Preisbezogene Behinderungsmissbräuche nach Art. 102 AEUV: Zur Konsistenz der europäischen Rechtsprechung [1 ed.] 9783428558179, 9783428158171

Die Arbeit untersucht die Frage, ob die Rechtsprechung der europäischen Gerichte zu preisbezogenen Behinderungsmissbräuc

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German Pages 266 [267] Year 2019

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Preisbezogene Behinderungsmissbräuche nach Art. 102 AEUV: Zur Konsistenz der europäischen Rechtsprechung [1 ed.]
 9783428558179, 9783428158171

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Beiträge zum Europäischen Wirtschaftsrecht Band 75

Preisbezogene Behinderungsmissbräuche nach Art. 102 AEUV Zur Konsistenz der europäischen Rechtsprechung

Von

Katalin Lehnhardt-Busche

Duncker & Humblot · Berlin

KATALIN LEHNHARDT-BUSCHE

Preisbezogene Behinderungsmissbräuche nach Art. 102 AEUV

Beiträge zum Europäischen Wirtschaftsrecht Begründet von Professor Dr. Wolfgang Blomeyer † und Professor Dr. Karl Albrecht Schachtschneider

Band 75

Preisbezogene Behinderungsmissbräuche nach Art. 102 AEUV Zur Konsistenz der europäischen Rechtsprechung

Von

Katalin Lehnhardt-Busche

Duncker & Humblot · Berlin

Die Juristische Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München hat diese Arbeit im Jahre 2017 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2019 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: 3w+p GmbH, Ochsenfurt-Hohestadt Druck: CPI buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany

ISSN 0947-2452 ISBN 978-3-428-15817-1 (Print) ISBN 978-3-428-55817-9 (E-Book) ISBN 978-3-428-85817-0 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde von der Juristischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München im Wintersemester 2017/2018 als Dissertation angenommen. Mein erster Dank gilt meinem Doktorvater Herrn Prof. Dr. Thomas Ackermann für die Anregung zu dem Thema dieser Doktorarbeit und die fortwährende Unterstützung während der Bearbeitung. Herrn Prof. Dr. Rudolf Streinz danke ich für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Dem Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht möchte ich für die Möglichkeit, dort forschen zu dürfen, danken. Ich habe dort die Gelegenheit zu vielen Gesprächen gehabt, die meine Arbeit fachlich bereichert haben. Von ganzem Herzen danke ich meinem Mann Joachim, der mir gerade in den letzten Zügen dieses Projekts bedingungslos zur Seite gestanden hat und diese intensive Phase so viel leichter gemacht hat. Mein größter Dank gilt schließlich meinen Eltern, die mich während der Zeit meines Studiums und meiner Promotion in jeder erdenklichen Weise unterstützt haben. Ihres Rückhalts konnte ich mir immer sicher sein und dieser hat mir meinen Weg ermöglicht. Hamburg, im Juli 2019

Katalin Lehnhardt-Busche

Inhaltsverzeichnis A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 I. Das Problem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 II. Stand der Forschung und Ziel der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 III. Gang und Methodik der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 B. Terminologische Abgrenzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 I. Zu den Begriffen formbasiert und effektbasiert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 II. Per se Regeln und Rule of Reason . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 C. Rechtliche Grundlagen, Systematik und Entwicklung der europäischen Missbrauchsaufsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 I. Das Missbrauchsverbot des Art. 102 AEUV im Regelungssystem des europäischen Wettbewerbsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 1. Der Missbrauchsbegriff – Voraussetzungen einer missbräuchlichen Ausnutzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 a) Überblick: Ansätze einer begrifflichen Eingrenzung und Auslegung kartellrechtlicher Verbotsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 b) Konzeptionelle Grundlagen des Missbrauchsverbots und Formen des Missbrauchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 2. Behinderungsmissbräuche im System der europäischen Missbrauchskontrolle 30 II. Ökonomisierung des europäischen Wettbewerbsrechts: Der more economic approach und seine Implikationen für die Anwendung des Missbrauchsverbots nach Art. 102 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 1. Der more economic approach als Leitbild der Reformen: Gründe für die Ökonomisierung des europäischen Wettbewerbsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 a) Allgemeine Merkmale: Versuch einer Begriffsdefinition . . . . . . . . . . . . . . 34 b) Der more economic approach in der Rechtspraxis: Konkrete Umsetzung des neuen Leitbildes durch Reformen des europäischen Wettbewerbsrechts 35 2. Der more economic approach in der unionsrechtlichen Missbrauchsaufsicht: Die Modernisierung des Art. 102 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 a) Report der European Advisory Group (EAGCP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 aa) Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 bb) Zusammenfassung und kritische Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 b) Das Diskussionspapier der Europäischen Kommission aus dem Jahr 2005 39 aa) Auswirkungsbasierter Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 bb) Effizienzeinwand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39

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Inhaltsverzeichnis cc) Schutzzielverschiebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 c) Die Prioritätenmitteilung der Europäischen Kommission von 2009 . . . . . . 40 aa) Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 (1) Die Rolle des AEC-Tests: Der Test als Prüfungsmaßstab für alle Formen des preisbezogenen Behinderungsmissbrauchs . . . . . . . . . 42 (a) Ausgangspunkt und konzeptionelle Grundlagen . . . . . . . . . . . . 42 (b) Funktionsweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 (c) Exkurs: Erläuterung der Kostenbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 (d) Vorläufige Bewertung: Praktikabilität, Limitationen und Herausforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 (2) Weitere Aspekte der Prioritätenmitteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 (a) Schutzzielverschiebung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 (b) Rechtfertigungsmöglichkeiten: Effizienzeinrede und objektive Notwendigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 bb) Rechtliche Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 cc) Bewertung und kritische Würdigung: Die Prioritätenmitteilung als Wendepunkt in der Beurteilung von Behinderungsmissbräuchen? . . . 49 3. Zwischenfazit: Grenzen und Möglichkeiten des more economic approach als Leitbild für eine Ökonomisierung des europäischen Wettbewerbsrechts . . . . 51

D. Die Beurteilung von preisbezogenen Behinderungsmissbräuchen in der Rechtsprechung: Analyse der Entscheidungspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 I. Kampfpreise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 1. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 2. Bisherige Beurteilungspraxis im europäischen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 a) AKZO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 aa) Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 bb) Entscheidung der Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 cc) Entscheidung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 dd) Rechtliche Einordnung und Relevanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 b) Tetra Pak II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 aa) Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 bb) Entscheidung der Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 cc) Entscheidung der europäischen Gerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 dd) Rechtliche Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 c) Compagnie maritime belge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 aa) Sachverhalt und Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 bb) Entscheidung der Unionsgerichte und rechtliche Einordnung . . . . . . . 61 d) France Télécom (Wanadoo) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 aa) Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 bb) Entscheidung der Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63

Inhaltsverzeichnis

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cc) Entscheidung der europäischen Gerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 dd) Rechtliche Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 3. Neue Entwicklungen: Ansätze zur Bewertung von Kampfpreisen in der Prioritätenmitteilung der Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 a) Wettbewerbswidrige Marktverschließung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 b) Sacrifice-Test . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 c) Zwischenfazit und Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 4. Post Danmark I: Umsetzung der neuen Maßstäbe in die Rechtsprechung? . . 68 a) Sachverhalt und Ausgangsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 b) Entscheidung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 c) Relevanz und rechtliche Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 5. Zusammenfassung und kritische Würdigung: Die Beurteilung von Kampfpreisen in einem ökonomisierten Kartellrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 II. Kosten-Preis-Schere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 1. Die Bedeutung der Kosten-Preis-Schere als selbstständige Missbrauchsform: Entwicklung der bisherigen Entscheidungspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 a) Deutsche Telekom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 aa) Marktumfeld und Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 bb) Verbotsentscheidung der Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 cc) Weiterer Verfahrensgang vor den Unionsgerichten . . . . . . . . . . . . . . . 78 dd) Rechtliche Einordnung und Relevanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 b) Wanadoo España/Telefónica . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 aa) Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 bb) Entscheidung der Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 cc) Entscheidung der Europäischen Gerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 dd) Rechtliche Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 c) RWE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 d) TeliaSonera . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 aa) Hintergrund und Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 bb) Entscheidung des EuGH und rechtliche Einordnung . . . . . . . . . . . . . . 84 2. Zwischenergebnis: Kriterien der Missbräuchlichkeit von Kosten-Preis-Scheren und Prüfungsmaßstab der europäischen Gerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 a) Allgemein: Die Kosten-Preis-Schere im System der Missbrauchsaufsicht 86 aa) Kosten-Preis-Schere als eigenständige Missbrauchsform . . . . . . . . . . . 86 bb) Stellung des integrierten Unternehmens auf beiden Marktstufen . . . . . 87 b) Prüfungsmaßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 aa) Auswirkungsnachweis bei Kosten-Preis-Scheren . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 bb) Relevanter Beurteilungsmaßstab: Anwendung des AEC-Tests . . . . . . 89 cc) Unentbehrlichkeit des Vorprodukts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 c) Neuerungen in der Prioritätenmitteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90

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Inhaltsverzeichnis d) Zusammenfassung und eigene Bewertung: Die Beurteilung von KostenPreis-Scheren im europäischen Wettbewerbsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 III. Rabattsysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 1. Ausgangslage und praktische Relevanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 2. Definitionen: Rabattarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 a) Bedingte Rabattsysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 aa) Treuerabatte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 bb) Zielrabatte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 cc) Funktionsrabatte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 b) Unbedingte Rabatte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 3. Entscheidungspraxis der europäischen Gerichte: Tradierte Maßstäbe zur Beurteilung von Rabattsystemen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 a) Suiker Unie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 aa) Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 bb) Urteil des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 cc) Rechtliche Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 b) Hoffmann-La Roche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 aa) Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 bb) Entscheidung der Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 cc) Entscheidung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 dd) Rechtliche Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 c) Michelin I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 aa) Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 bb) Entscheidung der Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 cc) Urteil des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 dd) Rechtliche Einordnung und Relevanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 d) Irish Sugar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 aa) Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 bb) Entscheidung der Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 cc) Urteil des EuG und rechtliche Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 e) Michelin II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 aa) Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 bb) Entscheidung der Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 cc) Entscheidung des Europäischen Gerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 dd) Rechtliche Bewertung und Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 f) British Airways . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 aa) Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 bb) Entscheidung der Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 cc) Entscheidung des europäischen Gerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 dd) Rechtliche Einordnung und Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109

Inhaltsverzeichnis

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g) Tomra . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 aa) Sachverhalt und Verfahrensgang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 bb) Entscheidung der Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 cc) Weiterer Gang des Verfahrens und Entscheidungen der europäischen Gerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 dd) Rechtliche Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 4. Zwischenergebnis: Auswertung und Analyse erster Erkenntnisse zur Beurteilung von Rabattsystemen in der Rechtspraxis der europäischen Gerichte

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a) Prüfungsvorgaben für die Missbräuchlichkeit eines Rabattsystems . . . . . . 117 aa) Allgemeiner Prüfungsmaßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 (1) Verdrängungswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 (2) Wettbewerbswidrige Auswirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 (3) Relevanz des AEC-Tests . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 bb) Beurteilung der Rabatte in Abhängigkeit von ihrer Form . . . . . . . . . . 118 (1) Treuerabatte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 (2) Mengenrabatte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 (3) Zielrabatte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 cc) Zusammenfassung und erste Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 b) Kritik an der europäischen Rechtspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 c) Neuer Ansatz der Kommission zur Bewertung von Rabattsystemen . . . . . 122 aa) Neuer Prüfungsrahmen: Vertiefte Wirkungsanalyse und Effizienzeinrede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 (1) Aufwertung des As efficient competitor-Tests . . . . . . . . . . . . . . . . 123 (2) Effizienzeinrede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 bb) Zwischenergebnis: Zusammenfassung und eigene Bewertung . . . . . . 124 5. Neue Tendenzen der Rechtsprechung nach der Prioritätenmitteilung? – Post Danmark II und Intel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 a) Der Fall „Post Danmark II“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 aa) Sachverhalt und Verfahrensgang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 bb) Vorlagefragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 cc) Entscheidung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 (1) Allgemeiner Maßstab: Kriterien für die Beurteilung von Rabattsystemen marktbeherrschender Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . 126 (2) Relevanz des AEC-Tests . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 (3) Wahrscheinlichkeit und de-minimis-Schwelle . . . . . . . . . . . . . . . . 128 dd) Rechtliche Einordnung und Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 b) Der „Intel“-Fall: Klarstellung oder Umbruch? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 aa) Überblick und Relevanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 bb) Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 cc) Entscheidung der Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 dd) Entscheidung des Europäischen Gerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132

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Inhaltsverzeichnis ee) Schlussanträge des Generalanwalt Wahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 (1) Inhalt der Schlussanträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 (2) Kritische Würdigung und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 ff) Entscheidung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 6. Die Zukunft der Missbrauchsaufsicht über Rabattsysteme nach Intel: Evolution oder Revolution? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 a) Allgemeiner Prüfungsmaßstab: Erfordernis eines Auswirkungsnachweises? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 aa) Darlegungs- und Beweislastverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 bb) Relevanz des AEC-Tests . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 b) Künftige Relevanz der per se Kategorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 c) Die Form des Rabatts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 d) Konsequenzen für die Bußgeldpraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 e) Gültigkeit einer de-minimis-Schwelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 f) Eigene Bewertung und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153

E. Vergleichende und zusammenfassende Betrachtung: Gesamtanalyse und Bewertung der Rechtsprechung zu Art. 102 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 I. Allgemeine Beurteilungskriterien missbräuchlicher Behinderung in der Rechtsanwendungspraxis der europäischen Gerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 1. Leistungswettbewerb als Oberkriterium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 2. Besondere Verantwortung des marktbeherrschenden Unternehmens . . . . . . . 158 3. Subjektive Elemente: Verdrängungsabsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 4. Zusammenfassung und kritische Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 II. Prüfungsmaßstäbe zur Beurteilung konkreter Fallgruppen der missbräuchlichen Behinderung: Vorgaben aus dem Maßstab der rechtlichen Konsistenz . . . . . . . . 164 1. Rechtliche Konsistenz als Ausdruck eines effektiven Rechtsschutzes . . . . . . 164 2. Konsistenz der Maßstäbe der europäischen Gerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 a) Rechtsnatur des Art. 102 AEUV: Das Missbrauchsverbot als Gefährdungsdelikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 b) Maßstab für die Missbräuchlichkeit: Die Erforderlichkeit von Auswirkungsnachweisen bei preisbezogenen Behinderungsmissbräuchen . . . . . . 166 c) Notwendigkeit der Durchführung eines Preis-Kosten-Vergleiches bei preisbezogenen Behinderungsmissbräuchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 d) Zwischenergebnis: Maßstäbe der Spruchpraxis zur Beurteilung preisbezogener Behinderungsmissbräuche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 3. Gefahren unterschiedlicher Maßstäbe: Die Kategorisierung missbräuchlichen Verhaltens als Fehlerquelle in der Fallpraxis? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175

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4. Erklärungsansätze für die Praxis der europäischen Gerichte: Unterschiedliche Prüfungsmaßstäbe als Ausdruck von Kontinuität? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 a) Historische Vorbedingungen: Die Rechtsprechung zu Art. 102 AUEV im Lichte der Entwicklung der einzelnen Fallgruppen des preisbezogenen Behinderungsmissbrauchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 b) Die Anwendung des AEC-Tests auf Rabatte: Konsistenz durch einheitliche Maßstäbe? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 aa) Rabattsysteme als Ausdruck einer Marktabschottung: Wesensmerkmale der Kundenbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 bb) Praktikabilität des As efficient competitor-Tests für Rabatte . . . . . . . . 184 cc) Beurteilung von Rabattsystemen: Drei Kategorien als Ausdruck eines konsistenten Wertungsrahmens? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 dd) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 c) Bezweckt und bewirkt: Die Zweiteilung als Ausdruck eines dogmatischen Ansatzes zur Beurteilung marktschädlichen Verhaltens . . . . . . . . . . . . . . . 192 d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 5. Abgleich mit der rechtstheoretischen Ökonomie: Implikationen einer optimalen Regelgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 a) Vorüberlegungen: Rechtssicherheit, Einzelfallgerechtigkeit und Justiziabilität im Spannungsfeld der Missbrauchsaufsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 b) Ziele einer ökonomischen Regeloptimierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 aa) Minimierung von Entscheidungsfehlern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 bb) Regulierungskosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 c) Eigengesetzlichkeiten des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 d) Konkrete Ansätze zur Regelgestaltung: Einzelfallorientierte rule of reason oder ökonomiebasierte Regeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 e) Eigene Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 6. Alternativkriterien zur Beurteilung von Behinderungsmissbräuchen im Schrifttum der modernen Wettbewerbsökonomie: Alternativen zum AECTest . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 a) Auswirkungen auf die Verbraucher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 b) Die Situation des Marktbeherrschers: Inkaufnahme von Verlusten als Ausdruck eines missbräuchlichen Verhaltens? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 aa) Profit Sacrifice-Test . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 bb) No economic sense-Test . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 7. Konsistenz in der europäischen Rechtspraxis und Konsequenzen für die Rechtanwendungspraxis: Thesen zur Missbrauchsaufsicht . . . . . . . . . . . . . . . 210 a) Die Rechtsprechung ist „effektbasiert“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 b) Konsequenzen für die Rechtsanwendungspraxis: Rechtssicherheit durch regelorientierte Wettbewerbspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 8. Schlussbetrachtung: Konsistenz in der Rechtsprechung der Unionsgerichte zu preisbezogenen Behinderungsmissbräuchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217

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F. Gesamtsystem der europäischen Wettbewerbsregeln: Implikationen des Kartellverbots nach Art. 101 AEUV für die Anwendung des Art. 102 AEUV . . . . . . . 221 I. Einheitliche Maßstäbe der Rechtsanwendung: Konsistenz der europäischen Rechtsprechung im Gesamtgefüge des europäischen Kartellrechts . . . . . . . . . . . 221 1. Art. 101 AEUV und Art. 102 AEUV im Regelungssystem des europäischen Wettbewerbsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 2. Das Kartellverbot des Art. 101 AEUV: Überblick über den Regelungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 II. Das Spürbarkeitserfordernis: Grundsätze der Übertragbarkeit auf Art. 102 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 1. Entwicklungslinien und Anwendungsgrundsätze der Spürbarkeit in der Rechtsprechung zu Art. 101 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 2. De-minimis-Schwelle für Art. 102 AEUV – Grundzüge einer Übertragung des Spürbarkeitserfordernisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 a) Vorbedingungen einer Übertragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 b) Quervergleich mit der Bündeltheorie: Das Urteil des EuGH in Delimitis 226 aa) Sachverhalt und Entscheidung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 bb) Rechtliche Einordnung und Implikationen für die Anwendung des Art. 102 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 c) Ablehnung des Erfordernisses in der Rechtsprechung zu Art. 102 AEUV 230 d) Mögliche Erklärungsansätze für die Anwendung unterschiedlicher Maßstäbe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 aa) Marktbeherrschende Stellung als Anknüpfungspunkt . . . . . . . . . . . . . 231 bb) Treuerabattgestaltungen als bezweckte Wettbewerbsbeschränkung . . . 232 cc) Möglichkeiten der Wettbewerber: Relevanz auch geringer Marktabschottung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 dd) Effekte: Marktanteilsschwelle aus Ausdruck eines auswirkungsbasierten Ansatzes? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 ee) Zurechnungserwägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 e) Zwischenergebnis und kritische Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 3. Cartes Bancaires und Intel: Ausdruck eines Wertungsgleichklangs bei bezweckten Wettbewerbsbeschränkungen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 a) Sachverhalt und Entscheidung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 b) Eigene Bewertung und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 III. Zusammenfassung und rechtliche Würdigung: Implikationen für eine kohärente Anwendung von Art. 101 AEUV und Art. 102 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 G. Schlussfolgerungen und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 I. Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243

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II. Zusammenfassung in Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 1. Konsistenz der europäischen Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 a) Konsistenz der Rechtsprechung zu Art. 102 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 b) Kohärenz der Rechtsanwendung: Die Prioritätenmitteilung der Kommission und die Rechtsprechung der Unionsgerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 c) Kohärenz im Hinblick auf die Gesamtsystematik: Art. 101 AEUV und Art. 102 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 2. Ökonomisierung der Rechtsanwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 a) Schutzzweck des europäischen Missbrauchsverbots: Konsumentenwohlfahrt und Wettbewerbsfreiheit als Ausdruck eines Zielepluralismus . . . . . 246 b) Gültigkeit und Relevanz des more economic approach . . . . . . . . . . . . . . . 247 c) Effects-based approach oder form-based approach . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 d) Eignung und zukünftige Relevanz des AEC-Tests als Prüfungsmaßstab für preisbezogene Behinderungsmissbräuche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 III. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264

A. Einleitung I. Das Problem Kaum ein anderes Thema hat die europäische Kartellrechtspraxis und die juristische Literatur in den vergangenen Jahren so bewegt wie der Missbrauch von Marktmacht und die sich daran anschließenden Themenkomplexe. Die Abgrenzung zwischen wettbewerbsfördernden und missbräuchlichen Verhaltensweisen ist eine der anspruchsvollsten Fragestellungen des europäischen Kartellrechts. Dies liegt vor allem an der Ambivalenz der gegenständlichen Missbrauchspraktiken. Wesentliche Elemente der Auslegung des Missbrauchsverbots sind daher fortwährend Gegenstand rechtspolitischer Erörterungen. Mit welchen Methoden ist der Nachweis eines Missbrauchs zu erbringen? Sollen dabei vorwiegend quantitative oder qualitative Kriterien zur Anwendung gelangen? Gerade beim preisbezogenen Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung bestehen große Schwierigkeiten bei der Grenzziehung zwischen aggressivem, aber legalem Preiswettbewerb und kartellrechtswidriger Preissetzung. Daher ist die Rechtspraxis fortwährend vor die Herausforderung gestellt, Maßstäbe zu entwickeln, die diesem Spannungsverhältnis gerecht werden. In den letzten Jahren war die hergebrachte Entscheidungspraxis der europäischen Gerichte zu dieser Fallgruppe vermehrt Gegenstand erheblicher Kritik. Es wird insbesondere das Fehlen eines einheitlichen konsistenten Bewertungsrahmens zur Abgrenzung von legitimen Verhaltensweisen und missbräuchlichen Praktiken beklagt.1 Den Unionsgerichten wird in erster Linie eine mangelnde Bereitschaft zur Berücksichtigung ökonomischer Erkenntnisse und Analysen vorgehalten. Vor diesem Hintergrund wird bemängelt, dass die europäischen Gerichte unter Anwendung formbasierter per se Verbote Aspekte der modernen Wohlfahrtsökonomie unberücksichtigt lassen und so im Ergebnis Wettbewerber anstelle des Wettbewerbs schützen.2 In diesem Spannungsfeld bewegt sich auch die Diskussion um die durch die Europäische Kommission initiierte Neuausrichtung der europäischen Missbrauchsaufsicht über Behinderungsmissbräuche. Diese strebt eine stärkere ökonomische Fundierung der Anwendung des Wettbewerbsrechts und den Einsatz quan1

739.

Peeperkorn, Concurrences N83-2015, 40; Ibañez Colomo, C.M.L. Rev. 53 (2016), 709 –

2 Rousseva, Rethinking Exclusionary Abuses in EU Competition Law, 2010; Niels/Jenkins, ECLR 2005, 605 f.; vgl. zu diesem Vorwurf auch Paul, Behinderungsmissbrauch nach Art. 82 EG und der „more economic approach“, S. 141; Whish/Bailey, Competition Law, S. 204; Wurmnest, Marktmacht und Verdrängungsmissbrauch, S. 4.

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A. Einleitung

titativer Methoden zur Beurteilung preisbezogener Behinderungsmissbräuche an. Der neue Ansatz der Kommission begegnet aber auch kritischen Stimmen.3 Der rechtswissenschaftlichen Literatur, aber auch einigen Urteilen der europäischen Gerichte, ist ein gewisses Misstrauen gegenüber ökonomisch geprägten Ansätzen zu entnehmen. Dabei tritt vor allem der Widerwille zutage, das Primat des Rechts aufzugeben. Vor diesem Hintergrund haben die Gerichte diesen verstärkt ökonomischen Ansatz bislang nur teilweise und mit einer gewissen Zurückhaltung adaptiert. Anlass zu einer genaueren Untersuchung der Dogmatik zu Art. 102 AEUV geben insbesondere die neuere Entwicklung und die Anwendung des sog. As efficient competitor-Tests in der Spruchpraxis. Wenngleich die Prioritätenmitteilung bereits aus dem Jahr 2009 stammt, so hat sie jedoch erst durch die jüngeren Urteile des Europäischen Gerichtshofs in Post Danmark II4 aus dem Jahr 2015 und Intel5 aus dem Jahr 2017 eine gerichtliche Überprüfung erfahren. Insbesondere das nun bereits seit fast 10 Jahren andauernde Verfahren in Intel6 ist zu einem Präzedenzfall für rechtspolitische Diskussionen im europäischen Wettbewerbsrecht geworden. Diese Entscheidungen der Unionsgerichte geben daher Gelegenheit, die Umsetzung des more economic approach und damit zusammenhängende Muster in der Rechtsprechung zu untersuchen, um daraus einen Erkenntnisgewinn für die konsistente Anwendung des Missbrauchsverbots durch die europäischen Gerichte zu erlangen. Die Notwendigkeit einer eingehenden Analyse der Rechtsprechung der europäischen Gerichte zu Behinderungsmissbräuchen ergibt sich dabei auch aufgrund der sehr unterschiedlichen Interpretation der Entscheidungen der Kommission und der Urteile der europäischen Gerichte. Auch die daraus resultierende umfassende Debatte um die Anwendung des Art. 102 AEUV hat nichts an Aktualität eingebüßt. Hierbei soll aufgezeigt werden, ob sich der von der Kommission propagierte, verstärkt ökonomische Ansatz bei der Anwendung des Missbrauchsverbots durchgesetzt hat und in welcher Weise dieser Ansatz Einfluss auf die Konsistenz der angewandten Maßstäbe bei der Untersuchung einer Verhaltensweise nach Art. 102 AEUV ausübt. Neben der formalen Umsetzung des Ansatzes der Kommission wird auch dessen inhaltliche Dimension umfassend dargestellt und mit dem bisher durch die Rechtsprechung praktizierten Ansatz verglichen. An diesen Erkenntnissen soll

3 Basedow, WuW 2007, 712; Behrens, in: Festschrift Schäfer, S. 457 ff.; Böge, WuW 2004, 726; Immenga, WuW 2006, 463; Lovdahl Gormsen, ECLR 2010, 45; Schmidt, WuW 2005, 877; Wils, World Competition 37 (2014), 405. 4 EuGH, Urteil vom 6. 10. 2015, Rs. C-23/14, EU:C:2015:651 – Post Danmark II. 5 EuGH, Urteil vom 6. 9. 2017, Rs. C-413/14 P, EU:C:2017:632 – Intel. 6 Diese Zeitangabe bezieht sich auf das Rechtsmittelverfahren nach der Entscheidung der Kommission aus dem Jahr 2009. Das Verfahren gegen Intel wurde durch eine Beschwerde des Wettbewerbers AMD im Jahr 2000 in Gang gesetzt, woraufhin die Kommission im Jahr 2004 erste Ermittlungen einleitete, vgl. Kommission, Entscheidung vom 13. 5. 2009, COMP/C-3/ 37.990, Rn. 5 ff. – Intel.

II. Stand der Forschung und Ziel der Untersuchung

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die bestehende, vorwiegend ökonomisch motivierte Kritik an der Rechtsprechungspraxis gemessen werden. Nicht nur das Bestehen konsistenter Maßstäbe für die Beurteilung preisbezogener Behinderungsmissbräuche nach Art. 102 AEUV wurde in Zweifel gezogen, sondern auch die Implikationen, die der bisherige Rahmen für die Beurteilung ähnlicher Verhaltensweisen unter Art. 101 AEUV hat.7 In einem System wettbewerbsrechtlicher Normen, das von einer Säulenstruktur geprägt ist, dürfen keine Wertungswidersprüche zwischen den beiden zentralen Vorschriften des europäischen Kartellrechts bestehen. Während die Rechtsprechung bei der Anwendung des Art. 101 AEUV bestimmten Verhaltensweisen positive Wirkungen zuschreibt, wird davon ausgegangen, dass dies unter Art. 102 AEUV nur in bestimmten Ausnahmefällen der Fall ist. Vor diesem Hintergrund gilt es zu untersuchen, ob dieser unterschiedliche Ansatz hinreichend erklärbar ist.

II. Stand der Forschung und Ziel der Untersuchung Es gibt einige Forschungsprojekte8 sowie monographische Abhandlungen9, die sich mit preisbezogenen Behinderungsmissbräuchen befassen. In der wissenschaftlichen Auseinandersetzung fehlt es bislang jedoch an einer eingehenden Analyse der Rechtsprechung zu allen Formen des preisbezogenen Behinderungsmissbrauchs nach Art. 102 AEUV im Hinblick auf die Konsistenz der angewandten Beurteilungsmaßstäbe. Monographische Abhandlungen konzentrieren sich zumeist auf einzelne Formen des Behinderungsmissbrauchs10, haben Aspekte der Umsetzung des more economic approach11 oder den As efficient competitor-Test12 zum Ge7

709.

Peeperkorn, Concurrences N83-2015, S. 40 – 50; Ibañez Colomo, C.M.L. Rev. 53 (2016),

8 So das Forschungsprojekt „Preisbezogene Behinderungsmissbräuche“ von Prof. Bien an der Universität Würzburg. 9 Wurmnest, Marktmacht und Verdrängungsmissbrauch, 2012. 10 So z. B. für Rabatte Bodenstein, Kartellrechtliche Bewertung von Rabatten marktbeherrschender Unternehmen, 2013 und Richter, Mengen- und umsatzbezogene Rabatte marktbeherrschender Unternehmen in den Grenzen des Art. 102 AEUV, 2013; Asbach, Treuerabatte und Rabatte mit Treuewirkung als Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung gem. Art. 102 AEUV – Unter Berücksichtigung der Durchsetzungsprioritäten der Kommission bei der Beurteilung von Behinderungsmissbräuchen und der Entwicklung im amerikanischen Antitrust Law, 2011; für Kampfpreise Pries, Kampfpreismissbrauch im ökonomisierten EGKartellrecht, 2009, und für Kosten-Preis-Scheren Berg, Missbrauch von Marktmacht durch Kosten-Preis-Scheren im europäischen und US-amerikanischen Kartellrecht, 2015; HenkMerten, Die Kosten-Preis-Schere im Kartellrecht, 2004; Petzold, Die Kosten-Preise-Schere im EU-Kartellrecht, 2012. 11 Wolters, Die rechtsstaatlichen Grenzen des „more economic approach“ im Lichte der europäischen Rechtsprechung, 2015. 12 Rummel, Rechtssicherheit bei der Anwendung des equally efficient competitor-Tests, 2015.

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A. Einleitung

genstand, während in der rechtswissenschaftlichen Literatur viel Augenmerk auf den more economic approach und seine Umsetzung in der Praxis gerichtet wird. Insgesamt scheint die Debatte von ökonomischen Erwägungen überlagert, während rechtlich-dogmatische Gesichtspunkte zunehmend in den Hintergrund gedrängt werden.13 Insoweit ergibt sich ein Ergänzungsbedarf im Forschungsstand, insbesondere hinsichtlich der wichtigen Frage, ob die Rechtsprechung konsistente Maßstäbe zur Bewertung preisbezogener Behinderungsmissbräuche entwickelt hat und anwendet. Dies gilt nun insbesondere vor dem Hintergrund des kürzlich ergangenen IntelUrteils des EuGH, dass das Verfahren gegen den Chip-Hersteller zu einem vorläufigen Schlusspunkt bringt und so die willkommene Gelegenheit bietet, die Konsistenz der Maßstäbe der Rechtsprechung zu untersuchen. Die Arbeit versucht diese Lücke zu schließen und im Ergebnis eine Bewertung dazu abzugeben, ob der von den Unionsgerichten verfolgte Ansatz zur Beurteilung von preisbezogenen Behinderungsmissbräuchen in sich stimmig ist und durch ökonomische Gegebenheiten und andere Gesichtspunkte zu begründen ist. So soll differenziert herausgestellt werden, ob die europäischen Gerichte unterschiedliche Maßstäbe für ähnliche Verhaltensweisen anlegen und für etwaige Unterschiede Erklärungsansätze aufgezeigt werden. Hierbei ist zu untersuchen, ob die europäischen Gerichte und die Kommission ein in sich schlüssiges Beurteilungssystem zu preisbezogenen Behinderungsmissbräuchen entwickelt haben. Gegebenenfalls soll hierbei Verbesserungsbedarf ermittelt werden und Lösungsvorschläge unterbreitet werden. Im Vordergrund sollen die Aspekte der Praktikabilität, die Nachvollziehbarkeit und die Rechtssicherheit stehen. Darüber hinaus geht die Untersuchung noch einen Schritt weiter und untersucht auch das Verhältnis des Missbrauchsverbots zum Kartellverbot nach Art. 101 AEUV. Den Schwerpunkt der Arbeit bildet dazu eine eingehende Untersuchung der einschlägigen Rechtsprechung zu den relevanten Fallgruppen. Hierbei bilden neben den Kommissionsentscheidungen, den Entscheidungen des Europäischen Gerichts und den Urteilen des Europäischen Gerichtshofs die Schlussanträge der Generalanwälte eine weitere primäre Erkenntnisquelle. Diese gewähren weitere Einblicke in die dem Fall zugrunde liegenden Erwägungen und enthalten teilweise tiefere Erörterungen zu einzelnen Rechtsfragen. Dabei kann die Untersuchung nicht den Anspruch einer vollständigen Darstellung der Rechtsprechung in jeder kleinsten Nuancierung haben. Daher wird sich die Untersuchung auf ausgewählte Problemstellungen konzentrieren. Hier gibt der zentrale Untersuchungsgegenstand der Konsistenz der zur Anwendung gelangenden Maßstäbe bereits den engeren Prüfungsrahmen vor.

13 So auch Wurmnest, Marktmacht und Verdrängungsmissbrauch, S. 8; Ibañez Colomo, C.M.L. Rev. 53 (2016), 709.

III. Gang und Methodik der Untersuchung

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III. Gang und Methodik der Untersuchung Das soeben skizzierte Untersuchungsprogramm ist in fünf Schritte gegliedert. Im 1. Abschnitt erfolgt nach einem kurzen einführenden Teil zur Terminologie eine Darstellung der rechtlichen Grundlagen, der Systematik und der Entwicklung der europäischen Missbrauchsaufsicht vor dem Hintergrund der Reformbestrebungen der letzten Jahre. Der 2. Teil dieses Abschnitts widmet sich der Skizzierung des more economic approach, seiner Umsetzung in die Rechtspraxis sowie seiner Einordnung in ökonomische Leitbilder. Im 2. Abschnitt wird die Rechtsprechung zu den einzelnen Formen des preisbezogenen Behinderungsmissbrauchs anhand wichtiger Entscheidungen der Unionsgerichte dargestellt und analysiert. Im Anschluss werden die Beurteilungsmaßstäbe für die einzelnen Fallgruppen in einem 3. Abschnitt herausgearbeitet und miteinander verglichen, um diese im Hinblick auf ihre Stimmigkeit einer vergleichenden Bewertung zu unterziehen. In einem 4. Abschnitt erfolgt die Einbettung der Ergebnisse des 3. Prüfungsabschnitts in die Gesamtsystematik der europäischen Wettbewerbsregeln vor dem Hintergrund der Anwendung des Art. 101 AEUV auf vergleichbare Verhaltensweisen. Ein besonderer Fokus liegt dabei auf der Fallgruppe der Rabattsysteme, hinsichtlich derer sich insbesondere im Hinblick auf die Notwendigkeit einer Spürbarkeitsschwelle Überschneidungen mit dem Kartellverbot ergeben. Hier soll untersucht werden, ob im Gesamtsystem des europäischen Wettbewerbsrechts zwischen Art. 101 AEUV und Art. 102 AEUV ein Wertungsgleichklang besteht. Im 5. Abschnitt werden die Ergebnisse der Untersuchung in Thesenform präsentiert und ein Ausblick gewagt. In methodischer Hinsicht wählt die Arbeit eine induktive Vorgehensweise. Die Rechtsprechung zu den einzelnen Fallgruppen des preisbezogenen Behinderungsmissbrauchs soll im Einzelnen dargestellt werden und daraus sollen allgemeine Aussagen zur Beurteilung von Behinderungsmissbräuchen abgeleitet werden. Im Anschluss soll der so erarbeitete Analyserahmen einer zusammenfassenden Betrachtung unterzogen werden und dabei unter dem Aspekt der Konsistenz untersucht werden. Dahinter steht die Überlegung, dass das europäische Kartellrecht nicht mithilfe einer abstrakten Debatte durchdrungen werden kann, sondern sich in der konkreten Fallpraxis äußert. Eine Vorgehensweise unter Ausblendung etwaiger Vorwertungen ist daher am besten geeignet, die Rechtsprechung zu analysieren. Um die Maßstäbe der Rechtsprechung zur Bewertung von preisbezogenen Behinderungsmissbräuchen vergleichen zu können, bedarf es eines Vergleiches anhand konkreter Fallgruppen. Hierzu wurden die Kampfpreise, Kosten-Preis-Schere und Rabattsysteme als Formen des preisbezogenen Behinderungsmissbrauchs für diese Untersuchung ausgewählt. Die Erörterung des Untersuchungsgegenstandes erfolgt dabei aus rechtswissenschaftlicher Perspektive. Aufgrund des interdisziplinären Charakters des Kartellrechts werden jedoch auch ökonomische Theorien und Ansätze zum Missbrauchsverbot an geeigneter Stelle in die Erörterung einbezogen. Vordergründig finden dabei ökonomische Erwägungen Berücksichtigung, soweit es um die Reformbestrebungen

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A. Einleitung

der letzten Jahre oder Erkenntnisse für die Anwendung des Missbrauchsverbots aus der ökonomischen Theorie zur Regelgestaltung geht. Eine umfassende Untersuchung des Missbrauchsverbots nach Art. 102 AEUV kommt nicht ohne die Berücksichtigung der kartellrechtlichen Auseinandersetzung in der US-amerikanischen Literatur und Rechtspraxis aus. Es sollen daher an geeigneter Stelle Parallelen und Unterschiede zu der US-amerikanischen Rechtspraxis und -theorie aufgezeigt werden, um hinsichtlich einzelner Aspekte die Lösungsansätze der europäischen Rechtspraxis in Kontrast zu setzen, ohne dass im Stile einer rechtsvergleichenden Abhandlung die einzelnen Aspekte in aller Ausführlichkeit berücksichtigt werden.

B. Terminologische Abgrenzungen Im Interesse sprachlicher Klarheit werden an dieser Stelle kurz die in der Arbeit verwendeten Begrifflichkeiten und Synonyme und das der Untersuchung zugrunde liegende Begriffsverständnis erläutert. Es geht hier nicht um eine abschließende Darstellung der gebräuchlichen Begrifflichkeiten. Die Erläuterungen sind vielmehr bewusst knapp gehalten und orientieren sich an den gängigen Definitionen, da die jeweiligen Terminologien im Kontext der betreffenden inhaltlichen Ausführungen genauer dargestellt werden. Hierbei ist vor allem wichtig, sich vor Augen zu führen, dass die verwendeten Begrifflichkeiten nur im begrenzten Maße geeignet sind, die Rechtsprechung der europäischen Gerichte zu beurteilen. Dies liegt daran, dass diese wettbewerbspolitisch besetzt sind und daher zugleich immer Ausdruck eines Werturteils sind. Gleichwohl darf es einer rechtsdogmatischen Untersuchung nicht an der Einbindung dieser gebräuchlichen Terminologien fehlen, da diese Eingang in die Debatte gefunden haben und gemeinhin verwendet werden.

I. Zu den Begriffen formbasiert und effektbasiert Das erste Gegensatzpaar sind die Begrifflichkeiten des formbasierten (form-based approach) und des effektbasierten14 (effects-based approach) Ansatzes. Bei der Anwendung des formbasierten Ansatzes wird der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung primär an verhaltensbezogenen Tatbestandsmerkmalen festgemacht, die in der Regel auf wettbewerbswidrige Auswirkungen hindeuten, aber keinen Nachweis dieser Auswirkungen im Einzelfall erfordern.15 Im Rahmen dieses Ansatzes werden subsidiär absichtsbezogene Tatbestandsmerkmale herangezogen. Dieser Ansatz basiert auf einer typisierenden, generalisierten Betrachtung anhand von Erfahrungssätzen und trägt formal-juristische Züge. Er bringt zugleich eine gewisse Pauschalierung mit sich, da das Erfordernis einer Subsumtion unter der Norm das Vorhandensein von verallgemeinerungsfähigen abstrakt-generellen Regeln voraussetzt. Der effektbasierte Ansatz sieht hingegen vor, dass Verhaltensweisen, die für das Missbrauchsverbot relevant sind, stärker anhand ihrer Auswirkungen auf den Wettbewerb im Einzelfall untersucht werden. Hierzu sollen verstärkt Methoden der quantitativen Ökonomie zur Anwendung gelangen. Dieser auswir-

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Synonym wird auch die Begrifflichkeit „auswirkungsbasiert“ verwendet. Kellerbauer, in: Möschel (Hrsg.), 50 Jahre Wettbewerbsgesetz in Deutschland und Europa, S. 69, 71. 15

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B. Terminologische Abgrenzungen

kungsorientierte Ansatz wird teils auch als Gegenentwurf zum formbasierten Ansatz verstanden.16

II. Per se Regeln und Rule of Reason Die Terminologien per se rule und rule of reason entstammen der US-amerikanischen Rechtsdogmatik.17 Dort werden diese Begrifflichkeiten als Gegensatzpaare verwendet. Per se Regeln führen entweder zu einem Verbot oder der Erlaubnis einer Verhaltensweise ohne eine Untersuchung der potentiellen oder tatsächlichen Auswirkungen auf den Wettbewerb. Rule of reason hingegen meint die Berücksichtigung positiver und negativer Effekte im Rahmen einer Gesamtabwägung und stützt das Ergebnis auf eine konkrete Betrachtung im Einzelfall.18 Die Verwendung dieser Terminologien im europäischen Wettbewerbsrecht ist jedoch insoweit unpräzise, als dass das marktbeherrschende Unternehmen in der Anwendung des Art. 102 AEUV die Möglichkeit hat, sein als missbräuchlich qualifiziertes Verhalten zu rechtfertigen.19 Ein Verhalten ist demnach nicht per se verboten, sofern es die Voraussetzungen der Verbotsnorm erfüllt. Im europäischen Wettbewerbsrecht stellt sich die oftmals als per se Regeln bezeichnete dogmatische Konzeption daher als Bildung von Fallgruppen dar. Wenngleich die Verwendung dieser Terminologien im Kontext des europäischen Wettbewerbsrechts daher zu Ungenauigkeiten führt und im Grunde nicht wünschenswert ist, so haben diese Begrifflichkeiten ungeachtet dessen Eingang in die europäische Diskussion gefunden und sind als Maßstab der Qualifizierung einer Verhaltensweise als missbräuchlich gebräuchlich.20

16 Schmidt, WuW 2005, 877; Wolters, Die rechtsstaatlichen Grenzen des „more economic approach“ im Lichte der europäischen Rechtsprechung, S. 59. 17 Kerber/Schwalbe, in Münchener Kommentar, Europäisches Wettbewerbsrecht, Einleitung, Rn. 632; Ackermann, Art. 85 Abs. 1 EGV und die rule of reason, S. 6; Nihoul, JECLAP 2014, 521, 527; Kerber, in: Festschrift Möschel, S. 341, 344. 18 Siehe zu den Begrifflichkeiten auch Schmidtchen, in: Festschrift Schäfer, S. 473, 478. 19 Siehe Kellerbauer, in: Möschel (Hrsg.), 50 Jahre Wettbewerbsgesetz in Deutschland und Europa, S. 69, 71 m.w.N. 20 So auch Nihoul zurecht gegen eine Verwendung der US-Terminologien: Nihoul, JECLAP 2014, 521, 527; vgl. auch Italianer, The Object of Effects, Vortrag anlässlich der CRA Annual Brussels Conference, 10. 12. 2014, S. 4.

C. Rechtliche Grundlagen, Systematik und Entwicklung der europäischen Missbrauchsaufsicht Die Anfänge der europäischen Missbrauchsaufsicht gehen auf das Ende des Zweiten Weltkrieges zurück und sind damit vergleichsweise jung. Der Kontrolle wirtschaftlicher Machtstellungen wurde in den Gründerjahren der EWG, anders als im amerikanischen Rechtsdiskurs, kaum Aufmerksamkeit geschenkt. Erste Bestrebungen in Richtung einer gemeinsamen europäischen Wettbewerbspolitik lassen sich im Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS-Vertrag) vom 18. April 1951 finden. Dieser sah in Art. 66 § 5 ein Verbot des Missbrauchs beherrschender Stellungen vor.21 Mit dem EWG-Vertrag von Rom aus dem Jahr 1957 wurden sodann die heute noch relevanten Wettbewerbsregeln eingeführt.22 Der Text des Art. 86 EWG-Vertrag23 (jetzt Art. 102 AEUV24) ist dabei durch die deutsche Delegation vorgeschlagen worden und in seinem Wortlaut25 und Regelungsgehalt seit seinem Inkrafttreten im Jahr 1957 trotz mehrfacher Umverortung im Wesentlichen unverändert.26

I. Das Missbrauchsverbot des Art. 102 AEUV im Regelungssystem des europäischen Wettbewerbsrechts Das in Art. 102 AEUV normierte Missbrauchsverbot bildet neben dem Kartellverbot nach Art. 101 AEUV die zweite Säule des europäischen Wettbewerbsrechts und ist die zentrale Vorschrift der europäischen Missbrauchsaufsicht.27 Diese be21

Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 2 Rn. 3. Durch den Vertrag von Maastricht im Jahre 1992 wurde der EWG-Vertrag in EG-Vertrag umbenannt. 23 Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft vom 25. 3. 1957. 24 Art. 102 AEUV ist am 1. 12. 2009 mit dem Vertrag von Lissabon in Kraft getreten. Einige der in dieser Arbeit zitierten Entscheidungen sind noch unter Geltung der inhaltsgleichen Vorgängernormen Art. 82 EGV bzw. Art. 86 EWGVergangen. Die europäische Fallpraxis wird dabei einheitlich Art. 102 AEUV zugeordnet. 25 Die alte Fassung sah noch den „Gemeinsamen Markt“ statt dem „Binnenmarkt“ vor. 26 Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 16 Rn. 2; Brand, in: Frankfurter Kommentar Kartellrecht, Art. 102 AEUV, Mai 2016, Rn. 139; zum Einfluss der deutschen Kartellrechtsgesetzgebung auf die Entstehung des europäischen Kartellrechts: Korah, in: Pace (Hrsg.), European Competition Law, S. 8 ff. 27 Die Zusammenschlusskontrolle ist auf europäischer Ebene durch die sog. Fusionskontrollverordnung VO 139/2004/EG geregelt und nimmt keinen primärrechtlichen Rang ein. 22

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C. Grundlagen, Systematik und Entwicklung der europ. Missbrauchsaufsicht

schränkt die allgemeine Handlungsfreiheit von Unternehmen in marktbeherrschender Stellung und ist unternehmensadressiert.28 Seine Existenz ist der Erkenntnis, dass auch einseitiges Verhalten marktmächtiger Unternehmen, ebenso wie abgestimmtes Verhalten mehrerer Unternehmen, eine Gefahr für den Wettbewerb darstellen kann, geschuldet.29 Das europäische Kartellrecht verbietet jedoch – anders als das amerikanische Antitrust Law (attempt to monopolize)30 – nicht die Erlangung oder das Innehaben einer marktbeherrschenden Stellung an sich, sondern setzt erst beim Innehaben von Marktmacht an. Konzeptionell beschreibt das Missbrauchsverbot daher ein Verhaltensunrecht. Im Vergleich zu Art. 101 AEUV ist der Missbrauchstatbestand weiter gefasst und beinhaltet stark auslegungsbedürftige Tatbestandsmerkmale. Daher ist hier das Spannungsfeld zwischen Einzelfallgerechtigkeit und Rechtssicherheit besonders ausgeprägt.31 Der Tatbestand des Art. 102 AEUV ist als unmittelbar anwendbare Verbotsnorm konzipiert.32 Er entfaltet in allen Mitgliedstaaten zwingende und direkte Geltung für alle Unternehmen im Sinne des europäischen Kartellrechts.33 Das Missbrauchsverbot des Art. 102 AEUV enthält drei Tatbestandsvoraussetzungen. Zunächst muss das Unternehmen eine beherrschende Stellung auf dem gemeinsamen Markt oder einem wesentlichen Teil desselben einnehmen. Des Weiteren muss ein Missbrauch dieser Stellung vorliegen und zuletzt eine Eignung dieses Missbrauchs, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen (= Zwischenstaatlichkeitsklausel).34 Wenngleich einzelne Aspekte der Feststellung einer marktbeherrschenden Stellung wie die Bestimmung oder der genaue Umfang der erforderlichen Marktanteile umstritten und fortwährend Gegenstand rechtspolitischer Diskussion sind, soll für die vorliegende Arbeit auf weitere Ausführungen zur marktbeherrschenden Stellung verzichtet werden, da diese nicht Gegenstand dieser Untersuchung sind.35 28 Jickeli, in: Festschrift Möschel, S. 309; Huttenlauch/Lübbig, in: Loewenheim/Meessen/ Riesenkampff/Kersting/Meyer-Lindemann, Art. 102 AEUV Rn. 5; Ackermann, in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, § 21 Rn. 3. 29 Bulst, in: Langen/Bunte, Art. 102 AEUV Rn. 1. 30 Sec. 2 Sherman Act: Attempted monopolization requires (1) anticompetitive conduct, (2) a specific intent to monopolize, and (3) a dangerous probability of achieving monopoly power, vgl. Spectrum Sports, Inc. v. McQuillan, 506 U.S. 447, 456 (1993). 31 Kellerbauer, in: Möschel (Hrsg.), 50 Jahre Wettbewerbsgesetz in Deutschland und Europa, S. 69, 72 f.; Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 8; Paul, Behinderungsmissbrauch nach Art. 82 EG und der „more economic approach“, S. 59 ff.; Schmidt, in: Festschrift Bechtold, S. 409, 412 f.; Schmidtchen, WuW 2006, 6, 12 ff. 32 Brinker, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 102 AEUV Rn. 2. 33 Berg, in: Berg/Mäsch, Art. 102 AEUV Rn. 2; Kling/Thomas, Kartellrecht, § 3 Rn. 1. 34 Dieses Tatbestandsmerkmal dient in erster Linie dazu, die europäische von der mitgliedstaatlichen Missbrauchskontrolle abzugrenzen. 35 In jüngerer Zeit wurde insbesondere diskutiert, ob auf den Zwischenschritt der Marktabgrenzung gänzlich verzichtet werden sollte und das Vorliegen von Marktmacht direkt zu messen sei; siehe hierzu vertiefend Hahne, Das Erfordernis der Marktabgrenzung aus rechtlicher und ökonomischer Sicht, 2016; sowie Wingerter, Abgrenzung des relevanten Marktes: notwendig, nützlich, überflüssig?, 2016.

I. Das Missbrauchsverbot des Art. 102 AEUV

27

1. Der Missbrauchsbegriff – Voraussetzungen einer missbräuchlichen Ausnutzung a) Überblick: Ansätze einer begrifflichen Eingrenzung und Auslegung kartellrechtlicher Verbotsnormen Der Begriff der „missbräuchlichen Ausnutzung“ (engl. abuse of dominance) wird nicht legaldefiniert. Sein begrifflicher Sinngehalt ist daher anhand des Wortlauts, der Systematik und des Zwecks des Art. 102 AEUV unter Einbeziehung und im Lichte der Ziele des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union zu ermitteln.36 Aufgrund der Ambivalenz unternehmerischen Verhaltens sowie der Nähe der dogmatischen Kategorie des Behinderungsmissbrauchs zum wettbewerbspolitisch gewünschten Konkurrenzkampf gestaltet sich eine trennscharfe Bestimmung des Missbrauchsbegriffs schwierig.37 Ohne bereits an dieser Stelle das vielschichtige wettbewerbliche Problem des Missbrauchs in seiner abstrakten Dimension vollständig zu erfassen, wird zum besseren Verständnis bereits hier eine erste Annäherung an die Begrifflichkeit vorgenommen. Nach ständiger Rechtsprechung der europäischen Gerichte erfasst der Missbrauchsbegriff „die Verhaltensweisen eines Unternehmens in beherrschender Stellung, die die Struktur eines Marktes beeinflussen können, auf dem der Wettbewerb gerade wegen der Anwesenheit des fraglichen Unternehmens bereits geschwächt ist, und die die Aufrechterhaltung des auf dem Markt noch bestehenden Wettbewerbs oder dessen Entwicklung durch die Verwendung von Mitteln behindern, welche von den Mitteln eines normalen Produkt- oder Dienstleistungswettbewerbs auf der Grundlage der Leistungen der Marktbürger abweichen.“38

Diese Definition ist bewusst sehr offen gehalten. Der zentrale Begriff der „missbräuchlichen Ausnutzung“ ist ein unbestimmter Rechtsbegriff und daher der Auslegung bedürftig und zugänglich. Bei der Auslegung und Anwendung des europäischen Wettbewerbsrechts sind hierzu einige Besonderheiten zu berücksichtigen. Die Wettbewerbsregeln der Europäischen Union sind in den Verträgen selbst kodifiziert und damit zugleich Gegenstand der das europäische Recht kennzeichnenden dynamischen Auslegung. Begrifflichkeiten des europäischen Kartellrechts sind aufgrund des bereits dargestellten besonderen binnenmarktrechtlichen Normenkontexts zuvorderst autonom auszulegen. Die Bestrebungen, den Art. 102 AEUVan neue ökonomische Erkenntnisse anzupassen, stellt die Rechtspraxis bei der Auslegung des Missbrauchsverbots vor große methodische und normative Heraus-

36 EuGH, Urteil vom 21. 2. 1973, Rs. 6/72, EU:C:1973:22, Rn. 25 – Continental Can; Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 129; Brinker, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 102 AEUV Rn. 15 f.; Eilmansberger, C.M.L. Rev. 42 (2005), 129. 37 Emmerich, Kartellrecht, § 10 Rn. 4; Whish/Bailey, Competition Law, S. 202. 38 Ständige Rspr. Seit EuGH, Urteil vom 13. 2. 1979, Rs. 85/76, EU:C:1979:36, Rn. 91 – Hoffmann-La Roche.

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C. Grundlagen, Systematik und Entwicklung der europ. Missbrauchsaufsicht

forderungen.39 Vor diesem Hintergrund hat der hohe Grad inhaltlicher Unbestimmtheit des Missbrauchsverbots gerade in jüngerer Zeit anlässlich der Reformbestrebungen der Europäischen Kommission zu einer intensiven Diskussion über die wirtschafts- und rechtstheoretische Auslegung des Art. 102 AEUV geführt.40 Hierbei sind vor allem der Stellenwert der Verbraucher bei der Anwendung des Missbrauchsverbots sowie die Notwendigkeit des Nachweises konkreter Auswirkungen Gegenstand der Auseinandersetzungen. So stellt sich insbesondere die Frage, ob die Feststellung eines Missbrauchs voraussetzt, dass konkrete Auswirkungen des potentiell missbräuchlichen Verhaltens nachgewiesen werden müssen. Die Tatsache, dass den Normen aufgrund ihrer generalklauselartigen Konzeption kein eindeutiger Schutzgegenstand zu entnehmen ist, gibt zudem fortwährenden Anlass zu einer Debatte über die Schutzzwecke des europäischen Wettbewerbsrechts.41 Ähnliches gilt für die Möglichkeiten und Grenzen einer an ergebnisbezogenen Merkmalen ausgerichteten ökonomischen Auslegung.42 b) Konzeptionelle Grundlagen des Missbrauchsverbots und Formen des Missbrauchs Art. 102 AEUV weist eine zweigliedrige Normenstruktur auf. Satz 1 statuiert zunächst das allgemeine Verbot, eine marktbeherrschende Stellung Art. 102 AEUV auszunutzen, während Satz 2 einen nicht abschließenden Beispielkatalog43 (Art. 102 Abs. 2 lit. a) – d) AEUV mit vier Regelbeispielen umfasst.44 Dieser umfasst die Fälle des Ausbeutungs-, des Behinderungs- und des Strukturmissbrauchs.45 Die größte Bedeutung ist gleichwohl der Generalklausel des Art. 102 S. 1 AEUV beizumessen.46 Zu dieser haben sich im Wege der Systematisierung eine Reihe anerkannter Fallgruppen zum Behinderungsmissbrauch herausgebildet. Im Ausgangspunkt sind

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So auch Ackermann, in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, § 21 Rn. 5. Siehe hierzu Behrens, EuZW 2016, 41; Dreher, WuW 2008, 23; Etro/Kokkoris (Hrsg.), Competition Law and the Enforcement of Article 102, 2010; Forrester, Fordham Int’l L. J. 28 (2005), 919; Haberkamm, Art. 102 AEUV im Lichte eines ökonomisch geprägten Prüfungsansatzes, 2015; Kellerbauer, in: Möschel (Hrsg.), 50 Jahre Wettbewerbsgesetz in Deutschland und Europa, S. 69; Lovdahl Gormsen, World Competition 36 (2013), 223. 41 Basedow, WuW 2007, 712; Behrens, EuZW 2008, 193; Eilmansberger, ZWeR 2009, 437; Korah, in: Pace (Hrsg.), European Competition Law: The Impact of the Commission’s Guidance on Article 102, S. 8; Riesenkampff, in: Festschrift Möschel, S. 489; von Weizsäcker, WuW 2007, 1078; Zimmer (Hrsg.), The Goals of Competition Law, 2012. 42 Eilmansberger, ZWeR 2009, 439 ff. 43 Whish/Bailey, Competition Law, S. 202 f.; Bulst, in: Langen/Bunte, Art. 102 AEUV Rn. 1; Berg, in: Berg/Mäsch, Art. 102 AEUV Rn. 6. 44 Kling/Thomas, Kartellrecht, § 6 Rn. 93; Emmerich, Kartellrecht, § 10 Rn. 1. 45 Kling/Thomas, Kartellrecht, § 6 Rn. 93; vgl. zum Marktstrukturmissbrauch Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 383 ff. 46 Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 133. 40

I. Das Missbrauchsverbot des Art. 102 AEUV

29

drei Formen des Missbrauchs zu unterscheiden. Auch hierbei handelt es sich um Ausbeutungsmissbräuche, Behinderungsmissbräuche und Strukturmissbräuche. Der Ausbeutungsmissbrauch beschreibt ein Verhalten, das sich gegen Geschäftspartner im Vertikalverhältnis richtet. Hierbei verschafft sich das marktbeherrschende Unternehmen geschäftliche Vorteile, wie z. B. günstigere Geschäftsbedingungen oder höhere Preise, auf Kosten der Marktgegenseite.47 Hierzu umschreibt Art. 102 Abs. 2 lit. a) AEUVals Regelbeispiel des Ausbeutungsmissbrauchs die „unmittelbare oder mittelbare Erzwingung von unangemessenen Einkaufs- oder Verkaufspreisen oder sonstigen Geschäftsbedingungen“. Gemeinsames Merkmal der Ausbeutungsmissbräuche ist das Erreichen von Marktergebnissen, die bei einem funktionsfähigen Wettbewerb nicht zu erreichen gewesen wären. Während Ausbeutungsmissbräuche lange Zeit im Fokus der Missbrauchsaufsicht standen, sind diese im Laufe der vergangenen Jahre vermehrt in den Hintergrund getreten. Unter (Markt-)Strukturmissbrauch wird ein Verhalten verstanden, das die Veränderung der Marktstruktur zum Gegenstand hat. Das marktbeherrschende Unternehmen greift hierbei zum Nachteil des Wettbewerbs gezielt in die Marktstruktur ein.48 Ein Behinderungsmissbrauch (auch Verdrängungsmissbrauch49) liegt dann vor, wenn gegenwärtige oder potentielle Konkurrenten des Marktbeherrschers betroffen sind.50 Dabei kann sich das fragliche Verhalten auf dem beherrschten Markt oder benachbarten Märkten auswirken.51 Wenngleich eine Kategorisierung in verschiedene Missbrauchsformen aufgrund der Offenheit des Missbrauchsbegriffs nicht zwingend geboten ist, so hat sich diese Unterscheidung in Literatur und Rechtsprechung etabliert, da sie eine genauere Einordnung des betreffenden Marktverhaltens in herausgebildete Fallgruppen und daher eine Analyse anhand spezifischer Merkmale ermöglicht.52 Während der Wortlaut des Art. 102 AEUV (damals noch Art. 86 EGW-Vertrag) zur Zeit der Entstehung der Verträge noch vermuten ließ, dass dieser allein Ausbeutungs- und Diskriminierungsmissbräuche zum Gegenstand hat und primär dem Schutz der Verbraucher diene53, so hat der EuGH in seiner ersten Grundsatzentscheidung 47

Bulst, in: Langen/Bunte, Art. 102 AEUV Rn. 91. Schröter/Bartl, in: Schröter/Jakob/Klotz/Mederer, Art. 102 AEUV Rn. 167; Bechtold/ Bosch/Brinker, Art. 102 AEUV Rn. 57. 49 So z. B. konsequent Wurmnest, Marktmacht und Verdrängungsmissbrauch, 2012. 50 Huttenlauch/Lübbig, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Kersting/Meyer-Lindemann, Art. 102 AEUV Rn. 218. 51 Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 134. 52 Bulst, in: Langen/Bunte, Art. 102 AEUV Rn. 90. 53 Diese Auffassung vertrat insbesondere René Joliet (Monopolisation and Abuse of Dominant Position, S. 128 ff.), späterer Richter am EuGH, im Gegensatz zu Ernst-Joachim Mestmäcker, der in den 1960iger Jahren als Sonderberater der Generaldirektion IV fungierte. Beide hatten eine vergleichende Analyse des europäischen Missbrauchsverbots und des USamerikanischen Monopolisierungsverbots nach sec. 2 Sherman Act durchgeführt. 48

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C. Grundlagen, Systematik und Entwicklung der europ. Missbrauchsaufsicht

Continental Can54 klargestellt, dass auch marktstrukturelle Dimensionen und damit Behinderungsmissbräuche von der Vorschrift erfasst sind.55 Hierzu führte der EuGH insbesondere an, dass Verbraucher auch durch „einen Eingriff in die tatsächliche Struktur des Wettbewerbs“ geschädigt werden können.56 Zwischen der marktbeherrschenden Stellung und dem Missbrauch muss kein kausaler Zusammenhang bestehen. Es ist daher nicht erforderlich, dass der Missbrauch auf der marktbeherrschenden Stellung beruht oder dass die Marktmacht zur Verwirklichung der Verhaltensweise eingesetzt wird.57 Dies hat der EuGH in seinem Urteil Continental Can ausdrücklich bestätigt.58 2. Behinderungsmissbräuche im System der europäischen Missbrauchskontrolle Behinderungsmissbräuchen kommt in der Praxis die größte Relevanz bei der Anwendung des Missbrauchsverbots nach Art. 102 AEUV zu.59 Gleichzeitig hat sich auch die wettbewerbspolitische Debatte der letzten Jahre auf die Fallgruppe der Behinderungsmissbräuche konzentriert.60 Zielrichtung des Behinderungsverbots ist es zu verhindern, dass Konkurrenten des marktbeherrschenden Unternehmens durch wettbewerbswidrige Verhaltensweisen vom Markt ausgeschlossen werden. Die Schwierigkeit bei der Anwendung des Art. 102 AEUV liegt insbesondere darin zu differenzieren, ob ein missbräuchliches Verhalten vorliegt oder ob die in Frage 54

EuGH, Urteil vom 21. 2. 1973, Rs. 6/72, EU:C:1973:22 – Continental Can. Hiervon zeugen auch die travaux préparatoires aus der Zeit der Römischen Verträge; für eine eingehende Aufarbeitung dazu siehe Akman, Oxford J. L. Studies 29 (2009), 267 und Paul, Behinderungsmissbrauch nach Art. 82 EG und der „more economic approach, S. 13 ff. m.w.N. 56 EuGH, Urteil vom 21. 2. 1973, Rs. 6/72, EU:C:1973:22, Rn. 26 – Continental Can. 57 Berg, in: Berg/Mäsch, Art. 102 AEUV Rn. 40; Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 136. 58 Vgl. EuGH, Urteil vom 21. 3. 1973, Rs. 6/72, EU:C:1973:22, Rn. 27 – Continental Can: „Bei diesem Sinn und der Tragweite des Art. 86 EWGV [jetzt Art. 102 AEUV] kommt es auf die von den Klägerinnen aufgeworfene Frage des ursächlichen Zusammenhangs, der nach ihrer Ansicht zwischen der beherrschenden Stellung und der mißbräuchlichen Ausnutzung bestehen muß, nicht an, denn die Verstärkung der Stellung eines Unternehmens kann ohne Rücksicht darauf, mit welchen Mitteln und Verfahren sie erreicht worden ist, mißbräuchlich und nach Art. 86 des Vertrages verboten sein, sofern sie die vorstehend beschriebenen Wirkungen hervorruft.“ 59 Dies zeigt u. a. die eingehende Befassung der Europäischen Kommission mit dieser Fallgruppe in dem Diskussionspapier von 2005 und der Prioritätenmitteilung von 2009; vgl. dazu auch Wurmnest, Marktmacht und Verdrängungsmissbrauch, S. 2, der insoweit von dem „Herzstück der modernen Missbrauchsaufsicht“ spricht. 60 Siehe hierzu etwa Basedow/Wurmnest (Hrsg.), Structure and Effects in EU Competition Law – Studies on Exclusionary Conduct and State Aid, 2011; Bulst, RabelsZ 73 (2009), 703; Kellerbauer, in: Möschel (Hrsg.), 50 Jahre Wettbewerbsgesetz in Deutschland und Europa, S. 69; Paul, Behinderungsmissbrauch nach Art. 82 EG und der „more economic approach“, 2008. 55

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stehenden Geschäftspraktiken Ausdruck eines gesunden Wettbewerbs sind. Im Fokus steht dabei die Möglichkeit marktbeherrschender Unternehmen, durch die gezielte Einsetzung bestimmter Preisstrategien, Wettbewerber vom Markt zu verdrängen. Preiswettbewerb, wenngleich grundsätzlich erwünscht, kann sich dann ins Gegenteil verkehren und negative Auswirkungen auf den Wettbewerb haben. Behinderungsmissbräuche können auf verschiedene Weise typisiert werden.61 Eine Unterteilung differenziert nach der Art des eingesetzten Aktionsparameters und unterscheidet zwischen preisbezogenen und nicht preisbezogenen Missbräuchen. Das prominenteste Beispiel für einen preisbezogenen Behinderungsmissbrauch ist dabei die sog. Kampfpreisunterbietung (predatory pricing). Weitere der Kategorie der preisbezogenen Behinderungen zuzuordnende Verhaltensweisen sind Rabattsysteme (Treuerabatte, Zielrabatte und Mengenrabatte) sowie Kosten-Preis-Scheren und selektive Preissenkungen. Diese Unterscheidung soll auch für diese Arbeit fruchtbar gemacht werden. Eine weitere mögliche Einteilung differenziert nach dem jeweils betroffenen Markt. Dabei ist zwischen Auswirkungen auf gleichgelagerten sowie vor-und nachgelagerten Märkten zu unterscheiden. Horizontales Behinderungsverhalten wirkt sich auf dem beherrschten Markt gegenüber Wettbewerbern aus. Beispiele für horizontales Behinderungsverhalten sind Kampfpreisunterbietungen und Rabattsysteme. Vertikale Auswirkungen entfaltet hingegen die KostenPreis-Schere, bei der das marktbeherrschende Unternehmen seine Stellung auf der vorgelagerten Marktstufe auf der nachgelagerten Marktstufe ausnutzt. Drittmarktbezogene Auswirkungen treten vor allem auf sog. Komplementärgütermärkten auf.62

II. Ökonomisierung des europäischen Wettbewerbsrechts: Der more economic approach und seine Implikationen für die Anwendung des Missbrauchsverbots nach Art. 102 AEUV In den letzten zwei Jahrzehnten hat die Rolle ökonomischer Kriterien im europäischen Wettbewerbsrecht zunehmend an Bedeutung gewonnen. Zugleich stellt diese Entwicklung, entgegen dem teils vermittelten Eindruck, kein rechtliches Novum dar. Bereits zuvor war die ökonomische Analyse integraler Bestandteil der Rechtsprechung der europäischen Gerichte.63 Dabei fanden wirtschaftliche Rah61 Für eine Übersicht siehe auch Paul, Behinderungsmissbrauch nach Art. 82 EG und der „more economic approach“, S. 9 ff. 62 Paul, Behinderungsmissbrauch nach Art. 82 EG und der „more economic approach“, S. 13. 63 So hatte etwa das EuG im Jahr 2002 drei Entscheidungen der Kommission aus dem Bereich der Fusionskontrolle unter Rüge einer mangelnden ökonomischen Argumentation aufgehoben, vgl. EuG, Urteil vom 6. 6. 2002, Rs. T-342/99, EU:T:2004:192 – Airtours; EuG, Urteil vom 22. 10. 2002, Rs. T-310/01, EU:T:2002:254 – Schneider Electric; EuG, Urteil vom 25. 10. 2002, Rs. T-5/02, EU:T:2002:264 – Tetra Laval.

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C. Grundlagen, Systematik und Entwicklung der europ. Missbrauchsaufsicht

menbedingungen bei der Auslegung der einzelnen Vorschriften des Kartellrechts Berücksichtigung.64 Neu ist jedoch die umfassende Reformierung der Anwendung der maßgeblichen Vorschriften des europäischen Wettbewerbsrechts anhand des Leitbildes einer ökonomisch geprägten Betrachtungsweise. Diese Entwicklung ist der zunehmenden Erkenntnis, dass die Ökonomie zum Verständnis und der Bewertung von wettbewerbsrechtlichen Problemen einen wesentlichen Beitrag leisten kann, geschuldet. In der rechtswissenschaftlichen Auseinandersetzung herrscht dabei grundsätzlich Einigkeit darüber, dass die Bewertung einzelner Verhaltensweisen des Missbrauchsverbots durch ökonomische Parameter ergänzt werden muss. Meinungsverschiedenheiten bewegen sich in der Debatte um Umfang und Ausmaß des Einflusses ökonomischer Maßstäbe bei der Bewertung konkreter Verhaltensweisen. An dieser Stelle sollen kurz die wesentlichen Reformschritte der Ökonomisierung der europäischen Missbrauchsaufsicht unter Einbeziehung allgemeiner Ausführungen zum more economic approach dargestellt werden. Ein besonderer Fokus liegt dabei auf der Prioritätenmitteilung und dem As efficient competitor-Test als möglichem Prüfungsmaßstab für die Beurteilung preisbezogener Behinderungsmissbräuche. 1. Der more economic approach als Leitbild der Reformen: Gründe für die Ökonomisierung des europäischen Wettbewerbsrechts Unter dem Oberbegriff „more economic approach“65 ist in den letzten Jahren eine verstärkte Ausrichtung des europäischen Wettbewerbsrechts an ökonomischen Gesichtspunkten diskutiert worden. Dabei beherrscht dieser Ausdruck die Debatte um eine Neuausrichtung des europäischen Wettbewerbsrechts bereits seit geraumer Zeit und wird in Literatur und Praxis angeregt begleitet.66 Für diese Entwicklung waren diverse Faktoren ausschlaggebend. Zum einen ist der Einfluss der modernen Industrieökonomik und des US-amerikanischen Kartellrechts hervorzuheben. Das US64

Kling/Thomas, Kartellrecht, § 2 Rn. 40; Möschel, JZ 2009, 1040. Im Deutschen: „verstärkt ökonomischer Ansatz“. Für diese Untersuchung wird der englische Begriff verwendet, da dieser auch in der deutschen Literatur geläufig ist. Bei dem Begriff „more economic approach“ handelt es sich gleichwohl um eine Wortkreation, die allein im europäischen Sprachgebrauch Verwendung findet. 66 Vgl. zum „more economic approach“: Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 8 ff.; Behrens, in: Festschrift Schäfer, S. 457; ders., in: Festschrift Möschel, S. 115; Kling/Thomas, Kartellrecht, § 2 Rn. 40 ff.; Schmidtchen, in: Festschrift Schäfer, S. 473; ders., WuW 2006, 6; Böge, WuW 2004, 726; ders., in: Oberender (Hrsg.) Effizienz und Wettbewerb, S. 9; Schmidt, in: Festschrift Bechtold, S. 409; Kellerbauer, in: Möschel (Hrsg.), 50 Jahre Wettbewerbsgesetz in Deutschland und Europa, S. 69; Dreher/Adam, ZWeR 2006, 259; Hildebrand, WuW 2005, 513; Lademann, in: Festschrift Möschel, S. 381; Schmidt/Voigt, WuW 2006, 1097; Immenga, ZWeR 2006, 346; ders., WuW 2006, 463; Schmidt, WuW 2005, 877; Schmidtchen, WuW 2006, S. 707; Wolters, Die rechtsstaatlichen Grenzen des „more economic approach“ im Lichte der europäischen Rechtsprechung, 2015. 65

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amerikanische Antitrustrecht hat immer schon wesentliche Impulse für die Entwicklung des europäischen Kartellrechts zu setzen vermocht und hat als älteste Kartellrechtsordnung Vorbildcharakter. In den USA ist die Hinzuziehung ökonomischer Konzepte und Erkenntnisse bereits seit längerer Zeit fester Bestandteil der Kartellrechtspraxis. Dies ließ den Eindruck entstehen, dass es einer Modernisierung des europäischen Wettbewerbsrechts nach amerikanischem Vorbild bedürfe. Angesichts des verstärkten Austausches der kartellrechtlichen Behörden aufgrund internationaler Kartellrechtsfälle traten die Unterschiede bei der Beurteilung einzelner Missbrauchsformen stärker hervor und führten zu einer vertieften Auseinandersetzung mit den Hintergründen dieser unterschiedlichen Handhabung.67 Insoweit dient die Öffnung der europäischen Praxis gegenüber der Berücksichtigung von ökonomischen Ansätzen auch der Förderung einer Konvergenz zwischen amerikanischem und europäischem Kartellrecht.68 Zugleich erweckte die erfolgreiche Entwicklung der US-Wirtschaft den Eindruck, dass das US-amerikanische Kartellrecht im Gegensatz zum europäischen Wettbewerbsrecht die wirtschaftliche Entwicklung weniger stark einschränke.69 Insoweit liegt der Modernisierung auch eine wirtschaftspolitische Komponente mit dem Ziel der Steigerung der Attraktivität des europäischen Binnenmarktes für Unternehmen und der internationalen Wettbewerbsfähigkeit zugrunde.70 Der neue wettbewerbspolitische Ansatz geht dabei seit Ende der neunziger Jahre maßgeblich von der Europäischen Kommission aus. Bereits in ihrem Weißbuch über die Modernisierung der Vorschriften zur Anwendung der Art. 85 und 86 EG-Vertrag aus dem Jahr 199971 hatte die Kommission die Einführung eines „stärker wirtschaftlichen Ansatzes“ (more economic approach) ohne weitere Erläuterung des genauen Inhalts dieses Ansatzes angekündigt. Seitdem hat sich die Kommission einer Rechtsdurchsetzung verschrieben, die einzelne Verhaltensweisen stärker im Hinblick auf ihre konkreten ökonomischen Auswirkungen untersuchen möchte.72 Die Adaption dieses Ansatzes ist dabei zugleich mit der Erwartung verbunden, die Interessen der Verbraucher durch eine intensivere Einbindung ökonomischer Konzepte besser zu schützen.73 Neben der anwendungsspezifischen und normativen Dimension brachte die Umsetzung des more economic approach in das europäische Wettbewerbsrecht auch institutionelle und personelle Änderungen mit sich. Ende 2003 wurde mit der Position des Chefökonomen bei der Generaldirektion Wettbe67

Witt, The More Economic Approach to EU Antitrust Law, 2016, S. 1. Monti, EU competition policy after May 2004, Speech 03/489, Fordham Annual Conference on International Antitrust Law and Policy, New York, USA, 24. 10. 2003. 69 Vgl. zu diesem Aspekt: Bodenstein, Kartellrechtliche Bewertung von Rabatten marktbeherrschender Unternehmen S. 95 m.w.N. 70 Vgl. auch Rey/Venit, World Competition 38 (2015), 3; kritisch hierzu: Kerber/Schwalbe, in: Münchener Kommentar, Europäisches Wettbewerbsrecht, Einleitung, Rn. 143. 71 ABl. 1999, Nr. C 132 vom 12. 5. 1999, S. 1 Rn. 78. 72 Zäch/Künzler, ZWeR 2009, 269, 270. 73 Vgl. Albers, Der „more economic approach“ bei Verdrängungsmissbräuchen, S. 11, 13. 68

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werb eine neue Stelle geschaffen.74 Dieser führt ein Team von rund 25 Ökonomen mit speziell industrieökonomischer Ausbildung, das innerhalb sog. case teams mit der Bearbeitung von Fällen betraut ist. Wenngleich die Generaldirektion Wettbewerb schon immer von einer engen Verzahnung von Ökonomie und Recht geprägt war, so hat diese strukturelle Änderung die Rolle der ökonomischen Fallanalyse aufgewertet. a) Allgemeine Merkmale: Versuch einer Begriffsdefinition Der more economic approach beschreibt zunächst eine grundlegende Reform der europäischen Wettbewerbsrechtsanwendung. Dabei ist der more economic approach im Hinblick auf seine Reichweite umfassend und betrifft mit den Vorschriften über die Zusammenschlusskontrolle, Absprachen und Missbräuche alle Teilbereiche des Kartellrechts.75 Obgleich keine einheitliche Definition des more economic approach existiert, so lassen sich grob drei Komponenten des Begriffs erfassen.76 Darunter fallen die verstärkte Einbindung ökonomischer und ökonometrischer Modelle in die Kartellrechtsanwendung, die Beurteilung kartellrechtsrelevanter Tatbestände anhand ihrer tatsächlichen oder jedenfalls wahrscheinlichen Auswirkungen auf den Wettbewerb (effects-based approach77) und eine Ausrichtung der Wettbewerbspolitik am Schutzziel der Konsumentenwohlfahrt. Der effects-based approach beschreibt dabei zugleich die methodische Dimension des more economic approach und die Umsetzung eines wohlfahrtsökonomischen Ansatzes, der eine marktergebnisbezogene Bewertung anstrebt. Der Paradigmenwechsel hin zur Konsumentenwohlfahrt und zu Effizienzerwägungen als Zielsetzungen der Wettbewerbspolitik verlangt ebenfalls eine ergebnisorientierte Auslegung des Tatbestandsmerkmals der „missbräuchlichen Verhaltensweise“ und ergänzt daher den effects-based approach in seiner konkreten Anwendung um eine normative Komponente.78 Zur Bewertung eines Verhaltens eines marktbeherrschenden Unternehmens soll es entscheidend auf die wohlfahrtsmindernde Wirkung ankommen. Wenngleich die grundlegende Be74 Stehmann, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, Vorbemerkung zu den Artikeln 101 – 109 Rn. 159; Bodenstein, Kartellrechtliche Bewertung von Rabatten marktbeherrschender Unternehmen, S. 96. 75 So auch Wolters, Die rechtsstaatlichen Grenzen des „more economic approach“, im Lichte der europäischen Rechtsprechung, S. 17. 76 So Basedow, in: Basedow/Wurmnest (Hrsg.), Structure and Effects in EU Competition Law, S. 3 ff.; Galle, Ein wirtschaftlicher Ansatz im Kartellrecht, S. 25; Hildebrand, WuW 2005, 517 ff.; Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV, Rn. 9 ff.; Wurmnest, in: Mackenrodt/Conde Gallego/Enchelmaier (Hrsg.) Abuse of Dominant Position, S. 1. 77 Bereits der seinerzeit zuständige Wettbewerbskommissar Mario Monti beschrieb diese zukünftige Anwendung der europäischen Wettbewerbsregeln als „a shift to a more economic approach based on the effects on the market“, vgl. Monti, Perspectives of European Competition Law – a Survey, in: FIW (Hrsg.), Zukunft der Wettbewerbsordnung und des Kartellrechts, 2001, S. 9 f. 78 Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 9; Albers, Der „more economic approach“ bei Verdrängungsmissbräuchen, S. 11, 12 f.; Kellerbauer, in: Möschel (Hrsg.). 50 Jahre Wettbewerbsgesetz in Deutschland und Europa, S. 69.

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rücksichtigung von Aspekten des Verbraucherinteresses in der Anwendung des Missbrauchsverbots kein völlig neuer Aspekt ist, so deutet die Akzentverschiebung durch den neuen Ansatz auf einen sich abzeichnenden Verständniswandel vom gesetzlichen Schutzzweck der europäischen Wettbewerbsregeln hin. b) Der more economic approach in der Rechtspraxis: Konkrete Umsetzung des neuen Leitbildes durch Reformen des europäischen Wettbewerbsrechts Die Relevanz dieses Ansatzes in der Praxis wird seit Ende der neunziger Jahre durch die Reformen des europäischen Wettbewerbsrechts verdeutlicht, die nicht nur einzelne Teilbereiche des europäischen Wettbewerbsrechts erfassen, sondern eine Modernisierung der Normanwendung in ihrer Gesamtheit abbilden. Im Zuge der praktischen Umsetzung des more economic approach wurden hierzu fast alle sekundärrechtlichen Vorschriften und Leitlinien des europäischen Wettbewerbsrechts reformiert.79 Die erste wichtige Station dieses Reformprozesses stellte der Übergang zum System der Legalausnahme durch die reformierte Kartellverordnung Nr. 1/ 200380 bei der Anwendung von Art. 101 Abs. 3 AEUV (vorher Art. 81 Abs. 3 EGV) dar. Demnach bedarf es bei der Anwendung des Kartellverbots keiner konstitutiven Entscheidung der Kommission zur Freistellung mehr, da diese nun ipso iure wirkt. In diesem Zusammenhang wurden neue Gruppenfreistellungsverordnungen81 erlassen, die „sichere Häfen“ durch großzügige Marktanteilsschwellen vorsehen. Im Anschluss wurde die Fusionskontrollverordnung (FKVO)82 neugefasst und damit das Marktbeherrschungskriterium durch den sog. SIEC-Test (siginificant impediment of effective competition) ersetzt.83 Unter dem Einfluss des more economic approach sollte sodann in einem letzten Schritt auch die Rechtsanwendungspraxis zum Missbrauchsverbot über marktbeherrschende Unternehmen einer Neubetrachtung unterzogen werden.

79

Vertiefend Behrens, in: Festschrift Möschel, S. 115 ff. Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrages niedergelegten Wettbewerbsregeln (Kartellverfahrensverordnung), ABl. 2003 Nr. L 1, S. 1. 81 Hierbei ist insbesondere die Vertikal-GVO (Verordnung (EU) Nr. 330/2010 vom 20. April über die Anwendung von Artikel 101 Absatz 3 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf Gruppen von vertikalen Vereinbarungen und abgestimmten Verhaltensweisen) zu nennen. 82 Neufassung der Fusionskontrollverordnung (EG) Nr. 139/2004 vom 20. Januar 2004 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, ABl. Nr. 24/1 vom 29. Januar 2004 und die einschlägigen Leitlinien. 83 Weiterführend zur Einbindung ökonomischer Ansätze in der Fusionskontrolle: Schwalbe/Zimmer, Kartellrecht und Ökonomie: Moderne ökonomische Ansätze in der europäischen und deutschen Zusammenschlusskontrolle, 2011. 80

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2. Der more economic approach in der unionsrechtlichen Missbrauchsaufsicht: Die Modernisierung des Art. 102 AEUV Die Bestrebungen zur Reformierung des Art. 102 AEUV sind vorrangig dem Bedürfnis entsprungen, einen rechtlichen Rahmen zu schaffen, in dem marktbeherrschende Unternehmen konkurrieren können, der es aber gleichermaßen ermöglicht, für den Markt schädliche Verhaltensweisen unter ein Verbot zu stellen. Im Fokus dieser Überlegungen steht die Frage, inwieweit die Auslegungs- und Rechtspraxis des Missbrauchsverbots einer Korrektur unter ökonomischen Gesichtspunkten bedarf. Die bisherige Rechtsanwendungspraxis stand insbesondere aufgrund ihres vermeintlich restriktiven und formalistischen Ansatzes in der Kritik. Es bestehe die Gefahr, dass fairer, aber aggressiver Wettbewerb (tough competition on the merits) durch die Anwendung dieses Ansatzes eingedämmt werden könnte.84 Übergeordnetes Ziel der Ökonomisierung des Missbrauchsverbots ist daher die Beschränkung der Durchsetzung des Missbrauchsverbots auf Verhaltensweisen, die nachweislich negative Effekte haben sowie die Schaffung eines rechtlichen Rahmens, der es erlaubt, im Rahmen der Bewertung von missbräuchlichen Verhaltensweisen, verlässliche Abgrenzungen treffen zu können.85 Die Initiative zu einer Reformierung der europäischen Missbrauchsaufsicht nahm ihren eigentlichen Anfang unter der EU-Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes. Im Wesentlichen sind es drei Dokumente, die eine Neuausrichtung der Missbrauchsaufsicht am more economic approach abbilden. Dabei handelt es sich um den Report der Economic Advisory Group on Competition Policy (EAGCP-Report86), das Diskussionspapier der Europäischen Kommission87 und die Prioritätenmitteilung der Europäischen Kommission.88 Diese sollen im Folgenden in ihren Grundzügen kurz erläutert werden, um die wesentlichen Reformschritte im kontextualen Hintergrund aufzuzeigen und die Rechtsanwendungspraxis zu einem späteren Zeitpunkt daran messen zu können.

84 Waelbrock, J. Comp. L. & Econ. 1 (2005), 149, 171; O’Donoghue/Padilla, The Law and Economics of Article 102 TFEU, 374 f. 85 Röller, Der ökonomische Ansatz in der europäischen Wettbewerbspolitik, S. 37, 42 f. 86 Report by the EAGCP, „An economic approach to Article 82“, veröffentlicht im Juli 2005, abrufbar unter: http://ec.europa.eu/dgs/competition/economist/eagcp_july_21_05.pdf, letzter Abruf: 28. 11. 2017, nachfolgend zitiert als EAGCP-Report. 87 Generaldirektion Wettbewerb der EG-Kommission, DG Competition discussion paper on the application of Article 82 of the Treaty to exclusionary abuses, veröffentlicht im Dezember 2005, abrufbar unter: http://ec.europa.eu/competition/antitrust/art82/discpaper2005.pdf, letzter Abruf: 28. 11. 2017. 88 Mitteilung der Kommission – Erläuterungen zu den Prioritäten der Kommission bei der Anwendung von Artikel 82 des EG-Vertrags auf Fälle von Behinderungsmissbräuchen durch marktbeherrschende Unternehmen, ABl. 2009, C 45/7.

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a) Report der European Advisory Group (EAGCP) Erster Meilenstein dieses Reformprozesses war der Report der Economic Advisory Group on Competition Policy (EAGCP) vom Juli 2005. Dieser Report, der von renommierten Ökonomen aus ganz Europa89 verfasst wurde, erläutert die Grundlagen des effects-based approach und spricht sich klar für die Implementierung dieses Ansatzes unter Ausrichtung am Wohlfahrtsziel bei der Anwendung des Art. 102 AEUV aus. Die Expertengruppe wurde explizit von der damaligen EUWettbewerbskommissarin Neelie Kroes mit der Zielsetzung, einen Bericht über die Umsetzung des „more economic approach“ bei der Anwendung des Missbrauchsverbots nach Art. 102 AEUV zu erstellen, einberufen. aa) Inhalt Die Erläuterungen im Report stellen eine deutliche Abkehr vom sog. formbasierten Ansatz und eine Hinwendung zum sog. effektbasierten Ansatz dar. Bereits anhand der einleitenden Bemerkungen des Reports im ersten Kapitel wird der Umfang des more economic approach und dessen Programmatik bei der Anwendung des Missbrauchsverbots deutlich: „In particular, we support an effects-based rather than a form-based approach to competition policy. Such an approach focuses on the presence of anticompetitive effects that harm consumers, and is based on sound economic and grounded on facts.“90

Dabei hebt der Report insbesondere hervor, dass dieser Ansatz die Konsumentenwohlfahrt als Bezugspunkt in den Vordergrund rückt und daher statt der Form die wettbewerbsschädlichen Effekte eines konkreten Verhaltens untersucht.91 Hierzu wird zur Begründung angeführt, dass eine formbasierte Herangehensweise den Umstand, dass dieselbe Verhaltensweise unterschiedliche Auswirkungen haben könne, missachte.92 Nur ein solches Verhalten, das einen wettbewerblichen Schaden (competitive harm) erzeugt oder zu erzeugen vermag, sei unter Art. 102 AEUV zu verbieten.93 Der Eintritt oder die Möglichkeit eines solchen Schadens sei anhand der Auswirkungen auf Verbraucher zu ermitteln.94 Sofern ein Schaden für die Ver89 Beteiligt waren Jordi Gual, IESE Business School und „la Caixa“ Barcelona, Martin Hellwig, Max Planck Institute for Research on Collective Goods, Bonn, Anne Perrot, University Paris I und Conseil de la Concurrence, Paris, Michele Polo, Bocconi University, Milan, Patrick Rey (Koordinator), University of Toulouse, Klaus Schmidt, University of Munich, Rune Stenbacka, Swedish School of Economics, Helsinki and RUESG, University of Helsinki. 90 EAGCP-Report, S. 2. 91 EAGCP-Report, S. 3. 92 „While alternative practices can serve the same purpose in given circumstances, the same practices can also have either pro- or anticompetitive effects, depending on the circumstances“, vgl. EAGCP Report, S. 6. 93 EAGCP-Report, S. 12 f. 94 EAGCP-Report, S. 8.

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braucher festgestellt wird, müsse anhand eines weiteren Prüfungsschritts ermittelt werden, ob etwaige Effizienzgewinne diese Schädigung aufzuwiegen vermögen. Dabei müsse die Kommission im Verfahren darlegen, warum negative Wirkungen auf den Verbraucher zu erwarten seien, während es den betroffenen Unternehmen obliege, Effizienzen darzulegen und zu beweisen.95 bb) Zusammenfassung und kritische Würdigung In dem Report der EAGCP wird ein neuer Ansatz für die Missbrauchsaufsicht nach Art. 102 AEUV umschrieben. Dabei hebt sich vor allem die wohlfahrtsökonomische Ausrichtung unter Betrachtung der konkreten Auswirkungen auf den Verbraucher als Maßstab für wettbewerbsschädliches Verhalten von der bisherigen Rechtspraxis ab. Insgesamt ist der Report sehr ökonomisch geprägt und blendet rechtliche Gesichtspunkte sowie die mit dem Ansatz verbundenen Schwierigkeiten zunächst aus. Insoweit vermag er keinen konkreten Prüfungsrahmen zur Anwendung des Art. 102 AEUV vorzugeben, sondern lediglich Vorschläge zur intensiveren Berücksichtigung von Auswirkungen auf den Markt zu unterbreiten. Dies entspricht zugleich der Zielsetzung dieses Reports, der lediglich ein starkes Signal zur Umsetzung eines verstärkt ökonomisch geprägten Ansatzes setzen sollte. Kurze Zeit nach Veröffentlichung dieses Reports hielt Neelie Kroes eine Grundsatzrede zur Reformierung des Art. 82 EG am Fordham Corporate Law Institut, in der sie die bevorstehende Veröffentlichung eines Diskussionspapiers auf Basis des EAGCPReports zur Beurteilung von Behinderungsmissbräuchen ankündigte.96 In dieser Rede hob sie in Übereinstimmung mit den Empfehlungen des Reports insbesondere hervor, dass die Ausübung von Marktmacht anhand der Effekte beurteilt werden sollte und die Schädigung von Verbrauchern hierbei im Vordergrund stehen müsse. Dabei sei vor allem zu untersuchen, ob die zu prüfende Verhaltensweise tatsächlich oder potentiell restriktive Auswirkungen auf den Markt hat und damit Konsumenten schade.97

95

EAGCP-Report, S. 29. Neelie Kroes, Preliminary Thoughts on Policy Review of Article 82, Speech at the Fordham Corporate Law Institute, New York, 23. September 2005, abrufbar unter: http://euro pa.eu/rapid/press-release_SPEECH-05-537_en.htm?locale=en, letzter Abruf: 28. 11. 2017. 97 Neelie Kroes, Preliminary Thoughts on Policy Review of Article 82, Speech at the Fordham Corporate Law Institute, New York, 23rd September 2005: „Article 82 enforcement should focus on real competition problems: In other words, behaviour that has actual or likely restrictive effects on the market, which harms consumers“. 96

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b) Das Diskussionspapier der Europäischen Kommission aus dem Jahr 2005 Die Erörterung dieser Ansätze auf Grundlage des Expertenberichts des EAGCP mündete schließlich in der Veröffentlichung des Diskussionspapiers98 zur Anwendung des damaligen Art. 82 EG im Dezember 2005. Die Generaldirektion Wettbewerb stellt darin ebenfalls eine Herangehensweise zur Bewertung von Behinderungsmissbräuchen vor, die stärker an ökonomischen Gesichtspunkten orientiert ist.99 aa) Auswirkungsbasierter Ansatz Das wichtigste Charakteristikum der im Diskussionspapier erläuterten Neuausrichtung ist der sog. Auswirkungsansatz (effects-based approach). Kennzeichnendes Merkmal dieses Ansatzes ist die Untersuchung der schädlichen Auswirkungen einer Verhaltensweise auf den Markt und die Verbraucher statt einer formbasierten Qualifikation der Verhaltensweise ohne die Betrachtung konkreter Folgen. Als Bedingung für die Feststellung einer Wettbewerbsschädigung sieht die Kommission in diesem Zusammenhang das Vorliegen einer wahrscheinlichen Verbraucherschädigung.100 In diesem Zusammenhang wird ein neuer Prüfungsmaßstab für Preismissbräuche vorgeschlagen, der eine Verhaltensweise nur dann als missbräuchlich einstuft, wenn sie geeignet ist, einen ebenso effizienten Wettbewerber vom Markt auszuschließen.101 bb) Effizienzeinwand Ein weiteres Merkmal der Neuausrichtung ist die verstärkte Berücksichtigung von Effizienzerwägungen und damit der Einführung einer neuen Verteidigungsmöglichkeit auf der Rechtfertigungsebene, die zugleich eine Angleichung an den Art. 101 Abs. 3 AEUV bedeutet.102 Hiermit hebt sich die Kommission von der bisherigen Rechtsanwendungspraxis ab, die eine grundsätzliche Möglichkeit der Rechtfertigung durch das Aufzeigen besonderer Umstände anerkennt, aber diese an sehr hohe Voraussetzungen knüpft und insbesondere einer Übertragbarkeit der Effizienzeinrede auf das Missbrauchsverbot aus systematischen Gründen ablehnend 98

Generaldirektion Wettbewerb der EG-Kommission, DG Competition discussion paper on the application of Article 82 of the Treaty to exclusionary abuses, veröffentlicht im Dezember 2005. 99 Vertiefend zum Diskussionspapier: Dreher/Adam, ZWeR 2006, 259; Wirtz/Möller, WuW 2006, 226. 100 Kommission, Diskussionspapier, Rn. 4, 56; „[…], the Commission will adopt an approach which is based on the likely effects on the market“. 101 Kommission, Diskussionspapier, Rn. 63. 102 Riziotis, in: Mackenrodt/Conde Gallego/Enchelmaier (Hrsg.), Abuse of Dominant Position, S. 89, 90.

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gegenüber stand.103 Das Instrument der Effizienzeinrede soll die Beurteilung einer Verhaltensweise mit ambivalenten Wirkungen auf den Wettbewerb erleichtern. Eine Rechtfertigung unter Effizienzgesichtspunkten kommt bei Vorliegen von vier Voraussetzungen in Betracht: - Durch das Verhalten des Unternehmens müssen – zumindest voraussichtlich – Effizienzen realisiert werden. - Das betreffende Verhalten ist notwendig zur Erreichung der Effizienzen. - Die Effizienzen kommen den Verbrauchern zugute. - Ein bedeutender Teil des Restwettbewerbs bleibt bestehen.104 cc) Schutzzielverschiebung Drittes prägendes Charakteristikum des Diskussionspapiers ist die Verschiebung des Schutzzwecks des Missbrauchsverbots zugunsten der Konsumentenwohlfahrt.105 Im Fokus soll nicht länger der Schutz des verbleibenden Restwettbewerbs stehen, sondern das Verbraucherwohl. Art. 102 AEUV schützt nach dem Verständnis der Generaldirektion den Wettbewerb als Mittel zur Steigerung der Konsumentenwohlfahrt und zur Gewährleistung einer effizienten Ressourcenallokation.106 Die Verbraucherwohlfahrt rückt dabei in den Mittelpunkt als Maßstab für die Überprüfung der Auswirkungen einer Verhaltensweise. Entsprechend erklärte auch Albers, seinerzeit Anhörungsbeauftragter in der Generaldirektion Wettbewerb, die Kommission bezwecke mit dem Diskussionspapier eine Akzentverschiebung hin zum Verbraucherschutz als Schutzzweck bei der Anwendung des Art. 102 AEUV.107 Der Schutz des Wettbewerbs stellt sich nach diesem Ansatz mehr als Mittel zur Verwirklichung dieses Zwecks dar.108 c) Die Prioritätenmitteilung der Europäischen Kommission von 2009 Die soeben erläuterten drei Kernelemente haben in etwas modifizierter Form Eingang in die „Erläuterungen zu den Prioritäten der Kommission bei Anwendung von Artikel 82 des EG-Vertrags (jetzt Art. 102 AEUV) auf Fälle von Behinderungsmissbrauch durch marktbeherrschende Unternehmen“109 vom 24. 2. 2009 (im 103 Immenga, EuZW 2006, 481; vgl. die Rechtsprechung: EuGH, Urteil vom 9. 11. 1983, Rs. C-322/81, EU:C:1983:313, Rn. 85 – Michelin I. 104 Kommission, Diskussionspapier, Rn. 84 ff. 105 Kommission, Diskussionspapier, Rn. 4. 106 Kommission, Diskussionspapier, Rn. 54. 107 Albers, Der „more economic approach“ bei Verdrängungsmissbräuchen, S. 11, 14. 108 Kommission, Diskussionspapier, Rn. 54. 109 Mitteilung der Kommission – Erläuterungen zu den Prioritäten der Kommission bei der Anwendung von Artikel 82 des EG-Vertrags auf Fälle von Behinderungsmissbräuchen durch

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Folgenden: Prioritätenmitteilung) der Europäischen Kommission gefunden.110 Diese ist im Ergebnis eine Weiterentwicklung des Diskussionspapiers aus 2005 und stellt zugleich die erste förmliche Mitteilung der Kommission zum Missbrauchstatbestand des Art. 102 AEUV dar.111 Dabei ist die Prioritätenmitteilung wesentlich kürzer als das Diskussionspapier ausgefallen. Dies dürfte sicher auch der Notwendigkeit einer vermittelnden Lösung zwischen den ursprünglichen Bestrebungen der Umsetzung eines umfassenden effects-based approach bei der Anwendung des Art. 102 AEUV und der bisweilen zurückhaltenden Rezeption in der Rechtsprechung geschuldet sein.112 aa) Inhalt Die Kommission konkretisiert in der Prioritätenmitteilung die Ausübung des ihr nach ständiger Rechtsprechung zustehenden Aufgreifermessens.113 Sie betont dazu selbst, dass Zweck der Prioritätenmitteilung nicht sei, Aussagen über die Rechtslage zu treffen.114 Hierbei soll die Verbraucherwohlfahrt als Kriterium der Priorisierung dienen. Zugunsten einer möglichst wirksamen Einsetzung ihrer Ressourcen sollen nur noch Fälle verfolgt werden, die den größten Schaden für Verbraucher zur Folge haben.115 Die Kommission versucht damit, den vermeintlichen Defiziten der formbasierten Herangehensweise zu begegnen und das Vorliegen quantitativer Nachweise zur Voraussetzung für die Missbräuchlichkeit einer durch ein marktbeherrschendes Unternehmen umgesetzten Geschäftspraxis zu machen. In der Prioritätenmitteilung erläutert die Kommission hierzu Grundsätze der verstärkten Ökonomisierung der Missbrauchskontrolle und schlägt dazu einen analytischen Rahmen für die Beurteilung von preisbezogenen Behinderungsmissmarktbeherrschende Unternehmen, ABl. 2009, C 45/7 vom 24. 2. 2009, nachfolgend zitiert als Kommission, Prioritätenmitteilung. 110 Zur Prioritätenmitteilung: Albaek, in: Basedow/Wurmnest (Hrsg.), Structure and Effects in EU Competition Law, S. 41; Mestmäcker, in: Pace (Hrsg.), European Competition Law: The Impact of the Commission’s Guidance on Article 102, S. 25; Korah, in: Pace (Hrsg.), European Competition Law: The Impact of the Commission’s Guidance on Article 102, S. 8; Geradin, in: Etro/Kokkoris (Hrsg.), Competition Law and the Enforcement of Article 102 TFEU, S. 37; Gravengaard/Kjaersgaard, ECLR 2010, 285; Kellerbauer, in: Möschel (Hrsg.), 50 Jahre Wettbewerbsgesetz in Deutschland und in Europa, S. 69; Witt, European Law Review 2010, 214. 111 So wurde die Prioritätenmitteilung als erstes Kommissionsdokument zur Umsetzung des more economic approach in der Missbrauchsaufsicht in alle 22 Sprachen der Europäischen Union übersetzt. Den offiziellen Charakter der Prioritätenmitteilung macht auch die Veröffentlichung im offiziellen Journal der Kommission (C-Serie) deutlich. 112 So auch Wurmnest, in: Basedow/Wurmnest (Hrsg.), Structure and Effects in EU Competition Law, S. 97, 101. 113 Bulst, in: Langen/Bunte, Art. 102 AEUV Rn. 28. 114 Kommission, Prioritätenmitteilung, Rn. 3. 115 Kommission, Prioritätenmitteilung, Rn. 5.

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bräuchen vor. Zentrales Element der Prioritätenmitteilung ist die Beschreibung des effects-based approach und Vorschläge zur Anwendung dieses Ansatzes auf alle preisbezogenen Behinderungsmissbräuche. Nach dem Verständnis der Kommission soll ein Verhalten grundsätzlich anhand seiner wahrscheinlichen Auswirkungen auf den Wettbewerb beurteilt werden.116 Als maßgebliches Kriterium für die Beurteilung von Behinderungsmissbräuchen führt die Kommission das Konzept der „wettbewerbswidrigen Marktverschließung“ ein. Hierzu wird der sog. As efficient competitor Test (AEC-Test)117 als wesentlicher Bestandteil dieses Ansatzes qualifiziert und erläutert. Dieser Test soll es ermöglichen, anhand eines Vergleichs von Preisen und Kosten einer Dienstleistung oder eines Produkts preisbezogene Behinderungsmissbräuche nachzuweisen. Formale, auf einer typisierenden Betrachtung beruhende Faktoren, sollen hingegen nur noch eine untergeordnete Rolle spielen. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz macht die Kommission nur für Verhaltensweisen, die den Wettbewerb ausschließlich behindern und keine Effizienzvorteile mit sich bringen. Darunter soll die Hinderung, Produkte von Wettbewerbern zu testen oder das Setzen finanzieller Anreize, solche Produkte nicht zu testen sowie die Bezahlung von Händlern zur verzögerten Einführung eines Konkurrenzproduktes fallen.118 (1) Die Rolle des AEC-Tests: Der Test als Prüfungsmaßstab für alle Formen des preisbezogenen Behinderungsmissbrauchs (a) Ausgangspunkt und konzeptionelle Grundlagen Bei dem As efficient competitor-Test handelt es sich um ein Instrument der ökonomischen Analyse. Der AEC-Test als solcher wurzelt im Denken der Chicago School119 und wurde von Richard Posner entwickelt.120 Ansatzpunkt dieses Tests ist die Prämisse, dass das Kartellrecht nicht den Schutz weniger effizienter Wettbewerber bezwecke, sondern im Gegenteil eine Auslesefunktion beabsichtigt sei.121 116

Kommission, Prioritätenmitteilung, Rn. 27. Synonym wird die Bezeichnung „equally efficient competitor- Test“ verwendet. 118 Kommission, Prioritätenmitteilung, Rn. 22. 119 Bei der Chicago School handelt es sich um eine Wettbewerbsschule, die sich im Laufe der 1970er und 1980er Jahre als Reaktion auf die als interventionistisch kritisierte Harvard School in den USA formte und Effizienzen in den Vordergrund der Betrachtungen stellt, grundlegend für diese Denkschule: Bork, The Antitrust Paradox: A Policy at War with Itself, 1978; Posner, Antitrust Law: An Economic Perspective, 1976; weitere Einblicke in: Pitofsky (Hrsg.), How the Chicago School Overshot the Mark: The Effect of Conservative Economic Analysis on U.S. Antitrust Law, 2008. 120 Posner, Antitrust Law, S. 194 f.: „I propose the following standard for judging practices claimed to be exclusionary: in every case in which such a practice is alleged, the plaintiff must prove first that the defendant has monopoly power and second that the challenged practice is likely in the circumstance to exclude from the defendant’s market an equally or more efficient competitor“. 121 Albers, Der „more economic approach“ bei Verdrängungsmissbräuchen, S. 11, 15; vgl. auch Posner, Antitrust Law, S. 196: „It would be absurd to require the firm to hold a price umbrella over less efficient entrants“. 117

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Hinter der Einführung des As efficient competitor-Tests steht daher auch die wettbewerbspolitische Wertung, dass das Missbrauchsverbot des Art. 102 AEUV den Schutz des Wettbewerbs und nicht der Wettbewerber bezwecken soll.122 Der Test verleiht damit einem wichtigen Grundgedanken des Kartellrechts Ausdruck: Wettbewerb, auch aggressiver Wettbewerb, ist grundsätzlich erwünscht. Weniger effiziente Wettbewerber müssen, sofern sie eine geringere Leistungsfähigkeit aufweisen, damit rechnen, aus dem Markt auszuscheiden.123 Ein Behinderungsmissbrauch liegt demnach nur vor, wenn die betreffende Verhaltensweise geeignet ist, einen gleich effizienten oder effizienteren Wettbewerber vom Markt zu verdrängen.124 (b) Funktionsweise Der AEC-Test ist eine Methode zur Beurteilung preisbezogener Behinderungsmissbräuche. Er dient damit als objektives Prüfungskriterium bei der Feststellung eines Verstoßes gegen Art. 102 AEUV.125 Die Anwendung des Tests soll es ermöglichen, zu erwartende Auswirkungen der in Frage stehenden Verhaltensweise zu identifizieren. Der Test macht somit auf der Tatbestandsebene eine auswirkungsbasierte Einzelfallprüfung möglich. Konkret dient er dazu, zu ermitteln, ob die fragliche potentiell missbräuchliche Verhaltensweise zu dem Ausschluss eines Wettbewerbers führen würde, der genauso effizient wie das marktbeherrschende Unternehmen ist. Dazu wird ein hypothetischer Wettbewerber als Bezugspunkt gewählt und seine Wettbewerbsfähigkeit anhand der Kostenstruktur und der Preise des marktbeherrschenden Unternehmens gemessen. Im Vordergrund steht dabei die Frage, ob ein ebenso effizienter Wettbewerber durch das Verhalten vom Markt ausgeschlossen werden könnte.126 Hierzu findet ein Vergleich von Kosten und Verkaufspreisen statt. Sofern die Preise oberhalb der Kosten liegen, wäre es einem ebenso effizienten Wettbewerber möglich, weiterhin am Markt zu agieren. Liegen die Preise jedoch unterhalb der Kosten, spricht dies für das Vorliegen einer wettbewerbswidrigen Marktverschließung. Übertragen auf die Gewährung bedingter Rabatte wird der Test insoweit modifiziert bzw. ergänzt, dass ermittelt wird, zu welchem Preis der Wettbewerber anbieten müsste, um die Abnehmer für den Verlust der Rabatte zu kompensieren.127

122 Kommission, Prioritätenmitteilung, Rn. 6; vgl. auch zu diesem Vorwurf von Weizsäcker, WuW 2007, 1078, 1084. 123 Fuchs, in: Festschrift Möschel, S. 241, 242. 124 Posner, Antitrust Law, S. 194. 125 Rummel, Rechtssicherheit bei der Anwendung des equally efficient competitor-Tests, S. 23. 126 Kommission, Prioritätenmitteilung, Rn. 25. 127 Kommission, Prioritätenmitteilung, Rn. 41.

