Positives Altern: Neue Perspektiven für Beratung und Therapie älterer Menschen [1. Aufl.] 9783839407998

Ältere Menschen sind in Beratung und Psychotherapie deutlich unterrepräsentiert. Zurückzuführen ist dies weniger auf der

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Positives Altern: Neue Perspektiven für Beratung und Therapie älterer Menschen [1. Aufl.]
 9783839407998

Table of contents :
Inhalt
Vorwort
Ressource
Das Alter schätzen lernen. Neue Perspektiven für Beratung und Therapie älterer Menschen
1. Einleitende Gedanken und Beobachtungen
2. Gesellschaft, Kultur und Mythos
3. Erkenntnis und Enttabuisierung: Mythen und Wirklichkeiten im Alter
4. Beratung und Therapie älterer Menschen
5. Ausblick: Altern als relationales Phänomen
Diskurs
Erlebnistherapeutische Methoden in der Arbeit mit älteren Menschen: Theatertherapie, Rollenspiel und Sinnes- und Wahrnehmungsarbeit
»Zwischen Hoffen und Bangen«: Partnerschaftsberatung im Alter
Anders Altern: Beratung für schwule Senioren
Empowerment-Coaching® für die nachberufliche und nachfamiliäre Lebenszeit. Ein Konzept für Training und Beratung
Entwicklung und Bildung in der 4. Lebensphase. Poesie- und bibliotherapeutische Schreibgruppenarbeit mit alten Menschen
»Und wenn sie auch alt werden, werden sie dennoch blühen …«. Wahrnehmung und Wertschätzung des Lebens alter Frauen aus feministisch-theologischer Perspektive
Referenzen
Literaturverzeichnis
Kommentierte Literaturempfehlungen
Autorinnen und Autoren

Citation preview

Thomas Friedrich-Hett (Hg.) Positives Altern

DiskurSys | Herausgegeben von Klaus G. Deissler

2007-09-20 10-06-00 --- Projekt: T799.diskursys.friedrich-hett.positives altern / Dokument: FAX ID 02fe158256672080|(S.

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) T00_01 schmutztitel.p 158256672

Editorial Seit Jahren steigt der Bedarf an qualitativ hochwertigen Beratungsformen, die sich außerhalb therapeutischer Kontexte definieren, deutlich an. Ziel solcher Beratungsformen ist es nicht nur, die finanziellen und emotionalen Kosten, z.B. von eskalierenden Konflikten, für die Beteiligten zu senken, sondern insbesondere die Zusammenarbeit zu optimieren, Zukunftsperspektiven zu entwerfen und realisierbare Lösungswege zu schaffen. Zu solchen Beratungsformen zählen beispielsweise Mediation, Beratung in und mit Organisationen sowie Beratung von Familienunternehmen. Oft wird bei diesen Beratungsformen übersehen, dass sie ihre Effizienz und ihren zukünftigen Erfolg entscheidend von der Qualität der Zusammenarbeit zwischen den Beratenen und den BeraterInnen herleiten. Die Buchreihe »DiskurSys – Ressourcen zur Beratungspraxis« setzt genau an diesem Punkt ein: • Im Zentrum jedes Bandes steht je ein Beitrag, der als innovative »Ressource« für Beratungsformen dient, bei denen die Qualität der Zusammenarbeit und die Effizienz des Beratungsprozesses im o.g. Sinne im Vordergrund stehen. • Unter der Rubrik »Diskurs« wird diese Ressource von ausgewiesenen Fachleuten diskutiert, kritisch gewürdigt und als ›Sprungbrett‹ für eigene Ideen und Praktiken genutzt. • Jedes Buch wird mit »Referenzen« abgerundet: Hier finden die Leserinnen und Leser ein Literaturverzeichnis, kommentierte Literaturempfehlungen sowie Kurzbiografien und Kontaktdaten der Autorinnen und Autoren.

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) T00_02 vakat.p 158256672112

Thomas Friedrich-Hett (Hg.)

Positives Altern Neue Perspektiven für Beratung und Therapie älterer Menschen

DiskurSys | Ressourcen zur Beratungspraxis | Band 3

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) T00_03 innentitel.p 15825667214

Besuchen Sie die Website zur Reihe: www.diskursys.de

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. © 2007 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung & Innenlayout: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Lektorat & Satz: Gero Wierichs, more! than words, Bielefeld Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-89942-799-8 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

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) T00_04 impressum.p 158256672184

Inhalt

Klaus G. Deissler Vorwort ...................................................................................................... 9

Ressource Thomas Friedrich-Hett Das Alter schätzen lernen. Neue Perspektiven für Beratung und Therapie älterer Menschen ....... 15 1. Einleitende Gedanken und Beobachtungen........................................ 15 2. Gesellschaft, Kultur und Mythos ........................................................ 17 3. Erkenntnis und Enttabuisierung: Mythen und Wirklichkeiten im Alter ................................................ 20 4. Beratung und Therapie älterer Menschen ........................................ 30 5. Ausblick: Altern als relationales Phänomen ..................................... 62

Diskurs Thomas Friedrich-Hett/Rainer Gotzian/Regina Wolf-Ebel Erlebnistherapeutische Methoden in der Arbeit mit älteren Menschen: Theatertherapie, Rollenspiel und Sinnes- und Wahrnehmungsarbeit ........................................................ 71 Michael Vogt »Zwischen Hoffen und Bangen«: Partnerschaftsberatung im Alter ... 95

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6) T00_05 Inhalt.p - Seite 5 15826

Marco Pulver Anders Altern: Beratung für schwule Senioren ................................... 112 Ulrich Meindl/Adelheid Schramm-Meindl Empowerment-Coaching® für die nachberufliche und nachfamiliäre Lebenszeit. Ein Konzept für Training und Beratung .. 132 Renate Rubin Entwicklung und Bildung in der 4. Lebensphase. Poesie- und bibliotherapeutische Schreibgruppenarbeit mit alten Menschen ............................................................................... 154 Ilona Klaus »Und wenn sie auch alt werden, werden sie dennoch blühen …«. Wahrnehmung und Wertschätzung des Lebens alter Frauen aus feministisch-theologischer Perspektive ........................................ 176

Referenzen Literaturverzeichnis .............................................................................. 201 Kommentierte Literaturempfehlungen ............................................... 216 Autorinnen und Autoren ...................................................................... 223

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6) T00_05 Inhalt.p 158256672248

Ich widme diese Buch allen älteren Menschen, mit denen ich beruflich und privat in Kontakt war, und von denen ich viel über Gesichter des Alters lernen konnte, mit großer Wertschätzung und in tiefer Dankbarkeit.

Und meinen drei Frauen, die mich so oft entbehren mussten, in Liebe.

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) T00_06 widmung.p 158256672432

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) vakat 008.p 158256672608

Vorwort | 9

Vorwort

Eine Mittachtzigerin kommt weinend zum Arzt und sagt schluchzend: »Ich bin seit mehreren Jahren glücklich mit einem jungen Mann verheiratet, wir haben jeden Tag drei Mal Sex miteinander, wir sind sehr glücklich…«. »Ja, aber warum sind Sie dann so verzweifelt?«, fragt der Arzt. Die Frau antwortet: »Ich habe vergessen, wo ich wohne…«. (Kubanischer Witz über positives Altern)

Positives Altern – was soll das heißen? Der Begriff »Positives Altern« lässt vielfältige Assoziationen anklingen – so muss es, wenn es positives Altern gibt, auch negatives Altern geben. Unter »Negativem Altern« kann man all das verstehen, was Menschen daran hindert, einen Prozess wahrzunehmen, der das Leben unvermeidlich prägt, und konstruktiv damit umzugehen. Wir sollten uns also bemühen, den Prozess des Alterns zu verstehen, wenn wir wissen wollen, wie wir ihn positiv gestalten und nutzen können. »Altern« heißt – frei aus dem Lateinischen übersetzt – »sich wandeln«.1 Mit anderen Worten: Wenn wir leben, altern wir – und indem wir altern, bleiben wir die, die wir sind, indem wir (uns) wandelnd durchs Leben gehen. Das ist mehr als ein Wortspiel: Ich möchte vorschlagen, »positives Altern« als positiven Lebenswandel zu verstehen. Damit ist eine Tugend definiert, die uns nicht in den Schoß fällt. Wir müssen sie erlernen und als Haltung dem Leben und unseren sozialen Beziehungen gegenüber pflegen.

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10 | Klaus G. Deissler Da das Leben jedoch begrenzt ist, verbinden wir mit dem Altern vielfach einen eng begrenzten Betrachtungsfokus; dieser bezieht sich auf den 3. Lebensabschnitt – nämlich die Zeit, in der wir uns beschleunigt dem Ende unseres Lebens und damit dem Tod nähern. Wir nennen diesen Lebensabschnitt verkürzend »Alter« und suggerieren damit, dass wir in den anderen Lebensabschnitten nicht altern. Der dritte Lebensabschnitt ist aber nur ein Teil des Lebenswandels – insofern ist er nichts Besonderes. Er wird erst dadurch besonders, dass wir uns gewöhnlich erst in diesem Lebensabschnitt mit der Frage des Sterbens auseinandersetzen. Sterben bedeutet in diesem Zusammenhang dann nicht nur den Abschied von körperlicher Gesundheit und Abschied von Beziehungen und Lebenszusammenhängen: Sterben ist auch mit der Frage des Leidens verbunden. Nachdem wir die »Selbstvergessenheit der Gesundheit« (Gadamer, 1993) genießend durchs Leben gewandelt sind, schreckt uns dann die Vorstellung des Todes, die wir mit Sterben- und Leidenmüssen verbinden. Folgen wir jedoch Sokrates und verstehen »philosophieren« als »sterben lernen«, können wir sagen, dass sich sterben lernen nicht nur mit der Nähe zum Tod einstellen muss, sondern dass dies eine »Übung« ist, die wir von Kindesbeinen an vollziehen (sollten). Was bleibt dann noch vom Schrecken des Alterns, wenn wir darunter die Tugend des philosophierenden Lebenswandels verstehen, der Haltung also, die uns erlaubt, Prozesse des Alterns positiv zu werten? Er besteht in der Bewältigung von Detailproblemen, mit denen der »alternde Mensch« im Alltag nicht zurecht kommt und die er nicht zu handhaben weiß. Genau an diesem Punkt setzt das vorliegende Buch an – der Beratung älterer Menschen in bestimmten Problemsituationen. Mit all den dazugehörigen Themen beschäftigen sich Thomas FriedrichHett und seine Mitautoren. Sie räumen dabei mit vielen Mythen, die sich um das Altern ranken auf. Des Weiteren stellen die Beiträge für Berater einen unschätzbaren Fundus an Ideen, Wissen und Beratungshaltungen dar. Damit dürfte dieses Buch der erste deutschsprachige Sammelband für Fachleute sein, die im Kontext der Beratung im Bereich des Positiven Alterns tätig sind. Ich freue mich sehr, dass ich Thomas Friedrich-Hett als Herausgeber dieses Bandes der DiskurSys-Reihe gewinnen konnte.2 Mit seinem eigenen ideenreichen und kompetenten Beitrag ist es ihm gelungen, Mitautoren anzusprechen, die ihrerseits praxisrelevante und spannende Aufsätze beigesteuert haben. Ich wünsche dem Buch den Erfolg, den es

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Vorwort | 11

aufgrund seiner Sachkompetenz, Praxisrelevanz und Haltung gegenüber dem Lebenswandel als Tugend verdient hat. Klaus G. Deissler, Herausgeber DiskurSys Montpellier, im August 2007

Anmerkungen 1 | alter, lat. = der andere; alternare, lat. = abwechseln usw. 2 | Er hat sich bereits als Gastherausgeber der »Zeitschrift für Systemische Therapie und Beratung« im Bereich des Positiven Alterns einen Namen gemacht (ZSTB 2005, 23/4: Positives Altern – eine neue Haltung gegenüber einem alten Thema).

