Prüfstrategien von Arzneimitteln, Lebensmitteln und Chemikalien: Ein internationaler Vergleich 9783111520063, 9783111152004

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Prüfstrategien von Arzneimitteln, Lebensmitteln und Chemikalien: Ein internationaler Vergleich
 9783111520063, 9783111152004

Table of contents :
Autorenverzeichnis
Inhalt
I. Rahmenbedingungen
Rahmenbedingungen inhaltlicher und administrativer Art (Bundesrepublik Deutschland)
Arzneimittelzulassung in Österreich
II. Vergleichende Darstellungen
Arzneimittelgesetz (Bundesrepublik Deutschland)
Arzneimittelgesetz (Österreich)
Zur Problematik der Rückstandsbeurteilung von Tierarzneimitteln unter dem spezifischen Aspekt der Prüfung der sekundären Bioverfügbarkeit
Das Chemikaliengesetz als Instrument zum Schutz der menschlichen Gesundheit vor gefährlichen Stoffen (Bundesrepublik Deutschland)
Stoffprüfungen nach dem Österreichischen Chemikaliengesetz
Pflanzenschutzmittel (Bundesrepublik Deutschland)
Möglichkeiten der Beurteilung von Pflanzenschutzmitteln hinsichtlich der Ökotoxizität (Österreich)
Strategien der toxikologischen Prüfung im Rahmen des Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetzes (Bundesrepublik Deutschland)
Toxikologische Prüfstrategien für Stoffe nach dem österreichischen Lebensmittelgesetz
Sonstige Gesetzesvorgaben (Bundesrepublik Deutschland)
Zusatzstoffe und Schadstoffe in Futtermitteln, Schadstoffe in Düngemitteln — eine rechtliche Betrachtung
III. Toxikologische Prüfstrategien in der Diskussion
Rundtischgespräch
IV. Besondere Toxizitätsprüfungen bei Arzneimitteln
Vorstellungen über die Prüfung von sogenannten sicherheitspharmakologischen Aspekten
Vorstellungen zur Prüfung von Antibiotika
Vorstellung zur Prüfung von Zytostatika
Vorstellungen zur Prüfung am Auge und von Ophthalmologika
Vorstellung zur Prüfung von Dermatika
V. Schutz des Lebens
Tierschutz und Verbraucherschutz — im Widerspruch?
Der „Menschen-Versuch“ in der Diskussion
Diskussion

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Prüfstrategien von Arzneimitteln, Lebensmitteln und Chemikalien

Prüfstrategien von Arzneimitteln, Lebensmitteln und Chemikalien Ein internationaler Vergleich

Herausgegeben von H. P. Ferber, D. Henschler, A. G. Hildebrandt, T. Lehnert

w G DE

Walter de Gruyter Berlin · New York 1989

Herausgeber Ferber, Η. P., Priv. Doz., Dr. J. W. Goethe Universität Abteilung für Experimentelle Anästhesie ZAW Theodor-Stern-Kai 7 D-6000 Frankfurt

Henschler, D., Prof., Dr. Universität Würzburg Institut für Pharmakologie und Toxikologie Versbacher Straße 9 D - 8 7 0 0 Würzburg

Hildebrandt, A. G., Prof., Bundesgesundheitsamt Institut für Arzneimittel Seestraße 10 D - 1 0 0 0 Berlin 65

Lehnert, Toni, Dr. Bundesgesundheitsamt Institut für Arzneimittel Seestraße 10 D - 1 0 0 0 Berlin 65

Dr.

© Copyright 1989 by Walter de Gruyter & Co., Berlin 30. Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Photokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlags reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Printed in Germany. Der Verlag hat für die Wiedergabe aller in diesem Buch enthaltenen Informationen (Programme, Verfahren, Mengen, Dosierungen, Applikationen etc.) mit Autoren bzw. Herausgebern große Mühe darauf verwandt, diese Angaben genau entsprechend dem Wissensstand bei Fertigstellung des Werkes abzudrucken. Trotz sorgfältiger Manuskripterstellung und Korrektur des Satzes können Fehler nicht ganz ausgeschlossen werden. Autoren bzw. Herausgeber und Verlag übernehmen infolgedessen keine Verantwortung und keine daraus folgende oder sonstige Haftung, die auf irgendeine Art aus der Benutzung der in dem Werk enthaltenen Informationen oder Teilen davon entsteht. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen und dergleichen berechtigt nicht zu der Annahme, daß solche Namen ohne weiteres von jedermann benutzt werden dürfen. Vielmehr handelt es sich häufig um gesetzlich geschützte, eingetragene Warenzeichen, auch wenn sie nicht eigens als solche gekennzeichnet sind. Satz: Arthur Collignon GmbH. — Druck: Ratzlow-Druck, Berlin. — Bindung: Lüderitz & Bauer GmbH, Berlin.

Autorenverzeichnis

Bass, R., Prof. Dr., Bundesgesundheitsamt, Institut für Arzneimittel, Seestr. 10, D-1000 Berlin 65 Bulling, Ε., Dr., Bundesgesundheitsamt, Institut für Veterinärmedizin, Thielallee 8 8 - 9 2 , D-1000 Berlin 33 Elbers, R., Dr., Bundesgesundheitsamt, Institut für Arzneimittel, Seestr. 10, D-1000 Berlin 65 Gottmanns, H., Dr., Bundesgesundheitsamt, Institut für Veterinärmedizin, Nordufer 28, D-1000 Berlin 65 Grosdanoff, P., Dr., Bundesgesundheitsamt, Institut für Arzneimittel, Seestr. 10, D-1000 Berlin 65 Grunow, W., Dr., Bundesgesundheitsamt, Thielallee 8 8 - 9 2 , D-1000 Berlin 33

Max-von-Pettenkofer-Institut,

Hildebrandt, A. G., Prof. Dr., Bundesgesundheitsamt, Institut für Arzneimittel, Seestr. 10, D-1000 Berlin 65 Kayser, D., Dr., Bundesgesundheitsamt, Max-von-Pettenkofer-Institut, Thielallee 8 8 - 9 2 , D-1000 Berlin 33 Kroker, R., Priv. Doz., Dr., Bundesgesundheitsamt, Institut für Veterinärmedizin, Nordufer 20, D-1000 Berlin 65 Lehmann, B., Dr., Bundesgesundheitsamt, Institut für Arzneimittel, Seestr. 10, D-1000 Berlin 65 Lehnert, T., Dr., Bundesgesundheitsamt, Institut für Arzneimittel, Seestr. 10, D-1000 Berlin 65 Lingk, fV., Dr., Bundesgesundheitsamt, Max-von-Pettenkofer-Institut, Thielallee 8 8 - 9 2 , D-1000 Berlin 33 Pittner, H., Dr., Bundesanstalt für experimentell-pharmakologische und balneologische Untersuchungen, Währinger Str. 13 a, A-1090 Wien Plattner, E., Dr., Dipl. Ing., Bundeskanzleramt, Radetzkystr. 2, A-1031 Wien

VI

Autorenverzeichnis

Riedl, K., Dr., Mag., Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Stubenring 1, A-1010 Wien Roll, R., Dr., Bundesgesundheitsamt, Max-von-Pettenkofer-Institut, Thielallee 8 8 - 9 2 , D-1000 Berlin 33 Russ, K., Prof. Dr., Bundesanstalt für Pflanzenschutz, Trunnerstr. 5, A-1020 Wien Schmidt, V., Dr., Bundesgesundheitsamt, Institut für Arzneimittel, Seestr. 10, D-1000 Berlin 65 Schober, W., Dr., Bundesministerium für Umwelt, Jugend und Familie, Radetzkystr. 2, A-1030 Wien Schuster, J., Dr., Bundesgesundheitsamt, Institut für Arzneimittel, Seestr. 10, D-1000 Berlin 65 Spanninger, G., Mag., Bundeskanzleramt, Radetzkystr. 2, A-1031 Wien

Inhalt

I. Rahmenbedingungen R. Bass, R. Elbers, A. G. Hildebrandt Rahmenbedingungen inhaltlicher und administrativer Art (Bundesrepublik Deutschland)

3

G. Spanninger Arzneimittelzulassung in Österreich

11

II. Vergleichende Darstellungen

17

R. Bass Arzneimittelgesetz (Bundesrepublik Deutschland)

19

H. Pittner Arzneimittelgesetz (Österreich)

31

R. Kroker, H. Gottmanns Zur Problematik der Rückstandsbeurteilung von Tierarzneimitteln unter dem spezifischen Aspekt der Prüfung der sekundären Bioverfügbarkeit

33

D. Kayser Das Chemikaliengesetz als Instrument zum Schutz der menschlichen Gesundheit vor gefährlichen Stoffen (Bundesrepublik Deutschland)

41

W. Schober Stoffprüfungen nach dem Österreichischen Chemikaliengesetz

51

W. Lingk Pflanzenschutzmittel (Bundesrepublik Deutschland)

55

K. Russ Möglichkeiten der Beurteilung von Pflanzenschutzmitteln hinsichtlich der Ökotoxizität (Österreich)

63

VIII

Inhalt

W. Grunow Strategien der toxikologischen Prüfung im Rahmen des Lebensmittelund Bedarfsgegenständegesetzes (Bundesrepublik Deutschland)

73

E. Plattner Toxikologische Prüfstrategien für Stoffe nach dem österreichischen Lebensmittelgesetz

81

R. Roll Sonstige Gesetzesvorhaben (Bundesrepublik Deutschland)

85

K. Riedl Zusatzstoffe und Schadstoffe in Futtermitteln, Schadstoffe in Düngemitteln — eine rechtliche Betrachtung

97

III. Toxikologische Priifstrategien in der Diskussion

109

Rundtischgespräch

111

IV. Besondere Toxizitätsprüfungen bei Arzneimitteln

129

B. Lehmann, P. Grosdanoff Vorstellungen über die Prüfung von sogenannten sicherheitspharmakologischen Aspekten 131 Diskussion 136 T. Lehnert Vorstellungen zur Prüfung von Antibiotika Diskussion

137 148

V. Schmidt Vorstellung zur Prüfung von Zytostatika Diskussion

149 153

B. Lehmann, P. Grosdanoff Vorstellungen zur Prüfung am Auge und von Ophthalmologika Diskussion

157 161

T. Lehnert Vorstellungen zur Prüfung von Dermatika Diskussion

163 173

Inhalt

IX

V. Schutz des Lebens

175

E. Bulling Tierschutz und Verbraucherschutz — im Widerspruch?

177

J. Schuster Der „Menschen-Versuch" in der Diskussion

183

Diskussion

191

I Rahmenbedingungen

Rahmenbedingungen inhaltlicher und administrativer Art (Bundesrepublik Deutschland) R. Bass, R. Elbers, A. G. Hildebrandt

Die vorhandenen, anzupassenden oder noch zu entwickelnden Gesetze zum Vollzug des Gesundheits- und Umweltschutzes zeigen für die Bundesrepublik Deutschland und für die Republik Österreich eine ganze Reihe von Ähnlichkeiten und Gemeinsamkeiten auf, deren Darstellung und Diskussion Anlaß zu diesem Symposium gibt. In diesem Beitrag sollen die — noch junge — Geschichte und die Entwicklung des bundesdeutschen Gesetzes zur Neuordnung des Arzneimittelrechts von 1976 (BGBl. I, S. 2445 ff.) dargestellt und einige Beispiele typischer Abläufe beschrieben werden. Zwei Gründe können zu Recht als ursächlich für diese Neuordnung bezeichnet werden. Zum einen machte die Umsetzung der ersten pharmazeutischen Richtlinie der Europäischen Gemeinschaft (R. L. 65/65/EWG) die Aufgabe der seit 1961 geltenden Registrierpflicht für Arzneispezialitäten zugunsten einer Genehmigung (Zulassung) erforderlich. Als Kriterien hierfür waren eine präventive Kontrolle anhand vom pharmazeutischen Unternehmer einzureichender und vom Bundesgesundheitsamt (BGA) modellhaft zu überprüfender Unterlagen zu Wirksamkeit, Unbedenklichkeit und Qualität einzuführen. Zum anderen war es notwendig, die Verbotskriterien für auf dem Markt befindliche Arzneimittel an modernes Recht anzupassen. Das führte weg vom Kriterium der Eignung, unter den besonderen Umständen des Einzelfalles schädliche Wirkungen hervorzurufen, und hin zu dem Kriterium des begründeten Verdachts, unvertretbare Nebenwirkungen auszulösen. Neben diesen Neuerungen traten 1978 eine Reihe weiterer Änderungen in Kraft, von denen die Gefahrdungshaftung — neben den bereits beschriebenen Änderungen — eine überfallige Konsequenz aus der Thalidomid-Katastrophe darstellt. Desweiteren sind als bedeutend die Einführung der Risikoüberwachung von zugelassenen Arzneimitteln und der Schutz des Menschen vor Aufnahme und bei der klinischen Prüfung zu nennen. Die bislang erfolgten drei Novellierungen des Arzneimittelgesetzes (AMG) 1976 dienten entweder weiteren Anpassungen an geltendes EG-Recht, der

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R. Bass, R. Elbers, Α. Hildebrandt

Verdeutlichung ursprünglicher Intentionen durch Abänderung bestehender und Einführung neuer Tatbestände oder Verfahrensvereinfachungen. Die erste Novellierung (1983 - BGBl. I, S. 169 ff.) betrifft hauptsächlich Maßnahmen zur Reduzierung des Mißbrauchs von Tierarzneimitteln (sog. Grauer Markt). Daneben wird pharmazeutischen Unternehmern die Möglichkeit geschaffen, bei als zugelassen geltenden Arzneimitteln des Altmarktes aus Gründen der Arzneimittelsicherheit ohne vorherige Neuzulassung Wirkstoffe in ihrer Menge zu reduzieren oder herauszunehmen. Die zweite Novellierung (1986 - BGBl. I, S. 1296 ff.) brachte neben der bereits existierenden Packungsbeilage zur Information für den Patienten zusätzlich die Information für Fachkreise zur speziellen Unterrichtung des Arztes. Zwar wurde es so leichter, Patient und Arzt in der jeweils angemessenen Ausdrucksweise zu informieren, jedoch stellte sich der erforderliche Aufwand zur nachträglichen Erstellung der Fachinformation für bereits bestehende Zulassungen durch die pharmazeutischen Unternehmer und ihre Anerkennung durch das BGA als kaum zu bewältigender Aufwand heraus. Hinzu kommen derzeit Probleme bei dem Wunsch auf, getrennte Informationen für Patient und Arzt auch für die Arzneimittel einzuführen, die ein Zulassungsverfahren bzw. Nachzulassungsverfahren noch nicht durchlaufen haben. In der 2. Novelle wurde auch die Anzeigepflicht für jeden Verdachtsfall einer aufgetretenen Neben- oder Wechselwirkung eingeführt, um so zu einer effektiveren Risikoüberwachung zu kommen. Bereits 1987 hat Schnieders [1] darauf hingewiesen, daß eine noch so vollständige Mitteilung von Nebenwirkungen keine wirksame Gefahrenabwehr erlaubt, solange die zur Häufigkeitsabschätzung erforderlichen Absatzdaten nicht routinemäßig vorgelegt werden müssen. Um dem Arzt und dem pharmazeutischen Unternehmer deutlicher als bisher kenntlich zu machen, welche der beobachteten Verdachtsfalle sinnvollerweise dem BGA gemeldet werden sollten, wird wohl eine weitere Novellierung erforderlich sein. Das BGA meldet die gesammelten und ausgewerteten Nebenwirkungsberichte periodisch an die WHO. Die 2. Novelle hat weiter eine ganze Reihe an Veränderungen gebracht, die hier nur aufgelistet werden sollen; ausführlichere Hinweise finden sich in den einschlägigen Standardwerken wie von Schnieders u. Mecklenburg [1] und dem AMG-Kommentar [2]: — offenes Verfalldatum (EG-Recht); — Begründungspflicht für den positiven Beitrag jedes arzneilich wirksamen Bestandteiles einer fixen Arzneimittelkombination (EG-Recht); — Änderung der Kompetenzen bei Änderungen bestehender Zulassungen; — Einführung des Stufenplanbeauftragten beim pharmazeutischen Unternehmer;

Rahmenbedingungen inhaltlicher und administrativer Art (BRD)

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— Regelung der Zweitanmelderproblematik (unter Schaffung einer neuen Problematik); — gewisse Neuregelungen zur klinischen Prüfung (ohne das in anderen Ländern geltende Zulassungsverfahren zur Aufnahme klinischer Prüfungen einzuführen); u. a. m. Die dritte Novellierung (1988, BGBl. I, S. 1050 ff.) hatte zum Ziel, den zeitlich mit der zweiten Novellierung zusammenfallenden und seitdem kontinuierlich zunehmenden Antragsstau abzubauen. Sofern es sich um Anträge von Arzneimitteln mit solchen bekannten Stoffen handelt, die mit denen in bereits zugelassenen Arzneimitteln hinsichtlich ihrer Wirksamkeit und Unbedenklichkeit identisch sind, verbleibt die Überprüfung der Qualität. Diese Prüfung der Qualität wird auf externe Sachverständige ("Gegensachverständige"), die vom BGA berufen werden, übertragen, sofern die Anträge bis zum 29. 2. 1988 eingereicht waren. Die bekannten Stoffe, bei denen durch „NichtIdentität" des Fertigarzneimittels (ζ. B. andere Zusammensetzung oder andersartige Darreichungsform) Bioverfügbarkeitsprobleme zu erwarten sind, werden vom BGA mit Hilfe einer ad hoc-Kommission ermittelt und bekannt gemacht. Wenn das Sachverständigengutachten nach § 24 A M G und das Gutachten des „Gegensachverständigen" die Qualität (und eine adäquate Bioverfügbarkeit) bestätigen, soll das BGA eine positive Zulassungsentscheidung treffen. Diese Regelung soll eine nicht unbeträchtliche Zahl der inzwischen über 9000 beim BGA zu bearbeitenden Zulassungsverfahren beschleunigt abwickeln helfen. Weiter ist eine Beschleunigung schließlich dadurch zu erwarten, daß das BGA für alle wirkstoffgleichen Arzneimittel einen einheitlichen Wortlaut für Kennzeichnung, Packungsbeilage und Fachinformation als Auflage anordnen kann. Diese Maßnahme dient gleichermaßen dem Verbraucher- (Patienten-) schütz. Im übrigen wurde mit der 3. Novelle eine Spezifizierung zum Schutz von Daten des Erstantragsstellers bzw. zu ihrer Verwendbarkeit durch weitere Antragsteller angestrebt, jedoch (anhängige Rechtsstreitigkeiten) wohl noch nicht erreicht. Die Durchführung des Arzneimittelgesetzes in der Bundesrepublik Deutschland ist gekennzeichnet durch die jeweiligen Kompetenzen des Bundes und der Länder. Der Bundesminister für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit (BMJFFG) erläßt Rechtsverordnungen (ζ. B. über Verwendung, Einschränkung oder Verbot bestimmter Stoffe, über die Anwendung ionisierender Strahlen, über Warnhinweise, über Standardzulassungen, über Verschreibungspflicht, u. a. m.), Verwaltungsvorschriften (ζ. B. Arzneimittelprüfrichtlinie nach § 26 A M G — liegt als Entwurf vor) sowie Stufenplan nach § 63 AMG, allgemeine

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R. Bass, R. Elbers, Α. Hildebrandt

Verwaltungsvorschrift zur Durchführung des A M G nach § 82 A M G u. a. m. und regelt gewisse zwischenstaatliche Beziehungen. In die Zuständigkeit der Bundesoberbehörden (BGA und Paul-Ehrlich-Institut — PEI) fallen die Zulassung, d. h. die Prüfung der eingereichten Unterlagen, bzw. die Versagung einer Zulassung, die Anordnung von Auflagen zur Zulassung (Kennzeichnung, Packungsbeilagen und Fachinformationen, Anordnung zur Durchführung weiterer Untersuchungen nach Erteilung der Zulassung), Entgegennahme von Änderungsanzeigen, Rücknahme, Widerruf oder Ruhen der Zulassung, Verlängerung der Zulassung, u. a. m., die Registrierung homöopathischer Arzneimittel, Aufbewahrung durch den pharmazeutischen Unternehmer vor Aufnahme der klinischen Prüfung hinterlegter vorklinischer Prüfungsunterlagen, Entgegennahme und Auswertung des Erfahrungsberichtes für ein neues Arzneimittel (üblicherweise zwei Jahre nach Zulassung), sowie die Erfassung und Bewertung von Verdachtsfällen zu unerwünschten Arzneimittelwirkungen usw. und die Einleitung und Koordinierung von Maßnahmen im Rahmen des Stufenplanes. In die Zuständigkeit der Landesgesundheitsbehörden (meist den Regierungspräsidien bzw. den Bezirksregierungen übertragen) fallen die pharmazeutischen Unternehmer, die ihren Sitz im Bereich dieser Behörde haben. Die Landesbehörden entscheiden über die Herstellungserlaubnis, überwachen den Arzneimittelverkehr (vom Hersteller bis zum Handeltreibenden), führen Inspektionen im Rahmen des Im- und Exportes von Arzneimitteln (PIC/GMP/ GLP) durch und erteilen die entsprechenden Zertifikate. Im Rahmen der Neuregelung sind die Landesbehörden auch für die Überwachung der klinischen Prüfung zuständig. Aus der Beschreibung der Tätigkeiten und Aufgaben der Bundesoberbehörden und der Landesbehörden wird die teilweise Überschneidung in der Wahrnehmung deutlich. Zum einen soll sichergestellt werden, daß die Spezialkenntnisse der Behörden vor Ort sinnvoll genutzt werden, zum anderen haben die Bundesoberbehörden in landesübergreifenden Fragen der Arzneimittelzulassung und des -Verkehrs ihre vornehmlichen Aufgaben, wobei die durchzuführenden Maßnahmen oft in die Kompetenz der Länder fallen. Länder und Bund kooperieren in der Arbeitsgemeinschaft der leitenden Medizinalbeamten des Bundes und der Länder (AGLMB). Dies sollte dazu führen, daß Inspektionen nach bundeseinheitlichen Kriterien durchgeführt werden. Bei der Arzneimittelzulassung und der Überwachung des Arzneimittelverkehrs sind die Bundesoberbehörden (PEI für Sera, Impfstoffe, Testallergene, Testsera und Testantigene, BGA für alle übrigen Arzneimittel — wobei sich die heute modernen gentechnologisch hergestellten monoklonalen Antikörper fast im „Niemandsland" zwischen den Behörden bewegen) jedoch nicht nur an die

Rahmenbedingungen inhaltlicher und administrativer Art (BRD)

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Landesgesundheitsbehörden gekoppelt, sondern durch geltendes EG-Recht gebunden. So sind alle in Kraft tretenden Neuerungen der EG in nationales Recht zu übernehmen — ins A M G , in nationale Richtlinien oder Verwaltungsvorschriften oder auch durch interne oder behördenübergreifende Verfahrensanweisungen in die tägliche Verwaltungspraxis (dabei sind die von der EG gesetzten Fristen zu beachten). Mit der Zielsetzung eines gemeinsamen Arzneimittelmarktes stehen noch Regeln aus, die in den nächsten Jahren zu erwarten sind. Während der Schwerpunkt der EG-Aktivitäten neben Kompetenzregelungen bislang bei der Schaffung und Anwendung von Prüf- und Verfahrensregeln zur Handhabung der eingereichten Unterlagen als Voraussetzung gleicher Zulassungsentscheidungen durch mehrere Mitgliedsstaaten lag, sind in der nahen Zukunft nach Abschluß der Meinungsbildung der Kommission der EG Entscheidungen zu erwarten, die eine gemeinsame Zulassungsentscheidung zum Ziel haben. Dies wird auch dadurch angestrebt, daß die in einem Mitgliedsstaat getroffene Entscheidung in den anderen Mitgliedsstaaten ohne umfangreiche neue Überprüfung der Unterlagen übernommen wird. Als abgeschlossen können diese Aktivitäten wohl erst dann gelten, wenn die Zulassungsbedingungen, bis hin zur vorgeschriebenen Information von Arzt und Patient harmonisiert, d.h. inhalts- und weitgehend textgleich sind. Ein erstes Beispiel liegt mit Roaccutan R vor. Nach und in Ergänzung/Erweiterung der Richtlinie 65/65/EWG entstanden eine Reihe weiterer Richtlinien und Empfehlungen des Rates. Sie sollen im folgenden kurz beschrieben werden. Die Richtlinie 65/65/EWG führte zu einer Harmonisierung auf der Ebene der nationalen Arzneimittelgesetze hinsichtlich der heranzuziehenden Kriterien Wirksamkeit, Unbedenklichkeit und Qualität als Voraussetzung zum öffentlichen Gesundheitsschutz bei der Produktion und Inverkehrbringung von (Fertig-)Arzneimitteln. Mit der Richtlinie 75/319/EWG (Ergänzung durch die Richtlinie 83/570/EWG) wurde das Committee for Proprietary Medicinal Products (CPMP) installiert, in dem die Vertreter der Mitgliedsstaaten gemeinsam mit der Kommission der EG Verfahren zur Harmonisierung des Arzneimittelmarktes entwickeln und anwenden. Dafür war zunächst das „Mehrstaatensystem" entwickelt worden. Danach kann, sofern die Zulassung für das Fertigarzneimittel (d. h. nicht für in der Bundesrepublik Deutschland registrierte oder als zugelassen geltende Arzneimittel, sondern nur für ab 1978 zugelassene Fertigarzneimittel) in einem Mitgliedsstaat vorliegt, ein Zulassungsantrag in mindestens zwei (anfanglich mindestens fünf) weiteren Mitgliedsstaaten gestellt werden, der die bei Erstantragstellung beigefügten Unterlagen ebenso wie die Sachverständigengutachten und den Zulassungsbescheid zu enthalten hat. Inzwischen ist angeregt worden, daß die Behörde des erstzulassenden Landes in jedem Fall einen Bewertungsbericht Erstellt und

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R. Bass, R. Elbers, Α. Hildebrandt

damit die Zulassungsfähigkeit des Arzneimittels zum Zeitpunkt der Antragstellung in den weiteren Staaten in Form einer Bewertung dokumentiert. Sofern die rechtlichen Voraussetzungen geschaffen werden, ohne Bearbeitung der kompletten Unterlagen zu einer Zulassungsentscheidung zu kommen, soll dies den weiteren Staaten die Bearbeitung des Antrages erleichtern. Die bislang erforderliche komplette Neubearbeitung des Antrages in mehreren Staaten hat bislang praktisch ausnahmslos zu „begründeten Einwänden" geführt, die die Einschaltung des CPMP, ein aufwendiges Verfahren, erforderlich machten. Damit ist auch die Einhaltung der vorgegebenen Fristen (die sich allerdings nicht um die nach Abschluß des Verfahrens zu erteilende Zulassung und die Zulassungsbedingungen „kümmert") nicht mehr zu garantieren. Trotzdem kam es in den meisten Fällen schließlich ebenfalls zu positiven Zulassungsentscheidungen, allerdings unter veränderten Bedingungen. Das Mehrstaatenverfahren wurde 1987 (Richtlinie 87/22/EWG) durch das „Konzertierungsverfahren" ergänzt. Hier sind zwei Neuerungen hervorzuheben. Erstens gilt diese Richtlinie für technologisch hochwertige und für biotechnologisch (gentechnologisch) hergestellte Arzneimittel, um für diese Arzneimittel einen möglichst gleichzeitig einsetzenden Schutz vor Nachahmern zu garantieren (in den meisten Mitgliedsstaaten 10 Jahre). Zweitens wird dieses Verfahren auf solche Anträge der genannten Arzneimittelgruppen angewandt, für die bisher in keinem Mitgliedsstaat eine Zulassung erteilt wurde (in diesen Fällen kann natürlich das Mehrstaatenverfahren benutzt werden). In den wenigen bisherigen Verfahren zeigte sich, daß die Rolle des Rapporteurs zwar zu einer besseren und sachverständigeren Bearbeitung der Anträge, quasi unter Ausschaltung der Kommission, führt, jedoch nach wie vor alle beteiligten Staaten ihre eigene Bearbeitung vornehmen, und die Mängel anschließend im C P M P zu einer Opinion zusammenstellen. Eine deutliche Arbeitserleichterung ist also noch nicht festzustellen. Mit der Richtlinie 75/318/EWG (ergänzt durch 83/570/EWG und 87/19/ EWG) wurde die Grundlage für die Definition und Anforderung der Untersuchungsergebnisse aus den Bereichen Qualität (physikochemische, biologische oder mikrobiologische Eigenschaften), Sicherheit (pharmakologische, pharmakokinetische und toxikologische Prüfung) und Wirksamkeit (klinische Untersuchungen) für im Raum der EG eingereichte Anträge auf Zulassung als (Fertig-) Arzneimittel geschaffen. Über Empfehlungen des Rates kommt es zu „Hinweisen für die Prüfungen von ..." („Notes for Guidance on ..." und „Notes to Applicants on ..."). Etliche Entwürfe liegen z.T. fertig vor, weitere werden fertiggestellt oder sind geplant. Zur Zeit wird angestrebt, diese Empfehlungen direkt vom CPMP aussprechen zu lassen, um damit die Anforderungen an die Arzneimittelzulassung flexibler an den Stand von Wissenschaft und Technik anpassen zu können.

Rahmenbedingungen inhaltlicher und administrativer Art (BRD)

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Für die Erledigung dieser Aufgaben benutzt das CPMP eine Reihe von nachgeordneten Arbeitsgruppen (Qualität, Sicherheit, Wirksamkeit und biotechnologische Qualität). Eine aktuelle Bearbeitung von Teilaspekten von Zulassungsanträgen (bisher nur aus dem „Konzertierungsverfahren") findet bisher allein in der „Working Party on Biotechnological Quality" statt. Hier existieren also noch gewaltige Harmonisierungsreserven. Mit der Richtlinie 87/21/EWG wurden die Voraussetzungen für einen harmonisierten Zweitanmelderschutz und mit der Richtlinie 87/20/EWG die Voraussetzungen für die EG-weite Einführung der „Guten-Labor-Praxis" — G L P — geschaffen. Eine weitere Arbeitsgruppe des CPMP (Working Party on Assessment Reports) überarbeitet ζ. Z. die 1985 erschienene „Notice to Applicants", die allen Antragstellern die erforderlichen administrativen und wissenschaftlichen Hinweise gibt, die sich aus dem europäischen Regelwerk ergeben und die vor/ bei Antragstellung auf Zulassung als Arzneimittel nach einem EG-Verfahren zu beachten und einzuhalten sind. Von besonderer Bedeutung ist dabei, daß sich alle Mitgliedsstaaten verpflichtet haben, die Inhalte der „Notice to Applicants" zur Grundlage ihrer nationalen Zulassungsverfahren zu machen. Auf Erleichterungen bei den Sprachregelungen sei hier nur hingewiesen. Gegenwärtig wertet die Kommission der EG alle eingegangenen nationalen Stellungnahmen zur möglichen Weiterentwicklung der kommunitären Zulassungssysteme in Hinsicht auf den einheitlichen Markt 1992 aus. Dabei standen sich zwei Richtungen gegenüber. Zum einen wird die Fortentwicklung der „Gegenseitigen Anerkennung" nationaler Zulassungen angestrebt, zum anderen werden Vorteile in der Schaffung einer EG-zentralen Stelle gesehen, die entweder beim „Pharmazeutischen Kommittee", beim C P M P oder einer neu zu bildenden Behörde angesiedelt werden könnte. Die Bundesrepublik Deutschland hat sich eindeutig für eine Fortentwicklung des Verfahrens der gegenseitigen Anerkennung ausgesprochen. Da dabei gleichzeitig eine Stärkung des C P M P mit verbindlichen Regelungskompetenzen in Ausnahmefällen notwendig ist, wird sich eine Lösung, die sinnvollerweise zentrale und periphere Aspekte berücksichtigt, durchsetzen. Das Arzneimittelinstitut des BGA ist nicht nur durch nationale und EGeuropäische Gesetze und Regeln gebunden, sondern auch durch das „Pharmaceutical Evaluation Report" — PER — System der Länder der Kleinen Freihandelszone (EFTA). Durch den Beitritt inzwischen auch weiterer Zulassungsbehörden anderer EG-Staaten kommt es zu einer zunehmenden Überschneidung und Vereinheitlichung der Arzneimittelzulassungssysteme aller EG- und EFTA-Staaten. Auf Details des PER-Verfahrens wird im Folgebeitrag von Herrn Spanninger eingegangen werden.

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Weiterhin ist die Bundesrepublik Deutschland — federführend über das B M J F F G — in die „Pharmaceutical Inspection Convention" — PIC — eingebunden. Dieses Abkommen, an dem auch COMECON- und nichteuropäische Staaten teilnehmen, nimmt überwiegend Aufgaben der „GutenHerstellungs-Praxis" — G M P — wahr. In der Bundesrepublik fallt die Durchführung der erforderlichen Inspektion den Ländern zu (siehe dort). Nachrangig gegenüber EG, EFTA, WHO und PIC stehen die trotzdem als äußerst wichtig zu bezeichnenden internationalen Beziehungen auf allen Gebieten der Arzneimittelzulassung und des Arzneimittelverkehrs, ζ. B. mit den USA und Japan und auch über die ICDRA (International Conference of Drug Regulatory Agency). Zum Teil bestehen hier bereits Abkommen über die gegenseitige Anerkennung auf Teilgebieten (ζ. B. mit Japan: PIC/GMP und GLP, mit USA: GLP), ζ. T. sind entsprechende Abkommen in Vorbereitung (ζ. B. G M P mit den USA). Bei aller internationaler Ausrichtung der Aufgaben und Arbeiten des Arzneimittelinstitutes des BGA ist es uns ein besonderes Anliegen, auf die parallelen Entwicklungen zur Gesetzgebung im präventiven Gesundheits- und Verbraucherschutz (und den teilweise entgegenstehenden Tendenzen, ζ. B. im Tierschutz) zwischen der Republik Österreich und der Bundesrepublik Deutschland hinzuweisen. Dies hat sich zuletzt besonders deutlich beim Arzneimittelgesetz gezeigt. Wir hoffen, daß der geringe zeitliche Erfahrungsvorsprung der österreichischen Gesetzgebung beim Chemikaliengesetz, ebenso wie beim Arzneimittelgesetz, eine kleine Hilfestellung sein kann. Inzwischen sehen wir fast neidvoll auf in Österreich bereits existierende oder geplante Regelungen, ζ. B. bei der Vorlagepflicht vorklinischer Unterlagen durch Zweitanmelder und der Schaffung abgekürzter Zulassungsverfahren aufgrund der Teilnahme an Mehrstaatenverfahren. Zum Schluß möchten wir die besonders guten persönlichen Beziehungen zwischen Mitarbeitern der nationalen Behörden/ Ministerien hervorheben, der „kleine Dienstweg" hat sich oft gelohnt. Namentlich möchten wir, statthaltend für andere, Frau wkl. Hofrat Dr. Inge Eichler, die inzwischen in den Ruhestand getreten ist, für ihr bezauberndes Wesen und die hervorragende Zusammenarbeit danken.

Literatur [1] Schnieders, B., R. Mecklenburg et al.: Zulassung und Nachzulassung von Arzneimitteln. Verfahren und Entscheidungskriterien nach dem Arzncimittelgesetz. Internationale Vereinbarungen, Aesopus Verlag, Basel. 1987. [2] Arzneimittelrecht. Kommentar. Kloesel, Α., W. Zyran, fortgeführt von K. Feiden und H. J. Pabel. 3. völlig neu bearbeitete Auflage. März 1988. Deutscher Apotheker Verlag.

Arzneimittelzulassung in Österreich G. Spanninger

Die Zulassung von Arzneispezialitäten wurde durch das Arzneimittelgesetz (BGBl. Nr. 185/1983) einer umfassenden Neuregelung unterzogen. Die Zulassung von „pharmazeutischen Spezialitäten" hat in Österreich lange Tradition. Die ältesten Verordnungen zur Regelung des Spezialitätenwesens wurden vor rund 100 Jahren erlassen. Der Zweck dieser Verordnungen war, gesundheitsgefährdende Produkte, deren Zusammensetzung oft unbekannt oder wechselhaft war und ihre damals teilweise „marktschreierische" Ankündigung (Werbung) unter strenge Kontrolle zu bringen. In einer Verordnung des Ministeriums des Inneren aus dem Jahre 1894 wurde erstmalig der Begriff „pharmazeutische Spezialität" verwendet. Nach den damals geltenden Bestimmungen, die im wesentlichen denen der durch das Arzneimittelgesetz 1984 außer Kraft gesetzten Spezialitätenordnung glichen, wurde im Jahre 1920 die Registernummer 1 vergeben. Bereits seit diesem frühen Zeitpunkt hat Österreich ein Zulassungs- bzw. Kontrollsystem, das unser Land vor weitreichenden Arzneimittelzwischenfällen bewahren konnte. Dennoch war es notwendig, die doch schon sehr betagten gesetzlichen Bestimmungen einer Revision zu unterziehen, um mit der raschen Entwicklung der medizinischen und pharmazeutischen Wissenschaften Schritt halten zu können und auch das stark expandierende Angebot an Arzneimitteln entsprechend zu berücksichtigen. Das Zulassungsverfahren war also durchaus keine Neuerung des Arzneimittelgesetzes. Neu allerdings war der Umfang der Produkte, die der Zulassung unterliegen und die weitaus umfangreichere und exaktere Regelung hinsichtlich der Unterlagen, die einem Zulassungsantrag anzuschließen sind. Vor allem folgende Arzneispezialitäten wurden durch das Arzneimittelgesetz in Österreich erstmalig der Zulassung unterworfen: • • • • •

homöopathische Arzneispezialitäten, apothekeneigene Arzneispezialitäten, Sera, Vakzine, Toxine, Bakterienpräparate etc., Fütterungsarzneimittel, radioaktive Arzneispezialitäten.

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G. Spanninger

Das Arzneimittelgesetz brachte aber nicht nur Neuerungen hinsichtlich des Umfanges der pharmazeutischen Erzeugnisse, die der Zulassung unterliegen, sondern insbesondere auch umfassende und einläßliche Regelungen für die vom Zulassungswerber beizubringenden Unterlagen. Vor 1984 ergaben sich die Anforderungen an die Zulassungsunterlagen nur zum Teil ausdrücklich aus der damals geltenden Spezialitätenordnung. Manche waren indirekt aus den Ablehnungsgründen abzuleiten. Das Arzneimittelgesetz hat für die beizubringenden Unterlagen zusätzliche Erfordernisse normiert bzw. erstmals bestimmte Zulassungsunterlagen expressis verbis vorgesehen, die teilweise auch schon früher von der Zulassungsbehörde für die Beurteilung von Arzneispezialitäten als unumgänglich erachtet worden waren. Dazu zählen ζ. B. Angaben über die Analysenvorschrift, die sogenannten „inprocess"-Kontrollen, der Nachweis der Unbedenklichkeit der Bestandteile und Angaben über deren Qualitätskriterien, Angaben über die Qualität der Verpackung, Untersuchungsergebnisse zur Haltbarkeit und über die Arzneiform. Besonders die sehr wesentlichen Ergebnisse von pharmakologischtoxikologischen Untersuchungen und klinischen Prüfungen wurden einer eingehenden Regelung unterzogen. Neu war die Vorlage der Fachinformation, die Angabe der Zulassung in anderen Staaten und der Nachweis der Zweckmäßigkeit der Kombination von Wirkstoffen. Eine der bedeutsamsten Neuerungen war die Verpflichtung des Zulassungswerbers, kommentierende und bewertende wissenschaftliche Zusammenfassungen vorzulegen. Es handelt sich dabei um drei wissenschaftliche Arbeiten — und zwar zu den pharmazeutischen Daten, den nichtklinischen (pharmakologisch-toxikologischen) Daten und den klinischen Daten. Bei Erstellung dieser Zusammenfassung soll bereits eine kritische Würdigung der einzelnen Zulassungsdaten erfolgen, so daß allenfalls bereits vor Antragstellung im Bereich des Zulassungswerbers selbst Mängel der Zulassungsunterlagen festgestellt und behoben werden können. Im Idealfall könnten diese Zusammenfassungen ähnliche Beurteilungen beinhalten, wie sie im Zuge des Zulassungsverfahrens durch die Amtssachverständigen vorzunehmen sind. Das Gesetz selbst enthält eine taxative Aufzählung der Muster, Substanzproben und Unterlagen, die dem Zulassungsantrag anzuschließen sind. In Ausführung dieser Bestimmungen wurde eine umfangreiche Verordnung erlassen. Diese Verordnung hat den Versuch unternommen, in umfassender und exakter Weise alle Anforderungen an Zulassungsunterlagen klar festzulegen. Die wesentliche Schwierigkeit bestand darin, trotz der Unterschiedlichkeit der verschiedenen Arten von Arzneispezialitäten und trotz der Notwendigkeit von verschiedenartigen Beurteilungskriterien derselben einheitliche zwingende Rechtsnormen zu schaffen, dennoch aber den Weg für jene Flexibilität zu eröffnen, die für jedes wissenschaftliche Arbeiten unerläßlich ist.

Arzneimittelzulassung in Österreich

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Eine sehr wesentliche Voraussetzung dieser Flexibilität wurde im § 1 Abs. 2 der genannten Arzneispezialitätenverordnung geschaffen. Gemäß dieser Bestimmung müssen einzelne der in der Verordnung genannten Daten und Angaben dann nicht vorgelegt werden, wenn diese auf Grund der besonderen Art der Arzneispezialität aus wissenschaftlich vertretbaren Gründen sinnvollerweise nicht erbracht werden können oder für die Arzneimittelsicherheit nicht von Bedeutung sind. Statt dieser Unterlagen ist dem Antrag aber eine jeweils entsprechend wissenschaftlich fundierte Rechtfertigung für die Nichtvorlage anzuschließen. Diese Vorschrift ist bei Beurteilung der gesamten Verordnung mit zu berücksichtigen. Die Arzneispezialitätenverordnung schreibt exakt vor, in welcher Art und Gliederung die einzelnen Unterlagen vorzulegen sind, wobei unterschieden wird in: • Antrag und allgemeine Daten zum Antrag, • Muster und Substanzproben, • allgemeine Daten (diesen sind auch die wissenschaftlichen Zusammenfassungen zuzuordnen), • pharmazeutische Daten, • nichtklinische Daten, • klinische Daten. Muster und Substanzproben sind weiterhin — so wie vor 1984 — bei den gutachterlich tätigen Bundesanstalten vorzulegen. Die Verordnung enthält einläßliche Ausführungsbestimmungen zu allen Zulassungsvoraussetzungen, die das Arzneimittelgesetz vorschreibt. Sonderbestimmungen sind für homöopathische, apothekeneigene, radioaktive Arzneispezialitäten und Sera, Vakzine, Bakterienpräparate etc. vorgesehen. Am 1. Januar 1989 ist eine Novelle zum Arzneimittelgesetz (BGBl. Nr. 748/ 1988) in Kraft getreten. Sie stützt sich auf die bisherigen Erfahrungen. Neben der verstärkten Berücksichtigung besonderer Produktgruppen (ζ. B. spezifische Zulassungsbestimmungen für radioaktive Arzneispezialitäten) wurden verschiedene sachlich begründete Erleichterungen vorgesehen. Es hat sich gezeigt, daß die Interpretation der Begriffsbestimmungen durch die vollziehende Behörde und auch durch den Verwaltungsgerichtshof eine größere Zahl von Produkten dem Geltungsbereich des Gesetzes zugeordnet hat, als ursprünglich erwartet worden war. Naturgemäß hat diese Tatsache gravierende Auswirkungen auf den Kreis der Arzneispezialitäten, die dem für Antragsteller und Behörde aufwendigen Zulassungsverfahren zu unterziehen sind.

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G. Spanninger

Es wurden daher kleine Korrekturen des Arzneimittelbegriffes vorgenommen, aber für bestimmte Produkte auch Erleichterungen im Zulassungsverfahren vorgesehen. Diese Vereinfachungen gelten vor allem für bewährte, bekannte Mittel, deren behördliche Zulassung einen geringeren Aufwand seitens des Antragstellers (Zulassungsunterlagen) und der Behörde rechtfertigt. Dies auch deshalb, weil zu dem Kreis der vereinfacht zulassungspflichtigen Arzneimittel vor allem auch solche mit geringem Nebenwirkungspotential zählen sollen. Dem Verordnungsgeber wird durch die Novelle die Möglichkeit eingeräumt, jene Bestandteile (insbesondere Wirk- aber auch Hilfsstoffe) zu bestimmen, bei deren Verwendung unter Beachtung der gegebenen Indikationen und Konzentrationen, ein erleichtertes Zulassungsverfahren gerechtfertigt ist. Es handelt sich hierbei um Arzneispezialitäten, die auf Grund ihrer Zusammensetzung die erforderliche Qualität und Unbedenklichkeit auch dann gewährleistet erscheinen lassen, wenn der Behörde nicht alle ansonsten gesetzlich vorgesehenen Unterlagen zur Prüfung vorgelegt werden. Einem derartigen Antrag sind neben den formalen Unterlagen die Entwürfe für Kennzeichnung und Gebrauchsinformation sowie Angaben über die Zusammensetzung, die Qualitätskriterien der verwendeten Bestandteile und über die Spezifikation der fertigen Arzneispezialität vorzulegen. Bei Kombinationspräparaten ist auch die Zweckmäßigkeit der Wirkstoffkombination zu begründen. Unterlagen über die Qualität der Packungselemente und Haltbarkeitsuntersuchungen müssen nur unter bestimmten Voraussetzungen vorgelegt werden. Die Novelle berücksichtigt auch verstärkt das Übereinkommen zur gegenseitigen Anerkennung von Bewertungsberichten über pharmazeutische Produkte. Für jene Arzneispezialitäten, die in einem der Mitgliedsländer behördlich zugelassen sind und für die ein Bewertungsbericht vorgelegt wird, müssen zunächst nur bestimmte weitere Zulassungsunterlagen beigebracht werden. Der Zulassungsbehörde wird aber die Möglichkeit eingeräumt, im Interesse der Arzneimittelsicherheit Unterlagen nachzufordern. Auch f ü r die Änderung zugelassener Arzneispezialitäten sind verschiedene Erleichterungen vorgesehen. Nach der Rechtslage vor Inkrafttreten der Novelle bedurften alle Änderungen an einer zugelassenen Arzneispezialität, der Kennzeichnung, der Gebrauchsoder Fachinformation der behördlichen Genehmigung. Nun wurde der Zulassungsinhaber in die Lage versetzt, ohne Verzug textliche Änderungen vorzunehmen, die die Sicherheit der Arzneispezialität erhöhen. Diese neue Bestimmung trägt nicht nur dem Umstand Rechnung, daß gemäß

Arzneimittelzulassung in Österreich

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arzneimittelrechtlichen Bestimmungen diese Texte dem jeweils letzten Stand der Wissenschaften entsprechen müssen, sondern berücksichtigt auch die neue Rechtslage, die durch das Produkthaftungsgesetz (BGBl. Nr. 99/1988) auch für den Bereich des Inverkehrbringens von pharmazeutischen Produkten geschaffen wurde. Es wird auch die Möglichkeit eröffnet, neue Packungsgrößen oder Änderungen der Packungsgrößen ohne behördliche Genehmigung vorzusehen. Dasselbe gilt auch für die textlichen Änderungen, die sich aus der Änderung der Firmenbezeichnung oder aus der Verlegung des Betriebsstandortes ergeben. Laufzeitänderungen dürfen nunmehr in eigener Verantwortlichkeit des Zulassungsinhabers vorgenommen werden. Der Behörde sind aber entsprechende Haltbarkeitsuntersuchungen vorzulegen, um eine ausreichende Kontrolle zu gewährleisten. Diese von der Genehmigungspflicht ausgenommenen textlichen Änderungen von Kennzeichnung, Gebrauchs- und Fachinformation sind jedoch der Behörde vor deren Realisierung zu melden. Weitere Vereinfachungen formaler Natur sind für eine bevorstehende Änderung der Arzneispezialitätenverordnung vorgesehen.

II Vergleichende Darstellungen

Arzneimittelgesetz (Bundesrepublik Deutschland) R. Bass

Abstract Comparison — Drug Act vs. other substances: Test Catalogues (in principle for all laws regulating substances the same test catalogues are available). — Drug Act vs. other substances: Testing (whereas no detailed, mandatory test plan can be prescribed for drugs — „case by case" —, chemicals obey internationally accepted requirements, which have to be fulfilled practically in all cases. Pesticides are found somewhat in between these extremes). — Drug Act vs. other substances: Evaluation I Transposition (whereas certain test results for chemicals will always lead to infringing transposition — labeling, max. concentrations at the workplace, ... —, for drugs risk-benefit evaluation has been inserted in between evaluation and transposition. Substance-independent criteria — risk/risk or benefit/benefit — can hardly be prescribed, at least at the time of marketing decisions. For pesticides it seems possible, at the time of registration, to achieve substance-independent risk/risk evaluation). Transparency of decisions — Chemicals Since the conditions for registration are standardized internationally, decisions taken are transparent. — Drugs As long as each competent national regulatory authority judges from each case independently and separately as it exists nationally, international deviations in decision will have to be expected. A strategy for reaching the highest level of harmonization may lead from acceptance of the same test requirements over acceptance of identical dossiers over the introduction of the requirement to reason ones decision (evaluation-/assessment report) to taking harmonized decisions in the future (EEC). English language has been accepted for the expert report; thereby another prerequisite for harmonization has been reached. — Pesticides Assuming equal acceptance of risks identical decisions could be expected internationally.

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R. Bass

Einleitung Ein Vergleich toxikologischer Prüfstrategien scheint in zwei Richtungen sinnvoll: 1. Zwischen dem Arzneimittelgesetz (AMG) und anderen Stoffgesetzen, 2. ihrer Fortentwicklung ζ. B. seit Inkrafttreten des Arzneimittelgesetzes von 1976 (Abb. 1). Toxikologische

Prüfstrategien

Arzneimittel (neuer Stoff) Planung Durchführung Auswertung

Formalien - Harmonisierung (international) von Testsystemen, z.B. o A k u t e Toxizität °Repro. Tox. - Harmonisierung (international) des Prüfumfanges - Harmonisierung (international) des Dossiers - Harmonisierung (international) der B e u r t e i l u n g CGRP]

Produktion [GMP]

i

»

- Wissenschaftliche Grundlagen zur Durchführung - Fortentwicklung der Prüfstrategien - " c a s e by c a s e " -

Problemlösung

- Beurteilung der Ergebnisse [Gutachten ]

I Antragstellung auf Z u l a s s u n g

i Zulassungsentscheidung

Bewertungsbericht

Abb. 1

[Begründung]

Im folgenden wird versucht, die Entwicklung des Zusammenhanges zwischen dem wissenschaftlich zu begründenden toxikologischen Prüfumfang und der gesetzlich abzusichernden behördlichen Entscheidung über die Zulassung von Arzneimitteln abzuleiten. Derartige Zusammenhänge können nicht nur national, aus der Sicht der Bundesrepublik Deutschland, betrachtet werden, son-

Arzneimittelgesetz (BRD)

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dem müssen international ausgewertet werden. Dies entspricht den Aktivitäten der forschenden pharmazeutischen/chemischen Industrie. Da es nur eine, von Stoffklassen oder Stoffgesetzen weitgehend unabhängige Entwicklung der toxikologischen Wissenschaft gibt, muß zunächst der toxikologische Prüfkatalog, der sich aus dem Arzneimittelgesetz ergibt, exemplarisch mit den Prüfkatalogen anderer Stoffgesetze verglichen werden.

Toxikologische Prüfkataloge bei verschiedenen Stoffgesetzen Die heutigen präklinischen (Arzneimittel) oder toxikologischen (andere Stoffe) Prüfkataloge sind sowohl auf die wissenschaftliche Erkenntnis zurückzuführen, daß die Ähnlichkeiten zwischen verschiedenen Spezies (inkl. dem Menschen) groß und nicht rein zufällig sind, als auch auf das Gebot, den Menschen vor vermeidbaren Schäden zu schützen. Scheinbar folgerichtig und begründet wurden daraus nach und nach Versuchsmodelle und -beschreibungen abgeleitet, die für alle Stoffgesetze Verwendung finden. Abweichungen zwischen den Stoffgesetzen bestehen nur punktuell, so ζ. B. bei der Prüfung der Toxizität nach einmaliger Anwendung. Obwohl sich der wissenschaftlich begründete Trend zur sog. approximativen Bestimmung letaler Dosen international längst durchgesetzt hat, hat sich Japan als Nachzügler bei Arzneimitteln diesem Trend erst kürzlich anschließen können. Generell gilt, daß internationale und nationale Prüfkataloge zu den verschiedenen Stoffgesetzen wenn nicht identisch, so doch sehr ähnlich sind. Die dennoch resultierenden international unterschiedlichen Entscheidungen zur Registrierung oder Zulassung von Stoffen können so kaum begründet werden.

Toxikologische Prüfung anhand existierender Prüfkataloge Die Anforderungen, welche Prüfungen für welchen Stoff aus dem existierenden Katalog auszuwählen und durchzuführen sind, sind bei Arzneimitteln am wenigsten präzise. Verläßliche Vorgaben sind am ehesten aus IND-Bestimmungen abzuleiten, so ζ. B. aus denen der nordischen Länder oder denen der US-FDA. Bereits hier und noch verstärkt in den Ländern ohne IND gilt anstelle detaillierter verbindlicher Prüfpläne die „case by case"-Regelung für die Auswahl und Durchführung der vorklinischen Versuche. Bei anderen Stoffgesetzen ist weitaus deutlicher vorgegeben, welche Studien wann und wofür vorzulegen sind. Chemikalien sind das beste Beispiel dafür,

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R. Bass

aber selbst hier beginnt sich eine „case by case"-Mentalität zu entwickeln. Ob dies zu wissenschaftlich besser begründeten Prüfkombinationen oder international zu behördlicher Uneinigkeit führen wird, bleibt abzuwarten.

Antragstellung auf Zulassung als Arzneimittel Am Beispiel der Arzneimittel wird deutlich, welche Schwierigkeiten zu überwinden sind, wenn die nationale Antragstellung mit einem international verwendbaren Dossier erfolgen soll. Obwohl die Prüfanforderungen für den Bereich der EG längst harmonisiert waren, mußten die präklinischen Prüfergebnisse bis vor kurzem umständlich nach den formalen Besonderheiten nationaler Antragstellung der Mitgliedsstaaten umsortiert werden. Dies war selbstverständlich oft mit zusätzlichen Anforderungen verbunden, so mit der Bitte, die im Geltungsbereich des A M G üblichen Datenbögen zur Vorklinik auszufüllen oder zusätzliche Mutagenitätstests in Italien durchführen zu lassen. Schließlich waren bis vor kurzem auch die Gutachten zusätzlich zur Originalsprache in der jeweiligen Landessprache vorzulegen. Inzwischen haben alle Mitgliedsstaaten sichergestellt, daß alle Gutachten in Englisch akzeptiert werden. Die vielen solcherart bislang existierenden Schwierigkeiten sollen 1989 durch die Neuauflage der „Notice to Applicants" überwunden werden. Hier wird verbindlich für den Antragsteller (im Antragsland, im Bereich der EG oder in anderen Ländern beheimatet) festgelegt, wie nationale Zulassungsanträge aufzubauen sind, um von allen in der EG ansässigen nationalen Arzneimittelzulassungsbehörden gleichermaßen akzeptiert zu werden. Dazu gehört auch, daß Anträge auf Zulassung nach dem „Konzertierungsverfahren" generell auf Englisch eingereicht werden können. Eine ähnliche formale Anpassung der Anträge auf Zulassung mit anderen Ländern oder Staatengruppen (EFTA) gibt es bisher nicht. Jedoch sind Bestrebungen hervorzuheben, nach anderem Format erstellte Anträge gegenseitig anzuerkennen (EG —EFTA) bzw. die Reihenfolge der präklinischen Untersuchungen im Dossier aneinander anzupassen (US-FDA —EG). Details darüber, wie sich dies bei anderen Stoffgesetzen verhalten mag, sind uns nicht bekannt.

