04. 1942. Kislinger führte das Motiv der Bewährung in glaubensfremder Umgebung auf die Ideale der katholischen Jugendbewegung zurück. 193 Ebenda, 33. 194 Vergleichbare Männlichkeitsstereotypen – von Kislinger nicht als solche thematisiert – finden sich bereits in dessen in dieser Hinsicht zufälliger Briefauswahl zuhauf. Etwa wenn der Seminarist F. W. am 27. 02. 1944 an Regens Westermayr schreibt: »Ein Priester darf ja nicht nur ein Bücherwurm sein, er muss auch Kraft und Mut besitzen, denn gerade jetzt in dieser Zeit und erst recht später, wo die Kirche um ihr Dasein kämpfen muss, darf ein Priester kein Weichling sein, er muss hart sein, um Entbehrungen und Unbilden ertragen zu können.« Zit. nach Kislinger, Front und Heimat, 41. 195 Michael Deimel, geb. am 25. 01. 1916 in Ismaning, Priesterweihe 1949 in Freising, Koadjutor in Pfaffenhofen/Ilm, 1951 Koadjutor in Markt Grafing, 1962 Pfarrer in Hohenlinden, gest. am 26. 05. 1982; vgl. Schematismus 1969, 86 und 391; Direktorium 2004/2005, 85. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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hinter der Front. Die aber habe ich getan und werde sie auch weiter tun. Selbst der Spiess konnte es sich bei der Abschiedsfeier nicht versagen, den Theologen seiner Kompanie (es waren drei an der Zahl) sein volles Lob auszusprechen, dass sie sich bestens bewährt hätten. Noch selten hat mich ein Lob so gefreut wie dieses. Insbesondere die an der Front haben bewiesen, dass Theologen gerade nicht die schlechtesten Soldaten sind. Die Opfer aber, die der Krieg sich aus unseren Reihen geholt hat, werden uns Schutzengel sein, Schutzengel, die uns an ihrer sicheren Hand zurückführen in die verwaisten Seminargebäude hin an den Weihaltar des Freisinger Mariendomes.196

Hier knüpft Deimel in bemerkenswerter Stringenz an die Argumentationslinien Faulhabers aus seinen Rundbriefen an. Als zweiter Hauptstrang in den Feldpostbriefen der Münchener Feldgeistlichen und Theologen findet sich, vor allem in den ersten Kriegsjahren, das sich mit dem Wunsch nach der Teilhabe am Gesamtschicksal des Volkes überschneidende Motiv der Pflichterfüllung für das Vaterland.197 Infrage gestellt wurde diese Pflicht so gut wie nie.198 Dem Tod der Kameraden wird häufig eine höhere Sinnhaftigkeit zugeschrieben, Bezüge zur Opfertheologie sind nicht selten.199 So schreibt etwa ein Seminarist an Kardinal Faulhaber: »Wann wird für uns wieder ein Ostern kommen? Der leidende Heiland wird mir Vorbild und Ansporn sein auf unserm Kreuzweg. Er ist für uns gestorben und auch ich bin bereit zu sterben.«200 Zugleich wird den Adressaten (Faulhaber und Westermayr) die strikte Berufstreue versichert. So demonstrierten die Theologen eine doppelte Loyalität, gegenüber dem Vaterland, an welches die Bindung nicht in Frage gestellt wurde, und gegenüber der Kirche. Dass dies in gewisser Weise einen Widerspruch darstellte, scheint gelegentlich auf, etwa wenn es als »größte Tragik« charakterisiert wurde, »wenn gleichzeitig im Osten die Gottlosigkeit bekämpft und in der Heimat die Religion geächtet würde.«201 Der missionarische Kampf gegen den Bolschewismus lässt sich als die dritte Motivgruppe der Priester und Seminaristen identifizieren.202 Hierbei stand naturgemäß die Kirchenfeindlichkeit des sowjetischen Kommunismus, der »Inkarnation des Gottlosen«203, als Begründungsstrategie im Vordergrund. Nicht wenige Theologen fassten den Kriegseinsatz als Kampf für die Rechristianisierung der bolschewistischen Sowjetunion im Dienst der katholischen Kirche und durchaus auch mit der Waffe in der Hand auf. Deutschland sollte als abendländische Vormacht, in quasi göttlichem Auftrag das Christentum im Osten wieder verankern. Sie, die Priester und Theologen, 196 AEM, Priesterseminar Freising, Briefe von Kandidaten 1939–1945, Bi-D. 197 Vgl. Kislinger, Front und Heimat, 36–43. Nach Kislinger fehlen dabei sprachliche Bezüge zur NS-Ideologie und es ist vor allem von »Volk«, »Vaterland« und »Heimat« die Rede. 198 Ebenda, 43. 199 Ebenda, 38 f.; vgl. auch den oben zitierten Brief von Deimel. 200 Seminarist J. R. an Faulhaber vom 14. 02. 1943, zit. nach Kislinger, Front und Heimat, 39. 201 Seminarist G. G. an Westermayr vom 28. 07. 1941, zit. nach ebenda, 43. 202 Vgl. ebenda, 44–51. 203 Ebenda, 46. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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sahen sich dabei als die »Vollstrecker eines göttlichen Willens«204. Typisch nationalsozialistische Stereotype wie Rasse, Lebensraum etc., tauchten dabei in den Briefen nur selten auf.205 Stattdessen ist von einem »Kreuzzug«, dem letzten Kreuzzug der Christenheit gegen den bolschewistischen Weltfeind, die Rede.206 Mit der Veränderung der militärischen Lage im Osten rückte das Ziel des antibolschewistischen Abwehrkampfes, dessen Notwendigkeit nun immer dringlicher erschien, vor das Ziel der kreuzzugsartigen Rechristianisierung Russlands. Angesichts der immer düstereren militärischen Lage fragte sich nun mancher bereits nach dem Sinn des ganzen Geschehens, auch an apokalyptischen Visionen fehlt es nicht: »Entweder wir siegen in Gott, oder wir gehen unter«207, schrieb ein Seminarist im April 1943 an Regens Westermayr. Kislinger attestierte den Seminaristen, dass sie die Realität des nationalsozialistischen Raub- und Vernichtungskriegs durch ihren teilweise auf religiösen Motiven beruhenden Idealismus überwiegend verkannten. Ausnahmen, etwa die offen geäußerte Hoffnung auf Frieden und ein Ende des Völker- und Rassenhasses, finden sich aber durchaus auch.208 Zweifel am Sinn des Krieges wurde von einem Teil der Briefschreiber vor allem in den letzten Kriegsjahren unterschwellig angedeutet.209 Erstaunlicherweise ist auch in den zahlreichen rückblickenden Kriegserinnerungen katholischer Geistlicher kaum je ein Zweifel an ihrem Tun während des Krieges festzustellen. Die Beteiligung am Krieg wurde auch von den im Jahr 2003 hierzu befragten Geistlichen überwiegend noch immer als sinnerfüllt gesehen, wenngleich sich der Sinn nun verschoben hatte und die caritative und seelsorgliche Tätigkeit für die Soldaten im Feld in den Vordergrund rückte: »Aber trotzdem habe ich geholfen, ich meine in seelsorglicher Hinsicht. […] Es war an sich eine schwere, aber schöne Aufgabe«,210 resümierte ein Geistlicher seinen Einsatz im Sanitätsdienst während des Weltkrieges. Für die am Krieg Beteiligten verbanden sich traditionelle theologische Deutungsmuster mit patriotischen Motiven, die zwar mit der nationalsozialistischen Kriegspropaganda nicht identisch waren, aber in sie übergingen und sich in gewisser Weise mehr oder weniger mit ihr zur Deckung bringen ließen. »Der kirchliche Horizont …« – so Christoph Kösters – »… überwölbte so den Krieg religiös und patriotisch, in Frage 204 Freiherr von H. an Faulhaber vom 03. 08. 1941, zit. nach ebenda, 46. 205 Vgl. ebenda, 46. 206 So etwa im Brief des Sanitätsgeistlichen G. B. von Ostern 1943 an Faulhaber, zit. nach ebenda, 49. 207 Seminarist J. H. an Westermayr vom 14. 04. 1943, zit. nach ebenda, 48. 208 Vgl. ebenda, 49 und 53. Hier 54 auch das (singuläre) Beispiel eines äußerst hellsichtigen Briefschreibers, der den Krieg im November 1943 als »Vernichtungskrieg«, »himmelschreiendes Fiasko« und moralische Katastrophe für Sieger und Besiegte bezeichnete. 209 Vgl. ebenda, 51–54. Zu bedenken ist hierbei stets, dass offene Kritik wegen der Briefzensur nicht möglich gewesen ist. Wären derartig kritische Briefe in falsche Hände geraten, wäre es den Betreffenden vermutlich ähnlich schlecht ergangen, wie ihrem Tagebuch schreibenden Kameraden Franz Wipplinger. Insofern kann man wohl annehmen, dass eine grundsätzlich kritische Haltung gegenüber dem Krieg häufiger vorhanden gewesen sein dürfte, als es sich aus den Briefzeugnissen ablesen lässt. 210 EAM, Priesterbefragung 2003, Interview mit Johannes Baumgartner. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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stellte er ihn – trotz der Erfahrungen des Ersten Weltkrieges – nicht…«211 Erscheint dies bei den Feldgeistlichen und Sanitätssoldaten, die ihre Aktivität am ehesten als konkreten Dienst am Nächsten erlebten, noch verständlich, muss es bei den mit der Waffe kämpfenden Theologen doch erstaunen.

211 Kösters, Heimatfront, 387. Dies deckt sich im Übrigen weitgehend mit grundsätzlichen Beobachtungen zu den ideologischen Haltungen von Wehrmachtssoldaten. Wie Klaus Latzel 2000, 370 f. konstatierte, lässt sich das Verhältnis zwischen Wehrmachtssoldaten und Nationalsozialismus als »gebrochene Verwandtschaft« charakterisieren. Klar definierte politische Ziele besaßen für die Soldaten nur wenig Bedeutung, hingegen kann man von einer »Teilidentität der Motive« sprechen, die sich mit einem »habituellen Besitz« an eigenen Einstellungen zu einer eher diffusen Gesamtmotivlage amalgamierten. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

8.

Abstand, Selbstbehauptung und Widerstand: Auseinandersetzungen des Klerus mit dem Nationalsozialismus1

8.1 Zur divergierenden Interpretation des Handelns von Katholiken und katholischen Klerikern im Dritten Reich Bezüglich des Widerstandes von Kirche und Katholiken im Dritten Reich sind von der Forschung im Verlauf der Jahre verschiedene Modelle entwickelt worden. Dabei sind diese Modelle vor allem auf die katholischen Laien fixiert oder sie behandeln Laien und Kleriker unterschiedslos. Spezielle Modelle im Hinblick auf den katholischen Klerus gibt es nicht. Die vorhandenen Modelle2 werten den katholischen Widerstand in sehr unterschiedlicher Weise. Ger van Roon etwa, der sich an dem vierstufigen Modell des Widerstandes von Ernst Wolf orientierte3, konstatierte, die katholische Kirche als Gesamtheit sei »eigentlich nie über die erste Stufe, die Abwehr staatlicher Übergriffe, hinausgelangt.«4 Nur eine kleine Anzahl einzelner Katholiken sei über diese Stufe hinausgegangen und nur sehr wenige hätten die vierte Stufe, die des politischen Abwehrkampfes erreicht. Van Roon stellt deshalb fest: »Der katholische Widerstand war im Grunde ein Widerstand einzelner und kleiner Gruppen.«5 Zu einem noch kritischeren Ergebnis hinsichtlich des katholischen Widerstandes gelangten die beiden Forscher Gerhard Paul und Klaus-Michael Mallmann, welche ausgehend von Milieuforschungen im Saarland die These vertraten, dass politischer Widerstand den Katholiken nur nach einem Bruch mit zentralen Werten ihrer Kirche, vor allem der von dieser geforderten Loyalität gegenüber der Obrigkeit, möglich gewesen sei.6 Ein entgegen gesetztes Bild entwerfen die der katholischen Kommission für Zeitgeschichte verbundenen Historiker Klaus Gotto, Hans Günter Hockerts und Konrad Repgen. Obwohl der von ihnen entwickelte Widerstandsbegriff zunächst sehr

1 Dieser Abschnitt wurde von mir in wesentlichen Umrissen auf einer Tagung des Schwerter Arbeitskreises Katholizismusforschung im November 2009 vorgestellt und teilweise bereits in dem Sammelband von Henkelmann/Priesching, Widerstand als Forstner, Erscheinungsformen, publiziert. 2 Einen Überblick über Widerstandsmodelle liefern Klessmann, Widerstand und Becker, Begriffe und Erscheinungsformen, 18–22. 3 Vgl. Wolf, Ernst, Motive. Dieses vierstufige System wurde von Ger van Roon, Widerstand, 100 für die Kirchen (vor allem die evangelische Kirche) adaptiert: 1. Abwehr staatlicher Übergriffe, 2. Eintreten für die freie Verkündigung des Evangeliums, 3. Widerstehen aufgrund des »Wächteramtes« der Kirche und 4. ein sich auf die politische Ebene erstreckender Widerstand aus christlicher Mitverantwortung. 4 van Roon, Widerstand, 121. 5 Ebenda. 6 Vgl. hierzu Paul, Gerhard, Milieu, 25–152. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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differenziert erscheint,7 fällt auf, dass das hier entwickelte Koordinatensystem von den Motiven der Handelnden absieht, es setzt vielmehr eine antinationalsozialistische Grundhaltung von Katholiken als gegeben voraus und bewertet die Handlungen dementsprechend. Ob eine bestimmte Haltung oder Handlung eine Ausdrucksform des Widerstandes ist, gilt es aber jeweils erst nachzuweisen. Eine oppositionelle Handlung setzt eine bewusste Auseinandersetzung mit der weltanschaulichen und politischen Programmatik des Nationalsozialismus bzw. dem Handeln seiner Repräsentanten voraus.8 Problematisch erscheint zudem die Verwendung des Begriffs des Widerstands für alle vier Stufen nicht angepassten Verhaltens. Rainer Bucher spricht deshalb meines Erachtens zu Recht von einem »entgrenzten Widerstandsbegriff«, der diesem Modell zugrunde liege.9 Auch sind starke Zweifel angebracht, ob eine wie auch immer geartete ideologische Nichtanpassung mit dem Begriff des Widerstands tatsächlich optimal charakterisiert ist und ob mithin die in diesem Modell entwickelten ersten beiden Stufen, die im Regelfall durchaus eine partielle Zustimmung zum Regime einschlossen, tatsächlich als Widerstand im eigentlichen Sinn bezeichnet werden können. Es kann keinesfalls als zutreffend betrachtet werden, dass gemessen an dem politischen Ziel der totalen Normierung aller Volksgenossen jede Form von Abweichung an sich schon ein widerständiges Handeln bedeutet. Eine solche Annahme totalitärer Normierung setzt den ideologisch hundertprozentigen Musternationalsozialisten, der mit allen Maßnahmen des Regimes vollkommen konform ging, als Folie voraus von der es sich abzuheben galt. Bereits Martin Broszat konnte als Ergebnis seines Forschungsprojekts Widerstand und Verfolgung in Bayern und der damit verbundenen Untersuchung der Konfliktzonen des Dritten Reichs jedoch zeigen, »dass Teilopposition, ihre Verbindung mit zeitweiliger oder partieller Regime-Bejahung, dass das Neben- und Miteinander von Nonkonformität und Konformität die Regel darstellten.«10 Es ist unbestreitbarer Verdienst dieses Forschungsprojekts der 1970er Jahre,  7 Diese entwickelten ein vierstufiges System des Widerstands, wobei der Widerstandsbegriff in einem weiteren Sinn alle vier Teilphänomene, in einem enger umgrenzten Sinn speziell die vierte Stufe der politisch motivierten Gegnerschaft bezeichnete: Punktuelle Unzufriedenheit als erste Stufe, Nicht-Anpassung und Selbstbewahrung als zweite, Protest als dritte und schließlich einen aktiven, auf den Umsturz des Systems gerichteten Widerstand im engeren Sinn als vierte Stufe. Betont wurde ferner, dass die Stufen eins bis drei sich jeweils nur auf Teilbereiche des Herrschaftssystems bezogen und nur die vierte Stufe gegen das NS-Herrschaftssystem in toto gerichtet war; vgl. Gotto/Hockerts/Repgen, Herausforderung, 103 f.  8 Vgl. Rauh-Kühne, Anpassung und Widerstand, 148 f.  9 Bucher, Kirchenbildung, 212. Dieser führt ferner aus, dass die unleugbare Fähigkeit der katholischen Kirche, die Nazifizierung ihrer eigenen Struktur weitgehend verhindert zu haben, »unter einem Resistenz- oder Immunitätsbegriff gefasst [werde], den man nicht versäumt, semantisch zum Widerstand aufzuwerten.« (ebenda, 214). 10 Broszat, Resistenz und Widerstand, 699. Durchaus berechtigt erscheint im Hinblick auf die Verwendung der respektablen Ergebnisses des Projekts die Kritik von Walter Ziegler in: Schmid, Handbuch, Bd. 1, 577, das erweiterte Widerstandsbild habe eine »uferlose Ausweitung des Begriffs von Widerstand mit sich [gebracht] und sah vor allem von Wertvorstellungen ab, setzte damit Extreme wie Widerstand aus höchster sittlicher Verantwortung und allgemeine Meckerei strukturell gleich.« © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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die ideologischen Freiräume und Nischen aufgezeigt zu haben, die das gesellschaftliche Leben jenseits der totalitären Utopie auszeichneten.11 Zwar zielte der Nationalsozialismus von seiner Grundausrichtung her »auf ganzheitliche Erfassung des Menschen und die Auswechslung seiner Glaubens- und Lebensinhalte«12 er erreichte dieses Ziel einerseits jedoch nie in der vom Regime gewünschten Totalität, andererseits erreichte er die Bereitschaft zum Mittun bekanntlich nicht nur durch Zwang, sondern auch und in nicht unerheblichem Umfang durch die zumindest partielle Zustimmung breiter Schichten der Bevölkerung, darunter auch Katholiken, zu seinen politischen Zielen.13 Frank Bajohr prägte hierfür den Begriff der Zustimmungsdiktatur, der deutlich macht, inwiefern das NS-Regime keineswegs von einer in den privaten Rückzugsraum flüchtenden, weitgehend resistenten Bevölkerung lediglich formal unterstützt worden sei. Vielmehr habe sich nach 1933 schrittweise eine Zustimmungsdiktatur entwickelt, die sowohl auf diktatorische Elemente wie auch auf einen bis 1940 stets wachsenden gesellschaftlichen Konsens aufbauen konnte.14 Mithin können in einer Perspektive, wie sie Detlev Peukert15 oder Cornelia Rauh-Kühne16 im Hinblick auf die Frage nach der herrschaftsstabilisierenden oder -dynamisierenden Funktion alltäglichen Verhaltens eingenommen haben, die Katholiken auch nicht mehr in einer derart hermetisch für sich abgeschotteten Welt (Milieu) erscheinen. Vielmehr passten sich auch viele Katholiken durchaus nationalsozialistischen Verhaltensstandards an, auch sie wurden Opfer ideologischer Vereinnahmung und propagandistischer Desorientierung. Cornelia Rauh-Kühne formulierte treffend: Aus der Nahoptik fällt nicht nur die bemerkenswerte Anpassungsbereitschaft vieler Katholiken in der Frühphase der NS-Herrschaft ins Auge, es wird aus dieser Perspektive auch erkennbar, dass die voranschreitende Vereinnahmung der deutschen Öffentlichkeit als Reaktion auf die wirtschaftlichen, sozialen und außenpolitischen ›Erfolge‹ nationalsozialistischer Vgl. zur grundsätzlichen Kritik am Resistenzbegriff auch Mallmann/Paul, Resistenz oder loyale Widerwilligkeit. 11 Hingegen gehörte es zu den Defiziten des Projekts, zu wenig auf die Herrschaftspraxis des Nationalsozialismus geblickt zu haben und zum Beispiel nicht die Frage zu stellen, ob die tatsächlichen Auswirkungen des Regimes, die Dynamik seiner Radikalisierung in katholischen Regionen gemäßigter ausfielen, als in Gegenden, die der NS-Ideologie weniger ideologisches Beharrungsvermögen entgegenzusetzen vermochten; vgl. hierzu Kershaw, Popular opinion, der dies im Grundsatz bejaht. 12 Becker, Begriffe und Erscheinungsformen, 15. 13 Leugers, Jesuiten, hat mit ihrer bereits im vorherigen Kapitel aufgegriffenen, empirisch ausgreifenden Untersuchung der Feldpostbriefe von Jesuiten in der Wehrmacht eindrucksvoll aufgezeigt, wie sich selbst bei einer solchen, ideologisch streng auf das katholische Weltbild ausgerichteten Gruppe, unter den Bedingungen des Krieges schließlich eine Legitimation und positive Sinnstrategie für das Mittun in Hitlers Krieg entwickelte. 14 Vgl. Bajohr, Zustimmungsdiktatur, 121. 15 Vgl. Peukert, Volksgenossen und Gemeinschaftsfremde. 16 Vgl. Rauh-Kühne, Anpassung und Widerstand. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Politik auch vor den kirchentreuen Katholiken nicht haltmachte. […] Vor allem sticht die frappierende Reibungslosigkeit hervor, mit der auch im unmittelbaren Erfahrungshorizont einer kirchentreuen katholischen Bevölkerung die Entrechtung politisch und rassisch Verfolgter vonstattenging, solange die von Terror und Diskriminierung Betroffenen außerhalb ihres Milieus standen.17

Es ist nicht ernsthaft möglich, bereits aus der Tatsache einer formell bestehenden konfessionellen Bindung und dem Festhalten an kirchlichen Ritualen Rückschlüsse auf das politische Verhalten von Individuen zu ziehen. Der Widerstandsbegriff greift – ebenso wie der Gegenbegriff der Kollaboration – zu hoch, beide Begriffe werden im Regelfall den alltäglichen Phänomenen nicht gerecht.18 Fraglich erscheinen mithin auch Deutungen wie jene von Heinz Hürten, der spätestens dann im Kirchgang von Katholiken eine Form des Widerstandes erkennen wollte, als Kirchenbesuch unter Umständen von den Sicherheitskräften beobachtet wurde.19 Vielmehr werden bei einer solchen Interpretation die Intention der Handelnden und die Wahrnehmung durch Dritte in eins gesetzt. Eine Orientierung an kirchlichen Werten und der Vollzug kirchlicher Normen konnten vom Regime als Form von nicht systemkonformem Handeln qualifiziert werden und insofern gewisse Risiken bergen.20 Gerade die Sicherheitsorgane, die beständig bestrebt waren ihre eigene Tätigkeit zu legitimieren, waren geneigt, jede Form katholischer Lebensäußerung als systemkritisch zu qualifizieren. In den entsprechenden Berichten finden sich zahllose Beispiele hierfür.21 Ob eine von 17 Rauh-Kühne, Anpassung und Widerstand, 154 f. 18 Diese zwiespältige Haltung wurde durchaus auch aus der zeitgenössischen Fernperspektive wahrgenommen: »Die Schar der aufrechten Christen ist klein und nur wenige sind bereit, für ihren Glauben einzustehen. Die große Masse der Lippenchristen nimmt eine zwiespältige Haltung ein …«, überliefert die Exil-SPD (Sopade) im August 1937 aus Bayern. »Solange sie unter sich mit Worten für die Kirche eintreten können, tun sie es begeistert, aber zu mehr reicht es nicht«, resümiert der entsprechende Bericht; Behnken, Sopade, Bd. 4, 1937, 1171. 19 Statt hierin eine »Demonstration der Nichtanpassung« (vgl. Hürten, Deutsche Katholiken, 531) erkennen zu wollen, hätte Hürten die Frage stellen müssen, warum Katholiken eigentlich in die Kirche gehen. Um gegen ein Regime zu protestieren, das sie angeblich – denn dies bleibt nur im quellenmäßig belegbaren Einzelfall nicht spekulativ – ablehnten, oder weil sie dort einerseits Trost und Stärkung für ihren Lebensvollzug erfuhren und andererseits im Falle eines Wegbleibens wegen der Nichterfüllung ihrer Sonntagspflicht um ihr Seelenheil fürchten müssen, was für einen gläubigen Katholiken wesentlich gravierender ist als Bespitzelung durch die Gestapo? 20 In diesem Zusammenhang bemerkte Breuer, Thomas, Widerstand oder Milieubehauptung, 225 treffend, dass auch in der Diktatur ein mit Risiken verbundenes Handeln allein noch keinen Widerstandcharakter in sich berge. Auch der Bauer, der sein Vieh während des Krieges schwarz schlachtete, ging erhebliche Risiken ein – Widerstandsqualität wird man seinem Handeln aber wohl kaum zubilligen wollen, so Breuer. 21 Vgl. v. a. Boberach, Berichte des SD und der Gestapo; Witetschek, Regierungspräsidentenberichte Oberbayern; Ziegler, Walter, Regierungspräsidentenberichte Niederbayern und Oberpfalz. Burkard, Pius XII., 25, hat mit Recht auf die regimeinterne Legitimationsfunktion von Berichten der Sicherheitsorgane über die Lage der Kirchen hingewiesen, die im Sinne einer Quellenkritik mit bedacht werden müssen. Die Sicherheitsorgane hatten ein veritables Interesse © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Dritten als systemkritisch bewertete Handlung aber tatsächlich als solche intendiert war, steht hier ebenso außer Acht, wie die Frage, ob der potentielle Aktionsradius der Handelnden mit dieser Handlung tatsächlich schon ausgeschöpft war. Diese Lebensäußerungen waren von katholischer Seite her nicht grundsätzlich intentional als Widerstand und auch nicht als ideologische Nichtanpassung konzipiert. Sie ergaben sich schlichtweg aus dem gewohnheitsmäßigen Lebensvollzug und dem Festhalten am Herkömmlichen. Eine Widerstandshandlung ist im Vollzug einer religiösen Haltung erst dann zu erblicken, wenn sie intentional gegen das Regime gerichtet ist oder gegen die Gewohnheit geübt wird.22 Noch weniger wird man aufgrund der vorangegangenen Überlegungen folglich einer Widerstandkonzeption wie derjenigen von Winfried Becker folgen wollen, die in Anlehnung an die ältere Forschung in der (angeblichen) Passivität von Katholiken selbst schon eine Stufe des Widerstands erkennen wollte und damit die Verantwortung für die Inhumanität des nationalsozialistischen Unrechtsstaates auf eine wie auch immer zu definierende, abgehobene Herrschaftselite abschiebt.23 Welche Maßstäbe müssen beim katholischen Klerus Anwendung finden? Der Vollzug seelsorglicher Handlungen, das Abhalten von Prozessionen und Umzügen, die Werbung für kirchliche Vereine, die Predigt, das Verlesen von Hirtenbriefen und Rundschreiben gehörten zu den Kernaufgaben des Klerus, zu seinen beruflichen und standesbedingten Pflichten. Als Widerstandshandeln kann man dieses Verhalten nicht klassifizieren, auch wenn es für den einzelnen Geistlichen durchaus unliebsame Folgen von staatlicher Seite nach sich ziehen konnte.24 Von den Nationalsozialisten konnte die Kirchen auch in internen Berichten zum Regimegegner per se zu stilisieren, um Argumente gegen jene Kräfte der NS-Bewegung zu finden, die für einen eher zurückhaltenden Umgang mit den Kirchen plädierten. Auch Breuer, Thomas, Widerstand oder Milieubehauptung, 225, wies auf die »abstruse Logik« des NS-Überwachungsapparats hin, der bereits in Weihnachtsfeiern eine »Finte des politischen Katholizismus« erblickte. Diese Quellen sind naturgemäß kritisch zu würdigen. 22 Ein Beispiel für letzteres findet sich in der Marktgemeinde Fürstenfeldbruck, in der ein abseits der Kirche stehender Kommunist die demonstrativ und in völlig überzogener Weise durchgeführte Schmückung seines Hauses anlässlich der – polizeilich von den Hauptstraßen verdrängten – Fronleichnamsprozession, explizit als antinationalsozialistische Äußerung verstand. Hier wurde von einem außerhalb der katholischen Diskurse Stehenden der Mitvollzug einer kirchlichen Handlung als bewusste Form des Protestes gegen das Regime gewählt; vgl. Forstner, Fürstenfeldbruck, 241. 23 So Becker, Begriffe und Erscheinungsformen, 16. Wobei hier die Frage, ob sich die Katholiken tatsächlich so »passiv« verhielten, wie Becker postuliert, noch gar nicht berührt ist. Becker stützt sich vor allem auf Hans Rothfels, dessen Widerstandkonzeption bereits in den 1940er Jahren entstand und der vor allem der gegen die nationalkonservativen Milieus gerichteten Kollektivschuldthese entgegentreten wollte, wobei er diesen Milieus selbst angehörte; vgl. zu Rothfels und der mit seiner Person verknüpften Problematik: Neugebauer, Rothfels (mit weiterführender Literatur); vgl. zur Kritik am Konzept Beckers auch Ziemann, Katholizismus, 415. 24 Eine Ausnahme bildete der Aufbau von illegalen, da staatlicherseits verbotenen, Seelsorgestrukturen, für deren Errichtung keine oberhirtliche Weisung vorlag. Dies trifft auf Teile der KZ- und Lagerseelsorge oder auf Seelsorge in den besetzten Gebieten zu. So berichtete der Wehrkreispfarrer Stefan Gmeiner über die Zivilseelsorge in Teilen Polens, diese habe zu jenem Zeitpunkt (Januar 1944) © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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bereits die bloße Abhaltung eines Gottesdienstes am Vorabend des »Führergeburtstages« als Provokation empfunden werden, selbst wenn nicht einmal am Inhalt der Predigt Anstoß genommen wurde.25 Freilich soll nicht unterschätzt werden, dass die oberhirtliche Forderung nach strikter Durchführung der dienstlichen Anweisungen den einzelnen Geistlichen mitunter in schwere Gewissensnöte bringen konnte, welcher Obrigkeit nun mehr zu gehorchen war, der staatlichen oder der kirchlichen.26 Zudem steht zu vermuten, dass auch innerhalb des Klerus ein gewisser Gruppendruck entstand, sich dem Handeln der Mehrheit anzuschließen.27 Obwohl die Verlesung der Hirtenbriefe in der Mehrzahl der Fälle folgenlos blieb, konnte die Ausführung einer oberhirtlichen Anordnung nicht nur zu Einschüchterung, sondern auch unmittelbar zur Bestrafung führen.28