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9- 11) t01_01 Vorwort.p 158256672712

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) vakat 012.p 158256672776

Ressource

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) t02_00 respekt.p 158256672808

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) vakat 014.p 158256672864

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Das Alter schätzen lernen. Neue Perspektiven für Beratung und Therapie älterer Menschen 1 Thomas Friedrich-Hett

Es kommt nicht nur darauf an, wie alt wir werden, sondern wie wir alt werden. (Hans Schaefer)

1. Einleitende Gedanken und Beobachtungen Negative Stereotypen über das Alter2 sind weit verbreitet. Alte Menschen werden fast immer als hilfsbedürftig, unselbstständig und defizitär wahrgenommen. Die meisten Menschen verbinden das Alter sogar mit aversiven, abstoßenden Eigenschaften. Die Ansichten darüber, alt zu sein, sind so schlecht, dass die meisten Älteren es ablehnen, sich selbst als solche zu betrachten. Bereits 10-jährige Schüler sind dem Alter gegenüber negativ eingestellt und verbinden es mit Begriffen wie krank, schwächlich, einsam und uninteressiert (Lehr, 2005). Andere Untersuchungen zeigen, dass der Lebensverlauf als negative Entwicklung von Gewinnen und Verlusten gesehen wird. Was im Alter passiert, erscheint als weniger steuerbar und unkontrollierbarer (Heckhausen/Baltes, 1991). Schon frühzeitig entwickelt sich somit eine negative Erwartungshaltung in Bezug auf das Alter, die beeinflusst, wie der einzelne sich für seine eigene Zukunft einsetzt und wie wir uns im Kontakt mit alten

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16 | Thomas Friedrich-Hett Menschen verhalten. Unsere negativen Erwartungen stigmatisieren ungerechtfertigt alte Menschen. Altersstereotype beeinflussen unser Verhalten alten Menschen gegenüber und weisen diesen einen bestimmten Platz in unserer Gesellschaft zu. Damit nehmen sie direkt oder indirekt Einfluss auf den Aktionsradius, der Älteren zugestanden wird (Lehr/ Niederfranke, 1991). Seien wir einmal ehrlich zu uns: Wer hat sich noch nicht an der Supermarktkasse über einen älteren Menschen vor sich geärgert, der vielleicht etwas langsamer beim Bezahlen war, und im Stillen gedacht: »Der gehört doch wohl langsam ins Altenheim«? Oder bei der Wahrnehmung eines älteren Menschen als Autofahrer sinniert, der sollte aber mal endlich seinen Führerschein abgeben? Dies sind Einstellungen, die Älteren wohl eher den Weg in abhängige denn in selbstständige Lebensformen weisen. Es stellt sich insgesamt die Frage, inwieweit negative Altersstereotypen und Mythen ältere Menschen an der Entfaltung ihrer Potenziale hindern oder sogar zu einer Minderung ihrer Kompetenzen führen.3 Durch das oft weit reichende Infragestellen von Fähigkeiten entsteht auch eine negative Erwartungshaltung bei alten Menschen sich selbst gegenüber, die Unsicherheit und mangelndes Selbstvertrauen auslöst und damit Fähigkeitsverluste begünstigt (Lehr, 1994). Der postulierte Altersverfall bekommt somit den Charakter einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung. Ein hauptsächlich sozial konstruiertes Phänomen wird als biologisch-natürliches Phänomen verkannt (Baltes, 1996a). Sich selbst als Opfer von Verfall zu betrachten, hat viele Auswirkungen auf das eigene Wohlbefinden. Die bisherige Betrachtung des Alterns hat bereits großes Leid hervorgebracht und schadet darüber hinaus auch wirtschaftlich unserer Gesellschaft. Den Verfall als die wahre Natur des Alterns zu betrachten, öffnet Tür und Tor für Depression, Inaktivität, Unfähigkeit und einen frühen Tod. Der vorliegende Beitrag will die Entwicklung neuer, angemessener Altersbilder unterstützen. Die heimlich vorherrschende Sichtweise des Alterns als Prozess des Verfalls, mit zunehmender Isolation und Nutzlosigkeit, wenn nicht sogar Belastung für die Allgemeinheit, erscheint nicht nur wenig hoffnungsvoll, sondern zeigt sich bei näherer Betrachtung auch wenig haltbar. Zahlreiche Forschungsergebnisse belegen, was nach wie vor wenig bekannt ist: dass die bestehenden Altersvorurteile unangemessen sind und längst in den Bereich der Mythen gehören.4 Die Mehrheit der älteren Menschen ist den bestehenden Vorurteilen zum Trotz glücklich und zufrieden, bis ins hohe Alter relativ ge-

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sund und selbstständig, gesellschaftlich aktiv und auch durchaus noch lern- und leistungsfähig (s. S. 20-29). Mit dem Begriff des Positiven Alterns und den Beiträgen in diesem Aufsatz möchte ich Anregungen zu einer dringend notwendigen Rekonstruktion unserer Altersbilder geben. Ich möchte zu einer wertschätzenden und ermutigenden Perspektive einladen, bei der Altern als ein Prozess einzigartiger menschlicher Bereicherung und gesellschaftlicher Förderung gesehen werden kann.5 Nicht nur vor dem Hintergrund der – oft dramatisierten – demographischen Entwicklung hin zu einer Bevölkerung mit einem höheren Anteil älterer Menschen, sondern auch ganz allgemein zum Wohl unserer Kultur und Gesellschaft wird es Zeit, dass wir unser Alter und uns als ältere Menschen schätzen und angemessen einzubeziehen lernen. Hierzu sollen in dieser Ressource Menschen sensibilisiert werden, die auf einem besonderen Feld mit älteren Menschen zusammenarbeiten: Berater und Therapeuten sind in der Verantwortung, den Prozess des Alterns und die älteren Menschen angemessen und inspirierend wahrzunehmen.

2. Gesellschaft, Kultur und Mythos Es gilt nicht nur dem Leben Jahre, sondern den Jahren Leben zu geben. (Ursula Lehr)

Wie in einer Gesellschaft das Alter und die älteren Menschen betrachtet und bewertet werden und wie gesellschaftliche und politische Organe und letztendlich jeder einzelne von uns mit diesen Themen umgeht, sollte als zentrale gesellschaftliche Aufgabe betrachtet werden. Möglicherweise ist diese Aufgabe eine ebenso große und bedeutungsvolle Herausforderung wie die Emanzipation der Frau. Mit der Schaffung eines Antidiskriminierungsgesetzes für ältere Menschen ist es aber sicherlich noch nicht getan, vielmehr gilt es, einen umfassenden Bewusstseinswandel zu unterstützen. In der Öffentlichkeit und in den Medien beherrschen weiterhin Themen wie die (vermeintlich) hohe körperliche Gebrechlichkeit im Alter, die durch Pflegebedürftigkeit und Demenzerkrankung entstehenden Kosten oder die (angenommene) nachlassende ökonomische Produktivität älterer Arbeitnehmer die Tagesordnung, wenn es um die Zukunft unserer Gesellschaft geht. Damit ist weiterhin eine Betrachtung nach dem in der Fachwelt als

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18 | Thomas Friedrich-Hett überholt geltenden Defizitmodell des Alterns, welches Altern generell als einen mit Einbußen und Verlusten verbundenen Prozess betrachtet, vorherrschend. Älteren Menschen wird weiter unreflektiert und fälschlich unterstellt, quasi unaufhaltsam an kognitiver und allgemeiner Leistungsfähigkeit einzubüßen sowie mit den Anforderungen des Alltags und mit Veränderungen im Lebenslauf zunehmend überfordert zu sein.6 Die bedeutende amerikanische Forscherin und Autorin Betty Friedan, die im Februar 2006 im Alter von 85 Jahren verstarb, hat sich mit einem wichtigen Werk dem Mythos des Alters angenommen und mit einer dringend notwendigen Aufklärungsarbeit begonnen (vgl. Friedan, 1995). Sie untersuchte u.a., inwieweit Ältere in den Medien präsent sind bzw. wie sie repräsentiert werden. Sie fand heraus, dass ältere Menschen in der Werbung praktisch nicht vorkommen, selbst wenn es um Anti-Aging-Produkte geht. In großen amerikanischen Magazinen waren nur auf 1-2 % der abgedruckten Fotos Ältere abgebildet, hierbei handelte es sich aber fast ausschließlich um Reiche oder prominente Persönlichkeiten. Auch im Fernsehen sind ältere Menschen praktisch kaum präsent. Es herrscht eine Idealisierung der Jugendlichkeit, bis hin zum so genannten Jugendwahn. Attribute, die mit Jugend verbunden werden, wie z.B. Wachstum, Dynamik oder Attraktivität, sind in der öffentlichen Meinung eindeutig positiv gefärbt. Verjüngung und die Bewahrung von Jugendlichkeit scheinen gesellschaftlich wie individuell erstrebenswert. Die Schönheitschirurgie erlebt eine wahre Blütezeit, wenn sogar schon operative »Verjüngungseingriffe« als Fernsehsoaps vermarktet werden. Dem entgegen steht die schon erwähnte Angst vor dem Alter, bei der »alt sein« gleichgesetzt wird mit unattraktiv, ungebraucht, gebrechlich, einsam, dement und abgeschoben.7 Demographische Hochrechnungen der Bevölkerungsentwicklung lösen zunehmend Ängste aus. Im Jahre 1900 betrug der Anteil der über 60-Jährigen im deutschen Reich 7,8 %, 1990 waren es im wiedervereinten Deutschland 20,3 % und 2030 werden es schätzungsweise 32,734,6 % sein. In immer neuen Büchern wird von existierenden oder befürchteten Generationenkonflikten gesprochen. Fast täglichen erreichen uns Meldungen von drohenden Rentenlücken und den gesellschaftlichen Lasten, die durch die Überalterung auf uns zukommen. Manchmal kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass diese Entwicklungen unausgesprochen den älteren Menschen zum Vorwurf gemacht werden. Dabei sind die Gründe für diesen Altersstrukturwandel durchaus vielschichtig. Neben der zunehmend höheren Lebenserwartung und