Arzneimittelgesetz (BRD)

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Beurteilung erhaltener Prüfergebnisse und Umsetzung (Abb. 1) Die Beurteilung von Versuchsergebnissen — und damit auch die Erfüllung einer wichtigen Voraussetzung zur administrativen Umsetzung postulierter oder tatsächlich existierender Gefahren in entsprechende Maßnahmen — ist eine individuelle Tätigkeit. Brauchbare und nachprüfbare Strategien dazu gibt es bisher kaum. Für den Geltungsbereich des A M G wurde der erste Versuch dafür mit dem Entwurf der Arzneimittelprüfrichtlinie (§ 26 A M G ) unternommen. Die individuelle Tätigkeit der Beurteilung von Versuchsergebnissen wird, insbesondere im internationalen Raum, weiterhin zu abweichenden Beurteilungen führen. Das gilt sowohl im Vergleich verschiedener Stoffgesetze bei Beurteilung desselben Stoffes, als auch bei Beurteilung desselben Arzneimittels durch Mitarbeiter verschiedener Behörden oder deren beauftragte externe Experten. Jedes Land mag noch so sehr bemüht sein, den zu erwartenden Abweichungen durch die Einschaltung einer Koordinationsstelle vorzubeugen, Wissenschaftler sind und bleiben Individuen; die Beurteilung der eingereichten Dossiers durch harmonisierte Administratoren reinster Prägung würde der Sache auch nicht besser gerecht werden. Wie man sich auch verhalten mag, die Beurteilung des präklinischen Teils eines Antrages auf Zulassung als Arzneimittel durch viele Individuen ist Ausgangspunkt für abweichende Resultate. Je entfernter die Bearbeiter von einer (d. h. internationalen) Koordination sind, um so größer sind die in Kauf zu nehmenden Abweichungen. Bei aller Logik, die in dieser Aussage steckt, ist es erstaunlich, welche Harmonie der Beurteilung präklinischer Unterlagen inzwischen entstanden ist. Dies gilt in Behörden, zwischen Behörden, zwischen Behörden und der pharmazeutischen Industrie und den zwischengeschalteten Gutachtern gleichermaßen. Die Auswirkungen abweichender, wissenschaftlich individuell begründeter Beurteilungstätigkeit sind für die einzelnen Stoffgesetze verschieden und hängen u. a. von der Gradlinigkeit ab, die zwischen Beurteilung und Umsetzung herrscht. In Maß und Zahl erfaßbare und beschreibbare Prüfergebnisse lassen sich leichter umsetzen als die mit „Wenn und Aber" behafteten. Ist bereits die Exposition mit einer möglichen Noxe schwer abschätzbar, muß die Umsetzung toxikologischer Befunde in Schutzmaßnahmen noch problematischer werden. Wird ein bestimmtes Prüfergebnis regelmäßig gleich bewertet und direkt umgesetzt, so sind die resultierenden Schutzmaßnahmen vorhersehbar. Das gilt ζ. B. auf dem Chemikaliensektor, wo positive Ergebnisse einzelner toxikologischer Prüfungen einzeln oder gemeinsam zur Klassifizierung des Stoffes und zu entsprechendem „labeling" führen (R-Sätze). Über die Festsetzung von MAK-Werten wird der Schutz am Arbeitsplatz geregelt. Im Detail wird

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R. Bass

dies sicher im Beitrag von Herrn Dr. Kayser vom BGA weiter ausgeführt werden. Weniger gradlinig und damit schlechter vorhersehbar und auch schwieriger nachvollziehbar ist die Umsetzung der Risikobeurteilung in Schutzmaßnahmen bei Arzneimitteln. Hier wird die Risiko-Nutzen-Abschätzung eingeschoben, bevor Schutzmaßnahmen (in Form der Nichtzulassung als Arzneimittel, Formulierung von Kontraindikationen und dazu einzuhaltender Maßnahmen, Einschränkung von Indikationen auf solche mit besonders hoher Gefahrdung des Patienten durch die nicht behandelte Krankheit und in Form der Beschreibung der präklinischen Befunde) festgesetzt und umgesetzt werden. Durch Einführung der Information für Fachkreise neben der bei uns schon lange existierenden Patienteninformation (§§ I I a und 11 AMG) hat dieser Teil der Umsetzung präklinisch erkannter oder postulierter Risiken inzwischen einen klaren Rahmen erhalten. Schwer nachvollziehbar bleibt im Einzelfall, „case by case", der Schritt der Risiko-Nutzen-Entscheidung. Je nachdem, ob eine Risiko-Risiko-Abwägung (unbehandelte gegen behandelte Krankheit, Risiko-Vergleich verschiedener Behandlungsformen), Nutzen-Nutzen-Abwägung (Nutzen-Vergleich verschiedener Behandlungsformen) oder einer Risiko-Nutzen-Abwägung (Risiko im Vergleich zum Nutzen dieser Behandlung) im Vordergrund steht, wird auch eine andere Art der Umsetzung in Schutzmaßnahmen erforderlich sein. Risiko-Kosten-Abwägungen spielen für das BGA als nachgeordnete Behörde des Bundesministeriums für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit keine Rolle. Andere Stoffklassen, wie ζ. B. Pflanzenschutzmittel, stehen zwischen Chemikalien und Arzneimitteln. Die Risiko-Risiko-Abschätzung erscheint stoffübergreifend möglich. Ansonsten ist und bleibt es problematisch, stoff- und stoffgesetzübergreifende Kriterien für Art und Umfang der Umsetzung von Risiken in Schutzmaßnahmen, in Regeln oder gar Gesetzen zu definieren.

Transparenz getroffener Entscheidungen — Tendenzen Ziel aller an der Entwicklung, Vermarktung und Reglementierung Beteiligten muß es sein, vorbereitete und getroffene Entscheidungen für Dritte transparent zu machen. Das gilt natürlich nicht nur für den Bereich Präklinik bei Arzneimitteln, kann aber hier und im Rahmen dieser Veranstaltung besonders gut problematisiert werden. Solange jede nationale Arzneimittelzulassungsbehörde in ihren Kompetenzen und Pflichten dem Patienten gegenüber unabhängig von bereits früher tätig gewordenen Behörden eine Zulassungsentscheidung zu treffen hat, werden die vorhandenen und geplanten Systeme zur Harmonisierung verbesserungs-

Arzneimittelgesetz (BRD)

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bedürftig bleiben. Dafür erscheint es sinnvoll, alle einer Entscheidung vorgeschalteten Schritte (Prüfkataloge, Prüfung und Beurteilung) national und international auf ihren wissenschaftlichen Gehalt zu überprüfen und anzupassen. Was haben wir als Behörde dafür getan und was können wir noch tun? Prüfkataloge Die heute noch existierenden Unterschiede für präklinische Untersuchungen mit Arzneimitteln sind bekannt und für den Unternehmer schmerzlich bzw. teuer, wissenschaftlich jedoch nicht zu begründen. Es zeichnet sich ab, daß die existierenden nationalen Vorschriften (oder die von Staatenbündnissen) zur Durchführung eines Versuchstyps durch internationale Versuchsbeschreibungen abgelöst werden können. Fruchtbare Gespräche haben zwischen der EG und dem japanischen Gesundheitsministerium stattgefunden. Daraufhin werden wir (d. h. Forschungseinrichtungen, Industrie und Behörden) direkt damit beginnen können, für die akute Toxizitätsprüfung und den Sektor der Reproduktionstoxikologie internationale „Richtlinien" zu entwerfen, zumal die US-FDA einem solchen Vorgehen mündlich ebenfalls bereits zugestimmt hat. Die Modalitäten dafür sind zwar noch nicht bestimmt, sollten aber zu finden sein. Dies ist ein Anfang, und wir müssen versuchen, diese Richtlinien so abzufassen, daß eine sachgerechte und wissenschaftlich begründbare und nachvollziehbare Prüfung einzelner Arzneimittel besser als bisher möglich wird. Andere Gebiete hinken da noch hinterher. Die Anforderungen an subchronische und chronische Prüfungen beginnen sich ebenfalls anzupassen, aber die Rigidität Einzelner läßt zu wünschen übrig. Prüfung/Prüfplan/

Prüfumfang

Die Transparenz eines wann zu erfüllenden Prüfumfanges und eine Harmonisierung im Bereich der EG scheint am ehesten durch eine EG-europäische IND erreichbar zu sein. Für neue Stoffe sollte eine Anlaufstelle den Hersteller bis zur Antragstellung auf Zulassung begleiten und mit ihm die notwendigen präklinischen Untersuchungen diskutieren, ohne daß er nationale Nachforderungen einzuplanen hätte. So könnte auch das Problem, welche und wieviele Tierspezies für welche Studien benutzt werden sollen, angegangen werden. Zusammenstellung

präklinischer

Dossiers

Bislang war es so, daß die einzelnen Bausteine des präklinischen Dossiers zwar im Idealfall international identisch waren, jedoch in immer neuen Variationen zusammengestellt werden mußten. Das kostet Zeit und Geld, macht

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R. Bass

Mühe und war immer wieder Anlaß zu Flüchtigkeitsfehlern, die mit großer Sicherheit zu Rückfragen führen mußten. Um die Reihenfolge der einzelnen Studientypen in der Dokumentation der EG (Abb. 2) ζ. B. an die der USFDA anpassen zu können, sind Änderungen der europäischen Gesetze, Council Directives, erforderlich. Zur Zeit wird diskutiert, ob die von der EG oder die von der US-FDA vorgegebene Reihenfolge sachlich besser ist, oder ob gar eine dritte Reihenfolge geschaffen werden muß. Tabulated Study Report —Name of company - N a m e of finished

product-

Name of active ingredient -

Tabulated Study report ref. to I I . A Page

z.B.·.

(Beispiel]

- / -

Number

Single dose toxicity Page: to Addendum No.: Ref. to document.: Volume: Number: Study period (years): Report date: (Studientypische/ - spezifische Angaben)

Abb. 2

Für den Bereich der EG werden durch die neue „Notice to Applicants" ab 1989 einheitliche vorklinische Datenbögen (unter dem Namen „Tabulated Study Reports") für die Pharmakodynamik, Toxikologie und die Pharmakokinetik zur Verfügung gestellt (Tab. 1). Nach einer Erprobungszeit wird ihre Anwendung wohl vorgeschrieben werden. Eine über die Vorklinik hinausgehende Harmonisierung findet des weiteren dadurch statt, daß das gleiche Kopfteil auch für die „Tabulated Study Reports" der Bereiche Qualität und der Klinik vorgegeben werden (Abb. 2). Da die zeitliche Entwicklung all dieser Tabellenformate langwieriger war als Tabelle 1 Teil

Reihenfolge präklinischer Studien (im Dossier und bei den „Tabulated Study Reports")

III. III.Α II I.B III.C III.D 111.Ε III.F III.G III.Η III.Q

Generally applicable format for Tabulated Study Reports Single dose toxicity Repeated dose toxicity Reproduction toxicity Mutagenic potential Oncogenic/carcinogenic potential Pharmacodynamics Pharmacokinetics Special toxicity studies [e.g. local tolerance (toxicity), immunostimulation] Further studies

Arzneimittelgesetz (BRD)

27

erwartet, sieht das Ergebnis deutlich anders aus als noch vor einem halben Jahr oder als bei den im Geltungsbereich des Ö A M G zu verwendenden Bögen. Sicherlich wird Herr Dr. Pittner auf die österreichischen Bögen näher eingehen. Wir werden erneut Diskussionen über eine Harmonisierung zu führen haben.

Beurteilung

erhaltener

Ergebnisse

Die EG-weite Einführung eines kritisch wertenden Gutachtens hat sich in der Vorklinik bewährt, die Erfahrungen in Erstellung, Umgang und Verwertung sind deutlich gewachsen. Neu ist, daß das Gutachten sich auf die Sachdarstellung der Ergebnisse der Einzelstudien, die in Form der beschriebenen „Tabulated Study Reports" dem Gutachten anzuhängen sind, bezieht, also langatmige Wiederholungen von Ergebnissen vermeiden hilft (Abb. 4). Zusätzlich können, was im Einzelfall vom pharmazeutischen Unternehmer zu entscheiden ist, schriftliche Zusammenfassungen, wie sie bereits als Anforderung der US-FDA bekannt sind, erstellt und dem Gutachten beigefügt werden (Abb. 3). Dieser Schritt zur Harmonisierung US-amerikanischer und EG-europäischer Anforderungen zur Erstellung des präklinischen Dossiers und insbesondere zur Beurteilung der gewonnenen Ergebnisse erhält einen zusätzlichen Stellenwert dadurch, daß die US-FDA sich dem Gedanken des

Struktur des Dossiers

(Prä-Klinik)

Dokumentation (Teil ΠΓ) (Alle prä-klinischen Studienberichte)

A n h ä n g e zum Gutachten " Tabulated Study Reports" Obligatorisch mit dem Gutachten

Abb. 3

'Textual S u m m a r i e s " , z . B . - Pharmakodynamik - Toxikologie - Pharmakokinetik Optional mit dem Gutachten

Prä-klinisches Gutachten (max.25 Seiten)

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R. Bass

Gutachtens nicht länger verschließt, sondern diese Gutachten als sinnvolle Ergänzung des Dossiers annehmen wird (Abb. 4).

Assessment Report der EG und Evaluation Report des PER-Systems folgen zwar anderen Strukturen, sind jedoch austauschbar verwendbar. Die in beiden Systemen enthaltene Begründungspflicht zu getroffenen Entscheidungen zur Zulassung eines Arzneimittels werden zu einer Harmonisierung der Zulassungsentscheidungen beitragen, da die in einem Land getroffene Entscheidung für andere Länder besser als bisher nachvollziehbar wird. Ob und in welchem Umfang daraus tatsächlich gleiche Entscheidungen zustandegebracht werden können, muß wohl noch etwas abgewartet werden. All diese bereits vollzogenen, geplanten und erhofften Systemverbesserungen und Erleichterungen stellen das für mich denkbare Maximum an Harmonisierung dar, das auf der Grundlage souveräner nationaler Entscheidungen über die Zulassungsfähigkeit und -bedingungen eines Arzneimittels erreicht werden kann. Mit den bisher erreichten Ergebnissen auf dem Wege zu Harmonisierung war die Kommission der EG in ihrem 1988 vorgestellten Bericht noch nicht zufrieden, so daß sich Kommission und Mitgliedsstaaten inzwischen Gedanken darüber machen, wie eine weitere Harmonisierung herbeigeführt werden kann. Alle dazu geäußerten Ideen haben gemeinsam, daß einmal für Europa getroffene Entscheidungen im Gesamtbereich der EG verbindlich zu machen sind, und Gültigkeit erreichen müssen. Wie dies zu verwirklichen ist, darüber herrscht in der EG ζ. Z. keine Einigkeit.

Arzneimittelgesetz (BRD)

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Schlußfolgerungen Toxikologische Prüfstrategien dürfen sich selbstverständlich nicht an Formalien festklammern. Eine internationale Harmonisierung von Formalien auf den verschiedenen vorgestellten Ebenen ist jedoch Voraussetzung für die Diskussion der wissenschaftlich zu begründenden Prüfstrategien.

Zusammenfassung Vergleiche — Arzneimittelgesetz vs. andere Stoffgesetze: Prüfkataloge (für alle Stoffgesetze stehen prinzipiell die gleichen Prüfkataloge zur Verfügung). — Arzneimittelgesetz vs. andere Stoffgesetze: Prüfung (während für Arzneimittel kein verbindlich detaillierter Prüfplan vorgegeben werden kann — „case by case" —, gelten ζ. Β. für Chemikalien international akzeptierte Anforderungen, die immer zu erfüllen sind. Andere, ζ. B. Pflanzenschutzmittel, stehen dazwischen). — Arzneimittelgesetz vs. andere Stoffgesetze: Beurteilung und Umsetzung (während bei Chemikalien bestimmte Prüfergebnisse direkt und regelmäßig gleich zu bewerten und stoffübergreifend umzusetzen sind — R-Sätze, MAK-Werte, ... —, wird bei Arzneimitteln zwischen Beurteilung und Umsetzung die Risiko-Nutzen-Abwägung eingefügt. Stoffübergreifende Kriterien — Risiko/Risiko oder Nutzen/Nutzen — sind, zumindest zum Zeitpunkt der ersten Zulassung, kaum gesetzlich handhabbar. Für Pflanzenschutzmittel ζ. B. erscheint bei Zulassung zumindest eine stoffübergreifende Risiko/Risikoabwägung möglich). Transparenz von Entscheidungen —

Chemikalien Da die Registrierungsbedingungen international vorgegeben sind, sind getroffene Entscheidungen transparent. — Arzneimittel Solange jede zuständige nationale Behörde jeden Zulassungsfall für sich und einzeln aus der nationalen Situation heraus beurteilt, sind international ungleiche Entscheidungen zu erwarten. Eine denkbare Strategie zu einer weitestmöglichen Gleichschaltung müßte vom Akzeptieren gleicher Prüfanforderungen über die Akzeptanz gleicher Dossiers über die Begründungspflicht zu getroffenen Entscheidungen (Evaluation-/Assessment Re-

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R. Bass

port) zukünftig hin zu von vornherein gemeinsam zu treffenden Entscheidungen (EG) entwickelt werden. Die Akzeptanz der englischen Sprache als weitere Grundlage der Vereinheitlichung ist inzwischen für das Gutachten gesichert. — Pflanzenschutzmittel Bei gleicher Risikobeurteilung und -akzeptanz wären international gleichlautende Entscheidungen zu erwarten.

Arzneimittelgesetz (Österreich) Η. Pittner

Abstract The Austrian Drug Act (Arzneimittelgesetz) has been effective since April 1st, 1984. In Austria the formal part of a drug registration is done by the Federal Chancellor Office (Minister of Health and Public Service), while the evaluation of the scientific data is done by Federal Institutes. Some differences between the Austrian and the German Drug Acts are pointed out, e. g. in Austria there is no drug registration with reference to an already registered drug, no 5-year-period for drug registrations, no transparency commission.

Das österreichische Arzneimittelgesetz ( A M G ) wurde am 2. 3. 1983 beschlossen und trat am 1. 4. 1984 in Kraft; eine Novelle zum A M G ist derzeit in Ausarbeitung. Die Antragstellung für die Zulassung einer Arzneispezialität in Österreich erfolgt beim Bundeskanzleramt (Bundesminister für Gesundheit und öffentlicher Dienst), das das formelle Zulassungsverfahren durchführt. Die fachliche Begutachtung erfolgt primär durch Amtssachverständige in den Bundesanstalten: • Die Bundesanstalt für chemische und pharmazeutische Untersuchungen begutachtet die pharmazeutischen Unterlagen und führt eigene fachtechnische pharmazeutische Untersuchungen durch. • Die Bundesstaatliche Anstalt für experimentell-pharmakologische und balneologische Untersuchungen begutachtet die nichtklinischen und klinischen Unterlagen sowie die Fach- und Gebrauchsinformation. • Das Bundesstaatliche Serumprüfinstitut ist in die Begutachtung biogener Arzneimittel involviert. Aufgrund der Sachverständigengutachten entscheidet das Bundeskanzleramt über den Zulassungsantrag. Einem Zulassungsantrag ist u . a . dann nicht stattzugeben (§ 22 A M G ) ,

32

Η. Pittner

— wenn die Wirksamkeit nicht ausreichend nachgewiesen ist, — wenn die Arzneispezialität keine zweckmäßige Zubereitung darstellt, — wenn die nichtklinischen Prüfungen nicht entsprechend dem jeweiligen Stand der Wissenschaften durchgeführt wurden. Einige Unterschiede zwischen dem österreichischen und dem deutschen

AMG:

• A n die Stelle des „Sachverständigengutachtens" tritt in Österreich die kommentierende und bewertende wissenschaftliche Zusammenfassung der in den Zulassungsunterlagen enthaltenen pharmazeutischen, nichtklinischen und klinischen Daten [AMG §15 (2)]. Die Arzneispezialitätenverordnung (ASpV) gibt in §§ 35 bis 38 ausführliche Anleitungen zur Erstellung derartiger Zusammenfassungen. • Die Zulassungsunterlagen müssen auch für gleiche Wirkstoffe von jedem einzelnen Antragsteller erbracht werden, eine „bezugnehmende Zulassung" ist in Österreich nicht möglich. Für Altpräparate schafft lediglich der § 103 der Arzneispezialitätenverordnung eine gewisse Erleichterung durch die Bestimmung, daß f ü r schon vor dem 1. 4. 1980 zugelassene Wirkstoffe bis zum 1. 4. 1994 im Regelfall keine Unterlagen zur Reproduktionstoxikologie, Genotoxizität und Tumorigenität vorgelegt werden müssen. • In Österreich gibt es keine 5-Jahres-Frist für zugelassene Arzneispezialitäten. Anläßlich des Inkrafttretens des Arzneimittelgesetzes mußte aber jeder Inhaber einer vor dem 1. 4. 1984 erteilten Zulassung bis zum 31. 3. 1987 eine Kennzeichnung, Fach- und Gebrauchsinformation für die betreffende Arzneispezialität bei der Behörde nachreichen. • Die Bestimmung, Tierversuche in vertretbaren Fällen durch andere Prüfverfahren zu ersetzen, ist im österreichischen A M G nicht ausdrücklich angeführt; sie entspricht aber auch der gutachterlichen Praxis in Österreich. Die ASpV berücksichtigt diesen Aspekt im § 49 (Prüfungen zur Pharmakodynamik) mit der Forderung nach Prüfung pharmakodynamischer Eigenschaften „einschließlich solcher, die auf zellulärer und subzellulärer Ebene festgestellt werden". • Ein Stufenplan zur Erfassung von Arzneimittelrisiken analog dem deutschen A M G existiert in Österreich nicht. G e m ä ß § 75 A M G besteht aber für alle medizinalberuflich tätigen Personen in Österreich die Verpflichtung, Arzneimittelrisiken aller Art dem Bundeskanzleramt zu melden, das in der Folge gemäß § 77 A M G entsprechende Schutzmaßnahmen veranlaßt. • Eine Transparenzkommission ist im österreichischen A M G nicht vorgesehen.

Zur Problematik der Rückstandsbeurteilung von Tierarzneimitteln unter dem spezifischen Aspekt der Prüfung der sekundären Bioverfügbarkeit R. Kroker, H.

Gottmanns

Abstract The specific problems of animal drugs are caused by the treatment of food-producing animals and the risk-assessment of drug residues in edible tissues with respect to consumer protection. In the case of mebendazole, a widely used veterinary drug, has been demonstrated that a nearly complete presystemic elimination is observable using isolated gut systems and isolated hepatocytes. It has been concluded that in case of risk assessment of residues their binding to food constituents and the intestinal and hepatic biotransformation in man may reduce the bioavailability and therefore the systemic toxicity. Such effects should be considered during examinations of drugs.

Einleitung Prinzipiell werden nach dem deutschen Arzneimittelrecht Tierarzneimittel den Humanarzneimitteln gleichgesetzt, d. h., die qualitativen und quantitativen Anforderungen bezüglich Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit unterscheiden sich nicht. Durch die Anwendung dieser Arzneimittel bei Tieren, die der Lebensmittelgewinnung dienen, kommt aber eine spezifische Problematik hinzu, nämlich die Beurteilung der in den eßbaren Geweben zu findenden Arzneimittelrückstände bezüglich ihrer Unbedenklichkeit gegenüber dem Konsumenten bzw. die Festsetzung von Wartezeiten. Die Diskriminierung zwischen Rückständen, die nach Bezeichnung des Arzneimittelgesetzes als „nicht unbedenklich" und „unbedenklich" klassifiziert werden, soll weit im Vorfeld einer möglichen Gefährdung für den Verbraucher erfolgen. In diesem Sinne hat das Verwaltungsgericht Berlin geurteilt (Tab. 1). Zur Ermittlung dieser Grenzkonzentrationen werden die üblicherweise auch für Pestizide geltenden Verfahrensregeln angewandt (Tab. 2) und der so ermittelte ATDWert auf die in Tabelle 3 zusammengefaßten Verzehrsmengen bezogen.

34 Tabelle 1

R. Kroker, Η. Gottmanns Urteilsbegründung der 14. Kammer VG Berlin

Der unbestimmte Rechtsbegriff des § 4 Abs. 12 A M G — gesundheitlich nicht unbedenklich — steht von der Reihe „toxisch, gefährlich, nicht gefährlich, bedenklich" abgesetzt weit im Vorfeld der Abwehr von Beeinträchtigungen der Gesundheit des Menschen, so daß als „gesundheitlich nicht unbedenklich" alle Rückstände anzusehen sind, deren Schädlichkeit nicht ausgeschlossen ist.

Tabelle 2 Α τη

Ableitung eines ATD-Wertes N.E.L.'* 70 (60) 2 v

7

') No-effect-level ) Körpergewicht des Konsumenten 3 ) Sicherheitsfaktor

2

Tabelle 3

ATD-Wert-bezogene Verzehrsmengen

Α

Muskelgewebe Leber Niere Fett

Β

Milch

C

Ei

300 100 50 50

g g g g

1 1 1 Stück

Rückstände bis zum Erreichen des ATD-Wertes dürfen jeweils in den unter Α, Β und C genannten Mengen enthalten sein.

Auf die Problematik dieser Vorgehensweise wird nur am Rande eingegangen, da bereits in zahlreichen Veröffentlichungen darüber diskutiert wird. Erwähnen möchte ich nur folgenden Diskussionspunkt, der darin gipfelt, daß die „no-effect-level"-Theorie von einem Konzept ausgeht, das nicht hinreichend definiert ist. Ist beispielsweise ein Effekt jede intermolekulare Wirkung von Xenobiotika im Organismus, oder werden nur irreversible Wirkungen darunter verstanden, oder ist die Spannbreite der Effekte dazwischen zu suchen? Diese Unklarheit drückt sich auch in einer Begriffsvielfalt aus, in dem vom „no-adverse-effect-level", „no-observed-effect-level" oder gar „no-observedadverse-effect-level" gesprochen wird. Andererseits existiert kein schlüssiges Konzept, diese Vorgehensweise zu ersetzen, es sei denn, man geht von der nicht praktikablen Nulltoleranz aus.

Rückstandsbeurteilung von Tierarzneimitteln

35

Ich möchte vielmehr die Aufmerksamkeit auf einen Problemkreis lenken, der unter dem Sammelbegriff „sekundäre Bioverfügbarkeit" subsummiert werden kann. Man versteht darunter, daß ein Arzneimittel, das primär nach Anwendung im Tier bioverfügbar war und metabolisiert wurde, nun als Rückstand nach Aufnahme durch den Konsumenten erneut bioverfügbar sein muß, um bezüglich seiner systemischen Toxizität relevant zu sein. Welche Einflüsse auf welchen Ebenen dabei eine Rolle spielen könnten, ist in Tabelle 4 zusammengefaßt. Zur Klärung dieses Problemkreises wurden Untersuchungen unter Verwendung verschiedener Modelle, wie isoliert perfundierter Darm und Leber sowie isolierte Hepatozyten, durchgeführt, um abschätzen zu können, in welchen Ebenen der präsystemischen Elimination Wechselwirkungen mit den aufgenommenen Rückständen auftreten könnten. Über Einflüsse der Bindungsform an Lebensmitteln wird noch nicht berichtet, da diese Untersuchungen noch im Gange sind. In Tabelle 5 ist als Untersuchungsbeispiel das Pharmakon Mebendazol aufgezeigt, für das derzeit ein ATD-Wert von 0.175 mg/Mensch und Tag festgesetzt wurde und anhand dieser Vorgabe entsprechende Wartezeiten gültig wurden. Es stellt sich die Frage, inwieweit dieser tolerierbare Rückstand von 0.175 mg überhaupt systemisch verfügbar ist, bzw. hat dieser anhand von Tierversuchen ermittelte Wert überhaupt eine Relevanz für den Menschen als Verbraucher von tierischen Lebensmitteln.

Tabelle 4

Interaktionsmöglichkeiten von Arzneimittelrückständen

Bindung an Nahrungsmittelbestandteile (hydrophil, - p h o b , kovalent)

I Degradation im Magen-Darm-Trakt (bakteriell, chemisch, enzymatisch)

I Metabolismus in der Darmwand (Phase I und II, intrazelluläre Bindung)

I Metabolismus in der Leber (Phase I u. II, intrazelluläre Bindung, biliäre El.)

I Systemische

Tabelle 5

Verßigbarkeit

Rückstandsbeurteilung von Mebendazol

No effect-level Sicherheitsfaktor ATD-Wert

2,5 mg/kg 1000 0.175 m g / M e n s c h

36

R. Kroker, Η. Gottmanns

Ergebnisse In Abbildung 1 zeigt sich, daß offenbar nur ein Bruchteil des aufgenommenen Mebendazols resorbiert wird und der überwiegende Teil intraluminal verbleibt (hier mit Perfusat bezeichnet) und damit mit den Faezes eliminiert wird. Ein Teil der resorbierten Substanz wird metabolisiert und rücksezerniert, wobei zu ca. 2,8% ein NH 2 -Metabolit und zu 1% ein OH-Metabolit ermittelt wurde. Aus Abbildung 2 wird ersichtlich, daß nur wenige Prozent der applizierten Dosis (ca. 3%) resorbiert werden (Beachte: Die Ordinatendimension ist mit dem Faktor 10"' zu multiplizieren), wobei auch glucuronidierte Produkte und reduzierte Metabolite dabei sind. Interessante Hinweise über mögliche Wechselwirkungen mit anderen Nahrungsbestandteilen, die beispielsweise das intestinale Enzymsystem induzieren könnten, ergaben sich nach Vorbehandlungen mit Methylcholanthren (Abb. 3). Es zeigen sich dramatische Verschiebungen hinsichtlich der Verteilung und Metabolisierung, nämlich in der Form, daß zu fast 40% der NH 2 -Metabolit entsteht, der ausschließlich rücksezerniert wird. Eine Resorption der Muttersubstanz und der Metaboliten findet praktisch nicht mehr statt.

7

V Meb

Abb. 1

fi NH2

7

OH

Metabolismus von Mebendazol im isoliert perfundierten Darm. Die Messungen erfolgten im Perfusat. Ordinatenbezeichnung: Prozent der eingesetzten Dosis. Abkürzungen: Meb - Mebendazol, NH2 - N H r M e t a b o l i t , OH - OH-Metabolit.

Rückstandsbeurteilung von Tierarzneimitteln

37

i ....

....

-u / Meb

Abb. 2

///- y

Gluc

/ . Resorbat

OH

Absorption und Metabolismus von Mebendazol im isoliert perfundierten Darm. Ordinate: Prozent der eingesetzten Dosis * 10"'. Abkürzungen: s. Abb. 1, Gluc — glucuronidiertes Mebendazol. 80 70

60

50

40

30

20

0

m

Kontrolle MC

Mebendazol Perfusat

Abb. 3

NH2-Metabolit Perfusat

OH-Metabolit Perfusat

Der Einfluß von Methylcholanthren (MC) auf den intenstinalen Metabolismus von Mebendazol. Ordinatenbezeichnung: s. Abb. 1.

38

R. Kroker, Η. Gottmanns 60 51

42

25

17

8

0

120

90

60 30

Abb. 4

Die zeitabhängige Bildung des glucuronidierten M e b e n d a z o l - O H - M e t a b o l i t e n in isolierten Rattenleberzellen. Ordinatenbezeichnung: s. Abb. 1. Die Bezeichnungen 30 — 120 stellen die Inkubationszeiten in Minuten dar.

Diese Ergebnisse sollten unter dem Aspekt bedacht werden, daß nach Ansicht einiger Autoren die spezifische Aktivität intestinaler Enzyme entscheidend durch Nahrungsbestandteile moduliert wird. Bei der Untersuchung des Anteils der Muttersubstanz bzw. deren Metabolite, die den Darm passieren und zur Leber gelangen, ergibt sich, daß die Muttersubstanz in der Leber offensichtlich zum OH-Metaboliten reduziert und zum Glucuronid konjugiert wird. In Abbildung 4 sind Ergebnisse unter Verwendung isolierter Hepatozyten zusammengefaßt, die die zeitabhängige Glucuronidierung darstellen. Man muß davon ausgehen, daß das Glucuronid biliär eliminiert wird. Dies gilt auch für den resorbierten OH-Metaboliten.

Schlußfolgerungen Ziehen wir Bilanz, so bleibt von dem mit der N a h r u n g aufgenommenen Rückstand eine vernachlässigbare Menge zurück, die systemisch wirksam werden könnte. Zwar ist zu berücksichtigen, daß diese Ergebnisse an der Ratte erhoben wurden, aber es ist auch vom Menschen bekannt, daß die

Rückstandsbeurteilung von Tierarzneimitteln

39

Bioverfügbarkeit von Mebendazol schlecht ist und großen Schwankungen unterliegt. Bezüglich des Metabolismus bestehen ebenfalls keine wesentlichen Unterschiede. Sicherlich ist die Problematik hier sehr vereinfacht dargestellt worden, aber es kann davon ausgegangen werden, daß in Zukunft derartige Prüfstrategien bei der Rückstandsbewertung mit berücksichtigt werden. Über entsprechende Vorschläge wird bereits auf EG-Ebene diskutiert.

Das Chemikaliengesetz als Instrument zum Schutz der menschlichen Gesundheit vor gefährlichen Stoffen (Bundesrepublik Deutschland) D.

Kayser

Abstract The basic intent of the German Chemicals Act is to protect man and the environment from harmful effects of dangerous substances by subjecting chemicals to testing and notification prior to being placed on the market. Notification of a chemical means turning over extensive, clearly defined information about the new substance to the competent authorities. Such information contains the main data of the substance, and consists of a long list of results from laboratory studies. For the laboratory studies it was opted for a consecutive testing scheme in conjunction with sequential notifications of new chemicals. The so called „Base Set" of information has been designed for the first notification of such new substances. Further studies have to be performed at a later stage, according to a welldefined and regulated „Step System" which depends on the quantities of the substances placed on the market. All experimental studies shall be conducted according to internationally recognized methods. Descriptions of standardized methods were published by the OECD and in an EEC Directive. When the notification dossier of a chemical is submitted to the competent authority the evaluation of health hazard has to be performed. There are three main aspects of evaluation: The validity of the test documents and the results obtained, the classification of the dangerous chemical following the results of the tests performed in the Base Set as well as in step I and II, and the chemicals comprehensive evaluation of health hazard taking into account all data and test results available. Resulting legal provisions and measures are then enacted as statutory ordinances. The so called „Step System" has often been critizized from the scientific point of view. Although the Chemicals Act offers some possibilities to use the testing scheme in a more flexible manner the present situation is still unsatisfactory.

42

D. Kayser

Das deutsche Chemikaliengesetz, das sich seit Anfang 1982 in Kraft befindet, dient dem Zweck, „den Menschen und die Umwelt vor schädlichen Einwirkungen gefährlicher Stoffe zu schützen". Sobald ein Stoff als gefährlich erkannt ist, soll er entsprechend eingestuft, gekennzeichnet und verpackt werden. Bei ernsteren Gefahren können Verbote und Verwendungsbeschränkungen ausgesprochen werden. Ebenfalls sind arbeitsschutzrechtliche und giftrechtliche Regelungen im Gesetz enthalten. Grundsätzlich ist jeder Stoff, der neu in den Verkehr gebracht wird, einem Anmeldeverfahren zu unterziehen, wenn er eine Menge von mehr als einer Tonne pro Jahr übersteigt. Neben einer Vielzahl von Angaben zu dem Stoff sind vor allem Nachweise für durchgeführte Prüfungen und deren Ergebnisse den Behörden einzureichen. Der Umfang der Daten und Prüfnachweise, die mit jeder Anmeldung vorgelegt werden müssen, ist in Tabelle 1 zusammengestellt. Er entspricht der sogenannten Grundstufe eines Stufenplanes. Die Ergebnisse der Prüfungen der Grundstufe sollen bereits eine erste Bewertung der möglichen Gefährlichkeit des angemeldeten Stoffes erlauben. Darüber hinaus werden zusätzliche Prüfungen bei der Erreichung bestimmter Mengenschwellen für den in Verkehr gebrachten Stoff gefordert, die in zwei weiteren Prüfungsstufen aufgeführt sind. Jede der beiden Prüfungsstufen soll im Zusammenhang mit den schon vorliegenden Prüfungsergebnissen aus früheren Stufen eine in sich abgeschlossene Bewertung der Gesundheitsgefährlichkeit des untersuchten Stoffes möglich machen.

Tabelle 1

Inhalt einer Anmeldung nach dem Chemikaliengesetz

Daten — — — — — —

Identitätsmerkmale Hinweise zur Verwendung schädliche Wirkungen bei der Verwendung Menge des Stoffes, die jährlich in den Verkehr gebracht wird Verfahren zur sachgerechten Beseitigung Empfehlung über Vorsichtsmaßnahmen beim Verwenden und Sofortmaßnahmen bei Unfällen für gefahrliche Stoffe

Prüf nach weise — — — — — —

physikalisch-chemische Eigenschaften akute Toxizität Anhaltspunkte für eine krebserzeugende oder erbgutverändernde Eigenschaft reizende, ätzende oder Überempfindlichkeit auslösende Eigenschaften subakute Toxizität Anhaltspunkte für umweltgefährdende Eigenschaften

Das Chemikaliengesetz (BRD)

43

Die nach dem Stufenplan in den einzelnen Prüfungsstufen durchzuführenden toxikologischen Untersuchungen sind in Tabelle 2 aufgeführt. Nähere Angaben zur Durchführung der Prüfungen sind in den Tabellen 3 bis 5 enthalten. Tabelle 2

Stufenplan der nach dem Chemikaliengesetz durchzuführenden Prüfungen

Stufe

Prüfung auf

Grundstufe

— — — —

akute Toxizität reizende, ätzende Eigenschaften Überempfindlichkeitsreaktionen auslösende Eigenschaften Anhaltspunkte für eine krebserzeugende oder erbgutverändernde Eigenschaft — subakute Toxizität

Stufe I

— — — —

subchronische Toxizität Beeinträchtigung der Fruchtbarkeit krebserzeugende und erbgutverändernde Eigenschaften fruchtschädigende Eigenschaften

Stufe II

— — — — — —

biotransformatorischc und toxikokinetische Eigenschaften chronische Toxizität krebserzeugende Eigenschaften akute und subakute Toxizität an zwei weiteren Tierarten verhaltensstörende Eigenschaften fruchtbarkeitsverändernde Eigenschaften

Tabelle 3

Prüfungsanforderungen nach § 7 Abs. 1 ChemG (Grundstufe)

1. * * *

Prüfung auf akute Toxizität (eine Nagetierart) — oraler Verabreichungsweg (obligatorisch, außer bei Gasen) — dermaler Verabreichungsweg (alternativ zu inhalativ) — inhalativer Verabreichungsweg (alternativ zu dermal, bei Gasen obligatorisch)

2. * * *

Prüfung auf reizende, ätzende oder Überempfindlichkeitsreaktionen auslösende Eigenschaften — Hautreizung — Augenreizung — Hautsensibilisierung

3. Prüfung auf Anhaltspunkte für krebserzeugende oder erbgutverändernde Eigenschaften * — bakterieller Test mit und ohne Stoffwechselaktivierung * — nichtbakterieller Test 4. Prüfung auf subakute Toxizität (eine Nagetierart) * — ein Verabreichungsweg (oral, dermal, inhalativ) * Standardmethodenbeschreibungen liegen vor

44 Tabelle 4

D. Kayser Prüfungsanforderungen nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 ChemG (Stufe I)

1. Prüfung auf subchronische Toxizität (eine Tierart) * — ein Verabreichungsweg (oral, dermal, inhalativ) 2. Prüfung auf Beeinträchtigung der Fruchtbarkeit * — eine Generation Studie oder * — zwei Generationen Studie, wenn in einer Generation nicht eindeutig 3. Prüfung auf krebserzeugende Eigenschaften — unter bestimmten Voraussetzungen längerfristige Untersuchungen 4. Prüfung auf erbgutverändernde Eigenschaften — unter bestimmten Voraussetzungen zusätzliche Prüfungen 5. Prüfung auf furchtschädigende Eigenschaften (eine Tierart) * — orale Verabreichung, eventuell inhalativ * Standardmethodenbeschreibungen liegen vor

Tabelle 5

Prüfungsanforderungen nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 ChemG (Stufe II)

1. Prüfung auf biotransformatorische und toxikokinetische Eigenschaften * — Umfang muß im Dialog abgeklärt werden 2. Prüfung auf chronische Toxizität * — Umfang muß im Dialog abgeklärt werden 3. Prüfung auf krebserzeugende Eigenschaften im Langzeittierversuch * — Verabreichungsweg, Tierart muß abgeklärt werden 4. Prüfung auf akute und subakute Toxizität an zwei weiteren Tierarten * — abhängig von Ergebnissen früherer Prüfungen 5. Prüfungen auf verhaltensstörende Eigenschaften — Verabreichungsweg, Tierart, Dosen offen 6. Prüfungen auf fruchtbarkeitsveränderndc Eigenschaften — Fortpflanzung über drei Generationen, abhängig von Ergebnissen früherer Prüfungen * Standardmethodenbeschreibungen liegen vor

Da es sich bei dem Chemikaliengesetz nicht um ein Zulassungsgesetz handelt, sondern um ein Meldegesetz mit staatlichen Eingriffsmöglichkeiten, kommt der exakten Festlegung von Art und Umfang der auszuführenden Prüfungen eine große Bedeutung zu. Nicht zuletzt aus diesem Grunde sind in den vergangenen zehn Jahren Standardmethodenbeschreibungen für viele Prüfungen aufgestellt und veröffentlicht worden. Besondere Wichtigkeit kommt den

Das Chemikaliengesetz (BRD)

45

von der OECD veröffentlichten Testguidelines zu, die inzwischen weltweite Verbreitung gefunden haben (siehe Tab. 6). Die von der europäischen Gemeinschaft in der Richtlinie 79/831/EWG festgelegten Methodenbeschreibungen sind aus den Prüfrichtlinien der OECD abgeleitet. Sie sind für die Durchführung der Prüfungen im Chemikaliengesetz verbindlich. In den Tabellen 3 bis 5 sind diejenigen Prüfungen mit einem Stern markiert, für die Standardmethodenbeschreibungen vorliegen. Nach Einreichung der Anmeldeunterlagen erfolgt die Bewertung der Gesundheitsgefährlichkeit des angemeldeten Stoffes durch das Bundesgesundheitsamt. Für diese Bewertung steht zunächst die Beurteilung der eingereichten Prüfnachweise auf Zuverlässigkeit, Richtigkeit und Vollständigkeit im Vordergrund. Danach erfolgt eine Einstufung nach einzelnen Gefahrlichkeitsmerkmalen, soweit dieses aus den Ergebnissen der Prüfungen erforderlich ist. Schließlich wird in einer umfassenden Betrachtung aller vorliegenden Daten und Befunde die Gesundheitsgefährlichkeit des Stoffes bewertet und festgelegt, ob Maßnahmen im Sinne von Verboten und Beschränkungen, ζ. B. der Verwendung oder des Inverkehrbringens, ausgesprochen werden müssen. In der Tabelle 7 sind die Elemente der Bewertung der Gesundheitsgefährlichkeit von Chemikalien zusammengestellt und die sich daraus möglicherweise ergebenden gesetzlichen Konsequenzen aufgeführt. Sie reichen von Forderungen zur Wiederholung einzelner Prüfungen bis zum vollständigen Verbot der Herstellung und des Inverkehrbringens eines Stoffes. Gegen eine fest vorgeschriebene und nach der Höhe der Vermarktungsmenge ausgerichtete abgestufte Prüfstrategie (Stufenplan) sind eine Reihe von Kritikpunkten aus naturwissenschaftlicher Sicht vorgebracht worden. Diese sind in Tabelle 8 zusammengefaßt. Diese Prüfstrategie resultiert im wesentlichen aus dem Versuch des Gesetzgebers, bei Vermeidung von unzumutbaren Belastungen der Innovationsfähigkeit der Chemischen Industrie zu einer akzeptablen Aussage über die Gefährlichkeit neu in den Verkehr gebrachter Stoffe zu einem möglichst frühen Zeitpunkt zu kommen. Daneben mußte der klare Wunsch nach Rechtssicherheit und Gleichbehandlung aller Betroffenen gegen die notwendige Flexibilität eines Prüfschemas für chemische Stoffe abgewogen werden, die sich aus der großen Vielfalt unterschiedlicher Eigenschaftsmerkmale solcher Stoffe ergibt. Der Gesetzgeber hat sich daher bemüht, Regelungen zu schaffen, die den starren Ablauf des Stufenplanes in begründeten Fällen zu umgehen erlauben. Wichtigste Elemente solcher Regelungen sind die Möglichkeiten zur Weglassung von im Stufenplan geforderten Prüfnachweisen (§ 7 Abs. 2) und die Möglichkeiten, die Durchführung von Prüfungen bereits vor Erreichung der vorgeschriebenen Mengenschwellen zu fordern (§ 9 Abs. 2 und §11 Abs. 1). Die jeweiligen Gründe für die Weglassung oder

46

D. Kayser

Tabelle 6

Veröffentlichte Test-Guidelines der O E C D für toxikologische Prüfungen

Short Term Toxicology 401 402 403 404 405 406 407 408 409 410 411 412 413 414 415 416 417 418 419

Acute Oral Toxicity* Acute Dermal Toxicity* Acute Inhalation Toxicity* Acute Dermal Irritation/Corrosion Acute Eye Irritation/Corrosion Skin Sensitisation Repeated Dose Oral Toxicity - Rodent: 14/28-day Subchronic Oral Toxicity — Rodent: 90-day Subchronic Oral Toxicity — Non-rodent: 90-day Repeated Dose Dermal Toxicity — 21/28-day Subchronic Dermal Toxicity — 90-day Repeated Dose Inhalation Toxicity - 14/28-day Subchronic Inhalation Toxicity — 90-day Teratogenicity One-Generation Reproduction Toxicity Two-Generation Reproduction Toxicity Toxicokinetics Acute Delayed Neurotoxicity of Organophosphorus Substances Subchronic Delayed Neurotoxicity of Organophosphorus Substances: 90-day

Long Term Toxicology 451 452 453

Carcinogenicity Studies Chronic Toxicity Studies Combined Chronic Toxicity/Carcinogenicity Studies

Genetic Toxicology 471 472 473 474 475 476 477 478 479 480 481 482 483 484 485

Salmonella typhimurium, Reverse Mutation Assay Escherichia coli, Reverse Mutation Assay In vitro Mammalian Cytogenetic Test Micronucleus Test In vivo Mammalian Bone Marrow Cytogenetic Test — Chromosomal Analysis In vitro Mammalian Cell Gene Mutation Tests Sex-Linked Recessive Lethal Test in Drosophila melanogaster Rodent Dominant Lethal Test In vitro Sister Chromatid Exchange Assay in Mammalian Cells Saccharomyces cerevisiae, Gene Mutation Assay Saccharomyces cerevisiae, Mitotic Recombination Assay D N A Damage and Repair, Unscheduled D N A Synthesis in Mammalian Cells in vitro Mammalian Germ Cell Cytogenetic Assay Mouse Spot Test Mouse Heritable Translocation Assay

* Standardmethodenbeschreibungen liegen vor

Das Chemikaliengesetz (BRD) Tabelle 7

47

Elemente der Bewertung der Gesundheitsgefährlichkeit nach dem ChemG

1. Bewertung der Prüfnachweise im Hinblick auf — die Zuverlässigkeit der Prüfungsergebnisse — die Richtigkeit der Auswahl bei alternativen Prüfungen — die Vollständigkeit der Prüfnachweise Mögliche Konsequenzen: Zurückweisungen und Nachforderungen von Prüfungen gemäß §§ 8, 9 und 11 ChemG 2. Einstufung des Stoffes nach Gefahrlichkeitsmerkmalen — — — — — — — —

sehr giftig giftig mindergiftig ätzend reizend krebserzeugend fruchtschädigend erbgutverändernd

Mögliche Konsequenzen: Kennzeichnungs- und Verpackungspflicht, Verbote und Beschränkungen gemäß §§13, 14 und 17 ChemG 3. Umfassende Bewertung der Gesundheitsgefahrlichkeit des Stoffes Mögliche Konsequenzen: Verbote und Beschränkungen gemäß § 17 ChemG

Tabelle 8

Kritikpunkte am Stufenplan der toxikologischen Prüfungen im Chemikaliengesetz

1. Die abschließende Beurteilung der Gefährlichkeit eines Stoffes ist erst nach Durchlaufen des ganzen Stufenplanes möglich: — Die meisten Stoffe erreichen Stufe II nicht. — Erst lange nach der ersten Vermarktung sind alle Prüfungen abgeschlossen. 2. Die Reihenfolge der durchzuführenden Prüfungen und ihre Aufteilung auf die einzelnen Stufen folgt eher wirtschaftlichen Gesichtspunkten als naturwissenschaftlichen: — Zu spät gefordert werden Prüfungen auf fruchtschädigende und krebserzeugende Eigenschaften. — Besser in den Stufenplan integriert werden müßten Prüfungen auf biotransformatorische und toxikokinetische Eigenschaften sowie auf verhaltensstörende Eigenschaften. 3. Die Prüfungen des Stufenplans sind in Umfang und Reihenfolge für einen „Normalstoff" festgelegt. Eine individuelle Behandlung der zu prüfenden Stoffe ist nicht möglich: — Möglicherweise überflüssige Prüfungen werden gefordert. — Für die toxikologische Beurteilung wichtige Prüfungen können noch nicht gefordert werden.

48

D. Kayser

Tabelle 9

Gesetzliche Möglichkeiten der flexiblen Gestaltung des Stufenplans

1. § 7 Abs. 2: Einer Vorlage von Prüfnachweisen bedarf es nicht, soweit eine Prüfung des anzumeldenden Stoffes technisch nicht möglich oder nach dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht erforderlich ist. 2. § 9 Abs. 2: Auf Verlangen der Anmeldestelle hat der Anmeldepflichtige innerhalb einer von ihm gesetzten Frist die in Abs. 1 Nr. 1 genannten Nachweise auch dann vorzulegen, wenn — 10 Tonnen jährlich oder 50 Tonnen insgesamt als in den Verkehr gebrachte Menge erreicht ist, — es unter Berücksichtigung der bisherigen Kenntnisse über den Stoff erforderlich ist. Anwendbar nur auf die Stufe I. 3. § 11 Abs. 1: Die Anmeldestelle kann vom Hersteller oder Einführer Prüfnachweise nach § 9 Abs. 1 bereits vor Erreichen der dort genannten Mengen verlangen, soweit sich aus tatsächlichen Anhaltspunkten eine erhebliche Wahrscheinlichkeit dafür ergibt, daß von dem Stoff eine Gefahr für Leben oder Gesundheit des Menschen ausgeht; die Prüfnachweise sind auf die jeweiligen Verdachtsmomente zu beschränken. Anwendbar auf die Stufen I und II.

vorzeitige Forderung müssen ausführlich dargelegt werden. In Tabelle 9 sind die gesetzlichen Möglichkeiten der flexiblen Gestaltung des Stufenplans zusammengestellt. Die Anwendung des § 7 Abs. 2 soll verhindern, daß Prüfungen, deren Durchführung technisch nicht möglich ist oder deren Ergebnisse nach dem Stand der Wissenschaft keine Relevanz für die Abschätzung des Gesundheitsrisikos besitzen, von den Behörden gefordert werden. Voraussetzungen für die Anwendung dieser Regelung sind klare, nachvollziehbare Argumentationen unter Einbeziehung aller bisher vorliegenden Daten und Prüfergebnisse. Es ist eine Vielzahl von möglichen Fällen für die begründete Weglassung von Prüfungen denkbar. Der Gesetzgeber läßt hier jedoch den Behörden einen breiten fachlichen Spielraum. Dieses führt notgedrungen zu Unsicherheiten, welche Vorgehensweise des Anmelders von den Behörden gebilligt wird; eine besonders in der Grundstufe wichtige Frage, da dort durch die Zurückweisung der Anmeldung Verzögerungen in der Vermarktung des Stoffes bedingt sind. Für die Stufen I und II des Stufenplans ist es von besonderem Interesse, ob von den Behörden bereits vor Erreichung der für diese Stufen vorgesehenen Mengenschwellen zusätzliche Prüfungen entsprechend § 9 Abs. 2 oder § 11 Abs. 1 gefordert werden. Dies wird immer dann der Fall sein, wenn die bereits vorliegenden Befunde aus toxikologischen Prüfungen auf ein Gesundheitsrisiko hinweisen, das jedoch noch der Abklärung bedarf und doch so gravierend ist, daß nicht bis zur Erreichung der nächsten Mengenschwelle gewartet

Das Chemikaliengesetz (BRD)

49

werden kann. Solche Fälle sind durchaus denkbar, unterliegen aber einschränkenden Bedingungen, die beachtet werden müssen. Im übrigen gelten hier auch die Ausführungen zur Anwendung von § 7 Abs. 2 entsprechend. Das Chemikaliengesetz stellt — wie die meisten Gesetze — einen Kompromiß aus vielen unterschiedlichen Interessen, Notwendigkeiten und Gegebenheiten dar. Da bisher nur sehr wenige Stoffe in höheren Stufen als der Grundstufe geprüft worden sind, bleibt die Beurteilung und Kritik der Prüfstrategie des Stufenplans theoretisch. Sie führt jedoch zu intensiven Überlegungen und Bemühungen zur Verbesserung dieser Prüfstrategien, die ihren Niederschlag in der anstehenden Novelle des Gesetzes finden werden.

Stoffprüfungen nach dem Österreichischen Chemikaliengesetz W. Schober

• Am 1. Februar 1989 tritt das Österreichische Chemikaliengesetz (ChemG) in Kraft. Aus wirtschaftspolitischen, aber auch aus gesundheits- und umweltpolitischen Gründen orientiert sich das Gesetz an der Richtlinie des Rates vom 18. 9. 1979 zur sechsten Änderung der Richtlinie 67/548/EWG zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Einstufung, Verpackung und Kennzeichnung gefährlicher Stoffe (79/831/EWG), der Richtlinie des Rates vom 7. 6. 1988 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedsstaaten für die Einstufung, Verpakkung und Kennzeichnung gefährlicher Zubereitungen (88/379/EWG), und am Chemikaliengesetz der Bundesrepublik Deutschland vom 16. 9. 1980. In vielen wichtigen Punkten kann daher Übereinstimmung zwischen dem österreichischen Gesetz und dem Chemikaliengesetz der Bundesrepublik Deutschland festgestellt werden, wenngleich auch nicht unerhebliche Unterschiede bestehen, die aus der notwendigen Anpassung an die österreichische Verfassungsordnung und Behördenorganisation, der Berücksichtigung sachlich verwandter Vorschriften und aus dem Versuch resultieren, erste Erfahrungen der Bundesrepublik Deutschland zu berücksichtigen. • Nach der programmatischen Bestimmung des § 1 Abs. 1 ist Ziel des ChemG der Schutz des Lebens und der Gesundheit von Menschen und der Umwelt vor schädlichen Einwirkungen durch Chemikalien. Zur Erreichung dieses Ziels werden insbesondere Herstellern und Importeuren von Stoffen, Zubereitungen und — in geringerem Umfang auch — Fertigwaren Pflichten auferlegt. Im Mittelpunkt steht die Pflicht, Stoffe und Zubereitungen nach ihren gefährlichen Eigenschaften einzustufen, weil davon die weitere Behandlung (Verpackung, Kennzeichnung, Inverkehrsetzen etc.) abhängt. Grundlage der Einstufung sind Prüfungen der Stoffe auf ihre Gefährlichkeit. • Das Gesetz nimmt bestimmte Stoffe, Zubereitungen und Produkte von seinem Anwendungsbereich ganz (ζ. B. Arzneimittel, Düngemittel) oder teilweise (ζ. B. Pflanzenschutzmittel) aus.