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(c) Exkurs: Erläuterung der Kostenbegriffe Die Anwendung von Kosten-Preis-Tests, so auch des AEC-Tests, verlangt die Hinzuziehung diverser Kostenmaßstäbe. Daher sollen im Folgenden die wichtigsten Kostenbegriffe, die von der Kommission, den Unionsgerichten und dem Schrifttum herangezogen werden, zum Zwecke eines besseren Verständnisses kurz erläutert werden.128 Zunächst lassen sich Kosten grundsätzlich in zwei Kategorien einteilen: Kosten, die sich mit der Ausbringungsmenge verändern und Kosten, die unabhängig von der Ausbringungsmenge gleich bleiben. Kosten, die unabhängig von der Ausbringungsmenge anfallen, werden Fixkosten („fixed costs“) genannt.129 Beispielhaft sei hier die Miete für Produktionsstätten oder Büroräume genannt. Variable Kosten („variable costs“) sind hingegen die Kostenbestandteile, die sich entsprechend der Ausbringungsmenge verändern, wie beispielsweise Materialkosten oder Grundstoffe.130 Die Summe aus Fixkosten und variablen Kosten bilden die Gesamtkosten. Die durchschnittlichen variablen Kosten („average variable costs“ – AVC) ergeben sich aus der Summe der variablen Kosten geteilt durch die Ausbringungsmenge. Durchschnittliche vermeidbare Kosten („average avoidable costs“- AAC) sind das Mittel aus den Kosten, das ein Unternehmen hätte vermeiden können, wenn es darauf verzichtet hätte, eine abgesonderte Menge an zusätzlichen Output zu produzieren. Daneben nehmen die durchschnittlichen Gesamtkosten („average total costs“ – ATC) eine wichtige Rolle in der Missbrauchsaufsicht ein. Diese erhält man, wenn man die Summe der fixen und variablen Kosten durch die absolute Ausbringungsmenge teilt. Die langfristigen durchschnittlichen Grenzkosten (long-run average incremental costs – LRAIC) sind das Mittel aller variablen und fixen Kosten, die einem Unternehmen bei der Herstellung eines Produktes entstehen.131 Eine weitere wichtige Kostenart bilden die Grenzkosten („marginal costs“ – MC). Dabei handelt es sich um diejenigen Kosten, die bei der Herstellung einer weiteren Einheit der Ausbringungsmenge anfallen. Diese sind jedoch praktisch nicht relevant, da es große Schwierigkeiten bereitet, diese zu bestimmen.132 (d) Vorläufige Bewertung: Praktikabilität, Limitationen und Herausforderungen Die Bestrebungen der Kommission, den Test zum einheitlichen Maßstab für alle preisbezogenen Behinderungsmissbräuche aufzuwerten, sind jedoch nicht kritiklos geblieben. Oftmals wird die Ausklammerung weniger effizienter Wettbewerber aus 128

Vgl. Mankiw/Taylor, Grundzüge der Volkswirtschaftslehre, S. 188 ff. O’Donoghue/Padilla, The Law and Economics of Article 102 TFEU, S. 293; Pries, Kampfpreismissbrauch im ökonomisierten EG-Kartellrecht, S. 41 ff. 130 O’Donoghue/Padilla, The Law and Economics of Article 102 TFEU, S. 293; Wurmnest, Marktmacht und Verdrängungsmissbrauch, S. 392. 131 Kommission, Prioritätenmitteilung, Rn. 26. 132 Eilmansberger/Bien, in: Münchener Kommentar, Europäisches Wettbewerbsrecht, Art. 102 AEUV Rn. 498. 129

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dem Schutzbereich des Art. 102 AEUV bemängelt.133 Dabei wird angeführt, dass auch weniger effiziente Wettbewerber einen Beitrag zu einem funktionierenden Wettbewerb leisten können oder sich aufgrund der Ausnutzung von Skaleneffekten zu einem gleich effizienten Wettbewerber entwickeln könnten. Zugleich können auch weniger effiziente Wettbewerber ganz allgemein Wettbewerbsdruck ausüben.134 Insoweit wird vielfach argumentiert, dass es wirtschaftspolitisch nicht erwünscht sei, diese aus dem Schutzbereich auszuklammern. Weiterhin erscheint es problematisch, dass der Test nur in der Lage ist aufzuzeigen, ob Wettbewerber in Gänze aus dem Markt gedrängt werden. Dies ist nach den Maßstäben der Kommission der Fall, wenn gleich effiziente Wettbewerber nicht mehr profitabel am Markt teilnehmen können.135 Die Rechtspraxis scheint demgegenüber in der Praxis ein weiteres Begriffsverständnis zugrunde zu legen und sieht eine Verdrängungswirkung in der Marktteilnahme des ebenso effizienten Wettbewerbs „unter seinen Möglichkeiten“. Zudem ermöglicht der Test lediglich eine Momentaufnahme und vernachlässigt so die dynamische Komponente der Marktentwicklung.136 Der europäischen Rechtspraxis zu Preismissbräuchen ist die Verengung des Schutzbereichs auf solche Wettbewerber, die ebenso effizient sind wie das marktbeherrschende Unternehmen, nicht grundsätzlich fremd. Die Verwendung des Tests als solches in der europäischen Rechtspraxis ist daher kein rechtliches Novum. Schon seit längerer Zeit und in verfestigter Rechtsprechung findet er zur Beurteilung bestimmter Praktiken Anwendung.137 Eine Neuerung gegenüber der bisherigen Praxis würde jedoch seine Verwendung bei der Beurteilung von mutmaßlich missbräuchlichen Rabattsystemen und damit auf alle Formen des preisbezogenen Behinderungsmissbrauchs darstellen.138 Damit soll auch der Kritik begegnet werden, die Rechtsprechung zu preisbezogenen Behinderungsmissbräuchen sei nicht konsistent. Dem AEC-Test soll in der Missbrauchsdogmatik somit die Rolle eines einheitlichen Kriteriums für die Abgrenzung von zulässigem Leistungswettbewerb und unzulässigem Nichtleistungswettbewerb für alle Formen des preisbezogenen Behinderungsmissbrauchs zukommen. Damit verfolgt die Kommission unter deutlicher Abweichung von der bisherigen Rechtspraxis eine klare Aufwertung des AEC-Tests,

133

So z. B. Wils, World Competition 37 (2014), 405, 430; Salop, Antitrust L.J. 81 (2017), 371, 414. 134 Rousseva, Rethinking Exclusionary Abuses in EU Competition Law, S. 337; Riziotis, in: Mackenrodt/Conde Gallego/Enchelmaier (Hrsg.), Abuse of Dominant Position, S. 89, 93. 135 Kommission, Prioritätenmitteilung, Rn. 43, 60, 80. 136 Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 209 b; Rousseva, Rethinking Exclusionary Abuses in EU Competition Law, S. 338 m.w.N.; Möschel, in: Festschrift Mestmäcker, S. 355, 364. 137 Siehe dazu die Analyse der Rechtsprechung zu den Fallgruppen der Kampfpreise und der Kosten-Preis-Schere unter D. 138 Vgl. Kommission, Prioritätenmitteilung, Rn. 40.

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indem sie ihn zum allgemeinen Prüfungsmaßstab für alle Formen des preisbezogenen Behinderungsmissbrauchs erhebt.139 Jedoch hat der Test diverse Schwächen, die sich in der Rechtspraxis zuungunsten von Rechtssicherheit und Praktikabilität auswirken können. Vor allem die zuverlässige Bestimmung belastbarer Parameter wird sich in der Praxis häufig als problematisch darstellen. Zu denken ist hier insbesondere an Informationsdefizite der kartellrechtlichen Behörden. Darüber hinaus ergibt sich durch die Anwendung des As efficient competitor-Tests die Notwendigkeit der Durchführung aufwendiger ökonomischer Analysen, die viele Ressourcen binden.140 Zudem wirken sich die Probleme bei der Bestimmung wesentlicher Kostenparameter auch auf die zivilrechtliche Rechtsdurchsetzung im Wege von Schadens- und Unterlassungsansprüchen aus. Auch die Tatsache, dass die Kostenstruktur des Marktbeherrschers zum allgemeinen Referenzmaßstab erhoben wird, ist nicht unproblematisch. Durch seine Stellung auf dem Markt und seine Größe wird es diesem oftmals möglich sein, kostengünstiger als seine Wettbewerber auf dem Markt zu agieren. Insoweit lassen sich einige Problemfelder identifizieren, die Kartellbehörden und Gerichte in der Praxis vor erhebliche Schwierigkeiten stellen können. Letztendlich wird sich der As efficient competitor-Test an der Umsetzung in der Rechtspraxis messen lassen müssen. Hierbei wird vor allem entscheidend sein, in welcher Weise die Unionsgerichte den Test anwenden und ihm Relevanz beimessen. (2) Weitere Aspekte der Prioritätenmitteilung (a) Schutzzielverschiebung? Im Gegensatz zu dem eindeutigen Bekenntnis zur Konsumentenwohlfahrt als Schutzzweck des Kartellrechts im Diskussionspapier bekennt sich die Kommission in der Prioritätenmitteilung nicht so ausdrücklich zu dieser Auslegung des Missbrauchsverbots.141 Die Kommission führt zu diesem Aspekt lediglich aus, dass „Verhaltensweisen, die den Verbrauchern am meisten schaden, vorrangig verfolgt werden sollen.“142 An anderer Stelle heißt es aber, dass sie „in erster Linie den Wettbewerbsprozess im Binnenmarkt schützen [will]“.143 Der Begriff der Verbraucherwohlfahrt wird anhand beschreibender Beispiele konkretisiert, jedoch nicht näher definiert. Hierzu führt die Kommission insbesondere höhere Preise, verminderte Qualität oder eine eingeschränkte Produktauswahl als Beispiele für eine Be139 Vgl. Kommission, Prioritätenmitteilung, Rn. 23 – 27; so auch Rummel, Rechtssicherheit bei der Anwendung des equally efficient competitor-Tests, S. 38. 140 Wils, World Competition 37 (2014), 405, 430. 141 Zimmer, in: Basedow/Wurmnest (Hrsg.), Structure and Effects in EU Competition Law, S. 23, 33; Bodenstein, Kartellrechtliche Bewertung von Rabatten marktbeherrschender Unternehmen, S. 101; Bulst, in: Langen/Bunte, Art. 102 AEUV Rn. 19; Wurmnest, Marktmacht und Verdrängungsmissbrauch, S. 205. 142 Kommission, Prioritätenmitteilung, Rn. 5. 143 Kommission, Prioritätenmitteilung, Rn. 6.

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einträchtigung an.144 Dabei wird zugleich ein umfassendes Verbraucherverständnis zugrunde gelegt, das alle „direkten und indirekten Benutzer des Produkts, das Gegenstand des fraglichen Verhaltens [des marktbeherrschenden Unternehmens] ist“145, umfasst. Soweit die Kommission von der Konsumentenwohlfahrt als Schutzzweck des europäischen Wettbewerbsrechts ausgeht, ist hiermit die Konsumentenwohlfahrt im eigentlichen engeren Wortsinn gemeint.146 Insgesamt macht die Wortwahl der Kommission den Eindruck, als versuche sie einen vermittelnden Ansatz zwischen der angestrebten verstärkten Ausrichtung auf die Konsumentenwohlfahrt als auch dem traditionellen Schutzzweck des Wettbewerbsprozesses zu etablieren.147 Sicherlich wird dieser Ansatz auch in Ansehung der im Anschluss an die Veröffentlichung des Diskussionspapiers ergangenen höchstinstanzlichen Urteile zu sehen sein.148 Ungeachtet dessen macht die Kommission auch in der Prioritätenmitteilung deutlich, dass sie ihr Aufgreifermessen auch in Zukunft am Maßstab der Konsumentenwohlfahrt ausrichten möchte.149 (b) Rechtfertigungsmöglichkeiten: Effizienzeinrede und objektive Notwendigkeit Die Kommission erörtert in der Prioritätenmitteilung auch die Möglichkeit der Rechtfertigung von Verhaltensweisen. Demnach kann ein Verhalten gerechtfertigt sein, sofern es „objektiv notwendig ist oder […] dadurch erhebliche Effizienzvorteile erzielt werden, die etwaige wettbewerbsbeschränkendende Auswirkungen zulasten der Verbraucher aufwiegen.“150 Erwägungen hinsichtlich eines Effizienzeinwandes und zur Rechtfertigung prima facie missbräuchlichen Verhaltens sind auch bereits in der Rechtsprechung angeklungen, sodass die Erörterung einer Rechtfertigungsmöglichkeit in der Prioritätenmitteilung an sich nicht weiter verwundert. Gleichwohl scheint die Kommission der Effizienzeinrede einen höheren Stellenwert beizumessen und eine umfassende Rechtfertigungsmöglichkeit nach dem Vorbild des Art. 101 Abs. 3 AEUV schaffen zu wollen. Damit hält die Kommission auch in der Prioritätenmitteilung an dem im Diskussionspapier entwickelten umfassenden Effizienzeinwand fest.151 Das marktbeherrschende Unternehmen muss zur Rechtfer144

Kommission, Prioritätenmitteilung, Rn. 19. Kommission, Prioritätenmitteilung, Rn. 19. 146 Nach Schmidtchen ist es strittig, ob die Kommission die Konsumentenwohlfahrt oder die aggregierte Gesamtwohlfahrt meint, vgl. Schmidtchen, in: Festschrift Schäfer, S. 473; a.A. Zimmer, in: Zimmer (Hrsg.), The Goals of Competition Law, S. 486, 493, der der Ansicht ist, dass ein Gesamtwohlfahrtstandard jedenfalls nicht mit dem europäischen Recht vereinbar wäre. 147 So auch Hertfelder, Die consumer welfare im europäischen Wettbewerbsrecht, S. 167 f. 148 So insbesondere EuGH, Urteil vom 15. 03. 2007, Rs. C-95/04 P, EU:2007:166 – British Airways. 149 Zur Zulässigkeit der Priorisierung von Fällen anhand der Konsumentenwohlfahrt unter Zugrundelegung einer Einzelfallprüfung Bulst, RabelsZ 73 (2009), 703, 709 ff. 150 Kommission, Prioritätenmitteilung, Rn. 28. 151 Vgl. hierzu auch Schmidtchen, in: Oberender (Hrsg.), Effizienz und Wettbewerb, 2005, S. 9. 145

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tigung seines Verhaltens den Nachweis erbringen, dass (1) Effizienzvorteile „wahrscheinlich“ sind, (2) das Verhalten zur Erzielung der Effizienzvorteile „unverzichtbar“ ist, (3) die erzielten Effizienzvorteile negative Auswirkungen auf Wettbewerb und Verbraucher aufwiegen und (4) der wirksame Wettbewerb nicht ausgeschaltet wird.152 bb) Rechtliche Einordnung Bei der Prioritätenmitteilung handelt es sich um ein rechtlich unverbindliches Instrument aus dem Anwendungsbereich des soft law. Rechtsdogmatisch handelt es sich bei der Prioritätenmitteilung damit um einen Rechtsakt sui generis.153 Im ersten Moment überrascht die Veröffentlichung einer „Prioritätenmitteilung“ gegenüber den gängigen – und zuvor angekündigten – Leitlinien. Dies dürfte dem Umstand geschuldet sein, dass die Kommission mit dieser Wortwahl eine stärkere Indizwirkung vermeiden wollte, da sie in wesentlichen Aspekten von der ständigen Rechtsprechung abweicht.154 Die Prioritätenmitteilung entfaltet keinerlei rechtliche Bindungswirkung gegenüber den europäischen Gerichten oder mitgliedstaatlichen Institutionen wie Wettbewerbsbehörden oder Gerichten.155 Gleichwohl ist nicht ausgeschlossen, dass die Prioritätenmitteilung die Rechtsanwendungspraxis der Wettbewerbsbehörden sowie die künftige Rechtsprechung zu Art. 102 AEUV faktisch zu beeinflussen vermag.156 Diese faktische Bindung erscheint angesichts der abweichenden Maßstäbe zumindest rechtsstaatlich nicht unbedenklich, da es den europäischen Gerichten und nicht der Kommission obliegt, das europäische Wettbewerbsrecht auszulegen.

152

Kommission, Prioritätenmitteilung, Rn. 30. Geradin, in: Etro/Kokkoris (Hrsg.), Competition Law and the Enforcement of Art. 102 TFEU, S. 37; Bodenstein, Kartellrechtliche Bewertung von Rabatten marktbeherrschender Unternehmen, S. 140. 154 So auch Haberkamm, Art. 102 AEUV im Lichte eines ökonomisch geprägten Prüfungsansatzes, S. 216, Hirsbrunner/Schädle, EuZW 2006, 583 f.; O’Donoghue/Padilla, The Law and Economics of Article 102 TFEU, S. 75. 155 Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 16; Wurmnest, in: Basedow/Wurmnest (Hrsg.), Structure and Effects in EU Competition Law, S. 97, S. 101; Lovdahl Gormsen, ECLR 2010, 45, 50; Molestina/Picht, ILC 2015, 203, 210. 156 Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 16; Ackermann, in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, § 21 Rn. 11; Witt, European Law Review 2010, 214; Pohlmann, in: Festschrift Möschel, S. 471 ff. 153

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cc) Bewertung und kritische Würdigung: Die Prioritätenmitteilung als Wendepunkt in der Beurteilung von Behinderungsmissbräuchen? Die Kommission verfolgt mit der Prioritätenmitteilung in ihren eigenen Worten das Ziel, für mehr Klarheit und Vorhersehbarkeit in der Missbrauchsaufsicht zu sorgen.157 Gleichzeitig ist der Kommission auch an der Förderung einer bestimmten Auslegung der preisbezogenen Behinderungsmissbräuche des Art. 102 AEUV gelegen.158 Dieses Vorhaben der Kommission und dessen konkrete Umsetzung im Gewand einer Prioritätenmitteilung scheinen jedoch gerade vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Handhabung von Behinderungsmissbräuchen durch Kommission und die europäischen Gerichte problematisch.159 Eine Umsetzung dergestalt würde bedeuten, dass die Kommission in Ausübung ihres Aufgreifermessens komplexe ökonomische Analysen nach ihren eigenen Vorgaben durchführt und unternehmerisches Verhalten, das nach den Kriterien der hergebrachten Rechtsprechung missbräuchlich wäre, ungeahndet ließe.160 Dies gilt in besonderem Maße, wenn die Kommission einen Beurteilungsmaßstab aufstellt, der von der gefestigten Rechtsprechung der europäischen Gerichte zum Missbrauchsverbot nach Art. 102 AEUV abweicht.161 Daran vermag auch der vermeintliche „Kunstgriff“162 der Kommission, ihre präfierte Rechtsaufassung in Form einer Prioritätenmitteilung zu verfassen und als Konkretisierung ihres Verfolgungsermessens zu deklarieren, nichts ändern. So stellen sowohl die Fokussierung auf die Verbraucherwohlfahrt, als auch die konsequente Umsetzung eines auswirkungsbasierten Ansatzes auf alle Formen des preisbezogenen Behinderungsmissbrauchs wesentliche Neuerungen dar. Insbesondere mit der Einführung des AEC-Tests als Prüfungsinstrument für alle Formen des preisbezogenen Behinderungsmissbrauchs führt die Kommission ein neues Element in die Missbrauchskontrolle ein. Vor diesem 157

Kommission, Prioritätenmitteilung, Rn. 2. Monti, European Competition Law & Practice 2010, 2, 5 f.; siehe hierzu auch die Andeutungen von Esteva Mosso, in: Basedow/Wurmnest (Hrsg.) Structure and Effects in EU Competition Law, S. 11, 17 f.; Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker Art. 102 AEUV Rn. 14. 159 So auch kritisch zu dieser Vorgehensweise der Kommission Ackermann, in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, § 21 Rn. 11: „Insoweit bestehen Bedenken gegenüber der neuesten Vorgehensweise der Kommission, die in ihrer Mitteilung zur Anwendung von Art. 102 auf Behinderungsmissbräuche faktisch interpretative Aussagen über das Missbrauchsverbot macht, diese jedoch als Setzung von Anwendungsprioritäten und damit als Ausdruck ihres Aufgreifermessens deklariert, um so einem möglichen Konflikt mit der Verbotsauslegung durch den EuGH und das EuG zu entgehen.“; kritisch auch Lovdahl Gormsen, ECLR 2010, 45 f., 50; Witt, European Law Review 2010, 214, 233 ff.; Nihoul, JECLAP, 521. 160 So auch Barthelmeß, EWS 2010, 117, 120. 161 Vgl. zu den rechtsstaatlichen Grenzen: Dreher/Adam, ZWeR 2006, 259, 264 ff. 162 Diese Bezeichnung verwendet in diesem Zusammenhang auch Wurmnest, Marktmacht und Verdrängungsmissbrauch, S. 622; Bodenstein, Kartellrechtliche Bewertung von Rabatten marktbeherrschender Unternehmen, S. 251; kritisch zu diesem Vorgehen auch Ackermann, in: Riesenhuber (Hrsg.), § 21 Rn. 11. 158

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Hintergrund könnte die Kommission im Falle einer weitgehend ablehnenden Haltung der Unionsgerichte gegenüber dem neuen Prüfungsmaßstab gezwungen sein, die Prioritätenmitteilung zurückziehen oder zumindest anzupassen, um eine einheitliche Rechtsanwendung zu gewährleisten.163 Der Kommission steht es grundsätzlich frei, sich selbst im Rahmen ihres Aufgreifermessens strengere Maßstäbe aufzuerlegen. Hierbei kann sie vordergründig Ressourcen auf Fälle verwenden, die nach den in der Prioritätenmitteilung niedergelegten Grundsätzen besonders wettbewerbsschädlich sind. Inwieweit diese Selbstbindung einen Vertrauensschutz der Unternehmen unter Berufung auf die Prioritätenmitteilung und im Ergebnis eine verpflichtende Anwendung des AECTests in den beschriebenen Fallkonstellationen zu begründen vermag, ist nicht abschließend geklärt.164 Jedenfalls dürfte die einschlägige Rechtsprechung zu verwaltungsinternen Handlungsvorgaben gewisse Implikationen für eine etwaige Selbstbindung der Kommission haben.165 Zudem gebieten der Vertrauensgrundsatz, der Gleichbehandlungsgrundsatz und Treu und Glauben ganz allgemein, dass ohne sachlichen Grund nicht von den selbst auferlegten Maßstäben abgewichen werden darf. Angesichts der vagen Formulierungen, der Vorbehalte und dem Abweichen von der gefestigten Rechtsprechung in einigen Punkten erscheint die faktische Bindung der Kommission in einigen Punkten jedoch abgeschwächt.166 In der rechtswissenschaftlichen Auseinandersetzung wurde die Prioritätenmitteilung sehr unterschiedlich aufgenommen. Die verstärkte Einbindung ökonomischer Erkenntnisse bei der Anwendung des Art. 102 AEUV wird überwiegend begrüßt.167 Es lassen sich aber auch kritische Stimmen finden, die einer verstärkten quantitativen Ausrichtung der Beurteilung preisbezogener Behinderungsmissbräuche eher kritisch gegenüber stehen.168 163 Zu diesem Aspekt auch Molestina/Picht, ILC 2015, 203, 211; Bodenstein, Kartellrechtliche Bewertung von Rabatten marktbeherrschender Unternehmen, S. 251; Wurmnest, Marktmacht und Verdrängungsmissbrauch, S. 623. 164 Vgl. Geradin, in: Etro/Kokkoris (Hrsg.), Competition Law and the Enforcement of Article 102 TFEU, S. 37, 50; Lovdahl Gormsen, World Competition 36 (2013), 223, 243. 165 „[…] von der Verwaltung erlassene interne Maßnahmen […] zwar nicht als Rechtnorm qualifiziert werden können, die die Verwaltung auf jeden Fall zu beachten hat, […], sie jedoch eine Verhaltensnorm darstellen, die einen Hinweis auf die zu befolgende Verwaltungspraxis enthält und von der die Verwaltung im Einzelfall nicht ohne Angabe von Gründen abweichen kann, die mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung vereinbar sind“, vgl. EuGH, Urteil vom 28. 6. 2005, verb. Rs. C-189/02 P, C-202/02 P, C-205/02 P bis C-208/02 P und C-231/02 P, EU:C:2005:408, Rn. 209 – Dansk Rorindustrie; näher zur Selbstbindung der Kommission auch Bulst, in: Langen/Bunte, Art. 102 AEUV Rn. 26. 166 Bodenstein, Kartellrechtliche Bewertung von Rabatten marktbeherrschender Unternehmen, S. 155 m.w.N. 167 Gravengaard/Kjaersgard, ECLR 2010, 285, 304; Geradin, in: Etro/Kokkoris (Hrsg.), Competition Law and the Enforcement of Article 102 TFEU, S. 37 ff.; Kellerbauer, in: Möschel (Hrsg.), 50 Jahre Wettbewerbsgesetz in Deutschland und in Europa. 168 Behrens, in: Festschrift Schäfer, S. 457; Lovdahl Gormsen, ECLR 2010, 45; Zäch, WuW 2010, 139.

II. Ökonomisierung des europäischen Wettbewerbsrechts

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Die Prioritätenmitteilung stellt den vorläufigen Schlusspunkt des Reformprozesses der Kommission zur Umsetzung eines more economic approach zur Beurteilung von Behinderungsmissbräuchen dar. Angesichts des erhöhten Prüfungsaufwandes erscheint zumindest fraglich, ob die Prioritätenmitteilung tatsächlich zu einem höheren Maß an Rechtssicherheit und Planungssicherheit beitragen wird. Gleichwohl müssen die in der Prioritätenmitteilung dargelegten Grundsätze zuvorderst an der Rechtspraxis gemessen werden. Inwieweit die Unionsgerichte die von der Kommission angestoßene Entwicklung umsetzen und die neuen Standards mittragen, wird in den nächsten Kapiteln genauer zu untersuchen sein. 3. Zwischenfazit: Grenzen und Möglichkeiten des more economic approach als Leitbild für eine Ökonomisierung des europäischen Wettbewerbsrechts Festzuhalten bleibt, dass sich die Europäische Kommission in den vergangenen Jahren verstärkt um eine umfassende Reform der Missbrauchsaufsicht bemüht hat. Im Fokus dieser Bemühungen stehen die verstärkte Ausrichtung der Anwendung des Kartellrechts an ökonomischen Beurteilungskriterien und die erhöhte Bedeutung von Verbraucherwohlfahrtsaspekten. Hierzu beschreibt der von der Kommission propagierte more economic approach einen umfassenden Ansatz, der gleichermaßen rechtliche Implikationen für die Definition und Anwendung der tatbestandlichen Voraussetzungen des Missbrauchsverbots und die Rechtsanwendung sowie die Konkretisierung des gesetzlichen Schutzzwecks und damit zugleich eine normative Komponente hat. Für die Bewertung von preisbezogenen Behinderungsmissbräuchen steht hierbei der As efficient competitor-Test als einheitlicher Maßstab im Vordergrund des neuen Ansatzes. Gleichzeitig sind die Bestrebungen der Kommission zur Umsetzung dieses Ansatzes Ausdruck einer Überzeugung von der wettbewerbspolitischen Überlegenheit wohlfahrtsökonomischer Modelle gegenüber einem stärker an rechtlichen Gesichtspunkten orientiertem, theoretischem Verständnis, das die Erhaltung von Wettbewerbsfreiheit und Wettbewerbsstrukturen in den Vordergrund stellt.169 Der more economic approach konstituiert hierzu eine Abkehr der Fundierung der Wettbewerbspolitik auf den Ideen der ordoliberalen Freiburger Schule170, nach der die Erhaltung der Wettbewerbsfreiheit an sich durch die Anwendung klar konstruierter Verbote das Ziel der Wettbewerbsrechts darstellt und ersetzt diese durch eine ergebnisbezogene Analyse unternehmerischen Verhaltens basierend auf einem wohlfahrtsökonomischen Ansatz. Insoweit basiert der more economic approach auf einem der Chicago School bzw. Post-Chicago School 169

So auch Wolters, Die rechtsstaatlichen Grenzen des more economic approach im Lichte der europäischen Rechtsprechung, S. 97. 170 Hauptvertreter der Freiburger Schule waren Walter Eucken und Franz Böhm, siehe hierzu Kerber/Schwalbe, in: Münchener Kommentar, Europäisches Wettbewerbsbrecht, Einleitung, Rn. 110; grundlegend zu dem Verständnis des Wettbewerbs als offenem Prozess auch v. Hayek, Der Wettbewerb als Entdeckungsverfahren, 1968.

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C. Grundlagen, Systematik und Entwicklung der europ. Missbrauchsaufsicht

ähnelnden wettbewerbstheoretischen Verständnis.171 Damit bewegt sich der Ansatz zugleich weg von den ergebnisoffenen Konzepten mit dem Fokus auf die Wettbewerbsfreiheit als institutionellen Eigenwert und stellt im ergebnisorientieren Konzepte einzelne erwünschte Resultate in den Fokus der Anwendung der einzelnen Verbotsnorm. Insoweit hat die Prioritätenmitteilung unter wettbewerbstheoretischen Gesichtspunkten auch Implikationen für das bisherige Schutzzweckverständnis. So verwundert es auch nicht, dass im Zuge der Reformvorschläge der Kommission zum Missbrauchsverbot und dem damit einhergehenden versuchten Paradigmenwechsel hin zur Konsumentenwohlfahrt eine Vielzahl an Artikeln zu diesem Themenkomplex veröffentlicht worden sind.172 Vor allem auf deutscher Seite zog die verfolgte Festschreibung der Konsumentenwohlfahrt als wesentlicher Bezugsgröße einer auswirkungsbezogenen Betrachtungsweise der europäischen Wettbewerbspolitik eine Grundsatzdebatte nach sich.173 Art. 102 AEUV befindet sich in einem fortwährenden Zielkonflikt zwischen dem Schutz des Wettbewerbs als Institution und dem Schutz der Handelspartner und Verbraucher vor Schädigungen durch das marktbeherrschende Unternehmen. Während der alte Artikel 3 Abs. 1 lit. g) des EG-Vertrages noch ein System unverfälschten Wettbewerbs zum Ziel der Gemeinschaft erklärt hat, ist dieser seit dem Vertrag von Lissabon nur noch im Protokoll Nr. 27 über den Binnenmarkt und den Wettbewerb174 wiederzufinden.175 Gleichwohl ändert diese neue Verortung de iure nichts an der Rechtsqualität der Bestimmung und die Aussage genießt weiterhin primärrechtlichen Rang gemäß Art. 51 EUV.176 Allenfalls geht mit der Streichung des Art. 3 Abs. 1 lit. g) EGV eine ideelle Schwächung des Institutionenschutzes als Ziel einher. Die primäre Fokussierung auf den Schutz des Wettbewerbs schließt die Berücksichtigung von Konsumentenwohlfahrt und Effizienzen nicht aus. Vielmehr stellen sich diese als erwünschte Folge des Wettbewerbs dar und können auf 171 So auch Haberkamm, Art. 102 AEUV im Lichte eines ökonomisch geprägten Prüfungsansatzes, S. 46; Nihoul, JECLAP 2014, 521, 528. 172 Vgl. Basedow, WuW 2007, 712; Eilmansberger, ZWeR 2009, 437; Parret, in: Zimmer (Hrsg.), The Goals of Competition Law, S. 61 ff.; Künzler, in: Zimmer (Hrsg.), The Goals of Competition Law, S. 182, 190; Wurmnest, Marktmacht und Verdrängungsmissbrauch, S. 45; Rousseva, Rethinking Exclusionary Abuses in EU Competition Law, S. 45 ff.; Möschel, in: Festschrift Mestmäcker, S. 357; Wils, World Competition 37 (2014), 405, 417 f. 173 Behrens, in: Festschrift Möschel, S. 115 ff.; Immenga, EuZW 2006, 481; Zimmer, WuW 2007, 1198, 1204 f.; Basedow, WuW 2007, 712; Emmerich, § 1 Rn. 34 f., § 9 Rn. 6, 6a. 174 Protokoll Nr. 27 über den Binnenmarkt und den Wettbewerb, ABl. vom 30. 3. 2010, Nr. C 115, S. 309. 175 Zur „Auslagerung“ kam es infolge politischen Drucks von französischer Seite. Ein früherer Entwurf des Verfassungsvertrages sah eine weitere Verankerung des freien und unverfälschten Wettbewerbs in Art. I-3 Abs. 2 vor. 176 Behrens, EuZW 2008, 193; Ackermann, in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, § 21 Rn. 4; Zimmer, in: Basedow/Wurmnest (Hrsg.), Structure and Effects in EU Competition Law, S. 23; Kling/Thomas, Kartellrecht, § 1 Rn. 2; Basedow, in: Basedow/ Wurmnest (Hrsg.), Structure and Effects in EU Competition Law, S. 3, 8.

II. Ökonomisierung des europäischen Wettbewerbsrechts

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nachgelagerter Ebene weiterhin Berücksichtigung finden.177 Angesichts der rechtlichen Vorgaben und Limitationen der Festschreibung der Konsumentenwohlfahrt als primärem Schutzzweck des europäischen Wettbewerbsrechts erscheint es vorzugswürdig, die Wettbewerbsfreiheit als solche weiterhin als primäres Schutzziel des Missbrauchsverbots zu begreifen. Auf diese Weise ist die Berücksichtigung konstitutioneller Freiheitsrechte möglich, ohne dass sich daraus erkenntnistheoretische Schwierigkeiten ergeben.178 Bislang haben auch die europäischen Gerichte dem Schutz des Wettbewerbs als Institution den Vorrang eingeräumt, ohne dass damit eine vollständige Ausblendung wohlfahrtsökonomischer Ziele einherginge.179 Gleichwohl deuten auch die Urteile jüngeren Datums auf ein Festhalten an der Wettbewerbsfreiheit als primärer Zielsetzung des europäischen Wirtschaftsrechts hin.180 Die Ausrichtung des europäischen Wettbewerbsrechtes am more economic approach bringt diverse Herausforderungen für die Rechtsanwendungspraxis mit sich. Hierbei ist vor allem der höhere Prüfungsaufwand zu benennen, der mit einer verstärkten Fokussierung auf eine Einzelfallanalyse einhergeht.181 Hierdurch werden Ressourcen in einem erheblichen Maße gebunden. Zudem kann die Einführung einer verstärkten ökonomischen Analyse zu einer Überforderung der Gerichte im Einzelfall sowie einer mangelnden Justiziabilität und damit zu einer Einbuße an Rechtssicherheit führen.182 Genaue Dimensionen und Ausmaß des more economic approach in der Missbrauchskontrolle sind weiterhin Gegenstand zahlreicher Kontroversen. Die tatsächliche Reichweite und Relevanz des more economic approach wird sich daher an der Umsetzung in der konkreten Entscheidungsfindung messen und der Adaption durch die Unionsgerichte messen lassen müssen.

177 Zimmer, in: Zimmer (Hrsg.), The Goals of Competition Law, S. 486, 490; Basedow, WuW 2007, 712; Wurmnest, in: Mackenrodt/Conde Gallego/Enchelmaier (Hrsg.), Abuse of Dominant Position, S. 1, 10; Eilmansberger, C.M.L. Rev. 42 (2005), 129, 135; Zimmer, WuW 2007, 1198, 1208. 178 So auch Petzold, Die Kosten-Preis-Schere im EU-Kartellrecht, S. 55. 179 Besonders klar trat dies in British Airways hervor, vgl. EuGH, Urteil vom 15. 3. 2007, Rs. C-95/04 P, EU:C:2007:166, Rn. 106 – British Airways; deutlich auch GA’in Kokott, Schlussanträge vom 23. 2. 2006, Rs. C-95/04 P, EU:C:2006:133, Rn. 68 – British Airways. 180 Insoweit führte der EuGH in seinem Urteil aus dem Jahr 2009 in GlaxoSmithKline aus, dass „[…] Art. 81 EG (Art. 101 AEUV), wie auch die übrigen Wettbewerbsregeln des Vertrags, nicht nur dazu bestimmt ist, die unmittelbaren Interessen einzelner Wettbewerber oder Verbraucher zu schützen, sondern die Struktur des Marktes und damit den Wettbewerb als solchen“.[…] „Daraus folgt, dass dem Gericht ein Rechtsfehler unterlaufen ist, als es das Vorliegen eines wettbewerbswidrigen Zwecks von dem Nachweis abhängig gemacht hat, dass die Vereinbarung Nachteile für die Endverbraucher beinhalte, und geschlossen hat, dass die Vereinbarung keinen solchen Zweck verfolgt.“, vgl. EuGH, Urteil vom 6. 10. 2009, verb. Rs. C501/06 P, 513/06 P, C-515/06 P und C-519/06 P, EU:C:2009:610, Rn. 63 f. – GlaxoSmithKline. 181 Lademann, in: Festschrift Möschel, S. 384. 182 Emmerich, Kartellrecht § 1 Rn. 36.

D. Die Beurteilung von preisbezogenen Behinderungsmissbräuchen in der Rechtsprechung: Analyse der Entscheidungspraxis Im folgenden Teil der Arbeit soll die Entscheidungspraxis der Europäischen Kommission und der Unionsgerichte zu den typischen Fallgruppen der preisbezogenen Behinderungsmissbräuche dargestellt und analysiert werden. Ziel der Analyse ist es, allgemeine Grundsätze der Rechtsprechung zu identifizieren, um so einen systematischen Überblick über die Rechtsanwendungspraxis zu erhalten. Untersucht werden dabei Entscheidungen betreffend Kampfpreise, Kosten-Preis-Scheren und Rabattsysteme. Hierbei soll der status quo der Rechtsanwendungspraxis im Einzelnen erläutert werden und allgemeine Prüfungsvorgaben für die jeweilige Fallgruppe unter Berücksichtigung der neueren Entwicklungen durch die Prioritätenmitteilung der Kommission herausgearbeitet werden. Zu diesem Zweck schließt sich der Darstellung der relevanten Entscheidungen der Unionsgerichte zu jeder der betrachteten Fallgruppen eine systematische Darstellung an, die die gewonnenen Erkenntnisse zusammenfasst und erläutert. Anhand dieser Bewertungsmaßstäbe ist ein Vergleich der Prüfungsvorgaben der einzelnen Fallgruppen unter dem Aspekt der Konsistenz möglich. Die Darstellung der einzelnen Entscheidungen ist dabei innerhalb jeder Missbrauchsform chronologisch aufgebaut. Zur Reduzierung der Komplexität sollen einige übergeordnete Fragenkreise eine Systematisierung des Prüfprogramms erlauben. Wo ist die auswirkungsbasierte Bewertung einer Verhaltensweise bereits Praxis? In welcher Form wird diese verwirklicht? Findet der As efficient competitor-Test Anwendung? Welcher Maßstab gilt für das Vorliegen einer missbräuchlichen Verhaltensweise? Welche Möglichkeiten bleiben dem Unternehmen, sein Verhalten zu rechtfertigen? Wie verhält es sich mit der Darlegungs- und Beweislast?

I. Kampfpreise 1. Einführung Bei der Fallgruppe der sog. Kampfpreisunterbietung (predatory pricing) handelt es sich um die klassische Ausprägungsform des preisbezogenen Behinderungsmissbrauchs. Unter Kampfpreisen versteht man das planmäßige Unterbieten von Wettbewerbern durch marktbeherrschende Unternehmen unter Inkaufnahme kurzfristiger Verluste mit dem Ziel der Verdrängung oder Disziplinierung von Wettbewerbern und dem langfristigen Ziel des Ausgleiches der Verluste durch Monopol-

I. Kampfpreise

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preise nach erfolgreicher Verdrängung.183 Spätestens seit der Standard Oil-Entscheidung184 des US-amerikanischen Supreme Courts im Jahr 1911 hat die Beurteilung von Kampfpreisen Eingang in die juristische Debatte gefunden. Auch in Deutschland kann die Beurteilung von Kampfpreisen in der Rechtsprechung auf eine lange Tradition zurückblicken.185 Die europäische Rechtsanwendungspraxis hatte sich hingegen erst vergleichsweise spät erstmalig im Rahmen der Rechtssache AKZO im Jahre 1991 mit Kampfpreisen zu beschäftigen. Die maßgeblichen Bewertungsmaßstäbe für Kampfpreise haben die Unionsgerichte seither in einigen wichtigen Entscheidungen bestimmt. Die wettbewerbspolitische Grundentscheidung, Niedrigpreisstrategien überhaupt zum Gegenstand eines kartellrechtlichen Verbotstatbestandes zu machen, soll an dieser Stelle nicht weiter erörtert werden. Vor allem die Vertreter der Chicago School hatten das Bedürfnis kartellrechtlicher Intervention für diese Fallgruppe lange in Frage gestellt, da sie die Rationalität von Kampfpreisstrategien anzweifelten.186 Doch auch in der US-amerikanischen Kartellrechtspraxis herrscht heute die Auffassung, dass ein Kampfpreisverbot in bestimmten Fällen wettbewerbspolitisch geboten ist. 2. Bisherige Beurteilungspraxis im europäischen Recht a) AKZO In der AKZO-Entscheidung187 hat der EuGH erstmalig einen Test für die Beurteilung von Niedrigpreisstrategien entwickelt, der bis heute die Rechtsanwendungspraxis zu mutmaßlichen Kampfpreisen prägt. aa) Sachverhalt Die niederländische AKZO Chemie B.V. („AKZO“) war marktbeherrschender Anbieter organischer Peroxide für die Kunststoffindustrie auf dem europäischen Markt sowie, ebenso wie ihr Wettbewerber ECS, Anbieter von Bleichmitteln für Mehl. Als Reaktion auf die Expansionspläne von ECS auf den lukrativen Kunststoffsektor senkte AKZO ihre Preise selektiv gegenüber Kunden von ECS auf dem britischen und irischen Markt für diese Mehlzusätze, um einen Markteintritt von ECS auf dem Markt für organische Peroxide für den Kunststoffsektor zu verhindern. 183 Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 19 Rn. 2; Brand, in: Frankfurter Kommentar Kartellrecht, Art. 102 AEUV, Oktober 2012, Rn. 295. 184 Standard Oil Company of New Jersey v. United States, 221 U.S. 1 (1911). 185 So war das Reichsgericht bereits 1931 im Benrather Tankstellenfall, RG, Urteil vom 18. Dezember 1931, RGZ 134, 342 mit dieser Fallgruppe befasst. 186 Besonders eingängig zu dem mangelnden Bedürfnis kartellrechtlicher Intervention: Bork, The Antitrust, S. 144 – 160; vgl. auch zur wettbewerbspolitischen Dimension: Paul, Behinderungsmissbrauch nach Art. 82 EG und der „more economic approach“, S. 177 ff. 187 EuGH, Urteil vom 3. 7. 1991, Rs. C-62/86, EU:C:1991:286 – AKZO.

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D. Beurteilung von preisbezogenen Behinderungsmissbräuchen

bb) Entscheidung der Kommission Mit Entscheidung vom 14. Dezember 1985 stellte die Kommission fest, dass AKZO eine unzulässige Kampfpreisstrategie in dieser Form angewendet hatte und verhängte eine Geldbuße.188 Die Kommission stützte ihre Entscheidung dabei zu wesentlichen Teilen auf das subjektive Merkmal der Verdrängungsabsicht.189 Dazu führte sie interne Gesprächsvermerke ein, die als Beleg für eine derartige Intention AKZOs zur Verdrängung ihres Wettbewerbers ECS dienten. Nach Entscheidung der Kommission seien objektive kostenbezogene Maßstäbe zur Beurteilung von Kampfpreisen hingegen ungeeignet.190 Diese vermögen keinen Aufschluss über den möglichen wettbewerbsschädlichen Zweck der Preisunterbietung geben.191 Dieser Zweck sei als solcher aber bereits mit dem Konzept des Leistungswettbewerbs unvereinbar.192 cc) Entscheidung des EuGH Der EuGH bestätigte die von der Kommission verhängte Geldbuße gegen AKZO aufgrund der implementierten Kampfpreisstrategie, setzte jedoch die verhängte Geldbuße herab und stützte seine Bewertung vorrangig auf objektive Kostenmaßstäbe, die er erst in einem zweiten Schritt um die Verdrängungsabsicht ergänzte. Ausgehend von dem Grundsatz, dass nicht jeder Preiswettbewerb kartellrechtlich zulässig ist,193 unterscheidet der EuGH in seinem AKZO-Urteil anknüpfend an Kostengesichtspunkte zwischen zwei Fallgruppen. Demnach ist eine Preisgestaltung, die unterhalb den durchschnittlichen variablen Kosten (AVC) liegt, missbräuchlich im Sinne des Art. 102 AEUV, da diese Preissetzung jedweder wirtschaftlichen Vernunft entbehrt und ein marktbeherrschendes Unternehmen „nur dann ein Interesse hat, derartige Preise zu praktizieren, wenn es seine Konkurrenten ausschalten will, um danach unter Ausnutzung seiner Monopolstellung seine Preise wieder anzuheben“.194 Für eine Preissetzung, die hingegen oberhalb der durchschnittlichen variablen Kosten (AVC) liegt, aber unterhalb der durchschnittlichen Gesamtkosten (ATC) bedarf es für die Feststellung der Missbräuchlichkeit zusätzlich 188 Kommission, Entscheidung vom 14. 12. 1985, Rs. IV/30.698, ABl. 1985, Nr. L 374 – AKZO. 189 Kommission, Entscheidung vom 14. 12. 1985, Rs. IV/30.698, ABl. 1985, Nr. L 374, Rn. 43, 80 f. – AKZO; vgl. auch Paul, Behinderungsmissbrauch nach Art. 82 EG und der „more economic approach“, S. 173. 190 Kommission, Entscheidung vom 14. 12. 1985, Rs. IV/30.698, ABl. 1985, Nr. L 374, Rn. 77 – AKZO. 191 Kommission, Entscheidung vom 14. 12. 1985, Rs. IV/30.698, ABl. 1985, Nr. L 374, Rn. 79 – AKZO. 192 Kommission, Entscheidung vom 14. 12. 1985, Rs. IV/30.698, ABl. 1985, Nr. L 374, Rn. 79 f. – AKZO. 193 EuGH, Urteil vom 3. 7. 1991, Rs. C-62/86, EU:C:1991:286, Rn. 7, Rn. 70 – AKZO. 194 EuGH, Urteil vom 3. 7. 1991, Rs. C-62/86, EU:C:1991:286, Rn. 71 – AKZO.

I. Kampfpreise

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des Nachweises der Verdrängungsabsicht des marktbeherrschenden Unternehmens.195 Hierbei ist nach Auffassung des EuGH nachzuweisen, dass die Preise „im Rahmen eines Planes festgesetzt wurden, der die Ausschaltung eines Konkurrenten zum Ziel hat“.196 Für diese Kostenschwelle verknüpft der EuGH den kostenabhängigen Nachweis von Kampfpreisen mit einem kostenunabhängigen Element. Diese beiden Aussagen stellen die sog. zwei AKZO-Regeln dar. dd) Rechtliche Einordnung und Relevanz Die Anknüpfung an die durchschnittlichen variablen Kosten (AVC) als maßgebliche Schwelle für die Missbräuchlichkeit von Preisen geht auf die 1975 in den USA entwickelte Areeda-Turner-Formel197 zurück. Diese, von zwei der Harvard School198 zugehörigen Akademikern entwickelte Formel gilt als Geburtsstunde einer kostenorientierten Analyse und legt zur Identifizierung von Kampfpreisen eine Betrachtung der durchschnittlichen variablen Kosten zugrunde. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass Areeda und Turner in ihrem Beitrag zunächst darlegen, dass die Grenzkosten (marginal costs) am besten geeignet seien, um die Missbräuchlichkeit des von marktbeherrschenden Unternehmen verlangten Preisniveaus zu bestimmen. Da diese in der Praxis aber nicht bestimmbar seien, böten sich die durchschnittlichen variablen Kosten als geeigneter Kostenmaßstab an.199 Nach der Areeda-Turner-Formel sollen demnach Preise unterhalb der durchschnittlichen variablen Kosten (AVC) per se missbräuchlich sein, während Preise oberhalb der durchschnittlichen variablen Kosten (AVC) per se als zulässig gelten sollen.200 Anders als in der AKZO-Entscheidung, verzichteten die Ökonomen Areeda und Turner zudem auf ein hinzutretendes subjektives Kriterium zur Identifizierung von Kampfpreisen. Der EuGH weicht zugleich in einem weiteren entscheidenden Punkt von dieser Regel ab. Anders als Areeda/Turner verweigert der EuGH die Anerkennung einer safe harbour-Regel für Preise oberhalb der durchschnittlichen variablen Kosten.201 Insofern kommt den Kostenschwellen nach dem Ansatz der europäischen Gerichte keine absolute Bedeutung zu. Dies unterstreicht auch die Ergänzung der grundlegenden Kosten-Preis-Regeln um das Merkmal der Verdrängungsabsicht. 195

EuGH, Urteil vom 3. 7. 1991, Rs. C-62/86, EU:C:1991:286, Rn. 71 f. – AKZO. EuGH, Urteil vom 3. 7. 1991, Rs. C-62/86, EU:C:1991:286, Rn. 72 – AKZO. 197 Areeda/Turner, Harv. L. Rev. 88 (1975) 697. 198 Grundlegend für diese Denkschule: Clark, Am. Econ. Rev. 30 (1940); Clark, Competition as a Dynamic Process, 1961. 199 Areeda/Turner, Harv. L. Rev. 88 (1975) 697, 712 ff., 716; vgl. hierzu auch Brand, in: Frankfurter Kommentar Kartellrecht, Art. 102 AEUV, Oktober 2012, Rn. 300. 200 Areeda/Turner, Harv. L. Rev. 88 (1975) 697, 732 f. 201 So auch Rummel, Rechtssicherheit bei der Anwendung des equally efficient competitorTests, S. 112 und Wurmnest, in: Basedow/Wurmnest (Hrsg.), Structure and Effects in EU Competition Law, S. 97, 104. 196

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D. Beurteilung von preisbezogenen Behinderungsmissbräuchen

In der AKZO-Entscheidung etabliert der EuGH die Erforderlichkeit einer genauen Analyse der Effekte anhand eines Preis-Kosten-Tests bei der Beurteilung vermeintlicher Kampfpreise. Niedrigpreisstrategien sind nur dann missbräuchlich, wenn sie geeignet sind, einen „vielleicht ebenso leistungsfähigen Wettbewerber“ vom Markt zu verdrängen.202 Mit der Festlegung auf einen Kostenstandard schafft der EuGH zugleich auch Rechtssicherheit. Während die Kommission in ihrer Entscheidung noch entscheidend auf die subjektive Verdrängungsabsicht von AKZO abgestellt hat, so folgte der EuGH dieser Auffassung nicht und koppelte das Kriterium der Verdrängungsabsicht an einen Preis-Kosten-Test. Hierin ist eine Bemühung um die Verobjektivierung des Tatbestandes des Kampfpreismissbrauches und zugleich eine Koppelung an verifizierbare Parameter zu sehen.203 Der EuGH legt in AKZO damit den Grundstein für eine kostenabhängige Bewertung von Kampfpreisen anhand eines Kosten-Preis-Tests. Gleichwohl kommt dem Merkmal der Verdrängungsabsicht und damit einer tendenziell subjektiven Sichtweise formal weiterhin entscheidende, wenn auch nur ergänzende, Bedeutung zu. b) Tetra Pak II aa) Sachverhalt Tetra Pak war marktbeherrschend auf den Märkten für die Produktion von Abfüllanlagen und Kartons für die Verpackung flüssiger Lebensmittel. Zur Verpackung gab es ein aufwendigeres Verfahren für aseptische Verpackungen und ein weniger aufwendiges Verfahren für nichtaseptische Materialien. Hinsichtlich der Marktstellung von Tetra Pak ergab sich ein unterschiedliches Bild auf den vier untersuchten Märkten. Auf den Märkten für Abfüllanlagen und Kartons für den aseptischen Bereich verfügte Tetra Pak mit Marktanteilen von 92 % bzw. 89 % nahezu über eine Monopolstellung, während die Marktanteile im nichtaseptischen Bereich sich nur auf ca. 50 % beliefen.204 Die Besonderheit des Falls lag darin, dass der Tetra Pak Konzern seine Kampfpreisstrategie auf einem Markt umsetzte, auf dem er nicht marktbeherrschend war. bb) Entscheidung der Kommission Die Kommission stellte in ihrer Entscheidung fest, dass Tetra Pak seine marktbeherrschende Stellung durch sein Preissetzungsverhalten auf dem nichtaseptischen 202

EuGH, Urteil vom 3. 7. 1991, Rs. C-62/86, EU:C:1991:286, Rn. 72 – AKZO. So auch Paul, Behinderungsmissbrauch nach Art. 82 EG und der „more economic approach“, S. 174 m.w.N. 204 Kommission, Entscheidung vom 24. 7. 1991, IV/31.043, ABl. 1992, Nr. L 72, Rn. 99 f. – Tetra Pak II. 203

I. Kampfpreise

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Markt missbraucht habe.205 Hierzu führte sie an, dass Tetra Pak seine Produkte allein auf dem nicht beherrschten Markt zu Verlustpreisen anbot, um seine Konkurrenten zu verdrängen.206 Hierzu führte sie an, dass die vier untersuchten Märkte von einer sehr engen Konnexität geprägt seien. Dies begründete sie mit der überwiegenden Identität der Abnehmer sowie der Abfüllung gleicher Produkte.207 cc) Entscheidung der europäischen Gerichte Das EuG bestätigte die Entscheidung der Kommission mit Urteil vom 6. Oktober 1994.208 Es führte hierzu aus, dass die Verlustpreisstrategie den alleinigen Zweck verfolgt habe, die bereits führende Stellung auf den nichtaseptischen Märkten zu verstärken und den Wettbewerb zu schwächen.209 Dies allein sei ausreichend, um einen Verdrängungsmissbrauch anzunehmen. Das Vorbringen Tetra Paks, es habe mangels marktbeherrschender Möglichkeit keine Möglichkeit bestanden, etwaige Verluste später auszugleichen, wies das EuG als irrelevant zurück.210 Auch der EuGH schloss sich dieser Auffassung an. Eine Ahndung einer auf Verdrängung ausgerichteter Preise sei bereits dann angezeigt, sobald die Gefahr einer Verdrängung von Wettbewerbern bestünde.211 Das verfolgte Ziel, einen unverfälschten Wettbewerb zu erhalten, „erlaube es nicht, zu warten, bis eine solche Strategie tatsächlich zur Ausschaltung der Konkurrenten führt.“ Es sei „unter den Umständen des vorliegenden Falls“ nicht erforderlich, „zusätzlich den Nachweis zu verlangen, dass [der Marktbeherrscher] eine wirkliche Chance hatte, [seine] Verluste wieder auszugleichen.“212 Zudem bestätigte der EuGH im Grundsatz die im AKZOUrteil entwickelten Maßstäbe zur Bewertung von Niedrigpreisstrategien unter geringen Modifikationen. So führte der EuGH aus, dass Preise unterhalb der variablen Kosten (AVC) stets und ausnahmslos missbräuchlich seien.213 In diesem Fall sei kein anderes wirtschaftliches Ziel als die Ausschaltung von Konkurrenten denkbar.214 Ein weiterer Nachweis der Absicht, Konkurrenten auszuschalten, sei daher entbehrlich.215 Die Verdrängungsabsicht wird in diesem Fall unwiderleglich vermutet. Diese 205

Kommission, Entscheidung vom 24. 7. 1991, IV/31.043, ABl. 1992, Nr. L 72, S. 1 – Tetra Pak II. 206 Kommission, Entscheidung vom 24. 7. 1991, IV/31.043, ABl. 1992, Nr. L 72, Rn. 147 ff. – Tetra Pak II. 207 Kommission, Entscheidung vom 24. 7. 1991, IV/31.043, ABl. 1992, Nr. L 72, Rn. 104 – Tetra Pak II. 208 EuG, Urteil vom 6. 10. 1994, Rs. T-83/91, EU:T:1994:246 – Tetra Pak II. 209 EuG, Urteil vom 6. 10. 1994, Rs. T-83/91, EU:T:1994:246, Rn. 150 – Tetra Pak II. 210 EuG, Urteil vom 6. 10. 1994, Rs. T-83/91, EU:T:1994:246, Rn. 150 – Tetra Pak II. 211 EuGH, Urteil vom 14. 11. 1996, Rs. C-333/34 P, EU:C:1996:436, Rn. 44 – Tetra Pak II. 212 EuGH, Urteil vom 14. 11. 1996, Rs. C-333/34 P, EU:C:1996:436, Rn. 44 – Tetra Pak II. 213 EuGH, Urteil vom 14. 11. 1996, Rs. C-333/34 P, EU:C:1996:436, Rn. 41 – Tetra Pak II. 214 EuGH, Urteil vom 14. 11. 1996, Rs. C-333/34 P, EU:C:1996:436, Rn. 41 – Tetra Pak II. 215 EuGH, Urteil vom 14. 11. 1996, Rs. C-333/34 P, EU:C:1996:436, Rn. 42 – Tetra Pak II.

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D. Beurteilung von preisbezogenen Behinderungsmissbräuchen

Klarstellung stimmt mit der Literaturmeinung überein, die ebenfalls von einem per se Verbot für Preise unterhalb der variablen Kosten ausgeht.216 dd) Rechtliche Bewertung Das Urteil des EuGH ist insbesondere aufgrund der erstmaligen Thematisierung des Erfordernisses eines Verlustausgleiches (sog. Recoupment) von Interesse. Recoupment beschreibt die Möglichkeit eines Unternehmens, anfängliche Verluste, die es infolge des Einsatzes von Kampfpreisen erleidet, durch spätere Gewinne ausgleichen zu können.217 Das Recoupment-Erfordernis knüpft an die Aufteilung der Verwendung von Kampfpreisen durch marktbeherrschende Unternehmen in zwei Phasen an und macht sich diese für eine Bewertung zueigen. Die erste Phase beschreibt die zeitliche Periode, in der das marktbeherrschende Unternehmen Verluste macht und diese bewusst in Kauf nimmt, um seine eigene Stellung auf dem Markt auszubauen und Konkurrenten zu verdrängen. In der zweiten Phase gleicht das marktbeherrschende Unternehmen die erlittenen Verluste durch Monopolpreise aus.218 Es wird angenommen, dass es aus Sicht eines rational agierenden marktbeherrschenden Unternehmens nicht profitabel wäre, eine Kampreisstrategie ohne die Aussicht auf Amortisierung der Verluste umzusetzen. Der Recoupment-Nachweis ist damit als Element einer auswirkungsorientierten Marktstrukturbetrachtung im Sinne des more economic approach einzuordnen, das den wirtschaftlichen Erfolg einer Verdrängungsstrategie misst.219 Er macht die Durchführung einer Plausibilitätskontrolle erforderlich. Angesichts der Besonderheiten der Fallkonstellation in Tetra Park erschien die Notwendigkeit eines derartigen Prüfungsschritts zunächst naheliegend. Tetra Pak verfolgte seine Verdrängungsstrategie auf einem Markt, für den die Kommission das Vorliegen einer marktbeherrschenden Stellung offen gelassen hatte.220 Zugleich heißt das für den konkreten Fall aber nicht, dass eine genauere Analyse zu dem Ergebnis gekommen wäre, dass die Preisstrategie von Tetra Pak nicht missbräuchlich war. Die Untersuchung der Kommission hatte ergeben, dass der Marktanteil von Tetra Pak mit ca. 50 % auch auf dem aseptischen Markt wesentlich größer war als der seiner Mitbewerber. Darüber hinaus handelte es sich bei den

216 Vgl. Brand, in: Frankfurter Kommentar Kartellrecht, Art. 102, Oktober 2012, Rn. 301; Eilmansberger/Bien, in: Münchener Kommentar, Europäisches Wettbewerbsrecht, Art. 102 AEUV Rn. 522; Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 234. 217 O’Donoghue/Padilla, The Law and Economics of Article 102 TFEU, S. 312. 218 Wurmnest, in: Basedow/Wurmnest (Hrsg.), Structure and Effects in EU Competition Law, S. 97, 109. 219 Wurmnest, Marktmacht und Verdrängungsmissbrauch, S. 405 f.; Wolters, Die rechtsstaatlichen Grenzen des „more economic approach“, im Lichte der europäischen Rechtsprechung, S. 148. 220 Kommission, Entscheidung vom 24. 7. 1991, IV/31.043, ABl. 1992, Nr. L 72, Rn. 101, 104 – Tetra Pak II.

I. Kampfpreise

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beiden betrachteten Märkten um benachbarte und eng verbundene Märkte.221 Zudem konnte Tetra Pak im Untersuchungszeitraum sein Verkaufsvolumen auf Kosten seiner Konkurrenten erhöhen.222 Diese Faktoren deuten daraufhin, dass ein Verlustausgleich recht wahrscheinlich gewesen wäre.223 Die Ausführungen des EuGH zeigen, dass dieser auswirkungsbasierten Nachweisen auch in Form eines Recoupment-Tests weiterhin kritisch gegenüber steht. Die Unionsgerichte scheinen in Anwendung des präventiven Schutzzwecks ein möglichst frühes Vorgehen gegen Kampfpreise umsetzen zu wollen und eine separate intensive Analyse wettbewerbsschädlicher Auswirkungen daher für entbehrlich zu erachten.224 c) Compagnie maritime belge aa) Sachverhalt und Hintergrund Im Verfahren Compagnie maritime belge ging es um das Verhalten einer Schifffahrtslinienkonferenz zur Verhinderung des Markteintritts eines Wettbewerbers. Diese verfügte auf den von ihr bedienten Strecken, vorwiegend zwischen Europa und Afrika, über einen Marktanteil von über 90 %. Zwecks Verdrängung eines Wettbewerbers aus dem Markt ergriff die Schifffahrtsgesellschaft verschiedene Maßnahmen. So bediente sie mit eigenen Schiffen die gleichen Strecken und passte Abfahrtszeiten und Preise an die des Wettbewerbers an (sog. Kampfschiffpraxis). Die daraus resultierenden Umsatzeinbußen legte sie auf die Mitglieder der Konferenz um.225 bb) Entscheidung der Unionsgerichte und rechtliche Einordnung EuG226 und EuGH227 bestätigten die Entscheidung der Kommission, die aufgrund der unzulässigen Kampfpreisstrategie unter anderem eine Geldbuße gegen die bel221

Kommission, Entscheidung vom 24. 7. 1991, IV/31.043, ABl. 1992, Nr. L 72, Rn. 104 – Tetra Pak II. 222 Vgl. Kommission, Entscheidung vom 24. 7. 1991, IV/31.043, ABl. 1992, Nr. L 72, Rn. 101, 151 – Tetra Pak II. 223 So auch Wurmnest, in: Basedow/Wurmnest (Hrsg.), Structure and Effects in EU Competition Law, S. 97, 117. 224 Siehe hierzu auch Pries, Kampfpreismissbrauch im ökonomisierten EG-Kartellrecht, S. 164 f.; Berg, Missbrauch von Marktmacht durch Kosten-Preis-Scheren im europäischen und US-amerikanischen Kartellrecht, S. 177. 225 Zum Sachverhalt siehe Kommission, Entscheidung vom 23. 12. 1992, IV/32.448 u. IV/ 32.450, ABl. 1993, Nr. L 34, S. 20, Rn. 73 – CEWAL. 226 EuG, Urteil vom 8. 10. 1996, verb. Rs. T-24/93 bis T-26/93 u. T-28/93, EU:T:1996:139 – Compagnie maritime belge. 227 EuGH, Urteil vom 16. 3. 2000, verb. Rs. C-395/96 P u. C-396/96 P, EU:C:2000:132 – Compagnie maritime belge.

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D. Beurteilung von preisbezogenen Behinderungsmissbräuchen

gische Schifffahrtsgesellschaft festgesetzt hatte. Anders als bei den bislang ergangenen Entscheidungen beruht die Entscheidung jedoch nicht auf der klassischen Zweistufenprüfung. Kommission und Rechtsprechung verzichteten auf die Untersuchung des Preis/Kosten Verhältnisses und basierten ihre Entscheidung auf die nachweisliche Verdrängungsabsicht.228 Gleichwohl sei das Preissetzungsverhalten unter Berücksichtigung der besonderen Marktumstände geeignet, einen ebenso effizienten Wettbewerber vom Markt zu verdrängen.229 Die Besonderheit dieser Fallkonstellation lag darin, dass die Schifffahrtslinienkonferenz aufgrund der Anpassung der Preise nach unten zwar Umsatzeinbußen hinnehmen musste, jedoch weiterhin kostendeckend agieren konnte. Dennoch sah der EuGH in diesem Fall den Tatbestand der Kampfpreise als erfüllt an. Der Einsatz von sog. Kampfschiffen auf den gleichen Routen verbunden mit selektiven Preissenkungen sowie der fast monopolartigen Stellung der Schifffahrtslinienkonferenz sei ausreichend, um das Vorliegen von Verdrängungspreisen nachzuweisen.230 Das Europäische Gericht führte dazu an, dass aufgrund der besonderen Umstände des Falles der einzig denkbare Zweck dieser Strategie sei, Konkurrenten vom Markt zu verdrängen. Sofern eine Linienkonferenz in beherrschender Stellung Preise selektiv senke, um diese gezielt an die eines Konkurrenten anzupassen, profitiere sie davon in doppelter Weise. So werde auf diese Weise das einzige Mittel, mit dem das Konkurrenzunternehmen zu ihr in Wettbewerb treten kann beseitigt und die Möglichkeit, höhere Preise für andere Dienste zu verlangen, begünstigt.231 Als Ergebnis der Entscheidung des EuGH in Compagnie maritime belge bleibt daher festzuhalten, dass auch Preissetzungen oberhalb der durchschnittlichen Gesamtkosten als Behinderungsstrategie eingestuft werden können. Dennoch würde es zu weit gehen, in dieser Entscheidung eine grundsätzliche Abkehr von der kostenorientierten Bestimmung von Kampfpreisen zu sehen. Vielmehr ist auch diese Entscheidung beispielhaft für die Bereitschaft der europäischen Gerichte, den besonderen Umständen des Einzelfalls Rechnung zu tragen. Der Verzicht auf die Bestimmung von Kampfpreisen anhand eines Preis-Kosten-Vergleichs und die Einstufung einer Überkostenstrategie als missbräuchlich war in dieser Konstellation den spezifischen Umständen des Einzelfalls geschuldet. Unter Bezugnahme auf das AKZO-Urteil stellte Generalanwalt Fennelly hierzu klar, dass dieses im Hinblick auf die Möglichkeiten missbräuchlicher Preispraktiken mit Verdrängungsabsicht nicht erschöpfend gewesen sei. Insoweit habe der Gerichtshof in diesem Urteil auch die

228

Lange/Pries, EWS 2009, 57, 58. Kommission, Entscheidung vom 23. 12. 1992, IV/32.448 und IV/32.450, ABl. 1993, L 34, Rn. 82 – CEWAL. 230 EuGH, Urteil vom 16. 3. 2000 , verb. Rs. C-395/96 P u. C-396/96 P, EU:C:2000:132, Rn. 6, Rn. 117 ff. – Compagnie maritime belge. 231 EuGH, Urteil vom 16. 3. 2000 , verb. Rs. C-395/96 P u. C-396/96 P, EU:C:2000:132, Rn. 6, Rn. 117 ff. – Compagnie maritime belge. 229

I. Kampfpreise

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Missbräuchlichkeit selektiver Preisabschläge über dem Niveau der Gesamtkosten nicht ausgeschlossen.232 Zudem strengte die Kommission auch hier die Verdrängung eines ebenso effizienten Wettbewerbers als Maßstab an. Mit der Preispolitik einer Schifffahrtslinienkonferenz stand zugleich das Verhalten eines Preiskartells und somit eine sehr spezifische Fallkonstellation im Vordergrund. Auch vor diesem Hintergrund sind die Annahmen des EuGH aus diesem Fall nur begrenzt auf andere Fallkonstellationen übertragbar. Gleichwohl erscheint es vor dem Hintergrund derartiger Fälle vorzugswürdig, auch Preisstrategien oberhalb der langfristigen Kosten nicht grundsätzlich für unbedenklich zu erklären. d) France Télécom (Wanadoo) aa) Sachverhalt Gegenstand des Verfahrens waren Niedrigpreisstrategien im Bereich des Breitband-Internetzugangs. Wanadoo Interactive, als mittelbares Tochterunternehmen der France Télécom, war zwischen Januar 2001 und Oktober 2002 deutlicher Marktführer für die Bereitstellung von Breitband-Internetzugängen in Frankreich. bb) Entscheidung der Kommission Die Untersuchung der Kommission zu Kosten und Erlösen von Wanadoo Interactive kam zu dem Ergebnis, dass die verlangten Preise im Zeitraum vom 1. 1. 2001 bis zum 31. 7. 2001 nicht die variablen Kosten deckten und im Zeitraum vom 1. 8. 2001 bis zum 15. 10. 2002 zwar die variablen, aber nicht die Fixkosten deckten.233 Anknüpfend an die Maßstäbe aus der AKZO-Rechtsprechung stellte die Kommission damit mit Entscheidung vom 16. Juli 2003 fest, dass die Preise von Wanadoo missbräuchlich waren. Hinsichtlich des Erfordernisses eines Recoupment-Nachweises enthält die Entscheidung der Kommission eine geringfügige Neuerung. Obgleich die Kommission auch hier klarstellte, dass die Missbräuchlichkeit einer Kampfpreisstrategie nicht von der Möglichkeit eines Verlustausgleiches abhänge, so prüfte sie dennoch die Wahrscheinlichkeit einer derartigen Möglichkeit.234 Hierbei kam sie zu dem Ergebnis, dass der Ausgleich der Verluste in Anbetracht der Marktstruktur sowie der Gewinnaussichten plausibel sei.235 232 GA Fennelly, Schlussanträge vom 29. 10. 1998, Rs. C-395/96 P, EU:C:1998:518 P, Rn. 130 – Compagnie maritime belge. 233 Kommission, Entscheidung vom 16. 7. 2003, COMP/38.233, Rn. 70 ff. – Wanadoo Interactive. 234 Kommission, Entscheidung vom 16. 7. 2003, COMP/38.233, Rn. 335 f. – Wanadoo Interactive. 235 Kommission, Entscheidung vom, 16. 7. 2003, COMP/38.233, Rn. 335 f. – Wanadoo Interactive.

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D. Beurteilung von preisbezogenen Behinderungsmissbräuchen

Umstritten waren in dem Verfahren der Kommission die Einordnung der Kosten in die Kategorien der variablen und fixen Kosten. So qualifizierte die Kommission Werbungskosten, die in der Regel als Fixkosten betrachtet werden, als variable Kosten.236 Dies begründete sie mit den Besonderheiten des untersuchten Marktes. Dieser sei im besonderen Maße von einem dynamischen Wachstum geprägt, sodass die Werbungskosten in diesem Fall eine unmittelbare Verbindung zu einzelnen Verkaufsgeschäften hätten.237 cc) Entscheidung der europäischen Gerichte Das EuG238 und der EuGH bestätigten die Entscheidung der Kommission jeweils. Beide knüpften zur Beurteilung der Preisstrategie der France Télécom (Wanadoo war inzwischen mit der France Télécom verschmolzen) an die Grundsätze der AKZORechtsprechung an. Im Rechtsmittelverfahren vor dem EuGH hatte die France Télécom insbesondere gerügt, dass das Gericht rechtsfehlerhaft den Nachweis einer Möglichkeit zum Verlustausgleich nicht als erforderliches Kriterium des Missbrauchs gewertet habe.239 Dieser Auffassung schloss sich auch Generalanwalt Mazák in seinen Schlussanträgen an und führte dazu aus, das Urteil des EuGH in Tetra Pak II sei so zu lesen, dass der Gerichtshof einen Recoupment-Nachweis lediglich für die betreffende Fallkonstellation nicht für erforderlich halte. Dies ergebe sich aus der Wortwahl des EuGH in Tetra Pak II, der die „Umstände des vorliegenden Falles“ für maßgeblich erachtet habe und den Urteilen in AKZO und Hoffmann-La Roche.240 Der EuGH bestätigte jedoch trotz dieser Argumentation Mazáks nochmals in aller Klarheit die Entscheidung des EuG. Unter Hinweis auf die Entscheidung zu Tetra Pak II führte er aus, dass der Nachweis eines Verlustausgleiches kein erforderliches Kriterium für die Feststellung der Missbräuchlichkeit von Kampfpreisen sei.241 Preise eines marktbeherrschenden Unternehmens unterhalb der Kostenschwelle der variablen Kosten seien grundsätzlich missbräuchlich.242 Ein weiterer Nachweis einer Möglichkeit des Verlustausgleiches sei nicht erforderlich und auch der erfolgreiche

236 Kommission, Entscheidung vom 16. 7. 2003, COMP/38.233, Rn. 62 ff. – Wanadoo Interactive. 237 Kommission, Entscheidung vom 16. 7. 2003, COMP/38.233, Rn. 62 ff. – Wanadoo Interactive. 238 EuG, Urteil vom 30. 1. 2007, Rs. 340/03, EU:T:2007:22 – France Télécom. 239 EuGH, Urteil vom 2. 4. 2009, Rs. C-202/07 P, EU:C:2009:214, Rn. 101 – France Télécom. 240 Generalanwalt Mazák, Schlussanträge vom 25. 9. 2008, Rs. C-202/07 P, EU:C: 2008:520, Rn. 70, 73 – France Télécom. 241 EuGH, Urteil vom 2. 4. 2009, Rs. C-202/07 P, EU:C:2009:214, Rn. 226 ff. – France Télécom. 242 EuGH, Urteil vom 2. 4. 2009, Rs. C-202/07 P, EU:C:2009:214, Rn. 109 – France Télécom.

I. Kampfpreise

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Nachweis der Unmöglichkeit eines derartigen Recoupment führe nicht zwingend zur Zulässigkeit der betreffenden Preisgestaltung.243 Im Hinblick auf die Missbräuchlichkeit der Preisstrategie stellte der EuGH nochmals klar, dass der Nachweis einer Verdrängungsabsicht nicht erforderlich sei, sofern die Preise unter den variablen Kosten liegen. In derartigen Fällen werde das Vorliegen einer Verdrängungsabsicht vermutet.244 dd) Rechtliche Einordnung Trotz der erneuten Bestätigung der in AKZO und Tetra Pak II entwickelten Bewertungsmaßstäbe von Kampfpreisen weist das France Télécom-Urteil des EuGH auch einige neue Gesichtspunkte auf. Insbesondere die Kommission zeigte sich etwas flexibler im Hinblick auf die Zuordnung der Kosten. So berücksichtigte sie, dass die Kundenakquise einen erheblichen Teil der Kosten ausmachen kann. Dies zeugt von einer – wenngleich versteckten – Hinwendung der Kommission zum Kostenmaßstab der durchschnittlichen vermeidbaren Kosten und somit einer sich abzeichnenden Modifikation der AKZO-Regeln.245 Durch die Einbeziehung von Kosten, die für die Bewerbung von Produkten entstanden sind, gelingt es der Kommission, die durchschnittlichen vermeidbaren Kosten zum relevanten Maßstab für den konkreten Fall zu erheben. Die Ablehnung eines Recoupment-Nachweises durch den EuGH vermag in Anbetracht der vorangegangen Urteile für sich genommen nicht weiter verwundern. Insoweit handelt es sich um eine konsequente Fortsetzung der tradierten Rechtsprechung zu diesem Punkt. Zugleich scheint sich der EuGH vor diesem Ansatz im Gegensatz zu dem recht strikt formulierten Ansatz in Tetra Pak II nicht in Gänze verschließen zu wollen. So deuten die Ausführungen des EuGH daraufhin, dass er der Möglichkeit des Verlustausgleiches nach wie vor keine konstitutive Bedeutung zukommen lassen möchte, dieser jedoch zur Verifizierung des Ergebnisses untergeordnete Bedeutung beimisst. Insoweit kann der wahrscheinliche Verlustausgleich den Nachweis einer Verdrängungsabsicht erleichtern.246

243 EuGH, Urteil vom 2. 4. 2009, Rs. C-202/07 P, EU:C:2009:214, Rn. 110, 112 – France Télécom. 244 EuGH, Urteil vom 2. 4. 2009, Rs. C-202/07 P, EU:C:2009:214, Rn. 197 – France Télécom. 245 So auch Wurmnest, Marktmacht und Verdrängungsmissbrauch, S. 450 ff. 246 EuGH, Urteil vom 2. 4. 2009, Rs. C-202/07 P, EU:C:2009:214, Rn. 111 – France Télécom.

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D. Beurteilung von preisbezogenen Behinderungsmissbräuchen

3. Neue Entwicklungen: Ansätze zur Bewertung von Kampfpreisen in der Prioritätenmitteilung der Kommission Die Rechtsprechung der Unionsgerichte zu Kampfpreisen ist vor allem in den letzten Jahren unter dem Einfluss der US-amerikanischen Rechtspraxis verstärkt in die Kritik geraten. Hierbei wurden in erster Linie die mangelnden Konturen der Begrifflichkeit der Verdrängungsabsicht, die zugrunde liegenden Kostenmaßstäbe sowie die Weigerung des EuGH, einen Recoupment-Nachweis anzuerkennen, bemängelt.247 Insbesondere vor dem Hintergrund der angestrebten verstärkt wohlfahrtsökonomischen Ausrichtung der Wettbewerbspolitik ist die Fallgruppe des Kampfpreismissbrauchs in den Fokus des Interesses gerückt. Das liegt darin begründet, dass primärer Anknüpfungspunkt des Missbrauchsverbots in diesem Fall ein besonders niedriger Preis ist. Aus der Sicht der Verbraucher ist ein niedriger Preis jedoch zunächst wünschenswert. Negative Wirkungen infolge einer Verdrängungswirkung lassen sich erst in mittelbarer Zukunft feststellen. Während die Kommission in der Vergangenheit zur Bewertung von Kampfpreisstrategien ähnliche Maßstäbe wie die europäischen Gerichte angelegt hat, deutete sich bereits im Diskussionspapier eine Abkehr an. In der Prioritätenmitteilung griff die Kommission sodann einige der kritisierten Aspekte auf und erprobte neue Maßstäbe zur Bewertung von Kampfpreisen. Trotz der weiteren Zugrundelegung des As efficient competitor-Tests hebt sie sich in Teilen auch von der bestehenden Rechtsprechung ab. Darüber hinaus nimmt die Kommission in der Prioritätenmitteilung eine weitere Nuancierung der richterrechtlich entwickelten Kriterien anhand ökonomischer Erkenntnisse vor und orientiert sich stärker am Vorliegen einer wettbewerbswidrigen Marktverschließung (anticompetitive foreclosure)248 und am Maßstab eines finanziellen Opfers (sog. sacrifice-Test).249 Beide Elemente sollen im Rahmen einer zweistufigen Prüfung in die Bewertung von Kampfpreisen einfließen. a) Wettbewerbswidrige Marktverschließung Unter einer wettbewerbswidrigen Marktverschließung ist eine Abschottung des Marktes zuungunsten aktueller und potentieller Wettbewerber zu verstehen.250 Hierbei soll jedoch nicht ausreichen, dass ein beliebiger Wettbewerber behindert wird. Es soll vielmehr nur ausreichend sein, wenn es sich um einen ebenso effizienten Wettbewerber handelt. Die wettbewerbswidrige Marktverschließung soll anhand des As efficient competitor-Tests bestimmt werden. Hierbei geht die Kommission davon 247 O’Donoghue/Padilla, The Law and Economics of Article 102 TFEU, S. 250; vgl. zu der Kritik auch Wurmnest, in: Basedow/Wurmnest (Hrsg.), Structure and Effects in EU Competition Law S. 97, 101 m.w.N.; für einen Überblick zur Kritik an den Kostenmaßstäben: Pries, Kampfpreismissbrauch im ökonomisierten EG-Kartellrecht, S. 69 ff. 248 Kommission, Prioritätenmitteilung, Rn. 67 ff. 249 Kommission, Prioritätenmitteilung, Rn. 64. 250 Kommission, Prioritätenmitteilung, Rn. 19 ff.

I. Kampfpreise

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aus, dass allein Preise unterhalb der langfristigen durchschnittlichen Zusatzkosten (LRAIC) in der Regel zu einem Ausschluss ebenso effizienter Wettbewerber vom Markt führen können.251 Für diese Prüfung ersetzt der Kostenmaßstab der LRAIC im Wesentlichen die durchschnittlichen Gesamtkosten (ATC). Damit geht eine deutliche Aufwertung dieses Kostenmaßstabes einher. Durch die Betonung des Regelfallelementes behält sich die Kommission aber zugleich eine gewisse Flexibilität bei und verzichtet auf die Formulierung eines safe harbour.252 b) Sacrifice-Test Nach der Definition der Kommission in der Prioritätenmitteilung soll ein finanzielles Opfer vorliegen, wenn das marktbeherrschende Unternehmen in Folge seiner Niedrigpreisstrategie Verluste erleidet, die es hätte vermeiden können.253 Demnach beschreibt die Formulierung „Sacrifice“ eine freiwillige Selbstschädigung. Ausgangspunkt der Feststellung eines finanziellen Opfers sind nicht die durchschnittlichen variablen Kosten, sondern die durchschnittlichen vermeidbaren Kosten (AAC). Bereits im Diskussionspapier regte die Kommission die Verwendung dieses Kostenmaßstabs anstelle der durchschnittlichen variablen Kosten an, um insbesondere die Einbeziehung verlorener Kosten (sunk costs) durch eine Kapazitätserweiterung zu ermöglichen.254 Bei diesem Kostenmaßstab handelt es sich insoweit um ein modifiziertes Surrogat der Grenzkosten, da sie vermeidbare produktspezifische Fixkosten enthalten. Zugleich bleibt es bei diesem Ansatz nicht nur bei der Betrachtung der durchschnittlichen vermeidbaren Kosten als ausschließlichem Beurteilungskriterium. Auch bei Überschreitung dieser Kostenschwelle sei das Vorliegen eines Opfers denkbar, sofern das marktbeherrschende Unternehmen mit den gewählten Preisen einen „niedrigeren Nettobetrag erzielt, als bei einem vernünftigen Alternativverhalten zu erwarten gewesen wäre.“255 Das finanzielle „Opfer“ soll zudem ergänzend an qualitativen Kriterien festgemacht werden. In diesem Aspekt ist eine Aufwertung der Verdrängungsabsicht als Maßstab für das Vorliegen einer Kampfpreisstrategie zu sehen.256 c) Zwischenfazit und Bewertung Bei dem in der Prioritätenmitteilung erläuterten Analyserahmen für die Bewertung von Kampfpreisen handelt es sich im Ergebnis um eine marginale Anpassung 251 252 253 254 255 256

Kommission, Prioritätenmitteilung, Rn. 67. Kommission, Prioritätenmitteilung, Rn. 24 ff. Kommission, Prioritätenmitteilung, Rn. 64. Kommission, Diskussionspapier, Rn. 108 f. Kommission, Prioritätenmitteilung, Rn. 65. Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker Art. 102 AEUV Rn. 242.

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D. Beurteilung von preisbezogenen Behinderungsmissbräuchen

der richterrechtlichen Maßstäbe zur Bewertung von Kampfpreisstrategien. Im Ausgangspunkt bleibt es bei einer auf einem objektiven Vergleich von Kosten und Preisen basierten Prüfung anhand des As efficient competitor-Tests. Statt des bisherigen einheitlichen Prüfungsansatzes basierend auf den Kostenmaßstäben aus dem AKZO-Urteil, handelt es sich jedoch um einen erweiterten Analyserahmen, der ein zweigliedriges Vorgehen vorsieht. Obgleich Kosten-Preis-Vergleiche weiterhin als Ausgangspunkt dienen, bewegt sich der neue Ansatz der Kommission damit weg von starren Kostengesichtspunkten und bezieht das konkrete Marktumfeld stärker in die Überlegungen mit ein.257 Neu ist auch der Kostenmaßstab, den die Kommission dabei zugrunde legen möchte. Statt des Maßstabs der durchschnittlichen variablen Kosten soll der Maßstab der durchschnittlichen vermeidbaren Kosten verstärkt zur Grundlage der Analyse gemacht werden.258 Im Vergleich zum Kostenmaßstab der durchschnittlichen variablen Kosten (AVC) haben die durchschnittlichen vermeidbaren Kosten (AAC) daher den Vorteil, dass sich eine Einteilung der Kosten in Fixkosten oder variable Kosten erübrigt.259 Damit können einige Unsicherheiten hinsichtlich der Zuordnung von Kosten zu bestimmten Kategorien vermieden werden. Gleichwohl macht die Anwendung dieses Kostenmaßstabes die Betrachtung und Quantifizierung eines hypothetischen Kausalverlaufes erforderlich. So stellen sich in der Praxis erhebliche Probleme bei der Bestimmung, welche Kosten bei einem Marktaustritt vermeidbar gewesen wären.260 Zudem wird sich ein vollkommener Marktaustritt des marktbeherrschenden Unternehmens oftmals nur als „ultima ratio“ darstellen, das in den seltensten Fällen der Realität entsprechen wird.261 4. Post Danmark I: Umsetzung der neuen Maßstäbe in die Rechtsprechung? In der Rechtssache Post Danmark I ging es um die Missbräuchlichkeit einer selektiven Preissenkungsstrategie durch ein marktbeherrschendes Unternehmen im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens. Es handelt sich insoweit um keinen klassischen Fall der Kampfpreise, soll aber gleichermaßen hier behandelt werden, da es sich um eine Form der Verdrängungspreise und zugleich eine Niedrigpreispolitik handelt. In diesem Verfahren bot sich dem EuGH erstmals die Gelegenheit, die von der Kommission in der Prioritätenmitteilung aufgestellten Maßstäbe in seine Entscheidung zu integrieren.

257

Vgl. Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 242. Wurmnest, Marktmacht und Verdrängungsmissbrauch, S. 449. 259 Lange/Pries, EWS 2009, 57, 61. 260 Pries, Kampfpreismissbrauch im ökonomisierten EG-Kartellrecht, S. 94 f., 97. 261 Pries, Kampfpreismissbrauch im ökonomisierten EG-Kartellrecht, S. 97; Lange/Pries, EWS 2009, 57, 62. 258

I. Kampfpreise

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a) Sachverhalt und Ausgangsverfahren Das ehemalige staatliche Postunternehmen Post Danmark A/S (Post Danmark) gewährte den Kunden seines Wettbewerbers Forbruger-Kontakt selektiv niedrigere Preise für Postwurfsendungen als seinen sonstigen Kunden. Zum relevanten Zeitpunkt hatte Post Danmark eine marktbeherrschende Stellung in diesem Bereich inne und war im Briefbereich zur Erbringung von Universaldienstleistungen verpflichtet. Infolge der niedrigeren Preise hatte Forbruger-Kontakt Kunden verloren und sich bei der dänischen Kartellbehörde beschwert. Die dänische Wettbewerbsbehörde hatte die selektiven Preissenkungen durch Post Danmark als missbräuchlich angesehen. Das dänische Gericht wollte wissen, ob Art. 102 AEUV dahingehend ausgelegt werden müsse, dass die selektive Preissenkung eines marktbeherrschenden Unternehmens auf ein Niveau, das niedriger als die durchschnittlichen Gesamtkosten, aber höher als die durchschnittlichen inkrementellen Kosten eine missbräuchliche Verdrängungspraxis darstellt, sofern der Nachweis einer Verdrängungsabsicht nicht erbracht werden konnte. b) Entscheidung des EuGH Der EuGH stellte zunächst fest, dass eine selektive Preispolitik für sich genommen nicht den Schluss auf eine missbräuchliche Verdrängungspraxis erlaube.262 Die Senkung von Preisen auf ein Niveau unter die durchschnittlichen Gesamtkosten, aber über die durchschnittlichen inkrementellen Kosten sei nicht per se missbräuchlich. Unter diesen Voraussetzungen sei es einem ebenso leistungsfähigen Wettbewerber möglich, mit diesen Preisen zu konkurrieren ohne langfristig untragbare Verluste zu erleiden, da die Preise die Kosten „im Wesentlichen“ (engl. „the great bulk“, frz. „l’essentiel“) decken würden.263 Es sei demnach durch das vorlegende Gericht zu prüfen, ob es im konkreten Fall dennoch zu einer tatsächlichen oder wahrscheinlichen Verdrängung des Wettbewerbers zum Schaden des Wettbewerbers und damit der Verbraucherinteressen kommen kann.264 Sofern wettbewerbswidrige Auswirkungen nachgewiesen werden könnten, habe Post Danmark immer noch die Möglichkeit, seine Preispolitik zu rechtfertigen.265 Hierzu müsse das marktbeherrschende Unternehmen nachweisen, dass durch das betreffende Verhalten Effizienzvorteile erzielt worden sind, die auf dem beanstandeten Verhalten beruhen. Diese müssten die negativen Auswirkungen aufwiegen und nicht zu einem Erliegen des Wettbewerbs geführt haben.266 262

EuGH, Urteil vom 27. 3. 2012, Rs. C-209/10, EU:C:2012:172, Rn. 30 – Post Danmark I. EuGH, Urteil vom 27. 3. 2012, Rs. C-209/10, EU:C:2012:172, Rn. 37, 44 – Post Danmark I. 264 EuGH, Urteil vom 27. 3. 2012, Rs. C-209/10, EU:C:2012:172, Rn. 44 – Post Danmark I. 265 EuGH, Urteil vom 27. 3. 2012, Rs. C-209/10, EU:C:2012:172, Rn. 44 – Post Danmark I. 266 EuGH, Urteil vom 27. 3. 2012, Rs. C-209/10, EU:C:2012:172, Rn. 42 – Post Danmark I. 263

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D. Beurteilung von preisbezogenen Behinderungsmissbräuchen

c) Relevanz und rechtliche Einordnung Das Urteil des EuGH in Post Danmark I ist im Gesamtkontext der europäischen Rechtsprechung von großer Bedeutung. Dies liegt zum einen in der Anerkennung der Anwendbarkeit des As efficient competitor-Tests auf selektive Niedrigpreise, aber auch im Grundton dieses Urteils, das generell viele Züge eines effektbasierten Ansatzes trägt.267 Insoweit greift das Urteil einige Ansätze der Kommission aus der Prioritätenmitteilung auf. Insbesondere lässt sich dem Urteil des EuGH eine Annäherung an den von der Kommission in der Prioritätenmitteilung vorgestellten Ansatz zur Berücksichtigung der wettbewerbswidrigen Marktverschließung entnehmen. Dies gilt jedenfalls für den Fall, dass die Preise unter den durchschnittlichen Gesamtkosten, jedoch über den durchschnittlichen variablen Kosten liegen.268 Auch die Ausführungen hinsichtlich des Effizienzeinwandes269 erinnern an die in der Prioritätenmitteilung aufgestellten Kriterien, wenngleich diese bereits mit Ausnahme der Voraussetzung der mangelnden Ausschaltung des Wettbewerbs aus der Rechtsprechung bekannt waren.270 Den von der Kommission in der Prioritätenmitteilung dargelegten Sacrifice-Test greift der EuGH nicht auf. Im Gegenteil lässt sich seinen Aussagen eine gewisse Reserviertheit gegenüber diesem neuen Standard entnehmen. So führt er aus, dass die gegenüber einigen Kunden angesetzten Preise oberhalb der durchschnittlichen Gesamtkosten keine wettbewerbswidrigen Auswirkungen erwarten lassen.271 Zugleich lassen sich dem Urteil im Hinblick auf einige klassische Elemente wichtige Aussagen entnehmen. So stellt der EuGH klar, dass nicht nur solche Verhaltensweisen von Art. 102 AEUV erfasst sind, durch die ein unmittelbarer Schaden bei dem Verbraucher entsteht, sondern auch solche, die durch die Beeinträchtigung des Wettbewerbs negative Auswirkungen haben.272 Der EuGH verweist in diesem Zusammenhang auch auf die besondere Verantwortung des marktbeherrschenden Unternehmens, durch sein Verhalten einen wirksamen und unverfälschten Wettbewerb auf dem Gemeinsamen Markt nicht zu beeinträchtigen.273 Dabei stellt der EuGH jedoch auch explizit klar, dass Leistungswettbewerb (competition on the merits) zu einem Marktaustritt von Wettbewerbern, die weniger effizient und somit für Konsumenten auch im Hinblick auf Preise, Wahlmöglichkeiten, Qualität oder

267

Hierzu auch Bien/Krah, ECLR 2012, 482. So auch Fritzsche/Marquier, EuZW 2012, 536, 539. 269 Vgl. EuGH, Urteil vom 27. 3. 2012, Rs. C-209/10, EU:C:2012:172, Rn. 42 – Post Danmark I. 270 Vgl. hierzu insbesondere EuGH, Urteil vom 15. 3. 2009, Rs. C-95/04 P, EU:C:2007:166, Rn. 86 – British Airways; EuGH, Urteil vom 17. 2. 2011, Rs. C-52/09, EU:C:2011:83, Rn. 76 – TeliaSonera. 271 EuGH, Urteil vom 27. 3. 2012, Rs. C-209/10, EU:C:2012:172, Rn. 36 – Post Danmark I. 272 EuGH, Urteil vom 27. 3. 2012, Rs. C-209/10, EU:C:2012:172, Rn. 20 – Post Danmark I. 273 EuGH, Urteil vom 27. 3. 2012, Rs. C-209/10, EU:C:2012:172, Rn. 23 – Post Danmark I. 268

I. Kampfpreise

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Innovation weniger attraktiv sind, führen kann und darf.274 Nach Auffassung des EuGH gewährleiste Art. 102 AEUV eben nicht, „dass sich Wettbewerber, die weniger effizient als das Unternehmen in beherrschender Stellung sind, weiterhin auf dem Markt halten“.275 Diesen Aussagen ist ein klares Bekenntnis zu einem aggressiven Wettbewerb basierend auf dem Leistungsvermögen der einzelnen Marktteilnehmer zu entnehmen. Als Maßstab für die Beurteilung missbräuchlichen Verhaltens legt sich der EuGH eindeutig auf einen ebenso effizienten Wettbewerber sowie das Vorliegen tatsächlicher oder wahrscheinlicher Auswirkungen fest. Zur Feststellung der Auswirkungen soll hierzu ein Kosten-Preis-Test Anwendung finden. Die Rolle des As efficient competitor-Test für die Fallgruppe selektiver Preissetzung wird damit eindeutig aufgewertet und gestärkt. Der EuGH hat sich damit zugleich klar gegen die Anwendung eines per se Verbots auf selektive Preise ausgesprochen. Nicht zuletzt deswegen haben einige Kommentatoren diesem Urteil eine Vorbildfunktion für die Anwendung des Tests auf alle Formen des preisbezogenen Behinderungsmissbrauchs entnommen.276 Zugleich wird anhand der Formulierung „tatsächliche oder wahrscheinliche Verdrängung“277 deutlich, dass der EuGH von dem bisherigen Ansatz der Rechtsprechung nicht abweichen möchte und in Tradition der bisherigen Rechtsprechung das Vorliegen konkreter Auswirkungen nicht zum Maßstab für das Vorliegen eines Missbrauchs erhebt. Auch das Rekurrieren auf diesen, im Vergleich zu der bloßen Möglichkeit der Verdrängung, höheren Standard wird zumindest in Teilen dem Umstand geschuldet sein, dass eine Verdrängungsabsicht – anders als in AKZO – eben nicht nachweisbar war. Ein Paradigmenwechsel hin zu einem rein auswirkungsbasierten Ansatz ist daher nicht festzumachen.278 Das Urteil des EuGH fügt sich vielmehr ebenfalls in die bisherige Rechtsprechung ein und konstituiert eine sinnvolle Weiterentwicklung des more economic approach für eine weitere Fallgruppe des preisbezogenen Behinderungsmissbrauchs. Hierzu kombiniert der EuGH Elemente des neuen Ansatzes mit der hergebrachten Rechtsprechung. In diesem Zusammenhang gelingt es dem EuGH auch, eine nach Compagnie maritime belge entstandene Unklarheit zu beseitigen, auf die der Generalanwalt Mengozzi hingewiesen hatte.279 So war unklar, ob auch das Setzen selektiver Preise oberhalb der Kosten einen Missbrauch begründen kann, ohne dass es auf die Berücksichtigung

274 EuGH, Urteil vom 27. 3. 2012, Rs. C-209/10, EU:C:2012:172, Rn. 20 ff., Rn. 22 – Post Danmark I. 275 EuGH, Urteil vom 27. 3. 2012, Rs. C-209/10, EU:C:2012:172, Rn. 21 f. – Post Danmark I. 276 Rousseva/Marquis, JECLAP 2012, 14. 277 EuGH, Urteil vom 27. 3. 2012, Rs. C-209/10, EU:C:2012:172, Rn. 44 – Post Danmark I. 278 So auch Fritzsche/Marquier, EuZW 2012, 536, 539. 279 GA Mengozzi, Schlussanträge vom 24. 5. 2011, Rs. 209/10, EU:C:2011:342, Rn. 95 f. – Post Danmark I.

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D. Beurteilung von preisbezogenen Behinderungsmissbräuchen

weiterer Umstände ankäme. Der EuGH stellt hierzu klar, dass die selektive Natur der Preise für sich allein keinen Missbrauch begründe.280 Im Hinblick auf einen weiteren Aspekt scheint dem EuGH an der Schaffung einer Konvergenz zum Kartellverbot gelegen zu sein. In dem Urteil tritt eindeutig das Bestreben hervor, eine Übereinstimmung der Rechtfertigungsmöglichkeiten zwischen Art. 101 AEUV und Art. 102 AEUV herzustellen. Dies bedeutet zugleich einen Schritt in Richtung Angleichung der efficiency defense unter Art. 102 AEUVan die Maßstäbe des Art. 101 Abs. 3 AEUV.281 So sind die Ausführungen des EuGH zur Möglichkeit einer Rechtfertigung des beanstandeten Verhaltens durch Effizienzvorteile zudem recht ausführlich und nah an der Prioritätenmitteilung formuliert.282 5. Zusammenfassung und kritische Würdigung: Die Beurteilung von Kampfpreisen in einem ökonomisierten Kartellrecht Auf Basis des von Areeda und Turner entwickelten Ansatzes zur Preis-KostenAnalyse haben die europäischen Gerichte die bis heute geltende Zweistufenprüfung für Kampfpreismissbräuche entwickelt. Diese setzt sich aus kostenabhängigen und kostenunabhängigen Nachweiselementen zusammen. Es handelt sich dabei um einen recht spezifischen Test, der Kosten- und Preismaßstäbe in den Vordergrund der Betrachtungen stellt. Das Vorliegen eines missbräuchlichen Kampfpreises wird dabei angenommen, sofern das konkrete Preisniveau die maßgeblichen Gestehungskosten objektiv unterschreitet. Dieser Maßstab wird um ein subjektives Merkmal ergänzt, anhand dessen die Motivation des marktbeherrschenden Unternehmens festgemacht wird. Neben eine kostenabhängige Prüfung tritt das Erfordernis des Nachweises einer Verdrängungsabsicht. Insoweit kommt im europäischen Recht der Absicht des marktbeherrschenden Unternehmens weiterhin eine wichtige Rolle zu. Die Ausführungen des EuGH im AKZO-Urteil bleiben dabei grundlegend für die Bewertung von Kampfpreisen. Die dort aufgestellten zwei Regeln prägen die europäische Missbrauchsaufsicht über Kampfpreise weiterhin maßgeblich. Preise unterhalb der durchschnittlichen variablen Kosten (AVC) sind stets missbräuchlich, während es für Preise, die die variablen Kosten, nicht aber die Gesamtkosten decken, des zusätzlichen Nachweises einer Verdrängungsabsicht bedarf. Für Preise unter den durchschnittlichen variablen Kosten gilt damit eine Vermutung für die Vernichtungsund Disziplinierungsabsicht.283 Eine Ausnahme von dieser Linie der Rechtsprechung stellt die Entscheidung Compagnie maritime belge dar. Hier waren das Vorliegen einer quasi-monopolhaften Stellung und das selektive Vorgehen der Schifffahrts280

EuGH, Urteil vom 27. 3. 2012, Rs. C-209/10, EU:C:2012:172, Rn. 37 – Post Danmark I. So auch Komninos/Sakellariou, Concurences N83-2013, 24; Bien/Krah, ECLR 2012, 482, 487. 282 EuGH, Urteil vom 27. 3. 2012, Rs. C-209/10, EU:C:2012:172, Rn. 40 ff. – Post Danmark I; vgl. auch Fritzsche/Marquier, EuZW 2012, 536, 538. 283 Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 245. 281

I. Kampfpreise

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linienkonferenz in Kombination mit Elementen eines Preiskartells ausreichend für die Annahme einer Verdrängungsabsicht.284 Hierbei gilt der Grundsatz, dass nur solche Kampfpreisstrategien, die geeignet sind, einen ebenso effizienten Wettbewerber vom Markt zu verdrängen, abzuschrecken oder zu disziplinieren, wettbewerbspolitische Bedenken zu begründen vermögen. Daher gelangt der As efficient competitor-Test als maßgebliches Kriterium zur Bewertung derartiger Preisstrategien zur Anwendung. In der europäischen Missbrauchsaufsicht über Kampfpreise ist ein Amortisationsnachweis nicht erforderlich, um die Preispolitik eines marktbeherrschenden Unternehmens als missbräuchlich einzustufen. Dies hat der EuGH zuletzt in seinem Urteil France Télécom bestätigt285 und damit zugleich der Auffassung des Generalanwaltes Mazák286 widersprochen. Vor dem Hintergrund einer verstärkt wohlfahrtsökonomischen Ausrichtung des europäischen Kartellrechts haben sich die Stimmen gemehrt, die die Missbräuchlichkeit einer Kampfpreisstrategie von der Möglichkeit, die Verluste wieder auszugleichen, abhängig machen wollen.287 Der Ansatz der Unionsgerichte, einen derartigen Nachweis nicht zur Voraussetzung für das Vorliegen eines Kampfpreismissbrauchs zu machen, ist jedoch in sich schlüssig und vorzugswürdig.288 Derartige Mechanismen sind als Korrektiv im europäischen Recht nicht erforderlich.289 In den USA kommt dem Recoupment-Erfordernis hingegen eine sinnvolle und nützliche Auslesefunktion zu.290 Dort hat der RecoupmentNachweis primär verfahrensrechtliche Gründe.291 Die Gerichte haben nur so die Möglichkeit, private Klagen vorab als matter of law abzuweisen, ohne dass es der Einbindung einer Jury bedürfte.292 So lässt sich auch für den Fall, dass das marktbeherrschende Unternehmen seine Verluste nicht wieder auszugleichen vermag, nicht mit Sicherheit ausschließen, dass dieses durch die Praktizierung der Kampfpreisstrategie seine Stellung verfestigt hat 284

Lange/Pries, EWS 2009, 57, 58. EuGH, Urteil vom 2. 4. 2009, Rs. C-202/07 P, EU:C:2009:214, Rn. 110 – France Télécom. 286 GA Mazák, Schlussanträge vom 25. 9. 2008, Rs. C-202/07 P, EU:C:2008:520, Rn. 56 ff. – France Télécom. 287 O’Donoghue/Padilla, The Law and Economics of Article 102 TFEU, S. 312 m.w.N. 288 Zustimmend auch Berg, Missbrauch von Marktmacht durch Kosten-Preis-Scheren im europäischen und US-amerikanischen Kartellrecht, S. 177, Pries, Kampfpreismissbrauch im ökonomisierten EG-Kartellrecht, S. 164 ff.; kritisch Lovdahl Gormsen, Legal Issues of Economic Integration 2010, 293, 303 f. 289 Differenzierend: Wurmnest, Marktmacht und Verdrängungsmissbrauch, S. 415. 290 Grundlegend: Brooke Group Ltd v. Brown & Williamson Tobacco Corp., 509 U.S. 209 (1993). 291 Bien, ZHR 176 (2012), 128, 131; Eilmansberger/Bien, in: Münchener Kommentar, Europäisches Wettbewerbsrecht, Art. 102 AEUV Rn. 551. 292 Wurmnest, Marktmacht und Verdrängungsmissbrauch, S. 436 ff. m.w.N.; Bien, ZHR 176 (2012), 128, 131. 285

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D. Beurteilung von preisbezogenen Behinderungsmissbräuchen

und dadurch Verbraucher geschädigt werden.293 Im Vergleich zu einem RecoupmentNachweis, der mit Unsicherheiten behaftete Zukunftsprognosen verlangt, erscheint der As efficient competitor Test, der seine Bewertung auf eine vergangenheitsbezogene Wertung stützt, besser geeignet, eine Kampfpreisstrategie anhand objektiver Kriterien abzubilden.294 An der Ablehnung des Recoupment-Erfordernisses in der europäischen Rechtspraxis tritt zudem wiederholt die dogmatische Auslegung des Missbrauchsverbots als Gefährdungsdelikt hervor.295 In einer Gesamtbetrachtung der Rechtsprechung zur Fallgruppe unter Eindruck der Vorschläge der Kommission in der Prioritätenmitteilung ergibt sich ein geteiltes Bild der Missbrauchsaufsicht zu Kampfpreisen. Maßgebend für die Beurteilung von Kampfpreisen bleiben nach wie vor die nunmehr seit über 20 Jahren gültigen AKZOMaßstäbe. Im Ausgangspunkt ist diese Prüfung unter Zugrundelegung eines Tests zum Vergleich von Kosten und Preisen sowie der ergänzenden Zuhilfenahme subjektiver Merkmale ökonomisch geprägt. Dennoch ist mit dem Verbot für Preise unterhalb der durchschnittlichen variablen Kosten ein per se Ansatz für eine Fallgruppe der Kampfpreise festzumachen. Insbesondere in den letzten Jahren lassen sich Bestrebungen der Kommission beobachten, die Kostenmaßstäbe anzupassen und für die Beurteilung von Kampfpreisstrategien flexiblere Kriterien zu entwickeln, die nicht allein auf starren Kostengesichtspunkten basieren. In Übereinstimmung mit dem Urteil des EuGH in Compagnie maritime belge erscheint es auch weiterhin vorzugswürdig, keinen sicheren Hafen (safe harbour) für Kampfpreise oberhalb der Kostenbenchmarks einzuführen.296 Wenngleich ein Verzicht auf einen derartigen Mechanismus für die betroffenen marktbeherrschenden Unternehmen Abstriche in der Rechtssicherheit mit sich bringt, so wäre ein safe harbour aus konzeptionellen Gründen schwierig umzusetzen, da der As efficient competitor-Test als maßgeblicher Prüfmechanismus für Kampfpreise nur Aussagen bezüglich Preisen trifft, die unterhalb gewisser Kostenbenchmarks liegen. Die Gewährung eines sicheren Hafens ist zudem nicht mit einer Wettbewerbspolitik vereinbar, die sich die Offenhaltung der Märkte zum Ziel macht. Auch kostendeckende Kampfpreise können unter bestimmten Voraussetzungen – wie z. B. bei Vorliegen eines zusätzlichen diskriminierenden Elementes – missbräuchlich sein. Zugleich wird man für diese Fallgruppe annehmen können, dass sich gesteigerte Nachweis293

Vgl. EuGH, Urteil vom 2. 4. 2009, Rs. C-202/07 P, EU:C:2009:214, Rn. 113 – France Télécom. 294 O’Donoghue/Padilla, The Law and Economics of Article 102 TFEU, S. 312; Rummel, Rechtssicherheit bei der Anwendung des equally efficient competitor-Tests, S. 118; Brand, in: Frankfurter Kommentar Kartellrecht, Art. 102 AEUV, Oktober 2012, Rn. 306; Eilmansberger/ Bien, in: Münchener Kommentar, Europäisches Wettbewerbsrecht, Art. 102 AEUV Rn. 533. 295 Brand, in: Frankfurter Kommentar Kartellrecht, Art. 102 AEUV, Oktober 2012, Rn. 305. 296 Diese Auffassung teilen auch Wurmnest, Marktmacht und Verdrängungsmissbrauch, S. 417 f. und Rummel, Rechtssicherheit bei der Anwendung des equally-efficient-competitorTests, S. 118 ff.