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ein »kaum lösbares Problem« dargestellt, da durch die Partei jeder Versuch einer seelsorglichen Regelung sabotiert wurde. Gmeiner kam zu dem Schluss: »Vom Gewissensstandpunkt aus war ich entgegen der bestehenden Bestimmungen zur Selbsthilfe durch Einrichtung einer illegalen Seelsorge gezwungen.« Vgl. AEM, Nationalsozialistische Verfolgung katholischer Geistlicher, Fragebogen A, Stefan Gmeiner, Beilage. Vgl. AEM, Nationalsozialistische Verfolgung katholischer Geistlicher, Fragebogen A, Anton Haas, Beilage (29. 08. 1946). Haas berichtete über ein Ereignis während seiner Tätigkeit als Lazarettpfarrer in Berchtesgaden. Der inkriminierte Gottesdienst fand am 19. 04. 1944 statt: »Der Inhalt der Anklage richtete sich nicht gegen die Form des Gottesdienstes (Gemeinschaftsmesse) und auch nicht gegen den Inhalt meiner Ansprache, wie festgestellt ist, sondern gegen die Tatsache des Gottesdienstes und gegen meine Person. Sie hatte insbesondere folgende Punkte erwähnt: a. Es ist ein Vergehen, dass in dem Krankenhaus, das vom Führer mit allen Mitteln unterstützt und als nationalsozialistische Institution erbaut worden, ein katholischer Geistlicher einen Gottesdienst hält. b. Es ist ein besonderes Vergehen, dass noch dazu dieser Gottesdienst am Vorabend des Führergeburtstages stattfindet. c. Es gehört zu den Machtansprüchen der Kirche, die dieser ›Kaplan‹ vertritt, dass es hierbei zu einer Massenansammlung gekommen ist.« So wurde etwa in der Münchener Ordinariatssitzung mit Befremden aufgenommen, dass sechs Geistliche die Enzyklika Mit brennender Sorge nicht wie vorgeschrieben verlesen, sondern die Verlesung verlegt hätten. Generalvikar Buchwieser forderte bei der nächsten Dekanatskonferenz die »Einschärfung der strikten Durchführung von Anordnungen des Oberhirten«; vgl. AEM, Ordinariatssitzungsprotokoll vom 09. 04. 1937. So wurde in zahlreichen Fällen den Geistlichen bereits im Vorfeld ihre Verhaftung für den Fall der Verlesung eines Hirtenbriefs angedroht. Ein Geistlicher aus dem Raum Wasserburg erinnerte sich, dass sich sämtlich Pfarrer des Bezirks, mit einer Ausnahme, dennoch nicht an das Verbot hielten und den Hirtenbrief verlasen: »Nur Pfarrer Schwaiger ließ sich einschüchtern und verlas ihn nicht. Er schämte sich dann sehr und verlas ihn 8 Tage später«; vgl. AEM, Priesterpersonalakten P III 1643, Murschhauser an Buchwieser vom 06. 06. 1946. Wie sich aus dem Kontext ergibt, handelte es sich vermutlich um das Hirtenwort des bayerischen Episkopats gegen den Abbau der klösterlichen Lehrkräfte vom 21. 06. 1936. Ein Beispiel hierfür ist der Streit um die Beflaggung von Kirchen. Im Januar 1935 hatte die Münchener Ordinariatsleitung festgelegt: »Pfarrhöfe sind Gebäude öffentlicher Rechtskörperschaften und sind nach den staatlichen Vorschriften zu beflaggen. Kirchen werden nur aus kirchlichem Anlass und in kirchlichen Farben beflaggt.« Vgl. AEM, Ordinariatssitzungsprotokoll vom 30. 01. 1935. Kurz darauf erließ der Staat entgegenstehende Bestimmungen, die auch eine Beflaggung von Kirchen an bestimmten staatlichen Gedenk- und Feiertagen vorsahen; vgl. Anordnungen des Reichsministeriums des Innern vom 08.06., 04.10., 31.10. und 03. 12. 1935, hier zitiert nach © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Trotz der Verfahren und Strafmaßnahmen gegen Geistliche, wird man die genannten Phänomene priesterlicher Pflicht- und Aufgabenerfüllung, solange sie sich im Rahmen des Ihnen durch den priesterlichen Stand auferlegten Pflichtenkanons und entsprechender oberhirtlicher Weisungen bewegten, jedoch kaum unter dem Begriff des Widerstands subsumieren können. Ein anders geartetes Handeln der Geistlichen in diesen Fällen wäre wiederum ein schwerer Verstoß gegen die innerkirchlich gebotene Obedienz, den kanonisch geforderten Gehorsam des Klerikers gegenüber seinem Oberhirten gewesen. Dennoch verlangen auch diese Phänomene einer Einordnung. Es dürfte einsichtig erscheinen, dass es kaum angemessen sein kann, für die Erfüllung der von den Kirchengesetzen gebotenen Pflichten denselben Widerstandbegriff zu verwenden, wie für die Beteiligung an einer Verschwörung, welche die Beseitigung Hitlers beabsichtigte. Insofern trifft Georg Denzlers Feststellung zu, dass Widerstand nicht das richtige Wort29 sei, für die Beschreibung des Gesamtrepertoires an Verhaltensformen von Klerikern, die in ganz verschiedener Weise Konflikte mit dem Nationalsozialismus hervorriefen. Noch bevor ein näherer Blick auf die Ursachen, Formen und die Reichweite der Auseinandersetzungen zwischen NSRegime und Klerus geworfen werden kann, gilt es zunächst ein geeignetes Repertoire an Begriffen zu entwerfen, dass es erlaubt die vorgefundenen Phänomene angemessen zu klassifizieren.

der Zusammenstellung »Beachtenswertes aus staatlichen Gesetzen und Verordnungen« vom 01. 06. 1938, hier 27 f. in: AEM, NL Neuhäusler 116. Diese Bestimmungen sahen vor, dass bei öffentlich angeordneter Beflaggung auch die Kirchengebäude mit der Reichsflagge zu beflaggen seien. Als regelmäßige Beflaggungstage waren vorgesehen der Neujahrstag, der Reichsgründungstag (18.01.), der »Tag der Nationalen Erhebung« (30.01.), der Heldengedenktag (5. Sonntag vor Ostern), der »Geburtstag des Führers« (20.04.), der 1. Mai und der Erntedanktag. An diesen Tagen durfte die Kirchenflagge (weiß-gelb) nicht gezeigt werden, diese war rein kirchlichen Feiertagen vorbehalten. Die Verbindlichkeit der neuen Regelungen wurde kirchlicherseits aber nicht mehr rechtzeitig kommuniziert. Gegen einige Geistliche, die daraufhin der oberhirtlichen Anordnung Folge leisteten und Kirchen nicht entsprechend der staatlichen Vorschriften beflaggten, kam es in der Folge zu Strafanträgen; vgl. AEM, Ordinariatssitzungsprotokolle vom 15. und 22. 11. 1935. Schließlich schwenkte man kirchlicherseits auf die neuen staatlichen Anordnungen ein. Im Flaggenstreit, der mitunter groteske Formen annahm, wird zudem der verbissene Konkurrenzkampf um die Symbolhoheit deutlich. So kam es zu Streitereien, wegen zu kleiner (winzige Flagge in 40 Meter Höhe), auf der falschen (schlecht einsehbaren) Seite des Kirchturms oder gemeinsam mit der weiß-gelben Kirchenfahne gehisster Flaggen; vgl. Guttmann, Giesing, 137; AEM, Nationalsozialistische Verfolgung katholischer Geistlicher, Fragebogen A, Johannes Seitz; Paul Weinberger. Das RMfkA veröffentlichte schließlich am 17. 08. 1936 einen Erlass, der bestimmte, dass die Größe der zu hissenden Fahne in einem angemessenen Verhältnis zur Höhe und Größe des beflaggten Gebäudes stehen muss; vgl. BA R 5101/22238, Bezirksamt Ludwigshafen an Pfarramt Rheingönheim vom 29. 10. 1936. 29 So der Titel seiner Publikation: Denzler, Widerstand. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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8.2 Begriffsklärungen: Abstand, Selbstbehauptung und Widerstand Im Wesentlichen erscheinen mir drei Begriffe geeignet, um die Distanzsituation von Klerikern zu Ideologie und Exponenten der NS-Herrschaft zu charakterisieren: Abstand, Selbstbehauptung und Widerstand. Diese drei Begriffe sollen helfen, zwischen den vielfältigen Äußerungen nonkonformen Verhaltens, der Beharrungskraft traditioneller Milieus gegenüber dem nationalsozialistischen Druck und weitergehenden Widerstands- und Verweigerungsmechanismen zu unterscheiden. Der Begriff des »Abstandes« wurde 2008 von Konrad Repgen zur Charakterisierung der verschiedenen Phänomene der ideologischen Nichtanpassung vorgeschlagen, wenn auch nicht in besonderer Weise mit Bezug auf den Klerus.30 Er charakterisiert das Selbstverständnis von Kirchenvolk und Kirchenführung, dass die Kirche sich mit ihren Normen und Entscheidungen nicht dem Diktat Hitlers unterwerfen dürfe, sondern Abstand zu halten habe. Ein solcher Abstand konnte – je nachdem – groß oder klein werden und sein: er blieb stets etwas vom System des ›Dritten Reichs‹ her Unverfügbares31,

so Repgen. Der Begriff des Abstands lässt sich meines Erachtens gut auf die Situation des Klerus applizieren,32 er bezeichnet gewissermaßen die grundsätzliche Disposition des Priesterstandes in Bezug auf den Nationalsozialismus. Insofern bringt der Abstandsbegriff vor allem eine Potentialität zum Ausdruck. Die katholische Grunddisposition bewirkte nicht ohne weiteres Widerstand im engeren Sinn, »wohl aber einen Abstand, aus dem Verhaltensweisen der Verweigerung, des Protestes und des aktiven Widerstands erwachsen konnten«, so formuliert in diesem Zusammenhang Hans Günter Hockerts.33 Widerstand und Selbstbehauptung setzen also zwangsläufig immer einen mehr oder weniger großen Abstand voraus. Insofern ergibt sich das, was als Abstand zu qualifizieren ist, ohne gleichzeitig Widerstand oder Selbstbehauptung zu sein, aus einer Abgrenzung zu diesen beiden im folgenden noch näher zu bestimmenden Phänomenen. Die Begrifflichkeit des Abstands führt die Mehrzahl der Phänomene der ideologischen Nichtanpassung auf einen realistischer anmutenden 30 Vgl. Repgen, Widerstand oder Abstand. Obwohl Repgen den Begriff explizit für die Charakterisierung der Haltung von Katholiken verwendet, ließe er sich auch auf andere gesellschaftliche Gruppen mit einer gewissen antinationalsozialistischen Grundhaltung, etwa Kommunisten, anwenden. 31 Repgen, Widerstand oder Abstand, 557. 32 Hingegen erscheint der von Heinz Hürten vorgeschlagene Begriff des »Zeugnisses« (vgl. Hürten, Zeugnis und Widerstand) im Hinblick auf die historische Forschung wenig brauchbar, zumal er bereits semantisch eine Intention – nämlich die des Zeugnis Ablegens – unterstellt, die nur bei einigen Einzelpersonen überhaupt fraglos angenommen werden kann. Zur deutlichen Kritik an Hürtens Zeugnis-Begriff aus theologischer Sicht siehe Bucher, Kirchenbildung, 210 Anm. 488. 33 Zit nach Repgen, Widerstand oder Abstand, 558. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Kern zurück, als der zu weit gefasste und methodisch hierfür ungeeignete allgemeine Widerstandsbegriff. Die Art und Weise, in der dieser Abstand sichtbar wurde, konnte sehr unterschiedliche Ausprägungen annehmen. Einige erschienen sehr subtil, wie etwa Primizbildchen mit der Darstellung des Hl. Thomas Morus, die von den Geistlichen als Kritik an der ungerechten Verurteilung von Standesangehörigen durch den Staat verstanden wurden,34 andere eher ungelenk und grob wie jene Äußerungen eines Priesters, der am Wirtshaustisch den Münchener Ratsherren Christian Weber als »ein stets besoffenes Schwein« titulierte, der ebenso wie Gauleiter Wagner vielfach betrunken sei und darüber hinaus »in Nymphenburg diese schweinischen Amazonennächte inszeniere.«35 Auch letzterem wird man aufgrund dieser Äußerungen, die ihm eine sechsmonatige Gefängnishaft einbrachten, zwar einen gewissen Abstand zum NS-Regime zubilligen können, als politischen Widerstand wird man diese Stammtischtiraden kaum bezeichnen können. Ebenso wenig ist eine Widerstandshandlung zu sehen, wenn ein Geistlicher während einer aus Anlass des Abbaus der klösterlichen Lehrkräfte gehaltenen Stillen Messe plötzlich zu weinen begann, woraufhin die Kirchgänger ebenfalls in Tränen ausbrachen, wie die Gestapo in ihren Berichten unruhig vermerkte.36 Dennoch wurde durch diesen – vermutlich nicht generalstabsmäßig geplanten – Gefühlsausbruch der Abstand deutlich. Den Geistlichen berührte diese Maßnahme stark und er lehnte sie ab. Zwei Punkte sind im Hinblick auf den Abstandsbegriff ergänzend beziehungsweise einschränkend anzumerken. Zum ersten ist der Abstand des Klerus nicht nur ein Abstand vom Nationalsozialismus, sondern auch ein Abstand von den Phänomenen der modernen Welt an sich, ein Abstand vom Zeitgeist. Dieser, durch die innere Struktur der Kirche und ihres Klerus begünstige Abstand, resultierte vorwiegend aus den besonderen Bedingungen der Sozialisation und weltanschaulichen Prägung des Klerikerstandes. Das in der Vormoderne wurzelnde Konzept der Wahrnehmung von Welt führte beim Klerus im 19. und 20. Jahrhundert zu einer vom jeweiligen gesellschaftlichen Hauptdiskurs abweichenden, zumeist negativen Bewertung der 34 Dieser, ehemaliger Lordkanzler des Königs Heinrich VIII. von England, war bekanntlich 1535 hingerichtet worden, weil er seinem König einen Eid verweigerte, der ihn in Widerspruch zum Papst gebracht hätte. Er wurde 1886 selig und 1935 heilig gesprochen. Nach Haunerland, Primiz, 432, wurden Darstellung des Hl. Thomas Morus in der NS-Zeit von den Verbreitenden als politisches Statement interpretiert. Inwiefern dies rezipiert wurde, bleibt unklar. 35 Vgl. AEM, Nationalsozialistische Verfolgung katholischer Geistlicher, Fragebogen A, Johann Baptist Heldwein, Beilage 9. Christian Weber, geb. 1883, gehörte der NSDAP seit 1921 an und zählte anfangs zum engsten Führungskreis um Hitler. Seit 1926 vertrat er die NSDAP im Münchener Stadtrat, seit 1933 saß er deren Fraktion dort vor und war zugleich Präsident des Kreistags von Oberbayern. Im Schlosspark Nymphenburg ließ der Pferdenarr bizarre operettenhafte Reiterspiele mit halbnackten Frauen inszenieren, die seinen Ruf als Lebemann festigten. Wegen seines gewalttätigen und rüpelhaften Auftretens, seines exzessiven Lebenswandels und ungehemmter persönlicher Bereicherung war Weber auch in den eigenen Kreisen umstritten; vgl. zu ihm Martin, Aspekte. 36 Vgl. Schäffer, Gleichschaltung der Volksschule, 200. Es handelte sich um Pfarrer Josef Seidenberger von Hohenkammer. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Phänomene der Moderne und damit verbunden zu einer oppositionellen Grundhaltung gegenüber ihren ambivalenten Erscheinungen. Die binnenkirchliche Homogenisierung und Weltabstinenz erzeugten eine Abwehrhaltung gegenüber den verschiedensten Ausfaltungen der Moderne, darunter auch gegen den Nationalsozialismus. Zum zweiten ist dieser Abstand von den Phänomenen nie ein absoluter, sondern ein relativer. Bei aller grundsätzlichen Ablehnung der nationalsozialistischen Weltanschauung lassen sich immer wieder Elemente einer Affinität zwischen beiden weltanschaulichen Konzeptionen finden: Sei es der Kampf gegen »Schmutz und Schund«37, gegen die Nacktkulturbewegung,38 gegen Antikonzeptionsmittel und Abtreibung,39 oder gegen die Homosexualität,40 aber auch der radikale Antibolschewismus, oder auch die – bei allen Unterschieden – ablehnende Haltung gegenüber den Juden, sei sie nun kulturell oder rassisch begründet.41 Maßnahmen des NS-Regimes stießen bei der Kirchenführung mithin nicht immer auf Ablehnung. Begrüßt wurden sie 37 Das bereits in der Weimarer Republik erlassene Gesetz zur Bewahrung der Jugend vor Schund- und Schmutzschriften vom 18. 12. 1926, RGBl. I, 505, war ein Jugendschutzgesetz und zielte auf das Verbot des Vertriebs entsprechender Schriften (v. a. Erotika) an Minderjährige. Es wurde im Frühjahr 1935 aufgehoben, da es aufgrund der umfassenden Zensur aller Schriften im Dritten Reich überflüssig geworden war; vgl. zur katholischen Sichtweise: AEM, NL Thalhamer, Stw. Sittlichkeit, Zusammenstellung der strafrechtlichen Bestimmungen zum Schutz der öffentlichen Sittlichkeit, 3–5. 38 Ebenda, 5–7. 39 Ebenda, 13–17. 40 Ebenda, 9–13, vgl. etwa auch Breuer, Thomas, Wandel, 292. 41 Vgl. hierzu etwa den von Michael Buchberger entworfenen Hirtenbrief des bayerischen Episkopats vom 05. 05. 1933 (Stasiewski, Akten deutscher Bischöfe, Bd. 1, 126–132), der infolge Abstimmungsschwierigkeiten mit der Deutschen Bischofskonferenz zwar nicht verlesen wurde, aber in den Amtsblättern und in der Zeitschrift Germania erschien und den Boykott jüdischer Geschäfte, Praxen etc. vom 01. 04. 1933 rechtfertigte, indem er feststellte, die Regierung könne »nicht tatenlos zusehen, wenn einige wenige wirtschaftlich starke Kräfte immer weiter Wirtschaft und Handel fast für sich allein in Beschlag nehmen und die Schwächeren vollständig erdrücken. Es ist durchaus im Sinne des Wirtschaftsprogramms unseres Hl. Vaters, wenn die Staatsregierung die Volksgemeinschaft vor völliger Vermachtung durch einzelne Kreise schützt, und wenn sie auch die Handhabung des Rechts auf Sondereigentum abstimmt auf die Erfordernisse des Gemeinwohls.« Zu antijüdischen Stereotypen ist es auch zu rechnen, wenn ein Kleriker im Rahmen der Fragebogenaktion 1946 hinsichtlich eines Denunzianten bemerkte, dieser sei »arisch nicht ganz einwandfrei«; vgl. AEM, Nationalsozialistische Verfolgung katholischer Geistlicher, Fragebogen A, Johann B. Heldwein, Beilage 2. Die – teilweise unbedacht erscheinende – Übernahme rassistischer Ideologeme findet sich in den Quellen ebenso wie eine erstaunlich mitleidlose Haltung gegenüber den Opfern des NS-Regimes, etwa wenn in einem Seelsorgebericht der Nachkriegszeit über »staatenlose KZ.Juden« im Gemeindegebiet ausgeführt wird, diese bedeuteten eine »schwere Belastung der gemeindlichen Finanzen …«. Im Gegenzug klagte derselbe Geistliche über die Entnazifizierung, nicht ohne zu bemerken, dass es ihm gelungen sei »verschiedene Härten und Ungerechtigkeiten beseitigen zu helfen …« Vgl. AEM, Seelsorgeberichte, Dekanat Baumburg, Neujahrsbericht der Pfarrei Engelsberg für das Jahr 1946. Das Fremde, außerhalb der eigenen Lebenswelt Liegende, erschien als das Bedrohliche. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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vor allem dann, wenn sie den liberal-libertinären Zeitströmungen entgegenwirkten, die man als schädlich beurteilte. Als Faulhaber im Frühjahr 1934 erfuhr, dass das Reichsministerium des Innern ein »Verbot der Nacktkultur« vorbereite, beauftragte er das Consilium a vigilantia, geeignetes Material zu sammeln, »um auch gegen die öffentlichen Badeunsitten ein Einschreiten herbeizuführen.«42 Eigentümlicherweise vertrat Faulhaber auch auf dem Gebiet der Eugenik eine zumindest teilweise mit der NS-Ideologie konforme Sichtweise. Zwar lehnte er Maßnahmen zur Zwangssterilisierung, wie sie aufgrund des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses vom 14. 07. 1934 durchgeführt wurden, scharf ab, sprach sich aber andererseits durchaus dafür aus, Erbkranke als »Schädlinge der Volksgemeinschaft« in Schutzhaftlagern zu internieren.43 Im Hintergrund dieser ideologieübergreifenden Ablehnung des Abweichenden steht zweifellos die grundsätzliche Neigung autoritärer Systeme, Differenz als Störung zu empfinden. Als zweiter Begriff und weitere Stufe zur Charakterisierung des Differenzverhältnisses von Klerus und Nationalsozialismus erscheint der Begriff der Selbstbehauptung geeignet. Im Gegensatz zum Begriff des Abstands, der eine mehr oder weniger partielle weltanschauliche Differenz bezeichnet, die aber kein aktives Handeln erfordert, fordert die Selbstbehauptung aktives Engagement, gewissermaßen im Vollzug des Abstands. Doch ist die Selbstbehauptung noch nicht gegen das Regime an sich gerichtet und sie erfordert auch nicht in grundsätzlicher Weise eine Ablehnung des Regimes. Die Selbstbehauptung ist eine Reaktion auf einzelne Maßnahmen des Regimes, vor allem solche, welche das Individuum oder seine Gemeinschaft, hier also die Kirche, in Frage stellten. Die als Selbstbehauptung, oder vielleicht auch als Seelsorgeresistenz zu charakterisierenden Konflikte zwischen der katholischen Kirche und dem Nationalsozialismus entstanden im Wesentlichen an den ideologischen Überschneidungsund Reibungspunkten der beiden weltanschaulichen Systeme und aus dem Anspruch des Nationalsozialismus auf eine weltanschauliche Umprägung der Gesellschaft. Doch wenn die deutliche begriffliche Trennung zwischen Widerstand und Selbstbehauptung methodisch auch gerechtfertig ist, so soll dadurch keine Abwertung oder Geringschätzung der Selbstbehauptungsphänomene resultieren. Denn mit der Aufrechterhaltung eines christlich-humanistischen Menschenbildes vertrat die Kirche auch die Interessen derjenigen Menschen, die ihrem Schutz anvertraut waren. So sah sich die Kirche immer wieder Angriffen ausgesetzt, weil sie sich für Geisteskranke und behinderte Menschen einsetzte und sich deren Abwertung als »lebensunwertes Leben« widersetzte. Geistlicher Rat Gregor Lunghamer44 etwa, der Direktor 42 AEM, Ordinariatssitzungsprotokoll vom 25. 05. 1934. 43 Vgl. Laube, Zwangssterilisierung und Euthanasie, Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter, 403 f. Das eben dort angeführte Zitat aus einem Brief Faulhabers an den Vorsitzenden der Fuldaer Bischofskonferenz, Kardinal Bertram, vom 29. 12. 1933, in: EAM, NL Faulhaber 8384. 44 Gregor Lunghamer, geb. am 23. 08. 1876 in Oberndorf, Priesterweihe 1902 in München, Kaplan in München-Giesing, 1904 Koadjutor in Altmühldorf, 1916 Pfarrer in Altmühldorf und zugleich Anstaltsdirektor der Kretinenanstalt in Ecksberg, 1937 frei resigniert, Benefiziat und Wallfahrts© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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der Kretinenanstalt Ecksberg45 im Landkreis Mühldorf, gehörte zu denen, die aufgrund ihres Engagements für ihre Schützlinge im Trommelfeuer der NS-Propaganda standen und schließlich unsanft beseitigt wurden.46 Den aus diesen Konfliktfeldern resultierenden Kampf hat – wie bereits Ludwig Volk vermerkte – die Kirche »nicht gesucht, er wurde ihr durch den Unterwerfungsanspruch des NS-Regimes aufgezwungen«47. Dass es dennoch zu diesen Auseinandersetzungen kam, lag einerseits an der Unüberbrückbarkeit von christlicher Lehre und nationalsozialistischem Totalitätsanspruch, andererseits an der, trotz allen gegenteiligen Beteuerungen und religionsnahen Formulierungen, scharfen Kirchenfeindschaft Hitlers und seiner Genossen; auf katholischer Seite kamen hinzu eine durch den Kulturkampf errungene weitgehende Geschlossenheit der Kirchenorganisation und ein teilweise noch wirksames Milieu sowie die strikte Papsttreue des deutschen Katholizismus48

so Walter Ziegler. Bereits im Begriff der Selbstbehauptung wird jedoch deutlich, wo die Grenzen des damit verbundenen Engagements lagen, nämlich an den Grenzen des Milieus beziehungsweise dort, wo Kirche und Kirchenvolk aufhörten, selbst Betroffene zu sein. Insofern kann im Phänomen der Selbstbehauptung der Kirche gegen den nationalsozialistischen Staat auch eine Fortsetzung der culture wars des 19. Jahrhunderts gesehen werden.49 Entsprechend lag die nationalsozialistische Verfolgung anderer gesellschaftlicher Gruppierungen kaum im Fokus der kirchlichen Wahrnehmung. Zu tief waren hier im Selbstverständnis des Klerus mentale Verhaltensdispositionen gegenüber den Anderen priester bei St. Salvator in Ecksberg, 1938 frei resigniert und Missarius bei St. Theobald in Geisenhausen, gest. am 23. 07. 1940 in Geisenhausen; vgl. Schematismus 1939, 27 und 224; Schematismus 1941, 149. 45 Die Kretinenanstalt Ecksberg war 1852 durch den Geistlichen Joseph Probst als erste kirchlichen Anstalt für geistig Behinderte gegründet worden, sie wurden von Pflegerinnen betreut, die in klösterlicher Gemeinschaft lebten; vgl. zur Geschichte der Einrichtung: Hertkorn, Stiftung Ecksberg. 46 Vgl. AEM, Nationalsozialistische Verfolgung katholischer Geistlicher, Fragebogen A, Gregor Lunghamer, Bericht von Georg Eibl vom 06. 09. 1946 als Anlage; Siehe auch von Hehl/Kösters, Terror, Bd. 1, 954: So wurde dem Anstaltsdirektor in einer Propaganda-Ausstellung, in der Fotografien des Anstaltsneubaus der zwanziger Jahre neben armseligen Arbeiterunterkünften gezeigt wurden, 1936 vorgeworfen, den »Kretinen« würden Luxusunterkünfte zur Verfügung gestellt, während »der deutsche Arbeiter mit seiner erbgesunden Familie« in verfallenen Hütten untergebracht sei. Als im März 1938 die Anstalt für militärische Zwecke benötigt wurde und der Direktor im Zusammenhang mit der Räumung von einem bevorstehenden Krieg sprach, wurde er als Unruhestifter verhaftet. In einer gerichtlichen Untersuchung freigesprochen, wurde Lunghamer anschließend in Schutzhaft gesetzt und Ende April 1938 entlassen. Zuvor musste er eine Verpflichtungserklärung unterschreiben, Ecksberg und die Stadt Mühldorf zeitlebens nicht mehr zu betreten. Lunghamer starb zwei Jahre später. 47 Volk, Widerstand, 126. 48 Ziegler, Widerstand in Bayern, 15. 49 Vgl. Clark/Kaiser, Culture Wars. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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verwurzelt, welche im Falle der Juden religiös, im Falle der Kommunisten weltanschaulich und im Falle der Protestanten konfessionell bestimmt waren50 und eine grundsätzliche Distanz des Klerus zu allem außer seiner Welt Stehenden begründeten. So fällt etwa das priesterliche Engagement zugunsten von Juden zahlenmäßig nur wenig ins Gewicht.51 Geistliche, die sich aktiv gegen den Antisemitismus wandten, bildeten bereits vor 1933 die Ausnahme und agierten zumeist zurückhaltend.52 Der Verein Amici Israel, der sich gegen Mitte der 1920er Jahre mit über 3.000 Priestern als Mitglieder formiert hatte und das Verhältnis zu den Juden u. a. durch eine Reform der Karfreitagsfürbitte zu reformieren beabsichtigte, war bereits 1928 durch das Hl. Offizium verboten worden.53 Der Klerus selbst war von der 1933 einsetzenden NS-Judenverfolgung nicht betroffen.54 Das Pogrom vom 9. November 1938 fand 50 Vgl. Kösters, Katholische Kirche, 233. 51 Vgl. von Hehl/Kösters, Terror, Bd. 1, 199 Tabelle 98. Vgl. überblickend zum Themenkreis Katholizismus und Antisemitismus Blaschke, Katholizismus und Antisemitismus (mit erhellendem Entwurf einer Systematik der Stereotypenfelder 284 f.); Hochgschwender, Katholizismus und Antisemitismus. 52 Als an den pensionierten Militäroberpfarrer Balthasar Pörtner im September 1932 durch den Verein zur Abwehr des Antisemitismus das Ansuchen herangetragen wurde, den Vorsitz der Ortsgruppe München des Vereins zu übernehmen, äußerte dieser gegenüber dem Ordinariat, er »trage Bedenken, als katholischer Geistlicher in der gegenwärtigen, politisch und weltanschaulichen so stark erregten Zeit dem Gesuche zu entsprechen.« Das Ordinariat selbst erhob aber keine Einwände gegen ein etwaiges Engagement des zur Diözese Limburg gehörigen Geistlichen, vgl. AEM, Priesterpersonalakten P II Balthasar Pörtner, Pörtner an EOM vom 28. 09. 1932 (Antwortentwurf handschriftlich ebenda); zu diesem Verein, der überwiegend vom liberalen protestantischen Bürgertum getragen wurde vgl. Zeiss-Horbach, Verein zur Abwehr; zum Sonderfall des Speyrer Diözesangeistlichen Franz Rödel, der sich seit Mitte der 1920er Jahre im Sinne eines eigenwilligen katholischen Philosemitismus aktiv gegen den Antisemitismus engagierte vgl. Forstner, Franz Rödel. 53 Vgl. Wolf, Papst und Teufel, 115–132. Das Verbot war letztendlich traditionalistisch motiviert. Theo Salemink urteilte diesbezüglich: »Für das Heilige Offizium hatte die Abgrenzung gegenüber den ›jüdischen Anderen‹, gegenüber dem Judentum als Religion und als politischer Bewegung den Zweck, die traditionelle, ultramontane Identität zu erhalten. Die öffentliche Intervention gegen die Bewegung Amici Israel war als ein Warnsignal für die damaligen Katholiken gedacht.« Salemink, Amici Israel, 105. Darüber hinaus verurteilte das sehr zwiespältige Verbotsdekret vom 14. 03. 1928 zwar den rassischen Antisemitismus, legitimierte aber den nicht rassisch motivierten, traditionsreichen christlichen Antijudaismus. 54 In der Erzdiözese ist nur ein Geistlicher bekannt, der aufgrund seiner Abstammung als »Halbjude« im Sinne der Nürnberger Rassengesetze galt. Leon von Kukowski, geb. am 23. 10. 1903 in München, Priesterweihe 1934 in Freising, Aushilfspriester in Beuerberg, Kooperatur-Verweser in Teisendorf, Koadjutor in Ohlstadt, 1935 Koadjutor in Flintsbach, 1937 Aushilfspriester in Pang, Kooperator in Hohenkammer, 1938 Koadjutor in Moosen, 1939 Kooperator in Tuntenhausen, 1940 Pfarrvikar in Ostermünchen, 1941 Pfarrvikar in Beyharting, 1947 Kooperator in Landshut-St. Martin, 1956–1971 Schriftleiter des Klerusblatts, gest. am 17. 09. 1978; vgl. AEM, Priesterpersonalakten P III 975. Kukowski erhielt ab 01. 01. 1939 Schulverbot und wurde für »wehrunwürdig« erklärt, weshalb er nicht zum Kriegsdienst herangezogen wurde. In seinem 1946 übermittelten Fragebogen zu NSVerfolgung katholischer Geistlicher macht er, mit der Ausnahme eines Spottbilds »Der Halbjude © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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im Protokoll der zwei Tage später stattfindenden Ordinariatssitzung nur indirekt einen Niederschlag, indem Generalvikar Buchwieser über eine Anfrage des Polizeipräsidenten bezüglich »der augenblicklichen Lage entsprechende[n] Vorkehrungen« zum Schutz kirchlicher Gebäude berichtete.55 Auch hier zeigte die Kirchenleitung also nur Initiative auf Feldern, von denen die Kirche selbst berührt war. Demgemäß hatte die kirchliche Selbstbehauptungsstrategie vor allem die Konvertiten im Blick, die zwar im Sinne der Nürnberger Gesetze als Juden galten, nicht aber im Sinne der Kirche, in deren Lehre die rassistisch-biologistische Komponente keine Rolle spielte.56 Insofern wehrten sich die bayerischen Ordinariate auch wiederholt und erfolgreich gegen die Herausgabe von »Juden-Konvertitenbüchern«57, also Matrikeln, in denen die Konversion von Juden verzeichnet war, und ließ sich bezüglich der Auskünfte aus diesen Büchern allenfalls auf eine »dilatorische, konditionierte[n] Kooperation«58 ein, wo diese unausweichlich schien. Dennoch finden sich bei näherem Hinsehen immer wieder einzelne Geistliche, die sich in Verhalten und Äußerungen gegen die Front des Judenhasses stellten und damit auch durchaus die Grenzen der Selbstbehauptung überschritten, obwohl dies mit nicht gering zu bewertenden persönlichen Risiken verbunden war. Im Fall des Pfarrers Joseph Atzinger59 genügte bereits die Anführung des Kolosserbriefes60 in der Sylvesterpredigt 1939, die als Stellungnahme zugunsten des Judentums ausgelegt wurde, um ihn mit der Begründung, seine Ausführungen würden den Bestand des Reichs gefährden, zu einer dreimonatigen