W. Schober Anforderungen an die Prüfung solcher Chemikalien sind — mehr oder weniger detailliert — in Spezialgesetzen, wie ζ. B. dem Arzneimittelgesetz, enthalten. Wie die 6. EG-Änderungsrichtlinie und das Chemikaliengesetz der Bundesrepublik Deutschland sieht auch das österreichische ChemG eine Anmeldepflicht für neue Stoffe, die in einer Menge von mehr als einer Tonne pro Jahr in Verkehr gesetzt werden, vor. Bei der Anmeldung ist ein Grunddatensatz vorzulegen, der ein Abschätzen potentieller Gefahren für Mensch und Umwelt ermöglichen soll und dem von der O E C D 1982 festgelegten Minimum Pre-Marketing Set of Data in the Assessment of Chemicals entspricht. Im Sinne einer stufenplanartigen Steigerung der Prüfanforderungen kann die Anmeldebehörde bei Überschreiten einer Vermarktungsmenge von zehn Tonnen pro Jahr (Stufe 1) und von 100 Tonnen pro Jahr (Stufe 2) die Vorlage zusätzlicher Prüfnachweise verlangen. Gegenüber der bundesdeutschen Regelung sind die Mengenschwellen der Stufen 1 und 2 auf 1/10 herabgesetzt. Zusätzliche Prüfungen können nicht nur bei Überschreiten der Mengenschwellen (Stufe 1 und 2) verlangt werden, sondern „jederzeit" bei Vorliegen bestimmter Hinweise und Verdachtsmomente. Hersteller oder Importeure können weiterhin zur Vorlage zusätzlicher Prüfnachweise verpflichtet werden, wenn die Summe der von mehreren Herstellern oder Importeuren jährlich in Verkehr gesetzten Menge eines Stoffes 150 v. H. der Jahresmengen der Grundstufe, der Stufe 1 oder der Stufe 2 überschreitet („Summenklausel"). Durch Verordnung (VO) des BMUJF können Altstoffe bzw. Altstoffgruppen bei Vorliegen gewisser Verdachtsmomente der Anmeldepflicht unterworfen werden. Dabei bestehen grundsätzlich die gleichen Pflichten wie für neue Stoffe, allerdings kann die Vorlage der Prüfnachweise auf die in Verdacht stehenden gefährlichen Eigenschaften eingeschränkt werden. Der Umfang der Prüfungen der Grundstufe und der zusätzlichen Prüfnachweise soll mit einer Verordnung festgelegt werden, die derzeit im B M U J F vorbereitet wird und sich weitgehend an der Anmelde- und Prüfnachweise-Verordnung der Bundesrepublik Deutschland anlehnt. Die Prüfungen sind nach international anerkannten Prüfrichtlinien durchzuführen, wobei grundsätzlich die O E C D Guidelines for Testing of Chemicals heranzuziehen und die Wahl einer von diesen Prüfrichtlinien abweichenden Methode zu begründen ist.

Stoffprüfungen nach dem Österreichischen Chemikaliengesetz

53

Die Grundprüfungen und zusätzlichen Prüfnachweise müssen von „Prüfstellen" stammen, an deren Leitung (Prüfstellenleiter), Personal und Einrichtungen das ChemG bestimmte Anforderungen stellt. Durch Verordnung soll die Einhaltung der OECD-Grundsätze der Guten Laborpraxis (GLP) für die nach dem ChemG notwendigen Stoffprüfungen verbindlich erklärt werden. Für die Anmeldebehörde gelten im Ausland durchgeführte Prüfungen bzw. Prüfnachweise dann als gleichwertig und sind damit „anzuerkennen", wenn sie von „Prüfstellen" stammen, bei denen ein dem ChemG entsprechender Standard, insbesondere die Beachtung der Guten Laborpraxis und der OECD-Prüfrichtlinien, gewährleistet ist. Das ChemG ermächtigt daher auch zum Abschluß bilateraler Übereinkommen über die Kontrolle von Prüfstellen gegenseitige Anerkennung dieser Kontrollen und den Austausch von Informationen.

Pflanzenschutzmittel (Bundesrepublik Deutschland) W. Lingk

In der Bundesrepublik Deutschland wurden in den letzten Jahren insgesamt ca. 30.000 Tonnen Wirkstoffe jährlich in Pflanzenschutzmitteln angewendet. Im Durchschnitt werden auf ca. 90% des Ackerlandes chemische Pflanzenschutzmittel eingesetzt, wobei die durchschnittliche Aufwandmenge bei 4,8 kg bzw. 1 Wirkstoff je ha liegt. Das sind ohne Zweifel imponierende Zahlen, die oft Anlaß zu kontroversen und furchtbesetzten Diskussionen bieten. Doch wie sehen die gesetzlichen Zielvorstellungen und die wissenschaftlichen Instrumentarien der Toxikologie aus, und erfüllen beide ihren Zweck einer umfassenden Gefahrenabwehr für die Gesundheit? Pflanzenschutzmittel dürfen in der Bundesrepublik Deutschland nur in den Verkehr gebracht werden, wenn sie nach dem Pflanzenschutzgesetz zugelassen sind. Die wichtigste Bestimmung des Gesetzes besagt, daß eine Zulassung nur erteilt werden darf, wenn unter anderem „das Pflanzenschutzmittel bei bestimmungsgemäßer und sachgerechter Anwendung oder als Folge einer solchen Anwendung 1. keine schädlichen Auswirkungen auf die Gesundheit von Mensch und Tier und auf das Grundwasser hat und 2. keine sonstigen Auswirkungen insbesondere auf den Naturhaushalt hat, die nach dem Stande der wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht vertretbar sind." Das bedeutet für die Prüfung und Zulassung von Pflanzenschutzmitteln, daß die möglichen schädlichen Auswirkungen festgestellt und beurteilt werden müssen. Neben den toxikologischen Untersuchungen, die der Beschreibung des toxischen Wirkprofils eines Stoffes oder Mittels dienen, sind unter anderem im Zulassungsverfahren auch das Rückstandsverhalten von Wirkstoffen bzw. deren Abbauprodukten in Lebensmitteln zu erfassen; das heißt, der mögliche Übergang von Stoffen in Lebensmittel ist zu prüfen und damit ebenfalls eine materielle Voraussetzung für die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln.

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W. Lingk

Es gilt also die Gesundheit des Menschen vor schädlichen Einwirkungen gefährlicher Pflanzenschutzmittel zu schützen. Der primär präventive Ansatz bedeutet einen Anspruch, dessen Voraussetzungen heftig umstritten sind. Voraussetzungen sind, • daß eine Abschätzung der Gesundheitsrisiken von Stoffen möglich und • der Nutzenaspekt von Pflanzenschutzmitteln klar umrissen ist. Verwirklichung des Anspruchs bedeutet eine Abwägung der gesundheitlichen Risiken gegenüber dem Nutzen von Pflanzenschutzmitteln auf behördlicher Seite. Der Gesetzgeber verlangt eine Sicherheitsentscheidung, die ein vertretbares M a ß an Risiken impliziert, ohne dieses Maß selbst näher zu präzisieren. Wissenschaftliche Grundlage der staatlichen Sicherheitsentscheidung — hier für Pflanzenschutzmittel — sind weitgehend die Ergebnisse aus toxikologischen Untersuchungen. Die Toxikologie ist hierbei zu definieren als die Wissenschaft, die versucht, auf der Basis von Ergebnissen aus Modelluntersuchungen — weitgehend Tierexperimente — gesundheitliche Risiken für den Menschen zu erkennen und zu bewerten, damit mögliche gesundheitliche Schäden für den Menschen verhindert werden. Zur Erreichung dieses Ziels wurde ein umfangreicher toxikologischer Anforderungskatalog formuliert und im Zulassungsverfahren durchgesetzt. In Untersuchungen mit Versuchstieren — und zunehmend auch in alternativen Testansätzen — werden für Pflanzenschutzmittel die akuten und langfristigen Wirkungen ermittelt; ebenso werden Prüfungen vorgenommen auf krebserzeugende, erb- und fruchtschädigende Stoffeigenschaften. Das Verhalten von Wirkstoffen im Organismus, d. h., die Untersuchungen des Stoffwechselverhaltens, die Ausscheidung und mögliche Anreicherung im Organismus werden in umfangreichen Versuchen aufgeklärt. Pflanzenschutzmittel sind somit umfassend zu prüfen, bevor sie auf den Markt gebracht werden dürfen. Die einzelnen Untersuchungen sind in den „Richtlinien für die amtliche Prüfung von Pflanzenschutzmitteln" aufgeführt [1]. Ziel der geforderten Untersuchungen im Zulassungsverfahren soll es sein, den Wirkstoff bzw. das Mittel toxikologisch so zu charakterisieren, daß eine gesundheitliche Beurteilung für die Zulassung als Pflanzenschutzmittel möglich wird. In bestimmten Fällen kann es auch erforderlich sein, für wesentliche Abbau- und Reaktionsprodukte des Wirkstoffes, die in oder auf Pflanzen oder Pflanzenerzeugnissen auftreten, oder für Verunreinigungen des technischen Wirkstoffes gesondert, toxikologische Untersuchungen vorzunehmen. Werden aus fachlicher Sicht zu den einzelnen Punkten des Anforderungskataloges Untersuchungen nicht für erforderlich gehalten, so ist dies aus wissenschaftlicher Sicht zu begründen. Geht aus den vorliegenden Versuchsergebnissen hervor, daß weiterführende

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Untersuchungen zu einer differenzierten Abklärung erforderlich werden, so sollten diese in einem frühzeitigen Stadium durchgeführt werden. Fünf Schwerpunkte sollen hier hervorgehoben werden:

Untersuchungen auf reizende und ätzende Wirkung Nach dem deutschen Pflanzenschutzgesetz sind beide Stoffeigenschaften in einem Versuchsansatz zu prüfen, weil sie sich nur nach der Stärke der Gewebereaktion auf den äußeren Reiz voneinander unterscheiden und Übergänge fließend sind. Die Kontaktdauer mit der unverletzten Haut wird auf 4 Stunden festgelegt. Im Augentest verbleibt die Prüfsubstanz ohne nachfolgende Spülung unter den Lidern. Zur Verhinderung unnötiger Tierversuche wird davon ausgegangen, daß eine Substanz, die die Haut stark reizt oder verätzt, auch am Auge schwere Schäden verursacht. Ebenso ist auf die Prüfung zu verzichten, wenn eine konzentrierte wäßrige Lösung der Prüfsubstanz einen pH-Wert kleiner als 2 oder größer als 11,5 aufweist. Die entsprechenden Kennzeichnungen und damit verbundenen Warnhinweise werden in solchen Fällen ohne experimentelle Bestätigungen festzulegen sein. Die geschilderte Vorgehensweise gilt generell bei Wirkstoffen. Eine Überprüfung der Hautreizwirkung bei Handelspräparaten ist dann sinnvoll, wenn die enthaltenen Einzelbestandteile der Zubereitung an sich erheblich reizend wirken. Es ist dann zu klären, wie stark sich diese Wirkung in der Formulierung reduziert und ob die Gefahrenhinweise für die Wirkstoffe entsprechend abgeschwächt werden können. Dagegen spielen für die Augenreizwirkung viele Beistoffe von Zubereitungen, ζ. B. Löse- und Netzmittel, eine wesentliche Rolle, so daß bisher keine Voraussage über die Augenverträglichkeit anhand der Zusammensetzung des Präparats möglich ist. Besonders mit den hier kurz vorgestellten Untersuchungen sind heftige Debatten um den Tierschutz verbunden. Es ist deswegen vordringlich, die Bemühungen zur Einschränkung von Tierversuchen zu verstärken, wo immer dies mit der Sicherstellung der gesundheitlichen Unbedenklichkeit vereinbar ist. Die in Frage kommenden Alternativmethoden werden gegenwärtig auf ihre toxikologische Aussagekraft und Anwendbarkeit zur Beurteilung reizender und ätzender Stoffeigenschaften geprüft. Bei Eignung sollten dann solche Methoden im Zulassungsverfahren ausdrücklich festgeschrieben werden.

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Untersuchungen zur Toxikokinetik Um Informationen über die Resorption, Verteilung, Metabolisierung und Ausscheidung des Wirkstoffes und/oder seiner Metaboliten zu erhalten, sind in einem möglichst frühen Stadium der toxikologischen Prüfung entsprechende Untersuchungen an Labortieren — gegebenenfalls mit radioaktivmarkiertem Wirkstoff — durchzuführen. Der Einsatz neuer Erkenntnisse auf dem Gebiet stoffwechselbezogener Untersuchungen, wie ζ. B. die Bildung reaktiver Metabolite, Bildung von festen Bindungsformen mit essentiellen Eiweißen, D N A und R N A läßt erwarten, daß diese Erkenntnisse in Verbindung mit Ergebnissen aus konventionell angelegten Tierversuchen die gesundheitliche Risikoabschätzung verbessern und das prädiktive Moment von Versuchstierergebnissen auf den Menschen präzisieren können. In der Bundesrepublik Deutschland werden wir in der Zukunft vermehrt toxikokinetische Untersuchungen an mehreren Tierspezies fordern, wenn dies fachlich notwendig erscheint. Eine fachliche Notwendigkeit ist dann ζ. B. gegeben, wenn es gilt, positive Kanzerogenitätsuntersuchungen auf mögliche speziesspezifische Stoffwechselwege zu prüfen oder Wirkmechanismen der Kanzerogenese im Sinne initiierender oder promovierender Stoffeigenschaften besser als bisher zu erklären.

Untersuchungen zur Reproduktionstoxizität Untersuchungen zur Teratogenität sind an zwei Spezies (Ratten und Kaninchen) bei oraler Verabreichung durchzuführen. Zeigen sich Hinweise auf teratogene Effekte, müssen zur Beurteilung der Risiken für den Anwender (Schutz von Frauen im gebärfähigen Alter) auch Untersuchungen nach dermaler Verabreichung erfolgen. Diese Anforderung wird für notwendig erachtet, weil die dermale Exposition während der Anwendung von Pflanzenschutzmitteln ca. 90% der Gesamtexposition beträgt.

Präparatspezifische U ntersuchungen Für die präparatspezifische Einstufung und Kennzeichnung eines Pflanzenschutzmittels nach der Gefahrstoffverordnung des Chemikaliengesetzes sind unter anderem Unterlagen zur akuten Toxizität und primären Reizwirkung erforderlich. In der Regel werden Formulierungen, so wie sie in den Verkehr gebracht werden sollen, auf ihre akuten systemischen und lokalen Wirkungen

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hin toxikologisch geprüft. Wo es nach dem heutigen Stand der Wissenschaft vertretbar ist, toxikologische Prüfungen durch Berechnungsmodelle und Analogieschlüsse zu ersetzen, können diese Verfahren übernommen werden. Hierbei sind alle in der Formulierung enthaltenen Bestandteile zu berücksichtigen.

Angaben über Auswirkungen auf den Menschen Ein vermehrtes Gewicht wird in Zukunft im Zulassungsverfahren die Erfassung möglicher Wirkungen von Pflanzenschutzmitteln auf den Menschen selbst haben. Diese Angaben sind erforderlich, um die hygienisch-toxikologische Bewertung, die sich in der Regel auf Tierversuche stützen muß, in sinnvoller Weise durch Beobachtungen am Menschen zu ergänzen. Zwar werden bei neuen Wirkstoffen zum Zeitpunkt der erstmaligen Zulassung entsprechende Unterlagen — wenn überhaupt — nur in begrenztem Umfang vorliegen. Um so mehr wird erwartet, daß alle gesundheitsrelevanten Vorkommnisse und Beanstandungen eines Mittels hinsichtlich der Verträglichkeit den Zulassungsbehörden zur Kenntnis gegeben werden. Die nachträglich laufende Überwachung eines Mittels und die Unterrichtung über besondere Vorkommnisse ist daher von besonderer Bedeutung. Innerbetriebliche Erfahrungen mit einem Wirkstoff werden durch die laufende arbeitsmedizinische Betreuung gewonnen. Es interessieren hierbei Reaktionen jeglicher Art, angefangen von Reizwirkungen und Sensibilisierungserscheinungen bis hin zu systemischen Auswirkungen oder rein subjektiven Beschwerden. Dabei muß im Einzelfall der Zusammenhang mit der Pflanzenschutzmittel-Exposition nicht unbedingt als gesichert gelten. Diese Aussagen sind möglichst zu ergänzen durch die Beschreibung der Sicherheitsvorkehrungen, unter denen jeweils gearbeitet wird oder durch repräsentative Messung der Arbeitsplatzkonzentrationen.

Schlußbemerkung Pflanzenschutzmittel sind umfangreich toxikologisch zu untersuchen, bevor sie in den Verkehr gebracht werden dürfen. Die Untersuchungen sind nach dem Stand von Wissenschaft und Technik durchzuführen. Als Stand von Wissenschaft und Technik werden hierbei die toxikologischen Prüfrichtlinien, so wie sie von der O E C D publiziert wurden, angesehen.

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Es sollte an dieser Stelle nicht die Diskussion vertieft werden, wie sinnvoll oder sinnlos die Notwendigkeit von toxikologischen Prüfrichtlinien ist. Es ist unbestritten, daß durch die Festschreibung von Prüfrichtlinien ein Teil des verbleibenden gesundheitlichen Risikos bestimmt wird, weil durch Methode, Tierzahl, Zahl der Dosierung, Beobachtungszeit, Anzahl der zu messenden Parameter und anderes mehr das M a ß der Sicherheit bei der Abschätzung von Risiken mit definiert wird. Dennoch ergibt sich die Frage, ob die OECD-Prüfrichtlinien dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis entsprechen. Diese Frage ist schwer zu beantworten, weil sie nach dem Maß des Konsenses im Wissenschaftsbereich fragt. Prüfrichtlinien stellen eher einen politischen Kompromiß dar, zwischen dem Maß an Sicherheit der Abschätzung und dem wirtschaftlich vertretbaren Aufwand und nicht zuletzt auch den Forderungen des Tierschutzes. Die OECD-Prüfrichtlinien selbst deuten mit ihren Formulierungen auf eine Flexibilität hin, die den betroffenen experimentell tätigen Toxikologen die Möglichkeit bietet, den jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis in seine Untersuchungen zu integrieren. Es wird also darauf ankommen, diese Flexibilität zu nutzen, um dem Vorwurf zu begegnen, toxikologische Prüfrichtlinien seien die Kochrezepte für Toxikologen. Pflanzenschutzmittel müssen biozide Stoffe enthalten, um wirksam sein zu können. Damit gilt es, a priori, kritische Stoffe zu bewerten. Pflanzenschutzmittel wurden deshalb schon frühzeitig intensiv toxikologisch untersucht. Man kann heute sagen, daß Pflanzenschutzmittel zu der Gruppe von Chemikalien gehören, die am besten untersucht sind. Dennoch wird der chemische Pflanzenschutz und mögliche Rückstände an Pflanzenschutzmitteln in Lebensmitteln furchtbesetzt und konfliktbeladen diskutiert. Diese Konflikte können nicht von der Wissenschaft allein gelöst werden. Die Fortentwicklung von Prüfmethoden — bei Ersatz von Tierexperimenten — auch unter dem Aspekt neu zu definierender Bewertungsstrategien von Stoffen, kann ein Beitrag zu einer Konfliktlösung sein. Alternativmethoden müssen hierbei aber eine umfassende Risikoabschätzung für die Gesundheit des Verbrauchers erlauben, damit nicht ein weiterer Anstieg toxikologischer Routineuntersuchungen notwendig wird. Die Bemühungen für die Zukunft müssen also darauf ausgerichtet werden, den Anteil an routinetoxikologischen Untersuchungen zu vermindern. Der ungeheure Anstieg an toxikologischen Untersuchungen und Forschungsergebnissen, besonders in den letzten drei Jahrzehnten, erscheint eher Ausdruck der politischen und damit öffentlichen Interessenlage zu sein, als der Ausdruck wissenschaftlicher Neugierde. Mit anderen Worten: Es hat sich ein Problembewußtsein in der Gesellschaft entwickelt und in Gesetzen niederge-

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schlagen, das sich oft selbst einer kritischen Einschätzung entzieht. Die Risiken, die von Chemikalien ausgehen, werden oft nicht mehr rational mit anderen Risiken des Lebens verglichen. Hier finden wir mit eine Begründung für die Forderung, jede Chemikalie sei intensiv toxikologisch zu untersuchen, um das sogenannte „Restrisiko" so gering wie möglich zu halten. Die Ressourcen an toxikologischem Sachverstand und — nicht gering einzuschätzen — auch die ökonomischen Möglichkeiten, sind jedoch limitiert. Es gilt also einen Kompromiß zu finden und einen Optimierungsprozeß in Gang zu setzen, der es erlaubt, bei maximaler Ausnutzung der Ressourcen den Anteil an Gesundheitssicherung zu schaffen, der heute machbar erscheint.

Literatur [1] Richtlinien für die amtliche Prüfung von Pflanzenschutzmitteln Teil I (Antrag auf erstmalige/ erneute Zulassung eines Pflanzenschutzmittels). Hg. Biologische Bundesanstalt für Landund Forstwirtschaft. 1987.

Möglichkeiten der Beurteilung von Pflanzenschutzmitteln hinsichtlich der Ökotoxizität (Österreich) K. Russ

Abstract A new „austrian pesticide law" being in discussion now will require the necessity of a legal testing of „plant protecting products" with regard to their environmental harmfulness also in Austria. For this purpose it is necessary to lay down regulations for testing the „ecotoxicity" of those agrochemicals. It is discussed in which way such testing could be carried out under Austrian conditions.

Einleitung Pflanzenschutz ist in Österreich in zwei Sparten gegliedert, in den Bereich des forstlichen Pflanzenschutzes (Forstschutz) und in den Bereich des landwirtschaftlichen Pflanzenschutzes. Dabei ist festzustellen, daß es sich im allgemeinen bei nahezu aller Kritik des Pflanzenschutzes fast ausschließlich um den landwirtschaftlichen Pflanzenschutz handelt. Forstliche Schutzmaßnahmen werden zwar ebenso mit landwirtschaftlich genutzten Agrarchemikalien vorgenommen, doch treffen sie offenbar nicht auf so großes Interesse von Öffentlichkeit und insbesondere den Medien. Das sogenannte „Waldsterben" wird ja stets anderen Faktoren zugeschrieben als vergleichsweise die angeblichen Störungen landwirtschaftlich genützter Flächen. Für den Pflanzenschutz im landwirtschaftlichen Bereich steht jedenfalls — und dies nicht erst seit neuerer Zeit — fest, daß er nur in jenem Maße betrieben werden soll und kann, der einerseits dazu angetan ist, die Produktion landwirtschaftlicher Lebensmittel ohne Risiko und in ausreichender Menge und Qualität für den Menschen zu gewährleisten, und andererseits gleichzeitig

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auch die Produktionsvoraussetzungen, wie ζ. B. Bodenfruchtbartkeit, Erhaltung des landwirtschaftlichen Ökosystems (Agroökozönosen) sowie die Qualität von Grund- und Oberflächengewässern, ja sogar der Luftqualität, nicht zu beeinträchtigen. Retrospektiv betrachtet muß man dazu allerdings feststellen, daß eine Konzeption für eine solcherart „umweltfreundliche Anwendung" von Pflanzenschutzmitteln nicht immer in solcher Art und Weise gegeben und auch sicher nicht zwingend notwendig gewesen war. Erst die Entdeckung der Wirksamkeit von verschiedensten und noch dazu synthetisch herstellbaren Pflanzenschutzmitteln machte es in der Zeit nach dem 2. Weltkrieg in steigendem Maß notwendig — sicherlich ausgelöst durch erfolgte Pannen, wie ζ. B. überhöhte Rückstände solcher Pflanzenschutzmittel an und in Lebensmitteln, Resistenzerscheinungen, nicht erwartete Übervermehrungen von bestimmten Organismen, die an sich bis dahin keine Schadensgefahr bildeten, Beeinträchtigung der Antagonisten von Schadorganismen u. v. a. m. —, sich mit solchen „unerwünschten Nebenwirkungen" von Agrarchemikalien zu beschäftigen. Man sollte nicht übersehen, daß selbstverständlich auch die moderne chemische Analytik mit ihren ständig verfeinerten Nachweismöglichkeiten viel dazu beigetragen hat, daß bislang nicht entdeckbare Nebeneffekte aufgezeigt werden konnten und es erst dadurch machbar geworden ist, sich mit den verschiedenen Begleiterscheinungen der Pflanzenschutzmittel näher auseinanderzusetzen. Schon sehr frühzeitig wurden Versuche unternommen, Erscheinungen in der Folge der Anwendung von Pflanzenschutzmittel in den Griff zu bekommen, und den Pflanzenschutzmittelgebrauch durch gesetzliche Bestimmungen zu reglementieren. Das im Jahre 1948 in Österreich dazu geschaffene „Pflanzenschutzgesetz" [1] war ein sehr frühzeitiger Versuch einer solchen Regelung und zweifellos schon ein sehr brauchbares Instrument. — Daß bis dato keine wesentliche und grundlegende Anpassung dieses Gesetzes an die gegenwärtige Situation im landwirtschaftlichen Bereich erfolgt ist, ist zwar aus der Sicht eines modernen Pflanzenschutzes keineswegs als ideal anzusehen, aber vorerst einmal zumindest als unbefriedigende Tatsache hinzunehmen. Allerdings, und dies gibt Hoffnung, ist eine Neufassung seit Jahren in Arbeit und wird vielleicht in nächster Zeit zu einem positiven Abschluß gelangen. Im Rahmen dieses neuen Pflanzenschutzmittelgesetzes wird es nun — und dies ist für die folgende Ausführung von grundlegender Wichtigkeit — neben der gesetzlich erforderlichen Notwendigkeit der Überprüfung der Wirksamkeit von Pflanzenschutzmitteln auch zu einer umfassenden Überprüfung hinsichtlich ihrer Nichtbeeinträchtigung der Umwelt im weitesten Sinne kommen. Wie vor allem eine solche, dem umfassenden Umweltschutz entsprechende Notwendigkeit gestaltet werden kann, soll Gegenstand dieses Beitrages sein.

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Möglichkeiten einer Überprüfung von Pflanzenschutzmitteln hinsichtlich ihrer Umweltkonformität unter österreichischen Bedingungen Voraussetzungen Das hoffentlich in absehbarer Zeit rechtsgültig werdende „Österreichische Pflanzenschutzmittelgesetz" [1] wird voraussichtlich vor allem im § 8 eine Reihe von Forderungen beinhalten, die sehr deutlich die Berücksichtigung der Nichtbeeinträchtigung der Umwelt bei der Zulassung von Pflanzenschutzmitteln wie folgt zum Ziele haben: § 8 (1) Einem Antrag auf Zulassung eines Pflanzenschutzmittels ist vom Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft mit Bescheid stattzugeben, wenn das Pflanzenschutzmittel 1. nach dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse und der Technik bei bestimmungsgemäßer und sachgerechter Anwendung unter Bedachtnahme auf Maßnahmen des integrierten Pflanzenschutzes hinreichend wirksam ist, 2. nach dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse und der Technik bei bestimmungsgemäßer und sachgerechter Anwendung oder als Folge einer solchen Anwendung a) keine unmittelbaren schädlichen Auswirkungen auf die Gesundheit von Menschen hat, b) zu keinen Beeinträchtigungen der Umwelt führt, mit denen schädliche Auswirkungen auf die Gesundheit von Menschen, insbesondere über die Nahrungskette und das Trinkwasser verbunden sein können, c) keine schädlichen Auswirkungen auf die Gewässer, einschließlich Grundwasser hat, d) keine schädlichen Auswirkungen auf die Luft hat, und e) keine schädlichen Auswirkungen auf zu schützende Pflanzen und Pflanzenerzeugnisse und den Boden insgesamt auf die Umwelt hat. Dieser voraussichtlichen Regelung ist insofern in verstärktem Maße im Sinne eines umfassenden Umweltschutzes sehr hohe Bedeutung beizumessen, als zur Erfüllung dieser Zulassungsvoraussetzungen mehrere kompetente Institutionen begutachtende Funktionen zu erfüllen haben werden. Somit erscheint zumindest vorerst rein legislativ die Voraussetzung und die Gewähr dafür gegeben, daß in Zukunft nur solche Pflanzenschutzmittel in Verkehr gebracht bzw. verwendet werden können, deren Anwendung das geringste Risiko einer Umweltbeeinträchtigung und einer Gesundheitsgefährdung in sich trägt.

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Welches sind die praktischen Beurteilung?

Möglichkeiten einer solchen Überprüfung bzw.

Die Überprüfung von Pflanzenschutzmitteln (PSM) im Hinblick auf ihre „Umweltverträglichkeit" ist im weitesten Sinne angewandte Ökotoxikologie und fällt somit zweifellos auch eng in den Bereich einer Ökosystemanalyse. Dabei ist allerdings eine umfassende Beurteilung von Agrarchemikalien und insbesondere von PSM im Rahmen einer Ökotoxikologie (Umwelttoxikologie) in vieler Hinsicht schwierig, da es erfahrungsgemäß nahezu unmöglich erscheint, alle Wechselbeziehungen von gegenseitigen Beeinflussungen solcher Stoffe und deren Rückwirkungen auf die Umwelt zu analysieren und ihre Wertigkeit im Beziehungsgefüge zu beurteilen. Dies geht schon daraus hervor, daß das Wort „Ökotoxikologie" selbst ohne Frage nicht immer exakt und vor allem umfassend zu definieren ist. In einem Symposium der Deutschen Forschungsgemeinschaft „Ökosystemforschung als Beitrag zur Beurteilung der Umweltwirksamkeit von Chemikalien" [2] wurde zwar sehr klar definiert, was Ökotoxikologie sei, nämlich: „Ökotoxikologie befaßt sich mit Effekten chemischer Substanzen auf Organismen in Populationen und Ökosystemen, soweit daraus direkt oder indirekt Schäden entstehen". Es wird darüber hinaus jedoch auch festgestellt, daß es dabei gleichgültig sei, ob die Ökosysteme von Natur aus oder unter Mitwirkung des Menschen entstanden sind. Aber gerade hier wäre es wichtig festzustellen, in welchen ökologischen Bereichen eine solche ökotoxikologische Beurteilung gerade der PSM zu erfolgen hätte. Es ist sicherlich von großer Wichtigkeit, in welchen Populationen bzw. Ökosystemen eine Beeinträchtigung durch PSM beurteilt werden sollte. Schon allein die Tatsache, daß PSM im allgemeinen nur in sogenannten „Agrozönosen" angewendet werden, d. h. kaum in naturbelassenen Biozönosen, läßt es vorerst notwendig erscheinen, eine solche Überprüfung nur im Bereich von landwirtschaftlich genützten Flächen (Agrozönosen) anzustreben. Allerdings ist auch zu berücksichtigen, daß die Anwendung von PSM in Agrozönosen auch negative Nebenwirkungen auf die Lebensgemeinschaften in naturbelassenen (nicht landwirtschaftlich genutzten Arealen) Ökosystemen haben kann. Eine heute vielfach geforderte ökotoxikologische Überprüfung von Agrochemikalien soll daher möglichst alle Beeinträchtigungen durch PSM in allen Arten von Ökosystemen erfassen können und solcherart Gefahren für solche Systeme vermeiden helfen. Es muß allerdings — dies ist hier besonders hervorzuheben — festgestellt werden, daß eine allseitige Überprüfung der PSM hinsichtlich ihrer Umweltbeeinflussung, d. h. in ökotoxikologischer Weise, vorerst wahrscheinlich nur durch eine Erfassung der Nebenwirkungen auf Einzelobjekte erfolgen kann.

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In diesem Falle wird es wichtig sein, ihre Ökotoxizität zuerst an wichtigen Umweltfaktoren bzw. wichtigen Organismen in Ökosystemen zu messen. Die oft gestellte Forderung, PSM hinsichtlich ihrer vielfältigen und wechselhaften Wirkungen umfassend zu prüfen, ist derzeit aus verschiedensten Gründen sicherlich nicht möglich. In der Praxis wird sich eine auch für PSM geforderte sogenannte „Umweltverträglichkeitsprüfung" 1 ) nur dann durchführen lassen, wenn man die Wirkung an bestimmten Zielorganismen und durch Erfassung einzelner physikalischer, chemischer und auch biologischer Parameter zu bestimmen versucht. Das heißt, für die Beurteilung der Ökotoxizität eines Stoffes nach seiner Einbringung in das Ökosystem bedarf es sicherlich eines möglichst umfassenden Kataloges von Kriterien, die dazu dienen sollen, jene Schäden und Beeinträchtigungen, die zu erwarten sein werden und auf die bei der Beurteilung Rücksicht genommen werden soll, möglichst eindeutig zu erfassen. Bei einer solchen Beurteilung sollten nicht nur die neu in die Umwelt einzubringenden Stoffe bewertet werden, sondern in hohem Maße auch jene Stoffe, die schon früher eingebracht wurden (Altlasten) und die dann für die beiden Stoffgruppen gewissermaßen in Summe wirksam werdenden und in ihren Wechselbeziehungen schädigenden Einflüsse. Im neu zu beschließenden „Österreichischen Pflanzenschutzmittelgesetz" wird im Sinne eines umfassenden Umweltschutzes ausdrücklich daraufhingewiesen (§ 8), daß bei einer zukünftigen Zulassung von PSM nicht nur keine schädigenden Auswirkungen auf die Gesundheit des Menschen zu erwarten sein dürfen, sondern darüber hinaus auch nicht auf Nahrungsketten, Trinkwasser, Gewässer und Grundwasser, auf die Luft und auf zu schützende Pflanzen und Pflanzenerzeugnisse, auf den Boden und auf die Umwelt im ganzen. Bei einem so umfassenden Verständnis von Umwelt wird es kaum jemals zu schaffen sein, diese Fülle von Prüfungsvorgängen auszuführen und deren Ergebnisse zu interpretieren. Man wird sich daher wohl oder übel mit der Feststellung der Risiken begnügen müssen, die durch die Anwendung von PSM gegeben sein können, d. h., man wird vor allem eine Risikoabschätzung vornehmen müssen. Jede Gesetzgebung hat vornehmlich den Sinn, einerseits bestimmte Risiken von vornherein durch entsprechende Regelungen auszuschließen oder so gering wie möglich zu halten und andererseits Schäden, die trotzdem verursacht werden, entsprechend zu ahnden. Ein „Pflanzenschutzmittelgesetz" soll jedoch vor allem das Risiko einer Schädigung, insbesondere auch der Umwelt, gar nicht entstehen lassen. Im Sinne ') „Umweltverträglichkeitsprüfung" ist derzeit nur auf Projekte bezogen, sollte hier aber als solche unter dieser Bezeichnung verwendet werden dürfen!

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der hier angestellten Überlegungen bedeutet dies, daß durch die Ü b e r p r ü f u n g der Risiken eine M a ß n a h m e gesetzt wird, die prophylaktisch wirksam sein soll, um eventuell eintretende Schäden durch Pflanzenschutzmittel im Ökosystem zu verhindern. Die Risikoabschätzung soll dabei auch noch zusätzlich — und dies ist wichtig — ein Hilfsmittel sein, um ζ. B. sinnvolle gesetzlich vollziehbare Entscheidungshilfen hinsichtlich der ökotoxikologischen Beurteilung von PSM zu haben. „Risikoschätzung ist ein vielschichtiger, umweltdisziplinärer Prozeß" [4] und dient der rationalen Entscheidungsfindung. Welche Vorgangsweise ist voraussichtlich bei einer Risikoabschätzung bei Pflanzenschutzmitteln möglich? Folgende Einzelheiten werden zu erfassen sein: 1. die zu beurteilende Substanz, 2. die Ermittlung der Gefährlichkeit, — die toxikologischen Daten, — die möglichen Schäden an Einzelorganismen (Zielorganismen) = Individualtoxizität, — die möglichen Schäden im Bereich von Agrozönosen (landwirtschaftlich genutzte Flächen), und — die möglichen Schäden in natürlichen Biozönosen (in natürlichen vom Menschen nicht genützten Lebensgemeinschaften) = Ökotoxizität. Toxikologische

Daten

Im Rahmen der Prüfung und im Vollzug der Registrierung von Pflanzenschutzmitteln ist es derzeit Angelegenheit des Bundesministeriums für Gesundheit, eine Entscheidung hinsichtlich der Humantoxizität von Pflanzenschutzmitteln (Gutachten) zu treffen, d. h. zu prüfen, inwieweit solche Mittel überhaupt als solche in Verkehr gebracht werden dürfen. Im Rahmen einer zukünftigen Überprüfung von PSM im Hinblick auf ihre Umweltkonformität wird es auch noch seitens der Bundesanstalt für Pflanzenschutz darüber hinaus erforderlich sein, neben den üblichen Registrierungserfordernissen, wie ζ. B. der Feststellung einer ausreichenden Wirksamkeit gegen Schadorganismen, fehlender Phytotoxizität oder des Wirkungsumfanges (Indikationen) ganz besonders auch ökotoxikologische Daten als Zulassungskriterien zu überprüfen, eventuell zu erarbeiten und zu begutachten. Mit anderen Worten, es wird auch überprüfbarer ökotoxikologischer Daten bedürfen, die eine Beurteilung für nützliche Organismen eventuell zu erwartender Schäden sowohl in Agrozönosen als auch in natürlichen Lebensgemeinschaften (Biozönosen) möglich machen. In diesem Zusammenhang soll besonders daraufhingewiesen werden, daß ζ. B. im Rahmen der I O B C / W P R S (International Organisation of Biological Control — Westpaleartic Regional

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Section) schon seit vielen Jahren eine eigene Arbeitsgruppe tätig ist, die es sich zur Aufgabe gestellt hat, individuelle Untersuchungen über die Nebenwirkungen von Pflanzenschutzmitteln insbesondere auf Nutzarthropoden anzustellen und Richtlinien für solche Prüfungen auszuarbeiten. Unter Beachtung eines umfassenden Umweltschutzes ist es über die Prüfung der individuellen Beeinträchtigung von wichtigen und nützlichen Organismen durch PSM hinaus aber in Z u k u n f t unabdingbar notwendig, auch eventuelle Störungen von Wechselbeziehungen in biozönotischen Systemen zu erfassen. Dazu wird es zweifellos einer sehr ausgedehnten interdisziplinären Zusammenarbeit verschiedener Institutionen und Fachgebiete bedürfen. Eine einzige Prüfungsinstitution wäre dabei ohne Zweifel eindeutig überfordert. Auch wird es notwendig sein, eine internationale Zusammenarbeit einzuleiten und dabei eine zwischenstaatliche Anerkennung von Prüfberichten oder Gutachten zu ermöglichen. Was kann in Österreich dazu getan werden? 1. Es ist ohne Zweifel wichtig, daß auch Österreich möglichst bald, wie dies in der Bundesrepublik Deutschland ja schon mehrfach in der Pflanzenschutzgesetzgebung der Fall war, das aus dem Jahre 1948 stammende Pflanzenschutzgesetz erneuert oder zumindest Teile, die die Zulassungsbedingungen betreffen, grundlegend ändert oder neu bewertet. Dies wäre auch im Sinne des Koalitionsabkommens der Regierungsparteien, in dem die Erneuerung dieses Pflanzenschutzgesetzes aufgelistet erscheint. 2. Man wird definieren müssen, was unter Umweltbeeinträchtigung durch PSM letztlich verstanden werden soll. Unter der Voraussetzung, daß in Österreich im Rahmen eines modernen Pflanzenschutzmittelgesetzes eine solche Prüfnotwendigkeit obligatorisch erfolgen muß, wird man sich sicherlich auch an ausländischen Richtlinien orientieren und versuchen, sie auch — im Sinne einer allmählich dabei anzustrebenden Internationalisierung — an österreichische Bedingungen anzupassen. 3. Man wird, und dies wurde schon jetzt vorbereitend getan, eine interdisziplinäre Zusammenarbeit einleiten und dabei wichtige Institutionen des Bundes aber auch privater Art dazu heranziehen, um einen solchen Prüfungsvorgang so effizient und umfassend wie möglich ausführen zu können. Hierbei wird zu beachten sein, daß wohl eine Prüfung aller Kriterien einer Umweltbeeinträchtigung durch PSM in jedem Falle vorerst nicht zielführend sein kann, sondern daß m a n eher daran denken sollte, daß jedenfalls eine Begutachtung der wichtigsten unerwünschten Nebenwirkungen von PSM an H a n d von

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vorgelegten Gutachten über die Umweltkonformität solcher Mittel möglich ist. Darüber hinaus wird jedoch lediglich eine fallweise Nachprüfung und Nachbegutachtung solcher Angaben den Zulassungsbehörden möglich sein.

Zusammenfassung Die Beurteilung von PSM hinsichtlich ihrer Neben- und Wechselwirkung im Umweltbereich (Ökotoxikologie) und die dazu in Zukunft notwendigen Untersuchungen über die Ökotoxizität solcher Mittel ist nicht nur eine gesetzlich geforderte Notwendigkeit, sondern schon jetzt ein Gebot der Stunde. PSM als Agrochemikalien können unter gewissen Umständen ohne Zweifel zu einer Gefahr für bestimmte Bereiche der Umwelt werden. Es besteht daher die unbedingte Notwendigkeit einer Risikoabschätzung. Dieser Beitrag erläutert denkbare Wege aus der Sicht des Österreichischen Pflanzenschutzes und der österreichischen Landwirtschaft. Stark verallgemeinernd kann folgendes zusammenfassend festgestellt werden: • Es ist feststehend, daß die direkte oder indirekte Einbringung von Pflanzenschutzmitteln in die Biozönosen (Agrozönosen) mehr oder weniger große Störungen im Ökosystem verursachen kann. Eine hohe Zahl von einschlägigen Veröffentlichungen weisen darauf hin und zeigen die Problematik auf. Die sogenannten „unerwünschten Nebenwirkungen" von Pflanzenschutzmitteln können dabei individuell auf einzelne Organismen aber auch weitläufige Wirkungen auf das Lebensgefüge der damit kontaminierten Areale haben. • Es wird notwendig sein, gesetzliche Bestimmungen für die Überprüfung umweltschädigender Folgen, die durch die Anwendung von PSM eintreten können, so rasch wie möglich zu beschließen. • Die Überprüfung von Schäden an und in der Umwelt, die durch PSM verursacht werden können, wird vorerst an wichtigen Mitgliedern von Ökosystemen vorzunehmen sein und in Zukunft durch interdisziplinäre Prüfungsvorhaben auf die Wechselwirkungen, die in der Umwelt bestehen, ausgedehnt werden. • Bei der Beurteilung einer möglichen Gefahr durch PSM sollte stets eine entsprechende Risikoabschätzung vorgenommen werden und dies insbesondere im Hinblick auf einen umfassenden Umweltschutz.

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Literatur [1] Pflanzenschutzmittelgesetz: Entwurf, Bundesministerium f ü r Land- und Forstwirtschaft. 1988. [2] Ellenberg, H. et al.: Ökosystemforschung als Beitrag zur Beurteilung der Umweltwirksamkeit von Chemikalien. D F G . Verlag Chemie, Weinheim. 1983. [3] Schäfer, E., Ch. Onz: Umwcltverträglichkcitsprüfung. FRIC-Verlagsgcmcinschaft — M A N Z , Wien. 1988. [4] W H O : Gesundheit und Umwelt. EURO-Berichte und Studien 100. W H O Regionalbüro für E u r o p a , Kopenhagen. 1983.

Strategien der toxikologischen Prüfung im Rahmen des Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetzes (Bundesrepublik Deutschland) W. Grunow

Abstract The German food law regulates a wide range of commodities: food including natural constituents, food additives and environmental contaminants, food packaging materials and household chemicals as well as tobacco articles and cosmetic products. Requirements for the toxicological examination and strategies of testing have not been defined legally. The procedures elaborated by the Joint FAO/WHO Expert Committee on Food Additives and the guidelines of the Scientific Committee for Food of the EC are applied for the safety testing and evaluation of food additives. The Federal Health Office has published toxicological requirements for the components of plastic materials coming into contact with food and recommendations for the testing of cosmetic products and their ingredients. For food packaging materials and cosmetic products guidelines have been formulated by the Scientific Committee for Food and the Scientific Committee of Cosmetology of the EC as well.

Das Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz (LMBG) stellt keine detaillierten Anforderungen an die toxikologische Prüfung und bietet dadurch die Möglichkeit, Prüfstrategien flexibel zu handhaben und dem jeweils vorliegenden Problem und dem wissenschaftlichen Kenntnisstand anzupassen. Dies trägt dem breiten Geltungsbereich und der Vielfalt der toxikologischen Fragestellungen des Gesetzes Rechnung. Die Vorschriften des LMBG [1] — betreffen nicht nur Lebensmittel, sondern auch Bedarfsgegenstände, Tabakerzeugnisse und kosmetische Mittel, — behandeln mit den im LMBG definierten Bedarfsgegenständen so unterschiedliche Produkte, wie Verpackungen und Behälter für Lebensmittel, Reinigungs- und Pflegemittel für den häuslichen Bedarf, Bekleidungsgegenstände, Spielwaren und Scherzartikel,

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— beziehen sich nicht nur auf diese Erzeugnisse als solche, sondern auf alle ihre Bestandteile und Verunreinigungen und — haben nicht nur mit chemischen Stoffen zu tun, die zur Verwendung in diesen Erzeugnissen entwickelt und synthetisiert werden, sondern auch mit der gesamten Palette der natürlich vorkommenden oder bei der Zubereitung entstehenden Stoffe, einschließlich der essentiellen Nährstoffe (Eiweißstoffe, Fette, Kohlenhydrate, Vitamine, Mineralstoffe). Diese Vielgestaltigkeit der vom LMBG erfaßten Stoffe und Erzeugnisse erlaubt es nicht, eine allgemeingültige Prüfstrategie aufzustellen. Sie zwingt zu unterschiedlichen Vorgehensweisen, je nachdem, um welche Stoffe es sich handelt, welchen Ursprungs sie sind, auf welchem Aufnahmeweg und in welchem Ausmaß sie auf den Menschen einwirken. Auch die verschiedenartigen im Rahmen des LMBG zu beantwortenden toxikologischen Fragestellungen bedürfen unterschiedlicher Prüfstrategien. So fordert die Vorprüfung auf bestimmte toxische Wirkungen in der Entwicklungsphase einer Substanz eine andere Strategie als die systematische toxikologische Charakterisierung für die Risikobewertung. Der breit anzulegende Nachweis der Unbedenklichkeit, d.h. der möglichst vollständige Ausschluß von Risiken jeglicher Art, macht umfangreichere und andere Untersuchungen notwendig als die gezielte Prüfung auf bestimmte toxikologische Sachverhalte bei bestehenden Verdachtsmomenten. Auch deshalb lassen sich im LMBG Prüfstrategien nicht allgemeingültig fixieren, sondern müssen dem jeweils vorliegenden Problem und den vorhandenen Vorkenntnissen angepaßt werden.

Lebensmittelzusatzstoffe Sie dürfen nach § 12 LMBG nur zugelassen werden, wenn dies mit dem Schutz des Verbrauchers vereinbar ist. Darunter wird verstanden, daß die gesundheitliche Unbedenklichkeit durch entsprechende toxikologische Untersuchungen nachgewiesen werden muß. Obwohl im L M B G und seinen Verordnungen nicht ausdrücklich vorgeschrieben, sind dafür die Richtlinien des Joint FAO/WHO Expert Committee on Food Additives [2, 3, 4, 5] und die Empfehlungen des Wissenschaftlichen Lebensmittelausschusses der EG [6] maßgebend. Die darin enthaltenen Anforderungen verlangen eine Prüfung der nach dem Stand der Wissenschaft denkbaren Wirkungen auf den Organismus und laufen auf eine möglichst vollständige toxikologische Charakterisierung der betreffenden Stoffe hinaus. Es muß ähnlich vorgegangen werden wie bei der Prüfung eines neuen Stoffes

Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetzes (BRD)

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für die Anmeldung nach dem Chemikaliengesetz. Untersuchungen zur akuten, subakuten/subchronischen und chronischen Toxizität, Prüfung auf mutagene und krebserzeugende Eigenschaften, Untersuchung der Reproduktionstoxizität und Teratogenität sowie Aufklärung von Kinetik und Metabolismus gehören zum normalen Programm. Dabei ist es schon im testökonomischen Sinn selbstverständlich, daß eine vernünftige Reihenfolge der einzelnen Untersuchungsschritte geplant und eingehalten wird, um die Versuche, ζ. B. durch Auswahl der dem Menschen am ähnlichsten stehenden Versuchstierspezies, so aussagekräftig wie möglich zu machen. Diese Richtlinien existieren schon länger als die inzwischen auf anderen Gebieten, ζ. B. im Chemikaliengesetz, verbindlich vorgeschriebenen Prüfvorschriften. Sie beziehen sich selbstverständlich nicht nur auf neuentwickelte Substanzen, sondern auch auf Altstoffe, soweit diese als Zusatzstoffe in Lebensmitteln verwendet werden. Das Ausmaß der Prüfung ist unabhängig von der Produktionsmenge der betreffenden Substanzen. Damit sind diese Richtlinien strenger als die Anforderungen, die zur Zeit zur toxikologischen Charakterisierung von chemischen Stoffen in anderen Anwendungsbereichen gestellt werden. Sie können aber flexibel gehandhabt werden, weil sie nicht im Gesetz und seinen Verordnungen rechtsverbindlich festgeschrieben sind.

Natürliche Inhaltsstoffe Natürliche Inhaltsstoffe von Lebensmitteln unterliegen genauso wie andere Lebensmittelbestandteile der allgemeinen Vorschrift von § 8 LM BG, die es verbietet, Lebensmittel herzustellen und in den Verkehr zu bringen, deren Verzehr geeignet ist, die Gesundheit zu schädigen. Darüber hinaus kann ihr Gehalt in Lebensmitteln auf der Grundlage der Ermächtigungen in § 9 LMBG durch Rechtsverordnung vorsorglich begrenzt werden, um eine Gefahrdung der Gesundheit zu verhüten. Obwohl sie häufig erheblich toxischer sind als Lebensmittelzusatzstoffe, bedürfen natürliche Lebensmittelinhaltsstoffe verständlicherweise keiner Zulassung. Deshalb findet in der Regel keine Prüfung auf Unbedenklichkeit im Sinne der toxikologischen Untersuchung von Zusatzstoffen oder anderen chemischen Stoffen statt. Wenn Untersuchungen durchgeführt werden, so ist die Prüfstrategie hier weniger auf systematische Charakterisierung und Wirkungsprüfung gerichtet als auf die Klärung bestimmter wissenschaftlicher Fragestellungen und vermuteter Risiken. Da es keine Antragsteller gibt, denen entsprechende Untersuchungen auferlegt werden können, muß häufig jedes

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Ergebnis, auch wenn es nicht den sonst üblichen Anforderungen entspricht und nicht in die üblichen Prüfstrategien paßt, willkommen sein. Hinzu kommt, daß bei diesen Stoffen andere Bewertungsmaßstäbe gelten. So wird ζ. B. im allgemeinen akzeptiert, daß bei natürlichen oder seit altersher bei der Zubereitung gebildeten Lebensmittelbestandteilen viel geringere Kenntnisse über das Gefahrdungspotential vorliegen als bei heute verwendeten Zusatzstoffen. Außerdem werden bei natürlichen Inhaltsstoffen viel geringere Sicherheitsabstände in Kauf genommen. Auch stoffliche Verunreinigungen in Lebensmitteln unterliegen § 8 LMBG und können nach § 9 L M B G in ihrer Menge begrenzt werden. Hinsichtlich der Anforderungen an die toxikologische Prüfung und bezüglich der Prüfstrategien sind Rückstände von „Pflanzenschutz- und sonstigen Mitteln" und Rückstände von „Stoffen mit pharmakologischer Wirkung", für die nach § 14 bzw. §15 LMBG Höchstmengen festgelegt werden können und deren Verwendung einer ausdrücklichen Zulassung im Rahmen des Pflanzenschutz-, Arzneimitteloder Futtermittelgesetzes bedarf, von Umweltkontaminanten zu unterscheiden, die durch Verunreinigungen der Luft, des Wassers oder Bodens in Lebensmittel gelangen.

Umweltkontaminanten Bei ihnen steht im Rahmen des LMBG ähnlich wie bei den natürlichen Bestandteilen nicht die systematische toxikologische Prüfung im Vordergrund, sondern die Beantwortung folgender Fragestellungen: — Sind Lebensmittel, die bestimmte Stoffe in bestimmten Konzentrationen enthalten, geeignet, die Gesundheit zu schädigen und dürfen deshalb nach § 8 LMBG nicht in den Verkehr gebracht werden? — Bei welchen Konzentrationen wird die Grenze der Gesundheitsschädlichkeit erreicht? — Unter welchen Umständen ist auch ohne Nachweis der Eignung zur Gesundheitsschädlichkeit mit einer Gefährdung zu rechnen, die groß oder real genug ist, um Warnungen oder eine Rechtsverordnung in Dringlichkeitsfällen nach § 38 LMBG zu rechtfertigen? — In welchen Fällen muß von einer potentiellen Gefahrdung gesprochen werden, die vorsorglich durch Erlaß entsprechender Rechtsverordnungen verhütet oder zumindest minimiert werden sollte? — Können von toxikologischer Seite Grenzwerte oder Höchstmengen begründet werden, die als unbedenklich anzusehen sind?

Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetzes (BRD)

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Untersuchungen zur Beantwortung solcher Fragen müssen auf bereits bekannten Daten aufbauen und bestehende Lücken, ζ. B. zur Dosis-WirkungsBeziehung und zur Übertragbarkeit tierexperimenteller Befunde auf den Menschen, füllen. Dabei können sie sich natürlich nicht an Testauswahl und Reihenfolge üblicher Prüfstrategien halten. Da es bei diesen Fragestellungen hauptsächlich um den Nachweis oder die Wahrscheinlichkeit von gesundheitlichen Schäden und Gefahrdungen geht, sind vor allem auch Erfahrungen am Menschen einzubeziehen, wie sie ζ. B. am Arbeitsplatz gesammelt wurden oder aus epidemiologischen Beobachtungen hervorgehen.

Bedarfsgegenstände Auch die Bedarfsgegenstände im Sinne des LMBG sind eine heterogene Produktgruppe, für die keine einheitlichen Prüfanforderungen und Prüfstrategien aufgestellt werden können. Sie dürfen nach § 30 LMBG nicht hergestellt oder in den Verkehr gebracht werden, wenn sie beim bestimmungsgemäßen oder vorauszusehenden Gebrauch geeignet sind, die Gesundheit durch ihre stoffliche Zusammensetzung, insbesondere durch toxikologisch wirksame Stoffe oder Verunreinigungen zu schädigen. Bei den Bedarfsgegenständen im Sinne von § 5 Abs. 1 Nr. 1 LMBG, also den Gegenständen, die mit Lebensmitteln in Berührung kommen können, ist es darüber hinaus nach § 31 LMBG grundsätzlich verboten, sie so zu verwenden, daß von ihnen Stoffe auf Lebensmittel übergehen, ausgenommen gesundheitlich, geruchlich und geschmacklich unbedenkliche Anteile, die technisch unvermeidbar sind.