II. Kosten-Preis-Schere

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anforderungen ergeben, sofern die eingesetzten Kampfpreise zunächst den Anschein einer Untauglichkeit haben. Dies kommt vor allem dann in Betracht, wenn bei Vorliegen einer klaren Verdrängungsabsicht erkennbar zu hohe Preise gesetzt werden. In diesen Fällen sollte besonderer Augenmerk darauf gerichtet werden, ob der Marktzugang für Mitbewerber erschwert wird oder andere nachteilige Effekte an die eingesetzte Strategie geknüpft sind. Inwieweit die neuen Ansätze der Kommission zur Bewertung von Kampfpreisstrategien von der Rechtsprechung umgesetzt werden und die AKZO-Maßstäbe ablösen, lässt sich nicht mit Sicherheit voraussagen. Hierzu fehlt es an einschlägigen Urteilen oder belastbaren Aussagen der Unionsgerichte. Die Kommissionspraxis dürfte hingegen ihren eigenen Maßstäben aus der Prioritätenmitteilung folgen. Auch unter Anwendung dieses Ansatzes bleibt es derweil bei einer grundlegenden kostenund preisorientierten Prüfung anhand objektiver Maßstäbe. Einzig wesentliche Änderung stellen die Zugrundelegung eines neuen Kostenstandards und die Einführung des Sacrifice-Tests dar.

II. Kosten-Preis-Schere Der Begriff der Kosten-Preis-Schere297 (engl. margin squeeze oder price squeeze) beschreibt eine Preisstrategie vertikal integrierter Unternehmen.298 Vertikale Integration bedeutet die Tätigkeit auf zwei oder mehr Stufen der Wertschöpfungskette. Hierbei ist das marktbeherrschende Unternehmen zum einen auf der Stufe des Vorprodukts tätig und bietet eine bestimmte Leistung oder ein Produkt auf der business-to-business Ebene an. Zudem bietet es auf der nachgelagerten Marktstufe das betreffende Produkt den Endkunden an.299 Nachgelagert ist nach dieser Definition ein Markt, wenn das auf der vorgelagerten Marktstufe angebotene Produkt auf ihm benötigt wird, um eine bestimmte Dienstleistung anbieten zu können oder ein Produkt herzustellen.300 Die Abnehmer des Vorprodukts auf der ersten Stufe sind hierbei zugleich Wettbewerber des marktbeherrschen Unternehmens auf der nachgelagerten Stufe. Eine Kosten-Preis-Schere liegt dann vor, wenn das marktbeherrschende Unternehmen auf dem vorgelagerten Markt Preise verlangt, die entweder höher sind als auf dem Endkundenmarkt (negative Differenz) oder eine zu geringe Differenz zu diesem aufweisen, als dass eine kostendeckende Wettbewerbsaktivität 297

Daneben werden folgende Begriffe synonym verwendet: Preisschere, Preis-KostenSchere, Margenbeschneidung, zweifacher Preisdruck. 298 Berg, Missbrauch von Marktmacht durch Kosten-Preis-Scheren im europäischen und US-amerikanischen Kartellrecht, S. 26 f.; Henk-Merten, Die Kosten-Preis-Schere im Kartellrecht, S. 1. 299 Eilmansberger/Bien, in: Münchener Kommentar, Europäisches Wettbewerbsrecht, Art. 102 AEUV Rn. 539 f.; Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 353 f., O’Donoghue/Padilla, The Law and Economics of Article 102 TFEU, S. 364. 300 Kommission, Prioritätenmitteilung, Rn. 76.

76

D. Beurteilung von preisbezogenen Behinderungsmissbräuchen

der Wettbewerber auf dem Endkundenmarkt möglich wäre (nicht ausreichend positive Differenz).301 Vereinfacht ausgedrückt besteht die Kosten-Preis-Schere in einer für unzureichend befundenen Preisspanne.302 Die spezifische wettbewerbsrelevante Gefahr liegt bei der Kosten-Preis-Schere in ihrem Verdrängungspotential auf der nachgelagerten Marktstufe. Dieses entfaltet sich dort horizontal gegenüber den Konkurrenten des Marktbeherrschers.303 1. Die Bedeutung der Kosten-Preis-Schere als selbstständige Missbrauchsform: Entwicklung der bisherigen Entscheidungspraxis Die Kosten-Preis-Schere ist eine vergleichsweise neue Form des preisbezogenen Behinderungsmissbrauchs. Bedeutung hat diese in den letzten Jahren vor allem im Zuge der Liberalisierung der Telekommunikationsmärkte erlangt. Durch das Verlangen hoher Vorleistungspreise in Verbindung mit niedrigen eigenen Endkundenpreisen versuchten die ehemaligen Monopolisten auf verschiedenen mitgliedstaatlichen Märkten den Markteintritt neuer Konkurrenten im Zuge der Öffnung der Märkte zu verhindern und so ihre eigene Position am Markt zu manifestieren. a) Deutsche Telekom Im Verfahren Deutsche Telekom hatten sich die europäischen Gerichte erstmalig mit einer Kosten-Preise-Schere in diesem Kontext zu befassen. aa) Marktumfeld und Sachverhalt Die Deutsche Telekom verfügte bis Ende des Jahres 1997 über ein gesetzliches Monopol zur Erbringung von Telekommunikationsdienstleistungen gegenüber Endkunden. Im Zuge der Marktöffnung des Telekommunikationsmarktes erlangten weitere Unternehmen die Möglichkeit, die vorhandene Infrastruktur der Deutschen Telekom mitzubenutzen. Hierbei ging es um den Zugang zum Ortsnetz und die sogenannten Teilnehmeranschlussleitungen (TAL). Da es keine dem Netz der Deutschen Telekom vergleichbaren alternativen Zugangsinfrastrukturen gab, wurde die Deutsche Telekom verpflichtet, konkurrierenden Dienstleistern einen effektiven Zugang zu den TAL zu ermöglichen. Die Besonderheit der Fallkonstellation lag darin, dass die Preissetzungsfreiheit der Deutschen Telekom aufgrund der behörd301

Brand, in: Frankfurter Kommentar Kartellrecht, Art. 102 AEUV, März 2012, Rn. 328. Vgl. Berg, Missbrauch von Marktmacht durch Kosten-Preis-Scheren im europäischen und US-amerikanischen Kartellrecht, S. 30; Brand, in: Frankfurter Kommentar Kartellrecht, Art. 102 AEUV, März 2012, Rn. 340. 303 Vgl. Henk-Merten, Die Kosten-Preis-Schere im Kartellrecht, S. 26, S. 123 ff.; Berg, Missbrauch von Marktmacht durch Kosten-Preis-Scheren im europäischen und US-amerikanischen Kartellrecht, S. 41; Petzold, Die Kosten-Preis-Schere im EU-Kartellrecht, S. 19 f. 302

II. Kosten-Preis-Schere

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lichen Preisregulierung durch den damaligen § 25 Abs. 1 TKG a.F. sehr stark eingeengt war. Anlass für das Verfahren gegen die Deutsche Telekom waren Beschwerden der im Zuge der Öffnung der Märkte neu in den Markt eintretenden Wettbewerber. bb) Verbotsentscheidung der Kommission Die Entscheidung der Kommission zur Verhängung eines Bußgeldes in Höhe von 12,6 Mio. Euro gegen die Deutschen Telekom304 erging im Mai 2003. Darin stellte die Kommission fest, dass die Deutsche Telekom ihre marktbeherrschende Stellung missbraucht habe, indem sie auf den beiden Marktstufen Entgelte verlangte, die so eng beieinander lagen, dass ein Wettbewerb um Endkunden auf dem nachgelagerten Markt faktisch ausgeschlossen war. In ihrer Verbotsentscheidung untersuchte die Europäische Kommission insbesondere den durch die Preissetzung der Deutschen Telekom bedingten Druck auf die Margen der Wettbewerber. Hierzu prüfte sie, ob zwischen der Vorleistungsebene und der Endkundenebene ein Missverhältnis vorlag, das zu einer Wettbewerbsbeschränkung führen kann.305 Hierzu ergab sich hinsichtlich des betrachteten Zeitraums ein geteiltes Bild. Teilweise überstiegen diese Preise für Wettbewerber die Endkundenpreise (negative Spanne), für andere Zeiträume ließen sie keine kostendeckende Tätigkeit der Konkurrenten auf dem Endkundenmarkt zu.306 Die Kommission prüfte dazu ausdrücklich, ob die Preispolitik der Deutschen Telekom zur Verdrängung eines ebenso leistungsfähigen Wettbewerbers führen könnte.307 Der Tatsache, dass die Preissetzungsfreiheit der Deutschen Telekom eingeschränkt war, maß die Kommission keine Bedeutung bei. Die Deutsche Telekom habe trotzdem Preissetzungsspielräume gehabt, die sie nicht ausgeschöpft habe.308 Interessant sind auch die Ausführungen der Kommission zur Notwendigkeit des Nachweises negativer Auswirkungen auf den Markt.309 In diesem Kontext verweist die Kommission auch auf die Urteile Hoffmann-La Roche310 und Tetra Pak II311 und

304

Kommission, Entscheidung vom 21. 5. 2003, ABl. 2003 L 263/9 – Deutsche Telekom. Kommission, Entscheidung vom 21. 5. 2003, ABl. 2003 L 263/9, Rn. 105 – Deutsche Telekom. 306 Kommission, Entscheidung vom 21. 5. 2003, ABl. 2003 L 263/9, Rn. 160 ff. – Deutsche Telekom. 307 Kommission, Entscheidung vom 21. 5. 2003, ABl. 2003 L 263/9, Rn. 102, 108 – Deutsche Telekom. 308 Kommission, Entscheidung vom 21. 5. 2003, ABl. 2003 L 263/9, Rn. 57, 163 ff. – Deutsche Telekom. 309 Kommission, Entscheidung vom 21. 5. 2003, ABl. 2003 L 263/9, Rn. 176 ff. – Deutsche Telekom. 310 Vgl. EuGH, Urteil vom 13. 2. 1979, Rs. 85/76, EU:C:1979:36, Rn. 89 – Hoffmann-La Roche. 305

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D. Beurteilung von preisbezogenen Behinderungsmissbräuchen

betont, dass der Begriff der missbräuchlichen Ausnutzung ein objektiver Begriff sei und es für die Annahme des Missbrauchs bereits genüge, dass eine Kosten-PreisSchere bestehe.312 Insoweit lehnt die Kommission die Notwendigkeit eines Nachweises negativer Auswirkungen auf den Markt ab. Ungeachtet dessen führt sie im Anschluss hilfsweise eine – wenn auch vergleichsweise oberflächliche – Untersuchung durch, anhand derer sie belegt, dass negative Auswirkungen vorliegen.313 cc) Weiterer Verfahrensgang vor den Unionsgerichten Die Deutsche Telekom erhob gegen die Entscheidung der Kommission Nichtigkeitsklage vor dem EuG und anschließend dem EuGH. Diese bestätigten die Entscheidung der Kommission jedoch jeweils vollumfänglich und schlossen sich den Erwägungen der Kommission zum größten Teil an.314 Beide Gerichte bestätigen insoweit die Auffassung der Kommission, dass die Deutsche Telekom trotz der bestehenden Regulierungsvorschriften für das Bestehen einer wettbewerbswidrigen Kosten-Preis-Schere verantwortlich gemacht werden könne.315 Jedoch wiesen beide das Vorbringen der Kommission, „wonach bereits das bloße Bestehen einer Preispolitik des beherrschenden Unternehmen, die zur Beschneidung der Margen seiner zumindest ebenso effizienten Wettbewerber führe, einen Missbrauch im Sinne von Art. 82 EG darstelle, ohne dass eine wettbewerbswidrige Wirkung darzutun wäre“ zurück.316 Insoweit könne eine Preispolitik, die sich nicht auf die Wettbewerbssituation der Wettbewerber auswirkt und den Markteintritt nicht erschwert, nicht als Verdrängungspraxis eingestuft werden.317 Die fragliche Geschäftspraxis des Marktbeherrschers stellt demnach nur einen Missbrauch dar, wenn sie aufgrund der durch die Beschneidung der Margen entfalteten Verdrängungswirkung geeignet ist, für zumindest ebenso effiziente Wettbewerber wie das Unternehmen „den Zugang zum Markt zu erschweren oder gar unmöglich zu machen und damit seine beherrschende Stellung auf diesem Markt zu Lasten der Interessen der Verbraucher zu

311

Pak II.

Vgl. EuGH, Urteil vom 14. 11. 1996, Rs. C-333/34 P, EU:C:1996:436, Rn. 221 – Tetra

312 Kommission, Entscheidung vom 21. 5. 2003, ABl. 2003 L 263/9, Rn. 178, 180 – Deutsche Telekom. 313 Kommission, Entscheidung vom 21. 5. 2003, ABl. L 263/9, Rn. 181 ff. – Deutsche Telekom. 314 EuG, Urteil vom 10. 4. 2008, Rs. T-271/03, EU:T:2008:101 – Deutsche Telekom; EuGH, Urteil vom 14. 10. 2010, Rs. C-280/08 P, EU:2010:603 – Deutsche Telekom. 315 Vgl. EuG, Urteil vom 10. 4. 2003, Rs. T-271/03, EU:T:2008:101, Rn. 96 ff., 121 ff. – Deutsche Telekom; EuGH, Urteil vom 14. 10. 2010, Rs. C-280/08 P, EU:2010:603, Rn. 85 ff. – Deutsche Telekom. 316 EuGH, Urteil vom 14. 10. 2010, Rs. C-280/08 P, EU:2010:603, Rn. 250 f. – Deutsche Telekom. 317 EuGH, Urteil vom 14. 10. 2010, Rs. C-280/08 P, EU:2010:603, Rn. 254 – Deutsche Telekom.

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verstärken“.318 Die Tatsache, dass das angestrebte Ziel nicht erreicht werde, stehe der Einstufung als Missbrauch jedoch nicht entgegen.319 Für die Feststellung der Missbräuchlichkeit genüge vielmehr der Nachweis einer potentiell wettbewerbswidrigen Wirkung, durch die ebenso effiziente Wettbewerber verdrängt werden könnten. Neben diesen Klarstellungen zum Erfordernis wettbewerbsbeschränkender Auswirkungen stellte der EuGH zudem klar, dass Art. 102 AEUV dahingehend auszulegen sei, dass er nicht nur Verhaltensweisen erfasst, durch die dem Verbraucher ein unmittelbarer Schaden erwachsen kann, sondern auch „solche, die sie durch die Beeinträchtigung des Wettbewerbs schädigen.“320 Zur richtigen Methode der Feststellung des Vorliegens einer unzulässigen Preisspanne führt der EuGH aus, dass es insoweit allein auf die Zahlen des marktbeherrschenden Unternehmens ankommen könne, da jede andere Berechnungsmethode den Erfordernissen der Rechtssicherheit nicht gerecht werden könne, da es dem Marktbeherrscher abverlangen würde, die relevanten Marktdaten seiner Wettbewerber zu bestimmen.321 dd) Rechtliche Einordnung und Relevanz Dem Urteil Deutsche Telekom kommt sehr große Relevanz im Gesamtkontext der Rechtsprechung zu Art. 102 AEUV zu. Dies liegt zuvorderst in der Anerkennung der Kosten-Preis-Schere als eigenständiger Rechtsfigur des Behinderungsmissbrauchs, aber auch in dem Fokus auf Auswirkungen zuungunsten eines ebenso effizienten Wettbewerbers als relevanten Prüfungsmaßstab zur Beurteilung dieser Fallgruppe. Gleichwohl sind die Ausführungen der europäischen Gerichte zu dieser Einordnung verhältnismäßig knapp gehalten. Das EuG führt in Übereinstimmung mit dem Ansatz der Kommission lediglich aus, dass eine unzureichende Differenz der Preise auf dem vor- und nachgelagerten Markt für sich genommen missbräuchlich sein kann, ohne dass es einer weiteren Betrachtung der Einzelpreise bedürfe.322 Diese Aussage des EuG ist vor dem Hintergrund der durch den EuGH in der Rechtssache Industrie des Poudres Sphériques vertretenen Auffassung zugleich bemerkenswert. Dort hatte der EuGH angenommen, dass eine Preispolitik für sich genommen – ohne dass Kampfpreise auf dem nachgelagerten Markt oder missbräuchlich erhöhte Preise auf dem Vorleistungsmarkt vorlägen – keinen Missbrauch im Sinne des Art. 102 AEUV

318

EuGH, Urteil vom 14. 10. 2010, Rs. C-280/08 P, EU:2010:603, Rn. 253 f. – Deutsche Telekom. 319 EuGH, Urteil vom 14. 10. 2010, Rs. C-280/08 P, EU:2010:603, Rn. 254 – Deutsche Telekom. 320 EuGH, Urteil vom 14. 10. 2010, Rs. C-280/08 P, EU:2010:603, Rn. 176 ff. – Deutsche Telekom. 321 EuGH, Urteil vom 14. 10. 2010, Rs. C-280/08 P, EU:2010:603, Rn. 202 – Deutsche Telekom. 322 EuG, Urteil vom 10. 4. 2008, Rs. T-271/03, EU:T:2008:101, Rn. 166 f. – Deutsche Telekom.

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D. Beurteilung von preisbezogenen Behinderungsmissbräuchen

begründen.323 Der EuGH geht immerhin etwas weiter ins Detail und führt insoweit aus, dass dieser Fallkonstellation bereits für sich genommen ein Verdrängungspotential innewohne.324 Die Unionsgerichte haben in Deutsche Telekom damit bereits den Grundstein für einen gefestigten Rechtsrahmen für die Beurteilung von Kosten-Preis-Scheren als eigenständiger Missbrauchsform des Art. 102 AEUV entwickelt. Dieser basiert auf einem Vergleich von Kosten und Preisen des marktbeherrschenden Unternehmens zur Feststellung potentiell wettbewerbswidriger Auswirkungen auf ebenso effiziente Wettbewerber. Er ähnelt daher vom Ansatzpunkt und dem relevanten Bezugspunkt den Maßstäben zur Beurteilung von Kampfpreisstrategien. b) Wanadoo España/Telefónica aa) Sachverhalt Im Verfahren Wanadoo España/Telefónica ging es um einen vergleichbaren Sachverhalt auf dem spanischen Telekommunikationsmarkt. Bis zur Marktliberalisierung im Jahre 1998 verfügte die Telefónica über eine gesetzliche abgesicherte Monopolstellung für den gesamten Bereich der Telekommunikation. Im Zuge der Marktöffnung sah sich die Telefónica jedoch ähnlichen Marktbedingungen gegenüber wie die Deutsche Telekom und befand sich ebenso in einer Doppelrolle als Inhaberin des landesweiten Telefonnetzes und zugleich als Anbieterin verschiedener Dienstleistungen auf dem Endkundenmarkt.325 Da eine Duplikation des Netzes unwirtschaftlich erschien, bestanden somit ebenfalls Zugangsansprüche der Wettbewerber.326 Auch die Telefónica unterlag, bedingt durch Vorgaben der nationalen Regulierungsbehörden, gewissen Beschränkungen hinsichtlich ihrer Preissetzungsfreiheit. Im Verhältnis zu Deutsche Telekom war das Ausmaß der behördlichen Einflussnahme jedoch nicht sehr ausgeprägt. bb) Entscheidung der Kommission Die Entscheidung der Kommission327 zur Verhängung eines Bußgeldes in Höhe von EUR 152 Mio. (und damit einem deutlichen höheren Betrag als in Deutsche Telekom) erging im Juli 2007. Eröffnet hatte die Kommission das Verfahren gegen 323 EuG, Urteil vom 30. 11. 2000, Rs. T-5/97, EU:T:2000:278, Rn. 178 f. – Industrie des Poudres Sphériques. 324 EuGH, Urteil vom 14. 10. 2010, Rs. C-280/08 P, EU:2010:603, Rn. 183 – Deutsche Telekom. 325 Vgl. Berg, Missbrauch von Marktmacht durch Kosten-Preis-Scheren im europäischen und US-amerikanischen Kartellrecht, S. 102. 326 Vgl. Petzold, Die Kosten-Preis-Schere im EU-Kartellrecht, S. 42. 327 Kommission, Entscheidung vom 4. 7. 2007, COMP/38.784 – Wanadoo España/Telefónica.

II. Kosten-Preis-Schere

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den spanischen marktbeherrschenden Telekommunikationsnetzbetreiber bereits Anfang des Jahres 2006 und damit zeitlich noch vor dem Urteil des EuG in Deutsche Telekom. Unter Einbindung umfassenden Datenmaterials und ausführlicher Argumentation stellte die Kommission in ihrer Entscheidung fest, dass die Telefónica ihre marktbeherrschende Stellung durch ihr Preissetzungsverhalten im Zeitraum zwischen September 2001 und Dezember 2006 missbraucht habe.328 Den Einwand seitens Telefónicas, es habe sich bei der Preisgestaltung um eine Geschäftsverweigerung gehandelt, wies die Kommission zurück.329 Neben den Erläuterungen zum Vorliegen einer missbräuchlichen Kosten-Preis-Schere als solcher, tätigte die Kommission in ihrer Entscheidung erstmalig erläuternde Ausführungen zu der konkreten Verdrängungswirkung auf dem nachgelagerten Markt.330 Dazu prüfte sie insbesondere auch unter Anwendung des As efficient competitor-Tests, ob es einem ebenso effizienten Wettbewerber möglich war, mit den Preisen der Telefónica kostendeckend bzw. profitabel zu konkurrieren.331 Hierzu lässt sich den Ausführungen der Kommission entnehmen, dass diese den Test als Maßstab für die Beurteilung einer Kosten-Preis-Schere grundsätzlich für den relevanten Prüfungsmaßstab hält.332 Hierzu verweist die Kommission auch auf die Konsistenz dieses Ansatzes mit der Entscheidung in Deutsche Telekom.333 Den Nachweis einer marktbeherrschenden Stellung auf dem nachgelagerten Markt erachtete die Kommission nicht für notwendig, um den Missbrauch festzustellen.334 Interessant sind auch die Ausführungen der Kommission zur Möglichkeit eines Effizienzeinwandes. In ihrer Entscheidung prüft die Kommission hierzu die Voraussetzungen einer Effizienzeinwandes anhand der zu Art. 101 Abs. 3 AEUV entwickelten Maßstäbe, kommt aber gleichermaßen zu dem Ergebnis, dass Effizienzen in dieser Fallkonstellation nicht vorliegen.335 In der Kommissionsentscheidung Deutsche Telekom waren derartige Erwägungen hingegen noch nicht angeklungen. Dies deutet unter Berücksichtigung des zeitlichen Kontextes der Entscheidung (nach

328

Kommission, Entscheidung vom 4. 7. 2007, COMP/38.784, Rn. 278 ff., 691 ff. – Wanadoo España/Telefónica. 329 Kommission, Entscheidung vom 4. 7. 2007, COMP/38.784, Rn. 299 ff. – Wanadoo España/Telefónica. 330 Vgl. Kommission, Entscheidung vom 4. 7. 2007, COMP/38.784, Rn. 543 ff. – Wanadoo España/Telefónica. 331 Kommission, Entscheidung vom 4. 7. 2007, COMP/38.784, Rn. 7, 241, 263, 312 – Wanado España/Telefónica. 332 Kommission, Entscheidung vom 4. 7. 2007, COMP/38.784, Rn. 312 ff. – Wanadoo España/Telefónica. 333 Kommission, Entscheidung vom 4. 7. 2007, COMP/38.784, Rn. 313 – Wanadoo España/ Telefónica. 334 Kommission, Entscheidung vom 4. 7. 2007, COMP/38.784, Rn. 284 – Wanadoo España/ Telefónica. 335 Kommission, Entscheidung vom 4. 7. 2007, COMP/38.784, Rn. 641 ff. – Wanadoo España/Telefónica.

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D. Beurteilung von preisbezogenen Behinderungsmissbräuchen

Veröffentlichung des Diskussionspapiers) auf eine bewusste Umsetzung des stärker ökonomisch geprägten Ansatzes durch die Kommission hin. cc) Entscheidung der Europäischen Gerichte Das EuG336 und der EuGH337 bestätigten die Entscheidung der Kommission jeweils in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht vollumfänglich. Die europäischen Gerichte stellten insoweit explizit klar, dass sämtliche Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen seien, um festzustellen, ob das betreffende Unternehmen eine missbräuchliche Preispolitik verfolgt habe.338 Der EuGH bestätigte zudem nochmals die Relevanz der Kosten-Preis-Schere als eigenständiger Missbrauchsform. Insoweit käme den Kriterien einer missbräuchlichen Lieferungsverweigerung keine Bedeutung zur Beurteilung einer Kosten-Preis-Schere zu.339 dd) Rechtliche Einordnung Das Urteil enthält keine wesentlichen Neuerungen zum Umgang mit der KostenPreis-Schere im europäischen Wettbewerbsrecht. Gegenüber der Entscheidung in der Rechtssache Deutsche Telekom fällt jedoch der erheblich gestiegene Umfang der Entscheidung der Kommission auf.340 Dies ist zu großen Teilen der intensiven Aufarbeitung des Sachverhaltes sowie der umfassenden Einbindung ökonomischer Analysen geschuldet. Im Vergleich zur Entscheidung in Deutsche Telekom hat die Kommission demnach einen weitaus höheren Begründungsaufwand zur Darstellung der konkreten Verdrängungswirkung betrieben, der insoweit der fortschreitenden Ökonomisierung der europäischen Missbrauchsaufsicht und insbesondere der Einführung des effects-based approach zuzuschreiben sein dürfte. Die Zurückweisung der Einwendung, es handele sich um eine Geschäftsverweigerung, lässt zudem darauf schließen, dass die Fallgruppe der Kosten-Preis Schere nicht explizit auf Konstellationen beschränkt sein soll, in denen ein kartellrechtlicher Belieferungsanspruch besteht. c) RWE Anders als bei den bislang besprochenen Entscheidungen handelt es sich bei der Rechtssache RWE nicht um ein Verfahren, das den Telekommunikationsmarkt betraf. Entsprechend der Stellung der Unternehmen auf den Telekommunikationsmärkten 336

EuG, Urteil vom 29. 3. 2012, Rs. T-336/07, EU:C:2012:172 – Telefónica. EuGH, Urteil vom 10. 7. 2014, Rs. C-295/12 P, EU:C:2014:2062 – Telefónica. 338 EuGH, Urteil vom 10. 7. 2014, Rs. C-295/12 P, EU:C:2014:2062, Rn. 175 – Telefónica. 339 EuGH, Urteil vom 10. 7. 2014, Rs. C-295/12 P, EU:C:2014:2062, Rn. 74 f. – Telefónica. 340 Die Entscheidung Deutsche Telekom umfasst lediglich 33 Textseiten, während die Entscheidung der Kommission in Wanadoo España/Telefónica 233 Textseiten einnimmt. 337

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besteht jedoch auch beim Gastransport das typische Doppelverhältnis der Unternehmen zueinander. Die Geschäftstätigkeit des Konkurrenten auf dem nachgelagerten Markt hängt vom Zugang zu dem Netz des vertikal integrierten Unternehmens auf der vorgelagerten Marktstufe ab. Vor diesem Hintergrund geriet der deutsche RWE-Konzern im Jahr 2007 wegen des Verdachts einer Kosten-Preis-Schere ins Visier der Europäischen Kommission. RWE verfügte auf der vorgelagerten Marktstufe als Eigentümerin des Gasübertragungsnetzes über eine marktbeherrschende Stellung. In einer vorläufigen Beurteilung341 gelangte die Kommission zur Einschätzung, dass eine Kosten-Preis-Schere vorlag. Diese drücke sich darin aus, dass RWE von seinen Wettbewerbern auf dem nachgelagerten Markt sehr hohe Entgelte für die Gasübertragung verlangte. Infolge dessen könne ein ebenso effizienter Wettbewerber auf der nachgelagerten Marktstufe nicht mit RWE konkurrieren.342 Dieser Fall unterstreicht, dass es sich bei der Kosten-Preis-Schere nicht um ein spezifisch telekommunikationsrechtliches Problem handelt. Diese Missbrauchsform ist insgesamt von großer Relevanz für die Anwendung des europäischen Kartellrechts, soweit es sich um Wirtschaftsbereiche mit leitungsgebundener Infrastruktur handelt.343 d) TeliaSonera Die Rechtssache TeliaSonera betrifft ein Vorabentscheidungsverfahren, das die Auslegung des Art. 102 AEUV im Hinblick auf die Missbräuchlichkeit von KostenPreis-Scheren zum Gegenstand hatte. aa) Hintergrund und Sachverhalt Die schwedische Wettbewerbsbehörde ermittelte bereits seit Anfang des Jahres 2000 gegen das aus früherer Monopolstellung hervorgegangene Telekommunikationsunternehmen TeliaSonera wegen des Verdachts einer Kosten-Preis-Schere auf dem Markt für breitbandige ADSL-Internetanschlüsse. Nach Ansicht der schwedischen Wettbewerbsbehörde missbrauchte TeliaSonera in der Zeit von April 2000 bis Januar 2003 ihre marktbeherrschende Stellung durch eine Preisgestaltung, bei der die Spanne zwischen dem Preis für ADSL-Vorleistungsprodukte und dem Endkundenpreis für die angebotenen Dienste nicht ausreichend gewesen sei, um ihre eigenen Kosten für die Erbringung dieser Dienste an die genannten Endkunden zu decken. Da sich das zum Zwecke der Verhängung eines Bußgeldes obligatorisch einzuschaltende 341 Das Verfahren gegen RWE wurde gegen Verpflichtungszusagen gem. Art. 9 Abs. 1 VO 1/2003 eingestellt. Daher kam es weder zu einer verbindlichen Feststellung eines Verstoßes noch zu einer Kommissionsentscheidung in der Sache. 342 Vgl. Kommission, Entscheidung vom 18. 3. 2008, COMP/39.402 – Gasmarktabschottung durch RWE. 343 Vgl. auch Berg, Missbrauch von Marktmacht durch Kosten-Preis-Scheren im europäischen und US-amerikanischen Kartellrecht, S. 106.

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D. Beurteilung von preisbezogenen Behinderungsmissbräuchen

Gericht jedoch unsicher war, wie es einen derartigen Missbrauch nach Art. 102 AEUV zu beurteilen hatte, legte es dem EuGH einen Katalog mit Fragestellungen zur Rechtsfigur der Kosten-Preis-Schere zur Vorabentscheidung nach Art. 267 AEUV vor. bb) Entscheidung des EuGH und rechtliche Einordnung Der EuGH entschied mit Urteil vom 17. Februar 2011.344 Das Urteil enthält insbesondere Klarstellungen im Hinblick auf das Marktbeherrschungskriterium und die Erforderlichkeit von Auswirkungen auf den Markt für die Missbräuchlichkeit einer Kosten-Preis-Schere. Im Einklang mit dem nur wenige Wochen zuvor ergangenen Urteil in Deutsche Telekom hält der EuGH auch hier weiterhin an der Einordnung der Kosten-Preis-Schere als eigenständiger Form des Behinderungsmissbrauchs fest. Dies führt zur Missbräuchlichkeit einer Preispolitik allein durch das Vorliegen einer Margenbeschneidung unabhängig von einer weiteren Betrachtung der Preise auf Vorleistungs-und Endkundenmarkt.345 Dieser Ansatzpunkt ist für sich betrachtet schlüssig und wenig überraschend, vor dem Hintergrund der gegenteiligen Positionierung des Generalanwaltes Mazák in seinen Schlussanträgen jedoch zugleich beachtlich. Dieser gelangte nach eingehender Betrachtung der Fallgruppe der Kosten-Preis-Schere in seinen Schlussanträgen zu Auffassung, diese als Unterfall der Geschäftsverweigerung („implizite Lieferungsverweigerung“) einzuordnen.346 Hierzu führte er aus, es sei erforderlich, das Merkmal der „objektiven Notwendigkeit“ bzw. „Unentbehrlichkeit“ der Vorleistung, das im Rahmen eines kartellrechtlichen Kontrahierungszwangs herangezogen wird, auch auf die Fallgruppe der Kosten-Preis-Schere anzuwenden.347 Dieser Vorstoß des Generalanwaltes ist vor dem Hintergrund der bereits in den Rechtssachen Deutsche Telekom und Telefónica zum Ausdruck kommenden gefestigten Rechtsprechung hinsichtlich der Einordnung der Kosten-Preis-Schere als eigenständiger Fallgruppe zugleich bemerkenswert. Der EuGH schloss sich der Auffassung Mazáks jedoch nicht an und hielt an seiner dogmatischen Einordnung der Kosten-Preis-Schere als eigenständiger Fallgruppe fest. Damit erteilt er zugleich der Erforderlichkeit des Merkmals der Unentbehrlichkeit der Vorleistung eine Absage.348 Ungeachtet dessen sind nach dem EuGH in diesem Kontext die Implikationen der Unentbehrlichkeit des Vorprodukts für den Maßstab des Vorliegens wettbewerbswidriger Auswirkungen zu berücksichtigen. So geht der Gerichtshof davon aus, dass die Kosten-Preis-Schere bei Unentbehrlichkeit der Vorleistung „wahrscheinlich – 344

EuGH, Urteil vom 17. 2. 2011, Rs. C-52/09, EU:C:2011:83 – TeliaSonera. EuGH, Urteil vom 17. 2. 2011, Rs. C-52/09, EU:C:2011:83, Rn. 30 ff. – TeliaSonera. 346 GA Mazák, Schlussanträge vom 2. 9. 2010, Rs. C-52/09, EU:C:2010, 483, Rn. 16 ff. – TeliaSonera. 347 GA Mazák, Schlussanträge vom 2. 9. 2010, Rs. C-52/09, EU:C:2010, 483, Rn. 16 ff. – TeliaSonera. 348 EuGH, Urteil vom 17. 2. 2011, Rs. C-52/09, EU:C:2011:83, Rn. 72 – TeliaSonera. 345

II. Kosten-Preis-Schere

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zumindest potentiell – eine wettbewerbswidrige Wirkung hat“.349 Hierin ist eine gewisse Erleichterung im Hinblick auf die Nachweisanforderungen wettbewerbswidriger Auswirkungen bei Unentbehrlichkeit des Vorprodukts zu sehen. Insoweit scheint eine widerlegbare Vermutung für das Vorliegen wettbewerbswidriger Wirkungen zu streiten. Zugleich stellt der EuGH aber klar, dass auch bei Entbehrlichkeit des Vorprodukts wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen nicht ausgeschlossen seien. In diesem Fall scheinen aber die Anforderungen an die Darlegung der negativen Auswirkungen wiederrum erhöht.350 Hinsichtlich des Erfordernisses wettbewerbsbeschränkender Auswirkungen bestätigt der EuGH den Maßstab aus Deutsche Telekom. Zugleich stellt der EuGH damit erneut klar, dass die Kosten-Preis-Schere jedenfalls nicht bereits ihrem Wesen nach missbräuchlich ist. Es sei vielmehr ein „wettbewerbswidrige Wirkung“ der Preispolitik des marktbeherrschenden Unternehmens nachzuweisen.351 Missbräuchlich sei eine Kosten-Preis-Schere erst dann, wenn sie dazu geeignet ist, Wettbewerbern den Zugang zum Markt zu erschweren oder zugänglich zu machen und ihr damit eine Verdrängungswirkung innewohne.352 Der Nachweis tatsächlicher Auswirkungen sei jedoch nicht erforderlich. Es genügt weiterhin, wenn das Verhalten des marktbeherrschenden Unternehmens potentielle wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen hat.353 In dem Urteil TeliaSonera bestätigte der EuGH damit die grundsätzliche Tendenz in seiner Rechtsprechung, am tradierten Ansatz festzuhalten, diesen jedoch um einzelne Teilaspekte des more economic approach zu ergänzen. Insbesondere das klare Bekenntnis zur Erforderlichkeit wettbewerbswidriger Wirkungen ist dem Bestrebungen nach einer verstärkten Wirkungsanalyse zuzuschreiben. Zugleich bleibt festzuhalten, dass die Kommission und die Unionsgerichte mit den Klarstellungen in TeliaSonera auf der Linie der bisherigen Rechtsprechung zu dieser Fallgruppe bleiben. Das Urteil markiert dabei zugleich den vorläufigen Schlusspunkt der Verfahren auf Unionsebene zur Kosten-Preis-Schere.

349 350 351 352 353

EuGH, Urteil vom 17. 2. 2011, Rs. C-52/09, EU:C:2011:83, Rn. 71 – TeliaSonera. Leupold, EuZW 2011, 339, 346 f. EuGH, Urteil vom 17. 2. 2011, Rs. C-52/09, EU:C:2011:83, Rn. 61 – TeliaSonera. EuGH, Urteil vom 17. 2. 2011, Rs. C-52/09, EU:C:2011:83, Rn. 63 – TeliaSonera. EuGH, Urteil vom 17. 2. 2011, Rs. C-52/09, EU:C:2011:83, Rn. 64 – TeliaSonera.

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D. Beurteilung von preisbezogenen Behinderungsmissbräuchen

2. Zwischenergebnis: Kriterien der Missbräuchlichkeit von Kosten-Preis-Scheren und Prüfungsmaßstab der europäischen Gerichte a) Allgemein: Die Kosten-Preis-Schere im System der Missbrauchsaufsicht aa) Kosten-Preis-Schere als eigenständige Missbrauchsform Nach den höchstrichterlichen Urteilen in Deutsche Telekom, Telefónica und TeliaSonera steht die Einordnung der Kosten-Preis-Schere als eigenständige Missbrauchsform nach Art. 102 AEUV fest.354 Zuvor hatte die Kosten-Preis-Schere als eigenständige Missbrauchsform keine Rolle in der europäischen Rechtsprechung gespielt.355 Die Kosten-Preis-Schere steht damit gleichrangig neben der Fallgruppe der Kampfpreise oder der Geschäftsverweigerung. Diese Einordnung führt zugleich zu einer Verschärfung der Kontrolldichte über die Preisgestaltung eines Marktbeherrschers und zu praktischen Konsequenzen in der Prüfung.356 Ein Preissetzungsverhalten eines vertikal integrierten marktbeherrschenden Unternehmens kann als missbräuchlich eingestuft werden, ohne dass die Preise auf der Großhandels- oder Endkundenstufe für sich genommen missbräuchlich sein müssen. Mit der Einordnung als eigenständige Missbrauchsform positionieren sich die europäischen Gerichte klar anders als der US-amerikanische Supreme Court, der die Kosten-Preis-Schere grundsätzlich nicht als eigenständige Missbrauchsform anerkennt. Für das US-amerikanische Kartellrecht steht nach der zentralen Entscheidung des Supreme Court in linkLine357 aus dem Jahr 2009 fest, dass die Kosten-PreisSchere keine eigenständige Fallgruppe der Monopolisierung nach sec. 2 Sherman Act darstellt. Hierin ist letztlich die Bestätigung und Fortführung der Grundsätze aus Trinko358 zu sehen. Für vergleichbare Fallkonstellationen werden in den USA entweder auf das Regulierungsrecht, auf die Fallgruppe der Kampfpreise (predatory pricing) oder der Geschäftsverweigerung (refusal to deal) zurückgegriffen und die für diese Fallgruppen bekannten Maßstäbe angewendet. Diese unterschiedliche 354

EuGH, Urteil vom 14. 10. 2010, Rs. C-280/08 P, EU:C:2010:603, Rn. 183 – Deutsche Telekom; EuGH, Urteil vom 17. 2. 2011, C-52/09, EU:C:2011:83, Rn. 31 – TeliaSonera; so auch O’Donoghue/Padilla, Law and Economics of Article 102 TFEU, S. 364; Brand, in: Frankfurter Kommentar Kartellrecht, Art. 102 AEUV, März 2012, Rn. 333. 355 So wird teils auch noch in (jüngeren) Beiträgen die Ansicht vertreten, es bedürfe keiner eigenständigen Fallgruppe der Kosten-Preis-Scheren, da sich diese als Unterfall vollständig von der Fallgruppe der Kampfpreisunterbietung erfassen lasse, Kosten-Preis-Schere als Kampfpreisunterbietung durch ein vertikal integriertes Unternehmen, siehe z. B. Henk-Merten, Die Kosten-Preis-Schere im Kartellrecht, 2004, Petzold, Die Kosten-Preis-Schere im EU-Kartellrecht, 2012. 356 Vgl. mit weiteren Beispielen Berg, Missbrauch von Marktmacht durch Kosten-PreisScheren im europäischen und US-amerikanischen Kartellrecht, S. 114. 357 Pacific Bell Telephone Co. v. Linkline Communications, Inc., 555 U.S. 438 (2009). 358 Verizon Communications Inc. v. Law Offices of Curtis V. Trinko, LLP, 540 U.S. 398, 409 (2004).

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Einordnung ist letztendlich Ausdruck unterschiedlicher Ansätze zur Auflösung des Konkurrenzverhältnisses von Regulierungs- und Kartellrecht sowie abweichender wettbewerbspolitischer Vorstellungen.359 Im US-amerikanischen Recht herrscht die Auffassung, dass das Kartellrecht in Bereichen der besonderen Wirtschaftsregulierung nicht parallel anwendbar sein soll. Zudem beruht die Ablehnung der Anwendung kartellrechtlicher Verbote in regulierten Märkten auch auf den Spezifika des US-amerikanischen Rechtssystems wie der größeren Bedeutung des private enforcement.360 Darüber hinaus liegt die praktische Durchsetzung des Kartellrechts in den USA, anders als im europäischen Rechtsraum, nicht in den Händen der Wettbewerbsbehörden, sondern der Zivilgerichte. Hieraus ergeben sich insbesondere auch Bedenken hinsichtlich der institutionellen Eignung der befassten Gerichte, sodass eine Zuordnung zu bereits bekannten Regelungsinstrumentarien sinnvoll erscheint.361 bb) Stellung des integrierten Unternehmens auf beiden Marktstufen In unternehmensstruktureller Hinsicht ist die vertikale Integration des betreffenden Unternehmens Grundvoraussetzung. Nach neuerer Rechtsprechung ist es hingegen nicht mehr erforderlich, dass das betroffene Unternehmen auf beiden Märkten marktbeherrschend ist.362 Es ist vielmehr ausreichend, wenn eine marktbeherrschende Stellung auf dem vorgelagerten Markt besteht.363 Im Hinblick auf die erforderliche Marktanteilsschwellen wird teilweise darauf hingewiesen, dass für die Fallgruppe der Kosten-Preis-Schere ein besonders hohes Maß an Marktmacht bestehen müsse, um die Annahme einer notwendigen Abhängigkeit zu rechtfertigen. In diesem Zusammenhang wird oftmals von einer monopolähnlichen Stellung (sog. superdominance) gesprochen.364 Der Ansatz der europäischen Gerichte, das Vorliegen einer marktbeherrschenden Stellung nur für die vorgelagerte Marktstufe zu

359 Berg, Missbrauch von Marktmacht durch Kosten-Preis-Scheren im europäischen und US-amerikanischen Kartellrecht, S. 236 ff.; Petzold, Die Kosten-Preis-Schere im EU-Kartellrecht, S. 20. 360 Vertiefend Berg, Missbrauch von Marktmacht durch Kosten-Preis-Scheren im europäischen und US-amerikanischen Kartellrecht, S. 254 ff. 361 Berg, Missbrauch von Marktmacht durch Kosten-Preis-Scheren im europäischen und US-amerikanischen Kartellrecht, S. 255. 362 EuGH, Urteil vom 17. 2. 2011, Rs. C-52/09, EU:C:2011:83, Rn. 114 – TeliaSonera; in älteren Entscheidungen ging die Europäische Kommission noch von der Erforderlichkeit einer marktbeherrschenden Stellung auf vor- und nachgelagertem Markt aus, vgl. Kommission, Entscheidung vom 18. 7. 1988, ABl. 1988 Nr. L 284/41, Rn. 66 – British Sugar/Napier Brown. 363 EuGH, Urteil vom 17. 2. 2011, Rs. 52/09, EU:C:2011:83, Rn. 72, 83. – TeliaSonera. 364 Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 91; Petzold, Die Kosten-Preis-Schere im EU-Kartellrecht, S. 30 f.; Berg, Missbrauch von Marktmacht durch Kosten-Preis-Scheren im europäischen und US-amerikanischen Kartellrecht, S. 120.

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D. Beurteilung von preisbezogenen Behinderungsmissbräuchen

verlangen, hat in der Literatur vorwiegend Zustimmung erfahren.365 Angesichts der engen Verbundenheit zwischen vor- und nachgelagerter Marktstufe in derartigen Fallkonstellationen und der daraus resultierenden Möglichkeit der Einflussnahme auf die Marktbedingungen auf der nachgelagerten Stufe erscheint dies auch gerechtfertigt.366 Diese Ansicht ist im Ergebnis auch Ausdruck des Marktmachttransfers unter Zuhilfenahme von Hebelwirkungen (leveraging theory).367 b) Prüfungsmaßstab aa) Auswirkungsnachweis bei Kosten-Preis-Scheren Die Rechtspraxis der Unionsgerichte zur Fallgruppe der Kosten-Preis-Schere zeigt, dass tatsächliche oder wahrscheinliche negative Auswirkungen auf den Markt zwingende Voraussetzung für die Missbräuchlichkeit einer Kosten-Preis-Schere sind. Während die Kommission in Deutsche Telekom noch allein das Vorliegen einer Kosten-Preis-Schere für ausreichend erachtete und einen weiteren Nachweis etwaiger Auswirkungen auf den Markt für nicht erforderlich befand368, so stellten das EuG und der EuGH bereits in gleicher Sache klar, dass wettbewerbsschädliche Effekte nachzuweisen seien.369 Hierzu müsse die Kommission zeigen, dass die Kosten-Preis-Schere Wettbewerber, die mindestens ebenso effizient wie der Wettbewerber sind, vom Markt auszuschließen vermag oder diesen den Marktzutritt erschwere.370 Dieser Ansatz wurde vom EuGH in TeliaSonera ausdrücklich bestätigt.371 Zugleich bleibt es hinsichtlich der Realisierung dieser Auswirkungen bei einem ex-ante Ansatz. Der Nachweis potentiell wettbewerbsbeschränkender Auswirkungen ist auch hier ausreichend. Der Nachweis tatsächlich eingetretener Auswirkungen ist hingegen nicht erforderlich.372 Demzufolge hat eine Kosten-PreisSchere dann potenziell wettbewerbsschränkende Auswirkungen, wenn es wahr365 Siehe nur Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 359; Petzold, Die Kosten-Preis-Schere im EU-Kartellrecht, S. 33 f. 366 Rummel, Rechtssicherheit bei der Anwendung des equally efficient competitor-Test, S. 125. 367 Berg, Missbrauch von Marktmacht durch Kosten-Preis-Scheren im europäischen und US-amerikanischen Kartellrecht, S. 122. 368 Kommission, Entscheidung vom 21. 5. 2003, ABl. 2003 L 263/9, Rn. 179 f. – Deutsche Telekom. 369 EuG, Urteil vom 10. 4. 2008, Rs. T-271/03, EU:T:2008:101, Rn. 234 – 244 – Deutsche Telekom; EuGH, Urteil vom 14. 10. 2010, Rs. C-280/08 P, EU:C:2010:603, Rn. 250 – Deutsche Telekom. 370 EuGH, Urteil vom 14. 10. 2010, Rs. C-280/08 P, EU:C:2010:603, Rn. 253 – Deutsche Telekom. 371 Zuletzt EuGH, Urteil vom 17. 2. 2011, Rs. C-52/09, EU:C:2011:83, Rn. 61 ff. – TeliaSonera. 372 Zuletzt EuGH, Urteil vom 17. 2. 2011, Rs. C-52/09, EU:C:2011:83, Rn. 64, 77 – TeliaSonera.

II. Kosten-Preis-Schere

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scheinlich ist, dass ebenso effizienten Wettbewerbern der Zugang zum Markt erschwert oder verschlossen sein kann.373 Im Hinblick auf die Fallgruppe der KostenPreis-Schere entnimmt die Rechtsprechung dem Art. 102 AEUV damit kein quasi per se Verbot. Vielmehr erscheint eine konkrete Gefährdung als Eingriffsschwelle zu dienen. Diese drückt sich in Form eines Wahrscheinlichkeitsmaßstabes aus. Der Rechtsprechung ist jedoch nicht mit entschiedener Klarheit zu entnehmen, wie genau dieser Nachweis potentieller Auswirkungen zu erbringen ist oder an welchen Merkmalen dieser festgemacht werden soll. Es bleibt lediglich bei der Erkenntnis, dass die Gefahr konkreter Natur sein muss und nicht allein auf Basis eines KostenPreis-Tests zu bestimmen ist. bb) Relevanter Beurteilungsmaßstab: Anwendung des AEC-Tests Sowohl die Europäische Kommission als auch die europäischen Gerichte wenden bei der Beurteilung von Kosten-Preis-Scheren eine modifizierte Variante des Asefficient-competitor-Tests an, um die Missbräuchlichkeit dieser Form des preisbezogenen Behinderungsmissbrauchs festzustellen. Hierbei wird geprüft, ob das vertikal integrierte marktbeherrschende Unternehmen am Markt bestehen könnte, wenn es seine eigenen Vorleistungspreise zahlen müsste. Dieser sog. Imputation-Test stammt aus dem Regulierungsrecht.374 Der EuGH hat diese Variante des Tests sowohl in Deutsche Telekom als auch in Telefónica und TeliaSonera angewendet. Damit hat sich der AEC-Test in der europäischen Anwendungspraxis als vorrangiges Instrument zur Beurteilung von Kosten-Preis-Scheren etabliert. Durch ein Rekurrieren auf die Kosten und Preise des marktbeherrschenden Unternehmens wird diesem auf Grundlage vorhandener Informationen eine Selbsteinschätzung ermöglicht. Eine derartige Prüfung wird so den Erfordernissen der Rechtssicherheit gerecht.375 Nur in Ausnahmefällen darf daher abweichend auf einen sog. reasonably efficient competitor-Test zurückgegriffen werden. Dieser Test betrachtet die Kostenstruktur eines fiktiven, angemessen effizienten Wettbewerbers.376 Dies kommt insbesondere in Betracht, wenn die Kostendaten des marktbeherrschenden Unternehmens nicht ermittelbar sind.377 Der Beurteilungsmaßstab für Kosten-Preis-Scheren steht damit im Einklang mit der Beurteilung von Kampfpreisen. Der Imputation-Test ist im Ergebnis nichts anderes als der bereits bekannte Kampfpreistest unter zusätzlicher 373 EuGH, Urteil vom 17. 2. 2011, Rs. C-52/09, EU:C:2011:83, Rn. 63 ff. – TeliaSonera; EuG, Urteil vom 10. 4. 2008, Rs. T-271/03, EU:T:2008:101, Rn. 177 f. – Deutsche Telekom; EuGH, Urteil vom 14. 10. 2010, Rs. C-280/08 P, EU:C:2010:603, Rn. 253 ff. – Deutsche Telekom. 374 Petzold, NZKart 2015, 407. 375 EuGH, Urteil vom 17. 2. 2011, Rs. C-52/09, EU:C:2011:83, Rn. 42 – 44 – TeliaSonera; EuGH, Urteil vom 10. 7. 2014, Rs. C-295/12 P, EU:C:2014:2062, Rn. 190 – 192 – Telefónica. 376 Berg, Missbrauch von Marktmacht durch Kosten-Preis-Scheren im europäischen und US-amerikanischen Kartellrecht, S. 134 f. 377 Vgl. Kommission, Prioritätenmitteilung, Rn. 26; zu weiteren Anwendungsfällen EuGH, Urteil vom 17. 2. 2011, Rs. C-52/09, EU:C:2011:83, Rn. 45 – TeliaSonera.

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D. Beurteilung von preisbezogenen Behinderungsmissbräuchen

Berücksichtigung der Opportunitätskosten des marktbeherrschenden Unternehmens.378 cc) Unentbehrlichkeit des Vorprodukts Mit der Entscheidung des EuGH in TeliaSonera scheint endgültig festzustehen, dass die europäischen Gerichte in der Unverzichtbarkeit der Vorleistung keine notwendige Voraussetzung für das Vorliegen einer Kosten-Preis-Schere sehen.379 Diese Rechtsauffassung der Unionsgerichte steht im engen Zusammenhang mit der Entscheidung, die Kosten-Preis-Schere als eigenständigen Tatbestand zu behandeln.380 In der Literatur wird der Verzicht auf die Unentbehrlichkeit des Vorprodukts hingegen eher kritisch gesehen.381 c) Neuerungen in der Prioritätenmitteilung Auch in der Prioritätenmitteilung betont die Kommission die Wichtigkeit der Kosten-Preis-Schere als Form des Behinderungsmissbrauchs, hebt aber gleichzeitig die konzeptionelle Nähe zur Fallgruppe der Geschäftsverweigerung hervor, indem sie diese im gleichen Abschnitt behandelt.382 Hiermit scheint sie zugleich die strengeren Kriterien einer wettbewerbswidrigen Geschäftsverweigerung auf die Kosten-Preis-Schere übertragen und die Unentbehrlichkeit der Vorleistung zum Tatbestandsmerkmal aufwerten zu wollen. Diese Bestrebungen sind bereits in der rechtswissenschaftlichen Literatur und der Praxis angeklungen. Dabei wurde insbesondere auf die vermeintlichen Inkonsistenzen hingewiesen, die eine Einordnung der Kosten-Preis-Schere als eigenständigen Tatbestand mit sich bringt.383 Eine eingehende Untersuchung der Einordnung der Kosten-Preis-Schere in eine andere (bestehende) Fallgruppe des Missbrauchsverbots statt der Schaffung eines eigenständigen Tatbestandes würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen.384 An dieser 378 Rummel, Rechtssicherheit bei der Anwendung des equally efficient competitor-Tests, S. 134. 379 A.A. Komninos/Sakellariou, Concurrences N83-2013, 24, 26, die in dem Urteil des EuGH in Post Danmark I ein Bekenntnis zur Unverzichtbarkeit der Vorleistung sehen. 380 Berg, Missbrauch von Marktmacht durch Kosten-Preis-Scheren im europäischen und US-amerikanischen Kartellrecht, S. 155; Brand, in: Frankfurter Kommentar Kartellrecht, Art. 102 AEUV, März 2012, Rn. 348. 381 Vgl. hierzu Komninos/Sakellariou Komninos/Sakellariou, Concurrences N83-2013, 24, 26; Brand, in: Frankfurter Kommentar Kartellrecht, Art. 102 AEUV, März 2012, Rn. 348; Henk-Merten, Die Kosten-Preis-Schere im Kartellrecht, S. 133. 382 Kommission, Prioritätenmitteilung, Rn. 81. 383 Exemplarisch Petzold, Die Kosten-Preis-Schere im EU-Kartellrecht, S. 21. 384 Vgl. hierzu für eine Erfassung unter der Fallgruppe der Geschäftsverweigerung Berg, Missbrauch von Marktmacht durch Kosten-Preis-Scheren, 2015; als Unterfall der Kampfpreise Henk-Merten, Die Kosten-Preis-Schere im Kartellrecht, 2004; Petzold, Die Kosten-PreisSchere im EU-Kartellrecht, 2012.

III. Rabattsysteme

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Stelle sei nur darauf hingewiesen, dass die Unionsgerichte in ständiger Rechtsprechung seit Deutsche Telekom an der Einordnung der Kosten-Preis-Schere als eigenständigem Tatbestand festhalten und eine Änderung dieser Rechtsprechung daher eher unwahrscheinlich erscheint. Ob die Kommission angesichts dessen an ihrer Einordnung festhalten können wird, ist angesichts der zuletzt in TeliaSonera zum Ausdruck kommenden klaren Positionierung des EuGH zu bezweifeln. Zugleich sei jedoch erwähnt, dass seit der Veröffentlichung der Prioritätenmitteilung keine neue Kommissionsentscheidung ergangen ist und daher eine Neujustierung der Judikatur der Unionsgerichte unter Einbringung neuer Impulse durch die Kommission nicht gänzlich ausgeschlossen erscheint. d) Zusammenfassung und eigene Bewertung: Die Beurteilung von Kosten-Preis-Scheren im europäischen Wettbewerbsrecht Die Beurteilungsmaßstäbe der Unionsgerichte zeugen insgesamt von einer ökonomischen Fundierung der Missbrauchsaufsicht über Kosten-Preis-Scheren. Die Missbräuchlichkeit wird nicht aufgrund des bloßen Vorliegens einer Kosten-PreisSchere abgeleitet, sondern verlangt zusätzlich den Nachweis potentiell wettbewerbswidriger Auswirkungen. Insoweit liegt hier die Auslegung des Art. 102 AEUV als konkretes Gefährdungsdelikt (in der Terminologie des deutschen Rechts) nah.385 Wie bei Kampfpreisen basiert die Beurteilung von Kosten-Preis-Scheren im Ausgangspunkt auf der Anwendung des AEC-Tests. Daneben muss der Eintritt wettbewerbsbeschränkender Auswirkungen wahrscheinlich sein. Wenngleich, wie bereits erläutert, der Rechtsprechung nicht im Einzelnen zu entnehmen ist, welche Auswirkungen damit genau gemeint sind, deutet dies jedoch auf die Anlegung eines vergleichsweise effektbasieren Ansatzes hin, wobei auch die potentiellen Auswirkungen auf das Marktergebnis berücksichtigt werden müssen.386

III. Rabattsysteme 1. Ausgangslage und praktische Relevanz Rabatte fallen preispolitisch in die Kategorie der Konditionen. Unter dem Begriff werden alle Formen von Nachlässen auf den geforderten Preis gefasst. Rabatte werden innerhalb des Missbrauchstatbestands besonders häufig verfolgt.387 Darüber hinaus werden Unternehmen, die missbräuchliche Rabattsysteme verwenden, mit 385 Leupold, EuZW 2011, 339, 345; Eilmansberger/Bien, in: Münchener Kommentar, Europäisches Wettbewerbsrecht, Art. 102 AEUV Rn. 549. 386 Vgl. Leupold, EuZW 2011, 339, 347. 387 Eilmansberger/Bien, in: Münchener Kommentar, Europäisches Wettbewerbsrecht, Art. 102 AEUV Rn. 555; dies zeigt auch die Fülle an Entscheidungen der letzten Jahre im Vergleich zu den anderen Fallgruppen.

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D. Beurteilung von preisbezogenen Behinderungsmissbräuchen

sehr hohen Bußgeldern belegt. Jüngstes und zugleich eindrucksvollstes Beispiel ist das Intel-Verfahren, indem Intels Geschäftspraxis von der Kommission mit einem Bußgeld in Höhe von 1,06 Milliarden Euro geahndet wurde.388 2. Definitionen: Rabattarten Im Ausgangspunkt sind bedingte (konditionale) und unbedingte (nichtkonditionale) Rabattsysteme zu unterscheiden.389 Während unbedingte Rabatte unabhängig von einem bestimmten Kaufverhalten gewährt werden, wird die Gewährung bedingter Rabatte an ein bestimmtes Abnahmeverhalten geknüpft.390 a) Bedingte Rabattsysteme aa) Treuerabatte In die Kategorie der bedingten Rabatte fallen die Treuerabatte391 (engl. loyalty discounts, fidelity rebates oder exclusivity rebates). Treuerabatte knüpfen an die Bedingung, dass der Abnehmer seinen gesamten oder einen wesentlichen Teil seines Bedarfs (engl. the major part) über einen gewissen Zeitraum beim marktbeherrschenden Unternehmen deckt, an.392 bb) Zielrabatte In die Kategorie der bedingten Rabattsysteme fallen gleichermaßen Zielrabatte (target rebates)393. Als Zielrabatte werden Preisnachlässe bezeichnet, die an die Bedingung anknüpfen, dass der Käufer innerhalb eines bestimmten Referenzzeitraums eine bestimmte Menge abnimmt.394 Hiervon sind Zielrabatte, die an die Erreichung individualisierter oder standardisierter Ziele anknüpfen, zu unterscheiden. Während individualisierte Zielrabatte spezifische Abnahmeziele für einzelne Ab388

Kommission, Entscheidung vom 13. 5. 2009, COMP/C-3/37.990 – Intel. Diese Unterscheidung hat sich seit dem Diskussionspapier etabliert, vgl. Kommission, Diskussionspapier, Rn. 137; Kommission, Prioritätenmitteilung, Rn. 37. 390 Brand, in: Frankfurter Kommentar Kartellrecht, Art. 102 AEUV, Mai 2014, Rn. 247; Kommission, Diskussionspapier, Rn. 137. 391 Für diese Fallgruppe wird der Begriff „Ausschließlichkeitsrabatte“ synonym verwendet. 392 Kling/Thomas, Kartellrecht, § 6 Rn. 166; Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 253. 393 Für diese Fallgruppe wird synonym der Begriff „Umsatzrabatte“ verwendet. 394 Morell, (Behavioral) Law and Economics im europäischen Wettbewerbsrecht, S. 19; Richter, Mengen- und umsatzbezogene Rabatte in marktbeherrschender Unternehmen in den Grenzen des Art. 102 AEUV, S. 19; Brand, in: Frankfurter Kommentar Kartellrecht, Art. 102, Mai 2014, Rn. 250; Huttenlauch/Lübbig, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Kersting/ Meyer-Lindemann, Art. 102 AEUV Rn. 242. 389

III. Rabattsysteme

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nehmer vorsehen, differenzieren standardisierte Zielrabatte nicht zwischen den verschiedenen Abnehmern.395 cc) Funktionsrabatte Eine weitere Kategorie von Rabatten stellen die Funktionsrabatte dar. Hierbei wird der Preisnachlass an die Übernahme spezifischer Aufgaben geknüpft, die das marktbeherrschende Unternehmen sonst selbst zu erfüllen hätte. Beispielhaft lassen sich hier Serviceaufgaben, Marketingmaßnahmen oder Lager- und Transportleistungen anführen.396 b) Unbedingte Rabatte Neben den Treue- und Zielrabatten bilden Mengenrabatte als klassische Form des unbedingten Rabatts die dritte große Gruppe von Rabatten. Sie knüpfen direkt an die Höhe der beim Marktbeherrscher abgenommenen Menge an.397 Insoweit bestehen strukturelle Ähnlichkeiten zur Fallgruppe der Zielrabatte, da auch dort die Abnahmemenge das entscheidende Kriterium für die Gewährung des Rabatts ist. 3. Entscheidungspraxis der europäischen Gerichte: Tradierte Maßstäbe zur Beurteilung von Rabattsystemen Nachfolgend wird die Entscheidungspraxis der Kommission und der europäischen Gerichte zu der Fallgruppe der Rabatte untersucht. Dabei soll die Veröffentlichung der Prioritätenmitteilung der Kommission im Jahr 2009 als zeitliche Zäsur dienen, sodass in einem ersten Abschnitt zunächst die hergebrachte Entscheidungspraxis bis zur Veröffentlichung der Prioritätenmitteilung dargestellt wird und in einem zweiten Teil der Fokus auf die jüngere Entscheidungspraxis gelegt wird. Wenngleich die Kommission unter dem Leitbild des more economic approach bereits seit längeren eine Reform der Beurteilung von preisbezogenen Behinderungsmissbräuchen anstrebte, so stellt die Prioritätenmitteilung aufgrund der Einführung des oben bereits erläuterten neuen Prüfungsmaßstabs für die Fallgruppe der Rabatte die markanteste Zäsur dar. Auf eine weitere Einteilung in einzelne Rabattformen bei der Darstellung der Rechtsprechung wird verzichtet, um – entsprechend der Zielsetzung dieser Arbeit – einen einheitlichen Bewertungsrahmen herausarbeiten zu können.

395

Bulst, in: Langen/Bunte, Art. 102 AEUV Rn. 342. Zu dieser Fallgruppe Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 18 Rn. 61 ff.; Brand, in: Frankfurter Kommentar Kartellrecht, Art. 102 AEUV, Mai 2014, Rn. 252. 397 Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 252. 396

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D. Beurteilung von preisbezogenen Behinderungsmissbräuchen

a) Suiker Unie Der EuGH hatte sich im Jahr 1975 in der Sache Suiker Unie erstmals mit der rechtlichen Bewertung von Rabatten, die an das Merkmal der Exklusivität anknüpfen, zu befassen. aa) Sachverhalt Die Südzucker-Verkauf GmbH („SZV“), die in ihrem Absatzgebiet einen Marktanteil von ca. 90 bis 95 % hatte, vereinbarte mit ihren Abnehmern eine Klausel, nach der sie diesen einen Jahresmengenrabatt von 3 DM je 1 Tonne Zucker unter der Bedingung, dass diese ihren gesamten Jahresbedarf bei ihr deckten, gewährte. Bei den Abnehmern handelte es sich vornehmlich um Händler, die zumindest teilweise auf Lieferungen der SVZ angewiesen waren. Der Rabatt machte dabei 0,3 % des Verkaufspreises aus. bb) Urteil des EuGH Der EuGH sah in dieser Form der Rabattgewährung durch SZV einen Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung. Er führt hierzu aus, dass der Rabatt nicht als reiner Mengenrabatt ausgestaltet sei, der ausschließlich an den Umfang der beim betroffenen Hersteller getätigten Käufe anknüpfe, sondern „als „Treue“-Rabatt anzusehen sei, der dazu diene, „die Kunden auf dem Wege über die Gewährung eines finanziellen Vorteils vom Bezug bei konkurrierenden Herstellern abzuhalten“398. Dabei stellt der EuGH entscheidend auf die Eignung der gewährten Rabatte zur Marktverschließung ab.399 Der EuGH bejahte zudem die diskriminierende Wirkung des Rabattsystems gem. Art. 102 lit. c AEUV400 und stützte diese Beurteilung auf die Gewährung unterschiedlicher Nettopreise bei Bezug von weiteren Herstellern im Gegensatz zu einem reinen Exklusivbezug. Bei Vorliegen eines Konkurrenzverhältnisses zwischen den Abnehmern schreibt der EuGH Exklusivrabatten insoweit per se diskriminierende Wirkung zu, ohne dass es des weiteren Nachweises einer konkreten Benachteiligung bedürfe.401

398

Unie. 399 400

trages. 401

Unie.

EuGH, Urteil vom 16. 12. 1975, Rs. C-40/73, EU:C:1975:174, Rn. 518, 521 – Suiker EuGH, Urteil vom 16. 12. 1975, Rs. C-40/73, EU:C:1975:174, Rn. 521 – Suiker Unie. Zum Zeitpunkt noch in der damals gültigen Fassung als Art. 86 Buchstabe c der VerVgl. EuGH, Urteil vom 16. 12. 1975, Rs. C-40/73, EU:C:1975:174, Rn. 524 f. – Suiker

III. Rabattsysteme

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cc) Rechtliche Bewertung In seinem Urteil in Suiker Unie knüpft der EuGH für die Unterscheidung zwischen erlaubtem und verbotenem Verhalten an die formale Kategorisierung als Treuerabatt im Unterschied zu einem reinen Mengenrabatt an. Zudem identifiziert er in diesem Urteil die Eignung der Maßnahme zur Marktverschließung als wesentliches Kriterium der Missbräuchlichkeit des zu prüfenden Rabattsystems. Nach Auffassung des EuGH stehen damit der Zweck und die Eignung einer Maßnahme zur Ausschließung anderer Hersteller durch Kundenbindung als Prognosemaßstäbe nebeneinander.402 Gleichwohl geht der EuGH auf konkrete Aspekte des Rabattsystems ein, um die Eignung zur Verhinderung des Bezugs von Wettbewerbern zu begründen. So führt er beispielsweise aus, dass die Rabattklausel in zahlreiche Verträge aufgenommen wurde und somit nicht von untergeordneter Bedeutung war. Die Kommission hatte im Vergleich den Aspekt der Abnehmerbindung noch etwas genauer untersucht und war zu dem Ergebnis gekommen, dass der Ausgleich des Rabatts durch Wettbewerber nahezu unmöglich sei.403 Dies darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass der EuGH das Rabattsystem als missbräuchlich einstuft ohne weitere konkrete Nachweise einer schädigenden Wirkung zu verlangen. Diese Einstufung basierte in dem Fall unverkennbar auf dem Merkmal der Exklusivität, das kennzeichnend für das Rabattsystem war. Maßgeblich für die Anwendung dieses Prüfungsmaßstabs war damit die Kategorisierung als Treuerabatt in Abgrenzung zu einem reinen Mengenrabatt. b) Hoffmann-La Roche Den eigentlichen Grundstein für die Entwicklung der Rechtsanwendungspraxis der europäischen Gerichte zu Rabattsystemen bildet das Urteil des EuGH in der Sache Hoffmann-La Roche404 aus dem Jahre 1979. aa) Sachverhalt Hoffmann-La Roche war der größte Hersteller nicht abgepackter Vitamine weltweit und auch im gemeinsamen Markt der bedeutendste Hersteller. HoffmannLa Roche war zudem auf den Märkten für die sieben berücksichtigen Vitamingruppen marktbeherrschend. Hoffmann-La Roche traf Vereinbarungen mit seinen Abnehmern, nach denen diese unter anderem mit Rabatten belohnt werden sollten, wenn sie sich ganz oder nahezu ganz bei Hoffmann-La Roche eindeckten. Bei diesen Abnehmern handelte es sich überwiegend um bedeutende Kunden. 402

So auch Richter, Mengen- und umsatzbezogene Rabatte marktbeherrschender Unternehmen in den Grenzen des Art. 102 AEUV, S. 24. 403 Kommission, Entscheidung vom 2. 1. 1973, Rs. IV/26.918, ABl. L 140, S. 17 ff. – Europäische Zuckerindustrie. 404 EuGH, Urteil vom 13. 2. 1979, Rs. 85/76, EU:C:1979:36 – Hoffmann-La Roche.

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D. Beurteilung von preisbezogenen Behinderungsmissbräuchen

bb) Entscheidung der Kommission Mit Entscheidung vom 9. Juni 1976405 stellt die Kommission fest, dass HoffmannLa Roche seine marktbeherrschende Stellung missbraucht habe, da das angewendete Rabattsystem geeignet sei, „die Wahlfreiheit und die Gleichbehandlung der Abnehmer zu beeinträchtigen und den Wettbewerb zwischen Herstellern von nicht abgepackten Vitaminen einzuschränken.406 Durch die zwischen Hoffmann-La Roche und den Kunden vereinbarte Exklusivität werde anderen Herstellern der Zugang zu diesen Kunden versperrt, da sich der Treuerabatt ab einer gewissen Größenordnung so auswirke, dass es diesen Kunden nahezu unmöglich gemacht werde, andere Bezugsquellen auszuschöpfen.407 cc) Entscheidung des EuGH Mit seinem Urteil vom 13. Februar 1979408 bestätigte der EuGH die Entscheidung der Kommission. Zur Begründung dieser Entscheidung verfolgte der EuGH einen zweistufigen Aufbau. Zunächst definierte er Treuerabatte als „Nachlässe, deren Gewährung voraussetzt, dass der Kunde – unabhängig von dem größeren oder geringeren Umfang seiner Käufe – seinen Gesamtbedarf oder einen wesentlichen Teil hiervon ausschließlich bei dem Unternehmen in beherrschender Stellung deckt.“409 Treuerabatte seien mit dem Ziel eines unverfälschten Wettbewerbs auf dem Gemeinsamen Markt unvereinbar und daher grundsätzlich missbräuchlich.410 In einem zweiten Schritt subsumiert der EuGH das von Hoffmann-La Roche verwendete Rabattsystem unter diese Definition und grenzt es insbesondere von reinen Mengenrabatten ab. Da hier die Rabattgewährung an die Deckung des Gesamtbedarfs (oder eines wesentlichen Teils desselben) anknüpft, lägen hier Treuerabatte vor, deren Zweck es sei, den Abnehmern die Wahl zwischen mehreren Bezugsquellen zu erschweren oder unmöglich zu machen und den Wettbewerbern den Zugang zum Markt zu verwehren.411 Das Urteil des EuGH enthält auch erste konkrete Implikationen für die Auslegung des Missbrauchsbegriffs. Dem Begriff der missbräuchlichen Ausnutzung legt der EuGH dazu ein objektives Begriffsverständnis zugrunde und führt aus, dass dieser 405 Kommission, Entscheidung vom 9. 6. 1976, Rs. IV/29.020, ABl. L 223/27 S. 27 ff. – Hoffmann-La Roche. 406 Kommission, Entscheidung vom 9. 6. 1976, Rs. IV/29.020, ABl. L 223, Rn. 22 – Hoffmann-La Roche. 407 Kommission, Entscheidung vom 9. 6. 1976, Rs. IV/29.020, ABl. L 223, Rn. 24 – Hoffmann-La Roche. 408 EuGH, Urteil vom 13. 2. 1979, Rs. 85/76, EU:C:1979:36 – Hoffmann-La Roche. 409 EuGH, Urteil vom 13. 2. 1979, Rs. 85/76, EU:C:1979:36, Rn. 89 – Hoffmann-La Roche. 410 EuGH, Urteil vom 13. 2. 1979 Rs. 85/76, EU:C:1979:36, Rn. 89 f. – Hoffmann-La Roche. 411 EuGH, Urteil vom 13. 2. 1979 Rs. 85/76, EU:C:1979:36, Rn. 95 – Hoffmann-La Roche.

III. Rabattsysteme

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„Verhaltensweisen eines Unternehmens in beherrschender Stellung umfasst, die die Struktur eines Marktes beeinflussen können, auf dem der Wettbewerb gerade wegen der Anwesenheit des fraglichen Unternehmens bereits geschwächt ist, und die die Aufrechterhaltung des auf dem Markt noch bestehenden Wettbewerbs oder dessen Entwicklung durch die Verwendung von Mitteln behindern, welche von den Mitteln eines normalen Produkt-oder Dienstleistungswettbewerbs auf der Grundlage der Leistungen der Marktbürger abweichen.“412

Ganz allgemein muss das beanstandete Verhalten die Eignung zur Beeinträchtigung der Struktur eines Marktes aufweisen sowie ein Mittel darstellen, das nicht dem normalen Wettbewerb auf Grundlage der Leistungen der Marktteilnehmer entspricht. Anhand dieser Aussage des EuGH wird deutlich, dass zur Bestimmung missbräuchlichen Verhaltens im Ausgangspunkt zwei Arten von Mitteln unterschieden werden: Solche, die dem Leistungswettbewerb zuzuordnen sind und solche, die davon abweichen. dd) Rechtliche Bewertung Das Urteil des EuGH im Verfahren gegen Hoffmann-La Roche stellt den Präzedenzfall zu Treuerabatten und Exklusivbindungen dar. Der EuGH erklärt darin Treuerabatte für grundsätzlich unzulässig, ohne dass es weiterer qualifizierter Merkmale des zu prüfenden Systems bedarf. Hierbei stellt der EuGH entscheidend auf die Eignung des Rabattsystems zur Beeinträchtigung der Marktstruktur ab. Diese wird aber nicht anhand einer Prüfung im Einzelfall festgemacht. Vielmehr unterstellt der EuGH Treuerabatten pauschal einen negativen Zweck und leitet daraus direkt das Vorliegen einer negativen Wirkung ab. Insoweit knüpft der EuGH die Einordnung einer Verhaltensweise als missbräuchlich unmittelbar an die Qualifikation eines Rabatts als Treuerabatt und damit an die Form des Rabatts an. Für die Einstufung als Treuerabatt ist die rein faktische Deckung des Gesamtbedarfs oder eines wesentlichen Teils desselben maßgeblich. Für ein besseres Verständnis der strengen Maßstäbe ist es dabei wichtig, sich vor Augen zu führen, dass der EuGH kundenbindende Rabattsysteme als funktionales Äquivalent zu vertraglichen Alleinbezugsvereinbarungen oder Exklusivbindungen begreift.413 Die Fallgruppe der Treuerabatte ist insoweit aus diesen Erscheinungsformen missbräuchlichen Verhaltens als preisbezogene Ausdrucksform eines vergleichbaren Verhaltens entwickelt worden. Wertungsgrund für diese strikte Handhabung ist die Einschätzung des EuGH, dass Treuerabatte, von Ausnahmefällen abgesehen, nicht auf einer wirtschaftlichen Leistung beruhen, die den Vorteil oder die Belastung rechtfertigen, sondern darauf abzielen, dem Abnehmer die Wahl zwischen mehreren Bezugsquellen unmöglich zu machen oder zu erschweren und anderen Herstellern den Zugang zum Markt zu verwehren.414 Im Ergebnis bedeutet das Urteil einen Schritt hin zur Adaption einer 412 413 414

Roche.

EuGH, Urteil vom 13. 2. 1979, Rs. 85/76, EU:C:1979:36, Rn. 91 – Hoffmann-La Roche. EuGH, Urteil vom 13. 2. 1979 Rs. 85/76, EU:C:1979:36, Rn. 89 – Hoffmann-La Roche. Vgl. EuGH, Urteil vom 13. 2. 1979 Rs. 85/76, EU:C:1979:36, Rn. 90 – Hoffmann-La

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D. Beurteilung von preisbezogenen Behinderungsmissbräuchen

per se Verbotsregel für Treuerabatte und damit zu einer einfachen formbasierten Regel. Die Notwendigkeit eines derartigen Maßstabs macht der EuGH an der Tatsache fest, dass das Rabattsystem faktisch einen exklusiven Bezug erfordert und stellt so noch mal die Parallele zu der Fallgruppe reiner Alleinbezugsvereinbarungen bzw. Exklusivbindungen her. Unbenommen bleibt dem marktbeherrschenden Unternehmen eine Möglichkeit der Rechtfertigung aufgrund wirtschaftlicher Leistung, diese dürfte aber vor dem Hintergrund der kritischen Ausführungen des EuGH in Hoffmann-La Roche zunächst eher theoretischer Natur bleiben. Wenngleich der Gerichtshof auf eine Rechtfertigung durch Effizienzgewinne explizit hinweist und in diesem Zusammenhang eine Übertragung des Art. 101 Abs. 3 AEUV auf Art. 102 AEUV zumindest nicht für ausgeschlossen zu halten scheint,415 so sind sehr hohe Anforderungen an eine derartige Rechtfertigung geknüpft. Insgesamt basiert der EuGH seine Beurteilung von Rabatten in Hoffmann-La Roche auf das Vorliegen einer wettbewerbswidrigen Verdrängungswirkung und auf die marktstrukturelle Dimension der in Frage stehenden Praktiken.416 Die Beurteilung von Rabattsystemen scheint daher im Ausgangspunkt von einer gewissen Skepsis gegenüber der Erzeugung von Treue und der daraus resultierenden Sogwirkung geprägt zu sein. c) Michelin I In Michelin I ging es um die Gewährung von individualisierten Zielrabatten, die in Abhängigkeit von der Erreichung bestimmter Umsatzziele durch das marktbeherrschende Unternehmen Michelin ohne Ausschließlichkeitszusammenhang gewährt wurden. Der Rabatt war damit weder als reiner Treuerabatt noch als reiner Mengenrabatt, sondern als individualisierter Zielrabatt mit Rückwirkung ausgestaltet. aa) Sachverhalt Die französische Firma Michelin produzierte und vertrieb mittels ihrer Tochterfirma Nederlandsche Banden-Industrie Michelin Reifen für unterschiedliche Fahrzeugtypen. Diese verfügte dabei über einen Marktanteil zwischen 57 bis 65 % auf dem relevanten Markt für Ersatzreifen für schwere Nutzfahrzeuge, während die fünf wichtigsten Konkurrenten jeweils nur auf Marktanteile zwischen 4 und 8 % kamen.417 Ab dem Jahr 1978 gewährte Michelin Händlern einen Rabatt, der sich nach individuellen Werten bemaß und auf das Gesamtsortiment für den Zeitraum von einem Jahr bezogen war.418 Dieser war an die Bedingung geknüpft, dass die Händler das am 415

Roche. 416 417 418

EuGH, Urteil vom 13. 2. 1979, Rs. 85/76, EU:C:1979:36, Rn. 90 ff. – Hoffmann-La Behrens, EuZW 2016, 41. EuGH, Urteil vom 9. 11. 1983, Rs. C-322/81, EU:C:1983:313, Rn. 34 – Michelin I. EuGH, Urteil vom 9. 11. 1983, Rs. C-322/81, EU:C:1983:313, Rn. 81 – Michelin I.

III. Rabattsysteme

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Jahresanfang festgesetzte Abnahmeziel erreichten. Die Höhe des Rabatts belief sich effektiv auf 0,2 bis 0,4 % des Jahresumsatzes. bb) Entscheidung der Kommission Mit Entscheidung vom 7. Oktober 1981 stellte die Kommission die Missbräuchlichkeit des von Michelin angewandten Rabattsystems fest.419 Nach den Feststellungen der Kommission werde mit dem Rabattsysteme das Ziel verfolgt, Händler eng an Michelin zu binden und so Wettbewerbern den Zugang zum Markt zu erschweren.420 Durch die Vorgabe von individuellen Abnahmezielen, die eine Steigerung zum Vorjahr aufweisen, entstehe ein Druck – insbesondere gegen Ende des Jahres – auf die Händler, ihre Umsätze zu steigern.421 cc) Urteil des EuGH Zur Einordnung des betreffenden Rabattsystems stellt der EuGH zunächst fest, dass es sich weder um zulässige Mengenrabatte noch um reine Treuerabatte, die an einen (nahezu) ausschließlichen Bezug anknüpfen, handele. Für die Beurteilung eines Rabattsystems dieser Art sei es daher erforderlich, alle Umstände des Einzelfalls, insbesondere die Kriterien und Modalitäten der Rabattgewährung, zu berücksichtigen.422 Es müsse untersucht werden, „ob der Rabatt darauf abzielt, dem Abnehmer durch die Gewährung eines Vorteils, der nicht auf einer ihn rechtfertigenden Leistung beruht, die Wahl zwischen mehreren Bezugsquellen unmöglich zu machen oder zu erschweren, den Konkurrenten den Zugang zum Markt zu verwehren, Handelspartner für gleichwertige Leistungen ungleiche Bedingungen aufzuerlegen oder die beherrschende Stellung durch einen verfälschten Wettbewerb zu stärken“.423 Diese Formel hatte der EuGH bereits in seiner Entscheidung in Hoffmann-La Roche verwendet.424 Hierzu führt der EuGH an, das von Michelin eingesetzte Rabattsystem sei in erster Linie auf die Belohnung von Treue gerichtet und beruhe nicht auf der Weitergabe von Kostenvorteilen.425 In diesem Zusammenhang führt der EuGH auch weitere Faktoren an, die für die Beurteilung des Rabattsystems von Michelin maßgeblich sind. So verweist er auf die großen Unterschiede zwischen 419 Kommission, Entscheidung vom 7. 10. 1981, IV/29.491, ABl. L 353, S. 33 ff. – Michelin I. 420 Kommission, Entscheidung vom 7. 10. 1981, IV/29.491, ABl. L 353/33, Rn. 38 – Michelin I. 421 Kommission, Entscheidung vom 7. 10. 1981, IV/29.491, ABl. L 353/33, Rn. 38 – Michelin I. 422 EuGH, Urteil vom 9. 11. 1983, Rs. C-322/81, EU:C:1983:313, Rn. 73 – Michelin I. 423 EuGH, Urteil vom 9. 11. 1983, Rs. C-322/81, EU:C:1983:313, Rn. 73 – Michelin I. 424 Siehe EuGH, Urteil vom 13. 2. 1979 Rs. 85/76, EU:C:1979:36, Rn. 90 – Hoffmann-La Roche. 425 EuGH, Urteil vom 9. 11. 1983, Rs. C-322/81, EU:C:1983:313, Rn. 82, 85 – Michelin I.

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D. Beurteilung von preisbezogenen Behinderungsmissbräuchen

den Marktanteilen von Michelin und seinen Wettbewerbern und die daraus resultierenden hohen Wechselhürden.426 Auch der geringen Höhe des Rabattsatzes maß er keine große Bedeutung bei.427 Michelin führte vor dem EuGH diverse Argumente an, um das Rabattsystem zu rechtfertigen. So führte es an, mit der Gewährung der Rabatte die Veranlassung der Händler zu einem verstärkten Absatz und damit einen legitimen Zweck zu verfolgen.428 Auf diese Weise sei die Produktion besser planbar.429 Keiner dieser Gründe konnte den EuGH jedoch überzeugen. Die durch Michelin gewährten Zielrabatte seien in erster Linie missbräuchlich, da durch diese am Ende des Referenzzeitraums der Druck auf Händler, ihren Bedarf ausschließlich oder nahezu ausschließlich bei Michelin zu decken, steige.430 Dieser Druck werde durch die Intransparenz des Rabattsystems verstärkt. Insbesondere können durch diese Rabatte Wettbewerber vom Markt ausgeschlossen werden, da die Möglichkeit der Händler, zwischen mehreren Bezugsquellen frei zu wählen, eingeschränkt werde.431 dd) Rechtliche Einordnung und Relevanz Der Entscheidung des EuGH in Michelin I kommt für die Herausbildung weiterer Maßstäbe für die Bewertung von Rabatten große Bedeutung zu. Die rechtliche Relevanz dieses Urteils liegt vor allem in der Entwicklung einer Prüfsystematik zur Beurteilung von Rabatten, die nicht ausdrücklich an Exklusivität gebunden sind. Damit ist Michelin I im Ergebnis als Erweiterung der Rechtsprechung in HoffmannLa Roche auf Zielrabattsysteme anzusehen. Für diese Einordnung von Zielrabatten werden Überlegungen zur funktionalen Gleichartigkeit sowie die berücksichtigten Umstände des Einzelfalls maßgeblich gewesen sein. Insbesondere die individuelle Ausgestaltung der Zielrabatte, der verhältnismäßig lange Referenzzeitraum und die fehlende Transparenz waren maßgebliche Kriterien für die Missbräuchlichkeit des in Frage stehenden Rabattsystems. Hieraus resultiere nach Auffassung des EuGH eine Kundenbindung, die anderen Wettbewerbern den Zugang zum Markt erschwere.432 In der Rechtssache Michelin I trat zudem ein weiterer wesentlicher Aspekt erstmalig hervor. So führt der EuGH aus, dass das marktbeherrschende Unternehmen „eine besondere Verantwortung dafür trägt, dass es durch sein Verhalten einen wirksamen und unverfälschten Wettbewerb auf dem Gemeinsamen Markt nicht beeinträchtigt“.433 Diese Verantwortung bestehe unabhängig von den Ursachen 426 427 428 429 430 431 432 433

EuGH, Urteil vom 9. 11. 1983, Rs. C-322/81, EU:C:1983:313, Rn. 81 ff. – Michelin I. EuGH, Urteil vom 9. 11. 1983, Rs. C-322/81, EU:C:1983:313, Rn. 80 – Michelin I. EuGH, Urteil vom 9. 11. 1983, Rs. C-322/81, EEU:C:1983:313, Rn. 63, 79 – Michelin I. EuGH, Urteil vom 9. 11. 1983, Rs. C-322/81, EU:C:1983:313, Rn. 79 – Michelin I. EuGH, Urteil vom 9. 11. 1983, Rs. C-322/81, EU:C:1983:313, Rn. 81, 84 – Michelin I. EuGH, Urteil vom 9. 11. 1983, Rs. C-322/81, EU:C:1983:313, Rn. 78 – Michelin I. EuGH, Urteil vom 9. 11. 1983, Rs. C-322/81, EU:C:1983:313, Rn. 73 ff. – Michelin I. EuGH, Urteil vom 9. 11. 1983, Rs. C-322/81, EU:C:1983:313, Rn. 57 – Michelin I.

III. Rabattsysteme

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dieser Stellung.434 Hiermit scheint neben dem Merkmal des „normalen Produkt- und Dienstleistungswettbewerbs“, das bereits in Hoffmann-La Roche435 angeklungen ist, ein weiteres Element zur Bewertung von Unternehmensverhalten hinzuzutreten. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die Erwägung des EuGH, es handele sich dabei nicht um eine Form der Bestrafung des betreffenden Unternehmens, sondern reflektiere lediglich strukturelle Realitäten des bereits geschwächten Marktes.436 Im Ergebnis erweitert der EuGH in der Rechtssache Michelin I seine tradierte Rechtsprechung zu Ausschließlichkeitsbindungen und Treurabatten auf individuelle Zielrabatte. Zugleich macht er die Betrachtung sämtlicher Umstände des Einzelfalls zur Grundlage einer Entscheidung für diese Fallgruppe, ohne dass es auch für individualisierte Rabatte auf einen Marktverschließungseffekt, der anhand spezifischer Nachweise konkret zu erbringen wäre, ankäme. Insoweit ähnelt der Prüfungsmaßstab für diese Art von Rabattsystemen dem für Treuerabatte, wenngleich die Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls eine Modifikation bedeutet. In Gesamtschau der Urteile Suiker Unie, Hoffmann-La Roche und Michelin I zeichnet sich eine Unterteilung von Rabatten in drei Kategorien ab: Treuerabatte, die der EuGH schon in Hoffmann-La Roche zu beurteilen hatte, Zielrabatte, die nicht ausschließlich an eine exklusive Bindung geknüpft sind, jedoch gleichermaßen eine treuefördernde Wirkung haben sowie reine Mengenrabatte, die ausschließlich an den Umfang der Abnahme beim Marktbeherrscher anknüpfen. d) Irish Sugar Im Verfahren Irish Sugar ging es um das Preisverhalten eines zuckerverarbeitenden und zuckerverpackenden Unternehmens. Dieses war auf seinem Heimatmarkt in Irland marktbeherrschend und sah sich dort in einigen Regionen eines starken Preisdrucks ausländischer Konkurrenten ausgesetzt. Zur Abwehr von Importen aus anderen Mitgliedstaaten setzte Irish Sugar dazu diverse Praktiken, insbesondere zwei Rabattsysteme unter Anknüpfung an die Abnahme individualisierter Zielmengen, ein. aa) Sachverhalt Irish Sugar gewährte dazu zunächst Großhandelskonzernen und Kunden konkurrierender Unternehmen selektiv eine Vielzahl unterschiedlicher Rabatte. Dieser Preisnachlass war in einigen Fällen an die Bedingung geknüpft, dass das betreffende Unternehmen seine Einkäufe von Zucker um einen gewissen Prozentsatz steigern 434 435

Roche. 436

EuGH, Urteil vom 9. 11. 1983, Rs. C-322/81, EU:C:1983:313, Rn. 57 – Michelin I. Vgl. EuGH, Urteil vom 13. 2. 1979, Rs. 85/76, EU:C:1979:36, Rn. 23 – Hoffmann-La EuGH, Urteil vom 9. 11. 1983, Rs. C-322/81, EU:C:1983:313, Rn. 57 – Michelin I.

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würde oder knüpfte die Gewährung von Rabatten an individualisierte Zielmengen. Zunächst betrug die Referenzperiode sechs Monate (1993 bis 1994), später ein Jahr (ab 1994).437 bb) Entscheidung der Kommission Die Kommission sah in der Preisgestaltung von Irish Sugar Teil einer „fortgesetzten und umfassenden Politik zum Schutz [seiner] Stellung auf dem Zuckermarkt in Irland“.438 Die Kommission führte in ihrer Entscheidung dazu aus, dass der Umstand, dass die Gewährung der Rabatte an die Erfüllung bestimmter Mengenziele gebunden war, diese nicht als Mengenrabatte qualifiziere.439 Mengenrabatte würden in der Regel unabhängig von den Käufen eines Abnehmers in einem gewissen Zeitraum gewährt und spiegeln die Kostenersparnisse des Anbieters wider. Der wesentliche Unterschied des von Irish Sugar praktizierten Rabattsystems zu Mengenrabatten liege darin, dass Irish Sugar diese nicht für Einzelaufträge vergeben würde, sondern in Anknüpfung an die Abnahme bestimmter Ziele und die Erhöhung der Umsätze innerhalb eines bestimmten Zeitraums.440 cc) Urteil des EuG und rechtliche Einordnung Das EuG bestätigte die Entscheidung der Kommission mit Entscheidung vom 7. Oktober 1999441 in allen den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung betreffenden Punkten. Hierzu stützte es sich auf die Grundsätze aus der bisherigen Rechtsprechung zur Beurteilung missbräuchlicher Verhaltensweisen. Das marktbeherrschende Unternehmen trage eine besondere Verantwortung, seine Stellung auf dem Markt nicht zur Beeinträchtigung des wirksamen und unverfälschten Marktes auszunutzen.442 Es dürfe sich zur Ausschaltung eines Wettbewerbers keiner leistungsfremden Mittel bedienen. Insoweit könne auch nicht jede Form von Preiswettbewerb als zulässig gelten.443 Zur Beurteilung der konkreten Praktiken bedürfe es einer Berücksichtigung aller Kriterien und Modalitäten der Rabattgewährung.444 Die betreffenden Rabatte, die unter der Bedingung der Steigerung der Umsätze

437 438 439

Sugar. 440

Sugar. 441 442 443 444

Vgl. EuG, Urteil vom 7. 10. 1999, Rs. T-51/89, EU:T:1999:246 – Irish Sugar. EuG, Urteil vom 7. 10. 1999, Rs. T-51/89, EU:T:1999:246, Rn. 108 – Irish Sugar. Kommission, Entscheidung vom 14. 5. 1997, ABl. 1997 L 258/1 – 34 Rn. 153 – Irish Kommission, Entscheidung vom 14. 5. 1997, ABl. 1997 L 258/1 – 34 Rn. 153 – Irish EuG, Urteil vom 7. 10. 1999, Rs. T-228/97, EU:T:1999:246 – Irish Sugar. EuG, Urteil vom 7. 10. 1999, Rs. T-228/97, EU:T:1999:246, Rn. 112 – Irish Sugar. EuG, Urteil vom 7. 10. 1999, Rs. T-228/97, EU:T:1999:246, Rn. 111 – Irish Sugar. EuG, Urteil vom 7. 10. 1999, Rs. T-228/97, EU:T:1999:246, Rn. 114 – Irish Sugar.

III. Rabattsysteme

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innerhalb eines bestimmten Zeitraums gewährt werden, könnten nur den Zweck haben, Kunden zu binden und Konkurrenten zu verdrängen.445 Insgesamt enthält das Urteil wenig neue Äußerungen im Hinblick auf die Beurteilung von Rabatten. Das EuG stellt gleichwohl klar, dass die Gewährung von Grenzrabatten bezweckt, Kunden zu binden. Unabhängig von der Erreichung dieses Ziels und der daraus resultierenden Verdrängung eines Konkurrenten könne ein Rabattsystem bereits aufgrund dieses Zwecks als missbräuchlich eingestuft werden.446 Zugleich beschreibt dies weiterhin einen Prüfungsmaßstab, der – wenngleich unter Berücksichtigung der Modalitäten und Kriterien des Einzelfalls – eine Verdrängungseignung eines Rabattsystems für die Missbräuchlichkeit ausreichen lässt. Zur Frage einer möglichen Rechtfertigung erklärt das EuG im Hinblick auf die Gewährung selektiver Rabatte, der Schutz der Wettbewerbsstellung eines marktbeherrschenden Unternehmens sei nur rechtmäßig, wenn es auf Kriterien wirtschaftlicher Effizienz beruhe und von Interesse für die Verbraucher sei.447 e) Michelin II In der Rechtssache Michelin II ging es um standardisierte Zielrabatte, die unter der Bedingung der Steigerung der Abnahmemenge zum Vorjahr gewährt wurden. aa) Sachverhalt Das französische Unternehmen Michelin hatte auf dem französischen Markt für die Herstellung von Ersatzreifen bei einem Marktanteil von über 50 % eine marktbeherrschende Stellung inne. Michelin hatte ein sehr komplexes System von standardisierten Rabatten entwickelt, die jeweils an verschiedene Schwellenwerte anknüpften. Es lag hier jedoch kein Ausschließlichkeitserfordernis zugrunde, sodass die in Rede stehenden Rabatte – mit Ausnahme einiger Sonderrabatte – zunächst den Anschein reiner Mengenrabatte hatten. bb) Entscheidung der Kommission Mit Entscheidung vom 20. Juni 2001448 befand die Kommission das beschriebene Rabattsystem für missbräuchlich. Die Kommission nahm dabei vorwiegend den „Treuerabatteffekt“ für diese Einstufung des Rabattsystems zum Anlass. Insbesondere würden Händler durch die Rückwirkung der Rabatte unter Druck gesetzt, zum Ende der Referenzperiode ihre Käufe bei Michelin vorzunehmen, um die er445 446 447 448

lin II.

EuG, Urteil vom 7. 10. 1999, Rs. T-228/97, EU:T:1999:246, Rn. 213 – Irish Sugar. EuG, Urteil vom 7. 10. 1999, Rs. T-228/97, EU:T:1999:246, Rn. 191 – Irish Sugar. EuG, Urteil vom 7. 10. 1999, Rs. T-228/97, EU:T:1999:246, Rn. 189 – Irish Sugar. Kommission, Entscheidung vom 20. 6. 2001, ABl. 2002, Nr. L 143, S. 1 – 53 – Miche-

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D. Beurteilung von preisbezogenen Behinderungsmissbräuchen

forderliche Rabattschwelle zu überschreiten.449 Hierdurch entstehe ein starker Kaufanreiz, da durch die Abnahme geringer zusätzlicher Mengen erhebliche Rabattsummen erzielt werden können.450 Aufgrund dessen sei es anderen Wettbewerbern erschwert, auf dem Markt konkurrieren zu können, sodass eine marktabschottende Wirkung vorliege.451 Weitere Merkmale des Rabattsystems, die die Kommission zur Begründung ihrer Entscheidung heranzog, waren der Referenzzeitraum von über drei Monaten sowie der rückwirkende Charakter der Rabatte. Die Kommission verzichtete in Konsequenz dieses Ansatzes auf eine Untersuchung der Auswirkungen auf einen gleich effizienten Wettbewerber und nahm auch ansonsten keine weiteren Untersuchungen vor. cc) Entscheidung des Europäischen Gerichts Michelin griff die Kommissionsentscheidung vor allem mit dem Argument, die Kommission habe nicht untersucht, wie sich das Rabattsystem konkret ausgewirkt habe, an.452 Die Durchführung einer derartigen Analyse hätte aufgezeigt, dass das betreffende Rabattsystem weder zu einer Verfestigung der Stellung Michelins noch zu einer Einschränkung des auf dem Markt herrschenden Wettbewerbs geführt habe. Im Gegenteil seien im betreffenden Zeitraum sogar die Marktanteile Michelins sowie die Preise gesunken. Zudem hätten Konkurrenten ihre Marktposition verbessern können.453 Das EuG hielt mit seinem Urteil vom 30. September 2003 jedoch die Entscheidung der Kommission aufrecht. Den von Michelin vorgebrachten Argumenten trat das Europäische Gericht in seinen Erwägungen eindeutig entgegen und stellte unter Verweis auf bereits ergangene Urteile wie Hoffmann-La Roche fest, dass es für die Feststellung der Missbräuchlichkeit eines Verhaltens bereits genüge, wenn das Verhalten eine negative Auswirkung haben könne.454 Das Aufzeigen konkreter oder tatsächlicher Auswirkungen sei hingegen nicht erforderlich.455 So wies das EuG auch den Einwand Michelins hinsichtlich der gesunkenen Marktanteile und gefallenen Verkaufspreise mit dem Argument, dass diese ohne die beanstandeten Praktiken stärker ausgefallen wären, zurück.456 Mit dem von der Kommission erbrachten Nachweis, dass Michelin mit dem Rabattsystem das Ziel verfolgt habe, die Händler

449

Kommission, Entscheidung vom 20. 6. 2001, ABl. 2002, Nr. L 143, Rn. 226 ff. – Michelin II. 450 Kommission, Entscheidung vom 20. 6. 2001, ABl. 2002, Nr. L 143, Rn. 216 – Michelin II. 451 Kommission, Entscheidung vom 20. 6. 2001, ABl. 2002, Nr. L 143, Rn. 240 ff. – Michelin II. 452 EuG, Urteil vom 30. 9. 2003, Rs. T-203/01, EU:T:2003:250, Rn. 226 – Michelin II. 453 EuG, Urteil vom 30. 9. 2003, Rs. T-203/01, EU:T:2003:250, Rn. 236 – Michelin II. 454 EuG, Urteil vom 30. 9. 2003, Rs. T-203/01, EU:T:2003:250, Rn. 239 – Michelin II. 455 EuG, Urteil vom 30. 9. 2003, Rs. T-203/01, EU:T:2003:250, Rn. 241 – Michelin II. 456 EuG, Urteil vom 30. 9. 2003, Rs. T-203/01, EU:T:2003:250, Rn. 245 – Michelin II.

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zu binden, sei diesem Maßstab der Rechtsprechung genüge getan.457 Zudem stellte das EuG fest, dass ein Mengenrabattsystem, „bei dem sich der Nachlasssatz von den niedrigeren hin zu den höheren Stufen erheblich verändert und das durch einen Bezugszeitraum von einem Jahr und eine Ermittlung des Rabatts auf der Grundlage des im Bezugszeitraum erzielten Gesamtumsatzes gekennzeichnet ist“ die „Wesensmerkmale eines Treuerabattsystems“ aufweise.458 Unter Anknüpfung an die bisherige Rechtsprechung führt das EuG hierzu aus, dass es für die Identifikation von Treuerabatten notwendig sei festzustellen, dass die Rabatte nicht auf einer rechtfertigenden wirtschaftlichen Leistung beruhen und dass sie den Abnehmern die Wahlmöglichkeiten ihrer Bezugsquellen nehmen und infolge dessen den Konkurrenten das Handeln am Markt erschweren.459 In diesem Kontext stellt das Gericht zudem wiederholt klar, dass reine Mengenrabattsysteme grundsätzlich zulässig seien, die Rabatte in diesem Fall jedoch anders einzuordnen seien.460 Zur Beurteilung der Missbräuchlichkeit derartiger Rabattsysteme sind nach dem EuG „sämtliche Umstände, insbesondere Kriterien und Modalitäten der Rabattgewährung“ zu berücksichtigen.461 Das EuG führt dann weiter aus, dass eine wirtschaftliche Rechtfertigung grundsätzlich möglich ist.462 Dafür sei der Nachweis von Größenvorteilen, die zu Kostensenkungen geführt haben, erforderlich.463 Diese dürften in der Form von günstigeren Preisen an Kunden weitergegeben werden. Michelin sei hier jedoch aufgrund seines unkonkreten Vorbringens nicht in der Lage, das Rabattsystem zu rechtfertigen. In Teilen findet sich in Michelin II zudem auch eine formelhafte Wiederholung der Maßstäbe aus der bisherigen Rechtsprechung. So betont das Gericht die besondere Verantwortung eines marktbeherrschenden Unternehmens und die Nichtzulässigkeit von leistungsfremden Mitteln.464 dd) Rechtliche Bewertung und Einordnung Die Entscheidung der Kommission und das bestätigende Urteil des EuG sind aufgrund der vermeintlich strengen Beurteilung von Rabattsystemen stark kritisiert worden.465 Dies liegt sicherlich zuvorderst in der hier in besonderem Maße zum Ausdruck kommenden nicht stattfindenden Berücksichtigung der tatsächlichen Auswirkungen auf den Markt trotz einer nachweislichen Marktentwicklung zuungunsten von Michelin. Zudem wählt das EuG mit der Eignung der in Frage stehenden 457 458 459 460 461 462 463 464 465

149.