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im Beichtstuhl«, welches im Frühjahr 1939 im sog. Stürmerkasten der Gemeinde Taufkirchen/Vils ausgehängt war und einer im Januar 1945 erfolgten Aufforderung, einen »Ariernachweis« vorzulegen, keine Angaben, die auf eine Verfolgung aus antisemitischen Motiven hindeuten. AEM, Ordinariatssitzungsprotokoll vom 11. 11. 1938. Vgl. zur Hilfe für »nichtarische« Christen in der Erzdiözese München und Freising: Schönlebe, Netzwerk der Hilfe. AEM, Ordinariatssitzungsprotokoll vom 14. 01. 1938. Pfister, Selbstbehauptung, Kooperation und Verweigerung, 138. Joseph Atzinger, geb. am 09. 05. 1902 in München, 1927 Priesterweihe in Freising, KooperaturVerweser in Neufrauenhofen, 1930 Kaplan in Miesbach, 1932 Kaplan in Maria Thalkirchen, 1935 Kooperator in Riedering und Pfarrvikar in Stephanskirchen, 1938 Prediger und Benefiziums-Verweser in Landshut-St. Jodok, 1941 aktiver Wehrdienst als Sanitäter, 1946 Pfarrer in Ebersberg, 1954 Stadtpfarrer in Freising-St. Georg, gest. am 15. 12. 1967; vgl. AEM, Priesterpersonalakten P III 48. Konkret handelte es sich um Kolosser 3,9–11: »Belügt einander nicht; denn ihr habt den alten Menschen mit seinen Taten abgelegt und seid zu einem neuen Menschen geworden, der nach dem Bild seines Schöpfers erneuert wird, um ihn zu erkennen. Wo das geschieht, gibt es nicht mehr Griechen oder Juden, Beschnittene oder Unbeschnittene, Fremde, Skythen, Sklaven oder Freie, sondern Christus ist alles und in allen.« © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Gefängnisstrafe zu verurteilen.61 Expositus Johann Daxberger62 erklärte im September 1936 in einer Religionsstunde den Kindern: Was man Euch da von den Juden sagt, da müsst ihr sehr vorsichtig sein […] Wir dürfen den Juden nicht verachten, weil er ein Fremdling ist, denn wir wissen nicht, ob wir nicht auch einmal Fremdlinge sind im eigenen Lande …63

Im Gegensatz zu Atzinger kam Daxberger trotz seiner sehr offenen Worte mit einer Verwarnung davon. Das Sondergerichtsverfahren gegen ihn wurde eingestellt.64 Der Pfarrer von Solln, Josef Hahner65, ging ebenfalls über die Selbstbehauptung hinaus und damit ein erhebliches persönliches Risiko ein, indem er von Januar 1945 bis zum Einmarsch der amerikanischen Truppen im April die zum katholischen Glauben konvertierte Jüdin Gertraud Schaeffler im Dachgeschoss des Pfarrhauses versteckte 61 Vgl. AEM, Nationalsozialistische Verfolgung katholischer Geistlicher, Fragebogen A, Joseph Atzinger, Atzinger an Neuhäusler vom 22. 12. 1945. Entgegen der Feststellung Atzingers, es habe sich um die Sylvesterpredigt 1940 gehandelt, wird wohl die des Jahres 1939 gemeint sein, da er von 07. 12. 1940 bis 07. 03. 1941 seine Gefängnisstrafe in Landberg absaß. Die Strafverfolgung kam in diesem Fall durch die Denunziation einer Privatperson an das Staatspolizeiamt in Regensburg in Gang (Abschrift ebenda). 62 Johann Daxberger, geb. am 26. 10. 1877 in München, 1902 Priesterweihe in München, Koadjutor in Allershausen, 1903 Koadjutor in Peiting, 1904 Pfarrvikar in Böbing, Kaplan in München-Neuhausen, 1906 Katechet in St. Ludwig, 1910 Kooperator in Kirchdorf, 1911 Kooperator in Kay, 1913 zu Studienzwecken beurlaubt, 1917 Koadjutor in Beuerberg, 1922 exponierter Kooperator in Linden, gest. am 04. 05. 1940; vgl. Schematismus 1939, 100 u. 224; der Personalakt des AEM, Personalia alt, VN 1148 enthält nur das Seminarabgangszeugnis. 63 Die Zitate des Geistlichen stammen aus dem Hetzartikel Schmutz ist Schmutz und bleibt Schmutz über Daxberger in der Zeitschrift Die Bewegung, Zentralorgan des N.S.D.-Studentenbundes vom 07. 10. 1936, 8. Eine Abschrift in: AEM, Nationalsozialistische Verfolgung katholischer Geistlicher, Fragebogen A, Johann Daxberger. Die im Artikel in das Zitat des Geistlichen eingefügten Ausrufezeichen wurden hier fortgelassen. 64 Vgl. von Hehl/Kösters, Terror, Bd. 1, 913 f. Die Einstellung erfolgte aufgrund des Gesetzes über die Gewährung von Straffreiheit aus Anlaß der Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich vom 30. 04. 1938, RGBl. I, 415. Nach Keil, Sondergericht, 491, war dies eines der vier Amnestiegesetze, die auch im Fall von Klerikern häufiger zur Anwendung kamen. Die Anwendung von Amnestieregelungen war keineswegs ungewöhnlich, von den 276 Sondergerichtsverfahren gegen katholische Kleriker vor dem Sondergericht München wurden 200 eingestellt, vgl. Keil, Sondergericht, 493–568. Die Ursache für die häufige Einstellung von Verfahren war freilich nicht eine positive Tendenz gegenüber dem Klerus, sondern vielmehr Bedenken der Staatsanwaltschaften, dass Freisprüche sich propagandistisch als kontraproduktiv erweisen würden, weshalb sie vermieden werden sollten. Zur Verfahrungseinstellung kam es also vor allem, wenn eine Verurteilung unwahrscheinlich schien; vgl. Breuer, Thomas, Wandel, 332 f. 65 Josef Hahner, geb. am 28. 02. 1889 in Gerolsbach, Priesterweihe 1914 in Freising, Koadjutor in Prien, 1917 Kooperator in Ebersberg, 1918 Kaplan in München-St. Ursula, 1924 Kaplanei-BenefiziumsVerweser in München-St. Margaret, 1932 Pfarrer in Solln-St. Johann Baptist (ab 1938 Stadtpfarrer), 1964 frei resigniert, Kommorant in München, gest. am 19. 11. 1974; vgl. AEM, Priesterpersonalakten P III 594. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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und so vor der Deportation in ein Lager und vermutlich auch vor ihrer dortigen Ermordung, bewahrte. Die Initiative zur Unterstützung der Verfolgten ging dabei wohl von Hahner selbst aus, zu dessen Gemeinde sie gehörte.66 Als dritter Begriff zur Charakterisierung der Distanzsituation von katholischem Klerus und Nationalsozialismus kann schließlich der Begriff des Widerstands in einem engeren politischen Sinn Verwendung finden. Obwohl von der kirchlichen Obrigkeit strikt abgelehnt67 – weshalb es durchaus möglich wäre, politischen Widerstand von Klerikern gegen den Nationalsozialismus als abweichendes Verhalten zu charakterisieren –, gab es aus dem Kreis von katholischen Klerikern politischen Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Dieser Widerstand fand freilich nur in Einzelfällen statt, weshalb das in eine rhetorische Frage gekleidete Wortspiel Johannes Neuhäuslers »Wo ist ein Stand, der so widerstand?«68 die Irreführung schon in der Fragestellung enthält. Sowohl die katholisch als auch die evangelisch geprägte kirchliche Zeitgeschichtsforschung haben in defensiver Absicht früh betont, die Kirche sei dort, »wo sie politisch gerufen« sei, als Kirche gerufen, sie kenne »keine anderen als kirchliche Mittel«69 und könne »wo sie als Kirche gefordert ist, nie anders handeln, als es ihrer Qualität als Kirche entspricht.«70 Es wurde zudem, mit Bezug auf das naturrechtlich geforderte Gebot des Gehorsams gegenüber der rechtmäßigen staatlichen Obrigkeit, ein grundsätzlicher Verzicht der Institution Kirche auf politischen Widerstand gegen den Nationalsozialismus hergeleitet. Dieser habe nicht nur dem kirchlichem Selbstverständnis, sondern auch dem naturrechtlich geforderten Obrigkeitsgehorsam widersprochen.71 Übersehen wird dabei im Regelfall, dass dieses Naturrechtsdenken naturgemäß nicht statisch ist. So betonte der Rechtsphilosoph und Theologe Norbert Brieskorn die starke Zurückhaltung hinsichtlich des Rechts zum Widerstand in der kirchlichen Lehre des 19. und 20. Jahrhunderts und benannte als Gründe hierfür unter anderen die Furcht der Kirchenobrigkeit vor Chaos und Anarchie, deren Auffassung, dass sich im Zeitalter der Volkssouveränität die Bedeutung des Widerstandrechtes ohnehin abgeschwächt habe und eine nur unzulängliche Ablehnung des Totalitarismus durch das Papstamt.72 Zwar wurde das 66 Vgl. die ausführlichere Schilderung der Vorgänge durch deren Sohn in: Gribl, Solln, 102–105 und 112 f. 67 Diese zeitgenössische Ablehnung steht in scharfem Kontrast zu dem seit den 1980er Jahren gepflegten Kult um die Märtyrer und Blutzeugen des Nationalsozialismus; vgl. Pfister, Blutzeugen; Moll, Zeugen für Christus. 68 Neuhäusler, Amboß, 67. 69 Scholder, Grundlage des Kirchenkampfes, 523. 70 Hürten, Widerstehen, 132. 71 Zum Naturrechtsbegriff in der katholischen Theologie vgl. Breuer, Stefan, Sozialgeschichte des Naturrechts; Schallenberg, Naturrecht und Sozialtheologie. 72 Vgl. Brieskorn, Einstellungen zum politischen Widerstand, 58–61. Hinsichtlich des letzten Punktes verwies Brieskorn auf die durch Pius XI. vorgenommene Unterscheidung zwischen einem »objektiven Totalitarismus«, der auch auf das Innere des Menschen übergreife und deshalb abzulehnen sei und einem »subjektiven Totalitarismus«, der zwar auf umfassende Regelung © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Widerstandrecht in der kirchlichen Lehre nie aufgegeben, seine Bedeutung jedoch relativiert und die Maßstäbe, wann politischer Widerstand als legitim anzusehen war, gerade in der hier zur Debatte stehenden Zeit stark eingeschränkt, teilweise auch je nach politischer Opportunität gebraucht.73 Die Gefahr der inflationären Verwendung des Widerstandsbegriffs für alle möglichen Phänomene der Distanz gegenüber der politischen Führungsschicht und deren Zielen erkennend, schlug der Historiker Christoph Kleßmann bereits in den 1970er Jahren zudem eine stärkere Beachtung der direkten Intention der Handelnden vor. Somit ließe sich in diesem Sinne nun mit Kleßmann Widerstand definieren als bewusster Versuch, dem NS-Regime entgegenzutreten in einem für die Ideologie und Etablierung und Erhaltung der Herrschaft wichtigen Bereich, und zwar ausgehend von Wertvorstellungen, die den nationalsozialistischen partiell oder total entgegengesetzt waren und die zugleich über die bloße Verteidigung der eigenen oder der Gruppeninteressen hinaus die Herstellung der elementaren Menschenwürde und Gerechtigkeit zum Ziel hatten.74

Für Kleßmanns Definition von (politischem) Widerstand sind mithin drei Elemente wesentlich, die auch gegeben sein sollten, wenn im Hinblick auf den Klerus von Widerstand gesprochen wird: a) ein intentionales Handeln gegen einen Kernbereich der NS-Weltanschauung b) ein dem Nationalsozialismus zumindest partiell entgegen gesetztes Weltbild c) ein Hinausgehen über die eigenen (Gruppen-)Interessen mit dem Ziel der Herstellung der elementaren Menschenwürde und Gerechtigkeit. In diese Kategorie des politischen Widerstands fällt somit die sehr kleine Gruppe jener Kleriker, welche sich tatsächlich politisch gegen den Nationalsozialismus betätigten, wie der Hilfsgeistliche Karl Schuster75, der dem Widerstandskreis aus sei, dem Inneren des Menschen aber einen Freiraum lasse und deshalb nicht verworfen werde. Gegen letzteren bestand folglich auch kein Recht zum Widerstand. 73 Während das Papstamt zum politischen Widerstandsrecht im Hinblick auf den Nationalsozialismus – etwa in der Enzyklika Mit brennender Sorge vom 14. 03. 1937 – keine öffentliche Äußerung abgegeben hat, enthält die zuerst in spanischer Sprache veröffentliche Enzyklika Nos es muy conocida (lat. Firmissimam constantiam) vom 28. 03. 1937, die also nur zwei Wochen nach der erstgenannten datiert und auf die aktuelle politische Situation in Mexiko nach der Beendigung der Guerra Cristera eingeht, durchaus Hinweise auf das Recht zum politischen Widerstand gegen das dortige Regime, gestattet aber nur erlaubte, geeignete und angemessene Mittel; vgl. Brieskorn, Einstellungen zum politischen Widerstand, 60. Dabei kann ohne genaue Kenntnis der Entstehungsgeschichte dieser Enzyklika, die einen Vergleich mit derjenigen der Enzyklika Mit brennender Sorge lohnend erscheinen ließe, nicht gesagt werden, aus welchen Motiven die unterschiedlichen Akzentuierungen erfolgten. 74 Klessmann, Widerstand, 15. 75 Karl Schuster, geb. am 13. 03. 1905 in München, 1930 Priesterweihe in München, KooperaturVerweser in Indersdorf, Aushilfspriester in Langenpettenbach, 1931 Koadjutor in Dachau, 1932 Koadjutor in Waakirchen, 1933 erst Aushilfspriester, dann Kooperator in Wolfratshausen, 1938 Kaplan in München-Milbertshofen St. Georg, Benefiziat in München-St. Johann Baptist, 1939 Hilfspriester und Benefiziums-Verweser in München-Maria Rammersdorf, 1939 bis 1945 Haft, © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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um Adolf Freiherr von Harnier angehörte und insgesamt sechs Jahre in Gefängnissen76 zubringen musste und sie als kranker Mann verließ, oder der ebenfalls wegen monarchistischer Betätigung und Vorbereitung zum Hochverrat 1939 in Schutzhaft genommene Expositus Wilhelm Pflüger77, der schließlich im Dezember 1944 in das Konzentrationslager Dachau verschleppt und erst von den amerikanischen Truppen befreit wurde.78 Schuster hat in seinem späteren Erlebnisbericht seine Motivation zum politischen Widerstand wie folgt dargelegt: Meine persönlichen Erlebnisse zusammen mit den heute allen bekannten Äußerungen und Wirkungen des Hitler-Systems auf kulturell-religiösen, und staatlich politischem Gebiet, unterbaut durch ein ständiges Studium des Schrifttums dieser Zeit, führten mich früh auf eine klare Linie der totalen Ablehnung des Nazismus. Ein Consortium von Verbrechern und Abenteurern hatte sich unter Ausnützung der Notlage des deutschen Volkes durch Lüge, Mord und brutale Gewalt an die Macht gedrängt. Nach Erreichung dieses Zieles steigerte diese Bande mit raffinierten Organisationsmethoden und Zwangsmitteln ihre verbrecherische Tätigkeit ins Ungemessene. Der Begriff ›rechtmäßige Regierung‹ konnte auf den Hitlerismus darum keine Anwendung finden. Ihn zu bekämpfen oder zu seinem Sturz beizutragen hielt ich vor meinem Gewissen nie für Hochverrat, sondern für meine Pflicht, als Katholik, Priester und 1948 Pfarrer in Planegg, 1958 frei resiginiert, gest. am 19. 12. 1978; vgl. Schematismus 1950, 59 und 274; AEM, Priesterpersonalakten P III 1640; Förster, Harnier-Kreis, passim (Personenregister). Über die wechselnde Situation auf den einzelnen Stationen seiner insgesamt sechsjährigen Haft berichtete Schuster nach dem Ende des NS-Regimes in einem Erlebnis-Bericht; vgl. AEM, Nationalsozialistische Verfolgung katholischer Geistlicher, Fragebogen A, Karl Schuster, Beilage. Über die zum Teil katastrophalen Haftbedingungen in den nationalsozialistischen Gefängnissen, in denen der Klerus grundsätzlich nicht auf bevorzugte Behandlung hoffen durfte, gibt ein Bericht Georg Eibls über die Haftsituation des damals bereits 60-jährigen Geistlichen Gregor Lunghamer Auskunft: »In seiner Zelle, die er noch mit drei anderen Häftlingen […] teilen musste, war kein Sessel und kein Tisch. Wer tagsüber ausruhen wollte, konnte sich nur auf den Boden setzen, da keine Ruhegelegenheit sonst in der ganzen Zelle vorhanden war. Bei seiner Einlieferung wurden Lunghamer auch die Hosenträger abgenommen und [er] musste mit den Händen in der Hosentasche auf- und abgehen und seine Hose ständig halten, wenn er sie nicht verlieren wollte. Als Toilette diente für 4 Gefangene ein einfacher Kübel, der nur Samstags entleert, aber zumeist schon am Donnerstag voll gefüllt war. Der Geruch in den letzten 3 Tagen der Woche wurde in der Zelle unaushaltbar. Die Kost bestand aus einer Wassersuppe, die Behandlung war rauh und brutal.« Vgl. AEM, Nationalsozialistische Verfolgung katholischer Geistlicher, Fragebogen A, Gregor Lunghamer, Bericht von Georg Eibl vom 06. 09. 1946 als Anlage. 76 Vgl. AEM, Nationalsozialistische Verfolgung katholischer Geistlicher, Fragebogen A, Karl Schuster, Beilage Erlebnis-Bericht; Förster, Harnier-Kreis. 77 Wilhelm Pflüger, geb. am 09. 03. 1906 in München, 1932 Priesterweihe in Freising, Koadjutor in Rieden und Tacherting, 1933 Kooperatur-Verweser in Lengdorf, Kaplan bei St. Nikolaus in Bad Reichenhall, 1934 Kaplan in Töging, 1935 Kooperator in Aufkirchen, 1936 Koadjutor in Inzell, 1937 Kooperator in Neufahrn bei Freising, 1938 Expositus in Goldach, 1944/45 KZ-Haft, 1952 Pfarrer in Vierkirchen, 1954 frei resigniert, Pfarrvikar in Elbach bei Miesbach, 1956 in den zeitlichen Ruhestand versetzt, 1957 Kommorant, gest. am 12. 10. 1967; vgl. AEM, Priesterpersonalakten P III 1327. 78 Vgl. AEM, Nationalsozialistische Verfolgung katholischer Geistlicher, Fragebogen A, Wilhelm Pflüger. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Staatsbürger. Wohl konnte dieses Unterfangen ›unklug‹, aussichtslos und gefährlich erscheinen, umso mehr für jemand, der beruflich exponiert war und die Aufmerksamkeit der Gestapo durch die erwähnten Umstände besonders auf sich gelenkt sah. Doch verlieren solche Einwände in einer so wichtigen Sache vor dem Gewissensurteil des christlichen Menschen ihre Bedeutung.79

Wenngleich man der verharmlosenden politischen Einschätzung Schusters vom Abenteurerkonsortium aus wissenschaftlicher Sicht heute kaum folgen wird, scheint in seiner naturrechtlich begründeten Berufung auf sein Widerstandsrecht gegen die NSRegierung als nicht rechtmäßige Regierung, die zentrale Motivation seines Handelns auf. Hingegen wird man von den in der Diözesangeschichte als Widerstandskämpfer und »Blutzeugen« apostrophierten Diözesanpriestern allenfalls Josef Grimm80, der einem Aufruf der Freiheitsaktion Bayern folgte und am Morgen des 28. April 1944 die Hakenkreuzfahne vom Kirchturm warf und stattdessen die weiß-blaue Bayernfahne hisste, wofür er noch am selben Tag von SS-Männern erschossen wurde, zum Widerstand in diesem engeren Sinne rechnen können. Kaplan Hermann Joseph Wehrle81, der am 14. September 1944 in Berlin-Plötzensee hingerichtet wurde, fungierte lediglich als Beichtvater des an der Verschwörung vom 20. Juli 1944 beteiligten Barons Ludwig Freiherr von Leonrod. Ihm wurde Mitwisserschaft vorgeworfen, da er das Beichtgeheimnis nicht gebrochen hatte. Hiermit erfüllte Wehrle aber nur seine seelsorgliche Pflicht, ein intentionales Handeln gegen den Nationalsozialismus kann man aus diesem Verhalten, obwohl Wehrle unzweifelhaft ein strikter Gegner des Nationalsozialismus war, nur schwerlich ableiten. Hätte er anders gehandelt, hätte er mit schwersten kanonischen Strafen rechnen müssen. Sein Handeln fällt damit ebenso in die Kategorie der Selbstbehauptung, der Aufrechterhaltung und Verteidigung der eigenen Ordnung und Lebenswelt, wie dasjenige von Domkapitular Johannes Neuhäusler.82 79 AEM, Nationalsozialistische Verfolgung katholischer Geistlicher, Fragebogen A, Karl Schuster, Beilage Erlebnis-Bericht, 4. 80 Josef Grimm, geb. am 13. 01. 1900 in Deisenried, 1925 Priesterweihe in Freising, Koadjutor in Grüntegernbach, 1926 Aushilfspriester in Surberg, 1927 Kooperator in Altfraunhofen, 1929 Expositus in Feldmoching, 1935 Expositus in Untermenzing, 1938 Pfarrkurat daselbst, 1939 Pfarrer in Götting, am 28. 04. 1945 von SS-Männern erschossen; vgl. Schematismus 1939, 3 und 285; Pfister, Blutzeugen, 30–33. 81 Hermann Joseph Wehrle, geb. am 26. 07. 1899 in Nürnberg, 1917 Weltkriegsteilnehmer, anschließend Studium der Theologe, Philosophie und Geschichte, 1928 Promotion zum Dr. phil., 1940 Wiederaufnahme des Theologiestudiums, 1942 Priesterweihe, Kaplan in Planegg, seit Dezember 1942 Kaplan in München-Hl. Blut-Bogenhausen, am 18. 08. 1944 verhaftet, am 14. 09. 1944 in Berlin zum Tod verurteilt und am selben Tag hingerichtet; vgl. Pfister, Blutzeugen, 33 f.; Schmidkonz, Wehrle. 82 Vgl. Kap. 1.1.5. Die Handlungen Neuhäuslers bewegen sich allerdings insofern in einem Grenzbereich zwischen Widerstand und Selbstbehauptung, als die Veröffentlichung seiner Berichte durchaus geeignet war, das Ansehen des NS-Regimes im Ausland zu schmälern und dadurch indirekt einen Beitrag zur außenpolitischen Destabilisierung zu leisten. Allerdings war die Ver© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Naturgemäß waren aber nicht alle Geistlichen Helden und so werden im Handeln der Individuen auch Muster deutlich, die sich weder als Abstand noch als Selbstbehauptung oder Widerstand deuten lassen. Bisweilen zeigte das scharfe Vorgehen der Nationalsozialisten gegen den Klerus die gewiss auch erwünschte abschreckende Wirkung und mahnte die Standesgenossen zur Zurückhaltung, strebten doch die wenigsten ein Martyrium an. In einer nach dem Ende des Krieges verfassten Beurteilung des Geistlichen Josef Schwaiger wird über diesen etwa vermerkt: Er war ängstlich bemüht, alles von der Partei Verlangte zu tun. Er forderte und gab als Religionslehrer meiner Anstaltskinder den Hitlergruss, was meine Kinder sonst nicht tun mussten. Galt deshalb irrtümlich bei seinen Kollegen ringsum als Nazipfarrer, was er aber, was ich in Gesprächen oft feststellen konnte, bestimmt nicht war. Er fürchtete, vielleicht mit Recht, den Ortsgruppenleiter Seidl und den Stützpunktleiter und Hauptlehrer Engelberger. In seinem Wohnzimmer hatte er ein Hitlerbild …83

Einige wenige Geistliche zeigten darüber hinaus die Bereitschaft, den Wünschen der Machthaber, die in den ersten Jahren der NS-Herrschaft mitunter durchaus kirchliche Nähe suchten, weit entgegen zu kommen. Als das Pfarramt Kiefersfelden im Juli 1933 beim Erzbischöflichen Ordinariat um Weihevollmacht für 2 Stahlhelmfahnen nachsuchte, stieß dieser Wunsch dort auf Ablehnung und Missfallen gleichermaßen: »Dem Pfarrer soll das Erstaunen darüber ausgedrückt werden, dass er nicht den Mut findet, die Sache von sich aus zu verbieten«84, hält das entsprechende Protokoll der Ordinariatssitzung fest. Zugleich schufen gegen den Klerus gerichtete Maßnahmen der Nationalsozialisten auch eine Legitimation für politisch passives Verhalten und ließen solche rückblickend als zurückhaltende Klugheit erscheinen. Entsprechend formulierte ein Kleriker retrospektiv seine Sicht auf Standesgenossen im Widerstand aus einer Position überlegener Abwägung: Man muss manches Mal reden, aber ich sage auch ganz ehrlich: Nicht alle, die ins KZ gekommen sind, sind überzeugte Nazigegner, manche waren auch einfach blöd. Ich muss wissen, wann ich was sagen kann und wann nicht oder wem gegenüber.85

So nahmen dann Geistliche, die im Wesentlichen konfliktfrei durch die Jahre der NSHerrschaft gekommen waren, nach 1945 für sich in Anspruch, so gepredigt zu haben, »daß’s de Christen verstanden ham, aber die Stenographen von der Gestapo damit öffentlichung der Berichte von Neuhäusler selbst nicht intendiert gewesen, er erfuhr davon erst nach Kriegsende. So Neuhäusler selbst in Neuhäusler, Amboß, 134. 83 AEM, Priesterpersonalakten P III 1643, Murschhauser an Buchwieser vom 06. 06. 1946. Gemeint ist die Maria Theresia-Anstalt in München, eine kirchliche Einrichtung; zum Hitlergruß vgl. auch den nachfolgenden Abschnitt. 84 AEM, Ordinariatssitzungsprotokoll vom 28. 07. 1933. 85 EAM, Priesterbefragung 2003, Interview mit Alfred Läpple. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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nichts haben anfangen können«.86 Im Stereotyp von einer in sich abgeschlossenen katholischen Subgesellschaft, deren interner Sprachcode von den Machthabern nicht dechiffriert zu werden vermochte, wird freilich mehr über die retrospektive Selbstwahrnehmung der Kleriker im Dritten Reich deutlich, als über die politische und soziale Realität des Herrschaftsgefüges, in dem diese agierten.

8.3 Die Auseinandersetzungen zwischen Klerus und National­ sozialismus in quantitativer und qualitativer Bewertung Eine von der Bonner Kommission für Zeitgeschichte unter dem Titel Priester unter Hitlers Terror87 herausgegebene, annähernd 2000 Druckseiten umfassende biographisch-statistische Erhebung, dokumentiert in umfassender Weise Aktivitäten des NS-Regimes gegen katholische Welt- und Ordensgeistliche. Das statistische Material dieser Erhebung soll als Basis für die nachfolgend zu beantwortende Frage nach quantitativen und qualitativen Aspekten in der Auseinandersetzung zwischen Klerus und Nationalsozialismus dienen. Allerdings ist diese Erhebung in mancherlei Hinsicht problematisch, einerseits aufgrund mancher Vergröberungen und Irrtümer88 – die sich bei der Masse der hier behandelten Fälle aber wohl kaum vermeiden lassen –, andererseits aufgrund eigenwilliger Zensurkriterien89 und der undifferenzierten Nebeneinanderreihung von Bagatellen und tatsächlichen Verfolgungsmaßnahmen bis zur physischen Vernichtung.90 Insofern erfordert das dort präsentierte Datenmaterial eine nähere differenzierte Betrachtung.91 86 So der spätere Stadtpfarrer von München-St. Peter, Max Zistl; vgl. Nachruf auf Max Zistl, Münchener Katholische Kirchenzeitung vom 30. 01. 1983, zit. nach Fellner, St. Peter in der Nachkriegszeit, 188. 87 von Hehl/Kösters, Terror. 88 Vgl. zur Kritik etwa Breuer, Thomas, Wandel, 327–332. Eigenwillig erscheint zudem, dass selbst dem Nationalsozialismus stark zuneigende Priester hier aufgrund von Selbstaussagen unkommentiert als NS-Opfer erscheinen, aus München und Freising etwa Robert Linhardt (vgl. von Hehl/Kösters, Terror, Bd. 1, 952), dem Faulhaber nach 1945 wohl kaum zu unrecht unverhohlene nationalsozialistische Gesinnung vorwarf; vgl. zu ihm Kapitel 2.5.2 dieser Arbeit. 89 Etwa das nicht näher begründete Nichterfassen von »begründete[n] Fälle[n] von Sittlichkeitsvergehen (§§ 175, 175a StGB)«, die selbst dann nicht aufgenommen wurden, wenn sie eine KZ-Inhaftierung nach sich zogen, vgl. von Hehl/Kösters, Terror, Bd. 1, 77 Anm. 57. Wie methodisch zwischen begründeten und nicht begründeten, also tatsächlichen oder nur unterstellten Sittlichkeitsvergehen unterschieden wurde, bleibt das Geheimnis der Autoren. Es entsteht der Eindruck, dass Homosexuelle für unwürdig befunden wurden, als Verfolgte des NS-Regimes zu gelten und überdies in einem von der Deutschen Bischofskonferenz finanzierten Werk nicht die Möglichkeit bestehen soll, systematisch nach homosexuellen Klerikern zu suchen. Die unliebsame Opfergruppe wird auf diese Weise gleichzeitig marginalisiert. 90 Vergleichskriterien fehlen zudem. Für die Bagatellmaßnahmen (Verwarnungen etc.) gibt es keine Vergleichszahlen. Es spricht einiges dafür, dass etwa das Aussprechen von Verwarnungen im Dritten Reich so häufig war, dass der Klerus hier möglicherweise gar nicht überproportional betroffen war. 91 Dabei ist die Einleitung von von Hehl/Kösters, Terror, Bd. 1, 65–115, methodisch durchaus abgewogen und argumentiert eher zurückhaltend. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Hehl und Kösters konstatieren, dass von den katholischen Weltgeistlichen des Deutschen Reichs insgesamt 36,3 Prozent von »Zwangsmaßnahmen« des NS-Regimes betroffen waren, für die Erzdiözese München und Freising ergibt sich demnach ein leicht über diesem Durchschnitt liegender Wert von 40 Prozent.92 Die Abweichung vom Mittelwert ist nicht besonders signifikant, setzt man sie ins Verhältnis zu den Diözesen Osnabrück (14,2 Prozent) und Regensburg (21,7 Prozent) einerseits, Eichstätt (57,7 Prozent) und Würzburg (68,2 Prozent) andererseits.93 Der Klerus in der Erzdiözese München und Freising scheint also von den Konflikten mit dem Nationalsozialismus im Allgemeinen nur unwesentlich stärker betroffen gewesen zu sein, als der Klerus des übrigen Reichs. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass von Hehl und Kösters betonten, dass es vorwiegend in den katholischen Hochburgen des Reichs verstärkt zu Konflikten zwischen Partei und Staat mit den Kirchen gekommen sei. Dies lässt sich – selbst anhand der in dem Werk präsentierten Zahlen – nicht in dieser eindeutigen Weise nachvollziehen.94 Denn sowohl das von den Konflikten zwischen Klerus und Staat stark betroffene Würzburg mit einem katholischen Bevölkerungsanteil von 57,6 Prozent, als auch das gleichfalls massiv konfliktträchtige Eichstätt mit 52,8 Prozent Katholikenanteil, waren gemischt konfessionelle Gebiete, hingegen waren die Bistümer Regensburg mit 88,9 Prozent Katholikenanteil und Passau mit 98,5 Prozent katholischem Bevölkerungsanteil kaum oder allenfalls durchschnittlich von Konflikten betroffen.95 Meines Erachtens resultiert der Grad der antikirchlichen Maßnahmen des Regimes eben auch in nicht unerheblichem Maße aus den unterschiedlichen lokalen Herrschaftsstrukturen, etwa der lokalen Verankerung der Herr92 von Hehl/Kösters, Terror, Bd. 1, 73 und 121 Tabelle 1. 93 Ebenda. Bezug genommen wird auf den für diese Arbeit relevanten Wert »Erfassungsgrad der Weltpriester in % (1933–1945)«. Da die Bearbeiter auf die Mitarbeit der Archive der jeweiligen Diözesen und die dortigen Vorarbeiten bzw. die Gründlichkeit der jeweiligen Recherche angewiesen waren, sind diese Zahlen zwar grundsätzlich mit Zurückhaltung zu bewerten, lassen aber dennoch einige Tendenzen erkennen. 94 Vgl. von Hehl/Kösters, Terror, Bd. 1, 99 f. 95 Vgl. ebenda, Bd. 1, 121 Tabelle 1: Zu Regensburg siehe oben, in Passau waren 36 Prozent des Weltklerus von NS-Maßnahmen betroffen, der Wert liegt mithin knapp unter dem Reichsdurchschnitt. Auch in anderen bedeutenden katholischen Diözesen wie Aachen (88,7 Prozent kath. Bevölkerung, 32,3 Prozent der Weltkleriker von Verfolgungsmaßnahmen betroffen), Freiburg (60 Prozent kath. Bevölkerung, 26,5 Prozent der Weltkleriker von Verfolgungsmaßnahmen betroffen) und Köln (58,6 Prozent kath. Bevölkerung, 31,7 Prozent der Weltkleriker von Verfolgungsmaßnahmen betroffen) liegen die Werte unter dem Reichsdurchschnitt. Betrachtet man nicht nur die Zahl der von den NS-Maßnahmen betroffenen Kleriker, sondern die Anzahl der nationalsozialistischen Maßnahmen gegen den Klerus in absoluten Zahlen – wobei hier die jeweilige Größe der Diözese und die daraus resultierende Anzahl der Kleriker nicht berücksichtig ist – ergibt sich gleichfalls kein Bild, dass sich eindeutig im Sinne von Hehl und Kösters deuten ließe: In folgenden fünf Diözesen kam es zur größten Zahl an Maßnahmen gegen den Klerus: 1. Würzburg (5.536 Maßnahmen, 57,6 Prozent Katholiken), 2. Augsburg (3.494 Maßnahmen, 86,6 Prozent Katholiken), 3. Paderborn (2.926 Maßnahmen, 22,7 Prozent Katholiken), 4. Köln (2.916 Maßnahmen, 58,6 Prozent Katholiken), 5. Münster (2.727 Maßnahmen, 59,5 Prozent Katholiken); vgl. ebenda, 121, Tabelle 1 und 126, Tabelle 5a. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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schafts- und Maßnahmenträger. Dabei genügt es nicht einmal, nur auf die Ebene der Länder und der NS-Gaue zu sehen, vielmehr wird man bis in die einzelnen Land- und Parteikreise, ja auch noch in den einzelnen Gemeinden große Unterschiede finden.96 Eine nähere Betrachtung der bei Hehl und Kösters präsentierten Zahlen zeigt, dass das auf den ersten Blick monomanisch anmutende Ausmaß der Konflikte nicht überschätzt werden sollte. Bei annähernd der Hälfte (47,1 Prozent) der in die Untersuchung einbezogenen 865 Priester der Erzdiözese München und Freising97 gab es nur einen einzigen Konfliktfall – in immerhin zwölfjähriger NS-Herrschaft –, bei 25,4 Prozent waren es zwei, bei 13,5 Prozent drei und bei den verbleibenden 14 Prozent vier oder mehr Konfliktfälle mit Repräsentanten des NS-Regimes.98 Insgesamt kam es gemäß dieser Aufstellung zu 2.526 NS-Maßnahmen gegen Welt- und Ordenskleriker in der Erzdiözese München und Freising.99 In ihrer Einleitung nehmen von Hehl und Kösters selbst eine zutreffende Relativierung des »Terrors« im Titel ihres Werkes vor: »Nur mit Einschränkungen lässt sich deshalb im Hinblick auf die katholische Geistlichkeit von einer systematischen Terrorherrschaft der Nationalsozialisten sprechen.«100 Die Erhebung von Hehl und Kösters hat für die statistische Gruppierung der einzelnen nationalsozialistischen Maßnahmen gegen den Klerus ein System von 14 Kategorien erstellt. Es wird unterschieden zwischen beruflicher Diskriminierung, Schulverbot, Aufhebung kirchlicher Institutionen, Ausweisung, Ermittlungsmaßnahmen, Verhör, Verwarnung, Terror, Verfahren, Geldstrafen, Freiheitsstrafen, Konzentrationslager, Todesfällen und Sonstigem.101 In der nachfolgenden Tabelle wird die Prozentuale Verteilung dieser Maßnahmen im Vergleich mit dem Durchschnitt der übrigen deutschen Diözesen aufgelistet.  96 Einen der Schwerpunkte der antikirchlichen Agitation in der Erzdiözese München und Freising bildete etwa der Landkreis Mühldorf, mit seinem berüchtigten Kreisleiter Fritz Schwägerl. Dessen antikirchlicher Furor war unbezähmbar und oft genügte der kleinste Anlass für absurdeste Schikanen. So suchte Schwägerl im Juli 1940 einen Mühldorfer Gastwirt zu strafen, weil dieser seine Gaststätte nach der Beerdigung des bei Schwägerl verhassten Geistlichen Rats Gregor Lunghamer für einen Leichenschmaus zur Verfügung gestellt hatte. Die übrigen Beerdigungsteilnehmer, vor allem die Geistlichen, welche per Auto zum Seelengottesdienst erschienen waren, wurden mit 20,− RM Geldstrafe belegt, weil die Reise zu einem Begräbnis nach Urteil des Kreisleiters nicht den Charakter einer kriegswichtigen Fahrt hatte; vgl. AEM, Nationalsozialistische Verfolgung katholischer Geistlicher, Fragebogen A, Gregor Lunghamer, Bericht von Georg Eibl vom 06. 09. 1946 als Anlage. Schwägerl, ging soweit, in öffentlichen Veranstaltungen zu drohen, dass bestimmte Geistliche »vernichtet« und »an die Wand gestellt« werden müssten; vgl. AEM, Nationalsozialistische Verfolgung katholischer Geistlicher, Fragebogen A, Leonhard Modlmayr.  97 Die folgenden Zahlen unterscheiden in der Untersuchung von Hehl und Kösters nicht mehr zwischen Welt- und Ordensklerus. Die Gesamtzahl des Münchener Weltklerus zwischen 1933 und 1945 wird mit 1.812 Priestern angegeben, von NS-Maßnahmen waren 725 Weltpriester und 140 Ordenspriester betroffen, deren Ordensgemeinschaften in der Erzdiözese Niederlassungen hatten, insgesamt also 865 Priester.  98 von Hehl/Kösters, Terror, Bd. 1, 123 Tabelle 3b.  99 Vgl. ebenda, 126 Tabelle 5a. 100 Ebenda, 114. 101 Vgl. ebenda, 119. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Tabelle 9: Prozentuale Verteilung der nationalsozialistischen Maßnahmen gegen den Klerus. Vergleich der diözesanen Werte mit dem Durchschnitt aller deutschen Diözesen. In Klammern die absoluten Zahlenwerte für die Erzdiözese München und Freising (Datenquelle: von Hehl/Kösters, Terror, Bd. 1, 126 f., Tab. 5a und 5b).