Kunststoffe Richtlinien zur toxikologischen Prüfung gibt es bisher im wesentlichen nur bei Bedarfsgegenständen aus Kunststoffen, die mit Lebensmitteln in Kontakt treten können. Sie wurden vom Bundesgesundheitsamt in den Fragebögen A und Β veröffentlicht, die zur Beantragung der Aufnahme von Stoffen in die Empfehlungen für Kunststoffe, die mit Lebensmitteln in Berührung kommen, erarbeitet wurden [7, 8]. Danach ist zu unterscheiden zwischen der Prüfung von neuen und modifizierten Kunststoffen, für die lediglich ein orientierender Fütterungsversuch über 28 Tage an Ratten gefordert wird, und der toxikologischen Prüfung von Monomeren, Fabrikationshilfs- und Zusatzstoffen, bei denen Ergebnisse aus Tierversuchen verlangt werden, die eine ausreichende

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toxikologische Charakterisierung möglich machen. Als notwendig werden hier u. a. die Prüfung auf akute Toxizität, auf Anhaltspunkte für krebserzeugende und erbgutverändernde Eigenschaften, längerfristige Fütterungsversuche an Ratten und Grunddaten über die Kinetik bezeichnet. Ähnliche Anforderungen wurden auch vom Wissenschaftlichen Lebensmittelausschuß der EG gestellt [9]·

Kosmetische Mittel Bei kosmetischen Mitteln bedürfen einige Bestandteile (Konservierungsmittel, Farbstoffe, Lichtfilterstoffe) einer ausdrücklichen Zulassung, die nach § 25 LMBG mit dem Schutz des Verbrauchers vereinbar sein muß. Dafür muß ähnlich wie bei Lebensmittelzusatzstoffen eine umfassende Prüfung der gesundheitlichen Unbedenklichkeit erfolgen, wobei natürlich auf die äußerliche Anwendung kosmetischer Mittel auf Haut, Schleimhaut, Haaren, Nägeln oder Zähnen abzustellen ist. Das Bundesgesundheitsamt hat Empfehlungen veröffentlicht, welche die Prüfung nicht nur der Inhaltsstoffe, sondern auch der Fertigprodukte umfassen und sich sowohl auf toxikologische als auch auf dermatologische bzw. allergologische Prüfungen erstrecken [10]. Ähnliche Empfehlungen wurden vom Expertenkomitee für kosmetische Produkte des Europarats [11] und vom Wissenschaftlichen Ausschuß Kosmetologie der EG [12] herausgegeben. Letztere unterscheiden hinsichtlich der gestellten Anforderungen zwischen Haut-, Nagel-, Mund- und Haarkosmetika sowie Erzeugnissen, die einige Zeit auf der Körperoberfläche verbleiben oder schnell wieder abgespült werden. Sie bezeichnen bestimmte Untersuchungen für die einzelnen Produktgruppen als notwendig, nicht notwendig oder abhängig von besonderen Umständen. Zu den auch bei anderen Stoffen und Produktgruppen üblichen Prüftests kommen in diesen Empfehlungen hinzu: Bestimmung der dermalen Toxizität und gegebenenfalls Inhalationstoxizität, Prüfung der Hautresorption, Tests auf Phototoxizität, Photosensibilisierung und Aknegenität. Hervorzuheben ist auch hier, daß es sich nicht um ein starres Prüfschema handelt, sondern je nach besonderer Situation Modifizierungen möglich sind. Dies betrifft auch die Notwendigkeit der Durchführung von Langzeitstudien zur Karzinogenität, auf die in einigen Fällen verzichtet wird, wenn sich in ausreichenden Kurzzeittests auf gentoxisches Potential keine Anhaltspunkte ergeben haben und auch sonst keine Verdachtsmomente, ζ. B. aus der chemischen Struktur und dem Metabolismus des betreffenden Stoffes, bestehen.

Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetzes (BRD)

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Literatur [1] Gesetz über den Verkehr mit Lebensmitteln, Tabakerzeugnissen, kosmetischen Mitteln und sonstigen Bedarfsgegenständen vom 15. August 1974 (Bundesgesetzblatt I S. 1946). Lebensmittelrecht. Loseblatt-Textsammlung. C. H. Becksche Verlagsbuchhandlung, München. [2] FAO/WHO: Procedures for the testing of intentional food additives to establish their safety for use. Second report of the Joint FAO/WHO Expert Committee on Food Additives. W H O Techn. Rep. Scr. No. 144 (1958). [3] WHO: Procedures for investigating intentional and unintentional food additives. Report of a WHO Scientific Group. WHO Techn. Rep. Ser. No. 368 (1967). [4] FAO/WHO: Toxicological evaluation of certain food additives with a review of general principles and of specifications. Seventeenth report of the Joint FAO/WHO Expert Committee on Food Additives. WHO Techn. Rep. Ser. No. 539 (1974). [5] WHO: Principles for the safety assessment of food additives and contaminants in food. Environ. Health Crit. 70 (1987). [6] Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Leitlinien für die Sicherheitsbewertung von Zusatzstoffen von Nahrungsmitteln. Berichte des Wissenschaftlichen Lcbensmittelausschusses (Zehnte Serie). EUR 6892 (1980). [7] Bundesgesundheitsamt: Gesundheitliche Beurteilung von Kunststoffen im Rahmen des Lebensrnittel· und Bedarfsgegenständegesetzes. Antragsverfahren zur Aufnahme von neuen Kunststoffen, neuen monomeren Ausgangsstoffen und von neuen Additiven in die Empfehlungen des Bundesgesundheitsamtes für Kunststoffe und andere Polymere (Fragebogen A und B). Bundesgesundheitsblatt 30 (1987) 11. [8] Franck, R., H. Mühlschlegel (Hg.): Kunststoffe im Lebensmittelverkehr. Empfehlungen des Bundesgesundheitsamtes. 37. Lieferung. Carl Heymanns-Verlag, Köln, Berlin, Bonn, München. 1987. [9] Commission of the European Communities: Toxicological evaluation of a substance for materials and articles intended to come into contact with foodstuffs. Reports of the Scientific Committee for Food, Third Series. 1977. [10] Bundesgesundheitsamt: Empfehlungen zur Prüfung der gesundheitlichen Unbedenklichkeit von kosmetischen Mitteln. Bundesgesundheitsblatt 24 (1981) 96 — 98. [11] Council of Europe: Cosmetic products and their ingredients. 2nd edition. Doc. P-SG (84) 11, Strasbourg. 1984. [12] Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Leitlinien für Toxizitätstests von Inhaltsstoffen kosmetischer Mittel. Berichte des Wissenschaftlichen Ausschusses für Kosmetologie (Dritte Serie). EUR 8794. 1983.

Toxikologische Prüfstrategien für Stoffe nach dem österreichischen Lebensmittelgesetz E. Plattner

Die Bestimmungen des österreichischen Lebensmittelgesetzes [1] normieren die Voraussetzungen für das Inverkehrbringen von Lebensmitteln, Verzehrprodukten, Zusatzstoffen, kosmetischen Mitteln und Gebrauchsgegenständen. So sehen sie neben verschiedenen anderen Gründen für ein Verbot, wie ζ. B. das der falschen Bezeichnung, ein generelles Verbot für das Inverkehrbringen dieser Stoffe für den Fall vor, daß sie geeignet sind, die Gesundheit der Verbraucher zu gefährden oder zu schädigen. Während weite Bereiche der Qualitäts- und Kennzeichnungsanforderungen an diese Stoffe bereits durch Verordnungen, Bescheide oder durch CodexBestimmungen im Detail geregelt sind, gilt für die nicht erfaßten Bereiche die Eigenverantwortung des Inverkehrbringers auf Einhaltung der generellen gesetzlichen Bestimmungen. Für die nach dem Lebensmittelgesetz statuierte Zulassung von Zusatzstoffen, Rückstandshöchstmengen von Pflanzenschutzmitteln in oder auf Lebensmitteln pflanzlicher und tierischer Herkunft, Gebrauchsgegenständen, pharmakologisch wirksamen Stoffen in kosmetischen Mitteln, usw. durch Verordnung bzw. Bescheid hat der Gesetzgeber als Voraussetzung die Prüfung der Vereinbarkeit mit der Sicherung einer einwandfreien Nahrung bzw. mit dem Schutz der Verbraucher vor Gesundheitsgefahrdung und Täuschung unter Berücksichtigung des jeweiligen Standes der Wissenschaft und Technologie vorgeschrieben. An dieser Stelle soll im weiteren auf die Umsetzung des gesetzlichen Anspruches der Verbraucher auf Schutz vor Gesundheitsgefahrdung bei der Zulassung der Bereiche Zusatzstoff(-zusatzmengen) und Pflanzenschutzmittel(-rückstandshöchstmengen) näher eingegangen werden. Als Grundlage für die Zulassung dienen diesbezüglich neben unter Umständen bereits am Menschen vorliegenden Erfahrungen Ergebnisse aus umfangreichen toxikologischen Prüfungen des einzelnen Stoffes. Diese Daten müssen insgesamt die gesundheitliche Unbedenklichkeit der einzelnen Lebensmitteln maximal zusetzbaren Zusatzstoffmengen bzw. der aus der Anwendung eines Pflanzenschutzmittels resultierenden Rückstandshöchstmengen in oder auf

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Ε. Plattner

Lebensmitteln unter Berücksichtigung der Verzehrgewohnheiten der Verbraucher ableiten lassen. Die toxikologischen Prüfungen umfassen hierbei u. a. Untersuchungen des einzelnen Stoffes auf seine akute Toxizität bis hin zur Langzeittoxizität, auf Mutagenität, Karzinogenität, Reproduktionstoxizität und auf den Metabolismus in in-vivo-Versuchen über den oralen Verabreichungsweg bzw. in in-vitro-Tests. Während die Prüfungen selbst nach international anerkannten bzw. vergleichbaren Testrichtlinien durchgeführt sein müssen, hat der Prüfumfang gleichfalls den diesbezüglich letzten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse zu berücksichtigen. Die auf den Gebieten der gesundheitlichen Bewertung von Zusatzstoffen und Pflanzenschutzmittelwirkstoffen seit mehr als zwei Jahrzehnten tätigen Expertengruppen der WHO (im JECFA- bzw. JMPR-Komitee) haben international den Prüfumfang vorgegeben und ihn ζ. B. für Zusatzstoffe zuletzt 1987 in den „Principles for the Safety Assessment of Food Additives and Contaminants in Food" umfassend formuliert. Ihr Konzept der Ableitung des ADI(„^cceptable .Daily /ntake")-Wertes (bezogen auf den Menschen) für den einzelnen Stoff aus dem „no-observed-effect-level" (bezogen auf das Versuchstier) hat ebenfalls international Vorbildcharakter. Der zumeist unter Zugrundelegung von Ergebnissen längerfristiger Toxizitätsstudien an der empfindlichsten bzw. an der dem Menschen hinsichtlich der Metabolisierung und der Kinetik des Stoffes am nächsten stehenden Versuchstierart ermittelte „no-observed-effect-level" (ausgedrückt in mg oder g des Stoffes/kg Körpergewicht des Versuchstieres) — das ist die niedrigste Dosierung, die keine gesundheitlich nachteiligen Auswirkungen am Versuchstier gezeigt hat — wird, um a) Unterschiede in der Empfindlichkeit zwischen Versuchstier und Mensch und in der zahlenmäßigen Größe der Versuchstiergruppen und der exponierten Bevölkerung, b) die Schwierigkeit, die tägliche individuelle Aufnahmemenge des Stoffes durch den einzelnen Menschen abschätzen zu können, und c) mögliche synergistische Wirkungen zwischen verschiedenen Zusatzstoffen zu berücksichtigen, dieser Wert durch einen Sicherheitsfaktor, zumeist 100, dividiert und solcherart der ADI-Wert für den einzelnen Stoff abgeleitet. Der ADI-Wert stellt, ausgedrückt in mg oder g des Stoffes/kg Körpergewicht des Menschen (das Körpergewicht des Erwachsenen wird standardisiert meist mit 60 bzw. 70 kg angenommen/Tag), jene täglich maximal zulässige Aufnahmemenge des einzelnen Stoffes für den Menschen dar, die, während seiner Lebenszeit täglich aufgenommen, kein nennenswertes („appreciable") gesundheitliches Risiko beinhaltet. Das gleiche Konzept wird vom JMPR-Komitee bei der Erstellung des ADI-Wertes von Pflanzenschutzmittelwirkstoffen angewendet. Die weitere Umsetzung des ADI-Wertes eines Zusatzstoffes bzw. eines Pflanzenschutzmittelwirkstoffes in höchstzulässige Zusatzstoff- bzw. Rückstands-

Österreichisches Lebensmittelgesetz

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mengen für Lebensmittel (ausgedrückt in mg oder g des Stoffes/kg Lebensmittel) erfolgt unter Berücksichtigung der durchschnittlichen Verzehrmengen durch den erwachsenen Verbraucher oder dort, wo angezeigt, durch das Kind. Sofern die nach der guten Herstellungspraxis für die technologische Wirksamkeit erforderliche bzw. die nach der guten landwirtschaftlichen Praxis aus der Anwendung eines Pflanzenschutzmittels resultierende Menge des Stoffes in und/oder auf dem Lebensmittel niedriger ist als die gesundheitlich noch zulässige maximale Menge, wird im Sinne eines umfassenden Gesundheitsschutzes der niedrigere Wert als zulässige Höchstmenge des einzelnen Stoffes/ kg Lebensmittel durch Verordnung bzw. Bescheid festgelegt. Österreich folgt nicht nur dem erwähnten Konzept, sondern bezieht auch die von den genannten Komitees durchgeführten gesundheitlichen Bewertungen von Zusatzstoffen und Pflanzenschutzmittelwirkstoffen in die eigene Bewertung dieser Stoffe mit ein. Neue Erkenntnisse über mögliche schädigende Wirkungen einzelner Stoffe für den Menschen werden ebenso berücksichtigt. So wurden bestimmte Pflanzenschutzmittel, die derart verdächtige Wirkstoffe enthielten, in einer Vereinbarung zwischen Behörden und Industrie vom Markt genommen. Als ein weiteres Beispiel sei auf die vor kurzem erfolgte Herausnahme der Propionsäure aus der Liste der zugelassenen Konservierungsmittel durch Verordnung hingewiesen [2],

Literatur [1] Bundesgesetzblatt Nr. 86, 1975. [2] Bundesgesetzblatt Nr. 153, 1988.

Sonstige Gesetzesvorgaben (Bundesrepublik Deutschland) R. Roll

Abstract In the present article out of the large number of special laws the law of fertilizers, dangerous substances for water, and questions concerning the preparation of raw water to drinking-water are discussed. For the complex of law of fertilizers the legal framework is described, and the standards of judgement on the topic of permission concerning health and epidemic hygienic aspects are shown as well. The extensive sphere of dangerous substances for water is presented in connection with the question of different categories of classification of these substances. Finally problems of toxicological characterization of chemical substances concerning the preparation of raw water to drinking-water are mentioned.

Aus der Vielzahl von weiteren Spezialgesetzen werden beispielhaft die beiden größeren Komplexe Düngemittelrecht und wassergefahrdende Stoffe sowie Fragen im Zusammenhang mit der Aufbereitung von Rohwasser zu Trinkwasser dargestellt.

Düngemittelgesetz Eine verbindliche Regelung für den Verkehr mit Düngemitteln besteht in Deutschland bereits seit 1918. Die „Verordnung über künstliche Düngemittel" aus dem Jahr 1919 machte die gewerbsmäßige Herstellung und den Absatz von Düngemitteln genehmigungspflichtig. Die durch Verordnung aus dem Jahre 1924 gültige Fassung war in der Bundesrepublik Deutschland bis Anfang der 60er Jahre weiterhin maßgebend. Danach waren Zulassungen für jedes einzelne Düngemittel und für jeden Hersteller erforderlich, die oft zeitlich begrenzt wurden und häufig Änderungen oder Ergänzungen erforderlich machten.

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R. Roll

Dieses aufwendige Verfahren wurde 1962 durch das „Gesetz über den Verkehr mit Düngemitteln" abgelöst. Es ermöglichte die Zulassung von Düngemitteltypen durch Rechtsverordnung, also mit allgemeiner und unbefristeter Gültigkeit. Das Düngemittelgesetz hat sich in dieser Form in seinen Grundzügen bewährt. Die Zulassung von Düngemitteltypen anstelle der bis dahin praktizierten Einzelzulassung erspart nicht nur einen erheblichen Verwaltungsaufwand, sondern trägt auch den Bedürfnissen der Wirtschaft Rechnung. Auch der Bereich Düngemittel wurde in die Rechtsharmonisierung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft einbezogen. Die entsprechende Richtlinie des Rates aus dem Jahre 1975 machte eine Erweiterung des Düngemittelgesetzes im Hinblick auf die Zulassung von Düngemitteltypen, deren Kennzeichnung sowie die Probenahme und Überwachung erforderlich. Das „Düngemittelgesetz" aus dem Jahre 1977 trat am 1. Januar 1978 in Kraft. Nach dem neuen Gesetz muß nicht mehr jedes Düngemittel für jeden Hersteller zugelassen werden, sondern es wird eine typenmäßige Zulassung der Düngemittel durch Rechtsverordnung wirksam. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, daß das Düngemittelgesetz keine Ermächtigungen enthält, die Anwendung von Düngemitteln zu regeln; es beschränkt sich lediglich auf Verkehrsvorschriften. Bei der Bestimmung des Begriffs „Düngemittel" sind Anwendungszweck und Wirkung maßgebend (Wachstumsförderung, Ertragserhöhung, Qualitätsverbesserung). Dabei war eine deutliche Abgrenzung gegenüber den Pflanzenschutzmitteln erforderlich. Das war mit ein Grund, die sogenannten Wachstumsregler nicht mehr dem Düngemittelgesetz, sondern dem Pflanzenschutzgesetz mit seinen größeren Einflußmöglichkeiten zu unterwerfen. Neben den eigentlichen Düngemitteln sind im Hinblick auf die Kennzeichnungspflicht ferner Wirtschaftsdünger, Bodenhilfsstoffe, Kultursubstrate und Pflanzenhilfsstoffe begriffsmäßig bestimmt, für die aber keine typenmäßige Zulassung erforderlich ist. Ausgenommen von den Vorschriften des Gesetzes sind Abfälle wie Abwasser, Klärschlamm, Fäkalien und ähnliche Stoffe im Sinne des Abfallbeseitigungsgesetzes. Eine Ausnahmeregelung ist ferner für Rasendünger und Zierpflanzendünger vorgesehen. Voraussetzung hierfür ist allerdings, daß diese Düngemittel nicht für andere Zwecke als zur Düngung von Rasen oder Zierpflanzen angeboten werden. Die Vorschriften über die Verkehrsbeschränkungen bilden einen weiteren wesentlichen Aspekt des Gesetzes, wobei hier insbesondere die Belange des Umweltschutzes und der Gesundheit angesprochen sind. Diese Ermächtigungen betreffen sowohl Düngemittel als auch Stoffe, die keiner Zulassungspflicht unterliegen. Da sie nicht auf Unbedenklichkeit geprüft werden müssen, kann deshalb um so schärfer bei auftretenden Bedenken, ζ. B. aus dem Schutzbe-

Sonstige Gesetzesvorgaben (BRD)

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dürfnis der Gesundheit von Menschen oder zur Gefahrenabwehr für den Naturhaushalt eingeschritten werden. Können etwaige Bedenken nicht ausgeräumt werden, wird die Zulassung verweigert oder nur mit Beschränkungen für das Inverkehrbringen erteilt. Möglichkeiten einer Verkehrsbeschränkung bis hin zum kurzfristigen Vertriebsverbot unterstreichen, daß die Bezieher von Düngemitteln für Rasen und Zierpflanzen, von Kultursubstraten, Bodenhilfsstoffen und Pflanzenhilfsmitteln nicht schutzlos sind. Der für das Düngemittelrecht zuständige Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten läßt sich bereits seit 1952 durch einen „Wissenschaftlichen Beirat" bei der Zulassung von Düngemitteln beraten. Aufgrund der positiven Erfahrungen mit diesem Beirat wurde im neuen Gesetz durch Rechtsverordnung ein „Wissenschaftlicher Beirat für Düngungsfragen" geschaffen. Der Beirat besteht aus 7 Mitgliedern, von denen 5 auf dem Gebiet der Bodenkunde, der Pflanzenernährung oder des Pflanzenbaues tätig sind, einer auf dem Gebiet der Düngemittelanalytik und einer auf dem Gebiet der Toxikologie tätig ist und dem Bundesgesundheitsamt angehören muß. Dadurch ist sichergestellt, daß auch die Belange des Gesundheitsschutzes gebührend berücksichtigt sind. Das Votum des toxikologischen Sachverständigen im Beirat spielt bei der Zulassung der Düngemittel somit eine entscheidende Rolle. Die gesundheitliche Beurteilung der Düngemittel stützt sich im wesentlichen auf § 2 Abs. 2 des Düngemittelgesetzes. Darin ist allgemein aufgeführt, daß „Der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ermächtigt wird, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates Typen von Düngemitteln zuzulassen, die bei sachgerechter Anwendung die Fruchtbarkeit des Bodens und die Gesundheit von Menschen und Haustieren nicht schädigen und den Naturhaushalt nicht gefährden...". Auf der Grundlage der gesetzlichen Bestimmungen ist es somit schwierig, konkrete Anhaltspunkte für die gesundheitlichen Belange zu finden. Die gesundheitliche Beurteilung der Düngemittel hat eine außerordentliche Vielfalt von Fragen zu berücksichtigen, die jedoch nur schwer zu präzisieren sind. Im Gegensatz zu vielen anderen Gesetzen, bei denen sich in der Zwischenzeit feste Normen und Bewertungsmaßstäbe herausgebildet haben, bietet die Düngemittelgesetzgebung keine festumrissenen Normen. Als Anknüpfungspunkte für die gesundheitliche Bewertung dienen lediglich die im Gesetz aufgeführten Passagen „bei sachgerechter Anwendung" und „keine Schädigung der Gesundheit von Menschen". Im Gesetz selbst oder in den Kommentaren ist nicht festgelegt, nach welchen konkreten Gesichtspunkten die gesundheitliche Bewertung der Düngemitteltypen vorzunehmen ist. Da Düngemittel vom Chemikaliengesetz ausdrücklich nicht ausgenommen sind, gibt es gewisse Verknüpfungspunkte hinsichtlich der toxikologischen

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Anforderungen bei der Beurteilung von Düngemitteln. Sofern es sich als notwendig erweist, werden die Maßstäbe des Chemikaliengesetzes auch bei der gesundheitlichen Beurteilung der Düngemittel herangezogen. Dabei kommt die gesamte Palette der gängigen toxikologischen Prüfnachweise in Betracht; angefangen von der akuten Toxizität über Haut- und Augenreizwirkung, Sensibilisierung, Mutagenität bis hin zur Prüfung auf karzinogene Wirkung. Der jeweilige Umfang der zu berücksichtigenden toxikologischen Prüfungen muß sich dabei allerdings am Einzelfall orientieren, da es wenig sinnvoll ist, verbindliche Prüfsets vorzuschreiben. Bei der gesundheitlichen Beurteilung der Düngemittel besteht demgemäß ein erheblicher Spielraum im Hinblick auf zu fordernde toxikologische Prüfnachweise. Bei der Beurteilung von Düngemitteln sind über die toxikologischen Aspekte hinaus ferner seuchenhygienische Gesichtspunkte zu berücksichtigen. Insbesondere bei organischen Düngemitteln ist mit seuchenhygienischen Schwierigkeiten zu rechnen, da sie aufgrund ihrer Herkunft in hohem Maße Krankheitserreger enthalten können. Es wurde deshalb festgelegt, daß die Aufbereitung von organischen Düngemitteln zu seuchenhygienisch unbedenklichen Produkten führen muß, die frei von Krankheitskeimen (ζ. B. Salmonellen) sein müssen und denen keine Rückstände der Arzneimittelproduktion zugesetzt werden dürfen. Rasen- und Zierpflanzendünger, die bisher nicht diesen Anforderungen unterlagen, dürfen nach der neuesten Düngemittelverordnung von 1988 nunmehr auch nur noch gewerbsmäßig in den Verkehr gebracht werden, wenn sie ebenfalls seuchenhygienisch unbedenklich und frei von Krankheitskeimen sind.

Wassergefährdende Stoffe Zehntausende chemischer Einzelstoffe und ein Vielfaches von Stoffgemischen sind heute in Gebrauch. U m differenzierte Sicherheitsvorkehrungen für den Umgang mit diesen Stoffen treffen zu können, ist eine nachvollziehbare Einordnung der Stoffe hinsichtlich ihres Wassergefahrdungspotentials erforderlich. Der Begriff „wassergefahrdende Stoffe" ist in wasserrechtlichen Bestimmungen nur allgemein umschrieben. Wassergefahrdende Stoffe nach § 19 g Wasserhaushaltsgesetz (WHG) sind alle festen, flüssigen und gasförmigen Stoffe, die geeignet sind, nachhaltig die physikalische, chemische und biologische Beschaffenheit von stehenden und fließenden Oberflächengewässern sowie des Grundwassers nachteilig zu verändern. Für abgestufte Sicherheitsanforderungen in Anlagen zum Umgang mit wassergefahrdenden Stoffen ist eine Unter-

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teilung der Stoffe nach ihrem Wassergefährdungspotential erforderlich. Die Klassifizierung der wassergefährdenden Stoffe bildet eine der Grundlagen für Bauartzulassungen und Eignungsfeststellungen nach W H G sowie für Einzelentscheidungen im wasserrechtlichen Vollzug. Die mögliche Gefährdung der Gewässer durch gefährliche Stoffe im weitesten Sinne spielt jedoch nicht nur im Wasserhaushaltsgesetz, sondern auch im Chemikaliengesetz, in der Gefahrstoffverordnung, im Gefahrgutgesetz (Transport gefährlicher Güter) und in den Regelungen der IMO (Internationale Maritime Organisation) betr. Transport gefährlicher Güter auf See eine wesentliche Rolle; die Zielsetzungen sind hier jedoch nicht identisch mit den Zielsetzungen des W H G . Weitere stoffbezogene Gesetzesbereiche, wie Wasch- und Reinigungsmittelgesetz, Pflanzenschutzgesetz, Düngemittelgesetz und andere Regelungsbereiche, die ebenfalls Gewässerschutzaspekte beinhalten, werden aufgrund anderer Zielsetzungen nicht in die nachfolgenden Überlegungen einbezogen. Das gleiche gilt für das Abwasserabgabengesetz und das Bundes-Immissionsschutzgesetz (Störfall-Verordnung). Auf der Grundlage dieser Konzeption haben die in der Länderarbeitsgemeinschaft Wasser (LAWA) vertretenen Bundesländer und der Bundesminister des Innern die Einstufung von wassergefährdenden Stoffen in Wassergefährdungsklassen (WGK) durch eine Bewertungskommission in den wasserrechtlichen Vollzug eingeführt. Die „Kommission Bewertung wassergefährdender Stoffe" (KBwS) ist als ständiger Ausschuß des Beirats des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit „Lagerung und Transport wassergefährdender Stoffe" (LTwS) 1982 eingerichtet worden. In dieser Kommission sind Bund, Länder und die Industrie vertreten. Der bereits 1970 herausgegebene „Katalog wassergefährdender Flüssigkeiten" wurde 1980 durch den „Katalog wassergefährdender Stoffe" abgelöst. Dieser Katalog wird laufend fortgeschrieben; er enthält in der ersten Fortschreibung aus dem Jahre 1987 mittlerweile etwa 600 Stoffe. Die Stoffe werden nach ihrem Wassergefährdungsgrad in vier Wassergefährdungsklassen (WGK) eingeteilt: • • • •

WGK WGK WGK WGK

3: 2: 1: 0:

stark wassergefährdende Stoffe, wassergefährdende Stoffe, schwach wassergefährdende Stoffe, im allgemeinen nicht wassergefährdende Stoffe.

Noch nicht in den Katalog aufgenommene Stoffe sind vorsorglich als wassergefährdend anzusehen, solange über die Einstufung noch nicht entschieden ist.

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Tabelle 1

Bestimmung der akuten oralen Rattentoxizitäl

mg/kg

< >

25 25-200

> 200-2000 > 2000

Bewertungszahl

7 5 3

Zur Bewertung des Wassergefährdungspotentials werden ausschließlich Stoffeigenschaften herangezogen. In die Bewertung eines Stoffes gehen als Grunddaten nach dem derzeitigen Stand die Ergebnisse von vier näher beschriebenen Testverfahren ein: • Akute orale Säugetiertoxizität — LD 50 bei Ratten, • Akute Fischtoxizität — LC 50 bei Goldorfen, • Akute Bakterientoxizität — Zellvermehrungshemmtest mit Pseudomonas putida, • Biologische Abbaubarkeit — Modifizierter OECD-Test. Die Ergebnisse der 3 Toxizitätstests werden nach einem Schema in Bewertungszahlen transformiert. Bei der Bestimmung der akuten oralen Rattentoxizität wird das Ergebnis nach folgendem Schema transformiert (siehe Tab. 1), wobei die Abstufung der Toxizitätsgrenzen in Anlehnung an das Chemikaliengesetz getroffen wird: In ähnlicher Weise werden auf der Grundlage der Befunde in den Untersuchungen zur Fisch- und Bakterientoxizität Bewertungszahlen ermittelt. Beispielsweise ergibt sich aus einer toxischen Wirkkonzentration von 1 mg/1 beim Fisch- und Bakterientest durch logarithmische Umwandlung (1 ppm = 10 6) die Bewertungszahl 6. Aus dem Durchschnitt der drei Bewertungszahlen wird die Wassergefahrdungszahl (WGZ) errechnet. Aus dieser leitet sich dann unter Berücksichtigung sonstiger Stoffmerkmale die Wassergefährdungsklasse (WGK) ab. Die Bewertungen der ermittelten Eigenschaften werden grundsätzlich als gleichrangig angesehen und nach folgendem System arithmetisch gemittelt: WGZ =

BZS + BZ b + BZ f 3

Die so erhaltene Zahl ist die sogenannte Wassergefährdungszahl (WGZ). Die WGZs umfassen eine Bereich von 0 — 6 (oder größer). Diese Zahlenspanne wird in die 4 Wassergefahrdungsklassen (WGK) eingeteilt (Tab. 2):

Sonstige Gesetzesvorgaben (BRD)

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Tabelle 2 WGZ

WGK

Bezeichnung

0-1,9 2-3,9 4-5,9 > 6

0 1 2 3

im allgemeinen nicht wassergefährdend schwach wassergefahrdend wassergefahrdend stark wassergefahrdend

Das Ergebnis des biologischen Abbautests kann dabei als Malus für schlechte Abbaubarkeit bzw. als Bonus für guten Abbau zu einer höheren bzw. niedrigeren Wassergefahrdungsklasse führen, als sich zunächst aus der WGZ errechnet. Liegen Erkenntnisse vor, nach denen ein Stoff ausgesprochen langlebig ist (ζ. B. persistent), kann er um eine Wassergefahrdungsklasse höher eingestuft werden. Sollen andererseits Stoffe in den Genuß eines Bonus gelangen, müssen sie als ausgesprochen leicht abbaubar gelten. Die Vielfalt der Stoffeigenschaften macht es erforderlich, neben den erfaßten Eigenschaften spezielle, besonders schwerwiegende Bedrohungen des Wassers und insbesondere der menschlichen Gesundheit zusätzlich zu erfassen und in geeigneter Weise in die Bewertung einzubeziehen. Zu einem Bonus oder Malus gegenüber den Grunddaten des Bewertungsschemas können auch weitere Stoffeigenschaften führen. Hierbei sind zu nennen: — physikalisch-chemische Eigenschaften (ζ. B. Dichte, Löslichkeit, Dampfdruck, Viskosität), — abiotische Abbaubarkeit (ζ. B. Hydrolyse, Photolyse), — organoleptische Eigenschaft (ζ. B. Geruch), — Eliminations- und Verteilungsmechanismen (ζ. B. Versickerungsverhalten, Flüchtigkeit), — hohe bekannte bzw. zu vermutende Bioakkumulierbarkeit, — toxische Wirkungen (u. a. chronische Toxizität, Karzinogenität, Mutagenität, Teratogenität), — akute Toxizität gegenüber anderen Wasserorganismen, insbesondere Algen und Daphnien, — allgemeine Erfahrungen und Kenntnisse über die Gefährlichkeit des Stoffes. Der Bedarf an Stoffklassifizierungen ist in der letzten Zeit so stark angestiegen, daß sie in überschaubarer Zeit nicht mehr von der KBwS vorgenommen werden können. Der „Verband der Chemischen Industrie" (VCI) hat daher ein Selbsteinstufungskonzept entwickelt, nach dem Stoffe, die nicht von der Kommission eingestuft werden können, vom Hersteller vorläufig eigenverantwortlich bewertet und eingestuft werden. Die Verantwortung für eine

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sachgerechte Selbsteinstufung trägt in jedem Fall der Hersteller der jeweiligen Produkte. Diese Selbsteinstufung hat dabei auf der Grundlage des Bewertungsschemas des Beirates LTwS zu erfolgen. Sie ist eindeutig als solche zu kennzeichnen und muß nachvollziehbar dokumentiert sein. Nach dem Entwurf einer noch zu erlassenden Verwaltungsvorschrift ist ein Stoff — sofern keine Selbsteinstufung vorliegt — vorsorglich in W G Z 3 einzustufen, sofern er nicht offensichtlich in eine niedrigere Klasse eingestuft werden kann. Das zur Bewertung des Wassergefahrdungspotentials vorgesehene einfache Test- und Klassifizierungssystem hat angesichts der Komplexität ökologischer Wechselwirkungen zweifellos Schwachstellen, wie ζ. B. die Beschränkung auf vier Basistests, das Einbinden der mit verschiedenen Organismen ermittelten Testergebnisse in eine gemeinsame Benotung, sowie die Auswirkungen der Unschärfe biologischer Tests. Obwohl sich das Bewertungsschema gerade wegen seiner Einfachheit und des Verzichts auf vorgetäuschten Perfektionismus in der Vergangenheit recht gut bewährt hat, sind intensive Diskussionen über eine entsprechende Überarbeitung und Fortschreibung des Bewertungsschemas geführt worden. Da seit Einführung des Bewertungsschemas im Jahr 1979 nunmehr fast 10 Jahre vergangen sind, hat die KBwS beschlossen, die Bewertungspraxis auf der Basis des Bewertungsschemas von 1979 anschaulicher zu gestalten und insbesondere auch im Hinblick auf die Bonus-/MalusVergabe übersichtlicher darzustellen. Eine Änderung der W G Z bereits eingestufter Stoffe soll mit diesem neuen Bewertungsmuster allerdings nicht verbunden sein. Es sollen lediglich die einzelnen Schritte der Einstufung, wie — Basistests zur aquatischen Toxizität, — ergänzende Validierung von Abbau-, Anreicherungsverhalten, Langzeittoxizität u. a. Eigenschaften, — abschließende Plausibilitätsprüfung auch im Zusammenhang mit internationalen Einstufungskonzepten und im Hinblick auf die Möglichkeit von Selbsteinstufungen verdeutlicht werden. Dabei ist geplant, Testergebnisse mit Organismen, die die 4 trophischen Bereiche im Gewässer repräsentieren (Fisch, Daphnie, Bakterie, Alge) als Basisdaten für die Bewertung anschaulicher herauszustellen, sowie die akute Säugetiertoxizität, das Abbau- und Anreicherungsverhalten, Kanzerogenität, Mutagenität, Teratogenität sowie die Mobilität in Boden und Grundwasser in einem Validierungsschritt nachvollziehbar zusammenzufassen. Ein besonderes Problem besteht bei der Einstufung von Zubereitungen. Angesichts ihrer großen Zahl ist es unmöglich, für alle Zubereitungen die an sich zur Einstufung erforderlichen Prüfergebnisse zu erarbeiten. Andererseits kann sich die Einstufung nicht ausschließlich an der Komponente mit der höchsten Wassergefährdungsklasse orientieren, unabhängig von ihrem Anteil.

Sonstige Gesetzesvorgaben (BRD)

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Es wird deshalb eine Methode diskutiert, die es nach dem Vorbild der Einstufung und Kennzeichnung gefährlicher Zubereitungen in der Gefahrstoffverordnung erlaubt, eine Einstufung basierend auf der Wassergefährdungsklasse und dem Prozentanteil der in der Zubereitung enthaltenen Stoffe vorzunehmen. Dieses Verfahren entspricht zwar nicht streng wissenschaftlichen Grundsätzen, ist aber aus Praktikabilitätsgründen durchaus anwendbar. Sofern von einer Zubereitung die zur Einstufung erforderlichen Daten nicht vorliegen, sind die Komponenten der höchsten W G K für die Einstufung maßgebend. Die Selbsteinstufung von Zubereitungen kann nach folgenden Richtwerten vorgenommen werden: > 3% an < 3% an > 10% an < 10% an

WGK WGK WGK WGK

3-Stoffen 3-Stoffen 2-Stoffen 2-Stoffen

in in in in

einer einer einer einer

Zubereitung: Zubereitung: Zubereitung: Zubereitung:

WGK WGK WGK WGK

3 2 2 1

W G K 0 kann durch Verdünnen nicht erreicht werden. Darüber hinaus gilt kein Verdünnungsprinzip bei kanzerogenen Stoffen nach der MAK-WerteListe. Bei Gemischen richtet sich die Wassergefahrdungsklasse nach den am Gemisch selbst ermittelten Daten. Solange solche Daten nicht vorliegen, ist die Teilkomponente mit der höchsten W G K für die Einstufung maßgebend. Dabei sind auch die Massenanteile und Löslichkeiten der Bestandteile des Gemisches zu beachten. Abschließend läßt sich feststellen, daß es im Bereich der Wassergefahrdung derart vielfältige Gefahrstoffregelungen gibt, daß sie selbst für Fachleute nicht mehr überschaubar sind. Je nachdem, in welchem Regelungsbereich sich der betreffende Stoff gerade befindet, sind unterschiedliche Vorschriften zu beachten. Da diese Situation und Entwicklung den nationalen und internationalen Bestrebungen nach Harmonisierung, insbesondere im Hinblick auf den für 1992 vorgesehenen Beginn des europäischen Binnenmarktes, widerspricht, müssen Überlegungen angestellt werden, inwieweit für einen neu zu regelnden Rechtsbereich bereits vorhandene Regelungen und Definitionen übernommen werden können. Dabei müssen vor allem die nationalen Regelungen und Definitionen des W H G auf Übertragbarkeit in das internationale Gefahrgutrecht überprüft werden und ob und wie weit das nationale Bewertungsschema des W H G in Anbetracht neuer Randbedingungen (Harmonisierung innerhalb der EG) modifiziert werden muß.

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Trinkwasser Trinkwasser unterliegt lebensmittelrechtlichen und seuchenhygienischen Bestimmungen. Es ist gemäß § 1 des Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetzes aus dem Jahre 1974 ein Lebensmittel. Nach der Trinkwasserverordnung von 1986 muß Trinkwasser frei sein von Krankheitserregern (Escherichia coli) und darf festgesetzte Grenzwerte für bestimmte chemische Stoffe nicht überschreiten. Andere als die in einer Anlage aufgeführten Stoffe darf das Trinkwasser nicht in Konzentrationen enthalten, die geeignet sind, die menschliche Gesundheit zu schädigen. Ferner sollen Konzentrationen von chemischen Stoffen, die das Trinkwasser verunreinigen oder die Beschaffenheit des Trinkwassers nachteilig beeinflussen können, so niedrig gehalten werden, wie dies nach dem Stand der Technik mit vertretbarem Aufwand unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles möglich ist. Da für die Aufbereitung von Rohwasser zu Trinkwasser chemische Stoffe zum Einsatz kommen, ist eine toxikologische Bewertung dieser chemischen Stoffe erforderlich. Anhand eines vom Bundesgesundheitsamt erarbeiteten Katalogs sind die erforderlichen Angaben und Unterlagen zur hygienischen und toxikologischen Prüfung für Mittel zur Aufbereitung von Wasser zu Trinkwasser beizubringen. Ziel der Bewertung ist die toxikologische Charakterisierung der technologisch wirksamen Substanzen und — soweit in Betracht kommend — der Beistoffe (technische Hilfs- und Zusatzstoffe, Begleitstoffe und technische Verunreinigungen), der Abbau- und Reaktionsprodukte sowie des Handelspräparates und der infolge der Anwendung entstehenden chemischen Verbindungen. Bei der Prüfung wird zwischen generell obligat einzureichenden Unterlagen und zusätzlich einzureichenden Unterlagen unterschieden. Folgende obligat einzureichende Prüfunterlagen sind hierbei zu nennen: 1. Untersuchung der technisch hergestellten, technologisch wirksamen Substanzen, ggf. der Beistoffe, des Fertigprodukts und der Abbau- und Reaktionsprodukte auf — akute orale und intraperitoneale Toxizität (LD 50) an Ratten und einer weiteren Versuchstierart. Auf die genaue Bestimmung der LD 50 bei der zweiten Tierart kann verzichtet werden, wenn zusätzlich von weiteren üblichen Labortierarten genügend orientierende Toxizitätsdaten vorliegen; — kumulativ-toxische Wirkung an Warmblütern und über einen Zeitraum von 28 Tagen oder länger, sofern nicht aus anderen Versuchen ein kumulatives Verhalten beurteilt werden kann;

Sonstige Gesetzesvorgaben (BRD)

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— subchronische Toxizität an Ratten in der Wachstumsperiode über einen Zeitraum von 90 Tagen nach Verabreichung im Trinkwasser. 2. Untersuchung des Fertigproduktes (Handelspräparat) und ggf. der anwendungsfertigen Zubereitung auf akute orale Toxizität an der Ratte und einer weiteren Tierart, sofern von dem Produkt nicht ausreichend bekannt ist, wie sich deren Kombination von Wirkstoffen und Beistoffen toxikologisch verhalten. Falls erforderlich, sind für die Bewertung folgende zusätzliche Prüfnachweise vorzulegen: — Untersuchungen zur Toxikokinetik, — Langzeituntersuchungen an Ratten und Hunden mit hinreichend langer Applikationsdauer. Darüber hinaus können nach den Befunden der durchgeführten Untersuchungen oder bei allgemein toxikologischen Bedenken weitere spezielle Untersuchungen notwendig werden, die insbesondere die folgenden Prüfungen umfassen: — — — — —

Sensibilisierung, Neurotoxizität bzw. Verhaltensänderungen, Reproduktionstoxizität einschließlich Teratogenität, Mutagenität, Kanzerogenität.

Aus dem aufgeführten Katalog wird deutlich, daß wiederum eine breite Palette an einschlägigen toxikologischen Untersuchungen für die gesundheitliche Beurteilung in Betracht zu ziehen ist. Dies ist auch dringend geboten, da es sich im Fall des Trinkwassers um ein unverzichtbares Lebensmittel handelt, das vom Verbraucher lebenslang aufgenommen wird und deshalb in gesundheitlicher Hinsicht allerhöchsten Ansprüchen genügen muß.

Zusatzstoffe und Schadstoffe in Futtermitteln, Schadstoffe in Düngemitteln — eine rechtliche Betrachtung K. Riedl

Abstract The registration of feed additives and the limitation of pollutants in feedstuffs are subjects of a federal act in Austria. The testing procedures of feed additives are the same as for the registration of any compound feed. In this testing procedures a Committee of Experts plays an important role as a consulting body. This Committee consists of representatives of government authorities, of science (2 universities) and of the Chambers of Agriculture, of Commerce and of Labour. The criteria of testings and the evaluations of substances, which are followed by the Committee are practically in agreement with the decisions of the EEC-Commission, although there are no detailed provisions. Thus the catalogue of registered feed additives in Austria does not significantly differ from the EEC-directives. The Committee also acts as a consultant for the regulation of maximum values of pollutants. So the most important provisions of animal feed law in Austria are executed by a formal institution in a rather informal way. A new act just being completed is supposed to obtain the harmonization with the EEC-directives. The formal participation of the Department of Health shall be a necessary novelty in this testing procedures of feed additives and pollutants in feedstuffs. The registration of fertilizers by a new federal act of 1985 requires already the participation of the Department of Health (no act existed before that time). The inforcement of this new act has just begun and we are gathering our first experiences with it.

Einleitung Der Boden ist Grundlage für die pflanzliche, das Futtermittel für die tierische Produktion. Als Glieder der Nahrungskette gewinnen beide zunehmend an Beachtung und Bedeutung. Denn eine stürmische Entwicklung in Wissen-

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schaft und Technik während der letzten Jahrzehnte erbrachte nicht nur eindrucksvolle Beweise ihrer Nutzbarkeit für eine immer produktivere Erzeugung immer besserer Nahrungsmittel. Auch die Kehrseite der Medaille ist immer klarer zutage getreten in Gestalt möglicher Gefahren für Mensch, Tier und Umwelt. Zusammenhänge, wie ζ. B. der Kreislauf Futtermittel-Dünger-Boden-Grundwasser sind untersucht, bisher unbekannte Schadstoffe und deren Quellen erkannt und erforscht worden. Aufgabe des Staates ist es nun, diesen Erkenntnissen folgend im Interesse der Allgemeinheit Vorschriften zur Minimierung solcher Risiken zu erlassen und zu vollziehen. Dieser komplexe Bereich ist Gegenstand partikulärer Regelungen, die in Österreich überwiegend in der Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes liegen. Futtermittel- und Düngemittelrecht gehören zur Verwaltungszuständigkeit des Landwirtschaftsministers. Das Futtermittelgesetz geht in seinen Anfängen auf das Jahr 1916 zurück und steht vor einer umfassenden Erneuerung. Das Düngemittelgesetz — das erste in Österreich — ist dagegen so neu, daß es sich erst in einer Einführungsphase befindet. Wenn sich meine Ausführungen mehr und zuerst mit dem Futtermittelrecht beschäftigen, so nicht nur deshalb, weil es sich dabei um die ältere und vielfältigere Materie handelt, sondern weil sie mit den Zusatzstoffen auch die größere Problematik beinhaltet. Ein Blick auf das umfangreiche Instrumentarium der EG-Richtlinien (die Zusatzstoffrichtlinie ist in ihren Anhängen bereits mehr als 50mal geändert worden!) oder auf die deutsche Futtermittelverordnung verdeutlicht auch den damit verbundenen wissenschaftlichtechnischen Aufwand. Was die Schadstoffbegrenzungen betrifft, so sollten von der Wissenschaft aufgezeigte mögliche Kontaminationen von Futtermitteln wie von Düngemitteln zu raschen Konsequenzen in den Vorschriften führen. Wie Österreich, das nicht die Mittel größerer Staaten besitzt und außerhalb der EG steht, solchen Anforderungen gerecht zu werden versucht (hat), soll eine nähere Betrachtung seiner Rechtsvorschriften und ihrer Vollziehungspraxis zeigen.

Futtermittel Geltendes Recht Das österreichische Futtermittelgesetz aus 1952 [1] mit seiner dazu ergangenen Futtermittelverordnung 1976 [2] kennt nur 4 formal unterschiedene Arten von Futtermitteln (frei in Verkehr setzbare, deklarationspflichtige, anzeige- und genehmigungspflichtige), legt für die meisten Einzelfuttermittel Beschaffenheits-

Zusatz- und Schadstoffe in Futtermitteln und Düngemitteln

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und Bezeichnungsanforderungen fest und sieht für alle Mischfuttermittel eine Registrierung vor. Alle Mischungen, die nicht einem in den sogenannten Rahmenbestimmungen enthaltenen Typ entsprechen, bedürfen zur Erzeugung und Inverkehrbringung einer Genehmigung des Bundesministers (BM) für Land- und Forstwirtschaft (im Einvernehmen mit dem BM für Wirtschaft). Gesetzliche Definitionen (§1) gibt es nur für „Futtermittel (Abs. 1) als organische Stoffe, die zur Verfütterung bestimmt sind" (ausgenommen Arzneimittel) und für „Mischungen" (Abs. 2) als Gemenge organischer Stoffe oder Gemenge mineralischer Stoffe. Nicht definiert sind Begriffe wie „Futterzusatzstoffe", „Schadstoffe", „Inhaltsstoffe", „Allein-", „Ergänzungsfuttermittel" und mehr. Zusatzstoffe werden als Mischungsbestandteile gewertet und als solche sowohl in den Typen der Rahmenbestimmungen als auch in Genehmigungsgescheiden behandelt. Schadstoffe sind vereinzelt als qualitätsmindernde Bestandteile von Einzelfuttermitteln bei deren Beschaffenheitsvorschriften oder als Kriterien der Verdorbenheit bei Mischungen genannt. Futtermittel werden auch im Lebensmittelgesetz 1975 [3], Arzneimittelgesetz [4] und im Chemikaliengesetz [5] erwähnt. Während das Chemikaliengesetz Futtermittel nur vom Geltungsbereich der Bestimmungen über Anmeldepflicht, Verpackung, Kennzeichnung und Gebrauchsanweisung ausnimmt (§ 3 Abs. 3, „weil das aus dem Jahr 1952 stammende F M G in toxikologischer Hinsicht nicht mehr dem heutigen Stand entspricht", RV) und das Arzneimittelgesetz Futtermittel grundsätzlich ausnimmt (Abs. 1, Abs. 3 Ziff. 4) enthält das Lebensmittelgesetz in seinem § 15 „Besondere Vorschriften über die Behandlung von Tieren zur Gewinnung von Lebensmitteln tierischer Herkunft". Darin wird nicht nur die Verabreichung von Hormonen und von Antibiotika zur Erhöhung der Haltbarkeit tierischer Lebensmittel verboten, sondern ist auch eine Verordnungsermächtigung (im Einvernehmen mit dem BM für Land- und Forstwirtschaft) enthalten, mit der bestimmte Futterzusatzstoffe, sog. Stoffe mit spezifischer Wirkung, sowie Schädlingsbekämpfungsmittel, Reinigungs- und Desinfektionsmittel für Tiere und Tierställe zugelassen und Schadstoffe, wie Rückstände von Pflanzenschutz-, Schädlingsbekämpfungs-, Reinigungs- und Desinfektionsmitteln und anderen Stoffen begrenzt werden können. Solche Verordnungen sind bisher nicht erlassen worden. Zulassung von

Futterzusatzstoffen

Zusatzstoffe zu Futtermitteln sind hauptsächlich in den letzten 3 Jahrzehnten entwickelt und seither immer stärker eingesetzt worden, so daß sie heute praktisch nicht mehr wegzudenken sind. Sie dienen verschiedenen Zwecken im Futtermittel, wie

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— der Verbesserung der technologischen Beschaffenheit und Haltbarkeit, ζ. B. Konservierungsstoffe, Emulgatoren, — der Verbesserung der Futteraufnahme, ζ. B. Aroma- und Geschmacksstoffe, — der ernährungsphysiologischen Aufwertung, ζ. B. Vitamine, Spurenelement-Verbindungen, — besonderen physiologischen Wirkungen, ζ. B. Leistungsförderer (Fütterungsantibiotika) oder — der Erhöhung der Widerstandskraft der Tiere gegen bestimmte, verbreitete Gesundheitsgefährdungen, ζ. B. Coccidiose-Abwehrstoffe. Mangels einer ausdrücklichen Regelung im Futtermittelgesetz werden Futterzusatzstoffe, wie erwähnt, rechtlich als Mischungsbestandteile behandelt. Sie können daher auch nur innerhalb einer Mischung im Genehmigungsverfahren zur Zulassung gelangen. Dieses Verfahren ist im Gesetz (§ 5) genau geregelt und grundsätzlich für besondere (neue, ζ. B. durch einen neuen Mischungsbestandteil) Mischungen vorgesehen. Genehmigungsbescheide werden, diesem Ausnahmecharakter Rechnung tragend, auch grundsätzlich nur befristet ausgestellt. Dieses relativ aufwendige Verfahren — wie noch näher beschrieben — erscheint bei der ersten Zulassung eines neuen Zusatzstoffes (innerhalb einer eingereichten Mischung!) sehr wohl gerechtfertigt. Ihm unterliegen aber auch alle weiteren Mischungen mit diesem Stoff, bis ein Typ in den Rahmenbestimmungen für sie paßt, d. h. auch der Zusatzstoff dort zu finden ist. Mischfuttermittel, die einem Typ (Verwendungszweck) der Rahmenbestimmungen in der Futtermittelverordnung entsprechen, werden als anzeigepflichtige (§ 4) nach formaler Prüfung unbefristet im Register eingetragen. In diese Kategorie fallt der überwiegende Teil aller im Handel befindlichen Mischfuttermittel. Das setzt voraus, daß auch alle zu ihrer Herstellung erforderlichen Zusatzstoffe in den einzelnen Verwendungszwecken enthalten sind. Die Futtermittelverordnung 1976 hat dazu erstmals alle bis dahin in Genehmigungsbescheiden zugelassenen Zusatzstoffe nicht nur in den einzelnen Verwendungszwecken mit der jeweils erlaubten Höchstdosis angeführt, sondern auch in einer Liste einzeln beschrieben und nach Kategorien zusammengefaßt (dabei wurden auch spezielle Anforderungen für einzelne Stoffe oder für ganze Kategorien festgelegt, wie besondere Kennzeichnungen oder Haltbarkeitsgarantien). Die Futtermittelverordnung 1976 ist alle zwei Jahre novelliert worden. Damit konnte jeweils dem letzten Stand der Entwicklung Rechnung getragen werden. Das Verfahren zur Genehmigung von Futtermitteln ( = Zulassung von Zusatzstoffen) nach § 5 des Futtermittelgesetzes sieht eine zweistufige Prüfung vor: Einem Gutachten der Landwirtschaftlich-chemischen Bundesanstalt folgt

Zusatz- und Schadstoffe in Futtermitteln und Düngemitteln

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die Anhörung der Fachkommission für Futtermittel. Die Landwirtschaftlichchemische Bundesanstalt, eine dem BM für Land- u. Forstwirtschaft unterstehende Anstalt, beschränkt sich in ihrem Gutachten ihrer Kapazität entsprechend auf die Beurteilung der Mischung auf ihre zweckmäßige Zusammensetzung und auf die Überprüfung der Vollständigkeit der vorgelegten Unterlagen über den Zusatzstoff. Hierzu ist in Zusammenarbeit mit der Fachkommission für Futtermittel für Leistungsförderer und Prophylaktika ein Fragebogen erstellt worden, der den Einreicher darüber informieren soll, was die Kommission für die Beurteilung des Zusatzstoffes an Unterlagen (Dossier) erwartet. Nach diesem Fragebogen sind neben formalen Angaben und Daten über chemische und physikalische Eigenschaften, Reinheitsgrad, Analytik (einschließlich einer Methode für Routineuntersuchungen auf Rückstände in tierischen Lebensmitteln), Kompatibilität usw. insbesondere zu belegen: — — — — — — — —

Toxizität, und zwar akute, subchronische und chronische, ADI-Wert (auch mit metabolischem Körpergewicht errechnet), Stoffwechselkinetik, Rückstände in tierischen Geweben, Einfluß auf Schlachtkörperqualität, Abbau in Fäkalien und im Boden, Pharmakologie, kanzerogene, teratogene und mutagene Wirkung, für antimikrobiell wirkende Substanzen auch Resistenzentwicklung, Kreuzresistenz und minimale Hemmkonzentrationen.