EuG, Urteil vom 30. 9. 2003, Rs. T-203/01, EU:T:2003:250, Rn. 244 – Michelin II. EuG, Urteil vom 30. 9. 2003, Rs. T-203/01, EU:T:2003:250, Rn. 95 – Michelin II. EuG, Urteil vom 30. 9. 2003, Rs. T-203/01, EU:T:2003:250, Rn. 62 – Michelin II. EuG, Urteil vom 30. 9. 2003, Rs. T-203/01, EU:T:2003:250, Rn. 59 – Michelin II. EuG, Urteil vom 30. 9. 2003, Rs. T-203/01, EU:T:2003:250, Rn. 59, 62 – Michelin II. EuG, Urteil vom 30. 9. 2003, Rs. T-203/01, EU:T:2003:250, Rn. 59 – Michelin II. EuG, Urteil vom 30. 9. 2003, Rs. T-203/01, EU:T:2003:250, Rn. 98 – Michelin II. EuG, Urteil vom 30. 9. 2003, Rs. T-203/01, EU:T:2003:250, Rn. 97 – Michelin II. Siehe hierzu Pautke/Leopold, EWS 2007, 241; Waelbrock, J. Comp. L. & Econ. 1 (2005),

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Maßnahme zur Beschränkung des Wettbewerbs einen in der Tradition der bisherigen Rechtsprechung stehenden recht abstrakten Prognosemaßstab. Unter Zugrundelegung dieses Maßstabes ist das Aufzeigen tatsächlicher oder wahrscheinlicher Auswirkungen nicht erforderlich. Insbesondere die Einstufung eines an objektive Ziele geknüpften Umsatzrabatts als missbräuchlich unter dem Aspekt der Kundenbindung scheint eine Verschärfung gegenüber der bisherigen Rechtsprechung zu Rabatten darzustellen. Bislang hatte die Rechtsprechung zu Rabattsystemen den Anschein erweckt, dass standardisierte Zielrabatte mit einer vergleichsweise kurzen Referenzperiode erlaubt seien.466 Zudem war das hier in Rede stehende Rabattsystem im Unterschied zu Michelin I nicht nach einem „Alles-oder-nichts-Prinzip“ strukturiert, sodass die Abnehmer auch in den Genuss eines Rabattes kamen, wenn sie nicht die nächste Vergütungsstufe erreichten. Durch die diversen Rabattschwellen verringerte sich der Preis so auch nicht drastisch auf einen Schlag, sondern in kleineren Sprüngen. Insoweit war der auf Abnehmer ausgeübte Druck geringer als bei der in Michelin I zugrunde liegenden Fallkonstellation. Das EuG sah darin allerdings keinen maßgeblichen Indikator für die Zulässigkeit des Rabattsystems. Vielmehr versetze die Komplexität des Systems mit der Anwendung verschiedener Rabattregelungen, Prämien und Boni die Abnehmer in eine Position der Abhängigkeit und Unsicherheit.467 Trotz der Ausweitung der bis dato nur für individualisierte Zielrabatte geltenden Rechtsprechung wäre es verfehlt, hier von einer grundsätzlichen Abweichung von der bisherigen Rechtspraxis zu sprechen. Die europäischen Gerichte hatten bis zu diesem Zeitpunkt lediglich kein Rabattsystem dieser Art zu bewerten gehabt. Zudem knüpft das EuG auch hier mit der grundsätzlichen Unterscheidung von Mengenrabatten, Treuerabatten und Zielrabatten an die bisherige Rechtsprechung an. Darüber hinaus verlangte das Gericht die Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls und macht so eine Beurteilung anhand qualitativer Kriterien zum Prüfungsmaßstab. Zudem hatten die europäischen Gerichte bislang in keiner der ergangenen Entscheidungen tatsächliche oder auch nur wahrscheinliche Auswirkungen des Verhaltens verlangt.468 Es bleibt bei der grundsätzlich abstrakt zu bestimmenden Eignung eines Rabattsystems zur Erzeugung einer Verdrängungswirkung als Maßstab für das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des Missbrauchstatbestandes. Insoweit fügt sich das Urteil stimmig in die bisherige Rechtspraxis zu Rabattsystemen ein. Dennoch ist der Kritik zuzugestehen, dass sich der Beurteilungsmaßstab für das konkrete Rabattsystem als besonders streng darstellt. Trotz konkreter Faktoren, die gegen das Vorliegen negativer Auswirkungen sprachen, wurde es als missbräuchlich eingestuft. Dies zeigt noch einmal mehr, dass der Ansatz der Rechtsprechung im 466 Zu diesem Aspekt auch Richter, Mengen- und umsatzbezogene Rabatte marktbeherrschender Unternehmen in den Grenzen des Art. 102 AEUV, S. 45. 467 EuG, Urteil vom 30. 9. 2003, Rs. T-203/01, EU:T:2003:250, Rn. 111 – Michelin II. 468 A.A. Kallaugher/Sher, ECLR 2004, 263, 264.

III. Rabattsysteme

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Ausgangspunkt die potentiellen Wirkungen eines Rabattsystems betrachtet. Sinkende Marktanteile vermögen einen Missbrauch daher nicht auszuschließen. Das Verhalten muss gerade nicht Erfolg gehabt haben, um missbräuchlich im Sinne des Art. 102 AEUV zu sein. Das Urteil Michelin II enthält ferner auch Implikationen für die Bedeutung des Zwecks einer Maßnahme zur Beurteilung ihrer Missbräuchlichkeit. Das EuG stellt dabei einen Zusammenhang zwischen Zweck und Wirkung der Maßnahme auf und führt dazu aus, dass der Nachweis, dass ein Unternehmen in beherrschender Stellung mit seinem Verhalten die Beschränkung des Wettbewerbs bezweckt, gleichzeitig bedeutet, dass dieses Verhalten auch geeignet ist, eine solche Wirkung zu entfalten.469 Nach dem Gericht gehen bei der Anwendung des Art. 102 AEUV „der Nachweis des Zwecks und der Nachweis der wettbewerbswidrigen Folge, also der Wirkung, ineinander über“.470 Hierin liegt eine Gleichsetzung von Absicht und Wirkung.471 Dieses Verständnis erinnert an die Bewertung von Verhaltensweisen unter der Vorschrift des Art. 101 AEUV. Auch hier wird das Verbot bereits an das Vorliegen eines wettbewerbswidrigen Zwecks geknüpft. In der Gesamtschau reiht sich das Urteil, trotz der angesprochenen vermeintlichen Verschärfung, in die bisherige Rechtsprechung der europäischen Gerichte zu Rabattsystemen ein. Die Beurteilung aller Formen von Rabattsystemen anhand eines tendenziell formbasierten Ansatzes beruht auf ihrer treuefördernden Wirkung. Dies gilt für Rabattsysteme mit standardisierten und individuellen Schwellen gleichermaßen. Auch ein an standardisierte Ziele geknüpftes Rabattsystem vermag Kunden in ähnlicher Weise zu binden wie individualisierte Rabatte. Insoweit ist die Ausweitung bzw. Fortführung der bisherigen Rechtsprechung auch für standardisierte Rabattsysteme Ausdruck eines einheitlichen Ansatzes zur Bewertung dieser Art von Rabatten unter Anknüpfung an das marktabschottende Potential. f) British Airways aa) Sachverhalt Im Fall British Airways ging es um die Gewährung sog. Leistungsprämien an Reisebüros auf dem Markt für Luftverkehrsvermittlerdienste im Vereinigten Königreich. Die marktbeherrschende Fluggesellschaft British Airways vereinbarte hierzu mit großen und kleinen Reisevermittlern Rabatte, die sich der Höhe nach in Abhängigkeit von dem Erreichen bestimmter Umsatzziele bemaßen. Die Besonderheit des Rabattsystems lag darin, dass die Prämien nicht erst auf die über der Verkaufsschwelle erzielten Verkäufe gewährt wurden, sondern rückwirkend für alle innerhalb eines Referenzzeitraums getätigten Vermittlungen vergeben wurden. 469 470 471

EuG, Urteil vom 30. 9. 2003, Rs. T-203/01, EU:T:2003:250, Rn. 241 – Michelin II. EuG, Urteil vom 30. 9. 2003, Rs. T-203/01, EU:T:2003:250, Rn. 241 – Michelin II. Bulst, in: Langen/Bunte, Art. 102 AEUV Rn. 339.

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D. Beurteilung von preisbezogenen Behinderungsmissbräuchen

bb) Entscheidung der Kommission Mit Entscheidung vom 14. Juli 1999472 stellte die Europäische Kommission fest, dass British Airways aufgrund der Nutzung der beschriebenen Provisionsregelungen ihre marktbeherrschende Stellung auf dem Markt missbraucht habe. Die Kommission sah, anknüpfend an die Rechtsprechung des EuGH in Michelin I, in dem von British Airways praktizierten Rabattsystem sowohl eine Behinderung als auch eine Diskriminierung von Wettbewerbern.473 Dies begründet die Kommission damit, dass die Provision auf der Basis und zur Belohnung von Treue und nicht aufgrund von Effizienzsteigerungen gewährt werde.474 Eine Prüfung der unmittelbaren Auswirkungen auf den Markt sowie einer konkreten marktabschottenden Wirkung nahm die Kommission nicht vor. cc) Entscheidung des europäischen Gerichte British Airways ging gegen die Entscheidung der Kommission zunächst vor dem EuG vor und führte zur Begründung vor allem an, dass es die Kommission versäumt habe, einen konkreten Schaden darzulegen.475 Das EuG folgte dieser Auffassung jedoch nicht und führte unter Berufung auf die bisherige Rechtspraxis aus, dass Treuerabatte durch marktbeherrschende Unternehmen generell einen Verstoß gegen Art. 102 AEUV begründen.476 Hierzu prüfte es in Konsequenz des bisherigen Standards der Rechtsprechung lediglich, ob das betreffende Rabattsystem auf Treue oder Effizienzsteigerung ausgerichtet ist und kam, wie auch die Kommission zuvor, zu dem Ergebnis, dass es sich um verbotene Treuerabatte handelte.477 Auch der EuGH bestätigte die Entscheidung der Kommission sowie die erstinstanzliche Entscheidung des Europäischen Gerichts und bewertete die von British Airways verwendete Prämienregelung als Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung i.S.d. Art. 102 AEUV. Hierzu wies der EuGH insbesondere auch die von British Airways erhobenen Einwände entschieden zurück. Im Rechtsmittelverfahren hatte British Airways unter Berufung auf die wettbewerbspolitische Neuausrichtung der Kommission gerügt, dass das Gericht keinen Nachweis der tatsächlichen Auswirkungen der Prämienregelungen auf die Wettbewerber verlangt und den Nachweis 472

Kommission, Entscheidung vom 14. 7. 1999, IV/D-2/34.780, ABl. EG 2000, Nr. L 30/1, Rn. 102 – British Airways. 473 Kommission, Entscheidung vom 14. 7. 1999, IV/D-2/34.780, ABl. EG 2000, Nr. L 30/1, Rn. 100 – British Airways. 474 Kommission, Entscheidung vom 14. 7. 1999, IV/D-2/34.780, ABl. EG 2000, Nr. L 30/1, Rn. 102 – British Airways. 475 EuG, Urteil vom 17. 12. 2003, Rs. T-219/99, EU:T:2003:343, Rn. 250 ff. – British Airways. 476 EuG, Urteil vom 17. 12. 2003, Rs. T-219/99, EU:T:2003:343, Rn. 244 – British Airways. 477 EuG, Urteil vom 17. 12. 2003, Rs. T-219/99, EU:T:2003:343, Rn. 270 ff. – British Airways.

III. Rabattsysteme

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eines Verbraucherschadens (wie es in Art. 102 Abs. 2 lit. b AEUV verankert sei) für unnötig erachtet habe.478 Der EuGH ist diesem Vorbringen entschieden entgegen getreten und führte hierzu aus, dass nicht nur solche Verhaltensweisen missbräuchlich sein können, „durch die den Verbrauchern ein unmittelbarer Schaden erwachsen kann, sondern auch […] solche, die ihnen durch einen Eingriff in die Struktur des tatsächlichen Wettbewerbs, von dem in Artikel 3 Abs. 1 Buchst. g EG die Rede ist, Schaden zufügen.“479 Nach Ansicht des EuGH habe die Prämienregelung eine treuefördernde Wirkung, sodass die Rüge, das Gericht habe die möglichen Auswirkungen nicht hinreichend geprüft, unbegründet sei.480 Zudem sei es ausreichend, wenn eine Gesamtbetrachtung aller Umstände des Einzelfalls eine Verdrängungseignung möglich erscheinen lässt. dd) Rechtliche Einordnung und Bewertung Das Urteil in British Airways ist genau wie Michelin II als Fortentwicklung der Rechtsprechung zu weiteren Erscheinungsformen von Rabattsystemen einzuordnen. Der EuGH hat darin die für die Beurteilung eines individualisierten Rabattsystems mit Rückwirkung maßgeblichen Kriterien sehr genau bestimmt. Das Urteil ist im Gegensatz zu den vorangegangen besprochenen Entscheidungen nach der Veröffentlichung des Diskussionspapiers ergangen. So ist die Entscheidung des EuGH sicherlich auch im Kontext der Veröffentlichung des Diskussionspapiers im Jahr 2005 (und damit im laufenden Verfahren) und als klare Distanzierung zu dem sich darin andeutenden Paradigmenwechsel zu sehen. Dies wird auch Generalanwältin Kokott dazu bewogen haben, in ihren Schlussanträgen diese Thematik näher zu beleuchten und besonders klare Worte zu finden.481 Ihre Ausführungen zum Schutzzweckverständnis sind zugleich beispielhaft für die grundsätzliche Bereitschaft der Generalanwälte, bezüglich einzelner Elemente der Ökonomisierungsbestrebungen der Kommission Position zu beziehen. So führt Generalanwältin Kokott aus, dass Ausgangspunkt der Überlegungen zur Beantwortung der Frage, ob die Annahme eines Missbrauchs gem. Art. 102 AEUV auch tatsächliche und substantielle Auswirkungen der Verhaltensweise auf Wettbewerber voraussetze, der Schutzzweck des Art. 102 AEUV sein sollte.482 Sie legt hierzu unter Verweis auf die 478 Vgl. zur Rüge EuGH, Urteil vom 15. 3. 2007, Rs. C-95/04 P, EU:C:2007:166, Rn. 65 – British Airways. 479 EuGH, Urteil vom 15. 3. 2009, Rs. C-95/04 P, EU:C:2007:166, Rn. 106 – British Airways. 480 EuGH, Urteil vom 15. 3. 2009, Rs. C-95/04 P, EU:C:2007:166, Rn. 97 ff. – British Airways. 481 So mahnte sie die Kommission, sich „weiterhin in dem Rahmen zu bewegen, den ihr Art. 82 EG (heute Art. 102 AEUV) in der Auslegung des Gerichtshofs vorgibt“, GA’in Kokott, Schlussanträge vom 23. 2. 2006, Rs. C-95/04 P, EU:C:2006:133, Rn. 28 – British Airways. 482 GA’in Kokott, Schlussanträge vom 23. 2. 2006, Rs. C-95/04 P, EU:C:2006:133, Rn. 67 ff. – British Airways.

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D. Beurteilung von preisbezogenen Behinderungsmissbräuchen

Entscheidungen Continental Can483, Hoffmann-La Roche484 und Michelin I485 dar, dass das europäische Wettbewerbsrecht in erster Linie die Struktur des Marktes und damit den Wettbewerb als solchen (als Institution) schütze.486 Diese sei bereits durch die Anwesenheit des marktbeherrschenden Unternehmens geschwächt. Durch die primäre Ausrichtung am Schutzzweck der Wettbewerbsfreiheit werde auch der Verbraucher mittelbar geschützt.487 Der EuGH schloss sich diesen Ausführungen der Generalanwältin an und hob in seinem Urteil hervor, dass primäres Schutzziel des Wettbewerbs der Schutz des unbeeinträchtigten Wettbewerbs sei.488 In diesen Erläuterungen der Generalanwältin und des Gerichtshofs ist vor diesem Hintergrund sicherlich auch eine Bestätigung des tradierten Schutzzwecks in Abgrenzung zu den neuen Bestrebungen der Kommission zu sehen. Weiterhin bestätigte der EuGH in British Airways nochmals, dass das Aufzeigen konkreter wettbewerbsschädlicher Folgen der betreffenden Verhaltensweise nicht erforderlich ist, um diese auf Tatbestandsebene als missbräuchlich einzustufen. Dies steht insgesamt im Einklang mit der tradierten Rechtsprechung und ist Ausdruck einer weitestgehend formbasierten Herangehensweise, die in Ansehung von Modalitäten und Inhalt eines Rabattsystems auf das Vorliegen wettbewerbswidriger Auswirkungen schließt, ohne diese Vermutung anhand einer Analyse der tatsächlichen Auswirkungen auf den Markt abzusichern. Zudem erfährt der auch in bisherigen Entscheidungen angeklungene zweistufige Prüfungsaufbau zur Prüfung von Rabattsystemen eine weitere explizite Bestätigung. Um festzustellen, ob ein Rabattsystem missbräuchlich ist, wird in einem ersten Schritt geprüft, ob das Verhalten grundsätzlich wettbewerbswidrig ist, während ein zweiter Schritt der Berücksichtigung einer etwaigen Rechtfertigung dient.489 Hierbei kommt es darauf an, ob die nachteiligen Wirkungen des betreffenden Rabattsystems durch Effizienzvorteile ausgeglichen oder übertroffen werden können, die auch dem Verbraucher zugutekommen.490

483

EuGH, Urteil vom 21. 2. 1973, Rs. 6/72, EU:C:1973:22, Rn. 26 – Continental Can. EuGH, Urteil vom 13. 2. 1979, Rs. C-85/76, EU:C:1979:36, Rn. 91, 123, 125 – Hoffmann-La Roche. 485 EuGH, Urteil vom 9. 11. 1983, Rs. C-322/81, EU:C:1983:313, Rn. 70 – Michelin I. 486 GA’in Kokott, Schlussanträge vom 23. 2. 2006, Rs. C-95/04 P, EU:C:2006:133, Rn. 68 – British Airways. 487 GA’in Kokott, Schlussanträge vom 23. 2. 2006, Rs. C-95/04 P, EU:C:2006:133, Rn. 68 – British Airways. 488 So auch Zimmer, in: Basedow/Wurmnest (Hrsg.), Structure and Effects in EU Competition Law, S. 23, 34; Wurmnest, in: Mackenrodt/Conde Gallego/Enchelmaier (Hrsg.), Abuse of Dominant Position, S. 1, 15. 489 EuGH, Urteil vom 15. 3. 2007, Rs. C-95/04 P, EU:C:2007:166, Rn. 68 f. – British Airways. 490 EuGH, Urteil vom 15. 3. 2007, Rs. C-95/04 P, EU:C:2007:166 – British Airways. 484

III. Rabattsysteme

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Maßgeblich für die Missbräuchlichkeit des betrachteten Rabattsystems war zum einen die Individualität der vorgegebenen Umsatzziele.491 Dies hatte der EuGH bereits in Michelin I für entscheidend erachtet. Zudem bezog sich der Rabatt auch hier auf den gesamten Umsatz und fand damit rückwirkend auf alle Vertragsabschlüsse Anwendung.492 Daher sei – in den Worten des EuG – von einer „sehr spürbaren Wirkung im Randbereich“ auszugehen.493 In diesem Fall gehen die europäischen Gerichte von einer besonders starken Kundenbindungswirkung aus, da retroaktive Rabatte „überproportionale Auswirkungen“ auf den Jahresgewinn der Abnehmer haben.494 Die Länge des Referenzzeitraums scheint der EuGH hierbei hingegen nicht (mehr) für maßgeblich zu erachten. Diesem Aspekt wurde in den Entscheidungen Michelin I und Michelin II noch größere Bedeutung beigemessen werden, zumal der EuGH dort von einem verhältnismäßig langen Referenzzeitraum ausging.495 Obgleich British Airways im Rechtsmittelverfahren auf die Reformbestrebungen hingewiesen hatte496, setzte sich der EuGH auch im Rahmen dieses Urteils nicht explizit mit der Vereinbarkeit der Reformbestrebungen der Kommission zum more economic approach mit den hergebrachten Grundsätzen der Rechtsprechung auseinander. Er belässt es bei einer Bewertung des Rabattsystems nach den tradierten Kriterien, ohne diese in einen weiteren Bezug dem angestrebten Paradigmenwechsel der Europäischen Kommission zu setzen.497 Deutliche Worte hat hingegen die Generalanwältin Kokott gefunden498, was sicherlich auch als Signal an die Kommission gewertet werden kann. Durch die Bestätigung der Schlussanträge der Generalanwältin deutet auch der EuGH damit zumindest implizit an, dass er den neuen Ansatz jedenfalls nicht in Gänze übernehmen möchte. Das Urteil im Fall British Airways wurde in der rechtswissenschaftlichen Debatte sehr unterschiedlich bewertet und ausführlich diskutiert. In der Gesamtschau mit dem Urteil des EuG in Michelin II wurde die Entscheidung des EuG in British Airways dabei teilweise als Verschärfung oder sogar als Abweichung von der bisherigen Rechtsprechung gesehen.499 Der Kritik ist zuzugestehen, dass der EuGH darin relativ geringe Anforderungen an den Nachweis der Verdrängungswirkung 491

EuGH, Urteil vom 15. 3. 2007, Rs. C-95/04 P, EU:C:2007:166, Rn. 71 – British Airways. EuGH, Urteil vom 15. 3. 2007, Rs. C-95/04 P, EU:C:2007:166, Rn. 73 f. – British Airways. 493 EuG, Urteil vom 17. 12. 2003, Rs. T-219/99, EU:T:2003:343, Rn. 272 – British Airways. 494 EuGH, Urteil vom 15. 3. 2007, Rs. C-95/04 P, EU:C:2007:166, Rn. 73 f. – British Airways. 495 Vgl. EuGH, Urteil vom 9. 11. 1983, Rs. C-322/81, EU:C:1983:313, Rn. 81 – Michelin I; EuG, Urteil vom 30. 9. 2003, Rs. T-203/01, EU:T:2003:250, Rn. 85 – Michelin II. 496 Vgl. GA’in Kokott, Schlussanträge vom 23. 2. 2006, Rs. C-95/04 P, EU:C:2006:133, Rn. 26 – British Airways. 497 So bedauernd Mayer, E.L.R., 2007, 211; zu mangelnden Bezugnahme auf die Reformbemühungen der Kommission auch Pautke/Henning, EWS 2007, 241. 498 Siehe dazu unten, Fußnote 536. 499 Kallaugher/Sher, ECLR 2004, 263; Waelbroeck, J. Comp. L. & Econ 1 (2005), 149. 492

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D. Beurteilung von preisbezogenen Behinderungsmissbräuchen

eines Rabattsystems mit individualisierten Mengenschwellen zu stellen scheint.500 Gleichwohl sprachen die individuellen Merkmale des Rabattsystems in Ansehung und Übereinstimmung mit der bisherigen Rechtsprechung für das Vorliegen einer Kundenbindungswirkung sowie einer daraus resultierenden Abschottungswirkung. Diese Merkmale hat der EuGH seiner Entscheidung zugrunde gelegt und die Eignung des Rabattsystems zur Erzeugung einer Verdrängungswirkung damit anhand qualitativer Kriterien beurteilt. Das Urteil des EuGH in British Airways, wenngleich enttäuschend für die Befürworter eines rein effektbasierten Ansatzes, enthält mit der erstmaligen ausdrücklichen Anerkennung einer Effizienzeinrede gleichzeitig ein Element, das von ökonomischen Erwägungen geleitet zu sein scheint.501 Obgleich eine dezidierte Auseinandersetzung des EuGH mit dem Diskussionspapier unterbleibt, beschreitet der EuGH durch seine Ausführungen zu wirtschaftlichen Rechtfertigungsgründen juristisches Neuland. Obwohl die Möglichkeit einer objektiven Rechtfertigung bereits in Hoffmann-La Roche und Michelin I anklang, wurde diese Möglichkeit in concreto vorher noch nicht erörtert. In British Airways führt der EuGH hingegen explizit aus, dass Effizienzvorteile eine nachteilige Verdrängungswirkung überwiegen können.502 Diese Anerkennung eines Elements aus dem Diskussionspapier zeigt damit gleichzeitig die Bereitschaft der europäischen Gerichte, einzelne Aspekte eines verstärkt ökonomischen Ansatzes aufzugreifen. Zugleich bedeutet die Anerkennung einer Effizienzeinrede bei der Anwendung des Art. 102 AEUV ein Gleichlauf zu Art. 101 Abs. 3 AEUV hinsichtlich dieses Aspekts und die Öffnung gegenüber der Möglichkeit der Berücksichtigung positiver Auswirkungen des betreffenden Verhaltens auf Verbraucher. Eine Änderung der materiell-rechtlichen Beurteilungsmaßstäbe für Rabattsysteme geht damit jedoch nicht einher. Insbesondere führt dies zu keiner verstärkten Berücksichtigung konkreter Merkmale auf der Tatbestandsebene. Damit wird zugleich der zweistufige Prüfungsaufbau bei der Bewertung von Rabattsystemen verfestigt.503 Trotz der Anerkennung einer Möglichkeit des Effizienzeinwandes bleibt es daher zugleich bei dem Zwischenergebnis, dass der EuGH mit dem Festhalten an einer im Kern verhaltensorientierten Prüfung sowie der Wettbewerbsfreiheit als primären Schutzzweck in zwei von drei entscheidenden Punkten nicht die Vorgaben des more economic approach aufgreift und damit zumindest eine deutliche Zurückhaltung gegenüber dem neuen Ansatz bei der Beurteilung von Rabattsystemen erkennen lässt.504 500

So auch Wurmnest, Marktmacht und Verdrängungsmissbrauch, S. 581 f. EuGH, Urteil vom 15. 3. 2007, Rs. C-95/04 P, EU:C:2007:166, Rn. 69 ff., 86. – British Airways. 502 EuGH, Urteil vom 15. 3. 2007, Rs. C-95/04 P, EU:C:2007:166, Rn. 86 – British Airways. 503 So auch Richter, Mengen- und umsatzbezogene Rabatte marktbeherrschender Unternehmen in den Grenzen des Art. 102 AEUV, S. 165, 172. 504 Haberkamm, Art. 102 AEUV im Lichte eines ökonomisch geprägten Prüfungsansatzes, S. 242. 501

III. Rabattsysteme

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g) Tomra Die Entscheidung des EuGH in der Sache Tomra505 aus dem Jahr 2012 betraf einen norwegischen Hersteller von Leergutautomaten. Auch das Tomra-Urteil des EuGH ist nach der Veröffentlichung der oben dargestellten Prioritätenmitteilung der Kommission ergangen. In seiner Entscheidung hatte der EuGH so – zumindest in der Theorie – erstmalig die Gelegenheit, sich zu der Prioritätenmitteilung zu äußern und die dort niedergelegten Maßstäbe auf Treuerabatte anzuwenden. aa) Sachverhalt und Verfahrensgang Die norwegische Tomra Sytems ASA und ihre nationalen Tochtergesellschaften (Tomra) bieten Leergutannahmeautomaten (reverse vending machines, RVM) auf Märkten des EWR und der EU an. Ihr Marktanteil lag bei über 95 % und der Jahresumsatz zwischen 1999 und 2002 auf 273 – 368 Mio. Euro.506 Anlass für die Untersuchung der von Tomra praktizierten Maßnahmen war eine Beschwerde des inzwischen insolventen Konkurrenten Prokent aus dem Jahr 2001.507 bb) Entscheidung der Kommission Die Kommission stellte mit ihrer Entscheidung vom 29. März 2006508 einen Verstoß gegen das Missbrauchsverbot nach Art. 102 AEUV durch Tomra fest. Sie sah es als erwiesen an, dass Tomra durch Exklusivvereinbarungen, individuelle rückwirkende Rabattpläne sowie Abnahmeverpflichtungen den Wettbewerb eingeschränkt habe und verhängte eine Geldbuße in Höhe von 24 Mio. Euro. In ihrer Entscheidung wandte die Kommission dabei den neuen Ansatz nicht explizit an, da die Entscheidung zwar zeitlich zum Zeitpunkt nach Erlass des Diskussionspapiers, aber noch vor Veröffentlichung der Prioritätenmitteilung ergangen ist. Gleichwohl lassen sich einigen Äußerungen der Kommission erste Bezüge zu der ihrerseits angestrebten Neubeurteilung von Rabatten entnehmen. Zunächst prüfte die Kommission im Einklang mit dem tradierten Ansatz der Rechtsprechung und unter Bezugnahme auf das Urteil des EuG in Michelin II, ob die Rabatte grundsätzlich geeignet sind, einen wettbewerbsbeschränkenden Effekt zu haben, und weist in diesem Zusammenhang auch explizit darauf hin, dass dies für die Feststellung der Missbräuchlichkeit des Rabattsystems nach ständiger Rechtsprechung grundsätzlich

505

EuGH, Urteil vom 19. 4. 2012, Rs. C-549/10 P, EU:C:2012:221 – Tomra. Zusammenfassung der Entscheidung der Kommission vom 29. 3. 2006, Rs. COMP/E-1/ 38.113, ABl. 2008, C 219/11, Rn. 2, 12 – Tomra. 507 Zusammenfassung der Entscheidung der Kommission vom 29. 2. 2006, Rs. COMP/E-1/ 38.113, ABl. 2008, C 219/11, Rn. 3 – Tomra. 508 Kommission, Entscheidung vom 29. 3. 2006, COMP/E-1/38.113 – Tomra. 506

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D. Beurteilung von preisbezogenen Behinderungsmissbräuchen

ausreichend sei.509 Daneben widmet die Kommission ungeachtet dessen der Prüfung der den Wettbewerb beschränkenden Wirkungen der Rabatte sowie der tatsächlichen Marktveränderungen einen eigenen Abschnitt der Prüfung und sieht in diesem Zusammenhang die „Wahrscheinlichkeit“ als Maßstab an.510 Im Anschluss erörtert die Kommission noch mögliche Rechtfertigungsgründe wie mögliche Kosteneinsparungen oder dem Wunsch der Abnehmer nach der Gewährung von Rabatten von denen jedoch im Ergebnis keiner greift.511 Maßgeblich für die Einstufung der Rabatte als missbräuchlich sei ihre Qualifikation als unzulässige Treuerabatte bzw. treuefördernde Rabatte.512 Dies beruht auf der Tatsache, dass die von Tomra gewährten Rabatte in Abhängigkeit von der Deckung des Gesamtbedarfs oder eines Großteils dessen bei Tomra gewährt wurden. Weiterhin sah die Kommission als entscheidend an, dass die Rabatte rückwirkend auf alle Einkäufe gewährt wurden, sobald die relevante Mengenschwelle erreicht wurde.513 In diesem Zusammenhang errechnete die Kommission, dass Wettwerber zur Kundengewinnung oftmals einen sehr niedrigen oder gar negativen Preis hätten anbieten müssen. Diese Berechnung stellte die Kommission in ihrer Entscheidung anhand von Preiskurven graphisch dar.514 cc) Weiterer Gang des Verfahrens und Entscheidungen der europäischen Gerichte Tomra legte Nichtigkeitsklage gegen die Bußgeldentscheidung der Kommission ein, die das EuG mit Entscheidung vom 9. September 2010515 abwies. Tomra hatte im Rechtsmittelverfahren die mangelnde Berücksichtigung der tatsächlichen wettbewerblichen Auswirkungen gerügt und dabei auf den von der Kommission verfolgten Auswirkungsansatz verwiesen.516 Mit Urteil vom 19. April 2012 wies jedoch auch der EuGH das Rechtsmittel Tomras gegen das Urteil des EuG zurück. Er schloss sich damit zugleich den Schlussanträgen des Generalanwaltes Mazák vom 2. Februar 2012 an.517 Der EuGH stellt zunächst unter ausdrücklichen Hinweis auf Hoffmann-La Roche518 und Michelin I519 klar, dass ein Rabatt missbräuchlich ist, wenn er unter der 509

Kommission, Entscheidung vom 29. 3. 2006, COMP/E-1/38.113, Rn. 285 ff., 332 – Tomra. 510 Kommission, Entscheidung vom 29. 3. 2006, COMP/E-1/38.113, Rn. 331 ff. – Tomra. 511 Kommission, Entscheidung vom 29. 3. 2006, COMP/E-1/38.113, Rn. 347 ff. – Tomra. 512 Kommission, Entscheidung vom 29. 3. 2006, COMP/E-1/38.113, Rn. 297 ff., 319, 324 f. – Tomra. 513 Kommission, Entscheidung vom 29. 3. 2006, COMP/E-1/38.113, Rn. 321 – Tomra. 514 Kommission, Entscheidung vom 29. 3. 2006, COMP/E-1/38.113, Rn. 165, 186, 224 f., 268 – Tomra. 515 EuG, Urteil vom 9. 9. 2010, Rs. T-155/06, EU:T:2010:370 – Tomra. 516 EuG, Urteil vom 9. 9. 2010, Rs. T-155/06, EU:T:2010:370, Rn. 199 ff. – Tomra. 517 GA Mazák, Schlussanträge vom 2. 2. 2012, Rs. C-549/10, EU:C:2012:55 – Tomra. 518 EuGH, Urteil vom 13. 2. 1979, Rs. 85/76, EU:C:1979:36, Rn. 89 – Hoffmann-La Roche.

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Voraussetzung der Deckung des Gesamtbedarfs oder eines wesentlichen Teil desselben gewährt werde.520 Für das konkrete Rabattsystem ergebe sich die Missbräuchlichkeit aus der rückwirkenden Gewährung des Rabatts auf die gesamte Bezugsmenge ab Erreichung eines bestimmten Abnahmeziels sowie der individuellen Ausgestaltung des jeweiligen Rabatts für einzelne Kunden.521 Entscheidend soll sein, ob es durch die in Frage stehenden Verhaltensweisen zu einer Marktabschottung kommen kann.522 Übereinstimmend mit seiner bisherigen Rechtsprechung sieht der EuGH die Eignung bzw. die Möglichkeit des Rabattsystems zur Herbeiführung einer wettbewerbswidrigen Wettbewerbsbeschränkung damit weiterhin als ausreichend für die Missbräuchlichkeit des Rabattsystems an.523 Die Durchführung eines KostenPreis-Tests sei hingegen nicht erforderlich.524 Darüber hinaus bestätigte der EuGH, dass es für die Missbräuchlichkeit eines Rabattsystems nicht auf den Grad der Marktverschließung ankommt.525 dd) Rechtliche Einordnung Der EuGH hatte in der Rechtssache Tomra erstmalig die Möglichkeit, sich nach der Veröffentlichung der Prioritätenmitteilung zum neuen Ansatz der Kommission und der Bewertung von Treuerabatten zu äußern. Während der EuGH in der Rechtssache Tomra seine von Zurückhaltung geprägte Linie gegenüber der Berücksichtigung konkreter Auswirkungen eines Rabattsystems bestätigt hat, lässt sich an der Entscheidung der Kommission bereits die neue Ausrichtung der angestrebten Prüfsystematik nach Veröffentlichung der Prioritätenmitteilung erkennen. Hierbei ist diesem neuen Vorgehen zuzugestehen, dass es der Kommission gelingt, das Rabattsystem anhand spezifischer qualitativer Kriterien genauer zu untersuchen, ohne dabei die Hinzuziehung eines Kosten-Preis-Tests erforderlich zu machen. Der Vorwurf, es handele sich um einen quasi per se Ansatz, der Umstände des Einzelfalls gänzlich außer Acht lasse, ist daher nicht zutreffend. Die Kommission gelangte vielmehr anhand einer Prüfung qualitativer Kriterien zu der Einstufung des Rabattsystems als missbräuchlich. Hierbei spielt vor allem, wie schon in British Airways und Michelin I, die Ausgestaltung als individuelle retroaktive Rabatte eine entscheidende Rolle für die Einstufung als missbräuchlich. Die Kommission berücksichtigt insoweit das Potential der Rabatte, Wettbewerber auszuschließen oder zu behindern, und belegt dieses anhand der Umstände des Einzelfalls.

519 520 521 522 523 524 525

EuGH, Urteil vom 9. 11. 1983, Rs. 322/81, EU:C:1983:313, Rn. 71 – Michelin I. EuGH, Urteil vom 19. 4. 2012, Rs. C-549/10 P, EU:C:2012:221, Rn. 70 – Tomra. EuGH, Urteil vom 19. 4. 2012, Rs. C-549/10 P, EU:C:2012:221, Rn. 75 – Tomra. EuGH, Urteil vom 19. 4. 2012, Rs. C-549/10 P, EU:C:2012:221, Rn. 37 – Tomra. EuGH, Urteil vom 19. 4. 2012, Rs. C-549/10 P, EU:C:2012:221, Rn. 68, 79 – Tomra. EuGH, Urteil vom 19. 4. 2012, Rs. C-549/10 P, EU:C:2012:221, Rn. 80 – Tomra. EuGH, Urteil vom 19. 4. 2012, Rs. C-549/10 P, EU:C:2012:221, Rn. 46 – Tomra.

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D. Beurteilung von preisbezogenen Behinderungsmissbräuchen

Die Zurückhaltung gegenüber der Anwendung des As efficient competitor-Tests auf diese Fallgruppe erscheint angesichts der Schwierigkeiten, die eine Übertragung dieses Tests auf Rabatte mit sich bringt, nachvollziehbar.526 Der Zwischenschritt über die Aufteilung in einen bestreitbaren Teil und einen unbestreitbaren Teil der Nachfrage zur Bestimmung des effektiven Preises birgt eine hohe Fehleranfälligkeit. Neben der Ablehnung der grundsätzlichen Erforderlichkeit eines Kosten-PreisVergleichs beinhaltet das Tomra-Urteil des EuGH zusätzlich eine Aussage zu einem weiteren wichtigen Aspekt der Beurteilung von Behinderungsmissbräuchen. Der EuGH bestätigt in seiner Entscheidung die bisherige Praxis, dass der Grad der Marktverschließung, gemessen an einer konkreten Marktabschottungsschwelle, für die Feststellung eines Missbrauchs nicht relevant ist.527 Damit verneint der EuGH die grundsätzliche Frage nach dem Erfordernis einer Spürbarkeitsgrenze bei der Anwendung von Art. 102 AEUV. Da der Markt bereits aufgrund der Existenz eines marktbeherrschenden Unternehmens in seiner Struktur geschwächt ist, sei jede zusätzliche Beschränkung des Wettbewerbs missbräuchlich.528 In diesem Zusammenhang führte der EuGH auch aus, es käme nicht darauf an, dass nur ein Teil des Marktes abgeschottet werde. Wettbewerber sollten auf dem gesamten Markt in Wettbewerb treten dürfen.529 Ungeachtet dieser Ausführungen des EuGH, waren diese Erörterungen in Tomra ohnehin rein theoretischer Natur, da die Abschottung in diesem Fall über jede denkbare de-minimis-Schwelle hinausginge.530 Das Tomra-Urteil stellt eine weitere Bestätigung des bislang in der Rechtsprechung herrschenden Ansatzes zur Beurteilung von Rabattsystemen dar. Wenngleich sich der EuGH durch sein Urteil damit eher ablehnend gegenüber dem neuen ökonomischen Ansatz für Rabattsysteme positioniert531, so bedeutet es jedoch keine vollständige Distanzierung vom more economic approach für diese Fallgruppe.532 Der EuGH verweist in seinen Ausführungen explizit auf die nicht gegebene zeitliche Anwendbarkeit der Prioritätenmitteilung auf den streitigen Sachverhalt, da diese für

526 527 528

Roche. 529

Bien/Rummel, EuZW 2012, 737, 739. EuGH, Urteil vom 19. 4. 2012, Rs. C-549/10 P, EU:C:2012:221, Rn. 44, 46 – Tomra. EuGH, Urteil vom 13. 2. 1979, Rs. 85/76, EU:C:1979:36, Rn. 123 – Hoffmann-La

EuGH, Urteil vom 19. 4. 2012, Rs. C-549/10 P, EU:C:2012:221, Rn. 42 – Tomra. Der abgeschottete Marktanteil betrug 39 %; vgl. GA Mazák, Schlussanträge vom 2. 2. 2012, Rs. 549/10 P, EU:C:2012:55, Rn. 17 ff. – Tomra; so auch Bien/Rummel, EuZW 2012, 737. 531 Auffassung des Generalanwaltes Mazák, der in seinen Schlussanträgen ausführt, dass Verdrängungseffekte nicht einfach angenommen werden dürfen, sondern nachgewiesen werden müssten, vgl. GA Mazák, Schlussanträge vom 2. 2. 2012, Rs. C-549/10 P, EU:C:2012:55, Rn. 44 – Tomra. 532 Diese Einschätzung teilen auch Bien/Rummel, EuWZ 2012, 737, 740; Molestina/Picht, ILC 2015, 203, 207. 530

III. Rabattsysteme

117

die ursprüngliche Kommissionsentscheidung aus dem Jahr 2006 noch nicht einschlägig war.533 4. Zwischenergebnis: Auswertung und Analyse erster Erkenntnisse zur Beurteilung von Rabattsystemen in der Rechtspraxis der europäischen Gerichte a) Prüfungsvorgaben für die Missbräuchlichkeit eines Rabattsystems Die europäischen Gerichte haben in ständiger Rechtsprechung ein gefestigtes Prüfprogramm zur Beurteilung von Rabattsystemen entwickelt, das sich anhand der dargestellten Urteile nachzeichnen lässt. aa) Allgemeiner Prüfungsmaßstab Zur Beurteilung von Rabattsystemen hat sich in der Praxis ein zweigliedriger Prüfungsaufbau etabliert.534 Auf der ersten Stufe wird geprüft, ob das betreffende Rabattsystem eine Verdrängungswirkung entfalten kann. Das ist dann der Fall, wenn das betreffende Rabattsystem geeignet ist, Wettbewerbern den Zugang zum Markt zu erschweren oder Wettbewerber vom Markt zu verdrängen.535 Sofern diese bejaht wird, ist auf der zweiten Stufe zu prüfen, ob das Rabattsystem ausnahmsweise objektiv wirtschaftlich gerechtfertigt ist.536 (1) Verdrängungswirkung Die Verdrängungswirkung wird an formalen Kriterien festgemacht und von der Art der Rabattbedingung abgeleitet. Eine detaillierte Untersuchung der Verdrängungswirkung erfolgt nur bei Rabatten, die keine Treue- oder Mengenrabatte sind. Maßgeblicher Prognosemaßstab ist die abstrakte bzw. grundsätzliche Eignung eines Rabattsystems zur Kundenbindung. Es genügt bereits, wenn ein Verhalten „seiner Tendenz nach den Wettbewerb beschränkt, oder anders ausgedrückt, dass es aufgrund seiner Art oder Eignung eine solche Wirkung haben kann“.537 Vom Vorliegen einer Verdrängungswirkung wird insbesondere dann ausgegangen, wenn durch die Rabatte ein übermäßiger Anreiz zur Bezugskonzentration beim marktbeherrschen-

533

EuGH, Urteil vom 19. 4. 2012, Rs. C-549/10 P, EU:C:2012:221, Rn. 81 – Tomra. Bodenstein, Richter, Mengen- und umsatzbezogene Rabatte marktbeherrschender Unternehmen in den Grenzen des Art. 102 AEUV, S. 79. 535 Vgl. EuGH, Urteil vom 15. 3. 2007, Rs. C-95/04 P, EU:C:2007:166, Rn. 68 – British Airways. 536 Emmerich, Kartellrecht, § 10 Rn. 29. 537 EuG, Urteil vom 17. 12. 2003, T-219/99, EU:T:2003:343, Rn. 293 ff. – British Airways. 534

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D. Beurteilung von preisbezogenen Behinderungsmissbräuchen

den Unternehmen gesetzt wird und Wettbewerbern dadurch keine hinreichenden Absatzmöglichkeiten belassen werden.538 (2) Wettbewerbswidrige Auswirkungen Die europäischen Gerichte verlangen kein Vorliegen tatsächlicher negativer Auswirkungen auf den Markt. So wurden auch Einwände bezüglich des Rückgangs der Marktanteile des marktbeherrschenden Unternehmens mit der Begründung, diese seien ansonsten noch stärker gesunken, zurückgewiesen.539 Nach der Rechtsprechung ist es bereits ausreichend, wenn das Verhalten seiner Art nach den Wettbewerb schädigen kann. (3) Relevanz des AEC-Tests Es findet keine marktwirkungsbezogene Analyse anhand von Kosten-PreisAnalysen wie dem As efficient competitor-Test statt. Quantitative Testmethoden, die anhand einer Berechnung von Kostendaten und Preisen, einen Aufschluss über die Auswirkungen des Verhaltens auf einen ebenso effizienten Wettbewerber geben sollen, spielen für die Bewertung potentiell missbräuchlicher Rabattsysteme damit keine Rolle. Hierin liegt ein wesentlicher Unterschied zu der Beurteilung der Fallgruppen der Kampfpreismissbräuche und der Kosten-Preis-Scheren. Entscheidend sind die „Verdrängung von Wettbewerbern“ und das Vorliegen einer „Marktabschottung“, die anhand der Umstände des Einzelfalles wie einer rückwirkenden Gewährung der Rabatte, der Individualität der Rabatte und der Selektivität der Rabattgewährung festgemacht werden. bb) Beurteilung der Rabatte in Abhängigkeit von ihrer Form Der anzuwendende Prüfungsmaßstab richtet sich dabei nach der Form des Rabatts. Hierzu werden drei Kategorien von Rabatten unterschieden. Solche, die generell missbräuchlich sind, solche, die generell nicht missbräuchlich sind und solche, die in Abhängigkeit von dem Vorliegen bestimmter Voraussetzungen missbräuchlich sind. (1) Treuerabatte Treuerabatte, die anknüpfend an die Bedingung, dass der Kunde seinen gesamten Bedarf oder einen wesentlichen Teil hiervon über einen gewissen Zeitraum beim marktbeherrschenden Unternehmen deckt, gewährt werden, sind generell als miss-

538

Haus, WuW 2016, 7. EuG, Urteil vom 17. 12. 2003, Rs. T-219/99, EU:T:2003:343, Rn. 298 – British Airways; EuG, Urteil vom 8. 10. 1996, Rs. T-24/93, EU:T:1996:139, Rn. 149 – Compagnie maritime belge; EuG, Urteil vom 30. 9. 2003, Rs. T-203/01, EU:T:2003:250, Rn. 245 – Michelin II. 539

III. Rabattsysteme

119

bräuchlich anzusehen.540 Hierzu wird auf die Ähnlichkeit mit Ausschließlichkeitsbindungen hingewiesen. Die ständige Rechtsprechung zu Treuerabatten beruht maßgeblich auf der Leitentscheidung des EuGH in Hoffmann-La Roche. Als problematisch wird vor allem der starke Anreiz zur Deckung des gesamten Bedarfs beim marktbeherrschenden Unternehmen gesehen. Infolgedessen können Treuerabatte eine starke Bindungswirkung entfalten, die zum Marktaustritt gegenwärtiger Wettbewerber oder zur Verhinderung des Marktzutritts potentieller Wettbewerber führen kann.541 (2) Mengenrabatte Mengenrabatte hingegen, die allein an den Umfang der getätigten Käufe anknüpfen und auf der Weitergabe von Kostenvorteilen (economies of scale) beruhen, werden generell als zulässig angesehen.542 Für diese Einschätzung wird als maßgeblich erachtet, dass diese aufgrund ihrer Anknüpfung an den Umfang der getätigten Käufe nicht dazu dienen würden, Kunden in wettbewerbswidriger Weise vom Bezug bei Konkurrenten abzuhalten, sondern lediglich eine Weitergabe von Kostenersparnissen an die Kunden darstellen.543 Gleichwohl sind hierbei die Abstufungen aus der Rechtssache Michelin II zu beachten. Mengenrabatte, die im Zusammenhang mit einer Referenzperiode gewährt werden oder das Ziel verfolgen, Kunden zu binden oder von einem Bezug bei Wettbewerbern abzuhalten, sind nach den Vorgaben der Rechtsprechung genauer zu untersuchen. (3) Zielrabatte Zielrabatte, die ohne die Voraussetzung der Bezugsausschließlichkeit an die Abnahme einer gewissen Menge über einen gewissen Zeitraum anknüpfen, sind zulässig sofern sie Effizienzen und Größenvorteile widerspiegeln und dabei wie Mengenrabatte an den Umfang der Käufe anknüpfen. Sie sind hingegen missbräuchlich, wenn sie wie Treuerabatte dazu dienen sollen, Abnehmer vom Bezug bei konkurrierenden Anbietern abzuhalten und nicht auf einer wirtschaftlichen Ge-

540 EuGH, Urteil vom 16. 12. 1975, Rs. C-40/73, EU:C:1975:174, S. 2018 ff. – Suiker Unie; EuGH, Urteil vom 13. 2. 1979, Rs. C-85/76, EU:C:1979:36, Rn. 89 f. – Hoffmann-La Roche; EuGH, Urteil vom 9. 11. 1983, Rs. 322/81, EU:C:1983:313, Rn. 71 – Michelin I; EuG, Urteil vom 30. 9. 2003, Rs. T-203/01, EU:T:2003:250, Rn. 59 – Michelin II; EuG, Urteil vom 17. 12. 2003, Rs. T-219/99, EU:T:2003:343, Rn. 244 – British Airways; EuGH, Urteil vom 15. 3. 2007, Rs. C-95/04, EU:C:2007:166, Rn. 62 ff. – British Airways; EuGH, Urteil vom 19. 4. 2012, Rs. C-549/10 P, EU:C:2012:221, Rn. 70 – Tomra. 541 Inderst/Schwalbe, ZWeR 2009, 65; Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 253; Bodenstein, ZWeR 2015, 403, 405. 542 EuGH, Urteil vom 13. 2. 1979, Rs. C-85/76, EU:C:1979:36, Rn. 90 – Hoffmann-La Roche, EuGH, Urteil vom 9. 11. 1983, Rs. C-322/81, EU:C:1983:313, Rn. 71 – Michelin I. 543 EuG, Urteil vom 17. 12. 2003, Rs. T-219/99, EU:T:2003:343, Rn. 246 – British Airways; EuG, Urteil vom 30. 9. 2003, Rs. T-203/01, EU:T:2003:250, Rn. 58 – Michelin II.

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D. Beurteilung von preisbezogenen Behinderungsmissbräuchen

genleistung beruhen.544 Die Besonderheit von Zielrabatten ist die Tatsache, dass sie eine Zwitterstellung zwischen den wettbewerbsrechtlich problematischen Treuerabatten und den wettbewerbsrechtlich unbedenklichen Mengenrabatten einnehmen und daher nicht ohne Weiteres als wettbewerbsschädlich eingestuft werden können.545 Zur Bewertung dieser Art von Rabattsystem wird eine Abwägung aller Umstände des Einzelfalls vorgenommen. Hierzu lassen sich verschiedene Faktoren und Grundsätze aus der Rechtsprechung ableiten, die für die Bewertung von Zielrabatten für entscheidend erachtet werden. Hierbei kommen der Höhe der Rabatte, der Höhe der Mengenschwelle sowie der Transparenz des Rabattsystems eine Bedeutung zu. Auch die Marktumstände können eine Rolle spielen.546 Im Wesentlichen sind es aber drei Aspekte, die in der Rechtsprechung besondere Berücksichtigung zur Beurteilung von Rabattsystemen finden. Dabei handelt es um die rückwirkende Gewährung der Rabatte, die Länge des Referenzzeitraums und die Individualität der Mengenschwelle. Zielrabatte können sich auf jede Einheit jenseits der Rabattschwelle oder auf die gesamte Menge beziehen. Während Erstere wettbewerbsrechtlich zumeist unbedenklich sind, gestalten sich die sog. retroaktiven Zielrabatte als wettbewerbsrechtlich problematisch.547 Die rückwirkende Gewährung eines Rabatts auf alle Einkäufe kann übermäßig große Anreize zur ausschließlichen Abnahme vom Marktbeherrscher erzeugen und so zur Verdrängung von Konkurrenten führen. Die Rechtspraxis geht in diesem Kontext davon aus, dass durch die Aussicht auf eine erhebliche Steigerung der Rabattsummen durch die Abnahme einer zusätzlichen Mengeneinheit starke Kaufanreize gesetzt werden, die eine Sogwirkung begründen. Wettbewerber – insbesondere kleinere – hätten so kaum mehr Möglichkeiten, die Wirkung eines Rabatts auszugleichen. Bei der Beurteilung durch die Rechtsprechung kommt somit der antizipierten Sogwirkung entscheidende Bedeutung zu. Sowohl in Michelin I als auch in Michelin II und British Airways verwiesen die europäischen Gerichte auf den besonderen wirtschaftlichen Druck, der aufgrund der Ausgestaltung der jeweiligen Rabattsysteme als Jahresumsatzrabatte gegen Ende der Referenzperiode auf die Abnehmer ausgeübt werde.548 Ganz allgemein gehen die 544 EuG, Urteil vom 7. 10. 1999, Rs. T-228/97, EU:T:1999:246, Rn. 213 f. – Irish Sugar; bestätigt durch EuGH, Urteil vom 10. 7. 2001, Rs. C-497/99 P, EU:C:2001:393 – Irish Sugar; EuGH, Urteil vom 30. 9. 2003, Rs. T-203/01, EU:T:2003:250, Rn. 59 – Michelin II; EuG, Urteil vom 17. 12. 2003, Rs. T-219/99, EU:T:2003:343, Rn. 245 – British Airways; EuGH, Urteil vom 15. 3. 2007, Rs. C-95/04 P, EU:C:2007:166, Rn. 68 ff. – British Airways. 545 Ebenso Morell, (Behavioral) Law and Economics im europäischen Wettbewerbsrecht, S. 21. 546 Vertiefend zu den einzelnen Umständen zur Beurteilung von Zielrabatten: Bodenstein, Kartellrechtliche Bewertung von Rabatten marktbeherrschender Unternehmen, S. 48 ff.; Kamann/Bergmann, ECLR 2005, 83, 84 ff. 547 EuGH, Urteil vom 9. 11. 1983, Rs. C-322/81, EU:C:1983:313, Rn. 81 – Michelin I; EuGH, Urteil vom 15. 3. 2007, Rs. C-95/04, EU:C:2007:166, Rn. 73 – British Airways; O’Donogue/Padilla, The Law and Economics of Article 102 TFEU, S. 478. 548 Vgl. EuGH, Urteil vom 9. 11. 1983, Rs. C-322/81, EU:C:1983:313, Rn. 81; EuG, Urteil vom 30. 9. 2003, Rs. T-203/01, EU:T:2003:250, Rn. 85 – Michelin II; EuGH, Urteil vom 15. 3. 2007, Rs. C-95/04, EU:C:2007:166, Rn. 73 – British Airways.

III. Rabattsysteme

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europäischen Gerichte davon aus, dass von Rabatten, die eine individuelle Mengenschwelle für einzelne Wettbewerber vorsehen, eine höhere Sogwirkung ausgeht.549 Durch die Ausrichtung der Rabattschwelle auf den konkreten Bedarf des Abnehmers stellt sich die Erreichung einer Kundenbindungswirkung als logische Konsequenz dar. Gleichwohl können auch Rabattsysteme, die diverse standardisierte Stufen vorsehen, eine ähnliche Wirkung entfalten wie individualisierte Rabatte. Die Erreichung einer der vielen Stufen erscheint in dieser Konstellation sehr wahrscheinlich. Diese Erwägung wird sicherlich auch in Michelin II eine Rolle gespielt haben. Hinsichtlich der Bedeutung des Referenzzeitraums lässt sich der Rechtsprechung hingegen kein einheitlicher Maßstab entnehmen. Wenngleich in den Urteilen Michelin I und Michelin II die Referenzperiode von einem Jahr noch eine große Rolle gespielt hat550, so scheinen die jüngeren Urteile der Referenzperiode keine Bedeutung mehr beizumessen. cc) Zusammenfassung und erste Bewertung Die Praxis der europäischen Gerichte ist von einem Bewertungsmaßstab geprägt, der auf die Eignung des jeweiligen Rabattsystems zur Beschränkung des Wettbewerbs abstellt, ohne dass die etwaigen konkreten negativen Auswirkungen der Rabatte im Einzelfall darzulegen sind. Zum Nachweis der Eignung stützt sich die Rechtsprechung auf Grundlage einer typisierenden Betrachtungsweise auf Inhalt und Modalitäten der Rabattgewährung. Der Art der Rabattbedingung kommt daher entscheidende Bedeutung bei der Beurteilung zu. Die Auswirkungen eines Rabattsystems auf den Markt werden nicht untersucht, sondern anhand objektiver Faktoren unterstellt. Der Ansatz der europäischen Gerichte ist damit durch eine Typisierung von Rabattformen gekennzeichnet. Dieser Ansatz wird als formbasiert bezeichnet, da die äußere Ausgestaltung des Rabatts maßgeblich für die Zulässigkeit und den zur Anwendung gelangenden Prüfungsmaßstab ist. Ein Kosten-Preis-Test findet, anders als für die bereits besprochenen Fallgruppen, keine Anwendung. Die Prüfung von Rabattsystemen ist daher insgesamt von einer stark generalisierenden Betrachtung, die an die äußere Form des Verhaltens anknüpft, geprägt. Rabatte werden jedoch nicht für pauschal unzulässig erklärt. Die Rechtsprechung verlangt, dass mit Rabatten eine Treuewirkung einhergeht, die zu einer Verdrängungswirkung führen kann.551 Die konkreten Anforderungen an einen derartigen Verdrängungseffekt mögen zwar recht gering sein, dennoch liegt auch diesem Ansatz eine Betrachtung potentieller Auswirkungen zugrunde.

549

Vgl. EuGH, Urteil vom 9. 11. 1983, Rs. 322/81, EU:C:1983:313, Rn. 70 – Michelin I; EuGH, Urteil vom 15. 3. 2007, Rs. C-95/04, EU:C:2007:166, Rn. 71 – British Airways. 550 Vgl. EuGH, Urteil vom 9. 11. 1983, Rs. C-322/81, EU:C:1983:313, Rn. 81 – Michelin I; EuG, Urteil vom 30. 9. 2003, Rs. T-203/01, EU:T:2003:250, Rn. 85 – Michelin II. 551 Zu diesem Maßstab auch Pautke/Leupold, EWS 2007, 241, 242.

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D. Beurteilung von preisbezogenen Behinderungsmissbräuchen

b) Kritik an der europäischen Rechtspraxis Die Entscheidungspraxis der europäischen Gerichte zu Rabattsystemen ist in der rechtswissenschaftlichen Auseinandersetzung auf erhebliche Kritik gestoßen. Insbesondere der von den Gerichten verfolgte Ansatz, bestimmte Rabattsysteme basierend auf der Form des Rabattes ohne die Berücksichtigung der konkreten Auswirkungen auf den Markt als generell missbräuchlich einzustufen, wird kritisch gesehen.552 Zudem fehle es der Rechtsprechung insgesamt an einer ökonomischen Fundierung. Als besonders problematisch wird in diesem Zusammenhang der absolute Anspruch gesehen, der bei der Beurteilung von Treuerabatten zum Ausdruck kommt. In diesem Kontext wurde vielfach auch die unterschiedliche Bewertung von Treuerabatten und Zielrabatten als ungerechtfertigt kritisiert.553 Während bei Ersteren eine grundsätzliche Vermutung der Kartellrechtswidrigkeit den Nachweis etwaiger negativer Effekte entbehrlich macht, bedarf es bei Letzteren einer genaueren Analyse anhand der Umstände des Einzelfalls. Diese Differenzierung scheint auf den ersten Blick vor dem Hintergrund der in der Praxis vorherrschenden Vielfalt an Rabattsystemen, die sowohl Elemente eines Treuerabatts als auch eines Zielrabatts aufweisen können, nicht hinreichend erklärbar und für die betroffenen Unternehmen nicht vorhersehbar.554 Dies begünstige die Entstehung von Rechtsunsicherheit und führe zu einem Mangel an Klarheit und Vorhersehbarkeit.555 c) Neuer Ansatz der Kommission zur Bewertung von Rabattsystemen In Reaktion auf die Kritik am tradierten Ansatz der europäischen Gerichte hat die Kommission im Zuge der Modernisierung des Missbrauchsverbots nach Art. 102 AEUV in ihrer Prioritätenmitteilung aus dem Jahr 2009 einen neuen Ansatz zur Bewertung von Rabattsystemen vorgestellt.556 aa) Neuer Prüfungsrahmen: Vertiefte Wirkungsanalyse und Effizienzeinrede Während die Gerichte seit der Hoffmann-La Roche Entscheidung auf allgemeine Regeln für bestimmte Rabattformen zurückgreifen, trifft die Kommission in ihrer Prioritätenmitteilung keine Unterscheidung nach der Rabattform und verzichtet auf 552

Eilmansberger, ZWeR 2009, 437, 470; Niels/Jenkins, ECLR 2005, 605, 608 ff.; Schmidtchen, WuW 2006, 6, 17; Geradin, J. Comp. L. & Econ. 11 (2015), 579; Peeperkorn, Concurrences N81-2015, 43; O’Donoghue/Padilla, The Law and Economics of Article 102 TFEU, S. 462. 553 Ibañez Colomo, C.M.L. Rev. 53 (2016), 709; ders., LSE Law, Society and Economy Working Papers, S.1. 554 Bodenstein, ZWeR 2015, 403, 405. 555 Geradin, J. Comp. L. & Econ. 11 (2015), 579; Peeperkorn, Concurrences N81-2015, 43. 556 Bereits im Diskussionspapier stellte die Kommission neue Kriterien zur Beurteilung von Rabattsystemen vor, vgl. hierzu auch Hirsbrunner/Schädle, EuZW 2006, 583.

III. Rabattsysteme

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eine Kategorisierung anhand allgemeiner Regeln. Die Kommission möchte nunmehr nur noch zwischen unbedingten und bedingten Rabatten unterscheiden und für Letztere grundsätzlich eine genauere Analyse der Verdrängungswirkung durchführen.557 Diese Prüfung soll anhand diverser Kriterien und der konkreten Marktumstände erfolgen.558 Demnach sollen Rabatte nicht anhand ihrer Form bestimmten Kategorien zugeordnet werden, sondern anhand ihrer wahrscheinlichen Auswirkungen auf den Markt beurteilt werden.559 (1) Aufwertung des As efficient competitor-Tests Zur Beurteilung der wettbewerbswidrigen Marktverschließung soll insbesondere auch der bereits erläuterte As efficient competitor-Test hinzugezogen werden und unter gewissen Modifikationen angewendet werden.560 Der Test soll aufzeigen, ob das Rabattsystem geeignet ist, einen ebenso effizienten Wettbewerber vom Markt zu verdrängen.561 Im Gegensatz zu der Berechnungsmethode bei Kampfpreismissbräuchen soll hierbei jedoch nicht der effektive Preis für die gesamte Menge berechnet werden, sondern nur für die „bestreitbare Menge“.562 Als „bestreitbare Menge“ wird der Teil des Bedarfs bezeichnet, den Abnehmer bei Wettbewerbern kaufen würden oder könnten.563 Dieser Teil der Nachfrage muss für alle wichtigen Abnehmer geschätzt werden. Unter Anwendung des AEC-Tests wird der gewährte Rabatt auf diese Menge projiziert, um zu prüfen, ob der genauso effiziente Wettbewerber in Bezug auf diese Menge unter den Kosten verkaufen müsste, um dem Rabatt des marktbeherrschenden Unternehmens entsprechen zu können.564 In diesem Fall wird eine Behinderung des Mitbewerbers angenommen. (2) Effizienzeinrede Neben der Einführung eines Preis-Kosten-Tests zur Beurteilung von Rabatten sieht die Prioritätenmitteilung auch für Rabattsysteme eine Erweiterung der Rechtfertigungsgründe vor. Wenngleich die objektive Rechtfertigung auch bislang den zweiten Prüfungsschritt bei der Bewertung von Rabattsystemen dargestellt hat, so führt die Kommission in der Prioritätenmitteilung einen umfassenden Effizienzeinwand ein, der sich an Art. 101 Abs. 3 AEUV orientiert.

557

Kommission, Prioritätenmitteilung, Rn. 37 ff. Vgl. zu den einzelnen Kriterien: Kommission, Prioritätenmitteilung, Rn. 20 ff. und 39 ff. 559 Bien/Rummel, EuZW 2012, 737; Bodenstein, ZWeR 2015, 403, 406. 560 Kommission, Prioritätenmitteilung, Rn. 41. 561 Kommission, Prioritätenmitteilung, Rn. 23 ff. 562 Kommission, Prioritätenmitteilung, Rn. 42. 563 Kommission, Prioritätenmitteilung, Rn. 42. 564 Vgl. zur Anwendung des Tests auf Rabattsysteme Bodenstein, ZWeR 2015, 403, 406; Morell, (Behavioral) Law and Economics im europäischen Wettbewerbsrecht, S. 54 ff. 558

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D. Beurteilung von preisbezogenen Behinderungsmissbräuchen

bb) Zwischenergebnis: Zusammenfassung und eigene Bewertung Insgesamt lässt sich festhalten, dass die Kommission für die Fallgruppe der bedingten Rabatte eine vertiefte Prüfung der Verdrängungseignung unter grundsätzlicher Zuhilfenahme des As efficient competitor-Tests anstrebt. Hierin liegt eine wesentliche Neuerung gegenüber der bisherigen Rechtsprechung, die im Rahmen der Bewertung preisbezogener Behinderungsmissbräuche den Test bislang nur auf die Fallgruppen der Kampfpreise, der Kosten-Preis-Schere und der selektiven Niedrigpreise anwendet. Zugleich zeugen die Bestrebungen der Kommission zur Anwendung eines einheitlichen Tests auf alle Formen des preisbezogenen Behinderungsmissbrauchs von der Intention, einen konsistenten Beurteilungsrahmen zu schaffen, der die Rechtsanwendung insgesamt vorhersehbar und nachvollziehbar macht. Der neue Ansatz der Kommission zur Beurteilung von Rabattsystemen stößt in der rechtswissenschaftlichen Literatur jedoch auch auf kritische Stimmen. Hierbei wird vor allem bemängelt, dass die verstärkte Einzelfallbetrachtung die Beurteilung von Rabatten unvorhersehbar und die Prüfung sehr umfangreich mache. Daraus resultiere ein kaum zu bewältigender und weitaus erhöhter Prüfungs- und Verfahrensaufwand.565 In Anbetracht der weitreichenden ökonomischen Analysen und Modifikationen, die der As efficient competitor-Test bei Anwendung auf Rabattsysteme notwendig macht, erscheint diese Kritik nicht gänzlich unberechtigt, wird sich jedoch in jedem Fall an der Rechtspraxis messen lassen müssen. 5. Neue Tendenzen der Rechtsprechung nach der Prioritätenmitteilung? – Post Danmark II und Intel Anknüpfend an die Veröffentlichung des oben diskutierten Diskussionspapiers im Jahr 2005 und vor allem der Prioritätenmitteilung der Kommission im Jahr 2009 haben sich daher große Erwartungen im Hinblick auf die Umsetzung des more economic approach bei der Beurteilung von Rabattsystemen ergeben. Diese wurden nicht auch zuletzt durch den EuGH selbst geschürt, der in Anbetracht der Veröffentlichung der Prioritätenmitteilung im Jahr 2009 die Reichweite seiner zeitlich nachgehenden Entscheidung im Rechtmittelverfahren zu Tomra begrenzt hatte und damit eine gewisse Bereitschaft erkennen ließ, sich mit neuen Akzenten auseinander zu setzen.566 Es ist insbesondere von Interesse, ob die Unionsgerichte das neue Prüfprogramm der Kommission aus diesen Dokumenten in den zeitlich nachgehenden Entscheidungen aufgegriffen haben und auf welche Weise die Kommission ihre eigenen Maßstäbe in ihrer Entscheidungspraxis umgesetzt hat.

565 Bodenstein, Kartellrechtliche Bewertung von Rabatten marktbeherrschender Unternehmen, S. 138 m.w.N.; Wils, World Competition 37 (2014), 405, 430. 566 EuGH, Urteil vom 19. 4. 2012, Rs. C-549/10 P, EU:C:2012:221, Rn. 68 – Tomra, so auch Bien/Rummel, EuZW 2012, 737; Wolters, Die rechtsstaatlichen Grenzen des „more economic approach“, im Lichte der europäischen Rechtsprechung, S. 148.

III. Rabattsysteme

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a) Der Fall „Post Danmark II“ Das Urteil der EuGH in der Sache Post Danmark II567 erging im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 267 AEUV. An dieses Urteil wurde – nicht zuletzt bedingt durch den recht spezifischen Katalog der Vorlagefragen – die Hoffnung auf eine grundsätzliche Stellungnahme des EuGH zum Prüfungsmaßstab für die Bewertung von Rabattsystemen geknüpft. aa) Sachverhalt und Verfahrensgang In der Sache Post Danmark II ging es um ein Rabattsystem für sog. Direktwerbesendungen. Das dänische Unternehmen Post Danmark gewährte seinen Kunden in den Jahren 2007 und 2008 auf die Verteilung von Direktwerbesendungen einen Rabatt von 6 bis 16 %, sofern diese im Referenzzeitraum bestimmte standardisierte Mengen- oder Umsatzschwellen erreichten. Die Rabatte waren dabei mit Rückwirkung ausgestattet und bezogen sich auf alle im gesamten Referenzzeitraum für den Kunden verteilte Direktwerbesendungen. Die Bestimmung der Preise erfolgte jeweils zu Beginn eines jeden Jahres anhand des voraussichtlichen Abnahmevolumens. Sofern das tatsächliche Auftragsvolumen das prognostizierte unterschritt, traf den Kunden am Ende des Jahres eine Rückerstattungspflicht gegenüber Post Danmark. Dieses Rabattsystem fand unterschiedslos auf alle Sendungen über 50 g, für die Post Danmark über ein gesetzliches Monopol mit einer Marktabdeckung von etwa 70 % verfügte sowie auf sonstige, nicht unter das Monopol fallende Sendungen, Anwendung.568 Das System umfasste sowohl den monopolisierten, also den nichtbestreitbaren Teil, als auch den bestreitbaren Teil des Marktes. Der Marktanteil von Post Danmark betrug im relevanten Zeitraum ungefähr 95 %.569 Bring Citymail Danmark war der einzig ernsthafte Wettbewerber. Die dänische Wettbewerbsbehörde sah in der Anwendung des beschriebenen Rabattsystems den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung und untersagte mit Entscheidung vom 24. Juni 2009 die weitere Anwendung. Dabei stützte sie die Untersagung im Wesentlichen auf drei Merkmale: Den langen Referenzzeitraum von einem Jahr, die rückwirkende Berechnung der Rabatte für alle Sendungen während des Referenzzeitraums und den möglichen Verfall der im Voraus gewährten Rabatte bei Unterschreitung der prognostizierten Mindestmenge.570 Mit Beschluss vom 10. Mai 2010 bestätigte der Beschwerdeausschuss für Wettbewerbssachen diese Entscheidung, woraufhin Post Danmark am 1. Juli 2010 Klage beim dänischen See567

EuGH, Urteil vom 6. 10. 2015, Rs. C-23/14, EU:C:2015:651 – Post Danmark II. Vgl. zum Sachverhalt: GA’in Kokott, Schlussanträge vom 21. 5. 2015, Rs. C-23/14, EU:C:2015:343, Rn. 6 ff. – Post Danmark II. 569 EuGH, Urteil vom 6. 10. 2015, Rs. C-23/14, EU:C:2015:651, Rn. 3 ff. – Post Danmark II. 570 Vgl. zur Beurteilung der dänischen Wettbewerbsbehörde: GA’in Kokott, Schlussanträge vom 21. 5. 2015, Rs. C-23/14, EU:C:2015:343, Rn. 14 ff. – Post Danmark II. 568

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D. Beurteilung von preisbezogenen Behinderungsmissbräuchen

und Handelsgericht erhob. Dieser legte dem Europäischen Gerichtshof im Januar 2014 verschiedene Fragen zur kartellrechtlichen Bewertung von Rabatten zur Vorabentscheidung nach Art. 267 AEUV vor. bb) Vorlagefragen Dabei wollte das Gericht vor allem wissen, - nach welchen Kriterien zu beurteilen ist, ob ein Rabattsystem wie das im Ausgangsverfahren in Rede stehende geeignet ist, auf dem Markt eine gegen Art. 82 EG verstoßende Verdrängungswirkung zu entfalten; - welche Bedeutung dem Kriterium des ebenso leistungsfähigen Wettbewerbers und dem As efficient competitor-Test bei der Beurteilung eines Rabattsystems nach Art. 82 EG zuzumessen ist, - wie wahrscheinlich und gravierend die wettbewerbsschädigende Wirkung eines Rabattsystems sein muss; - ob es in diesem Zusammenhang erforderlich ist, dass die marktabschottende Wirkung gravierend bzw. spürbar ist.571 Die Fragen des dänischen Gerichts zielen somit sowohl auf eine Klarstellung hinsichtlich der allgemeinen rechtlichen Vorgaben zur Beurteilung von Rabattsystemen als auch der Bedeutung des As efficient competitor-Tests als Kriterium bei der Bewertung von Rabatten sowie der Erforderlichkeit einer Spürbarkeitsgrenze bei der Anwendung des Art. 102 AEUV ab. cc) Entscheidung des EuGH Der EuGH beurteilte das beschriebene Rabattsystem von Post Danmark mit Entscheidung vom 6. Oktober 2015572 im Einklang mit der dänischen Wettbewerbsbehörde als kartellrechtswidrig. (1) Allgemeiner Maßstab: Kriterien für die Beurteilung von Rabattsystemen marktbeherrschender Unternehmen In Bezug auf die Frage, welche Anforderungen an den Nachweis wettbewerbsschädigender Auswirkungen zu stellen sind, folgte der EuGH den in den Schlussanträgen der Generalanwältin Kokott aufgestellten Maßstäben. Zum allgemeinen Prüfungsmaßstab bei der Bewertung von Rabatten führt der EuGH aus, dass ein Rabatt missbräuchlich sei, wenn er geeignet ist, eine wettbewerbsschädigende

571 Vgl. zu den Vorlagefragen: GA’in Kokott, Schlussanträge vom 21. 5. 2015, Rs. C-23/14, EU:C:2015:343, Rn. 16 ff. – Post Danmark II. 572 EuGH, Urteil vom 6. 10. 2015, Rs. C-23/14, EU:C:2015:651 – Post Danmark II.

III. Rabattsysteme

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Wirkung auf den Markt zu entfalten.573 Diese Eignung soll nach dem Gerichtshof „unter Berücksichtigung sämtlicher relevanter Umstände“ zu beurteilen sein, insbesondere der „Modalitäten und Kriterien, nach denen die Rabatte gewährt werden, der Zahl der betroffenen Kunden und der Merkmale des Marktes, auf dem das Unternehmen in beherrschender Stellung tätig ist“.574 Dazu führt der Gerichtshof weiter aus, dass diese Beurteilung der Umstände des Einzelfalls der Feststellung diene, ob „das Verhalten des Unternehmens in beherrschender Stellung zu einer tatsächlichen oder wahrscheinlichen Verdrängung von Wettbewerbern“ führe.575 Mit dieser Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls bestätigt der EuGH zugleich die Grundsätze der tradierten Rechtsprechung aus British Airways576 und Tomra.577 Mit dem Maßstab einer tatsächlichen oder wahrscheinlichen Verdrängung scheint sich der EuGH derweil an die Grundsätze der Rechtsprechung zu Post Danmark I578 und TeliaSonera579 anzunähern. Zugleich stellt der EuGH aber auch klar, dass eine Einzelfallabwägung nur auf solche Rabattsysteme Anwendung findet, die keine Treuerabatte oder Mengenrabatte sind. In diesem Zusammenhang wiederholt er den aus der Rechtsprechung bekannten Grundsatz, dass Treuerabatte generell missbräuchlich sind.580 Zur Bewertung des konkreten Rabattsystems führt der EuGH weiter als erheblich an, dass der Referenzzeitraum von einem Jahr vergleichsweise lang sei und so den Druck auf den Abnehmer, die notwendige Abnahmemenge zu erreichen, gegen Ende des Referenzzeitraums verstärke.581 Dieser Grundsatz fand bereits im Urteil Michelin I Anklang, schien jedoch in der nachfolgenden Rechtsprechung etwas an Relevanz eingebüßt zu haben.582 Darüber hinaus sei laut EuGH die Rückwirkung der Rabatte besonders kritisch zu sehen, da sich diese in überproportionaler Weise auswirken könne.583 In diesem Sinne argumentierte der EuGH bereits in seinem Urteil in British Airways.584 Zudem stellt der EuGH fest, dass die Marktsituation von hohen Marktzutrittsschranken und Größenvorteilen geprägt war und Post Danmark eine Position als unumgänglicher Handelspartner innehatte.585 573

EuGH, Urteil vom 6. 10. 2010, Rs. C-23/14, EU:C:2015:651, Rn. 67 – Post Danmark II. EuGH, Urteil vom 6. 10. 2010, Rs. C-23/14, EU:C:2015:651, Rn. 68 – Post Danmark II. 575 EuGH, Urteil vom 6. 10. 2015, Rs. C-23/14, EU:C:2015:651, Rn. 69 – Post Danmark II. 576 EuGH, Urteil vom 15. 3. 2009, Rs. C 95/04 P, EU:C:2007:166, Rn. 67 – British Airways. 577 EuGH, Urteil vom 19. 4. 2012, Rs. C-549/10 P, EU:C:2012:221, Rn. 71 – Tomra. 578 EuGH, Urteil vom 27. 3. 2012, Rs. C-209/10, EU:C:2012:172, Rn. 44 – Post Danmark I. 579 EuGH, Urteil vom 17. 2. 2011, Rs. C-52/09, EU:C:2011:83, Rn. 66 – TeliaSonera. 580 EuGH, Urteil vom 6. 10. 2010, Rs. C-23/14, EU:C:2015:651, Rn. 27 – Post Danmark II. 581 EuGH, Urteil vom 6. 10. 2010, Rs. C-23/14, EU:C:2015:651, Rn. 34 – Post Danmark II. 582 EuGH, Urteil vom 9. 11. 1983, Rs. C-322/81, EU:C:1983:313, Rn. 81 – Michelin I. 583 EuGH, Urteil vom 6. 10. 2010, Rs. C-23/14, EU:C:2015:651, Rn. 33 – Post Danmark II. 584 Vgl. EuGH, Urteil vom 15. 3. 2007, Rs. C-95/04 P, EU:C:2007:166, Rn. 73 – British Airways. 585 EuGH, Urteil vom 6. 10. 2015, Rs. C-23/14, EU:C:2015:651, Rn. 40 – Post Danmark II. 574

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D. Beurteilung von preisbezogenen Behinderungsmissbräuchen

(2) Relevanz des AEC-Tests Im Hinblick auf die Vorlagefrage der Notwendigkeit der Durchführung eines Preis-Kosten-Tests in Form des As efficient competitor-Tests äußert sich der Gerichtshof zurückhaltend. Er stellt dazu fest, dass die Durchführung des AEC-Tests keine notwendige Voraussetzung sei, um den missbräuchlichen Charakter eines Rabattsystems festzustellen. Er könne bei der Prüfung, ob von einem Rabattsystem eines marktbeherrschenden Unternehmens eine missbräuchliche Verdrängungswirkung ausgeht, eingesetzt werden, es bestehe jedoch keine Rechtspflicht zur Berücksichtigung dieses Kriteriums.586 Auch insoweit ist der EuGH den Schlussanträgen der Generalanwältin Kokott gefolgt, die insoweit zu Skepsis gegenüber einer Weiterentwicklung der Rechtsprechung zur Anwendung des As efficient competitorTests auch auf Rabattsysteme gemahnt hatte.587 Die Prioritätenmitteilung der Kommission, die eine Anwendbarkeit des Tests auf alle Formen der preisbezogenen Behinderungsmissbräuche vorsieht, konkretisiere lediglich das Aufgreifermessen der Kommission und ihre Verwaltungspraxis. Daher entfalte sie auch keine Bindungswirkung für nationale Behörden und Gerichte.588 Gleichzeitig stellt der EuGH klar, dass die Heranziehung des As efficient competitor-Tests nicht grundsätzlich ausgeschlossen sein darf und er als ein „Instrument unter anderen“ anzusehen sei.589 Wann das konkret der Fall sein soll, bleibt allerdings offen. Der EuGH führt dazu lediglich aus, dass in der zu beurteilenden Fallkonstellation die Anwendung des AEC-Tests ausgeschlossen sei, da die Marktstruktur und die Stellung von Post Danmark den „Eintritt eines ebenso leistungsfähigen Wettbewerbers praktisch unmöglich macht“.590 (3) Wahrscheinlichkeit und de-minimis-Schwelle Im Rahmen der letzten Vorlagefrage war der EuGH mit dem erforderlichen Grad der Wahrscheinlichkeit einer wettbewerbsschädigenden Wirkung und der Spürbarkeit der Verdrängungswirkung für das Vorliegen eines Verstoßes gegen Art. 102 AEUV befasst. Zur Beantwortung dieser Frage stützt sich der EuGH ebenfalls auf die Ausführungen der Generalanwältin Kokott in ihren Schlussanträgen. Hierzu erklärt er, dass es grundsätzlich nicht ausreichend sei, wenn die Verdrängungswirkung rein hypothetischer Natur sei.591 Für die Feststellung der Missbräuchlichkeit genüge es jedoch bereits, wenn die wettbewerbsschädigende Wirkung wahrscheinlich ist. Gleichzeitig stellt der EuGH klar, dass von einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit bereits auszugehen sei, wenn das in Frage stehende Rabattsystem bereits der Natur 586

EuGH, Urteil vom 6. 10. 2015, Rs. C-23/14, EU:C:2015:651, Rn. 57 – Post Danmark II. GA’in Kokott, Schlussanträge vom 21. 5. 2015, Rs. C-23/14, EU:C:2015:343, Rn. 65 – Post Danmark II. 588 EuGH, Urteil vom 6. 10. 2015, Rs. C-23/14, EU:C:2015:651, Rn. 52 – Post Danmark II. 589 EuGH, Urteil vom 6. 10. 2015, Rs. C-23/14, EU:C:2015:651, Rn. 61 – Post Danmark II. 590 EuGH, Urteil vom 6. 10. 2015, Rs. C-23/14, EU:C:2015:651, Rn. 59 – Post Danmark II. 591 EuGH, Urteil vom 6. 10. 2015, Rs. C-23/14, EU:C:2015:651, Rn. 65 – Post Danmark II. 587

III. Rabattsysteme

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nach geeignet ist, den Wettbewerb zu beschränken. Dafür sei der Nachweis einer potentiell wettbewerbsschädigenden Wirkung ausreichend.592 Die Auswirkungen müssen demnach „wahrscheinlicher sein als ihr Ausbleiben.“ Der Notwendigkeit einer Spürbarkeitsschwelle erteilt der EuGH in seinem Urteil eine klare Absage. In diesem Zusammenhang verweist der EuGH auf seine in ständiger Rechtsprechung entwickelten Maßstäbe wie die bereits geschwächte Marktstruktur und die besondere Verantwortung des marktbeherrschenden Unternehmens.593 Gleichwohl führt der EuGH an, dass eine Berücksichtigung sämtlicher Umstände, insbesondere die Kriterien und Modalitäten der Rabattgewährung, erforderlich sei.594 Dazu gehören des Weiteren auch der Umfang der beherrschenden Stellung und die besonderen Wettbewerbsbedingungen auf dem fraglichen Markt.595 dd) Rechtliche Einordnung und Bewertung Bis zum kürzlich ergangenen Urteil des EuGH in Intel stellte Post Danmark II das jüngste Urteil zu der Beurteilung von Rabattsystemen dar. Da es somit die neuesten Äußerungen der Unionsgerichte zur Anwendung des Art. 102 AEUV auf Rabattsysteme statuiert und sich zugleich mit dem Rechtsmittelverfahren in Intel überschnitt, wurde es ausführlich in der Literatur besprochen.596 Insgesamt lässt sich konstatieren, dass der EuGH seine Linie zu Rabatten der dritten Kategorie in Post Danmark II fortgesetzt hat. Rabatte der dritten Kategorie sollen anhand aller Umstände des Einzelfalls beurteilt werden. Demnach sind der Umfang der marktbeherrschenden Stellung, die Modalitäten und Kriterien der Rabattgewährung sowie die spezifischen Wettbewerbsbedingungen auf dem relevanten Markt zu berücksichtigen.597 Diese dargelegten Faktoren weisen eine klare Ähnlichkeit mit den Erläuterungen der Kommission in der Prioritätenmitteilung auf598, waren aber bereits, wenn auch nicht im Detail, bereits in vorhergehenden Entscheidungen angeklungen. Das Urteil wird daher insbesondere Implikationen für den Umgang mit Rabattsystemen, die nicht mit Ausschließlichkeit oder einer irgendwie gearteten Bindung verbunden sind, sondern lediglich sog. treuefördernde Aspekte enthalten, haben. Gleichzeitig vermag aber auch dieses Urteil die bestehenden Widersprüche nicht endgültig aufzulösen und bleibt Antworten schuldig. Das liegt zum einen daran, dass das Urteil keine Aussagen über Treuerabatte und Aus592

EuGH, Urteil vom 6. 10. 2015, Rs. C-23/14 , EU:C:2015:651, Rn. 66 – Post Danmark II. EuGH, Urteil vom 6. 10. 2015, Rs. C-23/14, EU:C:2015:651, Rn. 70 ff. – Post Danmark II. 594 EuGH, Urteil vom 6. 10. 2015, Rs. C-23/14, EU:C:2015:651, Rn. 29 – Post Danmark II. 595 EuGH, Urteil vom 6. 10. 2015, Rs. C-23/14, EU:C:2015:651, Rn. 30 – Post Danmark II. 596 In der deutschsprachigen Literatur siehe Bodenstein, ZWeR 2015, 403; Haus, WuW 2016, 7; Wiethaus, NZKart 2016, 310; Hieber/Cetintas, NZKart 2016, 220; in der englischsprachigen Kommentierung Ibánez Colomo, JECLAP 2016, 113; Venit, JECLAP, 2016, 165. 597 EuGH, Urteil vom 6. 10. 2015, Rs. C-23/14, EU:C:2015:651, Rn. 50 – Post Danmark II. 598 Kommission, Prioritätenmitteilung, Rn. 20. 593

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D. Beurteilung von preisbezogenen Behinderungsmissbräuchen

schließlichkeitsbindungen trifft. So ist nicht klar, ob die Aussagen des Urteils verallgemeinerungsfähig sind und ob diese Grundsätze damit auch auf andere Rabattsysteme wie individuelle Zielrabatte oder eben reine Treuerabatte anwendbar sein sollen. Durch die Betonung der Umstände des Einzelfalls scheint sich der EuGH vor einer Möglichkeit der Verallgemeinerung der Aussagen zu verschließen und bei der Beurteilung von Rabattsystemen weiterhin ohne einen strikten einheitlichen Prüfungsrahmen verfahren zu wollen. Im Hinblick auf die Notwendigkeit einer de-minimis-Schwelle bleibt der EuGH seiner Linie aus der Rechtssache Hoffmann-La Roche treu.599 Mit Ausnahme der Nennung von der Zahl der betroffenen Kunden als quantitativen Aspekt des zu beurteilenden Rabattsystems600, stützte der EuGH seine Bewertung des Rabattsystems in Tradition der bisherigen Rechtsprechung damit weiterhin auf typisierte qualitative Kriterien. Im Ergebnis erscheint das Urteil trotz gewisser Öffnungen und Klarstellungen symptomatisch für die fortwährende Skepsis gegenüber der generellen Notwendigkeit der Durchführung ökonomischer Analyse bei der Bewertung von Rabattsystemen. Im Ergebnis deutet die Entscheidung des EuGH in der Sache Post Danmark II damit eher auf eine Abkehr vom more economic approach und eine Zuwendung zur Entwicklung eigener, qualitativ geprägter, Bewertungsmaßstäbe hin. Dies steht auch im Einklang mit der eher untergeordneten Bedeutung, die der EuGH dem AEC-Test zuschreibt. Er verschafft diesem zwar als Prüfkriterium unter anderen Anerkennung, ohne diesem jedoch zugleich den Stellenwert eines Leitkriteriums beizumessen. Das Urteil in Post Danmark II setzt damit, trotz gewisser Nuancierungen, die Linie der Rechtsprechung aus Hoffmann-La Roche, Michelin I, British Airways und Tomra fort. Die zunehmende Berücksichtigung der Marktumstände für die Rabatte der dritten Kategorie ist indes eine erfreuliche Entwicklung. Der EuGH ist bestrebt, einer juristischen Auslegung des Missbrauchsverbots Ausdruck zu verleihen, ohne dabei jedoch die Einbindung ökonomischer Analysen bei der Urteilsfindung gänzlich zu vernachlässigen. Diese Tendenz ist im Ergebnis begrüßenswert. Auf diese Weise bleibt die punktuelle Berücksichtigung ökonomischer Erwägungen möglich, ohne diese zu einem allgemeingültigen Maßstab zu erheben. b) Der „Intel“-Fall: Klarstellung oder Umbruch? aa) Überblick und Relevanz Im September 2017 ist nach einer Verfahrensdauer von acht Jahren das lang erwartete Urteil des EuGH in Intel ergangen. Wenngleich sich über die vergangenen 40 Jahre eine differenzierte Rechtsprechung zu Rabattsystemen mit treuefördernden Aspekten herausgebildet hatte, so waren die europäischen Gerichte zuletzt in 599 600

So auch Venit, JECLAP 2016, 165, 171. EuGH, Urteil vom 6. 10. 2015, Rs. C-23/14, EU:C:2015:651, Rn. 68 – Post Danmark II.

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Hoffmann-La Roche mit Treuerabatten im engeren Sinne befasst. Mit der Entscheidung des EuGH in Intel liegt nun eine neue höchstrichterliche Entscheidung der Großen Kammer zu dieser Form der Rabatte vor. Anhand dieses Verfahrens lassen sich die derzeit vorherrschenden Konflikte und Diskussionen in Verbindung mit dem Art. 102 AEUV illustrieren. Das Verfahren sollte eine Art Testfall für die Umsetzung des more economic approach bei der Anwendung des Art. 102 AEUV auf die Kategorie der Treuerabatte werden.601 In diesem Zusammenhang bot sich den europäischen Gerichten erstmalig die Gelegenheit, die in der Prioritätenmitteilung der Kommission niedergelegten Grundsätze zur Bewertung von Rabattsystemen aufzugreifen und zu erörtern. Die Entscheidung bewegt sich daher im besonderen Maße im Spannungsfeld zwischen der bisherigen Entscheidungspraxis und dem neuen Ansatz der Kommission. Gleichzeitig sollte das Urteil ein Indikator dafür sein, ob die europäischen Gerichte ihre Rechtsprechung dahingehend ändern würden, bei der Bewertung von Exklusivitätsrabatten eine marktwirkungsbezogene Analyse unter Zuhilfenahme quantitativer Tests durchzuführen und somit die Prüfungsmaßstäbe für Rabattsysteme an diejenigen für Kampfpreise und Kosten-Preis-Scheren anzugleichen. bb) Sachverhalt Die Intel Corporation (Intel) ist weltweit der größte Hersteller von Hauptprozessoren, sog. Central Processing Units (CPUs). Intel gewährte zwischen 2002 und 2007 Computerherstellern wie der Acer Group Inc., Dell Inc., Hewlett-Packard Company, L.P. und Lenovo Ltd. Rabatte, die an die Bedingung, dass diese ihren gesamten oder nahezu gesamten Bedarf an CPUs bei Intel beziehen, geknüpft waren. Zudem leistete Intel Zahlungen an die Media-Saturn-Holding GmbH (MSH) unter der Bedingung, dass diese ausschließlich Computer mit Prozessoren von Intel verkauften. Während des relevanten Zeitraums verfügte Intel über einen Marktanteil von 70 % oder mehr.602 cc) Entscheidung der Kommission Die Kommission verhängte mit Entscheidung vom 13. Mai 2009603 ein Bußgeld in Höhe von 1,06 Milliarden Euro gegen Intel.604 Die Kommission gelangte in ihrer Entscheidung zur Überzeugung, dass die genannten Verhaltensweisen von Intel Ausfluss einer Strategie zur Verdrängung des einzig relevanten Wettbewerbers auf 601

So auch Barthelmeß, NZKart 2014, 492, 494; Nihoul, JECLAP 2014, 521, 530; Wils, World Competition 37 (2014), 405, 408. 602 Kommission, Entscheidung vom 13. 5. 2009, COMP/C-3/37.990, Rn. 165 ff. – Intel. 603 Kommission, Entscheidung vom 13. 5. 2009, COMP/C-3/37.990 – Intel. 604 Zur Entscheidung der Kommission: Geradin, J. of European Competition Law & Practice 2010, 112.

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dem Markt, Advanced Micro Devices (AMD), und daher missbräuchlich im Sinne des Art. 82 EG (Art. 102 AEUV) sind.605 Hierbei stützte die Kommission ihre Entscheidung nach dem tradierten Ansatz auf Form und Inhalt des betreffenden Rabattsystems, ergänzte ihre Begründung aber um Ausführungen zu potentiellen Verbraucherschäden und einer Verdrängungswirkung.606 Insoweit weist die Kommissionsentscheidung, sofern man sich in den traditionell verwendeten Begriffskategorien bewegen möchte, sowohl formbasierte als auch effektbasierte Elemente auf und verfolgt einen doppelten Begründungsstrang.607 Zunächst führte die Kommission an, dass es sich bei den durch Intel angewendeten Rabatten um Treuerabatte handele, da diese von einem ausschließlichen oder nahezu ausschließlichen Bezug abhängig gemacht würden. Obgleich diese Einordnung nach ständiger Rechtsprechung für sich genommen bereits ausreiche, ein Rabattsystem als missbräuchlich zu qualifizieren608, knüpfte die Kommission in der weiteren Prüfung an ihre Kriterien aus der Prioritätenmitteilung an und untersuchte die tatsächlichen Auswirkungen des Rabattsystems.609 Dazu verwendete sie erstmalig den As efficient competitor-Test für diese Fallgruppe, um zu prüfen, „ob ein Wettberber der ebenso effizient ist wie Intel, jedoch keine beherrschende Stellung innehat, durch die Rabatte vom Wettbewerb ausgeschlossen werden könnte“.610 Zur Relevanz und Anwendung des AEC-Tests für diesen Fall führte die Kommission an, es handele sich bei diesem um „eine mögliche Methode“ zur Feststellung der Verdrängungseignung eines Rabattsystems.611 Die Ausführungen zur Anwendung und Konkretisierung des AEC-Tests nehmen etwa ein Drittel der Entscheidungsgründe auf ca. 150 Seiten ein. Bei der Anwendung des Tests begegnete die Kommission insbesondere Schwierigkeiten bei der Bestimmung der relevanten Rechengrößen unter realen Marktbedingungen.612 dd) Entscheidung des Europäischen Gerichts Das Europäische Gericht bestätigte die Entscheidung der Kommission mit Urteil vom 12. Juni 2014613 und wies damit zugleich die von Intel eingelegte Nichtig605

Zusammenfassung der Entscheidung der Kommission vom 13. Mai 2009, COMP/C-3/ 37.990, ABl. 227 Nr. 13 vom 22. 9. 2009, Rn. 40. 606 Kommission, Entscheidung vom 13. 5. 2009, COMP/C-3/37.990, Rn. 1002 ff. – Intel. 607 So auch Wernicke, EuZW 2015, 19, 20. 608 Kommission, Entscheidung vom 13. 5. 2009, COMP/C-3/37.990, Rn. 925 – Intel. 609 Kommission, Entscheidung vom 13. 5. 2009, COMP/C-3/37.990, Rn. 925, 1597 ff., 1732 ff. – Intel. 610 Kommission, Entscheidung vom 13. 5. 2009, COMP/C-3/37.990, Rn. 1002 ff. – Intel. 611 Kommission, Entscheidung vom 13. 5. 2009, COMP/C-3/37.990, Rn. 1002 – Intel. 612 Vgl. Kommission, Entscheidung vom 13. 5. 2009, COMP/C-3/37.990, Rn. 1002 – 1576 – Intel. 613 EuG, Urteil vom 12. 6. 2014, Rs. T-286/09, EU:T:2014:547 – Intel.

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keitsklage vollinhaltlich zurück.614 Dabei setzte es jedoch bei der Feststellung der Missbräuchlichkeit andere Schwerpunkte als die Kommission und zeigte sich insbesondere kritisch gegenüber dem neuen Ansatz der Kommission. Unter Anknüpfung an die bisherige Linie der Rechtsprechung hält das EuG zunächst an der Unterteilung in die drei bekannten Kategorien fest und verweist dabei auf die Urteile Michelin I und British Airways.615 Es führt dazu aus, dass Mengenrabatte, die allein an das Volumen der getätigten Verkäufe anknüpfen, weiterhin als grundsätzlich unbedenklich eingestuft werden könnten.616 Dies wird damit begründet, dass diese rein auf wirtschaftlichen Leistungen beruhen und daher nicht im Widerspruch zum Missbrauchsverbot stünden. Treuerabatte (hier: Ausschließlichkeitsrabatte) sollen hingegen weiterhin stets missbräuchlich sein. Diese sog. Treuerabatte im Sinne der Hoffmann-La Roche Rechtsprechung sind an die Bedingung geknüpft, dass der Abnehmer seine Waren vollständig oder nahezu vollständig beim marktbeherrschenden Unternehmen bezieht. Diese Art von Rabattgewährung ziele darauf ab, Wettbewerber vom Markt zu verdrängen bzw. ihnen den Zugang zu erschweren, in dem für die Abnehmer Anreize geschaffen werden, ihren Bedarf vollständig beim marktbeherrschenden Unternehmen zu decken und folglich diese Waren nicht beim Wettbewerber zu beziehen.617 Ausschließlichkeitsrabatte seien damit bereits „ihrem Wesen nach“ geeignet, den Wettbewerb zu beschränken. Eine Untersuchung der Umstände des Einzelfalls erübrige sich daher.618 Dem marktbeherrschenden Unternehmen bleibe es jedoch unbenommen, Umstände darzulegen, die die Rabatte ausnahmsweise zu rechtfertigen vermögen.619 Alle weiteren Rabatte gelten als Rabatte der dritten Kategorie. Darunter fallen solche Rabatte, die zwar nicht direkt an einen ausschließlichen oder nahezu ausschließlichen Bezug beim Marktbeherrscher geknüpft sind, jedoch ebenfalls Kundenbindungswirkung haben.620 Dieser Kategorie sind in erster Linie Rabattsysteme, die an die Erreichung bestimmter Umsatzziele anknüpfen, zuzuordnen. Zur Beurteilung dieser Rabatte sei laut ständiger Rechtsprechung erforderlich, sämtliche Umstände des Einzelfalls, insbesondere Kriterien und Modalitäten der Rabattgewährung zu berücksichtigen, um eine mögliche abschottende Wirkung festzustel614 Das Urteil des EuG hat zudem auch große Bedeutung im Hinblick auf die Reichweite der internationalen Jurisdiktion der Kommission (Rn. 231 ff.) und die Anwendung des Konzepts der einheitlichen Zuwiderhandlung auf Missbrauchsfälle (Rn. 1561 ff.). Diese Aspekte sind jedoch nicht Gegenstand dieser Untersuchung. Für einen Überblick siehe Wurmnest/Lund, NZKart 2015, 73 und Venit, JECLAP 2014, 681. 615 EuG, Urteil vom 12. 6. 2014, Rs. T-286/09, EU:T:2014:547, Rn. 74 ff. – Intel. 616 EuG, Urteil vom 12. 6. 2014, Rs. T-286/09, EU:T:2014:547, Rn. 75 – Intel; unter Verweis auf EuG, Urteil vom 30. 9. 2003, Rs. T-203/01, EU:T:2003:250, Rn. 58 m.w.N. – Michelin II. 617 EuG, Urteil vom 12. 6. 2014, Rs. T-286/09, EU:T:2014:547, Rn. 77 – Intel. 618 EuG, Urteil vom 12. 6. 2014, Rs. T-286/09, EU:T:2014:547, Rn. 76 – Intel. 619 EuG, Urteil vom 12. 6. 2014, Rs. T-286/09, EU:T:2014:547, Rn. 77 – Intel. 620 EuG, Urteil vom 12. 6. 2014, Rs. T-286/09, EU:T:2014:547, Rn. 78 – Intel.

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len.621 Die Durchführung des As efficient competitor-Tests sei bei der Bewertung eines Rabattsystems nicht notwendig und darüber hinaus in diesem Kontext sogar ungeeignet, da er nur abbilde, ob der Zugang zum Markt unmöglich gemacht worden sei, nicht aber, ob dieser erschwert worden sei. Dies sei aber bereits ausreichend für die Feststellung des Missbrauchs.622 Der Nachweis einer Treuewirkung müsse nicht notwendigerweise anhand eines quantitativen Tests erbracht werden.623 Zudem sei der Nachweis, dass ein Wettbewerber negative Preise hätte bieten müssen, um mit dem Rabatt des Marktbeherrschers gleichziehen zu können, nicht erforderlich.624 Die von der Kommission dargelegten Erwägungen zum AEC-Test überprüfte das EuG daher nicht. Ziel des Missbrauchsverbots sei laut dem EuG die Aufrechterhaltung unverfälschten Wettbewerbs auf dem Gemeinsamen Markt.625 Für die Anwendung einer de-minimis-Schwelle bliebe bei der Anwendung des Art. 102 AEUV nach Auffassung des EuG kein Raum.626 Im Ergebnis bleibt festzuhalten, dass das EuG in Intel am traditionellen Ansatz festhält und Treuerabatte weiterhin als generell missbräuchlich einstuft, ohne einzelne Aspekte des neuen Ansatzes für die Kategorie der Treuerabatte nutzbar zu machen. In dieser Hinsicht führt das EuG die in Hoffmann-La Roche niedergelegten Grundsätze fort. Ausschließlichkeitsvereinbarungen und Treuerabatte sind unabhängig von ihrer Wirkung grundsätzlich missbräuchlich im Sinne des Art. 102 AEUV, es sei denn es liegt eine objektive Rechtfertigung vor. Maßstab bleibt die potentiell wettbewerbswidrige Auswirkung. Daraus folgt, dass es nach Auslegung des EuG nicht notwendig ist, eine ökonomische Wirkungsanalyse im Hinblick auf eine mögliche marktausschließende Wirkung in Form des As efficient competitorTests durchzuführen. Diese Annahme wird laut EuG im vorliegenden Fall aufgrund der Stellung von Intel als ein „nicht zu übergehender Geschäftspartner“ untermauert.627 Dies basiert vor allem auf der Annahme, dass das marktbeherrschende Unternehmen den nicht-bestreitbaren Teil der Nachfrage als Hebel einsetzen kann, um den Preis für den bestreitbaren Teil der Nachfrage senken zu können. Insofern ist es auch nicht erforderlich, konkrete Verdrängungswirkungen nachzuweisen. Es sei ausreichend, die generelle Geeignetheit der Maßnahme den Wettbewerb zur Einschränkung des Wettbewerbs auf dem Markt, aufzuzeigen. Es kommt bei der Bewertung der Missbräuchlichkeit eines Treuerabattsystems demnach nicht auf das 621

EuG, Urteil vom 12. 6. 2014, Rs. T-286/09, EU:T:2014:547, Rn. 78 – Intel. EuG, Urteil vom 12. 6. 2014, Rs. T-286/09, EU:T:2014:547, Rn. 142 ff. – Intel. 623 EuG, Urteil vom 12. 6. 2014, Rs. T-286/09, EU:T:2014:547, Rn. 144 ff. – Intel; unter Verweis auf EuGH, Urteil vom 9. 11. 1983, Rs. C-322/81, EU:C:1983:313, Rn. 81 ff. – Michelin I. 624 EuG, Urteil vom 12. 6. 2014, Rs. T-286/09, EU:T:2014:547, Rn. 145 – Intel; unter Verweis auf EuGH, Urteil vom 19. 4. 2012, Rs. C-549/10 P, EU:C:2012:221, Rn. 73 f., 79 – Tomra. 625 EuG, Urteil vom 12. 6. 2014, Rs. T-286/09, EU:T:2014:547, Rn. 77 – Intel. 626 EuG, Urteil vom 12. 6. 2014, Rs. T-286/09, EU:T:2014:547, Rn. 97, 116 – Intel. 627 EuG, Urteil vom 12. 6. 2014, Rs. T-286/09, EU:T:2014:547, Rn. 91 – Intel. 622

III. Rabattsysteme

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Preis- oder Rabattniveau, sondern lediglich auf die Bedingtheit bzw. die Ausschließlichkeit an. An diese Tatsache knüpft das Gericht auch seine Begründung für die unterschiedliche Herangehensweise bei der Bewertung von Kampfpreisen und Kosten-Preis-Scheren.628 Die Tatsache, dass in den Urteilen Deutsche Telekom, TeliaSonera und Post Danmark eine Auswirkungsanalyse für maßgeblich erachtet wurde, beruhe darauf, dass diese Fälle andere Preispraktiken beträfen. Ein Preis könne für sich genommen nicht rechtswidrig sein.629 Damit bleibt festzuhalten, dass das EuG den As efficient competitor-Test in derartig gelagerten Fällen insgesamt für irrelevant erachtet und begegnet der teils geäußerten Hoffnung, dieser Test würde insgesamt Eingang in die Rechtsprechung finden, mit Ablehnung. Nach Auslegung des EuG ergäbe sich auch aus den Entscheidungen Michelin I und British Airways kein grundsätzliches Erfordernis der Einzelbetrachtung, da es sich bei den dort untersuchten Rabattsystemen nicht um Ausschließlichkeitsrabatte gehandelt habe.630 Das Gericht bettet sein Urteil zu Intel in den weiteren Kontext der Rechtsprechung zu Rabatten ein und zeigt Parallelen sowie Unterschiede zu anderen Fallkonstellationen wie Kosten-Preis-Scheren und selektiven Preissenkungen auf, um seine Argumentation zu untermauern. Dazu ist festzustellen, dass sich die Argumentation des EuG in den dogmatischen Kategorien der bisherigen Rechtsprechung bewegt. Eine grundsätzliche Unterscheidung zwischen den unterschiedlichen Rabattformen schien auch bislang in der Rechtsprechung angelegt zu sein. Zudem haben auch bislang die Maßstäbe, die für Kosten-Preis-Scheren und Kampfpreise gelten, nicht auf Rabattsysteme Anwendung gefunden. Der Verweis auf diese Fallgruppen zeigt, dass dem EuG diese Besonderheit durchaus gewahr ist, es diese aber bewusst beibehält. Im Unterschied zu den anderen Fallgruppen steht nach Auslegung des EuG bei der Bewertung von Rabatten das Merkmal der Konditionalität im Vordergrund. Auch die Ausführungen des EuG zur mangelnden Notwendigkeit einer de-minimisSchwelle631 führen die Grundsätze aus der Rechtsprechung von Hoffmann-La Roche und die Auffassung des Generalanwaltes Mazák aus Tomra weiter, wenngleich diese lediglich aus einem Satz bestanden und insoweit nicht zwangsläufig eine derartige Sichtweise vorgeben. Jedenfalls ist auch darin keine Abweichung von der bisherigen Rechtsprechung zu sehen. Die Kommission hatte hingegen wesentliche Aspekte ihres ökonomischen Ansatzes in ihre Entscheidung einfließen lassen. Damit scheint festzustehen, dass die Kommission weiterhin an dem in der Prioritätenmitteilung vorgestellten Ansatz und der Anwendung des AEC-Tests auf Rabattsysteme festhalten will und an den Nachweis einer Marktschottungswirkung auch für Rabattsysteme höhere Anforderungen stellt. Zugleich zeigt die Analyse des Falles anhand der Prüfungsvorgaben der europäischen Gerichte, dass die Kommission unter Beachtung der Kompetenzver628 629 630 631

EuG, Urteil vom 12. 6. 2014, Rs. T-286/09, EU:T:2014:547, Rn. 108, 152 – Intel. EuG, Urteil vom 12. 6. 2014, Rs. T-286/09, EU:T:2014:547, Rn. 152 – Intel. EuG, Urteil vom 12. 6. 2014, Rs. T-286/09, EU:T:2014:547, Rn. 78 – Intel. EuG, Urteil vom 12. 6. 2014, Rs. T-286/09, EU:T:2014:547, Rn. 116 – Intel.