Dabei fallen signifikante Unterschiede vor allem im Bereich der Verwarnungen und Verfahren auf. Während in der Erzdiözese München und Freising weitaus häufiger Verwarnungen ausgesprochen wurden als im Durchschnitt der übrigen Diözesen, blieb der Anteil der eingeleiteten Verfahren signifikant hinter dem Durchschnitt der übrigen © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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deutschen Diözesen zurück. Die Verwarnung stellte nicht unbedingt eine »antikirchliche Maßnahme« dar und wurde von den Betroffenen auch keineswegs immer in diesem Sinn, sondern vielfach als Warnung in einem positiven Sinn verstanden, etwa wenn einem Geistlichen wegen einer kritischen Predigt mit historisch-politischen Anspielungen durch den Landrat die Grenzen aufgezeigt wurden (»… ziehen Sie die Parallelen nicht zu dick«), die Anzeige dann aber nicht an die Gestapo weiter geleitet wurde.102 Auch das – ohnehin nicht sehr häufige – Instrument der Ausweisung wurde in der Münchner Diözese eher selten angewandt.103 Auch zur KZ-Haft kam es nur halb so häufig als im Schnitt der sonstigen Diözesen. Aus der Statistik wird deutlich, dass sich ein Großteil der Maßnahmen auf den Bereich der Ermittlungsmaßnahmen sowie Verhöre und Verfahren konzentrierte. Diese machen zusammen 48,5 % der gegen den Klerus gerichteten Maßnahmen aus. Nur ein Teil dieser Maßnahmen mündete in die ebenfalls statistisch erfassten Freiheits- und Geldstrafen. Die Verteilung der Maßnahmen auf die Jahre 1933 bis 1945 lässt einen Anstieg bis zum Jahr 1935 erkennen, nach einer vorübergehenden Beruhigung im Jahr 1936, stieg die Zahl der Verfolgungsmaßnahmen bis zum Kriegsbeginn wieder an, um dann – abgesehen vom Jahr 1941104 – stärker abzufallen. Erst 1945 kann ein erneuter Anstieg konstatiert werden.105 Die als Terror klassifizierten Maßnahmen konzentrierten sich vor allem auf die Anfangsjahre des Regimes und flauten 1938 ab, um im Jahr 1945 nochmals stark anzuschwellen.106 Gegenläufig verhält es sich mit den ins102 Vgl. AEM, Nationalsozialistische Verfolgung katholischer Geistlicher, Fragebogen A, Johann Kaltenhauser, Beilage. In eine ähnliche Richtung zielt der vorab gegebene Hinweis eines Bezirksamtmanns gegenüber dem einbestellten Geistlichen: »Ich mache Sie darauf aufmerksam, dass die Beantwortung dieser Frage Sie nach Dachau bringen kann.« Vgl. AEM, Nationalsozialistische Verfolgung katholischer Geistlicher, Fragebogen A, Victor Keller. Der Priester Josef Kislinger empfand sogar ein inhaltliches Einvernehmen zwischen sich und dem eine Verwarnung aussprechenden Landrat: »Verwarnung (mündlich) durch den Landrat Freiherrn von Hertling, der aber das in sehr feiner Form machte und mir hernach in einer längeren Unterhaltung in meinen Befürchtungen und Anschauungen über den Nationalsozialismus vollständig recht gab.« Vgl. AEM, Nationalsozialistische Verfolgung katholischer Geistlicher, Fragebogen A, Josef Kislinger. In eine ähnliche Richtung zielt der Hinweis eines Ortspolizisten gegenüber dem Geistlichen, dass dieser fortan dessen Predigten zu überwachen hätte, wodurch der Geistliche vorgewarnt war und sich inhaltlich darauf einstellen konnte; vgl. EAM, Priesterbefragung 2003, Interview mit Franz Xaver Kronberger. Zumeist waren es nicht Vertreter der Partei, sondern der alten Ordnung, vorwiegend Staatsbeamte, die Verwarnungen in dieser Form aussprachen. 103 Wenngleich in München mit Johannes Zinkl sogar ein Mitglied des Domkapitels von Ausweisung betroffen war. 104 Diese Zahl dürfte vor allem durch den so genannten Klostersturm bedingt sein, der massive Auswirkungen auf den Ordenklerus hatte; vgl. hierzu Mertens, Anette, Himmlers Klostersturm. 105 von Hehl/Kösters, Terror, Bd. 1, 124, Tabelle 4a. Zwar ist die Zahl von 64 Maßnahmen im Jahr 1945 die niedrigste in der gesamten Reihe, bezieht sich aber naturgemäß nur auf die ersten vier Monate des Jahres. Somit ergibt sich gemittelt ein deutlicher Anstieg gegenüber dem Vorjahr 1944 (106 Maßnahmen), der vermutlich auf die Abrechnungsmaßnahmen des untergehenden Regimes mit seinen Gegnern in den letzten Kriegsmonaten zurückzuführen ist. 106 Vgl. ebenda, 201 Tabelle 101. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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gesamt 13 Einweisungen von Priestern in ein Konzentrationslager: Zur ersten Maßnahme dieser Art kam es erst 1939, weitere Fälle folgten 1940 und 1941, dann geschah zwei Jahre nichts, bis es 1944 zu drei und 1945 schließlich sogar zu fünf Fällen von KZ-Haft kam.107 Auch die drei bei Hehl und Kösters aufgeführten Münchener Todesfälle ereigneten sich in den beiden letzten Kriegsjahren.108 Dies entspricht der allgemeinen Tendenz, dass die antikirchlichen Maßnahmen in den letzten Kriegsjahren härter und drastischer wurden. Betrachtet man die Hintergründe der Auseinandersetzungen, fällt vor allem auf, dass der Klerus in mehr als der Hälfte der konkretisierbaren Fälle dort mit den nationalsozialistischen Kräften in Konflikt kam, wo es um die eigene Berufsausausübung ging: Seelsorge, Gottesdienst, Schule, Vereins- und Jugendarbeit machen annähernd 57 Prozent der dokumentierten Fälle aus.109 Die übrigen Fälle sind in den Bereichen Regimekritik, politischer Unzuverlässigkeit und staatsfeindlichem Verhalten zu verorten. Auch diese sind jedoch vielfach in einen direkten Zusammenhang mit der priesterlichen Tätigkeit des Klerus zu bringen, etwa wenn ein Geistlicher infolge des Inhalts einer Predigt der politischen Unzuverlässigkeit oder Regimekritik beschuldigt wurde. Demgegenüber sind die Sittlichkeits- oder Devisenergehen – soweit statistisch erfasst – zu vernachlässigen. Nicht immer wird man jedoch dieser Eingruppierungssystematik folgen wollen. Ein Teil der Konflikte hatte, wie die Quellen vielfach zeigen, persönliche Animositäten,110 Neid111 oder ökonomische Verteilungskämpfe112 als Hintergrund-

107 Ebenda. 108 Ebenda. 109 Vgl. ebenda, 199 Tabelle 98. Von insgesamt 2.526 Vergehen konnten 1.887 einem bestimmbaren Anlass zugeordnet werden. Die Mehrheit von 1.080 dieser 1.887 konkretisierbaren Vergehen (d. h. 57 Prozent) entfielen auf die Bereiche Schule (113), Gottesdienst (512), Allgemeine Seelsorge und Ausländerseelsorge (181) sowie Vereins- und Jugendarbeit (274), die restlichen 807 Vergehen unterteilten sich in Regimekritik (345), Politische Unzuverlässigkeit (193), Staatsfeindliches Verhalten (205), Sitte (14), Devisen (38) und Umgang mit Juden (12). 110 Wenn etwa Kooperator Johann Baptist Heldwein gegenüber der kleinen Tochter des nationalsozialistischen Oberlehrers äußerte, sie hätte einen hässlichen Vornamen, wie man ihn normalerweise nur Hunden und Katzen geben würde, kann man hierin wohl kaum »Regimekritik« erkennen, sondern schlichtweg Boshaftigkeit und persönliche Animosität. Dass der Priester daraufhin vor den Landrat zitiert und von diesem verwarnt wurde, er solle sich ähnlicher Äußerungen künftig enthalten, erscheint ebenso erwartbar wie angesichts dieser Rüpelhaftigkeit der Form nach angemessen; vgl. AEM, Nationalsozialistische Verfolgung katholischer Geistlicher, Fragebogen A, Johann B. Heldwein, Beilage 4. 111 Etwa wenn ein nationalsozialistischer Redner in einer Ansprache die – nach seiner Meinung überhöhten – Monatsgehälter der Ortsgeistlichen anprangerte; vgl. AEM, Nationalsozialistische Verfolgung katholischer Geistlicher, Fragebogen A, Josef Kranz, Beilage »Kreuz und Hakenkreuz in Oberschleißheim«. 112 Etwa dort, wo einem Ökonomiegeistlichen die üblichen staatlichen Zuschüsse für Silobau, Weideanlagen etc. sowie Landmaschinenbezugsscheine verweigert wurden; vgl. AEM, Nationalsozialistische Verfolgung katholischer Geistlicher, Fragebogen A, Leonhard Modlmayr. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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folie. Hinzu kamen traditionelle Konflikte zwischen Berufsständen, wie die zwischen Lehrern und Geistlichen.113 Tatsächlich kommen in vielen antikirchlichen Aktionen von Nationalsozialisten, vor allem in der Verspottung des Klerikerstandes und religiöser Riten wie etwa der Nachahmung von Fronleichnamsprozessionen,114 aber auch im Kreuzfrevel,115 weniger eine politisch motivierte Ablehnung der Kirche zum Ausdruck, als vielmehr eine grundsätzliche antikirchliche Einstellung. Dieser zufolge ist das Christentum eine rückwärts gewandte, vormoderne, letzten Endes unzeitgemäße Institution, welche die durch den Nationalsozialismus befreiten Kräfte an einer positiven Entwicklung von Staat und Gesellschaft hindere. Insofern machte sich der Nationalsozialismus hier die Argumentationsstrategien liberaler Kulturkämpfer des 19. Jahrhunderts zu Eigen. Vielfach entsteht der Eindruck, als sei die durch den Nationalsozialismus entstehende Machtstellung von einzelnen Exponenten der Partei dazu benutzt worden, ihre schon immer bestehenden grundsätzlichen antikirchlichen Positionen und Ressentiments nun durchzusetzen. Domkapitular Neuhäusler berichtete in der Ordinariatssitzung im November 1937 über den Inhalt der religiösen Auseinandersetzungen in den Arbeitsdienstlagern und nennt hier »vor allem Unfehlbarkeit, Unbefleckte Empfängnis, Zölibat, Beichte«.116 Konflikte entstanden also nicht nur aus dem politischen Verhalten von Geistlichen bzw. Theologiestudenten und auch nicht aus lehramtlichen Positionen der Kirche, die in einem direkten Widerspruch zur NS-Ideologie standen – wie etwa das aus dem 5. Gebot herzuleitende Verbot der Tötung geistig behinderter Menschen –, sondern aus einer scheinbar vollkommen unpolitischen, weil theologisch abstrakten Materie wie dem Dogma der Immaculata conceptio.117 Die 113 Vgl. zum häufig mit Konflikten beladenen Verhältnis zwischen Lehrer und Pfarrer bereits im 19. Jahrhundert Nickel, Theologisch-praktische Monatsschrift, 468 ff.; zu Ihrer Rolle als Gegenspieler der Priester in der dörflichen Welt: Broszat, Denunziationen, 230. 114 Zu verweisen ist beispielsweise auf Vorgänge wie das öffentliche Nachäffen einer Fronleichnamsprozession mit einem Betttuch als Tragehimmel und einer Pseudo-Monstranz durch SS-Angehörige der Polizeischule in Fürstenfeldbruck (vgl. Forstner, Fürstenfeldbruck, 246), die »Verspottung der Fronleichnamsprozession in S.S. Kaserne München-Nord und Arbeitsdienstlager Oberschleißheim« (vgl. AEM, Ordinariatssitzungsprotokoll vom 02. 07. 1937) oder den Bericht über die Nachäffung der Monstranz durch ein Hakenkreuz mit Gloriole auf einem NS-Festzug (vgl. AEM, Ordinariatssitzungsprotokoll vom 15. 07. 1938). In der Verachtung und Verspottung des Fronleichnamsfestes durch die Nichtkatholiken schwingen sehr alte, auch reformatorische Traditionen mit. 115 Vgl. Amtsblatt München 1937, 140; AEM, Nationalsozialistische Verfolgung katholischer Geistlicher Fragebogen A, Josef Kranz, Beilage »Kreuz und Hakenkreuz in Oberschleißheim«; besonders grotesk mutete die Vorgehensweise eines NS-Ortsgruppenleiters in Fürstenfeldbruck an, der mehrmals versucht hatte, in der dortigen Aussegnungshalle das Kreuz an der Wand zu entfernen, was ihm aber nicht gelang, da es zu fest an der Wand befestigt war, vgl. Forstner, Fürstenfeldbruck, 247. 116 AEM, Ordinariatssitzungsprotokoll vom 19. 11. 1937. 117 Die freilich in der Praxis von den antikatholischen Laien nahezu immer mit dem Dogma der immerwährenden Jungfräulichkeit Mariens verwechselt wurde. Wenn kirchenkritische Laien von unbefleckter Empfängnis sprachen, meinten sie tatsächlich zumeist die Jungfrauengeburt und nicht © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Ablehnung kirchlicher Institutionen war zumeist umso größer, je radikaler, drängender und zumeist auch jünger die entsprechenden Exponenten des Regimes waren. Der Stellvertretende Gauamtsleiter des Parteigaus München und Oberbayern, Wilhelm Wettschureck, schrieb im Mai 1940 in einem Rundbrief an die im Feld stehenden Parteigenossen des Gaus in einem Tonfall, der exemplarisch für den antiklerikalen Hass dieser Gruppe steht: Gestern Abend begegneten mir ein paar Pfaffen. Sie unterscheiden sich in ihrem Wesen und Ausdruck von allen Menschen jetzt noch mehr als bisher. Sie wollen den Sieg nicht. Sie leben nicht im Volke, nicht mit dem Volke, nicht für das Volk. Sie sind Feinde im Land; man sieht es ihnen an. Sie können einem auch nicht in die Augen blicken. Sie verraten täglich die Sache des Volkes. Sie hassen das Volks, das siegt, das kämpfen will, das leben will. Sie können ihre Saat nur auf Verzweiflung, auf Dummheit, auf Einfalt, auf Armut und Knechtseligkeit legen.118

Diese ideologische Stoßrichtung des nationalsozialistischen Antikatholizismus war bestrebt, die Wertewelt der Kirche durch eine rein nationalsozialistische Wertewelt zu ersetzen. Sie begriff sich auf Ihre Weise als modern und aufgeklärt, wenngleich diese Form von Aufklärung nicht in einer humanistischen Zielsetzung mündete, sondern anstelle des christlichen ein rassistisch-selektionistisches Weltbild setzen wollte. Die Priester als Agenten des kirchlichen Weltbildes standen dem im Weg, kam ihnen doch als Repräsentanten der alten geistigen Ordnungsmacht mit Alleinvertretungsanspruch eine Sonderstellung zu. Noch dazu verstanden sie sich gemäß eigenem Selbstverständnis als die maßgebliche Autorität in allen Glaubens- und Sittenfragen in ihren Gemeinden. Wenngleich der Kampf um den Einfluss der Pfarrer auch in den ländlichen Gemeinden bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts in vollem Gange war,119 hatten sich doch starke Residuen der ursprünglichen Vorrangsstellung fast überall erhalten. Für die Gläubigen war der Geistliche eine Respektsperson, dessen Ansehen zwar auch von seinem individuellen Verhalten abhing, vorwiegend aber strukturelle und kulturelle Ursachen hatte.120 Betrachtet man anhand der Zahlen von Hehl und Kösters statistisch, welche Instanzen des Herrschaftsgefüges von Staat und Partei in Konflikte mit dem Klerus verwickelt waren, erweitert sich das Gesamtbild. Hier ist, bei allen Unschärfen der

die Freiheit Marias von der Erbsünde. Tatsächlicher Streitpunkt dürfte bei der Aufzählung Neuhäuslers deshalb wohl die – freilich ebenso unpolitische – Jungfräulichkeit Mariens gewesen sein. 118 AEM, NL Thalhamer, Stw. NS/Kirche, Rundbrief des Gauamtleiters Wettschureck vom 10. 05. 1940. 119 Vgl. Nickel, Theologisch-praktische Monatsschrift, 223 f., die dies anhand einer Analyse entsprechender Diskurse in der Theologisch-praktischen Monatsschrift feststellte. 120 Wie Charles Taylor, Quellen des Selbst, dargelegt hat, sind in einer Gesellschaft, die vom Sinnhorizont einer göttlich vorgegebenen Ordnung des Daseins ausgeht, auch die Anerkennungsverhältnisse der Repräsentanten dieser Ordnung a priori gesichert, also kaum von deren individuellem Tun abhängig. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Erhebung,121 eine starke Konzentration auf die Gestapo als Maßnahmenträger zu erkennen. Diese ist für annähernd ein Drittel aller Maßnahmen gegen den Klerus verantwortlich, jedoch liegt der diözesane Wert (30,1 Prozent) unter dem deutschlandweiten Durchschnitt (38 Prozent). Dies trifft auch für Gerichte und Justizbehörden zu, die in der Münchener Diözese in 17,2 Prozent der Fälle für die Ahndung der Vergehen verantwortlich waren (reichsweit 19,5 Prozent). Erheblich stärker als im Reichsdurchschnitt waren in München und Freising die Verwaltungsbehörden (14,8 Prozent der Fälle, reichsweit nur 9,5 Prozent) und die Polizei involviert (10,2 Prozent der Fälle, reichsweit nur 6,5 Prozent). Auch die Partei selbst war als Träger von 9,1 Prozent der antikirchlichen Maßnahmen hier stärker involviert, als im Reichsdurchschnitt (7 Prozent). Die Wehrmacht ist als Instanz zu vernachlässigen. Tabelle 10: Prozentuale Verteilung der nationalsozialistischen Maßnahmen gegen den Klerus auf die verursachenden Instanzen des NS-Herrschaftsgefüges. Vergleich der diözesanen Werte mit dem Durchschnitt aller deutschen Diözesen. In Klammern die absoluten Zahlenwerte für die Erzdiözese München und Freising (Datenquelle: von Hehl/Kösters, Terror, Bd. 1, 130 Tabelle 8a und 8b)

121 Erfahrungsgemäß wird eine Mehrzahl von Verfolgungsmaßnahmen des NS-Regimes in der Erinnerung der Betroffenen der Gestapo angelastet, obwohl sie tatsächlich auf andere Instanzen zurückging; vgl. Gellately, Gestapo-Mythos, 48 f. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Versucht man beide Statistiken in einer gemeinsamen Sicht zu interpretieren und ergänzt diese aus dem weiteren statistischen Material von Hehl und Kösters um die Fragestellung, welche Instanzen für welche Maßnahmen verantwortlich waren, kommt man zu folgenden Ergebnissen: Die Gestapo und die Gerichte waren – annähernd zu gleichen Teilen – für den überwiegenden Teil der Gefängnisstrafen verantwortlich, die KZ-Einweisung geht fast ausschließlich auf die Gestapo zurück.122 Die Aktivitäten der Partei konzentrierten sich vor allem auf die als Terror qualifizierten Maßnahmen und das Aussprechen von Verwarnungen, in geringerem Maße war sie auch verantwortlich für berufliche Diskriminierung, Verhöre und Ermittlungen. Insgesamt kam es in München und Freising offensichtlich zu weniger formellen und auch zu weniger schweren Strafen als im Schnitt der Diözesen. Obwohl die Beteiligung der Gestapo an den Maßnahmen unter dem Reichsdurchschnitt liegt, erscheint diese insbesondere aufgrund der geringen Personalausstattung der Gestapo noch beachtlich.123 Bekanntlich war die Gestapo im Wesentlichen auf Zuträger aus der Bevölkerung angewiesen.124 Es erscheint durchaus denkbar, dass die konfessionelle Geschlossenheit in der Erzdiözese zu einer geringeren Anzahl an Denunziationen führte, was die niedrigeren Zahlen erklären würde. Dies lässt sich mit einem vergleichenden Blick auf die Diözesen Passau und Regensburg bestätigen, in denen der Katholikenanteil bei 98,5 bzw. 88,9 Prozent lag. Die Gestapo war hier nur in 18,8 bzw. 13,3 Prozent der Fälle als Sanktionsorgan involviert.125 Eine sinnvolle Bewertung dieser 2.526 antikirchlichen Maßnahmen der Nationalsozialisten muss neben der quantitativen aber auch eine qualitative Dimension einbeziehen. Ergibt sich diese zum Teil bereits aus dem Charakter der Maßnahmen selbst – eine Vorladung oder Verwarnung hat naturgemäß nicht die gleichen Implikationen wie eine Haftstrafe –, kann als weiteres Kriterium zur Beurteilung der qualitativen Dimensionen dieser Maßnahmen, also der Frage wie gravierend die Bedrängung des Klerus tatsächlich gewesen ist, eine zeitgenössische Lageeinschätzung von kirchlicher Seite selbst herangezogen werden, nämlich ein Tätigkeitsbericht der Rechts122 Vgl. von Hehl Kösters, Terror, Bd. 1, 200 Tabelle 99. 123 Laut Johnson/Reuband, Einschätzung der Gestapo, 417, kam ein Gestapo-Beamter auf 10.000 Bürger. 124 Vgl. Gellately, Gestapo-Mythos, 56. Auch Breuer, Wandel, 332, wies darauf hin, dass bei der amtlichen Bespitzelung von Geistlichen »zu einem guten Teil der Zufall Regie« führte. Dies gelte auch für die Ahndung von Äußerungen außerhalb des Gottesdienstes: »Wo kein Denunziant, da auch kein Richter.« Hüttenberger, Heimtückefälle, 509 ff., konstatierte bei seiner Untersuchung über die Heimtückefälle vor dem Sondergericht München, dass die lokale Bevölkerung bei Denunziationen gegenüber im Ort ansässigen Honoratioren tendenziell eher Zurückhaltung übte, selbst wenn diese als Gegner des Regimes galten. Hierzu passt etwa auch der Fall eines Lehrers in der Pfarrei Oberbergkirchen, der – obwohl selbst NSDAP-Parteigenosse – nicht nur in der Pfarrkirche die Orgel spielte, sondern dem Pfarrer als verabredetes Warnzeichen zu Gottesdienstbeginn Zettel mit unverfänglichen Fragen nach zu spielenden Liedern zukommen lies, sobald er von seinem Platz an der Orgel aus einen Gestapo-Spitzel entdeckt hatte, vgl. Huber, Erinnerungen, 45. 125 Vgl. von Hehl/Kösters, Terror, Bd. 1, 121 Tabelle 1 und 130 Tabelle 7. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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schutzkommission des Klerusverbands. Dem bayerischen Klerus bot sich im Hinblick auf Rechtsfragen ein sicherndes Netz durch den Klerusverband mit seiner seit 1927 bestehenden Rechtsschutzkommission. Diese unterstütze Priester in Rechtsstreitigkeiten materiell, indem sie zwei Drittel der Anwaltskosten bei juristischen Auseinandersetzungen übernahm und immateriell durch einen großen Wissensschatz, vor allem eine Sammlung bereits ergangener Urteile, so dass in manchen Fällen auf ein Verfahren verzichtet werden konnte.126 Der Klerusverband, dem etwa 80 bis 90 Prozent der Diözesankleriker angehörten127, schätzte selbst, dass es kaum juristische Auseinandersetzungen von Priestern gab, die nicht über den Verband liefen.128 Die Anwaltssozietät Dr. Warmuth – Simon – Dr. Haus in der Münchner Brienner Straße, und dort insbesondere Rechtsanwalt Dr. jur. Joseph Warmuth (1881– 1957), stellte seit den 1920er Jahren erste und zeitweise nahezu ausschließliche, auch vom Klerusverband empfohlene Anlaufstelle für Kleriker bei Rechtsfragen ziviler oder strafrechtlicher Natur dar. Insbesondere in der Zeit des Nationalsozialismus konsultierten die Priester der Münchener Erzdiözese bei Auseinandersetzungen mit Staat und Partei vorwiegend Dr. Warmuth, die Kanzlei verfügte dadurch über außerordentlich gute Erfahrungen in derartigen Konfliktsituationen.129 Im exemplarisch ausgewählten Jahr 1937 war die Rechtsschutzstelle in ganz Bayern mit 128 Rechtsangelegenheiten von Klerikern befasst.130 Bei 83 dieser 128 Fälle wurde ein Anwalt hinzugezogen. Hier waren die Geistlichen aber nur in 41 Fällen Beklagte, während sie in den übrigen 42 Fällen als Kläger auftraten. Bei den ersteren 41 Fällen kam es in ganz Bayern (ohne Ordensklerus) in fünf Fällen zu Freiheitsstrafen, in 10 Fällen zu Geldstrafen.131 Für dasselbe Berichtsjahr 1937 führen Ulrich von Hehl und Christoph 126 Vgl. Natterer, Klerus, 113–120. 127 Die Mitgliedszahlen des Diözesanverbands München betrugen 1933 1.102, 1934 1.181, 1935 1.214, 1936 1.302 und 1937 1.309; vgl. Bruggaier, Generalversammlung 1938, 113. Bezogen auf die Gesamtzahl an 1.421 Diözesanklerikern im Jahr 1933 (vgl. die Tabelle »Entwicklung des Diözesanklerus 1918–1949« in Kapitel 3.3.1), ergibt sich für dieses Jahr eine Mitgliedsquote von 77,55 Prozent, für 1937 jedoch bereits von 89 Prozent. 128 Vgl. Bruggaier, Generalversammlung 1938, 115. Meine Kenntnis zahlreicher Einzelfälle bestätigt diesen Befund weitgehend. 129 Vgl. zu dieser Kanzlei: Natterer, Klerus, passim; Gritschneder, Rupert Mayer, passim [Register]; Trenner, Klerusverband, 9. Auch Kardinal Faulhaber bediente sich Dr. Warmuths als Anwalt. Bisweilen entsteht der Eindruck, als ob Warmuth einen stringenteren Überblick über die aktuelle Rechtssprechung bei Konflikten der Kleriker mit Staats- und Parteiorganen besessen hätte, als die konkurrierenden Organe des polykratischen NS-Herrschaftsgefüges. Ein Umstand der den NSBehörden naturgemäß wenig behagte und mehrmalige Durchsuchungen der Kanzlei zur Folge hatte. Die Anwaltssozietät zerbrach nach Ausbombungen 1944/45, der gesundheitlich schwer angeschlagene Warmuth hatte bereits 1942 einen Nervenzusammenbruch erlitten und konnte seine Tätigkeit nicht mehr fortsetzen. (Freundliche Auskunft von Herrn Klaus Simon, Eggstätt, am 06. 11. 2002 an den Verfasser.) 130 Vgl. Bruggaier, Generalversammlung 1938, 115. Eine Aufstellung nach einzelnen Diözesen bietet der Bericht nicht. 131 Vgl. ebenda. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Kösters (einschließlich des Ordensklerus) 1.901 antikirchliche Maßnahmen für sämtliche bayerische Diözesen an, für die Münchener Erzdiözese allein 220.132 Wenngleich es im Jahr 1937 vor allem aufgrund der Sittlichkeits- und Devisenprozesse, die sich überwiegend gegen Ordensangehörige richteten, zu einem starken Anstieg der antikirchlichen Maßnahmen kam, lässt sich die enorme Diskrepanz in den Zahlen nicht hierauf zurückführen.133 Anhand dieser Zahlen lässt sich zweierlei zeigen: Vor 1945 ging das Bestreben der Funktionäre des Klerusverbands dahin, die Loyalität und Treue des Klerus gegenüber dem nationalsozialistischen Staat zu demonstrieren. Das statistische Messraster wurde entsprechend fein granuliert und Domkapitular Ludwig Bruggaier betonte in seinem Bericht, lediglich 0,2 Prozent der 6.000 bayerischen Geistlichen seien verurteilt worden, ein Prozentsatz, der »nicht als übermäßig hoch anzusehen sein dürfte«, dennoch sei »eine Mahnung auszusprechen«, nämlich die, dass »Geistliche staatliche Bestimmungen und Vorschriften genau beachten« müssten.134 Umgekehrt sollte nach 1945 infolge der Kritik am passiven Verhalten des Klerus vor allem dessen Gegnerschaft zum nationalsozialistischen Staat möglichst umfassend demonstriert werden, wozu in eine Betrachtung wie derjenigen von Hehl und Kösters alle denkbaren Formen von Konflikten einbezogen wurden, wodurch eine Quote von 36,3 Prozent von »Zwangsmaßnahmen« des NS-Regimes betroffenen Klerikern erreicht wurde. Diskrepanzen dieser Art sind vor allem von kulturgeschichtlichem Interesse für die jeweilige Selbstdeutung des Verhältnisses der einen sozialen Gruppe (Kleriker) gegenüber der Anderen (Nationalsozialisten) im Wandel der politischen Verhältnisse. Als Folgerung hieraus lässt sich an dieser Gegenüberstellung zweitens zeigen, dass Zahlen allein im Hinblick auf den Themenkomplex Widerstand und Verfolgung wenig aussagekräftig sind und an ihre Stelle eine kritische qualitative Analyse der Phänomene selbst treten muss, um einigermaßen stichhaltige Aussagen über die tatsächliche Situation des Klerus zu ermöglichen. Gleichwohl darf dabei die latente Bedrohungssituation, welcher der Klerus fortwährend ausgesetzt war, die alltäglichen Schikanen, die missbilligende Wahrnehmung und Überwachung, nicht unberücksichtigt bleiben. Diese Phänomene sollten jedoch in kritische Relation zur Situation anderer Gruppen gesetzt werden. 132 Vgl. von Hehl/Kösters, Terror, 124 Tabelle 4a: München und Freising 220 Maßnahmen; Augsburg 240; Bamberg 116; Eichstätt 85; Passau 77; Regensburg 123; Speyer 354; Würzburg 686. Gemäß Tabelle 101 auf S. 201 verteilten sich die 220 Münchener Maßnahmen auf folgende Formen: 12 Terrormaßnahmen, 18 Fälle beruflicher Diskriminierung, 46 Verhöre, 42 Ermittlungsmaßnahmen, 50 Verfahren, 29 Verwarnungen, acht Schulverbote, sieben Geldstrafen, sieben Freiheitsstrafen und eine Ausweisung. 133 Im Nachlass Kardinal Faulhabers findet sich eine Aufstellung über Klerikern gewährten Rechtsschutz in den Jahren 1941 und 1942. Nach dieser kam es 1941 zu 44 und 1942 zu 22 Rechtsschutzfällen in der Erzdiözese München und Freising; EAM, NL Faulhaber 8303, Rechtsschutz i[n den] J[ahren] 1941/42 vom 05. 02. 1943. 134 Bruggaier, Generalversammlung 1938, 115. Bruggaier bezieht sich aber nur auf das Jahr 1937 und betrachtet nur die Verurteilung zu Freiheitsstrafen, keine Geldstrafen und schon gar nicht die Zahl der Ermittlungsverfahren selbst, um die Zahl so niedrig wie möglich zu halten. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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8.4 Haltung und Verhalten der kirchlichen Oberbehörde angesichts des Widerstands von Klerikern gegen den Nationalsozialismus Auf der Münchener-Diözesansynode des Jahres 1940 erhob Kardinal Faulhaber die Bürgerruhe für den Klerus zur priesterlichen Standespflicht: Außer den Kanones im kirchlichen Gesetzbuch gibt es für die priesterlichen Standespflichten Kanones der Zeit, Imperative der Gegenwart. […] Ein Kanon der Zeit verpflichtet uns dem Staat zu geben, was des Staates ist, der rechtmäßigen staatlichen Obrigkeit in allem, was recht ist, Gehorsam entgegenzubringen und zwar nach Röm. 13‚ um des Gewissens willen135,