Dazu wird in einem Merkblatt ausgeführt, daß — die Prüfung auf Toxizität, kanzerogene, teratogene und mutagene Wirkung nach dem letzten Stand der WHO-Empfehlungen durchzuführen ist, — akute Toxizität an Ratte und Maus in Reinsubstanz und technischem Produkt zu prüfen ist, — subchronische Toxizität an Ratte und Hund, eventuell am Nutztier zu prüfen und bei Veränderungen an Fortpflanungsorganen ein Dreigenerationentest durchzuführen ist, — chronische Toxizität an Ratte (2 Jahre) und Hund (1 Jahr) durchzuführen ist, — bei Substanzen mit antibiotischen Eigenschaften mikrobiologische Geweberückstandsuntersuchungen verlangt werden und — im Falle, daß die Unbedenklichkeit vorhandener Metaboliten nicht bewiesen werden kann, die Prüfung auf „Relay-Toxizität" vorzulegen ist. Die Fachkommission für Futtermittel besteht aus je einem Vertreter der Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, für Wirtschaft und zwei für Gesundheit (jetzt BKA), der Veterinärmedizinischen und der Universität für Bodenkultur, der Landwirtschaftskammern, Wirtschaftskammer und des Ar-

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beiterkammertages. Den Vorsitz führt ein vom BM für Land- und Forstwirtschaft bestellter Beamter. Die Kommission besteht derzeit mit Ausnahme der Vertreter des BM für Wirtschaft und der Bundeswirtschaftskammer sowie des Vorsitzenden (Juristen) aus Experten naturwissenschaftlicher Fachrichtungen, so daß die gesetzliche Bezeichnung „Fachkommission" gerechtfertigt erscheint. Die Mitglieder dieses Gremiums erhalten die nach dem Fragebogen von der Bundesanstalt vorgelegten Unterlagen zugleich mit der Einladung zu einer Sitzung, in der dann (nicht öffentlich) darüber beraten wird. Eine Empfehlung auf Zulassung wird nur dann abgegeben, wenn alle Mitglieder sich dafür ausgesprochen haben. Es gibt keinen Abstimmungsmodus und auch keine eigene Geschäftsordnung. Dennoch kann die Kommission als ein eingespieltes Instrument der Futtermittelverwaltung angesehen werden, das sich in den mehr als drei Jahrzehnten der Geltungsdauer des Futtermittelgesetzes bewährt hat. Aus den Protokollen der 164 bisher abgehaltenen Sitzungen kann die ganze Geschichte der Futtermitteltechnologie in Österreich seit dem letzten Krieg abgelesen werden. Die Mitwirkung in der Kommission ist ehrenamtlich; es gibt im Futtermittelgesetz eine besondere Verschwiegenheitspflicht für die Mitglieder. Die Tätigkeit wird entsprechend der hohen Verantwortung sehr ernst genommen, so daß es oft mehrerer Sitzungen bedarf, ehe die vorgelegten Unterlagen für ausreichend zu einer endgültigen Beurteilung befunden werden. Sieht sich die Kommission außerstande, in besonderen Fragen zu einer schlüssigen Beurteilung zu gelangen, können weitere Sachverständige aus den gefragten Spezialgebieten (ζ. B. Toxikologie) beigezogen werden. Die gesammelten Ergebnisse dieser in Einzelverfahren abgegebenen gutachtlichen Stellungnahmen der Fachkommission werden auch als Grundlage für die generelle Zulassung von Zusatzstoffen in der Futtermittelverordnung herangezogen. Außerdem hat sich die Kommission auch stets zur Mitarbeit an der Erstellung von Verordnungsentwürfen und zur fachlichen Prüfung der im Begutachtungsverfahren eingereichten Stellungnahmen zur Verfügung gestellt. Dabei erwies sich die erwähnte Zusammensetzung der Kommission (Behörden, Wissenschaft und Interessensvertretungen) von Vorteil, weil innerhalb dieses Gremiums bereits gleichsam das offizielle Begutachtungsverfahren vorweggenommen wurde. Stellen sich gegen eine Zulassung nachträglich Bedenken heraus, so kann a) ein Genehmigungsbescheid entweder aufgehoben (nur bei Gefahr für Leben oder Gesundheit von Menschen oder zur Abwehr schwerer volkswirtschaftlicher Schäden) oder der Fristablauf abgewartet werden, oder b) die Verordnung novelliert und damit ein Stoff gestrichen oder nur mehr beschränkt zugelassen werden.

Zusatz- und Schadstoffe in Futtermitteln und Düngemitteln

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Beide Maßnahmen sind in der Vergangenheit bereits angewendet worden (ζ. B. Eliminierung von Tetracyclinen aus Bescheidgenehmigungen, Streichung von Nitrovin, Carbadox aus der Verordnung). Wirtschaftliche Beziehungen zum EG-Raum, insbesondere zur Bundesrepublik Deutschland und internationale Kontakte der befaßten Experten haben seit je bei der Zulassung von Zusatzstoffen auf die im Ausland getroffenen Entscheidungen blicken lassen. Gerade im Futtermittelrecht ist die Harmonisierung innerhalb der EG sehr weit fortgeschritten. Dies hat zusammen mit den begrenzten Möglichkeiten einer Nachprüfung in Osterreich dazu geführt, daß die Entwicklung dort besonders genau verfolgt wurde und wird. Die Richtlinie über Zusatzstoffe in der Tierernährung von 1970 enthält neben grundsätzlichen Bestimmungen in den (häufig geänderten) Anhängen I und II alle zugelassenen Zusatzstoffe aufgelistet. Die in Anhang I (unbefristet, für alle EG-Staaten verbindlich) angeführten Stoffe sind mit den in der österreichischen Futtermittelverordnung zugelassenen zu vergleichen, während die Anführung in Anhang II (befristet) mit der bescheidmäßigen Zulassung in Österreich vergleichbar ist. Die Richtlinie zur Festlegung von Leitlinien zur Beurteilung von Zusatzstoffen aus dem Jahr 1987 enthält eine Anleitung für die Erstellung von Dossiers über Zusatzstoffe, die über den in Österreich verwendeten Fragebogen aus 1983 hinausgeht. Das ausführlichste der fünf Kapitel dieser Leitlinien betrifft Untersuchungen über die Sicherheit der Verwendung des Zusatzstoffes. Da die Zulassung eines neuen Zusatzstoffes oder eines neuen Verwendungszweckes für einen Zusatzstoff in der EG einem mehrstufigen Prüfverfahren unterliegt — zuerst innerhalb eines Staates und dann durch die vorgesehenen Ausschüsse in Brüssel — ist es naheliegend, daß ihr für die Zulassung in Österreich praktisch eine präjudizielle Bedeutung zukommt. Sie wird daher auch regelmäßig in Genehmigungsanträgen erwähnt und im Verfahren als Beweismittel gewertet. Das bedeutet allerdings nicht, daß mit der Zulassung durch die EG (Aufnahme in Anhang II oder I) auch bereits für die Zulassung des Stoffes in Österreich alles gewonnen wäre. Das in Österreich vorgelegte Dossier entspricht in der Regel dem für die EG erstellten. Trotzdem ist in Österreich bisher nicht alles zugelassen worden, was es in der EG gibt, während umgekehrt kaum ein Zusatzstoff — ausgenommen höchstens ein technischer Hilfsstoff — in Österreich erlaubt und in der EG nicht zugelassen ist. Die österreichische Zulassungspraxis ist, wie in anderen Bereichen auch, einfach prinzipiell vorsichtiger. Die Liste von zugelassenen Zusatzstoffen in Österreich kann als durchaus zeitgemäß und auch effektiv überwacht bezeichnet werden. Ein in Ausarbeitung befindliches neues Futtermittelgesetz soll dennoch nicht nur eine verfas-

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sungsrechtliche Sanierung der bewährten Praxis bewirken, sondern auch inhaltliche Änderungen bringen. Die Orientierung am EG-Recht ist dabei nicht erst als Folge politischer Bestrebungen zu sehen. Nach Ergänzung bisher fehlender Begriffsbestimmungen und Verordnungsermächtigungen soll nach einem ministeriellen Begutachtungsentwurf künftig die Zulassung von Zusatzstoffen grundsätzlich durch Verordnung erfolgen, in der (nach dem Muster der bundesdeutschen Regelung) die erlaubten Höchstwerte nicht mehr in die Typen eingebaut, sondern in einer nur die Zusatzstoffe betreffenden Auflistung mit allen Auflagen angeführt werden. Die Prüfung von Zusatzstoffen wird einer besonderen Regelung unterliegen, die sich einerseits an der bisherigen Praxis und andererseits an den erwähnten EG-Regelungen zu orientieren haben wird (die oben erwähnte Leitlinie zur Beurteilung von Zusatzstoffen wird dabei selbstverständlich heranzuziehen sein). Die Mitwirkung einer Expertenkommission nach dem Muster der bestehenden Fachkommission ist auch für die Prüfung innerhalb des Verordnungsgebungsverfahrens vorgesehen. Die Mitwirkung (Einvernehmen) des Gesundheitsressorts bei der Zulassung antibiotisch wirksamer oder sonst leistungsfördernd oder prophylaktisch eingesetzter Zusatzstoffe erscheint notwendig. Damit soll vor allem in der Verantwortung für die toxikologische Beurteilung der bisher allein zuständige Landwirtschaftsminister entlastet werden. Die vorgesehene Neuregelung wird sich auch auf die oben erwähnten Futtermittel betreffenden Bestimmungen im Lebensmittel-, Arzneimittel- und Chemikaliengesetz auswirken. So werden die Verordnungsermächtigungen des § 15 L M G wegen künftiger Doppelgleisigkeit zu überprüfen, die Abgrenzung im A M G hinsichtlich Futterzusatzstoffe zu ergänzen und im ChemG wohl künftig Futtermittel und Futterzusatzstoffe gänzlich auszunehmen sein. Begrenzung von Schadstoffen

in Futtermitteln

Regelungen über Schadstoffe in Futtermitteln sind im österreichischen Futtermittelrecht erst in Ansätzen vorhanden. Hier liegt auch eines der Hauptmotive für die Schaffung eines neuen Gesetzes. Das geltende Gesetz kennt diesen Begriff gar nicht und in der Futtermittelverordnung sind nur vereinzelt in den Beschaffenheitsvorschriften für Einzelfuttermittel Begrenzungen von Stoffen wie Gossipol, Ammoniak, Erucasäure, Senföl und Fluor sowie Verbote von pathogenen Keimen, lebenden Hefezellen und Samen von Brassica juncea und Brassica nigra zu finden. Erst im Zuge der Novellierungen der Verordnung sind bei Tiermehl Perchloräthylengrenzwerte und für Mischfuttermittel Aflatoxinbegrenzungen eingefügt worden. Mehr gibt es derzeit nicht an Schadstoffvorschriften im Futtermittelrecht.

Zusatz- und Schadstoffe in Futtermitteln und Düngemitteln

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In der EG gibt es hingegen bereits seit 1973 eine Richtlinie über unerwünschte Stoffe und Erzeugnisse, mit der die Mitgliedstaaten ab 1976 zu Schadstoffbegrenzungen in Futtermitteln entsprechend dem Anhang zu dieser Richtlinie verpflichtet wurden. Im Jahr 1987 wurde diese Richtlinie auch auf Rückstände von Schädlingsbekämpfungsmitteln erweitert. Hier besteht in Österreich ein Nachholbedarf. Der Entwurf des neuen Futtermittelgesetzes sieht daher auch eine Ermächtigung zur umfassenden Regelung von unerwünschten Stoffen und Erzeugnissen in und auf Futtermitteln (analog der EG-Richtlinie) vor. Auch dafür ist die Einbindung (Einvernehmen) des Gesundheitsressorts vorgesehen. Ihm wird hier sogar eine führende Rolle zukommen. Die im § 15 LMG enthaltene Verordnungsermächtigung über Schadstoffe in und auf Futtermitteln wird durch diese Verordnung nach Futtermittelrecht entbehrlich werden. Eine zeitgemäße Schadstoffregelung ist deshalb vordringlich, weil nach dem Verbot belasteter Futtermittel in anderen Staaten für Österreich die Gefahr bestünde, zum „Abfallkübel Europas" zu werden, wenn anderswo nicht mehr verkehrsfähige Produkte in unserem Land abgesetzt werden könnten. Es gilt daher, so rasch wie möglich mit der EG gleichzuziehen. Rückblick und Ausblick Die ersten futtermittelrechtlichen Vorschriften haben ausschließlich den Schutz des Tierhalters vor Übervorteilung sowie des reellen Futtermittelproduzenten vor unlauterer Konkurrenz zum Ziele gehabt. Mit der Entwicklung und Verwendung neuer, dem Stand der Ernährungsphysiologie entsprechender Futtermittel zum Zweck einer möglichst wirtschaftlichen Erzeugung hochwertiger tierischer Lebensmittel ist dieses Ziel in den Hintergrund getreten gegenüber dem Schutz der Gesundheit des Menschen als Verbraucher tierischer Lebensmittel, dem Schutz der tierischen Gesundheit und schließlich dem Schutz der Umwelt allgemein. Damit sind Prüfungen der zum Einsatz gelangenden Zusatzstoffe und der Futtermittel bzw. der verarbeiteten Rohstoffe auf mögliche Schadstoffbelastungen erforderlich geworden. Das österreichische Futtermittelrecht besteht aus einem über 30 Jahre alten Gesetz, das darüber keine detaillierten Vorschriften enthält und einer Verordnung, mit der 1977 ein zeitgemäßer Rahmen (für sog. anzeigepflichtige Mischfutter) geschaffen und seither alle 2 Jahre adaptiert wurde. Die Erneuerung des Gesetzes als Grundlage auch weiterer Verordnungen ist in Angriff genommen. Vorbild einer Neuregelung ist das EG-Recht. Die Regelungen im Gesetz sollen den Rahmen für flexible Ausführungsbestimmungen in der Verordnung schaffen, damit der Entwicklung in Wissenschaft und Technik Rechnung getragen werden kann. Die Beurteilung der Ergebnisse toxikologisch-pharmakologi-

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scher Prüfungen von neuen Zusatzstoffen wird dabei ebenso wie die Erstellung von Höchstwerten für Schadstoffe in der Verantwortung des Gesundheitsressorts liegen. Zulassung oder Nichtzulassung von Substanzen wird in der Praxis, wie dies schon heute der Fall ist, von dem Ergebnis des Zulassungsverfahrens in der EG beeinflußt werden. Auf dem Gebiete der Schadstoffregelungen sind mit den heute bekannten Stoffen und Wirkungen sicher noch lange nicht alle möglichen Schadfaktoren erforscht, so daß mit einer weiteren Entwicklung zu rechen ist, der die Gesetzgebung wird folgen müssen. Auch hier wird ein enger Kontakt mit der Gesundheitsbehörde anzustreben sein.

Düngemittel Im Jahr 1985 ist in Österreich erstmals ein Düngemittelgesetz [6] beschlossen worden. Es regelt die Inverkehrsetzung von Düngemitteln, Bodenhilfsstoffen, Kultursubstraten und Pflanzenhilfsmitteln (nicht deren Anwendung!). Das mit dem Düngemittelgesetz geschaffene System der Düngemittelverwaltung sieht eine Registrierung aller Düngemittel, Bodenhilfsstoffe, Kultursubstrate und Pflanzenhilfsmittel vor, wobei für mineralische Düngemittel Typen festgelegt wurden, nach denen nur angemeldet zu werden braucht; alles übrige bedarf einer Zulassung. Sowohl für die Erlassung der Typenverordnung als auch für die bescheidmäßige Zulassung gelten als Kriterien, daß nach dem Stand der Wissenschaft und Technologie bei sachgerechter Anwendung — die Fruchtbarkeit des Bodens, — die Gesundheit von Menschen und Haustieren, und — der Naturhaushalt nicht gefährdet wird. Im Zulassungsverfahren ist über das Vorliegen der genannten Voraussetzung die Landwirtschaftlich-chemische Bundesanstalt zum Gutachter berufen. Dabei wird ein eingereichtes Muster der Ware analysiert. Untersucht wird regelmäßig auf die Gehalte der Schwermetalle Blei, Cadmium, Chrom und Nickel, fallweise auf Gehalte an DDT, PCB und HCH, bei Rindenprodukten auf Lindan. Die Zulassung ist an das Einvernehmen mit dem Gesundheitsressort gebunden. In der Praxis wird bereits vor Fertigstellung des Gutachtens mit diesem Ressort in einer gemeinsamen Besprechung festgelegt, was an weiteren Untersuchungen, wie ζ. B. Pflanzenverträglichkeitstest oder Hemmstofftest, notwendig erscheint. Das Inkrafttreten des Gesetzes hat den erwarteten großen Verwaltungsaufwand ausgelöst, den man allmählich zu beherr-

Zusatz- und Schadstoffe in Futtermitteln und Düngemitteln

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sehen beginnt (nennenswerte Beeinträchtigungen der Wirtschaft waren dennoch dank großzügiger Übergangsbestimmungen nicht festzustellen). Österreich hat damit einen anderen Weg beschritten als etwa die Bundesrepublik Deutschland, wo es zwar eine umfangreiche Typenliste gibt, aber keine Anmeldung und Einzelzulassung. Dem österreichischen Gesetzgeber schien dagegen eine vorhergehende Prüfung im Interesse eines effektiven Bodenschutzes unerläßlich. Zusammenfassend kann festgestellt werden, daß die Zulassung von Futterzusatzstoffen nach österreichischem Futtermittelrecht demselben Verfahren wie die Zulassung einzelner Mischfuttermittel unterliegt, in dem einer Expertenkommission aus Vertretern von Behörden, Wissenschaft (2 Universitäten) und Interessensvertretungen eine eminente Bedeutung zukommt. Prüfkriterien und Beurteilung einzelner Substanzen werden dabei weitgehend von den Entscheidungen in der EG beeinflußt, so daß die Liste der zugelassenen Zusatzstoffe sich kaum von jener der EG-Richtlinien unterscheidet. Diese Expertenkommission ist auch bei der Festlegung von Schadstoffhöchstwerten beratend tätig. Damit werden die wichtigsten Bestimmungen des österreichischen Futtermittelrechtes mittels einer formalen Einrichtung (Kommission) bisher eher informal vollzogen. Ein neues im Entstehen begriffenes Gesetz soll eine Angleichung an das EGRecht bringen. Dabei ist eine formale Mitbeteiligung des Gesundheitsressorts in der Prüfung von Zusatzstoffen und Schadstoffen in Futtermitteln als notwendige Neuerung vorgesehen. Die Zulassung von Düngemitteln durch ein Bundesgesetz aus 1985 (erstmals in Österreich) hat die Mitbeteiligung des Gesundheitsressorts bereits verwirklicht. Die Vollziehung des Gesetzes ist erst angelaufen und wir sammeln unsere ersten Erfahrungen damit.

Literatur [1] [2] [3] [4] [5] [6] [7]

Futtermittelgesetz 1952: BGBl. Nr. 97 in der Fassung BGBl. Nr. 518 (1987). Futtermittelverordnung 1976: BGBl. Nr. 28 (1977) in der Fassung BGBl. Nr. 32 (1987). Lebensmittelgesetz: BGBl. Nr. 86 (1975). Arzneimittelgesetz: BGBl. Nr. 185 (1983). Chemikaliengesetz: BGBl. Nr. 326 (1987). Düngemittelgesetz: BGBl. Nr. 488 (1985). Barfuss, W., H. Pindur, K. Smolka et al.: Österreichisches Lebensmittelrecht. Manz, Wien. 1975. [8] Beck, W.: Das österreichische Bodenschutzkonzept, Sonderausgabe der Zeitschrift „Förderungsdienst". Wien 1988, S. 3 2 - 4 6 .

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Κ. Riedl

[9] Eckerskorn, W.: Zur Entwicklung des Futtermittelrechtes. Berichte über Landwirtschaft 54 (1976) 1 4 1 - 1 5 3 . [10] Eichler, M.: Dimensionen des Agrarrechtes. Sonderausgabe der Zeitscheift „Förderungsdienst". Wien 1987. [11] Entel, H. J.: Futtermittelrechtliche Zulassung und Überwachung von Leistungsförderern. Kongreßband. VDLUFA-Schriftenreihe 20 (1986) 1 5 5 - 1 7 1 . [12] Hancvencl, P.: Düngemittelgesetz. Verl. Österreichische Staatsdruckerei, Wien. 1986. [13] Kaemmerer, K.: Gedanken anläßlich der Verabschiedung der EG-Leitlinie für die Beurteilung von Zusatzstoffen in der Tierernährung. Kraftfutter 12 (1980) 576 — 580. [14] Koch, V., O. Weinreich, J. Knippel, W. Eberhard: Futtermittelrechtliche Vorschriften. Alfred Strothe, Frankfurt/M. 1988. [15] Leibetseder, J.: Einfluß der modernen Tierproduktion auf die Eigenschaften der Lebensmittel tierischer Herkunft. Ernährung/Nutrition 5 (1981) 3 1 6 - 3 2 3 . [16] Stadler, G., K. J. Hartig: Chemikaliengesetz. Manz, Wien. 1988.

III Toxikologische Prüfstrategien in der Diskussion

Diskussionsbeiträge Diskussionsleitung:

W. Henschler, Würzburg

Teilnehmer:

R. Bass, Berlin E. Bobek, Wien H. Greim, München W. Grunow, Berlin R. Hess, Basel A. G. Hildebrandt, Berlin D. Kayser, Berlin W. Lingk, Berlin F. Leuschner, Hamburg S. Madie, Berlin

D. Neubert, Berlin H. Pittner, Wien E. Plattner, Wien K. Riedl, Wien R. Schulte-Herrmann, Wien A. Somogyi, Berlin B. Volk, Freiburg/Br. W. Wendtland, Linz G. Zbinden, Zürich

Rundtischgespräch

Henschler: Das Thema des Rundtischgesprächs lautet: „Toxikologische Prüfstrategien in der Diskussion". Wir haben bisher überwiegend administrative Vorgaben behandelt und sollten nun versuchen, auf die toxikologische Prüfung und auf Prüfstrategien einzugehen. Es können noch Anregungen und Statements zum Thema Arzneimittelgesetz abgegeben werden, so zum Beitrag Bass und Pittner. Zbinden: Zum Arzneimittelgesetz sind natürlich bisher ausschließlich Behördenvertreter zu Worte gekommen. Wir haben gehört, daß das wichtigste Ziel die weltweite Harmonisierung oder Gleichmachung der Vorschriften für toxikologische Untersuchungen ist. Vom wissenschaftlichen Standpunkt aus sind die heutigen — bisher festgeschriebenen — Prüfstrategien in der Toxikologie eigentlich noch nicht perfekt. Ich kann mir kaum vorstellen, daß wir die gleichen Vorschriften und die gleichen Methoden verwenden, um Substanzen wie ζ. B. Aflatoxin, eines der bekanntesten, giftigsten und stärksten Karzinogene zu testen und ebenfalls die gleichen Methoden verwenden, um einen Betablocker, einen Pestizidrückstand oder einen praktisch harmlosen Lebensmittelfarbstoff zu untersuchen. Schon die Tatsache, daß wir ein derart enormes Spektrum von chemischen Substanzen, von Giftigkeiten haben, sollte uns doch eigentlich verdeutlichen, daß es sicher nicht richtig ist, dafür die vorhandenen Prüfungen, ζ. B. zur akuten, subakuten, chronischen Toxizität, Fertilität usw., einfach gleich zu verwenden. Ich hoffe, daß die Harmonisierung der heutigen Testmethoden nicht das Endziel dieses Symposiums oder der gesamten toxikologischen Arbeit für die Zukunft sein sollte. Die Vorschriften, die Herr Bass uns für die Arzneimittel vorgestellt hat, sind ja die klassischen Vorschriften, die noch auf die FDA zurückgehen, nur ζ. B. mit etwas größeren Tierzahlen. Die Behörden verlangen bestimmte Untersuchungen, damit die Industrie ζ. B. einen Betablocker oder einen Kalziumblocker auf den Markt bringen kann. Besser wäre es m. E., wenn sowohl die Untersuchungsmethoden als auch die Ziele, die man damit erreichen will, spezifiziert oder angegeben würden. Damit könnten die Toxikologen sich an notwendigen Zielen orientieren. Ich möchte Ihnen das an einem wichtigen Beispiel demonstrieren: In einigen Prüfvorschriften steht, daß für die Prüfung der schädlichen Wirkung von Arzneimitteln auch das Blutgerinnungssystem untersucht werden muß, d.h. der Quick-Test wird zur Feststellung der Prothrombinzeit

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Rundtischgespräch

durchgeführt. Bei Durchsicht solcher von der Industrie gelieferten Unterlagen zeigt sich, daß Tausende von Quick-Tests gemacht wurden, alle 3 Monate bei Ratte und Hund, gleichgültig, ob in der höchsten Dosis je etwas gesehen wurde oder nicht. Und wer etwas von Gerinnungs- und Bluthämostasephysiologie versteht, dem ist klar, daß der Quick-Test nur einen ganz geringen Teil der gesamten Problematik der Gerinnungsstörungen erfassen kann. Das Fibrinolysesystem und ein großer Teil des plasmatischen Gerinnungssystems wird vernachlässigt. Das bedeutet, wenn wir nun weltweit harmonisiert haben, führen wir an allen Ratten und Hunden alle 3 Monate einen Quick-Test durch. Damit haben wir zwar etwas gemacht, haben die Tiere ausgeblutet, aber dadurch sehr wenig über die Wichtigkeit der Hämostase gelernt. Besser wäre es, in den Prüfvorschriften vom Hersteller den Nachweis zu fordern, daß seine Substanz die Hämostase nicht nachteilig beeinflußt. Und erst dann sollte in jedem einzelnen Fall der Toxikologe entscheiden, welchen Test er verwendet. Für ein Antibiotikum ζ. B. ist der Quick-Test wichtig, für eine nicht-steroidale antiinflammatorische Substanz ζ. B. hat er keine Aussagekraft, da wäre die Messung der Plättchenaggregation notwendig. Zusammengefaßt: Bei dem Versuch der Harmonisierung der Vorschriften sollten die notwendigen Ziele nicht aus den Augen verloren werden. Henschler: Der Wunsch zur Harmonisierung ist auch auf das Chemikaliengesetz ausgedehnt worden. Das verwundert, denn die von Herrn Zbinden genannten Zielvorgaben sind im Arzneimittelgesetz zumindest in unserem Lande wunderschön realisiert, während Herr Kayser ganz deutlich gemacht hat, daß derartige Zielvorgaben im Chemikaliengesetz gar nicht existieren. Im Chemikaliengesetz ist von Exposition und Ausrichtung der Strategie nach der Exposition nicht die Rede, ist auch nicht gefordert. Vielleicht sollte Herr Baß noch einmal deutlich machen, wie weit Harmonisierungsbestrebungen in den Grundstrategien überhaupt gehen können und sollen. Bass: Ich glaube, wir müssen zwischen einer Harmonisierung der Formalien und der Inhalte unterscheiden. Erstere können wir beim heutigen Stand nicht weit genug treiben. Hier sind Verbesserungen jederzeit in großem Umfang möglich. Eine vollständige Harmonisierung der Inhalte einzelner Prüfvorschriften — akute Toxizität, chronische Toxizität usw. — ist ζ. Z. weder möglich, noch wäre sie sinnvoll. Ich glaube, diese Harmonisierung sollte tatsächlich die Ziele an die erste Stelle setzen und verschiedene Prüfmöglichkeiten anführen, die zur Lösung der Ziele benutzt werden können. Als Beispiel: Die Prüfrichtlinie nach § 26 in ihrem jetzigen Entwurfsstand trägt dieser Notwendigkeit, auf die wir auch von der Pharmakologischen Gesellschaft hingewiesen wurden, Rechnung. Im nationalen Rahmen können wir dies bereits umsetzen, international ist es jedoch viel schwieriger, trotzdem notwendig, und, wie ich meine, inzwischen auch machbar geworden, nachdem

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Japan sich eindeutig geöffnet hat und für solche Diskussionen zur Verfügung steht. Erfahrungen mit solchen Richtlinien liegen ζ. B. auf dem Gebiet der Reproduktionstoxikologie in der Europäischen Gemeinschaft vor, wo wir, unabhängig davon, ob es sich um die Prüfung von Chemikalien, Arzneimitteln, Pflanzenschutzmitteln oder anderen Gruppen handelt, Ziele vorgegeben haben. Ein ganzer Prüfkatalog als Anhang sozusagen ermöglicht, sich für den Einzelfall die geeignete Prüfmethode zu suchen. Das Problem in der Reproduktionstoxikologie liegt ja darin, daß das eine Stoffgesetz mit dem einen Versuchstyp — nämlich getrennte Segmentuntersuchungen — arbeitet, ein anderes Stoffgesetz mit dem Generationenversuchsansatz. Sinnvolles Vorgehen kann man mit solchen Richtlinien vorgeben, ohne die Details soweit zu treiben, daß damit unsinnige Versuche gefordert werden. Madie: An dieser Stelle würde ich gerne auf die Teststrategie zur Kanzerogenitätsprüfung im Arzneimittelgesetz eingehen und einfach zum Vergleich dazu das Chemikaliengesetz heranziehen. Ich glaube, daß man tatsächlich ein bißchen mehr als bisher harmonisieren könnte. Im A M G ist eine sehr strikte Trennung zwischen Mutagenitätsprüfung und Kanzerogenitätsprüfung vorgesehen, d. h., die Daten werden praktisch unabhängig voneinander erhoben und beurteilt. Die Guidelines bieten praktisch nur eine einzige Schnittstelle: Wenn Kurzzeittests positiv sind, sollte eine Langzeitstudie folgen. Das ist eigentlich eine sehr schlechte Bewertung der Kurzzeittests, denn negative Befunde haben so gesehen überhaupt keine Aussagekraft. Diese sehr konservative Position erscheint mir eigentlich reformbedürftig. Im Chemikaliengesetz ist dies anders geregelt. Wie Herr Kayser schon ausgeführt hat, geht man hier stufenweise vor, in Abhängigkeit von der Produktionsmenge. Für die Beurteilung der Kanzerogenität heißt das, daß man in der Grundstufe 2 nur einfache schnelle Mutagenitätstests durchführt; für die Kanzerogenität auch im Level 1, das heißt schon bei recht hohen Produktionsstufen, wird dann auch nur auf die Korrelation Mutagenität-Kanzerogenität gesetzt, indem jetzt wieder 2 weitere Tests durchgeführt werden. Und selbst wenn jetzt positive Befunde auftreten, wird immer noch weiter auf Kurzzeit-Ebene geprüft. Das heißt, im Chemikaliengesetz werden Kurzzeittests sehr viel positiver bewertet, insbesondere wird negativen Befunden auch ein vernünftiger Aussagewert im Sinne des Ausschlusses einer kanzerogenen Wirkung gegeben. Eine solche Position erscheint mir inzwischen durchaus berechtigt und auch vom Standpunkt der Praktikabilität her hilfreich zu sein, wenn man ζ. B. an die Altstoffproblematik denkt. Auf der anderen Seite, und jetzt komme ich wieder zum A M G , erscheint es mir sinnvoll, auch im A M G die sehr harte Diskriminierung von Stoffen aufzulösen, nämlich in solche, die sehr ausführlich einer ausführlichen Mutagenitätsprüfung plus Langzeitstudie unterzogen wurden, und in sehr viele, die nur einer Mutagenitätsprüfung unterlagen, die

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dann auch für Kanzerogenitätsprüfung herhalten muß. D. h., dann wäre zu überlegen, für welche Arzneimittel oder auch andere Stoffe es sinnvoll wäre, über die Mutagenitätsprüfung hinaus eine erweiterte Kurzzeitprüfung durchzuführen, und ob diese akzeptiert werden kann. Solche Methoden an nichtgenotoxischen Kurzzeittests stehen ja inzwischen zur Verfügung, in vitro die Zelltransformationstests, in vivo eine ganze Reihe klassischer Ansätze oder auch der Leberinsel-Test. Diese interessante Frage, ob eine solche Position als tragbar angesehen wird, möchte ich an das Publikum weitergeben. Greim: Für diejenigen, die nicht regulatorisch tätig sind, sondern über die Validität von Methoden nachdenken, liegt das Problem darin, inwieweit es überhaupt gerechtfertigt ist, in dieser schrittweisen Form vorzugehen, in diesem Fall in-vitro-Testsysteme vorzugeben, um dann daraus anhand der positiven oder negativen Ergebnisse zu dem nächsten Schritt zu kommen. Das Hauptproblem liegt doch in der Interpretation der Daten aus in-vitroTestsystemen. Da ist, aus meiner Sicht, eigentlich das ganze System völlig fragwürdig. Denn im allgemeinen hat man verschiedene genetische Endpunkte, irgendeine metabolische Aktivierungsfraktion und kommt dann zu irgendwelchen Ergebnissen. Die genetischen Endpunkte spielen meines Erachtens eine völlig untergeordnete Rolle. Das Problem ist die metabolische Aktivierung in diesen ganzen Systemen. Im allgemeinen sind die meisten Zellen oder die meisten Systeme metabolisch nicht kompetent. Vergessen wird auch die gesamte Organspezifität, die man damit nicht erfassen kann. Für mich stellt sich die Frage, was oder wie können wir die Relevanz der in-vitroSysteme zunächst einmal verbessern, um zu vernünftigen Aussagen über metabolische Aktivierung, Kompetenz der in-vitro-Testsysteme im Hinblick auf die metabolische Aktivierung und Endpunkte in verschiedenen Organen zu kommen. Erst dann kann der nächste Schritt erfolgen, nämlich die invivo-Situation zu klären. Da liegt das Problem: Über Strategien und irgendwelche Tests zu reden, ohne genau zu sagen, wo die Probleme liegen und was man mit diesen Tests eigentlich machen kann. Die meisten Tests werden eben routinemäßig — d. h. auch ohne nachzudenken — angewendet. Schulte-Herrmann: Zur Organspezifität: Ich stimme zu, daß es heute wahrscheinlich möglich wäre, in sehr vielen, wenn nicht in allen Fällen, die wir übersehen können, nicht-gentoxische Karzinogene anhand von sehr verschiedenartigen Kurzzeittests in vitro oder in vivo zu erkennen. Wir haben das Phänomen vor allem in der Leber ja sehr intensiv studiert. Es gibt zytotoxische Effekte und es gibt hormonale Effekte. Auch in vielen anderen Organen hat man alle möglichen Effekte gefunden, die wahrscheinlich kausal zu verknüpfen sind mit der späteren Entstehung von Tumoren. Nur müßten wir im Grunde genommen heute bei der Testung einer unbekannten Substanz die vielen möglichen Wirkungsmechanismen, die wir für nicht-gentoxische Kar-

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zinogene zu kennen glauben, an jedem einzelnen Organ überprüfen, da diese unbekannte Substanz auf sämtliche Organe des Organismus als Zielorgan einwirken könnte. Ich könnte mir vorstellen, daß der Umfang dieser ganzen Testbatterien mindestens so groß wäre wie der einer dreijährigen Karzinogenitätsstudie. Madie: Ich wollte damit keine inhaltliche oder methodische Diskussion beginnen; obwohl meine Einschätzung der Methoden etwas besser ausfällt, als die von Herrn Greim. Wichtiger erscheint mir, daß die übliche Forderung, nur ganz ausführliche Prüfungen zu akzeptieren, angesichts der Vielzahl praktisch eingeführter Altstoffe nicht mehr sinnvoll erscheint. Sonst werden wir die vorhandene Zweiteilung — wenige gut untersuchte Stoffe, viele sehr schlecht untersuchte Stoffe — nicht beseitigen können. Henschler: Ich halte die Vorgabe im Chemikaliengesetz, daß man bei Vorliegen von Anhaltspunkten für gentoxische Wirkungen weiterprüfen bis zum Ganztierversuch soll, für einen gedanklichen Fehler. Wichtiger ist, daß ich bei negativen Befunden natürlich kanzerogene Risiken an anderen Organen aufgrund anderer Mechanismen nicht ausschließen kann. Mit dem Ergebnis eines guten Arnes-Testes, etwa bei einem Zytostatikum, führe ich doch keinen Ganztier-Kanzerogenitätsversuch durch; die erhaltene Information mit guter Validierung des Testes ist hinreichend. Bei unsicherer Datenlage muß weitergeprüft werden — jedoch genau das Umgekehrte wird im Chemikaliengesetz gefordert. Hildebrandt: Einige Anmerkungen zum Beitrag von Herrn Zbinden. Ich sehe mehr und mehr, daß im Zuge des internationalen Handelns normierte und justitiable Größen notwendig sind, und da gibt es sicherlich nicht viel mehr als das, was wir jetzt zum gegenwärtigen Zeitpunkt haben. Andererseits ist die Flexibilität des Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetzes zu begrüßen, und ich wünschte, solch eine Flexibilität wäre an anderer Stelle auch vorhanden. Dies ist möglicherweise nicht der Fall, weil Lebensmittel eher einen nationalen Charakter haben. Ich vermisse neben den ganzen toxikologischen Prüfstrategien eine Einschätzung der Rolle der Substratmenge, Stoffmenge, obwohl ich jedoch nicht mit dem im Chemikaliengesetz festgelegten Ansatz einiggehe. Uns fehlt in der Beurteilung der quantitative Bezug insoweit, als wir praktisch keine Daten über die Arzneimittelproduktion, keine Verbraucherstatistiken und ähnliches haben. Jedoch erst mit dieser Information würde das notwendige Verhältnis zwischen Expositionsmenge und Aktivität des Systems richtig in Beziehung zu setzen sein. Vor lauter Anforderungen an die Toxikologie sollten wir hier nicht vergessen, verbesserte Daten von der Industrie zu fordern. Toxikologische Prüfstrategien sollten nachvollziehbar sein. Hierbei gibt es möglicherweise Schwierigkeiten, auch bei der Frage der

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Bewertung. Wenn ich einen Ames-Test habe, angereichert mit S9-Mix und erhalte eine entsprechende Mutation, dann weiß ich, woran ich bin. Was mache ich aber, wenn ich ζ. B. in ein solches System ein Glutathion-abhängiges System hineinbringe, das auch wieder abhängig ist von der Menge und der Reduzierbarkeit, ζ. B. von Glutathion. Jetzt verschwindet auf einmal die Mutagenität. Wie übertrage ich dann auch wieder dosisabhängig oder absolut solch einen Befund? Ist es nun eine mutagene Substanz oder nicht — und wie sieht es dann in vivo aus. D. h., es kommen wieder neue Prüfstrategien auf uns zu, die möglicherweise das ganze auch nicht deutlicher machen. Kommt es im Bereich der Wissenschaft zu solchen kritischen Informationen, dann m u ß man auch die entsprechenden Strategien entwickeln, die eher an der Gefährlichkeit als an einfachen Produktionszahlen orientiert sind. Kayser: Den kritischen Bemerkungen zum Chemikaliengesetz stimme ich zu. Jedoch m u ß man sich bewußt darüber werden, daß konsequenterweise — wenn man den Ansatz des Chemikaliengesetzes als falsch erachtet — ein Zulassungsgesetz geschaffen werden müßte, das die Flexibilität der Prüfnachweise und der Prüfungen beinhaltet. Nehmen wir zum Beispiel einen alkylierenden Stoff, so kann man nach einigen wenigen gezielten Untersuchungen über das Wirkungsspektrum dieses Stoffes eine ganze Menge Aussagen machen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit zutreffen werden. Das Chemikaliengesetz verbietet uns aber heutzutage ζ. B., die entsprechende Einstufung vorzunehmen, wenn nicht auch der Test vorliegt. Als das Chemikaliengesetz konzipiert wurde, war die allgemeine Meinung, der Ames-Test mit S9-Mix ist der Stein der Weisen. Mit seiner Durchführung erhält man eben ein Prescreening für Karzinogenität. Kaum jemand hat sich damals ehrlich gefragt, was man eigentlich mit den negativen Ergebnissen macht. Henschler: Wir wissen alle, d a ß im Arzneimittelgesetz, im Schädlingsbekämpfungsgesetz sehr viel mehr Daten erarbeitet werden müssen und die Beurteilungsgrundlagen sehr viel besser sind. Wie sehen Sie denn heute den Anspruch des Chemikaliengesetzes? Kayser: Wir haben ja bisher keine Erfahrung mit hochvolumigen Stoffen. Henschler: Nicht die Erfahrung, sondern einfach die Gesetzesvorgabe. Das steht im § 1. Kayser: Aus der Gesetzesvorgabe geht hervor, daß das Chemikaliengesetz in der Stufe 2 praktisch alles zu fordern erlaubt. Da gibt es keine Limitierung irgendeiner Forderung. Henschler: Es heißt schlicht in der Einleitung ... „soll Mensch und Umwelt vor Schäden schützen" ...; das ist m. E. absolut überzogen im Vergleich zu dem, was wir hier über Prüfstrategien und Erfordernisse gehört haben.

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Hildebrandt: Das würde ich ganz gerne ein bißchen relativieren. Ziel und Ansatz sind meiner Meinung nach richtig, bloß die Mittel sind offensichtlich nicht so verfügbar, wie man es bräuchte. Mit dem Chemikaliengesetz, allein schon durch die Gefahrstoffverordnung, wurde doch vieles erreicht, was ohne dieses Gesetz nicht möglich gewesen wäre. Notwendige Änderungen müssen sich an der heutigen Praxis orientieren. Der österreichische Vorschlag, ein Zehntel als Ausgangspunkt zu nehmen, scheint immerhin ein etwas sinnvollerer Ausgangspunkt zu sein im Gegensatz zu unseren Möglichkeiten. Es müßten bessere Mechanismen zur Verfügung stehen, schon wenn ein Stoff von seiner Potenz her kritisch erscheint, auch bei der Produktionsstufe 10 g oder noch niedriger. Hess: Die harte Wirklichkeit der Toxikologie in der Industrie steht all diesen angegebenen Gründen zur Flexibilität ζ. T. leider entgegen. Man muß ganz offen sagen, daß im defensiven Sinn Unterlagen erarbeitet werden, die sich beinahe sklavisch an die bestehenden Richtlinien halten, damit sie als geeignet angesehen werden, Zulassungs- und Anmeldungsbedingungen zu erfüllen, um sich nicht in einem kritischen Stadium eine Mängelrüge einzuhandeln. Dieses Vorgehen hat eine praktisch fehlende Flexibilität zur Folge und führt unter Umständen natürlich auch zu völlig unbrauchbaren Ergebnissen; bis zu dem Punkt, daß man die Chemie in Ames-positive und Ames-negative Substanzen einteilt. Was wichtig ist, ist ja gar nicht die Anforderung, die es zu erfüllen gilt, im Sinne der gesetzlichen Vorgaben oder Richtlinien, sondern es geht darum, daß man das Gefährdungspotential in bezug auf eine mögliche Expositionsgröße darstellt. Dies ist der wesentliche Punkt. Leider wird auch auf behördlicher Seite darauf viel zu wenig geachtet, selbst wenn es der Gesetzgeber erlauben würde. Brüssel ist ein Beispiel dafür, ζ. B. in den ,Einstufungsschubladen', die darauf hinzielen, die sogenannte intrinsische Aktivität einer Substanz für die Einstufung voranzustellen, anstatt das eigentliche Gefahrdungspotential als maßgebendes Kriterium einzubringen. Hildebrandt: Wie unterscheiden Sie zwischen intrinsischer Aktivität gentlichem Gefähr dungspo tent iall

und ei-

Hess: Nun, wenn ich das Beispiel der karzinogenen Stoffe wieder erwähne, dann deswegen, um darzustellen, daß es mit Bezug auf die sog. intrinsische Aktivität Unterschiede im Potential zwischen 1 und 10 Millionen gibt. Ich zweifle sehr daran, daß solche quantitativen Unterschiede in die Einstufungspraxis eingehen. Hildebrandt: Aber doch nur, weil uns das fehlt, was ich vorhin beklagt habe, nämlich vernünftige Expositionsdaten. Solange wir die nicht haben, bewegen wir uns im Bereich der Spekulation.

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Henschler: Gehe ich richtig in der Annahme, daß das Chemikaliengesetz überhaupt keine Daten zur Exposition fordert und auch nicht berücksichtigt bei der Risikobeurteilung? Ist das so? Kayser: Nein! Henschler: Dann müssen wir das korrigieren. Kayser: Es ist richtig, daß die Prüfstrategie nicht von Expositionsdaten abhängig gemacht wird, es sei denn, man benutzt den § 7 (2), d. h. also, man kommt zu dem Schluß, daß hier eine Prüfung wissenschaftlich nicht sinnvoll ist. Das kann man auch mit Expositionsdaten begründen. Ein solcher Prozeß ist gerade geführt und entsprechend begründet worden. Aber das Chemikaliengesetz fordert natürlich bereits in der Grundstufe Daten zur Exposition, zur Verwendung usw. Zu diesem Zeitpunkt werden sowohl von der toxikologischen als auch von der Umweltseite bereits Expositionsbetrachtungen angestellt. Henschler: Hier liegt ein Mißverständnis vor. Es geht um die Frage, ob die Prüfstrategie von der absehbaren Exposition abhängig gemacht wird oder nicht. Kayser: Das ist nach den Vorschriften des Chemikaliengesetzes nicht möglich. Zbinden: Ich möchte mein Erlebnis erzählen. Vor einigen Wochen hatten wir in München ein Euro-Tox-Meeting. Thema war die Kanzerogenese der Metalle. Ein Mitglied der IARC hat erläutert, daß es etwa 60.000 Nickelverbindungen gibt; und nachdem Nickel karzinogen ist, sind alle Nickelverbindungen als karzinogen einzustufen. Da ist wiederum ganz deutlich, daß es halt eben lösliche und nicht-lösliche, flüchtige usw. Nickelverbindungen gibt, die natürlich alle im Prinzip „intrinsicly" karzinogen sind. Bei der Einstufung muß dieses mit einbezogen werden. Man muß sich auf die Substanzen konzentrieren, die für die Bevölkerung wirklich von großer Bedeutung sind. Ν. N.: Ich möchte die Probleme, die sich der Toxikologie und der regulatorischen Umsetzung stellen, kurz umreißen und in quantitative und qualitative einstufen. Qualitatives Problem ist die Erstellung der Testmethoden mit der erforderlichen Flexibilität, um die Veränderungen, die dann beim Menschen auftreten können, vorhersagen zu können. All diese Methoden sollen natürlich eine nachvollziehbare Aussagekraft haben. Wenn das theoretisch möglich ist, ist der nächste Problempunkt die gleichartige Bewertung. Es wird immer darauf hingewiesen, daß gleiche Stoffe in verschiedenen Ländern unterschiedlich bewertet werden, von der Zulassung über unterschiedliche Höchstmengen bis zum Verbot. Das quantitative Problem besteht natürlich auch darin, daß von den vielen Stoffen, die im Zulassungsverfahren anstehen, 100.000 und

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mehr alte Stoffe sind, von denen häufig wenig bis sehr wenig bekannt ist. Jetzt wird natürlich auch versucht, diese Hürden mit Hilfe von verschiedenen Modellen zu nehmen, die über fehlende Daten hinweghelfen sollen. Eine Lösung dieses Problems kann nur schrittweise und auch nur im internationalen Zusammenhang erfolgen. Die O E C D beginnt jetzt, ihre schon bestehenden Testrichtlinien zu aktualisieren, die WHO-Kommittees für Pestizidrückstände und für Lebensmittelzusatzstoffe beginnen, ihre vor 15 bis 20 Jahren bewerteten Pflanzenschutzmittel oder Lebensmittelzusatzstoffe an die neuen Erkenntnisse anzupassen. Ich glaube schon, daß die Exposition Eingang in das Chemikaliengesetz findet, wenn auch vielleicht versteckt oder nicht ausreichend differenziert. Es sind verschieden umfangreiche Prüfschemata an die Mengenschwellen gebunden. Unausgesprochen ist gemeint, daß die Menge natürlich in irgendeiner Korrelation zur Exposition steht. Wie gesagt, unqualifiziert, vielleicht undifferenziert, aber im Ansatz vorhanden. Bass: Ich möchte noch einmal auf Herrn Hess zurückkommen. Habe ich Sie richtig verstanden, daß Sie sagen, man soll die Seite der toxikologischen Prüfung nicht überstrapazieren durch Methodenvielfalt und Aufwand, wenn auf der anderen Seite kein Äquivalent an Daten und Erkenntnissen vorhanden ist? Man könnte ja damit ein bißchen jonglieren und könnte sagen: weiß ich wenig über die Exposition, bin ich mit Kurzzeittests auf der Mutagenitäts-/ Kanzerogenitätsseite zufrieden, da mir eine weitere Erkenntnis durch fehlende Absicherung auf der Expositionsseite keine besseren Interpretationsmöglichkeiten bieten würde. Habe ich bessere Erkenntnisse auf der Seite der Exposition, dann würde es sich u. U. lohnen, den beobachteten Effekten weiter nachzugehen. Den zweiten Punkt, glaube ich, haben wir genauso erkannt wie Sie, und wir schielen ein bißchen neidisch auf die FDA, die bei den Arzneimitteln mit der Genehmigung zur klinischen Prüfung hier regelnd und diskutierend eingreifen kann. Schielen wir da richtig oder falsch? Wie sind Ihre Erfahrungen? Führt das zu einem Mehraufwand oder zu einem geringeren Aufwand, daß vor Abschluß der Verfahren in verschiedenen Stadien der Entwicklung eines Produktes mit der Behörde geredet werden kann? Hess: Wenn man von einer konzeptionellen Möglichkeit spricht, dann wäre das schon ein Teil meines Votums gewesen, daß man versuchen sollte, die zur Sicherheitsabklärung einzusetzenden Mittel balanciert einzusetzen; einerseits für die Bearbeitung eines möglichen toxikologisch relevanten Potentials, andererseits zur Ermittlung des Ausmaßes der Gefahrdung. Beides hängt natürlich davon ab, daß Methoden vorhanden sind, die eine genügende Voraussage erlauben. Es ist schon angemerkt worden, daß ζ. B. die Methoden zur Genotoxizität erhebliche Mängel aufweisen. Umgekehrt kann man sich auch vorstellen, daß bei Methoden, die zur Expositionsmessung dienen, ähnliche Verhältnisse vorliegen. Aber da verfügen wir über bedeutend weniger

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Erfahrung, vermutlich weil wir dort die Mittel noch nicht richtig eingesetzt haben. Hier besteht ein erheblicher Fehler im ganzen gedanklichen Ablauf. Den zweiten Punkt möchte ich sehr unterstützen. Weiterentwicklung ist nur möglich, wenn alle Beteiligten miteinander diskutieren und ein gemeinsamer Konsens gefunden wird. Wenn auf der einen Seite Vorgaben befolgt werden, so willfahrig, wie es nur geht, auf der anderen Seite aber einem Gespräch ausgewichen wird, werden wir nie zum Ziel kommen. Das muß aufhören. Henschler: Ich möchte noch einmal auf die Exposition zurückkommen, hier liegt offenbar ein Mißverständnis vor. Exposition hat eine qualitative und eine quantitative Seite, wobei wohl mehr auf ihre quantitative Seite abgehoben wurde, obwohl die qualitative sehr viel stärker eine Prüfstrategie bestimmt. Für das Arzneimittel habe ich einen Indikationsanspruch und eine Therapiestrategie, sei es Tablette, Spritze oder äußerliche Anwendung, kurz-, mitteloder längerfristig. Danach richtet sich die Prüfung. Unser Arzneimittelgesetz bzw. die bisher geübte Ausfüllung bietet die Möglichkeit, spezifisch auf die Anwendungsart abzustellen. Genau das ist beim Chemikaliengesetz nicht der Fall. Das war, wenn man so will, das angesprochene Defizit. Greim: Ich möchte doch wenigstens partiell etwas zur Ehrenrettung des Chemikaliengesetzes sagen, was die Exposition anbelangt. Es ist unbestritten, daß für die neuen Stoffe die Situation beklagenswert ist, ohne jegliche Expositionsbetrachtung. Aber bei den Altstoffen ist das ja durchaus möglich, ihre bisherige Aufarbeitung erfolgte ja so, daß man mehr oder weniger nach Informationsdichte Prioritäten gesetzt hat. Der nächste Schritt muß aber sein, auch für die neuen Substanzen gezielte Prioritäten unter Berücksichtigung der Expositionsmöglichkeiten und dementsprechend natürlich auch der Prüfstrategien zu setzen. Somogyi: Herr Henschler, Sie haben völlig recht, daß im Chemikaliengesetz keine Expositionsdaten gefordert werden, dennoch ist der Gedanke der Exposition im Gesetz enthalten, indem unterschiedliche Produktionsmengen als Stufen angegeben werden, wobei das sicherlich kein geeigneter Indikator für die Exposition ist. Die Frage der Flexibilität verschiedener Gesetze ist hier wiederholt angesprochen worden. Ich glaube, daß die Frage der Flexibilität und der Grad der Sophistikation auch mit dem Alter der Gesetze zusammenhängt. Die arzneimittelrechtlichen Vorschriften sind nicht jung. Daß das Chemikaliengesetz pauschal den Schutz des Menschen und der Umwelt vor Schaden verlangt, ist nach meinem Empfinden vergleichbar mit der Forderung der Unbedenklichkeit im Arzneimittelgesetz, und es ist sicherlich so, daß der Schutz des Menschen und der Umwelt vor Schaden als ein Anspruch nicht höher anzusetzen ist als die Unbedenklichkeit beim Arzneimittelgesetz. Bei Arzneimitteln haben wir es jedoch höchstens mit einigen hundert oder tausend

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Stoffen zu tun, bei dem Chemikaliengesetz handelt es sich immerhin um mehrere zigtausend, allein im Katalog für Altstoffe sind etwa hunderttausend Chemikalien angegeben. Wenn das Chemikaliengesetz dieselbe Ausführlichkeit bei der Prüfung verlangen würde, würde das bedeuten, daß aus praktischen Gründen der Vollzug und damit der Verbraucherschutz paralysiert wären, sollten wir denselben Standard erreichen wollen, den wir bei den Arzneimitteln bereits erreicht haben. Henschler: Sie haben im letzten Satz jetzt korrigiert, womit Sie begonnen haben. Sie haben die Ansprüche gleich hoch angesetzt, aber tatsächlich sind sie unterschiedlich. Für ein neu entwickeltes Arzneimittel werden ζ. Z. 200 — 300 Millionen ausgegeben und im Durchschnitt für die erforderliche Prüfung nach dem Chemikaliengesetz vielleicht weniger als 1%. Ich weiß es nicht genau, aber die Zahlen sind extrem unterschiedlich. Schon daraus kann kein gleicher Anspruch an die Güte der Prüfungen abgeleitet werden. Das Arzneimittelgesetz und die Arzneimittelprüfungen sind flexibler, schon bedingt durch das Instrument des Gutachtens, das es ja im Chemikaliengesetz nicht gibt. Beim Chemikaliengesetz sollen die Prüfungen, jedenfalls nach der Grundstruktur des Gesetzes, praktisch für jedes Mittel gleich sein. Hier liegt ein grundsätzlicher Unterschied. Kayser: Jetzt fühle ich mich doch etwas provoziert. Der Vergleich zwischen Arzneimittel und Industriechemikalie ist deshalb schwierig, weil eben per se die Expositionssituation normalerweise unterschiedlich ist. Beim Arzneimittel haben Sie die gezielte, die bewußte Exposition des Menschen, während Sie bei der Industriechemikalie eine ständige Exposition nur in seltenen Fällen unterstellen können. Im Hinblick auf den Schutzgedanken haben wir hier eine andere Ausgangssituation. Bei den Stoffen, bei denen wir annehmen können, daß der Mensch über längere Zeit direkt exponiert ist, haben wir aber durchaus die Möglichkeit, alle erdenklichen toxikologischen Untersuchungen zu fordern. Ich würde sogar die Behauptung wagen, daß für einen solchen Stoff mindestens die gleichen Möglichkeiten wie im A M G bestehen. In vielen Fällen wird eben gerade wegen der Flexibilität des A M G dort u. U. sogar weniger untersucht, weil wir beklagenswerterweise bestimmte — manchmal eben unnötige — Dinge prüfen. Wenn man die Zahlen der Entwicklungen für ein Pharmakon nennt, schließen diese alle, auch die mißlungenen Versuche ein, d. h. den Gesamtforschungsaufwand. Das ist natürlich nicht vergleichbar mit den Prüfzahlen bei einer Chemikalie, die als solche als entwickelt gilt und jetzt geprüft wird. Stellt man nun diese Zahlen nebeneinander, so lassen sie sich vergleichen. Henschler: Wir beenden hiermit diese Diskussion und gehen zu dem wichtigen Gebiet der Pflanzenschutzmittel über.