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D. Beurteilung von preisbezogenen Behinderungsmissbräuchen

teilung bei der Implementierung ihres neuen Ansatzes vorsichtig vorgeht. So prüfte sie die Anwendung des ökonomischen Preis-Kosten-Tests lediglich als Zugabe. Auf diese Weise stellt sich die Kommission nicht in direkten Widerspruch zu den bisherigen Prüfungsmaßstäben der europäischen Gerichte für Rabattsysteme. Die Entscheidung der Kommission liest sich insoweit als ein Versuch, den traditionellen Ansatz der Unionsgerichte mit ihren Reformbemühungen zu verknüpfen. Hierbei wird der Kommission sicher auch daran gelegen gewesen sein, dem Test als probates Mittel Anerkennung zu verschaffen und in der Rechtsanwendungspraxis zu etablieren.632 Zugleich erscheint es etwas fragwürdig, Ausführungen zu tätigen, die sich über 150 Seiten erstrecken, ohne dass dies erforderlich gewesen wäre. Daher lassen sich an der Entscheidung sicherlich auch die bestehenden Meinungsverschiedenheiten zwischen dem rechtlichen Dienst und dem Chefökonomen innerhalb der Europäischen Kommission festmachen. In Reaktion und Bewertung des Urteils des EuG sind eine beträchtliche Anzahl an Aufsätzen und Kommentierungen erschienen.633 Wenngleich die kritischen Stimmen634 überwiegen, so sind einige Kommentatoren der Auffassung, dass das EuG zu Recht an einem überwiegend formalistischen Ansatz festhält und dogmatisch im Einklang mit der bisherigen Rechtsprechung liegt.635 Die Kritiker hingegen meinen im Intel-Urteil des EuG eine grundsätzliche Abkehr vom effects-based approach und den fortwährenden grundsätzlich Widerwillen der Unionsgerichte, ökonomische Kriterien zur Beurteilung von Behinderungsmissbräuchen heranzuziehen, zu erkennen.636 Besonders bemerkenswert waren auch die Ambivalenzen und abweichenden Ansichten zu der Einordnung des Urteils innerhalb der Europäischen Kommission.637 Es ist von besonderem Interesse, dass ein Urteil in so vielfältiger Weise interpretiert wird. Dies zeigt nochmals, dass viele Aspekte hinsichtlich der Beurteilung von Treuerabatten bislang noch nicht hinreichend geklärt sind und die Gerichte hinsichtlich dieser Fallgruppe des Behinderungsmissbrauchs im besonderen Maße unter Druck geraten sind, ihr Vorgehen zu rechtfertigen. 632

So auch Fuchs, in: Festschrift Möschel, S. 243. Vgl. hierzu in der englischsprachigen Literatur Wils, World Competition 37 (2014), 405; Venit, European Competition Journal 2014, 203, Rey/Venit, World Competition 38 (2015), 3; Peeperkorn, Concurrences N81-2015, 43; Nihoul, JECLAP 2014, 521, Petit, European Competition Journal 2015, 26; in der deutschsprachigen Literatur Wernicke, EuZW 2015, 19; Barthelmeß, NZKart 2014, 492. 634 Beispielhaft Venit, European Competition Journal 2014, 203; Peeperkorn, Concurrences N81-2015, 43; Ibañez Colomo, LSE Law, Society and Economy Working Papers, S.1; Geradin, J. Comp. L. & Econ. (11) 2015, 579. 635 Wils, World Competition 37 (2014), 405; Wernicke, EuZW 2015, 19; Whish, JECLAP 2015, 1. 636 Venit, European Competition Journal 2014, 203; Peeperkorn, Concurrences N81-2015, 43; Ibañez Colomo, LSE Law, Society and Economy Working Papers, S.1; Geradin, J. Comp. L. & Econ. (11) 2015, 579; Rey/Venit, World Competition 38 (2015), 3. 637 Vgl. hierzu die beiden Abhandlungen von Peeperkorn, Concurrences N81-2015, 43 und Wils, World Competition 37 (2014), 405. 633

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ee) Schlussanträge des Generalanwalt Wahl (1) Inhalt der Schlussanträge Zunächst führt Generalanwalt Wahl aus, dass das Wettbewerbsrecht aufgrund seines ökonomischen Charakters auf eine Effizienzsteigerung abziele. Daher seien auch Wettbewerber, die aufgrund des Vorherrschens eines intensiven Wettbewerbs zum Ausscheiden aus dem Markt gezwungen werden, nicht vom Schutzbereich erfasst.638 Aus diesem Ziel folge auch, dass den wettbewerbswidrigen Auswirkungen eines Verhaltens entscheidende Bedeutung zukomme.639 Der Generalanwalt zeigt sodann die vom EuG vorgenommene Einteilung in drei Kategorien von Rabatten und die Einstufung der in Frage stehenden Rabatte als Ausschließlichkeitsrabatte auf und knüpft den Erfolg des Rechtsmittels an die Richtigkeit dieser Annahme. Daraus leitet er die für seine rechtliche Würdigung entscheidende Fragestellung ab. Es kommt demnach entscheidend darauf an, ob das Gericht zu Recht angenommen hat, dass es für diese Art von Rabatten keiner Prüfung sämtlicher Umstände des Einzelfalls bedürfe.640 Hierzu fasst der Generalanwalt zunächst die Rechtsprechung der Unionsgerichte zu Rabatten zusammen und stellt Bezüge zum Urteil Hoffmann-La Roche her. Er stellt hierzu fest, dass das EuG Passagen des Urteils wörtlich übernommen und dadurch verkannt habe, dass der rechtliche und wirtschaftliche Kontext einer Rabattgewährung unabhängig von der Geltung einer Unzulässigkeitsvermutung im konkreten Fall immer berücksichtigt werden müsse. Nach Auffassung des Generalanwalts gelte es nicht zwischen drei, sondern nur zwei Arten von Rabatten zu unterscheiden: Mengenrabatte, für die eine Vermutung der Zulässigkeit gilt sowie Treuerabatte, für die eine Vermutung der Unzulässigkeit gilt. Unter Treuerabatten seien sowohl Rabatte, die an vollständige oder nahezu vollständige Bedarfsdeckung eines Abnehmers als auch an die Erfüllung eines bestimmten Ziels knüpfen, zu verstehen.641 Treuerabatte seien gleichbedeutend mit einer zweckgerichteten Beschränkung im Sinne von Art. 101 AEUV. Auch aus diesem Grund sei die Berücksichtigung des Kontextes unerlässlich, um andere Erklärungsmöglichkeiten für das betreffende Verhalten auszuschließen. Für alle Treuerabatte sei der gleiche Prüfungsmaßstab anzulegen. Die Schaffung einer weiteren Kategorie von Rabatten in Form von „Ausschließlichkeitsrabatten“ sei nicht nachvollziehbar. Der Generalanwalt lehnt insbesondere die Beurteilung von Treuerabatten anhand eines per se Standards ab. Es sei nicht auszuschließen, dass auch Ausschließlichkeitsbindungen wohlfahrtsfördernde Aspekte haben können. Daher sei es erforderlich, auch bei der 638

GA Wahl, Schlussanträge vom 20. 10. 2016, Rs. C-413/14 P, EU:C:2016:788, Rn. 41 – Intel; so auch schon der EuGH, Urteil vom 27. 3. 2012, EU:C:2012:172, Rn. 21 – Post Danmark I. 639 GA Wahl, Schlussanträge vom 20. 10. 2016, Rs. C-413/14 P, EU:C:2016:788, Rn. 43 – Intel. 640 GA Wahl, Schlussanträge vom 20. 10. 2016, Rs. C-413/14 P, EU:C:2016:788, Rn. 52 – Intel. 641 GAWahl, Schlussanträge vom 20. 10. 2016, Rs. C-413/14 P, EU:C:2016:788, Rn. 80 f. – Intel.

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D. Beurteilung von preisbezogenen Behinderungsmissbräuchen

Beurteilung derartiger Rabattsysteme „sämtliche Umstände“ zu berücksichtigen, die für die wahrscheinlichen Auswirkungen eines Verhaltens auf den Wettbewerb von Relevanz sein können.642 Dieser Prüfungsmaßstab habe die Rechtsprechung seit Hoffmann-La Roche geprägt. Das Abstellen auf die Form eines Rabatts führe zudem zur Unwiderlegbarkeit der Unzulässigkeitsvermutung.643 In einem weiteren Abschnitt zieht Generalanwalt Wahl einen Vergleich zur Beurteilung anderen preisbezogenen Verhaltensweisen unter Art. 102 AEUV und betont die Wichtigkeit von Konsistenz. Kampfpreise, Kosten-Preis-Scheren und Rabattsysteme seien alle Formen einer preisbezogenen Verdrängung. Daher sei eine grundsätzliche Unterscheidung zwischen diesen Formen nicht geboten.644 Als Zwischenergebnis dieses Prüfungsabschnitts hält Generalanwalt Wahl fest, dass Ausschließlichkeitsrabatte nicht als eigenständige Kategorie von Rabatten anzusehen seien und eine Prüfung der Umstände des Einzelfalls angezeigt gewesen wäre.645 In einem weiteren Teil setzt sich der Generalanwalt mit den Terminologien der Eignung und dem Grad der Wahrscheinlichkeit wettbewerbsbeschränkender Auswirkungen auseinander. Hierzu hinaus trifft der Generalanwalt keine klare Abgrenzung zwischen der Möglichkeit (capability) und der Wahrscheinlichkeit (likelihood) wettbewerbsbeschränkender Auswirkungen. Gleichzeitig stellt er aber an den Nachweis der Eignung in deutlicher Abweichung zu der Generalanwältin Kokott höhere Anforderungen.646 Nach dem Generalanwalt reiche es nicht aus, dass der Eintritt einer Verdrängungswirkung wahrscheinlicher ist als ihr Ausbleiben. Das betreffende Verhalten müsse aller Wahrscheinlichkeit nach eine wettbewerbswidrige Verdrängungswirkung haben.647 Ausgehend von diesem Maßstab prüft der Generalanwalt die konkrete Eignung der betreffenden Rabatte zur Erzeugung einer wettbewerbswidrigen Verdrängungswirkung und gelangt dabei zu der Überzeugung, dass das Gericht nicht alle Umstände richtig bewertet habe. Zu diesen Umständen seien insbesondere die Markterfassung, die Dauer, die Marktleistung und die Preisentwicklung sowie der AEC-Test zu zählen.648 Eine wahrscheinliche Auswir642 GA Wahl, Schlussanträge vom 20. 10. 2016, Rs. C-413/14 P, EU:C:2016:788, Rn. 89 ff. – Intel. 643 GA Wahl, Schlussanträge vom 20. 10. 2016, Rs. C-413/14 P, EU:C:2016:788, Rn. 86 – Intel. 644 GA Wahl, Schlussanträge vom 20. 10. 2016, Rs. C-413/14 P, EU:C:2016:788, Rn. 102 – Intel. 645 GA Wahl, Schlussanträge vom 20. 10. 2016, Rs. C-413/14 P, EU:C:2016:788, Rn. 106 – Intel. 646 Vgl. GA’in Kokott, Schlussanträge vom 21. 5. 2015, Rs. C-23/14 P, EU:C:2015:343, Rn. 82 – Post Danmark II. 647 GA Wahl, Schlussanträge vom 20. 10. 2016, Rs. C-413/14 P, EU:C:2016:788, Rn. 117 – Intel. 648 GAWahl, Schlussanträge vom 20. 10. 2016, Rs. C-413/14 P, EU:C:2016:788, Rn. 136 ff. – Intel.

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kung auf den Wettbewerb lasse sich nicht feststellen. Insbesondere habe das Gericht die Bedeutung der Durchführung eines AEC-Tests verkannt.649 Unabhängig davon, dass es schon keine eigenständige Kategorie von Ausschließlichkeitsrabatten gebe, so würden auch die in Frage stehenden Rabatte nicht darunter fallen, da sie nicht das Erfordernis der „vollständigen oder nahezu vollständigen Marktdeckung“ erfüllen würden.650 Insgesamt habe das Gericht zu Unrecht angenommen, dass Ausschließlichkeitsrabatte eine dritte und eigenständige Kategorie von Rabatten darstellen, für die eine Prüfung aller Umstände des Einzelfalls nicht erforderlich sei. Zudem sei dem Gericht ein Fehler bei der ergänzenden Prüfung der Eignung der Rabatte zur Erzeugung einer wettbewerbswidrigen Verdrängungswirkung unterlaufen.651 Der Generalanwalt kommt daher zu dem Ergebnis, dass das Urteil aufzuheben und an das EuG zurückzuweisen sei, damit dieses sämtliche Umstände des Einzelfalls und insbesondere die Auswirkungen des Verhaltens von Intel auf den Wettbewerb prüfen kann. (2) Kritische Würdigung und Ausblick Die Schlussanträge des Generalanwalts Wahl sind als sehr ambitioniert zu bezeichnen und weisen in die Richtung einer Neujustierung der Rechtsprechung zu Rabattsystemen. So weicht der Generalanwalt in wesentlichen Punkten von der ständigen Rechtsprechung der Unionsgerichte ab und setzt an die Stelle des bisherigen Prüfrahmens einen alternativen Vorschlag zur Prüfung von Treuerabatten. Interessant ist dabei insbesondere, dass er selbst seine Auffassung in Einklang mit der bisherigen Rechtsprechung sieht und das Urteil des EuG in Intel als Ausreißer von den Grundsätzen der tradierten Beurteilung von Rabattsystemen einstuft. Insoweit wirft der Generalanwalt dem EuG eine unzutreffende Auslegung der bisherigen Rechtsprechung vor. Wenngleich die Erörterung eines Schutzzweckes in den Schlussanträgen eher von untergeordneter Natur ist, so scheint der Generalanwalt zu der Berücksichtigung von Effizienzerwägungen als dem relevanten Schutzziel des Wettbewerbsrechts zu neigen. Obwohl er so die Wettbewerbsfreiheit nicht ausdrücklich negiert, so bleibt zu bezweifeln, ob diese Interpretation mit der bisherigen Auslegung des Missbrauchsverbots durch die Unionsgerichte zu vereinbaren ist. Eines der bemerkenswertesten Merkmale der Schlussanträge des Generalanwalts ist seine Lesart der Entscheidung des EuGH in Hoffmann-La Roche.652 Hierzu führt er 649 GA Wahl, Schlussanträge vom 20. 10. 2016, Rs. C-413/14 P, EU:C:2016:788, Rn. 170 ff.– Intel. 650 GA Wahl, Schlussanträge vom 20. 10. 2016, Rs. C-413/14 P, EU:C:2016:788, Rn. 211 – Intel. 651 GA Wahl, Schlussanträge vom 20. 10. 2016, Rs. C-413/14 P, EU:C:2016:788, Rn. 211 – Intel. 652 So auch Wernicke, EuZW 2017, 850 der in diesem Zusammenhang von einer „rückwirkenden Neuinterpretation“ spricht, vgl. Wernicke, EuZW 2017, 850, 860.

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D. Beurteilung von preisbezogenen Behinderungsmissbräuchen

aus, dass der EuGH dort zwar die untersuchten Rabattsysteme als grundsätzlich missbräuchlich eingestuft, die Umstände des Einzelfalls aber ungeachtet dessen untersucht habe und sich daher aus diesem Urteil nicht ein allgemeines Verbot für Ausschließlichkeitsbindungen ableiten lasse. Auf diese Weise spricht der Generalanwalt der Fallgruppe entgegen der bislang herrschenden Meinung ihre Qualität als per se Verbot ab. Ihm zufolge hätten die Gerichte auch in der auf Hoffmann-La Roche folgenden Rechtsprechung Effekte grundsätzlich geprüft.653 Dieser Sichtweise ist zuzugestehen, dass es sicherlich nicht undenkbar ist, die Rechtsprechung dahingehend auszulegen, dass lediglich zwei Kategorien von Rabatten zu unterscheiden sind. Treuerabatte und individuelle Zielrabatte können eine vergleichbare Wirkung entfalten. Daher wäre die Einführung eines einheitlichen Maßstabes zur Prüfung aller Rabattsysteme, die nicht reine Mengenrabatte sind, grundsätzlich möglich. Auch nach dem Generalanwalt streite zwar eine Vermutung für die Missbräuchlichkeit von Treuerabatten, gleichwohl mache diese nicht die Prüfung aller Umstände des Einzelfalls entbehrlich. Insoweit schlägt er in Konsequenz dieser Auffassung und deutlicher Abweichung zu dem EuG in Intel eine Angleichung der Prüfungsmaßstabe für alle Rabatte, die nicht Mengenrabatte sind, vor. Es ist auch richtig, dass das EuG durch seine Wortwahl nahelegt, dass es mit den „Ausschließlichkeitsrabatten“ eine weitere Kategorie von Rabatten schafft. Ungeachtet schien die Einteilung von Rabatten in drei Kategorien aber auch bislang schon in der Rechtsprechung angelegt zu sein und zu großen Teilen auf die Entwicklung der Rechtsprechung nach Hoffmann-La Roche zurückzugehen. Die relevanten Passagen in Michelin I lassen sich daher auch schon als Begründung einer weiteren Kategorie von Treuerabatten lesen. Hierzu führte der EuGH aus, dass es sich bei den dort in Frage stehenden Rabatten weder um reine Mengenrabatte noch um solche Treuerabatte handele, die ausschließlich an das Merkmal der Exklusivität anknüpfen.654 In einem nächsten Schritt erklärte der EuGH daraus folgernd die Berücksichtigung aller Modalitäten und Kriterien des Einzelfalls zum relevanten Maßstab für die Prüfung dieser Art von Treuerabatten. Erst die Tatsache, dass sich die Unionsgerichte seit dem Urteil in Hoffmann-La Roche nicht mehr mit reinen Ausschließlichkeitsrabatten zu befassen hatten, ermöglicht eine derartig fundamentale Debatte über die Bedeutung der Aussagen des EuGH in diesem Urteil. Im Nachgang zur grundlegendenden Entscheidung in Hoffmann-La Roche waren es vorwiegend unterschiedliche ausgestaltete Treuerabatte, die die Rechtsprechung beschäftigt haben. Gleichwohl wurde die Rechtsprechung zumeist so interpretiert, dass die Unionsgerichte die Bewertung der betreffenden Rabatte ohne Ausschließlichkeitscharakter jeweils in Abgrenzung zu dem dort niedergelegten Prüfungsmaßstab getroffen haben und eine dritte Kategorie von Rabatten, die Jahresumsatzrabatte und Zielrabatte umfasst, damit Bestandteil der ständigen Rechtsprechung sei. Zudem schien es auch so, als ob die europäischen 653

Intel. 654

GA Wahl, Schlussanträge vom 20. 10. 2016, Rs. C-413/14 P, EU:C:2016:788, Rn. 68 – EuGH, Urteil vom 9. 11. 1983, Rs. C-322/81, EU:C:1983:313, Rn. 72 f. – Michelin I.

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Gerichte ausgehend von dem Prüfungsmaßstab in Hoffmann-La Roche die Maßstäbe auf weitere Formen von Treuerabatten fortentwickelt bzw. ausgedehnt haben. Dass der Generalanwalt rein aufgrund der Bezeichnung der in Hoffmann-La Roche untersuchten Rabatte als Ausschließlichkeitsrabatte durch das EuG in Intel die Schaffung einer neuen Kategorie sieht, ist daher in Anbetracht der bisherigen Rechtsprechung keinesfalls zwingend. Der Grund dafür mag in der Klarheit der Kategorisierung von Rabatten in drei Gruppen durch das EuG in Intel und in der anderslautenden Bezeichnung liegen. Die Schlussanträge des Generalanwaltes zeichnen darüber hinaus eine klare Fokussierung auf Aspekte der Konsistenz aus. So betont er die Wichtigkeit der Stimmigkeit der Maßstäbe bei der Bewertung von Rabattsystemen, bei der Anwendung des Art. 102 AEUV auf alle Formen des preisbezogenen Behinderungsmissbrauchs und auch mit einem weiteren Blick auf die Gesamtsystematik des europäischen Wettbewerbsrechts unter Einbeziehung des Art. 101 AEUV.655 Insbesondere die Herstellung eines Vergleiches zu den Kategorien der bezweckten und bewirkten Wettbewerbsbeschränkungen des Art. 101 AEUV ist ein Aspekt, der in der Debatte bislang eher vernachlässigt wurde oder zumindest auch selten in dieser Deutlichkeit geäußert wurde. Zugleich belässt es der Generalanwalt zu diesem Aspekt eher bei allgemeinen Aussagen und führt keine weiteren Argumente für seine grundsätzliche Einschätzung an. Dies gilt auch für seine Ausführungen zu der Notwendigkeit der Konsistenz der Bewertungsmaßstäbe für alle Formen des preisbezogenen Behinderungsmissbrauchs.656 Eine Umsetzung des vom Generalanwalt vorgeschlagenen Prüfungsrahmens würde weitreichende Konsequenzen für die Beurteilung von Rabattsystemen in der europäischen Rechtspraxis haben. Insbesondere das in ständiger Rechtsprechung geltende Verbot für Treuerabatte und Ausschließlichkeitsvereinbarungen würde wohl einer Prüfung sämtlicher Umstände des Einzelfalls weichen müssen. Dies könnte auf der einen Seite einen Zuwachs an Einzelfallgerechtigkeit mit sich bringen, aber gleichermaßen eine Einbuße an Rechtssicherheit bewirken. Gleichwohl bedeutet eine Zurückverweisung nicht, dass die Entscheidung der Kommission in Intel in jedem Fall keinen Bestand haben würde, sondern nur, dass diese nochmal unter Berücksichtigung weiterer Kriterien und eines gesteigerten Prüfungsumfangs überprüft werden müssten. Jedenfalls vermögen die Schlussanträge unabhängig von ihrer Reichweite und Überzeugungskraft im konkreten Verfahren wichtige Denkanstöße zu liefern und lenken den Fokus nochmals auf den wichtigen Aspekt der Konsistenz, der auch Gegenstand dieser Untersuchung ist.

655

Intel.

GA Wahl, Schlussanträge vom 20. 10. 2016, Rs. C-413/14 P, EU:C:2016:788, Rn. 80 –

656 Vgl. GA Wahl, Schlussanträge vom 20. 10. 2016, Rs. C-413/14 P, EU:C:2016:788, Rn. 80 ff. – Intel.

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ff) Entscheidung des EuGH Mit Urteil vom 6. September 2017 hat der EuGH die Entscheidung des EuG aufgehoben und die Sache an dieses zurückverwiesen.657 Damit hat das nun seit acht Jahren andauernde Rechtmittelverfahren noch immer kein Ende gefunden. Dies ist im Ergebnis unbefriedigend. Zugleich ist das Urteil von großer Signifikanz, da es die Kernstreitpunkte der vergangenen Jahre einer Entscheidung der großen Kammer des höchsten europäischen Gerichts zuführt. Mit dem ersten Rechtmittelgrund hat Intel gerügt, dass das EuG ohne die Prüfung sämtlicher Umstände des Einzelfalls davon ausgegangen sei, dass die fraglichen Praktiken als Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung im Sinne von Art. 102 AEUV zu qualifizieren seien. Es sei insbesondere auch nicht geprüft worden, wie wahrscheinlich es sei, dass dieses Verhalten auf eine Wettbewerbsbeschränkung hinauslaufe. Im Hinblick auf die Bedeutung des AEC-Tests für die Bewertung von Rabatten hat Intel insbesondere die fehlende Auseinandersetzung des EuG mit den Ausführungen der Kommission gerügt.658 Hierzu hat Intel angeführt, dass die Durchführung des Tests mit zahlreichen Fehlern verbunden gewesen sei und dass der Test bei ordnungsgemäßer Durchführung zu dem Ergebnis geführt hätte, dass die streitigen Rabatte nicht geeignet gewesen seien, den Wettbewerb zu beschränken.659 Die Äußerungen des EuGH zu diesem Vorbringen lassen sich in zwei Abschnitte untergliedern. Zunächst legt der EuGH einige grundlegende und bereits aus der Rechtsprechung bekannte Prinzipien dar und führt an, dass Art. 102 AEUV nicht den Schutz weniger effizienter Wettbewerber bezwecke.660 Das Vorherrschen von Leistungswettbewerb könne dazu führen, „dass Wettbewerber, die weniger leistungsfähig“ seien, verdrängt werden und vom Markt ausscheiden müssen.661 Marktbeherrschenden Unternehmen obliege jedoch eine besondere Verantwortung, den Wettbewerb durch Einsatz von anderen Mitteln als denen des Leistungswettbewerbs nicht zu beeinträchtigen. Insoweit sei nicht jede Form von Preiswettbewerb als zulässig anzusehen.662 Nach diesen einleitenden Äußerungen steigt der EuGH in die konkrete Prüfung ein und äußert sich zu den streitgegenständlichen Rabatten. Auch diese Ausführungen, die sich lediglich über elf Randnummern erstrecken, lassen sich in zwei Teile gliedern. Während sich der erste Abschnitt663 mit den Prüfungsmaßstäben der Kommission und Fragen der Darlegungs- und Beweislast im Kartellverwaltungs657

EuGH, Urteil vom 6. 9. 2017, Rs. C-413/14 P, EU:C:2017:632 – Intel. Vgl. zu den Rügen, EuGH, Urteil vom 6. 9. 2017, Rs. C-413/14 P, EU:C:2017:632, Rn. 129 ff. – Intel. 659 EuGH, Urteil vom 6. 9. 2017, Rs. C-413/14 P, EU:C:2017:632, Rn. 132 – Intel. 660 EuGH, Urteil vom 6. 9. 2017, Rs. C-413/14 P, EU:C:2017:632, Rn. 133 – Intel. 661 EuGH, Urteil vom 6. 9. 2017, Rs. C-413/14 P, EU:C:2017:632, Rn. 134 – Intel. 662 EuGH, Urteil vom 6. 9. 2017, Rs. C-413/14 P, EU:C:2017:632, Rn. 135 f. – Intel. 663 Dies betrifft die Randnummern 137 – 140. 658

III. Rabattsysteme

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verfahren beschäftigt, betrifft der zweite Teil664 der Entscheidung vorwiegend prozedurale Aspekte und den Maßstab gerichtlicher Überprüfung. Der EuGH leitet seine relevanten Ausführungen zur Missbräuchlichkeit der betreffenden Rabatte mit einem Verweis auf die bekannte Rechtsprechung aus Hoffmann-La Roche ein und statuiert zunächst, dass ein marktbeherrschendes Unternehmen, das Ausschließlichkeitsbindungen ebenso wie ein System von Treuerabatten anwende, die daran gebunden sind, dass der Abnehmer unabhängig vom Umfang seiner Käufe im Übrigen, seinen Gesamtbedarf oder einen wesentlichen Teil hiervon ausschließlich bei dem Unternehmen in beherrschender Stellung deckt, seine beherrschende Stellung missbrauche.665 Der EuGH führt weiter aus, dass es der Konkretisierung dieser Rechtsprechung für den Fall bedürfe, dass das betroffene Unternehmen im Verwaltungsverfahren unter Vorlegung von Beweisen geltend macht, dass sein Verhalten nicht geeignet gewesen sei, den Wettbewerb zu beschränken und insbesondere die beanstandeten Verdrängungswirkungen zu erzeugen.666 In diesem Fall obliege es der Kommission, nicht nur das Ausmaß der beherrschenden Stellung des Unternehmens auf dem Markt und dem Umfang der Markterfassung durch die beanstandete Praxis sowie die Bedingungen und Modalitäten der Rabattgewährung, die Dauer und die Höhe des Rabatts zu prüfen, sondern auch das Vorliegen einer eventuellen Strategie zur Verdrängung der ebenso leistungsfähigen Wettbewerber.667 Diese Analyse der Eignung zur Verdrängung sei ebenso maßgeblich für die Beurteilung der Frage, ob sich ein Rabattsystem, das grundsätzlich unter das Verbot des Art. 102 AEUV falle, objektiv rechtfertigen lasse.668 Sofern die Kommission eine derartige Analyse vornimmt, habe das Gericht das gesamte Gegenvorbringen der Partei zu würdigen.669 Der EuGH ist damit nicht den Schlussanträgen gefolgt, hat sich jedoch gleichwohl deutlich anders positioniert als das EuG. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die Möglichkeit der Führung eines Gegenbeweises durch das betroffene Unternehmen im Kartellverwaltungsverfahren und die daraus resultierende Pflicht des Gerichts zur Überprüfung des entsprechenden Vortrages. In dem Urteil scheint daher zunächst ein Systemwandel bei der Ausgestaltung des Prüfrahmens und bei der Verteilung der Darlegungs- und Beweislast im Kartellverwaltungsverfahren angelegt zu sein. So war die Prüfung der konkreten Umstände des Einzelfalls bislang auf die Rechtfertigungsebene verlagert, während auf der Tatbestandsebene ein per se Verbot für die Missbräuchlichkeit der Rabatte stritt. Insoweit ist eine Abkehr von der zweistufigen Prüfung zu konstatieren. In der Konsequenz scheint es bereits möglich, auf der Tatbestandsebene bei der Prüfung der 664 665 666 667 668 669

Rn. 141 – 147. EuGH, Urteil vom 6. 9. 2017, Rs. C-413/14 P, EU:C:2017:632, Rn. 137. – Intel. EuGH, Urteil vom 6. 9. 2017, Rs. C-413/14 P, EU:C:2017:632, Rn. 138 – Intel. EuGH, Urteil vom 6. 9. 2017, Rs. C-413/14 P, EU:C:2017:632, Rn. 139 – Intel. EuGH, Urteil vom 6. 9. 2017, Rs. C-413/14 P, EU:C:2017:632, Rn. 140 – Intel. EuGH, Urteil vom 6. 9. 2017, Rs. C-413/14 P, EU:C:2017:632, Rn. 141 – Intel.

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Eignung zur Entfaltung einer Verdrängungswirkung den Erfolgsunwert bestreiten zu können. Etwas überraschend mutet die Ausführung des EuGH an, dies solle nur dann gelten, wenn das Unternehmen gestützt auf Beweise geltend macht, dass sein Verhalten nicht geeignet sei, den Wettbewerb zu beschränken und insbesondere die beanstandeten Verdrängungswirkungen zu erzeugen.670 Im Ausgangspunkt scheint es daher vom Parteivortrag abzuhängen, welcher Prüfungsmaßstab Anwendung findet. Inwieweit dies mit dem Amtsermittlungsgrundsatz im Kartellverwaltungsverfahren vereinbar sein soll, bleibt offen. Zugleich dürfte kaum auszuschließen sein, dass ein Unternehmen die Möglichkeit des Gegenvortrags wahrnimmt. Daher muss aus Behördensicht im Verwaltungsverfahren von der Widerlegung der Eignung zur Erzeugung einer wettbewerbsbeschränkenden Wirkung ausgegangen werden. Für die Wettbewerbsbehörden hat dies zur Folge, dass diese in Zukunft vorausschauend überlegen müssen, ob sie nicht pro-aktiv eine Wirkungsanalyse anstoßen, selbst wenn der Parteivortrag (noch) keinen Anlass dazu gibt. Bei der Wirkungsanalyse handelt es sich – wie insbesondere die 150 Seiten einnehmenden Ausführungen in der Kommissionsentscheidung zu Intel eindrücklich aufgezeigt haben – um einen sehr aufwendigen Verfahrensschritt, der eines hohen Ermittlungsaufwandes bedarf. Sobald das einschlägige Verwaltungsverfahren aber bereits im Wege einer Nichtigkeitsklage vor dem EuG ist, ist die Durchführung von Ermittlungen nicht mehr möglich. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass durch in Intel angelegte Verteilung der Darlegungs-und Beweislast damit zu rechnen sein wird, dass wettbewerbsökonomische Gutachten weiter an Bedeutung gewinnen werden. Unternehmen werden daher in Zukunft noch verstärkt darauf zurückgreifen, Beweismittel einzubringen, um die mangelnde Eignung ihres Verhaltens zur Erzeugung einer Verdrängungswirkung aufzuzeigen. Das Urteil wird daher auch Konsequenzen für die Bußgeldpraxis der Kommission haben. Insbesondere vor dem Hintergrund der Prioritätenmitteilung und der daraus resultierenden Selbstbindung der Kommission wird sich diese in Zukunft wohl an die selbst auferlegten strengeren Maßstäbe halten müssen. Das Urteil des EuGH enthält in diesem Punkt eine Aufforderung an die Kommission, eine vertiefte ökonomische Analyse durchzuführen, sobald der entsprechende Parteivortrag dazu Anlass bietet. Sollte dieser Maßstab nun Eingang in die ständige Rechtspraxis finden, ist nicht evident, wie die Kommission in einem Bußgeldverfahren den Beweis führen soll, das betreffende Unternehmen habe vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt. Der Verschuldensnachweis ist jedoch gem. Art. 23 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 Voraussetzung für die Ahndung eines Verhaltens mit einem Bußgeld. Diese Voraussetzung soll nach der Rechtsprechung des Gerichtshof dann erfüllt sein, wenn sich das betroffene Unternehmen über die Wettbewerbswidrigkeit seines Verhaltens nicht im Unklaren sein kann, gleichviel, ob ihm dabei bewusst ist, dass es gegen die Wettbewerbsregeln des Vertrags verstößt.671 Wenn die Kommission nun zunächst 670

EuGH, Urteil vom 6. 9. 2017, Rs. C-413/14 P, EU:C:2017:632, Rn. 138 – Intel. EuGH, Urteil vom 14. 10. 2010, Rs. C-280/08 P, EU:2010:603, Rn. 124 m.w.N. – Deutsche Telekom. 671

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selbst anhand eines komplexen quantitativen Test den Nachweis führen muss, die Modalitäten der Rabattgewährung und insbesondere der verlangte Preis könne zur Verdrängung eines ebenso effizienten Wettbewerbers führen, wird der Nachweis eines Verschuldens wohl kaum zu führen sein. Zugleich bleibt die genaue Verteilung der Darlegungs- und Beweislast jedoch im Unklaren. So scheint der EuGH dem AEC-Test Bedeutung im Rahmen Beweisführung zur Eignung zur Erzeugung einer Verdrängungswirkung beizumessen, äußert sich aber nicht dazu, ob dieser eine notwendige Voraussetzung darstellt. Er behilft sich insoweit durch einen prozeduralen Kniff und führt aus, dass dem AECTest bei der Beurteilung der Frage, ob die streitigen Rabatte geeignet gewesen seien, sich dahin auszuwirken, dass Wettbewerber verdrängt worden seien, in der streitigen Entscheidung eine tatsächliche Bedeutung zugekommen sei.672 In dem zweiten Teil des Urteils widmet sich der EuGH der unterbliebenen Überprüfung des Vorbringens von Intel durch das EuG. Er führt hierzu an, dass das Gericht „unter diesen Umständen“ verpflichtet gewesen sei, das gesamte Vorbringen Intels zu dem AEC-Test zu prüfen. „Unter diesen Umständen“ meint in diesem Fall die von der Kommission durchgeführte Analyse der Rabatte anhand des AEC-Tests. Die Verpflichtung zur Berücksichtigung leitet der EuGH damit aus einer prozeduralen Besonderheit des Falles her und verlangt vom EuG die Überprüfung des gesamten Vorbringens. Zur Kategorisierung von Rabatten oder der Notwendigkeit einer de-minimisSchwelle äußert sich der EuGH hingegen nicht. In dem Urteil erfolgt darüber hinaus keine Auseinandersetzung mit den Urteilen des EuGH in Post Danmark II oder Tomra, während hingegen auffällig oft Post Danmark I zitiert wird. So verweist der EuGH bei seinen Erwägungen zur fehlenden Schutzbedürftigkeit weniger effizienter Wettbewerber673 sowie zur potentiellen Verdrängung eben dieser Wettbewerber in Folge eines Leistungswettbewerbs674 auf Urteilspassagen aus Post Danmark I. 6. Die Zukunft der Missbrauchsaufsicht über Rabattsysteme nach Intel: Evolution oder Revolution? Das Intel-Urteil des EuGH lässt sich nicht ohne Weiteres in die bisherige Rechtsprechung einordnen. So lassen einige Ausführungen des EuGH verschiedene Interpretationsmöglichkeiten zu. Dies betrifft den Prüfungsmaßstab für Rabattsysteme, die Relevanz des AEC-Tests für diese Fallgruppe sowie die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast in Kartellverwaltungsverfahren.

672 673 674

EuGH, Urteil vom 6. 9. 2017, Rs. C-413/14 P, EU:C:2017:632, Rn. 143 – Intel. EuGH, Urteil vom 6. 9. 2017, Rs. C-413/14 P, EU:C:2017:632, Rn. 133 – Intel. EuGH, Urteil vom 6. 9. 2017, Rs. C-413/14 P, EU:C:2017:632, Rn. 132 – Intel.

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D. Beurteilung von preisbezogenen Behinderungsmissbräuchen

a) Allgemeiner Prüfungsmaßstab: Erfordernis eines Auswirkungsnachweises? Rabatte sind nach der Rechtsprechung der europäischen Gerichte missbräuchlich, wenn sie zu einer Marktabschottung führen. Hierzu verlangt die Rechtsprechung weiterhin lediglich den Nachweis, dass das Rabattsystem geeignet ist, den Wettbewerb zu beeinträchtigen.675 Nach der ständigen Rechtsprechung der Unionsgerichte ist es für die Feststellung der Missbräuchlichkeit dagegen nicht erforderlich, konkrete negative Auswirkungen des betreffenden Rabattsystems aufzuzeigen. Es genügt weiterhin die abstrakte Eignung bzw. Gefahr der Verdrängung der Konkurrenz vom Markt, wenngleich diese nicht rein theoretischer Natur sein darf.676 Es muss im Ausgangspunkt hingegen nicht geprüft werden, ob eine Verdrängungswirkung tatsächlich eintritt. Das Urteil des EuGH trotz der Formulierung „insbesondere die beanstandeten Verdrängungswirkung“677 nicht so zu lesen, dass die Kommission bereits im ersten Schritt eine konkrete Verdrängungswirkung nachweisen muss. Hierbei genügt zunächst weiterhin die Anknüpfung an die Ausschließlichkeitsrabatten innewohnende Verdrängungswirkung. Welchen Grad der Wahrscheinlich diese Eignung aufweisen muss, ist auch nach dem Urteil des EuGH in Intel nicht gänzlich klar. Jedenfalls dürfte diese über eine rein theoretische Eignung hinausgehen, aber nicht – wie Generalanwalt Wahl verlangte678 – aller Wahrscheinlichkeit nach eine wettbewerbswidrige Verdrängungswirkung haben. Der Maßstab der Eignung scheint daher auch nach dem Intel-Urteil zunächst weiterhin verhältnismäßig niedrig angesetzt. So verlangt die Eignung lediglich die Plausibilität der Erzeugung schädlicher Auswirkungen auf den Wettbewerb. Neu ist dabei aber vor allem die dem Unternehmen belassene Möglichkeit, diese Eignung durch entsprechenden Vortrag und unter Vorlage von Beweisen bereits auf der Tatbestandsebene entkräften zu können. In diesem Fall obliegt es dann der Kommission, qualifiziert vorzutragen, warum die Rabatte dennoch dazu geeignet waren, negative Auswirkungen zu haben. Unter diesen Voraussetzungen erhöhen sich die Anforderungen an die Nachweispflicht der Kommission. So verlangt der EuGH, dass die Kommission bei entsprechendem Gegenvortrag des Unternehmens bereits im Kartellverwaltungsverfahren eine umfassende Würdigung der einzelnen Umstände vornimmt. Insoweit wird die Prüfung vorverlagert und eröffnet den Unternehmen weitgehende Möglichkeiten, die grundsätzlich bestehende Vermutung der Missbräuchlichkeit zu widerlegen.

675 Ständige Rechtsprechung, zuletzt bestätigt in: EuG, Urteil vom 12. 6. 2014, Rs. T-286/ 09, EU:T:2014:547 – Intel; EuGH, Urteil vom 6. 10. 2015, Rs. C-23/14, EU:C:2015:651 – Post Danmark II; EuGH, Urteil vom 6. 9. 2017, Rs. C-413/14 P, EU:C:2017:632, Rn. 139 – Intel. 676 Nihoul, JECLAP 2014, 521, 523. 677 Vgl. EuGH, Urteil vom 6. 9. 2017, Rs. C-413/14 P, EU:C:2017:632, Rn. 138 – Intel. 678 GA Wahl, Schlussanträge vom 20. 10. 2016, Rs. C-413/14 P, EU:C:2016:788, Rn. 117 – Intel.

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aa) Darlegungs- und Beweislastverteilung Das Urteil des EuGH sieht hierzu eine komplexe Verteilung der Darlegungs-und Beweislast auf Tatbestandsebene vor. Die grundsätzliche Eignung zur Erzeugung einer Verdrängungswirkung ist für die prima facie Missbräuchlichkeit eines Treuerabattsystems zunächst weiterhin ausreichend. Diese Eignung ergibt sich zunächst aus der Form des Rabatts als Ausschließlichkeitsrabatt im Sinne der Hoffmann-La Roche Rechtsprechung.679 Die Kommission muss hierzu zunächst lediglich den Charakter der betreffenden Rabatte als Ausschließlichkeitsrabatte anhand der Modalitäten der Rabattgewährung darlegen. Sofern das betreffende Unternehmen diese Eignung aber substantiiert bestreitet, wird bereits auf der Tatbestandsebene eine vertiefte Wirkungsanalyse erforderlich, im Rahmen derer die Kommission nun wieder sekundär darlegungs- und beweisbelastet ist. Im Rahmen dieser Analyse ist es dann die Aufgabe der Kommission und danach der Gerichte, die Plausibilität dieses Vortrags zu prüfen und zu beurteilen, ob das verfahrensgegenständliche Verhalten den Wettbewerb in dem konkreten Fall den Wettbewerb verzerren konnte. Diese Prüfung spielt sich dann nicht mehr auf einer abstrakten Ebene ab, sondern bezieht die konkreten Umstände der Rabattgewährung und das Marktumfeld in die Prüfung ein. Es scheint daher so, als ob es in Zukunft nicht mehr ausreichen wird anzuführen, Treuerabatte seien stets geeignet, den Wettbewerber zu schädigen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn das Unternehmen diese Eignung substantiiert bestreitet. Dies erscheint auf den ersten Blick – trotz der Aufweichung der per se Fallgruppe – zunächst nicht revolutionär. Reine Vermutungen sind begriffsnotwendig widerlegbar. Interessanter wird es dann, wenn man die Implikationen dieser „Klarstellung“ für die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast betrachtet. Unter diesem Blickwinkel scheint darin ein Systemwandel im Vergleich zur bisherigen Prüfung von missbräuchlichen Verhaltensweisen unter Art. 102 AEUV angelegt zu sein. Elemente der vertieften Wirkungsanalyse haben auf der Tatbestandsebene bislang keine Rolle gespielt haben. Rechtfertigungsgründe und Effizienzerwägungen waren auf die zweite Ebene der Prüfung ausgelagert. Das bislang geltende per se Verbot scheint insoweit den Charakter einer widerlegbaren Vermutung zu erhalten.680 Gleichwohl sind der genaue Umfang und die Dimensionen dieser Widerlegbarkeit nicht gänzlich klar. So stellt sich die Frage, ob diese allgemeiner Natur ist oder nur unter besonderen Umständen greift. Es dürfte feststehen, dass die Kommission zur Ausfüllung des Tatbestands zunächst die marktbeherrschende Stellung des Unternehmens, den Umfang der Markterfassung der Rabatte sowie der Modalitäten der Rabattgewährung darlegen muss.681 Anhand dieser Merkmale muss die Kommission den Charakter der Rabatte 679

Vgl. EuGH, Urteil vom 6. 9. 2017, Rs. C-413/14 P, EU:C:2017:632, Rn. 137 – Intel. Wernicke, EuZW 2017, 850, 860. 681 So weist Haberer zurecht darauf hin, dass die ebenfalls denkbare grammatikalische Auslegung, auch diese Feststellungen seien nur im Falle eines qualifizierten Bestreitens des Unternehmens zu treffen, kaum vertretbar sein dürfte, vgl. Haberer, WuW 2017, 526, Fn. 20. 680

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als Ausschließlichkeitsrabatte aufzeigen. Es bleibt jedoch auch nach diesem Urteil dabei, dass die Kommission ihrerseits nicht bereits im ersten Schritt eine Verdrängungswirkung nachweisen muss, sondern sie diese Verpflichtung erst bei entsprechendem qualifizierten Bestreiten des Unternehmens trifft. Es scheint zwar grundsätzlich kaum vorstellbar, dass ein Unternehmen im Verwaltungsverfahren derartige Beweise nicht vorlegen wird, jedoch bleibt auch so die Frage, welcher Standard in diesen Fällen gelten soll. Bleibt es in dann bei dem aus der alten Rechtsprechung bekannten per se Maßstab, ohne dass es eines weiteren Nachweises der Eignung der Rabatte zur Erzeugung einer Verdrängungswirkung bedarf oder ist die Kommission auch in diesen Fällen gehalten, einen konkreten Nachweis zu erbringen? Zudem bleibt auch die Frage des genauen Umfangs der genauen Darlegungs- und Beweislast der Kommission bei Vorliegen eines entsprechenden Parteivortrages ungeklärt. Dem Urteil ist nicht zu entnehmen, welche genauen Anforderungen an den Vortrag der Kommission in diesem Fall geknüpft sind. Da es im Ausgangspunkt weiterhin um die Darlegung der Eignung zur Erzeugung einer Verdrängungswirkung geht, dürfte die Verbotsentscheidung weiterhin nicht an den Nachweis tatsächlicher Auswirkungen geknüpft sein. Diese Unsicherheit liest aber zugleich viel Raum für Interpretation und bietet den betroffenen Unternehmen keine Rechtssicherheit. Zugleich stellt dieser Umstand die Kommission vor die Herausforderung, ihre künftige Verwaltungspraxis nach diesen Maßstäben auszurichten. Es ist zudem fraglich, ob es genügt, wenn das Unternehmen hierzu darlegt und beweist, dass tatsächliche Verdrängungswirkungen nicht eingetreten sind. Dies dürfte mit dem Standard der „Eignung“ zur Wettbewerbsbeschränkung nicht vereinbar sein. Dies führt zu weiteren Unschärfen in der Anwendung. Zudem dürfte eine Diskussion in der vergleichsweise abstrakten Kategorie der „Eignung“ unter gleichzeitiger Hinzunahme eines konkreten auswirkungsbasierten Tests kaum rechtssicher und vorsehbar zu führen sein. Dies eröffnet Spielräume bei der Durchführung des Kartellverwaltungsverfahrens, die einer effektiven ressourcenschonenden Durchsetzung des Art. 102 AEUV entgegenstehen. Systematisch war die Neugestaltung der Grundstruktur des Tatbestands keinesfalls gefordert und verkehrt die bisherige Zwei-Stufen-Prüfung im Hinblick auf die Verteilung der Darlegungs-und Beweislast scheinbar in ihr Gegenteil. bb) Relevanz des AEC-Tests Während es nach dem Urteil des EuGH in Post Danmark II noch den Anschein hatte, als ob der As efficient competitor-Test zur Beurteilung von Rabatten nach wie vor keine Anwendung finden würde, so ist nach dem Urteil des EuGH in Intel davon auszugehen, dass dieser zumindest an Bedeutung gewinnen wird. Gleichwohl hatte der EuGH bereits in Post Danmark II ausgeführt, dass sich keine „Rechtspflicht“ zur Heranziehung des Tests aus Art. 102 AEUVoder Rechtsprechung herleiten ließe, die

III. Rabattsysteme

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Anwendung aber auch nicht grundsätzlich ausgeschlossen werden dürfe.682 Insoweit konstatierte der EuGH in Beantwortung der Vorlagefrage hier nur das Offensichtliche: Nationale Wettbewerbsbehörden sind nicht zur Heranziehung eines AECTests verpflichtet, da dieser nicht Prüfungsmaßstab bei der Bewertung von Rabattsystemen unter Art. 102 AEUV ist. In Intel lag jedoch die besondere Konstellation zugrunde, dass die Kommission einen derartigen Test in ihrer Bußgeldentscheidung durchgeführt und diesen als alternativen Begründungsstrang aufzeigt hatte.683 Diese Besonderheit nutzt der EuGH, indem er dem Test in der Kommissionsentscheidung „tatsächliche Bedeutung“ für die Beurteilung der Frage, ob die in Rede stehenden Rabatte geeignet waren, einen ebenso leistungsfähigen Wettbewerber zu verdrängen, beimisst.684 So scheint es so, also habe die Kommission in Teilen selbst die Ursache für die Berücksichtigung des Tests im konkreten Verfahren geliefert. Der EuGH statuiert so auch die Grundsätze der Waffengleichheit und des fairen Verfahrens. Damit ist noch nichts zu der grundsätzlichen Bedeutung des Tests für die künftige Rechtsanwendungspraxis gesagt. Es bleibt daher abzuwarten, welchen Stellenwert der Test in Zukunft einnehmen wird. Dem Urteil ist nicht mit entschiedener Klarheit zu entnehmen, ob der AEC-Test für Rabattsysteme eine Aufwertung zum ständigen Prüfungsmaßstab wie bei Kampfpreisen und Kosten-Preis-Scheren erfahren oder weiterhin lediglich ein Mittel der Analyse darstellen soll. So ordnet der EuGH Rabatte als Form des Preiswettbewerbs ein685, was auf einen grundsätzlichen Wertungsgleichklang zu den anderen Formen des preisbezogenen Behinderungsmissbrauchs hindeuten dürfte. Darüber hinaus liegt auch in der wiederholten Bezugnahme auf den „ebenso effizienten Wettbewerber“ eine Hinwendung zu diesem Maßstab.686 Es hat daher den Anschein, als ob die Fallgruppe der Treuerabatte nun vorrangig als preisbezogene Form des Behinderungsmissbrauchs begriffen wird, während das Merkmal der Ausschließlichkeit zunehmend in den Hintergrund gedrängt wird. Gleichwohl ist dem Urteil an andere Stelle zu entnehmen, dass es eben den Umständen des Einzelfalls – und der Durchführung des Tests durch die Kommission – geschuldet war, dass diesem in dieser Fallkonstellation eine Bedeutung zukommt. Dem Test scheint insoweit auch eine Rolle bei der Verteilung der Darlegungs- und Beweislast zuzukommen. Sofern die Durchführung des Tests zu dem Ergebnis führt, dass ein ebenso effizienter Wettbewerber in Anbetracht der Rabatte nicht gezwungen war, seine Produkte unter der relevanten Preisschwelle anzubieten,

682

EuGH, Urteil vom 6. 10. 2015, Rs. C-23/14, EU:C:2015:651, Rn. 57 f. – Post Danmark II. 683 Vgl. Kommission, Entscheidung vom 13. 5. 2009, COMP/C-3/37.990, Rn. 925 – Intel. 684 EuGH, Urteil vom 6. 9. 2017, Rs. C-413/14 P, EU:C:2017:632, Rn. 143 – Intel. 685 Vgl. EuGH, Urteil vom 6. 9. 2017, Rs. C-413/14 P, EU:C:2017:632, Rn. 136 – Intel. 686 Vgl. EuGH, Urteil vom 6. 9. 2017, Rs. C-413/14 P, EU:C:2017:632, Rn. 136, 139, 140, 142, 143 – Intel.

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D. Beurteilung von preisbezogenen Behinderungsmissbräuchen

obliegt es der Kommission, die potentielle Verdrängungswirkung anhand der weiteren in Intel aufgezeigten Kriterien aufzuzeigen. Für die Kommission dürfte hingegen gelten, dass sich diese aufgrund der Prioritätenmitteilung auch für zukünftige Fälle nun selbst gebunden hat, einen AEC-Test durchzuführen und damit unilateral schärfere Standards auferlegt hat. Ob sie daher in Zukunft noch von der Durchführung eines Tests absehen kann, erscheint fraglich. Die betroffenen Unternehmen dürften jedenfalls vor dem Hintergrund des Urteils des EuGH sowie der Prioritätenmitteilung versuchen, einen Rechtsanspruch auf Durchführung des Tests herzuleiten und umfangreiche ökonomische Gutachten vorzulegen. b) Künftige Relevanz der per se Kategorie Angesichts des Intel-Urteils stellt sich die Frage, ob der Kategorie der per se verbotenen Wettbewerbsbeschränkungen für preisbezogene Behinderungsmissbräuche unter Art. 102 AEUV weiterhin eine Relevanz zukommen wird. Rein formal hält der EuGH für die in Intel gegenständlichen Treuerabatte an der Kategorie fest687, scheint dieser nun jedoch eine andere Bedeutung beizumessen. Der Prüfungsmaßstab für diese Fallgruppe zeichnete sich bislang dadurch aus, dass sich ein Unternehmen der Einstufung der Verhaltensweise als missbräuchlich nicht mehr entziehen konnte, sobald es dieser Kategorie unterfiel. Die Kommission war in diesen Fällen von ihrer Darlegungs- und Beweislast entbunden, während das Unternehmen auf der zweiten Stufe darlegungs- und beweisbelastet war, sein Verhalten objektiv zu rechtfertigen. Die Eignung zur Erzeugung einer Verdrängungswirkung ergab sich hierzu bereits allein aus der Form, während eine Wirkungsanalyse auf Tatbestandsebene entbehrlich war. In Intel eröffnet der EuGH dem Unternehmen nun jedoch die Möglichkeit, bereits die Eignung auf der Tatbestandsebene durch qualifiziertes Bestreiten zu widerlegen. Vor diesem Hintergrund wird teilweise angekommen, es handele sich bei dieser „Klarstellung“ um eine Abkehr von der per se Missbräuchlichkeit von Ausschließlichkeitsrabatten.688 Gleichwohl ist die Möglichkeit qualifizierten Bestreitens in Intel den Umständen des Einzelfalls geschuldet gewesen. Daraus eine allgemeine Aussage ableiten zu wollen, erscheint verfrüht und nicht angezeigt. So ist auch nicht klar, ob die Durchführung des Tests als Verfahrensvorgabe womöglich nur die Kommission trifft und nationale Wettbewerbsbehörden sowie mitgliedstaatliche Gerichte weiterhin von der formbasierten Anwendung Gebrauch machen können. Vor diesem Hintergrund dürfte es zu weit gehen, die generelle Qualität von Ausschließlichkeitsrabatten als per se missbräuchlich in Frage zu stellen. Darüber hinaus liegt es im Interesse der 687

Vgl. EuGH, Urteil vom 6. 9. 2017, Rs. C-413/14 P, EU:C:2017:632, Rn. 137 – Intel. So insbesondere Wernicke, der meint, der EuGH kaschiere seine Abkehr von Marktstrukturargumenten, indem eine bloße „Konkretisierung“ behauptet wird, vgl. Wernicke, EuZW 2017, 850, 860. 688

III. Rabattsysteme

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Rechtssicherheit, eine klar begrenzte Fallgruppe wie die der Exklusivitätsrabatte nicht vorschnell aufzugeben. So scheint zumindest die Einordnung der Fallgruppe der Treuerabatte als ihrem Wesen nach und damit per se missbräuchlich in Frage gestellt, jedoch angesichts der großen verfahrensrechtlichen Komponente des IntelUrteils nicht obsolet. Es bleibt abzuwarten, ob der EuGH auch in Zukunft qualifiziertes Bestreiten auf der Tatbestandsebene ausreichen lassen wird, wenn die Prüfung der handelnden Wettbewerbsbehörde keinen Anlass zur Anhörung von Gegenvortrag als Ausdruck von Waffengleichheit gegeben hat. In der per se Kategorie verbleiben nach dem Urteil so jedenfalls die Fallgruppe der Preise unter den durchschnittlichen variablen Kosten sowie Alleinbezugsverpflichtungen. Gleichwohl dürfte sich auch für Letztere die Frage stellen, ob die nun im Intel-Urteil vermeintlich angelegte wirkungsbasierte Beurteilung von Treuerabatten sich auf aufgrund des engen Zusammenhangs zwischen diesen Fallgruppen ebenfalls auf diese auswirkt. Hierzu wird man abwarten müssen, welche Konsequenzen die Rechtsanwendungspraxis aus dem Urteil zieht. c) Die Form des Rabatts Im Gegensatz zu dem EuG und dem Generalanwalt enthält sich der EuGH in seinem Urteil allgemeiner Aussagen zur Unterteilung von Rabattsystemen in verschiedene Kategorien. Gleichwohl könnten die zu Eingang getätigten Ausführungen des EuGH bei der Bewertung der streitgegenständlichen Rabatte so auszulegen sein, dass der EuGH Treuerabatte weiterhin als eigenständige Kategorie begreift.689 Bislang war die Rechtsprechung so zu lesen, dass Ausschließlichkeitsrabatte lediglich in Ausnahmefällen gerechtfertigt sein können. Eine Untersuchung der konkreten Auswirkungen war für die Feststellung eines Missbrauchs nach Art. 102 AEUV daher nicht notwendig. Erst auf der zweiten Stufe der Prüfung auf der Rechtfertigungsebene sollten die konkreten Umstände des Einzelfalls Berücksichtigung finden. Nur Rabatte der dritten Kategorie sollten anhand „sämtlicher Umstände des Einzelfalls“ zu beurteilen sein. Diesen Prüfungsmaßstab hatten die Unionsgerichte bereits in den Entscheidungen Michelin I und Michelin II sowie British Airways aufgestellt und insbesondere in Post Danmark II konkretisiert. Neben den Kriterien und Modalitäten der Rabattgewährung sollen auch der Umfang der beherrschenden Stellung des betreffenden Unternehmens und die besonderen Wettbewerbsbedingungen auf dem relevanten Markt zu prüfen sein. Nun scheint es so, also ob zumindest vor dem Hintergrund der besonderen Umstände des Einzelfalls auch für die Fallgruppe der Treuerabatte weitere Faktoren wie das Marktumfeld und die Reichweite der Rabatte Berücksichtigung finden können. Vor diesem Hintergrund könnte die Kategorisierung von Rabatten an Relevanz verlieren. In diese Richtung könnte man auch schon die Schlussanträge der 689

Urteil vom 6. 9. 2017, Rs. C-413/14 P, EU:C:2017:632, Rn. 137 – Intel.

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D. Beurteilung von preisbezogenen Behinderungsmissbräuchen

Generalanwältin Kokott in Post Danmark II lesen, die insoweit ausführte, es sei für die Beurteilung nicht maßgeblich, ob man das betreffende Rabattsystem einer herkömmlichen Kategorie zuordnen könne.690 Gleichwohl würde es angesichts der konkreten Bezugnahme auf Hoffmann-La Roche zu weit gehen, von einer grundsätzlichen Aufgabe der Einteilung von Rabatten auszugehen. Im Gegenteil hat diese zumindest formal weiterhin Bestand und wirkt sich auch weiterhin auf den Umfang der Darlegungs- und Beweislast der Kommission im ersten Prüfungsschritt aus. So genügt die Einstufung als Ausschließlichkeitsrabatt zunächst weiterhin für die Feststellung der Eignung zur Verdrängung, ohne dabei einzelne Umstände vorzutragen. Diese können dann jedoch dann im Rahmen der sekundären Darlegungslast an Bedeutung gewinnen. d) Konsequenzen für die Bußgeldpraxis Unter Zugrundlegung einer weiten Auslegung von Intel erscheint fraglich, ob eine effektive Durchsetzung des Missbrauchsverbots und die Verhängung von Bußgeldern in Zukunft noch möglich sein werden. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf das zur Verhängung von Bußgeldern erforderliche Verschulden. So wird insbesondere dem sog. Storytelling in Kartellbußgeldverfahren eine größere Bedeutung zukommen. Eine Auswirkungsanalyse auf Tatbestandsebene eröffnet dem Unternehmen vielfältige Möglichkeiten, Erklärungsmöglichkeiten für sein Verhalten aufzuzeigen. Betroffene Unternehmen werden das Urteil daher zum Anlass nehmen, die Eignung ihres Verhaltens zur Erzeugung einer Verdrängungswirkung unter Vorlegung umfangreicher Beweise zu bestreiten. Hierbei ist zu erwarten, dass umfangreiche ökonomische Gutachten sowie Dokumente und Indizien vorgelegt werden. Gerade kleinere nationale Wettbewerbsbehörden könnten so gezwungen sein, mangels Ressourcen von einer Verfolgung derartiger Fälle abzusehen. Zudem sind hier auch die sog. stand-alone Fälle zu nennen, bei denen sich das auf dem Zivilrechtsweg klagende Unternehmen nicht auf die Bindungswirkung einer Behördenentscheidung berufen kann und den Nachweis des Missbrauchs selbst zu führen hat. Das Urteil könnte daher auch Implikationen für die Geltendmachung von Schadensersatz betroffener Unternehmen haben. Es scheint insoweit, als habe der EuGH die Konsequenzen dieser Entscheidung und seine Implikationen für die Bußgeldpraxis und die zivilrechtliche Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen nicht in Gänze durchdacht. Eine enge Auslegung des Urteils würde hingegen einige dieser Bedenken entkräften können. Es bleibt daher abzuwarten, wie sich das Urteil auf die künftige Rechtsanwendungspraxis auswirkt.

690 GA’in Kokott, Schlussanträge vom 21. 5. 2015, Rs. C-23/14 P, EU:C:2015:343, Rn. 29 – Post Danmark II.

III. Rabattsysteme

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e) Gültigkeit einer de-minimis-Schwelle Zugleich wirft die Bezugnahme auf den Umfang der Markterfassung die Frage nach der Gültigkeit einer de-minimis-Schwelle auf. Wie bereits dargelegt, war der bisherigen Rechtsprechung die Ablehnung einer derartigen Schwelle zu entnehmen. Auch zuletzt in Post Danmark II hatte der EuGH noch Relevanz einer irgendwie gearteten Spürbarkeitsschwelle verneint691. Es erscheint daher fernliegend, dass der EuGH diese Aussage nun mit der Bezugnahme auf den Umfang der Markterfassung zur Feststellung der Eignung692 zur Erzeugung einer Verdrängungswirkung in Intel inzident revidieren wollte. Vielmehr soll der Umfang der Markterfassung ein Kriterium darstellen, was die Kommission bei der Würdigung des Gegenvortrages des Unternehmens zu berücksichtigen hat. f) Eigene Bewertung und Ausblick Das Urteil beinhaltet einige Neuerungen für die Beurteilung von Ausschließlichkeitsrabatten. Es ist insbesondere deshalb als Meilenstein in der europäischen Missbrauchsaufsicht anzusehen, da in Zukunft bereits eine Wirkungsanalyse zur Feststellung eines Missbrauchs nötig sein kann. So hält der EuGH unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung aus Hoffmann-La Roche zwar formal an der per se Missbräuchlichkeit von loyalitätsinduzierenden Treuerabatten fest, das bisherige per se Verbot erhält dadurch jedoch – zumindest in diesem Fall – den Charakter einer widerlegbaren Vermutung.693 Zugleich bleibt festzuhalten, dass der EuGH den Versäumnissen des EuG, die von Intel vorgebrachten Beweise zu würdigen, in seiner Entscheidung viel Raum verschafft und seine Zurückweisung damit zu großen Teilen auf prozedurale Aspekte stützt. Diese Betonung der prozeduralen Komponente durch den EuGH eröffnet zwei verschiedene Interpretationsmöglichkeiten. So könnte das Urteil eng auszulegen sein und die Zurückverweisung aufgrund der mangelnden Berücksichtigung des Parteivortrages durch das EuG lediglich prozedural begründet seit. Genauso könnte das Urteil so zu lesen sein, dass der EuGH die per se Kategorie darin für obsolet erklärt und einen Wirkungsnachweis – unter Einbeziehung des AEC-Tests – für jede Fallgruppe zum allgemeinen Maßstab erhebt. Die Betrachtung der Pressemitteilung des EuGH legt eine enge Auslegung des Urteils nahe. So wird darin hervorgehoben, dass der Gerichtshof das Urteil wegen der unterbliebenen Prüfung des gesamten Vorbringens Intels zu dem von der Kommission

691 EuGH, Urteil vom 6. 10. 2015, Rs. C-23/14, EU:C:2015:651, Rn. 72 – 74 – Post Danmark II. 692 EuGH, Urteil vom 6. 9. 2017, Rs. C-413/14 P, EU:C:2017:632, Rn. 139 – Intel. 693 So auch Wernicke, EuZW 2017, 850, 860.

154

D. Beurteilung von preisbezogenen Behinderungsmissbräuchen

durchgeführten AEC-Test aufhebt.694 Zudem handelt es sich bei dem Urteil des EuGH in erster Linie um eine Einzelfallentscheidung, die den besonderen Umständen des Einzelfalls geschuldet ist. So hat die Kommission selbst eine Prüfung anhand des AECTests durchgeführt und diese als alternativen Begründungsstrang aufgezeigt. Es ist daher nur eingängig, dass der EuGH eine vollständige Überprüfung dieser Tatsachenbasis vom EuG verlangt. Gleichwohl wird man sich nicht davor verschließen können, dass der angelegte Systemwechsel mit seinem Eingriff in die Grundstruktur scheinbar die Züge einer substantiellen Änderung der Rechtsprechung trägt. Das Urteil des EuGH scheint in jedem Fall ein Kompromiss zwischen den Bestrebungen zur Öffnung gegenüber ökonomisch geleiteten Erwägungen und dem Festhalten an einer regelbasierten Bewertung bestimmter Verhaltensweisen zu sein. So werden in der Großen Kammer sicher diverse Implikationen einer klaren Positionierung diskutiert und im Ergebnis Zugeständnisse an beide Seiten in das Urteil aufgenommen worden sein. Das Urteil erscheint daher nicht in jeder Hinsicht stimmig und so auch nicht unbedingt geeignet, die gültigen Maßstäbe für die Missbrauchsaufsicht über Rabattsysteme für die nächsten Jahre vorzugeben. Die Implikationen des Intel-Urteils für die Praxis und die künftige Anwendung des Missbrauchsverbots nach Art. 102 AEUV sind daher nicht so klar, wie es zunächst den Anschein haben mag. Wer hier auf ein sorgfältig elaboriertes Urteil gewartet hat, dürfte enttäuscht sein. Auch nach dem Intel-Urteil bleiben einige Fragen offen, die in der künftigen Rechtsanwendungspraxis geklärt werden müssen. Der EuGH hat zu einigen Punkten, die wiederholt Gegenstand von Debatten waren, nicht Stellung bezogen, sondern sich darauf beschränkt, das Verfahren unter Bezugnahme auf zwei wesentliche Punkte zurückzuverweisen. So äußert er sich nicht zur Kategorisierung von Rabatten, obwohl diese Thematik sowohl in dem Urteil des EuG als auch in den Schlussanträgen des Generalanwalts einen großen Raum eingenommen hat. Zudem bleiben auch Fragen hinsichtlich der genauen Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast der Kommission offen. Es stellt sich insbesondere die Frage, wie das Verfahren ausgegangen wäre, wenn die Kommission einen derartigen Test eben nicht durchgeführt hätte und sich stattdessen lediglich auf die bestehende per se Missbräuchlichkeit der Fallgruppe gestützt hätte. Eine endgültige Klärung wird diese Frage wohl erst erfahren, wenn der EuGH in einem Vorlageverfahren mit der mangelnden Bereitschaft einer Wettbewerbsbehörde zur Durchführung eines AECTests konfrontiert wird. Es bleibt damit weiterhin offen, ob die Entscheidung der Kommission im Ergebnis bestätigt wird. Dies ist angesichts einer Verfahrensdauer von acht Jahren und rund 17 Jahre nach der Beschwerde von AMD ein unbefriedigendes Ergebnis. Es bleibt daher zu hoffen, dass sich in absehbarer Zeit – neben der nun durch das EuG erfolgenden Überprüfung – die Gelegenheit bieten wird, weitere Konkretisierungen vorzunehmen. 694 Vgl. Pressemitteilung Nr. 90/17 des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 6. September 2017.

E. Vergleichende und zusammenfassende Betrachtung: Gesamtanalyse und Bewertung der Rechtsprechung zu Art. 102 AEUV Im folgenden Abschnitt sollen die im vorangegangenen Abschnitt herausgearbeiteten Prüfungsmaßstäbe der europäischen Gerichte zu den einzelnen Fallgruppen des preisbezogenen Behinderungsmissbrauchs nach Art. 102 AEUV einer vergleichenden Betrachtung unterzogen werden. Dazu sollen zunächst die allgemeinen Beurteilungskriterien missbräuchlicher Behinderung dargestellt werden. In einem zweiten Schritt werden die Prüfungsmaßstäbe der europäischen Gerichte zur Beurteilung der jeweiligen Fallgruppen aufgezeigt und analysiert. Von Bedeutung ist dabei insbesondere, ob der Nachweis konkreter Auswirkungen auf den Markt für die Feststellung der Missbräuchlichkeit einer Verhaltensweise erforderlich ist und welcher Maßstab von Wahrscheinlichkeit dabei zur Anwendung gelangt. Insbesondere gilt es dabei zu klären, welches Begriffsverständnis bei dem Rekurrieren auf das Erfordernis wettbewerbsbeschränkender Auswirkungen zugrunde zu legen ist. Zudem ist für die zentrale Fragestellung dieser Arbeit von Interesse, ob dabei ein einheitlicher Prüfungsmaßstab Anwendung findet und ob der As efficient competitorTest Bestandteil der Prüfung ist.

I. Allgemeine Beurteilungskriterien missbräuchlicher Behinderung in der Rechtsanwendungspraxis der europäischen Gerichte Aus der Darstellung der Rechtsprechung lassen sich zusammenfassend einige allgemeine Leitkriterien filtern, die von den europäischen Gerichten zur Beurteilung von Behinderungsmissbräuchen entwickelt worden sind und nach wie vor in ständiger Rechtsprechung als Ausgangspunkt für die Beurteilung einer Verhaltensweise nach Art. 102 AEUV herangezogen werden. 1. Leistungswettbewerb als Oberkriterium Die bereits eingangs in Hoffmann-La Roche aufgestellte Formel des EuGH695 zur Identifizierung einer missbräuchlichen Verhaltensweise stellt nach wie vor den 695 Vgl. EuGH, Urteil vom 13. 2. 1979, Rs. 85/76, EU:C:1979:36 – Hoffmann-La Roche: „Verhaltensweisen eines Unternehmens in beherrschender Stellung umfasst, die die Struktur eines Marktes beeinflussen können, auf dem der Wettbewerb gerade wegen der Anwesenheit des

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E. Vergleichende und zusammenfassende Betrachtung

Ausgangspunkt der Prüfung eines Missbrauchs dar. Demnach gilt ein Verhalten dann als missbräuchlich, wenn es zur Beeinflussung der Marktstruktur geeignet ist, den noch bestehenden Restwettbewerb oder dessen Entwicklung behindert und Ausdruck eines leistungsfremden Mittels ist.696 So lassen sich in (nahezu) allen dargestellten Urteilen Bezugnahmen auf den Begriff des Leistungswettbewerbs finden.697 Auch in dem jüngst ergangenen Urteil in Intel leitete der EuGH seine maßgeblichen Ausführungen mit einer Wiederholung dieses Prinzips ein.698 Die Abgrenzung von Leistungswettbewerb und Nichtleistungswettbewerb stellt somit den gemeinsamen zentralen Ausgangspunkt der vom EuGH entwickelten Prüfungssystematik dar. Das Konzept des Leistungswettbewerbs (competition on the merits, concurrence par les mérites) war zunächst vor allem im deutschen Sprachraum unter dem Einfluss der ordoliberalen Denkschule sehr weit verbreitet und hat so Eingang in die europäische Rezeption gefunden.699 So hatte erstmalig Nipperdey anlässlich eines Privatgutachtens im Benrather Tankstellenfall den Begriff des Leistungswettbewerbs herangezogen.700 Eine wesentliche Fortentwicklung hat der Begriff sodann durch Ulmer erfahren, der in seinem Aufsatz unter Rückgriff auf lauterkeitsrechtliche Wertungen einen Katalog von Verhaltensweisen erarbeitete, die einen Missbrauch darstellen sollten.701 Ausgangspunkt der Beurteilung eines Verhaltens soll nach dem zentralen Begriff des Leistungswettbewerbs sein, ob die eingesetzte Geschäftspraxis Ausdruck einer „besseren“ Leistung ist. Sowohl in der Rechtsprechung als auch in der Literatur sucht man jedoch vergeblich nach einer trennscharfen Abgrenzung des Begriffs oder einer Auflistung der dem Leistungswettbewerb zuzuschreibenden Kriterien. Gemeinhin lässt sich dieser jedoch als ein Angebot an besseren Produkten, niedrigeren Preise und höherer Qualität umschreiben. Die Analyse der Rechtsanwendungspraxis hat zwar vereinzelt Hinweise auf eine weitere Konkretisierung dieser Begrifflichkeit gegeben, jedoch führt auch diese nicht zu einem feststehenden Prüfungsmaßstab und bedarf einer weiteren Konkretisierung anhand der einzelnen Fallgruppen. So kam in fraglichen Unternehmens bereits geschwächt ist, und die die Aufrechterhaltung des auf dem Markt noch bestehenden Wettbewerbs oder dessen Entwicklung durch die Verwendung von Mitteln behindern, welche von den Mitteln eines normalen Produkt-oder Dienstleistungswettbewerbs auf der Grundlage der Leistungen der Marktbürger abweichen.“ 696 EuGH, Urteil vom 13. 2. 1979, Rs. 85/76, EU:C:1979:36, Rn. 23 – Hoffmann-La Roche. 697 Siehe hierzu beispielhaft EuG, Urteil vom 12. 6. 2014, Rs. T-286/09, EU:T:2014:547, Rn. 205 – Intel, EuGH, Urteil vom 3. 7. 1991, Rs. C-62/86, EU:C:1991:286, Rn. 69 – AKZO; EuGH, Urteil vom 9. 11. 1983, Rs. 322/81, EU:C:1983:313, Rn. 70 – Michelin I; EUGH, Urteil vom 15. 3. 2007, Rs. C-95/04 P, EU:C:2007:166, Rn. 66 – British Airways; EuGH, Urteil vom 27. 3. 2012, Rs. C-209/10, EU:C:2012:172, Rn. 22 – Post Danmark I. 698 EuGH, Urteil vom 6. 9. 2017, Rs. C-413/14 P, EU:C:2017:632, Rn. 134 – Intel. 699 Wurmnest, Marktmacht und Verdrängungsmissbrauch, S. 346, Riziotis, in: Mackenrodt/ Conde Gallego/Enchelmaier (Hrsg.), Abuse of Dominant Position, S. 89 f., 91. 700 Nipperdey, Wettbewerb und Existenzvernichtung, S. 17 ff. 701 Ulmer, GRUR 1977, 565 ff.; vgl. auch Wurmnest, Marktmacht und Verdrängungsmissbrauch, S. 345.

I. Missbräuchliche Behinderung in der Rechtsanwendungspraxis europ. Gerichte 157

Hoffmann-La Roche zum Ausdruck, dass Vergünstigungen unter anderem dann als leistungsfremd eingestuft werden, wenn diese „nicht auf einer wirtschaftlichen Leistung [des Abnehmers], die diese Belastung oder den Vorteil rechtfertigt“, beruhen.702 Damit rückte der EuGH hier das Merkmal der kongruenten wirtschaftlichen Gegenleistung in den Vordergrund. Dies gilt insbesondere für die Fallgruppe der Rabattsysteme.703 Im Urteil Post Danmark I führte der EuGH an, dass der Leistungswettbewerb bereits definitionsgemäß dazu führen könne, dass Wettbewerber, deren Angebot „insbesondere im Hinblick auf Preise, Auswahl, Qualität und Innovation“ für Verbraucher weniger interessant sei, vom Markt verdrängt werden.704 Trotz der vereinzelten Ansätze zur Konkretisierung verbleiben Zweifel an der Tragfähigkeit der Begrifflichkeit des Leistungswettbewerbs als Maßstab für die Abgrenzung von wettbewerbsschädlichen und wettbewerbsförderlichen Verhalten. Dies ist zunächst dem hohen Maß an Abstraktheit und Wertungsoffenheit des Begriffes zuzuschreiben, die eine Auslegung in Abhängigkeit von wirtschaftspolitischen Zielsetzungen und Leitideen begünstigt. So verwundert es nicht, dass die Bezugnahme auf den Leistungswettbewerb (competition on the merits) in den USA im engen Zusammenhang mit dem Leitbild der Konsumentenwohlfahrt steht und auch in diesem Lichte ausgelegt wird, während die europäische Rechtspraxis nach dem Vorbild der ordoliberalen Schule Verbrauchervorteilen und Effizienzerwägungen zur Konkretisierung des Begriffes keinen Stellenwert beimisst.705 Eine allgemeingültige wissenschaftlich fundierte Abgrenzung des Begriffs, wie sie für die konkrete Umsetzung in die Rechtspraxis notwendig wäre, erscheint daher nicht möglich. Darüber hinaus birgt der Begriff des Leistungswettbewerbs bei seiner Übertragung in die Rechtsanwendungspraxis die Gefahr eines sog. over-enforcement, da einzelne Verhaltensweisen vergleichsweise leicht als Nichtleistungswettbewerb eingestuft werden können, ohne dass es einer Analyse der Marktumstände bedarf. Zudem sind gerade preisbezogene Behinderungsmissbräuche oftmals ambivalent, sodass sie sowohl Ausdruck eines leistungsfremden Mittels als auch einer stärkeren Leistungskraft sein können.706 Gleichzeitig darf jedoch nicht in Vergessenheit geraten, dass das Rekurrieren der Unionsgerichte auf den Begriff des Leistungswettbewerbs als Ausgangspunkt einer Analyse zu sehen ist, die für die verschiedenen Fallgruppen weitere Elemente miteinbezieht und insoweit mit dieser Begrifflichkeit lediglich ein Verbindungselement wählt. Die europäischen Gerichte ergänzen insoweit die Begrifflichkeit um zusätzliche Elemente, die neben der Wahl des bloßen Mittels auch die wahrscheinlichen bzw. potentiellen Auswirkungen eines Verhaltens berücksichtigt. Insoweit erscheint die Gefahr eines over-enforcement geringer als gemeinhin angenommen. 702

EuGH, Urteil vom 13. 2. 1979, Rs. 85/76, EU:C:1979:36, Rn. 90 – Hoffmann-La Roche. Paul, Behinderungsmissbrauch nach Art. 82 und der „more economic approach“, S. 129. 704 EuGH, Urteil vom 27. 3. 2012, Rs. C-209/10, EU:C:2012:172, Rn. 30 – Post Danmark I. 705 Paul, Behinderungsmissbrauch nach Art. 82 EG und der „more economic approach“, S. 139 m.w.N. 706 Wurmnest, Marktmacht und Verdrängungsmissbrauch, S. 347. 703

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E. Vergleichende und zusammenfassende Betrachtung

2. Besondere Verantwortung des marktbeherrschenden Unternehmens Während das Kriterium des Leistungswettbewerbs bereits in der Entscheidung Hoffmann-La Roche als Beurteilungsmaßstab aufgestellt wurde, bezog sich der EuGH in seiner darauf folgenden Entscheidung Michelin I erstmalig in erster Linie auf die „besondere Verantwortung“ des marktbeherrschenden Unternehmens.707 Wörtlich heißt es in Michelin I dazu: „Die Feststellung, dass eine marktbeherrschende Stellung gegeben ist, beinhaltet für sich keinen Vorwurf gegenüber dem betreffenden Unternehmen, sondern bedeutet nur, dass dieses unabhängig von Ursachen dieser Stellung eine besondere Verantwortung dafür trägt, dass es durch sein Verhalten einen wirksamen und unverfälschten Wettbewerb auf dem Gemeinsamen Markt nicht beeinträchtigt“.708 (Hervorhebungen durch die Verfasserin)

Zunächst herrschte Unklarheit darüber, inwieweit das Merkmal der besonderen Verantwortung zur Auslegung des Tatbestands herangezogen werden sollte.709 Zugleich schien jedoch eine rein deskriptive Funktion dieser Aussage fernliegend, da das Missbrauchsverbot ganz offensichtlich besondere Verhaltensverpflichtungen an das Vorliegen einer marktbeherrschenden Stellung knüpft.710 Die europäischen Gerichte haben daher auch in der auf Michelin I folgenden Rechtsprechung klargestellt, dass dem Merkmal der besonderen Verantwortung bei der weiteren Konkretisierung und Auslegung des Art. 102 AEUV eine besondere Bedeutung zukommt. Es lässt eine Ahndung und Sanktionierung von Verhalten zu, das in den Händen eines nicht marktbeherrschenden Unternehmens – und damit auf einem von wirksamen und funktionierenden Wettbewerb geprägten Markt – als Ausdruck einer normalen Geschäftspraxis gelten würde.711 Insoweit findet sich in den Urteilen der europäischen Gerichte die Überlegung, dass Erwägungen, die bei Vorherrschen einer normalen Wettbewerbslage auf dem Markt gelten, nicht uneingeschränkt auf den Fall des bereits aufgrund der Anwesenheit eines marktbeherrschenden Unternehmens eingeschränkten Wettbewerbs übertragen werden dürfen.712 Dieser Bewertungsmaßstab steht im engen Zusammenhang mit der Vorstellung, dass die Wettbewerbsstruktur durch die Anwesenheit des marktbeherrschenden Unternehmens oh707 Berg, in: Berg/Mäsch, Art. 102 AEUV Rn. 28; Huttenlauch/Lübbig, in: Loewenheim/ Meessen/Riesenkampff/Kersting/Meyer-Lindemann, Art. 102 AEUV Rn. 5; Mestmäcker/ Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 16 Rn. 44. 708 EuGH, Urteil vom 9. 11. 1983, Rs. C-322/81, EU:C:1983:313, Rn. 57 – Michelin I. 709 Vgl. Paul, Behinderungsmissbrauch nach Art. 82 EG und der „more economic approach“, S. 131. 710 Whish, Competition Law (2004), S. 189: „In one sense it is a statement of the obvious: it is clear that Article 82 imposes obligations on dominant firms that non-dominant firms do not bear.“ 711 Østerud, Identifying Exclusionary Abuses by Dominant Undertakings under EU Competition Law, S. 34; Nihoul, JECLAP 2014, 521, 526. 712 EuG, Urteil vom 23. 10. 2003, Rs. T-66/98, EU:T:2003:281, Rn. 159 – Van den Bergh Foods.

I. Missbräuchliche Behinderung in der Rechtsanwendungspraxis europ. Gerichte 159

nehin schon geschwächt ist. Demnach handelt ein Marktbeherrscher missbräuchlich, wenn sein Handeln die Marktstruktur weiter verschlechtert. Seither lässt sich, wie auch die obige Analyse der Rechtsprechung zeigt, in zahlreichen Entscheidungen die Grundaussage, dass marktbeherrschende Unternehmen die besondere Verantwortung haben, dass durch ihr Verhalten der wirksame und unverfälschte (Rest-)Wettbewerb nicht beeinträchtigt wird, wiederfinden.713 In der Praxis bedeutet das Merkmal der besonderen Verantwortung für das marktbeherrschende Unternehmen zunächst eine Einschränkung der Handlungsmöglichkeiten. Es impliziert damit zugleich, dass die Interessen des marktbeherrschenden Unternehmens zu einem gewissen Grad zurückstehen müssen, sofern eine Beeinträchtigung der Marktstruktur oder eine Erschwerung des Marktzugangs zu befürchten ist. Das Gleiche gilt für eine Einschränkung der Absatzmöglichkeiten der Konkurrenz aufgrund von Kundenbindungswirkungen. Diesem Umstand kommt bei der Verwendung von Rabattsystemen besondere Bedeutung zu, da hier die Nachfrage in einem besonderen Maße beim marktbeherrschenden Unternehmen gebunden wird. Der Betonung einer besonderen Verantwortung marktherrschender Unternehmen haftet zugleich ein Fairnesselement an. Dem betroffenen Unternehmen wird anknüpfend an seine Stellung eine Pflicht zur Rücksichtnahme auferlegt. Diese ist oftmals Gegenstand von Kritik und wird als Protektionismus ausgelegt.714 In diesem Zusammenhang wird den europäischen Gerichten vielfach der Vorwurf gemacht, sie würden Wettbewerber und nicht den Wettbewerb schützen.715 Oftmals wird hierbei zu bedenken gegeben, dass die betreffenden Unternehmen ihre herausragende Position im Markt im Wettbewerb mit anderen Unternehmen erlangt haben und sich durch Innovationen oder Fleiß von weiteren Konkurrenten abgehoben haben. Eine daran anknüpfende „Bestrafung“ erscheint daher vergleichsweise interventionistisch. Da dieser Aspekt bei staatlichen Monopolen anders zu beurteilen sei, wird teilweise eine Differenzierung anknüpfend an den Ursprung der marktbeherrschenden Stellung vorgeschlagen.716

713 EuGH, Urteil vom 9. 11. 1983, Rs. 322/81, EU:C:1983:313, Rn. 57 – Michelin I; EuGH, Urteil vom 14. 11. 1996, Rs. C-333/94 P, EU:C:2003:436, Rn. 31 – Tetra Pak II; EuGH, Urteil vom 2. 4. 2009, Rs. C-202/07 P, EU:C:2009:214, Rn. 105 – France Télécom; EuGH, Urteil vom 14. 10. 2010, Rs. C-280/08 P, EU:C:2010:603 Rn. 176 – Deutsche Telekom; EuGH, Urteil vom 17. 2. 2011, Rs. C-52/09, EU:C:2011:83, Rn. 24 – TeliaSonera; EuGH, Urteil vom 27. 3. 2012, Rs. C-209/10, EU:C:2012:172, Rn. 23 – Post Danmark I, EuGH, Urteil vom 6. 9. 2017, Rs. C413/14 P, EU:C:2017:632, Rn. 135 – Intel. 714 So sprechen Niels/Jenkins, ECLR 2005, 605 vom „bull in a china shop“. 715 Vgl. zu diesem Vorwurf Paul, Behinderungsmissbrauch nach Art. 82 EG und der „more economic approach“, S. 141; Whish/Bailey, Competition Law, S. 204; zur Diskussion, ob das amerikanische Antitrustrecht den Wettbewerb schützt, das europäische Kartellrecht hingegen Wettbewerber, siehe auch Schweitzer, The History, Interpretation and Underlying Principles Of Section 2 Sherman Act And Article 82 EC in: Ehlermann/Marquis, European Competition Law Annual 2007, S. 119, 138 ff. 716 Venit, JECLAP 2016, 165, 178.

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E. Vergleichende und zusammenfassende Betrachtung

Die Zuschreibung einer besonderen Verantwortung eines marktbeherrschenden Unternehmens erscheint zugleich als Ausdruck eines europäischen Ansatzes der Regulierung von Marktmacht.717 Dieser ist stärker als in den USA von einem gewissen Misstrauen gegenüber Marktmacht geprägt und beinhaltet die Fokussierung auf marktstrukturelle Aspekte. Im Ergebnis führt dies zu einer strengeren Bewertung von Marktverhalten marktbeherrschender Unternehmen. Verhalten, das in den USA als aggressiver Wettbewerb eingeordnet wird, wird im europäischen Wettbewerbsrecht bereits oftmals als Ausdruck einer leistungsfremden Gesinnung eingestuft.718 Hierbei ist jedoch zu berücksichtigen, dass das US-amerikanische Recht einen Vorfeldtatbestand kennt. Mit dem Versuch der Monopolisierung knüpft das USamerikanische Kartellrecht damit an einen früheren Zeitpunkt an, sodass die Umsetzung des Schutzes im Vergleich lediglich einen anderen Ansatzpunkt erfährt. In der Gesamtschau erlaubt das Merkmal der besonderen Verantwortung eine recht strikte Beurteilung von Verhaltensweisen eines marktbeherrschenden Unternehmens. Gleichzeitig vermag es jedoch keine konkreten Kriterien für die Beurteilung eines Missbrauchs an die Hand zu geben. Es dient vielmehr als Rechtfertigung für die Einstufung eines Verhaltens als missbräuchlich.719 Dabei wird die Berücksichtigung des Marktumfeldes zwar nicht völlig entbehrlich gemacht720, jedoch führt die Konstruktion einer besonderen Verantwortung zugleich zu einer subtilen Verlagerung der Darlegungslast zuungunsten des Marktbeherrschers.721 Die europäischen Gerichte haben damit einen Maßstab konstruiert, der eine weitreichende Strukturverantwortung des marktbeherrschenden Unternehmens mit sich bringt. Trotz aller Kritik und Bedenken erscheint die Konzeption einer besonderen Verantwortung des marktbeherrschenden Unternehmens gerechtfertigt. Marktbeherrschende Unternehmen sind aufgrund ihrer Stellung im Markt nur eingeschränkt den Gesetzmäßigkeiten des Wettbewerbs unterworfen. Daher können Geschäftspraktiken, die auf funktionsfähigen Märkten Ausdruck eines gesunden Wettbewerbsverhaltens darstellen und den Konkurrenzkampf stimulieren, bei Umsetzung durch ein marktbeherrschendes Unternehmen gegenteilige Effekte entfalten. Gleichermaßen ist ein Verhalten, das darauf gerichtet ist, dem Wettbewerb zu schaden, in 717

So auch Paul, Behinderungsmissbrauch nach Art. 82 EG und der „more economic approach“, S. 142. 718 Amato, Antitrust and the Bounds of Power: The Dilemma of Liberal Democracy in the History of the Market, S. 114 f. 719 Østerud, Identifying Exclusionary Abuses by Dominant Undertakings Under EU Competition Law, S. 38. 720 So soll der sachliche Anwendungsbereich der besonderen Verantwortung „anhand der spezifischen Umstände des jeweiligen Einzelfalls“ zu ermitteln sein, vgl. EuGH, Urteil vom 16. 3. 2000, verb. Rs. C-395/96 P und C-396/96 P, EU:C:2000:132 – Compagnie maritime belge; EuGH, Urteil vom 14. 11. 1996, Rs. C-333/94 P, EU:C:1996:436, Rn. 24 – Tetra Pak II. 721 Paul, Behinderungsmissbrauch nach Art. 82 EG und der „more economic approach“, S. 141.

I. Missbräuchliche Behinderung in der Rechtsanwendungspraxis europ. Gerichte 161

den Händen eines marktbeherrschenden Unternehmens auch mit hoher Wahrscheinlichkeit dazu geeignet. Dabei muss die Kontrolle der Ausübung von Marktmacht bereits zu einem Zeitpunkt ansetzen können, zu dem sich die negativen Auswirkungen noch nicht realisiert haben und zu einem Erliegen von Wettbewerb geführt haben. Eine nachträgliche Reanimation des Wettbewerbs erscheint angesichts der auf dem betroffenen Markt vorherrschenden Strukturen um ein Vielfaches erschwert. Daher ist dieser Grundsatz auch nicht allein Ausdruck einer negativen Grundhaltung gegenüber marktstarken Unternehmen, sondern die Reflexion marktstruktureller Realitäten. Marktbeherrschende Unternehmen verfügen aufgrund ihrer Position über die Möglichkeit, noch vorhandenem Wettbewerb zu schaden und sollten daher besonderen Verhaltenspflichten unterworfen sein.722 3. Subjektive Elemente: Verdrängungsabsicht Wenngleich die europäischen Gerichte vielfach betont haben, dass es sich bei dem Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung um ein „objektives Konzept“ handelt723, haben auch die Motivation des Marktbeherrschers und die mit dem betreffenden Verhalten verfolgten Ziele in der Spruchpraxis zunehmend Berücksichtigung gefunden. In diesem Zusammenhang haben sich sowohl die Kommission als auch die europäischen Gerichte zur Aufgabe gemacht, die Motive des marktbeherrschenden Unternehmens für die Implementierung der betreffenden Verhaltensweise in die Beurteilung einzubeziehen. Eine besondere Anerkennung fand der subjektive Tatbestand in der Entscheidung der Kommission in AKZO724 und dem Urteil des EuGH in gleicher Sache.725 Dem Kriterium der Verdrängungsabsicht kommt für beide AKZO-Regeln konstitutive Bedeutung zu. Das Vorliegen eines Plans zur Ausschaltung von Konkurrenten stellt zudem das wesentliche Element der Missbrauchsentscheidung der Kommission dar.726 Auch die Finalität des Marktverhaltens im Sinne eines „Abzielens“ ist bei der Bewertung von Preismissbräuchen in die Bewertung durch die Gerichte eingeflossen.727 In diesen Kanon der Berücksichtigung von subjektiven Merkmalen fügen sich auch die Urteile Michelin II und British Airways ein. Demnach muss untersucht werden, ob die betreffende Verhaltensweise „darauf abzielt, dem Abnehmer durch die Gewährung eines Vorteils, der 722

Nihoul, JECLAP 2014, 521, 526. EuGH, Urteil vom 21. 2. 1973, Rs. 6/72, EU:C:1973:22, Rn. 29 – Continental Can, EuGH, Urteil vom 13. 2. 1979, Rs. 85/76, EU:C:1979:36, Rn. 91 – Hoffmann-La Roche; EuGH, Urteil vom 3. 7. 1991, Rs. C-62/86, EU:C:1991:286, Rn. 69 – AKZO; EuGH, Urteil vom 17. 2. 2011, Rs. C-52/09, EU:C:2011:83, Rn. 27 – TeliaSonera. 724 Kommission, Entscheidung vom 14. 12. 1985, ABl.1985 Nr. L 374, Rn. 79 – AKZO. 725 EuGH, Urteil vom 3. 7. 1991, Rs. 62/86, EU:C:1991:286, Rn. 72 – AKZO. 726 Kommission, Entscheidung vom 14. 12. 1985, ABl.1985 Nr. L 374, Rn. 79 – AKZO. 727 EuGH, Urteil vom 14. 10. 2010, Rs. C-280/08, EU:C:2010:603, Rn. 175 – Deutsche Telekom; EuGH, Urteil vom 27. 03. 2012, Rs. C-209/10, EU:C:2012:172, Rn. 26 – Post Danmark I. 723

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E. Vergleichende und zusammenfassende Betrachtung

nicht auf einer ihn rechtfertigenden wirtschaftlichen Leistung beruht, die Wahl zwischen mehreren Bezugsquellen unmöglich zu machen oder zu erschweren“.728 In der Literatur sind sogar einzelne Stimmen zu finden, die in der Verdrängungsabsicht das entscheidende Kriterium für die Bewertung einzelner Formen des preisbezogenen Behinderungsmissbrauchs sehen.729 Gegenüber der Berücksichtigung subjektiver Tatbestandsmerkmale hat sich jedoch in den vergangenen Jahren zunehmend Kritik formiert.730 Dies liegt vor allem an den Defiziten, die eine derartige Betrachtung der Absichten und Motive der marktbeherrschenden Unternehme mit sich bringt. Der Kritik ist insoweit berechtigt, als die Berücksichtigung subjektiver Absichten für sich genommen kein hinreichend belastbares Kriterium zur Abgrenzung darstellt. Innere Beweggründe sind oftmals schwer nachweisbar und vielschichtig.731 Eine reine Vernichtungsabsicht lässt sich nicht mit Sicherheit von einer Konkurrentenverdrängung als erwünschter Nebenfolge einer erfolgreichen Geschäftsstrategie abgrenzen. Jedes Unternehmen wird dazu auch Prognosen anstellen, inwieweit sich eine bestimmte Strategie zum Nachteil der Wettbewerber auswirkt.732 Eine Bewertung derartiger Überlegungen als missbräuchlich könnte leicht zu sogenannten false positives führen. Zugleich reicht das Vorliegen einer bloßen Absicht nicht aus, den Wettbewerb potentiell oder faktisch zu beeinträchtigen. Eine derartige Kausalität zwischen der wettbewerbsfeindlichen Absicht und der Wettbewerbsschädlichkeit gibt es nicht.733 Daher muss auch immer dargelegt werden, dass das betreffende Verhalten eines Marktbeherrschers auch objektiv geeignet ist, den Wettbewerb zu beeinträchtigen. Als Zwischenergebnis lässt sich daher festhalten, dass die Betrachtung der Verdrängungsabsicht für sich genommen wenig Aufschluss darüber zu geben vermag, ob ein Verhalten wettbewerbswidrig ist. Subjektive Merkmale sollten demnach in der Rechtspraxis weiterhin eine Prüfung anhand objektiver Kriterien flankieren, diese jedoch nicht ersetzen. 4. Zusammenfassung und kritische Würdigung Mit den Prinzipien des Leistungswettbewerbs und der besonderen Verantwortung des marktbeherrschenden Unternehmens haben die Unionsgerichte einen schlüssigen Rahmen entwickelt, der als Verklammerung zur Beurteilung der einzelnen Missbrauchsformen zu dienen vermag. Die allgemeinen Leitprinzipien geben dabei 728

EuG, Urteil vom 30. 9. 2003, Rs. T-203/01, EU:T:2003:250, Rn. 240 – Michelin II. Für die Fallgruppe des Kampfpreismissbrauchs: Pries, Kampfpreismissbrauch im ökonomisierten EG-Kartellrecht, S. 199 ff. 730 Paul, Behinderungsmissbrauch nach Art 82 EG und der „more economic approach“, S. 145 ff.; Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV, Rn. 149 ff. 731 So auch Wurmnest, Marktmacht und Verdrängungsmissbrauch, S. 345. 732 Rummel, Rechtssicherheit bei der Anwendung des equally efficient competitor-Tests, S. 114. 733 Bien, ZHR 176 (2012), 128, 131. 729

I. Missbräuchliche Behinderung in der Rechtsanwendungspraxis europ. Gerichte 163

den grundsätzlichen Rahmen für die Beurteilung von Behinderungsmissbräuchen vor, müssen aber durch konkrete Kriterien zur Abgrenzung ergänzt werden. Den entscheidenden Begrifflichkeiten des Leistungswettbewerbs und der besonderen Verantwortung fehlt es insoweit an terminologischer Klarheit, als dass sie für sich genommen bereits hinreichend konkrete Elemente für die Prüfung vorgeben könnten. In der konkreten Fallbetrachtung stellen beide Konzepte daher nicht viel mehr als den analytischen Ausgangspunkt zur Abgrenzung von missbräuchlichem und erlaubtem Verhalten dar. Zugleich wird diese offene Annäherung der Konzeption des Missbrauchsverbots im besonderen Maße gerecht. Durch die Zugrundelegung eines derartig offenen Analyserahmens, der konsistent für alle Formen des preisbezogenen Behinderungsmissbrauchs Anwendung findet, kann im Ausgangspunkt ein in sich schlüssiger rechtlich-dogmatischer Rahmen geschaffen werden. Zugleich haben die Unionsgerichte erkannt, dass die Betrachtung des Verhaltens des marktbeherrschenden Unternehmens für sich genommen unter Ausblendung weiterer Elemente der Komplexität von Behinderungsmissbräuchen nicht gerecht wird. Daher sind gerade in jüngerer Zeit vermehrt Bestrebungen zu beobachten, die den Auswirkungen des betreffenden Verhaltens größere Bedeutung bei der Untersuchung eines Verhaltens beimessen wollen. Über den genauen Bezugspunkt und den Umfang dieser Analyse wird kontrovers diskutiert. Die unterschiedlichen Auffassungen stehen dabei auch spiegelbildlich für die Schutzzweckdebatte und reflektieren die verschiedenen Ansätze dieser Diskussion. Den konkreten Bestrebungen soll im Folgenden bei der Bewertung der einzelnen Analysemaßstäbe genauer nachgegangen werden. Durch die Fokussierung auf marktstrukturelle Gesichtspunkte bei der Annäherung an den Tatbestand des Missbrauchsverbots werden zudem bestimmte Tests oder Verfahren bei der Untersuchung von Behinderungsmissbräuchen nicht exkludiert. Die offene Konzeption ermöglicht die Adaption neuer Maßstäbe oder die Anpassung an neue Erkenntnisse. Im Ausgangspunkt ist daher ein sehr flexibler Rahmen vorgegeben, der auch dem Wunsch einer dynamischen Auslegung des Art. 102 AEUV durch die europäischen Gerichte gerecht wird. Anhand des gemeinsamen Ursprungs in Form übergreifender Prinzipien wie des Leistungswettbewerbs und der besonderen Verantwortung wird zugleich der evolutive Charakter der Rechtsprechung deutlich. Wenngleich diese Begriffe auf den ersten Blick bedeutungslos und vage anmuten, so geben sie ungeachtet ihrer terminologischen Unbestimmtheit einen gemeinsamen Rahmen für die Beurteilung von preisbezogenen Behinderungsmissbräuchen vor.

164

E. Vergleichende und zusammenfassende Betrachtung

II. Prüfungsmaßstäbe zur Beurteilung konkreter Fallgruppen der missbräuchlichen Behinderung: Vorgaben aus dem Maßstab der rechtlichen Konsistenz 1. Rechtliche Konsistenz als Ausdruck eines effektiven Rechtsschutzes Die Begrifflichkeit der Konsistenz wird im allgemeinen juristischen Sprachgebrauch verwendet, ohne dass die Rechtssprache ihr einen eindeutigen Bedeutungsgehalt beimisst.734 Bei dem hier als Maßstab rechtlicher Konsistenz bezeichneten Prinzip handelt es sich weniger um ein dogmatisches Gebot als um ein rechtspolitisches Postulat. Mit dem Begriff der Konsistenz ist primär die Stimmigkeit der Bewertungskriterien gemeint. Konsistenz ist damit gleichzeitig ein Obergriff für Vorhersehbarkeit, Rechtssicherheit, Klarheit und Widerspruchsfreiheit bei der Anwendung des Art. 102 AEUV durch Rechtsprechung und Praxis. Das Gebot rechtlicher Beurteilungskonsistenz verleiht insoweit dem maßgeblichen Prinzip, dass vergleichbare Sachverhalte nicht in widersprüchlicher Weise behandelt werden dürfen, Ausdruck. Daher besteht die Notwendigkeit, ökonomisch oder rechtlich äquivalentes Verhalten anhand einheitlicher Maßstäbe zu bewerten. Der Konsistenz kommt insoweit auch als Element von Rechtsschutzeffektivität Bedeutung zu.735 In der konkreten Rechtsanwendung verlangt das Postulat der Konsistenz daher ein „In-Beziehung-Setzen“ der verschiedenen Maßstäbe. Die konkrete Umsetzung konsistenter Maßstäbe für die Beurteilung preisbezogener Behinderungsmissbräuche ist auf unterschiedliche Weise denkbar. Eine Möglichkeit ist die Anwendung eines einheitlichen Maßstabes auf eine klar definierte Obergruppe. Hierzu hat der Untersuchungsgegenstand preisbezogene Behinderungsmissbräuche vorgegeben. Statt der Anwendung eines einheitlichen Prüfungsmaßstabs ist auch die Umsetzung eines uneinheitlichen Ansatzes zur Bewertung der untersuchten Fallgruppen möglich. Hierbei ist die Herstellung von Konsistenz im besonderen Maße von der Stimmigkeit und der Nachvollziehbarkeit der Wertungskriterien geprägt. Grundsätzlich ist zur Bildung eines einheitlichen Missbrauchsmaßstabs auch eine Anknüpfung an Marktergebnisse oder rein verhaltensbezogene Elemente denkbar. Hierbei kommt es entscheidend darauf an, ob und in welchem Umfang tatsächliche oder wahrscheinliche Auswirkungen auf den Markt nachgewiesen werden müssen, damit ein tatbestandlicher Missbrauch im Sinne des Art. 102 AEUV vorliegt. Weiterhin ist maßgeblich, auf welche Art und Weise dieser Nachweis erbracht werden soll und ob beispielsweise die Durchführung quantitativer Tests wie des As efficient competitor-Tests notwendig und erforderlich sind. Als letzte Frage gilt es zu klären, welche Marktteilnehmer (Verbraucher, Wettbewerber etc.) bzw. Rechtsgüter von den Auswirkungen betroffen sein müssen. Diese Frage reflektiert zugleich die intensiv geführte Schutzzweckdebatte.736 734 735 736

Schmidt-Assmann, Kohärenz und Konsistenz des Verwaltungsrechtsschutzes, S. 6. Schmidt-Assmann, Kohärenz und Konsistenz des Verwaltungsrechtsschutzes, S. 159. Bulst, in: Langen/Bunte, Art. 102 AEUV Rn. 128.