führte Faulhaber in seinem Referat über die Standespflichten des Klerus aus. Darüber hinaus müsse der Klerus auch die »Großtaten« des Regimes anerkennen: Es widerstrebt uns, mit unserem Patriotismus hausieren zu gehen und selbstverständliche Pflichten des vierten Gebotes bei jeder Gelegenheit zu betonen. Heute aber, da man gerade in dieser Beziehung dem Klerus Misstrauen und Vorurteile entgegenbringt, müssen wir ohne Scheu auf diese Pflicht des vierten Gebotes hinweisen. Wir müssen das Gute anerkennen, beispielsweise die Großtat, dass einem arbeitslosen Volk Arbeit beschafft wurde, oder der Großtat, dass beim Vormarsch im Westen die Kathedralen geschont wurden. Und wenn wir das non possomus sprechen, ist es nicht die Freude am Widerspruch, sondern weil ein göttliches Gebot und unser Gewissen uns diktieren: Non licet.136

Faulhabers Bemühungen, den Klerus auf diese Linie der Konfliktvermeidung einzuschwören, folgten dem kirchlichen Eigeninteresse. Der Seelsorgebetrieb sollte nicht noch weiter eingeschränkt, nicht noch mehr Geistliche mit Schulverboten137 belegt 135 Standespflichten des Klerus, in: Bericht Diözesan-Synode 1940, 16–20, hier 17. Hervorhebung im Original durch Sperrdruck. 136 Ebenda. Das vierte Gebot, »Du sollst Vater und Mutter ehren«, bezieht nach katholischer Lehrmeinung auch den Gehorsam gegenüber der staatlichen Obrigkeit ein, auf den hier mit dem Verweis auf das 13. Kapitel des Römerbriefs von Faulhaber zudem angespielt wird. Die Stelle (Röm. 13, 1–2) lautet: »Jeder leiste den Trägern der staatlichen Gewalt den schuldigen Gehorsam. Denn es gibt keine staatliche Gewalt, die nicht von Gott stammt; jede ist von Gott eingesetzt. Wer sich daher der staatlichen Gewalt widersetzt, stellt sich gegen die Ordnung Gottes, und wer sich ihm entgegenstellt, wird dem Gericht verfallen.« 137 Um die Geistlichen als letzte Bastion eines fremden weltanschaulichen Einflusses soweit als möglich aus den Schulen zu drängen, forderte man von denen, die Religionsunterricht erteilen wollten, in verstärktem Maße »politische Zuverlässigkeit«. Den Rahmen schuf das Bayerische Schulaufsichtsgesetz vom 14. 03. 1938, demzufolge Geistliche für die Erteilung des Religionsunterrichts die Zulassung durch den zuständigen Regierungspräsidenten benötigten; vgl. Schulaufsichtsgesetz vom 28. 03. 1938, BayGVBl. 1938, 141 ff., v. a. Art. 16. Hatten sie nach Dafürhalten der Regierung nicht die erforderliche erzieherische Eignung oder erfüllten sie das Kriterium der »politischen Zuverlässigkeit« nicht – wobei die Beurteilung dieser Voraussetzungen vollkommen der Willkür © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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oder gar verhaftet und dem Staat kein neuerlicher Vorwand für den Erlass antikirchlicher Maßnahmen gegeben werden. Faulhaber hatte gewiss die Geistlichen vor Augen, die bis zum Jahr 1939 bereits wegen Kanzelmissbrauchs oder Verstößen gegen die so genannte Heimtückeverordnung verurteilt worden waren, als er folgende Mahnung aussprach: Ein Kanon der Zeit verpflichtet uns […] in allem, in jedem Wort auf der Kanzel, in jedem Wort der Privatgespräche eine Wache an den Mund zu stellen. Die Zungenwache auf der Kanzel ist ein strenger Kanon der Zeit!138

Wo die Grenze des Erträglichen und des mit dem persönlichen Gewissen noch Vereinbaren erreicht war, bevor ein Geistlicher das »non possumus« sprechen sollte, war damit nicht gesagt. Wie sich Kleriker angesichts der veränderten politischen Rahmenbedingungen des Dritten Reichs verhalten sollten, war bereits in den ersten Wochen einzelner unterworfen war, da belastbare Kriterien hierfür nicht existierten – mussten sie mit dem Entzug der Unterrichtserlaubnis rechnen; vgl. Schäffer, Gleichschaltung der Volksschule, 178–182; dort auch zu den vergeblichen Protesten Faulhabers gegen den Vollzug des Gesetzes. Entsprechend der gesetzlichen Rahmenbedingungen wurde die Maßnahme des Schulverbots in Bayern zwar erst ab dem Schuljahr 1938/39 in verstärktem Maße eingesetzt, als die antikirchlichen Maßnahmen insgesamt bereits wieder abgeflaut waren und die wichtigsten Ziele des Schulkampfes von NS-Seite bereits erreicht waren, dafür wurden die neuen Möglichkeiten des Schulaufsichtsgesetzes von den Machthabern exzessiv genutzt: Im Erzbistum München und Freising kam es in mindestens 126 Fällen zu Schulverboten gegen Geistliche; vgl. von Hehl/Kösters, Terror, Bd. 1, 199, Tabelle 98. Die Gründe waren zumeist nur vordergründig weltanschaulicher Natur, hatten vielfach mit dem Unterricht nichts zu tun und muten oft geradezu banal an. So wurde Kaplan Anton Albl aus München-St. Franziskus vorgeworfen, er habe die »Alten Germanen« lächerlich gemacht; vgl. Guttmann, Giesing, 142. Einem anderen Geistlichen wurden »deutschfeindliche Äußerungen« unterstellt; vgl. AEM, Nationalsozialistische Verfolgung katholischer Geistlicher, Fragebogen A, Kaspar Hubert Wolff. Einem Dritten, er habe das Brevier gebetet, während auf dem Dorfplatz »nationale Lieder« gespielt wurden, womit seine »staatsfeindliche Gesinnung« erwiesen sei; vgl. AEM, Nationalsozialistische Verfolgung katholischer Geistlicher, Fragebogen A, Erhard Huber, Beilage. 138 Vgl. Standespflichten des Klerus, in: Bericht Diözesan-Synode 1940, 16–20, hier 18. Bereits 1937 hatte die Ordinariatssitzung beschlossen, Wortlaut des Kanzelparagraphen und des Heimtückegesetzes neben einigen bereits gefällten Musterurteilen zur Information und lehrreichen Abschreckung des Klerus im diözesanen Amtsblatt zu veröffentlichen (vgl. AEM, Ordinariatssitzungsprotokoll vom 15. 10. 1937). Vgl. zum Heimtückegesetz Blumberg-Ebel, Sondergerichtsbarkeit, 46–52; zum Kanzelparagraphen Schmidl, Kanzelmissbrauch; Volkmann, Rechtssprechung, 51–72. Inwiefern sich diese Losung im kollektiven Gedächtnis des Klerus festgesetzt hatte, zeigt sich etwa auch in den Zeitzeugen-Interviews. So berichtete Franz Kronberger, um eine Charakterisierung des Generalvikars Ferdinand Buchwieser gebeten, dieser habe bezüglich des Verhaltens der Priester gegenüber dem NS-Regime die Parole ausgegeben: »Seid vernünftig, redet nicht viel gegen die Nazizeit. Es hilft nichts. Ihr kommt bloß alle in das KZ, wenn Ihr zu viel redet«; vgl. EAM, Priesterbefragung 2003, Interview mit Franz Xaver Kronberger. Friedrich Frei erinnerte sich, bereits in der Ausbildung gelernt zu haben: »Sie haben nicht Politik zu machen, sondern das Evangelium zu verkünden.« (EAM, Priesterbefragung 2003, Interview mit Friedrich Frei). © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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nach der Machtergreifung deutlich geworden. Auch Faulhaber hatte den Widerspruch für sich durchaus erkannt, dass die Bischöfe den Nationalsozialismus zuerst abgelehnt hatten, weil sie ihn ihm eine Irrlehre sahen,139 ihre früheren Warnungen dann aber am 28. März 1933 wieder zurückgenommen hatten,140 weil die Parteiführer versichert hatten, nichts gegen die Kirche zu tun.141 In dieser Situation erließ Faulhaber pastorale Anweisungen an seinen Klerus,142 welche neben Regeln zum Umgang mit Nationalsozialisten im kirchlichen Raum (etwa beim Besuch des Gottesdienstes in Uniform, dem Mitbringen von Fahnen zur Messfeier, der Konkurrenz der Vereine etc.) auch der Hoffnung Ausdruck gaben, dass der Klerus weiterhin mit apostolischem Freimut für die unbeugsame katholische Glaubenslehre und für die Grundsätze der kirchlichen Disziplin eintritt, dabei aber in der Form den herausfordernden Ton vermeidet und die Tagesfragen der Politik von der Kanzel und dem christlichen Unterricht fernhält.143

Auch ist hier bereits die Mahnung enthalten, dass auch gegenüber der neuen Staatsregierung »die Grundgesetze der christlichen Staatslehre gelten« und entsprechend »der rechtmäßigen Obrigkeit staatsbürgerliche[r] Gehorsam [zu] leisten« sei.144 Darüber hinaus möge der Klerus mit allen Mitteln der Seelsorge, im besonderen durch das apostolische Predigtwort und die Pflege des Sakramentenempfangs, der Gottlosigkeit und Sittenlosigkeit der Zeit entgegenwirken und so in seiner Weise die Pläne der nationalen Regierung unterstützen, die mit staatlichen Mitteln eine innere Erneuerung des Volkslebens anzustreben versprochen hat.145

Mahnungen dieser Art wiederholten sich. In pastoralen Anweisungen aus dem Jahr 1935 heißt es:

139 Vgl. v. a. die Münchener Diözesan-Synode vom November 1930, auf der Domdekan Scharnagl den Nationalsozialismus als mit der christlichen Weltanschauung unvereinbare Häresie bezeichnet hatte; vgl. hierzu auch Volk, Episkopat und Nationalsozialismus, 23 f. 140 Vgl. Amtsblatt München 1933, Beilage zu Nr. 7, Kundgebung des deutschen Episkopats vom 13. 04. 1933. 141 So laut Volk, Episkopat und Nationalsozialismus, 72 f. eine stenographische Notiz Faulhabers. 142 Vgl. Amtsblatt München 1933, Beilage zu Nr. 7, Pastorale Anweisungen an den Hochwürdigen Klerus; Druck: Volk, Akten Faulhaber, Bd. 1, 697–700. 143 Ebenda, 700. 144 Ebenda. 145 Ebenda. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Predigt: wohl überlegte, aber mannhafte Verkündigung des göttlichen Wortes. Manuscript bereithalten. Politische Anspielungen meiden. Sich streng an die Bischofsworte halten. Negative Kritik unterlassen. Wir predigen Gottes Wort an Gottes Ort.146

Obwohl sich die Hoffnungen auf eine Erneuerung des Volkslebens – zumindest in einem katholischen Sinne – im weiteren Verlauf der Jahre zerstreut haben dürften, hielt Faulhaber bis zuletzt am strikten Legalitätskurs gegenüber der Obrigkeit fest.147 Der Kardinal war der Auffassung, dass derjenige, der wegen einer politischen Äußerung Schwierigkeiten bekam, dies selbst zu verantworten hatte, wenn es sich tatsächlich um eine politische Äußerung handelte. Hingegen scheute Faulhaber den Konflikt nicht, wenn er das Gefühl hatte, die Nationalsozialisten hätten den Boden von Recht und Gesetz verlassen und dabei seine eigenen Interessen verletzt. Nachdem sein Sekretär Josef Weißthanner148 im Februar 1935 auf einem dienstlichen Gang zwischen Erzbischöflichem Palais und Ordinariat einem schlecht gelaunten SA-Stabsleiter begegnete, der ihn als »schwarzen Lump« bezeichnete und vom Fleck weg verhaften ließ149, sah Faulhaber das Konkordat verletzt und intervenierte, obwohl Weißthanner inzwischen längst wieder auf freiem Fuß war, in Berlin und Rom und erreichte schließlich eine Protestnote des Hl. Stuhls bei der Deutschen Reichsregierung.150 Auch für Personen seiner engeren Umgebung, vor allem die Mitglieder des Domkapitels, setzte der Kardinal sich verstärkt ein, die Interventionen zugunsten Neuhäuslers und Zinkls füllen einen ganzen Akt.151 Für den Fall, dass die »Zungenwache« einmal versagt hatte und es zu einem Ver146 AEM, Ordinariatssitzungsprotokoll vom 30. 01. 1935. Vgl. auch Amtsblatt München 1937, 171: »Es ist selbstverständliche Pflicht des Klerus, in Predigt, Christenlehre und Religionsunterricht wie auch in der übrigen Seelsorge und in privater Aussprache sorgfältig alles zu vermeiden, was irgendwie als übelwollende Kritik an den staatlichen Einrichtungen und Aufgaben oder an den leitenden Persönlichkeiten im Staat gedeutet werden könnte.« In dieser Amtsblattveröffentlichung wurde den Klerikern anhand eines Reichsgerichtsurteils die Auslegung der im § 130a StGB (Kanzelparagraph) gebrauchten Begriffe »staatliche Angelegenheit« und »Gefährdung des öffentlichen Rechtsfriedens« erläutert. 147 Dies wird etwa noch deutlich in seiner Verurteilung des Attentatsversuchs vom 20. Juli 1944, die allerdings über das Entwurfsstadium nicht hinauskam; vgl. Volk, Akten Faulhaber, Bd.  2, 1026 f., Entwurf Faulhabers, nach 20. Juli 1944; vgl. hierzu auch Hecker, Faulhaber, 31 f. 148 Josef Weißthanner, geb. am 10. 02. 1901 in München, Studium der Theologie als Alumne des Collegium Germanikum an der Päpstlichen Universität Gregoriana, 1925 Promotion zum Dr. phil., 1928 Priesterweihe in Rom, 1929 Promotion zum Dr. theol., 1929 Erzbischöflicher Sekretär, 1939 Domprediger und Domkooperator, 1945 Pfarrvikar in Oberornau, Stiftsprediger bei München-St. Kajetan, 1946 Domkapitular, Caritasreferent und Vorsitzender des Diözesancaritasverbandes, gest. am 02. 12. 1971; vgl. Nesner, Metropolitankapitel, 561 f. 149 Vgl. EAM, NL Faulhaber 8303, Bericht Weißthanners vom 16. 02. 1935. 150 Sogar die ausländische Presse berichtete über den – im Vergleich zu manch anderen – kaum bedeutenden Vorfall; vgl. EAM, NL Faulhaber 8303, Zeitungsausschnitt »Nazis and Catholics. Pope’s Protest to Berlin« aus Manchester Guardian Weekly vom 22. 02. 1935 und Bericht »Le conflit religieux en Bavière« aus Le Temps vom 18. 02. 1935. 151 EAM, NL Faulhaber 8305. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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hör durch Polizei oder Gestapo kam, hatte das Ordinariat den Geistlichen 1937 vier Druckseiten umfassende »Ratschläge und Winke zum Verhalten bei gerichtlichen oder polizeilichen Vernehmungen« übergeben.152 Diese waren weitgehend pragmatisch orientiert, gaben in ihrer detailversessenen Beharrlichkeit auf legalistischen Prinzipien aber eher der Hilflosigkeit Ausdruck, die man angesichts der Attacken des Staates empfand. Ob die dort enthaltene Formulierung, die Gefängnishaft »zu seelischer Einkehr« zu nutzen, vom Klerus als hilfreich empfunden wurde, sei dahingestellt, war dies unter den dort herrschenden Bedingungen normalerweise doch kaum möglich – ein inhaftierter Geistlicher berichtete von dem Zwang, in Einzelhaft elf Stunden am Tag Papiertüten kleben zu müssen, ein Stumpfsinn, der neben anderen Schikanen einen geistig regen Menschen in einen »Kampf mit dem kommenden Wahnsinn«153 bringen konnte. Die stets an oberster Stelle stehende Sorge um das Seelenheil der inhaftierten Geistlichen veranlasste Faulhaber dazu, im Sinne des Grundsatzes Salus animarum suprema lex liturgische Geräte in Gefängnisse und Konzentrationslager schmuggeln zu lassen, damit die dort inhaftierten Geistlichen die Möglichkeit hatten, die Hl. Messe zu feiern. Diese geistliche Unterstützung wurde von Seiten der Betroffenen durchaus mit großer Dankbarkeit entgegen genommen und entsprach auch ihrem inneren Bedürfnis.154 Auf eine nachdrückliche politische Intervention zu Ihren Gunsten konnten Priester, die mit dem Nationalsozialismus in Konflikt gekommen waren, jedoch in den wenigsten Fällen hoffen. Schicksale dieser Art verbergen sich oft hinter nüchternen Protokolleinträgen, etwa in dem einer Ordinariatssitzung vom 21. 10. 1933, wo es lapidar heißt: »Spiritual Dr. Scherer wurde wegen seiner Stellung gegen den N[ational] S[ozialismus] verklagt. – Soll die Sache selbst regeln!«155 Eine Belobigung durch die Diözesanleitung oder den Bischof konnten selbst Kleriker die für kirchliche Belange eintraten nicht erwarten. Als der Religionslehrer Alfons Ammer156, der von 1927 bis 152 Ein Exemplar in AEM, NL Thalhamer, Stw. Gestapo. Das Exemplar ist nicht datiert, vermutlich handelt es sich hierbei aber um die auch im Verlauf der Ordinariatssitzungen vom 12. 11. 1937 und 28. 01. 1938 erwähnten Richtlinien; demnach erscheint eine Datierung auf die zweite Jahreshälfte 1937 sehr wahrscheinlich. 153 Vgl. etwa AEM, Nationalsozialistische Verfolgung katholischer Geistlicher, Fragebogen A, Karl Schuster, Beilage Erlebnis-Bericht, 11 f. 154 Vgl. Voderholzer, Priester im KZ Dachau; zur geistlichen Praxis in den Konzentrationslagern erhellend: Lossin, Geistliche, 130–264. 155 AEM, Ordinariatssitzungsprotokoll vom 21. 10. 1933. Gemeint ist der Religionslehrer und Spiritual des Kloster Beuerbergs, Wilibald Kajetan Scherer, geb. am 07. 07. 1891 in Landshut, Priesterweihe 1920 in Sitten/Schweiz, seit 1926 Spiritual in Beuerberg, 1935 Koadjutor ebenda, 1939 Expositus in Rimsting, 1946 Pfarrer ebenda, gest. am 12. 02. 1958; vgl. Schematismus 1950, 11 und 244; Schematismus 1962, 358. Bei von Hehl/Kösters, Terror, Bd. 1, 974 ist gegen Scherer ein Verfahren wegen »staatsabträglicher Predigtäußerungen am 9. und 16. 9. 1934« dokumentiert. Trotz der abweichenden Jahresangabe ist hiermit vermutlich das im Ordinariatssitzungsprotokoll angesprochene Verfahren gemeint; es wurde mangels Beweisen schließlich eingestellt. 156 Alfons Ammer, geb. am 25. 02. 1890 in München, Priesterweihe 1914 in Freising, Aushilfspriester in Kirchheim, Pfarrvikar in Aschheim, Kaplan in Berchtesgaden, 1917 Erzbischöflicher Sekretär, 1922 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Auseinandersetzungen des Klerus mit dem Nationalsozialismus

1940 an der städtischen Münchener Riemerschmied-Handelsschule tätig war, wegen »heimtückischer Bemerkungen im Unterricht« – er wurde unter anderem beschuldigt, staatliche Maßnahmen bezüglich der Einschränkung kirchlicher Feiertage kritisiert und auf die Kinder Zwang bezüglich des Sakramentenempfangs ausgeübt zu haben – mehrmals verhört wurde und nur mit Glück aus den Fängen der Gestapo entkam, musste er sich obendrein eine Rüge von Generalvikar Buchwieser gefallen lassen und bekam von diesem die Mahnung mit auf den Weg: »Seien Sie vorsichtig, wir haben sonst wieder einen Religionslehrer weniger …«157 Manch einer fühlte sich auch entmutigt, wie Pfarrer Hermann Mencke, der, nachdem er durch den nazifreundlichen Kaplan Leonhard Götz an die Gestapo verraten worden und wegen Hörens ausländischer Rundfunksender zu 1 ½ Jahren Zuchthaus verurteilt worden war, 1941 ein Aufenthaltsverbot in Garmisch erhielt, wo er 18 Jahre als Pfarrer gewirkt hatte. Nach Dorfen versetzt klagte er später über mangelnde Unterstützung: Ich habe auch stets den Heil Hitler Gruß, auch in den Schulen, verweigert, trotz Gebot durch das Ordinariat. Leider habe ich nach meiner Versetzung nach Dorfen einige unnötige und unliebsame Schwierigkeiten durch das Ordinariat gehabt und eher Zurücksetzung erfahren. Das hat einigen Wind aus meinen Segeln genommen.158 Weyrather-Benefiziat bei München-St. Paul, 1924 Seelenbund-Benefiziat bei München-St. Jakob am Anger, 1925 Studienrat für Berufsschulen in München, 1927 Studienrat an der RiemerschmidHandelsschule in München, 1931 Studienprofessor daselbst, 1955 in den Ruhestand versetzt, Kommorant in München, gest. am 31. 12. 1968; vgl. AEM, Priesterpersonalakten P III 27. 157 AEM, Priesterpersonalakten P III 27, Ammer an Ordinariat vom 01. 07. 1964. Die Dokumentation der Vorgänge ebenda. 158 AEM, Nationalsozialistische Verfolgung katholischer Geistlicher, Fragebogen A, Hermann Mencke. Die Frage der Erweisung oder Nichterweisung des Hitler-Grußes war häufig Anlass zu Auseinandersetzungen. Pflicht war der Hitler-Gruß für Geistliche nur in den Schulen. Eine Zusammenstellung der (häufig veränderten) entsprechenden Vorschriften mit Stand vom 12. 06. 1939 durch das Ordinariat in: AEM, Ordinariat, Vervielfältige Rundschreiben und Erlasse »Akt orange«; dort wird u. a. festgestellt: »Wo bisher der katholische Religionsunterricht mit dem Wechselspruch ›Gelobt sei Jesus Christus – In Ewigkeit. Amen‹ begonnen oder beendet wurde, ist der Deutsche Gruss (Erheben des rechten Armes in Verbindung mit den Worten ›Heil Hitler‹) zu Beginn der Stunde vor, am Ende der Stunde nach dem Wechselspruch zu erweisen. […] Wo herkömmlicherweise Geistliche von Kindern ausserhalb des Unterrichts mit Händedruck und den Worten ›Gelobt sei Jesus Christus‹ oder in ähnlicher Form begrüsst werden, kann dieser Gruß beibehalten werden. Daneben ist jedoch zwischen den Schülern und den Religionslehrern der Deutsche Gruss zu wechseln.« (Unterstreichung im Original). Teilweise setzte sich der Hitler-Gruß aber auch außerhalb der Schule bei Geistlichen durch. 1936 sah sich die Ordinariatssitzung unter Kardinal Faulhaber deshalb genötigt festzulegen, dass zumindest »in paramentis«, d. h. im liturgischen Gewand, »kein deutscher Gruß« angebracht sei; vgl. AEM, Ordinariatssitzungsprotokoll vom 11. 12. 1936. Versuche des Reichsministeriums für die kirchlichen Angelegenheiten, eine allgemeine Grußpflicht für katholische Geistliche auch im Ornat einzuführen, wehrte man ab; vgl. AEM, Ordinariatssitzungsprotokoll vom 08. 01. 1937. Bei Verweigerung hatten die Geistlichen mit Verwarnungen, Anzeigen und Geldstrafen zu rechnen, vgl. etwa AEM, Nationalsozialistische Verfolgung katholischer Geistlicher, Fragebogen A, Karl Schuster, Beilage Erlebnis-Bericht, 2: »Des öftern erhielt ich in dieser Zeit polizeiliche Verwarnungen, weil ich in der Schule den ›Hitler-Gruß‹ © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Selbst Forderungen des Staates nach Versetzung von Geistlichen aus politischen Gründen wurden von der Diözesanleitung nachgegeben, zumindest wenn diese ohne weiteres kirchenrechtlich möglich waren.159 Dies war im Regelfall nur bei den Hilfsgeistlichen der Fall, denn ein kanonisch ordnungsgemäß installierter Pfarrer war gegen seinen Willen nur bei groben Verstößen gegen seine Amts- oder Standespflichten im Rahmen eines kirchenrechtlichen Amotionsverfahrens aus seiner Pfarrei zu entfernen. Im Eigeninteresse der Gesamtkirche, die bestrebt war sich gegenüber dem Regime möglichst staatstreu und loyal zu präsentieren, wurden Priester, die sich – mitunter bereits vor 1933 – politisch aktiv gegen den Nationalsozialismus gewandt hatten, in der Mehrzahl der Fälle alleine gelassen. So erging es dem Münchener Stadtpfarrer und Vorsitzenden der Zentralstelle der katholischen Aktion, Dr. Emil Muhler160. War dieser bereits dadurch enttäuscht gewesen, dass Faulhaber ihn auf Druck des (nationalsozialistischen) bayerischen Ministerrats zum Rücktritt von seiner Leitungsfunktion nicht gab …«; ferner Fragebogen A, Aloys Mörner; Martin Oswald; Georg Huber u. a.; Huber, Erinnerungen, 61, 65 und 68. Oft waren wiederum Lehrer und Schulleiter die treibenden antikirchlichen Kräfte (z. B. Fragebogen A, Josef Schmid; Josef Schiessl). Auch hier war jedoch die Situation disparat und von individuellen Umständen abhängig, so berichtet etwa Herman Popfinger, er habe keinerlei Schwierigkeiten gehabt, »obwohl ich niemals in der Schule den deutschen Gruß gegeben habe.« (Fragebogen A, Hermann Popfinger). 159 Vgl. den Fall des Kooperators Johann Prillmaier aus Schwindkirchen (geb. am 11. 10. 1905 in München, Priesterweihe 1929 in Freising, Kooperatur-Verweser in Bergkirchen und Niederroth, seit 1930 zunächst Kooperatur-Verweser, seit 1931 Kooperator in Schwindkirchen; vgl. Schematismus 1936, 12 und 286.). Prillmaier, dem monarchistische Gesinnung vorgeworfen wurde, war von August bis Dezember 1937 in Haft. Nach seiner Entlassung wurde ihm durch die Kreisleitung in Mühldorf nahe gelegt, nicht mehr auf seinen Posten zurückzukehren. Obwohl er laut Urteil der Ordinariatssitzung »in Schwindkirchen seelsorglich ausgezeichnet« wirkte und »auch sehr beliebt« war, kam die Sitzung zu dem Schluss: »Es erscheint aber trotzdem opportun, ihn zu versetzen.« Vgl. AEM, Ordinariatssitzungsprotokoll vom 07. 01. 1938. Mit Wirkung zum 16. 01. 1938 wurde Prillmaier Vikar der Expositur Hörgersdorf, mit Wirkung zum 01. 02. 1938 Kooperator in Neukirchen bei Miesbach; vgl. Schematismus 1953, 260 f.; die Angaben zur Haftzeit bei von Hehl/ Kösters, Terror, Bd. 1, 968 fehlerhaft. 160 Emil Muhler, geb. am 21. 04. 1892 in München, 1914–1918 Weltkriegsteilnahme, 1919 Priesterweihe in Freising, 1920 Kooperator in Dachau, 1922 Beurlaubung zu Studienzwecken, 1923 Promotion an der staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität München, 1924 Stadtpfarrer von München-St. Andreas, seit dieser Zeit aktives Eintreten gegen die NS-Bewegung und den Kommunismus, Engagement in der BVP, 1930–1933 Mitglied des Münchener Stadtrats (BVP), 1931 Geistlicher Beirat des Volksvereins für das katholische Deutschland, seit Juni 1932 Vorsitz der Zentralstelle der katholischen Aktion, im Juni 1933 Abberufung hiervon, Nov. 1933 bis Mai 1934 Gefängnishaft, April bis Dezember 1940 erneute Gefängnishaft, September 1944 bis April 1945 Einweisung in das KZ Dachau, Winter 1945/46 Beteiligung an der Gründung der CSU, Mitglied des Landesvorstands, 1947 Mitglied des Bayerischen Senats, 1952 Bundesverdienstkreuz, 1959 Honorarprofessor der Universität München, Ernennung zum Päpstlichen Hausprälaten, Bayerischer Verdienstorden, gest. am 19. Februar 1963 in München; vgl. Gritschneder, Emil Muhler; Pfister, Emil Muhler; Pörnbacher, Emil Muhler; Haas, Kampf der Geister. Der Nachlass Muhlers befindet sich im AEM; die umfangreiche Niederschrift über die Sondergerichtsverhandlung gegen Muhler und Presseberichte in EAM, NL Faulhaber 8303. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Auseinandersetzungen des Klerus mit dem Nationalsozialismus

in der Katholischen Aktion gezwungen hatte, so steigerte sich diese Enttäuschung noch, als Muhler im November 1933 wegen eines Verstoßes gegen die Heimtückeverordnung – er hatte sich kritisch über die Verhältnisse im KZ Dachau geäußert – zu einer mehrmonatigen Gefängnisstrafe verurteilt worden war und eine Unterstützung durch seinen Bischof schmerzlich vermisste.161 Als Muhler Faulhaber im Juli 1934 im Rahmen einer Audienz seinen Standpunkt darlegte und das Schweigen seines Bischofs zu seiner Verurteilung monierte, entgegnete dieser »in größter Erregung: ›Ich konnte doch nichts für Sie tun, damit nicht der Eindruck erweckt würde, als ob wir unter einer Decke stünden.‹«162 Muhler verließ nach diesem Vorfall laut eigenem Bericht das Erzbischöfliche Palais mit den Worten: »Wenn der Bischof mit seinen Priestern nicht mehr unter einer Decke stehen will, habe ich nichts mehr beim Bischof zu suchen.«163 Diese Handlungsmuster Faulhabers machen deutlich, warum bei Zeitzeugen auch noch 60 Jahre nach dem Ende des NS-Regimes die Erbitterung über die damalige Kirchenleitung spürbar ist. So äußerte der Priester Engelbert Neuhäusler, 1938 Kaplan in der Pfarrei München-Maria Thalkirchen, 2003 im Gespräch mit dem Verfasser: Der Mann [Faulhaber; Th. Fo.] hat uns völlig alleine gelassen als Kapläne in der schwierigen Auseinandersetzung in den Schulen und in den Predigten. Es ist uns niemals geholfen worden in der Nazizeit, nie! […] Das waren keine Bischöfe für uns.164