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Greim: Bisher wurden überhaupt noch nicht die Kombinationswirkungen erwähnt. Gerade bei den Pflanzenschutzmitteln wäre es notwendig, diese zu erfassen. Denn viele dieser Substanzen sind in ihrem Wirkungsmechanismus ähnlich. Es liegt einfach auf der Hand, daß man bei der ganzen Diskussion um Rückstände, Höchstmengen usw. die offensichtliche Summation von Wirkungen und Effekten berücksichtigt. Hildebrandt: Trifft das wirklich zu? Aus meiner Tätigkeit im Pflanzenschutzbereich und aus Diskussionen in der entsprechenden Kommission der Deutschen Forschungsgemeinschaft weiß ich, daß sehr intensiv über diese Kombinationsmöglichkeiten nachgedacht wurde. Es gibt im Grunde drei Fragen, die zur Beantwortung anstehen: Induktion, Promotion und vor allen Dingen Neurotoxizität. Darauf muß und wird auch geachtet, das Problem ist nur, daß man wiederum hier die Expositionsseite nicht ausreichend kennt. Es gibt entsprechende Ämter, die sicherlich viel mehr darauf achten müßten, daß solche Expositionsdaten zur Verfügung stehen, vor allen Dingen in welcher Form und in welcher Reihenfolge verschiedene Pflanzenschutzmittel auf dem Acker angewendet werden. Lingk: Die Frage der Kombinationswirkungen wird im Pflanzenschutz schon seit 1 Vi Jahrzehnten diskutiert, wahrscheinlich gerade hier, weil er einfach gesetzlich so schön geregelt ist und man vermuten könnte, hier ließen sich Kombinationswirkungen sozusagen als ein Prüfverfahren in der Zulassung oder in ein Genehmigungsverfahren so ohne weiteres mit integrieren. Das geht selbstverständlich nicht. Hierfür ist das Zulassungsverfahren kein geeignetes Instrument. Vor über 10 Jahren haben wir vom BGA aus das immer wieder problematisiert, auch in die Nähe der Deutschen Forschungsgemeinschaft gebracht, hier auch in Ansätzen Untersuchungen und Forschungsprogramme initiiert. Weil das nicht die richtigen wissenschaftlichen Ansätze waren, wurden diese Aktivitäten gestoppt. Es gibt ζ. Z. keine Möglichkeiten, Kombinationswirkungen von Pflanzenschutzmitteln zu prüfen. Außerdem stellt sich die Frage, warum eigentlich nur Pflanzenschutzmittel untereinander zu betrachten wären, wo 96% aller Lebensmittel frei von Pflanzenschutzmitteln sind, aber garantiert Schwermetalle enthalten. Sollten nicht diese Kombinationswirkungen, die im Grunde genommen doch viel gravierender sind, in ihren gesundheitlichen Auswirkungen überprüft werden? Ich glaube, daß für Kombinationswirkungen der wissenschaftliche Apparat gar nicht vorhanden ist oder das Instrumentarium noch gar nicht entwickelt ist, um systematisch zu prüfen und ihn in ein Genehmigungsverfahren integrieren zu können. Henschler: Ich darf erwähnen, daß bei Arzneimitteln ζ. Z. schon in Einzelfallen und immer dann, wenn ein Verdacht besteht, die Ermittlung von Kombina-

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tionswirkungen, also Interaktionen, zur Auflage gemacht wird, bis in die klinischen Prüfungen hinein. Einmal dort, wo das historische Wissen Anhaltspunkte dafür gibt, und andererseits bei großen Yolkskrankheiten, ζ. B. Bluthochdruck, Rheumatismus, bei denen die Wahrscheinlichkeit groß ist, daß verschiedene Stoffe angewendet werden. Damit sind diese Probleme bereits in den Vollzug des Gesetzes eingegangen. Nicht unmittelbar vergleichbar mit Ihrem, denn systematische Ansätze waren damit auch nicht gemeint. Greim: Ich möchte nicht mißverstanden werden. Ich gehe nicht davon aus, daß Kombinationswirkungen geprüft werden, sondern daß man die Kenntnisse über die Wirkungsmechanismen, die man sowieso zu erarbeiten hat, mit berücksichtigt bei Diskussionen um Einhaltung von Grenzwerten. Es ist nach wie vor so, daß ein Anwender 5 oder 10 Phosphorsäureester einsetzen kann und dabei die Höchstmenge für die Einzelsubstanz ausnutzen darf. Somogyi: Die Frage der Kombinationswirkungen bei Arzneimitteln läßt sich nicht mit den Rückständen von Pflanzenschutzmitteln und anderen chemischen Stoffen vergleichen. Schon alleine die quantitativen Aspekte sind anders. In den Arzneimittelkombinationen haben die Einzelkomponenten alleine mit hoher Wahrscheinlichkeit oder gesichert eine definierte Wirkung. Bei den Rückständen von Pflanzenschutzmitteln, aber auch bei anderen Rückständen, arbeiten wir mit Sicherheitsfaktoren, die Hundert oder Tausend betragen können, so daß auch dann, wenn die festgesetzte Höchstmenge überschritten wird, noch keine gesundheitliche Gefahr entsteht. In der Beurteilung der Kombinationswirkungen zwischen der niedrigen Konzentration von Rückständen und der relativ hohen Konzentration von Arzneimitteln bestehen doch Welten. Henschler: Dem Pflanzenschutzgesetz wird in letzter Zeit, zumindest in der Bundesrepublik, immer wieder der Vorwurf gemacht, daß nicht auf den Gesamteintrag in die Umwelt abgehoben wird. Dies hat nicht so sehr viel mit toxikologischen Prüfstrategien, aber etwas mit der Frage der Bedürfnisprüfung in solchen Gesetzen zu tun. Kann jemand von den Behörden dazu Stellung nehmen? Somogyi: Diese Gesetze, nicht nur die für Pflanzenschutzmittel, sind alle nicht bedarfsfeststellende Gesetze. Wenn wir diese Grenze, die offensichtlich keine wissenschaftliche, sondern eine wirtschaftspolitische ist, überschreiten, kommen wir in sehr große Schwierigkeiten. Das würde uns auch gleichzeitig die Möglichkeit nehmen, Substanzen, ob Arzneimittel, Pflanzenschutzmittel oder andere Stoffe, einzuführen, die weniger bedenklich sind als diejenigen, die gegenwärtig auf dem Markt sind. Unsere Auffassung ist, daß die Behörden, die mit der gesundheitlichen Bewertung und Beurteilung von Chemikalien

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befaßt sind, sich sehr zurückhalten sollten auch in Diskussionen über die Feststellung eines Bedarfs, sei es therapeutischer oder Pflanzenschutzbedarf. Bobek: Einige Anmerkungen aus der Sicht der Administration: Explizit im Chemikalienrecht, implizit aber auch in vielen anderen Rechtsgebieten (Lebensmittelgesetz, Arbeitnehmerschutz, gewerbliches Betriebsanlagenrecht) unterscheiden wir zwischen alten Stoffen (Zubereitungen) und neuen Stoffen (Zubereitungen). Alte Stoffe werden in aller Regel nur dann (nochmals oder erstmals) geprüft, wenn aufgrund eigener Wahrnehmung oder aufgrund von Meldungen aus dem In- oder Ausland Verdachtsmomente auftauchen, die Anlaß für die Annahme geben, daß ein größeres als das bisher angenommene Gefahrdungspotential besteht. Bei alten Stoffen haben wir somit fast ausschließlich eine Inzidenzkontrolle. Bei neuen Stoffen haben wir ein standardisiertes Prüfprogramm. Dieses Programm ist — aus wirtschaftlichen Gründen ebenso wie aus Gründen der beschränkten Verfügbarkeit von Untersuchungskapazitäten — notwendigerweise limitiert (Mengenschwellen). Die Kompromißhaftigkeit des Prüfumfanges bringt es mit sich, daß im Verdachtsfall zusätzliche Untersuchungen durchgeführt werden müssen, womit wir neuerlich bei der Inzidenzkontrolle angelangt sind. In diese Richtung weist auch sehr deutlich § 10 Abs. 3 und 4 des österreichischen Chemikaliengesetzes. Da der Gesetzgeber durch Prüfvorschriften zusätzlichen Untersuchungsergebnissen und Erkenntnissen keine Grenzen gesetzt hat (und dies auch nicht wollte), werden wir in der alltäglichen Praxis immer wieder auf das Chemikal (den Schadstoff, den Rückstand) der Woche stoßen, das aus fachlichen oder massenmedialen Gründen aktuell und daher zusätzlich zu untersuchen und zu bewerten ist. Das Schwergewicht der Prüfstrategien liegt verständlicherweise auf der Erfassung der gefährlichen Eigenschaften eines Chemikals. Das Informationserfordernis bei seiner Anmeldung ist nach Mengenschwellen differenziert. Der Verwendungszweck des Chemikals und damit die zu erwartende Art und Dauer der Exposition sind oft mit aller Klarheit weder dem Erzeuger (Importeur) noch der Behörde bekannt. Um eine Risikoabschätzung durchführen zu können, wären — bei aller Wertschätzung von Modellrechnungen — zusätzliche Erkenntnisse über die Exposition dringend erforderlich. Wir stehen hier auf zwei Beinen (Gefährlichkeitsmerkmale, Exposition), wobei eines der Beine noch sehr unterentwickelt ist. Wenn man bedenkt, daß der Kraftfahrverkehr in Österreich etwa 1 Million Tonnen Kohlenmonoxid im Jahr emittiert, muß man es eigentlich als positiv ansehen, daß der Kraftfahrverkehr keinem Stoffgesetz unterliegt. „There is nothing like a free lunch." Diese aus dem US-Amerikanischen kommende Wahrheit hat in unserer Rechtslandschaft keinen Eingang gefun-

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den. Jedes Produkt, jede menschliche Tätigkeit bringt neben ihrem (monetären und/oder nichtmonetären) Nutzen auch einen potentiellen (monetären und/ oder nichtmonetären) Schaden. Schaden mal Eintrittswahrscheinlichkeit ergibt das Risiko. Es ist die Aufgabe der Gesellschaft (des Staates) schlechthin zu entscheiden, welches M a ß an Risiko akzeptiert wird. Sicherheit kann somit als sozial akzeptiertes Maß an Risiko definiert werden. Dem Gesetzgeber ist im Gegensatz zur Fachwissenschaft das Denken in Restrisiken bisher weitgehend fremd. Er wägt nicht explizit den Nutzen gegen den damit verbundenen potentiellen Schaden ab. Im Chemikaliengesetz fordert der Gesetzgeber die „Vermeidung einer Gefahr für das Leben oder die Gesundheit von Menschen oder für die Umwelt" (§§14 und 15); im Lebensmittelgesetz (§7) verbietet der Gesetzgeber, Lebensmittel, Verzehrprodukte und Zusatzstoffe in Verkehr zu bringen, die gesundheitsschädlich sind. Hierbei genügt die bloße Gesundheitsgefährlichkeit, es genügt die Eignung, unter Umständen die menschliche Gesundheit — und sei es auch nur bei fortgesetztem Genuß — zu schädigen. Es genügt auch die bloße Beimengung eines gesundheitsschädlichen Stoffes, ohne daß auf Dosis-Überlegungen eingegangen wird. Laut § 77 der Gewerbeordnung sind Betriebsanlagen nur zu genehmigen, wenn auszuschließen ist, daß das Leben oder die Gesundheit des Gewerbetreibenden, der Nachbarn oder der Kunden gefährdet wird. Die Rechtsordnung beantwortet damit nicht die Frage, welches Maß an (Rest)risiko sie für gesellschaftlich akzeptabel hält, noch gibt sie einen Maßstab für eine (notwendige) Güterabwägung. Diese Fragen stellen sich damit an den Gutachter, der sie implizit durch eine seriöse fachwissenschaftliche Risikenabschätzung zu beantworten hat. Diese Regelungstechnik ergibt zwar ein — notwendiges — Maß an Flexibilität, sie unterstützt aber auch (ungewollterweise) die in der öffentlichen Diskussion immer wieder anzutreffende Forderung nach „absoluter Sicherheit" bzw. nach dem Null-Risiko. Henschler: N u n zum Bereich Lebensmittel, diese leben ja von den ADI-Werten. Ich hatte vor Jahresfrist vor dem Hohen Gerichtshof in Luxemburg die Reinheit des Deutschen Bieres zu verteidigen und stellte dabei fest, daß europäische Biere anderer Provenienz insgesamt etwa 120 Fremdstoffe enthalten; etliche davon mit ADI-Werten befrachtet. Ich habe dann hinterfragt, wann die einzelnen ADI- Werte zuerst ermittelt worden sind, was sich geändert hat im Laufe der Jahre und wieviele von denen, die in den 60er Jahren eingeführt wurden, heute noch Bestand haben. Wenn man so will, ist doch die Dauerhaftigkeit eines solchen ADI-Wertes ein gewisses Qualitätssiegel für die toxikologische Prüfstrategie. Wie sieht denn Herr Grunow ζ. B. die Situation der ADI-Werte jetzt und künftig? Ist das Updating hinreichend gut organisiert, hat das Implikationen für künftige Prüfstrategien?

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Grunow: Es gab einmal in der BRD auf Anregung des Bundesgesundheitsrates eine Empfehlung, die Zulassung von Lebensmittelzusatzstoffen in bestimmten Zeitabständen zu überprüfen. Leider wurde sie niemals umgesetzt. Jedoch hat es mit Hilfe des WHO-Gremiums, dem Kommittee Food Additives — wenn auch nicht systematisch — immer wieder Neubewertungen gegeben. Auch der Lebensmittelausschuß der EG hat immer wieder Substanzen aufgegriffen und einer Bewertung nach dem neuesten Stand unterzogen. Henschler: Mehr als die Hälfte der ADI-Werte hatte in den zwölf Jahren Laufzeit nicht Bestand und meistens deshalb nicht, weil die Stoffe als mutagen oder kanzerogen eingestuft worden sind. Das war für mich ein Alarmzeichen bei der Bewertung des Systems. Das ist auch eine Frage, wie fest man solche Werte schreiben soll. In manchen Ländern sind sie Gegenstand gesetzlicher Regelungen oder Verordnungen, in anderen von flexiblen Listen. Ich würde sagen, daß das Prinzip der Listen gefordert werden muß als generell verbindlich und nicht die Festschreibung in verkrusteten Gesetzen. Ν. N.: Wo bleibt da die Rechtssicherheit? Henschler: Das ist die Frage. Wo bleibt die Verläßlichkeit der toxikologischen Aussage gegenüber der Rechtssicherheit? Somogyi: Obwohl die Neubewertung der einzelnen Stoffe recht unregelmäßig erfolgt, sind die Mechanismen dafür geschaffen worden im Rahmen des Codex Alimentarius Programmes. Die Codex Alimentarius Commission hat jährliche Sitzungen, in denen allgemeine Fragen besprochen werden. Sofern es um Pestizide oder Lebensmittelzusatzstoffe geht, werden die Fragen an die zuständigen Codex Committees überwiesen, Codex Committee on Food Additives und Codex Committee on Pesticide Residues. Vertreter aller beteiligten Mitgliedsstaaten haben das Recht des Vorschlages. Auch für einzelne ADIWerte wurden Vorschläge eingebracht. Möglichkeit und Mechanismen sind geschaffen, auch wenn davon bisher erst in einem bescheidenen Umfang Gebrauch gemacht worden ist. Henschler: Gibt es noch Fragen und Anregungen zum Bereich Düngemittel, wassergefährdende Stoffe, Futtermittel, Futtermittelgesetz? Hildebrandt: Der Bedarf an einer weitergehenden Prüfstrategie ist ja sicher schon deutlich geworden. Eine Regelung, die die besondere Gefährlichkeit durch Addition einzelner Faktoren ermittelt, erscheint — zumindest ohne Multiplikator — nicht hilfreich. Hier scheint ein Entwicklungsbedarf in der Anpassung, ζ. B. auch an das Chemikaliengesetz, notwendig. Henschler: Wir sollten klar erkennen, daß dieses Additionsprinzip bei den Gefahrdungsfaktoren nichts mehr mit einer toxikologischen Prüfstrategie zu tun hat.

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Kayser: Die Einstufung in Wassergefährdungsklassen ist ausschließlich zum Zwecke der Hilfeleistung für die Planung von Lagerung und Transport dieser Stoffe erfolgt. Also zunächst zur Genehmigung technischer Anlagen. In letzter Zeit ist durch die Verschärfung der Wassergesetzgebung dies zu einer Art Vollbewertung der Stoffe hochstilisiert worden. Mit Recht muß man sagen, daß es das nicht sein kann. Mechanismen zur Bewertung haben wir für neue Stoffe im Chemikaliengesetz und für alte Stoffe im Altstoffprogramm. Die Gefährlichkeit der Stoffe, die in die Wassergefahrdungsklasse einmal eingestuft worden sind, wird in der Zukunft evaluiert werden. Renschier: Gibt es aus dem Auditorium noch wesentliche Punkte zu erörtern? Frau Eichler: Lebensmittelzusatzstoffe, die als mutagen oder kanzerogen erkannt werden, werden nicht mehr erlaubt. Wir schließen aber die Augen vor mutagenen und kanzerogenen Substanzen in der Nahrung, die natürlich vorkommen. Ich denke ζ. B. an Champignons, an die mutagene Wirkung des Coffeins usw. Sind wir hier viel weniger streng als ζ. B. bei der Bewertung von Chemikalien? Hildebrandt: Das Gegenteil wird uns eigentlich vorgeworfen, daß wir zu sehr die sogenannten natürlichen Inhaltsstoffe berücksichtigen und einschränken würden und uns zu wenig um die synthetischen Stoffe kümmern. Tatsächlich ist es so, daß das Bundesgesundheitsamt in verschiedenen Bereichen schon Regelungen vorgeschlagen bzw. getroffen hat. Das Beispiel einer sehr heftigen Diskussion der Öffentlichkeit über die Beurteilung der Pyrrolizidinalkaloidhaltigen Arzneimittel zeigt dies. Dabei wird uns von den Gegnern einer möglichen Maßnahme vorgeworfen, wir würden damit den ganzen Naturheilmittelschatz in Frage stellen. Bei 80.000 — 100.000 Arzneimittel auf sogenannter natürlicher Basis in unserem Datensystem und nur 26.000 anderen ein fast heilloses Unterfangen. Grunow: Die Gründe sind vielfältig, warum hier unterschiedliche Maßstäbe angelegt werden. Einmal liegt es sicher daran, daß man im Fall eines Zulassungsverfahrens die Möglichkeit der Versagung oder Zurückziehung hat. Natürliche Bestandteile von Lebensmitteln kann man nicht so leicht beeinflussen. Man kann die Bevölkerung warnen oder Verzehrsempfehlungen herausgeben, in manchen Fällen vielleicht auch dafür Sorge tragen, daß bestimmte Substanzen aus den Lebensmitteln entfernt werden. Hier liegt sicher ein Grund für diese Unterschiedlichkeit. Der zweite Grund liegt sicher in der Verantwortung von Hersteller und Behörde für den Einsatz eines Stoffes, im Gegensatz zu Stoffen, die seit jeher verzehrt werden. Der dritte Grund ist das unterschiedliche Bewußtsein des Verbrauchers. Es ist nicht einfach, ihn überhaupt davon zu überzeugen, daß ein naturbelassenes Lebensmittel ein Risiko darstellt.

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Henschler: Eine abschließende Frage an Herrn Hildebrandt. Sie haben die derzeitige Notsituation mit dem Antragsstau bei Arzneimitteln geschildert und als eines der Instrumente zu ihrer Überwindung eine Hochqualifizierung des im BGA angesiedelten SachVerstandes genannt. Ich wäre dankbar, wenn Sie sagen würden, wie das bewerkstelligt werden kann und soll. Hildebrandt: Dies ist letztlich eine Gretchenfrage. Einmal ist es sicherlich notwendig, den Informationsfluß unter den Mitarbeitern in den verschiedenen Bereichen so zu verbessern, daß der vorhandene Sachverstand optimal eingesetzt werden kann. Das bedeutet auch, daß vorhandener wissenschaftlichtechnischer Sachverstand so angepaßt wird, daß Inspektoren tatsächlich auch viel Routinearbeit übernehmen können, die jetzt weitgehend von Wissenschaftlern durchgeführt wird. Ziel ist auch eine intensivere Fortbildung. Kontakte zu Wissenschaftlern und Experten außerhalb des Institutes müssen verbessert werden. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, die noch der Überlegungen wert sind. Andererseits muß Vorhandenes einer neuen Disposition zur Verfügung gestellt werden. Um die Fülle der Aufgaben zu bewätigen, müssen Prioritäten gesetzt werden, vielleicht auch neue Grenzen gezogen werden. Im Augenblick ist es so, daß aufgrund der verschiedenen Interessenlagen und der Stoffvielfalt und der Menge, die täglich zu neuen Aufgaben führt, die von uns langfristig und strategisch nicht mehr bearbeitet werden können, wir regelmäßig praktisch nur noch eine Art von Feuerwehrfunktion haben. Dies muß sich ändern. Die Frage ist also nicht nur, wie wir mit unserem ständig zu knappen Personal besser arbeiten können, sondern wieweit das, was zu regeln ist, möglicherweise eingeschränkt werden kann. Henschler: Es bleibt zu hoffen, daß Veranstaltungen und Diskussionen wie diese geeignet sind, den Transfer des Wissens von außen zur Behörde und umgekehrt zu verbessern; und auch, daß Möglichkeiten gefunden werden, in ganz speziellen Wissensgebieten diesen Transfer zu optimieren. Und wenn unsere Diskussion irgend etwas dazu beigetragen haben sollte, hätten wir eines der Ziele schon erreicht.

IV Besondere Toxizitätsprüfungen bei Arzneimitteln

Vorstellungen über die Prüfung von sogenannten sicherheitspharmakologischen Aspekten B. Lehmann, P. Grosdanoff

Abstract General pharmacodynamics means the examination of effects on functional parameters additional to the desired effects. This characterization is a necessary complement to the study and description of the special pharmacodynamic effect and of the toxicodynamic effect profile for the purposes of risk assessment. The general pharmacodynamic characterization of a medicinal product is intended to answer questions as to additional effects on functions of the mammalian organism, where they cannot already be answered on the basis of results from special pharmacodynamic and toxicodynamic studies. 1 )

In einem Interview des Senders Freies Berlin mit einem Pharmakologen der Universität Bonn stellte dieser die Ergebnisse von Doppelblindstudien folgendermaßen dar: In der Präparatgruppe ist mit einer 50%igen Wirkung zu rechnen gegenüber einer 40%igen Wirkung in der Placebogruppe. Unter diesen Voraussetzungen sollte durch ausführliche und umfassende präklinische Untersuchungen die Abschätzung des Risikos so genau wie möglich erfolgen, um eine adäquate Nutzen-Risiko-Abschätzung durchführen zu können. Dies umfaßt das gesamte Gebiet der toxikologischen Untersuchungen und auch die Untersuchungen zur Sicherheitspharmakologie. Die speziellen Untersuchungen zur Sicherheitspharmakologie sollen alle pharmakodynamischen Wirkungen des Medikaments umfassen bzw. sollen Antworten auf zusätzliche Effekte auf die Funktionen des menschlichen Organismus geben, die nicht im Rahmen der speziellen Untersuchungen zur Pharmakodynamik oder in den toxikologischen Untersuchungen erfaßt werden. Der Gesamtkomplex der Bewertung der Sicherheitspharmakologie kann sich also aus Untersuchungsergebnissen, die im Rahmen der üblichen toxikolo') Auszug aus den EG-Richtlinien zur Sicherheitspharmakologie — Veröffentlichung in Vorbereitung

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Β. Lehmann, Ρ. Grosdanoff

gischen Untersuchungen abgeleitet wurden, aus den Untersuchungen zur Pharmakodynamik sowie aus ergänzenden Untersuchungen zur eigentlichen Sicherheitspharmakologie zusammensetzen. Daraus wird deutlich, daß es gerade für den Bereich der Sicherheitspharmakologie kein starres Prüfprogramm geben kann, da der Prüfansatz und der Prüfumfang von der zu prüfenden Substanz und deren Wirkungsweise abhängig ist. Einige Hinweise haben jedoch für alle zu prüfenden Substanzen Gültigkeit: • Bei der Erstellung eines Prüfungsprogramm im Einzelfall soll der spezifische Effekt der aktiven Grundsubstanz berücksichtigt werden, der aus der Struktur der aktiven Substanz und anderer bereits bekannter Grundsubstanzen abgeleitet werden kann. • Die Dosis sollte sich an den zu erreichenden Effekten orientieren, d. h., sie kann im Bereich der minimalen toxischen Dosis liegen. Es kann sich jedoch auch im Einzelfall ergeben, daß Untersuchungen im Bereich hoher toxischer Dosierungen durchgeführt werden müssen. • Der Einfluß des Medikaments auf die vitalen Funktionen muß nach der bisherigen allgemein vertretenen Ansicht nicht mehr als einmal geprüft werden. Wenn sich ζ. B. nach einer längeren Anwendungszeit ein Effekt auf die vitalen Funktionen bzw. der daran beteiligten Organe oder Organsysteme ergeben sollte, ist eine mehrmalige Prüfung notwendig. • Ergibt sich aus den Untersuchungen zur Pharmakokinetik der Hinweis, daß im Menschen ein Metabolit gebildet wird, der im Tierversuch nicht auftritt, so sollte das Prüfprogramm zur Sicherheitspharmakologie Untersuchungen mit dem Metaboliten einschließen. • Hilfsstoffe müssen nur untersucht werden, wenn sie einen pharmakodynamischen Eigeneffekt haben oder wie bei einer Kombination aktiver Substanzen einen Anstieg der Effektivität der Substanz bewirken. • Die Versuchsanordnung sollte in Abhängigkeit von den zu erreichenden optimalen Untersuchungsergebnissen geplant werden. Jedoch sollten die Untersuchungen möglichst unter Vermeidung von Schmerzzuständen für die Tiere erfolgen, so daß im Einzelfall je nach Untersuchungsziel die Untersuchung mit und ohne Narkose erfolgen kann. U. a. ist die Untersuchung den Vorschriften zum Tierschutz anzupassen. An die Stelle von Ganztieruntersuchungen können auch in-vitro-Untersuchungen, d. h. Untersuchungen an isolierten Organen oder Gewebsverbänden herangezogen werden. Sie müssen sich jedoch als valide Systeme erweisen. Nach diesen allgemeinen Hinweisen soll nochmals darauf aufmerksam gemacht werden, daß es für die Sicherheitspharmakologie besonders wichtig ist, individuelle Prüfprogramme zu erstellen. Diese sollten mit Hilfe der Ergebnisse aus der chronischen Toxikologie sowie über die bekannten Wirkungen aus der Substanzklasse entwickelt werden.

Sicherheitspharmakologische Aspekte

133

Die Untersuchungen zur Sicherheitspharmakologie sollten auf jeden Fall Auskunft über die Auswirkungen auf die vitalen Lebensfunktionen geben, d.h.: • • • •

Wirkungen Wirkungen Wirkungen Wirkungen

auf auf auf auf

das die das die

Herz-Kreislaufsystem, Atmung, Zentralnervensystem, Nierenfunktion.

Im besonderen Fall können, in Abhängigkeit von der Substanzstruktur oder sich aus anderen Untersuchungen ergebenden Hinweisen, folgende Untersuchungen notwendig sein: • • • • • •

Wirkungen Wirkungen Wirkungen Wirkungen Wirkungen Wirkungen System, • Wirkungen

auf auf auf auf auf auf

das autonome Nervensystem (Neurotransmitter), die glatte und quergestreifte Muskulatur, den Intestinaltrakt, die Sinnesorgane (ζ. B. Ototoxizität), die Hämatopoese und die Blutgerinnung, die Leber, Stoffwechselfunktionen und das endokrine

auf das Immunsystem.

Ein Teil der hier genannten Untersuchungen ist Bestandteil der Untersuchungen zur chronischen Toxizität. Zu jedem hier aufgeführten Untersuchungsgebiet die dazu möglichen Einzeluntersuchungen zu nennen, würde voraussetzen, daß genaue Vorgaben für die Untersuchungen zur Sicherheitspharmakologie bestehen und erfüllt werden müssen. An dieser Stelle sollen daher nur exemplarisch für folgende Organe bzw. Organsysteme die möglichen Zielgrößen der Untersuchung dargestellt werden: Untersuchungsparameter Zentralnervensystem

zur Erfassung von Arzneimittelwirkungen

auf das

• Verhalten ohne Beeinflussung vom Untersucher — ζ. B. Körperhaltung, Bewegungskoordination, Bewegungsmuster (artgemäße Bewegung, pathologische Bewegungsmuster, ζ. B. Tremor, Rigo, Katalepsie, Krämpfe), Sozialverhalten, Sexualverhalten, Explorationsverhalten vom Untersucher beeinflußtes Verhalten — Testsituation Fluchtverhalten, Schmerz- und Schreckreaktion, ζ. B. Rotarod-Test, Ataxie-Test. • Reflexe ζ. B. mono- und polysynaptische Reflexe.

134

Β. Lehmann, Ρ. Grosdanoff



EEG-Ableitungen ζ. Β. zur Vigilanz, Schlafmuster, zirkadiane Rhythmik, Krampfschwellenveränderungen. • Funktion ζ. B. des Vestibularapparates (Nystagmographie) • Suchtpotential (Selbstmedikationsversuch) • Interaktion mit anderen ZNS-wirksamen Substanzen, ζ. B. Alkohol, Barbiturate. Parameter zur Erfassung Arzneimittel-induzierter

Störungen der

Hämatopoese und der Blutgerinnung • Die zellulären Bestandteile betreffend — sog. rotes Blutbild: Anzahl und Form der Erythrozyten, M C H C , MCH, Restistenzbestimmung, Anzahl der Retikulozyten (evtl. Heinzscher Innenkörper), H K , HB, BSG; — sog. weißes Blutbild: Anzahl und Form der Leukozyten, Anteile der einzelnen Untergruppen (ζ. B. Linksverschiebung); — Zellen im Knochenmark (Myelogramm); — Anzahl der Thrombozyten. •

Gerinnungsstatus Blutungszeit, Gerinnungszeit, Partielle Thromboplastinzeit (PTT), Prothrombinzeit (Quick-Test), Thrombinzeit, Fibrinogen (Plasmafibrinogenkonzentration, Fibrinspaltprodukte), Thrombozytenfunktion (Plättchenaggregation, Plättchenadhäsion, antithrombozytische Antikörper).

Untersuchungsparameter Immunsystem

zur Erfassung Arzneimittel-induzierter

Störungen am

• Beurteilung sog. Immunorgane Knochenmark (Ausstrich), Thymus, Lymphknoten, Milz (Organgewichte, -histologic, -zellularität), Follikel des Magen-Darm-Traktes, „Blutbild" (Differentialblutbild).

Sicherheitspharmakologische Aspekte

135

• Serologische Untersuchungen Immunelektrophorese (IgA, IgG, IgM, IgE, IgD), Messung der Komplementfraktionen, Komplementbindungsreaktion, Radioimmunassay, Enzymimmunassay, Fluoreszenzimmunassay, Präzipitationstest. • In-vivo-Untersuchungen — Systemische Anaphylaxie-Untersuchungen: Passive systemische Anaphylaxie-Reaktion, Anaphylaxie-Test, indirekte Hämagglutinations-Reaktion, PCA-Test. — Lokale Anaphylaxie-Untersuchungen: Arthus-Typ-Hautreaktion, verzögerte Hautreaktion. • In-vitro-Untersuchungen — an isolierten Geweben oder Zellen: Schulz-Dale-Reaktion, Lungen-Perfusions-Test (anaphylaktische Histamin-Isolation). — zelluläre Anaphylaxie-Untersuchungen: Lymphozyten-Transformations-Test, Migrations-Inhibitions-Test, Basophil or must cell degranulation, Target cell injury test, Plaque formation test. • Andere Untersuchungen: Cross reaction test, Coombs-Test, Photosensitization test. Es sei nochmals darauf hingewiesen, daß dies nicht als vollständige Auflistung aller Möglichkeiten zur Erfassung der Parameter im Rahmen der Sicherheitspharmakologie verstanden werden soll, sondern nur als ein Hinweis auf mögliche Untersuchungskriterien. Die Darstellung der möglichen Untersuchungen zu den einzelnen Körperfunktionen und -reaktionen hat gezeigt, wie umfassend der Begriff der Sicherheitspharmakologie ausgelegt werden kann und wie schwierig es auf diesem Gebiet ist, regulative Vorschriften festzulegen.

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Β. Lehmann, Ρ. Grosdanoff

Literatur [1] EG-Richtlinie: Recommendations for the general pharmacodynamic characterization of medicinal products. Veröffentlichung in Vorbereitung. [2] Guidelines of toxicity studies of drugs: Chamber of Commerce and Industry of United States of Japan. Veröffentlichung in Vorbereitung. [3] Zbinden, G.: Experimental Methods in Behavioral Teratology. Arch. Toxicol. 48 (1981) 69-88. [4] Begemann, H.: Praktische Hämatologie. Georg Thieme Verlag, Stuttgart. 1977. [5] Parish, W. E.: Immunological Tests To Predict Toxicological Hazard To Man. In: Testing for toxicology (J. W. Garred, ed.), Taylor & Francis LTD, London. 1981. [6] Dean, J. H., M. J. Murray, E. C. Ward: Toxic Responses of the Immune System. In: Toxicology, Third Ed. (C. D. Klaassen, M. O. Amdur, J. Doull, eds.), 1986.

Diskussion von Eickstedt: Ich möchte auf einen Punkt hinweisen: Es ist auch schon vor der Phase I, vor der Prüfung am Menschen zu überlegen, welche pharmakodynamischen Untersuchungen sinnvoll sind, welchen Dosisbereich man abgrenzen sollte und inwieweit pharmakokinetische Untersuchungen am Tier hier eine Voraussetzung sein müssen, um Sicherheit für den Menschen zu schaffen. Lehmann: Es ist sicher eine der Voraussetzungen, daß Daten zur Pharmakokinetik und zur Pharmakodynamik am Tier vorhanden sind, um dann daraus ableitend die sicherheitspharmakologischen Untersuchungen durchzuführen. Grosdanoff: Wir kennen das Problem der Sicherheitspharmakologie und wissen, daß es hier keine feste Regel gibt. Was wir eigentlich wissen wollen, und darüber können wir nur reden, das sind Grundparameter.

Vorstellungen zur Prüfung von Antibiotika T. Lehnert

Abstract In addition to the toxicity tests, the various methods of testing are to be extended, with particular attention being paid to the damages caused by antibacterial drugs. These are, for example: nephrotoxicity and ototoxicity by aminoglycosides, prevention of spermatogenesis by cephalosporines and chinolones, arthropathy and oculotoxicity by chinolone derivates. The practicability of preclinical registration of these damages is discussed and testing parameters are introduced. Furthermore, priorities and special features of testing antibiotics are shown in connection with acute and chronic testing as well as general pharmacology, mutagenicity, carcinogenicity and reproduction toxicology.

Für die Einschätzung des toxikologischen Profils von Antibiotika/Chemotherapeutika sind im Prinzip die gleichen Prüfungen wie für andere Arzneimittel notwendig. Zusätzlich ist jedoch aufgrund der Tatsache, daß Antibiotika spezielle toxische Schäden hervorrufen können, die Palette um entsprechende Prüfparameter zu ergänzen bzw. zu vertiefen [15]. Denken wir nur an die Nephro- und Ototoxizität der Aminoglykoside, die Katarakte und Arthropathien der Chinolone oder an die beobachtete Hemmung der Spermatogenese durch Cephalosporine und Chinolone (Tab. 1) sowie die Phototoxizität einiger Antibiotika [1, 3, 6, 13, 14, 20, 21], Tabelle 1 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.

Prüfprogramm für Antibiotika

Akute Toxizität Subchronische/chronische Toxizität Sicherheitspharmakologie Mutagenität Kanzerogenität Reproduktionstoxikologie Spezielle Verträglichkeitsprüfungen entsprechend der Applikationsart Spezielle Prüfungen aufgrund bekannter Risiken der Antibiotika ζ. B. Okulo-Oto-GelenkSpermatoxizität

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Τ. Lehnert

In diesem Beitrag kann ich nur auf einige Besonderheiten der toxikologischen Prüfung von Antibiotika eingehen.

Toxizität bei einmaliger und wiederholter Gabe Für die akuten Toxizitätsprüfungen ergeben sich bei Antibiotika keine Besonderheiten; die chronischen Toxizitätsprüfungen sollten genutzt werden, die später erwähnten Schwerpunkte und zusätzliche Parameter zu erfassen.

Sicherheitspharmakologie Auf die sicherheitspharmakologischen Untersuchungen im engeren Sinne wurde bereits eingegangen. Ich möchte an dieser Stelle auf 4 Punkte der Sicherheitspharmakologie hinweisen, denen für die Prüfung von Antibiotika eine besondere Bedeutung zukommt. Das sind die Wirkungen auf die Blutgerinnung, auf das Immunsystem, die Nierenfunktion und auf das Zentralnervensystem [10]. ZNS Besonders von Chinolonen wird in letzter Zeit über unerwünschte Wirkungen von seiten des Zentralnervensystems beim Menschen berichtet. Im Tierversuch zeigten sich sehr unterschiedliche Reaktionen [2, 5, 9, 11, 16, 23, 27, 29, 33, 36]. Tabelle 2 verdeutlicht, daß eine Vorhersage nur schwer zu treffen ist. Trotzdem sollten alle Möglichkeiten der Präklinik genutzt werden, um ZNSWirkungen zu erfassen. Tabelle 2

ZNS-Effekte

Beim Tier 1. „Abnormales" EEG (Spikes und Wellen) nur bei Katze und Hund nach i.v. Applikation (ζ. B.: Pipemidsäure, Norfloxacin, Enoxacin) 2. EEG-Veränderungen bei Ratte und Affe nicht beobachtet 3. Konvulsionen beim Hund (Grand mal) bei einem älteren Quinolon — 100 mg/kg oral 4. Konvulsionen bei der Maus durch Fleroxacin 800 mg/kg oral Beim Menschen ζ. B. Krampfanfälle, Angstgefühle, Depressionen, Schwindel, Euphorie, Schlaflosigkeit, Benommenheit

Vorstellungen zur Prüfung von Antibiotika

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Nephro toxizität Die Beachtung einer möglichen Nephrotoxizität spielt für die toxikologische Prüfung von Antibiotika eine besondere Rolle [1, 9, 32], Nephrotoxizitätsstudien sollten so angelegt werden, daß zwischen einem direkten und einem indirekten Effekt auf die Niere unterschieden werden kann (Tab. 3). Der direkte Effekt wird mit einem Akut-/subchronischen Versuch erfaßt. Dabei werden die Wirkungen auf das Gefäßsystem oder die Zytotoxizität — vornehmlich auf die Epithelzellen der Hauptstücke — ermittelt. Im Rahmen dieser Versuche sollte möglichst eine Referenzsubstanz der entsprechenden Antibiotika-Gruppe mitgeführt werden, um eine vergleichende Bewertung durchführen zu können. Der indirekte Effekt auf die Niere, der auf Adaptation und Toleranzinduktion beruht, wird im Rahmen der üblichen chronischen Toxizitätsprüfungen erfaßt. Tabelle 4 zeigt einige Möglichkeiten zum Nachweis von Nierenschädigungen. Die Wahl der geeigneten Tierart ist für die Nephrotoxizitätsprüfungen von großer Bedeutung. So reagieren Ratten auf Cephalosporine überwiegend resistent, jedoch auf Aminoglykoside im Gegensatz zu Kaninchen sehr sensibel. Einzelne Tierarten können auf Substanzen mit sehr unterschiedlicher Tabelle 3

Arzneimittel-induzierte Nephrotoxizität

Mechanismus

Kriterien

— direkt toxisch verlängerte Gabe dosisrelevant hohe Plasmakonzentration

tubulärer Schaden geringe Läsionen des Interstitiums intakte Basalmembran B U N f, Kreatinin j Proteinurie Elektrophorese Immunoelektrophorese tubuläre Reabsorption Urinsediment Qualität, Quantität Urinenzyme alk. Phosphatase ß-Glukuronidase Leucin-aminopeptidase Alanin-aminopeptidase Lactat-dehydrogenase interstitielle Läsionen geringer tubulärer Schaden Antikörper gegen das A M Gesamtimmunglobuline f (bes. igE) pos. Hypersensibilisierungstest

— immunologisch

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Τ. Lehnert

Empfindlichkeit reagieren [8, 15]. Tabelle 5 zeigt dies am Beispiel eines Gyrasehemmers. Der Dosisbereich, in dem die Nephrotoxizität zu beobachten ist, schwankt erheblich.

Tabelle 4

Nachweismöglichkeiten von Nierenschädigungen

a) direkter Effekt — Akut/Subakut-Versuch b) indirekter Effekt — chronischer Versuch — Nierenfunktionstest PSP-Test Kreatinin-Clearance — Bestimmung der Blutplasmabestandteile — Urinstatus — pathologisch-anatomisch/-histologische Untersuchungen

Tabelle 5

Nierenverträglichkeit

Studie

Kristallurie

keine Nephropathie

Nephropathie

Oral

mg/kg

mg/kg

mg/kg

Ratte, 3 und 6 Monate Affe, 3 Monate Affe, 6 Monate

500 30 30

500 45 30

>500 135 90

10 5 5

20 10 10

80 30 20

Parenteral Ratte, 4 Wochen i. p. Affe, 4 Wochen i.p. Affe, 6 Monate, i. v.

Ototoxizität

Die Nephrotoxizität ist auch ein wichtiger Faktor für die prädiktive Einschätzung des ototoxischen Potentials der Aminoglykoside. Bekannt ist aus Tierversuchen, daß die Ototoxizität bei einem anurischen Meerschweinchen um das 20 — 50fache steigt. Ich möchte deshalb an dieser Stelle gleich auf diese spezielle Prüfung eingehen. Für ein neues Aminoglykosid-Antibiotikum sind Untersuchungen zur Ototoxizität obligat. Es können sowohl der Hör- als auch der Gleichgewichtsapparat geschädigt werden, wobei die kochleäre Ototoxizität für den Menschen von größerer Bedeutung ist.

Vorstellungen zur Prüfung von Antibiotika

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In der Präklinik stehen funktionelle und morphologische Untersuchungsmethoden zur Verfügung. Bei den funktionellen Untersuchungsmethoden soll nur an den Preyerschen Ohrmuschelreflex und bei morphologischen Methoden an das Osmium-fixierte Corti-Organ des Meerschweinchens erinnert werden. Die letztgenannte Methode basiert auf der Tatsache, daß eine Korrelation zwischen Haarzellschäden und Hörstörungen mit deutlicher Dosiswirkungsbeziehung besteht. Bei diesen Untersuchungen ist darauf zu achten: — daß genügend Zellen in den unterschiedlichen Windungen ausgewertet werden, — daß die Dosis hoch genug gewählt wird, — daß eine mögliche Spätototoxizität und die Nephrotoxizität in den Prüfplan einbezogen werden. Um eine äquitoxische Dosis des neuen Aminoglykosides zu ermitteln, soll eine bekannte Referenzsubstanz, ζ. B. Gentamycin, mitgeführt werden (Tab. 6). Tabelle 6

Ototoxizität

Methoden zur Erfassung von kochleären Schäden (Meerschweinchen) — funktionelle Prüfung Preyerscher Ohrmuschelreflex — morphologische Methoden = Zellzerstörung Korrelation zwischen Haarzellschäden und Hörstörung direkt toxischer Effekt auf Sinneszellen (N. statoacusticus) Auswertung der geschädigten Haarzellen in verschiedenen Windungen — Mikroskopie, Phasenkontrastmikroskopie Referenzsubstanz Spätototoxizität tiefes Kompartiment durch Akkumulation in der Peri- und Endolymphe des Innenohrs und Niere —» Nephrotoxizität beachten (Anurie Meerschweinchen —> Ototoxizität j 20 — 50x)

Mutagenität Bei den Mutagenitätstests soll auf einen Punkt hingewiesen werden: Bakterielle Systeme in der üblichen Form sind für die Testung von Antibiotika wegen der gegen Bakterien gerichteten Wirkung ungeeignet. Anstelle der Genmutationstests an Bakterien können ζ. B. zwei Tests an Säugerzellen oder ein Hefegenmutationstest und ein Säugezelltest durchgeführt werden [26],

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Τ. Lehnert

Kanzerogenität Die Notwendigkeit der Untersuchung auf krebserregende Wirkung ergibt sich für Antibiotika aufgrund der chemischen Struktur, pharmakologischer Eigenschaften oder verdächtiger Befunde anderer Untersuchungen meistens nicht; es sei denn, für das Antibiotikum wird eine Indikation beansprucht, die eine länger dauernde Behandlung zur Folge hat, ζ. B. Osteomyelitis und Akne, d. h., das Antibiotikum wird während einer Zeitspanne von 6 Monaten angewendet oder intermittierend so häufig, daß die Gesamtbelastung die gleiche ist.

Reproduktionstoxikologie Die Prüfungen zur Reproduktionstoxikologie bergen zwei kritische Punkte in sich. 1. Das Kaninchen ist für Teratogenitätsstudien als 2. Säugetierart nicht immer geeignet, wenn das Antibiotikum besonders gegen coliforme Keime gerichtet ist; denn die durch die Störung der Darmflora resultierende Maternaltoxizität kann die Aussage dieser Prüfungen einschränken. In solchen Fällen sollte besser auf eine 2. Nagetierart ausgewichen werden [28]. 2. Die Stillzeit gilt für Antibiotika dann als Kontraindikation, wenn diese mit der Milch ausgeschieden werden bzw. keine Daten darüber vorliegen. Dies gilt natürlich nicht, wenn keine Aufnahme der Milch durch den Säugling erfolgt; denn für diesen steht die Vermeidung einer unnötigen Sensibilisierung im Vordergrund [7].

Verträglichkeitsprüfungen Tabelle 7 zeigt Beispiele von Verträglichkeitsprüfungen. Arzneimittel und deren Zubereitungen müssen, sofern das nicht im Rahmen der Prüfung zur systemischen Verträglichkeit geschieht, zusätzlich vor der Erstanwendung am Menschen tierexperimentell auf ihre lokale Verträglichkeit untersucht werden. Die Toxizität soll an den Orten untersucht werden, die mit dem Arzneimittel und dessen Zubereitungen aufgrund der Applikationsart in Berührung kommen, d. h. also auch im Falle der Fehlapplikation oder Verschleppung. Antibiotika werden sehr häufig parenteral appliziert, und deshalb kommt diesen Untersuchungen eine besondere Bedeutung zu. Ich möchte an dieser

Vorstellungen zur Prüfung von Antibiotika Tabelle 7

143

Beispiele spezieller Verträglichkeitsprüfungen

Darreichungsform/ Applikationsort

Toxikologische Prüfungen

intravenös, intraarteriell Infusion intramuskulär intravaginal

i. v., i. a., paravenös, Hämolysetest (in vitro)

intraartikulär Suppositorium Ophthalmikum Inhalation Otologikum Dermatikum

i.v., i.a., paravenös, Hämolysetest, Infusionstoxikologie i.m. Prüfung Schleimhautverträglichkeitstest, Spermatoxizitätsprüfung — in vitro, (vaginale Prüfung) intraartikuläre Prüfung Schleimhautverträglichkeitstest (rektale Prüfung) Augenverträglichkeitsprüfung Inhalationstoxikologie epidermaler Reizwirkungstest primärer/kumulativer okulärer und epidermaler Reizwirkungstest Prüfung auf Phototoxizität/Allergenität

Stelle betonen, daß für jede intravenöse Darreichungsform eine intraarterielle und paravenöse Verträglichkeitsstudie erforderlich ist, um das Risiko einer akzidentiellen Gabe einschätzen zu können.

Spezielle Toxizitätsprüfungen Zum Schluß möchte ich einige spezielle Prüfungen erwähnen, deren Notwendigkeit sich aus bekannten Risiken der Antibiotika ergeben. Okulotoxizität

Die Okulotoxizität ist ein gutes Beispiel dafür, daß die Prüfverfahren immer dem Stand der wissenschaftlichen Kenntnis anzupassen sind [4, 25, 31]. Seitdem von Gyrasehemmern bekannt ist, daß sie beim Hund zu Katarakten führen, die sich aufgrund einer Substanzanreicherung in der Linse entwickeln, ist für alle neuen Gyrasehemmer eine Augenkinetik-Studie und evtl. ein Cokatarakt-Versuch notwendig, um eine mögliche unterschwellige kataraktogene Potenz aufzudecken (Tab. 8). An dieser Stelle sei betont, daß sowohl die ophthalmoskopische als auch die histologische Untersuchung der Linse völlig ungeeignete Methoden zur Erfassung eines unterschwelligen Transparenzschadens sind. Aus etlichen Linseneigenschaften, ζ. B. der Zusammensetzung der Linsenproteine, lassen sich

144

Τ. L e h n e r t

Tabelle 8

Augentoxizität bei einigen Quinolonen

1. Schwache lentikuläre Trübung bei der Ratte mit Rosoxacin ( > 400 mg/kg/Tag über 2 Monate) 2. Geringe Retina-Atrophie beim Hund, Retina-Degeneration bei der Katze mit Cinoxacin (500 mg/kg/Tag über 14 Tage) (Keine Augentoxizität bei Kaninchen, Ratte und Affe) 3. Irreversible Linsentrübung beim Hund mit Pefloxacin (bei Dosen > 140 mg/kg/Tag oral, Behandlung über 6 Monate und länger) Es muß die Frage beantwortet werden: sind Linsen und Kammerwasser des Auges Tiefenkompartimente für einige Quinolone?

viel bessere Rückschlüsse auf eine mögliche Transparenzstörung ziehen [22, 25], Für Chinolone ist es jedenfalls ratsam, am Ende einer präklinischen Studie anstelle der histologischen Aufarbeitung aller Linsen einen Teil der Linsen einer biochemischen Untersuchung zuzuführen.

Spermatogenesestörungen, Spermatoxizität Die Störung der Spermatogenese ist ein gar nicht so seltener toxischer Effekt der Antibiotika [4, 8, 10, 12]. Durch entsprechende präklinische Untersuchungen muß eine Schädigung des Menschen ausgeschlossen werden. Es ist Tabelle 9

Einfluß von Arzneimitteln auf die Spermien und Spermatogenese

Beispiele:

Neomycin, Gentamycin, Trimethoprim, Cephalosporine, Quinolone

Mechanismus:

oft nicht zu klären — — — —

Störung des endokrinen Regulationsmechanismus direkte Schädigung der Blut-Hoden-Schranke primäre Schädigung der Sertolizellen Hemmung der Spermienmobilität

Methoden:

Segment-I-Studie (Fertilitätsstudie) „serial meeting" —> selektive Keimzellpopulationen erfaßt Hormonbestimmungen (LH, Testosteron, FSH, ABP (androgenbindendes Protein) Spermiogramm in vitro/in vivo Spermien + Arzneimittel

Tierspezies:

Ratte

Hodenfunktion und vergleichbar Mensch

Kaninchen Hund

spermatologische Untersuchung, leichte Ejakulatgewinnung, biochemische Routinemethoden der Andrologie

endokriner

bedingt tauglich, keine Samenblase

Regulationsmechanismus

Vorstellungen zur Prüfung von Antibiotika

145

wichtig, die Ursachen der Schädigung zu erkennen und die Relevanz für den Menschen zu bestimmen (Tab. 9). Nur durch detaillierte präklinische Untersuchungen konnte ζ. B. festgestellt werden, daß die Spermatogenesestörungen durch Cephalosporine für den Menschen ohne Bedeutung sind [34]. Wird ein antibiotikumhaltiges Arzneimittel vaginal appliziert, ist darüber hinaus die Spermatoxizität zu prüfen. Dazu eignen sich die aus der Humanmedizin bekannten andrologischen in-vitro-Methoden (Tab. 10). Tritt eine Spermatoxizität auf, ist es mitunter notwendig, einen in-vivo-Versuch durchzuführen, um mögliche Schädigungen der Nachkommen auszuschließen. Tabelle 10

Spermatoxizität

Physikalische Untersuchungen Volumen Konsistenz Farbe optische Dichte pH-Wert Mikroskopie Einzelbewegung Agglutination Massenbewegung Spermienzahl SpermiendifTerenzierung Kopfkappenfärbung, Anomalien tote und lebende Spermien Lebensdauer der Spermien in-vitro, ggf. in-vivo-Versuche

Gelenktoxizität Die Chinolone sind in der Präklinik durch Schädigungen der Gelenkknorpel im wachsenden Organismus auffällig geworden [1, 9, 18, 19, 24, 30, 35], Diese treten dosis- und altersabhängig auf, es bestehen deutliche Spezies- und Substanzunterschiede (Tab. 11). Der Stand der wissenschaftlichen Kenntnis verlangt, daß entsprechende Prüfungen zur Gelenktoxizität für alle neuen Chinolone vorgelegt werden. Am besten erfolgt hierbei eine Untersuchung mit einer oder mehreren Vergleichssubstanzen und mit Tieren verschiedener Altersgruppen. Für die Risiko-Nutzen-Abwägung ist es wichtig zu wissen, in

146 Tabelle 11

Τ. Lehnert Gelenkaffektionen durch Nalidixinsäure*

Abhängigkeit von der Tierspezies Tierart Dosierung mg/kg (oral) 50 100

250

500

1000

Maus Ratte Kaninchen Hund

0/10 2/8 0/4 4/4

0/10 4/8 3/4 4/4

0/10 7/8 4/4

0/10

0/2

0/4 4/4



* tägliche Applikation über 7 Tage

welchem Rahmen sich die Gelenktoxizität eines neuen Chinolon-Derivats bewegt. Auch im Rahmen der Reproduktionsstudien besteht die Möglichkeit, schon frühzeitig Knorpelschäden zu erkennen.

Zusammenfassung Neben den Toxizitätsprüfungen, wie sie für andere Arzneimittel üblich sind, muß die Prüfpalette aufgrund spezieller toxischer Schäden, die Antibiotika/ Chemotherapeutika hervorrufen können, erweitert bzw. vertieft werden. Das sind ζ. B. die Nephrotoxizität und Ototoxizität durch Aminoglykoside, die Hemmung der Spermatogenese durch Cephalosporine und Chinolone, die Arthropathie und Okulotoxizität durch Chinolonderivate. Anhand von Beispielen werden die Möglichkeiten der präklinischen Erfassung dieser Schäden diskutiert und Prüfparameter vorgestellt. Darüber hinaus werden die Schwerpunkte und Besonderheiten für die Prüfung von Antibiotika im Rahmen der akuten und chronischen Toxizitätsprüfung, der Sicherheitspharmakologie, der Mutagenität, der Kanzerogenität und Reproduktionstoxikologie aufgezeigt.

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Vorstellungen zur Prüfung von Antibiotika

147

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Τ. Lehnert

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Diskussion Schuster: Sie haben erwähnt, daß die entsprechend lange Prüfdauer von 6 Monaten bei Langzeitapplikation nicht 6 Monate im ganzen sein muß, sondern diese können auch geteilt sein. Wie stellt man sich das vor? Würden Sie also empfehlen, für schwache Analgetika, die nur für die Indikation Kopfschmerzen zugelassen werden sollen und auch für etwas anderes gar nicht verfügbar sind, Kanzerogenitätsstudien zu fertigen? Wenn ich mir vorstelle, daß die vielleicht doch 2 oder 3 Tage im Monat von gewissen Leuten eingenommen werden, dann kommen ja in 6 Jahren diese 6 Monate schon zusammen. Lehnert: D a kann ich Ihnen eine ganz klare Antwort geben: ja.

Vorstellung zur Prüfung von Zytostatika V.

Schmidt

Abstract Cytostatic agents are medicinal products of high therapeutic value which are accepted to possess cytotoxic, teratogenic, mutagenic, carcinogenic and other toxic properties. Minimal requirements for the preclinical testing before initiating clinical phase I trials are described. Essentially they consist of animal studies for the acute toxicity and subchronic toxicity of 4 weeks duration. Additional toxicological testing is governed by the „Notes for Guidance" of the ECC. However, these requirements are applied by a flexible approach depending on the toxic reactions of the animals. The aim of the Federal Health Administration to abolish the current requirement for long-term carcinogenicity studies for alcylating cytostatic agents is described.