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der daraus resultierenden Zunahme der Hochaltrigkeit spielen auch der Geburtenrückgang, das immer frühere Ausscheiden aus dem Berufsleben und andere Faktoren eine wichtige Rolle.8 Die erfreuliche Option einer höheren durchschnittlichen Lebenserwartung wird dabei oft von einer Semantik begleitet, als würden die reichen Industriegesellschaften von einer unheimlichen, nicht zu bewältigenden und unfinanzierbaren Seuche bedroht (»drohende Vergreisung«, »Altenproblem«, »die steigende Altenlast«). Es wird so getan, als ob es sich um ein Problem handle, dem mit Maßnahmen der Katastrophenbewältigung begegnet werden müsse. Dabei müsste genau genommen nicht einfach von einer »Überalterung«, sondern auch von einer »Unterjüngung« gesprochen werden, da nicht nur die zunehmende Langlebigkeit, sondern auch der Geburtenrückgang den demographischen Wandel beeinflusst. Während das durchschnittliche Ruhestandsalter sich verringert, erhöht sich das Berufseintrittsalter immer stärker. Alter ist primär als soziale oder relationale Kategorie zu betrachten (s. S. 62). Wann jemand als alt gilt, wird im soziokulturellen Kontext festgelegt. In unserer Gesellschaft wird häufig die Berufsaufgabe aus Altersgründen als Markierung herangezogen, welche damit zu einem wichtigen Ereignis zur Deutung des Alters wird. Bereits vor dem 60. Lebensjahr werden viele Menschen mit der Verrentung zu den Senioren abgeschoben – zu einem Zeitpunkt, an dem sie noch mehr als ein Viertel ihres Lebens vor sich haben. Während Menschen im jungen und mittleren Erwachsenenalter unter zu viel Rollenverantwortung leiden und oft überfordert sind, finden ältere und alte Menschen zu wenig Betätigungsfelder und fühlen sich oft unterfordert. Nicht wenige Ältere empfinden den Rückgang extensiver Verpflichtungen aber auch als Chance zur Selbstverwirklichung. Das traditionelle, altersdifferenzierte Modell ist in den materiellen Werten des Kapitalismus verankert. Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass die Abwertung des Alters am Ende des 19. Jahrhunderts zusammen mit der beginnenden Industrialisierung und dem Aufstieg des Jugendideals begann. Jugendlichkeit wurde als Sinnbild für Fortschritt, Aufbruch und Zukunft in der aufstrebenden industriellen Gesellschaft gesehen. Die Alten wurden als dieser Entwicklung im Weg stehend empfunden. Sie verloren ihre Funktion, wichtige gesellschaftliche Werte zu repräsentieren. Möglicherweise fanden Verlust- und Defizitmodelle hier ihren Anfang, wobei diese nicht vornehmlich auf körperlichem Abbau gründeten, sondern auf dem Funktionsverlust und der veränderten Stellung in der industriellen Gesellschaft. Aufgrund einer sprunghaft steigenden Lebenserwartung konnte die industrielle

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20 | Thomas Friedrich-Hett Gesellschaft nicht mehr allen eine Beteiligung am Arbeitsleben ermöglichen, so dass Ältere allmählich aus der Arbeitswelt ausgegliedert wurden. Die später von Bismarck eingeführte Rentenversicherung war zunächst eine Invalidenversicherung, bei der Alter und Invalidität gleichgesetzt wurden. Erst mit dem Rentenversicherungsgesetz von 1957 wurde eine feste Altersgrenze als Zugang zu einem Lohnersatz definiert, womit die Rente erstmals den Charakter eines wohlverdienten Ruhestands erhielt.9

3. Erkenntnis und Enttabuisierung: Mythen und Wirklichkeiten im Alter Der größte Irrtum junger Menschen ist ihre Vorstellung vom Alter. (Hermann Kesten)

Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung widersprechen in großer Zahl unseren negativen Vorstellungen über das, was uns im Alter erwartet. Wichtige Erkenntnisse dieser Forschungen wurden daher auch als kontraintuitive Befunde bezeichnet.10 Häufig wird dabei eine Unterscheidung in junge Alte vs. Hochbetagte bzw. in 3. und 4. Lebensalter (4. Lebensalter oder Hochbetagte = nach dem 80. Lebensjahr, vgl. Baltes, 1997) vorgenommen. Im Folgenden sollen einige (aus meiner persönlichen Sicht) wichtige, den verbreiteten negativen Altersbildern widersprechende Befunde dargestellt werden.

3.1 Gleichheit oder Unterschiedlichkeit »Alte Menschen sind doch alle gleich!« oder »Das ist doch typisch bei dieser Generation« sind häufig anzutreffende Aussagen über Ältere. Entgegen unserer Auffassung von dem alten Menschen ist das Alter aber sehr vielfältig. Eine oft zitierte Metaanalyse von 185 Altersstudien zeigt beispielsweise, dass die Unterschiedlichkeit der Menschen im Alter zunimmt, und zwar in biologischen, kognitiven, sozialen und Persönlichkeitsbereichen, und das auch noch bei Hochbetagten (Nelson/ Dannefer, 1992). Bezogen auf die Geschlechtersituation gibt es jedoch einen anderen Trend, denn das Alter ist zunehmend weiblich. Bei den über 60-Jähri-

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gen beträgt der Frauenanteil aufgrund der höheren Lebenserwartung von Frauen zwei Drittel, bei den über 75-Jährigen sogar drei Viertel (Statistisches Bundesamt, 1995; nach Tews, 1996).

3.2 Verfall oder Gesundheit Im Alter geht es angeblich gesundheitlich rapide bergab, man wird zunehmend gebrechlicher und unselbstständiger, was bei vielen in Pflegebedürftigkeit und Heimunterbringung mündet: Viele Menschen sind davon aufgrund der Berichterstattung in unseren Medien überzeugt, obwohl weitestgehend das Gegenteil zutreffend ist. Bis ins achte Lebensjahrzehnt altert die Mehrzahl der alten Menschen relativ gesund. Der Schwellenwert für einen allgemeinen Altersabbau beginnt erst bei 80-85 Jahren (Baltes/Staudinger, 1996). Der Großteil älterer Menschen ist hierzulande in der Lage, ein selbstständiges Leben zu führen. Die Annahme, dass das Alter (und auch das hohe Alter) von Hilfs- oder Pflegebedürftigkeit bestimmt sei, wird durch empirische Befunde eindeutig widerlegt (Kruse/Lehr, 1996). Insgesamt wird die Pflegebedürftigkeit älterer Menschen überschätzt. Bis zu einem Alter von 79 Jahren sind nur 7,9 % und über 85 Jahre 26,3 % regelmäßig pflegebedürftig (Infratest, 1993). Eine Langzeitstudie in den USA untersuchte die Frage, ob ältere Menschen etwas tun können, um sich vor Gebrechlichkeit zu schützen. Es zeigte sich, dass bei positiven Affekten und positiver Lebenseinstellung signifikant weniger Gebrechlichkeit auftrat. Es wird vermutet, dass Wohlbefinden und Aktivität sich wechselseitig verstärken, oder dass Optimismus eher zu körperlicher und sozialer Aktivität führt (Ostir et al., 2004). Hohe soziale Partizipation und Beziehungsvielfalt scheinen ebenso vor Funktionsverlusten zu schützen (Avlund et al., 2004). In der umfangreichen BOLSA-Studie zeigte sich, dass der subjektive Gesundheitszustand, also das eigene Empfinden, die engste Korrelation zur Langlebigkeit darstellte, während der objektive Gesundheitszustand nur einen geringen Vorhersagewert aufwies (Lehr/Thomae, 1987). Diese Befunde wurden auch in der Berliner Altersstudie bestätigt (Mayer/ Baltes, 1996).