Ähnlich resümierte der gleichfalls befragte Priester Aloys Goergen die Situation: »Da war in der Kirche keine Hilfe zu erwarten.«165 161 Vgl. Gritschneder, Emil Muhler, 125–149; Pörnbacher, Emil Muhler, 123–133. 162 AEM, NL Muhler 17, Denkschrift Muhlers Erlebtes und Erlittenes, 93. 163 Ebenda, 93 f. Eine weitere Denkschrift Muhlers (aus der Zeit um 1936/37, gleichfalls in AEM, NL Muhler 17) trägt den bezeichnenden Titel Eine Kette von Enttäuschungen. Das Verhältnis zwischen Muhler und Faulhaber war von diesem Zeitpunkt an auf das schwerste zerrüttet. Dabei exponierten sich kirchliche Stellen durchaus für Muhler, wenn auch in eigenwilliger Weise. Dem Ordinariat war es vor allem daran gelegen, einen den gesamten Priesterstand beschädigenden öffentlichen Vorwurf auszuräumen, nämlich denjenigen, dass Muhler ein Kommunist sei, da bei der Haussuchung marxistische Literatur bei ihm gefunden worden war. Deshalb gab man im Amtsblatt Erläuterungen dergestalt ab, dass diese Schriften ausschließlich seinen sozialen Studien und dem Kampf gegen Kommunismus und Gottlosenbewegung gedient hätten, was faktisch auch den Tatsachen entsprochen haben dürfte; vgl. Amtsblatt München 1933, 265. Der Versuch, diese Erklärung auch in der deutschen Presse zu veröffentlichen, scheiterte, nur die ausländische Presse veröffentlichte eine entsprechende kirchliche Stellungnahme; vgl. EAM, NL Faulhaber 8303, Bayerische Politische Polizei an EOM vom 04. 12. 1933, vgl. ebenda, Ausschnitt aus den Neuen Züricher Nachrichten vom 18. 12. 1933. Als Muhler 1940 erneut verhaftet wurde verwandte sich der Münchener Domdekan Anton Scharnagl bei Reichsjustizminister Franz Gürtner für ihn und entschuldigte die Aussagen Muhlers mit dessen leidenschaftlichen Temperament und einem subjektiven Gerechtigkeitsempfinden, das ihn zu sachlich nicht berechtigten Äußerungen verleiten würde. Die Freilassung Muhlers dürfte aber kaum auf diese Intervention zurückzuführen sein; vgl. Pörnbacher, Emil Muhler, 135 f. 164 Vgl. EAM, Priesterbefragung 2003, Interview mit Engelbert Neuhäusler. 165 Vgl. EAM, Priesterbefragung 2003, Interview mit Aloys Goergen. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Hingegen kam es im Fall Muhlers zu einer bemerkenswerten Solidaritätsaktion der Münchener Stadtpfarrer, die sich mit einem Protestschreiben an den bayerischen Ministerrat wandten.166 Auch einzelne Gläubige seiner Pfarrei setzten sich für ihren Pfarrer ein.167 Das zumindest indirekte Engagement von Gläubigen für einen angeklagten oder inhaftierten Geistlichen ist auch in anderen Fällen belegt. Für den wegen Hochverrats zu einer langjährigen Gefängnisstrafe verurteilten Kooperator Karl Schuster organisierte ein Kreis von Frauen seiner letzten Einsatzpfarrei in den Kriegsjahren zusätzliche Lebensmittel.168 Im Fall des scharf antinationalsozialistisch eingestellten Stadtpfarrers von Traunstein, Josef Stelzle169, der in seiner Dreikönigspredigt 1934 den NS-Rassismus durch seine Bemerkung in Frage gestellt hatte, dass Christus für alle gestorben sei, für die Weißen, Gelben und Schwarzen,170 hatte die Gestapo Mühe Anklagepunkte zu sammeln, da die zur Predigt befragten Kirchenbesucher »Unaufmerksamkeit, Unverständnis oder Vergessen vortäuschten.«171 Die Defensivhaltung der kirchlichen Obrigkeit stand, je mehr der Krieg voranschritt, auch im Zeichen der Angst vor dem Aufkommen einer neuen Dolchstoßlegende, die nach einer möglichen Niederlage die Kirche treffen könnte. Faulhaber notierte sich hierzu für die Bayerische Bischofskonferenz im März 1943: Wir könnten den Gegnern der Kirche keinen größeren Gefallen tun, als jetzt große Kanonen auffahren. Jetzt, wo man in Schwierigkeiten steckt, würde man sofort die Geschichte vom Dolchstoß wieder aufleben lassen. Mir scheint, man wartet darauf.172

166 Vgl. Pörnbacher, Emil Muhler, 131. 167 Ebenda. 168 Vgl. AEM, Nationalsozialistische Verfolgung katholischer Geistlicher, Fragebogen A, Karl Schuster, Beilage Erlebnis-Bericht, 11. 169 Josef Stelzle, geb. am 04. 06. 1873 in Wittesheim, Priesterweihe 1897 in Freising, Koadjutor in Egern, Aushilfspriester in Lenggries, 1898 Koadjutor in Trostberg, 1900 Kaplan bei St. Maximilian in München, 1901 Prediger in Traunstein, 1915 Pfarrer in Siegsdorf, 1921 Stadtpfarrer in Traunstein, 1945 frei resigniert, gest. am 06. 12. 1947; vgl. Schematismus 1939, 102 und 211; Schematismus 1950, 338; vgl. auch von Hehl/Kösters, Terror, Bd. 1, 983. 170 Evers, Traunstein 1918–1945, 116 171 Ebenda. 172 Volk, Akten Faulhaber, Bd. 2, 978–983, Aufzeichnungen Faulhabers vom 30./31. 03. 1943, hier 983. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Zusammenfassung und Ausblick

Der oberbayerische Klerus sah sich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit einer Welt im Wandel konfrontiert. Das Erzbistum München und Freising mit seiner traditionell vor allem ländlich-kleinstädtischen Prägung und der Landeshauptstadt München als großstädtischem Mittelpunkt, war zu Beginn des 20. Jahrhunderts von den politisch-gesellschaftlichen Umbrüchen stark betroffen. Infolge des Bevölkerungswachstums und der weitgehenden, zumindest formalen Kirchentreue der Bevölkerung, kam es zu einer vitalen Entwicklung der Katholikenzahlen, die sich in einer sukzessiven Adaption der kirchlichen Binnengliederung, etwa in einer Vielzahl von Pfarreineugründungen, widerspiegelte. Zugleich verstärkten die Effekte gesellschaftlicher Mobilisierung den Sog der Moderne, in den langsam aber zunehmend auch die Landbevölkerung geriet. Die Integrationskraft des Katholizismus schwand im Diözesangebiet stärker und schneller als in anderen katholischen Regionen des Reichs, was sich an Phänomenen wie der unterdurchschnittliche ausgeprägten Orthopraxie und einer lustlosen Unterstützung für die katholischen Parteien festmachen lässt, die nur von einer Minderheit der Katholiken überhaupt gewählt wurden. Der mit den Prozessen der Modernisierung einhergehende gesellschaftliche Wandel bedingte indirekt einen Statusverlust für die Geistlichkeit, deren zentrale gesellschaftliche Rolle sich zusehends verflüchtigte. In Konkurrenz zur traditionell monopolisierten Heilsmittlerschaft des Klerus traten nach 1918 vermehrt Phänomene säkularer Heilserwartungen. Diese manifestierten sich einerseits in Form überwiegend kirchenfeindlicher politischer Ideologien, andererseits in Form einer zunehmenden Konsumorientierung der Gläubigen – vom Klerus als »Genusssucht« gebrandmarkt – und einem Wertewandel, der mit einer sukzessiven Liberalisierung der gesellschaftlichen Moralvorstellungen und einer Vernachlässigung religiöser Praktiken einherging. Diese Phänomene, die sich seit langem angekündigt hatten, erreichten nach dem Ersten Weltkrieg einen ersten Höhepunkt. Der Klerus war in diese Welt mit ihren Spannungen hineingestellt und gezwungen, sich so oder so zu ihr zu verhalten. Seine Aufgabe bestand nicht in der Pflege weltabgeschiedener Kontemplation. Die Reaktionsmuster des Klerus auf die Herausforderung einer Gegenwart, die immer weniger bereit war, die Kirche als Normgeber zu akzeptieren, waren im Wesentlichen defensiver Natur. Diejenigen Kleriker, die im Wandel eine Chance begriffen und sich den neuen gesellschaftlichen Konzepten gegenüber aufgeschlossen zeigten, blieben eine Minderheit.

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Die Repräsentanten der katholischen Kirche sahen auch in Bayern bereits vor dem Ende der Monarchie im herrschenden Zeitgeist der gesellschaftlich-politischen Modernisierung ihren ärgsten Widersacher. Mit Kardinal Faulhaber stand zwischen © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Zusammenfassung und Ausblick

Monarchie und früher Bundesrepublik für 35 Jahre eine der profiliertesten Persönlichkeiten des deutschen Katholizismus an der Spitze des Erzbistums. Faulhabers Habitus und Haltung verschafften ihm Respekt und Ansehen, der Klerus bewunderte ihn aber eher aus der Distanz und nahm ihn als hoheitsvoll entrückt wahr. Von den bischöflichen Aufgaben betonte Faulhaber insbesondere das Hirtenamt, was ihn – wie den gesamten deutschen Episkopat – in eine konfrontative Haltung gegenüber dem liberalen Zeitgeist der Weimarer Moderne brachte. Politisch fehlte ihm in der Demokratie der Blick für den Wert parlamentarischer Bemühungen, in der Diktatur verhinderte seine ausgeprägte Staatsloyalität oft die angemessene politische Distanz. Führungspositionen in der Diözesanleitung besetzte Faulhaber überwiegend mit gutem Gespür für die Talente und Fähigkeiten der einzelnen Kleriker, die er nach Möglichkeit stets förderte. Hierbei waren Leistung und persönliche Loyalität entscheidende Kriterien. In den zentralen Ämtern der Diözesanverwaltung gab es nach 1934 keinen Wechsel mehr, mit Generalvikar Ferdinand Buchwieser, Rechtsreferent Anton Scharnagl und anderen standen gefestigte Persönlichkeiten an der Spitze des Erzbischöflichen Ordinariats, die dem Nationalsozialismus grundsätzlich ablehnend gegenüber standen.

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Obwohl München als eine der Hochburgen der reformkatholischen Bewegung an sich ein Ort des kirchlichen Aufbruchs gewesen war, blieb diese von Rom unterdrückte Strömung beim Pfarrklerus, der fern der Universitäten ausgebildet und so frühzeitig von den Reformdiskursen ferngehalten wurde, im wesentlichen ohne Resonanz. Die katholische Hierarchie hatte die Kirche und ihre Kleriker zur Abwehr des Transformationsprozesses der traditionellen politischen und gesellschaftlichen Wertordnung zu Beginn des 20. Jahrhunderts in einem »antipluralistischen Integrationsrahmen« (Rainer Bucher) eingerichtet und auf eine grundsätzliche Abwehrhaltung gegenüber den Phänomenen der bürgerlich-liberalen Moderne verpflichtet. Auch dem Nationalsozialismus, als einer totalitären Ausfaltung der Moderne in dieser gründend, begegnete man ungeachtet einer gewissen vorübergehenden Koinzidenz in der antipluralistischen Weltsicht vor allem mit Distanz und Abwehr. Die Herausforderung der totalitären Gesellschaft beantwortet die Kirche in der Folge mit dem verstärkten Rückzug auf einen binnenkirchlichen Integralismus, der sich auf die bona particularia beschränkte und all jene Themen, von denen Kirche und Katholiken nicht berührt waren, aus dem Diskursfeld ausklammerte. Hierbei wurden die Spielräume mit fortwährender Radikalisierung des Regimes aber immer enger. Man liegt nicht fehl, wenn man dem katholischen Klerus eine »parochiale Blickverengung« (Thomas Breuer) attestiert. Gleichzeitig begünstigte dieser Rückzug auf die eigenen Themen jedoch die Fähigkeit der Kirche, die Nazifizierung ihrer eigenen Struktur erfolgreich zu verhindern.

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Die gesellschaftliche Umbruchssituation zeigte sich für den Klerus freilich noch nicht in allen relevanten Bereichen. Insbesondere die innerkirchlichen Felder wurden hiervor nur partiell berührt. So vollzog sich die Rekrutierung des Klerus bis in die erste © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

Zusammenfassung und Ausblick543

Hälfte des 20. Jahrhunderts noch überwiegend dadurch, dass geeignet erscheinende Knaben bäuerlicher und zunehmend auch kleinbürgerlicher Mittelschichten im Alter zwischen dem 11. und 15. Lebensjahr vermittelt über den Ortspfarrer zum Erwerb höherer Schulbildung und mit dem Berufsziel Geistlicher in die Knabenseminare eintraten. Da in der Mehrzahl der Fälle die Familien nicht in der Lage waren, das Kostgeld für die Unterbringung im Seminar aufzubringen, entstand frühzeitig eine mehr oder weniger ausgeprägte ökonomische Abhängigkeit. Die Kirche war naturgemäß nur solange zur Finanzierung der Ausbildung bereit, wie der Einzelne ernsthaft an seinem Weg zum Priestertum festhielt. Für diejenigen die durchhielten, war damit eine ansonsten kaum mögliche Chance zum gesellschaftlichen Aufstieg verknüpft. Mit dem Begriff der Berufung bildete die katholische Kirche ein Narrativ heraus, welches die Entscheidung über den zumeist bereits im Knabenalter eingeschlagenen Weg zum priesterlichen Beruf ex post spiritualisierte und dadurch in gewisser Weise legitimierte und ferner die Kommunikation über die Umstände dieser Entscheidung überhaupt erst ermöglichte.

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Dieses System der Nachwuchskooptation war solange erfolgreich, wie die als Rekrutierungsreservoir dienenden gesellschaftliche Schichten in breitem Umfang vorhanden waren und zugleich in einem Zustand relativer sozialer Deprivation verblieben. Insofern verwundert es nicht, dass gerade in der Zeit der ökonomischen Krisen der 1920er und 30er Jahre die Nachwuchsrekrutierung äußerst erfolgreich verlief. Gleichzeitig wurden seitens der für die Klerusausbildung Verantwortlichen ab der Mitte der 1920er Jahre enorme kirchliche Mittel für die Nachwuchsförderung bereitgestellt. Die Zahl der Priesteramtskandidaten und damit die der Weihen entwickelte sich als mittelfristig sichtbares Ergebnis dieser Umstände bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs ausgesprochen positiv. Die allgemeine materielle Besserstellung nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Form des Wirtschaftswunders, der starke Rückgang des agrarischen Sektors als vormaliges Hauptreservoir des Klerikernachwuchses und die Tendenz zur kinderarmen Familie waren wesentliche Faktoren, die das traditionelle Rekrutierungssystems nach dem Zweiten Weltkrieg in eine ernste Krise führten. Am Phänomen der Spätberufenen wird bereits in den 1920er Jahren sukzessive deutlich, inwieweit die traditionellen Rekrutierungs- und Kooptationsmuster des Klerus langsam aufzubrechen begannen und die Zahl derjenigen Kandidaten zunahm, die nicht mehr eine frühe einheitliche Prägung erfahren hatten. Im Zusammenhang mit dem Prozess der fortschreitenden Mobilisierung und Differenzierung der Gesellschaft in den 1950er Jahren und einer erweiterten sozialen Durchlässigkeit des universitären Systems auch für bislang unterprivilegierte Schichten, kam es zu einem Umbruchsprozess, der sich nicht nur im schnell fortschreitenden Bedeutungsverlust des klassisch zu nennenden Systems der Vorausbildung in den Knabenseminaren ausprägte, welches bislang die Geschlossenheit des Klerus verbürgt hatte, sondern auch in veränderten Motiven für die Berufswahl der Kleriker.

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Zusammenfassung und Ausblick

Bereits in der frühen Phase der Klerusausbildung mit den beiden Säulen einer klassisch-humanistischen Gymnasialbildung und der Prägung und Disziplinierung durch aszetisch-klerikale Erziehung und Menschenführung, erwies sich vor allem an der Gehorsamsorientierung und der Bereitschaft, sich auf die priesterliche Lebenskultur und ihre Bedingtheiten (etwa die zölibatäre Lebensform) einzulassen, die spätere Eignung für den Klerikerstand. Die Internatserziehung schuf die idealen Voraussetzungen für die Formung eines auf die Obrigkeit fixierten und loyalen Klerus. Die Herkunft aus nichtakademischen, einfachen Familienverhältnissen begünstigte dies, zumal sie die realistischen Handlungsalternativen der Knaben einschränkte. Die Grundkonflikte zwischen Staat und kirchlicher Oberbehörde hinsichtlich der Klerusausbildung nach 1933 resultierten vor allem aus den Ansprüchen des Staates, weltanschaulichen Einfluss auf die Heranwachsenden im Sinne der herrschenden Staatsideologie zu gewinnen und deren Prägung auf und durch die Kirche einzuschränken. Die katholische Kirche bemühte sich im Gegenzug, ihre bisherige starke Stellung zumindest beizubehalten. Dies gelang ihr bis 1939 zwar im Wesentlichen, jedoch ließ sich das sukzessive Eindringen nationalsozialistischer Ideologeme, etwa über die Lehrerschaft, nicht völlig aufhalten. Der Beginn des Zweiten Weltkriegs schuf die ideologische Rechtfertigung für die faktische Zerschlagung des Seminarsystems durch die Inanspruchnahme und Beschlagnahmung der entsprechenden Gebäude. Jedoch konnten bereits kurz nach Ende des Regimes die Vorkriegsstrukturen kirchlicherseits wieder hergestellt werden.

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Für die Mehrzahl der Studenten, die ja zuvor bereits durch die Schule des Knabenseminars gegangen waren, bedeutete der Wechsel auf das diözesane Klerikalseminar keinen entscheidenden Einschnitt in ihren äußeren Lebensumständen. Hier wie dort zeichnete sich der Tagesablauf durch ein hohes Maß an Gleichförmigkeit, Ritualisierung und Disziplinierung aus. Das Klerikalseminar diente der Vertiefung und Konkretisierung der Berufsabsicht der Priesteramtskandidaten, ihrer geistlichen und pastoralen Formung, der Einübung des Gehorsams gegenüber der kirchlichen Obrigkeit sowie in geringerem Maße auch der praxisorientierten Ausbildung und damit der unmittelbaren Berufsvorbereitung. Primäres Ziel der Ausbildung war die Erziehung zu priesterlicher Tugend und Frömmigkeit bei gleichzeitiger Ausschaltung von Fremdeinflüssen und Abtötung des Eigenwillens. Die Seminarausbildung nach neotridentinischem Muster zielte nicht auf die Entwicklung individueller Persönlichkeiten und ihrer Begabungen, sondern auf die Zurückdrängung des singulären Charakters und Selbstverleugnung, womit die vollkommene Unterordnung der Einzelnen unter einen imaginären Gesamtwillen der kirchlichen Hierarchie erreicht werden sollte.

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Die wissenschaftliche Ausbildung, die der Klerus mehrheitlich an der staatlichen Philosophisch-Theologischen Hochschule in Freising erhielt, folgte dem in der Enzyklika Aeterni patris von Leo XIII. vorgeschriebenen philosophischen System des Thomas © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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von Aquin. Zur ohnehin inhaltsleeren Dürre und lebensfernen Abstraktion dieser Methodik kam verschärfend hinzu, dass diese gerade im provinziellen Freising von Professoren vermittelt wurde, deren wissenschaftlicher Anspruch gering blieb und sich zumeist im Repetieren der von Ihnen verfassten Lehrbücher erschöpfte. Eine qualitativ höherwertige Ausbildung an der Münchener Universität, an deren theologischer Fakultät in den 1930er Jahre insbesondere in der Kanonistik, in der Dogmatik sowie in der Moral- und Pastoraltheologie, die führenden Vertreter der jeweiligen Fächer lehrten, wurde nur einer Leistungselite unter den Theologen zuteil. Kardinal Faulhaber setzte sich in den 1930er Jahren für eine Stärkung Freisings gegenüber der Münchner Universität als Standort der Theologenausbildung ein und provozierte schließlich durch ungeschicktes Taktieren im Fall des an die Münchener Universität berufenen Kanonisten Hans Barion die Schließung der Fakultät zum Ende des Wintersemesters 1938/39. Der bald darauf beginnende Zweite Weltkrieg führte durch die staatlich angeordnete Schließung der verbliebenen Ausbildungseinrichtungen, der Inanspruchnahme der Gebäude für ausbildungsfremde Zwecke und der Heranziehung der Kandidaten zum Wehrdienst zu einem nahezu vollkommenen Zusammenbruch der Theologenausbildung und in der Folge auch zu einem Einbruch bei den Priesterweihen.

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Während es dem NS-Regime nach Lage der Quellen kaum gelang, durch die Reichsarbeitsdienstpflicht maßgeblichen Einfluss auf die Prägung der Studierenden zu erringen, blieben die staatlichen Hochschulen nicht frei von nazifreundlichen Professoren. Namentlich durch den Moraltheologen Robert Linhardt und den Dogmatiker Johann Baptist Walz, die auch von den Studenten als »angebräunt« wahrgenommen wurden, drangen auf dem Freisinger Domberg nationalsozialistische Ideen in die Lehre ein. Auch die Münchener Fakultät blieb von mit dem Nationalsozialismus sympathisierenden Theologieprofessoren nicht frei. Indem sich die Ordinariatssitzung unter Vorsitz Kardinal Faulhabers ohne Rechtsgrundlage dafür entschied, Kandidaten, die nicht den Kriterien der Nürnberger Rassengesetze entsprachen, nur noch unter Auflagen zu weihen und nicht für die Verwendung in der regulären Pfarrseelsorge vorzusehen, übernahm die Kirche selbst mit der NS-Ideologie konforme Selektionsprinzipien in die Priesterausbildung, um Konflikten mit dem Staat prospektiv aus dem Weg zu gehen. Vermeidbar waren die Konflikte dennoch nicht: Die NS-Regierung schränkte durch entsprechende Verordnungen und Regelungen den Öffentlichkeitscharakter von Kirche mehr und mehr ein, indem man etwa die Primizfeiern als zentrales Element der Selbstvergegenwärtigung des priesterlichen Standes in den innerkirchlichen Raum abdrängte, um so die katholische Kirche sukzessive gesellschaftlich zu marginalisieren.

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Eine nähere Betrachtung des Klerus zeigt, dass dieser in seiner Binnenstruktur zwar weniger homogen war, als es auf den ersten Blick erscheinen mag. Jedoch entstand, ungeachtet all der durch ganz unterschiedliche Charaktere und Interessen sowie durch die jeweilige Generation und Herkunftszusammenhänge bedingten individuellen © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Prägungen der Kleriker, ein in seinen Werthaltungen weitgehend geschlossener Klerus, der es als seine Pflicht ansah, das von ihm internalisierte Normen- und Wertegerüst an die Gläubigen weiterzugeben. Der Klerus nahm sich dabei in einer gegenläufigen Bewegung zur wachsenden horizontalen sozialen Mobilität der Gesellschaft seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts verstärkt als ein den Laien vor- und übergeordneter Stand wahr. Dem Priester kam gemäß dieser in der katholischen Dogmatik fixierten Ordnungsvorstellung eine zentrale Mittlerfunktion zwischen Gott und den Menschen zu. Als ein »zweiter Christus« warnte er vor den Versuchungen und Irrwegen des Diesseits, zeigte den ihm anvertrauten Gläubigen den Weg zum jenseitigen Heil auf und verwaltete die zentralen Mittel, die den Zugang zur jenseitigen Welt ermöglichen oder erleichtern sollten. Zur Aufrechterhaltung dieses auf Segregation von den Laien zielenden Rollenmodells war der Klerus gehalten, seinen Lebensstil strikt an von der Hierarchie vorgegebenen Handlungsmustern auszurichten und ein standesspezifisches Auftreten zu pflegen, den Habitus clericalis. Dessen in der Klerusausbildung eingeübte Identitätsparameter waren einerseits aus der Tradition gewachsen, andererseits spiegelten sich in dieser sozialen Persönlichkeitsstruktur einer Gruppe gewisse Reaktionsmuster auf Phänomene der Moderne. Mithin ist die Ausprägung des neuzeitlichen Habitus clericalis in seinem gewollten Antimodernismus selbst wiederum ein modernes Phänomen.

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In der Pfarrseelsorge war der Klerus vermehrt mit einem Konzentrationsprozess konfrontiert, der ihm durch die wachsende Zahl an Pfarreien bei gleichzeitigem Wegfall zweit- und drittklassiger Stellen mehr lukrative Posten und einen rascheren Aufstieg bot. Zugleich erwuchsen durch den absoluten Anstieg der Zahl an Gläubigen, hinter der die Zahl an Seelsorgern zunehmend zurückblieb, auch neue Herausforderungen an die seelsorgliche Praxis. Überdies hatte der Klerus gegen vermehrte gesellschaftliche Marginalisierung anzukämpfen, die sich vorwiegend in einer Beschränkung des kirchlichen Lebens auf den binnenkirchlichen Raum, seinem schwindenden Einfluss auf dem Feld des Schulwesens und einem Zurückdrängen aus öffentlichen Ämtern und Aufgaben zeigte, die ihm bislang vor allem als lokale Bildungselite im ländlichen Raum – etwa auf dem Feld der agrarischen Innovation – zugekommen waren. Insgesamt erscheint es so, als ob der städtische Klerus mit den Prozessen des sozialen Wandels adäquater umzugehen vermochte als der ländliche, vermutlich auch deshalb, da diese Prozesse hier bereits weiter fortgeschritten waren und er infolgedessen besser darauf vorbereitet war. Alle wesentlichen Phänomene des Wandels wurden durch den Nationalsozialismus, der sich hier als Modernisierungsbeschleuniger erwies, verstärkt.

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Den Veränderungen der Moderne und dem hiermit eingehenden Wandel im Werteverständnis der Bevölkerung, etwa hinsichtlich der Rollenbilder von Mann und Frau oder den Phänomenen der Massenkultur, stand der Klerus in nahezu einmütiger Geschlossenheit ablehnend gegenüber. Der Klerus lehrte Sittlichkeit, Selbstzucht, © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Askese und überzeitliche Traditionsorientierung als Tugenden, hingegen lehnte er Vergnügungen, Genuss, Körperlichkeit und alles Eilige, Schnelllebige und Modische als grundsätzlich verderblich ab. Die Lehre der Kirche ermöglichte ihm aber kaum, auf gesellschaftliche Wandlungsprozesse anders als mit Ablehnung zu reagieren. Zudem war der Klerus der Auffassung, mit seiner Verweigerungshaltung gegenüber den Phänomenen der Moderne den Gläubigen ein sittlich-moralisches Idealbild für vorbildliche Lebensgestaltung zu geben.

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Die zölibatäre Lebensweise des katholischen Klerus führte zur Herausbildung einer spezifischen Tradition des katholischen Pfarrhauses, die sich von der Tradition des evangelischen Pfarrhauses wesentlich unterschied. Zwar lebten auch im Katholischen Pfarrhaus häufig mehrere Generationen unter einem Dach, doch hatten die Strukturen der Lebens- und Haushaltsgemeinschaft mit Eltern, unverheirateten und verheirateten Geschwistern, Mitbrüdern im geistlichen Amt und Haushälterinnen vielfach eher den Charakter von Patchwork-Familien, als die eher geschlossenen Familienstrukturen des evangelischen Pfarrhauses. Bedingt durch die Heterogenität seiner Bewohnerschaft und das wechselseitige auch ökonomische Abhängigkeitsverhältnis – etwa der Hilfsgeistlichen vom Pfarrherrn – kam es nicht selten zu häuslichen Spannungen und Konflikten. In merkwürdiger Weise entsprachen zudem die oft kleinbürgerlich anmutenden Lebensverhältnisse und Gewohnheiten weit weniger dem sakralisierten Standesideal, als etwa monastische Lebensformen, bei denen zumindest das Fehlen alltäglicher Subsistenzzwänge eine Fokussierung auf die geistliche Rolle ermöglichte. Insofern erscheint das zur Verteidigung des Pflichtzölibats vielfach ins Feld geführte Argument, der Kleriker solle von familiären Sorgen und Nöten frei gehalten werden, um sich ganz seinem geistlichen Amt widmen zu können, durch die historische Realität der vita communis im katholischen Pfarrhaus zumindest relativiert.

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Die Freizeit der Kleriker war geprägt von einem fortwährenden Spannungsverhältnis zwischen der Partizipation an den zeitüblichen Vergnügungen des jeweiligen Lebensumfelds und den Zwängen, die ihnen der Habitus clericalis auferlegte. Jede beabsichtigte Aktivität war zuvor hinsichtlich ihrer Standeskonformität zu prüfen. Entsprechende oberhirtliche Weisungen und Anstandsbücher sollten die diesbezüglichen Entscheidungen unterstützen. In der alltäglichen lebensweltlichen Praxis setzten sich die Einzelnen jedoch vielfach über den Kontroll- und Regelungsfuror der kirchlichen Oberbehörden hinweg und partizipierten schlichtweg an den Freitzeitgewohnheiten ihres laikalen Lebensumfeldes, wozu auf dem Land zuvörderst das Wirtshaus und das mit ihm zwangsläufig verbundene Kartenspiel zählten. Bei den jüngeren Geistlichen gewann die aktive Beteiligung an sportlichen Aktivitäten im Verlauf der 1920er Jahre mehr und mehr an Bedeutung.

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In dem Maße, in dem die Bedeutung des Klerus als traditionelle lokale Bildungselite durch den allgemein steigenden Bildungsstandard und den Aufstieg neuer Eliten © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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spätestens um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert abnahm, ging auch seine Beschäftigung mit nichttheologischen Wissensgebieten und seine Produktion an nichttheologischer wissenschaftlicher Literatur zurück. Der Erste Weltkrieg scheint hier einen Umbruch zu markieren. Bei der Rezeption nichtfachgebundener Literatur beschränkte sich der Klerus neben einem stärkeren Interesse an überwiegend regionaler Geschichte und Kunstgeschichte sowie Naturkunde und Alpinistik, bei der Belletristik vorwiegend auf die Klassiker der deutschen Nationalliteratur und die zeitgenössischen Autoren katholischer Provenienz. Insofern lässt sich bei seinen Interessen eher ein Blick auf das nähere naturräumliche und lebensweltliche Umfeld einerseits und ein Verbleiben im System der eigenen Weltanschauung andererseits konstatieren.