Die allgemeinen Voraussetzungen zum Schutz des Menschen bei der klinischen Prüfung von Arzneimitteln sind in den §§40 — 42 des Arzneimittelgesetzes und den entsprechenden Richtlinien geregelt [1], Soweit toxikologische Problemstellungen betroffen sind, kommt den Sätzen 5 bis 7 des §40,1 besondere Bedeutung zu, die vor jeder klinischen Prüfung am Menschen eine pharmakologisch-toxikologische Prüfung fordern. Deren Ergebnis muß beim Bundesgesundheitsamt (BGA) hinterlegt werden und dem Leiter der klinischen Prüfung unter Einbeziehung voraussichtlicher Risiken vorgelegt werden. Im Rahmen der 3. großen Krebskonferenz wurden Überlegungen angestellt, welche toxikologischen Mindestanforderungen an Onkologika zum Zeitpunkt des Überganges von der präklinischen Prüfung zur klinischen Prüfung der Phase I zu stellen sind. Dabei sollten die Besonderheiten und die Bedeutung der Onkologika gebührende Berücksichtigung finden. Was waren die Beweggründe für die Entwicklung einer derartigen Empfehlung von Mindestanforderungen zur toxikologischen Prüfung der Phase I? Bei der Entwicklung von Onkologika hat es sich als ein Hauptproblem von neuen Wirkstoffen herausgestellt, d a ß sie sich zwar am Tiermodell als pharmakodynamisch wirksam erweisen, jedoch beim Menschen oft keine Wirk-

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V. Schmidt

samkeit auf das Wachstum von Tumoren zeigen. Davon ist der größte Teil der zu prüfenden Stoffe betroffen. Um frühzeitig eine Aussage zur Verträglichkeit und eventuell zur Wirksamkeit beim Menschen machen zu können, sollte ein Weg gefunden werden, möglichst schnell, jedoch ohne Außerachtlassung der Sicherheitsaspekte in die klinische Prüfung der Phase I einzutreten. Besonderer Nachdruck wird dieser Forderung dadurch verliehen, daß es sich hierbei durchweg um lebensrettende bzw. lebensverlängernde Arzneimittel handelt. In der Regel werden Arzneimittel zuerst nur an gesunden, möglichst männlichen Probanden geprüft [2], Bei Onkologika hingegen ist dieses bei einem Großteil der Substanzen wegen der besonderen potentiellen toxischen Eigenschaften wie Zytotoxizität, Kanzerogenität und Mutagenität zu risikoreich und aus ethischen Gründen nicht möglich [3]. Um die Ergebnisse der klinischen Phase I bei der Prüfung von Onkologika zu erreichen, greift man deshalb auf einen Personenkreis zurück, der sich selbst in einem fortgeschrittenen Stadium einer Krebserkrankung befindet und bei dem mehrere Therapieversuche zu keinem positiven Ergebnis geführt haben. Diese über ihr Leiden und das Risiko der Arzneimittelprüfung voll aufgekärten Patienten erhalten somit eine letzte Chance auf Besserung ihrer Krankheit durch ein neues, jedoch noch zu erprobendes Therapieprinzip. Nur für diesen Personenkreis sind im vorliegenden Falle die Kriterien des §40,1 Satz 1 erfüllt, daß „die Risiken ..., gemessen an der voraussichtlichen Bedeutung des Arzneimittels für die Heilkunde ärztlich vertretbar sind". An diesen Prüfgruppen kann man dann die allgemeinen Wirkungen der Onkologika auf den Organismus, die Dosis-Wirkungsbeziehungen mit Findung eines wirksamen Dosisbereichs innerhalb eines zu bestimmenden Verträglichkeitsbereichs und letztendlich die Pharmakokinetik ermitteln. Erst wenn letztere abgeklärt ist, können mit geeigneten Tiermodellen längere und aufwendigere Studien durchgeführt werden, da das Tiermodell dem Menschen möglichst ähnlich sein sollte. Aus diesen 3 Gründen: 1. sehr große therapeutische Wertigkeit der Onkologika, 2. sofortiger therapeutischer Einsatz am Patienten aufgrund ethisch nicht vertretbarer Erprobung an gesunden Probanden, 3. hoher Versagerquote in der klinischen Prüfung Phase I besteht für die Onkologika die Notwendigkeit eines möglichst hohen Umsatzes, d. h. schnell, trotzdem ausreichend toxikologisch geprüft, in die klinische Prüfung Phase I zu gelangen. In diesem Stadium des Übergangs von der Präklinik zur klinischen Prüfung überläßt der Gesetzgeber die Verantwortlichkeit allein dem Hersteller und

Vorstellung zur Prüfung von Zytostatika

151

dem klinischen Prüfer. Deshalb wurde im Rahmen des „Gesamtprogramms zur Krebsbekämpfung" mit Unterstützung der „Arbeitsgemeinschaft für internistische Onkologie" eine Arbeitsgruppe „Arzneimittel und Krebs" gegründet, welche die „Empfehlungen über die Mindestanforderungen an die pharmakologisch-toxikologische Prüfung als Voraussetzung für die klinische Prüfung onkologischer Arzneimittel am Menschen" ausarbeiten sollte. Diese Empfehlung wurde 1988 im Bundesanzeiger veröffentlicht [4]. Die Kernpunkte hierzu sind folgende: • Ermittlung einer akuten Toxizität an 2 Tierarten (Nager), zumeist Maus und Ratte. Da bei Onkologika in der Regel als erste zu prüfende Dosis am Menschen ein Bruchteil der DL50 oder DL10 verwendet wird, die Stoffe jedoch ein hohes toxikologisches Potential aufweisen können, erlangt bei dieser Prüfung die exaktere Ermittlung der DL10 bzw. DL50 eine höhere Bedeutung als bei anderen Arzneimitteln [5], und die Ansprüche an die Prüfungsergebnisse müssen besonders die Anforderungen der klinischen Prüfer berücksichtigen. Zusätzlich sollte beachtet werden, daß die Tiere mindestens 28 Tage nach der Gabe beobachtet werden, um Spätschäden bzw. Spätletalitäten aufgrund der besonderen Zytotoxizität und Bindungsfähigkeit zu registrieren. • Durchführung einer subchronischen Toxizitätsprüfung an einer Tierart (Nager) über mindestens 4 Wochen. Sollte sich dabei herausstellen, daß die therapeutische Breite zur beabsichtigten, aus der akuten Toxizität abgeleiteten und dennoch weiterhin in ihrer Höhe als notwendig erachteten Humandosis sehr gering ist, so ist eine zweite Studie am Nichtnager empfehlenswert. Von unserer Seite aus wird dabei vorausgesetzt, daß entsprechende klinische und histologische Parameter untersucht werden, ebenso wie die örtliche Verträglichkeit bei parenteraler Gabe. • Um schwerwiegende Zwischenfalle zu vermeiden, sollen sicherheitspharmakologische Untersuchungen vorgenommen werden. Nicht eingeschlossen in die Empfehlungen sind die Prüfungen zum Wirkungsnachweis, d. h. der pharmakologischen und pharmakodynamischen Wirkung am Tier, welche in der Regel im Vorfeld der toxikologischen Untersuchung abgeschlossen sind. Vor weitergehenden klinischen Prüfungen über die Phase I hinaus sollten dann, aufbauend auf diesen Ergebnissen aus den Tierversuchen und unter Berücksichtigung der Ergebnisse aus der klinischen Prüfung Phase I, weitere Versuche am Tier durchgeführt werden. Bei allen Versuchen sollen die Empfehlungen des Rates 83/571 der EG vom 26. 10. 83 zu den Versuchen mit Arzneispezialitäten im Hinblick auf deren

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V. Schmidt

Inverkehrbringen und die Richtlinien der G L P unbedingt berücksichtigt werden [6]. Hierdurch ist eine Anerkennung dieser Prüfung als Teil der gesamten Toxizitätsprüfung bei späterer Vorlage in einem Zulassungsverfahren durch die Prüfbehörden gewährleistet. Es muß jedoch nochmals betont werden, daß zum Zeitpunkt des Übergangs von der präklinischen zur klinischen Phase das BGA, anders als andere Zulassungsbehörden, keine Autorität besitzt, Stoffe zur klinischen Prüfung freizugeben. Auch die vorliegende Empfehlung soll und kann nicht dazu dienen, sondern sie ist als Leitlinie anzusehen, welche Unterlagen bei Onkologika in diesem Stadium erarbeitet und hinterlegt sein sollten. Nach der Phase I gestalten sich die weiteren Prüfungen zur längerfristigen Toxizität mit wiederholter Gabe am Tier grundsätzlich nach den Empfehlungen des Rates 83/571 der EG, jedoch unter besonderer Berücksichtigung der möglichen Toxizität der Onkologika. So wird unsererseits kein starrer Versuchsablauf mit gleichbleibender täglicher Dosierung gefordert, sondern es kann, wenn es erforderlich wird, eine flexible Anpassung an das toxische Geschehen bei dem Versuchstier erfolgen. Das kann in einer Änderung der Dosen oder in der Intervalldosierung mit zwischenzeitlichen Pausen wie beim Menschen bestehen. Die Anpassung sollte mit dem klinischen Erscheinungsbild, Schädigungen von sich physiologischerweise ständig regenerierender Gewebe (Mausergewebe) oder pathologischen Parametern des Blutbildes korrelieren. Die Aufdeckung des toxikologischen Profils ist trotz oder gerade wegen des Erreichens der Grenzen gewährleistet. Prüfungen zur Genotoxizität vorgelegt werden.

und zur Reproduktionstoxikologie

müssen immer

Studien zur Kanzerogenität müssen ebenfalls in der Regel bei den Stoffen durchgeführt werden, die kurativ oder adjuvant angewendet werden und bei denen es zu langfristigen Heilungen kommt. Eine Ausnahme bilden seit kurzer Zeit die alkylierenden Stoffe, von denen angenommen werden kann, daß alle kanzerogene Eigenschaften besitzen. Sinnvoll wäre der Langzeitversuch zur Kanzerogenität hier nur, wenn aus dem Ergebnis eine Aussage zur Stärke der kanzerogenen Wirkung getroffen werden könnte. Hierzu wird im BGA eine vergleichende Untersuchung durchgeführt über Ergebnisse von Kanzerogenitätsstudien, Genotoxizitätsuntersuchungen und epidemiologischen Daten zum Erscheinen von Sekundärtumoren nach Behandlung mit alkylierenden Zytostatika. Bis zum Vorliegen des Ergebnisses sind bei den alkylierenden Zytostatika die Forderungen nach Kanzerogenitätsstudien ausgesetzt. Eine endgültige Entscheidung über den Verzicht kann jedoch erst nach Vorliegen des Ergebnisses gefällt werden.

Vorstellung zur Prüfung von Zytostatika

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Zusammenfassung Bei den Zytostatika handelt es sich um therapeutisch hochwertige Arzneimittel, die jedoch zytotoxische, mutagene, teratogene, kanzerogene und andere toxische Eigenschaften besitzen. Es werden Mindestanforderungen für die präklinische Prüfung vor der klinischen Prüfung der Phase I empfohlen. Dabei handelt es sich um akute und 4wöchige Toxizitätsstudien am Tier. Die sich daran anschließende weitere toxikologische Prüfung ist durch die Empfehlungen des Rates der EG geregelt. Ihre Durchführung orientiert sich mittels einer flexiblen Anpassung an das toxische Geschehen beim Versuchstier. Vom Bundesgesundheitsamt wird die Aussetzung der Kanzerogenitätsstudien bei alkylierenden Zytostatika angestrebt.

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Diskussion von Eickstedt: Würden Sie die neuen Lymphokine, Typ Interferon, in die von Ihnen beschriebene Gruppe mit einordnen? Scheibner: Man wird bei den Onkologika, die in der Klinik eingesetzt werden, ganz sicherlich differenzieren müssen zwischen Antineoplastika, Zytostatika und dergleichen. Die Cytokine wird man als ,biological response modifiers' einstufen müssen. Diese ,biological response modifiers' können zwar ohne

154

V. Schmidt

weiteres unter den Oberbegriff Onkologika subsummiert werden, aber sie stellen doch eine absolut eigenständige Gruppe dar. In den Vereinigten Staaten ist im National Cancer Institute eigens ein Preclinical Screening Laboratory etabliert worden, das sich speziell mit,biological response modifiers' beschäftigt. Diese können physiologische Substanzen sein, wozu die Cytokine zählen, es kann sich allerdings auch um Xenobiotika handeln. Denken Sie an die Zellwandprodukte von Mykobakterien, deren Aufreinigungsstufen usw. Ich bin der Meinung, daß Lymphokine bezüglich der Untersuchungsstrategie nicht den Zytostatika — etwa Alkylantien, denen a priori ein mutagenes Potential unterstellt werden kann — gleichgesetzt werden müssen. Hildebrandt: Habe ich Sie richtig verstanden, Herr Schmidt, daß bei den typischen alkylierenden Substanzen, bei denen also eine Mutagenität und ähnliches vorausgesetzt werden kann, eine Langzeitkanzerogenitätsuntersuchung unterbleiben könnte? Allerdings sollte sie bei der adjuvanten Therapie erfolgen. Schmidt: Grundsätzlich streben wir an, daß bei alkylierenden Substanzen, die ja per se als kanzerogen anzusehen sind, keine Langzeitkanzerogenitätsstudien durchgeführt werden. Man kann sogar überlegen, ob man diese Gruppe nicht auf Anthracycline, interkalierende Substanzen erweitert. Wir möchten jedoch erst die Ergebnisse des Forschungsprojektes abwarten, das bei uns im Institut durchgeführt wird. Vergleichende Studien an Tierversuchen von Alkylantien sollen dahingehend betrachtet werden, ob daraus vielleicht eine Potenz der kanzerogenen Wirkung abzuleiten ist. Wenn man das nicht kann, ist der Tierversuch bei diesen Alkylantien völlig überflüssig. Kann man es und hätte die Wahl zwischen zwei therapeutisch gleichwertigen Alkylantien, dann wäre wohl zu überlegen, ob man nicht das mit der geringeren kanzerogenen Potenz nimmt. Wir erwarten aber, das kann ich schon vorwegnehmen, daß man die Potenz nicht bestimmen kann. Kraupp: Wir haben in der letzten Zeit für die Durchführung von klinischen Untersuchungen, für die in Österreich vom Arzneimittelbeirat ein Gutachten vorliegen muß, viele solcher Zytostatika begutachtet. Die präklinischen Untersuchungen zeigen immer eine große Toxizität mit Knochenmarkschädigungen, Blutschädigungen usw. Es stellt sich die Frage, wie man den therapeutischen Vorteil einer solchen Substanz abschätzen kann. Wenn bessere Konzentrationen bei mehreren Tumoren im Tierversuch vorliegen und wenn die Toxizität sich etwas unterscheidet, erlaubt dann diese Relation die Aussage, daß diese Substanz gegen eine ähnliche Substanz einen Vorteil besitzt, so daß man sie klinisch austesten lassen kann? Oder ist die klinische Austestung überflüssig, weil sowieso dasselbe wieder auftreten wird? Eine Frage, die sehr schwer zu entscheiden ist.

Vorstellung zur Prüfung von Zytostatika

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Schmidt: Es geht ja hier nur um die Kanzerogenität. Man könnte natürlich jetzt Latenzzeiten, Menge der Tumoren, Zeitpunkt und Ort des Auftretens in den Tierversuchen miteinander vergleichen. Das wäre eigentlich der einzige Anhaltspunkt. Aber ich möchte unserer Untersuchung nicht vorgreifen, die sich erst in der Planung befindet. Henschler: Man wird das wohl nie mit Sicherheit sagen können, weil im Tierversuch die Organotropie immer ganz anders zu sein pflegt als beim Menschen.

Vorstellungen zur Prüfung am Auge und von Ophthalmologika B. Lehmann, P. Grosdanoff

Abstract Recommendations for the testing of medicinal products to be administered on or in the eye are different from the recommendations for the testing of medicinal products which act on the eye when administered otherwise. The major factor influencing the choice of the test program depends on the data available on pharmacokinetics which provides information on the likelihood of resorption, or non-resorption, of the medicinal product. These are the problems which arise when testing ophthalmologica. Another point of view which may be used when testing medicinal products in the eye would be to take the eye as a local tolerance testing system.

Aus den drei verschiedenen Wirkungsweisen bzw. Anwendungsweisen am Auge ergeben sich für die Untersuchungen am Auge unterschiedliche Gesichtspunkte. 1. Medizinischen Produkte, die aus ärztlicher Indikation am oder im Auge oder seinen Anhangsorganen oder systemisch mit dem Ziel anzuwenden sind, eine therapeutische Wirkung am Auge zu erreichen. 2. Medizinische Produkte, die nicht das Auge als Zielorgan für die Therapie haben, von denen aber anzunehmen ist, daß sie bei systemischer Anwendung unerwünschte Effekte am Auge und/oder seinen Anhangsorganen auslösen können. 3. Das Auge als Schleimhautmodell für die allgemeine Schleimhautverträglichkeit, ζ. B. für die Untersuchung von Dermatika, zur Abschätzung des Risikos bei akzidenteller Applikation.

Ophthalmologika Ophthalmologika werden sowohl lokal als auch systemisch appliziert. Eine der wichtigen Voraussetzungen für die Prüfung von Medikamenten besteht in der Kenntnis der Pharmakokinetik. Denn erst nach den Untersu-

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chungen zur Resorption zum Metabolismus und zur Elimination, um nur einige Stichpunkte zu nennen, ist die Planung eines sinnvollen Prüfprogrammes möglich. 1. Das Prüfprogramm für die systemisch angewendeten Medikamente entspricht den üblichen Richtlinien zur Prüfung von Arzneimitteln bei systemischer Gabe. Prüfumfang, Prüfdauer, Dosierungen und Auswahl der Spezies sind den EG-Richtlinien zu entnehmen. 2. In dem Prüfprogamm für Medikamente, die zur lokalen Anwendung vorgesehen sind, sollten folgende Hinweise berücksichtigt werden: • Die Prüfungsdauer richtet sich nach der vorgesehenen Anwendungsdauer. Wenn sich keine besonderen lokalen Unverträglichkeiten zeigen, reicht eine maximale Prüfdauer bei Medikamenten mit langfristiger Anwendungsdauer von 4 Wochen aus. • In der Regel ist die für den Menschen vorgesehene Wirkstoffkonzentration zu prüfen. Dementsprechend können Dosisvariationen nur durch Änderung der Verabreichungshäufigkeit vorgenommen werden. • Die Prüfung sollte wie bei allen zur lokalen Anwendung vorgesehenen Medikamenten mit und ohne Wirkstoff geprüft werden. • Es sollten auf sensibilisierende Eigenschaften und durch UV-Licht oder ähnliche zusätzliche Noxen auftretende toxische Effekte geachtet werden und evtl. spezielle Untersuchungen durchgeführt werden. Wird das Medikament bei lokaler Verabreichung resorbiert, muß ein erweitertes toxikologisches Prüfprogramm durchgeführt werden, das die unerwünschten systemischen Wirkungen erfaßt. Hier gelten wieder die Richtlinien zur Prüfung von Arzneimitteln bei systemischer Gabe.

Untersuchungen zur sogenannten Okulotoxizität Die Untersuchungen zur Okulotoxizität werden meist im Rahmen der Untersuchungen zur chronischen Toxizität durchgeführt. Mögliche Untersuchungsmethoden, die zur Zeit zur Verfügung stehen, werden aufgezeigt. Dies betrifft natürlich nicht nur den Bereich der Okulotoxizität, sondern auch den Bereich der Ophthalmologika — d. h. erwünschte und unerwünschte Arzneimittelwirkungen. Die Untersuchungen können unterteilt werden in Untersuchungen am lebenden Tier im Gegensatz zu Untersuchungen post mortem und in Untersuchungen, die bereits zum großen Teil Bestandteil der Routineuntersuchung

Vorstellungen zur Prüfung am Auge und von Ophthalmologika

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im Rahmen der chronischen Toxikologie sind, sowie solchen, die eine umfassende Auf- und Bearbeitung des Auges zur Erfassung eventueller Schäden beinhalten. Zu den Untersuchungen am lebenden Tier in der Routineuntersuchung gehören: • die Inspektion, • Reflexuntersuchungen (Pupillenreflex, Cornealreflex), funktionelle Untersuchungen des Auges auf Sehfahigkeit, • die Elektroretinographie, Fluoreszenzangiographie (Netzhautdiagnostik), • Ophthalmoskopie (durchsichtige Medien und Fundus oculi), • Spaltlampenmikroskopie (vorderer Augenabschnitt, Augenhintergrund). Zu den Routineuntersuchungen

post mortem gehört:

• die histo-pathologische Begutachtung. Zu den intravitalen Zusatzuntersuchungen

gehören:

• die Elektroretinographie, • • • • • • • •

Fluoreszenzangiographie, Tonometrie, Scheimpflugfotografie (Linsentransparenz), Fluoreszenzeinfarbung (Hornhautepitheldefekt), Haartest (Hornhautsensibilitätstest), Schirmer-Test (Tränensekretionstest), Fundusfotografie, im besonderen Fall die Prüfung auf die co-kataraktogene Wirkung.

Zu den Untersuchungen post mortem, die auf sehr spezifische Schädigungsmöglichkeiten eingehen, gehören ζ. B.: • Linsenfrisch- und Linsentrockengewicht, • Proteingehalt, • Enzymverteilungsmuster, • Proteinkonformation, • Auftrennung der Kristalline, • Untersuchungen mit Zellkulturen. Dies sind lediglich Hinweise auf mögliche Untersuchungsmethoden. Welche Untersuchungen in welches Prüfungsprogramm aufgenommen werden sollten, hängt von der Wirkung der Substanz ab.

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Β. Lehmann, Ρ. Grosdanoff

Das Auge als „Schleimhautmodell" für die allgemeine Schleimhautverträglichkeit Tabelle 1 gibt einen Überblick über das Auge als Testorgan für die Schleimhautverträglichkeit. Die Notwendigkeit einer solchen Prüfung ergibt sich aus der Risikoeinschätzung bei akzidenteller Fehlapplikation. Ich erinnere hier an die Verletzungsgefahr für Kinder oder alte Menschen.

Tabelle 1

Das Auge als Testorgan für die Schleimhautverträglichkeit

Anwendungsdauer — im Normalfall einmalige Applikation — wiederholte Gabe bei möglicher gehäufter akzidenteller Anwendung — lokale Ophthalmologika Befunderhebung — nach 1 - 6 -

24 -

48 -

72 Stunden

— im besonderen Fall bis zur völligen Remission der Befunde, jedoch nicht länger als 21 Tage Dosis — 0,1 ml flüssige Prüfsubstanz oder 0,1 g halbfeste Substanz Applikationsort — Konjunktivalsack eines Auges Tierspezies — Kaninchen

In der Regel ist der primäre bzw. repetitive okuläre Reizwirkungstest als Screeningtest ausreichend. In die Prüfung sind Untersuchungen der Umgebung der Augen, der Lider, der Konjunktiven, der Nickhaut, der Cornea und der Iris einzubeziehen. Die Bewertung kann ζ. B. nach der Vorgabe von Draize erfolgen. Die okuläre Schleimhautverträglichkeitsprüfung bei wiederholter Gabe ist angezeigt, wenn die Gefahr einer möglichen wiederholten Fehlapplikation besteht und bei Arzneimitteln, die okulär verabreicht werden. Hier sollte die Untersuchung auch die Linse, den Glaskörper und den Augenhintergrund miteinbeziehen. Inwieweit diesen Vorstellungen der Untersuchungen am Auge Rechnung getragen werden kann, muß die Praxis erweisen. Weitere Informationen zu den einzelnen Problemkreisen können u. a. den im Literaturverzeichnis angeführten Publikationen entnommen werden.

Vorstellungen zur Prüfung am Auge und von Ophthalmologika

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Literatur [1] EG-Richtlinien: Recommendations for local tolerance testing of medical products. In Vorbereitung. [2] EG-Richtlinien: Recommendations for testing ophthalmologica. In Vorbereitung. [3] OECD-Guideline for testing of chemicals adopted 12. 5. 81, 405. [4] Hockwin, O., H.-R. Koch: Arzneimittelwirkungen am Auge. Gustav Fischer Verlag, Stuttgart, New York. 1977. [5] Grosdanoff, P., O. Hockwin, H.-R. Koch, B. Schnieders: Problematik der arzneimittelbedingten Oculotoxizität. In: AMI-Bericht 2/1980. Dietrich Reimer Verlag, Berlin. 1980. [6] Hockwin, O.: Drug induced ocular side effects and ocular toxicology. Concepts in Toxicology, Vol. 4. S. Karger, Basel. 1986. [7] Hockwin, O., U. Eckerskorn: Zur Erkennung und Verifizierung arzncimittclbedingter Augenschäden. In: Aktuelle Probleme der Biomedizin (Ο. K. Burger, P. Grosdanoff, D. Henschler, O. Kraupp, B. Schnieders, Hg.) S. 2 2 9 - 2 3 8 . Walter de Gruyter Verlag, Berlin, New York. 1987.

Diskussion Hildebrandt: Wir haben alle mit Interesse die ganze Diskussion um die Gyrasehemmer beobachtet und dabei festgestellt, wie wichtig es ist, die Okulotoxizität zu beachten. Gibt es Vorstellungen, wie wir das Auge als ,tiefes Kompartiment', nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Prüfung von Therapeutika, sondern auch unter dem Gesichtspunkt der Sicherheitstoxikologie, besser erfassen können? Genügen die vorhandenen Möglichkeiten zur Erfassung der Gefahrdung des Auges, oder müßten wir vielleicht zusätzlich zur Kurzzeitstudie auch noch Untersuchungen unter Steady-state-Bedingungen verlangen, um vielleicht auch das Verteilungsvolumen kennenzulernen, weil ζ. B. die Dosisabhängigkeit sich vergrößern könnte? Lehnert: Wer Gyrasehemmer in der Entwicklung hatte, kennt unsere Vorgaben, die das berücksichtigen. Hier soll eine hohe Dosis mindestens 3 Wochen gegeben werden. Der anschließende Vergleich zeigt, ob es zur Anreicherung des Gyrasehemmers in der Linse gegenüber dem Plasma oder dem Augenkammerwasser kommt. Vorgabe ist, die Bestimmung der Konzentration des Gyrasehemmers mehrmals durchzuführen, um eine Verlaufskurve der entsprechenden Konzentrationen vom Beginn der Gabe bis 1 Woche nach Absetzen der Substanz zu erhalten. Sobald es zu einer Akkumulation in der Linse kommt, muß eine Syn- oder Co-Kataraktogenitätsprüfung durchgeführt werden. Erst durch diese Prüfung im sogenannten Additionsversuch mit geeigneten Zusatznoxen aus dem Bereich der leicht erzeugbaren experimentellen Katarakte, wie ζ. B. Naphthalin oder Diabeteskatarakt durch Streptozotolin induziert, kann sich zeigen, ob der Gyrasehemmer eine unterschwellige

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Β. Lehmann, Ρ. Grosdanoff

Linsentoxizität besitzt. Diese Versuche werden meistens mit pigmentierten Ratten durchgeführt. Mit diesen Untersuchungen hoffen wir, das Bestmögliche für die Sicherheit des Auges zu tun. Eichler: Psychopharmaka zeigen manchmal erst nach langer, mehr als 6monatiger Anwendung Schädigungen an der Netzhaut. Es ist die Frage, ob nicht im Rahmen der Kanzerogenitätsstudien auch die Okulotoxizität geprüft werden sollte. Lehnert: Das Auge wird bei den chronischen Toxizitätsuntersuchungen und Kanzerogenitätsstudien immer entsprechend mit untersucht, nicht nur bei Verdacht oder Wissen möglicher Schädigungen.

Vorstellung zur Prüfung von Dermatika T.

Lehnert

Abstract The evidence available on the testing of dermatics is limited to the type of dermatics (externa) which is used locally. This is due to the fact that uncertainty still prevails with regard to the extent and performance of testing carried out on this type of medicinal product. Attention is drawn to the special characteristic of dermatics which lies in the fact that the only method of application for the patient, the dermal dose, is not sufficient to recognize the toxicological profile of a new substance. If a dermaticum is reabsorbed and no data is available as to the toxicity level in the system as a result of the preceding method of application, tests must be carried out to determine the toxicity of the system (toxicity after one dose and after repeated doses, mutagenicity if necessary cancerogenicity, reproduction toxicology) whereby a parenteral dose, e. g. intravenously or subcutaneously, comes closest to the dermal dose. Furthermore, the effect of the local toxicity on the immediate area of application, in this case the skin, plays a very important role. Apart from the tolerability of the skin and mucous membranes, the potential sensitivity of the skin (contact allergy) and testing of photoallergenity and phototoxicity are examined. The duration of local toxicity tests is usually four weeks. By combining the tests for local toxicity with those for system toxicity in the appropriate manner it is possible to keep tests on animals within reasonable bounds despite these two final points.

Dieser Beitrag b e s c h r ä n k t sich n u r auf die D e r m a t i k a zur lokalen A n w e n d u n g (also E x t e r n a ) , d e n n D e r m a t i k a zur systemischen A n w e n d u n g bergen nicht dieses P o t e n t i a l a n M i ß v e r s t ä n d n i s s e n u n d F r a g e n . D e r U m f a n g der eingereichten U n t e r l a g e n zur P r ä k l i n i k erstreckt sich von a b s o l u t zu wenig bis erheblich zuviel! M i t diesen A u s f ü h r u n g e n soll d a z u beigetragen werden, diese D i s k r e p a n z etwas auszugleichen. F ü r D e r m a t i k a (im folgenden E x t e r n a ) besteht die Besonderheit d a r i n , d a ß n e b e n d e r Systemtoxizität d e r örtlich begrenzten Toxizität a n der Verabreichungsstelle (in diesem Falle d e r H a u t ) eine b e s o n d e r e B e d e u t u n g z u k o m m t . F ü r alle Arzneimittel gilt, d a ß sie mit d e m f ü r d e n M e n s c h e n vorgesehenen A p p l i k a t i o n s w e g toxikologisch g e p r ü f t w e r d e n sollen — u n d d a m i t beginnen

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Τ. Lehnert

die Schwierigkeiten der Dermatika [6], Denn man kann nicht diesen Weg alleine wählen, um das toxikologische Profil eines Dermatikums zu erkennen, weil mit dem dermal verabreichten Arzneimittel oft nicht die systemische Substanzkonzentration erzielt wird, um ein Targetorgan zu erreichen und mögliche toxische Effekte erkennen zu können — das ist die eine Seite. Die andere Seite ist, daß keinesfalls Prüfungen zur systemischen Toxizität vernachlässigt werden können, auch wenn es sich nur um ein „harmloses" Externum handelt. Unter Umständen kann eine externe Applikation mit einer intramuskulären oder intravenösen Gabe verglichen werden [8, 13]. Dabei ist stets zu bedenken, daß eine perkutane Resorption eher einer parenteralen Gabe als einer oralen Applikation entspricht (fehlender First-pass-Metabolismus). — So empfiehlt es sich für Prüfungen zur systemischen Toxizität, wenn möglich s. k-, i.v.- oder i. m.-Gabe zu wählen [31]. Die beiden Endpunkte — systemische und lokale Toxizität — sind in ein sinnvolles Prüfprogramm einzubetten, das so zu gestalten ist, daß entsprechend der kinetischen und pharmakologischen Datenlage, die Grundvoraussetzung für toxikologische Prüfungen sind, ein Maximum an Information gewonnen wird, ohne daß ζ. B. für jede lokale wie auch systemische Prüfung je zwei Tierarten verwendet werden müssen (Tab. 1). Durch sinnvolles Kombinieren der einzelnen Prüfungen beider Komplexe läßt sich m. E. das Ausmaß der Tierversuche in Grenzen halten. Tabelle 1

Prüfungen für Dermatika zur lokalen Anwendung (Externa)

Systemtoxizität 1. Akute Toxizität 2. 3. 4. 5. 6.

Sicherheitspharmakologie Subchronische/chronische Toxizität Kanzerogenität Mutagenität Reproduktionstoxikologie

Lokale Toxizität 1. Spezielle Verträglichkeitsprüfungen entsprechend der Darreichungsform 2. Sensibilisierungspotential (Kontaktallergie) 3. Phototoxizität/Photoallergenität

Vorstellung zur Prüfung von Dermatika

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Zur systemischen Toxizität Der Umfang der Prüfungen richtet sich nach: • der Art und Dauer der Anwendung, • dem Ausmaß des Eindringens der Wirk- und Formulierungshilfsstoffe in die Haut (Penetration), • dem Durchwandern der Haut und Vordringen in tiefer liegende Gewebeschichten (Permeation), • ihrer Verteilung im Organismus [30, 32], Liegen entsprechende Untersuchungen nicht vor, muß das Prüfprogramm unter Annahme des größten Risikos festgelegt werden. Die erste wichtige Frage lautet: Wann kann auf Untersuchungen zur systemischen Toxizität verzichtet werden (Abb. 1)? 1. Wenn einwandfrei nachgewiesen wird, daß das Arzneimittel auch nach wiederholter Gabe nicht resorbiert wird und damit systemisch nicht zur Verfügung steht. Das Prüfprogramm kann in diesem Falle auf Studien zur lokalen Verträglichkeit und Risikoeinschätzung im Mißbrauch- oder Fehlapplikationsfall beschränkt werden (Tab. 2). 2. Wenn das Arzneimittel bereits systemisch angewendet wird und entsprechende Daten zur Systemtoxizität vorliegen. Dann beschränken sich die Prüfungen auf solche zur lokalen Verträglichkeit/Toxizität. In der Regel ist eine Prüfdauer von 4 Wochen ausreichend, sofern sich keine Hinweise auf deutliche Hauteffekte ergeben (Tab. 3). Beides gilt sowohl für Wirkstoffe als auch für Hilfsstoffe, die bei Externa eine nicht unbedeutende Rolle spielen [1, 10].

Tabelle 2

Prüfprogramm für Dermatika zur lokalen Anwendung (Externa) ohne systemische Verfügbarkeit

— Nachweis erforderlich, daß Externum systemisch nicht verfügbar ist — Beschränkung des Prüfprogramms auf Studien zur örtlich begrenzten Toxizität Hautverträglichkeit Schleimhautverträglichkeit kontaktallergene Wirkung photopathodynamische Effekte (Phototoxizität, photoallergenität) — Risikoabschätzung bei Mißbrauch und Fehlapplikation — Dauer der Toxizitätsprüfung abhängig von Anwendungsdauer beim Menschen

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Τ. Lehnert

Galenische Zubereitung Anwendungsart Hauteigenschaften

1 Geschwindigkeit ResorptionsMenge

I Systemische Verfügbarkeit

1 Systemische Toxizität

1

Art und U m f a n g der toxikologischen Prüfung

\

κ

normale

Prüfpalette

eingeschränkte

Prüf palette

— bei syst. Verfügbarkeit der Substanz

— Substanz syst, nicht verfügbar

— bei unzureichender Datenlage

— Substanz syst, bereits angewendet

Abb. 1

Bewertung der Daten der perkutanen Resorption für die Präklinik

Vorstellung zur Prüfung von Dermatika Tabelle 3

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Prüfprogramm für Dermatika zur lokalen Anwendung (Externa) von bereits systemisch angewendeten Stoffen

Systemtoxizität — entlallt! Lokale Toxizität Verträglichkeitsprüfungen — entsprechend der galenischen Zubereitung (ζ. B. Creme, Salbe, Puder, Lotion, Spray) — entsprechend der beanspruchten Indikation (ζ. B. beachten: Kinder, Okklusionswirkung von Windeln, Grenzareale, beeinflußte Hornschichtbarriere durch verletzte Haut, Anwendungsdauer — unter Beachtung eines möglichen Hornschichtreservoirs)

Zur lokalen Toxizität Die Prüfungen zur lokalen Toxizität sollten in jedem Falle zu nachfolgenden Punkten Aussagen machen: • zur lokalen Verträglichkeit der H a u t und Schleimhaut [5, 24], • zu möglichen hautsensibilisierenden Eigenschaften [15 — 18], • zu Phototoxizität und Photoallergenität [7, 9, 20, 25, 26], (siehe Tab. 4, 5, 6). Da die Penetration, Permeation und die Verträglichkeit eines Externums in ganz erheblichem M a ß e von der galenischen Formulierung abhängig sind, sollten die Toxizitätsprüfungen bei dermaler Gabe stets mit der für den Menschen vorgesehenen Formulierung erfolgen [27, 28], Ist ausnahmsweise der Einsatz einer abweichenden Formulierung notwendig, dürfen die Wirkstofffreisetzung aus der Formulierung und die Penetration und Permeation durch die Haut nicht zu einer geringeren lokalen und systemischen Wirkstoffbelastung als bei Einsatz der für den Menschen vorgesehenen Formulierung führen [1, 30, 32], Das Vehikel sollte stets als Kontrollgruppe mitgeführt werden, um substanzbedingte Effekte von anderen abzugrenzen. Wahl der

Tierspezies

• Die hautempfindlichste Tierart ist das Kaninchen, • dem Menschen von der Anatomie und Physiologie am ähnlichsten ist die Schweinehaut, • für Sensibilisierungstests ist das Meerschweinchen die geeigneteste Tierart. Die Wahl der Tierart m u ß sich nach der Fragestellung und Pharmakokinetik richten [2, 19, 2 1 - 2 3 ] ,

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Τ. L e h n e r t

Tabelle 4

Sensibilisierung der Haut

Methoden

— Es gibt kein Testverfahren, das für alle Substanzen relevant ist — Auswahl alternativer Verfahren nach den Kriterien der Validität — Standardallergene als Positivkontrolle (ζ. B. 2,4-Dinitrochlorbenzol) — Testverfahren abhängig von: physiko/chemischen Eigenschaften der Substanz Penetration und Permeation Humanexposition, Art des Hautkontaktes — Test mit Adjuvans = Stimulation des Immunsystems (ζ. B. Magnussonund Kligman-Test) — Test ohne Adjuvans — Prüfung mit epikutaner Applikation (ζ. B. Patch-Test nach Buehler) — Prüfung mit intrakutaner Applikation = verschärfte Kontaktbedingung

Prinzip

2 Phasen 1. Induktion 2. Auslösung (Challenge)

Spezies

Albino-Meerschweinchen (Nachweis der Empfindlichkeit)

Anzahl

10 männliche und/oder weibliche Tiere $ nicht tragend, Nullipara

Dosierung

Konzentration ist der höchsten Dosis anzupassen, die in jeder Induktionsphase gut verträglich ist

Ziel

Ermittlung potentieller Sensibilatoren der menschlichen Haut durch Untersuchung der Meerschweinchenhaut auf die Auslöseexposition

Dosierungen Die Verabreichungshäufigkeit, -dauer und -fläche sollten so gewählt sein, daß sie eine sinnvolle Risikoabschätzung für die am Menschen vorgesehene Anwendung ermöglichen. Die Hautfläche soll wenig behaart oder geschoren sein. Prüfungen sind sowohl an der verletzten als auch an der unverletzten Haut vorzunehmen [29]. Dosisabstufungen sind in der Regel durch Variation der zu verabreichenden Menge des Externums, und hier besonders durch Veränderung der Größe der Applikationsfläche, vorzunehmen. Konzentrationsänderungen des Wirkstoffes sollten nicht vorgenommen werden, da diese die lokale Verträglichkeit beeinflussen können und darüber hinaus die galenische Zusammensetzung verändert wird — eine Konzentrationserhöhung zieht nicht eine proportionale Resorptionserhöhung nach sich. Ein Überschuß des Arzneimittels auf der Haut muß vermieden werden, denn nur eine bestimmte Menge des Externums kann resorbiert werden. Dickere

Vorstellung zur Prüfung von Dermatika Tabelle 5

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Phototoxizität

Primäre Reizwirkung der in der Haut durch Lichtreizwirkung chemisch veränderten Substanz Prinzip

Arzneimittel auf geschorene (haarlose) Haut oder oral (Kinetik —> Intervall) dann U V - Α „melanogen" 320 — 400 nm UV-Licht / U V - B „erythematogen" 2 8 0 - 3 2 0 nm • Strahlendosis unterhalb der Erythemschwelle • Strahlenfluß in Watt/cm 2 • Abstand zum Versuchstier — ca. 10 cm

Dauer

i. d. Regel mehrmalige Prozedur notwendig (Substanzkumulation, Penetrationsverzögerung)

Beurteilung:

4, 24, 48, 72, 96 Stunden nach der Bestrahlung

Spezies

Albino-Mäuse Albino-Meerschweinchen haarlose Mäuse Albino-Kaninchen Mini-Pig

Anzahl

10 männliche und/oder weibliche Tiere $ nicht tragend, Nullipara Paralleltestung mit Negativ- (Vehikel/unbestrahlt) und Positivkontrolle (ζ. B. Methoxypsoralen)

Testaussage

Prädiktive Abschätzung einer möglichen Phototoxizität nach topischer Anwendung von Arzneimitteln

Auftragungen des Externums haben keine entsprechend stärkere Resorption und damit systemische Verfügbarkeit zur Folge. Neben der Angabe mg/kg/ K G sollte die Größe der Hautoberfläche, die applizierte Menge der Formulierung und die Wirkstoffkonzentration dokumentiert werden. Prüfungen an isolierten Organen und anderen Testsystemen können eingesetzt werden, sofern sichergestellt ist, daß diese zu gleichwertigen Resultaten wie bei der Prüfung am Tier führen, d.h., sie müssen validiert und ihre Übertragbarkeit auf den Menschen muß überprüft sein. So läuft zur Zeit ein Ringversuch, der klären soll, ob ζ. B. der Draize-Test durch den HühnereiTest oder einen Zellkulturtest ersetzt werden kann [3, 4, 11, 12, 14], Tabelle 7 zeigt die Besonderheiten, die bei der Prüfung eines Dermatikums beachtet werden müssen, wenn es zur Behandlung großer Hautwunden, oberflächlicher Schleimhäute oder Grenzareale, also der Haut-Schleimhautgrenze, eingesetzt werden soll.

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Τ. Lehnert

Tabelle 6

Photoallergenität

Wie:

2 Phasen 1. Induktion:

Anfangsexposition mit dem Arzneimittel (Tag 1 — 5) mit gerade verträglicher Konzentration und UV-A- + UV-B-Bestrahlung (suberythematogene Dosis) 2. Auslösung (Challenge): nach 7 — 10 behandlungsfreien Tagen Auslöseexposition 1 oder 2 Challenge-Applikationen

Spezies

Albino-Meerschweinchen

Anzahl

10 männliche und/oder weibliche Tiere $ nicht tragend, Nullipara

Gruppen

mindestens 3 Verumgruppe Referenzsubstanzgruppe (Positivkontrolle, z. B. TCSA) Kontrollgruppe (Negativkontrolle, ohne Bestrahlung)

Testaussage

Prädiktive Abschätzung einer möglichen Photoallergenität nach topischer Anwendung von Arzneimitlein

Tabelle 7

Besonderheit der Präklinik bei äußerlich angewendeten Arzneimitteln zur Behandlung großer Hautwunden, oberflächlicher Schleimhäute, Grenzareale

— Besonderheit von Pharmakokinetik/Metabolismus bedingt durch die Grundkrankheit, die Schleimhaut der Haut-Schleimhaut-Grenzareale — Einfluß des Arzneimittels auf den Verlauf der Wundheilung (lokale Verträglichkeit in der Wunde) — lokale Verträglichkeit der Grenzareale — Stabilität der sog. inerten Produkte unter bes. Bedingungen des Wundmilieus — Spaltprodukte? ggf. toxikologische Charakterisierung — Lokaltherapie von Wunden und Hautverletzungen zu betrachten wie parenterale Gabe

Zusammenfassung Die Aussagen zur Prüfung von Dermatika beschränken sich auf solche zur lokalen Anwendung (Externa), denn für diese bestehen über den Prüfumfang und die Durchführung der Prüfungen die größten Unsicherheiten. Es wird auf die Besonderheit der Dermatika hingewiesen, die darin besteht, daß allein der für den Menschen vorgesehene Applikationsweg, die dermale Gabe, nicht

Vorstellung zur Prüfung von Dermatika

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ausreicht, um das toxikologische Profil einer neuen Substanz zu erkennen. Wird ein Dermatikum resorbiert und liegen noch keine Daten zur systemischen Toxizität infolge einer vorangegangenen Anwendungsart vor, sind Prüfungen zur Systemtoxizität (Toxizität bei einmaliger und wiederholter Gabe, Sicherheitspharmakologie, Mutagenität ggf. Kanzerogenität, Reproduktionstoxikologie) notwendig, wobei eine parenterale Gabe, ζ. B. intravenös oder subkutan, der dermalen Gabe am nächsten kommt. Darüber hinaus spielt die lokale Toxizität am Applikationsort, in diesem Falle der Haut, eine besondere Rolle. Neben der Haut- und Schleimhautverträglichkeit wird auf die Erfassung des Sensibilierungspotentials der Haut (Kontaktallergie) und auf Prüfungen zur Photoallergenität und Phototoxizität eingegangen. Für die alleinige Prüfung zur lokalen Toxizität reicht im allgemeinen eine Dauer von 4 Wochen aus. Durch sinnvolles Kombinieren der Prüfungen zur lokalen Toxizität mit Prüfungen zur Systemtoxizität läßt sich das Ausmaß der Tierversuche trotz dieser beiden Endpunkte in Grenzen halten.

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Τ. Lehnert

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Vorstellung zur Prüfung von Dermatika

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Diskussion Ferber: Sie haben die Dermatika in Ihrem Beitrag in Externa eingeteilt und nur diese behandelt. Wie ist das bei transdermalen Systemen? Muß dort die lokale Toxizität, zusätzlich zur systemischen Toxizität, in demselben Umfang wie bei den Externa geprüft werden? Lehnert: Im Prinzip ja. Besonders zu beachten ist, daß das Hornschichtreservoir hier noch eine größere Bedeutung hat. Über die Notwendigkeit einer Phototoxizitätsprüfung ist von Fall zu Fall zu entscheiden. Für ein Pflaster, das nie der Sonne ausgesetzt wird, wäre sie natürlich sinnlos. Beim transdermalen System kommt vielleicht noch die Empfindlichkeit der Haut beim Loslösen des Pflasters hinzu. Natürlich müssen die Hilfsstoffe des Pflasters auch berücksichtigt werden. Fragen nach der Resorption und nach Art und Menge möglicher freigesetzter Spaltprodukte wären zu beantworten. Aber das ist ein anderes Problem. Schuster: Ich wüßte gerne noch etwas zur Dosierung: Lassen sich überhaupt Dosisabhängigkeiten in solchen Versuchen testen, und wie sind Standardisierungen möglich? Sie haben darauf hingewiesen, daß die Resorption ja weitgehend von der Beschaffenheit der Haut abhängt, deswegen wird an skarifizierter Haut und an intakter Haut geprüft. Aber zur Hautbeschaffenheit gehört ja unter anderem auch die Schichtdicke der einzelnen Hautschichten, die ja nicht überall am Körper gleich ist. Gibt es da Vorstellungen oder womöglich sogar Vorschriften? Lehnert: Feste Vorschriften werden nicht erlassen, und wir werden auch vermeiden, starre Prüfstrategien festzulegen. Die einzelnen Laboratorien haben bestimmte Tierarten, mit denen sie am liebsten arbeiten. Aufgrund ihrer Erfahrungen werden unterschiedliche Hautpartien benutzt. Ζ. Z. werden die meisten Prüfungen zur Verträglichkeit am Kaninchen gemacht, in 5 Jahren haben wir vielleicht das Mini-Pig. Erlassene Vorschriften wären dann hinfällig. Ich möchte betonen, daß natürlich gerade bei den Dermatika oft Unverträglichkeiten erst durch den Gebrauch an der menschlichen Haut sichtbar werden. Die Prüfung am Tier kann nur sehr beschränkt eine Aussage machen. Trotzdem kann es nicht so sein, daß der Mensch dem Kaninchen als Versuchstier vorgezogen wird. In der Praxis, auch das will ich hier nicht verschweigen, kommt es schon vor, daß uns erst die Verträglichkeitstests am Menschen eingereicht werden. In diesem Fall wäre es natürlich abwegig, jetzt noch Tierversuche zu fordern. Meingassner: Sie sagten, die Prüfpalette der systemischen Toxizität von Dermatika hätte sich nach der Penetration und der Permeation zu richten. An

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Τ. Lehnert

welchen Tieren sollte geprüft werden, wo doch die Haut von Tieren der von Menschen so sehr unähnlich ist? Lehnert: Die menschliche Haut ist natürlich zur Penetration und Permeation das ideale in-vitro-Modell. Ich glaube, bei keiner anderen toxikologischen Prüfung ist es so wichtig wie bei den Dermatika, eine intelligente Toxikologie zu betreiben. Wenn ich einen 6-Monate-Rattenversuch gleichzeitig für lokale Verträglichkeitsprüfung und für Systemtoxikologie-Prüfungen verwenden will, muß ich natürlich Daten zur Kinetik der Ratte haben. Wenn ich dagegen ζ. B. das Meerschweinchen nur für die lokale Verträglichkeit der Haut verwende, dann kann ich auf die Kinetikstudien verzichten. Es ist wirklich von Fall zu Fall ganz unterschiedlich. Meingassner: Wie groß ist die Erfahrung mit der Verwendung von haarlosen Ratten oder Meerschweinchen. Ich könnte mir vorstellen, daß sie der Humanhaut ähnlicher sind. Lehnert: Ich. weiß aus Expertenbefragungen, daß haarlose Tiere sehr ungern genommen werden, da sie genetisch große Komplikationen mit sich bringen. Wir erhalten auch so gut wie keine Untersuchungsergebnisse mit ihnen, und sie werden bislang auch nicht von uns verlangt; es sei denn, es würde sich aufgrund einer besonderen Problematik (z. b. bei Glatzen) die Notwendigkeit ergeben. Eichler: Wir haben in Österreich ein Gesetz, nach dem pharmakodynamisch wirkende Substanzen auch in Kosmetika zugelassen werden. Im Gegensatz zu den Arzneimitteln, wo Resorptionsstudien mit den Hilfsstoffen erfolgen, die in dem endgültigen Arzneimittel enthalten sind, bei denen systemische Toxizitätsprüfungen vorlagen, werden bei den Kosmetika pharmakodynamisch wirkende Stoffe zugelassen. Es sind antibakterielle Substanzen, Lichtschutzmittel, durchblutungsfördernde Mittel in den Kosmetika enthalten, ohne daß hier die Forderung besteht, die Hilfsstoffe mit zu berücksichtigen. Außerdem wird meistens nur eine akute orale Toxizität und ein Draize-Test vorgelegt. Diese unterschiedliche Behandlung hat mich immer gestört. Lehnert: Ich kann Ihnen da zustimmen. Nur· unter Berücksichtigung der Tatsache, daß Kosmetika üblicherweise von gesunden Menschen mit einer gesunden Haut und Dermatika bei einer kranken Haut verwendet werden, läßt sich dies verstehen. Bulling: Nur eine Ergänzung zu den Nacktmäusen. Das sind leider erblich immungeschädigte Tiere und daher wenig geeignet.

V Schutz des Lebens

Tierschutz und Verbraucherschutz — im Widerspruch? E. Bulling

Abstract It is pointed out that from principal reason there is a contradiction between animal and consumer protection. Consumer protection may not renounce on animal experiments and animal experiments are principally inconsistent with animal protection. The scientific, legal and ethical questions of animal experiments are discussed with reference ot the Animal Protection Law of the Federal Republic of Germany. The only way out of the contradiction between Animal and Consumer Protection is the development of alternatives to animal experiments. After many years of research on alternatives now a phase of validation of these alternatives should start. Validated alternatives should be introduced into official safety regulations for consumer protection as fast as possible. In the Federal Republic of Germany there will be a Center for Collection and Validation of Alternatives to Animal Experiments established in

1989.

Es ist das erklärte Ziel vieler Besprechungen und Versammlungen, bestehende Widersprüche aufzulösen und dann mit dem erhebenden Gefühl nach Hause zu fahren, erfolgreiche Arbeit geleistet zu haben. Dieses schnelle Erfolgserlebnis kann ich Ihnen leider nicht vermitteln, denn Tierschutz und Verbraucherschutz stehen tatsächlich im Widerspruch und werden dies wohl auch noch lange bleiben. Dies bedeutet aber nicht, daß es unproduktiv wäre, darüber zu sprechen und zu schreiben — sondern im Gegenteil: bei jeder sich bietenden Gelegenheit sollte das Problembewußtsein geschärft und nach Wegen aus der tiefen Kluft des Widerspruchs zwischen Tierschutz und Verbraucherschutz gesucht werden. Warum stehen Tierschutz und Verbraucherschutz im Widerspruch? Weil Verbraucherschutz nach heutiger Meinung nicht auf Tierversuche verzichten kann, Tierversuche aber mit Tierschutz grundsätzlich unvereinbar sind. Was ist nun eigentlich Verbraucherschutz? Im Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz (LMBG) wird in § 6 der Verbraucher (im Sinne dieses Ge-

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Ε. Bulling

setzes) als derjenige definiert, an den Lebensmittel, Tabakerzeugnisse, kosmetische Mittel oder Bedarfsgegenstände zur persönlichen Verwendung oder zur Verwendung im eigenen Haushalt abgegeben werden. An schutzwürdigen Interessen des Verbrauchers kennt das L M B G zwei verschiedene: den Schutz der Gesundheit (§ 8) u n d den Schutz vor Täuschung (§ 17). Im Arzneimittelgesetz gibt es keine Definition f ü r den „Patienten i. S. d. Ges.", aber der § 6 ermächtigt den zuständigen Bundesminister, alle gebotenen M a ß n a h m e n zu ergreifen, um eine unmittelbare oder mittelbare G e f ä h r d u n g von Mensch und Tier durch Arzneimittel zu verhüten. Im Chemikaliengesetz schließt der Verbraucherschutz auch den Umweltschutz ein. Nach § 1 ist es der Zweck dieses Gesetzes, den Menschen und die Umwelt vor schädlichen Einwirkungen gefährlicher Stoffe zu schützen, wozu verschiedene M a ß n a h m e n wie Prüfung, Anmeldung, Einstufung, Verbote und Beschränkungen dienen. Wenn der Gesetz- und Verordnungsgeber meint, Verbraucherschutz ließe sich in weiten Bereichen n u r durch Tierversuche verwirklichen, so wird er damit den Widerspruch der Tierschützer hervorrufen. Diese berufen sich nämlich auf § 1 des vom gleichen Gesetzgeber erlassenen Tierschutzgesetzes, wonach das Leben und Wohlbefinden des Tieres als eines Mitgeschöpfes zu schützen ist. U n d weiter: „Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen G r u n d Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen". Damit kommen wir zu der entscheidenden Frage: Gibt es einen vernünftigen G r u n d , Tieren zum Schutze des Verbrauchers Schmerzen, Leiden oder Schäden zuzufügen? Hier scheiden sich nun die Geister. Die einen fragen, woher nimmt der Mensch das Recht, Tiere — also gleichfalls schmerzempfindende Geschöpfe Gottes — als Stellvertreter f ü r sich leiden zu lassen und dabei auch zu ganz unvernünftigen Zwecken, wie ζ. B. für ein bißchen weniger Schädlichkeit des absolut schädlichen Rauchens oder für die gesundheitliche Unbedenklichkeit von Lidschatten und Nagellack. Die anderen stützen sich auf das Bibelwort: „ M a c h t Euch die Erde — und damit auch die Tiere — Untertan" (1. Mose 1, 28) und leiten von daher den Vorrang menschlicher Interessen ab. Sie vergessen aber meist ein anderes Bibelwort des 1. Buches Moses (2, 15), wonach wir die Erde zu bebauen und zu bewahren haben, was wiederum die Tiere einschließt. Die Frage der Tierversuche spielt in der Tierschutz-Ethik eine so herausragende Rolle, weil hier das Mensch-Tier-Verhältnis tatsächlich eine außergewöhnliche und wohl auch erschreckende Dimension erreicht. Bei der Nutzung der Tiere durch den Menschen als Lieferant von Nahrungsmitteln, wie Milch, Eiern, aber auch von Fleisch, als Last-, Reit- u n d Zugtier, als Begleiter bei der Jagd oder als Wohn- und Freizeitgenosse liegen Leistungsfähigkeit und Gesundheit des Tieres im Interesse des Menschen dicht beieinander. Bei Tierversuchen dagegen werden Tiere absichtlich Handlungen unterzogen, die — zumindest bei einem Teil von ihnen — zu Schmerzen, Leiden oder Schäden

Tierschutz und Verbraucherschutz — im Widerspruch?