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3.3 Intelligenz und Gedächtnis Erkundigt man sich nach allgemeinen Ansichten über Intelligenz, geistige Leistungsfähigkeit und Gedächtnis, stößt man auf die weit verbreitete Erwartung eines allgemeinen Abbaus dieser Fähigkeiten mit zunehmendem Erwachsenenalter. Arbeitgeber sind trotz gegenteiliger wissenschaftlicher Befunde davon so sehr überzeugt, dass Arbeitnehmer bereits ab 45 Jahren kaum noch Anstellungschancen haben. Viele hoch qualifizierte Langzeitarbeitslose müssen diese haltlose Einschätzung immer noch verkraften lernen. Dabei zeigen hinsichtlich Intelligenz über 50 % der 60-75-Jährigen keine Verluste, und 10 % sogar noch eine Steigerung (Schaie, 1983). Es ist zudem vielfach nachgewiesen, dass die Lernfähigkeit bei älteren Menschen weiterhin erhalten bleibt – das Lernen ist nur langsamer, weniger umfangreich und störanfälliger, dafür zum Teil aber auch genauer. Training von Gedächtnisstrategien verbessert Leistungen, der Tempoverlust ist ausgleichbar (Kruse/Lehr, 1996). Die weit verbreitete Angst, geistig abzubauen, führt häufig dazu, dass Konzentrations- und Gedächtnisschwächen bei älteren Menschen überbewertet werden. Durch die starke Medienfokussierung auf Demenzerkrankungen (wie z.B. die Alzheimer Krankheit etc.) entwickelt sich bei geistigen Leistungsschwächen schnell eine ausgeprägte »Verfallspanik«, die andere Ursachen gar nicht mehr wahrnehmen lässt. Dabei zeigen Untersuchungen, dass Gedächtnisausfälle häufig mit Belastungen und Stress zusammenhängen (Neupert, 2003). Das Auftreten von Demenzerkrankungen wird im Übrigen meines Erachtens deutlich überbewertet. Bei den über 65-Jährigen sind ca. 5 %, bei den über 80-Jährigen ca. 20 % und erst bei den über 90-Jährigen sind ca. 30 % betroffen (Maercker, 2004). Letztere Zahl mag erschrecken, sie verweist aber auch darauf, dass ca. 70 % der Hochbetagten keine gravierenden geistigen Abbauprozesse aufweisen und Demenz mitnichten die zwingende Perspektive des hohen Alters ist. Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass selbst bei demenziellen Erkrankungen durch geeignete Behandlungs- und Betreuungsverfahren (auch psychotherapeutischer Art oder durch alternative Wohnkonzepte) noch Perspektiven entwickelt werden können.11 Wie ist es eigentlich um die Idee der Altersweisheit bestellt? Dieses mit Abbau- und Demenzängsten kontrastierende Bild von älteren Menschen steht unverbunden neben dem erstgenannten. Bei Weisheitsuntersuchungen wurde festgestellt, dass alte Menschen keinen Weisheitsverlust zeigen, sondern Stabilität

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und unter bestimmten Bedingungen sogar Leistungsüberlegenheit gegenüber Jüngeren (Smith/Baltes, 1990; Staudinger, 1996). Das chronologische Alter scheint auch bei Kreativität und erfolgreichen künstlerischen Leistungen kaum eine Rolle zu spielen. Zahllose bekannte Meisterwerke aus Musik, Literatur, Malerei u.a. bilden hierfür eindrucksvolle Belege (Lehr, 2005). Insgesamt kann als Fazit festgestellt werden, dass nachlassende geistige Leistungsfähigkeiten bei älteren Menschen in vielen Fällen wohl eher als Folge von Berufsausstieg, mangelnder Beanspruchung und gesellschaftlichen Ruhestandsstigmatisierungen zu sehen sind. Kognitives Potenzial bis ins hohe Alter kann mitnichten als Ausnahme betrachtet werden.

3.4 Emotionales Erleben Das gängige Klischee besagt, dass alte Menschen unglücklicher als junge Erwachsene sind. Studien zeigen hingegen, dass Ältere trotz zunehmender körperlicher Beschwerden genauso glücklich und zufrieden sind wie Jüngere, und dass nur 3-4 % der Varianz der Lebenszufriedenheit im höheren Alter mit dem chronologischen Alter zusammenhängen (z.B. Smith/Baltes, 1996). Dieses Erleben wird auch als subjektives Wohlbefindensparadoxon bezeichnet: Obwohl die Anzahl der objektiven Beeinträchtigungen zunimmt, wird bis ins 4. Lebensalter hinein konstant subjektives Wohlempfinden erlebt (Staudinger, 2000). Wie kommt es, dass ältere Menschen trotz teilweise schlechterer Gesundheit und z.T. schlechterer Lebensbedingungen genauso zufrieden sind wie jüngere? Der Grund dafür könnte in der besonderen Fähigkeit des Selbst liegen, Realitäten zu konstruieren und zu transformieren, sich damit an veränderte Wirklichkeiten anzupassen und das eigene Selbstverständnis zu schützen (Brandstätter/Greve, 1992). Alte Menschen besitzen möglicherweise eine besondere Fähigkeit, sich zu bescheiden, sich an veränderte Gegebenheiten anzupassen und ihre Erwartungen neu zu ordnen. Häufig wird auch angenommen, dass unser emotionales Erleben im Alter abnimmt und verarmt. Verschiedene Studien konnten zeigen, dass ältere Menschen Gefühle komplexer, realistischer und erfüllender (Lawton, 2001), sowie intensiver (Charles, 2005) erleben als jüngere. Emotionale Reaktionen zeigen sich im Alter auch stärker differenziert als in jüngeren Jahren (Carstensen et al., 2000). Untersuchungen über die Frage, ob sich emotionale Erfahrungen

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24 | Thomas Friedrich-Hett im täglichen Leben über die Lebensspanne hinweg verändern, konnten zeigen, dass die Häufigkeit negativer Emotionen mit dem Alter abnimmt und dass positive emotionale Erfahrungen im Alter länger anhalten, während negative schneller verblassen (Carstensen et al., 2000). Entgegen der Annahme, dass ältere Menschen zunehmend kritisch und schrullig werden, konnte eine weitere Untersuchung einen Zuwachs an Liebenswürdigkeit mit zunehmend höherem Lebensalter nachweisen (Weiss et al., 2005).

3.5 Soziale Beziehungen Wie steht es um das Vorurteil der Einsamkeit und des sozialen Rückzugs älterer Menschen? Es konnte nachgewiesen werden, dass die meisten älteren Menschen über tragfähige soziale Netzwerke verfügen. Familie und Verwandte haben dabei eine vorrangige Bedeutung, aber auch Freunde, Nachbarn und Bekannte spielen eine wichtige Rolle; der Wert von Freundschaftsbeziehungen ist dabei insgesamt gestiegen. Lediglich ein Viertel der älteren Menschen in Deutschland wird als unzureichend sozial eingebunden betrachtet (Fooken, 1996). Ältere Menschen haben zwar nur halb so viele soziale Kontakte wie jüngere, dies scheint aber auch an einer gezielten Auswahl auf bedeutsame Beziehungen zu liegen: Die meisten älteren Menschen halten wertvolle Beziehungen bis zu ihrem Lebensende aufrecht (Lang, 2001). In verschiedenen Studien konnte der Einfluss von sozialen Beziehungen auf die Gesundheit und das Wohlbefinden im Alter nachgewiesen werden. So fördert beispielsweise soziale Unterstützung allgemein die Gesundheit (Vitaliano et al., 2001) und bei Verletzungen die Geschwindigkeit der Genesung (Kempen et al., 2001). Verheiratete genießen ein längeres Leben als Geschiedene, Getrennte oder Singles (Coombs, 1991), und eine dänische Längsschnittstudie an hochbetagten Zwillingen (alle waren älter als 75 Jahre) konnte feststellten, dass sich die Häufigkeit sozialer Kontakte insgesamt positiv auf die Langlebigkeit auswirkt. Darüber hinaus wurde herausgefunden, dass mit steigendem Alter immer mehr Menschen zu einer Zunahme der Kontakthäufigkeit neigen, was einmal mehr dem Stereotyp widerspricht, dass Altern mit sozialer Isolation einhergeht (Rasulo et al., 2005).

3.6 Sexualität und Geschlechtserleben Die Frage der Sexualität und des Geschlechtserlebens im Alter12, 13 gehört möglicherweise zu den großen Tabus unserer Gesellschaft. Ältere

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hätten kein Liebesleben mehr, sie könnten auch nicht mehr, selbst wenn sie wollten, außerdem sei Sex im Alter unanständig: Sexualität im Alter ist eindeutig stigmatisiert und wird daher kaum thematisiert (vgl. von Sydow, 1994). Sexuelle Wünsche, Interessen und Aktivitäten werden älteren Menschen weitgehend abgesprochen. Auch Psychotherapeuten wähnen oftmals alte Menschen bezüglich ihrer Sexualität »jenseits von Gut und Böse« (Reimer, 2000). Dabei ist kaum etwas über die Sexualität und das Liebesleben im Alter bekannt, selbst unter Älteren nicht. Einige neuere Untersuchungen können hier weiterhelfen. Für älter werdende Frauen gelten die Wechseljahre als wichtiger negativer Wendepunkt des Lebens. Der Mythos der Wechseljahre, demzufolge Frauen mit Verlust ihrer Periode auch an Attraktivität, Vitalität und Sexualität verlieren, kann nach verschiedenen Untersuchungen nicht aufrechterhalten werden. 87 % der Frauen erleben oder erlebten die Menopause als ziemlich gut bis sehr gut bewältigt, nur 10 % der befragten Frauen beschrieben ihr Erleben als nicht gut. Generell kann gesagt werden, dass Frauen, die vor der Menopause ein befriedigendes Sexualleben hatten, dies im Allgemeinen auch nach der Menopause haben, wobei sich Training i.S. von häufiger Praxis als der wichtigste Faktor erwiesen hat (Hales, 2004).14 Eine deutsche Befragungsstudie zeigt, dass zwei Drittel der 61-70Jährigen und ein Drittel der über 70-Jährigen sexuelle Aktivität angeben, aber nur wenn feste Partner vorhanden sind (Brähler/Unger, 1994; nach Heuft et al., 2000). In einer repräsentativen amerikanischen Umfrage geben 63 % der älteren Männer und 48 % der älteren Frauen an, dass befriedigender Sex wichtig für ihre Lebensqualität sei (Jacoby, 2005). Das sexuelle Verlangen bei älteren Frauen ist ähnlich wie bei jüngeren Schwankungen in Form von Zu- und Abnahmen unterworfen, wobei 19 % der über 80-Jährigen größeres Verlangen als vorher angeben. Für die Entwicklung sexueller Gefühle scheint dabei die innere Einstellung wichtig zu sein. Dass Frauen auch nach ihren reproduktiven Jahren das Recht haben, sexuelles Vergnügen zu erleben, ist eine wichtige unterstützende Haltung für die Aufrechterhaltung von Sexualität (Kliger/Nedelman, 2005; nach Gergen/Gergen, 2005a). In einer Untersuchung über den Zusammenhang zwischen Körperbild und Zufriedenheit zeigte sich, dass ältere Frauen umso zufriedener sind, je mehr sie sich als sexuell attraktiv einschätzen (Stockes/FredrickRecascino, 2003). Für die Lebenszufriedenheit scheint es bezüglich Sexualität entscheidend, inwieweit sexuelle Wünsche und sexuelle Aktivität in Übereinstimmung gebracht werden können (Heuft et al., 2000).