II. Prüfungsmaßstäbe

165

2. Konsistenz der Maßstäbe der europäischen Gerichte a) Rechtsnatur des Art. 102 AEUV: Das Missbrauchsverbot als Gefährdungsdelikt Das Vorliegen eines Missbrauchs nach Art. 102 AEUV ist nach der Rechtsprechung grundsätzlich an das Vorliegen wettbewerbswidriger Auswirkungen geknüpft. Die Annahme eines Missbrauchs scheidet demnach aus, wenn das betreffende Verhalten frei von einer wettbewerbswidrigen Wirkung auf den Markt ist. Dieser Grundsatz gilt für alle untersuchten Fallgruppen gleichermaßen. Gleichwohl müssen wettbewerbswidrige Auswirkungen nicht tatsächlich eintreten. Es genügt eine „potentiell wettbewerbswidrige Wirkung“.737 Die bloße Eignung des Verhaltens, eine missbräuchliche Verdrängungswirkung zu entfalten, reicht damit für die Verwirklichung des Art. 102 AEUV aus. Nach der Rechtsprechung erfolgt keine detaillierte Analyse der konkreten Wirkungen. Es genügt bereits, dass ein Verhalten „darauf gerichtet ist, den Wettbewerb zu beschränken“ oder „eine solche Wirkung haben kann“.738 Gleichermaßen lässt die Rechtsprechung die „Gefahr einer Ausschaltung von Konkurrenten“ ausreichen.739 Hauptaugenmerk liegt dabei darauf, ob eine bestimmte Verhaltensweise Wettbewerbern schadet oder in ihren Möglichkeiten einschränkt. Art. 102 AEUV wird demnach in der Rechtspraxis als Gefährdungs- und nicht als Erfolgsdelikt verstanden.740 Hierzu findet sich in der englischsprachigen Literatur die Begrifflichkeit „inchoate offence“ (unvollendete Straftat), um diesen Gedanken zum Ausdruck zu bringen.741 Jedoch scheint im Hinblick auf die einzelnen Fallgruppen des Missbrauchsverbots eine Unterscheidung dahingehend getroffen werden, ob diese als konkretes oder abstraktes Gefährdungsdelikt eingeordnet werden.742 Für einige Fallgruppen wird daher das Hinzutreten eines qualifizierten Nachweises verlangt. Die Prüfsystematik dieser Fallgruppen deckt sich hinsichtlich einiger Punkte mit demjenigen anderer Fallgruppen, sieht aber insgesamt eine intensivere Prüfung der potentiellen Auswirkungen auf den Wettbewerb vor und verlangt das Vorliegen konkreter Anknüpfungspunkte. In diesen Konstellationen 737 EuGH, Urteil vom 17. 2. 2011, Rs. C-52/09, EU:C:2011:83, Rn. 64 f. und 71 – TeliaSonera; EuGH, Urteil vom 19. 4. 2012, EU:C:2012:221, Rn. 79 – Tomra; so auch Brand, in: Frankfurter Kommentar Kartellrecht, Art. 102 AEUV, Mai 2016, Rn. 154. 738 EuG, Urteil vom 30. 9. 2003, Rs. T-203/01, EU:T:2003:250, Rn. 239 – Michelin II. 739 EuGH, Urteil vom 14. 11. 1996, Rs. C-333/94 P, EU:C:1996:436 Rn. 33 – Tetra Pak II. 740 EuGH, Urteil vom 14. 11. 1996, Rs. C-333/94, EU:C:1996:436, Rn. 44; EuG, Urteil vom 30. 1. 2007, Rs. T-340/03, EU:T:2007:22, Rn. 195 f. – France Télécom; EuG, Urteil vom 7. 9. 1999, Rs. T-228/97, EU:T:1999:246, Rn. 191 – Irish Sugar; EuG, Urteil vom 8. 10. 1996, verb. Rs. T-24/93 u. a., EU:T:1996:139, Rn. 149 – Compagnie Maritime Belge; EuGH, Urteil vom 14. 10. 2010, Rs. C-280/08 P, EU:C:2010:603, Rn. 254 – Deutsche Telekom; vgl. ferner Wurmnest, Marktmacht und Verdrängungsmissbrauch, S. 349; Leupold, EuZW 2011, 346, 347; Lettl, WuW 2016, 214, 215; Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 144; Bulst, in: Langen/Bunte, Art. 102 AEUV Rn. 128. 741 Lovdahl Gormsen, World Competition 36 (2013), 223, 227. 742 Zu diesem Ansatz auch Leupold, EuZW 2011, 339, 347.

166

E. Vergleichende und zusammenfassende Betrachtung

sieht die Rechtsprechung den Art. 102 AEUV eher als konkretes Gefährdungsdelikt an.743 Auch die Kommission hat in der Prioritätenmitteilung festgelegt, ihr Vorgehen von der „Wahrscheinlichkeit“ der Schädigung abhängig zu machen.744 Dies scheint über den von der Rechtsprechung praktizierten Standard der bloßen Eignung hinauszugehen, macht aber gleichermaßen den tatsächlichen Schadenseintritt nicht zur Voraussetzung für das Vorliegen eines Missbrauchs.745 Insoweit sind insgesamt Tendenzen dahingehend zu erkennen, den Art. 102 AEUV zu einem konkreten Gefährdungsdelikt umzuformen.746 Hierbei sind die gesteigerten Nachweisanforderungen an die Missbräuchlichkeit einer Verhaltensweise sowie die insbesondere von der Kommission angestoßene verstärkte Untersuchung der tatsächlichen Auswirkungen auf den Wettbewerb zu nennen.747 Ungeachtet dieser Bestrebungen steht bislang die Schaffung und nicht die Verwirklichung einer Gefahr im Vordergrund bei der Anwendung des Art. 102 AEUV. Insoweit hat das Missbrauchsverbot weiterhin nicht den Charakter eines Verletzungsdeliktes. b) Maßstab für die Missbräuchlichkeit: Die Erforderlichkeit von Auswirkungsnachweisen bei preisbezogenen Behinderungsmissbräuchen Ein Auswirkungsnachweis erfüllt die Funktion, die verhaltensorientierte Prüfung des Art. 102 AEUV um ein markterfolgsbezogenes Merkmal zu ergänzen. Rein dem Wortlaut des Art. 102 AEUV nach ist das Vorliegen negativer Auswirkungen für die Tatbestandsmäßigkeit des betreffenden Verhaltens nicht erforderlich. Gleichwohl macht die Auslegungsbedürftigkeit der Tatbestandsmerkmale des Missbrauchsverbots die Verwirklichung derartiger Nachweise zugleich notwendig und möglich. Die Analyse der Rechtsprechung zu preisbezogenen Behinderungsmissbräuchen führt hinsichtlich der Erforderlichkeit eines derartigen Nachweises zu einem geteilten Bild. Ein reiner Auswirkungsansatz ist für keine der untersuchten Fallgruppen festzumachen. Ungeachtet dessen haben Elemente, die eine genauere Analyse der Auswirkungen eines bestimmten Verhaltens erforderlich machen, Eingang in die Rechtsprechung gefunden. Vor allem in der Rechtsanwendungspraxis der Kommission lässt sich in den letzten Jahren verstärkt das Bestreben beobachten, öko743

Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 145. Kommission, Prioritätenmitteilung, Rn. 19 f. 745 So auch Brand, in: Frankfurter Kommentar Kartellrecht, Art. 102 AEUV, Mai 2016, Rn. 154. 746 Kritisch zu diesen Bestrebungen der Kommission: Brand, in Frankfurter Kommentar Kartellrecht, Art. 102 AEUV, Mai 2016, Rn. 156, 292; kritisch zu den gesteigerten Nachweisanforderungen auch: Eilmansberger/Bien, in: Münchener Kommentar, Europäisches Wettbewerbsrecht, Art. 102 AEUV Rn. 549. 747 Vgl. Kommission, Prioritätenmitteilung, Rn. 20 ff. 744

II. Prüfungsmaßstäbe

167

nomische Analysen in die Prüfung einzubeziehen.748 Zugleich erscheint die Debatte um die Erforderlichkeit der Feststellung von Auswirkungen von großer Unbestimmtheit geprägt und zugleich von wettbewerbspolitischen Debatten überlagert. So ist nicht klar, was mit der Begrifflichkeit der „Auswirkungen“ im konkreten Fall genau gemeint sein soll. Aus der Rechtsprechung lassen sich hinsichtlich der genauen Begriffsdimension keine eindeutigen Erkenntnisse gewinnen. Es herrscht grundsätzlich Einigkeit dahingehend, dass eine Verhaltensweise ohne das Vorliegen wettbewerbsschädlicher Effekte keinem Verbot unterliegt, jedoch wird oftmals nicht genau identifiziert, worin diese Auswirkungen genau bestehen soll und wie diese nachzuweisen sind. Insbesondere wird davon auszugehen sein, dass jede Verhaltensweise, die durch ein marktbeherrschendes Unternehmen umgesetzt wird, in irgendeiner Form Auswirkungen auf den Markt verursacht. Zudem geht aus der Diskussion nicht eindeutig hervor, welche dogmatische Begründung für das Vorliegen negativer Auswirkungen herangezogen werden soll: Müssen diese im Einzelfall nachgewiesen werden oder können sie bereits aufgrund der Form eines Verhaltens vermutet werden? Grundsätzlich sind verschiedene Anknüpfungspunkte denkbar. Diese sind zugleich eine Reflektion der diversen Schutzzwecke und ihrer jeweiligen Nutzbarmachung für die Analyse konkreter Fallgestaltungen sowie Ausdruck wettbewerbspolitischer Präferenzen. So können schädliche Auswirkungen auf die Wettbewerber, die Wettbewerbsstruktur oder auch auf die Konsumenten gemeint sein. In diesem Zusammenhang gilt es neben der Frage, auf wen sich die Auswirkungen beziehen müssen, auch zu klären, in welcher Form ein etwaiger Auswirkungsnachweis zu führen ist. Grundsätzlich bestehen zwei Möglichkeiten, Auswirkungen nachzuweisen. Zum einen gibt es die Vermutung wettbewerbswidriger Auswirkungen auf die Wettbewerbsstruktur, die durch das Vorliegen eines bestimmten Verhaltens begründet wird. Dies entspricht dem traditionellen Ansatz der europäischen Gerichte. Hierbei ist die abstrakte Eignung zur Hervorbringung schädlicher Effekte entscheidend. Eine weitere Möglichkeit ist die Durchführung einer einzelfallbezogenen Analyse unter Einbeziehung des rechtlichen und wirtschaftlichen Kontextes. Hierin liegt eine Annäherung an den Nachweis tatsächlicher negativer Effekte. Soweit die europäischen Gerichte, zumindest für die Fallgruppen der Kampfpreise und der Kosten-Preis-Schere, eine Ausschlusswirkung auf ebenso effiziente Wettbewerber wie das marktbeherrschende Unternehmen voraussetzen, liegt hierin zugleich ebenfalls ein Ausdruck der Fokussierung auf die potentiellen negativen Auswirkungen auf das Marktergebnis. Für die Kommission müssen negative Auswirkungen zudem auf einen Wettbewerbsparameter wie den Preis, das Angebot oder die Qualität der Produkte bezogen sein.749 Dies entspricht zumindest im Ansatz 748 Siehe hierzu beispielhaft die 150 Seiten einnehmende Analyse in der Intel-Entscheidung der Kommision, vgl. Kommission, Entscheidung vom 13. 3. 2009 – COMP/37.990, Rn. 926 ff. – Intel; sowie auch Kommission, Entscheidung vom 29. 3. 2006 – COMP/E-1/38.113, Rn. 285, 332 – Tomra. 749 Kommission, Prioritätenmitteilung, Rn. 19.

168

E. Vergleichende und zusammenfassende Betrachtung

auch einer marktergebnisbezogenen Betrachtung. Hierzu ist auch die Betrachtung weiterer Parameter im Rahmen einer Auswirkungsanalyse denkbar. So führte der EuGH bereits in Deutsche Telekom an, dass eine Kosten-Preis-Schere negative Wirkungen auf die Produktvielfalt und damit die Auswahlmöglichkeiten der Wettbewerber haben könne.750 In TeliaSonera stellte der EuGH ebenfalls auf die Entwicklung des Angebots auf dem Markt ab.751 Auch die Berücksichtigung von Effizienzgewinnen im Rahmen der objektiven Rechtfertigung zeugt von einer Relevanz der Auswirkungen auf das Marktergebnis zur Beurteilung eines Missbrauchs nach Art. 102 AEUV. Auf diese Weise finden auch Verbraucherinteressen zumindest implizit Berücksichtigung.752 Im Hinblick auf den Grad der Gefahr, der notwendig ist, um eine Tatbestandsmäßigkeit im Sinne des Art. 102 AEUV zu begründen, ergibt sich kein einheitliches Bild.753 So lässt sich oftmals die „Eignung“ („capability“) oder „Möglichkeit“ zur Erzeugung wettbewerbsbeschränkender Auswirkungen als entscheidender Maßstab in der Urteilen finden754, teilweise wird aber auch die „Wahrscheinlichkeit“ („likelihood“) der jeweiligen Auswirkungen als Bezugspunkt angesehen.755 Insoweit lassen sich auch terminologische Divergenzen in der Rechtsprechung finden.756 Dies trat insbesondere in dem Urteil Post Danmark II hervor.757 Hier schien der EuGH die aus der Rechtsprechung bekannten Maßstäbe zu vermischen. So verlangt er darin lediglich die Eignung des betreffenden Verhaltens zur Entfaltung einer wettbewerbsschädigenden Wirkung, die jeweils unter Würdigung der Umstände des Einzelfalls darzulegen ist, führt dann aber aus, dass diese Analyse dazu diene, festzustellen, ob das Verhalten zu einer tatsächlichen oder wahrscheinlichen Verdrängung von Wettbewerbern führe.758 Teilweise scheinen diese terminologischen Ungenauigkeiten jedoch auch der jeweiligen Übersetzung der französischen Sprachfassung

750 EuGH, Urteil vom 14. 10. 2010, Rs. C-280/08 P, EU:C:2010:603, Rn. 182 – Deutsche Telekom. 751 EuGH, Urteil vom 17. 2. 2011, Rs. C-52/09, EU:C:2011:83, Rn. 62 – TeliaSonera. 752 Leupold, EuZW 2011, 339, 347. 753 Østerud, Identifying Exclusionary Abuses by Dominant Undertakings under EU Competition Law, S. 205. 754 EuGH, Urteil vom 13. 2. 1979, Rs. 85/76, EU:C:1979:36, Rn. 127 – Hoffmann-La Roche; EuGH, Urteil vom 15. 3. 2007, Rs. C-95/04 P, EU:C:2007:166, Rn. 68 – British Airways; in diesem Sinne auch EuGH, Urteil vom 3. 7. 1991, Rs. C-62/86, EU:C:1991:286, Rn. 72 – AKZO. 755 Vgl. in etwa EuGH, Urteil vom 27. 3. 2012, Rs. C-209/10, EU:C:2012:172, Rn. 44 – Post Danmark I. 756 So auch GA Wahl, Schlussanträge vom 20. 10. 2016, Rs. C-413/14 P, EU:C:2016:788, Rn. 115 – Intel. 757 Vgl. EuGH, Urteil vom 6. 10. 2015, Rs. C-23/14, EU:C:2015:651, Rn. 67 ff. – Post Danmark II. 758 EuGH, Urteil vom 6. 10. 2015, Rs. C-23/14, EU:C:2015:651, Rn. 68 f. – Post Danmark II.

II. Prüfungsmaßstäbe

169

geschuldet zu sein.759 Die Grenzen zwischen der Schädigungseignung und der Schädigungswahrscheinlichkeit scheinen derweil nicht genau festgelegt und die Übergänge fließend zu sein. Indessen kann festgehalten werden, dass die „Eignung“ eine Plausibilität zur Erzeugung einer Verdrängungswirkung meint. Diese muss zunächst auf einem verhältnismäßig abstrakten Niveau bestimmt werden. Jedenfalls ist die Anwendung des Missbrauchsverbots daher nicht auf Fälle beschränkt, in denen das Verhalten des marktbeherrschenden Unternehmens bereits zu einem Erliegen des Wettbewerbs geführt hat. Bereits das Vorliegen einer (konkreten) Gefahr für die Marktstruktur und den unverfälschten Wettbewerb ist ausreichend.760 Wenngleich die Begriffe mitunter austauschbar wirken761, so scheint doch eine teilweise einheitliche Unterscheidung zwischen den verschiedenen Formen des preisbezogenen Behinderungsmissbrauchs getroffen zu werden. Für ein Verhalten, dessen Unzulässigkeit vermutet wird, genügt die abstrakte Eignung zur Wettbewerbsbeschränkung. Diese darf nicht rein hypothetischer Natur sein, muss jedoch nicht anhand eines konkreten Auswirkungsnachweises festgemacht werden. Dieser Maßstab betrifft insbesondere die Fallgruppe der Treuerabatte. Wenngleich der EuGH in Intel die Möglichkeit, diese Eignung bereits auf der Tatbestandsebene zu widerlegen eröffnet hat und das bislang geltende per se Verbot so scheinbar zu einer bloßen widerlegbaren Vermutung umfunktioniert hat, bleibt es zunächst bei diesem Maßstab. Die Kommission hat im Kartellverwaltungsverfahren zunächst nur die Eignung zur Erzeugung einer Verdrängungswirkung darzulegen. Lediglich bei Vorliegen eines qualifizierten Bestreitens können weitere Auswirkungsnachweise im Einzelfall erforderlich werden. Für andere Fallgruppen sieht die Rechtsprechung der Unionsgerichte gleichermaßen von vornherein eine nähere Auswirkungsprüfung vor. So verlangte der EuGH In Post Danmark I für die Fallgruppe der Kosten-PreisSchere den Nachweis einer „tatsächlichen oder wahrscheinlichen Verdrängung von Wettbewerbern.“762 Für Rabattsystem bleibt es hingegen auch nach den Maßstäben in Intel bei der bloßen Analyse der Eignung zur Verdrängung.763 Im Zusammenhang mit dem notwendigen Grad der Gefahr gilt es zudem auch die zeitliche Komponente zu berücksichtigen. Dieser Aspekt betrifft das Begriffspaar „tatsächlich oder potentiell“.764 Das Missbrauchsverbot muss eingreifen können, so759 So ist in der deutschen Sprachfassung des Urteils in Rn. 67 von der „Eignung“ die Rede, während die englische Sprachfassung an dieser Stelle verlangt, dass die Auswirkungen „likely“, mithin wahrscheinlich, sind. 760 Brand, in: Frankfurter Kommentar Kartellrecht, Art. 102 AEUV, Mai 2016, Rn. 155. 761 Für eine Austauschbarkeit der Begriffe wohl auch GA Wahl, Schlussanträge vom 20. 10. 2016, Rs. C-413/14 P, EU:C:2016:788, Rn. 115 – Intel. 762 EuGH, Urteil vom 27. 3. 2012, Rs. C-209/10, EU:C:2012:172, Rn. 44 – Post Danmark I. 763 Vgl. EuGH, Urteil vom 6. 9. 2017, Rs. C-413/14 P, EU:C:2017:632, Rn. 138 ff. – Intel. 764 So auch Ibañez Colomo/Lamadrid, in: Gerard/Merola/Meyring (Hrsg.), The Notion of Restriction of Competition: Revisiting the Foundations of Antitrust Enforcement in Europe (i.E.), S. 33, abrufbar unter: https://papers.ssrn.com/sol3/papers2.cfm?abstract_id=2849831, letzter Abruf: 29. 11. 2017.

170

E. Vergleichende und zusammenfassende Betrachtung

bald eine hinreichende Gefahr für den Wettbewerb droht und nicht erst, wenn sich diese bereits realisiert hat. Anders als die Fusionskontrolle ist die Missbrauchsaufsicht zwar nicht ein präventives Mittel zur Verhinderung der Entstehung von Marktmacht, ihr Nutzwert jedoch gleichermaßen auf ein rechtzeitiges Einschreiten der Behörden angewiesen. Dieser ex-ante Ansatz bereitet weitere Schwierigkeiten bei der Bestimmung der konkreten Eingriffsschwelle. Zum relevanten Zeitpunkt werden sichere Aussagen über die Auswirkungen eines Verhaltens oftmals nicht möglich sein. Daher gilt es, Wirkungszusammenhänge anhand der Bestimmung eines erforderlichen Grades der Wahrscheinlichkeit in konkrete Regeln zu übersetzen, um ein Eingreifen vor der Verwirklichung der Gefahr zu ermöglichen. Unter Anknüpfung an eine tatsächliche oder wahrscheinliche Verdrängung scheinen derweil die zeitlichen Grenzen zu verschwimmen. Jedenfalls wird eine tatsächliche Verdrängung nur im Wege einer ex-post Betrachtung nachzuweisen sein. Zu diesem Zeitpunkt könnte sich ein Einschreiten oftmals als verspätet darstellen, was für eine niedrigere Eingriffsschwelle in Form der grundsätzlichen Eignung zur Erzeugung wettbewerbsschädlicher Auswirkungen sprechen dürfte. Vor diesem Hintergrund bietet sich ein abstrakt-genereller Ansatz besser an als die nachträgliche Sanktion einer anhand eines aufwendigen Tests nachzuweisenden Beeinträchtigung des Wettbewerbs.765 c) Notwendigkeit der Durchführung eines Preis-Kosten-Vergleiches bei preisbezogenen Behinderungsmissbräuchen Die europäischen Gerichte haben die grundsätzliche Relevanz von Kosten-PreisVergleichen bei der Beurteilung einiger Fallgruppen des preisbezogenen Behinderungsmissbrauchs in ständiger Rechtsprechung anerkannt und bestätigt. So schloss der EuGH bereits in der Rechtssache AKZO auch aufgrund des Vergleiches der Kosten und Preise auf die Missbräuchlichkeit der verlangten Preise. In der darauf folgenden Rechtsprechung bestätigten die Unionsgerichte die Notwendigkeit der Durchführung des AEC-Tests zur Beurteilung von Kampfpreisen. Ebenso verhält es sich für die Fallgruppe der Kosten-Preis-Schere. In den Rechtssachen Deutsche Telekom, Telefónica und TeliaSonera bestätigten EuG und EuGH die Anwendung des AEC-Tests auf diese Form des preisbezogenen Behinderungsmissbrauchs. Im Vorabentscheidungsverfahren Post Danmark I bekräftigte der EuGH zudem die Maßgeblichkeit des Tests für selektive Preissenkungen. Gleichwohl stellt sich dies lediglich als Fortsetzung der Rechtsprechung dar und reflektiert geltendes Recht. Bereits vor der Prioritätenmitteilung wurde der AEC-Test auf diese Fallgruppen angewendet.766 Für die Fallgruppe der Rabattsysteme ergibt sich hingegen kein eindeutiger Befund. Bislang hatte der AEC-Test für die Fallgruppe der Rabattsysteme keinen 765 So auch Brand, in: Frankfurter Kommentar Kartellrecht, Art. 102 AEUV, Mai 2016, Rn. 292. 766 So auch Lovdahl Gormsen, World Competition 36 (2013), 223, 243.

II. Prüfungsmaßstäbe

171

Eingang in die Rechtsprechung gefunden. Im Gegenteil schienen auch die jüngere Rechtsprechung in Tomra, das Urteil des EuG in der Rechtssache Intel sowie das Urteil des EuGH in Post Danmark II darauf hinzudeuten, dass an diesem etablierten Grundsatz der Rechtsprechung festgehalten werden sollte. Das Urteil des EuGH in Intel deutet nun jedoch zumindest in Richtung einer Anpassung der Maßstäbe auch für diese Fallgruppe. Vor diesem Hintergrund scheint es nun offen, ob die Unionsgerichte den Ansatz der Kommission aus der Prioritätenmitteilung, der die Aufwertung des As efficient competitor-Test zum einheitlichen Maßstab für alle Fallgruppen des preisbezogenen Behinderungsmissbrauch vorsieht, in Zukunft umsetzen werden. Gleichwohl erklärt der EuGH in seinem Urteil den AEC-Test nicht zum allgemeinen Maßstab für diese Fallgruppe, sondern leitet seine Relevanz aus den besonderen Umständen des Einzelfalls ab. Dies bei den übrigen untersuchten Fallgruppen anders zu beurteilen. Hier ergibt sich die Relevanz des AEC-Tests aus der ständigen Rechtsprechung.767 Unter diesem Blickwinkel bleibt es bei der Zweiteilung, wenngleich zu erwarten sein wird, dass der AEC-Test vor dem Hintergrund der Selbstbindung der Kommission und der sich in Intel andeutenden Öffnung gegenüber der verstärkten Berücksichtigung quantitativer Element auch für die Fallgruppe der Rabattsysteme Eingang in die Fallpraxis finden wird, ohne ständiger Prüfungsmaßstab zu werden. Die Anwendung des AEC-Tests auf einige Fallgruppen, auf andere hingegen nicht, erschien auf den ersten Blick inkonsistent, da es sich bei allen Fallgruppen um Formen des preisbezogenen Behinderungsmissbrauchs handelt. Es ist jedoch nicht evident, dass der Ansatz der Kommission, einen einheitlichen Preis-Kosten-Test (unter gewissen Modifikationen) für alle Fallgruppen anzuwenden, einen in sich konsistenteren Rahmen bei der Anwendung des Missbrauchsverbots nach Art. 102 AEUV vorgeben würde. Die Anwendung des AEC-Tests auf die Fallgruppe der Rabattsysteme enthält eine Wertung dahingehend enthalten, dass diese mit den anderen Fallgruppen derart vergleichbar ist, dass es eines einheitlichen Prüfungsmaßstabes bedarf. Ob dies eine für die Missbrauchspraxis brauchbare Prämisse ist, wird in einem weiteren Abschnitt erörtert.768 An dieser Stelle sei nur gesagt, dass sich diverse Argumente ins Feld führen lassen, die die bislang vorherrschende Zweiteilung zumindest nachvollziehbar machen und rechtfertigen können. d) Zwischenergebnis: Maßstäbe der Spruchpraxis zur Beurteilung preisbezogener Behinderungsmissbräuche Insgesamt wenden die europäischen Gerichte keinen einheitlichen Test und keinen universellen Standard zur Bewertung von preisbezogenen Behinderungsmissbräuchen an. Vielmehr hat sich für jede Fallgruppe (unter gewissen Überschneidungen) ein eigener Prüfungsrahmen entwickelt. Bislang ließ sich eine 767 768

Siehe hierzu die Analyse der Entscheidungspraxis unter D. Siehe hierzu E.II.4.b)aa).

172

E. Vergleichende und zusammenfassende Betrachtung

Zweiteilung des Prüfungsprogramms zur Beurteilung der untersuchten Fallgruppen des preisbezogenen Behinderungsmissbrauchs verzeichnen. Während einige Verhaltensweisen ihrer Natur nach als schädlich eingestuft wurden, war für andere eine genauere Analyse der Auswirkungen erforderlich. In dem Intel-Urteil des EuGH scheint nun eine Annäherung für die Prüfungsmaßstäbe der einzelnen Fallgruppen angelegt zu sein. Jedoch darf nicht außer Acht gelassen werden, dass die vom EuGH verlangte Berücksichtigung des AEC-Tests zu weiten Teilen der durch die Kommission durchgeführten Analyse und damit den Umständen des Einzelfalls geschuldet war.769 Inwieweit daraus ein grundsätzlicher Gleichlauf der Prüfungsmaßstäbe für die einzelnen Fallgruppen abgeleitet werden kann, steht nach diesem Urteil nicht fest. Eine grundsätzliche Relevanz des AEC-Tests für die Fallgruppe der Rabattsysteme kann daraus nicht abgeleitet werden. Insbesondere behalten Treuerabatte formal ihre Einstufung als per se missbräuchlich bei, wenngleich an diese Kategorie nun eine andere Systematik geknüpft zu sein scheint. Zudem lassen sich nach wie vor spezifische Elemente der Prüfung für die einzelnen Fallgruppen ausmachen, die bei der Beurteilung preisbezogener Behinderungsmissbräuche auf verschiedene Art und Weise ihren Ausdruck finden. So ist zunächst die Prüfungsdichte für die einzelnen Verhaltensweisen von unterschiedlicher Intensität. Die Maßstäbe zur Bewertung der Kosten-Preis-Schere scheinen dabei besonders hoch angesetzt zu werden. Hier ist sowohl die Durchführung eines As efficient competitor-Tests als auch der zusätzliche Nachweis potentiell wettbewerbswidriger Wirkungen jenseits eines reinen Vergleiches von Kosten und Preisen erforderlich.770 Für die Fallgruppe der Kampfpreise ist derweil grundsätzlich die Durchführung eines Kosten-Preis-Tests erforderlich, jedoch wird die Durchführung eines Recoupment-Tests als Ausprägung eines weiteren konkreten Auswirkungsnachweises konsequent abgelehnt. Darin liegt ebenfalls eine parallele Wertung im Hinblick auf die Fallgruppe der Rabattsysteme und die Bestätigung eines strukturellen Ansatzes. Auch dies ist Ausdruck eines Maßstabs, der eine grundsätzliche Eignung zur Erzeugung schädlicher Auswirkungen ausreichen lässt. Zudem ist auch in der Rechtsprechung zu Kampfpreisen mit dem Verbot von Preisen unter den durchschnittlichen variablen Kosten eine Fallgruppe identifizierbar, die Gegenstand einer strengen Regel ist. Ungeachtet dessen sind auch für die Fallgruppe der Kampfpreise Bestrebungen dahingehend erkennbar, neben der Durchführung eines Kosten-Preis-Tests ein höheres Maß an konkreten Nachweisen für das Vorliegen wettbewerbswidriger Auswirkungen zu verlangen. So hat der EuGH in Post Danmark I angedeutet, dass die konkreten Auswirkungen auf den Wettbewerbsprozess einer genaueren Untersuchung bedürfen.771 Auch die Kommission verfolgt mit den in 769

Vgl. EuGH, Urteil vom 6. 9. 2017, Rs. C-413/14 P, EU:C:2017:632, Rn. 142 f. – Intel. EuGH, Urteil vom 14. 10. 2010, Rs. C-280/08 P, EU:C:2010:603, Rn. 254 f. – Deutsche Telekom; EuGH, Urteil vom 17. 2. 2011, Rs. C-52/09, EU:C:2011:83, Rn. 64 – TeliaSonera; EuGH, Urteil vom 27. 3. 2012, Rs. C-209/10, EU:C:2012:172, Rn. 44 – Post Danmark I. 771 EuGH, Urteil vom 27. 3. 2012, Rs. C-209/10, EU:C:2012:172, Rn. 39 f. – Post Danmark I. 770

II. Prüfungsmaßstäbe

173

der Prioritätenmitteilung dargelegten Konzepten der wettbewerbswidrigen Marktverschließung und des Gewinnopfers den Anspruch, weitere Elemente in die Beurteilung von Kampfpreisen einfließen zu lassen. Für die Fallgruppe der Rabattsysteme fand der AEC-Test bislang hingegen keine Anwendung. Nach dem IntelUrteil des EuGH scheint es nun grundsätzlich denkbar, dass der Test in Zukunft für die Fallgruppe der Rabatte an Bedeutung gewinnen wird. Ob er sich als festes Prüfkriterium durchsetzen wird, lässt sich zu diesem Zeitpunkt nicht mit Sicherheit vorhersagen, scheint jedoch weiterhin fernliegend. Die vom EuGH verlangte Überprüfung des Tests resultierte in dem konkreten Fall aus der zusätzlichen Durchführung des Tests durch die Kommission als alternativen Begründungsstrang und entsprechenden Gegenvortrag Intels und nicht aus seiner allgemeinen Relevanz als Prüfungsmaßstab für Rabattsysteme. Innerhalb der Fallgruppe der Rabatte findet bislang auch kein einheitlicher Test Anwendung. So wird zwischen verschiedenen Kategorien von Rabatten unterschieden, wobei für Mengenrabatte eine grundsätzliche Vermutung der Zulässigkeit, für Treuerabatte hingegen eine Vermutung der Unzulässigkeit gilt und für alle weiteren Rabatte eine Betrachtung der Umstände des Einzelfalles erforderlich ist. Diese Einteilung ist darauf zurückzuführen, dass bei Rabatten, von denen nicht bereits ihrer Natur nach die Missbräuchlichkeit angenommen wird, erst die Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls ein Verbot nach Art. 102 AEUV rechtfertigen soll. Insoweit stellt die Anwendung unterschiedlicher Maßstäbe keinen Widerspruch dar, sondern reflektiert lediglich das unterschiedliche Wesen der Rabatte.772 Soweit sich die Missbräuchlichkeit bereits aus der Natur des Rabatts ergibt, bedarf es nach diesem Maßstab denknotwendig keiner Berücksichtigung der Umstände aus dem Marktumfeld. Die Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls, wie sie für Rabatte der dritten Kategorie von Bedeutung ist, ist jedoch nicht gleichbedeutend mit der Analyse der potentiellen wettbewerbsschädlichen Auswirkungen, die der EuGH in TeliaSonera, Deutsche Telekom und Post Danmark I verlangt hat. Bei Letzterer steht die Betrachtung der Möglichkeiten eines ebenso effizienten Wettbewerbers, auf dem betroffenen Markt mit dem marktbeherrschenden Unternehmen zu konkurrieren, im Vordergrund. Bei Rabattsystemen liegt der Fokus – zumindest bislang – auf die durch das Rabattsystem begründete Reaktion der Abnehmer. Insbesondere geht es hier um eine Begrenzung der Wahlmöglichkeiten, Wechselanreize und eine durch Rabattsysteme entstehende Sogwirkung. Die Abschottungswirkung und damit auch eine Verdrängungswirkung gegenüber Konkurrenten werden in diesem Fall aus den Umständen hergeleitet.773 Die unterschiedlichen Prüfungsmaßstäbe finden insoweit auch in der Intensität der Prüfung einzelner Verhaltensweisen jenseits der Durchführung des AEC-Tests ihren Niederschlag. Für einige Fallgruppen des Behinderungsmissbrauchs hat die Rechtsprechung typisierte Fallgruppen entwickelt, von denen ohne weitere Analyse angenommen 772 Zu dieser Erwägung auch Italianer, The Object of Effects, Vortrag anlässlich der CRA Annual Brussels Conference, 10. 12. 2014, S. 3. 773 Lovdahl Gormsen, World Competition 36 (2013), 223, 238 f.

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E. Vergleichende und zusammenfassende Betrachtung

wird, dass sie einen Verdrängungseffekt entfalten. Für andere Fallgruppen findet hingegen eine vertiefte Prüfung statt. Hier sind es die Fallgruppen der Ausschließlichkeitsbindungen sowie die Preissetzung unterhalb der durchschnittlichen variablen Kosten als eine Form des Kampfpreismissbrauchs auf der einen Seite sowie die Kosten-Preis-Schere, selektive Preissenkungen als auch standardisierte Rabatte auf der anderen Seite, die sich gegenüber stehen.774 Die bislang auch unter die strenge Regel fallende Fallgruppe der Treuerabatte wird zwar weiterhin formal als per se wettbewerbswidrig betrachtet, es kann jedoch gleichwohl schon auf Tatbestandsebene eine Wirkungsanalyse erforderlich werden. Insoweit kommt dem Nachweis potentieller Auswirkungen im Einzelfall nun eine größere Bedeutung zu. So lässt sich dieses Bild auch anhand der Rechtsprechung der letzten Jahre nachzeichnen. Insbesondere in den Urteilen TeliaSonera und Post Danmark I ist ein auswirkungsbasierter Ansatz angeklungen.775 Während vor allem Post Danmark I nahezulegen schien, dass Art. 102 AEUV allein den Schutz eines ebenso effizienten Wettbewerbers bezweckt, legte der EuGH in Tomra wieder einen traditionelleren Ansatz zugrunde und ließ sich von derartigen Erwägungen nicht leiten. Vor allem das Intel-Urteil des EuG befand sich sodann wieder auf der Linie der tradierten Rechtsprechung, während der EuGH in seinem Urteil wieder vermehrt Effizienzerwägungen zum Gegenstand seiner Überlegung machte.776 Die Bewertungsmaßstäbe sind damit in jedem Fall nicht konsistent im Sinne der Anwendung eines einheitlichen Test für alle Fallgruppen, sondern von einem unterschiedlichen Prüfungsrahmen geprägt. Diese unterschiedlichen Prüfungsmaßstäbe äußern sich in der Rechtsprechung zu Art. 102 AEUV – wie bereits dargelegt – vordergründig darin, dass der AEC-Test zum Nachweis wettbewerbsschädlicher Auswirkungen nur für die Fallgruppen des Kampfpreismissbrauchs, der KostenPreis-Schere und selektiver Niedrigpreisstrategien Anwendung findet, während die europäischen Gerichte bei der Beurteilung von Rabattsystemen diesem Vorschlag der Kommission aus der Prioritätenmitteilung bislang nicht gefolgt sind. Derartige Fallgestaltungen wurden bislang mithilfe einer qualifizierten per se Verbotsregel beurteilt. Rabatte basierend auf Exklusivität waren daher verboten, sofern sie nicht objektiv gerechtfertigt werden können. Ob dieser Befund nach Intel noch Bestand haben wird, erscheint nun zumindest fraglich. So verlangte der EuGH darin – zumindest vor dem Hintergrund des durch die Kommission durchgeführten AEC-Tests – eine gerichtliche Überprüfung dieser Erwägungen und des entsprechenden Parteivortrages bereits auf Tatbestandsebene. Bei anderen Verhaltensweisen wie der Kosten-Preis-Schere in Deutsche Telekom oder selektiven Preissenkungen wie in Post Danmark I hat der EuGH hingegen in 774 Für diese Einteilung siehe auch Ibañez Colomo/Lamadrid, in: Gerard/Merola/Meyring (Hrsg.), The Notion of Restriction of Competition: Revisiting the Foundations of Antitrust Enforcement in Europe (i.E.), S. 17, abrufbar unter: https://papers.ssrn.com/sol3/papers2.cfm? abstract_id=2849831, letzter Abruf: 29. 11. 2017; Ibañez Colomo, C.M.L Rev. 53 (2016), 709. 775 So auch Whish, JECLAP 2015, 1, 2. 776 EuGH, Urteil vom 6. 9. 2017, Rs. C-413/14 P, EU:C:2017:632, Rn. 133 f., 139 f. – Intel.

II. Prüfungsmaßstäbe

175

ständiger Rechtsprechung klargestellt, dass der Nachweis wettbewerbsschädlicher Auswirkungen Voraussetzung für ein Verbot ist. Gleichwohl erfährt die Zweiteilung für bestimmte Ausprägungen einer Missbrauchsform gewisse Durchbrechungen. So sind nach den in AKZO aufgestellten und ausdrücklich durch Tetra Pak II bestätigten Maßstäben Preise unter den durchschnittlichen variablen Kosten grundsätzlich missbräuchlich, ohne dass es des Nachweises einer Verdrängungsabsicht bedarf. Auch dieser Ansatz zur Bewertung derartiger Preisstrategien stellt sich als quasi per se Verbot dar wie es bislang für die Beurteilung von Treurabatten zur Anwendung gelangt war. Demnach steht für diese Fallgruppen auch die abstrakte Eignung, negative Auswirkungen hervorzubringen und nicht die tatsächliche Erzeugung dieser Effekte selbst im Vordergrund. Dabei wird diese ebenfalls anhand spezifischer Charakteristika und damit von einer bestimmten Form abgeleitet. 3. Gefahren unterschiedlicher Maßstäbe: Die Kategorisierung missbräuchlichen Verhaltens als Fehlerquelle in der Fallpraxis? Die Anwendung eines uneinheitlichen Prüfungsmaßstabs birgt diverse Gefahren für die effektive Anwendung des Missbrauchsverbots. So führt die Anwendung unterschiedlicher Maßstäbe auf ähnliche oder gar vergleichbare Sachverhalte zu Rechtsunsicherheit und verkürzt damit zugleich den Handlungsspielraum betroffener Unternehmen. Auf der anderen Seite begegnet eine in sich nicht schlüssige Behandlung von vergleichbaren missbräuchlichen Verhaltensweisen auch Bedenken im Hinblick auf die potentiell dadurch begünstigte Reaktion der betroffenen Unternehmen. Diese werden womöglich dazu motiviert, ihre Verdrängungsstrategie nach den Maßstäben der Rechtsprechung auszurichten, sodass auch die Schaffung von Fehlanreizen im Raum steht. Dadurch droht ein Ausweichverhalten der Unternehmen, um bestimmte Kategorien zu vermeiden (sog. category shopping).777 Dieses Verhalten kann zu einer Schädigung des Wettbewerbs führen, da das von den Unternehmen alternativ gewählte Verhalten die gleichen negativen Effekte haben kann. Ob eine Verhaltensweise als missbräuchlich beurteilt wird, kann unter Anwendung dieses Ansatzes allein von der Kategorisierung des Verhaltens abhängen. Weitere Faktoren wie die Auswirkungen auf den Markt oder die Verbraucher finden keine Berücksichtigung. Diese Fokussierung auf eine Kategorisierung birgt daher die Gefahr einer unterschiedlichen Beurteilung von Verhaltensweisen, die zwar nicht hinsichtlich ihrer Form, aber hinsichtlich ihrer Wirkung vergleichbar sind. So kann die Zuordnung zu einer bestimmten Kategorie bereits das Ergebnis eines Falles beeinflussen. Das liegt daran, dass die Zuordnung zu einer bestimmten Kategorie das daran geknüpfte Prüfprogramm auslöst. Da dieses aber unterschiedlich streng ist, i. e. Auswirkungsnachweise, die Durchführung von Kosten-Preis-Tests, den Nachweis 777 Østerud, Identifying Exclusionary Abuses by Dominant Undertakings under EU Competition Law, S. 313 f.; Peeperkorn, Concurrences 2015, N81-2015, 43, 45 f.; Melamed, Antitrust L.J. 73 (2006), 375, 386; Geradin, J. Comp. L. & Econ. 11 (2015), 579, 599.

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E. Vergleichende und zusammenfassende Betrachtung

subjektiver Absichten oder eine höhere Schädigungswahrscheinlichkeit erfordern, stellt die Kategorisierung bereits eine entscheidende Weichenstellung dar. Als Beispiel kann hier der Test für Kampfpreise dienen, der je nach Kostenmaßstab zusätzliche Voraussetzungen für die Missbräuchlichkeit vorschreibt oder auch nicht. So bestehen ebenfalls große Unterschiede in der Beurteilung selektiver Preissenkungen je nachdem innerhalb welcher Kostenmaßstäbe sich diese bewegen. Auch bei der Beurteilung von Rabatten ist bislang die Unterscheidung anhand der verschiedenen Kategorien maßgeblich für die Prüfungsintensität und den Prüfungsumfang. So ist die Qualifizierung als Treuerabatt bzw. Ausschließlichkeitsrabatt im Gegensatz zu einem sog. Rabatte der dritten Kategorie (zumeist Zielrabatte) entscheidend für die zur Anwendung gelangenden Maßstäbe. Ob diese Unterscheidung und der daran geknüpfte unterschiedliche Prüfungsumfang nach dem Intel-Urteil weiterhin Bestand haben wird, bleibt abzuwarten. Der EuGH äußert sich darin nicht explizit zur vom EuG vorgenommenen und vom Generalanwalt thematisierten Kategorisierung von Rabatten, bezieht sich jedoch eingangs auf die grundsätzliche Missbräuchlichkeit von Rabatten nach dem Vorbild von Hoffmann-La Roche.778 Dies deutet jedenfalls darauf hin, dass die grundsätzliche Unterscheidung einer derartigen Kategorie nicht überholt ist. Aufgrund der großen Bedeutung der Kategorisierung sind im Ausgangspunkt viele Diskussionen über die richtige Einordnung der einzelnen Verhaltensweisen angelegt. Insoweit können hier im gleichen Maße Ressourcen gebunden werden, die ansonsten für eine Analyse der Effekte im Einzelfall anfallen würde. Dies ist sicherlich auch darauf zurückzuführen, dass die Kategorien fließend sind. Teilweise lassen sich einzelne Verhaltensweisen nicht eindeutig einer Kategorie zuordnen. Aufgrund der Fokussierung auf die äußere Form kann das Marktverhalten eines marktbeherrschenden Unternehmens, das die gleichen Effekte oder Auswirkungen auf den Markt hat, im Ergebnis unterschiedlich beurteilt werden.779 So ist auch denkbar, dass sich die Diskussion auf diese Ebene verlagert und die Einordnung der einzelnen Missbrauchsformen zum Gegenstand zahlreicher Diskussionen wird. Auf diese Weise könnte die Durchsetzung des Rechts gleichermaßen erschwert werden wie unter Anwendung von Maßstäben, die sich auf die Effekte der einzelnen Verhaltensweisen fokussieren.780 Daher ist es von besonderer Wichtigkeit, dass die Kriterien, die für die Einordnung in eine bestimmte Kategorie maßgeblich sind, klar, vorhersehbar und nachvollziehbar sind. Zugleich macht das Vorliegen strikter Kategorien die Beurteilung neuartiger Verhaltensweisen, die sich nicht eindeutig einer Kategorie zuordnen lassen, schwieriger. Die Anwendung eines einheitlichen Prüfungsmaßstabes würde hingegen keine Änderungen erforderlich machen und hat vor diesem Hintergrund seinen Reiz. Für diese neuen Formen eines Verhaltens ist zugleich keine Rechtssicherheit gewährleistet, da der zur Anwendung gelangende 778

EuGH, Urteil vom 6. 9. 2017, Rs. C-413/14 P, EU:C:2017:632, Rn. 137 – Intel. Salop, Antitrust L.J. 73 (2006), 311, 354; dies ist zugleich auch im EAGCP-Report der größte Kritikpunkt, siehe dazu: EAGCP-Report, S. 2. 780 Østerud, Identifying Exclusionary Abuses by Dominant Undertakings under EU Competition Law S. 312. 779

II. Prüfungsmaßstäbe

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Standard nicht im Voraus absehbar ist, weil die Zuordnung zu einer Kategorie noch nicht feststeht. So kann auch die Entwicklung neuer Tests erforderlich werden oder aber einzelne Tests auf weitere Verhaltensweisen Anwendung finden. Grundvoraussetzung einer praktikablen Kategorisierung ist damit jedenfalls, dass diese für die betroffenen Unternehmen vorsehbar ist. Dies betrifft sowohl die Einstufung in eine andere Kategorie als auch die zur Beurteilung einer Verhaltensweise angelegten Maßstäbe. Wichtig ist daher auch, dass die Zuordnung der einzelnen Fallgruppen in die verschiedenen Kategorien den ökonomischen und rechtlichen Kenntnisstand reflektiert.781

4. Erklärungsansätze für die Praxis der europäischen Gerichte: Unterschiedliche Prüfungsmaßstäbe als Ausdruck von Kontinuität? Die zentrale Frage, die sich nach Darstellung und Erörterung dieses Befunds stellt, ist die Frage nach der Konsistenz des von der Spruchpraxis bislang praktizierten Ansatzes. Als Ansatz soll hier die oben dargelegte Zweiteilung verstanden werden, aber auch das grundsätzliche Festhalten an einer formbasierten Bewertung bestimmter Fallgruppen und einer eher zurückhaltenden Adaption der Elemente des more economic approach. Insbesondere die abweichende Beurteilung von Treuerabatten zeichnete die Rechtsprechung bislang aus. Die Zweiteilung prägt auch das Bild bei einem Vergleich der Anwendungspraxis der europäischen Gerichte und der Kommission. Bei der Bewertung durch die Gerichte steht die grundsätzliche Eignung der betreffenden Verhaltensweise als maßgebliches Kriterium im Vordergrund der Bewertung, während die Kommission verstärkt konkrete Auswirkungen in den Bezug nehmen will und insbesondere dem AEC-Test als Ausprägung eines verstärkt auswirkungsorientierten Ansatzes für alle Fallgruppen Bedeutung beimisst. Vor dem Hintergrund des jüngst ergangenen Urteils in Intel stellt sich die Frage, ob die Zweiteilung nach wie vor die Rechtsprechung prägt oder ob in der Entscheidung des EuGH eine Hinwendung zur Anlegung einheitlicher Maßstäbe gesehen werden kann. Der EuGH hat darin der Anwendung des AEC-Tests für die konkrete Fallgestaltung Bedeutung beigemessen und so zumindest zum Ausdruck gebracht, dass die Anwendung eines Preis-Kosten-Tests für diese Fallgruppe nicht grundsätzlich ausgeschlossen sein darf. Daher gilt es auch zu klären, ob der bislang von der Rechtsprechung praktizierte Ansatz, der sich uneinheitlicher Maßstäbe zur Beurteilung der untersuchten Formen des preisbezogenen Behinderungsmissbrauchs bedient, konsistent ist oder ob die vermeintliche Angleichung der Maßstäbe ein höheres Maß an Konsistenz verspricht. Dabei kommt es vor allem darauf an, ob die Argumente auf die eine unterschiedliche Handhabung gestützt wird, tragfähig und schlüssig sind. Die Gerichte erläutern nie ausdrücklich, was die Anwendung unterschiedlicher Maßstäbe begründet. Zudem lässt sich den Erwägungen der europäischen Gerichte vielfach keine direkte Bezugnahme auf eine dahinter stehende ratio entnehmen. Dies 781

Wils, World Competition 37 (2014), 405, 422.

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E. Vergleichende und zusammenfassende Betrachtung

begünstigt den Eindruck, dass es der Rechtsprechung an einer inneren Logik und Konsistenz mangelt. Insbesondere die Überfrachtung der Diskussion unter Hinzuziehung wettbewerbspolitischer Erwägungen erschwert die rechtlich-dogmatisch geprägte Ergründung der relevanten Maßstäbe. Im folgenden Abschnitt sollen daher Erklärungsansätze für das Vorliegen der bislang die Rechtsprechung prägenden unterschiedlichen Prüfungsmaßstäbe erläutert werden. Hierbei soll auch untersucht werden, inwieweit diese Erklärungen nach dem Intel-Urteil des EuGH noch für sich Geltung zu beanspruchen vermögen und Vor- und Nachteile der Neujustierung abgewogen werden. a) Historische Vorbedingungen: Die Rechtsprechung zu Art. 102 AUEV im Lichte der Entwicklung der einzelnen Fallgruppen des preisbezogenen Behinderungsmissbrauchs Ein möglicher Erklärungsansatz für eine unterschiedliche Bewertung der untersuchten Fallgruppen ist eine historisch hergebrachte Einstufung. Seit Hoffmann-La Roche haben die Unionsgerichte die dort entwickelten Maßstäbe zu Rabattsystemen auf derartige Fallkonstellationen angewendet. Die Rechtsprechung zu Rabattsystemen nahm ihren Anfang zu einer Zeit, in der die Methoden der quantitativen Ökonomie noch nicht in der Lage waren, Verhalten anhand rechnerischer Modelle abzubilden. Seit den 1970er wurden missbräuchliche Rabattsysteme daher anhand qualitativer Kriterien beurteilt. Hierbei stand das Potential missbräuchlicher Rabattsysteme zur Marktabschottung und zur Kundenbindung im Vordergrund. An diesem Maßstab haben die europäischen Gerichte in ständiger Rechtsprechung festgehalten. Insoweit schien die Etablierung eines Kosten-Preis-Tests für die Beurteilung von Rabattsystemen zu einem gewissen Teil systemfremd und nicht mit dem hergebrachten Verständnis vereinbar. Maßgeblich für diesen Ansatz war die auf Hoffmann-La Roche zurückgehende Analogie zu Ausschließlichkeitsbindungen.782 Rabatte, die Treue belohnen, seien es reine Treuerabatte oder Zielrabatte mit stark treuefördernder Wirkung, wurden daher seit jeher unter Anknüpfung an dieses Verständnis recht streng beurteilt. Die Besonderheit von Rabatten ist, dass diese sowohl Bezugspunkte zu Ausschließlichkeitsbindungen als auch zu reinen Preispraktiken wie Kampfpreisen aufweisen. Die Debatte, welcher Test für Rabatte zur Anwendung gelangen soll, ist daher in weiten Teilen Ausdruck dieser Zwitterstellung von Rabatten. Die Bildung von Analogien zur Beurteilung von Verhaltensweisen ist gängige Praxis.783 Hierzu bieten sich im Fall von Rabattsystemen aufgrund der genannten Parallelen rein preisbezogene Praktiken als auch Ausschließlichkeitsbindungen an. Der im US-amerikanischen Recht vorherrschenden Analogie zu Kampfpreisen folgt die Kommission in der Prioritätenmitteilung, indem sie den AEC-Test zum Prü782 783

EuGH, Urteil vom 13. 2. 1979, Rs. 85/76, EU:C:1979:36, Rn. 89 – Hoffmann-La Roche. So auch Gates, Antitrust L.J. 79 (2013), 99 ff.

II. Prüfungsmaßstäbe

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fungsmaßstab für Rabattsysteme aufwertet.784 Darin liegt ein wesentlicher Unterschied zur Dogmatik der Rechtsprechung, die bislang eine Analogie von Treuerabatten zu Alleinbezugsvereinbarungen für maßgeblich hielt. In diesem Zusammenhang sind auch die Besonderheiten in der Entwicklung der Rechtsprechung maßgeblich für ein besseres Verständnis der vorherrschenden Tendenzen. Die europäischen Gerichte legen den Art. 102 AEUV durch die konkrete Anwendung auf diverse Fallgruppen aus. Dabei unterliegt die Rechtsanwendungspraxis dem stetigen Wandel und der Anpassung an neue Erkenntnisse. Dies ist wünschenswert und auch notwendig. Bei einer sich stetig fortentwickelnden Rechtsprechung ist es möglich, Urteile auszumachen, die in die eine oder andere Richtung weisen und sich teils widersprechen. Diese Friktionen sind Ausdruck des stetigen Wandels und der Fortentwicklung der Rechtsanwendungspraxis.785 Daraus ergibt sich zugleich auch die Möglichkeit, durch eine selektive Auswahl bestimmter Passagen einzelner Urteile bestimmte Auslegungsergebnisse zu stützen. Mangelnde Konsistenz, verstanden als die Uneinheitlichkeit der angewandten Maßstäbe, ist damit zu einem gewissen Grad notwendige Folge einer fallbasierten Rechtsprechung, die Einzelfallentscheidungen trifft und in einer dauerhaften Entwicklung begriffen ist. Insoweit ist ein vergleichsweise regelbasiertes Wettbewerbsrecht auch als „Delegation von Entscheidungskompetenzen“ an die Kartellbehörden und die Rechtsprechung zu verstehen, für die relevanten Fallgruppen die geeigneten Standards herauszubilden und fortzuentwickeln.786 Diese sehr wichtige dynamische Komponente beschreibt zugleich den wichtigen Mechanismus der Weiterentwicklung von Regeln durch die Fallpraxis der Wettbewerbsbehörden und Unionsgerichte. Diese Tendenz gilt in einem besonderen Maße, wenn man sich vor Augen führt, dass es sich um einen verhältnismäßig langen Zeitraum handelt. Zwischen der ersten betrachteten Leitentscheidung in Hoffmann-La Roche aus dem Jahr 1979 und den jüngsten Entscheidungen in Post Danmark II und Intel liegen knapp 40 Jahre. Über diesen Zeitraum ergeben sich zwangsläufig gewisse Friktionen, die zugleich Ausdruck der Veränderung einiger Maßstäbe und Bestätigung anderer sind. Das Kartellrecht ist eine sehr dynamische und vergleichsweise junge Disziplin, die mehr als andere Rechtsbereiche durch die Ökonomie beeinflusst wird. Zudem ist die ökonomische Analyse jetzt weiter als zur Zeit der Entstehung der Verträge und vermag fortwährend neue Impulse für die Auslegung der einzelnen Tatbestände zu geben. Insoweit ist die fortschreitende Integration ökonomischer Modelle in die Anwendung der Vorschriften des europäischen Kartellrechts auch eine logische Konsequenz der Weiterentwicklung.

784

So auch Lovdahl Gormsen, World Competition 36 (2013), 223, 238. So auch Peeperkorn, Concurrences 2015, N81-2015, 43, 45; Ibañez Colomo, LSE Law, Society and Economy Working Papers 29/2014, S. 4. 786 Kerber, in: Festschrift Möschel, S. 341, 347; Østerud, Exclusionary Abuses by Dominant Undertakings Under EU Competition Law, S. 315. 785

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E. Vergleichende und zusammenfassende Betrachtung

Zudem weist die europäische Rechtsprechung im Allgemeinen die Tendenz auf, eigene Maßstäbe für die verschiedenen Fallgruppen zu entwickeln statt Untergruppen zu bilden. So wird auch die Kosten-Preis-Schere als eigenständige Missbrauchsform behandelt und nicht etwa als Unterfall von Kampfpreisen oder einer Geschäftsverweigerung. Zugleich ist das europäische Wettbewerbsrecht im Ausgangspunkt insgesamt mehr von einem ordoliberalen Ansatz geprägt als beispielsweise das US-amerikanische Recht. Die Rechtsprechung steht mit der Fokussierung auf marktstrukturelle Aspekte weiterhin in dieser Tradition. Diese generelle Konzeption, die ein gewisses Misstrauen gegenüber Marktmacht ausdrückt, scheint daher dem europäischen Verständnis marktbeherrschender Stellungen zu entsprechen. Vor allem in der englischsprachigen Literatur ist eine Tendenz zu beobachten, die an diese Fokussierung auf marktstrukturelle Aspekte einen Vorwurf knüpft.787 Den europäischen Gerichten ist schließlich an einer homogenen schrittweisen Fortentwicklung des Rechts gelegen. Ökonomische Theorien werden nicht ohne vorherige genaue Prüfung ihrer Praktikabilität und ihres Nutzwerts adaptiert. Diese Vorgehensweise ist Ausdruck der Betonung der Eigengesetzlichkeiten der Rechtsanwendung und des Primats des Rechts. Zudem kommt in der Rechtsprechung auch das Bestreben nach Stabilität zum Ausdruck. Präzedenzentscheidungen und eine von Rechtsklarheit und Rechtssicherheit geprägte Linie werden nach diesem Grundsatz nur dann aufgegeben, wenn dies angesichts zwingender Vorgaben notwendig erscheint. Diese Vorsicht gegenüber radikalen Änderungen liegt ebenfalls im Interesse der Rechtssicherheit.788 So weist die Entscheidung des EuGH in Intel in die Richtung einer Öffnung gegenüber der verstärkten Berücksichtigung ökonomischer Theorien und Argumente, gleichwohl obliegt es nun zunächst dem EuG, diese anhand der Kommissionsentscheidung und der von Intel vorgebrachten Beweise zu würdigen. b) Die Anwendung des AEC-Tests auf Rabatte: Konsistenz durch einheitliche Maßstäbe? Die Gemeinsamkeit der untersuchten Fallgruppen besteht darin, dass es sich bei allen untersuchten Fallgruppen um preisbasierte Verdrängungsmissbräuche handelt. Gleichwohl lassen sich Unterschiede in der dogmatischen Konzeption der einzelnen Fallgruppen festmachen, die eine Anwendung unterschiedlicher Bewertungsmaßstäbe rechtfertigen können. Reine Preishöhenmissbräuche, wie sie bei Kosten-PreisScheren und Kampfpreisen zum Ausdruck kommen, sind ihrem Wesen nach anders als Rabatte. Reine Preispraktiken wie Kampfpreise oder Kosten-Preis-Scheren weisen schon ihrer Natur nach einen besonders engen Bezug zur Kostenstruktur des 787

Besonders eindrücklich Niels/Jenkins, ECLR 2005, 605. Ibañez Colomo/Lamadrid, in: Gerard/Merola/Meyring (Hrsg.), The Notion of Restriction of Competition: Revisiting the Foundations of Antitrust Enforcement in Europe (i.E.), S. 19, abrufbar unter: https://papers.ssrn.com/sol3/papers2.cfm?abstract_id=2849831, letzter Abruf: 29. 11. 2017. 788

II. Prüfungsmaßstäbe

181

Unternehmens auf.789 Wenngleich es sich auch bei der Rabattgewährung zunächst um eine besondere Form der Preisberechnung handelt790, so basiert die wettbewerbsrechtliche Relevanz dieser Fallgruppe auch auf anderen wettbewerbsschädigenden Aspekten, die denen von Ausschließlichkeitsbindungen näher kommen.791 So geht es im Kern um die Abschottung des Marktes oder Teilen davon zum Nachteil von Wettbewerbern und schließlich Verbrauchern. Die Fallgruppe der Kosten-PreisSchere knüpft an das Preisniveau auf vor- und nachgelagerten Märkten an und beschreibt die Problematik einer Gewinnmargenbeschneidung. Bei der Missbrauchsaufsicht über Kampfpreise geht es hingegen um eine isolierte Einzelpreiskontrolle auf dem nachgelagerten Markt. Insoweit weist sie enge Berührungspunkte mit der Kosten-Preis-Schere auf. Das Verhältnis dieser beiden Missbrauchsformen ist von einer besonderen Nähe und Überschneidungen geprägt. Dies zeigt insbesondere auch die vielfach diskutierte Möglichkeit der Einordnung der Kosten-Preis-Schere als Unterfall des Kampfpreismissbrauches.792Ausgangspunkt beider Missbrauchsformen ist die objektive rechnerische Bewertung von Preisen. Während bei der Kampfpreiskontrolle eine isolierte Einzelpreiskontrolle auf dem nachgelagerten Markt erfolgt, findet bei der Kosten-Preis-Schere ein Vergleich der Preise auf dem vor- und nachgelagerten Markt statt. Auswirkungen von Rabattsystemen sind vielfältiger und nicht allein anhand von Preisen darstellbar. So kann beispielsweise nicht davon ausgegangen werden, dass der rabattierte Preis in jedem Fall ein niedriger ist. Das marktbeherrschende Unternehmen kann vielmehr aufgrund seiner Stellung die Preise bereits im Voraus angepasst haben.793 Der Zusammenhang zwischen Kosten und Preisen ist bei Rabattsystemen daher vergleichsweise schwach ausgeprägt. Aufgrund der vorhandenen Marktmacht kann der Preis sogar ein höherer sein und die Rabatte nur als Scheinanreiz vergeben werden.794 Ein Preis für sich genommen kann zudem nicht missbräuchlich sein.795 Daher kommen bei Missbrauchsformen, die sich allein in Preisen ausdrücken, Preis-Kosten-Tests zur Anwendung. Die Tatsache, dass in den Urteilen Deutsche Telekom, TeliaSonera und Post Danmark I eine Auswirkungsanalyse an-

789 So auch GA’in Kokott, Schlussanträge vom 21. 5. 2015, Rs. C-23/14, EU:C:2015:343, Rn. 63 – Post Danmark II. 790 Bulst, in: Langen/Bunte, Art. 102 AEUV Rn. 336. 791 Wright, „Simple but Wrong or Complex but More Accurate? The Case for an Exclusive Dealing-Based Approach to Evaluating Loyalty Discounts“, Bates White 10th Annual Antitrust Conference Washington D.C., 3. Juni 2013, abrufbar unter: https://www.ftc.gov/sites/default/ files/documents/public_statements/simple-wrong-or-complex-more-accurate-case-exclusivedealing-based-approach-evaluating-loyalty/130603bateswhite.pdf, letzter Abruf: 29. 11. 2017. 792 Henk-Merten, Die Kosten-Preis-Schere im Kartellrecht, 2004; Petzold, Die KostenPreis-Schere im EU-Kartellrecht, 2012. 793 Zu diesem Aspekt auch Wils, World Competition 37 (2014), 405, 423. 794 So auch Salop, Antitrust L. J. 81 (2017) 371, 414. 795 EuG, Urteil vom 12. 6. 2014, Rs. 286/09, EU:T:2014:547, Rn. 152 – Intel.

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E. Vergleichende und zusammenfassende Betrachtung

hand des AEC-Tests für maßgeblich erachtet wurde, beruht daher zu großen Teilen auch darauf, dass diese Fälle reine Preispraktiken betrafen. aa) Rabattsysteme als Ausdruck einer Marktabschottung: Wesensmerkmale der Kundenbindung Effekte von Rabatten können grundsätzlich in drei Wirkungsrichtungen betrachtet werden. So steht das Verhalten der Abnehmer im Vordergrund soweit es um die treuefördernde Wirkung des Systems geht. Ein weiteres Element der Betrachtung von Rabatten stellt die Untersuchung der Auswirkungen auf die Marktstruktur sowie der Wettbewerber dar. Schließlich ist auch die Berücksichtigung der Auswirkungen auf Verbraucher möglich. Folglich steht bei Rabatten nicht zwangsläufig das Preiselement im Vordergrund. Es geht auch um eine anders geartete Wirkung. Im Falle exklusiver Rabatte ergeben sich mögliche nachteilige Effekte auf den Wettbewerb aus der bestehenden Bindung der Abnehmer. Es handelt sich bei Treuerabatten um Anreize für Abnehmer zum Nichtbezug bei Wettbewerbern.796 Insoweit wirken sich Treuerabatte oftmals in einem marktzugangsbehindernden Effekt aus. Das Verhältnis der Preishöhe zum Rabatt ist allein nicht aussagekräftig, da eine Kondition an die Rabattgewährung geknüpft ist. Zugleich stellt diese das charakteristische Merkmal von Rabatten dar, sodass eine Anknüpfung hieran bereits ohne Hinzuziehung quantitativer Aspekte möglich ist. Vor diesem Hintergrund sind auch die Erwägungen des EuG in Intel zu sehen.797 Es bettet sein Urteil zu Intel in den weiteren Kontext der Rechtsprechung zu Rabatten ein und zeigt Parallelen sowie Unterschiede zu anderen Fallkonstellationen wie Kosten-Preis-Scheren und selektiven Preissenkungen auf, um seine Argumentation zu untermauern. Aus diesen Ausführungen des EuG in Intel geht besonders eindeutig hervor, dass der AEC-Test keine Anwendung auf Rabattsysteme finden soll, da diese – wenngleich als Nachlass auf einen Preis – wesensverschieden sind. Treuerabatte sind anderer Rechtsnatur als rein preisbezogene Verhaltensweisen wie Kampfpreise oder Kosten-Preis-Scheren. Sie enthalten ein preisbezogenes Element, jedoch auch zusätzlich die Bedingtheit und Abhängigkeit von weiteren Konditionen. Welcher Maßstab zur Anwendung gelangt und ob der AEC-Test dabei ein sinnvolles Instrumentarium darstellt, hängt insoweit zu einem großen Teil davon ab, welches Element als maßgeblich erachtet wird. Die Tatsache, wie man Rabatte beurteilt, richtet sich daher danach, ob man diese Erscheinungsform des Behinderungsmissbrauchs als Unterfall des Kampfpreismissbrauchs oder als äquivalent zu Ausschließlichkeitsbindungen begreift. Die europäischen Gerichte haben bislang das Merkmal der Exklusivität für maßgeblich erachtet. Nach der Entscheidung des EuGH in Intel deutet sich nun jedoch scheinbar eine Abkehr von dieser Analogie an. Mit der Anwendung eines Preis-Kosten-Tests als Maßstab zur Bewertung von Ra796 797

Vgl. Ackermann, in: Festschrift Roth, S. 1, 16. Vgl. EuG, Urteil vom 12. 6. 2014, Rs. T-286/09, EU:T:2014:547, Rn. 142 ff. – Intel.

II. Prüfungsmaßstäbe

183

batten geht die Wertung einher, dass es sich im Ausgangspunkt, unabhängig von der daran geknüpften Kondition, um eine Form des Preiswettbewerbs handelt. Dies wird jedoch bezweifelt.798 In der US-amerikanischen Rechtspraxis799 werden Rabattsysteme zum weit überwiegenden Teil als Unterfall der Kampfpreisunterbietung angesehen und viele Aspekte der Dogmatik zu Kampfpreisen auf diese Fallgruppe übertragen.800 Gleichwohl sind in Urteilen jüngeren Datums auch Tendenzen zu verzeichnen, die nicht den Preis als geeigneten Bezugspunkt für die Bewertung einer Verhaltensweise ausmachen.801 So ließ sich das Berufungsgericht vereinzelt auch von der Erwägung leiten, ob der Preis der vorherrschende Mechanismus der in Rede stehenden Verhaltensweise ist.802 So sind in der Literatur auch nach wie vor Bestrebungen zu beobachten, einen anderen Standard anzuwenden.803 In der europäischen Rechtsanwendungspraxis werden Rabattsysteme in Fortführung der ordoliberalen Denktradition stärker im Hinblick auf ihr Potential zur Marktabschottung durch eine Konzentration der Nachfrage untersucht.804 Anders als in den USA wurden bedingte Preisnachlässe daher bislang nicht als Variante der Kampfpreisstrategien eingestuft, sondern eine Analogie zu Alleinbezugsvereinbarungen gebildet.805 Potentiell wettbewerbsbeschränkende Wirkungen wurden daher bislang nicht an einem bestimmten Preissetzungsverhalten festgemacht, sondern aus der Exklusivität des Rabattsystems abgeleitet. Vor diesem Hintergrund ist erkennbar, dass die europäischen Gerichte Rabatte grundsätzlich auch im Hinblick auf das Potential zur Kundenbindung und Einschränkung der Möglichkeiten der weiteren 798

So auch Salop, Antitrust L.J. 81 (2017), 371, 39; Gates, Antitrust L.J. 79 (2013), 99, 136. Siehe etwa Utah Pie Co. v. Cont’l Baking, 386 U.S. 685, 697 (1967); zur Diskussion Salop, Antitrust L.J. 73 (2006), 311, 315 ff.; Gates, Antitrust L.J. 79 (2013), 99; Klein/Lerner, Antitrust L.J. 80 (2016), 631. 800 A.A. Wright, „Simple but Wrong or Complex but More Accurate? The Case for an Exclusive Dealing-Based Approach to Evaluating Loyalty Discounts“, Bates White 10th Annual Antitrust Conference Washington D.C., 3. Juni 2013, abrufbar unter: https://www.ftc. gov/sites/default/files/documents/public_statements/simple-wrong-or-complex-more-accuratecase-exclusive-dealing-based-approach-evaluating-loyalty/130603bateswhite.pdf, letzter Abruf: 27. 11. 2017. 801 ZF Meritor, LLC v. Eaton Corp., 696 F.3d, 254, 281 (3d Circ. 2012); Eisai, Inc. v. Sanofi Aventis U.S., LLC, 821 F.3d 394, 409 (3d Cir. 2016). 802 ZF Meritor, LLC v. Eaton Corp., 696 F.3d, 254, 281 (3d Circ. 2012): „When price is the clearly predominant mechanism of exclusion, the price-cost test tells us that, so long as the price ist above-cost, the procompetitive justification for, and the benefits of, lowering prices far outweigh any potential anticompetitive effects.“ 803 So wird der RRC-Test oftmals als Alternative vorgeschlagen, vgl. insbesondere Salop, Antitrust L.J. 81 (2017), 371, 39; Gates, Antitrust L.J. 79 (2013), 99, 136; a.A. Klein/Lerner, Antitrust L.J. 80 (2016), 631. 804 Wurmnest, Marktmacht und Verdrängungsmissbrauch, S. 569. 805 So betonte schon der EuGH in Hoffmann-La Roche, dass Alleinbezugsvereinbarungen und Rabattsysteme mit Kundenbindungsmechanismen ähnliche Wirkungen haben können, vgl. EuGH, Urteil vom 13. 2. 1979, Rs. 85/76, EU:C:1979:36, Rn. 89 – Hoffmann-La Roche. 799

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E. Vergleichende und zusammenfassende Betrachtung

Marktteilnehmer als allein hinsichtlich des preisbezogenen Elements betrachten. Das den Wettbewerb möglicherweise beeinträchtigende Potential ist anderer Natur. Die größten Bedenken hinsichtlich der Anwendung von Rabatten ergeben sich auch aus dem Potential zur Marktabschottung und weniger aus der Setzung bestimmter Preise an sich. Rabattsysteme stellen sich insoweit nicht als preisbezogener Missbrauch im engeren Sinne dar. Ob dieser Ansatz nach dem Urteil des EuGH in Intel weiterhin Bestand haben wird, erscheint nun jedoch zumindest fraglich. Der EuGH trifft darin keine klare Abgrenzung zwischen Rabattsystemen und den anderen Formen des preisbezogenen Behinderungsmissbrauchs, sondern zieht vielfach Parallelen zu Urteilen, die andere preisbezogene Verhaltensweisen betrafen.806 Insoweit scheinen marktstrukturelle Argumente an Gewicht zu verlieren.807 Gleichwohl handelt es sich bei Intel um eine Einzelfallentscheidung mit ganz besonderen Umständen. Ob und inwieweit die Aussagen verallgemeinerungsfähig sind, wird sich erst in künftigen Entscheidungen zeigen. Zudem spricht der EuGH dem AEC-Test darin keine allgemeine Bedeutung, sondern lediglich eine tatsächliche Bedeutung für die zugrunde liegende Fallkonstellation zu.808 Ob vor diesem Hintergrund eine grundsätzliche Abkehr von der Fokussierung auf die weiteren Wirkungen von Rabattsystemen wie die Förderung einer Kundenbindung oder eines bestimmten Abnehmerverhaltens festgemacht werden kann, mag bezweifelt werden. bb) Praktikabilität des As efficient competitor-Tests für Rabatte Nach der grundlegenden Idee der Kommission soll der Test die Sogwirkung eines Rabatts abbilden und anhand einer konkreten Berechnung bestimmter Bezugsgrößen Aufschluss darüber geben, ob ein ebenso effizienter Wettbewerber diese Sogwirkung hätte ausgleichen können. Wie die ausführlichen Erläuterungen der Kommission in der Prioritätenmitteilung zeigen, ist eine Übertragbarkeit des As efficient competitorTests auf die Fallgruppe der Rabattsysteme nur unter diversen Anpassungen möglich.809 Bereits die Anwendung des As efficient competitor-Tests in seiner Grundform auf die Fallgruppen der Kampfpreise, der Kosten-Preis-Schere sowie neuerdings auch selektive Preissenkungen ist an große Herausforderungen geknüpft. So ist die Bestimmung der relevanten Kosten immer mit gewissen Schwierigkeiten und Unsicherheiten behaftet. Man denke dabei nur die Zuordnung von bestimmten Kosten zu den jeweiligen Kostenarten sowie die anhaltende Debatte um die „richtigen“ Kostenmaßstäbe bei der Durchführung des Tests. Neben den allgemeinen konzeptionellen Schwächen des Tests bringen die für die Anwendung auf Rabattsysteme 806 So zitiert der EuGH besonders häufig Passagen aus Post Danmark I, vgl. etwa EuGH, Urteil vom 6. 9. 2017, Rs. C-413/14 P, EU:C:2017:632, Rn. 136, 139 – Intel. 807 So auch Wernicke, EuZW 2017, 850, 861. 808 EuGH, Urteil vom 6. 9. 2017, Rs. C-413/14 P, EU:C:2017:632, Rn. 143 – Intel. 809 Vgl. Kommission, Prioritätenmitteilung, Rn. 37 ff.

II. Prüfungsmaßstäbe

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notwendigen Modifikationen weitere Ungenauigkeiten bei der Bestimmung relevanter Parameter mit sich. So soll der relevante Preis nicht für die gesamte Menge, sondern nur die „bestreitbare Menge“ berechnet werden. Der bestreitbare Teil (contestable share) ist dabei der Teil der Nachfrage, der dem Wettbewerb ausgesetzt sein könnte, wenn das marktbeherrschende Unternehmen diesen Teil nicht rechtswidrig dem Wettbewerb entzöge.810 Er entspricht also dem Anteil, den der hypothetisch gleich effiziente Wettbewerber hätte erzielen können. Dieser Anteil muss weitgehend normativ bestimmt werden, da eine genaue analytische Annäherung nicht möglich ist. Aussagen dazu, wie genau dieser Nachfrageanteil bemessen wird, trifft die Prioritätenmitteilung nicht. Anhand dieses Teils der Nachfrage wird der effektive Preis berechnet, sodass ihrer Bestimmung eine zentrale Rolle zukommt. Der effektive Preis ist dabei der Teil des Preises, den der Wettbewerber maximal verlangen dürfte, um einen Kunden zur Abnahme bei ihm zu bewegen. Die mit der Bestimmung des bestreitbaren Teils der Nachfrage verbundenen praktischen Schwierigkeiten lassen sich anhand der Intel-Entscheidung der Kommission illustrieren. Diese Entscheidung zeigt eindrücklich, welcher Aufwand erforderlich ist, um den Test unter realen Marktbedingungen anzuwenden. So nehmen die Ausführungen zu der Berechnung des effektiven Preises und der relevanten Menge dort 150 Seiten ein.811 So erscheint die Erweiterung der Anwendung des Tests auf ein Rabattsystem wie in der Intel-Entscheidung in der Theorie verlockend und konsistent mit der Beurteilung der weiteren Fallgruppen des Behinderungsmissbrauchs, erweist sich in der praktischen Umsetzung jedoch nur als bedingt geeignet.812 Auch die Gewährleistung von Rechtssicherheit begegnet bei der Anwendung des AEC-Tests auf Rabattsysteme besonderen Problemen. Der Anwendung des Tests liegen gewisse Annahmen und Vereinfachungen zugrunde, die Zweifel an der Praktikabilität und der Belastbarkeit der Ergebnisse aufkommen lassen. Insbesondere die notwendige Schätzung des bestreitbaren Teils der Nachfrage als einem entscheidenden Parameter bei der Durchführung des Tests vermag nicht den Anforderungen der Rechtssicherheit gerecht zu werden.813 Zudem müssen auch Daten der Kunden hinzugezogen werden, um die Bestimmung des bestreitbaren Teils überhaupt zu ermöglichen. Auf die Bedeutung der Rechtssicherheit im Kontext der Anwendung des AEC-Tests haben die Unionsgerichte bereits hingewiesen. So führte das EuG in Deutsche Telekom aus, dass das marktbeherrschende Unternehmen nur 810

Morell, (Behavioral) Law and Economics im europäischen Wettbewerbsrecht, S. 51. Vgl. Kommission, Entscheidung vom 13. 3. 2009 – COMP/37.990, Rn. 926 ff. – Intel. 812 So auch Morell, (Behavioral) Law and Economics im europäischen Wettbewerbsrecht, S. 273; auch die Befürworter eines more economic approach erkennen an, dass die Anwendung auf Rabattsysteme problematisch ist, siehe Geradin, in: Etro/Kokkoris (Hrsg.), Competition Law and the Enforcement of Article 102 TFEU, S. 37, 47. 813 Siehe zu den Problemen der Anwendung des Tests auf Rabattsysteme auch: Morell, (Behavioral) Law and Economics im europäischen Wettbewerbsrecht S. 58 f.; Bodenstein, Kartellrechtliche Beurteilung von Rabatten marktbeherrschender Unternehmen S. 184 ff. 811

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E. Vergleichende und zusammenfassende Betrachtung

dann über angemessene Möglichkeiten zur Einschätzung der kartellrechtlichen Zulässigkeit von Kosten-Preis-Scheren verfüge, wenn es auf ihm bekannte Kostendaten und nicht die Kostendaten der nachgelagerten Mitbewerber ankomme.814 So beruht der Test insgesamt auf Vereinfachungen und Annahmen, die nicht immer belastbare Ergebnisse zu liefern vermögen. Zugleich sind erhebliche Wertungen erforderlich, um die relevanten Bezugsgrößen zu bestimmen. So beeinflusst die Bestimmung eines relevanten Zeithorizonts zugleich die Höhe der vermeidbaren Kosten. Dies führt zur Angreifbarkeit der Ergebnisse und hat auch Konsequenzen für die Möglichkeit der Verhängung von Bußgeldern in Kartellverwaltungsverfahren. Zudem macht ihn auch die Vernachlässigung der dynamischen Komponente des Wettbewerbs als Prüfungsmaßstab für die Beurteilung von Rabatten nur begrenzt brauchbar.815 So basiert der Test lediglich auf einer Momentaufnahme. Wettbewerber, die das Potential haben, ebenso effizient zu werden wie das marktbeherrschende Unternehmen, finden keine Berücksichtigung.816 Der Wettbewerb als schützenswerte Bezugsgröße wird auf den Preiswettbewerb reduziert. Der Test basiert auf der Annahme, dass Kunden allein den Preis zur Grundlage ihrer Entscheidung machen. Dieses Element ist aber, wie bereits ausgeführt, bei Rabattsystemen vergleichsweise von untergeordneter Bedeutung. Zugleich erscheint die Fokussierung auf Kosten-Preis-Daten in Anbetracht der vielfältigen Auswirkungen von Rabattsystemen zu limitiert. Die Marktabschottung kann bei Rabattsystemen auf vielen anderen Faktoren basieren. So werden primär die Wahlmöglichkeiten der Abnehmer eingeschränkt und Wettbewerbern der Marktzugang erschwert.817 Ferner basiert die Anwendung des Tests auf der Annahme, dass sich Abnehmer rational verhalten. Dies ist aber im Kontext einer Rabattgewährung nicht so evident wie es bei anderen reinen Preishöhenmissbräuchen der Fall ist. Rabatten ist insoweit eine Verführungswirkung evident, die dazu führen kann, dass Abnehmer sich verleiten lassen, Rabatte in Anspruch zu nehmen, obgleich dies nicht vorteilhaft ist.818 In der Annahme, Verbraucher würden sich rational verhalten, wohnt in Bezug auf Rabatte damit tendenziell eher eine Unterschätzung des Gefahrenpotentials inne, als es bei anderen Fallgruppen der Fall ist.819 Daher wiegen die grundsätzlichen Limitationen des Tests bei der Fallgruppe der Rabatte auch schwerer als bei den anderen Fallgruppen. Da der Test nur misst, ob es einem ebenso effizienten Wettbewerber unmöglich wäre, mit dem marktbeherrschenden Unternehmen zu konkurrieren, werden einige Wirkungen des Rabattsystems vernachlässigt. Die Behinderung von 814 EuG, Urteil vom 14. 10. 2010, Rs. C-280/08 P, EU:C:2010:603, Rn. 143 – Deutsche Telekom. 815 Bodenstein, Kartellrechtliche Bewertung von Rabatten marktbeherrschender Unternehmen, S. 189. 816 Salop, Antitrust L.J. 81 (2017), 371, 414. 817 Wils, World Competition 37 (2014), 405, 429. 818 Wurmnest, Marktmacht und Verdrängungsmissbrauch, S. 545 f. 819 So auch Bodenstein, Kartellrechtliche Bewertung von Rabatten marktbeherrschender Unternehmen, S. 185.

II. Prüfungsmaßstäbe

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Wettbewerbern erscheint jedoch auch gut möglich, wenn die Preise kostendeckend sind. Der Erfolg einer Abschottungsstrategie ist nicht durch das Preisniveau bedingt.820 Zudem reichte es nach der Auslegung der europäischen Gerichte bereits aus, wenn Wettbewerbern der Marktzutritt erschwert wird. Der Test misst jedoch nur, ob es diesen unmöglich wäre, mit dem Marktbeherrscher zu konkurrieren, nicht aber, ob es diesen erschwert wird. So erfährt der AEC-Test auch Limitation in Bezug auf seine Aussagekraft für die Wettbewerbsstruktur. Der Mehrwehrt ökonomischer Analysen für die Fallgruppe der Rabatte ist zudem nicht evident. Die Durchführung des As efficient competitor-Tests beansprucht sehr viele Ressourcen. Dieser zusätzliche Aufwand in Kombination mit den Problemen bei der Anwendung des Tests auf die Fallgruppe der Rabatte wäre daher nur durch einen signifikanten Erkenntnisgewinn zu rechtfertigen. Dieser ist aber nicht offenkundig. Rabatte lassen sich auch anhand qualitativer Kriterien bewerten. Geeignete Kriterien dazu hatte die Kommission bereits in Tomra aufgezeigt.821 Hier standen die rückwirkende Rabattgewährung, individualisierte Rabattschwellen sowie die Selektivität der Rabattgewährung im Vordergrund. Eine extensive Kostenanalyse vermag zudem einen juristischen Wertungsakt nicht zu ersetzen.822 Die Kritik der Literatur an dem neuen Ansatz erscheint daher zumindest in Teilen berechtigt.823 Der As efficient competitor-Test eignet sich insoweit als punktuelle Ergänzung zum bisherigen Prüfungsrahmen, nicht aber als einheitlicher Prüfungsmaßstab. In einem System, das von unmittelbar anwendbaren Verbotsnormen geprägt ist, darf die Rechtmäßigkeit eines Verhaltens nicht von aufwendigen ökonomischen Analysen abhängen, deren Ausgang nicht absehbar ist. Zugleich birgt die Adaption und Anerkennung eines einheitlichen Tests zur Bewertung von Behinderungsmissbräuchen auch Gefahren und möglicherweise ungewollte Implikationen für die zukünftige Rechtsanwendung. Sobald die Unionsgerichte den AEC-Test als einheitlichen Standard für alle Fallgruppen anerkennen, wird dieser für die kommenden Jahre Geltung beanspruchen. Die betroffenen Unternehmen könnten insoweit einen Anspruch auf Durchführung des Tests herleiten, der die Rechtsdurchsetzung aufwendiger, unvorhersehbarer und damit ineffizienter machen würde. Dies gilt insbesondere auch für die Verfahren kleinerer nationaler Wettbewerbsbehörden, die im Regelfall gar nicht über die Ressourcen verfügen, einen derartig aufwendigen Test wie den AEC-Test durchzuführen. Sollte das Urteil daher so zu lesen sein, dass dieser in Zukunft als Standard für die Bewertung von Rabattsystemen durchzuführen ist, so besteht die Gefahr, dass der Art. 102 AEUV nicht mehr effektiv durchsetzbar wäre. Vor diesem Hintergrund erscheint es fraglich, ob der EuGH in Intel diese Konsequenzen in Gänze durchdacht hat. 820

Zu diesem Aspekt auch Bodenstein, ZWeR 2015, 403, 416. Kommission, Entscheidung vom 29. 3. 2006, COMP/E-1/38.113 – Tomra. 822 So auch Kling/Thomas, Kartellrecht, § 6 Rn. 14; GA’in Kokott, Schlussanträge vom 21. 5. 2015, Rs. C-23/14, EU:C:2015:343, Rn. 68 – Post Danmark II. 823 Siehe hierzu auch Brand, in: Frankfurter Kommentar Kartellrecht, Art. 102 AEUV, Mai 2014, Rn. 292; Wurmnest, Marktmacht und Verdrängungsmissbrauch, S. 593 ff. 821

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E. Vergleichende und zusammenfassende Betrachtung

cc) Beurteilung von Rabattsystemen: Drei Kategorien als Ausdruck eines konsistenten Wertungsrahmens? Bislang war auch die Konsistenz innerhalb der Fallgruppe der Rabattsysteme Gegenstand anhaltender Kritik.824 Hierzu wurde vor allem angeführt, dass die Anwendung unterschiedlicher Maßstäbe für Treuerabatte und sog. Rabatte der dritten Kategorie nicht nachvollziehbar sei. Beide seien hinsichtlich ihrer Wirkung derart vergleichbar, dass ein einheitlicher Prüfungsmaßstab notwendig sei. Insbesondere habe die ökonomische Literatur der letzten Jahre aufgezeigt, dass auch Treuerabatte positive Wirkungen auf den Markt haben können.825 Anders als sog. HardcoreKartelle seien Treuerabatte nicht zwangsläufig wettbewerbsschädlich.826 Diese Kritik wird angesichts des Intel-Urteils voraussichtlich an Relevanz einbüßen. So ist in besonders gelagerten Fällen die genauere Würdigung aller Umstände auch für diese Fallgruppe eröffnet. Der EuGH hat sich in dem Urteil indessen nicht zur Kategorisierung von Rabatten geäußert. Gleichwohl lässt sich aus der Bezugnahme auf Hoffmann-La Roche die Fortgeltung einer eigenständigen Kategorie von Treuerabatten im engeren Sinne – wenngleich unter modifizierten Maßstäben – entnehmen. Ungeachtet dessen schien die geäußerte Kritik der Rechtsprechung auch bislang nicht gerecht zu werden. Für die Missbräuchlichkeit von Rabattsystemen war zwar bislang die Eignung zur Erzeugung wettbewerbsschädigender Effekte ausreichend, gleichermaßen war diese Eignung aber auch Bedingung für eine Verbotsentscheidung.827 Zudem haben die europäischen Gerichte auch bislang erwogen, dass es für Rabattsysteme ökonomische Gründe geben kann. Sie haben eine derartige Prüfung jedoch bislang in einen zweiten Prüfungsschritt verlagert und es dem marktbeherrschenden Unternehmen auferlegt, positive Effekte im Wege einer Rechtfertigung aufzuweisen.828 Dennoch ist zutreffend, dass diesem Ansatz die Annahme zugrunde lag, dass derartige Rabatte im Normalfall oder zum weit überwiegenden Teil keine wirtschaftliche Rechtfertigung haben. Dies ist letztendlich Ausdruck einer Wertentscheidung. Darin lag insbesondere eine Bewertung des Potentials zur Erzeugung wettbewerbsschädlicher Effekte, das in diesem Fall als besonders hoch eingeschätzt wird. So nahm das EuG in Intel an, dass derartige Rabattsysteme, von Ausnahmefällen abgesehen, nicht auf einer wirtschaftlichen Leistung beruhen.829 Wenngleich die ökonomische Literatur in den letzten Jahren verstärkt darum bemüht war, mögliche positive Effekte von Rabattsystemen aufzuzeigen, so steht 824 Vgl. Ibañez Colomo, C.M.L. Rev. (53) 2016, 709; Peeperkorn, Concurrences N81-2015, 43; Geradin, J. Comp. L. & Econ. 11 (2015), 579. 825 Vgl. Kallaugher/Sher, ECLR 2003, 263; Faella, J. Comp. L. & Econ. 4 (2008), 375; differenzierend Inderst/Schwalbe, ZWeR 2009, 65, 67. 826 So etwa Geradin, J. Comp. L. & Econ. 11 (2015), 579, 602 f. 827 Nihoul, JECLAP, 521, 524. 828 EuG, Urteil vom 12. 6. 2014, Rs. T-286/09, EU:T:2014:547, Rn. 94 – Intel. 829 EuG, Urteil vom 12. 6. 2014, Rs. T-286/09, EU:T:2014:547, Rn. 77 – Intel.

II. Prüfungsmaßstäbe

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diese Entwicklung noch am Anfang und hat keine belastbaren Ergebnisse hervorgebracht, die den bisherigen Ansatz der europäischen Gerichte konterkariert hätten. Zudem ist sich die ökonomische Literatur hinsichtlich der Möglichkeit der Erzeugung positiver Effekte von Rabatten keinesfalls so einig, wie zum Teil der Anschein erweckt wurde.830 Insbesondere ist die ökonomische Analyse Antworten schuldig geblieben, inwieweit das Marktumfeld für die etwaigen positiven Wirkungen von Ausschließlichkeitsbindungen bzw. Treuerabatten eine Rolle spielt. Insoweit erschien es keinesfalls zwingend, den bisherigen Ansatz zu ändern. Bislang arbeitete die Rechtsprechung daher für die Fallgruppe der Rabatte mit weitreichenden Vermutungsregeln. Selbst gegenteilige objektive Effekte auf dem Markt vermochten diese Vermutung auf Tatbestandsebene nicht zu erschüttern.831 Bereits in Hoffmann-La Roche trat dieses Verständnis eindeutig hervor. Für Treuerabatte gelte die Vermutung, dass diese keinem anderen Zeck dienen, als Konkurrenten vom Markt zu verdrängen.832 Sofern die Rabatte nicht auf Exklusivität beruhen, hat die Rechtsprechung auch in der Vergangenheit die Prüfung sämtlicher Umstände des Einzelfalls verlangt.833 In Intel scheint der EuGH die Prüfung von Treuerabatten im Falle eines substantiierten Bestreitens durch das betroffene Unternehmen an die bislang für die Rabatte der dritten Kategorie geltenden Kriterien anzugleichen.834 Ungeachtet dessen hat die Analyse aufgezeigt, dass es durchaus gute Argumente für die Beibehaltung einer weiteren Kategorie in Form der Exklusivitätsrabatte gibt. So hatte auch das EuG in Intel sein Absehen von einer einzelfallbasierten Analyse sorgfältig begründet. Danach ergebe sich auch aufgrund der Entscheidungen Michelin I und British Airways kein grundsätzliches Erfordernis der Einzelbetrachtung, da es sich bei den dort untersuchten Rabattsystemen nicht um Ausschließlichkeitsrabatte gehandelt habe.835 Diese Auseinandersetzung des EuG mit den weiteren Leitentscheidungen der Unionsgerichte zu Rabattsystemen zeigt dass dem Gericht an der Schaffung einer konsistenten Linie gelegen ist und die Entscheidung entgegen der Kritik nicht unter Ausblendung des rechtlichen und ökonomischen Kontextes getroffen wurde. Insbesondere unter Betrachtung der Fallgruppen, für die die europäischen Gerichte einen besonders starken Fokus auf die Betrachtung der Auswirkungen legen, lässt sich nachvollziehen, was das europäische 830

189.

Siehe hierzu Inderst/Schwalbe, ZWeR 2009, 65; Elhauge, J. Comp. L. & Econ. 5 (2009),

831 Vgl. EuG, Urteil vom 30. 9. 2003, Rs. T-203/01, EU:T:2003:250, Rn. 235 ff. – Michelin II; EuGH, Urteil vom 15. 3. 2009, Rs. C-95/04 P, EU:C:2007:166, Rn. 96 ff. – British Airways. 832 EuGH, Urteil vom 13. 2. 1979, Rs. 85/76, EU:C:1979:36, Rn. 89 f. – Hoffmann-La Roche. 833 So erstmalig EuGH, Urteil vom 9. 11. 1983, Rs. C-322/81, EU:C:1983:313, Rn. 73 – Michelin I. 834 Vgl. EuGH, Urteil vom 6. 9. 2017, Rs. 413/14 P, EU:C:2017:632, Rn. 139 – Intel. 835 EuG, Urteil vom 12. 6. 2014, Rs. T-286/09, EU:T:2014:547, Rn. 96 – Intel.

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E. Vergleichende und zusammenfassende Betrachtung

Gericht zu dieser Beurteilung bewogen haben wird. So sind gerade den Fallgruppen der Kosten-Preis-Schere als auch selektiven Preissenkungen Elemente des Leistungswettbewerbs immanent. Ein quasi per se Verbot würde das marktbeherrschende Unternehmen nahezu aller Aktionsparameter berauben. So ist der Versuch der Kundengewinnung durch das selektive Setzen niedriger Preise Ausdruck eines gesunden Preiswettbewerbs. Gleichermaßen würde eine Untersagung von KostenPreis-Scheren ohne die Berücksichtigung konkreter Effekte auf den Markt einen Zwang des Marktbeherrschers begründen, Konkurrenten den Zugang zu seinen Einrichtungen unter Konditionen, die diesen eine lukrative Tätigkeit auf dem Markt erlauben, zu gewähren.836 In der Fallgruppe der Rabattsysteme gibt es hingegen diverse Aktionsparameter, derer sich das marktbeherrschende Unternehmen bedienen kann. Insoweit hat es mehrere Verhaltensalternativen. Zudem üben Rabatte einen Druck auf die Abnehmer aus, ihre Waren beim marktbeherrschenden Unternehmen zu beziehen, wodurch eine weitaus langfristigere Bindungswirkung entsteht als bei rein preisbezogenen Praktiken. Dies schränkt die Abnehmer in ihren Wahlmöglichkeiten ein und führt dazu, dass diese ihre Entscheidung nicht mehr ausschließlich auf Preis, Qualität und Innovation stützen, sondern auf Faktoren, die Ausdruck eines leistungsfremden Mittels sind.837 Die Prüfung von Rabattsystemen anhand einer reinen Interessenabwägung birgt zudem das Problem der mangelnden Vorhersehbarkeit. Das Treffen allgemeiner Aussagen über die etwaige Missbräuchlichkeit oder Zulässigkeit eines Rabattsystems ist im Vorfeld unmöglich.838 Daher sollte auch weiterhin von einer Fallgruppenbildung Gebrauch gemacht werden, um die Rechtsanwendung vorhersehbar zu machen. Die Bildung von Kategorien ist daher im Interesse der Rechtssicherheit. So bringt gerade die vielfach kritisierte Unterteilung von Rabatten in drei Kategorien für Unternehmen ein sehr hohes Maß an Vorhersehbarkeit mit sich. Es wäre insoweit wünschenswert, weitere Kategorien von Rabatten zu bilden, um das Maß an Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit noch weiter zu erhöhen. Nur auf diese Weise bewegt sich die Verhängung von Bußgeldern zur Ahndung von Rabattgestaltungen in den Vorgaben des Bestimmtheitsgrundsatzes.839 Die Beurteilung von Rabattsystemen macht grundsätzlich eine Abwägung im Einzelfall anhand der Umstände der Rabattgewährung und der Marktumstände erforderlich. Auf eine umfassende Prüfung der Auswirkungen konnte bislang für Rabatte, für die allgemeine Regeln gelten, verzichtet werden. Dabei handelte es sich um Mengenrabatte und Treuerabatte, für die eine Vermutung der Zulässigkeit bzw. der Unzulässigkeit gilt. Für alle Rabattsysteme blieb eine Rechtfertigung möglich. 836

Ibañez Colomo, C.M.L. Rev. (53) 2016, 709, 724 f. Vgl. EuG, Urteil vom 12. 6. 2014, Rs. 286/09, EU:T:2014:547, Rn. 72 f. – Intel. 838 So auch Bodenstein, Kartellrechtliche Bewertung von Rabatten marktbeherrschender Unternehmen, S. 165 f. 839 Zu dem Aspekt der Verhängung von Bußgeldern für Rabatte der sog. dritten Kategorie siehe Bodenstein, ZWeR 2015, 403, 415. 837

II. Prüfungsmaßstäbe

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Dieser Rahmen war – wenngleich für die Fallgruppe der Rabatte vermeintlich streng – in sich stimmig und vorhersehbar. Das Urteil des EuGH in Intel stellt diesen Befund nunmehr in Frage. So kann nun auch für Treuerabatte bereits auf Tatbestandsebene eine umfassendere Wirkungsanalyse erforderlich werden. Dies hat in systematischer Hinsicht insbesondere Auswirkungen auf die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast. So kann die Kommission bei entsprechendem Parteivortrag bereits auf dieser Ebene gehalten sein, die Eignung zur Erzeugung einer Verdrängungswirkung anhand der Umstände des Einzelfalls darzulegen. Die bisherige Systematik für Treuerabatte sah hingegen vor, dass die Eignung auf der Tatbestandsebene nicht widerlegt werden konnte und das Unternehmen hingegen auf der zweiten Stufe die Darlegungs- und Beweislast dafür trägt, dass sein Verhalten gerechtfertigt ist. Insoweit ist eine Annäherung zwischen den Prüfungsmaßstäben für die einzelnen Kategorien von Rabatten zu verzeichnen, stellt die bisherige Kategorisierung jedoch nicht in Frage, da der Anknüpfungspunkt der Wirkungsanalyse ein anderer bleibt. Bei Ausschließlichkeitsrabatten wird diese erst bei entsprechendem Parteivortrag erforderlich, während bei Rabatten der dritten Kategorie bereits die Form des Rabatts bzw. die konkrete Ausgestaltung des Rabattsystems eine derartige Prüfung von vornherein erforderlich macht. dd) Zwischenergebnis Die Unionsgerichte haben zur Bewertung von Rabattsystemen bislang vorrangig marktstrukturelle Gesichtspunkte in den Vordergrund gerückt. Auf diese Weise konnte eine dogmatische Klarheit gewonnen werden, die auch eine Anwendung eines einheitlichen Prüfungsmaßstabs nicht zwangsläufig herzustellen vermag. Anders als reine Preishöhenmissbräuche können Rabatte auch anhand qualitativer Kriterien beurteilt werden. Dabei kann der AEC-Test ergänzend zur Anwendung gelangen, stellt aber nur ein in Frage kommendes Mittel dar. Eine Erhebung des AEC-Tests zum allgemeingültigen Prüfungsmaßstab erscheint hingegen nicht geboten. Insoweit ist die Zugrundelegung eines qualitativ-juristischen Ansatzes bei der Beurteilung von Rabattsystemen einem Kosten-Preis-Test überlegen. Die theoretische Attraktivität einheitlicher Prüfungsmaßstäbe für alle Formen der preisbezogenen Behinderungsmissbräuche840 darf nicht darüber hinweg täuschen, dass es sich – wenngleich durchweg preisbezogen – bei den verschiedenen Form des Behinderungsmissbrauchs um nicht gänzlich vergleichbare Praktiken handelt. Ein einheitlicher Test beinhaltet zwangsläufig die Fokussierung auf einen bestimmten Aspekt des missbräuchlichen Verhaltens. Der AEC-Test ist mit seiner Fokussierung auf Kosten und Preise als entscheidendes Charakteristikum der Fallgruppen des Kampfpreismissbrauchs und der Kosten-Preis-Schere für diese geeignet, aber würde bei Rabattsystemen zur Vernachlässigung dort relevanter Aspekte führen. Der 840 So sprechen sich Rousseva/Marquis für eine Anwendung des As efficient competitorTests auf Rabattsysteme aus, um eine konsistente Rechtsanwendung zu gewährleisten: Rousseva/Marquis, JECLAP 2012, Rn. 17.

192

E. Vergleichende und zusammenfassende Betrachtung

Verzicht auf eine Festlegung auf eine Art von Test wie dem As efficient competitorTest ermöglicht die Anwendung eines Prüfungsrahmens, der den Besonderheiten der einzelnen Fallgruppen besser gerecht wird. c) Bezweckt und bewirkt: Die Zweiteilung als Ausdruck eines dogmatischen Ansatzes zur Beurteilung marktschädlichen Verhaltens Eine weitere mögliche Erklärung für die Anlegung unterschiedlicher Maßstäbe für die Beurteilung der untersuchten Fallgruppen lässt sich mit Blick auf die Gesamtsystematik der europäischen Wettbewerbsregeln finden. Auch andere Vorschriften des europäischen Kartellrechts differenzieren auf der Tatbestandsebene zwischen zwei Arten von Wettbewerbsbeschränkungen. Während in Art. 101 AEUV die Differenzierung bereits durch den Wortlaut der Norm vorgegeben ist, lässt sich das Bild einer Zweiteilung bei Art. 102 AEUV nur aus einer genauen Betrachtung der Rechtsprechung gewinnen. Gleichwohl entsprechen Terminologie und Vorgehen der europäischen Gerichte bei der Beurteilung von Verhaltensweisen nach Art. 102 AUEV der in Art. 101 AEUV tatbestandsmäßig angelegten Unterscheidung zwischen bezweckten und bewirkten Wettbewerbsbeschränkungen („restrictions by object or effect“).841 Dass dieser Gleichlauf schon seit längerem in der Rechtsprechung angeklungen ist, zeigt bereits ein Blick auf Michelin II. Dort nahm das EuG einen direkten Zusammenhang zwischen Zweck und Wirkung an842 und lehnte sich somit methodisch an die „bezweckte Wettbewerbsbeschränkung“ gem. Art. 101 AEUV an.843 Ebenso lässt sich in Intel diese Annahme finden.844 Auch dort wurde von der Eignung und dem Zweck der Verhaltensweise auf das Vorliegen des Effekts geschlossen.845 Für eine derartige Vergleichbarkeit spricht auch die Art und Weise, wie in diesen Fällen die Möglichkeit wettbewerbsschädlicher Effekte abgeleitet wird. So wird anhand objektiver Umstände auf das Vorliegen negativer Auswirkungen geschlossen. Allen ihrer Natur nach als missbräuchlich eingestuften Verhaltensweisen ist dabei gemein, 841 Italianer, The Object of Effects, Vortrag anlässlich der CRA Annual Brussels Conference, 10. 12. 2014, S. 4; Ibañez Colomo, LSE Law, Society and Economy Working Papers 29/ 2014, S. 15; so auch für die Fallgruppe der Kosten-Preis-Schere: Leupold, EuWZ 2011, 339, 347; Peeperkorn, Concurrences N81-2015, 43, 53 ff.; Ibañez Colomo, C.M.L. Rev. 53 (2016), 709; Lovdahl Gormsen, World Competition 36 (2013), 223, 227; so auch GA Wahl, Schlussanträge vom 20. 10. 2016, Rs. C-413/14 P, EU:C:2016:788, Rn. 82; gegen eine Diskussion in den Kategorien des Art. 101 AEUV: Bodenstein, ZWeR 2015, 403, 408 Fn. 31, so auch Leupold annehmend, dass der Wortlaut des Art. 102 AEUV gegen eine solche Differenzierung spreche, vgl. Leupold, EuZW 2011, 339, 347. 842 EuG, Urteil vom 30. 9. 2003, Rs. T-203/01, EU:T:2003:250, Rn. 241 – Michelin II. 843 So auch Barthelmeß, NZKart 2014, 492, 494; Lovdahl Gormsen, World Competition 36 (2013), 223, 227. 844 EuG, Urteil vom 12. 6. 2014, Rs. T-286/09, EU:T:2014:547, Rn. 203 – Intel. 845 EuG, Urteil vom 12. 6. 2014, Rs. T-286/09, EU:T:2014:547, Rn. 42 – Intel.