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führen müssen. Und häufig verbietet der Versuchszweck auch noch, die absichtlich zugefügten Schmerzen zu lindern bzw. das Leiden abzukürzen. Für mich liegt das Problem der Tierversuche — und ich habe viele vorgenommen — nicht nur in der Zahl der „verbrauchten" Tiere, sondern vielmehr im Ausmaß der absichtlichen Schmerzzufügung. Die bereits sichtbar gewordenen Ansätze zu einer stärkeren Berücksichtigung von Schmerzen in Tierversuchen sollten m. E. nachhaltig gefördert werden. Die Frage, ob Tierversuche im Rahmen des Verbraucherschutzes vertretbar sind, spaltet sich in eine wissenschaftliche, eine rechtliche und in eine ethische Frage auf. Die wissenschaftliche Frage lautet, können Ergebnisse aus Tierversuchen tatsächlich den Verbraucher schützen, d. h., sind sie auf den Menschen übertragbar? Diese Frage wird heute überwiegend bejaht, wobei Einschränkungen zu machen sind. Von einem verantwortungsbewußten Pharmakologen und Toxikologen muß erwartet werden, daß er diese Einschränkungen kennt und seine Tierversuche dementsprechend ausrichtet. Hier klingt das schöne Wort von der „intelligenten Toxikologie" an. Die rechtliche Frage ist in der Bundesrepublik Deutschland insoweit beantwortet, als nach § 7 (2) Nr. 3 Tierschutzgesetz (TierSchG) Tierversuche für die Prüfung von Stoffen oder Produkten auf ihre Unbedenklichkeit für die Gesundheit von Mensch und Tier zulässig sind. Die heftigen gesellschaftspolitischen Diskussionen um die ethische Frage haben im Vorfeld der Novellierung des Tierschutzgesetzes aber zu verschiedenen Einschränkungen dieser generellen Erlaubnis geführt: • Tierversuche dürfen nur durchgeführt werden, wenn sie für die genannten Zwecke unerläßlich sind. Bei der Entscheidung, ob Tierversuche unerläßlich sind, ist der jeweilige Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse zugrunde zu legen und zu prüfen, ob der verfolgte Zweck nicht durch andere Methoden oder Verfahren erreicht werden kann. Hier sind bereits die Alternativmethoden zu Tierversuchen angesprochen. • Für Versuche an Wirbeltieren besteht die weitere Einschränkung, daß sie nur durchgeführt werden dürfen, wenn die zu erwartenden Schmerzen, Leiden oder Schäden der Versuchstiere im Hinblick auf den Versuchszweck ethisch vertretbar sind. Hier schließt sich der Kreis zum § 1 TierSchG, wobei allerdings offen bleibt, was ethisch vertretbar ist. Die ethische Frage ist also nicht gelöst. Immerhin hat der Gesetzgeber versucht, für schwerwiegende Eingriffe in § 7 (3) folgende ethische Richtschnur zu ziehen: • Versuche an Wirbeltieren, die zu länger anhaltenden oder sich wiederholenden erheblichen Schmerzen oder Leiden führen, dürfen nur durchgeführt werden, wenn die angestrebten Ergebnisse vermuten lassen, daß sie für wesentliche Bedürfnisse von Mensch oder Tier einschließlich der Lösung wissenschaftlicher Probleme von hervorragender Bedeutung sein werden.

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Ε. Bulling

Die hier verwendeten Begriffe wie „vermuten", „erhebliche Schmerzen", „wesentliche Bedürfnisse", „hervorragende Bedeutung" sind so unbestimmt, daß sie wohl nur sehr selbstkritische Antragsteller zur Prüfung ihrer Versuchspläne veranlassen werden. Diese Begriffe stellen im wesentlichen aber eine Herausforderung an die Tierversuchskommissionen dar, die in der Bundesrepublik Deutschland bei den Genehmigungsbehörden für Tierversuche eingerichtet worden sind. Diese Kommissionen sind bisher mehr geschmäht als gelobt worden — und zweifellos besteht die Gefahr, daß sie die unbestimmten Forderungen des Gesetzes je nach personeller Zusammensetzung unterschiedlich auslegen werden. Dies ist aber bei einem so grundlegend novellierten Gesetz wie dem Tierschutzgesetz der Bundesrepublik Deutschland nicht ungewöhnlich, und es liegt im Rahmen unserer rechtsstaatlichen Ordnung, daß notwendigerweise allgemein gehaltene gesetzliche Bestimmung richterliche und höchstrichterliche Interpretation erfahren werden. Meiner Ansicht nach können Versuche an Wirbeltieren mit länger anhaltenden oder sich wiederholenden erheblichen Schmerzen und Leiden für routinemäßige Stoffprüfungen im Rahmen des Verbraucherschutzes nicht in Frage kommen. Sie werden der Erforschung wirklich neuer Erkenntnisse oder der Abwehr schwerer Gesundheitsschäden bei großen Verbrauchergruppen vorbehalten bleiben müssen. Die Zuordnung eingeführter Tiermodelle wie die Bestimmung der akuten, subakuten, chronischen Toxizität, der Kanzerogenität usw. zu bestimmten Schmerzkategorien steht leider noch aus. Sie scheint mir aber angesichts der Forderung des § 7 (3) TierSchG dringend erforderlich, wenn diese nicht eine auf dem Papier stehende Leerformel bleiben soll. In diesem Zusammenhang wird man auch nach dem Verhältnis von Umweltschutz und Tierschutz fragen müssen. Besteht auch hier ein Widerspruch? Generell wird man dies verneinen können, weil Tierschutz und Umweltschutz zum Teil in die gleiche Richtung zielen, wie ζ. B. beim Schutz freilebender Tiere und dem Artenschutz. Andererseits werden aber auch für den Umweltschutz Tierversuche durchgeführt, wie ζ. B. der Goldorfentest nach dem Abwasserabgabengesetz. Dieser Test wird schon seit langem als grober LD100-Versuch heftig kritisiert, und es dürfte an der Zeit sein, ihn durch die bereits entwickelten Alternativen zu ersetzen. Tierversuche im Umweltschutz sind m. E. ein billiger Ersatz für chemische Analysen und schon von daher unzulässig. § 9 (2) Nr. 3 des bundesdeutschen Tierschutzgesetzes verbietet nämlich, Tierversuche aus Gründen der Arbeits-, Zeit- und Kostenersparnis vorzunehmen. Bis hierher ist festzustellen, daß der Schutz des Menschen grundsätzlich über den Schutz des Tieres gestellt bleibt, daß die Genehmigung eines Tierversuchsvorhabens aber an bestimmte Voraussetzungen gebunden ist. Diese Voraussetzungen werden sich je nach der Entwicklung gesellschaftspolitischer

Tierschutz und Verbraucherschutz — im Widerspruch?

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Strömungen ändern, und es bedarf keiner Prophetie, um vorauszusagen, daß sich diese Anforderungen ζ. B. bei einem Regierungswechsel in der Bundesrepublik Deutschland tendenziell verschärfen würden. Wie läßt sich nun der Widerspruch zwischen Verbraucherschutz und Tierschutz zwar nicht auflösen, aber doch vermindern? Das Stichwort klang vorher schon an: „Alternativen zu Tierversuchen". Rüssel und Burch [3] haben 1959 die drei R — Replacement, Reduction, Refinement — eingeführt und damit eine lebhafte Diskussion und Forschungstätigkeit ausgelöst. Bei kritischer Betrachtungsweise muß man allerdings feststellen, daß einer großen Zahl einschlägiger Veröffentlichungen nur wenig konkrete Angaben über die bisher erreichte Verminderung von Tierversuchen gegenüberstehen. Dies mag im wesentlichen darauf zurückzuführen sein, daß nur wenige Alternativmethoden zu Tierversuchen bisher validiert worden sind und daher auch noch keinen Eingang in Prüfrichtlinien, amtliche Untersuchungsvorschriften und ähnliches gefunden haben. Es ist inzwischen erkannt worden, daß nach einer ca. 20jährigen Forschungsphase jetzt parallel dazu eine Validierungsphase für Alternativen zu Tierversuchen einsetzen muß. In Anbetracht der Tatsache, daß auf Initiative von Baß, Bulling, Kayser und Spielmann im Bundesgesundheitsamt in Berlin nunmehr eine Zentrale zur Erfassung und Bewertung von Ersatz- und Ergänzungsmethoden zu Tierversuchen (ZEBET) eingerichtet werden soll, möchte ich einige grundsätzliche Anmerkungen zur Validierung von Alternativen zu Tierversuchen machen. Um die Definition der Begriffe „Alternativmethoden", „Ersatzmethoden", „Ergänzungsmethoden" usw. gibt es erhebliche Meinungsverschiedenheiten, die sich auch auf die Definition und Durchführung der Validierung auswirken. „Validierung" soll als „Bewerten mit dem Ziel der Anerkennung" verstanden werden, und zwar der Anerkennung von schmerzfreien Methoden, die geeignet erscheinen, eine Frage richtig zu beantworten, die bisher mittels Tierversuche untersucht wurde. An dieser Stelle muß daran erinnert werden, daß Tierversuche auch nur Modelle sind, aus denen mehr oder weniger zuverlässig auf die Verhältnisse beim Menschen geschlossen werden kann. Es ist also nicht zulässig, die Validität einer sog. Ersatzmethode ausschließlich an den möglicherweise fehlerhaften Ergebnissen des Tierversuches zu messen. Man sollte sich vielmehr bemühen, die für den Menschen relevante Fragestellung herauszuarbeiten und ζ. B. über molekularbiologische Versuchsanordnungen zu beantworten. Gerade in der für den Verbraucher so wichtigen Sicherheitstoxikologie scheint mir hier der richtige Weg zu liegen. Lassen Sie mich dies an einem Beispiel erläutern: Die Giftbildung von Bakterien im Darm wurde früher an einem schmerzhaften Tiermodell, dem Darmligaturtest am Kaninchen, untersucht. Heute kann das Toxin mittels Zellkulturen [1] oder durch den ELISA-Test nachgewiesen werden, ein Beispiel

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Ε. Bulling

für den erfolgreichen Ersatz eines mit schweren Eingriffen verbundenen Tierversuchs. Parallel dazu wird aber auch die DNA-Hybridisierung eingesetzt, und mit ihrer Hilfe gelingt es, nicht nur die phänotypisch ausgeprägte Toxinbildung, sondern auch das genetisch verankerte Toxinbildungsvermögew bestimmter Bakterienarten zu ermitteln [2, 3]. Die DNA-Hybridisierung ist damit nicht allein Ersatzmethode zu einem Tierversuch, sondern eine echte Alternative dazu, weil sie eine weitergehende Frage beantwortet als es der Tierversuch je konnte. So wichtig die Entwicklung und Validierung von Ersatzmethoden zu Tierversuchen auch ist — wir sollten uns von der Fixierung auf Tierversuche lösen und vermehrt nach den echten Alternativen dazu suchen. Die Entwicklung und Einführung von Alternativen zu Tierversuchen scheint der vernünftigste Weg aus dem Widerspruch zwischen Tierschutz und Verbraucherschutz zu sein. Dieser Weg setzt aber Engagement der Beteiligten voraus und es ist Zbinden [5] zuzustimmen, wenn er sinngemäß sagt: Wenn sich solche Testverfahren zur Charakterisierung spezifischer toxikologischer Mechanismen in der täglichen Praxis der Industrie-Toxikologie bewähren, dann werden auch konservative Toxikologen und pflichtbewußte Vertreter der Gesundheitsbehörden den Mut haben, traditionelle Tierversuche durch moderne, alternative Forschungsmethoden zu ersetzen. Und ich möchte hinzusetzen, daß eine tierschutzbewußte Gesellschaft diesen Prozeß ideell und finanziell unterstützen sollte, um den Widerspruch zwischen Verbraucherschutz und Tierschutz so schnell und so weit als möglich abzubauen.

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Der „Menschen-Versuch" in der Diskussion J. Schuster

Die Fortschritte der modernen Medizin sind weithin Ergebnisse der Entwicklung der Naturwissenschaften. Die methodische Grundlage dieses Fortschritts ist das Experiment. Eine naturwissenschaftlich orientierte Medizin kann auf das Experiment nicht verzichten. Solange der Mensch für sein Experimentieren nur leblose oder pflanzliche Stoffe gebraucht, ergibt sich vom Objekt her kein sittliches Problem. Auch der Tierversuch ist — berücksichtigt man die Grundsätze und Einschränkungen — ethisch unbedenklich. Das Tier ist nicht Zweck an sich, es hat keinen personalen Wert und steht als Mittel zum Zweck im Dienste des Menschen. Eine völlig neue Dimension eröffnet sich aber, wenn der Mensch „Versuchsobjekt" wird. Nun tritt dem Untersuchungsleiter in diesem „Objekt", an dem er mit naturwissenschaftlich begründeter Methode arbeitet, ein mitmenschliches Subjekt gegenüber, eine Person, die niemals bloß als Mittel zum Zweck betrachtet und genützt werden darf [1], Grundsätzlich gilt die gleiche sittliche Betrachtung auch für das sich erst entwickelnde menschliche Leben. In ihrem Bericht „Chancen und Risiken der Gentechnologie" hat die vom 10. Deutschen Bundestag eingesetzte „EnqueteKommission" für Experimente und verändernde Eingriffe im Sinne einer sog. Keimbahn-Gentherapie eindeutige Grenzen für das Machbare gegenüber dem Erlaubten gezogen. Zwei Fallgruppen, die prinzipiell für eine solche Gentherapie in Frage kämen, werden genannt: • „Krankheiten, bei denen aufgrund des Erbganges 25% bzw. 50% der aus den Keimzellen der Eltern hervorgehenden Zygoten bzw. Embryonen den Defekt aufweisen (beide Eltern rezessiv-heterozygote bzw. dominant-heterozygote Merkmalsträger). • Krankheiten, bei denen alle Zygoten den Defekt aufweisen (beide Eltern sind homozygot-rezessive Merkmalsträger)." Voraussetzung für derartige Eingriffe wäre eine Forschung an menschlichen Embryonen. Die derzeit geschätzte „Erfolgsrate" läge bei 2%, d.h., bei 100

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J. Schuster

Eingriffen hätte das sich entwickelnde menschliche Leben 98mal keine Überlebenschance. Starke ethische Bedenken richten sich gegen die Gefahr einer Menschenzüchtung, denn • derartige Eingriffe könnten nur an im Reagenzglas befruchteten Keimen vorgenommen werden, und • es würde den ersten Schritt zur Entwicklung eines „Menschen nach Maß" bedeuten, denn natürlich sind nicht nur krankmachende Gene korrigierbar. Das „natürliche Werden des Menschen" wäre durch das „Machen von Menschen" ersetzbar. Die „Klonierung von Menschen" scheint denkbar. Deshalb lautet der Kernsatz des sehr ausführlich begründeten abwägenden Urteils der Enquete-Kommission: „Die Enquete-Kommission kommt aufgrund der heute vorliegenden Gesichtspunkte zu dem Ergebnis, daß TherapieVersuche an der menschlichen Keimbahn abzulehnen sind" [2], Das Thema meines Beitrages „Der Menschen-Versuch..." ist ja mit einem negativen Begriffsinhalt belastet. Der Begriff „Menschen-Versuch" soll Versachlichung und Entpersonalisierung suggerieren, soll, die verbale Nähe zum Begriff „Tierversuch" nutzend, Empörung über einen Mißbrauch des Menschen als Mittel zum Zweck auslösen — oder, um ein anderes negativ befrachtetes Schlagwort zu benutzen, ihn zum „Versuchskaninchen" erniedrigen. Wir wollen nicht verkennen, daß die medizinische Forschung nicht frei von solcher Gefahr ist. Der Moraltheologe Böckle schreibt dazu: „Gerade weil der wissenschaftliche Fortschritt einer radikalen Versachlichung des Gegenstandes zu verdanken ist, erhebt sich die Frage, in welchem Maß diese Versachlichung möglich und richtig ist, so daß darüber das eigentliche Ziel, die Besserung der „condicio humana", im umfassenden Sinn nicht verlorengeht. So birgt die für das Experiment am Menschen erforderliche Reduktion des Gegenstandes auf bestimmte Daten die große Gefahr in sich, über diese methodisch bedingte Einschränkung den letzten Zweck des Experimentierens aus dem Auge zu verlieren und „Wissen" nicht um des konkreten Menschen, sondern um (seiner) selbst willen anzustreben. Von daher wird man jedes medizinische Experiment am und mit dem Menschen stets erneut auf seinen wirklichen Sinn und Zweck hin befragen müssen. Es darf jedenfalls nicht bloß nach der Gefahrlosigkeit bei der wissenschaftlich-technischen Durchführung gefragt werden. Wir brauchen Kriterien, die eine Grenz(ziehung) zwischen zulässig und unzulässig erlauben. Dieser Gesichtspunkt wird um so dringlicher, wo das Experiment nicht als ultima ratio an einem konkreten Patienten zu seiner ansonsten aussichtslosen Rettung durchgeführt wird, sondern wo man im Hinblick auf künftige therapeutische Möglichkeiten experimentiert" [1]. Hier werden Unterschiede der Qualität einer Rechtfertigung von thera-

Der „Menschen-Versuch" in der Diskussion

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peutischem Eingriff, Heilversuch und Humanexperiment aufgezeigt. Aber, so allgemein dies für die medizinische Forschung gilt, so differenziert werden die Antworten für verschiedene Zweige der medizinischen Forschung ausfallen. Auf die Unzulässigkeit Erbgut verändernder Eingriffe, selbst wenn diese nicht allein dem allgemeinen medizinisch-wissenschaftlichen Fortschritt, sondern der Beseitigung eines konkreten, womöglich vitalen Mangels eines sich entwickelnden menschlichen Individuums dienen sollen, hatte ich bereits — unter Bezug auf den Bericht der Enquete-Kommission — hingewiesen. Das Beispiel der sog. Ersatzteilchirurgie, vor allem der Organtransplantationen, läßt den Gedanken an ein ausschließlich auf künftige therapeutische Möglichkeiten gerichtetes Experiment am Menschen sicher nicht zu. Dagegen sind wesentliche Teile der klinischen Entwicklung von Arzneimitteln ohne Untersuchungen am Menschen, die kein oder kein unmittelbares, d.h. auf den Untersuchten bezogenes, therapeutisches Ziel haben, heute undenkbar. Die großen Schlachten der 70er Jahre, die sich gegen den kontrollierten klinischen Versuch als inhumanes Handeln wandten, sind geschlagen. Sowohl der nicht-therapeutische wie der therapeutische Versuch am Menschen sind längst auch vom deutschen Gesetzgeber anerkannte Grundlagen der Arzneimittelprüfung, die heute sogar unabdingbare Voraussetzung für die behördliche Zulassung neue Arzneistoffe enthaltender Arzneimittel sind. Die Voraussetzungen zum „Schutz des Menschen bei der klinischen Prüfung" sind im Arzneimittelgesetz [3] niedergelegt worden (§§40 — 42 AMG). Sie berück-' sichtigen voll die entsprechenden gültigen Forderungen des Weltärztebundes, wie sie auf dessen Generalversammlung in Tokio 1975 erhoben wurden (sog. revidierte Deklaration von Helsinki). Nach den Vorschriften des A M G [3] darf „die klinische Prüfung eines Arzneimittels ... bei Menschen nur durchgeführt werden, wenn und solange 1. die Risiken, die mit ihr für die Person verbunden sind, bei der sie durchgeführt werden soll, gemessen an der voraussichtlichen Bedeutung des Arzneimittels für die Heilkunde ärztlich vertretbar sind, 2. die Person, bei der sie durchgeführt werden soll, ihre Einwilligung hierzu erteilt hat, nachdem sie durch einen Arzt über Wesen, Bedeutung und Tragweite der klinischen Prüfung aufgeklärt worden ist, ...". Zur Auslegung dieser Schutzbestimmung, die sich auch und vor allem auf die experimentelle nichttherapeutische Arzneimittelforschung am Menschen richtet, gibt es eine Fülle von Literatur. Ich darf mich auf einige wenige Gesichtspunkte beschränken: 1. Der Eingriff in die physische Integrität des Probanden ist Körperverletzung im Sinne des Strafgesetzbuches (StGB). Diese bleibt unter der Voraussetzung der Einwilligung des Probanden straffrei.

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J. Schuster

2. Diese Voraussetzung ist jedoch nur gültig, wenn der Proband seine Einwilligung in voller Kenntnis der Risiken, die mit dem Versuch verbunden sind, erteilt hat. Dies ist für den zur Aufklärung Verpflichteten eine schwere Hypothek, und sie kann nur soweit abgetragen werden, wie es sich um Aufklärung über die dem Versuchsleiter zum Zeitpunkt der Aufklärung bekannten Risiken handelt. Die Sorgfaltspflicht setzt voraus, daß der Versuchsleiter, der die erstmalige Anwendung eines neuen Arzneimittels am Menschen vornimmt, streng darauf sieht, daß alle zu einem solchen Zeitpunkt verfügbaren Informationen tatsächlich vorhanden und ihm bekannt sind. Seiner Sicherheit und vor allem der seines Probanden dienen alle Daten, die, dem jeweiligen Entwicklungsstand der Wissenschaft entsprechend, aus vorklinischen Untersuchungen erhalten werden können. Die vorklinische Prüfung muß also geeignet sein, das Risikoprofil und den möglichen Nutzen des neuen Arzneimittels erkennen zu lassen. Sie muß darüber hinaus Vorgaben über Dosisabhängigkeiten von Risiken und nach Möglichkeit über den Dosierungsbereich machen. Trotz aller Einschränkungen, die sich aus der Übertragbarkeit solcher Ergebnisse auf den Menschen ergeben, wird prinzipiell erwartet, daß dieses Vorwissen Sicherheit vermittelt, die derjenigen, die nur der klinische Versuch vermitteln kann, zumindest sehr nahe kommt. Der klinische Prüfer hat selbst eine sorgfältige Risikoabwägung gegen die zu diesem Zeitpunkt meist noch weit im Spekulativen liegende „Bedeutung des Arzneimittels für die Heilkunde" vorzunehmen, und er muß sich bewußt sein, daß hier auch vage Zweifel schwer wiegen. Aber auch, wenn die künftige therapeutische Bedeutung unstrittig wäre, dürfte der Prüfer die Probanden keinem Risiko einer bleibenden gesundheitlichen Beeinträchtigung oder gar der Möglichkeit eines fatalen Ausgangs des Versuchs aussetzen. Dies könnte er nicht einmal mit einer entsprechenden ausdrücklichen Einwilligung seines Pro banden rechtfertigen. Es wäre ein strafbarer Verstoß gegen die guten Sitten (§ 226a StGB). Ich darf in diesem Zusammenhang daran erinnern, daß bestimmte Arzneimittel — ζ. B. Zytostatika — regelmäßig nicht an gesunden Probanden erprobt werden. Das A M G sieht ausdrücklich vor, daß eine erteilte Einwilligung vom Einwilligenden jederzeit widerrufen werden kann. Dies entspricht nicht nur dem durch Art. 2 Abs. 2 Grundgesetz garantierten Recht auf körperliche Unversehrtheit, sondern enthält auch einen Hinweis auf die Verpflichtung des Prüfers, über während der Prüfung von ihm erkannte oder ihm bekannt gewordene Risiken laufend aufzuklären und so dem Probanden die Möglichkeit einer Überprüfung seiner Einwilligung einzuräumen (gleiches gilt im übrigen auch für den Heilversuch). Dies mag zwar zu einer — von mir durchaus nicht verkannten — Erschwernis der Prüfung führen, doch geht es um die Aufrechterhaltung der anerkannten und gesetzlich vorgeschriebenen Voraussetzungen der Prüfung.

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3. Es stellt sich die Frage, ob Arzneimittel, die einen therapeutischen Fortschritt nicht erwarten lassen, die Voraussetzungen für die klinische Prüfung, wie sie § 40 Abs. 1 Nr. 1 A M G nennt, erfüllen. Sind die Risiken, die ζ. B. mit der Prüfung eines 40. oder 41. Betarezeptorenblockers verbunden sind, gemessen an der voraussichtlichen Bedeutung des Arzneimittels für die Heilkunde, tatsächlich noch ärztlich vertretbar? Ich meine nein — solange es nicht konkrete Hinweise auf Eigenschaften eines solchen neuen Stoffes gibt, die einen therapeutischen Vorteil vor den verfügbaren Stoffen dieser Gruppe erwarten lassen. Wohlgemerkt: ich bestreite nicht, daß Molekülvariationen, die heute den überwiegenden Teil der Ausgaben für Forschung und Entwicklung neuer Arzneimittel verschlingen, nicht auch — zumeist jedoch marginale — Fortschritte für die Therapie bringen können, was sich aber zumeist erst während der klinischen Forschung offenbart. Bei unserer Betrachtung geht es jedoch um die Voraussetzungen für eine solche klinische Prüfung, letztlich um deren ethische Rechtfertigung schon in der Planungsphase. Und da habe ich meine Zweifel, ob der Einsatz von Menschen in Versuchen mit Arzneimitteln, die einen therapeutischen Fortschritt nicht erwarten lassen, sondern die eher kommerziellen Interessen dienen, zu rechtfertigen ist. Wie liegen nun die Verhältnisse beim sog. Heilversuch? Dieser scheint auf den ersten Blick weniger Probleme mit seiner ethischen Rechtfertigung zu haben. Die vom A M G [3] genannten Voraussetzungen lauten: „Auf eine klinische Prüfung bei einer Person, die an einer Krankheit leidet, zu deren Behebung das zu prüfende Arzneimittel angewendet werden soll, ..." gilt: „... 1. Die klinische Prüfung darf nur durchgeführt werden, wenn die Anwendung des zu prüfenden Arzneimittels nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft angezeigt ist, um das Leben des Kranken zu retten, seine Gesundheit wiederherzustellen oder sein Leiden zu erleichtern." Klinische Prüfung als Heilversuch hat also die Wiederherstellung der körperlichen Integrität des in die Prüfungen einbezogenen Patienten zum Ziel. Darüber hinaus aber ist es das Ziel eines jeden solchen Versuchs, Erkenntnisse über den behandelten Einzelfall hinaus zu sammeln, die Bedeutung des Arzneimittels für die Heilkunde zu ermitteln. Es werden also fremdnützige Ziele verfolgt. Diese sind oft nur in kontrollierten, blinden oder doppelblinden Studien zu erreichen, in denen jeweils ein Teil der einbezogenen Patienten nicht oder möglicherweise suboptimal behandelt wird. Hier sind also Elemente des Heilversuchs und des medizinischen Experiments unauflösbar miteinander verbunden. Auch für diese Studien sind umfassende Aufklärung und Einwilligung des Patienten, ζ. B. in eine mögliche Nichtbehandlung, unabdingbare Voraussetzung. Es liegt auf der Hand, daß jede Nichtbehandlung, gemessen an ihren Risiken, ärztlich vertetbar sein muß, d. h., kann sie vorhersehbar zu

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Schäden des nichtbehandelten Patienten führen, die — ebenso vorhersehbar — durch etablierte Therapie vermeidbar gewesen wären, so ist die Nichtbehandlung und damit die Versuchsanordnung, deren Teil sie ist, ärztlich unvertretbar. In Fällen, die ein solches Ergebnis erwarten lassen, ist es ein Gebot ärztlicher Ethik, den neuen Arzneistoff gegen Standardtherapie zu prüfen. Nicht selten unterscheidet sich die Belastung des Patienten, die dieser durch eine etablierte Therapie erleidet, von der, die ein Heilversuch mit sich bringt, durch belastende Therapiekontrollen. Denken wir ζ. B. an die Notwendigkeit wiederholter Anwendung invasiver diagnostischer Verfahren. Die Zumutbarkeit solcher Eingriffe muß ebenfalls gegen den Nutzen des Erkenntnisgewinns, der sich in therapeutischen Nutzen umsetzen läßt, also letztlich gegen einen Zugewinn an therapeutischem Nutzen, abgewogen werden. Eine ethische Rechtfertigung wird es aber nur dann geben, wenn die zum entsprechenden therapeutischen Nutzen oder auch die zur Vermeidung von Schäden führende Erkenntnis auf andere, weniger belastende Weise nicht erhältlich ist. In diesem Sinne wirken ζ. B. die Bestimmungen der Strahlenschutzverordnung, die die Anwendung markierter Stoffe zum Zwecke medizinischer Forschung am Menschen verbieten, wenn andere analytische Methoden verfügbar sind. Zum Schluß möchte ich an etwas erinnern, das Krauß [4] in seiner sehr guten Übersicht „Medizinischer Fortschritt und ärztliche Ethik" ausführt: „Der Kranke sucht Hilfe in Form ärztlicher Behandlung, er überläßt sich einem Arzt im Vertrauen auf dessen Integrität, Gewissenhaftigkeit, Menschlichkeit, Wissen und Können — im allgemeinen ohne sich genauer nach dem Wie und Was der Behandlung zu erkundigen...". „Wer medizinische Versuche als Behandlung tarnt, verdrängt die Tatsache, daß er damit die Versuchsperson um das Grundrecht der Selbstbestimmung bringt und zum „Versuchsobjekt" erniedrigt... . Eine solche Täuschung macht den Arzt unglaubwürdig und untergräbt das Vertrauen nicht nur zu ihm selbst, sondern zur Ärzteschaft überhaupt. Niemand kann sich wundern, daß Menschen mit Abwehr und Empörung antworten, wenn sie sich plötzlich als „Versuchskaninchen" entdecken." Versäumnisse bei der Aufklärung in der Vergangenheit wirken in der öffentlichen Diskussion über klinische Prüfungen heute oft noch nach. Es ist daher im Interesse einer künftigen Forschung am Menschen, die nicht weniger notwendig ist als gestern, unbedingt geboten, auch den Anschein einer ungenügenden Aufklärung zu vermeiden. Aber neben diesem intellektuellen, rationalen Element ärztlichen Handelns scheint mir ein anderes genauso wichtig und verlangt den ganzen Menschen im klinischen Forscher. Röttgen [5] drückt das so aus: „Dem heiligen Augustinus wird das Axiom zugeschrieben: Liebe und tue was du willst. Auch in

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einer säkularisierten Welt scheint dies ein Axiom für ärztlich-ethische Grenzen zu sein, wenn man es abwandelt in den Satz: Liebe deine Kranken wie dich selbst und tue ihnen nichts an, was du dir nicht selbst angetan haben möchtest. Dann werden die technischen Grenzen der Medizin keine ethischen Probleme mehr sein."

Literatur [1] Böckle, F.: Ethische Aspekte der Arzneimittelprüfung. In: Arzneimittelprüfung am Menschen. Vieweg. 1980. S. 2 9 - 3 5 . [2] Bericht der Enquete-Kommission des 10. Deutschen Bundestages. Chancen und Risiken der Gentechnologie. Deutscher Bundestag, Bonn. 1987. S. 1 8 7 - 1 9 0 . [3] Gesetz über den Verkehr mit Arzneimitteln ( A M G ) in der Fassung des Gesetzes zur Neuo r d n u n g des Arzneimittelrechts vom 24. August 1976 (BGBl. I, S. 2445, 2448), zuletzt geändert durch das Dritte Gesetz zur Ä n d e r u n g des Arzneimittelgesetzes vom 20. Juli 1988 (BGBl. I, S. 1050). [4] K r a u ß , P. (Hg.): Medizinischer Fortschritt und ärztliche Ethik. C. H. Beck, M ü n c h e n . 1974. S. 7 9 - 1 0 1 . [5] Röttgen, P.: Die Grenzen der Neurochirurgie. In: Möglichkeiten und Grenzen der Medizin. Studien und Berichte der Katholischen Akademie in Bayer. Echter-Verlag. 1967. S. 92. [6] Kleinsorge, H., G. Hirsch, W. Weißauer: F o r s c h u n g a m Menschen. Schriftenreihe Medizinrecht. Springer Verlag, Berlin, Heidelberg. 1985. [7] Gross, F.: Notwendigkeit und Ethik klinisch-thcrapeutischcr Prüfungen von Arzneimitteln. Paul-Martini-Stiftung e.V., F r a n k f u r t / M . 1979. [8] Küppers, H.: Leitfaden der Arzneimittelprüfung am Menschen. Gustav Fischer Verlag, Stuttgart. 1988.

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Kraupp: Herr Bulling hat gesagt, daß man in Zukunft mehr Alternativversuche machen soll, um die konservativen Experimentatoren davon zu überzeugen oder überhaupt zurückzudrängen. Ich möchte eines grundsätzlich dazu sagen: In den letzten Jahrzehnten ist die Anzahl der technischen Tierversuche, also Tierversuche, die nur mit der Tötung eines Tieres verbunden sind, um Organe zu gewinnen, um Versuchsordnungen auszubauen, die Sie als Alternativversuchsanordnungen bezeichnet haben, sehr stark angestiegen. Aber nicht, weil die Tierversuche weniger konservativ geworden sind oder aufgrund größerer Tierliebe, sondern weil die medizinische Forschung ständig neue Methoden entwickelt, die dann tatsächlich gewisse Tierversuche überflüssig machen. Das sind keine Alternativversuche, sondern ELISA-Versuche, anständige Versuche an Gewebskulturen mit Steuerungsversuchen. Diese Versuche haben Menschen entwickelt, die vorher die Tierversuche gemacht haben. Da uns jetzt die Methoden zur Verfügung stehen, solche Fragen an solchen Anordnungen zu studieren, werden wir das auch in Zukunft tun. Dies hat gar nichts mit unserer ethischen Einstellung zu tun, sondern mit der Tatsache, daß damit viel bessere Ergebnisse erhoben werden können. Aber Wirkungen auf die Koronargefäße oder auf den Blutdruck kann man nun einmal nicht an Gewebskulturen studieren. Bestimmte Versuche sind also notwendig. Leider wird in den Kreisen der Tierschützer dies immer dazu verwendet, uns als unethische Menschen zu beschimpfen. Im Vergleich zu dem, was Tieren üblicherweise an Leiden zugefügt wird, sind die Tierversuche ein minimaler Prozentsatz. Ein Beispiel ist das Rattenvertilgungsgesetz der Stadt Wien aus dem Jahre 1925. Hier werden Ratten mit Präparaten vergiftet, die die Blutgerinnung hemmen. Millionen Tiere gehen dabei zugrunde; eine notwendige Maßnahme, um die Stadt von Seuchen und Übertragungen freizuhalten. Was diese Ratten erleiden, ist eine Hölle gegen das, was sie in unseren Laboratorien erleiden. Das muß man sich einmal verdeutlichen, damit diese ständigen Angriffe endlich aufhören. Wir erfüllen nur unsere Pflicht, sonst gar nichts. Bulling: Es zeigt sich, daß eine Diskussion über Tierschutz immer emotional geführt wird. Es geht gar nicht anders, denn die wissenschaftlichen Fragen sind relativ schnell geklärt, aber die ethische Frage führt immer zu einer emotionalen Aufladung. Ich will die letzte Bemerkung nicht abschieben, aber ich habe Herrn Zbinden zitiert und Sie werden ihm sicher zugestehen, daß er

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das ganze Feld der Alternativmethoden aus einer ganz ausgezeichneten und abgewogenen Perspektive heraus sieht, seit Jahren beurteilt und führend bearbeitet, ohne jemandem unethisches Verhalten vorwerfen zu wollen. Dies ist also weder Herrn Zbindens noch meine Absicht. Aber es gibt ein gewisses retardierendes Moment aus dem Pflichtbewußtsein des Toxikologen heraus, tatsächlich im Verbraucherschutz das Maximale zu veranlassen und zu erreichen. Ich muß doch noch einmal betonen, Chemikaliengesetz, Arzneimittelgesetz und Tierschutzgesetz stehen nicht etwa in einer Rangfolge, sondern gleich wichtig nebeneinander. Sie sind in der parlamentarischen Beratung der Bundesrepublik Deutschland und hier in Österreich sowie in anderen Ländern erlassen worden, und Bürger, die sich dem Verbraucherschutz besonders verbunden fühlen, werden die Regelung des Lebensmittelgesetzes und des Chemikaliengesetzes verstärkt einfordern. Sie können aber den Leuten, die den Tierschutz im Vordergrund sehen, nicht das Recht absprechen, die Forderungen des Tierschutzgesetzes, die ja sehr detailliert sind, einzufordern. Das Traurige ist dabei, daß die Vertreter des Tierschutzes sehr schnell unsachlich werden. Wir werden ebenso beschimpft, obwohl wir uns für die Entwicklung der Alternativen einsetzen, weil wir zu langsam sind, nicht vorankommen. Wichtig ist, daß wir diesen Widerspruch zwischen den beiden Gesetzen nicht unter den Teppich kehren, das wäre unehrlich, sondern daß wir die Möglichkeiten fördern sollten, den Widerspruch aufzulösen. Eine ideelle und finanzielle Förderung ist m. E. unerläßlich. Schuppan: Herr Bulling, Sie haben gut das Spannungsfeld Tierschutz —Verbraucherschutz angesprochen. Mitten in diesem Spannungsfeld befindet sich das BGA, häufig auch mit dem Vorwurf konfrontiert, zu viele Tierversuche zu verlangen. Da stimmt es nachdenklich, wenn, wie im Beitrag von Frau Lehnert gehört, unnötige oder überflüssige Tierversuche beim Amt vorgelegt werden. Hier liegt eine Chance für das Amt — ich weiß nicht, wie man in solchen Fällen reagiert — den Einreichenden, aber auch generell, zu verdeutlichen, wie praktizierter Tierschutz aussehen kann. Spielmann: Beim Vollzug des Chemikaliengesetzes wird so verfahren, wie es Herr Schuppan angeregt hat. Es gibt bei diesem formal vollzogenen Gesetz den sog. „escape clause", d.h., wenn es wissenschaftliche Gründe gibt, die einen Versuch unnötig erscheinen lassen, so kann auf ihn verzichtet werden. Ζ. B. auf den Draize-Test am Kaninchenauge, wenn der Stoff stark reizend und ätzend aufgrund seiner physikalisch-chemischen Eigenschaft ist. Wir gehen sogar soweit, daß wir gehalten sind, europaweit identisch zu verfahren. Liegen Erkenntnisse vor, die den Versuch im Prinzip überflüssig erscheinen lassen, teilen wir dies den Behörden in anderen europäischen Ländern mit. von Eickstedt: Herr Bulling, Sie haben die Tierversuchskommissionen nicht angesprochen, die Tierversuche zu genehmigen haben. Ich habe manchmal

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den Eindruck, daß manche ethische Kommissionen, die Tierversuche zulassen, besser funktionieren als Ethikkommissionen, die Humanversuche zuzulassen haben. Bulling: Die Tierversuchskommissionen nach § 15 des Tierschutzgesetzes haben die Aufgabe, die Behörden zu beraten, Ablehnung oder Genehmigung erfolgt durch die Behörde. Die Kommissionen können im Verlauf des Beratungs- und Genehmigungsprozesses weitergehende Informationen fordern. Sicher stellen diese Tierversuchskommissionen ζ. Z., und dies wird sich auch in Zukunft nicht grundsätzlich ändern können, aufgrund der unterschiedlichen personellen Zusammensetzung einen gewissen Unsicherheitsfaktor in der Auslegung dieser allgemein gehaltenen Formulierungen des Tierschutzgesetzes dar. Wir benötigen hier, wie in vielen anderen Rechtsbereichen, tatsächlich eine richterliche und höchstrichterliche Interpretation. Deswegen würde ich auf der einen Seite die Genehmigungsbehörden nicht unbedingt davon abhalten wollen, Tierversuche, die ihnen sehr bedenklich zu sein scheinen, abzulehnen, auf der anderen Seite würde ich den Antragsteller genauso ermutigen, dieses zum Anlaß eines Verfahrens zu wählen. Henschler: Ich würde das als „ultimum refugium" natürlich anerkennen, aber aus einer gewissen eigenen Erfahrung über die sehr unterschiedliche Rekrutierung und Arbeitsweise der Kommissionen in den verschiedenen Bundesländern heraus davor warnen. Von Bundesland zu Bundesland werden sehr unterschiedliche Mitglieder in die Kommissionen gewählt; Entscheidungen sind eine Frage der Majoritätsverhältnisse. Ich würde empfehlen, daß man sich zunächst um die Homogenisierung in der Rekrutierung dieser Kommissionen bemüht, bevor es zu höchstrichterlichen Entscheidungen kommt. Denn auch höchstrichterliche Entscheidungen sind, wie wir heute wissen, nicht immer frei von politischen Erwägungen, und es kann leicht in eine von allen ungewollte Richtung gehen. Bulling: Die Zusammensetzung der Kommissionen ist vom Gesetz in der Weise geregelt, daß ein Verhältnis von 2 : 1 , 2 Naturwissenschaftler und 1 Vertreter des Tierschutzes, besteht, wobei letzterer durchaus auch Naturwissenschaftler sein kann, aber auch Theologe oder Soziologe. Ich meine, der Gesetzgeber wollte mit dieser Zusammensetzung die Wissenschaftler nicht ganz unter sich lassen. Wissenschaftler, und das ist nicht nur im Tierversuch aktuell, müssen sich in ihrer eigenen Durchführung und Aufgabenstellung auch hinterfragen lassen. Die Gentechnologie ist dafür ein sehr aktuelles Beispiel. Insofern haben diese Kommissionen Teilnehmer, die nicht in der Lage sind, aufgrund der Stimmenverhältnisse die Entscheidung tatsächlich in ihrem Sinne zu beeinflussen, aber sie können immer wieder Minoritätenvoten herbeiführen. Das ist für diese Teilnehmer sicher sehr frustrierend, aber dieses

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System ist gewählt worden, um auf der einen Seite davor zu schützen, daß extreme Gruppierungen plötzlich Tierversuche völlig verhindern, andererseits aber doch gleichzeitig ethische Fragen immer wieder mit in die Diskussion einfließen. Es würde der Arbeit der Kommissionen sicher helfen, wenn an einem Beispiel definiert worden wäre, was „hervorragende Bedeutung" oder „außergewöhnliche Ereignisse oder Ergebnisse" sind. Henschler: Zur Klarstellung: Was ich meine, sind die Nominierungen sogenannter kritischer Naturwissenschaftler. Es ist Sache der Behörde, einen klassischen Naturwissenschaftler unseres Verständnisses dort hineinkommen zu lassen. Pittner: Wenn ein Antragsteller zuviele Tierversuchsunterlagen einreicht — was natürlich wesentlich seltener vorkommt als ein Zuwenig an Untersuchungen — informiere ich ihn darüber in einem persönlichen Gespräch. Damit habe ich persönlich gute Erfahrungen gemacht, so daß dieser Antragsteller beim nächsten Mal seine Unterlagen auf einen guten Umfang reduziert. Kontakte zwischen Behörde und Antragsteller schon vor der Zulassung funktionieren in Wien seit einem Jahr schon sehr gut, speziell in Grenzfragen, so ζ. B. bei einem Antragsteller, der eine Substanz systemisch schon zugelassen hat und jetzt eine lokale dermale Zubereitung anmelden will. Bass: Was die Kommissionen betrifft, so gibt es in der Bundesrepublik Deutschland sehr starke regionale Unterschiede, die durch ein wissenschaftliches Verständnis nicht mehr interpretiert und verstanden werden können. Es ist schon mehrmals vorgekommen, daß die resultierenden Fragen von den Kommissionen oder der zuständigen Behörde an das BGA weitergeleitet wurden mit der Bitte um Stellungnahme, ob wir derartige Versuche für sinnvoll und erforderlich halten würden. Dies ist wieder der Punkt, wie verhält sich die Behörde, wenn ihr überflüssige Versuche bekannt werden, sei es in der Planung oder nach der Durchführung als Ergebnis. Wir würden der zuständigen Kommission zu erkennen geben, daß wir diese nicht für erforderlich halten, was die Nichtgenehmigung zur Folge hätte, oder wir würden auch — falls erforderlich — den Hersteller darüber informieren. Jahn: Bei den hier diskutierten Tierversuchen handelt es sich um pharmakologisch-toxikologische Untersuchungen. Das Tierschutzgesetz sieht Anzeige und Genehmigung vor, und soweit Tierversuche im Rahmen gesetzlicher Vorgaben durchgeführt werden müssen, entfällt die Genehmigung. Für die Anzeige sind die Tierschutzkommissionen nicht notwendig. Bulling: Aber sehr wohl die Genehmigungsbehörden, die auch die Anzeigen entgegennehmen. Ν. N.: Das ist richtig, die Behörden geben keine Genehmigung, sie akzeptieren die Anzeige oder sie akzeptieren sie nicht, wenn es sich eben aufgrund der

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gesetzlichen Vorgaben nicht um eine Anzeige, sondern eine Genehmigung handelt. In dem Zusammenhang sind wir natürlich sehr daran interessiert, daß die Arzneimittelprüfrichtlinie in Deutschland so früh wie möglich zur Gesetzesgrundlage wird. Das ist bis jetzt versäumt worden. Es ist ja geplant, daß die EG-Richtlinie in nationales Recht übergeführt wird, und in dem Moment würden auch toxikologische Untersuchungen für Arzneimittel nur noch „anzeigepflichtig" sein und nicht mehr der Genehmigung bedürfen. Bulling: Sie werden wohl nicht unterstellen, daß die anzeigepflichtigen Tierversuche sich nicht in einem Tierschutzrecht-freien Raum bewegen, sondern der § 1 gilt natürlich für die anzeigepflichtigen Tierversuche in gleicher Weise wie für die genehmigungspflichtigen. Ν. N.: Ohne Zweifel. Aber wir haben über die Zwangssituation der Tierschutzkommissionen gesprochen. Kraupp: Im Rahmen der Arzneimittelbeiratprüfung habe ich in letzter Zeit Hunderte von Einreichungen gesehen. Manche enthalten sehr viele Tierversuche, aber bei einem so kleinen Land wie dem unseren stammen die Tierversuche aus Japan oder Amerika. Die Firmen reichen ja heute im wesentlichen die Unterlagen ihrer Stammfirmen ein. Dort werden offenkundig noch sehr viele Tierversuche gemacht, und ob man da die Betreffenden auffordern kann, weiß ich nicht. Bulling: Gerade in Japan zeigt sich eine positive Wendung. Im europäischen Raum haben wir die EG, die OECD, und wir werden auch übergreifend mit den USA zu mehr Vereinbarungen kommen. Das ist eine sehr erfreuliche Entwicklung. Hildebrandt: Zu dem, was Herr Schuster gesagt hat: Es ist doch so, daß der § 6 des Arzneimittelgesetzes sagt „Schutz von Mensch und Tier", d. h., der Gesetzgeber hat sowohl die Möglichkeit, das Tier zu schützen, er setzt aber immer noch im A M G den Menschen vor das Tier. Im Tierschutzgesetz finden sich die Begriffe „wesentliches Bedürfnis" und „hervorragende Bedeutung". Wenn die Gesetze in ihrer Bedeutung gleichgesetzt sind, bedeutet das, daß wir die Bedürfnisprüfung, die wir nicht haben, über das Tierschutzgesetz einbringen könnten, was wir aber nicht tun, weil unsere Marktwirtschaft das gar nicht ermöglicht. Deswegen sind wir in der Pflicht, die Dinge zu ändern bzw. zu akzeptieren, solange wir diese Marktwirtschaft haben, die wir auch zum Glück haben. Wir müssen aufpassen, daß wir mit der Delegation unserer Moral auf den lieben Gott nicht vergessen, daß wir es sind, die hier möglicherweise die Zurückhaltung nicht ausreichend üben. Bulling: Sie zeigen mit Ihren Ausführungen, daß Sie genauso schnell polemisch und emotional werden, wenn es um eine Hinterfragung von Wissenschaft

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geht, wie Leute aus dem Bereich, die Sie ablehnen und denen Sie vorwerfen, die Dinge einseitig zu sehen. Es ist eine Tierschutzdiskussion nicht möglich, ohne uns auf unsere gesellschaftspolitischen und kulturellen Grundlagen zu beziehen. Im deutschen Recht gilt das Tier als Sache, im Tierschutzgesetz finden wir als einen ersten Ansatz eine Bezeichnung des Tieres als „Mitgeschöpf". Wir sind hier in Österreich, und das österreichische Grundgesetz wird den Tieren eine neue Definition, ein neues Recht zuerkennen, zwischen Mensch und Sache stehend. Ich weiß nicht, wie es formuliert sein wird, aber die Österreicher werden bald nicht mehr uneingeschränkt über Tiere verfügen können, und wir werden es eines Tages auch nicht können bzw. können es auch jetzt schon nicht. Die Aufforderung, hier über Tierschutz und Verbraucherschutz zu sprechen, habe ich so verstanden, einmal auch die ethischen und philosophischen Grundfragen dieser Problematik anzusprechen. Kraupp: Wissen Sie, daß wir seit 1973 das beste Tierversuchsgesetz haben? Da hat es überhaupt kein anderes gegeben, auch in der deutschen Bundesrepublik nicht. Wir haben eine Kommission gehabt, wir mußten jeden Tierversuch einreichen. Bulling: Es geht doch nicht um die Tierversuche, sondern es geht um die Verankerung des Tieres im Bürgerlichen Gesetzbuch, was ein anderer Rechtsbereich ist, der aber in allen Ländern diskutiert wird und der in Österreich — und das war ein Kompliment an Ihr Land — bereits den weitesten Fortschritt erfahren hat. Kraupp: Danke vielmals. Aber wir haben es nicht uneingeschränkt verwenden können. Schießen können Sie bei der Jagd noch immer, auch in Deutschland, ein Reh. Knapp: Eine grundsätzliche Bemerkung zum Begriff des alternativen Versuches. Dieser Begriff wird sehr viel und eigentlich, so glaube ich, falsch verwendet. Der Begriff signalisiert eine Alternative zu vorhandenen Tierversuchen. Genau das ist der alternative Versuch ζ. Z. nicht. Teilt man die Versuche in 3 Gruppen ein, so gibt es geeignete Versuche, Versuche, die noch nicht validiert sind, dazu würde ich diese sog. alternativen Versuche zählen — Versuche, die möglicherweise in Zukunft geeignet sein werden, manchen Tierversuch zu ersetzen — und es gibt ungeeignete Versuche. Der alternative Tierversuch, also der Versuch, der nicht am Tier durchgeführt wird, sondern am Gewebe usw., hat heute seinen festen Platz in allen Laboratorien. Eine Trennung von alternativen Versuchen und Tierversuchen möchte ich eher vermeiden. Für uns gibt es nur geeignete und ungeeignete Versuche. Eine zweite, ganz andere Bemerkung: Die Ratten von Wien, — das Problem liegt eigentlich in der Psyche des Menschen. Die Verhinderung des Todes einer

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Ratte auf Ihrem eigenen Grund, in Ihrem eigenen Haus ist in Österreich strafbar. Wenn es darum geht, daß die Schnecke im eigenen Garten den eigenen Salat ißt, hört auch oft bei Tierversuchsgegnern die Freundschaft auf. Da wird mit Schneckenkörnern gearbeitet, und wer die Funktion von Schneckenkörnern kennt, weiß, daß das, sofern die Schnecke Schmerz empfindet, ein relativ grausamer Tod ist. Was ich mit Psyche des Menschen meine: Wir haben Probleme dann, wenn es um das Einzeltier geht, um diesen Hund, diese Katze, dieses Labortier. Wir haben keine Probleme bei der Masse. Deswegen vergiften wir leicht die Ratten, legen Giftköder aus, man sieht nicht soviel davon. Wissen Sie, wieviel Mäuse ganz einfach zerquetscht werden, wenn eine Planierraupe eine Straße macht, der Bauer mit seinem Traktor über die Felder fährt oder wenn wir aus irgendwelchen Gründen einen Stausee bauen. Reichen Sie einmal einen „Ertränkungsversuch" am Tier ein, weil es vielleicht für die Medizin sehr wichtig wäre zu erfahren, was es zur Reanimation gibt und wo die Probleme sind. Wenn Sie so einen Versuch einreichen, wird er Ihnen mit Garantie von den entsprechenden Kommissionen abgelehnt werden. Wenn Sie wollen, kann man hier auch den Krieg anführen. Es ist leichter, mit einer Bombe von 2.000 oder 10.000 m Höhe eine Stadt auszuschalten als mit einem Messer eine einzelne Person. Bulling: Wenn Sie diese Diskussion einleiten wollen, können wir Albert Schweitzer zitieren und die Ehrfurcht vor dem Leben; dann können wir uns noch sehr lange darüber unterhalten. Aber wir sprechen hier über Tierversuche und Verbraucherschutz, und ich halte es nicht für angemessen, dieser Frage auszuweichen, indem man auf Rattenvergiftung, auf Bauarbeiten von Straßen und die Herstellung von Stauseen abhebt, um die Aufmerksamkeit von den Tierversuchen abzulenken. Knapp: Dies sollte keine Ablenkung sein und auch keine Entschuldigung, sondern ein Hinweis darauf, daß man sich dessen bei der Beurteilung von Versuchen allgemein bzw. Dingen, die man dem Tier antut, bewußt sein sollte. Hildebrandt: Herr Bulling, ich kenne ihr Engagement in Tierschutzfragen. Deswegen will ich Ihnen diese Bemerkung hinsichtlich meiner Emotionalität nicht übelnehmen. Nur, ich war nicht emotional, sondern betroffen. Das Problem liegt darin, daß wir versuchen, mit aus meiner Sicht ungeeigneter Moralität die Dinge zu lösen, die wir wissenschaftlich lösen sollten. Schuppan: Sowohl der österreichische Verband der pharmazeutischen Industrie als auch der in der Bundesrepublik Deutschland haben umfangreiches und sehr gutes Material zum Tierschutz produziert. Dort sind viele Fragen beantwortet, die hier unklar diskutiert wurden. Allen, die es noch nicht kennen, empfehle ich, sich an die jeweiligen Verbände zu wenden.

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Kroneberg: Eine Bemerkung an Herrn Schuster: Die Industrie kann nicht nur von spektakulären Sachen leben, sondern muß von vielen kleinen Fortschritten leben, die sich summieren, und der 41. Betablocker dient eben der ß-1spezifischen Betablocker-Entwicklung. Ihre Bemerkung sollte im ethischen Sinne richtig verstanden werden. Schuster: In diesem Sinne, wie Sie es eben interpretiert haben, habe ich es auch gemeint. Mir ist selbstverständlich erstens klar, daß das Arzneimittelgesetz keine Bedürfnisprüfung kennt. Aber darum geht es hier gar nicht, sondern es geht um eine Planung, um den Entwurf einer Idee, die lange vor einer Arzneimittelzulassung und einer eventuellen Bedürfnisprüfung stattfindet. Zweitens ist mir auch klar, daß es sicherlich im Einzelfall schwierig sein wird, vorherzusagen, daß diese oder jene Substanz, die ich entwickeln will, gar keinen therapeutischen Fortschritt bringt. Genauso schwierig wird es sein, diesen therapeutischen Fortschritt voraussagen zu können. Es war ein Beispiel, das stellvertretend für eine Idee sein sollte. Henschler: Unser Dank gilt der Biomedizinischen Forschungsgesellschaft und der Österreichischen Akademie der Wissenschaft, daß sie Kongresse dieser Art veranstalten, und für die Idee dieser Tagesveranstaltung, auf der Vertreter beider Behörden quasi vergleichend ihre Standpunkte darlegen konnten. Wir haben eine sehr gute Diskussion gehabt mit vielen Höhepunkten. Der letzte ist höchstens dadurch etwas getrübt worden, daß bei der Frage der Tierversuche wieder fundamentalistische Standpunkte vertreten und mit Verbissenheit verteidigt wurden, was einem Gebiet, daß ohnehin voranschreitet, ob man es will oder nicht, nicht sonderlich förderlich sein kann. Aber ich will keine Zensuren verteilen, sondern den Veranstaltern ganz herzlich für die Arbeit, die sie geleistet haben, und für die überwältigende Gastfreundschaft, die besser nicht sein konnte, danken.