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26 | Thomas Friedrich-Hett In Deutschland lieben ca. 5-10 % der Menschen gleichgeschlechtlich (Raabe, 2004). Die Lebenssituation älterer Menschen mit homosexueller Identität ist dabei durch Mehrfachdiskriminierungen belastet. Zur Abwertung des Alters und zur Ignorierung der Sexualität älterer Menschen insgesamt kommt noch die Abwehr von gleichgeschlechtlicher Sexualität hinzu (Nachtwey, 2004). Dabei ist Homosexualität nicht in erster Linie eine Frage des Intimlebens, sondern die einer grundlegenden Identität (Gerlach et al., 2002). Homosexualität stand in Deutschland bis 1994 unter Strafe. Ältere Homosexuelle haben dementsprechend noch Zeiten offener Diskriminierung und Verfolgung erlebt und trauen sich daher nicht, sich offen zu ihrer Homosexualität zu bekennen (Raabe, 2004). Untersuchungen weisen auf weitere spezielle Probleme älterer gleichgeschlechtlich liebender Menschen hin. Eine Befragungsstudie zeigt auf, dass 90 % der Homosexuellen die bestehenden Altenhilfeeinrichtungen als nicht kompetent für ihre Bedürfnisse erleben (Braukmann, 2004). Und eine Untersuchung der Uni Bamberg (2002, nach Jüngst, 2004) ergab, dass 50 % der schwulen Männer ab 55 Jahren isoliert bis sehr isoliert leben. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass normative Vorstellungen und Stereotype negativen Einfluss auf die Sexualität und das Geschlechtserleben älterer Menschen haben und diese damit erheblich in ihren Freiheiten einschränken. Enttabuisierung und Aufklärung bezüglich Sexualität und Homosexualität können und sollten daher wichtige Aufgaben all derer sein, die mit alten Menschen arbeiten oder sich anderweitig für Ältere engagieren.

3.7 Vulnerabilität oder Widerstandsfähigkeit Nicht selten wird wie selbstverständlich angenommen, dass ältere Menschen Konflikten und Belastungen weniger entgegenzusetzen hätten als jüngere. Ältere gelten als weniger anpassungs- und veränderungsfähig und haben es bei psychischen Problemen und Krisen deutlich schwerer, angemessene Hilfe zu finden, als Jüngere (s. 5.). Entgegen der Annahme von höherer Rigidität im Alter sind Ältere nach wissenschaftlichen Untersuchungen aber hinsichtlich schützender Selbsttransformation flexibler als Jüngere,15 was sich positiv auf ihre Zufriedenheit auswirkt. Sie zeigen eine besondere Anpassungsfähigkeit, die wahrscheinlich auch das Gefühl der Handlungskontrolle aufrechterhält, wodurch das Leben aktiv mitgestaltet wird (Brandstätter/ Greve, 1992).

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Eine Studie mit älteren Witwen und Witwern, die kürzlich ihren Lebenspartner verloren hatten, konnte zeigen, dass erlebte Selbstwirksamkeit16 wichtig für die Verarbeitung von Verlusten ist und spätere Lebenszufriedenheit und Lebensqualität vorhersagen kann (Fry, 2001). Untersuchungen zu Bewältigungsmechanismen konnten zeigen, dass Erinnerungen an frühere Erfolge oder an überstandene Schwierigkeiten sehr hilfreich bei der Bewältigung von Schwierigkeiten im Alter sind (Staudinger et al., 1996). Eine vierjährige Langzeitstudie untersuchte, wie ältere Menschen funktionale Beeinträchtigungen bewältigen, die ihre Aktivität stören. Die Resultate zeigen, dass Menschen bis zu einem Alter von etwa 70 Jahren versuchen, durch kompensatorische Bemühungen die Beeinträchtigungen auszugleichen. Danach erfolgt zunehmend ein Wechsel zu anderen Strategien. Leistungsvergleiche werden in Bezug zur eigenen Altersgruppe und zu den Lebensumständen gesehen, darüber hinaus wird die allgemeine Bedeutung von Leistung relativiert und weniger wichtig genommen. Alle drei Strategien führten zu gleichbleibender Zufriedenheit mit den eigenen Leistungen über die Jahre hinweg (Rothmund/Brandstätter, 2003). Eine Untersuchung über Konfliktverhalten konnte zeigen, dass Menschen mit zunehmendem Alter immer besser lernen, erfolgreicher mit interpersonalen Konflikten umzugehen (Birditt/Fingerman, 2005). Nach Kruse und Lehr (1996) ist die Verarbeitung von Schwierigkeiten im Alter abhängig von Persönlichkeitsmerkmalen, Lebenserfahrung, dem Grad der sozialen Integration und der emotionalen Unterstützung, sowie von Situations- und Umweltmerkmalen. Insgesamt ist die Art und Weise, wie ältere Menschen Konflikte und Belastungen verarbeiten, davon beeinflusst, wie sie sich bereits in früheren Lebensjahren damit auseinandergesetzt haben. Pauschalisierte Bilder von erhöhter Vulnerabilität im Alter können nicht aufrechterhalten werden. Untersuchungen über Belastungen im Lebenslauf zeigen, dass ältere Menschen weniger durch Gefühle des Bedauerns belastet werden als jüngere. Sie haben weniger intrusive Erinnerungen und können besser ihre negativen Gefühle regulieren (Rosch et al., 2005). Hinweise auf besondere Potenziale im Alter finden sich auch in Studien über die Verarbeitung außergewöhnlicher Ereignisse. Eine Untersuchung mit ehemaligen jüdischen Lagerhäftlingen zeigte, dass die Verarbeitung dieser stark belastenden Ereignisse durch ein erhöhtes Verantwortungsgefühl für andere gefördert werden kann (Kruse, 1996).

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3.8 Spiritualität und Religiosität Religiosität und Spiritualität sind hochbedeutsame Themen für ältere Menschen. Die Einbettung in ein Glaubenssystem oder auch die individuelle Suche nach Lebenssinn und Selbstverwirklichung sind für viele im Alter wichtige Fragen. 91,4 % der älteren Menschen ab dem 60. Lebensjahr gehören einer Konfession an, 81,9 % von ihnen schätzen sich dabei als religiös bis sehr religiös ein (die Angaben beziehen sich auf die alten Bundesländer; nach Kruse, 2005). Zahlreiche Studien bestätigen positive Auswirkungen von Religiosität und Spiritualität. Menschen mit ausgeprägten religiösen Einstellungen und Aktivitäten weisen dabei im Vergleich mit nicht religiös gebundenen älteren Menschen bessere körperliche Gesundheit und psychische Stabilität, höhere Zufriedenheit, bessere Bewältigung von Einbußen und Belastungen, bessere soziale Integration und eine höhere Lebenserwartung auf. Es wird vermutet, dass religiöse und spirituelle Einstellungen das emotionale Coping17 unterstützen und somit eine Bedeutung als protektive Ressourcen erhalten (vgl. Albani et al., 2004). In Abhängigkeit vom Gottesbild sind aber auch negative Effekte möglich. Der Glaube an einen wohlwollenden, liebenden Gott vermittelt bei positiver Atmosphäre in der Glaubensgemeinschaft emotionale Geborgenheit und fördert psychisches und körperliches Wohlbefinden. Der Glaube an einen strengen, strafenden Gott dagegen, der oft mit rigidem Denken in der Glaubensgemeinschaft verknüpft ist, führt leicht zu Ängsten, Depression und psychosomatischen Störungen (Paragment et al., 1995; nach Fuchs, 2000).

3.9 Lebenshaltung Ich lebe nach der Maxime, dass die Langeweile der Feind des gesunden Alterns ist. (Jutta Limbach)

Ein Ratgeber für die Lebensgestaltung ab 50 zieht das Fazit, dass alt sein keine Sache der Lebensjahre, sondern der inneren Einstellung zu diesem Lebensabschnitt ist, dessen Qualität von unserer eigenen Gestaltung abhängt (Bohnhorst, 1999). Verschiedene internationale Untersuchungen bestätigen, dass Einstellung und Lebenshaltung erheblichen Einfluss auf die Lebensqualität und die Lebensdauer haben. Genauso wie negative Erwartungen dem eigenen Alter gegenüber zu ungünstigen, sich selbst erfüllenden Pro-

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phezeiungen werden können (s. Einleitung), können positive Einstellungen Lebensdauer und Lebensqualität verbessern. So zeigte zum Beispiel eine Langzeitstudie der Universität Yale an 660 Älteren, dass diejenigen, die Altersvorurteile ablehnten und eine positive Selbsterwartung hatten, im Durchschnitt 7,5 Jahre länger lebten. Die innere Haltung hatte dabei sogar einen größeren Einfluss auf die Lebensdauer, als Sport zu treiben oder auf das Rauchen zu verzichten (Levy et al., 2002). Die Wochenzeitung »Die Zeit« berichtete von statistischen Daten deutscher Versicherungsunternehmen, wonach optimistische Menschen eine höhere Lebenserwartung haben. Frauen werden hiernach im Schnitt drei, Männer fünf Jahre älter, wenn sie zuversichtlich in die Zukunft blicken können (Die Zeit v. 10.11.2005, 35). Eine niederländische Längsschnittstudie wies nach, dass optimistische Männer ein um 50 % niedrigeres Herzerkrankungsrisiko hatten als pessimistische (Nagourney, 2006). Eine Studie von Lebensverläufen bei Nonnen anhand ihrer Tagebuchaufzeichnungen konnte zeigen, dass diejenigen bis zu zehn Jahre länger lebten, die im Vergleich über die meisten positiven Gefühle im frühen Erwachsenenalter berichteten (Danner et al., 2001). Think positiv – denke positiv: Diese scheinbar so einfache Antwort wird sicherlich von vielen als reduktionistische Verklärung kritisiert werden. Die vorgestellten Ergebnisse zeigen jedoch, dass es vielen älteren Menschen trotz vielfältiger Veränderungen, die das Alter mit sich bringt, gelingt, diesen Lebensabschnitt positiv zu integrieren. Altern bietet vielfältige Potenziale und ist damit mehr als die Auseinandersetzung mit Verlusten. Den älteren Menschen, denen es weniger gelingt, sich mit den Schwierigkeiten in diesem Lebensabschnitt anzufreunden, ist der Hauptteil dieses Beitrags über Beratung und Therapie gewidmet.