II. Prüfungsmaßstäbe

193

dass diese bereits ihrem Wesen nach nicht als Ausdruck eines Leistungswettbewerbs (competition on the merits) verstanden werden.846 So wurde für einige Verhaltensweisen wie Treuerabatte und Exklusivbindungen angenommen, dass diesen die wettbewerbsschädigende Wirkung unmittelbar anhafte. Daher sei auch eine weitergehende Prüfung der Umstände des Einzelfalls entbehrlich, da sich die Missbräuchlichkeit unmittelbar aus der Natur des betreffenden Verhaltens ergäbe. Zur Prüfung bewirkter Wettbewerbsbeschränkungen wird hingegen die Tatsachenbasis erweitert und weitere Faktoren hinzugezogen. Vereinzelt wird jedoch auch angenommen, dass eine dem Art. 101 AEUV entsprechende Differenzierung für Art. 101 AEUV nicht angezeigt sei.847 So gäbe der Wortlaut des Missbrauchsverbots eine derartige Unterscheidung gerade nicht vor.848 Dieses Wortlautargument scheint jedoch zu kurz zu greifen. Der Tatbestand des Art. 102 AEUV setzt lediglich die „missbräuchliche Ausnutzung“ einer marktbeherrschenden Stellung voraus. Dennoch wird man sich nicht davor verschließen können, dass dies auslegungsbedürftig ist und um Wertungen ergänzt werden muss. Eine Anlehnung an die Tatbestandsalternativen des Art. 101 AEUVerscheint daher nicht fernliegend oder systemfremd. Bestrebungen zur Wertungseinheit sind grundsätzlich zu begrüßen und vermögen wertvolle Impulse für die Auslegung der Tatbestände geben. Es ist zunächst evident, dass die einzelnen Missbrauchsformen unterschiedliche Auswirkungen auf den Markt haben. Neben den grundsätzlich zu unterscheidenden Auswirkungen wohnt ihnen auch ein verschieden großes Potential inne, negative Auswirkungen auf den Markt zu entfalten. Ein nuanciertes bzw. zweigeteiltes Prüfungssystem spiegelt diesen Befund lediglich wider und vermag den einzelnen Verhaltensweisen besser gerecht zu werden. Das bedeutet jedoch nicht, dass dies notwendigerweise zu einem identischen Begriffsverständnis und insbesondere einem exakt gleichen Prüfungsumfang führen muss. Es ist nachvollziehbar und sinnvoll, im Rahmen der Anwendung des Art. 102 AEUV Fallgruppen zu entwickeln und zu unterscheiden. Die Prüfung der verschiedenen Fallgruppen in unterschiedlicher Intensität ist auch Ausdruck der grundlegenden Überlegung, dass nicht alle Verhaltensweisen ein identisches Gefahrenpotential aufweisen. So hat auch die Generalanwältin Kokott in ihren Schlussanträgen in der Rechtssache T-Mobile Netherlands einen Vergleich der bezweckten Wettbewerbsbeschränkungen zum betrunkenen Autofahren gezogen. Auch hier sehen die meisten Rechtsordnungen Sanktionen vor, unabhängig davon, ob es zu einer konkreten Gefährdung oder einem Unfall gekommen ist. Dieses Prinzip mache sich die Kategorie der bezweckten Wettbewerbsbeschränkung zu eigen. Es käme insoweit nicht weiter darauf an, „ob im konkreten Einzelfall bestimmte Marktteilnehmer oder die Allgemeinheit tatsächlich zu Schaden kommen.“849 Die Frage, ob wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen 846

Ibañez Colomo, C.M. L. Rev. (53) 2016, 709. Bodenstein, ZWeR 2015, 405, 408 Fn. 31. 848 Leupold, EuZW 2011, 339, 347. 849 GA’in Kokott, Schlussanträge vom 19. 2. 2009, Rechtssache C-8/08, EU:C:2009:110, Rn. 47 – T-Mobile. 847

194

E. Vergleichende und zusammenfassende Betrachtung

für einen Verstoß gegen Art. 102 AEUV dargelegt werden müssen, verhält sich daher spiegelbildlich zu der Qualifizierung der einzelnen Tatbestände als abstraktes oder konkretes Gefährdungsdelikt. Insoweit sind die als bezweckte Wettbewerbsbeschränkung eingestuften Wettbewerbsbeschränkungen als abstrakte Gefährdungsdelikte zu sehen, während bewirkte Wettbewerbsbeschränkungen konkrete Gefährdungsdelikte darstellen. Dieses Urteil stützt sich in erster Linie auf Erfahrungswissen. Ausgangspunkt bei der Zugrundelegung unterschiedlicher Maßstabe und Instrumente zur Beurteilung der verschiedenen Formen des Behinderungsmissbrauchs bleibt die vorgehende Einschätzung hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit wettbewerbsschädlicher Auswirkungen der konkreten Verhaltensweise. Hierbei gilt es einfache Aussagen in praktikable Regeln und Grundsätze zu übersetzen und zwischen Verhaltensweisen, die für sich genommen nicht wettbewerbsfeindlich erscheinen und solchen, die mit großer Wahrscheinlichkeit negative Auswirkungen auf den Wettbewerb haben, zu unterscheiden.850 Dabei bildet die Folgenabschätzung auf ökonomischer Grundlage die Basis für einen derartigen Ansatz. So wird auch in der rechtsökonomischen Literatur davon ausgegangen, dass die optimalen Regeln für die verschiedenen Verhaltensweisen sehr unterschiedlich sein können.851 Insoweit gilt es typische Gefahrenlagen852 zu unterscheiden und Erfahrungssätze nutzbar zu machen. Die Wirkungen eines Verhaltens spielen damit, entgegen der vielfach vorgebrachten Kritik, eine zentrale Rolle bei der Beurteilung einer Verhaltensweise als missbräuchlich. Es kommen lediglich verschiedene Standards zur Anwendung, je nachdem, welche Fallgruppe beurteilt werden soll. Für bestimmte Fallgruppen wie Treuerabatte und Ausschließlichkeitsbindungen wird eine wettbewerbswidrige Verdrängungswirkung vermutet, während bei anderen Fallgruppen der Nachweis einer Verdrängungswirkung anhand konkreter Umstände wie quantitativer Beweise anhand des AEC-Tests zu führen ist. In Anlehnung an die unterschiedlichen Kategorien der bezweckten und der bewirkten Wettbewerbsbeschränkung in Art. 101 AEUV, ordnen die europäischen Gerichte daher die Kosten-Preis-Schere beispielsweise als bewirkte Wettbewerbsbeschränkung ein, während Treuerabatte eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung darstellen. Gleichwohl wird man sich fragen müssen, ob die Eröffnung der Möglichkeit des substantiierten Bestreitens auf Tatbestandsebene diese Parallelität für die Zukunft in Frage stellt. So stellt die in Intel von der Kommission verlangte Wirkungsanalyse eine Abweichung von der verkürzten Prüfung unter Art. 101 AEUV dar. Gleichwohl war diese den besonderen Umständen des Einzelfalls geschuldet, sodass sich daraus keine Aussagen für den allgemeinen Prüfungsmaßstab ableiten lassen. Die Einordnung hat somit auch nach dem Urteil des EuGH in Intel weiterhin Bestand. Die europäischen Gerichte haben damit einen Prüfungsrahmen entwickelt, der – entsprechend der Zweiteilung in Art. 101 AEUV – Verhaltensweisen anknüpfend an 850

Vgl. hierzu auch Evans, World Competition 28 (2005), 93, 95. Kerber, in: Festschrift Möschel, S. 341, 353. 852 Kellerbauer, in Möschel (Hrsg.), 50 Jahre Wettbewerbsgesetz in Deutschland und Europa, S. 69, 71. 851

II. Prüfungsmaßstäbe

195

die Wahrscheinlichkeit wettbewerbsschädlicher Auswirkungen nach unterschiedlichen Standards und Maßstäben beurteilt. Das Urteil über die potentielle Schädlichkeit bzw. abstrakte Gefährlichkeit einer Maßnahme gibt den Beurteilungsmaßstab vor. Dies ist für sich genommen stimmig. Daraus ergibt sich der Befund, dass ein derartiger Ansatz jedenfalls dann gerechtfertigt ist, wenn die zugrundeliegenden Annahmen zutreffend sind.853 Die Zuordnung zu den beiden Kategorien, die den Beurteilungsrahmen der Unionsgerichte kennzeichnen, muss daher im Einklang mit ökonomischen Erkenntnissen über die Schädlichkeit der jeweiligen Verhaltensweise stehen. Daher sollte dieser Ansatz nicht als unumstößliches Prinzip verstanden werden, sondern fortwährend weiterentwickelt werden. d) Zwischenergebnis Eine Reduktion der Diskussion um die konsistente Anwendung des Art. 102 AEUV auf eine Gegenüberstellung der vermeintlich von per se Regeln bestimmten Rechtsanwendung in der Vergangenheit und die eines neuen, auf Erkenntnissen der quantitativen und empirischen Analyse beruhenden Ansatzes vermag der Rechtspraxis der europäischen Gerichte nicht gerecht zu werden. Ebenso wenig überzeugt die Reduzierung der Debatte auf das Begriffspaar form-based approach und effects-based approach. Der von vielen Kommentatoren hervorgehobene und zugleich stark kritisierte Gegensatz von legalistischer Betrachtungsweise durch die europäischen Gerichte und ökonomischen Ansätzen besteht nicht.854 Eine derartige Betrachtung hat auch die durch die Kommission verfolgte Programmatik unter dem Schlagwort „more economic approach“ nahegelegt, erweckte diese doch den Eindruck, als habe bislang ein „Weniger“ an Ökonomie die Rechtsprechung zu Art. 102 AEUV geprägt. Bei der unter dem Schlagwort des more economic approach geführten Diskussion geht es daher auch nicht um ein „Mehr“ der ökonomischen Analyse im eigentlichen Sinne, sondern um eine andere ökonomische Fundierung der europäischen Wettbewerbspolitik und den vermehrten Einsatz empirisch-quantitativer Testverfahren.855 Auch bislang haben die europäischen Gerichte in ihren Entscheidungen ökonomische Erwägungen zur Grundlage ihrer Entscheidung gemacht. Der Vorwurf, die europäischen Gerichte würden grundsätzlich einen formbasierten Ansatz verfolgen, der im diametralen Gegensatz zu der neueren ökonomisch geprägten Programmatik der Kommission steht, stellt sich damit als unberechtigt heraus. Vielmehr wendet die europäische Rechtspraxis je nach Fallkonstellation ein sorgfältig elaboriertes Prüfprogramm an, das die Effekte in den Mittelpunkt der Betrachtungen stellt, sich aber hinsichtlich der Methodik von einem rein einzelfallbasierten Ansatz unter Hinzuziehung ökonomischer Analysen unterscheidet. 853

Ibañez Colomo, LSE Law, Society and Economy Working Papers, S. 19. Zu diesem Gedanken auch Wils, World Competition 37 (2014), 405, 410 ff. 855 So Ackermann, in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, § 21 Rn. 22; Böge, WuW 2004, 726, 733. 854

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E. Vergleichende und zusammenfassende Betrachtung

5. Abgleich mit der rechtstheoretischen Ökonomie: Implikationen einer optimalen Regelgestaltung Zur Beurteilung der Konsistenz der Rechtsprechung ist auch die Frage nach der geeigneten Prüfungsmethode für preisbezogene Behinderungsmissbräuche zu zählen. Ausgangspunkt der Überlegungen ist die Prämisse, dass ökonomische Begründungsmuster grundsätzlich eine Hilfestellung für die Lösung kartellrechtlicher Fragestellungen zu leisten vermögen. Unter dem Oberbegriff „optimale Regelgestaltung“ findet seit geraumer Zeit eine lebhafte Debatte statt, die einen Ausgleich zwischen einzelfallbezogenen quantitativen Elementen und abstrakteren Regeln in der Rechtsanwendung anstrebt.856 Diese Diskussion bewegt sich damit weg von den starren Kategorien „formbasiert“ und „effektbasiert“ und versucht, alternative Lösungsansätze zur Bemessung missbräuchlichen Verhaltens aufzuzeigen. Zudem verfolgt diese Debatte das Ziel, auch anderen Wertungen wie der Rechtssicherheit und der Justiziabilität Raum zu verschaffen und der einseitigen Fokussierung auf eine vermeintlich ökonomischere Betrachtungsweise in Form von Einzelfallwertungen entgegen zu treten. So spielen bei der Auslegung des Art. 102 AEUV auch Aspekte von Rechtssicherheit, Kosten sowie Risikoverteilung eine entscheidende Rolle. Vor dem Hintergrund dieser Bestrebungen sollen im folgenden Abschnitt Erkenntnisse im Hinblick auf die Wertentscheidung der europäischen Gerichte, unterschiedliche Maßstäbe zur Beurteilung der verschiedenen Formen des preisbezogenen Behinderungsmissbrauchs anzulegen, gewonnen werden. a) Vorüberlegungen: Rechtssicherheit, Einzelfallgerechtigkeit und Justiziabilität im Spannungsfeld der Missbrauchsaufsicht Der Gestaltung optimaler Regeln wohnt der klassische Zielkonflikt des Rechts zwischen den prinzipiellen Werten der Einzelfallgerechtigkeit und der Rechtssicherheit inne.857 Das Prinzip der Rechtssicherheit umschreibt einen Rechtsfindungsprozess, der Streitigkeiten unter Inkaufnahme eines gewissen Maßes an Fehlern im Interesse des Rechtsfriedens mit einem vertretbaren Aufwand entscheidet. Weitere Ausprägungen der Rechtssicherheit sind die Schaffung eines konsistenten, eindeutigen und berechenbaren Rechtsrahmens und die Operationalität der zur Beurteilung herangezogenen Kriterien. Daher dient die Rechtssicherheit zugleich auch dem Schutz der Marktteilnehmer vor überraschenden hoheitlichen Eingriffen. 856 Siehe hierzu insbesondere Kerber, in: Festschrift Möschel, S. 341, 346; ders., in: Festschrift Schäfer, S. 489; Christiansen/Kerber, J. Comp. L. & Econ. 2 (2006), 215; Ewald, ZWeR 2011, 15; Evans, World Competition 28 (2005), 93; Evans/Padilla, U. Chi. L. Rev. 72 (2005), 73; Hovenkamp, The Antitrust Enterprise 2005, S. 31 ff. 857 Schmidt, in: Festschrift Bechtold, S. 409, 411; so hat auch schon Radbruch das Recht als eine Trias von Gerechtigkeit, Zweckmäßigkeit und Rechtssicherheit definiert, vgl. Radbruch, Rechtsphilosophie, S. 74.

II. Prüfungsmaßstäbe

197

Hierbei muss auch die Dimension der Vorhersehbarkeit und des Vorhandensein von sicheren Häfen (safe harbour) für die betroffenen marktbeherrschenden Unternehmen berücksichtigt werden. Das marktbeherrschende Unternehmen muss grundsätzlich in die Lage versetzt werden, im Rahmen einer Selbsteinschätzung zu prüfen, ob sein Verhalten nach Art. 102 AEUV erlaubt ist.858 Diesem Problem kommt in der Missbrauchsaufsicht besondere Bedeutung zu, da hier – anders als bei der Fusionskontrolle – kein vorgeschalteter Prüfmechanismus existiert.859 Die Ausgestaltung der Regeln und Kriterien zur Erfassung missbräuchlichen Verhaltens müssen daher so ausgestaltet sein, dass das marktbeherrschende Unternehmen durch eine kursorische Prüfung die Rechtmäßigkeit einer potentiellen Geschäftsstrategie zu beurteilen vermag. Dabei muss diese Beurteilung bereits ex-ante, d. h. zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Einsatz dieser Strategie, möglich sein.860 Gerade angesichts der empfindlichen Geldbußen und dem damit verbundenen strafrechtsähnlichen Charakter muss bei der Anwendung des europäischen Kartellrechts rechtsstaatlichen Grundsätzen genüge getan werden.861 Hierzu gehört auch die Berücksichtigung des Bestimmtheitsgrundsatzes.862 Dies wird vor allem bei der Aufstellung von Regeln relevant. Die Einzelfallgerechtigkeit steht der Rechtssicherheit diametral gegenüber und erfordert die umfassende Berücksichtigung aller relevanten Aspekte des Einzelfalls. Insoweit können auch aufwendige ökonomische Analysen erforderlich sein. Im ökonomischen Schrifttum, aber auch in reformbegleitenden Dokumenten der Kommission, wird oftmals gerade die Einzelfallgerechtigkeit als Argument für den more economic approach und einen effects-based approach geltend gemacht. Neben der Rechtssicherheit und der Einzelfallgerechtigkeit gilt es bei der Anwendung und Durchsetzung des europäischen Kartellrechts auch Aspekte der Praktikabilität und Justiziabilität zu berücksichtigen. Hierbei sind insbesondere der administrative Aufwand, die Kosten sowie der schonende Einsatz von Ressourcen entscheidende Faktoren. b) Ziele einer ökonomischen Regeloptimierung Übergeordnete Ziele einer ökonomischen Regeloptimierung sind die Minimierung von Entscheidungsfehlern und geringe Regulierungskosten. Optimale Regeln führen zu einer Minimierung von Fehlerkosten und bleiben dabei gleichzeitig operational in ihrer Anwendung.863 Allgemeine Leitkriterien müssten dabei primär 858

Wils, World Competition 37 (2014), 405, 427. Hertfelder, Die consumer welfare im europäischen Wettbewerbsrecht, S. 187. 860 Wurmnest, Marktmacht und Verdrängungsmissbrauch, S. 250; Hertfelder, Die consumer welfare im europäischen Wettbewerbsrecht, S. 186; Kellerbauer in: Möschel (Hrsg.), 50 Jahre Wettbewerbsgesetz in Deutschland und in Europa, S. 69, 75. 861 Bechtold, WuW 2009, 1115; Kling/Thomas, Kartellrecht, § 6 Rn. 92. 862 Hertfelder, Die consumer welfare im europäischen Wettbewerbsrecht, S. 186. 863 Evans, World Competition 28 (2005), 93, 95; Evans/Padilla, U. Chi. L. Rev. 72 (2005), 73, 80; Christiansen/Kerber, J. Comp. L. & Econ. 2 (2006), 215 f. 859

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E. Vergleichende und zusammenfassende Betrachtung

weit genug gefasst sein, um alle möglichen Erscheinungsformen des Missbrauchs zu inkludieren, jedoch nicht zu weit, als dass sie einer Leerformel gleichkommen. Dabei sollten sie zugleich in der Lage sein, mit hinreichender Genauigkeit wettbewerbsschädliches von wettbewerbsförderlichem Verhalten abzugrenzen, ohne eine Vielzahl an Fehlern erster oder zweiter Art zu produzieren. Dieser Katalog an Voraussetzungen verdeutlicht bereits die Herausforderungen bei der Findung eines geeigneten Prüfungsrahmens zur Beurteilung potentiell missbräuchlicher Verhaltensweisen. Eine optimale Regel weist einen Differenzierungsgrad auf, der zu einer Kostenentsprechung zwischen den Vorteilen einer ausdifferenzierteren Regel und den dadurch verursachten Kosten führt.864 Dieser, unter dem Begriff error-cost approach diskutierte Ansatz865 bewertet die Wahrscheinlichkeit und die Folgen von Fehlern und versucht dementsprechend Regeln zu formulieren. aa) Minimierung von Entscheidungsfehlern Bei der optimalen Gestaltung von Rechtsregeln wird die Minimierung und nicht die vollständige Vermeidung von Fehlerkosten in den Vordergrund gerückt. Dies liegt darin begründet, dass das Auftreten von Fehlern bei der Anwendung von Rechtsregeln auf komplexe Sachverhalte unvermeidbar ist. Daher kann die optimal gestaltete Rechtsregel im Ausgangspunkt schon gar nicht darauf ausgelegt sein, jedem Einzelfall in idealer Form gerecht zu werden. Vielmehr gilt es einen rechtlichen Rahmen zu entwickeln, der unter Zuhilfenahme von Erfahrungswissen, Erkenntnissen aus der Ökonomie und praktikablen Regeln einen Ausgleich zwischen der Einzelfallgerechtigkeit und der Rechtssicherheit schafft. In der ökonomischen Theorie wird zwischen Typ-I-Fehlern (Fehler 1. Ordnung, false positives) und TypII-Fehlern (Fehler 2. Ordnung, false negatives) unterschieden.866 Während bei Typ-IFehlern eine Verhaltensweise trotz wohlfahrtssteigernder oder pro-kompetitiver Wirkung verboten wird (sog. over-enforcement), führen Typ-II-Fehler zu einer Erlaubnis des betreffenden Verhaltens, obwohl es wettbewerbsschädlich ist (sog. under-enforcement).867 Beide Fehlerarten führen zu einem Schaden für die Volkswirtschaft. Dieser äußert sich je nach Fehlerart in einem direkten Wohlfahrtsverlust oder entgangenen Wohlfahrtsgewinnen. Welcher der Fehler kostspieliger ist, hängt dabei von einer Reihe von Faktoren ab. Im Rahmen der Debatte um die Reform des Missbrauchsaufsicht und die verstärkt 864

Kerber, in: Festschrift Möschel, S. 341, 349; Christiansen/Kerber, J. Comp. L. & Econ. 2 (2006), 215, 223 ff. 865 Vgl. Evans/Padilla, U. Chi. L. Rev. 72 (2005), 73, 75; Katsoulacos/Ulph, in: Etro/ Kokkoris (Hrsg.), Competition Law and the Enforcement of Article 102 TFEU, S. 73, 74 f.; Ewald, in: Basedow/Wurmnest (Hrsg.), Structure and Effects in EU Competition Law, S. 83, 86; Kerber, in: Festschrift Möschel, S. 341, 348. 866 Die Begriffe kommen ursprünglich aus der Statistik, werden aber im Kontext der Kartellrechtsdurchsetzung gebraucht. 867 Whish/Bailey, Competition Law, S. 203; Schmidtchen, WuW 2006, 16.

II. Prüfungsmaßstäbe

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ökonomische Betrachtungsweise der Kommission wurde oftmals der Vorwurf laut, dass die hergebrachte Fallpraxis in Europa eine Tendenz zur Erzeugung und Tolerierung von Typ-I-Fehlern habe.868 In der US-amerikanischen Rechtspraxis herrscht derweil die Auffassung, es sei vorzugswürdig, false positives zu vermeiden.869 In diesem Zusammenhang ist eine gewisse Zurückhaltung bei der Durchsetzung von sec. 2 des Sherman Act zu beobachten. Die Relevanz von Typ-II-Fehlern wird oftmals mit dem Argument negiert, der Markt sei in der Lage, die nachteiligen Folgen eines fälschlicherweise nicht untersagten missbräuchlichen Verhaltens selbst zu korrigieren. So wird teils die Ansicht vertreten, dass die Kosten eines fälschlicherweise für missbräuchlich befundenen Verhaltens höher sind als in den Fällen eines nicht erfolgten Verbots.870 Die durch die weitere Durchführung der missbräuchlichen Verhaltensweisen zu erzielenden Monopolrenten würden neue Marktzutritte begünstigen. Insoweit könnten Marktkräfte hier eher als Korrektiv dienen.871 Diese Argumentation greift aber zu kurz. Eine Reduzierung der sozialen Kosten von false positives erscheint durch das Bestehen von Rechtfertigungsmöglichkeiten abgeschwächt.872 Die Implementierung eines rechtlichen Rahmens zur Beurteilung von Behinderungsmissbräuchen enthält dabei zwangsläufig eine Wertentscheidung. Sowohl die ausschließliche Berücksichtigung von Typ-I-Fehlern als auch die ausnahmslose Fokussierung auf Typ-II-Fehler ist daher im Ergebnis nicht überzeugend. bb) Regulierungskosten Unter Regulierungskosten sind alle Kosten zu verstehen, die im Zusammenhang mit der Aufstellung von Regeln sowie bei der Durchsetzung dieser Regeln in der konkreten Fallpraxis entstehen.873 Geringe Regulierungskosten lassen sich daher in erster Linie durch die Implementierung einfacher Tests erzielen, die einfach zu verstehen und anzuwenden sind. Im Ausgangspunkt kann daher davon ausgegangen werden, dass die Durchsetzungskosten mit einem höheren Grad an Differenzierung der Regeln steigen, da diese eine tiefere Analyse verschiedener Kriterien erforderlich machen. Aufgrund der begrenzten Verfügbarkeit von Informationen können Ent868 Bishop/Marsden, European Competition Journal 2 (2006), 1; Forrester, Fordham Int’l L. J. 28 (2005), 919 ff; zu diesem Vorwurf auch Lovdahl Gormsen, World Competition 36 (2013), 223, 231. 869 So argumentierte der Supreme Court besonders eingängig in Verizon Communications Inc. v. Law Offices of Curtis Trinko, 540 US 398 (2004): Against the slight benefits of antitrust intervention here, we must weigh a realistic intervention of its costs […]. Mistaken interferences and the resulting false condemnations are especially costly, because they chill the very conduct the antitrust laws are designed to protect […]. The cost of false positives counsels against an undue expansion of s 2 liabilty“. 870 Evans/Padilla, U. Chi. L. Rev. 72 (2005), 73, 83. 871 Evans/Padilla, U. Chi. L. Rev. 72 (2005), 73, 83. 872 Lovdahl Gormsen, World Competition 36 (2013), 223, 232. 873 Vgl. Paul, Behinderungsmissbrauch nach Art. 82 EG und der „more economic approach, S. 64 ff.

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E. Vergleichende und zusammenfassende Betrachtung

scheidungen im Ausgangspunkt nur anhand eines beschränkten Umfangs an Wissen getroffen werden.874 Insoweit wird die Durchführung von Einzelfalltests wie dem AEC-Test oftmals die mangelnde Verfügbarkeit oder Belastbarkeit von Marktdaten entgegenstehen.875 Daher ist es für die Geringhaltung der Regulierungskosten unentbehrlich, Fallgruppen zu bilden. Die Ausgestaltung in Form von Regeln ermöglicht zugleich den Abschluss der Verwaltungsverfahren innerhalb eines vertretbaren zeitlichen Rahmens. c) Eigengesetzlichkeiten des Rechts In der Debatte um die Verzahnung von Ökonomie und Recht gilt es einige Prämissen zu berücksichtigen, die unter dem Oberbegriff der Eigengesetzlichkeiten der Rechtsanwendung diskutiert werden. Es ist nicht zu leugnen, dass bei einer Materie wie dem Kartellrecht, das in seiner Gesamtheit als Forschungsgegenstand ökonomische Wertungen enthält, Erkenntnisse aus der Ökonomie erforderlich sind, um eine fundierte Anwendung der Vorschriften zu gewährleisten. Gleichwohl unterliegt die Integration ökonomischer Erkenntnisse gewissen Beschränkungen. So hat die Rechtsanwendung bei dem Juristen zu verbleiben und kann nicht durch komplexe Einzelfallanalysen gänzlich überlagert werden.876 Ökonomische Theorien und Modelle müssen für den Rechtsanwender grundsätzlich nachvollziehbar bleiben. Gleichzeitig muss der Erkenntnisgewinn aus dem wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsumfeld mit einem Zugewinn für die Rechtsanwendungspraxis verbunden sein. Zudem ist zu berücksichtigen, dass es sich bei den Wirtschaftswissenschaften, anders als bei einigen Naturwissenschaften, nicht um eine exakte Disziplin handelt. Ökonomische Phänomene können auf vielfältige Weise interpretiert werden und unterliegen der ständigen Entwicklung. Zugleich unterliegt die Ökonomie Denkmoden und außerrechtlichen Zielsetzungen.877 Nicht einmal innerhalb der Industrieökonomik herrscht ein breiter Konsens hinsichtlich der Bewertung wettbewerblicher Phänomene.878 Aus alledem ergeben sich weitere Beschränkungen, die insgesamt in Richtung eines ökonomisch fundierten regelorientierten Ansatzes weisen. 874

Zäch/Künzler, ZWeR 2009, 269, 281. Dreher, WuW 2008, 23, 25. 876 So diskutiert auch Wurmnest, Marktmacht und Verdrängungsmissbrauch, S. 238 ff., ob eine Ergänzung der Spruchkörper durch ökonomische Laienrichter sinnvoll wäre, kommt aber zu dem Ergebnis, dass diese nicht notwendig ist, da ökonomischer Sachverstand über Gutachten gewonnen werden kann; ähnlich Schmidt, in: Festschrift Bechtold, S. 409, 412, der dies mit dem Juristenmonopol begründet; zu diesem Gedanken auch Pohlmann, in: Festschrift Möschel, S. 471, 473. 877 Basedow, WuW 2007, 712, 714. 878 So auch Kling/Thomas, Kartellrecht, § 2 Rn. 41; Haberkamm, Art. 102 AEUV im Lichte eines ökonomisch geprägten Prüfungsansatzes, S. 306 f.; Kerber, in: Festschrift Möschel, S. 341, 345; noch eingängiger Christiansen, WuW 2005, 285, 289 ff. der insoweit von einem „dauerhaften Dissens“ spricht. 875

II. Prüfungsmaßstäbe

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d) Konkrete Ansätze zur Regelgestaltung: Einzelfallorientierte rule of reason oder ökonomiebasierte Regeln Aus den vorstehenden Ausführungen ergibt sich eine Notwendigkeit der Entwicklung allgemeiner Regeln, die ökonomische Erkenntnisse hinreichend reflektieren und die Rechtsanwendung zugleich praktikabel gestalten. Hierzu lassen sich die vorangegangen theoretischen Überlegungen zur Gestaltung optimaler Regeln auf verschiedene Weise in die Praxis umsetzen. Grundsätzlich kann dabei zwischen zwei verschiedenen Ansätzen zur Regelgestaltung unterschieden werden. Auch hier sind ein wirkungsbasierter Ansatz und ein regelbasierter Ansatz zu unterscheiden.879 Sowohl im US-amerikanischen Kartellrecht als auch im europäischen Wettbewerbsrecht jüngeren Datums lässt sich eine Tendenz beobachten, verstärkt auf eine einzelfallorientierte Betrachtung zurückzugreifen.880 Der begrenzte Nutzen der gebräuchlichen Terminologien wurde bereits eingangs aufgezeigt. Dennoch lassen sich einige allgemeine Aussagen hinsichtlich der grundsätzlichen Möglichkeiten der Gestaltung von Regeln treffen. Reine per se Verbote sind nur dann angezeigt, wenn aufgrund gesicherter Annahmen sowie praktischer Erfahrung angenommen werden kann, dass die Auswirkungen einer Verhaltensweise so klar und eindeutig wettbewerbsschädlich sind, dass eine eingehendere Analyse einer Verschwendung von Ressourcen gleichkäme. Zudem muss das Risiko von Typ-I-Fehlern und Typ-IIFehlern verschwindend gering sein.881 Ein strikter formbasierter Ansatz, der aus einer ex ante-Perspektive Verhaltensweisen identifiziert, hinsichtlich derer eine Vermutung der Missbräuchlichkeit gilt, hat den Reiz der Rechtssicherheit und klar formulierter Verhaltensregeln. Für die betroffenen Unternehmen ist erkennbar, welches Verhalten nicht erlaubt ist. Nachteile einer strikt formbasierten Beurteilung sind die Anfälligkeit für sog. Typ-I-Fehler (false positive) sowie eine ungewollte Abschreckungswirkung, die zu einer Verringerung des Wettbewerbsdrucks führen kann. Darüber hinaus kann dieser Ansatz aufgrund der ausbleibenden Berücksichtigung etwaiger Effekte auf den Markt dazu führen, dass Verhaltensweisen, die hinsichtlich ihrer Marktauswirkungen gleich sind, in einem Fall aufgrund ihrer Form als missbräuchlich eingestuft werden und in einem anderen als erlaubt gelten. Dies kann im Ergebnis zu einem Ausweichverhalten der Unternehmen führen oder den Vorteil der Rechtssicherheit in sein Gegenteil verkehren. Gleichzeit bedeutet die Anwendung formbasierter Regeln nicht, dass ökonomische Wirkungszusammenhänge gänzlich außer Acht gelassen werden. Diese werden jedoch nicht in Form einer einzelfall-

879

Siehe zu den grundlegenden Terminologien auch schon oben unter B.I. Vgl. Christiansen/Kerber, J. Comp. L. & Econ. 2 (2006), 215 f., 235; Kerber, in: Festschrift Möschel, 2011, S. 341. 881 Vgl. O’Donoghue/Padilla, The Law and Economics of Article 102 TFEU, S. 225. „Per se rules are only appropiate where (1) experience and logic suggests that the benefit/harm resulting from a practice is so clear and unambiguous that there is no point in wasting court or regulatory in investigation its effects; and (2) the risk of false positives or false negatives is small.“ 880

202

E. Vergleichende und zusammenfassende Betrachtung

bezogenen Wirkungsanalyse im Einzelfall berücksichtigt, sondern typisiert und in abstrakt-generelle Regeln übersetzt.882 Zu den Nachteilen eines verstärkt einzelfallorientierten Ansatzes, der die Durchführung ökonomischer Analysen erforderlich macht, gehören Einbußen an der Rechtssicherheit, steigende Verfahrenskosten sowie das Entstehen diskretionärer Spielräume der Wettbewerbsbehörden.883 Insoweit stehen auch verfahrensrechtliche Bedenken sowie Aspekte materieller Gerechtigkeit der Adaption eines rein einzelfallbasierten Analyserahmens entgegen. So bietet ein umfassender effects-based approach zugleich ein Einfallstor für interessengeleitete Auslegungen. Durch vermehrte Einzelfallanalysen wird zudem auch der private Rechtsschutz erschwert, da die Anforderungen an den Nachweis des wettbewerbswidrigen Verhaltens sehr hoch sind.884 Potentielle Opfer missbräuchlicher Verhaltensweisen haben, anders als die Kartellbehörden, eingeschränkte Beweiserhebungs- und Gewinnungsmöglichkeiten. Daher werden sie oftmals gar nicht in der Lage sein, an die notwendigen Marktdaten zu gelangen. Dies steht im Widerspruch zu der wichtigen Stärkung des privaten Rechtsschutzes, der in den letzten Jahren von den europäischen Institutionen vorangetrieben wurde.885 e) Eigene Bewertung Als Ergebnis dieses Prüfungsabschnitts festzuhalten, dass auch die Theorie der optimalen Regelgestaltung bislang keinen universellen Ansatz für die Beurteilung aller Fallgruppen des Missbrauchsverbots aufzuzeigen vermag. Die Erörterungen wiesen bislang vielmehr in die Richtung, die auch von den Unionsgerichten eingeschlagen wurde. Im Ergebnis enthalten alle Ansätze zur Gestaltung von Regeln eine Wertung und sind Ausdruck der Gewichtung des Regel-Ausnahme-Verhältnisses. Kausalitäten sind aufgrund komplexer Marktbedingungen oftmals nur im begrenzten Maße nachvollziehbar. Monokausalitäten lassen sich im Bereich des Kartellrechts nicht festmachen. Sowohl strikte per se Verbote als auch umfassende Einzelfallanalysen eignen sich nicht, um hochgradig ambivalente Verhaltensweisen zu beurteilen. Diese lassen sich der Rechtsprechung jedoch auch nicht nachweisen. Die Bildung von Fallgruppen ist angesichts der weit überwiegenden Wahrscheinlichkeit der Missbräuchlichkeit oder Zulässigkeit eines bestimmten Verhaltens jedoch möglich. Dabei blieb auch bislang für die Fallgruppen, die einer strengeren Regel unterliegen, die Möglichkeit einer Rechtfertigung bestehen. Daher handelte es 882

Behrens, in: Festschrift Schäfer, S. 458. Kerber, in: Festschrift Möschel, S. 341, 345. 884 Dreher, WuW 2008, 23, 26; Behrens, in: Festschrift Schäfer, S. 458, 466; Jickeli, in: Festschrift Möschel, S. 314, Wils, World Competition 37 (2014), 405, 431. 885 Siehe hierzu insbesondere die Richtlinie 2014/104/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. November 2014 über bestimmte Vorschriften für Schadensersatzklagen nach nationalem Recht wegen Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union. 883

II. Prüfungsmaßstäbe

203

sich weder um per se Regeln im eigentlichen Wortsinn, da eine Rechtfertigung stets möglich blieb noch um eine rule of reason, die lediglich tatsächliche Effekte in den Bezug nimmt und einer Abwägung unterzieht. Dabei unterscheiden sich die jeweils zur Anwendung gelangenden Standards. Auf diese Weise hat die Rechtsprechung einen Ansatz implementiert, der einen sinnvollen Ausgleich zwischen Rechtssicherheit und Praktikabilität auf der einen Seite und Einzelfallgerechtigkeit auf der anderen Seite ermöglicht. Vermutungsregeln bieten Rechtssicherheit, indem sie es dem marktbeherrschenden Unternehmen ermöglichen vorherzusehen, unter welchen Voraussetzungen ihr Verhalten missbräuchlich ist. Dadurch kann sich das rechtsunterworfene Unternehmen darauf einstellen. Zugleich ist das für die Rechtssicherheit sehr wichtige Primat der Vorhersehbarkeit rechtlicher Entscheidungen verwirklicht. Durch die grundsätzliche Widerlegbarkeit der Vermutungsregeln auf Rechtfertigungsebene bleibt zugleich die grundsätzliche Berücksichtigung von tatsächlichen Effekten im Rahmen der Effizienzeinrede möglich. In diesem Kontext ist sodann eine ökonomische einzelfallbasierte Analyse Gegenstand der Prüfung. Auf diese Weise wurde bislang eine sachgerechte Verteilung der Darlegungs- und Beweislast erzielt. Diese wird nun jedoch durch das Urteil des EuGH in Intel in Frage gestellt. Darin scheint ein systematischer Bruch angelegt zu sein. So werden Erwägungen, die vormals auf der zweiten Stufe der Prüfung Berücksichtigung fanden, nun auf der Tatbestandsebene im Rahmen einer umfassenden Effizienzprüfung gewürdigt und sind somit von den Wettbewerbsbehörden zu widerlegen. Dieser Ausweitung der Rechtfertigungsmöglichkeiten hätte es nicht bedurft und führt zugleich zu einer Verschiebung der Systematik.886 In welcher Weise sich dieser Eingriff in die Grundstruktur des Missbrauchsverbots nach Art. 102 AEUV auf die künftige Rechtsanwendungspraxis auswirken wird, kann zu diesem Zeitpunkt nur gemutmaßt werden. Sicherlich werden die Wettbewerbsbehörden im Einzelfall vor größere Nachweisanforderungen gestellt sein und sich nicht mehr nur allein auf das Vorliegen einer Vermutung zurückziehen können. Aufgrund der diversen Determinanten, die für jede Fallgruppe stark voneinander abweichen können, ist auch unter Hinzuziehung rechtsökonomischer Erwägungen davon auszugehen, dass die Regeln für die verschiedenen Verhaltensweisen sehr unterschiedlich sein können.887 Die Unionsgerichte tragen mit der Entscheidung für die Anwendung unterschiedlicher Maßstäbe diesem Erfordernis grundsätzlich Rechnung. Die Rolle der Ökonomie sollte sich daher auf einen Beitrag zur Entwicklung und Analyse ökonomischer Regeln beschränken. Aufgrund der Ambivalenz der Verhaltensweisen ist die Bildung einfacher Regeln zur Beurteilung von Behinderungsmissbräuchen, die ein tolerierbares Maß an Fehlern erster und zweiter Art produzieren und dabei zugleich die Regulierungs- und Durchsetzungskosten 886 887

73, 97.

So auch Wernicke, EuZW 2017, 850, 860. Kerber, in: Festschrift Möschel, S. 341, 353; Evans/Padilla, U. Chi. L. Rev. 72 (2005),

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E. Vergleichende und zusammenfassende Betrachtung

denkbar gering halten, kaum denkbar. Eine vollständige Ausblendung der Möglichkeit des Auftretens negativer Auswirkungen auf den Wettbewerb könnte den Wettbewerb zum Erliegen bringen und Innovation mindern, während die Notwendigkeit der Erbringung konkreter Nachweise im Einzelfall oftmals zu einem verspäteten Eingreifen führt. Insoweit ist auch dem Ansatz der Kommission zuzugestehen, dass er sich um die Verbindung verschiedener rechtlicher und ökonomischer Aspekte zu einem ganzheitlichen Bewertungsrahmen bemüht, wenngleich einige, wie vor allem die Anwendung des AEC-Tests auf alle Fallgruppen des preisbezogenen Behinderungsmissbrauchs, kritikwürdig bleiben. Die Analyse der Rechtsprechung hat ergeben, dass es im Bereich der Missbrauchskontrolle Fallgruppen gibt, bei denen die Rechtsprechung die Reichweite der Vermutungsregeln besonders hervorhebt und Gegenbeweise zur Rechtfertigung einer als wettbewerbsbeschränkend vermuteten Verhaltensweise regelmäßig nicht berücksichtigt. Die jüngere Spruchpraxis lässt dessen ungeachtet Ansätze erkennen, konkrete ökonomische Besonderheiten des Einzelfalls zu berücksichtigen. So hat dies in Intel vor dem Hintergrund der konkreten Fallgestaltung sogar dazu geführt, dass der EuGH die Führung eines Gegenbeweises auf Tatbestandsebene eröffnet und von dem EuG die Überprüfung dieses Vortrags verlangt hat. Auch vermeintliche formale Kriterien vermögen wirtschaftliche Realitäten abzubilden. Diese werden jedoch nicht im Wege einer Einzelfallbetrachtung, sondern durch die Übersetzung in qualifizierte Regeln abgebildet.888 Einzelfallgerechtigkeit, Vorhersehbarkeit und Rechtssicherheit sind im Bereich der Rechtanwendung keine theoretischen Ideale, sondern von großer Wichtigkeit. Hierbei gilt es ökonomisch fundierte abstrakte Regeln zu formulieren, die zugleich den Erfordernissen der Handhabbarkeit, Überprüfbarkeit und Praktikabilität gerecht werden. Die Herausarbeitung der Kriterien der ökonomischen Theorie hat ergeben, dass dies unter dem Aspekt der Rechtssicherheit, der möglichst schonenden Einsetzung von Ressourcen und einer Abwägung der Fehlerkosten die vorzugswürdige Alternative ist.

6. Alternativkriterien zur Beurteilung von Behinderungsmissbräuchen im Schrifttum der modernen Wettbewerbsökonomie: Alternativen zum AEC-Test Die Defizite des As efficient competitor-Tests, insbesondere zur Beurteilung von Rabattsystemen, werfen zwangsläufig die Frage nach alternativen Bewertungskriterien für preisbezogene Behinderungsmissbräuche auf. Zielrichtung dieser Überlegungen ist die Entwicklung eines umfassenden analytischen Rahmens zur Identifizierung missbräuchlichen Verhaltens, der ökonomische Gesichtspunkte und Marktauswirkungen stärker einbindet und auf alle Formen des preisbezogenen Behinderungsmissbrauchs gleichermaßen anwendbar ist. Diesem Bestreben wohnt der Anspruch der Entwicklung eines konsistenten Rahmens inne. Vor allem in der 888

So auch Behrens, in: Festschrift Schäfer, S. 457, 458.

II. Prüfungsmaßstäbe

205

US-amerikanischen Kartellrechtspraxis werden verstärkt Bemühungen unternommen, eine auf alle Behinderungsmissbräuche anwendbare einheitliche Abgrenzungsformel zu entwickeln.889 Sicherlich hat die Debatte im europäischen Recht daher auch durch die jüngeren Bemühungen des Department of Justice (DoJ)890 nochmals an Aktualität gewonnen. Im Schrifttum und insbesondere der ökonomischen Literatur sind dazu verschiedene Tests zur Identifizierung und Beurteilung von Behinderungsmissbräuchen vorgeschlagen worden.891 Die Tests unterscheiden sich insbesondere hinsichtlich ihres Bezugspunkts. Während die europäischen Gerichte den Auswirkungen auf den Wettbewerbsprozess weiterhin als Bezugspunkt für die Beurteilung eines Verhaltens Vorrang verschaffen, lässt sich in der begleitenden Literatur seit geraumer Zeit das Bestreben beobachten, die Wirkungsanalyse auf ein greifbares Fundament zu stellen. Auch die Aufwertung des AEC-Tests ist Ausdruck dieser Bestrebungen. Diese Entwicklung reflektiert zugleich die Schutzzweckdebatte sowie die anhaltenden Diskussionen über den Umfang ökonomischer Analysen in der Rechtsanwendungspraxis. Hierbei lassen sich grob zwei alternative Anknüpfungspunkte unterscheiden: Zum einen ist eine Fokussierung auf die Auswirkungen auf die Verbraucher möglich. Als weitere Möglichkeit kommt die Betrachtung der Situation und des Verhaltens des marktbeherrschenden Unternehmens in Betracht. Die verschiedenen, unter diesen Anknüpfungspunkten diskutierten, alternativen Tests sollen an dieser Stelle kurz dargestellt werden, um ihre mögliche Eignung für das EU-Kartellrecht aufzuzeigen. a) Auswirkungen auf die Verbraucher Ein weiteres, neueres Verständnis der Auswirkungsanalyse stellt statt der Auswirkungen auf Wettbewerber oder Erlöse des marktbeherrschenden Unternehmens die Konsumentenwohlfahrt in den Mittelpunkt der Betrachtungen. Diese „moderne“ Interpretation einer auswirkungsbasierten Analyse einzelner Verhaltensweisen hat vor allem in jüngeren Kommissionsdokumenten Ausdruck gefunden.892 Nach diesem Ansatz sollen lediglich solche Verhaltensweisen, die einen durch den Gebrauch ökonomischer Modelle quantifizierbaren Nachteil für die Verbraucher entfalten (sog. consumer harm) als missbräuchlich eingestuft werden. Hierbei gilt es den negativen

889

Vgl. Elhauge, Stan. L. Rev. 56 (2003), 253 ff. Siehe U.S. Department of Justice, Competition and Monopoly: Single-Firm Conduct Under Section 2 of the Sherman Act, 2008; zurückgezogen im Mai 2009 von der ObamaAdministration. 891 Für einen zusammenfassenden Überblick über die verschiedenen Abgrenzungsformeln siehe Wurmnest, Marktmacht und Verdrängungsmissbrauch, S. 356 ff. mit zahlreichen weiteren Nachweisen; O’Donoghue/Padilla, The Law and Economics of Article 102 TFEU, S. 184 ff.; Rousseva, Rethinking Exclusionary Abuses in EU Competition Law, S. 327 ff. 892 Siehe hierzu bereits die Besprechung des Diskussionspapier und der Prioritätenmitteilung weiter oben unter C.II.2.b). 890

206

E. Vergleichende und zusammenfassende Betrachtung

Nettoeffekt des Verhaltens zu ermitteln.893 Voraussetzung für die Anwendung des Tests ist die Quantifizierung steigernder und mindernder Wohlfahrtseffekte.894 Auch die von der Kommission vorgeschlagene Möglichkeit einer Effizienzeinrede auf der Rechtfertigungsebene ist im Grunde eine Form von Consumer welfare-Test unter der weiteren Voraussetzung, dass die Effizienzen in jedem Fall der nächsten Marktstufe zugutekommen müssen.895 Auch diesem Test haften jedoch in seiner Umsetzung praktische Probleme an. So wird ein marktbeherrschendes Unternehmen kaum in der Lage sein dürfen, sein Verhalten ex-ante beurteilen zu können. Zudem gestaltet sich auch die Praktikabilität dieses Ansatzes in seiner konkreten Anwendung sehr schwierig. Der Ansatz, Verhaltensweisen anhand ihres nachteiligen Effekts auf den Verbraucher zu beurteilen, ist in der US-amerikanischen Rechtsanwendungspraxis geläufig, wenn auch nicht unumstritten.896 Für die europäische Rechtspraxis ist diese Form der Auswirkungsanalyse aufgrund der Verengung auf den Schutzzweck der Konsumentenwohlfahrt nicht mit dem geltenden Recht vereinbar und kann allenfalls einen ergänzenden Charakter einnehmen. Ein weiterer, unter dem Stichwort raising rivals’ costs (RRC) diskutierter Test stellt eine andere Ausprägung dieses Ansatzes dar.897 Hier steht die Beeinträchtigung der Produktionseffizienz der Wettbewerber im Mittelpunkt der Betrachtung. Dieser Ansatz beruht auf der Annahme, dass viele Geschäftsstrategien marktbeherrschender Unternehmen allein mit der Zielrichtung umgesetzt werden, den Markteintritt von Wettbewerbern durch die Erhöhung ihrer Kosten zu verhindern.898 Ein Verhalten wird nach diesem Test als missbräuchlich qualifiziert, wenn dieses zu einer Kostenerhöhung bei Wettbewerbern führt und es dem marktmächtigen Unternehmen infolge dessen ermöglicht wird, Preise über dem Wettbewerbsniveau zu verlangen.899 Dieser Ansatz vernachlässigt jedoch die Tatsache, dass viele, gleichzeitig wohlfahrtssteigernde, Faktoren wie zum Beispiel Innovation oder Effizienzsteigerungen zu einer Kostenerhöhung bei Wettbewerbern führen können.900

893

Østerud, Identifying Exclusionary Abuses by Dominant Undertakings under EU Competition Law, S. 307. 894 Salop, Antitrust L.J. 73 (2006), 311. 895 Riziotis, in: Mackenrodt/Conde Gallego/Enchelmaier (Hrsg.), Abuse of Dominant Position, S. 89, 93. 896 Wurmnest, Marktmacht und Verdrängungsmissbrauch, S. 351. 897 Zu diesem Test Salop, Antitrust L.J. 81 (2017), 371. 898 Paul, Behinderungsmissbrauch nach Art. 82 EG und der „more economic approach“, S. 160. 899 Krattenmaker/Salop, Yale L.J. 96 (1986), 209, 214 ff. 900 Kritisch auch Posner, Antitrust Law, S. 196.

II. Prüfungsmaßstäbe

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b) Die Situation des Marktbeherrschers: Inkaufnahme von Verlusten als Ausdruck eines missbräuchlichen Verhaltens? Unter den Tests, die das Vorliegen eines Missbrauchs anhand des Verhaltens des marktbeherrschenden Unternehmens festmachen wollen, gilt es insbesondere zwei Methoden zu unterscheiden. Diese untersuchen jeweils die Auswirkungen des Verhaltens auf die Erlöse des marktbeherrschenden Unternehmens. aa) Profit Sacrifice-Test Ein jüngerer Ansatz zur Abgrenzung ist der „Profit Sacrifice-Test“, der missbräuchliches Verhalten an der Erbringung eines Gewinnopfers festmacht.901 Ähnlich wie der AEC-Test ist auch dieser im Ursprung aus der Debatte um die Entwicklung eines einheitlichen Standards zur Beurteilung von Kampfpreisen hervorgegangen. Der Test basiert auf der Konzeption von Verdrängungsmissbräuchen als ZweiPhasen-Modell. Unter freiwilliger Inkaufnahme von Einbußen in der ersten Phase, kann das marktbeherrschende Unternehmen in der zweiten Phase durch die erfolgreiche Verdrängung oder Disziplinierung von Wettbewerbern höhere Einnahmen generieren. Ein Missbrauch soll nach diesem Test demnach vorliegen, wenn das marktbeherrschende Unternehmen freiwillig auf Gewinne verzichtet. Nach der grundlegenden Konzeption dieses Tests wird ein marktbeherrschendes Unternehmen dazu nur bereit sein, sofern es langfristig die Möglichkeit sieht, durch die Verdrängung oder Disziplinierung von Wettbewerbern mehr Profit zu erzielen. Der Test basiert damit auf der Prämisse ökonomisch rationalen Verhaltens.902 Wenngleich die Kostendeckung des marktbeherrschenden Unternehmens selbst als Ansatzpunkt auch bei diesem Test Rechtssicherheit verspricht, so ist der Profit Sacrifice-Test jedoch als allgemeiner Maßstab für die Abgrenzung von wettbewerbsförderlichen und wettbewerbsschädlichen Verhalten ungeeignet. Der Test ist nicht in der Lage, die vielfältigen Motive hinter der Inkaufnahme eines (kurzfristigen) freiwilligen Gewinnverzichts abzubilden. Seiner Grundkonzeption nach eignet er sich vor allem für die Beurteilung von Kampfpreisen, da diese Verhaltensweise am ehesten anhand eines Zwei-Phasen-Modells nachgezeichnet werden kann. Weitaus weniger praktikabel erweist sich der Test beispielweise bei der Beurteilung von Rabattsystemen, da eine Behinderung von Wettbewerbern auch ohne die Erbringung von Gewinnopfern denkbar ist.903 Darüber hinaus ist der Test auch ungeeignet für die sachgerechte Erfassung der Inkaufnahme von Verlusten zum Zwecke innovationsbezogener Investitionen. Die Zugrundelegung der Maßstäbe dieses Tests könnte in diesem Zu901 Weiterführend zu dem Test und seiner Relevanz: Wurmnest, Marktmacht und Verdrängungsmissbrauch, S. 360, Hovenkamp, in: Pitofsky, How the Chicago School Overshot the Mark, S. 107, 115; O’Donoghue/Padilla, The Law and Economics of Article 102 TFUE, S. 186 f. 902 Petzold, Die Kosten-Preis-Schere im EU-Kartellrecht, S. 103. 903 So auch Bodenstein, Kartellrechtliche Bewertung von Rabatten marktbeherrschender Unternehmen, S. 190; Hovenkamp, U. Chi. L. Rev. 72 (2005), 147, 155.

208

E. Vergleichende und zusammenfassende Betrachtung

sammenhang in ungewollter Weise die dynamische Komponente des Wettbewerbs unterminieren. Insoweit birgt dieser Test die Gefahr von false negatives für andere Fallgruppen als den Kampfpreismissbrauch.904 Auch die Kommission möchte diesen Test angesichts dieser Limitationen nur im Hinblick auf die Fallgruppe des Kampfpreismissbrauchs anwenden.905 Insoweit ist davon auszugehen, dass der Test entsprechend seiner konzeptionellen Defizite auch in Zukunft nur für diese Form des preisbezogenen Behinderungsmissbrauchs in der europäischen Missbrauchsaufsicht von Relevanz sein wird, sofern er von der Rechtsprechung aufgegriffen wird. bb) No economic sense-Test Der „no economic sense“-Test ähnelt vom Ansatzpunkt her dem Sacrifice-Test und ist wie dieser auch ein jüngerer Spross der rechtswissenschaftlichen Literatur.906 Er wurde als Weiterentwicklung und in Reaktion auf die analytischen Schwächen des Sacrifice-Tests konzipiert und löst sich in Unterschied zu diesem von dem starren Zwei-Phasen-Modell.907 Hierdurch ist er in der Lage, verschiedene Verhaltensweisen sachgerechter zu erfassen.908 Die Missbräuchlichkeit einer Verhaltensweise wird hier anhand des wirtschaftlichen Sinns bzw. der Rationalität beurteilt. Ein Verhalten ist demzufolge missbräuchlich, sofern kein anderer wirtschaftlicher Sinn als die Absicht, den Wettbewerb zu eliminieren oder zu vermindern, denkbar ist. Prüfkriterium ist demnach, ob sich die untersuchte Geschäftspraxis aus Sicht des marktbeherrschenden Unternehmens als eine betriebswirtschaftlich sinnvolle Geschäftsstrategie darstellt. So lassen sich beispielsweise langfristige Innovationen besser erfassen. Limitationen erfährt der Test dann, sobald es um die Abbildung von Marktabschottungseffekten geht, die durch Abweichungen vom Rationalverhalten der betreffenden Marktakteure entstehen.909 Auch in Fallkonstellationen, in denen die Kosten eines Alternativverhaltens nur schwierig zu ermitteln sind, vermag der Test keine Aussage über die Zulässigkeit einer Verhaltensweise zu treffen. Darüber hinaus ist auch dieser Test nicht für alle Missbrauchsformen gleichermaßen anwendbar. So stellen Rabatte im Regelfall eine betriebswirtschaftlich sinnvolle Geschäftsstrategie dar, ohne dass dies mit hinreichender Zuverlässigkeit gegen ihre Missbräuchlichkeit sprechen würde. 904

Riziotis, in: Mackenrodt/Conde Gallego/Enchelmaier (Hrsg.), Abuse of Dominant Position, S. 89, 91. 905 Kommission, Prioritätenmitteilung, Rn. 64. 906 Der Test geht zurück auf Werden, Antitrust L.J. 73 (2006), 413, 415 ff.; siehe bereits Melamed, Berkeley Tech. L.J. 20 (2005), 1247, 1255 ff. 907 Paul, Behinderungsmissbrauch nach Art. 82 EG und der „more economic approach“, S. 156; O’Donoghue/Padilla, The Law and Economics of Article 102 TFEU, S. 230. 908 Werden, Antitrust L.J. 73 (2006), 413, 424; Riziotis, in: Mackenrodt/Conde Gallego/ Enchelmaier (Hrsg.), Abuse of Dominant Position, S. 89, 92. 909 Paul, Behinderungsmissbrauch nach Art. 82 EG und der „more economic approach“, S. 158 f.

II. Prüfungsmaßstäbe

209

Das größte Problem stellt jedoch die Tatsache dar, dass Kartellbehörden unter Anwendung dieses Tests den wirtschaftlichen Sinn einer Geschäftsstrategie zu beurteilen haben. Wenngleich es sich dabei nicht um ein subjektives Kriterium im eigentlichen Sinn handelt, so sind diese gleichermaßen dazu gezwungen, sich ein Urteil über geschäftliche Abläufe zu bilden. Vielfach basieren strategische Unternehmensentscheidungen aber auf diversen individuellen Faktoren und können nicht ohne weiteres ex-ante beurteilt werden.910 Mit Blick auf die US-amerikanische Antitrust-Praxis ist interessant, dass dieser Test zu der Regierungszeit von George W. Bush vom U.S. Department of Justice ein anerkanntes Kriterium zur Beurteilung von Behinderungsmissbräuchen war und teilweise bereits Eingang in die Rechtsprechung gefunden hatte.911 c) Zwischenergebnis Triebfeder der im vorangegangen Abschnitt dargestellten Überlegungen ist die Hinwendung zu einer verstärkten Betrachtung tatsächlicher Auswirkungen. Dies ist im Ausgangspunkt gewiss erstrebenswert. Konkret formulierte Tests, die auf die Beantwortung einer Frage zur Beurteilung einer Verhaltensweise zugeschnitten sind, haben den Reiz eines klar vorgegebenen präzisen Prüfungsumfangs. Zugleich stoßen sie jedoch recht schnell an ihre Grenzen, wenn es um die Bewertung aller möglichen Missbrauchsformen des Art. 102 AEUV geht. Keiner der aufgezeigten Tests vermag eine Verhaltensweise in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung des Marktumfelds zu erfassen und in jeder Nuancierung abzubilden. Vielmehr arbeiten alle Tests mit einer modellartigen Vereinfachung dynamischer Wirtschaftsprozesse. Diese führt im Ergebnis zu einer hohen Fehleranfälligkeit sowohl für Fehler der 1. als auch der 2. Art. Zudem liegt den einzelnen Tests aufgrund ihrer Verengung auf gewisse Parameter zumeist ein engeres Verständnis des Schutzguts von Art. 102 AEUV als es die europäischen Gerichte in ständiger Rechtsprechung konturiert haben, zugrunde. Angesichts der vielfältigen Formen des Behinderungsmissbrauchs erscheint daher der Anspruch, einen einheitlichen Test zum allgemeinen Maßstab zu erklären – jedenfalls zum derzeitigen Zeitpunkt – utopisch. Im Ergebnis überzeugt keiner der alternativen Tests als universeller Maßstab zur Beurteilung von preisbezogenen Behinderungsmissbräuchen. Einzelne Tests können bestenfalls zur Ergänzung herangezogen werden, vermögen aber nicht als genereller Bewertungsmaßstab zu dienen. Insbesondere der Profit-Sacrifice Standard könnte für die Fallgruppe der Kampfpreise ergänzend Eingang in die Rechtsprechung finden. Es erscheint auch nicht undenkbar, Elemente des RRC-Testes für die Analyse von Rabatten nutzbar zu machen. So trägt dieser dem Umstand Rechnung, dass bei der Anwendung von Rabattsystemen nicht zwangsläufig preisbezogene Charakteristika im Vordergrund 910 Riziotis, in: Mackenrodt/Conde Gallego/Enchelmaier (Hrsg.), Abuse of Dominant Position, S. 89, 92. 911 Vgl. Werden, J. Corp. L. 31 (2006), 293 m.w.N.

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E. Vergleichende und zusammenfassende Betrachtung

stehen.912 Die Fokussierung auf die Verbraucher eignet sich nicht als Maßstab zur Bewertung preisbezogener Behinderungsmissbräuche. Abgesehen von den Problemen bei der Quantifizierung bestimmter Effekte geht mit der Fokussierung auf die Auswirkungen auf die Verbraucher jedenfalls eine Verengung des Schutzbereichs des Missbrauchstatbestands einher. Dieser Tatsache ist mit großer Vorsicht zu begegnen, da sie nicht im Interesse einer langfristig orientierten Wettbewerbspolitik liegt. So findet auf diese Weise die dynamische Komponente des Wettbewerbs nur unzureichend Berücksichtigung.913 Dies ist nicht mit dem umfassenden Schutzzweck des europäischen Wettbewerbsrechts vereinbar. Der As efficient competitor-Test wird daher – zumindest mittelfristig – in der europäischen Rechtsanwendungspraxis das maßgebliche Kriterium für die Bewertung preisbezogener Behinderungsmissbräuchen bleiben. Er ist für die Fallgruppen, bei denen er bereits Anwendung findet, am besten geeignet, die Auswirkungen eines konkreten Verhaltens abzubilden. Nicht zuletzt deswegen hat er in der Fallpraxis bereits großen Zuspruch gefunden. 7. Konsistenz in der europäischen Rechtspraxis und Konsequenzen für die Rechtanwendungspraxis: Thesen zur Missbrauchsaufsicht a) Die Rechtsprechung ist „effektbasiert“ Die Rechtsprechung der Unionsgerichte ist effektbasiert. Der EuGH hat sich insbesondere in den Urteilen TeliaSonera und Post Danmark I aus der jüngeren Rechtsprechung ausdrücklich einem effects-based approach verschrieben, aber auch in weiteren Urteilen eindeutig erkennen lassen, dass Effekte, und seien es auch antizipierte Effekte, den Ausgangspunkt seiner Beurteilung darstellen.914 Die Tatsache, dass die Gerichte einen auswirkungsorientieren bisweilen anders interpretieren und umsetzen als viele Befürworter eines umfassenden more economic approach heißt nicht, dass sich die Unionsgerichte vor einer Einbeziehung ökonomischer Aspekte verschließen. Es zeugt vielmehr von dem Bestreben, einen rechtlichen Rahmen zu finden, der Rechtssicherheit und Justiziabilität gleichermaßen gewichtet und eine Balance zwischen der verstärkten Berücksichtigung ökonomischer Modelle und der sicheren Rechtsanwendung herstellt. Für ein besseres Verständnis des bislang die Rechtsprechung prägenden typisierenden Ansatzes ist es wichtig, sich die dahinter stehende rechtlich-dogmatische Wertung vor Augen zu führen.915 Diesem liegt bei der Betrachtung der Auswirkungen 912 In diesem Sinne auch Salop, Antitrust L.J. 81 (2017), 371; Gates, Antitrust L.J. 79 (2013), 99. 913 So auch kritisch Wurmnest, Marktmacht und Verdrängungsmissbrauch, S. 353. 914 Nihoul, JECLAP 2014, 521, 528; Whish, JECLAP 2015, 1, 2. 915 Siehe hierzu auch Ibañez Colomo, C.M.L. Rev. (53) 2016, 709 ff. der bemängelt, dass die Debatte weniger die zugrundeliegende Logik der Rechtsprechung zu ergründen versucht, sondern sich in ökonomischen Erörterungen verliert.

II. Prüfungsmaßstäbe

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ein anderer Ansatzpunkt zugrunde als dem neu propagierten effects-based approach. Die europäischen Gerichte basieren ihren Ansatz auf die abstrakte Gefährlichkeit der einzelnen Formen des Behinderungsmissbrauchs. Dies rechtfertigt im Ausgangspunkt auch die Anlegung unterschiedlicher Maßstäbe oder eine voneinander abweichende Prüfungsdichte. Gleichermaßen geht es bei allen Fallgruppen um die vorweggenommene Beurteilung der von ihr ausgehenden Gefahr für den Wettbewerb. Insoweit ist die Erfassung potentiell wettbewerbswidriger Verhaltensweisen eine notwendige Bedingung für das Funktionieren des Systems. Auch die von der Rechtsprechung bislang präferierten Regeln basieren auf einer vorherigen Abwägung der ökonomischen Wirkungszusammenhänge. Statt eine konkrete Verhaltensweise jedoch im Einzelfall einer Prüfung zu unterziehen, setzen diese Regeln früher an. Dieser Ansatz ist entscheidend durch eine Fokussierung auf die Effektivität der Rechtsdurchsetzung und damit eine zeitliche Komponente geprägt. Das Missbrauchsverbot muss eingreifen können, sobald die Gefahr einer Eliminierung von Wettbewerb besteht. Zu dem Zeitpunkt eines Eingreifens der Wettbewerbsbehörden werden sichere Aussagen über die tatsächlichen Auswirkungen eines Verhaltens oftmals jedoch noch nicht möglich sein. Daher gilt es hier, Wirkungszusammenhänge anhand der Bestimmung einer Wahrscheinlichkeit von negativen Auswirkungen in abstrakt-generelle Regeln zu übersetzen und zu typisieren.916 Die Effekte eines Verhaltens werden daher nicht anhand eines quantitativen Tests festgemacht oder der konkrete Nachweis verlangt, dass diese Effekte tatsächlich eingetreten sind. Vielmehr wird das konkrete Verhalten einer ex-ante Betrachtung im Hinblick auf seine grundsätzliche Eignung, gewisse negative Effekte vorzubringen, unterzogen. Hierbei steht die zu erwartende durchschnittliche Wirkung im Vordergrund. Durch den bisherigen Verzicht auf den Nachweis gewisser auswirkungsbasierter Parameter auf Tatbestandsebene, wurde – entgegen der teils zugespitzten Kritik – keineswegs verkannt, dass das Verhalten eines marktbeherrschenden Unternehmens zur Erzeugung wettbewerbsschädliche Auswirkungen geeignet sein muss, um missbräuchlich im Sinne des Art. 102 AEUV sein. Mit diesem Ansatz ging vielmehr die Wertung einher, dass das Anknüpfen an bestimmte Voraussetzungen, um die Missbräuchlichkeit im Einzelfall nachzuweisen, in einigen Fällen lediglich einen Zwischenschritt darstellt, der keinen weiteren Nutzen mit sich bringt. Entscheidend waren daher bislang nicht die tatsächlichen Auswirkungen des Verhaltens, sondern die Eignung, bestimmte wettbewerbsschädigende Effekte zu erzeugen. Die Ausführungen der Gerichte in den betreffenden Entscheidungen zeigen dabei, worauf diese Vermutungen der Missbräuchlichkeit jeweils gestützt werden. So werden bei Rabattsystemen die Beschränkung der Wahlmöglichkeiten der Abnehmer sowie die Erschwerung des Zugangs zum Markt für Wettbewerber für maßgeblich erachtet.917 Treuerabatte zwingen Kunden, ihren gesamten Bezug auf das marktbeherrschende Unternehmen zu konzentrieren, erschweren Wettbewerbern gleichsam den Zugang 916 917

Behrens, in: Festschrift Schäfer, S. 457, 458. EuGH, Urteil vom 13. 2. 1979, Rs. 85/76, EU:C:1979:36, Rn. 90 – Hoffmann-La Roche.

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E. Vergleichende und zusammenfassende Betrachtung

zu diesen Kunden und schränken die Wahlmöglichkeiten der Kunden ein. Diese Fokussierung auf negative Effekte für die Abnehmer wird auch besser verständlich, wenn man das Verbraucherverständnis des europäischen Wettbewerbsrechts in die Betrachtung mit einbezieht. So beruht dieses, anders als in der von der Chicago School geprägten US-amerikanischen Rechtspraxis, auf einem paternalistischen Verbraucherverständnis.918 Das europäische Wettbewerbsrecht gründet sich insoweit auf einem Verständnis, das von Rationalitätsdefiziten der Verbraucher ausgeht. Auf diese Weise lassen sich auch diese Anwendungsschärfen erklären, die aus Sicht neoklassischer Theorien oder auch der Chicago School nicht nachvollziehbar sind.919 Bei Preissetzungen unterhalb der variablen Kosten beruht die Einschätzung maßgeblich auf der Annahme, dass für diese Kostenkalkulation keine plausible an wirtschaftlichen Realitäten ausgerichtete Erklärung denkbar sei.920 Verhaltensweisen, von denen diese Eignung bislang ohne Weiteres angenommen wurde, sind Ausschließlichkeitsverpflichtungen, Treuerabatte im engeren Sinne und Preissetzungen unter den durchschnittlichen variablen Kosten. Demzufolge fand auch bislang eine vergleichsweise strenge, auf der Eignung beruhende per se Regel nicht allein für die Fallgruppe der Rabatte Anwendung. Auch vor diesem Hintergrund schien die Kritik an der Rechtsprechung zu Rabatten zumindest in Teilen verfehlt. Nach dem Urteil des EuGH in Intel scheint diese Unterteilung nun zumindest in Frage gestellt zu sein. Gleichwohl kommt durch das zumindest formal erfolgte Festhalten an der per se Missbräuchlichkeit dieser Fallgruppe eine Abgrenzung der in der Intel-Entscheidung zugrunde liegenden Rabatte von den weiteren möglichen Formen der Rabattgewährung zum Ausdruck. Die Rechtsprechung unterscheidet sich darüber hinaus auch in der Art und Weise, wie Effekte hergeleitet werden, von den neuen Ansätzen. So werden negative Auswirkungen auf den Wettbewerb vermutet, sofern das Verhalten einer bestimmten Form entspricht. Dies beruht auf der Annahme, dass dies immer oder fast immer der Fall ist. Die neueren Ansätze sind hingegen bestrebt, das Vorliegen negativer Auswirkungen im Einzelfall nachzuweisen und nicht einfach zu vermuten. In diesem Zusammenhang lassen sich die Bestrebungen zur Aufwertung des AEC-Tests auch dahingehend deuten, dass der Schutz der Struktur des Marktes verstärkt zu dem Schutz eines effektiven Wettbewerbs umgedeutet werden soll.921 Dieser Aspekt steht grundsätzlich im Einklang mit dem durch die europäischen Gerichte formulierten Postulat des Schutzes einer effektiven Wettbewerbsstruktur.922 Dies geht bisweilen 918 Ackermann, Kartellrecht und Verbraucherschutz, in: Herausforderungen für die Wettbewerbsordnung, Referate des 46. FIW-Symposiums, S. 73, 82, 90. 919 Ackermann, Kartellrecht und Verbraucherschutz, in: Herausforderungen für die Wettbewerbspolitik, Referate des 46. FIW-Symposiums, S. 73, 90; zu den Rationalitätsdefiziten auch: Schmidtchen, in: Festschrift Schäfer, S. 473, 480. 920 EuGH, Urteil vom 14. 11. 1996, Rs. C-333/34 P, EU:C:1996:436, Rn. 41 – Tetra Pak II. 921 Lovdahl Gormsen, World Competition 36 (2013), 223, 231. 922 EuGH, Urteil vom 15. 3. 2007, Rs. C-95/04 P, EU:C:2007:166 Rn. 106 – British Airways; EuG, Urteil vom 17. 9. 2007, Rs. T-201/04, EU:T:2007:289, Rn. 664 – Microsoft; EuGH,

II. Prüfungsmaßstäbe

213

aus der französischen (structure de concurrence effective) und der englischen Sprachfassung deutlicher (effective competition structure) als aus der deutschen Sprachfassung (Struktur des tatsächlichen Wettbewerbs) hervor, ändert aber nichts an der Gültigkeit dieser Aussage.923 Die bisherige Rechtspraxis legt ihren Fokus zur sachgerechten Erfassung von Auswirkungen hingegen auf die Einbindung ökonomischer Erwägungen in Rahmen der Gestaltung der anzuwendenden Maßstäbe. Hierzu wird aufgrund der Form der betreffenden Verhaltensweise auf die Auswirkungen auf den Wettbewerb geschlossen.924 Sie bediente sich dazu im Ausgangspunkt weit reichender Vermutungsregeln und stützte ihre Spruchpraxis auf eine regelbasierte Anwendung des Missbrauchsverbots. Dabei legt dieser Ansatz zur Bestimmung des Missbrauchsbegriffs im Ausgangspunkt die Vertragsziele zugrunde und betont marktstrukturelle Aspekte. Gerade die – zumindest bislang – unterbliebene Anwendung des AEC-Tests auf Rabattsysteme bescheinigt der Rechtsprechung eine besondere Fokussierung auf die relevanten Effekte. Die Ablehnung eines AEC-Tests für Rabattsysteme ist insoweit nicht Ausdruck einer Ablehnung der Berücksichtigung von Effekten auf den Markt, sondern eine Ablehnung der vordergründigen Betrachtung von Kosten-PreisAspekten als relevanten Effekten für die Fallgruppe der Rabattsysteme.925 Zugleich hat die Analyse der bisherigen Rechtsprechung ergeben, dass mit den relevanten Effekten Auswirkungen auf die Wettbewerbsstruktur gemeint sind. Die Unionsgerichte halten nach wie vor an der Wettbewerbsfreiheit als dem primären Schutzzweck des Wettbewerbsrechts fest. Der Nachweis eines Verbraucherschadens ist für Missbräuchlichkeit eines Verhaltens nicht erforderlich. Dies gilt für alle Fallgruppen des preisbezogenen Behinderungsmissbrauchs gleichermaßen. Folglich ist die Rechtsprechung dem angestrebten Paradigmenwechsel zur Priorisierung der Konsumentenwohlfahrt nicht gefolgt. Der so bestimmte Schutzzweck bedingt zugleich zu einem großen Teil, welche Auswirkungen in den Bezug genommen werden dürfen und begrenzt zugleich die Reichweite der Möglichkeit, konkrete Auswirkungen in den Vordergrund der Beurteilung einer Verhaltensweise zu stellen. Unter Zugrundelegung eines Verständnisses, das Auswirkungen auf die Wettbewerbsstruktur in den Vordergrund stellt und in Anknüpfung daran die verschiedenen Fallgruppen unterschiedlichen beurteilt, ist die Rechtsprechung effektbasiert. So befand das EuG in Intel, dass der Marktzugang für Mitbewerber durch die Wirkung des Rabattsystems erschwert werde.926 Dies ist eindeutig Ausdruck einer Berücksichtigung von Effekten, nur unter Zugrundlegung eines anderen Ansatzpunktes. Im Urteil vom 6. 10. 2009, verb. Rs. C-501/06 P, 513/06 P, C-515/06 P und C-519/06 P, EU:C:2009:610, Rn. 21 f. – GlaxoSmithKline. 923 Vgl. EuGH, Urteil vom 15. 3. 2007, Rs. C-95/04 P, EU:C:2007:166 Rn. 106 – British Airways. 924 Vgl. hierzu auch Dreher, WuW 2008, 23. 925 In diesem Sinne auch Salop, Antitrust L.J. 81 (2017), 371 ff.; Gates, Antitrust L.J. 79 (2013), 99 ff. 926 EuG, Urteil vom 12. 6. 2014, Rs. T-286/09, EU:T:2014:547, Rn. 93 – Intel.

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E. Vergleichende und zusammenfassende Betrachtung

Vordergrund stehen marktstrukturelle Gesichtspunkte und nicht die Auswirkungen auf Verbraucher oder weitere Effizienzerwägungen. Unter Zugrundelegung dieser Prämissen steht der Ansatz der europäischen Gerichte zudem im Einklang mit dem Schutzzweckverständnis und wird gleichermaßen durch dieses geprägt. Sofern man im Ausgangspunkt den Schutz des Wettbewerbs als Institution sowie den Schutz der Handlungs- und Wahlfreiheit aller Marktteilnehmer als Auslegungshilfe nutzbar macht, wird dieses Verständnis der Wirkungen von Rabattsystemen greifbar. Die flächendeckende Umsetzung einer vermeintlich ökonomischeren Folgenanalyse zur Bewertung von preisbezogenen Behinderungsmissbräuchen hätte die Vernachlässigung des Schutzes der Handlungsfreiheit der Marktteilnehmer zur Folge und würde zugleich den Besonderheiten der einzelnen Fallgruppen nicht gerecht werden. Die Tatsache, dass das Vorliegen wettbewerbsschädlicher Auswirkungen nicht im Einzelfall nachzuweisen ist, sondern aus der Form eines Verhaltens abgeleitet wird, ist damit auch durch die Fokussierung auf den Schutz der Wettbewerbsfreiheit an sich erklärbar. Die Fokussierung auf Auswirkungen auf den Wettbewerbsprozess steht im Einklang mit der Dogmatik der Rechtsprechung. Unter Zugrundelegung dieses Verständnisses eines auswirkungsbasierten Ansatzes ist die Dogmatik der Rechtsprechung daher effektbasiert. Dass die Wahrscheinlichkeit wettbewerbsschädlicher Auswirkungen Voraussetzung für eine Verbotsentscheidung ist, ist unbestreitbar. Wenn daher den europäischen Gerichten der Vorwurf gemacht wird, ihr Ansatz sei formbasiert und diese Kritik daran geknüpft wird, dass die von einem Verhalten ausgehenden Effekte nicht betrachtet werden, ist dies nicht zutreffend. Effekte waren immer schon und sind nach wie vor zentraler Bestandteil der Rechtsprechung zu Art. 102 AEUV. Die grundsätzliche Ausrichtung der Rechtsprechung auf die wahrscheinlichen Effekte eines potentiellen Missbrauchs wird auch nicht dadurch negiert, dass die Unionsgerichte in den Urteilen jüngeren Datums weiterhin im Ausgangspunkt keinen reinen einzelfallbasierten effects-based approach verfolgen, sondern eine eher strukturelle Betrachtung favorisierten. So wäre eine pauschale Kritik an den europäischen Gerichten auch insoweit unberechtigt, als es in anderen Bereichen des europäischen Wettbewerbsrechts die Unionsgerichte selbst waren, die eine ökonomisch basierte Argumentation in die Anwendung der europäischen Wettbewerbsregeln integriert haben.927 Im Jahr 2002 hatte das EuG drei Entscheidungen der Kommission aus dem Bereich der Fusionskontrolle unter Rüge einer mangelnden ökonomischen Argumentation aufgehoben.928 Der Ansatz der europäischen Gerichte unterscheidet sich lediglich im Hinblick auf die Systematik und dem Ansatzpunkt von einem nach dem allgemeinen Verständnis gültigen effects-based approach. Effekte werden bisweilen lediglich aus der Form eines Verhaltens abgeleitet, statt den Nachweis im Einzelfall für erforderlich zu machen. Vor diesem 927

Ibañez Colomo, LSE Law, Society and Economy Working Papers 29/2014, S. 12. EuG, Urteil vom 6. 6. 2002, Rs. T-342/99, EU:T:2004:192 – Airtours; EuG, Urteil vom 22. 10. 2002, Rs. T-310/01, EU:T:2002:254 – Schneider Electric; EuG, Urteil vom 25. 10. 2002, Rs. T-5/02, EU:T:2002:264 – Tetra Laval. 928

II. Prüfungsmaßstäbe

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Hintergrund erscheint die Debatte inhaltlich weitaus limitierter, als es bei der überfrachteten Diskussion den Anschein hat.929 Das jüngste Urteil in Intel bringt zudem den Anspruch an die Einzelfallgerechtigkeit im Einklang mit der bisherigen Linie, indem der EuGH den Parteivortrag vor dem Hintergrund der besonderen Umstände der Fallkonstellation zugelassen hat, ohne dass er das grundsätzliche Vorliegen von Effekten zur Bedingung einer Verbotsentscheidung erhebt. Die Methodik der Prioritätenmitteilung weicht von diesem bisherigen Ansatz ab. So führt die lückenlose Anwendung des AEC-Tests auf alle Formen des preisbezogenen Behinderungsmissbrauchs zu einer Verschiebung des Prüfungsumfangs zugunsten ökonomischer Analysen. Das Vorliegen negativer Auswirkungen soll nicht mehr automatisch von Art der Maßnahme abgeleitet werden, sondern auf der zweiten Stufe eine Prüfung erforderlich werden, ob Effekte in Form von negativen Auswirkungen auf gleich effiziente Wettbewerber nachweisbar sind. Darin liegt zugleich ein Schritt weg von dogmatischer Konzeption der Rechtsprechung hin zu einem Kosten-Preis-Test als zusätzlicher Komponente. Mit der Prioritätenmitteilung hat insoweit ein Fokus auf den Nachweis zumindest der Wahrscheinlichkeit konkreter Effekte Einzug gehalten. b) Konsequenzen für die Rechtsanwendungspraxis: Rechtssicherheit durch regelorientierte Wettbewerbspolitik Der Fokus des europäischen Wettbewerbsrechts sollte auf der Entwicklung justiziabler Regeln liegen, die unter Berücksichtigung der Erkenntnisse der Ökonomie stetig fortentwickelt werden können. Die Prüfung des Verdrängungspotentials einer Maßnahme darf keinesfalls rein theoretischer oder gar hypothetischer Natur bleiben, gleichzeitig wäre aber verfehlt, ein Einschreiten von dem Vorliegen konkreter oder tatsächlicher Auswirkungen abhängig zu machen. Als Prüfungsmaßstab sollte daher weiterhin die Eignung zur Schädigung gelten. Der Prüfung einer Rechtfertigung sowie eines Effizienzeinwandes sollte im Rahmen der Prüfung eines missbräuchlichen Verhaltens weiterhin Raum verschafft werden. Dabei trägt das betreffende Unternehmen die Darlegungslast. Es obliegt diesem, Umstände vorzutragen, die eine Verhaltensweise zu rechtfertigen vermögen. Die ein Verhalten möglicherweise rechtfertigenden Umstände sind der Sphäre des Unternehmens zuzuordnen. Insoweit ist es dem Unternehmen zumutbar, diese vorzutragen bzw. den Vortrag der Behörden auf der Rechtfertigungsebene substantiiert zu bestreiten. Mit dieser Möglichkeit, eine als missbräuchlich befundene Verhaltensweise zu rechtfertigen, haben die europäischen Gerichte damit eine weitere Stufe der Prüfung geschaffen, die zugleich eine Art Filterfunktion einnehmen kann. Gerade bei Verhaltensweisen wie Treuerabatten und Ausschließlichkeitsbindungen, die einem recht strengen Maßstab un-

929 In diesem Sinne auch Nihoul, JECLAP 2014, 521, 530; Ibañez Colomo, C.M.L. Rev. (53) 2016, 709.

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E. Vergleichende und zusammenfassende Betrachtung

terliegen, ist diese Möglichkeit von großer Bedeutung zur Herstellung materieller Gerechtigkeit. In dem Bereich der Rechtfertigung bzw. der Möglichkeit der Erhebung einer Effizienzeinrede war bereits in der jüngeren Rechtsanwendungspraxis eine verhältnismäßig weitreichende und dynamische Entwicklung der Rechtsprechung zu verzeichnen. Die Kommission hatte dazu auf Basis des Diskussionspapiers und nachgehender Rechtsprechung in der Prioritätenmitteilung einen umfassenden Effizienzeinwand nach dem Vorbild des Art. 101 Abs. 3 AEUVeingeführt.930 Auch die europäischen Gerichte standen der Berücksichtigung von Effizienzen und wohlfahrtsökonomischen Erwägungen auf dieser Stufe der Prüfung grundsätzlich aufgeschlossen gegenüber. Mit der ausdrücklichen Anerkennung der Möglichkeit einer Effizienzeinrede in British Airways war damit der Weg für eine Berücksichtigung positiver Auswirkungen auf den Verbraucher bereits eröffnet. Von einem programmatischen oder theoretischen Stellenwert der Möglichkeit der Rechtfertigung konnte daher auch nicht mehr die Rede sein. Auf dieser Ebene der Missbrauchskontrolle ist eine derartige Prüfung besser verortet als auf Tatbestandsebene. Dieser Befund wird auch nicht durch die recht hohen Anforderungen an den Nachweis negiert. Die ausdrückliche Anerkennung der Möglichkeit einer Effizienzeinrede durch die europäischen Gerichte zeigt zugleich, dass diese den von der Kommission propagierten more economic approach entgegen des teils vermittelten Eindrucks nicht in Gänze ablehnt haben. Vielmehr fanden einzelne Kriterien dieses Ansatzes zur Ergänzung des bisherigen Prüfungsmaßstabs Berücksichtigung.931 Die Vorgaben zur Effizienzeinrede hat der EuGH sodann in Post Danmark I weiterentwickelt, indem er die Interessen der Verbraucher als weiteren Bezugspunkt zur Geltendmachung dieser Einrede qualifiziert.932 Zugleich modifizierte er jedoch die Voraussetzungen und zeigt die Limitationen der Effizienzeinrede auf. So stellte er klar, dass diese nur möglich ist, sofern der wirksame Wettbewerb auf dem Markt durch das effizienzfördernde Verhalten nicht ausgeschaltet wird. Damit ist zugleich sichergestellt, dass die vermehrte Berücksichtigung von Effizienzen nicht zulasten des Wettbewerbsprozesses geht. Zugleich wird durch die Orientierung an den Kriterien des Art. 101 Abs. 3 AEUVein wünschenswerter Wertungsgleichlauf geschaffen und ein sinnvoller Ausgleich zwischen einem freiheitsorientierten Wettbewerbsverständnis und wohlfahrtökonomischer Erwägungen sichergestellt. Die nun im Intel-Urteil scheinbar angelegte Öffnung für eine Wirkungsanalyse auf Tatbestandsebene ist hingegen nicht gefordert gewesen und stellt einen Bruch mit der bisherigen Systematik dar.933 Der darin angelegte Wechsel in der Darlegungs- und Beweislast führt zu einer umfassenden Effizienzprüfung im Rahmen einer Ge930

Kommission, Prioritätenmitteilung, Rn. 30. So auch Haberkamm, Art. 102 AEUV im Lichte eines ökonomisch geprägten Prüfungsansatzes, S. 251. 932 EuGH, Urteil vom 27. 3. 2012, Rs. C-209/10, EU:C:2012:172, Rn. 42 – Post Danmark I. 933 So auch Wernicke, EuZW 2017, 850, 860. 931

II. Prüfungsmaßstäbe

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samtwürdigung und wirkt sich somit auf die Grundstruktur des Tatbestands und die von den Wettbewerbsbehörden darzulegenden Umstände aus. Die Steigerung der Einzelfallgerechtigkeit hätte sich gleichermaßen durch die oben dargelegte Systematik verwirklichen lassen. Gleichwohl steht nach dem Urteil in Intel nicht in Gänze fest, ob die darin angelegte Struktur Ausdruck eines grundlegenden Wandels der Prüfung ist oder lediglich den Umständen des Einzelfalls geschuldet war. Es bleibt daher abzuwarten, inwieweit sich dadurch Änderungen in der Praxis der Wettbewerbsbehörden ergeben. Gleichwohl bleibt es im Ausgangspunkt bei einer regelorientierten Wettbewerbspolitik, die den Rahmen für eine nähere Wirkungsanalyse vorgibt und dieser zugleich Grenzen setzt. 8. Schlussbetrachtung: Konsistenz in der Rechtsprechung der Unionsgerichte zu preisbezogenen Behinderungsmissbräuchen Die vorstehende Analyse der Rechtsprechung zu Behinderungsmissbräuchen hat das Vorliegen unterschiedlicher Prüfungsmaßstäbe für die untersuchten Formen des preisbezogenen Behinderungsmissbrauchs nachgewiesen und aufgezeigt. Wenngleich dieser Befund nach Intel zumindest für die Zukunft in Frage zu stellen sein wird und es durchaus denkbar erscheint, dass der AEC-Test und somit insgesamt eine verstärkte Wirkungsanalyse nun auch für die Fallgruppe der Rabattsysteme zur Anwendung gelangt, so kann nach wie vor nicht von einem einheitlichen Prüfungsmaßstab gesprochen werden. Dazu müsste der AEC-Test als ständiges Kriterium zur Beurteilung von Rabattsystemen Anerkennung finden. Vieles spricht jedoch dafür, dass ihm weiterhin nur als ein „Instrument unter anderen“ Bedeutung zukommen soll. Zudem erhält das Urteil des EuGH in Intel insoweit eine Öffnung gegenüber der verstärkten Berücksichtigung von Effekten, macht diese gleichermaßen nicht zur Voraussetzung bei der Beurteilung von Treuerabatten wie es mitunter bei anderen Fallgruppen der Fall ist. Die europäische Rechtspraxis differenziert bei der Beurteilung von Behinderungsmissbräuchen zwischen Verhaltensweisen, die ihrer Natur nach bereits wettbewerbsschädliche Effekte haben und solcher, bei denen ein Nachweis nachteiliger Effekte – vorwiegend unter Zuhilfenahme quantitativer Methoden – erbracht werden muss. Eine grundsätzliche Distinktion zwischen Verhaltensweisen, die bereits ihrer Natur nach wettbewerbsschädlich sind und solcher Verhaltensweisen, die erst nach umfassender Betrachtung ihrer Auswirkungen auf dem Markt, als wettbewerbsschädlich eingestuft werden, scheint damit auch in Art. 102 AEUV verankert zu sein, wenngleich eine terminologische Zweiteilung der Norm fehlt.934 Sie hat ihren Ausdruck vor allem in der Rechtsprechung gefunden. Im Rahmen dieser grundsätzlichen Unterscheidung wendet die Rechtsprechung unterschiedliche Maßstäbe 934 Italianer, The Object of Effects, Vortrag anlässlich der CRA Annual Brussels Conference, 10. 12. 2014, S. 4.

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E. Vergleichende und zusammenfassende Betrachtung

und Tests zur Beurteilung der einzelnen Verhaltensweisen an. Damit folgt die Rechtsprechung einem nicht universellen Ansatz zur Beurteilung von Behinderungsmissbräuchen nach Art. 102 AEUV. Zwar haben die Gerichte mit der Begrifflichkeit des Leistungswettbewerbs oder dem Konstrukt der besonderen Verantwortung allgemeine Beurteilungskriterien zur Bewertung von missbräuchlichem Verhalten entwickelt, jedoch geben diese keinen konkreten Prüfungsrahmen für die einzelnen Missbrauchsformen vor. Dabei variieren die im konkreten Prüfungsumfeld zur Anwendung gelangenden Tests zwischen der rein typisierenden Betrachtung von einzelnen Missbrauchsformen bis hin zu einer verstärkten Einzelfallbetrachtung unter Hinzuziehung quantitativer Methoden und weisen somit eine sehr große Bandbreite auf. In der Umsetzung dieses Ansatzes bestimmt die konkrete Form des Missbrauchs, welcher Analyserahmen zur Anwendung gelangt und welcher Maßstab für die Feststellung eines Missbrauchs gilt. Insoweit ist die Rechtsprechung im Ausgangspunkt formbasiert. Eine Reduzierung auf das Begriffspaar form-based und effects-based wird den nuancierten Bewertungsmaßstäben und Ansätzen der Rechtsprechung in all ihren Facetten damit aber zugleich nicht gerecht und ermöglicht – wenn überhaupt – lediglich eine oberflächliche Kategorisierung.935 Zugleich birgt diese Einordnung in diese Kategorien die Gefahr einer Vereinfachung und begünstigt vorschnelle Kritik. Dies liegt sicherlich aber auch an der Verwendung dieser Begrifflichkeiten im Kontext einer rechtspolitischen Debatte und der Gegenüberstellung vermeintlicher diametraler Auffassungen. Die Kritik hatte oftmals den Eindruck erweckt, die Rechtsprechung würde sich in Gänze vor der Berücksichtigung von Auswirkungen auf den Markt verschließen. Die Untersuchung der Rechtsprechung hat jedoch aufgezeigt, dass dem nicht so ist. Dem Ansatz liegt lediglich ein differenziertes Verständnis von Auswirkungen zugrunde, das marktstrukturelle Aspekte besonderen Raum verschafft. Die Gefahr, dass eine Verhaltensweise allein aufgrund ihrer formellen Charakteristiken als missbräuchlich eingestuft wird, erscheint vor diesem Hintergrund weniger offenkundig als es angesichts der Kritik den Anschein hat. Das von der Rechtsprechung zugrundeliegende Prüfungsprogramm steht in dogmatischer Hinsicht im Einklang mit der Einordnung des Missbrauchsverbots als Gefährdungsdelikt sowie der Fokussierung auf den Schutzzweck des unverfälschten Wettbewerbs als Institution sowie der Handlungsfreiheit aller Marktteilnehmer. Der Ansatz der Unionsgerichte zur Beurteilung der einzelnen Fallgruppen des preisbezogenen Behinderungsmissbrauchs sind – wenngleich nicht konsistent im eigentlichen Wortsinn – jedenfalls stimmig und nachvollziehbar. Insoweit mag die Kategorisierung einiger Verhaltensweisen an sich als prima facie missbräuchlich kritikwürdig sein, aber nicht die Kategorisierung und die Anwendung unterschiedlicher Maßstäbe an sich. Ein Prüfungsrahmen, der nach der Form des Behinderungsmissbrauchs differenziert und unterschiedliche Testverfahren auf die einzelnen Verhaltensweisen anwendet, erscheint auf den ersten Blick inkonsistenter als ein System, das jede 935

Kerber, in: Festschrift Schäfer, S. 489, 490 f.

II. Prüfungsmaßstäbe

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Verhaltensweise anhand der gleichen Maßstäbe beurteilt.936 Dieser erste Eindruck täuscht jedoch, sofern man die weiteren Implikationen des Begriffs der Konsistenz genauer betrachtet und die Universalität eines Ansatzes im Hinblick auf seine Auswirkungen untersucht. Es ist wichtig, sich hier vor Augen zu führen, dass ein einheitlicher Ansatz allein formal eine konsistente Beurteilung preisbezogener Behinderungsmissbräuche gewährleistet. Unter Zugrundelegung anderer Vorbedingungen ermöglicht gerade die Anwendung verschiedener Maßstäbe für die unterschiedlichen Formen des Behinderungsmissbrauchs eine konsistente Anwendung des Art. 102 AEUV. Bei dem Ansatz der europäischen Gerichte stehen stattdessen die grundsätzliche Wahrscheinlichkeit von wettbewerbsschädlichen Wirkungen der einzelnen Form und das Wesen des Verhaltens im Mittelpunkt. Einzelne Missbrauchsformen sind dabei weniger geeignet, dem Wettbewerb oder Verbraucherinteressen zu schaden als andere.937 Dies gilt es anzuerkennen und in einen geeigneten Prüfungsrahmen zu übersetzen. Ein System, das für die Beurteilung der verschiedenen Fallgruppen des Behinderungsmissbrauchs unterschiedliche Maßstäbe anlegt, ist daher nicht zwangsläufig inkonsistent. Es reflektiert vielmehr die grundsätzliche Verschiedenartigkeit der einzelnen durch Art. 102 AEUV erfassten Verhaltensweisen.938 Hierbei ist vor allem die von der Rechtsprechung vorgenommene Zweiteilung in der Anwendung von Preis-Kosten-Tests zugleich auch ein Ausdruck der Differenzierung zwischen grundsätzlich verschiedenen Formen des Missbrauchs. Diese haben zwar im Ausgangspunkt jeweils eine Preisbezogenheit zum Gegenstand, sind jedoch in ihrer Wirkung klar voneinander abzugrenzen. Daher ist der AEC-Test auch nicht für alle Fallgruppen gleichermaßen nutzbar. Für Rabattsysteme eignen sich qualitative Kriterien hingegen besser zur Bewertung der für den Wettbewerb entscheidenden Parameter. Vor diesem Hintergrund bleibt als Ergebnis dieses Untersuchungsabschnitts festzuhalten, dass die Rechtsprechung der europäischen Gerichte zu den untersuchten Fallgruppen des preisbezogenen Behinderungsmissbrauchs bislang von einer Stimmigkeit der Wertungsmaßstäbe geprägt und daher in sich schlüssig ist. Auch die vermeintliche Öffnung gegenüber der Berücksichtigung quantitativer Elemente für die Fallgruppe stellt diesen Befund nicht grundsätzlich in Frage. In dem Intel-Urteil kommt das Bestreben zum Ausdruck, Elemente einer wirkungsbasierten Analyse mehr Raum zu verschaffen und auch quantitative Element für die Fallgruppe der Rabattsysteme zu berücksichtigen. Dies ähnelt vom Ansatzpunkt her der Bewertung anderer preisbezogener Behinderungsmissbräuche. Unter dem Gesichtspunkt der Anwendung einheitlicher Maßstäbe auf alle untersuchten Formen des preisbezogenen Behinderungsmissbrauchs erscheint diese 936

So auch Østerud, Identifying Exclusionary Abuses by Dominant Undertakings under EU Competition Law, S. 322 und Lao, in: Hawk (Hrsg.), Fordham Comp. L. Inst. 2007, 433, 467. 937 Lao, in: Hawk (Hrsg.), Fordham Comp. L. Inst. 2007, 433. 938 Østerud, Identifying Exclusionary Abuses by Dominant Undertakings under EU Competition Law, S. 322 f. m.w.N.

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E. Vergleichende und zusammenfassende Betrachtung

Fortentwicklung der Rechtsprechung mit der Einführung einer verstärkten Wirkungsanalyse für Treuerabatte unter Aufgabe des per se Verbots einen konsistenteren Rahmen vorzugeben. Nach dem der Arbeit zugrundeliegenden und herausgearbeiteten Verständnis von Konsistenz ist das Urteil des EuGH in Intel mithin kein Schritt zu mehr Konsistenz. Konsistenz als Ausdruck eines effektiven Rechtsschutzes muss sich nicht vordergründig darin ausdrücken, dass der gleiche Maßstab unterschiedslos auf alle Fallgruppen Anwendung findet. Auch ein vergleichbarer Umfang ökonomischer Analysen für alle Fallgruppen des preisbezogenen Behinderungsmissbrauchs macht die Rechtsanwendung nicht konsistenter. Im Gegenteil kann die Fokussierung auf diesen Aspekt zu einer Einbuße an Rechtssicherheit unter Vernachlässigung anderer prägender Aspekte führen. Es ist vielmehr entscheidend, dass die Wertungsunterschiede in sich stimmig und erklärbar sind. Unter Zugrundelegung der Prämisse, dass Rabatte, und insbesondere auf einer exklusiven Bindung beruhende Rabatte, wesensverschieden sind und besser anhand qualitativer Kriterien zu beurteilen sind, würde die Abkehr von den bisherigen Maßstäben jedoch eine Einbuße an Rechtssicherheit mit sich bringen. Es bleibt daher abzuwarten, inwieweit die in Intel aufgestellten Grundsätze verallgemeinerungsfähig sind.

F. Gesamtsystem der europäischen Wettbewerbsregeln: Implikationen des Kartellverbots nach Art. 101 AEUV für die Anwendung des Art. 102 AEUV Im folgenden Abschnitt wird, nachdem im vorangegangenen Kapitel die Konsistenz in der Anwendung des Missbrauchsverbots nach Art. 102 AEUV auf die einzelnen Fallgruppen untersucht wurde, der Beurteilungsrahmen vergrößert und die aus dem vorigen Teil gewonnenen Ergebnisse in die Gesamtsystematik der europäischen Wettbewerbsregeln eingebettet. Dazu soll insbesondere herausgearbeitet werden, inwieweit die europäischen Gerichte bei der Anwendung der zentralen kartellrechtlichen Vorschriften des europäischen Rechts einen Analyserahmen entwickelt habe, der den Besonderheiten der Säulenstruktur der Vorschriften gerecht wird. Dafür sollen die Maßstäbe, die bei der Beurteilung einer Verhaltensweise nach Art. 101 AEUVAnwendung finden, aufgezeigt und ihre Übertragbarkeit auf Art. 102 AEUV erörtert werden. Hierbei sind verschiedene Aspekte im vorigen Abschnitt der Untersuchung identifiziert worden, hinsichtlich derer eine Einbettung in den Gesamtkontext geboten erscheint. So stellt sich im Ausgangspunkt die Frage, ob der systematische Gleichlauf beider Vorschriften im Hinblick auf die Einstufung von Verhalten in zwei Kategorien (bezweckt und bewirkt) auch die sonstige Konvergenz der Maßstäbe verlangt. Zudem sollen die Bewertungsmaßstäbe von Verhaltensweisen, die unter beiden Vorschriften geprüft werden, einer vergleichenden Betrachtung unterzogen werden. Hierbei ist insbesondere die Fallgruppe der Ausschließlichkeitsbindungen als Vergleichsmaßstab zu Treuerabatten von besonderem Interesse. In diesem Kontext soll sodann auch die Notwendigkeit einer de-minimisSchwelle bei der Anwendung des Art. 102 AEUV erörtert werden und ein Quervergleich zur Anwendung der Bündeltheorie im Rahmen der Prüfung des Art. 101 AEUV vorgenommen werden. In einem letzten Abschnitt wird das Urteil des EuGH Cartes Bancaires vergleichend betrachtet und erörtert, ob sich zwischen diesem und dem jüngsten Urteil des EuGH in Intel Parallelen im Hinblick auf die Konturierung der Fallgruppe der bezweckten Wettbewerbsbeschränkung aufzeigen lassen.

I. Einheitliche Maßstäbe der Rechtsanwendung: Konsistenz der europäischen Rechtsprechung im Gesamtgefüge des europäischen Kartellrechts Im Interesse einer einheitlichen Rechtsanwendungspraxis ist eine Kohärenz in der Anwendung von Art. 101 AEUV und Art. 102 AEUV als den maßgeblichen kar-

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F. Gesamtsystem der europäischen Wettbewerbsregeln

tellrechtlichen Vorschriften des europäischen Rechts von überragender Bedeutung. Der Begriff der Kohärenz ist im Unionsrecht von großer Relevanz. So lässt sich diese Begrifflichkeit in den Unionsverträgen939 oder auch in der Rechtsprechung wiederfinden. Kohärenz beschreibt dabei einen inneren Zusammenhalt und eine Stimmigkeit der europäischen Rechtsordnung. Ebenso wie die Konsistenz ist sie zudem Ausfluss des Gebots effektiven Rechtsschutzes.940 Wenngleich der Aspekt der Kohärenz im Kontext der Gesamtsystematik der europäischen Wettbewerbsregeln in der Literatur bereits teilweise berücksichtigt und erörtert worden ist,941 so geht er in der teils wettbewerbspolitisch überfrachteten Debatte um die „richtige“ Anwendung des Art. 102 AEUV unter. Dabei ist eine Auslegung des Art. 102 AEUV, die in einer Gesamtschau mit der Vorschrift des Art. 101 AEUV konsistent ist, von großer Wichtigkeit für die Integrität des Gesamtsystems der europäischen Wettbewerbsvorschriften. Gerade auch in Zeiten, in denen die private Kartellrechtsdurchsetzung zunehmend an Bedeutung gewinnt942, ist die ausnahmslose Anwendung eines kohärenten Bewertungsrahmens zur Gewährleistung von Rechtssicherheit unverzichtbar. So ist auch im Zuge des more economic approach das Bestreben aufgekommen, bei der Untersuchung einseitiger und koordinierter unternehmerischer Geschäftspraktiken hinsichtlich ihrer Wettbewerbsschädlichkeit einheitliche Maßstäbe anzuwenden.943 In diesem Zusammenhang wurde die Übertragbarkeit der in Art. 101 AEUV angelegten Differenzierung zwischen bezweckten und bewirkten Wettbewerbsbeschränkungen und der jeweils geltenden Maßstäbe auf Art. 102 AEUV erörtert.944 Dass auch in Art. 102 AEUV eine grundlegende Unterscheidung zwischen Verhaltensweisen, die ihrer Natur nach wettbewerbsschädlich sind und solche, bei denen der Nachweis negativer Auswirkungen als erforderlich getroffen wird, wurde bereits erläutert.945 Diese Unterscheidung ist in der Vorschrift des Art. 101 AEUV explizit im Tatbestand angelegt. Daher stellt sich die Folgefrage, ob dies dazu führt, dass alle Ansätze und Maßstäbe, die in Art. 101 AEUV Anwendung finden, auch auf Art. 102 AEUV übertragen werden müssen. 939 So findet der Kohärenzgedanken beispielsweise in Art. 7 AEUVoder in Art. 256 AEUV seinen Ausdruck. 940 Schmidt-Assmann, Kohärenz und Konsistenz des Verwaltungsrechtsschutzes, S. 89, 159. 941 Ackermann, Festschrift Roth, S. 1, 15; Ibañez Colomo, C.M.L. Rev. 53 (2016), 709 – 739; Geradin, J. Comp. L. & Econ. 11 (2015), 579; Peeperkorn, Concurrences 2015, N81-2015, 43. 942 Siehe hierzu insbesondere die Richtlinie 2014/104/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. November 2014 über bestimmte Vorschriften für Schadensersatzklagen nach nationalem Recht wegen Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union. 943 Vgl. Ackermann, in: Festschrift Roth, S. 1, 15. 944 Italianer, The Object of Effects, Vortrag anlässlich der CRA Brussels Conference, 10. 12. 2014. 945 Siehe hierzu oben unter E.II.4.c).