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Nicht nur aufgrund des Umstands, dass diese Arbeit an einem landesgeschichtlichen Lehrstuhl entstand, erscheint die Frage berechtigt, ob der bayerische katholische Klerus eine regionalspezifische Sonderidentität aufwies. Diese Frage kann, zumindest mit Bezug auf den Klerus der Erzdiözese München und Freising, im Wesentlichen verneint werden. Obgleich der Klerus von wenigen in der Summe vernachlässigbaren Einzelfällen fast ausschließlich aus Bayern, im wesentlichen sogar aus dem Diözesangebiet stammte und sich in den Quellen immer wieder – etwa bezüglich eines ressentimentalen Antagonismus zu Preußen1 oder im Hinblick auf gelebtes Brauchtum – Versatzstücke einer starken bayerischen Separatidentität finden lassen, wurde diese in der Substanz im Prozess der kollektiven Identitätsbildung doch durch eine klerusspezifische Sonderidentität überprägt, die das Denken und Handeln der Einzelnen stärker bestimmte als die Prägung durch die regionale Herkunft. Dies bedeutete nicht zwangsläufig eine universalistische, globalistische oder antiregionalistische Weltsicht. Im Zweifelsfall lag der Orientierungspunkt für den Klerus auf dem Freisinger Domberg, wo er seine weltanschauliche Prägung erfahren hatte. Die klerikale Sondergesellschaft wies aber nur am Rande bayerische Besonderheiten auf. Auch der Nationalstaat blieb für den Klerus im Regelfall allenfalls sekundäres Ordnungsschema, dem man einigermaßen distanziert und mit einer gesunden Skepsis gegenüberstand. Dies traf für das Kaiserreich ebenso zu2, wie für das demokratische Weimar und den 1

So heißt es etwa im Bericht eines Geistlichen aus dem Jahr 1946 über zwei im Pfarrhaus einquartierte Frauen, diese träten »ziemlich unbescheiden und arrogant auf, als Preussen halt.« AEM, Priesterpersonalakten P III 1643, Murschhauser an Buchwieser vom 06. 06. 1946. Ähnliche, in unterschiedlicher regionaler Herkunft begründete Ressentiments, finden sich auch zwischen Klerikern. So vermerkt etwa Pfarrer Paul Meisel aus der Stadtpfarrei München-St. Margaret über einen ebenfalls dort tätigen Geistlichen: »Der norddeutsche Pater darf nicht glauben, dass er unser altbayerisches Volk zu norddeutscher Sitte und Art erziehen kann, nein er muss den Willen haben, sich in die Eigenart unseres Volkes einzuleben und ihr Rechnung zu tragen. Er braucht kein Vollbayer zu werden, aber er muss die Bayern verstehen und lieben.« AEM, Seelsorgeberichte, Dekanat München Süd, Seelsorgebericht der Stadtpfarrei St. Margaret für das Jahr 1944. 2 Vgl. Blessing, Staat und Kirche, 190 f. Der Kult um die Hohenzollernkaiser wurde ebenso abgelehnt wie später der Kult um Hitler. Blessing spricht für das Kaiserrreich von »konträre[r] Integration © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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totalitären NS-Staat. Je mehr Ansprüche der Nationalstaat an die Kirche stellte, je mehr er sie zur Aufgabe ihrer Prinzipien drängte oder zwang, desto heftiger kam die Spannung zur Explosion, dies wurde in den Kulturkämpfen ebenso deutlich, wie in den Auseinandersetzungen zwischen Klerus und NS-Regime.

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Die katholische Kirche rechnete zu allen Zeiten mit der Fehlbarkeit und Sündhaftigkeit ihrer Glieder. Die Grenzen, welche die Standesdisziplin zog, waren eng und die Anforderungen an korrektes Verhalten hoch. Jedoch durfte der menschliche Makel ihrer irdischen Vertreter die Institution keinesfalls beschädigen. Die Mechanismen zur Korrektur des von der Norm abweichenden Verhaltens trugen diesem Umstand bewusst Rechnung. Sie waren vielfältig ausdifferenziert und in starkem Maße von präventiven Maßnahmen geprägt, die Abweichungen bereits im Vorfeld verhindern sollten. Gelang dies nicht, kamen vor allem Mechanismen zum Tragen, die eher darauf fokussiert waren das Tatgeschehen zu tabuisieren als eine wirksame Bestrafung oder Besserung des Täters zu erreichen. Der Umgang mit abweichendem Verhalten von Klerikern war in außerordentlich hohem Maß durch das Bemühen um die Vermeidung jeglicher standesexterner Öffentlichkeit geprägt. So sind auch die Strafen für den Klerus ganz überwiegend nicht sichtbar. Da die Kleriker nach 1933 unter verschärfter Beobachtung eines kirchenfeindlichen Überwachungsapparats standen, der geneigt war, Normverstöße schonungslos anzuprangern um so die kirchliche Autorität zu beeinträchtigen, war die Kirchenobrigkeit mehr denn zuvor bemüht, Normverstöße einzudämmen, Abweichungen zu sanktionieren und Homogenität zu erzwingen, um die Angriffsflächen so minimal wie möglich zu halten. Dies zeigte sich einerseits in einer Verstärkung der Tabuisierungsmechanismen vor dem bekannt werden des Tatgeschehens, anderseits in einer Schwächung der standesinternen Loyalität gegenüber den Tätern, die in den Fokus von Staat und Partei geraten waren. Die Opfer hingegen standen zu keinem Zeitpunkt im Blickfeld der kirchlichen Hierarchie. So schützte das priesterliche Kleid schließlich auch diejenigen nicht mehr, die infolge unverschuldeter Normabweichung durch psychische Erkrankung selbst in die tödlichen Mühlen des menschenverachtenden Staatsapparats geraten und damit zu Opfern geworden waren.

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Katholische Priester, die dem Nationalsozialismus anhingen, stellten eine äußerst rare Gruppe dar. Die starken Kohäsionskräfte der priesterlichen Gemeinschaft, der im Prozess der Ausbildung internalisierte Korpsgeist und die oberhirtlich eingeforderte Standesdisziplin verhinderten im Wesentlichen das Eindringen standesfremder Ideologeme. Jedoch traten die braunen Priester gerade in Bayern und insbesondere in der Erzdiözese München und Freising überproportional häufig in Erscheinung. Diese durch katholischen Universalismus und liberalen Nationalismus«, der pointiert in von Katholiken überwiegend abgelehnten Massensymbolkulten, wie Sedanfeiern, nationaler Beflaggung und Festumzügen zum Ausdruck kam. Der Kampf um die Symbolhoheit setzte sich nach 1933 mit neuerlicher Schärfe fort. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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überdurchschnittliche Konzentration dürfte mit der Bedeutung Münchens für die Entstehung der nationalsozialistischen Bewegung zusammenhängen. Hier scheinen zudem Netzwerke zwischen nationalistisch, anti-ultramontan und reformkatholisch orientierten Geistlichen, die sich besonders im Umfeld des vormaligen Hofklerus konzentrierten, eine besondere Rolle gespielt zu haben. Dies bedarf aber noch weiterer Spezialforschung hinsichtlich der genauen Ursachen und Wirkzusammenhänge. Sieht man von einer aus verschiedenen methodischen Schwierigkeiten in ihrem Umfang nicht genau bestimmbaren Gruppe von gegenüber dem Nationalsozialismus konsensorientierten und loyalen Klerikern ab, bei denen es im Regelfall nicht zu einem Bruch mit ihrer priesterlichen Laufbahn kam, lassen sich 17 aktive Kollaborateure namentlich bestimmen, bei denen das NS-Engagement meist mit einem äußeren Bruch in ihrer Biographie einherging. Die Priester dieser Gruppe gaben ihr Priestertum in der Mehrzahl früher oder später auf und gingen eine Zivilehe ein. Ihre Motivlagen waren jedoch unterschiedlich. Aus vorwiegend idealistischen politischen Motiven lässt sich das NS-Engagement der ersten Gruppe erklären. Die Männer dieser Gruppe waren stark national orientiert, lehnten den politischen Katholizismus, den sie von einem religiösen Katholizismus unterschieden, als überlebt ab und waren von einer optimistischen, wenngleich diffusen Aufbruchstimmung getragen, die sie in die NSBewegung projizierten. Die traditionellen kirchlichen Organisations- und Machtstrukturen lehnten sie ab und bekämpften sie, nicht selten in Staats- und Parteifunktionen, aktiv. Die kirchlichen Oberbehörden gingen zumeist auf größtmögliche Distanz zu diesen Geistlichen und lehnten eine Zusammenarbeit mit ihnen ab. Bei der zweiten Gruppe waren vor allem persönliche Schwierigkeiten mit den Verpflichtungen des priesterlichen Standes, vor allem mit dem Zölibat ausschlaggebend für ihr NS-Engagement. Die Mitglieder dieser Gruppe wandten sich zumeist aus opportunistischen Motiven erst dann dem Nationalsozialismus zu, wenn es bereits zu mehr oder weniger starken Problemen mit ihrem priesterlichen Beruf und Konflikten mit der kirchlichen Oberbehörde gekommen war. Nicht selten gelang es ihnen, sich vermittelt durch ihr NS-Engagement eine neue berufliche Existenz außerhalb der Kirche aufzubauen.

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Die beiden Weltkriege prägten den Klerus in erheblich massiverem Ausmaß als vorherige Kriege. Im ersten Weltkrieg leisteten 90 Priester Dienst, überwiegend als Feldseelsorger und zum geringen Teil als Sanitäter. Rund 300 Theologiestudenten standen im aktiven Kampf an der Front. Im Zweiten Weltkrieg blieb die Zahl der Theologiestudierenden etwas geringer, jedoch leisteten mit 230 Priestern nun erheblich mehr Geistliche Dienst. Nur noch jeder siebte von Ihnen hatte aber einen seelsorglichen Auftrag und konnte somit seiner eigentlichen Berufung auch unter Kriegsbedingungen nachgehen. Die klerikale Subgesellschaft des Seminars zerbrach angesichts der Kriegsumstände rasch, die Möglichkeiten, die zur Sozialkontrolle noch verblieben, vor allem der regelmäßige Briefkontakt mit dem Regens, reichten kaum hin, die Köhäsionskräfte aufrecht zu erhalten. Von einer direkten seelsorglichen Einflussnahme auf seine Theo© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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logen im Feld war der Heimatbischof abgeschnitten durch die Bestimmungen einer pronationalsozialistischen Wehrmachtsseelsorge unter einem Feldbischof, der nicht mehr darstellte als Görings willfährige Marionette. Vor allem diejenigen Theologen, deren Berufswunsch unsicher war, kehrten, sofern sie den Krieg überlebten, oft nicht in das Seminar zurück und erklärten noch im Feld ihren Austritt. Diejenigen, die nach dem Krieg zurückkehrten, hatten ein völlig gewandeltes Selbstbewusstsein, brachten allerlei Neuerungen mit und integrierten sich oft nur noch unzureichend in die alte Ordnung. Bemerkenswert erscheinen die Strategien, mit denen die am Krieg beteiligten Priester und Theologen ihr Handeln vor sich und ihrer Glaubensgemeinschaft rechtfertigten. Beide Kriege erschienen in dieser Hinsicht als eine Bewährungsprobe, die ihnen die Möglichkeit zur Festigung, Läuterung und Berufsklärung bot. Während das Motiv der Pflichterfüllung für das Vaterland im Ersten Weltkrieg vorwiegend im Hinblick auf die Verpflichtung der Geistlichen auf die universale Kirche und deren Sendungsauftrag problematisch erscheinen mochte, kam im Zweiten Weltkrieg das Dilemma hinzu, einem menschenverachtenden (und kirchenfeindlichen) Regime dienen zu müssen. Kompensiert wurde dies offenbar durch den neuen Motivkomplex des antibolschewistischen Abwehrkampfes und eine Umdeutung der nationalsozialistischen Kriegsideologie in einem katholischen Sinn.

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So fragwürdig der Begriff einer katholischen »Werte-Gegenwelt«3 angesichts der enormen Transformationsdynamik des Nationalsozialismus bei der Etablierung der Volksgemeinschaft und dem damit verbundenen rapiden »Zerfall der christlichhumanistisch-aufklärerischen Normenwelt«4 grundsätzlich ist, so treffend erscheint er dennoch im Hinblick auf die katholische Geistlichkeit, deren Sozialisierung sich auch nach 1933 und bis zum Kriegsausbruch und der damit einhergehenden Zerstörung des Seminarsystems im wesentlichen in einer Art gesellschaftlichen Parallelsystem vollzog. Die so entstehende Subgesellschaft begünstigte einen von Fall zu Fall mehr oder weniger großen Abstand der Geistlichen vom Wertesystem des Nationalsozialismus, der einerseits in einem Abstand von den Phänomenen der modernen Welt an sich gegründet war, andererseits aber auch partielle Übereinstimmungen mit der NS-Ideologie nicht ausschloss. Dort wo Hitlers antimodernistische Affekte der katholischen Geistlichkeit prinzipiell einen Anschluss an die NS-Ideologie ermöglicht hätten, verhinderte der Totalitätsanspruch der nationalsozialistischen Weltanschauung und der in einer langen europäischen Tradition wurzelnde Antikatholizismus der Mehrzahl der NS-Funktionäre diesen. Die katholische Opposition gegen den Nationalsozialismus hatte in dieser Hinsicht einen eher unfreiwilligen Charakter. Dennoch marginalisiert ein solches Urteil den Abstand nicht, zumal sich Vergleichbares für die Mehrheit der deutschen Bevölkerung kaum konstatieren lässt und der Abstand in seiner Zeit

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Kissener, Widerstand, 175. Wehler, Gesellschaftsgeschichte IV, 687. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

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Zusammenfassung und Ausblick

wirkte, hatte der Klerus doch für den katholischen Bevölkerungsteil – ungeachtet aller bereits eingetretenen Statusverluste – noch immer eine beachtliche Vorbildwirkung.

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Aus historischer Sicht erscheint es deshalb fragwürdig, dass das vorbildliche Handeln Einzelner unter dem NS-Regime nach 1945 durch eine kirchenpolitisch motivierte, undifferenzierte und letzten Endes fragwürdige Monumentalisierung von Phänomenen, die sich lediglich den Handlungsmustern des Abstands und der Selbstbehauptung zurechnen lassen, verschattet wurde. Die Auseinandersetzungen um den Widerstandbegriff und die kritischen Anfragen an die Rolle der Kirchen während des Nationalsozialismus verwundern jedoch um so weniger, je mehr die katholische Kirche in ihrem Selbstverständnis als societas perfecta für sich in Anspruch nahm, ein moralisch vollkommenes Gegenüber in Gegensatz zu unvollkommenen Größen wie Staat und Gesellschaft zu bilden – ein Maßstab, an dem sie naturgemäß auch durch Dritte gemessen wurde. Gerade diese »dogmatische Selbstüberhöhung der idealen Kirche«5 ist zugleich auch der Schlüssel zur Beantwortung der Frage, warum sie einerseits mit Anklagen rechnen muss, es ihr in Teilen andererseits immer noch schwer fällt, sich in selbstkritisch reflexiver Weise mit ihrer eigenen Geschichte auseinanderzusetzen.

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Auch der politische Widerstand katholischer Geistlicher gegen den Nationalsozialismus blieb – wie der gesamte katholische Widerstand – immer der Widerstand einzelner. Einen kollektiven Aufruf zum Widerstand durch die Bischöfe oder eine größere innerkirchliche Gruppe gab es nicht, zumal politischer Widerstand gegen die vermeintlich von Gott eingesetzte Obrigkeit auch nicht der herrschenden Auffassung der katholischen Lehrinterpretation dieser Zeit entsprach. Die geforderte Treue gegenüber der rechtmäßigen Obrigkeit und die hieraus resultierenden Weisungen an die Kleriker machten diesen jede Form des politischen Widerstands gegen den Nationalsozialismus nicht nur unmöglich, sondern ließ sie zugleich zu einem Ungehorsam gegen die eigenen Oberhirten werden. Tatsächlich gibt es kaum Anzeichen dafür, dass die Bischöfe politisch widerständiges Handeln des Klerus gebilligt hätten – das Gegenteil ist der Fall. Die Bischöfe gaben, unterstützt durch die römische Zentrale, den politischen Kurs vor, dessen oberstes Ziel die Aufrechterhaltung der Seelsorge und der regelmäßigen Sakramentenspendung sowie das Überdauern der eigenen Institution unter widrigen Verhältnissen war. Diesen Zielen wurde alles andere untergeordnet.

5 Graf, Kirchen, 36. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

Anhang

Siglen und Abkürzungen ABObb Archiv des Bezirks Oberbayern ABSp Archiv des Bistums Speyer AEM Archiv des Erzbistums München und Freising AfS Archiv für Sozialgeschichte ASS Acta Sanctae Sedis ArchProvGermSJ Archiv der deutschen Provinz der Jesuiten Art. Artikel BA Bundesarchiv BayGVBl. Bayerisches Gesetz- und Verordnungsblatt BayHStA Bayerisches Hauptstaatsarchiv (München) BaKG Beiträge zur altbayerischen Kirchengeschichte BBKL Biographisch-bibliographisches Kirchenlexikon Bearb. Bearbeiter BMK Bibliothek des Metropolitankapitels München BO Bischöfliches Ordinariat can. canon CEH Central European History CIC Codex Iuris Canonici DBF Dombibliothek Freising Ders. Derselbe EAM Erzbischöfliches Archiv München EFK Erzbischöfliche Finanzkammer (München) EHQ European History Quarterly EOM Erzbischöfliches Ordinariat München LThK Lexikon für Theologie und Kirche MBM Miscellanea Bavarica Monacensia MKKZ Münchener Katholische Kirchenzeitung MKS Münchener Kirchenhistorische Studien MThZ Münchener Theologische Zeitschrift NDB Neue Deutsche Biographie o. J. ohne Jahr OKH Oberkommando des Heeres OKW Oberkommando der Wehrmacht OS Ordinariatssitzung PA Personalakt Pseud. Pseudonym RAD Reichsarbeitsdienst RJKG Rottenburger Jahrbuch für Kirchengeschichte RM Reichsmark RMfkA Reichsministerium für kirchliche Angelegenheiten RQ Römische Quartalschrift für christliche Altertumskunde und Kirchengeschichte

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554Anhang RSHA Reichssicherheitshauptamt S. Seite SAEM Schriften des Archivs des Erzbistums München und Freising SD Sicherheitsdienst SHVE Sammelblatt des Historischen Vereins Eichstätt SoSe Sommersemester Sp. Spalte StA Staatsarchiv StaKG Studien zur altbayerischen Kirchengeschichte StAM Staatsarchiv München StMuK (Bayerisches) Staatsministerium für Unterricht und Kultus SRBLG Schriftenreihe zur bayerischen Landesgeschichte SS Schutz-Staffel ThPh Theologie und Philosophie ThPM Theologisch-Praktische Monatsschrift VdKfZ Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte VfZ Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte vgl. vergleiche WiSe Wintersemester WRVerf Weimarer Reichsverfassung ZAFWS Zentralarchiv des Franziskuswerks Schönbrunn ZBLG Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte ZfG Zeitschrift für Geschichtswissenschaft ZfKG Zeitschrift für Kirchengeschichte ZNThG Zeitschrift für Neuere Theologiegeschichte

Abbildungen Abb. 1: Kardinal Michael von Faulhaber (1869–1952). EAM, NL Faulhaber, Bildarchiv. Abb. 2: Knaben in priesterlicher Kleidung, um 1937. Klosterarchiv/Sammlung Windberg. Abb. 3: Luftaufnahme des Freisinger Dombergs, um 1930. AEM, Dokumentation, Topographie. Abb. 4: Zöglinge des Knabenseminars Freising vor dem Seminargebäude auf dem Domberg, um 1925. Sammlung Franz Kronberger, München. Abb. 5: Der Kandidat Gottfried Simmerding an seinem Studienpult in einem »Museum« des Freisinger Klerikalseminars, um 1926/27. Sammlung Gottfried Simmerding, München. Abb. 6: Rekreation der Seminaristen beim Spaziergang vor dem Hauptportal des Freisinger Mariendoms, um 1930. Münchner Illustrierte Presse Nr. 16, 1930, 540; Exemplar in EAM, NL Faulhaber 5770. Abb. 7: Fasching im Freisinger Klerikalseminar, 1929. Sammlung Gottfried Simmerding, München. Abb. 8: Brevierlesen auf der Terrasse vor dem Klerikalseminar Freising, um 1930. Münchner Illustrierte Presse Nr. 16, 1930, 541; Exemplar in EAM, NL Faulhaber 5770. Abb. 9: Die Gruppe Neudeutschland der Theologen des Herzoglichen Georgianums, 1928. Sammlung Gottfried Simmerding, München. Abb. 10: Abschlusstreffen eines Seminars von Prof. Josef Sickenberger, 1928. Sammlung Gottfried Simmerding, München.

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Karte555

Abb. 11: Die 50 Neupriester des Weihekurses 1939. Sammlung Franz Kronberger, München. Abb. 12: Geistliche Hochzeit, 1928. Sammlung Gottfried Simmerding, München. Abb. 13: Domkaplan Gottfried Simmerding (1905–2006) beim Breviergebet auf einer Skihütte, undat., ca. 1930er Jahre. Sammlung Gottfried Simmerding, München. Abb. 14: Der Priester Josef Albertshauser (1896–1977) mit Weltkriegsorden, 1925. AEM, Priesterpersonalakten P III 15.

Tabellen Tabelle 1: Entwicklung der Anzahl der Zöglinge in den diözesanen Knabenseminaren 1920–1938. Tabelle 2: Entwicklung der Anzahl der Kandidaten im Klerikalseminar Freising und der Priesterweihen 1921–1939. Tabelle 3: Entwicklung der Priesterweihen in der Erzdiözese München und Freising 1918– 1945. Tabelle 4: Entwicklung des Diözesanklerus 1918–1949. Tabelle 5: Übersicht zur Binnenstruktur des Klerus der Erzdiözese München und Freising in den Jahren 1918 bis 1949. Tabelle 6: Übersicht über die Stellenentwicklung in der Pfarrseelsorge. Tabelle 7: Seelsorgeeinkommen der Pfarrer p. a. Tabelle 8: Seelsorgeeinkommen der Hilfsgeistlichen p. a. Tabelle 9: Prozentuale Verteilung der nationalsozialistischen Maßnahmen gegen den Klerus. Tabelle 10: Prozentuale Verteilung der nationalsozialistischen Maßnahmen gegen den Klerus auf die verursachenden Instanzen des NS-Herrschaftsgefüges.

Karte Das Territorium des Erzbistums München und Freising. Kartenentwurf und Erstellung: Michael Volpert, Archiv des Erzbistums München und Freising.

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Quellen und Literatur

A.

Ungedruckte Quellen1

Archiv des Erzbistums München und Freising (AEM) Priesterpersonalakten Personalia alt VN 1148 P I Klemens B. P I Leonhard Götz P I Anton Kothieringer P I August Wilhelm Patin P I Josef Roßberger P I Emil Scheller P I Jakob S. P I Josef Springer P I Theodor Vogel P II Balthasar Pörtner P II Carl Rieger P II Alban Schachleiter OSB P III 12 Korbinian Aigner P III 15 Josef Albertshauser P III 27 Alfons Ammer P III 34 Jakob Angermeier P III 45 Rupert Aschauer P III 48 Joseph Atzinger P III 59 Philipp Aurnhammer P III 72 Johann Backer P III 75 Joseph Bader P III 78 Andreas Bals P III 90 Johannes Bauer P III 93 Josef Bauer P III 134 Josef Berghofer P III 163 Josef Bliemel P III 210 Rudolf Bruner P III 289 Josef Dürnegger P III 345 Jakob Engl

1

P III 363 Johann Nepomuk Espenberger P III 422 Anton Forsthuber P III 483 Josef G. P III 507 Johann Bapt. Goettsberger P III 583 Franz Haarpaintner P III 594 Josef Hahner P III 610 Vitus Hartig P III 613 Albert Hartl P III 685 Franz Xaver Hiendlmayr P III 688 Richard H. P III 727 Karl Hofmann P III 736 Josef Holzner P III 770 Sebastian Huber P III 791 Johann Jäger P III 819 Eduard Kammermeier P III 807 Georg Käufl P III 855 Franz Kendler P III 856 Hermann Kendler P III 858 Matthias Kern P III 864 Georg Kifinger P III 869 Korbinian K. P III 894 Alois Kober P III 915 Ludwig Köppl P III 975 Leon von Kukowski PIII 1033 Hermann Liebl P III 1037 Dominikus Lindner P III 1039 Robert Linhardt P III 1045 Georg Lipp P III 1149 Hermann Mencke P III 1079 Josef Maier P III 1164 Johann Evangelist Michl

Mit einem * versehene Quellenbestände wurden vom Verfasser nicht persönlich eingesehen, sondern wurden ihm durch freundlicherweise von Dritten überlassene Kopien zugänglich. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525550403 — ISBN E-Book: 9783647550404

558

Quellen und Literatur

P III 1138 Ludwig Mayrhofer P III 1163 Anton Michel P III 1258 Erhard Nirschl P III 1267 Josef Oberlinner P III 1316 Friedrich Pfanzelt P III 1327 Wilhelm Pflüger P III 1409 Reiter Josef P III 1433 Epimach Riester P III 1496 Emmeran Scharl P III 1533 Josef Schleich P III 1565 Phillip Schmid P III 1640 Karl Schuster P III 1643 Josef Schwaiger P III 1722 Joseph Spitzl P III 1747 Josef Steininger P III 1767 Hermann Stöckle

P III 1771 Anton Stonner P III 1827 August Thomas P III 1866 Simon Veicht P III 1887 Leonhard Wackerl P III 1889 Franz Wagner P III 1892 Hubert Wagner P III 1907 Karl Walterbach P III 1935 Bernhard Weinschenk P III 1960 Johann B. Westermayr P III 2030 Johannes Zellinger P III 2039 Karl Zielbauer P IV 17 Josef Rosenberger P IV 35 Erhard Huber P IV 92 Michael Höck

Seelsorgeberichte Dekanat Aibling Dekanat Baumburg Dekanat Berchtesgaden Dekanat Dachau Dekanat Dorfen Dekanat Mühldorf Dekanat München-Innere Stadt Dekanat München-Land Dekanat München-Nordost Dekanat München-Süd Dekanat München-Südost Dekanat München-Südwest Dekanat Rosenheim Ordinariat Ordinariatssitzungsprotokolle 1933 Ordinariatssitzungsprotokolle 1934 Ordinariatssitzungsprotokolle 1935 Ordinariatssitzungsprotokolle 1936 Ordinariatssitzungsprotokolle 1937 Ordinariatssitzungsprotokolle 1938 Ordinariatssitzungsprotokolle 1941 Ordinariatssitzungsprotokolle 1943 Priesterhausstiftung Dorfen 1968–1974 Rundschreiben und Erlasse 1933–1945 Visitationen 367

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Ungedruckte Quellen559

Metropolitankapitel Personalakten Nikolaus Brem Michael Buchberger Ferdinand Buchwieser Matthias Dunstmair Sebastian Fischer Josef Gartmeier Martin Graßl Alois Hartl Rudolf Hindringer Sebastian Huber Erwin von Kienitz Johannes Erik Müller Johann Baptist von Neudecker Peter Röhrl Anton Scharnagl Johann Baptist Schauer Thomas Stadler Josef Thalhamer Emil Uttendorfer Josef Weißthanner Johannes Zinkl Nachlass Josef Thalhamer Stichwortmappen: – Stw. »Dekane« – Stw. »Fasten, Fastenzeit« – Stw. »Feldgeistliche – Feldbischof« – Stw. »Gefallenengottesdienste« – Stw. »Gestapo« – Stw. »Hilfspriester« – Stw. »Hirtenbriefe« – Stw. »Homosexualität« – Stw. »Jugend« – Stw. »Kirche (Dienstanweisungen)« – Stw. »Kirche im Kampf gegen den NS« – Stw. »Kraftfahrzeuge, neueste Liste« – Stw. »Krieg, totaler« – Stw. »NS/Kirche« – Stw. »Ordinariat« – Stw. »Priester« – Stw. »Primiz« – Stw. »Sittlichkeit« – Stw. »Statistik« Sittlichkeitsdelikte: – Benedikt A. – Klemens B./Adolf D. – Josef G. – Alois K. – Karl R.

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Quellen und Literatur

NL Anton Scharnagl S5

Seelsorgereinkommensergänzung

NL Johannes Neuhäusler 116 Reichs-, Staats-, Polizei- und Parteiverordnungen/Protokolle über Vorsprachen Neuhäuslers bei Ministern etc. 123a Dem NS nahe stehende oder angehörende Priester NL Hubert Wagner Manuskripte NL Emil Muhler 17 Denkschrift »Eine Kette von Enttäuschungen«/Fortsetzung der Denkschrift »Erlebtes und Erlittenes« (1937/1946) Nationalsozialistische Verfolgung katholischer Geistlicher, Fragebogen A (Diözesane Weltgeistliche A-Z) Joseph Atzinger Wilhelm Bleyer Thomas Dankerl Johann Daxberger Jakob Engl Alois Faßnauer Stefan Gmeiner Anton Haas Anton Heldmann Johann Baptist Heldwein Erhard Huber Georg Huber Joseph Imminger Johann Kaltenhauser Victor Keller Josef Kislinger Ludwig Klöck Josef Kranz Leon von Kukowski Joseph Lamprecht Herbert von Leveling Gregor Lunghamer Herman Mencke Leonhard Modlmayr Aloys Mörner Martin Oswald Wilhelm Pflüger Hermann Popfinger Josef Schiessl Josef Schmid Peter Schmittinger Josef Schneider

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Ungedruckte Quellen561

Karl Schuster Johann Sewald Johannes Seitz Johann Baptist Simon Joseph Spitzl Anton Stemmer Franz Xaver Thoma Carl Walterbach Paul Weinberger Kaspar Hubert Wolff Priesterseminar Freising Austritte aus dem Klerikalseminar 1934–1947 Briefe von Kandidaten 1939–1945 Korrespondenzkartei Sonstiges Dokumentation Topographie, Freising Dokumentation Personen, Erzbischof Michael Kardinal von Faulhaber Finanzkammer Abt. II, 173 * Chronologie der Diözesanpriester der Erzdiözese München und Freising, München (div. Jahrgänge).