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4. Beratung und Therapie älterer Menschen 18 Schönes habe ich erlebt – Goldfarben der Teppich des Lebens durchwebt. Auch dunkle Fäden sind manchmal dabei. Doch, wollt ich sie entfernen, der Teppich riss entzwei. (Ingeborg Albrecht)

Ältere Menschen haben es bei psychischen Problemen und Krisen deutlich schwerer, angemessene Hilfe zu finden, als Jüngere. Eine Expertise zum dritten Altenbericht der Bundesregierung bestätigte diese Einschätzung (vgl. Heuft/Schneider, 2001). Eine ältere Praxisstudie bei niedergelassenen Psychotherapeuten in Deutschland ergab, dass 89,5 % der Behandler keinen über 60-Jährigen Patienten betreuten. Über 65Jährige machten nur 0,9 % der Patienten aus, 50-59-Jährige nur 4,85 % (Deutsche Gesellschaft für Psychotherapie, Psychosomatik, Tiefenpsychologie, 1988). Die psychotherapeutische Unterstützung Älterer bleibt in Deutschland, ähnlich wie in anderen europäischen Ländern, weit hinter dem Bedarf zurück. Neuere Untersuchungen bestätigen ebenfalls die mangelhafte Situation, manche sprechen zugespitzt sogar von einer fortdauernden Behandlungsverweigerung gegenüber Alternden.19 Woran liegt es, dass ältere Menschen bei Psychotherapeuten so deutlich unterrepräsentiert sind? Verantwortlich scheinen weniger die Vorbehalte der älteren Menschen zu sein als viel mehr die der Therapeuten (Heuft/Marschner, 1994; Reimer, 2000) und der Gutachter der Krankenkassen (Hirsch/Radebold, 1994). Es scheint, dass die Behandlung älterer Menschen für viele Therapeuten uninteressant ist und dass negative Altersstereotypen auf Seiten der Therapeuten ursächlich oder verstärkend wirksam sind. Eine Grundlage hierfür liegt möglicherweise in Vorurteilen Siegmund Freuds, der postulierte, dass Ältere ab 50 mit psychoanalytischen Methoden nicht mehr behandelbar seien. Eine Ansicht, die bis heute nachzuwirken und für alle psychotherapeutischen Schulen quasi Gesetzescharakter zu haben scheint (Riehl-Emde, 2000). Dieser Sachverhalt kann durchaus als Beispiel für Altersdiskriminierung betrachtet werden, insbesondere da viele internationale Studien mittlerweile bestätigen, dass ältere Menschen genauso gut von Psychotherapie profitieren wie jüngere.20 Metaanalytische Untersuchungen von 375 Studien zeigen zudem, dass Alter kein negativer Prädiktor

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(Vorhersagefaktor) für Therapieerfolg ist (Smith/Glass, 1975; nach Heuft/Schneider, 2001). Negative Altersstereotypen dominieren häufig auch die Einstellungen der Mitarbeiter in helfenden medizinischen Berufen. Es wird oft eine Misserfolgserwartung gegenüber der Therapie älterer Menschen an den Tag gelegt, welche als negative Verstärkung in den Interaktionen zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung werden kann (Lehr, 2003). Vor allem das überholte Leitbild der Defizittheorie beeinflusst noch heute das ärztliche Denk- und Handlungssystem (Heuft et al., 2000) und sicherlich auch das anderer verwandter Berufsgruppen. Die Amerikanische Psychologische Vereinigung (APA) hat diese Probleme erkannt und Richtlinien für Psychotherapie mit Älteren vorgeschlagen (APA, 2004). Es wird in insgesamt 20 Richtlinien empfohlen, die eigenen Vorurteile in Bezug auf Ältere zu erkennen und abzubauen, da diese sonst zu verzerrenden Wahrnehmungen in der Therapie verleiten und damit ebenfalls zu Diskriminierungen führen können. Es wird weiter gewarnt, dass paternalistische Haltungen (wie beispielsweise »Die können sich doch sowieso nicht mehr verändern.«) der therapeutischen Beziehung schaden und bestätigt, dass ältere Menschen genauso gut von Psychotherapie profitieren können wie jüngere. Der ältere Mensch ist mit Fragen der nachberuflichen Identität konfrontiert, deren Entwicklung von den bestehenden Altersbildern der Gesellschaft beeinflusst wird (Peters, 2004). Komplementär zu den Vorurteilen der Experten berichten alte Menschen häufig über die Angst, im vierten Alter hilflos und abhängig zu sein, die Kontrolle über sich zu verlieren und anderen zur Last zu fallen. Erschwerend kommt hinzu, dass bei aktiven alten Menschen die Fähigkeit unterentwickelt ist, Hilfe anzunehmen, ohne dabei das Gefühl zu haben, ihre Selbstachtung und Würde zu verlieren. Es stellt sich die Frage, ob negative Altersbilder nicht, sofern sie verinnerlicht werden, Belastungsfaktoren darstellen, die ältere Menschen in bestimmten Lebenssituationen erst in Krisen hineinführen, oder anders entstandene Schwierigkeiten noch verstärken. Wenn z.B. massive körperliche Einschränkungen oder der Verlust von Aufgaben oder nahe stehenden Personen nun wirklich zu Krisen führen, könnte man sich in seinen tiefsten Befürchtungen über das Alter bestätigt fühlen. Bei psychisch erkrankten Älteren zeigt sich, dass diese das Alter mit Siechtum und Tod verbinden, das Leben jedoch mit Arbeit (Johannsen, 1992; nach Johannsen, 1999). Dieser Befund scheint nahe zu legen,

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32 | Thomas Friedrich-Hett dass zumindest Vorstellungen der Art »Wer nicht mehr arbeiten kann, hat ausgelebt« (s. auch 2.) übernommen wurden. Es kann festgestellt werden, dass die psychotherapeutische Behandlung älterer Menschen neben den Vorurteilen der Älteren sich selbst gegenüber wesentlich von der Einstellung der Therapeuten zum eigenen Altern beeinflusst zu sein scheint (Kemper, 1992). Für Beratungsprozesse dürfte sicherlich das gleiche gelten. Daher erscheint es angeraten, von Beratern, Therapeuten u.a., die mit älteren Menschen arbeiten, einen besonderen Blick auf die eigenen Altersbilder zu fordern. Es wird als eine spezielle Aufgabe der Psychotherapie im Alter erachtet, die Verwirklichung von Entwicklungspotenzialen zu fördern (Kruse, 1990). Die Identifizierung der entsprechenden Entwicklungsmöglichkeiten Älterer steckt dabei noch in den Anfängen. Die Veränderung unserer Altersbilder könnte hierzu ein wichtiger Schritt sein.

4.1 Beratung und Therapie älterer Menschen Im Folgenden sollen wichtige Prinzipien für eine erfolgreiche Beratung oder Therapie älterer Menschen vorgeschlagen werden. Die aufgeführten Behandlungs- und Beratungselemente resultieren aus den praktischen Erfahrungen des Autors (s. auch Friedrich-Hett, 2005a) und werden vor dem Hintergrund eines systemischen, kollaborativen und postmodernen Verständnisses von Therapie- und Beratungsprozessen beschrieben,21 wobei hier kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben wird. Folgende Prinzipien sollten die Zusammenarbeit mit älteren Menschen auszeichnen: • respektvolle, wertschätzende und neugierige Grundhaltung, • offene, gleichberechtigte und dialogische Gesprächsführung, • beziehungsengagierte und selbstreflexive Berater- oder Therapeutenposition (Beziehungsgestaltung), • Einbeziehung der Familien und wichtigen Bezugspersonen (familienund systemintegrierende Sichtweise), • Auftrags-, Ziel- und Zukunftsorientierung, • Entwicklung eines individuellen Verständnisses der aktuellen Problematik, unter Berücksichtigung des Lebensverlaufs (Problem- oder Krisenverständnis), • Entwicklung neuer Perspektiven mit entsprechenden Lebens- bzw. Altersbildern,

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• notwendige Aufarbeitung relevanter Krisen und Konflikte sowie Förderung von entsprechenden Verarbeitungsfähigkeiten, • Förderung von Selbstwerterleben und Selbstwirksamkeitsempfinden, • Entwicklung und Unterstützung sozialer Beziehungsnetzwerke. Grundhaltung der Berater und Therapeuten Die Grundhaltung sollte von Respekt vor dem anderen Menschen und seiner Autonomie und von einer aufrichtigen Wertschätzung geprägt sein. Aus einer Position des Nichtwissens (Anderson/Goolishian, 1992) entsteht eine freundliche und authentische Offenheit und Neugier (Cecchin, 1988) dem älteren Menschen, seiner Geschichte und seinen Überzeugungen gegenüber. Nichtwissen wird hierbei als eine alternative Haltung des Beraters oder Therapeuten verstanden, die sich insbesondere von der herkömmlichen Position des allwissenden Fachexperten unterscheidet, der bereits nach wenigen Worten immer schon weiß, um was es geht und was zu tun ist. Hiermit sollen aber nicht Erfahrungen und Ausbildungswissen abgewertet und negiert werden, vielmehr geht es um die Idee, den Kunden oder Klienten/Patienten als den wichtigsten Experten für seine Fragen, Sorgen und Probleme und auch für deren Lösungen zu verstehen. Der Berater oder Therapeut versteht sich hingegen eher als Prozessexperte, als Moderator für die Organisation von hilfreichen Veränderungsräumen. Im Mittelpunkt steht der Ansatz, Gespräche gemeinsam so zu gestalten, dass Kooperation erzeugt oder zu ihr eingeladen wird und neue Sichtweisen und Ideen hervorgebracht werden können. Dabei geht es mehr um die Art und Weise des miteinander Sprechens, des wechselseitigen Umgangs miteinander und des wechselseitigen Zuhörens, als um inhaltliches Expertentum (Deissler, 2000a). Das bedeutet aber nicht, dass der Berater oder Therapeut keine Ideen oder Lösungsvorschläge einbringen darf; nur werden vor dem Hintergrund der skizzierten Haltung alle Ideen als gleichwertig betrachtet. Was der Berater oder Therapeut über ein Problem denkt, ist eher wahr oder mehr wert als Ideen des Kunden oder Klienten. Ideen oder Gedanken sollten daher in unaufdringlicher Weise, z.B. in Möglichkeitsform, angeboten und eingebracht werden. Neugier meint aufrichtiges Interesse am anderen, in diesem Fall am älteren Menschen. Neugier impliziert Nachfragen und Rückversichern, aber auch eine besondere Form des aufmerksamen und achtsamen Zuhörens und vermittelt den älteren Menschen, dass ihre Gedanken und Erlebnisse, ihre Fragen und Sorgen hörenswert sind.