I. Einheitliche Maßstäbe der Rechtsanwendung

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1. Art. 101 AEUV und Art. 102 AEUV im Regelungssystem des europäischen Wettbewerbsrechts Bei der Auslegung des Missbrauchsverbots nach Art. 102 AEUV sind Wertungen der Gesamtsystematik des europäischen Wettbewerbsrechts zu berücksichtigen. Art. 101 AEUV und Art. 102 AEUV sind neben der Fusionskontrolle als zwei Säulen des EU-Kartellrechts konzipiert. In ihrer Gesamtheit bilden sie das „System, das den Wettbewerb vor Verfälschung schützt.“ Hierbei ist vor allem von großer Bedeutung, dass einseitiges und koordiniertes Verhalten von Unternehmen bei der Anwendung des Kartellverbotes nach Art. 101 AEUV sowie des Missbrauchsverbotes nach Art. 102 AEUV ohne Wertungswidersprüche beurteilt wird.946 Art. 101 AEUV und Art. 102 AEUV verfolgen mit der Aufrechterhaltung eines wirksamen und unverfälschten Wettbewerbs auf dem gemeinsamen europäischen Binnenmarkt die gleiche Zielsetzung in der Gesamtsystematik der europäischen Wettbewerbsregeln.947 Dabei ist Anknüpfungspunkt beider Vorschriften das Verhalten von Unternehmen. Auch neben der Zielsetzung weisen beide Tatbestände diverse Parallelen auf. Beide Normen sind als Verbotstatbestände konzipiert und gleichermaßen nur auf Sachverhalte anwendbar, die eine Eignung zur Beeinträchtigung zwischenstaatlichen Handelns aufweisen. Ferner enthalten beide Tatbestände eine Liste von Regelbeispielen. Diese gemeinsame Zielrichtung sowie die Kongruenz des Regelungsinhalts gebietet die Herstellung größtmöglicher Kohärenz bei der Anwendung dieser beiden Vorschriften. Art. 101 AEUV und Art. 102 AEUV sind nach ständiger Rechtsprechung parallel anwendbar, sofern die Tatbestandvoraussetzungen beider Normen erfüllt sind.948 Obgleich die Ausrichtung beider Vorschriften in persönlicher und sachlicher Hinsicht unterschiedlich ist, ergänzen sie sich gegenseitig zur Verfolgung ihres gemeinsamen Schutzguts und sind insoweit komplementär. Zwischen Art. 101 AEUV und Art. 102 AEUV besteht damit Idealkonkurrenz.949 Die Notwendigkeit einer kohärenten Anwendung beider Vorschriften ergibt sich damit aus der grundsätzlichen parallelen Anwendbarkeit beider Vorschriften. Dabei wird ein Verhalten des marktbeherrschenden Unternehmens sowohl nach Art. 101 AEUV als auch nach Art. 102 AEUV geprüft. So können die bereits erörterten Ausschließlichkeitsbindungen durch Rabatte auch unter Art. 101 AEUV fallen. Die bereits dargelegte Notwendigkeit einer kohärenten Anwendung beider zentraler Vorschriften des eu946

So auch Ackermann, in: Festschrift Roth, S. 1, 13. Eilmansberger/Bien, in: Münchener Kommentar, Europäisches Wettbewerbsrecht, Art. 102 AEUV Rn. 24; O’Donoghue/Padilla, The Law and Economics of Article 102 TFEU, S. 34. 948 EuGH, Urteil vom 13. 2. 1979, Rs. 85/76, EU:C:1979:36, Rn. 116 – Hoffmann-La Roche; EuGH, Urteil vom 16. 3. 2000, Rs. C-395/96 P, EU:C:2000:132, Rn. 33 – Compagnie maritime belge. 949 Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV, Rn. 26; Bulst: in Langen/ Bunte, Art. 102 AEUV Rn. 4; Rn. 383 ff.; Emmerich, § 9 Rn. 7; Kling/Thomas, Kartellrecht, § 6 Rn. 1; Eilmansberger/Bien, in: Münchener Kommentar, Europäisches Wettbewerbsrecht, Art. 102 AEUV Rn. 25 ff. 947

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F. Gesamtsystem der europäischen Wettbewerbsregeln

ropäischen Kartellrechts steht im vermeintlichen Widerspruch zu dem Befund, dass der EuGH nicht spürbare Wettbewerbsbeschränkungen vom Verbotstatbestand des Art. 101 Abs. 1 AEUV ausnimmt, während er sich bislang weigert, eine Bagatellgrenze bei der Bewertung von Rabattsystemen einzuführen. Dieser Befund dürfte trotz der verlangten Berücksichtigung des Umfangs der Markterfassung950 auch nach Intel weiterhin Bestand haben. Die Berücksichtigung der Marktabdeckung der Rabatte ist nicht gleichbedeutend mit der Einführung einer Spürbarkeitsschwelle. Die Frage, ob spezifische quantitative Nachweise für die Feststellung der Missbräuchlichkeit einer Verhaltensweise erbracht werden müssen, ist daher nicht nur auf die Anwendung des Art. 102 AEUV limitiert. Auch im Rahmen des Art. 101 AEUV spielen diese Erwägungen eine wichtige Rolle.951 2. Das Kartellverbot des Art. 101 AEUV: Überblick über den Regelungsgegenstand Das Kartellverbot des Art. 101 AUEV bezweckt die Verhinderung der Koordinierung des Verhaltens unabhängiger Unternehmen, sei es durch Vereinbarungen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen oder aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen. Der Art. 101 AEUV sieht eine Unterscheidung zwischen den Tatbestandsmerkmalen „bezweckten“ und „bewirkten“ Wettbewerbsbeschränkungen vor. Diese sind dabei alternativ zu sehen.952 Die Differenzierung zwischen „bezweckten“ und „bewirkten“ Verstößen beruht auf der Annahme, dass bestimmte Formen der Absprache zwischen Unternehmen bereits ihrer Natur nach als schädlich für den Wettbewerb angesehen werden, während andere erst aufgrund ihrer Wirkung negative Auswirkungen auf den Wettbewerb haben können. Die Einordnung richtet sich nach den typischen Wirkungen einer Verhaltensweise auf den Markt. Es wird davon ausgegangen, dass bestimmten Verhaltensweisen die wettbewerbsbeschränkende Wirkung so unmittelbar innewohnt, dass ohne Weiteres auf derartige Wirkungen geschlossen werden kann. Der Grund für die Unterscheidung zwischen „bezweckten“ und „bewirkten“ Verstößen liegt nach dem EuGH darin, „das bestimmte Formen der Kollusion schon ihrer Natur nach als schädlich für das gute Funktionieren des normalen Wettbewerbs angesehen werden“.953 Mit dieser Differenzierung ist zugleich ein unterschiedlicher Beweismaßstab verbunden.954 Bei Vorliegen einer bezweckten Wettbewerbsbeschränkung brauchen tatsächliche wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen nicht mehr festgestellt werden. Das Bewirken setzt nach der Rechtspraxis hingegen eine Analyse der Marktwirkungen 950

Vgl. EuGH, Urteil vom 6. 9. 2017, Rs. C-413/14 P, EU:C:2017:632, Rn. 139 – Intel. Nihoul, JECLAP, 521, 524. 952 EuGH, Urteil vom 30. 06. 1966, Rs. 56/65, EU:C:1966:38 – Maschinenbau Ulm. 953 EuGH, Urteil vom 13. 12. 2012, Rs. C-226/11, EU:C:2012:795, Rn. 36 – Expedia, unter Verweis auf EuGH, Urteil vom 20. 11. 2008, Rs. C-209/07, EU:C:2008:643 – BIDS, EuGH, Urteil vom 4. 6. 2009, Rs. C-8/08, EU:C:2009:343 – T-Mobile Netherlands. 954 Hengst, in: Langen/Bunte, Art. 101 AEUV Rn. 220. 951

II. Das Spürbarkeitserfordernis

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voraus. Sofern man davon ausgeht, dass ebenso wie der Art. 101 AEUV auch der Art. 102 AEUV eine Unterscheidung zwischen bezweckten und bewirkten Wettbewerbsbeschränkungen trifft, stellt sich die Folgefrage, ob das gleichzeitig bedeutet, dass diese Maßstäbe auch auf Art. 102 AEUV Anwendung finden müssen.

II. Das Spürbarkeitserfordernis: Grundsätze der Übertragbarkeit auf Art. 102 AEUV 1. Entwicklungslinien und Anwendungsgrundsätze der Spürbarkeit in der Rechtsprechung zu Art. 101 AEUV Um einer zu weiten Anwendung des Kartellverbots nach Art. 101 AEUV vorzubeugen, hat die Rechtspraxis das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal der Spürbarkeit entwickelt. Diese soll dazu dienen, nur geringfügige (sog. Bagatellfälle) Wettbewerbsbeschränkungen aus dem Anwendungsbereich des Art. 101 AEUV auszuklammern.955 Wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen sind daher nach Art. 101 AEUV nur dann verboten, wenn sie den Wettbewerb spürbar beeinträchtigen. Das Tatbestandsmerkmal der Spürbarkeit kann auf eine vergleichsweise lange Entwicklung zurückblicken. Nach der Rechtsprechung hat die Spürbarkeit neben der quantitativen Komponente als Marktanteilsschwelle auch eine qualitative Dimension. Es steht damit zugleich die realistische Bewertung der wettbewerbsrelevanten Auswirkungen im Vordergrund und limitiert die Anwendung des Kartellverbots auf solche Vereinbarungen, die den Wettbewerb nennenswert beeinträchtigen.956 Im konkreten Anwendungsbereich des Kartellverbots nach Art. 101 AEUV wird das Spürbarkeitserfordernis durch die de-minimis Bekanntmachung der Kommission957 konkretisiert. Im Sommer 2014 wurde diese überarbeitet und neu erlassen. Zusätzlich zu der Bekanntmachung hat die Kommission ein Arbeitspapier958 veröffentlicht, in dem dargelegt wird, was unter einer bezweckten Wettbewerbsbeschränkung zu verstehen sein soll. Die de-minimis Bekanntmachung führt aus, unter welchen Voraussetzungen Vereinbarungen zwischen Unternehmen nicht unter das Verbot des Art. 101 AEUV fallen sollen. Hierzu knüpft die Bekanntmachung in erster Linie an Marktanteilsschwellen an. Die wichtigste Neuerung der neuen deminimis-Bekanntmachung liegt darin, dass bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen (restrictions by object) fortan nicht mehr unter die Safe Harbour-Regelung fallen 955

Hengst, in: Langen/Bunte, Art. 101 AEUV Rn. 236. Ackermann, in: Festschrift Roth, S. 1, 4 f. 957 Kommission, Bekanntmachung über Vereinbarungen von geringer Bedeutung, die im Sinne des Art. 101 Abs. 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union den Wettbewerb nicht spürbar beschränken (De-minimis-Bekanntmachung), ABl. 2014, C 291/1. 958 Commission Staff Working Document, SWD (2014) 198 final vom 25. 6. 2014, abrufbar unter: http://ec.europa.eu/competition/antitrust/legislation/de_minimis_notice_annex.pdf, letzter Abruf: 28. 2. 2017. 956

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F. Gesamtsystem der europäischen Wettbewerbsregeln

können und damit stets eine spürbare Wettbewerbsbeschränkung darstellen.959 Damit ist die Kommission der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Expedia960 gefolgt. Eine Berufung auf die mangelnde spürbare Auswirkung auf den Wettbewerb ist Unternehmen in diesem Fall grundsätzlich abgeschnitten. Die Hauptproblematik dieser Neuerung liegt darin, dass keine abschließende Definition einer „bezweckten“ Beschränkung des Wettbewerbs besteht. Wenngleich die Kommission mit ihrem Arbeitspapier weitere konkrete Hinweise an die Hand gibt und sich auch zahlreiche wissenschaftliche Beiträge mit dieser Problematik auseinandersetzen, so ist die Linie zwischen bezweckter und bewirkter Wettbewerbsbeschränkung nicht immer klar erkennbar.961 Dies führt in der Rechtspraxis zu einer gewissen Unvorhersehbarkeit in der Anwendung des Art. 101 AEUV. 2. De-minimis-Schwelle für Art. 102 AEUV – Grundzüge einer Übertragung des Spürbarkeitserfordernisses a) Vorbedingungen einer Übertragung Die Anwendung eines Spürbarkeitserfordernisses bei Art. 102 AEUV würde bedeuten, dass der Grad der Marktverschließung durch das betreffende Rabattsystem gemessen werden müsste. Bislang haben sich die Unionsgerichte einer derartigen Spürbarkeitsgrenze bei der Anwendung des Missbrauchsverbots verschlossen, da nach ihrer Auffassung auf einem „in seiner Wettbewerbsstruktur bereits geschwächten Markt jede zusätzliche Beschränkung des Wettbewerbs missbräuchlich sei.“962 Diese Erwägung scheint insbesondere vor dem Hintergrund der unter Art. 101 AEUV entwickelten Rechtsprechung zu der Wirkung einer Vielzahl von exklusiven Bindungen interessant. Ein Vergleich dieser Grundsätze bietet sich an, da es auch bei der Bewertung der Wirkung einer Vielzahl von Ausschließlichkeitsbindungen bzw. gleichartiger Verträge um marktverschließende Wirkungen gegenüber aktuellen bzw. potentiellen Konkurrenten geht. b) Quervergleich mit der Bündeltheorie: Das Urteil des EuGH in Delimitis Eine weitere Ausprägung hat das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal der Spürbarkeit als Zurechnungskriterium bei einer kumulativ bewirkten Wettbewerbsbeschränkung erfahren. Bei dieser, unter dem Stichwort „Bündeltheorie“ 959 Schröter/Voet van Vormizeele, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, Art. 101 AEUV Rn. 167; Ibañez Colomo, JECLAP 2016, 651. 960 EuGH, Urteil vom 13. 12. 2012, Rs. C-226/11, EU:C:2012:795, Rn. 37 – Expedia. 961 Peeperkorn, Concurrences N83-2015, 40, 42 m.w.N.; Ackermann, in: Festschrift Roth, S. 1. 962 EuGH, Urteil vom 13. 2. 1979, Rs. C-85/76, EU:C:1979:36, Rn. 8 – Hoffmann-La Roche.

II. Das Spürbarkeitserfordernis

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diskutierten Fallgruppe geht es um Fallgestaltungen, in denen es zu einer kumulativen wettbewerbsbeschränkenden Wirkung kommt. Bereits in früheren Entscheidungen des EuGH klang an, dass das Bestehen gleichartiger Verträge bei der Beurteilung der Folgen eines derartigen Verhaltens berücksichtigt werden müsse.963 Leitentscheidung in diesem Zusammenhang war die Rechtssache Delimitis, in der die genauen Voraussetzungen konkretisiert wurden. aa) Sachverhalt und Entscheidung des EuGH Im vom EuGH zu entscheidenden Fall Delimitis964 ging es im Rahmen eines detaillierten Vorabentscheidungsersuchens des OLG Frankfurt um die Vereinbarkeit von Exklusivbindungen von Gaststätten in Bierlieferungsverträgen mit Art. 101 Abs. 1 AEUV.965 Der Gastwirt Delimitis schloss mit der Brauerei Henninger Bräu einen Bierlieferungsvertrag, mit dem er sich verpflichtete, seinen vollständigen Getränkebedarf bei der Brauerei oder ihren Tochtergesellschaften zu beziehen. In dem Urteil des EuGH ging es insbesondere neben der Klärung der Frage, welche Bedingungen für das Vorliegen einer marktabschottenden Wirkung beim Bestehen eines Bündels gleichartiger Verträge vorliegen müssen, um die genaue Festlegung einer Schwelle für den Beitrag einzelner Verpflichtungen zur Marktabschottung. Zunächst erörtert der EuGH, dass sich Ausschließlichkeitsbedingungen grundsätzlich für beide Seiten positiv auf den Wettbewerb auswirken können. Daher seien ihre Auswirkungen auf den Markt in ihrem jeweiligen Gesamtzusammenhang zu prüfen.966 Für die Frage, ob der Zugang zu dem Markt beeinträchtigt werde, käme es dabei auf die Art und Bedeutung des betroffenen Vertragsnetzes an. Diese hänge insbesondere von der Zahl der gebundenen Abnehmer sowie der Dauer der Verpflichtungen, der von den Verpflichtungen erfassten Menge und dem jeweiligen Verhältnis der Menge und der Zahl der Abnehmer ab.967 Es kommt damit vielmehr auf die Einbindung der betreffenden Vereinbarung in eine „Gesamtheit von Vereinbarungen“ an. Insoweit seien auch die Anzahl der gebundenen Verkaufsstellen und die Laufzeit der Verträge zu berücksichtigen.968 Gleichwohl spräche allein das Bestehen eines Bündels gleichartiger Verträge noch nicht für die Abschottung des Marktes. Insoweit komme es im Rahmen der Betrachtung aller rechtlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen auch auf weitere Faktoren an, die den Markteintritt beeinflussen können. Hierbei sei entscheidend, ob Mitbewerber die Möglichkeit haben, sich trotz des Bestehens des Bündels gleichartiger Verträge auf 963

EuGH, Urteil vom 12. 12. 1967, Rs. C-23/6, EU:C:1967:54 – Brasserie de Haecht. EuGH, Urteil vom 28. 2. 1991, Rs. C-234/89, EU:C:1991:91 – Delimitis. 965 Zu den Vorlagefragen: EuGH, Urteil vom 28. 2. 1991, Rs. C-234/89, EU:C:1991:91, Rn. 7 – Delimitis. 966 EuGH, Urteil vom 28. 2. 1991, Rs. C-234/89, EU:C:1991:91, Rn. 14 ff. – Delimitis. 967 EuGH, Urteil vom 28. 2. 1991, Rs. C-234/89, EU:C:1991:91, Rn. 19 ff. – Delimitis. 968 EuGH, Urteil vom 28. 2. 1991, Rs. C-234/89, EU:C:1991:91, Rn. 25 f. – Delimitis. 964

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F. Gesamtsystem der europäischen Wettbewerbsregeln

dem Markt zu etablieren. Hierbei komme es auch auf die Bedingungen auf dem Markt an.969 Die Prüfung einer marktverschließenden Wirkung sei zentral für die Beurteilung eines Bündels gleichartiger Verträge. Sofern feststeht, dass der Markt schwer zugänglich ist, müsse in einem weiteren Schritt der Beitrag der betreffenden Ausschließlichkeitsbindungen zur Marktabschottung ermittelt werden.970 Die Bedeutung des Beitrags hänge insbesondere von der Vertragsdauer und der Stellung des Unternehmens auf dem Markt ab.971 bb) Rechtliche Einordnung und Implikationen für die Anwendung des Art. 102 AEUV Bei der in Delimitis aufgestellten Systematik zur Prüfung von Ausschließlichkeitsbindungen handelt es sich um eine Zwei-Stufen Prüfung. Auf der ersten Stufe ist zu prüfen, ob der betreffende Markt (hier: Bierlieferungen an Gaststätten) schwer zugänglich ist. Dies ist anhand verschiedener Faktoren, wie etwa dem Bestehen gleichartiger Verträge, zu überprüfen. Hierbei gilt es eine etwaige kumulative Wirkung der einzelnen Verträge festzustellen. Danach ist zu untersuchen, ob die betreffende Ausschließlichkeitsbindung tatsächlich zu dieser Marktabschottung beigetragen hat. In den Worten des Gerichtshofs heißt es hierzu, es gelte „zu untersuchen, inwieweit die Verträge der betroffenen Brauerei zu der kumulativen Wirkung beitragen, die alle auf diesem Markt festgestellten gleichartigen Verträge in dieser Hinsicht entfalten. Diese Marktabschließungswirkung ist nach den gemeinschaftsrechtlichen Wettbewerbsvorschriften denjenigen Brauereien zuzurechnen, die dazu in erheblichem Maße beitragen. Die Bierlieferungsverträge von Brauereien, deren Beitrag zu der kumulativen Wirkung unerheblich ist, fallen deshalb nicht unter das Verbot des Art. 85 Abs. 1“.972

In Delimitis verlangte der EuGH trotz der vermeintlich starken Beschränkung des Wettbewerbs in Form einer Ausschließlichkeitsbindung und der Verpflichtung, nicht von einem Konkurrenten Henningers zu kaufen, eine genaue Analyse der möglichen Auswirkungen auf den Markt. Der EuGH stellt damit klar, dass Ausschließlichkeitsbindungen unter Art. 101 AEUV nicht als bezweckte Wettbewerbsbeschränkung einzuordnen sind. Es bedarf vielmehr einer genaueren Betrachtung der Auswirkungen und des rechtlichen und wirtschaftlichen Gesamtzusammenhangs.973 Zudem geht der EuGH in Delimitis noch einen Schritt weiter und verlangt das Vorliegen eines erheblichen Beitrages zur marktabschottenden Wirkung. Der Bündeltheorie liegt insoweit die zutreffende Annahme zugrunde, dass einzelne Ausschließlichkeitsbindungen für sich genommen harmlos sein können und nicht 969 970 971 972 973

EuGH, Urteil vom 28. 2. 1991, Rs. C-234/89, EU:C:1991:91, Rn. 20 – Delimitis. EuGH, Urteil vom 28. 2. 1991, Rs. C-234/89, EU:C:1991:91, Rn. 24 – Delimitis. EuGH, Urteil vom 28. 2. 1991, Rs. C-234/89, EU:C:1991:91, Rn. 27 – Delimitis. EuGH, Urteil vom 28. 2. 1991, Rs. C-234/89, EU:C:1991:91, Rn. 24 – Delimitis. EuGH, Urteil vom 28. 2. 1991, Rs. C-234/89, EU:C:1991:91, Rn. 14 – Delimitis.

II. Das Spürbarkeitserfordernis

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zwangsläufig wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen haben müssen. Daher darf eine einzelne Maßnahme nicht losgelöst von dem Gesamtzusammenhang betrachtet werden.974 cc) Zwischenergebnis Insoweit liegen der Beurteilung von Ausschließlichkeitsbindungen bzw. Treuerabatten unter Art. 101 AEUV und Art. 102 AEUV unterschiedliche Maßstäbe zugrunde. Es liegt eine unterschiedliche Behandlung marktabschottender Wirkungen nach Art. 101 AEUV und Art. 102 AEUV vor. Während Ausschließlichkeitsbindungen und Treuerabatte unter Artikel 102 AEUV grundsätzlich als missbräuchlich und daher als bezweckte Wettbewerbsbeschränkung im Sinne des Art. 101 AEUV gelten, unterliegen diese bei Anwendung des Art. 101 AEUV nicht dem gleichen Ansatz. In Delimitis führte der EuGH denkbare Vorteile beider Seiten einer derartigen Alleinbezugsverpflichtung an.975 Daher würden diese keine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung darstellen, sodass eine bewirkte Wettbewerbsbeschränkung zu prüfen sei.976 Bei der Bewertung von Treuerabatten nach Art. 102 AEUV wird hingegen angenommen, dass der Gewährung kein anderer Zweck zugrunde liegen könne als die Verdrängung von Wettbewerbern. Auch hier offenbart sich eine Zweiteilung, die sich in konträren Annahmen hinsichtlich der potentiellen Auswirkungen dieser Mechanismen offenbart. Dies wird vielfach kritisiert und als Ausdruck einer inkonsistenten Rechtsprechung identifiziert. Dieser Kritik liegt der Ansatz zugrunde, dass einheitliche Verhaltensweisen unter Art. 101 AEUV und Art. 102 AEUV gleich behandelt werden müssen. In beiden Fällen geht um marktverschließende Wirkungen zulasten potentieller Konkurrenten. Im Vordergrund stehen jeweils die Behinderung des Marktzugangs sowie die Erzeugung einer Abschottungswirkung. Neben dem grundsätzlichen Problem der Inkonsistenz und einer mangelnden Schlüssigkeit hat die unterschiedliche Beurteilung vergleichbarer oder gleicher Sachverhalte auch Auswirkungen auf die Rechtssicherheit sowie das Verhalten marktbeherrschender Unternehmen. So mögen diese durch strengere Maßstäbe bei der Beurteilung einer, aber nicht bei der Bewertung einer anderen in ihrer Wirkung vergleichbaren Marktstrategie verleitet sein, ihr Marktverhalten durch sog. form shopping daran auszurichten.977 Ein derartiges Verhalten kann für den Markt vielfältige nachteilige Auswirkungen mit sich bringen. So können marktbeherrschende Unternehmen ihre Geschäftsstrategie von dem jeweilig zur Anwendung gelangenden Prüfungsmaßstab abhängig machen. Insoweit stellt sich hier die gleiche Problematik wie bei der Sicherstellung der Verwirklichung konsistenter Maßstäbe bei der Anwendung des Art. 102 AEUV auf die einzelnen Fallgruppen. So hatte der EuGH bereits in Hoffmann-La Roche aufgrund der Annahme einer Analogie zwi974 975 976 977

Hengst, in: Langen/Bunte, Art. 101 AEUV Rn. 242. EuGH, Urteil vom 28. 2. 1991, Rs. C-234/89, EU:C:1991:91, Rn. 10 – 12 – Delimitis. EuGH, Urteil vom 28. 2. 1991, Rs. C-234/89, EU:C:1991:91, Rn. 13 – Delimitis. Vgl. hierzu Peeperkorn, Concurrences N81-2015, 43, 45 f.

230

F. Gesamtsystem der europäischen Wettbewerbsregeln

schen Ausschließlichkeitsbindungen und Exklusivitätsrabatten eine Angleichung der Prüfungsmaßstäbe vorgenommen. Diese dogmatische Konzeption durchzieht die Prüfsystematik von Rabattgestaltungen unter Art. 102 AEUV. Übertragen auf die Fallgruppe der Ausschließlichkeitsbindungen bzw. der bedingten Rabatte würde das bedeuten, dass die Marktabdeckung sowie die Möglichkeit des Zugangs zum Markt in die Bewertung von Treuerabatten einzubeziehen wären. Insoweit käme es dann auch auf die Bedeutung der gebundenen Abnehmer an. c) Ablehnung des Erfordernisses in der Rechtsprechung zu Art. 102 AEUV Der EuGH hat bislang jedoch immer die Notwendigkeit einer Spürbarkeitsgrenze bei der Anwendung des Art. 102 AEUV verneint. Die Ablehnung einer Bagatellgrenze hat in den vergangenen Jahren, insbesondere in Urteilen zu Rabattgestaltungen, eine wichtige Rolle gespielt. Bereits früh hatte sich der EuGH in HoffmannLa Roche mit der Einführung einer Spürbarkeitsschwelle bei der Anwendung von Art. 102 AEUVauseinandergesetzt. Dort führte er aus, dass „im Geltungsbereich des Art. 86 jede zusätzliche Beschränkung [der bereits geschwächten] Marktstruktur eine mißbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung“ darstelle.978 Aufschlussreich sind in diesem Zusammenhang auch die Schlussanträge des Generalanwalts Reischl, der sich klar gegen das Erfordernis einer Spürbarkeitsgrenze bei der Anwendung des Art. 102 AEUV ausspricht. Er begründet dies mit der unterschiedlichen Marktsituation und der verschiedenen Ausrichtung der beiden Verbotstatbestände. So gehe es bei dem Missbrauchsverbot nicht darum, die Einschränkung vorhandenen wirksamen Wettbewerbs zu verhindern, sondern um bereits „praktisch eliminierten Wettbewerb“.979 Diese Aussagen wurden in der weiteren Folge von Generalanwalt Mazák in der Rechtssache Tomra als Ablehnung einer deminimis-Schwelle ausgelegt.980 Jüngst bestätigte der EuGH diesen Ansatz in der Entscheidung Post Danmark II981 sowie das EuG in Intel. Letzteres hatte dazu in Intel ausgeführt, dass es keiner de-minimis-Schwelle bedürfe, um die Missbräuchlichkeit einer Verhaltensweise zu begründen. So hielt es die Tatsache, dass durch die eingesetzten Rabatte womöglich nur ein geringer Teil des Marktes betroffen war, für irrelevant.982 Diese Auffassung teilte auch der EuGH in Post Danmark II, der in diesem Kontext darauf verwies, dass das Rabattsystem bereits seiner Natur nach 978

Roche.

EuGH, Urteil vom 13. 2. 1979, Rs. 85/76, EU:C:1979:363, Rn. 123 – Hoffmann-La

979 GA Reischl, Schlussanträge vom 19. 9. 1978, Rs. 85/76, EU:C:1979:36, S. 593 unter III. 5 – Hoffmann-La Roche; vgl. auch Brand, in: Frankfurter Kommentar Kartellrecht, Art. 102 AEUV, November 2015, Rn. 15. 980 GA Mazák, Schlussanträge vom 2. 2. 2012, Rs. C-549/10 P, EU:C:2012:55, Rn. 17 – Tomra. 981 Vgl. EuGH, Urteil vom 6. 10. 2015, Rs. C-23/14, EU:C:2015:651, Rn. 73 – Post Danmark II. 982 EuG, Urteil vom 12. 6. 2014, Rs. T-286/09, EU:T:2014:547, Rn. 116 – Intel.

II. Das Spürbarkeitserfordernis

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geeignet sei, „nicht unerhebliche Wettbewerbsbeschränkungen hervorzurufen oder den Wettbewerb auf dem Markt, auf dem das betreffenden Unternehmen tätig ist, sogar auszuschalten.983 In Intel äußerte sich der EuGH nicht explizit zu dem Erfordernis einer de-minimis-Schwelle. Daraus folgt der Befund, dass zur Bewertung missbräuchlicher Rabattsysteme unter Art. 102 AEUV keine der Spürbarkeit entsprechende Bagatellgrenze Eingang in die Rechtsprechung gefunden hat. d) Mögliche Erklärungsansätze für die Anwendung unterschiedlicher Maßstäbe Die Anwendung unterschiedlicher Maßstäbe wäre gerechtfertigt, wenn es dafür einen sachlichen Grund gäbe. Hierbei ist zunächst zu berücksichtigen, dass sich die Art. 101 AEUV und Art. 102 AEUV in unterschiedlichen Kontexten bewegen und unter verschiedenen Prämissen angewendet werden. Vor allem die Marktbedingungen unterscheiden sich grundlegend und dienen zugleich als maßgebliches Diversifizierungskriterium. Hierzu wird die Rechtfertigung dieser Auffassung direkt an die besondere Verantwortung des marktbeherrschenden Unternehmens sowie die marktstrukturellen Voraussetzungen geknüpft. Auch in Intel erkannte das EuG die möglichen positiven Auswirkungen von Ausschließlichkeitsbindungen unter Verweis auf Delimitis zwar grundsätzlich an, limitierte diese Aussage jedoch auf Märkte, auf denen der Wettbewerb nicht bereits durch die Existenz eines marktbeherrschenden Unternehmens beschränkt ist. Die Erwägungen zu den möglichen positiven Auswirkungen von Ausschließlichkeitsbindungen seien nicht auf einen Markt übertragbar, „auf dem der Wettbewerb gerade wegen der beherrschenden Stellung eines Wirtschaftsteilnehmers bereits eingeschränkt ist.“984 Daher gilt es im Folgenden einige mögliche Erklärungen für die unterschiedliche Beurteilung von Ausschließlichkeitsbindungen bzw. Treuerabatte unter Art. 101 AEUV und Art. 102 AEUV aufzuzeigen. aa) Marktbeherrschende Stellung als Anknüpfungspunkt Die Anwendung des Art. 102 AEUV steht unter anderen Prämissen als die Anwendung des Art. 101 AEUV. Im Vordergrund des Missbrauchsverbots steht der Marktanteil des betreffenden Unternehmens.985 Dieser liegt naturgemäß weit über den Marktanteilen von Unternehmen, deren Verhalten nach Art. 101 AEUV geprüft wird. Die Kräfte auf dem Markt sind bereits dergestalt eingeschränkt, dass die

983 EuGH, Urteil vom 6. 10. 2015, Rs. C-23/14, EU:C:2015:651, Rn. 73 f. – Post Danmark II. 984 EuG, Urteil vom 12. 6. 2014, Rs. T-286/09, EU:T:2014:547, Rn. 89 – Intel. 985 Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 101 AEUV Rn. 146.

232

F. Gesamtsystem der europäischen Wettbewerbsregeln

Ausgangssituation grundsätzlich nicht vergleichbar ist. Dieser eindeutige Befund soll an dieser Stelle nicht hinterfragt werden. bb) Treuerabattgestaltungen als bezweckte Wettbewerbsbeschränkung Eine weitere mögliche Erklärung für die Ablehnung einer de-minimis-Schwelle für Treuerabatte lässt sich unter Zugrundelegung der Einstufung derartiger Praktiken als Pendant zu einer bezweckten Wettbewerbsbeschränkung im Sinne von Art. 101 Abs. 1 AEUV finden. Genau wie bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen unter Art. 101 Abs. 1 AEUV wurden Treuerabatte – jedenfalls bislang – ihrem Wesen nach als wettbewerbsschädlich eingeordnet. Für diese Form von Wettbewerbsbeschränkungen wurde sowohl in Expedia986 als auch in der neuen de-minimis-Bekanntmachung angenommen, dass ein quantitativer Spürbarkeitstest grundsätzlich nicht erforderlich ist. Unter Zugrundelegung dieses Maßstabs bedeutete die Ablehnung einer Spürbarkeitsschwelle in diesem Kontext nur einen Wertungsgleichlauf mit den Kriterien dieser Kategorie und wäre insoweit stimmig.987 Auch in Expedia stützte der EuGH die Ablehnung einer Marktanteilsschwelle auf die abstrakte Gefährlichkeit der in diese Kategorie fallenden Vereinbarungen.988 In der konkreten Fallpraxis könnte dies bedeuten, dass Ausschließlichkeitsbindungen und Treuerabatte auch verboten wären, wenn sie einen verschwindend geringen Anteil des Marktes beträfen. Ausschließlichkeitsbindungen oder Treuerabatte, die lediglich einen Marktanteil von unter 10 % einnehmen, würden demnach verboten sein. Genau dieser Aspekt steht in der Kritik.989 Gleichwohl scheint diese Einordnung mit der Anwendung der Kategorie der „bezweckten“ Wettbewerbsbeschränkung unter Art. 101 AUEV im Einklang zu stehen. Unter Zugrundelegung dieser Auffassung hätte der Umfang der Übertragung der Kategorien aus Art. 101 AEUV auf die Fallgruppen des Missbrauchsverbots auch Einfluss auf die Notwendigkeit einer deminimis-Schwelle für Rabattgestaltungen. Hier gilt es zwischen den verschiedenen Kategorien der Rabatte zu unterscheiden. Für die Fallgruppe der Ausschließlichkeitsbindungen wie in Hoffmann-La Roche oder Intel folgt aus der Einstufung als Pendant zu einer bezweckten Wettbewerbsbeschränkung schon die mangelnde Möglichkeit bzw. Notwendigkeit der Einführung einer de-minimis-Schwelle. Sollte das Urteil des EuGH in Intel nun so zu lesen ist, dass er die Fallgestaltung der Treuerabatte aus dem Anwendungsbereich der bezweckten Wettbewerbsbeschränkung herausgenommen hat, könnte dieser Erklärungsansatz nicht länger brauchbar gemacht werden. Das Urteil ist in dieser Hinsicht nicht eindeutig. Insoweit steht sich hier gegenüber, dass der EuGH zumindest formal an die Rechtsprechung in 986

EuGH, Urteil vom 13. 12. 2012, Rs. C-226/11, EU:C:2012:795 – Expedia. So auch Ibañez Colomo, JECLAP 2016, 651, 652 f. 988 Vgl. Ackermann, in: Festschrift Roth, S. 1, 14. 989 So sieht Whish, der das Intel-Urteil des EuG im Grundsatz befürwortet, darin das eigentliche Problem bei der Bewertung von Treuerabatten, vgl. Whish, JECLAP 2015, 1, 2, ähnlich auch Geradin, J. Comp. L. & Econ. 11 (2015), 579, 588, 600 ff. 987

II. Das Spürbarkeitserfordernis

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Hoffmann-La Roche anknüpft und auf die per se Missbräuchlichkeit abstellt, während er zugleich eine vertiefte Wirkungsanalyse auf Tatbestandsebene ermöglicht und hierdurch scheinbar Elemente der bezweckten und der bewirkten Wettbewerbsbeschränkung vermischt. Gleichwohl lehnte der EuGH in Post Danmark II auch für diese Art der Rabattgestaltung eine de-minimis-Schwelle ab, wenngleich Zielrabatte in der Terminologie der Art. 101 AEUV als bewirkte Wettbewerbsbeschränkung anzusehen sind, da für diese keine irgendwie geartete Vermutung der Unzulässigkeit streitet, die eine Einzelfallbetrachtung auf Tatbestandsebene entbehrlich macht. cc) Möglichkeiten der Wettbewerber: Relevanz auch geringer Marktabschottung Bei genauerer Betrachtung lässt sich auch eine Verbindung zwischen der Ablehnung eines Spürbarkeitserfordernisses bei der Anwendung des Art. 102 AEUV und dem AEC-Test herstellen.990 Bei der Umsetzung von Rabattsystemen ist es grundsätzlich denkbar, dass diese nur einen Teil der Nachfrage vom Markt abschotten. In diesem Fall könnte sich ein hypothetischer, ebenso effizienter Wettbewerber ohne Verluste am Markt halten, indem er seine Aktivitäten auf den nicht abgeschotteten Teil des Marktes verlagert.991 Während die Ausführungen der Kommission teilweise nahezulegen schienen, dass dies mit der Grundkonzeption des Tests im Einklang steht und eine Verdrängungswirkung erst dann relevant sein soll, wenn Wettbewerber gänzlich vom Markt verdrängt werden992, so lassen sich in einigen Urteilen der europäischen Gerichte andere Erwägungen finden. So wies der EuGH in Tomra das Argument zurück, dass Wettbewerber in der Lage wären, auf dem nicht abgeschotteten Teil des Marktes zu verbleiben.993 Es stehe dem marktbeherrschenden Unternehmen nicht zu, zu entscheiden auf welchem Teil des Marktes eine bestimmte Anzahl von Wettbewerbern verbleiben dürfe.994 Auch in Intel führt das EuG aus, Wettbewerber sollten auf dem gesamten Markt in Wettbewerb treten können.995 Vor diesem Hintergrund erschien es konsequent, keine genaue Schwelle festzulegen. Für eine Offenhaltung der Märkte mag auch ein geringer Teil des Marktes relevant sein. Daher würde eine Marktanteilsschwelle zugleich eine Verkürzung des Schutzbereiches mit sich bringen. So erscheint auch nicht genau bestimmbar, in welcher Höhe der verbleibende Marktanteil noch als ausreichend erachtet werden soll, um neuen Wettbewerbern den Zutritt zum Markt oder bestehenden Konkurrenten den Wettbewerb um diese Marktanteile zu ermöglichen. 990

Zu diesem Aspekt auch Bien/Rummel, EuZW 2012, 737, 740. Insoweit auch die Argumentation von Tomra gegenüber dem EuGH, vgl. GA Mazák, Schlussanträge vom 2. 2. 2012, Rs. C-549/10 P, EU:C:2012:55, Rn. 15 – Tomra. 992 Kommission, Prioritätenmitteilung, Rn. 25 und Rn. 67. 993 EuGH, Urteil vom 19. 4. 2012, Rs. C-549/10 P, EU:C:2012:221, Rn. 42 – Tomra. 994 EuGH, Urteil vom 19. 4. 2012, Rs. C-549/10 P, EU:C:2012:221, Rn. 42 – Tomra. 995 EuG, Urteil vom 12. 6. 2014, Rs. T-286/09, EU:T:2014:547, Rn. 117 – Intel. 991

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Zudem vernachlässigt diese Wertung das Potential der Wirkung von Rabattsystemen als Hebel, um sich auch den noch bestreitbaren Teil des Marktes zu sichern.996 Diese Erwägung scheint nach dem Urteil des EuGH in Intel zunehmend in den Hintergrund zu treten. Gleichwohl lag diesem Urteil eine besondere Fallgestaltung zugrunde, sodass in die vermeintliche Hinwendung zu Effizienzerwägung keine grundsätzliche Abkehr von marktstrukturellen Gesichtspunkten bei der Bewertung von Rabatten hineingelesen werden sollte. dd) Effekte: Marktanteilsschwelle aus Ausdruck eines auswirkungsbasierten Ansatzes? Ein anderes Bild ergibt sich jedoch, wenn man einen Vergleich zur Fallgruppe der kumulativ bewirkten Wettbewerbsbeschränkungen des Art. 101 Abs. 1 AEUV zieht. Eine derartige Wertungsmöglichkeit liegt in Anbetracht eines Vergleichs der Effekte von Treuerabatten und ähnlichen Verpflichtungen zum exklusiven Bezug beim marktbeherrschenden Unternehmen mit der Fallgruppe der Alleinbezugsvereinbarungen gem. Art. 101 Abs. 1 AEUV nahe. In beiden Fällen steht die Marktabschottung zuungunsten der Wettbewerber im Vordergrund. Dieser Befund ermöglicht eine Vielzahl von Reaktionen. So könnte man trotz der grundsätzlichen Gleichlaufs der Kategorien unter Art. 101 AEUV und Art. 102 AEUV dennoch eine de-minimisSchwelle für die Beurteilung von Treuerabattsystem unter dem Missbrauchsverbot einführen. Als weitere Möglichkeit käme eine genauere Betrachtung der Modalitäten der Rabattgewährung bereits auf Tatbestandsebene nach dem Vorbild der Beurteilung von sog. Rabatten der dritten Kategorie in Betracht. Die letztgenannte Variante scheint der EuGH in Intel zu präferieren. So zählt dieser in dem Urteil diverse Faktoren auf, die es bei entsprechendem Parteivortrag zu berücksichtigen gilt.997 Auch dem Umfang der Markterfassung misst er in diesem Zusammenhang Bedeutung bei.998 Gleichwohl wird diese Prüfung nach der Systematik in Intel erst bei entsprechendem Parteivortrag ausgelöst, sodass nicht von einer grundsätzlichen Notwendigkeit zur Berücksichtigung einer irgendwie gearteten Marktanteilsschwelle ausgegangen werden kann. ee) Zurechnungserwägungen Denkbar erscheint eine Rechtfertigung der Ungleichbehandlung aufgrund von Zurechnungsgesichtspunkten.999 Im Falle einer kumulativen Marktabschottung durch das Vorliegen einzelner Vertragsnetze liegt die Verantwortlichkeit für die 996

Vgl. zu diesem Aspekt, EuG, Urteil vom 12. 6. 2014, Rs. T-286/09, EU:T:2014:547, Rn. 93 – Intel; vertiefend zur Hebelwirkung der Rabatte Petit, European Competition Journal 2015, 26 ff. 997 Vgl. EuGH, Urteil vom 6. 9. 2017, Rs. C-413/14 P, EU:C:2017:632, Rn. 139 – Intel. 998 EuGH, Urteil vom 6. 9. 2017, Rs. C-413/14 P, EU:C:2017:632, Rn. 139 – Intel. 999 So auch Ackermann, in: Festschrift Roth, S. 1, 17.

II. Das Spürbarkeitserfordernis

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Verschlechterung der Marktstruktur nicht im gleichen Maße bei den einzelnen beitragenden Unternehmen wie bei einem marktbeherrschenden Unternehmen. Zudem bedeutet bereits die Anwesenheit eines marktbeherrschenden Unternehmens auf dem Markt – ungeachtet aller Kritik an dieser Wertung – eine Schwächung des Wettbewerbs. Diese Erwägung trat auch in Intel deutlich hervor. Dort führte das EuG unter Bezugnahme auf Delimitis aus, dass die dort getätigten Erwägungen hinsichtlich der Effekte auf den Markt nicht auf das Missbrauchsverbot übertragbar seien, da durch die Anwesenheit des Marktbeherrschers andere Ausgangsbedingungen herrschten.1000 Diese Annahme spiegelt letztendlich nur den Ansatzpunkt des Missbrauchsverbots wider. Verhalten, dass bei Vorherrschen eines normalen Wettbewerbs Ausdruck einer normalen Geschäftsstrategie ist, kann in den Händen eines Marktbeherrschers verboten sein. Dies ist auch die ratio hinter der besonderen Verantwortung eines marktbeherrschenden Unternehmens, die diesem Verhaltensverpflichtungen auferlegt. Die Beweislast insoweit auf das marktbeherrschende Unternehmen zu übertragen und dieses in die Pflicht zu nehmen, Umstände darzulegen, aus denen sich ergibt, dass die Ausschließlichkeitsrabatte entgegen ihres Anscheins doch nicht als missbräuchlich zu qualifizieren sind, erscheint insoweit gerechtfertigt. Dies steht zudem nicht im Widerspruch zu der Bewertung von Ausschließlichkeitsrabatten unter Art. 101 AEUV. e) Zwischenergebnis und kritische Würdigung Die Bündeltheorie, die bei der Beurteilung von potentiell wettbewerbsbeschränkenden Maßnahmen Eingang in die Rechtsprechung gefunden hat, verleiht dem Grundsatz Ausdruck, dass für die Beurteilung einer wettbewerbsbeschränkenden Wirkung einer Maßnahme die Berücksichtigung des Kontextes erforderlich ist. Sie darf nicht unabhängig von dem Gesamtzusammenhang, in dem sie steht, betrachtet werden. Dafür kann es insbesondere erforderlich sein, diese im Zusammenhang mit der Existenz gleichartiger Verträge zu betrachten, da erst eine kumulative Wirkung der verschiedenen Verträge eine Wettbewerbsbeschränkung hervorrufen kann.1001 Sie erlangt dort Relevanz, wo es um die Beurteilung von Vertragsnetzen, also eines Systems von Ausschließlichkeitsbindungen geht. Dies entspricht der Situation bei Exklusivitätsrabatten. Diese Grundsätze wurden jedoch bislang nicht auf die Bewertung von Treuerabatten unter Art. 102 AEUV übertragen. Damit erschienen Wirkungsnachweise oder Erheblichkeitsschwellen ihre Relevanz dann zu verlieren, wenn um die rechtliche Bewertung von Verhalten eines marktbeherrschenden Unternehmens geht. Es wäre jedoch verfehlt, in der Zurückweisung der Erforderlichkeit einer deminimis-Schwelle bei der Anwendung des Art. 102 AEUV eine grundsätzliche Nichtberücksichtigung marktstruktureller Aspekte zu sehen. Viele Faktoren, die 1000 1001

EuG, Urteil vom 12. 6. 2014, Rs. T-286/09, EU:T:2014:547, Rn. 89 – Intel. Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 181.

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F. Gesamtsystem der europäischen Wettbewerbsregeln

konstituierend für die Spürbarkeitsschwelle sind, finden bei der Prüfung von Rabattsystemen bereits an anderer Stelle Berücksichtigung.1002 So führte der EuGH in Post Danmark II aus, die Marktabdeckung der in Frage stehenden Maßnahme sei ein wichtiges Indiz für die Auswirkungen der Verhaltensweise auf dem Markt.1003 Auch in Intel verlangt der EuGH nun die Berücksichtigung des Umfangs der Markterfassung der Rabatte bei entsprechendem Parteivortrag.1004 Demnach scheint die Ablehnung einer de-minimis-Schwelle das Erfordernis des Nachweises negativer Auswirkungen nicht grundsätzlich entbehrlich zu machen. Dies gilt zumindest für die Art von Rabatten, die in Post Danmark II gegenständlich waren und scheint nach dem Intel-Urteil des EuGH auch auf Treuerabatte übertragbar zu sein. Das bedeutet, dass sog. Rabatte der dritten Kategorie, von denen anhand einer Prüfung sämtlicher Umstände des Einzelfalls auf Tatbestandsebene davon auszugehen ist, dass diese ohnehin schon nicht geeignet sind, wettbewerbsschädliche Auswirkungen zu verursachen, nicht Gegenstand eines Verbots sein können. Die konkreten Faktoren, die dabei betrachtet werden, betreffen insbesondere auch die Marktabdeckung der relevanten Rabatte. Sofern diese nur einen äußerst geringen Teil der Abnehmer betreffen oder es sich um nur unbedeutende Abnehmer handelt, wird bereits auf dieser Ebene mangels der Eignung zur Erzeugung negativer Auswirkungen auf den Markt das betreffende Rabattsysteme vom Anwendungsbereich des Missbrauchsverbots ausgeklammert. Insoweit handelt es sich um der die de-minimis-Schwelle vergleichbare Kriterien, die aber bereits auf Tatbestandsebene im Rahmen der Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls geprüft werden. In diesem Zusammenhang sind auch die Ausführungen der Generalanwältin Kokott aufschlussreich. Zur Begründung der Nichterforderlichkeit einer de-minimis-Schwelle bediente sie sich auch des Arguments, dass diese gar nicht mehr erforderlich sei, da die Verdrängungswirkung bereits auf einer konkreten Betrachtung sämtlicher Umstände des Einzelfalls beruhen und zudem wahrscheinlicher sein müsse als ihr Ausbleiben. Zudem erfasse das Missbrauchsverbot ohnehin nur Verhaltensweisen, die dazu führen können, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen. Diese beiden Punkte würden für sich genommen hinreichend ausschließen, dass Verhaltensweisen erfasst würden, „deren wettbewerbswidrige Wirkungen lediglich hypothetisch oder von völlig untergeordneter Bedeutung“ seien.“1005 Nach dem Urteil des EuGH in Intel scheint es sich nun auch für die Fallgruppe der Exklusivitätsrabatte so zu verhalten. Zwar bleibt eine Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls zunächst weiterhin entbehrlich, kann aber angesichts qualifizierten Parteivortrages bereits auf Tatbestandsebene erforderlich werden. Insoweit kann nun auch hier das Fehlen einer de-minimis-Schwelle auf der Tatbestandsebene 1002

Ibañez Colomo, JECLAP 2016, 651. EuGH, Urteil vom 6. 10. 2015, Rs. C-23/14, EU:C:2015:651, Rn. 40, 46 – Post Danmark II. 1004 Vgl. EuGH, Urteil vom 6. 9. 2017, Rs. C-413/14 P, EU:C:2017:632, Rn. 139 – Intel. 1005 GA’in Kokott, Schlussanträge vom 21. 5. 2015, Rs. C-23/14 P, EU:C:2015:343, Rn. 93 f. – Post Danmark II. 1003

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aufgefangen werden. Daher erscheint es auch für die Fallgruppe der Ausschließlichkeitsrabatte nicht erforderlich, die Berücksichtigung dieser Faktoren auf eine Spürbarkeitsprüfung zu verlagern und eine de-minimis-Schwelle für den Art. 102 AEUV im Hinblick auf derartige Rabattsysteme zu verlangen.1006 Die vorangegangene Untersuchung hat ergeben, dass es grundsätzlich erklärbar und mit dem Verständnis der Rechtsprechung von Exklusivitätsrabatten vereinbar ist, eine derartige Schwelle für Rabattsysteme nicht für erforderlich zu halten. Vor dem Hintergrund der derzeitigen Einstufung von Ausschließlichkeitsrabatten als bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen stellt sich die Nichterforderlichkeit einer deminimis-Schwelle lediglich als logische Konsequenz dieses Ansatzes dar. Zudem steht auch bei der Betrachtung der Spürbarkeit neben der Berücksichtigung weiterer Dimensionen vor allem der Marktanteil im Vordergrund der Betrachtung. Ob vor diesem Hintergrund eine Übertragbarkeit überhaupt mit der Systematik des Missbrauchsverbots vereinbar ist, erscheint fraglich. Zudem ist durch die Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles bereits eine Art Filter geschaffen, der genau diese Aspekte betrifft. Es ist richtig, dass die Einführung einer de-minimis-Schwelle bei der Bewertung von Treuerabatten dazu führen würde, dass Treuerabattsysteme von geringer Bedeutung nicht einer Verbotsentscheidung unterfallen würde. Gleichwohl ist das Verständnis der Unionsgerichte bislang davon geprägt, dass Treuerabatte bereits ihrem Wesen nach gar keine geringe Bedeutung haben können und sei es auch nur durch ihren Einsatz als Hebel zur weiteren Gewinnung von Marktanteilen im bestreitbaren Teil des Marktes.1007 Die Argumentation der europäischen Gerichte ist daher erklärbar und steht im Einklang mit der Dogmatik zu der Fallgruppe der Treuerabatte. Laut EuGH sollen die Abnehmer gerade von „jedem auf dem Markt möglichen Grad an Wettbewerb profitieren.“1008 Auch die Abschottung eines geringen Teils des Marktes steht somit im Widerspruch zu dem Ziel der grundsätzlichen Offenhaltung der Märkte. Ungeachtet dessen erscheint die Integration einer de-minimis-Schwelle für die Fallgruppe der Ausschließlichkeitsrabatte nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Darin könnte auch ein Zugeständnis seitens der Rechtsprechung liegen und dem Vorwurf, bei der Bewertung von Treuerabatten handele es sich um ein per se Verbot ein weiteres Argument entgegengesetzt werden.1009 Angesichts der Entscheidung des EuGH in Intel ist dieser Vorwurf indes nicht mehr haltbar. Unabhängig davon, wie weit die Implikationen dieses Urteils reichen, kommt darin klar das Bestreben des EuGH zum Ausdruck, im Einzelfall auch die Gegebenheiten auf dem Markt genauer zu berücksichtigen. 1006

Zu diesem Prüfungsmaßstab für Treuerabatte bereits Geradin, J. Comp. L. & Econ. 11 (2015), 579, 609. 1007 EuG, Urteil vom 12. 6. 2014, Rs. T-286/09, EU:T:2014:547, Rn. 93 – Intel. 1008 EuGH, Urteil vom 19. 4. 2012, Rs. C-549/10 P, EU:C:2012:221, Rn. 42 – Tomra; EuG, Urteil vom 9. 9. 2010, Rs. T-155/06, EU:T:2010:370, Rn. 241 – Tomra. 1009 So befürwortend Whish, JECLAP 2015, S. 1, 2.

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3. Cartes Bancaires und Intel: Ausdruck eines Wertungsgleichklangs bei bezweckten Wettbewerbsbeschränkungen? Die nun in Intel erfolgte Eröffnung der Möglichkeit, bereits auf Tatbestandsebene die Eignung des Rabattsystems zur Erzeugung einer Verdrängungswirkung zu widerlegen, bietet die Möglichkeit, einen Vergleich zu den jüngst in Cartes Bancaires aufgestellten Maßstäben vorzunehmen. Auch hier hatte der EuGH verlangt, für die Einstufung in die Kategorie der bezweckten Wettbewerbsbeschränkung eine genauere Analyse vorzunehmen. Hierzu hatte der EuGH ein Urteil des EuG aufgehoben und angeführt, das EuG habe die Rechtsprechung zu bezweckten Wettbewerbsbeschränkungen teilweise verkannt und so Rechtsfehler bei der Definition der Kriterien begangen, die erforderlich sind, um das Vorliegen einer „bezweckten Wettbewerbsbeschränkung“ im Sinne von Art. 101 Abs. 1 AEUV anzunehmen.1010 a) Sachverhalt und Entscheidung des EuGH Gegenstand des Verfahrens in Cartes Bancaires war ein von französischen Großbanken gegründeter Verbund (Groupement des cartes bancaires, CB) zur Herstellung der Interoperabilität der Systeme für die Abhebung und Zahlung mit den herausgegebenen Bankkarten der Mitglieder.1011 Die Interoperabilität drückt sich darin aus, dass eine durch ein Mitglied des Verbundes ausgestellte CB-Karte verwendet werden kann, um bei allen dem System angeschlossenen Händlern Zahlungen oder Abhebungen an Geldautomaten vorzunehmen.1012 Im Jahr 2002 meldete der Verbund ein neues Tarifsystem bei der Kommission an, nach dem Mitglieder, die neue Händler für das System anwarben (Acquiring), geringere Beiträge leisten müssen als solche, die nur Karten ausgeben (Issuing). Darüber hinaus sollten weniger aktive Mitglieder („Weckruf für Inaktive“) sowie neue Mitglieder einen zusätzlichen Betrag entrichten.1013 Nach Auffassung des Verbundes dienten die Maßnahmen der Bekämpfung von sog. Trittbrettfahrern. Die Europäische Kommission untersagte die Verwendung des Systems mit Entscheidung vom 17. Oktober 2007.1014 Sie sah in dem Tarifsystem eine bezweckte und eine bewirkte Wettbewerbsbeschränkung im Sinne des Art. 81 Abs. 1 EG. Dies stützte sie auf die Feststellung, dass die Maßnahmen darauf gerichtet seien, Zahlungskarten von Wettbewerbern künstlich zu verteuern.1015 Das EuG bestätigte im Grundsatz die Verbotsentscheidung der Kom1010 EuGH, Urteil vom 11. 9. 2014, Rs. C-67/13 P, EU:C:2014:2204, Rn. 56 – Cartes Bancaires. 1011 Zum Sachverhalt siehe EuGH, Urteil vom 11. 9. 2014, Rs. C-67/13 P, EU:C:2014:2204 – Cartes Bancaires. 1012 GA Wahl, Schlussanträge vom 27. 3. 2014, Rs. C-67/13 P, EU:C:2014:1958, Rn. 5 – Cartes Bancaires. 1013 Vgl. zu den Maßnahmen: GA Wahl, Schlussanträge vom 27. 3. 2014, Rs. C-67/13 P, EU:C:2014:1958, Rn. 6 – Cartes Bancaires. 1014 Kommission, Entscheidung vom 17. 10. 2007, COMP/D1/38.606 – Cartes Bancaires. 1015 Kommission, Entscheidung vom 17. 10. 2017, COMP/D1/38.606 – Cartes Bancaires.

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mission, berief sich dazu aber nur auf das Vorliegen einer bezweckten Wettbewerbsbeschränkung, ohne die Voraussetzungen einer bewirkten Wettbewerbsbeschränkung weiter zu prüfen. Nach dem EuGH sei entscheidendes Merkmal einer bezweckten Wettbewerbsbeschränkung, dass die Beschränkung „in sich selbst eine hinreichende Beeinträchtigung des Wettbewerbs“ erkennen lasse.1016 Zur Veranschaulichung einer Verhaltensweise, die schon ihrer Natur nach als schädlich angesehen werden kann, zieht der EuGH das Beispiel eines Preiskartells heran.1017 Für derartiges Verhalten sei der Nachweis konkreter negativer Auswirkungen überflüssig, da die Erfahrung bereits zeige, dass diese schädliche Effekte hervorbringen.1018 Für die Feststellung, ob eine Verhaltensweise in die Kategorie der „bezweckten Wettbewerbsbeschränkung“ eingeordnet werden könne, sei „auf den Inhalt ihrer Bestimmungen und die mit ihr verfolgten Ziele sowie auf den wirtschaftlichen und rechtlichen Zusammenhang, in dem sie steht, abzustellen.“1019 Es müsse insbesondere der Nachweis erbracht werden, warum die betreffende Wettbewerbsbeeinträchtigung „schädlich genug sein soll“, als dass sie eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung darstellt.1020 Dafür müsse das betreffende Verhalten bereits „in sich selbst eine hinreichende Beeinträchtigung des Wettbewerbs erkennen lassen“.1021 Das EuG habe es jedoch verpasst, die Umstände darzulegen, die eine Einordnung des beschriebenen Systems in die Kategorie der bezweckten Wettbewerbsbeschränkung rechtfertigen würde.1022 b) Eigene Bewertung und Ausblick Der EuGH hat damit bestätigt, dass der rechtliche und ökonomische Kontext einer Vereinbarung genau untersucht werden muss, bevor diese in die Kategorie der bezweckten Wettbewerbsbeschränkung eingeordnet werden darf. Der Begriff der bezweckten Wettbewerbsbeschränkung sei eng auszulegen. Insoweit ist das Urteil des EuGH zu Cartes Bancaires als Korrektur einer Rechtsprechung, die in den letzten Jahren den Tatbestand der bezweckten Wettbewerbsbeschränkung stark ausgeweitet 1016 EuGH, Bancaires. 1017 EuGH, Bancaires. 1018 EuGH, Bancaires. 1019 EuGH, Bancaires. 1020 EuGH, Bancaires. 1021 EuGH, Bancaires. 1022 EuGH, Bancaires.

Urteil vom 11. 9. 2014, Rs. C-67/13 P, EU:C:2014:2204, Rn. 57 – Cartes Urteil vom 11. 9. 2014, Rs. C-67/13 P, EU:C:2014:2204, Rn. 50 f. – Cartes Urteil vom 11. 9. 2014, Rs. C-67/13 P, EU:C:2014:2204, Rn. 51 – Cartes Urteil vom 11. 9. 2014, Rs. C-67/13 P, EU:C:2014:2204, Rn. 53 – Cartes Urteil vom 11. 9. 2014, Rs. C-67/13 P, EU:C:2014:2204, Rn. 69 f. – Cartes Urteil vom 11. 9. 2014, Rs. C-67/13 P, EU:C:2014:2204, Rn. 57 – Cartes Urteil vom 11. 9. 2014, Rs. C-67/13 P, EU:C:2014:2204, Rn. 69 – Cartes

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hatte, zu bezeichnen.1023 Es sollen nur noch offensichtliche Wettbewerbsbeschränkungen in die Kategorie der bezweckten Wettbewerbsbeschränkung fallen, sofern sich ihre Schädlichkeit aus Erfahrungswissen herleiten lässt. Dass es hierbei um ökonomisches Erfahrungswissen gehen soll, verdeutlichen auch nochmals die Schlussanträge von Generalanwalt Wahl, der insoweit ausführt, dass nur solche Verhaltensweisen als bezweckte Wettbewerbsbeschränkung angesehen werden dürfen, deren „schädlicher Charakter angesichts gesicherter Erfahrung und der wirtschaftswissenschaftlichen Erkenntnisse feststeht und leicht nachweisbar ist, nicht aber Vereinbarungen, die angesichts des Zusammenhangs, in den sie sich einfügen, ambivalente Auswirkungen auf den Markt haben.“1024

Vor diesem Hintergrund mahnt der Generalanwalt zu einer gewissen Zurückhaltung bei der Einordnung eines Verhaltens in die Kategorie der bezweckten Wettbewerbsbeschränkung. Den einschlägigen Verhaltensweisen müsse ein „gewisser Grad von Wettbewerbsschädlichkeit“ innewohnen. Die schädlichen Auswirkungen müssten „sehr wahrscheinlich“ sein.1025 Im Hinblick auf die Auslegung des Missbrauchsverbots nach Art. 102 AEUV stellt sich die Frage, inwieweit die Aussagen des EuGH in Cartes Bancaires nutzbar zu machen sind. Für die hier zu untersuchende Fragestellung ist von besonderem Interesse, dass der EuGH auch für die Kategorie der bezweckten Wettbewerbsbeschränkung eine genaue Untersuchung des wirtschaftlichen und rechtlichen Kontexts verlangt. Vor dem Hintergrund der durch den EuGH in Intel erfolgten Klarstellungen stellt sich nun die Frage, ob er diese Erwägungen womöglich auch auf diese Fallgruppe übertragen hat.1026 Gleichwohl spielt sich die nun vom EuGH vorgesehene Analyse auf einer anderen Ebene der Prüfung ab. Es soll weiterhin gerade entbehrlich sein, tatsächliche Auswirkungen aufzuzeigen. Es genügt zunächst, dass die Kommission die abstrakte Eignung der Rabatte zur Verdrängung aufzeigt. Hierfür streitet – anknüpfend an die Exklusivität der Rabatte – weiterhin eine Vermutung. Sobald das Unternehmen jedoch qualifiziert bestreitet, erwächst diese Prüfung zu einer umfangreichen Wirkungsanalyse. So scheinen die Grenzen zwischen den beiden Tatbestandsalternativen zu verschwimmen. Auf der einen Seite kann die Kommission zunächst formal an der Kategorie festhalten und braucht keine Wirkungen aufzuzeigen, was zunächst den Charakter einer bezweckten Wettbewerbsbeschränkung hat, kann aber gleichermaßen in einem zweiten Schritt gezwungen sein, eine Wirkungsanalyse 1023 Wolf, NZKart 2015, 78; Italianer, The Object of Effects, Vortrag anlässlich der CRA Annual Brussels Conference, 10. 12. 2014, S. 3. 1024 GA Wahl, Schlussanträge vom 27. 3. 2014, Rs. C-67/13 P, EU:C:2014:1958 Rn. 56 – Cartes Bancaires. 1025 GA Wahl, Schlussanträge vom 27. 3. 2014, Rs. C-67/13 P, EU:C:2014:1958, Rn. 58 – Cartes Bancaires. 1026 So etwa Ibañez Colomo auf seinem Blog Chillin’Competition.

III. Zusammenfassung und rechtliche Würdigung

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durchzuführen. Diese ist jedoch im Rahmen von Art. 101 AEUV nur für bewirkte Wettbewerbsbeschränkungen vorgesehen. Insbesondere ist hier auf Tatbestandsebene kein Wechsel in der Darlegungs- und Beweislast angeordnet. Dies würde Sinn und Zweck der beiden Tatbestandsalternativen zuwider laufen. So mag zwar das Unternehmen auch hier die Eignung widerlegen, was aber nicht dazu führt, dass die Kommission in dem Fall eine umfassende Wirkungsanalyse durchführen muss. Der EuGH stellt damit nicht die grundsätzliche Qualität von Ausschließlichkeitsrabatten als bezweckte Wettbewerbsbeschränkung in Frage. Insbesondere hat die in der Tatbestandsalternative der bezweckten Wettbewerbsbeschränkung angelegte Kausalbeziehung zwischen Ursache und Wirkung weiterhin Bestand. Ferner scheint in die Aussagen des EuGH in Cartes Bancaires etwas hineingelesen zu werden, was in dieser Form nicht zum Ausdruck gekommen ist. Der EuGH hat die Alternative der bezweckten Wettbewerbsbeschränkung keinesfalls für obsolet erklärt, sondern lediglich betont, dass es wichtig ist, dieser nur eindeutig wettbewerbsschädigendes Verhalten zuzuordnen.1027 Dies ist im Grunde lediglich eine Affirmation der bereits bekannten Maßstäbe. Für Treuerabatte wird bislang angenommen, dass diese schädlich genug sind, um dieser Kategorie zugeordnet werden zu können. Insbesondere führt auch eine umfassendere Berücksichtigung des rechtlichen und wirtschaftlichen Kontexts lediglich zu dem Ergebnis, dass für den durch die Ausschließlichkeit der Rabatte betroffenen Marktanteil die Möglichkeiten der Wettbewerber in Gänze eingeschränkt sind.

III. Zusammenfassung und rechtliche Würdigung: Implikationen für eine kohärente Anwendung von Art. 101 AEUV und Art. 102 AEUV Die Bestrebungen, einen stimmigen einheitlichen Wertungsrahmen für die Beurteilung koordinierter und einseitiger unternehmerischer Verhaltensweisen nach Art. 101 AEUV und Art. 102 AEUV zu entwickeln, sind grundsätzlich zu begrüßen. So sind beide Vorschriften Teil eines Regelungskomplexes, der den Schutz eines unverfälschten Binnenmarktes zum Gegenstand hat.1028 Ein Bestreben dahingehend, eine Konvergenz zwischen den beiden Tatbeständen herzustellen, lässt sich schon anhand der Angleichung der Maßstäbe einer umfassenden Effizienzeinrede für den Art. 102 AEUV nach dem Vorbild des Art. 101 Abs. 3 AEUV festmachen. Diese Entwicklung wurde von der Kommission in der Prioritätenmitteilung angestoßen und scheint zumindest in Teilen eine Entsprechung in der Rechtsprechung der Unionsgerichte gefunden zu haben. Weitere Fragen, die sich im Rahmen einer kohärenten Anwendung der Art. 101 AEUV und Art. 102 AEUV in der Praxis stellen, betreffen 1027 Italianer, The Object of Effects, Vortrag anlässlich der CRA Annual Brussels Conference, 10. 12. 2014, S. 15 f. 1028 Ackermann, in: Festschrift Roth, S. 1, 15.

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F. Gesamtsystem der europäischen Wettbewerbsregeln

vor allem die mit der Übertragung der Kategorien „bezweckt“ und „bewirkt“ auf die Anwendung des Art. 102 AEUV verbundenen Konsequenzen für die Auslegung des Missbrauchstatbestandes. Insoweit stellt sich die Frage, ob die Übertragung dieser Zweiteilung zu einem vollständigen Gleichlauf aller Parameter in der konkreten Rechtsanwendung führen muss. Die Untersuchung hat aufgezeigt, dass einige Wertungen nur in einem begrenzten Umfang auf ein Marktumfeld übertragbar sind, indem bereits ein marktbeherrschendes Unternehmen besteht. Vor diesem Hintergrund waren alle die Rechtsprechung bis zum Intel-Urteil prägenden Unterschiede erklärbar und grundsätzlich in sich stimmig. Nach dem Urteil des EuGH ist nun in Frage gestellt, ob Ausschließlichkeitsrabatte weiterhin als bezweckte Wettbewerbsbeschränkung angesehen werden können. So ist eine verstärkte Wirkungsanalyse auf Tatbestandsebene unter Art. 101 AEUV nur für die Tatbestandsalternative der bewirkten Wettbewerbsbeschränkung erforderlich. Gleichwohl scheint der Bezugspunkt dieser Wirkungsanalyse weiterhin in der Kategorie der bezweckten Wettbewerbsbeschränkung seine Entsprechung zu finden. So ist hier weiterhin eine vorrangige Prüfung der Natur der Verhaltensweise ausschlaggebend für die Einordnung in eine Kategorie. Dies ist ein Prüfungsschritt, der in Unabhängigkeit von einer nachrangigen Wirkungsanalyse zu sehen ist. Zudem handelt es sich bei dem Urteil in Intel um eine Einzelfallentscheidung mit besonderen Umständen, sodass sich daraus nicht notwendigerweise allgemeine Aussagen ableiten lassen. Eine endgültige Klärung der Frage, ob die Übertragbarkeit der Kategorien von Art. 101 AEUVauf Art. 102 AEUV damit noch für die künftige Fallpraxis von Bedeutung ist, bleibt damit wohl einer weiteren Vorlageentscheidung bzw. einer Konkretisierung durch die künftige Rechtsprechung vorbehalten. Sollte der EuGH die Erforderlichkeit einer Wirkungsanalyse weiterhin an das Vorliegen eines substantiierten Bestreitens des Unternehmens knüpfen, so wäre die Parallelität der beiden Vorschriften womöglich nicht mehr nutzbar zu machen.

G. Schlussfolgerungen und Ausblick I. Vorbemerkung Ziel der vorliegenden Arbeit war, ein möglichst umfassendes Gesamtbild der europäischen Missbrauchskontrolle zu preisbezogenen Behinderungsmissbräuchen zu zeichnen und dabei den Fokus auf Aspekte der Konsistenz zu richten. Dabei ging es zum einen um eine konsistente Anwendung des Art. 102 AEUV auf alle Formen des preisbezogenen Behinderungsmissbrauchs sowie um die Anwendung kohärenter Maßstäbe im Kontext der Gesamtsystematik der europäischen Wettbewerbsregeln unter Einbeziehung des Art. 101 AEUV. Die Untersuchung hat ergeben, dass die vielfach geäußerte und zugespitzte – vorrangig ökonomisch motivierte – Kritik an der Rechtsprechung überzogen ist. Entgegen des Vorwurfs der mangelnden Berücksichtigung neuerer ökonomischer Erkenntnisse und der zu starken Orientierung an formbasierten Ansätzen hat die Analyse der Rechtsprechung ergeben, dass die Unionsgerichte einen konsistenten Ansatz zur Beurteilung preisbezogener Behinderungsmissbräuche entwickelt haben. Der EuGH ist nicht unbeweglich, sondern darum bemüht, ökonomische Erkenntnisse nach sorgfältiger Überprüfung schrittweise in die über viele Jahre sorgfältig entwickelte Rechtsprechung zu integrieren. Die europäischen Gerichte waren punktuellen Anpassungen gegenüber immer offen und haben einzelne Aspekte eines more economic approach umgesetzt. Die grundsätzliche Bereitschaft der Unionsgerichte, neuere Tendenzen und Entwicklungen aus Ökonomie und Lehre zu berücksichtigen, lässt sich auch an der Adaption eines Preis-Kosten-Tests für die Fallgruppen der Kampfpreise, der Kosten-Preis-Schere und der selektiven Niedrigpreise festmachen. Die europäischen Gerichte haben damit trotz verschiedener Einflussgrößen – sei es die amerikanische Kartellrechtspraxis mit ihrer verstärkten Ausrichtung auf wohlfahrtsökonomische Gesichtspunkte oder die programmatischen Bestrebungen der Kommission im Zuge des more economic approach – ohne deutliche Festlegung oder Anpassungen an wettbewerbspolitische Leitbilder eine in sich konsistente Rechtsentwicklung vollzogen. Der tradierte Ansatz orientiert sich hierzu stark an funktionalen Gesichtspunkten und stellt den Schutz der Marktstrukturen in den Vordergrund.

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G. Schlussfolgerungen und Ausblick

II. Zusammenfassung in Thesen 1. Konsistenz der europäischen Rechtsprechung a) Konsistenz der Rechtsprechung zu Art. 102 AEUV Die Analyse der Rechtsprechung hat aufgezeigt, dass die europäischen Gerichte einen in sich stimmigen Rahmen zur Beurteilung der untersuchten Fallgruppen preisbezogener Behinderungsmissbräuche entwickelt haben. Hinter der Anwendung des AEC-Tests und eines insgesamt stärker auswirkungsorientierten Prüfungsrahmens auf die Fallgruppen der Kampfpreise, der Kosten-Preis-Schere und der selektiven Niedrigpreise steht eine Logik, die in sich schlüssig und nachvollziehbar ist. Nicht die Anwendung eines einheitlichen Tests auf alle Formen des preisbezogenen Missbrauchs macht die Rechtsprechung konsistent, sondern die Nachvollziehbarkeit und Stimmigkeit der Anwendung findenden Maßstäbe. Mit der Kategorisierung von Verhaltensweisen in solche, die naturgemäß wettbewerbsschädlich sind, und solche, die nur unter gewissen Umständen nachteilige Wirkungen auf den Wettbewerb haben, ist immer eine sich an ein Werturteil anschließende Kategorisierung verbunden. Eine reine Einzelfallbetrachtung ist diesem typisierenden Ansatz jedoch nicht überlegen. Ein Untersuchungsrahmen, der geeignete Kriterien und Fallgruppen vorgibt, hat Vorteile im Hinblick auf die Rechtssicherheit sowie die Justiziabilität der europäischen Missbrauchsaufsicht. Der Ansatz der europäischen Gerichte steht zudem in dogmatischem Einklang mit der Fokussierung auf den Schutzzweck der Wettbewerbsfreiheit sowie die Auslegung des Missbrauchsverbots als Gefährdungsdelikt. Inwieweit dieser Befund durch das Urteil des EuGH in Intel in Frage gestellt wird, lässt sich nicht mit Bestimmtheit sagen. Darin hat der EuGH die Maßstäbe zur Prüfung von Rabattsystemen scheinbar stärker an diejenigen für Kampfpreise und Kosten-Preis-Scheren angeglichen. Ob daran eine grundsätzliche Abkehr von der Analogie zu Ausschließlichkeitsbindungen festzumachen ist, bleibt offen. Die Relevanz des AEC-Tests für die in Intel streitgegenständlichen Rabatte war in besonderem Maße den Umständen des Einzelfalls geschuldet, ohne dass dieser darin eine Aufwertung zum allgemeinen Prüfungsmaßstab erfahren hat. Zudem bleibt es für die Fallgruppe der Ausschließlichkeitsrabatte im Ausgangspunkt auch weiterhin bei der Entbehrlichkeit einer verstärkten Wirkungsanalyse. b) Kohärenz der Rechtsanwendung: Die Prioritätenmitteilung der Kommission und die Rechtsprechung der Unionsgerichte Während es nach den Entscheidungen des EuGH in Post Danmark II und des EuG in Intel den Anschein hatte, als ob eine deutliche Diskrepanz zwischen dem Verfolgungsumfang von Missbrauchsfällen durch die Kommission und der hergebrachten Entscheidungspraxis der Unionsgerichte bestünde, kann dies nach dem Urteil des EuGH in Intel nicht mehr in der Bestimmtheit konstatiert werden. Es

II. Zusammenfassung in Thesen

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scheint, als habe sich der EuGH in diesem Urteil einigen Erwägungen aus der Prioritätenmitteilung verstärkt geöffnet. Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass die Prioritätenmitteilung weiterhin von Relevanz sein wird. Eine harte Linie des EuGH unter Beibehaltung der bislang festzumachenden Diskrepanz zwischen dem neuen Ansatz der Kommission und der Linie der Unionsgerichte hätte die Kommission womöglich gezwungen, die Prioritätenmitteilung zurückzuziehen oder die Maßstäbe anzupassen.1029 Insoweit büßt die Debatte, ob die Kommission zur Wahrung der Konsistenz ihre Prioritätenmitteilung anpassen oder sogar in Gänze zurückziehen muss, an Aktualität ein.1030 Man wird mit Spannung erwarten dürfen, wie die Kommission das Urteil des EuGH für ihre Praxis nutzbar machen wird. Vor dem Hintergrund der Prioritätenmitteilung und der scheinbaren Billigung der strengeren Maßstäbe der Kommission für ihre eigene Praxis durch den EuGH, wird davon auszugehen sein, dass diese weiterhin nach den Grundsätzen der Prioritätenmitteilung verfährt. Insoweit erscheint auch die Annahme einer Selbstbindung naheliegend, aus der die Unternehmen in Zukunft einen Anspruch auf die Durchführung des AEC-Tests herleiten könnten. c) Kohärenz im Hinblick auf die Gesamtsystematik: Art. 101 AEUV und Art. 102 AEUV Ausschließlichkeitsbindungen bzw. Treuerabatte unterliegen bei der Anwendung Art. 101 AEUV und Art. 102 AEUV unterschiedlichen Maßstäben. Während unter Art. 101 AEUV eine genaue Untersuchung der Wirkungen vorgesehen ist, unterliegt dieselbe Art von Bindung bei Art. 102 AEUV einem strengeren Standard. Zudem haben auch die Grundsätze der Bündeltheorie keine Anwendung auf Art. 102 AEUV gefunden, soweit es um die kumulativ marktabschottende Wirkung einer Vielzahl von Verträgen geht. Eine Bagatellgrenze ist damit für Art. 102 AEUV nicht vorgesehen. Dieser Umstand hat in der Fallpraxis bislang keine große Bedeutung erlangt, da in den jeweiligen Fallkonstellationen jeweils bedeutende Abnehmer betroffen waren. Wenngleich die Ablehnung einer de-minimis-Schwelle grundsätzlich erklärbar ist und auch im Einklang mit der dogmatischen Konzeption der Fallgruppe der Treuerabatte steht, so erscheint die Einführung einer vergleichbaren Schwelle für die Bewertung von Ausschließlichkeitsrabatten unter Art. 102 AEUV in Höhe von 10 % grundsätzlich denkbar. So ließen sich auch die Anwendungsschärfen, die sich bei einem Vergleich mit der Bündeltheorie unter Art. 101 AEUV ergeben, besser erklären. Dies liegt im Interesse einer kohärenten Anwendung der beiden zentralen Vorschriften des europäischen Kartellrechts. Bestrebungen zur Wertungseinheit lassen sich auch bereits durch die Anerkennung der Effizienzeinrede nach dem 1029

Zu diesem Aspekt Molestina/Picht, ILC 2015, 203, 211; Bodenstein, Kartellrechtliche Bewertung von Rabatten marktbeherrschender Unternehmen, S. 251. 1030 Siehe zu diesem Aspekt Molestina/Picht, ILC 2015, 203, 211; Bodenstein, Kartellrechtliche Bewertung von Rabatten marktbeherrschender Unternehmen, S. 251.

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G. Schlussfolgerungen und Ausblick

Vorbild des Art. 101 Abs. 3 AEUV bei der Anwendung des Art. 102 AEUV beobachten. Insgesamt erscheint der Forschungsstand zur Wertungseinheit dieser beiden zentralen Normen noch unterentwickelt, sodass hier noch Ergänzungsbedarf im Hinblick auf die genauen Implikationen eines zweigeteilten Tatbestandes beider Normen besteht. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund des Urteil in Intel, das die Möglichkeit der Übertragbarkeit der Kategorien der bezweckten und bewirkten Wettbewerbsbeschränkungen auf den Missbrauchstatbestand nach Art. 102 AEUV zumindest in Frage stellt.

2. Ökonomisierung der Rechtsanwendung a) Schutzzweck des europäischen Missbrauchsverbots: Konsumentenwohlfahrt und Wettbewerbsfreiheit als Ausdruck eines Zielepluralismus Im Ausgangspunkt sollte an einem ergebnisoffenen, freiheitsbasierten Wettbewerbsverständnis festgehalten werden. Die Verkürzung des Schutzzwecks auf die Konsumentenwohlfahrt und die damit einhergehende unverhältnismäßige Betonung kurzfristiger statistischer Marktergebnisse als Maßstab für die Zulässigkeit einer Verhaltensweise geht zu Lasten der dynamischen langfristigen Komponente des Wettbewerbs. So droht bei Umsetzung eines derartigen Ansatzes auch die Vernachlässigung wichtiger wettbewerbsfördernder oder wettbewerbsstimulierender Aspekte wie Innovation oder Kreativität, die weniger einfach quantifizierbar sind. Daher wird im europäischen Wettbewerbsrecht dem Schutz der Wettbewerbsfreiheit der Vorrang gegenüber Wohlfahrts- und Effizienzzielen eingeräumt. Gleichwohl ist das europäische Wettbewerbsrecht ist im Ausgangspunkt von einem Zielepluralismus gekennzeichnet. Unter den verfolgten Zielen finden sich die Handlungsfreiheit des Einzelnen, die Wettbewerbsfreiheit als solche, der Schutz von Verbraucherinteressen sowie die Erzielung von Effizienzen. Allen Schutzzwecken ist gemein, dass es sich bei ihnen um stilisierte Zielsetzungen handelt. Sie lassen sich nicht in Reinform verwirklichen, sondern verleihen lediglich einer Prämisse Ausdruck.1031 Die Kommission besitzt de lege lata nicht die Kompetenz, das normative Leitbild des europäischen Wettbewerbsrechts zu ändern.1032 Eine gewisse Aufwertung der Konsumentenwohlfahrt ist hingegen mit dem geltenden Recht vereinbar.1033 Bereits durch die Anerkennung einer Effizienzeinrede nach dem Vorbild des Art. 101 Abs. 3 AEUV kommt der Berücksichtigung von Verbraucherinteressen ein größerer Stellenwert bei der Anwendung des Missbrauchsverbots nach Art. 102 AEUV zu.1034 1031

So sieht beispielsweise Zimmer im Schutz der gegenüberliegenden Marktgegenseite das Ziel der Wettbewerbspolitik: „The basic goal of competition law is to protect the opposite of the market“, vgl. Zimmer, in: Zimmer (Hrsg.), The Goals of Competition Law, S. 486, 496. 1032 Wurmnest, Marktmacht und Verdrängungsmissbrauch, S. 622. 1033 Zimmer, WuW 2007, 1198, 1204. 1034 Basedow, WuW 2007, 712, 714.

II. Zusammenfassung in Thesen

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Insoweit ist auch der immer wieder hervorgehobene Zielkonflikt zwischen dem Schutz wettbewerblicher Handlungsfreiheiten auf der einen Seite und wohlfahrtsökonomischen Zielen auf der anderen Seite überzeichnet. Mit der Fokussierung auf die Wahrung funktionierender Wettbewerbsstrukturen kann man beiden Zielen gerecht werden, ohne den Schutzbereich der Wettbewerbsregeln unnötig einzuschränken oder wettbewerbspolitischen Strömungen den Vorzug vor den Marktfreiheiten zu geben. b) Gültigkeit und Relevanz des more economic approach Die Entwicklung der letzten Jahre und die Bemühungen der Europäischen Kommission um eine verstärkte Einbindung ökonomischer Erkenntnisse in die Missbrauchsaufsicht ist im Grundsatz begrüßenswert. Sie hat eine Entwicklung angestoßen, die für alle Teilbereiche des europäischen Wettbewerbsrechts einen großen Nutzwert hat. Die Annahme, dass die Auslegung von Art. 102 AEUV ökonomisch fundiert sein muss, dürfte daher als konsensfähig zu bezeichnen sein. Gleichwohl darf der more economic approach nicht als Dogma oder Selbstzweck verstanden werden, das es um jeden Preis umzusetzen gilt.1035 Er muss einen Mehrwert für die Rechtsanwendung bedeuten und die Rechtsdurchsetzung nicht erschweren oder schwächen. Der more economic approach kann insoweit zu einer genaueren Ausdifferenzierung des Regelwerks wertvolle Beiträge und Denkanstöße leisten, nicht jedoch in Form einer einzelfallbasierten Analyse statt allgemeiner Regeln zur Anwendung gelangen.1036 Im Ergebnis lässt sich durch die Fokussierung auf die Entwicklung justiziabler Regeln der vermeintliche Zielkonflikt zwischen dem more economic approach und einer regelbasierten Wettbewerbspolitik auflösen. Insofern besteht auch kein dichotomischer Widerspruch zwischen einem more economic approach und einer regelbasierten Umsetzung des Missbrauchsverbots. Der von der Kommission propagierte more economic approach wurde von der Rechtsprechung nicht als Gesamtkonstrukt adaptiert.1037 Die Unionsgerichte haben jedoch Teilaspekte aufgegriffen und für die Bewertung der einzelnen Fallgruppen nutzbar gemacht. So deutet auch das Urteil in Intel auf eine zunehmende Bereitschaft des EuGH hin, ökonomische Analysen in die Anwendung des Missbrauchsverbots einfließen zu lassen. Die anhaltende und mit großer Intensivität geführte Debatte um die Einführung eines more economic approach ist daher weniger Ausdruck unterschiedlicher Auffassungen über den Nutzen ökonomischer Modelle und Theorien für die Ausgestaltung und Anwendung des Kartellrechts, sondern Folge unterschiedli-

1035

Böge, WuW 2004, 726, 733. So auch Kellerbauer, in: Möschel (Hrsg.), 50 Jahre Wettbewerbsgesetz in Deutschland und Europa, S. 69, 73; Inderst/Schwalbe, ZWeR 2009, 65, 84; Christiansen/Kerber, J. Comp. L. & Econ. 2 (2006), 215. 1037 Haberkamm, Art. 102 AEUV im Lichte eines ökonomisch geprägten Prüfungsansatzes, S. 267. 1036

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G. Schlussfolgerungen und Ausblick

cher Ansichten über die ideale Verortung ökonomischer Erkenntnisse bei der Anwendung von Rechtsnormen. c) Effects-based approach oder form-based approach Die Verengung der Debatte um die Reformierung des Art. 102 AEUV auf die vermeintlichen Gegensatzpaare form-based vs. effects-based approach wird der Komplexität und der Systematik der Rechtsprechung nicht gerecht. Im Vordergrund darf nicht die Frage nach dem Umfang der Einbindung ökonomischer Analysen, sondern vielmehr die konkrete Umsetzung ökonomischer Modelle in die Fallpraxis stehen. Dabei gilt es auch zu berücksichtigen, dass die Umsetzung eines rein ökonomisch basierten Auswirkungsansatzes auf den ersten Blick zwar erstrebenswert zu sein scheint, aber sowohl die Wettbewerbsbehörden in Kartellverwaltungsverfahrens als auch den privaten Kläger im Zivilprozess vor große Beweisanforderungen- und schwierigkeiten stellt. Zugleich führt eine konsequente Umsetzung eines effectsbased approach zu einem sehr hohen administrativen Aufwand. Beispielhaft sei hier nur die Intel-Entscheidung der Kommission aus dem Mai 2009 erwähnt, in der die ökonomischen Analysen 150 Seiten der Entscheidung einnehmen. Die Typisierung wettbewerbswidriger Verhaltensweisen sollte daher im Ausgangspunkt beibehalten werden, jedoch unter Hinzuziehung neuer ökonomischer Erkenntnisgewinne fortwährend verifiziert und weiterentwickelt werden.1038 Dabei sollte nach wie vor die Bildung ökonomisch fundierter Fallgruppen im Fokus der Weiterentwicklung der europäischen Missbrauchsaufsicht stehen. Die Untersuchung hat ferner aufgezeigt, dass ein auswirkungsorientierter Ansatz bereits integraler Bestandteil der Rechtsprechung ist. Dieser hat mit seiner Fokussierung auf marktstrukturelle Aspekte lediglich andere Dimensionen und wird hinsichtlich seiner dogmatischen Ausprägung anders verstanden. Die wirtschaftswissenschaftlichen empirischen Kenntnisse sind in ihrer Robustheit und ihrer Vollständigkeit nicht immer in einer Weise belastbar, die notwendig wäre, um sie zum Maßstab für rechtliche Entscheidungen auf einer Einzelfallbasis zu machen. Wettbewerbsrechtliche Entscheidungen auf Basis nicht immer zuverlässiger Prognosewerte zu stützen, erscheint angesichts dieser Prämissen gefährlich. Damit geht zugleich eine Überschätzung der Möglichkeiten ökonomischer Prognosen einher.1039 Zudem ist eine derartige Fokussierung auf die Betrachtung von Effekten zwangsläufig mit einem kürzeren Zeithorizont verbunden, was zu einer Vernachlässigung bestimmter Dimensionen und Ausprägungen des Wettbewerbs führt, die nicht in gleicher Weise quantifizierbar sind.1040 Dabei wäre zum Beispiel eine stärkere Berücksichtigung der Innovationsdimension oder nicht quantifizierbarer Besserungen 1038

Behrens, in: Festschrift Schäfer, S. 457, 471. Zäch/Künzler, ZWeR 2009, 269, 281. 1040 So auch Kerber/Schwalbe, in: Münchener Kommentar, Europäisches Wettbewerbsrecht, Einleitung, Rn. 130. 1039

II. Zusammenfassung in Thesen

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wünschenswert. Hierbei sind vor allem Produktinnovationen, Qualitätsbesserungen, besserer Service oder neue Vertriebsformen nennenswert. Eine Vernachlässigung derartiger Aspekte führt auf lange Sicht zu einer Einschränkung des Wettbewerbs in Bereichen, von der alle Marktteilnehmer auf lange Sicht profitieren können. Nach alledem erscheint die Verbindung formbasierter Elemente mit einem moderaten auswirkungsbasierten Ansatz als vorzugswürdige Alternative gegenüber der Umsetzung eines reinen einzelfallorientierten Ansatzes. d) Eignung und zukünftige Relevanz des AEC-Tests als Prüfungsmaßstab für preisbezogene Behinderungsmissbräuche Die Ausführungen haben aufgezeigt, dass der AEC-Test zur Bewertung von Kampfpreisen und Kosten-Preis-Scheren in der europäischen Rechtspraxis bereits seit langem Anwendung findet und sich für diese Fallgruppen bewährt hat. Auch in Fallkonstellationen, die selektive Preissenkungen zum Gegenstand haben, hat der AEC-Test als Prüfungsmaßstab in ständiger Rechtsprechung Anerkennung gefunden. In Rabattfällen wurde der Test hingegen von den europäischen Gerichten bislang nicht angewendet. Dies scheint sich nun durch Intel zu verändern. Ob der Test damit dem ihn in der Prioritätenmitteilung zugedachten Stellenwert als Prüfkriterium für alle Missbrauchsformen unter Art. 102 AEUV erlangen wird, wird sich in Zukunft zeigen müssen. Vieles deutet darauf hin, dass seine Relevanz in diesem Fall den Umständen des Einzelfalls geschuldet war. Gleichwohl geht damit zumindest seine Anerkennung als probates Kriterium einher. Auch nach der im Intel-Urteil des EuGH scheinbar zum Ausdruck kommenden Aufwertung des AEC-Tests als denkbaren Maßstab zur Beurteilung von Rabattsystemen verbleiben Zweifel an seiner Tragfähigkeit. Angesichts der kritischen Resonanz und der praktischen Schwierigkeiten der Umsetzung des AEC-Tests in der Rechtpraxis bleibt auch weiterhin zu bezweifeln, dass sich dieser als einheitliches und maßgebliches Prüfkriterium für alle Formen des preisbezogenen Behinderungsmissbrauchs nach Art. 102 AEUV durchsetzen wird. Nach den Feststellungen dieser Arbeit eignet sich der Test nur bedingt für die Fallgruppe der Rabattsysteme. Daher sollte er nur als ein Instrument im Rahmen eines umfassenden effektbasierten Ansatzes verstanden werden, nicht aber als alleiniges Prüfkriterium für alle Formen des preisbezogenen Behinderungsmissbrauchs. Weitere Relevanz wird dem Test im Rahmen der Ausübung des Aufgreifermessens der Europäischen Kommission zukommen. Die Kommission hat sich ausdrücklich vorbehalten, den Test (weiterhin) zur Priorisierung von Fällen anzuwenden.1041 Darüber hinaus setzt das Urteil des EuGH auch Anreize für eine größere Bedeutung des Tests als Mittel der Beweisführung im Kartellverwaltungsverfahren.

1041 Vgl. Italianer, The Object of Effects, Vortrag anlässlich der CRA Annual Brussels Conference, 10. 12. 2014, S. 12 f.

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G. Schlussfolgerungen und Ausblick

III. Ausblick Die Verbesserung der theoretischen und empirischen Basis der wettbewerbsrechtlichen Regeln über die letzten Jahre ist zu begrüßen. Das Kartellrecht lebt von der Fortentwicklung und den Beiträgen der ökonomischen Theorie. Der stetige Wandel ökonomischer Erkenntnisse muss sich in einer zeitgemäßen Kartellrechtsdogmatik widerspiegeln. Insoweit wird die ökonomische Analyse auch in Zukunft einen wichtigen Beitrag für die Weiterentwicklung des europäischen Wettbewerbsrechts leisten. Dennoch hat die konkrete Fallbeurteilung und Rechtsanwendung bei den Juristen zu verbleiben und unter rechtlich-dogmatischen Erwägungen zu erfolgen. Die Untersuchung hat aufgezeigt, dass mit Schlagwörtern wie more economic approach, effects-based approach und form-based approach oder rein abstrakten Debatten um die Schutzzwecke für die konkrete Rechtsanwendung wenig gewonnen ist. Diese Begriffe verleiten vielmehr zu einer ungewollten Verlagerung der Diskussion auf eine rechtspolitische Ebene und weg von dem dogmatischen Fundament der Auslegung des Art. 102 AEUV. In den jüngeren Urteilen deutet sich gleichwohl eine scheinbare Abkehr von den bislang die Rechtsprechung prägenden Prinzipien und eine Öffnung gegenüber der verstärkten Berücksichtigung ökonomischer Kriterien an. Es wirkt insoweit, als sei dem EuGH daran gelegen, dem scheinbaren Geist der Moderne in Form der verstärkten Berücksichtigung ökonomischer Erwägungen zumindest in Teilen auch in seinen Urteilen Ausdruck verleihen zu wollen.1042 So deutet dies auch in Richtung einer Billigung der durch die Kommission in der Prioritätenmitteilung angestoßenen vertieften Betrachtung der Fallgruppen anhand von Einzelfallanalysen. Das Urteil des EuGH in Intel bildet den vorläufigen Schlusspunkt der in den letzten Jahren intensiv geführten Debatte um die Anwendung des Art. 102 AEUVauf preisbezogene Behinderungsmissbräuche. Gleichwohl ist der EuGH auch darin einige Antworten schuldig geblieben. So ist nicht klar, ob die Änderungen in der Systematik und insbesondere die Verortung einer verstärkten Wirkungsanalyse auf Tatbestandsebene verallgemeinerungsfähig ist oder den besonderen Umständen des Einzelfalls geschuldet war. Diese Fragen werden wohl erst im Rahmen konkreter Vorabentscheidungsverfahren oder in der künftigen Rechtsanwendungspraxis eine endgültige Klärung erfahren. Es kann nur gemutmaßt werden, dass der EuGH sich bewusst der Festschreibung klarer Kriterien entzogen hat, um eine erneute Prüfung durch das EuG abzuwarten. Das erneute Urteil des EuG wird sicherlich noch einige Jahre auf sich warten lassen. Bis dahin wird Rechtsanwendungspraxis weiterhin vor die Herausforderung gestellt sein, bei der Anwendung des Missbrauchsverbots einen 1042 So warnte GA’in Kokott bereits in ihren Schlussanträgen in Post Danmark II, der EuGH möge sich „nicht so sehr vom Zeitgeist oder vergänglichen Modeerscheinungen beeinflussen lassen, sondern sich vielmehr auf die rechtlichen Grundlagen zurückbesinnen, auf denen das Verbot des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung im Unionsrecht fußt.“, vgl. GA’in Kokott, Schlussanträge vom 21. 5. 2015, Rs. C-23/14 P, EU:C:2015:343, Rn. 4 – Post Danmark II; so auch zustimmend Behrens, EuZW 2016, 41.

III. Ausblick

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Ausgleich zwischen der Einzelfallgerechtigkeit und der effektiven Durchsetzung des Missbrauchsverbots nach Art. 102 AEUV zu finden. Es bleibt hierbei zu hoffen, dass bei allen Bestrebungen zur Entwicklung einheitlicher Maßstäbe nach den Vorgaben der Wettbewerbsökonomie das dogmatische Fundament des Art. 102 AEUV nicht vernachlässigt wird. Dies könnte im Ergebnis statt der angestrebten Konsistenz der Maßstäbe zu Friktionen führen, die anhand rechtlicher Kategorien nicht mehr hinreichend erklärbar wären.

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Stichwortverzeichnis AEC-Test 42 ff., 49, 89, 91, 118, 123, 128 ff., 142 AKZO 55 ff., 72, 74 f., 161, 170, 175 Alleinbezugsvereinbarungen 97 f., 179, 183, 234 Alleinbezugsverpflichtungen 151, 229 As efficient competitor-Test 18, 32, 42 ff., 51, 66, 68, 71, 73 f., 116, 118, 123 f., 128, 134, 148, 184, 187, 210 Ausschließlichkeitsbindungen 101, 119, 137, 143, 174, 178, 181 f., 189, 194, 215, 221, 223, 226, 228 ff., 244 f. average avoidable costs (AAC) 44, 67 f. average total costs (ATC) 44, 56, 67 average variable costs (AVC) 44, 56 ff., 68, 72 Bagatellgrenze 224, 230 f., 245 Behinderungsmissbrauch preisbezogen 18, 32, 43, 50, 124, 164, 171, 210, 219, 243 Besondere Verantwortung 70, 100, 102, 105, 129, 142, 158 f., 231 Bestimmtheitsgrundsatz 190, 197 Bestreiten qualifiziert 148, 150 ff., 169 Bestreiten substantiiert 189, 194, 215, 242 Beweislast 54, 142 ff., 147 ff., 191, 203, 216, 235, 241 British Airways 107 ff., 118, 120, 127, 130, 133, 135, 151, 161, 189, 216 Bündeltheorie 221, 226 ff., 235, 245 Bußgeldpraxis 144, 152 ff. Cartes Bancaires 221, 238 ff. Compagnie maritime belge 61 ff., 71 f. consumer harm 205 Darlegungslast 54, 142 ff., 147 ff., 191, 203, 216, 241 Delimitis 226 ff., 235

de-minimis-Schwelle 116, 128 ff., 145, 153, 221, 225 ff., 245 Deutsche Telekom 76 ff., 84 ff., 88, 91, 135, 168, 170, 173 f., 181, 185 Diskussionspapier 36, 38, 39 ff., 46 f., 66 f., 82, 109, 112 f., 124, 216 durchschnittliche variable Kosten 44, 56 ff., 67 f., 70, 72, 74, 151, 172, 174 f., 212 durchschnittliche vermeidbare Kosten 44, 65, 67 f. Effizienzeinrede 39 f., 47, 112, 122 f., 203, 206, 216, 241, 245 f. Eigengesetzlichkeiten 180, 200 Eignung 94 f., 97, 103, 105 f., 109, 112, 115, 117, 121, 124, 127, 132, 138 f., 143 ff., 152 f., 165 ff., 177, 188, 191 f., 205, 211 f., 215, 223, 236, 238, 240 f., 249 Einzelfallgerechtigkeit 26, 141, 196 ff., 203 f., 215, 217, 251 Entscheidungsfehler 197, 198 ff. error-cost approach 198 European Advisory Group (EAGCP) 36, 37 ff. Exklusivitätsrabatte 151, 189, 236 Expedia-Entscheidung 226, 232 false negative 198, 208 false positive 162, 198, 199, 201 Fehler 1. Art 198 f., 201, 203, 209 Fehler 2. Art 198 f., 201, 203, 209 fixed costs 44 Fixkosten 44, 63 f., 67 f. France Télécom 63 ff., 73 Funktionsrabatte 93 Gefährdungsdelikt 74, 165 f., 218, 244 Gefährdungsdelikt abstrakt 165 f., 194 Gefährdungsdelikt konkret 91, 165 f., 194 Gesamtkosten durchschnittlich 44, 62 f., 67, 69 f.

Stichwortverzeichnis Geschäftsverweigerung 81 f., 84, 86, 90, 180 Grenzkosten 44, 57, 67 Hoffmann-La Roche 64, 77, 95 ff., 104, 110, 114, 119, 122, 130 f., 133 f., 137 ff., 147, 152 f., 155, 157 f., 176, 178, 188 f., 229 f., 232 f. Intel 18, 20, 92, 124, 129, 130 ff., 171 ff., 184 f., 189, 191, 194, 203 f., 212, 215 f., 219 f., 224, 230 ff., 242, 244, 248 Interessenabwägung 190 Irish Sugar 101 ff. Justiziabilität

53, 196 f., 210, 244

Kampfpreise 21, 54 ff., 79, 86, 124, 131, 135, 138, 167, 172, 176, 180 ff., 209, 243 f. Kartellbehörden 46, 179, 202 Kartellverbot 20 f., 25, 35, 72, 221, 223 ff. Kohärenz 221 ff., 245 Konsistenz 18 ff., 54, 81, 138, 141, 164 f., 177 ff., 188, 196, 210, 217, 219 f., 221 f., 229, 243 ff., 251 Konsumentenwohlfahrt 34, 37, 40, 46 f., 52 f., 157, 205 f., 213, 246 Kostenbegriffe 44 Kosten-Preis-Schere 21, 31, 54, 75 ff., 124, 131, 135, 138, 149, 167 ff., 174, 180 ff., 190, 194, 243 f., 249 Kosten-Preis-Test 44, 58, 71, 89, 115, 172, 175, 178, 191, 215 Kriterien qualitativ 17, 67, 106, 112, 115, 130, 178, 187, 191, 219 Leistungswettbewerb 45, 70, 97, 142, 155 ff. long-run average incremental costs (LRAIC) 44 marginal costs (MC) 44, 57 Marktabschottung 115 f., 119, 146, 178, 182 ff., 208, 227 f., 233 f. Marktverschließung 42, 66, 70, 94 f., 115 f., 123, 173, 226 Mengenrabatte 31, 93 f., 99, 101 f., 106, 117, 119 f., 127, 133, 137, 140, 173, 190

265

Michelin I 98 ff., 106, 108, 110 ff., 115, 120 ff., 127, 130, 133, 135, 140, 151, 158, 189 Michelin II 103 ff., 119 ff., 151, 161, 192 more economic approach 18, 31 ff., 71, 124, 131, 195, 210, 243, 247 Niedrigpreise selektiv 70, 124, 174, 243 no economic sense 208 Ökonomisierung 31 ff., 41, 51, 82, 109, 246 ordoliberal 156 f., 180, 183 over-enforcement 157, 198 per se Regel 98, 150, 174, 195, 203, 212 per se Verbot 17, 24, 60, 71, 89, 140, 143, 147, 150, 153, 169, 175, 190, 201 f., 220, 237 Post Danmark I 68 ff., 181, 210, 216 Post Danmark II 18, 125 ff., 145, 151, 153, 168, 171, 179, 230, 233, 236 Preishöhenmissbrauch 180, 186, 191 Preiswettbewerb 17, 31, 56, 102, 142, 186 Prioritätenmitteilung 18, 32, 36, 40 ff., 54, 66 ff., 70, 72, 74 f. 90 f., 93, 113, 115, 122 f., 124, 128 f., 131 f., 135, 144, 150, 166, 170 f., 173 f., 178, 184 f., 215 f., 241, 244 f., 249 f. profit sacrifice Test 207 ff. Prüfungsmaßstab 207, 209 Rabatte bedingt 43, 92 ff., 123, 135, 182, 230 Rabatte der dritten Kategorie 140 Rabatte unbedingt 92, 93 f., 123 Rabattgewährung individualisiert 92, 101, 106 f., 121, 187 Rabattgewährung retroaktiv 111, 115, 120 Rabattgewährung rückwirkend 104, 107, 111, 113 ff., 118, 120, 125, 187 raising rivals’ cost 206 Rechtssicherheit 20, 26, 46, 51, 53, 58, 74, 79, 89, 141, 148, 151, 164, 176, 180, 190, 196 ff., 201 ff., 210, 215, 220, 222, 229, 244 Regelgestaltung 196, 201 f. Regulierungskosten 197, 199 f.

266 rule of reason RWE 82

Stichwortverzeichnis 24, 201, 203

Sacrifice-Test 66, 67, 70, 75 Schutzziel 34, 40, 46, 53, 110, 139 Schutzzweck 28, 35, 40, 46 f., 51 ff., 61, 109 f., 112, 139, 163 f., 167, 205 f., 213 f., 218, 244, 246, 250 Selbstbindung 50, 144, 171, 245 Sogwirkung 98, 120 f., 173, 184 Spürbarkeit 128, 225 ff., 231, 237 Suiker Unie 94 f., 101 TeliaSonera 83 ff., 127, 135, 168, 170, 173, 181, 210 Tetra Pak II 58 ff., 175 Tomra 113 ff., 124, 127, 130, 135, 145, 171, 174, 187, 230, 233 Treuerabatte 31, 92, 96 ff., 101, 118 f., 137, 140, 151, 169, 173, 177 ff., 182, 189, 194, 211, 229, 232, 237, 245 under-enforcement 198 Unentbehrlichkeit 84 f., 90 variable costs 44 variable Kosten 44, 56 f., 59 f., 63 ff., 67 ff., 72, 74, 151, 172, 174 f., 212 Verbraucherwohlfahrt 40 f., 46, 49, 51

Verdrängungsabsicht 56 ff., 62, 65 ff., 69, 71 ff., 75, 161 ff., 175 Verdrängungswirkung 45, 66, 78, 81 f., 85, 98, 106, 111 f., 117, 121, 123, 126, 128, 132, 134, 138 f., 143 ff., 165, 169, 173, 191, 194, 233, 236, 238 Verhaltensalternativen 190 Vermutung 137, 140, 146 f., 153, 167, 169, 173, 189 f., 201, 203 f., 211, 213, 233, 240 Vorhersehbarkeit 49, 122, 164, 190, 197 Wahlmöglichkeiten 70, 105, 173, 186, 190, 212 Wahrscheinlichkeit 89, 114, 128, 138, 146, 155, 166, 168 ff., 194, 202, 214, 215, 219 Wanadoo 63 ff. Wanadoo Espana 80 ff. Wertungsgleichlauf 216, 232 Wettbewerbsbeschränkung bewirkt 141, 192 ff., 222, 224, 246 Wettbewerbsbeschränkung bezweckt 141, 192 ff., 222, 224, 229, 232, 238 ff., 246 Wettbewerbsfreiheit 51 ff., 110, 112, 139, 213 f., 244, 246 Wirkungsanalyse 85, 122, 134, 144, 150, 153, 174, 191, 194, 202, 216 f., 220, 233, 240 ff., 250 Zielrabatte 31, 92 f., 98, 100 f., 103, 106, 119 ff., 130, 140, 176, 178, 233