Erzbischöfliches Archiv München (EAM) Nachlass Faulhaber 1405 Collegium Germanicum in Rom, 1921–1951 3038 Consilium a vigilantia, 1937 3039 Consilium a vigilantia (mit Register über die Jahrgänge 1928–1938), 1938 3040 Consilium a vigilantia, 1939 3041 Consilium a vigilantia, 1940 3042 Consilium a vigilantia (Redaktion), 1928–1948 3055 Kirche und Bolschewismus, 1932–1945 4053 Freisinger Bischofskonferenz, 1920–1921 4172 Hirtenbriefe Faulhabers, 1940–1945 5000 Ordinariat München (Generalvikar, Domkapitulare), 1917–1932 5001 Ordinariat München (Generalvikar, Domkapitulare), 1933–1945 5007 Fall von Weihbischof Anton Scharnagl, nach 1945 5013 Domkapitular Dr. Joseph Gartmeier (Protokolle, Mitteilungen über polizeiliche Vernehmungen wegen seiner Finanzlage), 1933–1937 5014 Domkapitulare im Ordinariat München (Bericht von Domvikar Forsthuber über Grassl, Neuhäusler, Brem, Buchwieser), 1944 5016 Muhler – Thalhamer wegen angeblicher Parteimitgliedschaft Thalhamers, 1948 5401 Rechtfertigung des Kooperators Georg Käufl, 1939 5402 Suspendierte und abgefallene Geistliche (Gigl, Schmidbauer, Keller), 1940–1941 5404 Sorgenkleriker (Scheller, Merkl, Wolff, Bader, Scherm), 1942–1945

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562

Quellen und Literatur

5405 Carl Walterbach (Rechtfertigungsschrift), 1946 5752 Zulassung zum Studium der Theologie, 1934 5770 Priesterseminar in Freising (Korrespondenz, Erlasse), 1919–1933 5771 Chronik des Erzbischöflichen Klerikalseminars, 1933–1945 5772 Priesterseminar Freising, 1945–1947 5776 Georgianum München (Briefe, Berichte des Spirituals Anton Anwander, Episkopat – Staatsregierung), 1919–1951 5791 Erzbischöfliches Knabenseminar in Freising, 1917–1932 5792 Erzbischöfliches Knabenseminar in Freising, 1933–1945 5793 Erzbischöfliches Knabenseminar in Freising, 1945–1952 5794 Erzbischöfliches Knabenseminar in Traunstein, 1927–1933 5795 Erzbischöfliches Knabenseminar in Traunstein, 1933–1941 5796 Erzbischöfliches Knabenseminar in Traunstein, 1945–1952 5799 Erzbischöfliches Knabenseminar Scheyern, 1926–1939 5870 Phil.-Theol. Hochschule in Freising (Allgemeine Hochschulfragen, Berufungen von Professoren), 1918–1932 5872 Jubiläum (100 Jahre Freisinger Hochschule), 1934 6501 Leohaus München; Katholische kaufmännische Gehilfinnen und Beamtinnen, 1917–1933 6651 Bericht über die Weiterentwicklung des Hansaheimes, 1931 6796 Schreiben von Soldaten aus dem Feld, 1941–1942 7269 Josef Roth, 1925–1944 7278 Schlageter-Verehrung, 1934–1937 8303 Verhaftungen von Geistlichen (Barbier, Hartl, Hoffmann, Klinkhammer, Muhler, Neumair, Roissant, Roßberger, Thaler, Schmidlin, Schuler, Schuster, Sittenauer, Sollacher, Stelzle, Walterbach, Weißthanner), 1933–1947 8305 Verhaftungen von Neuhäusler und Höck; Ausweisung von Domkapitular Zinkl, 1933–1943 8315 Zur Ausweisung des Stadtpfarrpredigers Heinrich Göttl in München-St. Peter, 1935–1938 8384 Euthanasie, 1935–1949 o. Nr. Bildarchiv Priesterbefragung 2003 Interview mit Adalbert Albrecht [am 26. 11. 2003] Interview mit Johannes Ev. Baumgartner [am 23. 06. 2003] Interview mit Johann Bengl [am 04. 02. 2003] Interview mit Bernhard Egger [am 18. 11. 2003] Interview mit Max Eham [am 03. 02. 2003] Interview mit Josef Forstmayr [am 23. 07. 2003] Interview mit Friedrich Frei [am 23. 01. 2003] Interview mit Ludwig Geisinger [am 25. 08. 2003] Interview mit Johann Michael Gmeiner [am 24. 01. 2003] Interview mit Aloys Goergen [am 14. 01. 2003] Interview mit Karl Hobmair [am 21. 01. 2003] Interview mit Franz Xaver Kronberger [am 20. 01. 2003] Interview mit Alfred Läpple [am 17. 02. 2003] Interview mit Engelbert Neuhäusler [am 29. 01. 2003] Interview mit Valentin Niedermeier [am 09. 12. 2003] Interview mit Kardinal Leo Scheffczyk [am 11. 07. 2003] Interview mit Alexander Siebenhärl [am 25. 06. 2003] Interview mit Josef Sigllechner [am 04. 12. 2003] Interview mit Gottfried Simmerding [am 19.02. und 27. 02. 2003]

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Ungedruckte Quellen563

Interview mit Johannes Waxenberger [am 06. 03. 2003] Pfarrarchiv Prien am Chiemsee – Mariä Himmelfahrt Pfarrchronik 1901–1939 *

Archiv des Bistums Speyer (ABSp) Personalakt Franz Rödel

Archiv der deutschen Provinz der Jesuiten (ArchProvGermSJ) Abt. 73, Nr. 4a * Abt. 74, Nr. 6a *

Zentralarchiv des Franziskuswerks Schönbrunn (ZAFWS) 4.1.5.2. 1/1934 Ludwig B. 4.1.5.2. 2/1925 Matthäus M. 4.1.5.2. 3/1937 Wilhelm H. 4.1.5.3. 3/1942 Wilhelm H. 4.1.5.3. 4/1956 Franz W. 4.1.5.3. Übersichtslisten 5.6.2.1. Richard H.

Bundesarchiv (BA) R 5101/21813 R 5101/22238 R 58/6044 R (ehem. BDC) DS B 40 R (ehem. BDC) PK A 120 R (ehem. BDC) PK F 64 R (ehem. BDC) PK F 391 R (ehem. BDC) PK I 380 R (ehem. BDC) PK L 47 R [ehem. BDC] RS E 482 R (ehem. BDC) RS P 16 R (ehem. BDC) SSO 365A R (ehem BDC) Ortskartei R (ehem. BDC) Zentralkartei

Bayerisches Hauptstaatsarchiv München (BayHStA) Gesandtschaft Päpstlicher Stuhl 775*

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564

Quellen und Literatur

Staatsarchiv München (StAM) Staatsanwaltschaften 15890

Archiv des Bezirks Oberbayern (ABObb) Heil- und Pflegeanstalt Eglfing-Haar, Patientenakte 1977 (Richard H.)

Dombibliothek Freising (DBF) Jahresbericht des Domgymnasium Freising für das Schuljahr 1949/50 Der Scheinwerfer [Faschingszeitschrift der Freisinger Klerikalseminaristen] Schwarze Post [Faschingszeitschrift der Freisinger Klerikalseminaristen]

Private Sammlungen Sammlung Franz Kronberger (München) Sammlung Gottfried Simmerding (München) Nachlass Johann Jäger (Traunstein)

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Gedruckte Quellen565

B.

Gedruckte Quellen

Abele, Eugen, Hundert Jahre Humanistisches Gymnasium Freising. Festschrift zum 100jährigen Jubiläum 1828–1928, Freising 1928. Albrecht, Dieter, Der Notenwechsel zwischen dem Hl. Stuhl und der Deutschen Reichsregierung, Bd. 1, 1933–1937, VdKfZ A 1, Mainz 1965. – Der Notenwechsel zwischen dem Hl. Stuhl und der Deutschen Reichsregierung, Bd. 2, 1937–1945, VdKfZ A 10, Mainz 1969. Amtsblatt für die Erzdiözese München und Freising (div. Jahrgänge). Behnken, Klaus (Hg.), Deutschland-Berichte der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (Sopade) 1934–1940, 7 Bd., Salzhausen/Frankfurt a. M. 1980. Bericht über die Diözesansynode für die Erzdiözese München und Freising am 18. und 19. November 1930, München 1930. Bericht über die Diözesan-Synode des Erzbistums München und Freising am 22. und 23. Oktober 1940, München 1940. Bernhart, Joseph, Der Kaplan, München 1919. Bernhart, Joseph, Erinnerungen 1881–1930, 2 Bd., Weißenhorn 1992. Boberach, Heinz (Hg.), Berichte des SD und der Gestapo über Kirchen und Kirchenvolk in Deutschland 1934–1944, Mainz 1971. Bobinger, Leonhard, Die Altersversorgung der Haushälterinnen des kath[olischen] Klerus, Augsburg 1952. Börst, Ludwig, Die Theologen der Erzdiözese München-Freising im Weltkrieg 1914–1918, München 1938. Brancherau, Louis, De la Vocation sacerdotale, Paris 1896. Bruggaier, Ludwig, Generalversammlung des Klerusverbandes auf Schloß Banz am 7. Juni 1938, Klerusblatt 1938, 113–119. Buschmann, Arno, Nationalsozialistische Weltanschauung und Gesetzgebung 1933–1945.  Bd. 2 Dokumentation einer Entwicklung, Wien 2000. Charrière, Franziskus, Der Priesternachwuchs. Hirtenbrief seiner Gnaden Dr. Franziskus Chrarrière, Bischof von Lausanne, Genf und Freiburg, Fribourg 1949. Codex Iuris Canonici. Pii X Pontificis Maximi iussu digestus Benedicti Papae XV auctoritate promulgatus, praefatione Emi. Petri Card. Gasparri et indice analytico-alphabetico auctus, Freiburg/Regensburg 1918. Danner, Max, Das Dom-Gymnasium Freising im letzten Vierteljahrhundert (1928–1953), in: Festalmanach zur 125-Jahr-Feier des Dom-Gymnasiums Freising, Freising 1953, 15–26. Delp, Alfred, Der Krieg als geistige Leistung, Stimmen der Zeit 137, 1940, 207–210. Demal, Willibald, Praktische Pastoralpsychologie. Beiträge zu einer Seelenkunde für Seelsorger und Erzieher, Wien 21953. Direktorium für die Erzdiözese München und Freising 2004–2005, München 2004. Direktorium für die Erzdiözese München und Freising 2010–2011, München 2010. Domgymnasium Freising (Hg.): Jahresbericht 1952/53. 125 Jahre bayerische Staatsanstalt, Freising 1953. Dürnegger, Josef, Der Samerberg in Vergangenheit und Gegenwart, Rosenheim 21929. – 50 Jahre Seelsorge auf dem Samerberg 1901–1951. Kurzer Rechenschaftsbericht (als Manuskript gedruckt), Rosenheim o. J. [ca. 1951]. Erzbischöfliches Ordinariat München (Hg.), Meminisse fratrum. Toten-Chronik des Klerus der Erzdiözese München und Freising, München 1930. – Meminisse fratrum. Toten-Chronik des Klerus der Erzdiözese München und Freising, München 1950. – Meminisse fratrum. Toten-Chronik des Klerus der Erzdiözese München und Freising, München 1962. Faulhaber, Michael, Waffen des Lichtes, Freiburg 1915. – Der Krieg im Lichte des Evangeliums (Glaube und Leben. Eine Sammlung religiöser Zeitfragen, Sonderheft 2), München o. J. [1915].

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566

Quellen und Literatur

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Personenregister

Aufgenommen wurden alle im Haupttext, in zitierten Quellen und zitierter Literatur sowie in den Anmerkungen namentlich erwähnten historischen Personen. Die Namen der Verfasser von im Text zitierter Forschungsliteratur blieben unberücksichtigt. Die Fundstelle einer Kurzbiographie der jeweiligen Person in den Anmerkungen wurde im nachfolgenden Register mit einem * markiert. A A., Benedikt 374 Abtenthum, Karl 276 Achter, Martin 455 Adam, Karl 91, 201 f. Aicher, Sebastian 343 Aigner, Korbinian 361*, 371, 396 Albertshauser, Josef 370, 460 f.* Albl, Anton 532 Albrecht, Adalbert 118*, 310, 342, 351, 480 Ammer, Alfons 67, 535* Andersen, Karl 175*, 210, 212 Andres, Stefan 253 Angermaier, Georg 195 Angermaier, Jakob 196, 198, 285 Aniser, Michael 281 Anwander, Anton 190 f.* Aquin, Thomas von 78, 84, 200, 215, 365, 544 f. Aschauer, Rupert 462 Atzinger, Joseph 512 f.* Augustinus von Hippo 251 Aurnhammer, Philipp 457  f., 465 B B., Klemens 334, 408*–411 B., Ludwig 339 f.* Backer, Johann 154* Bader, Benedikt 430, 445*–449 Bader, Joseph 196, 198 Bals, Andreas 154* Barion, Hans 190, 201 f., 224*–226, 352, 440, 545 Bauer, Johannes 196, 198 Bauer, Josef 317* Bauer, Martin 476* Baumgartner SJ, Alexander 350 Baumgartner, Johannes 116*, 119, 155, 479, 497 Bayerl, Wilhelm 477*, 480 Bayern, Joseph Clemens von 165 Beer, Peter 28 Benedikt XV., Papst 69

Benedikt XVI., Papst 11 f., 251 (s. auch Ratzinger, Joseph) Bengl, Johann 150 Bergengruen, Werner 349* Berger, Max 196, 198 Berger, Rupert (Theologe) 213* Berger, Rupert (Politiker) 422 f.* Berghofer, Josef 196, 198 Bernanos, Georges 351* Bernhart, Joseph 113, 175, 264 f., 303, 308, 310, 313, 336 f., 340 f., 386 Bertram, Adolf 509 Besold, Karl 286 Best, Werner 436 Bettinger, Franziskus von 24, 45, 48 f., 64 f., 69, 279, 305, 407, 459 Birkner, Ferdinand 188 Bliemel, Josef 196, 198 Bloy, Léon 351 f.* Böhmer, Georg 258* Börst, Ludwig 464 Bopp, Linus 202 Bosco, Johannes 101 Brancherau, Louis 98 Braunmühl, Anton von 418 Braunmüller, Stephan 262 Brecht, Bertolt 352 Brem, Nikolaus 61, 188 Brentano, Franz 81 Broch, Hermann 352 Bruggaier, Ludwig 530 Bruner, Rudolf 136 f.*, 186 Buchberger, Michael 62, 64 f.*, 66–69, 366, 390, 508 Buchner, Max 437 Buchwieser, Ferdinand 27, 54, 58, 61, 64, 67 f.*, 92, 235, 281, 305, 313, 321, 339, 388, 397, 400, 410, 470, 504, 512, 532, 536, 542 Burkhard, Bernhard 416 Buttmann, Rudolf 72

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598Personenregister C Cafasso, Giuseppe 101 Canaris, Wilhelm 73 Charrière, Franziskus 112 Claudel, Paul 351* Clausewitz, Carl von 494 D Dauser, Hans 448 Daxberger, Johann 261, 513* Defregger, Matthias 455 Degenbeck, Sebastian 71 Deimel, Michael 495 f.* Delp SJ, Alfred 352, 493*–495 Dietenhauser, Karl 486 Dietz, Johann Baptist 207 Dilger, Fanny 430 Dinter, Artur 423 Döllinger, Ignaz von 80*, 82 f. Döpfner, Julius 52, 195, 199, 222, 342 Dörfler, Peter 348 f.* Dohnanyi, Hans von 73 Dostojewski, Fjodor 82, 350 f. Droste-Hülshoff, Anette von 350 f. Dürnegger, Josef 291*, 317 f., 358 Dürr, Lorenz 210*–212, 214 Dunstmair, Matthias 66*, 68, 388, 390 E Eberle, Franz Xaver 226, 433 Eberstein, Karl Friedrich Freiherr von 72 Egger, Bernhard 482 f.*, 487 Eggersdorfer, Franz Xaver 492 Eham, Max 118*, 139 Eibl, Georg 516 Eichendorf, Joseph von 350 Eichmann, Adolf 444 Eichmann, Eduard 218 f.*, 221, 224, 245 Ellner, Leopold 486 Endrös, Anton 422 f.* Engl, Jakob 389, 410* Enzinger, Karl 138 Epp, Franz von 465 f. Erzberger, Matthias 407 Escherich, Georg 432 Eschweiler, Karl 202 Espenberger, Johann Nepomuk 206, 209*, 212 f., 217 Esser, Hermann 72

F F., Paul 474 Faßnauer, Alois 484* Faulhaber, Katharina 49, 306 Faulhaber, Michael von 25 f., 29, 32 f., 44–53, 55 f., 59, 64–68, 70–75, 85, 91 f., 95, 105–108, 129– 132, 139, 151, 154, 166–168, 171, 178, 189–191, 196, 206, 208, 216, 218, 224–227, 231, 236, 239, 254, 257, 262 f., 265–267, 271, 279 f., 283, 295, 297, 306, 311, 329, 339, 359, 381, 389, 394, 397 f., 403, 423, 428 f., 438–441, 446 f., 457, 459, 463, 465, 470 f., 475–477, 487–490, 496, 509, 519, 529, 531–536, 538 f., 541 f., 545 Feller, Heinrich 400 Fellermeier, Jakob 196–198 Feuchtwanger, Lion 352 Fingerle, Anton 70 Fingerlos, Matthäus 290 Fischer, Sebastian 63* Forsteneicher, Anton 343 Forsthuber, Anton 396* Forstmayr, Josef 237, 239–241*, 478, 482 Frei, Friedrich 27, 68, 74, 343*, 532 Freiberger, Georg 462 Frick, Wilhelm 287 Fuchs, Johannes 74 Funk, Philipp 40 G G., Josef 406*–408 G., Paul 474 f. Galen, Clemens Graf von 416, 490 Ganghofer, Ludwig 351 Gartmeier, Josef 61, 71, 400 f.*, 446 Gastager, Andreas 395 Gaulle, Charles de 351 Gebsattel, Lothar Anselm Freiherr von 35, 124, 165, 204 Geiger OSB, Godehard 121 Geisenhofer, Franz Xaver 231 Geisinger, Ludwig 336*, 486 f. Giesler, Paul 74 Gigl, Josef 430, 448* Gmeiner, Stephan 476*, 503 Goergen, Aloys 52, 117*, 160, 346, 354, 481, 538 Göring, Hermann 470, 483, 551 Görres, Carl-Josef 348 Görres, Ida Friederike 348* Goethe, Johann Wolfgang von 350 f. Göttl, Heinrich 463 Goettsberger, Johann 219 f.*

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Personenregister599

Götz, Leonhard 452*, 536 Grabmann, Martin 218*, 226 Graf, Oskar Maria 352 Grassl, Martin 58, 61, 394*, 428 Grimm, Hans 352* Grimm, Josef 427, 517* Guardini, Romano 117* Gürtner, Franz 538 H H., Andreas 410 H., Richard (jun.) 413–418 H., Richard (sen.) 414 f. H., Wilhelm 413* Haarpaintner, Franz Seraph 119* Haas, Anton 504 Haecker, Theodor 354 Hahner, Josef 513 f.* Harnier, Adolf Freiherr von 516 Hartig, Michael 27, 188, 492 Hartig, Vitus 360 Hartl, Albert 108 f., 119, 134 f., 185, 190, 420, 435, 437, 442–445, 449 Hartl, Alois 61, 68, 69* Hartl, Martin 71 Hasenfuß, Josef 211*, 214 Haslinger, Michael 142 Haßlberger, Bernhard 69 Haugg, Donatus 211 f.*, 214 Hebbel, Friedrich 350 Heidegger, Martin 352 f. Heigl, Bartholomäus 209*, 212 Heim, Georg 178 Heinrich VIII., König von England 507 Held, Heinrich (Politiker) 138 Held, Heinrich (Priester) 188 Heldwein, Johann Baptist 524 Henle, Anton von 69 Herte, Adolf 223* Heß, Rudolf 465 Hesse, Hermann 352 Heydrich, Reinhard 404, 444 Hiendlmayr, Franz Xaver 478* Hillreiner, Josef 276 Himmler, Heinrich 215, 433–436, 485 Hindringer, Rudolf 19, 61, 63, 66 f.*, 71, 131, 366 f., 391 f., 422 f. Hitler, Adolf 74, 89–91, 109, 139, 157, 179, 183, 215, 349, 421, 424 f., 444, 446, 466, 468, 485, 490, 492, 507, 510, 548, 551 Hobbes, Thomas 376

Hobmair, Karl 150, 357* Hochhuth, Rolf 20 Höck, Michael 128, 134, 136, 142, 144, 166 f.*, 188, 196–198 Hörmann, Josef 136 Hofbauer, Clemens Maria 251 Hoffmann, Johannes 257 Hoffmann, Wilhelm 348 Hofmann, Karl 428 f.* Hofmann, Rudolf 191* Holzner, Anton (Pseud. für Hartl, Albert) Holzner, Josef 196, 198 Huber, Anton 296 Huber, Christian 424* Huber, Erhard 102*–105, 263, 288, 322 f. Huber, Georg 371 Huber, Kaspar 263, 295, 360* Huber, Sebastian (1860–1919) 65*, 71 Huber, Sebastian (1903–?) 450 f.* I Imminger, Joseph 287 J Jäger, Franz 105, 302, 321 f. Jäger, Johann 105 f.*, 119, 144, 291, 302, 321–323 Jell, Johann 492 Johannes XXIII., Papst 89, 94 Joseph II., Kaiser des Hl. Römischen Reiches 194 K K., Alois 372, 385, 387, 389*–393, 451 K., Georg 474 K., Korbinian 305, 333 f.*, 338, 386 f. K., Ludwig 370 Kafka, Franz 352 Kaindl, Franz 321 Kaller, Maximilian 293, 421 Kammermeier, Eduard 196, 198 Karl der Große 137 Karl I., Kaiser von Österreich 48 Käufl, Georg 58*, 427 f. Kaul, Josef 479 f.*, 486 Keitel, Wilhelm 469 Kendler, Franz 196, 198 Kendler, Hermann 451 f.* Kern, Matthias 241*, 317 Kerrl, Hanns 72, 405, 440 Ketteler, Wilhelm Emmanuel von 251 Kienitz, Erwin Roderich von 62, 63 f.*, 74, 188 Kifinger, Georg 117*, 464

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600Personenregister Kislinger, Josef 118*, 523 Kleutgen SJ, Josef 84 Kneidinger, Hermann 480 Kneipp, Sebastian 360 Knilling, Eugen von 48 Kober, Alois 424*, 450 Koch, Ilse 72 Köglmaier, Max 72 Kolping, Adolf 251 Kothieringer, Anton 155 f.* Kraus, Franz Xaver 81* Krebs, Engelbert 202 Kreuzer, Franz 238 Kronberger, Franz 52, 119 f.*, 142, 144, 150, 232, 240, 312, 337, 341, 532 Küng, Hans 81 Kukowski, Leon von 511* Kumpfmüller, Josef 226 L Läpple, Alfred 101 f.*, 105, 137, 167, 174, 192, 518 Lahitton, Joseph 98, 100 Lampl, Innozenz 493 Lamprecht, Joseph 485* Lang, Albert 221* Lang OSB, Hugo 50 Langgässer, Elisabeth 348* Lederer, Karl 135, 443 Lederer, Otto 443* Le Fort, Gertrud von 348* Lehnert, Josephine »Pascalina« 308* Leinfelder, Alois 56 Leo XIII., Papst 84, 89, 283, 399, 544 Leonrod, Ludwig Freiherr von 517 Liebl, Hermann 430, 452* Lindner, Dominikus 56, 204, 206, 208, 210*, 224 f. Linhardt, Robert 206, 208, 210*, 214–216, 429, 433, 519, 545 Lintl, Martin 109, 420 Lipp, Georg 196, 198 Loritz, Alfred 453 Lortz, Joseph 201 Ludendorff, Erich 423 Ludwig I., König von Bayern 124 Ludwig II., König von Bayern 80 Ludwig III., König von Bayern 48, 50, 63, 65, 433 Luitpold, Prinzregent von Bayern 48, 63, 83 Lunghamer, Gregor 431, 509 f.*, 516, 521 Lurz, Wilhelm 166, 186, 231, 492

M M., Matthäus 413* M., Max 474 Maier, Josef 196, 198 Mair, Johann Evangelist 127*, 141 Mangold, Max 134 Mann, Thomas 350 Matt, Franz 61 Max I. Joseph, König von Bayern 35 Maximilian II., König von Bayern 107 Mayer, Joseph 215 f.* Mayer SJ, Rupert 293, 462* Mayer-Pfannholz, Anton 210*, 212 f. Mayr, Martin 392, 451 Mayrhofer, Ludwig 19, 158, 431* Meier, Balthasar 463 Meisel, Paul 548 Mencke, Hermann 452, 465*, 536 Merkle, Sebastian 217 Meyer, Franz 196 Michel, Anton (1884–1958) 206, 208, 210*, 213, 305 Michl, Anton (1753–1813) 379 Michl, Johann Evangelist 211* Modlmayr, Leonhard 31, 337, 524 Mölders, Werner 491* Mohler, Ludwig 223*, 225 Montgelas, Maximilian Graf von 35 Moreau, Rudolf Freiherr von 491 f.* Morus, Thomas 507 Müller, Franz 196 Müller, Johannes Erik 62 f.* Müller, Josef (Politiker) 72 Müller, Josef (Theologe) 82*, 123, 257 Muhler, Emil 75, 86, 279, 335, 462, 537*–539 Musil, Robert 352 Muth, Carl 354 f. Muth, Johannes 209*, 216 N Natterer, Alois 75 Neri, Philipp 251 Neudecker, Johann Baptist von 63*, 65, 68 f. Neuhäusler, Engelbert 150, 192, 310, 312 f., 337 f., 538 Neuhäusler, Johannes 27, 33 f., 50, 62, 69, 71, 72 f.*, 74, 167, 255, 368, 384, 404, 438, 514, 517, 525, 534 Neumann, Wilhelm Josef Maria »Anno« 339 Niedermeier, Valentin 152, 342, 443, 481 Nietzsche, Friedrich 137

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Personenregister601

Nirschl, Erhard 394* Nißl, Karl 85* Nöscher, Georg 409 Nostiz-Rieneck SJ, Robert von 168* Nothaft, Georg 242 O Oberlinner, Josef 396 f.* Oberndorfer, Georg 134 Oster, Hans 73 P P., Johann 408 f. P., Sebastian 474 Pacelli, Eugenio 200, 206, 225 f., 308 (s. auch Pius XII., Papst) Papen, Franz von 72 Pascher, Joseph 222* Patin, August Wilhelm 215, 433–436, 439, 445, 449 Paul VI., Papst 79 Paul, Jean 82 Paul, Vinzenz von 251 Paulus, Georg 477 Pfanzelt, Friedrich 464* Pfeilschifter, Georg 219*, 221 f. Pfliegler, Michael 253, 353, 384, 428 Pflüger, Wilhelm 516* Pichler, Eduard 386 Pius IX., Papst 14, 80 Pius X., Papst 14 f., 69, 79, 98, 283 Pius XI., Papst 14, 62, 68, 70, 88, 99, 216, 342, 514 Pius XII., Papst 14, 63, 68, 71, 231, 249, 284, 308 (s. auch Pacelli, Eugenio) Pocci, Franz Graf von 189 Pörtner, Balthasar 511 Popfinger, Hermann 537 Pretzl, Otto 196*, 198 Preysing, Konrad Graf von 61–63, 71, 179, 405 Probst, Joseph 510 Prillmaier, Johann 537* R R., Paul 475 Randlinger, Stephan 209*, 212 Rarkowski, Franz Justus 469 f.*, 479, 482 Rattenhuber, Johann 74 Ratzinger, Joseph 30, 144, 146 f., 151, 212 f. (s. auch Benedikt XVI., Papst) Reinhardt, Friedrich 281 Reisach, Karl August Graf von 93, 124, 246

Reiter, Josef 430* Rendl, Georg 96*, 386 Rieber, Burkard 415 Rieger, Karl 397 f.* Riemer, Franz Seraph 151 Ries, Alois 206, 209*, 212 Riester, Epimach 393–395* Ritter zu Groenesteyn, Baron Otto von 48 Rödel, Franz 334 f.*, 385, 511 Röhm, Ernst 465 Röhrl, Peter 165*–167, 184 f., 263, 443 Roosevelt, Franklin D. 356 Rosenberger, Josef 480*–482 Roßberger, Josef 134*–137, 141, 185, 443 Rosegger, Peter 105 Rosenberg, Alfred 90, 174, 423, 438 Roth, Josef 72, 225, 421, 430, 436–441, 445, 449 f., 460 Rothengaß, Peter 232 Rüfner, Vinzenz 202 Rüppel, Ernst 196 f. Ruhland 262 Rupp, Georg 309*, 314 Rupprecht, Kronprinz von Bayern 398 Rust, Hans 225 S S., Jakob 372 f., 385 f., 387*–389 S., Josef 386 Sales, Franz von 251 Sandkuhl, Franz 448*, 450 Schachleiter, Alban 424* Schaeffler, Gertraud 513 Scharl, Emmeran 196, 198 Scharnagl, Anton 69, 70*–72, 224, 327, 332, 369, 420, 533, 538, 542 Scharnagl, Karl 70 Schauer, Johann Baptist 61, 68, 70, 129*–131, 133, 153, 196–198, 235, 267, 384 Scheffczyk, Leo 352 f. Scheiber, Alois 308* Schell, Hermann 79, 81*, 201 Scheller, Emil 453*–455 Schemm, Hans 157, 217 Scherer, Wilibald Kajetan 535* Scherr, Gregor von 80, 234 Schlageter, Albert Leo 215, 465 Schleich, Josef 364* Schlicht, Joseph 114 Schlund OFM, Lorenz »Erhard« 403* Schmalenbach, Kurt 416

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602Personenregister Schmaus, Michael 202, 425 Schmid, Andreas 189, 336 Schmid SJ, Eugen 168*, 231 Schmid, Johann 466 Schmid, Josef Leonhard 189 Schmid, Philipp 370* Schmitt, Carl 225, 352 f., 376 Schneider, Reinhold 348* Schneidhuber, August 72 Schneidhuber, Graziella 72 Schnitzer, Joseph 45, 81* Schnitzler, Wilhelmine 435 Schön OFM, Friedbald 49 Schollwöck, Fritz 289 Schrallhammer, Josef 117* Schröcker, Sebastian 190, 352, 430, 439–442, 445, 449 Schürer-Stolle, Marianne 444 Schultze, Walter 417 Schuller, Otto 290 Schuster, Karl (Diözese Augsburg) 228 Schuster, Karl (Erdiöz. München) 253, 289, 515*– 517, 539 Schwägerl, Fritz 521 Schwaiger, Josef 308*, 504, 518 Schwaiger, Ludwig 302*, 319 f. Schwaighofer OFMCap, Cölestin 48 Schwarz, Oskar 138 Schwarzenböck, Franz Xaver 69 Sellmair, Josef 12 f.*, 383 Sebottendorf, Rudolf von 465 Seidenberger, Josef 507 Senn, Franz 342 Sickenberger, Josef 211 f.*, 219–221, 226 Siebenhärl, Alexander 187*, 313, 335 Siebert, Ludwig 72, 448 Siebler, Engelbert 69 Simmerding, Gottfried 171, 336*, 344, 346 Soden, Carl Oskar Freiherr von 178 f.* Spitzl, Joseph 483 f.* Springer, Joseph 448 f.* Stadler, Franz 258*, 286 Stadlhuber, Adalbert 141, 196–198 Stahler, Thaddäus 258 Stein, Franz Joseph von 49, 69, 267 Steinbüchel, Theodor 221 f.* Steininger, Josef 339 f., 380*, 415–418 Stelzenberger, Johannes 486 Stelzle, Josef 366, 539* Stifter, Adalbert 350 Stipperger, Georg 433*, 452

Stöckle, Edmund 433 Stöckle, Hermann Maria 433* Stöttner, Wendelin 196–198 Stolz, Alban 251 Stonner, Anton 223 f.* Straßer, Gregor 465 Straßer, Otto 465 Stummer, Friedrich 222* T T., Johanna 390–392 Tewes, Ernst 69 Thalhamer, Josef 19, 27, 30, 67, 73*–75, 341 f., 465 Thanbichler, Johann von Gott 486 Thoma, Antonius von 267 Thoma, Ludwig 177, 351 Thomas, August 371 f.* U Urzinger, Georg 103*–105, 142 Uttendorfer, Emil 62 f., 71 V Veicht, Simon 450, 453, 454 f.* Vianney, Jean Marie 14*, 251 Vierbach, Albert 185, 191*, 254, 304 Vogel, Theodor 430, 452 f.* W W., Alto 474 W., Bernhard 95, 196 W., Franz 412* Wackerl, Leonhard 397* Wagner, Adolf 72, 133, 139, 157, 330, 507 Wagner, Hubert 67, 74, 196*–198, 231 Wagner, Martin 486 Wagner, Richard 356 Walterbach, Karl 369, 399 f.* Walz, Johann Baptist 211*, 214, 216 f., 545 Warmuth, Josef 401, 529 Waxenberger, Johannes 52*, 67 Weber, Christian 507* Weber, Emil 340 Weber, Josef 79, 357* Weber, Werner 421, 440 Wehrle, Hermann Josef 517* Weigert, Therese 430 Weigl, Eduard 161, 185, 189*–193, 220, 226, 254, 304 Weinschenk, Bernhard 426 f.* Weinsteiger, Anton 390

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Personenregister603

Weiß, Ferdl (Pseud. für Weißheitinger, Ferdinand) 192 Weismantel, Leo 354* Weißthanner, Josef 67, 196 f.*, 534 Wehner, Anton von 67 Welden, Ludwig Joseph von 165 Wellenhofer, Stefan 198 Wendel, Joseph 64, 67 f., 128, 199 Werthmann, Georg 469 f.* Westermayr, Johann Baptist 43, 95, 120, 127 f., 159*–162, 166, 183–187, 230 f., 256, 341, 467, 473–475, 485, 495–497 Wetter, Friedrich 199 Wettschurek, Wilhelm 526 Wiechert, Ernst 349* Wienken, Heinrich 50 Wieser, Hans 104 Williamson, Richard 12

Winkelmeier, Josef 241* Winsauer, Oskar 431 Wipplinger, Franz 485 f.*, 497 Wolff, Karl 72 Würth, Johannes 174 Z Z., L. 52, 127*, 176 Zeller, Ernest 358 Zellinger, Johannes 220 f.* Ziegler, Adolf Wilhelm 186, 231, 464* Zielbauer, Karl 478* Zinkl, Johannes 154 f.*, 462, 523, 534 Zistl, Max 519 Zita von Bourbon-Parma, Kaiserin von Österreich 48 Zöberlein, Hans 465

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