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34 | Thomas Friedrich-Hett Eine Alternative zur Neutralität, die nicht als distanzierende Abstinenz verstanden werden sollte, ist die Möglichkeit der Allparteilichkeit (Boszormenyi-Nagy, 1985), also die Idee, gleichermaßen Partei für jeden einzelnen Beteiligten zu ergreifen, indem ich mich um nachvollziehendes Verständnis für seine jeweilige Position und sein Handeln bemühe.22 Ein weiterer wichtiger Aspekt der Grundhaltung, die hier vorgeschlagen wird, ist die Idee der Vielstimmigkeit (auch »Polyphonie«, vgl. Bachtin, 1971). Es kann zwischen innerer und äußerer Vielstimmigkeit unterschieden werden. Innere Vielstimmigkeit meint unterschiedliche Gedanken und Positionen, die eine Person zu einem Thema oder einer Idee haben kann. Diese inneren Stimmen können durchaus widersprüchliche Aspekte, ambivalente Gefühle oder Betrachtungen und Überlegungen auf verschiedenen Ebenen darstellen. Äußere Vielstimmigkeit betont unterschiedliche Ideen oder Meinungen zwischen verschiedenen Personen. Vielstimmigkeit als Grundhaltung meint, dass ich mich als Berater oder Therapeut für das Einladen von Vielstimmigkeit in den äußeren, als auch in den inneren Dialogen aller Beteiligten engagiere. Gemäß dem ethischen Imperativ der systemischen Therapie (von Foerster, 1988) kann Vielstimmigkeit helfen, die Zahl der Möglichkeiten zu erhöhen und damit die Handlungsspielräume aller Beteiligten zu vergrößern. Gesprächsführung Die Gesprächsführung sollte offen und gleichberechtigt, dialogisch und prozessorientiert gestaltet sein (Anderson, 2000). Jeder, der an einem Gespräch beteiligt ist, sollte die gleichen Möglichkeiten zum Sprechen und Zuhören erhalten. Hierzu gehört eine Gesprächskultur, die auch vermeintlich Selbstverständliches mit einbezieht – zum Beispiel, dass man als Berater oder Therapeut über das Mandat für die Gesprächsführung oder Moderation, und auch über die angestrebte Form der Gesprächsgestaltung mit seinen Gesprächsteilnehmern verhandelt, den Kunden oder Klienten also quasi ein Mitbestimmungsrecht bei der Wahl der Gesprächsform anbietet (Deissler et al., 1997); dass man mit allen Beteiligten die zur Verfügung stehende Gesprächszeit bespricht; dass jeder sagen kann, worüber er selber gerne sprechen möchte und nicht nur die Fragen des Beraters oder Therapeuten beantworten »muss«; dass Grenzen von Gesprächsteilnehmern sensibel beachtet und respektiert werden. Das bedeutet nicht, dass man nicht auch sensible Themen oder vermutete Tabus ansprechen kann, nur sollte eine an-

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gemessene Art und Weise hierfür berücksichtigt werden: Gibt es für Sie ein wichtiges Thema, worüber es Ihnen schwer fallen würde zu sprechen? Wie wichtig wäre dieses Thema, um Sie gut verstehen zu können? Bis zu welchem Grad könnten wir mit unserer Zusammenarbeit ohne Kenntnis dieses Themas trotzdem erfolgreich sein? Unter welchen Umständen könnte es Ihnen gelingen, über dieses Thema zu sprechen? Müssen wir uns erst besser kennen lernen, oder brauchen Sie mehr Zeit, oder sollte die Gesprächssituation (z.B. der Ort oder die Teilnehmer) anders gestaltet sein? Müsste ich als Berater oder Therapeut ein anderes Geschlecht oder Alter haben? Wenn ich als Berater oder Therapeut vielleicht eine eigene Idee oder einen Verdacht aus dem bisherigen Gespräch heraus entwickelt habe: Mich beschäftigt ein Gedanke, bei dem ich mir nicht sicher bin, ob ich Ihnen damit vielleicht zu nahe treten könnte? Dürfte ich vielleicht auch ein für gewöhnlich sensibles Thema ansprechen? Falls ich Ihnen eine Frage stellen sollte, mit der Sie nicht einverstanden wären, wären Sie bereit, mir dies zu sagen? Wären Sie bereit mir mitzuteilen, falls ich Sie mit einer Frage unbeabsichtigt verletzen oder Ihnen zu nahe treten sollte? Die letzten beiden Fragen sind sicherlich auch grundsätzlich gut geeignet, um zu Beginn eines Gespräches einen sensiblen und respektvollen Raum zu gestalten, in dem sich Vertrauen entfalten und eine Kooperation gut entwickeln kann. Nach meinen persönlichen Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit älteren Menschen ist eine behutsame, vorsichtige und achtsame Gesprächskultur ein wichtiger Grundstein für eine fruchtbare Beziehungsgestaltung (s.a. S. 37). Ich vermute allerdings, dass dies auch von Menschen anderer Altersgruppen geschätzt werden würde. Ein wichtiger Punkt ist auch die verwendete Sprache. Als Berater oder Therapeuten haben wir häufig in Aus- und Weiterbildungen und im täglichen Austausch mit Fachkollegen verschiedene Fachsprachen erlernt, deren Verwendung uns im Alltag kaum noch auffällt. Viele vielleicht auch für Laien interessante Fachbücher werden möglicherweise aufgrund ihrer speziellen Sprache, beziehungsweise ihres besonderen Gebrauchs nur begrenzte Verbreitung finden (ob mir in diesem Beitrag ein für möglichst viele verständlicher Sprachgebrauch gelingt, sei dahingestellt …). In Gesprächen mit älteren Menschen sollten wir uns dafür sensibilisieren, Fachsprache zu vermeiden, und uns so allgemein verständlich wie möglich ausdrücken. Fachsprache wirkt distanzierend und schafft eher eine hierarchische Beziehung, denn eine gleichberechtigte. Da wir

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36 | Thomas Friedrich-Hett in unserer Kommunikation nie sicher sein können, wie das von uns gesagte bei unserem Gegenüber aufgenommen und verstanden wird, sind Rückversicherungen wichtig und notwendig. Dies sollte sowohl auf mein Verständnis meines Gesprächspartners, als auch auf das von mir Gesagte bezogen werden. Nur so kann ein gemeinsames Verständnis einer Problematik oder einer Situation (gemeinsam) erzeugt werden. Eine weitere wichtige, wahrscheinlich nicht immer ganz einfache Zutat zu unserem »Gesprächsführungsrezept« ist Humor. Wenn es gelingt in wertschätzender und angemessener Weise schwere Dinge etwas humorvoll zu betrachten, trägt dass nicht nur zu einer guten Lernatmosphäre für alle Gesprächspartner bei, sondern lädt auch mehr Leichtigkeit und Lebensfreude ein. In Gesprächen über in der Regel ernste und schwierige Themen darf auch Lachen angetroffen werden, es wird ohne Zweifel wertvoll für Erfolg und Wohlbefinden sein.

Praxisbeispiel: Ich befand mich im Gespräch mit Frau W., einer 65-jährigen verwitweten Frau, die erstmalig Patientin unserer Tagesklinik23 war und ihr Leben als eine Aneinanderreihung schwerer Schicksalsschläge erlebt hatte. Nach vielen Erfahrungen von Ausgrenzung und Anfeindung war sie anderen Menschen gegenüber sehr misstrauisch geworden. Das Gespräch gestaltete sich schwierig, da Frau W. auf praktisch alle Fragen immer nur zurückhaltend und argwöhnisch erscheinend mit »Ich weiß nicht.« antwortete. Ich fragte, wie es komme, dass sie immer nur mit »Ich weiß nicht.« antwortete – und erhielt natürlich wieder die gleiche Antwort. Darauf bot ich als Erklärung an, ob es vielleicht an meinen Fragen liegen könnte, ob diese vielleicht zu schwierig zu verstehen oder zu beantworten seien. Ein zaghaftes »Ja« war die Antwort. Ich versicherte, mich um einfachere und verständlichere Fragen zu bemühen und schlug vor, dass Frau W., falls mir dies nicht gelänge, weiter mit »Ich weiß nicht.« antworten solle. Meine Gesprächspartnerin war einverstanden. Ich fragte als nächstes, welche Frage ich ihr denn zuerst stellen sollte, und sie antwortete erneut: »Ich weiß nicht.«, worauf wir beide nach kurzem Zögern in herzhaftes Lachen ausbrachen. Das Eis war gebrochen und Gespräch und Beziehung entwickelten sich konstruktiv weiter.

Vielleicht wirkt es überflüssig, an dieser Stelle auch auf die Selbstverständlichkeit von freundlicher, höflicher Zuwendung und von korrekten Umgangsformen hinzuweisen. Aber machen wir nicht alle in unserem Alltag die Erfahrung, dass bei manchen Arztbesuchen oder bei Visiten

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in Krankenhäusern der Blickkontakt häufiger auf den Unterlagen weilt als auf uns? Oder das unser Gegenüber erst gar nicht auf die Idee kommt, auch mal aufzustehen, wenn wir den Raum betreten? Oder wie ist das mit einem freundlichem Händedruck, einem Lächeln, einem angemessenem Tonfall u.ä.? Nach meiner Erfahrung sind gerade ältere Menschen sehr sensibel in der Wahrnehmung solcher »Kleinigkeiten«, die für Aufbau und auch Aufrechterhaltung einer vertrauensvollen Form der Zusammenarbeit und einer guten Gesprächsatmosphäre nicht nur unabdingbar sind, sondern positiv formuliert auch eine warmherzige Einladung sein können, mit uns als Berater oder Therapeuten in Kontakt zu treten und uns ins Vertrauen zu ziehen. Beziehungsgestaltung Ein wichtiger Aspekt, wenn nicht sogar Dreh- und Angelpunkt in Beratungs- und Therapieprozessen, ist die Frage der Beziehung zwischen Berater oder Therapeut und Ratsuchendem (Kunde) bzw. Klient/Patient. Die Qualität dieser Beziehung gilt allgemein als ein wichtiger Wirkfaktor in der Psychotherapie-Ergebnisforschung (Grawe et al., 2001). In Aus- und Weiterbildungskontexten wird er oft unter der Überschrift »Nähe und Distanz« ›verborgen‹. Bei näherer, kritischer Betrachtung fällt meines Erachtens auf, dass die meisten »Ratschläge« oft eher Distanzierung als Annäherung in der Beziehung implizieren. So soll Abstand zur Wahrung der Objektivität eingehalten werden, um Verstrickungen ins Klientensystem zu vermeiden oder um persönliche Betroffenheit und ein sich »ausbrennen« durch zu starkes Engagement zu verhindern. Auf keinen Fall darf einen der »Fall« noch in seiner Freizeit beschäftigen, uns womöglich »nachlaufen«. Und natürlich sollte man als Berater oder Therapeut auch nichts, oder zumindest nicht viel von sich preisgeben. Die Psychoanalyse spricht von der Gefahr der Gegenübertragung: Der Prozess gerate leicht außer Kontrolle, wenn beim Berater oder Therapeuten persönliche Gefühle und Erinnerungen an eigene Erlebnisse ausgelöst werden.24 Die hinter diesen Hinweisen stehenden Grundhaltungen gehen von einer asymmetrischen Expertenhaltung aus. Kollaborativ-dialogisch orientierte oder postmoderne Praxismodelle betonen hingegen ein geteiltes Expertentum und die Gleichwertigkeit der Ideen und Wahrnehmungen aller am Prozess beteiligter Personen. Hieraus erwächst eine relationale Verantwortlichkeit, eine Verantwortung für die Beziehung, bei der die Person des Beraters oder Therapeuten nicht neutral/objektiv erhöht stehend gesehen wird, sondern als gleichberechtigter Partner in

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38 | Thomas Friedrich-Hett einem Gesprächsprozess (Hoffman, 1996). Durch beziehungsengagiertes Reflektieren (Deissler, 2000b) und Selbstreflexivität (Deissler, 1997) werden persönliche Haltung und eigene Erfahrungen des Beraters oder Therapeuten gleichberechtigt neben die Sichtweisen der Kunden/Klienten/Patienten gestellt und durch dialogische Gespräche zur Kooperation eingeladen (Anderson, 2000). Diese Haltungen und Vorgehensweisen fördern in besonderer Weise die beraterische oder therapeutische Beziehung und damit den gesamten Beratungs- oder Behandlungsprozess. Gefühle werden im systemischen und sozialkonstruktionistischen Verständnis in erster Linie als Beziehungsangebote verstanden und nicht als personenimmanenter Ausdruck innerer Zustände.25 Konkret bedeutet dies zum Beispiel, dass der Berater oder Therapeut seine Gefühle und Affekte gegenüber Geschichte und Gedanken des Kunden oder Klienten einbringen und nutzen kann. Er sollte aber eigene Gefühle und Affekte als solche kennzeichnen und sie gleichberechtigt neben Gefühle, Affekte und Ideen seiner Gesprächspartner stellen, in offener, unaufdringlicher Angebotsform. Wenn es gelingt, im Gespräch einen Austausch zu entwickeln, in dem sich gemeinsame Realitäten ko-konstruieren können, entstehen transformative Dialoge, die oft weitreichende Veränderungen ermöglichen (Gergen et al., 2003).

Praxisbeispiel: Im Rahmen einer Gesprächsgruppe einer auf ältere Menschen spezialisierten Tagesklinik26 wurde ein Beratungsgespräch mit Frau Z. vereinbart (s. auch Behandlungsbeispiel weiter unten), bei dem die Mitpatientinnen (zufällig waren es gerade nur Frauen) i.S. eines reflektierenden Teams von mir als Moderator einbezogen wurden. Inhaltlich ging es in dem Gespräch um zwei illegale Schwangerschaftsabbrüche sowie um Gewaltund Missbrauchserfahrungen durch Männer. Nachdem Frau Z. in einem Gespräch mit mir, bei dem die Mitpatientinnen nur zuhörten, über ihre traumatisierenden Erlebnisse gesprochen hatte, begann ich anschließend einen reflektierenden Gedankenaustausch mit den Mitpatientinnen, bei dem Frau Z. nur zuhörte. Es entwickelte sich eine bemerkenswert verdichtete Atmosphäre, die durch wechselseitige Betroffenheit, aber auch durch einen hohen Grad an persönlicher Resonanz gekennzeichnet war. Nach und nach erzählten fünf der neun übrigen Gruppenteilnehmerinnen von eigenen Gewalt- oder Missbrauchserfahrungen, wobei einige von ihnen noch nie darüber gesprochen hatten, auch nicht mit The-

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rapeuten oder privaten Vertrauenspersonen (also auch noch nicht mit mir). Die erinnerten Erfahrungen gingen mir sehr nah, so dass mir teilweise auch Tränen in die Augen traten. Gegen Ende der Gesprächsgruppe machte ich das Angebot, dass ich etwas aus der Perspektive eines Mannes sagen könnte, merkte aber ausdrücklich an, dass dies kein therapeutischer, sondern ein persönlicher Kommentar von mir als Privatperson sein werde. Ich schilderte meine persönliche Betroffenheit sowie meine Wut über die beschriebenen Übergriffe durch Männer und drückte aus, dass ich mich in solchen Situationen regelrecht schämen würde, ein Mann zu sein. Frau Z. gab spontan an, sie hätte nie gedacht, dass ein Mann so denken könnte und dass sie diesen Kommentar sehr wertvoll fände. Später, zum Ende der Behandlung von Frau Z., griff sie selber die geschilderte Situation noch einmal auf und beurteilte die Gesprächsgruppe insgesamt, aber auch meinen persönlichen Kommentar als eines der wichtigsten und hilfreichsten Ereignisse der Behandlung. Ich persönlich vermute, dass die bei mir erlebte starke Betroffenheit vielleicht einen wichtigen Unterschied zum Verhalten früherer Therapeuten mit empathischer, aber distanzierterer Beziehungsgestaltung für Frau Z. ausgemacht hat.

Familien und systemintegrierende Sichtweise Auf der Basis eines sozialkonstruktionistischen Weltverständnisses, bei dem angenommen wird, dass Realitäten in sozialen Beziehungen sprachlich konstruiert werden (Gergen, 2002), entspricht es dem systemischen Selbstverständnis, die Lebenssysteme der älteren Menschen in Beratungs- oder Therapieprozesse mit einzubeziehen. Unser aller Leben realisiert sich in unterschiedlichen sozialen Bezugssystemen. Das heißt, wir erleben, beschreiben und verhalten uns anders, in Abhängigkeit von unterschiedlichen Kontexten. Kontexte und Beziehungen sind wichtig für die Bedeutungserzeugung, durch sie entstehen unterschiedliche Wirklichkeiten. Wenn ich mit meinen engsten Angehörigen zusammen bin, bin ich vielleicht ein anderer Mensch (das heißt, ich erlebe, definiere und verhalte mich anders), als im Kreis meiner Arbeitskollegen oder in meinem Sportverein. Das klingt banal, kann aber in gewinnbringender Weise für Beratungs- oder Therapieprozesse genutzt werden. In den Beratungs- oder Therapieprozess sollten alle Personen mit einbezogen werden, die für den beratenden oder therapierten älteren

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40 | Thomas Friedrich-Hett Menschen wichtig oder in Bezug auf Fragestellung oder Problem relevant sind. Das heißt zunächst einmal, dass im Gespräch überlegt werden muss, wer alles eine Rolle spielen bzw. wichtig oder hilfreich sein könnte. Im Idealfall kann dann mit dem Klienten oder Kunden beziehungsweise dem Auftraggeber darüber verhandelt werden, die entsprechenden Personen zu weiteren Gesprächen (oder auch schon zum ersten Gespräch) einzuladen. Hierbei ist natürlich zu berücksichtigen, dass der betreffende ältere Mensch eine Einbeziehung weiterer Personen möglicherweise nicht nachvollziehen kann, oder aus verschiedenen Gründen nicht wünscht. Der Berater oder Therapeut sollte seine systemorientierte Sichtweise daher immer erläutern und für ein entsprechendes Vorgehen werben. Ist eine Erweiterung der Gespräche nicht möglich oder nicht gewünscht, können relevante Personen in Form von zirkulären Fragen mit einbezogen werden. Dies eröffnet den älteren Menschen die Möglichkeit, sich in andere hineinzuversetzen, oder aber sich selbst aus einer Außenperspektive zu betrachten. Beispielsweise: Was, glauben Sie, denken Ihre Partnerin oder Ihre Geschwister über diesen oder jenen Punkt? Wer sieht das so ähnlich wie Sie und wer würde Ihnen widersprechen? Von wem fühlen Sie sich verstanden und von wem wünschen Sie sich ein verbessertes Verständnis? Was denken wohl Ihre Kinder über Sie und Ihre Situation? Familiäre Beziehungen sind zumeist gerade älteren Menschen besonders wichtig. Daher stellt sich die Frage, ob ältere Menschen überhaupt aus ihren sozialen Kontexten losgelöst betrachtet werden sollten (Weakland/Herr, 1984). Familie und relevante soziale Systeme zu berücksichtigen und mit in den Prozess einzubeziehen hilft von vornherein, den Gesprächsfokus zu erweitern, die Lebenssituation besser und umfassender einzuschätzen, sowie Vielstimmigkeit (und zwar äußere und innere) einzuladen (Gergen, 2002). Es geht dabei nicht darum, mehr objektive Informationen im Sinne einer Fremdanamnese einzuholen. Wichtiger erscheint die Idee, mehr subjektive Sichtweisen und Erklärungen zu relevanten Fragen zu gewinnen und diese dann besprechen und vergleichen zu können. Häufig entsteht so mehr Zuwendung und Unterstützung, Probleme können sich relativieren, alle fühlen sich besser verstanden, Hoffnung und Mut keimen auf.

Praxisbeispiel: Siehe die Beispiele von Frau T. und Herrn O., S. 46 u. S. 51.

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Auftrags-, Ziel- und Zukunftsorientierung Ein weiterer wichtiger Bereich, der auch eher am Beginn eines Gespräches stehen sollte, ist die Frage nach den Zielen der Beratung oder Therapie und nach dem Auftrag an den Berater oder Therapeuten. Gespräche über Ziel und Wünsche der Kunden oder Klienten eröffnen eine Zukunftsorientierung und können zum Erleben von Selbstverantwortlichkeit beitragen. Ältere Menschen, denen es gelingt, sich Ziele zu setzen und zuversichtlich in die Zukunft zu blicken, weisen ein höheres Gefühl von Selbstkontrolle und Selbstwertschätzung auf und sind weniger enttäuscht und depressiv (Mönks et al., 1995). Unrealistisch erscheinende Anliegen können hierbei im Sinne des geteilten Expertentums besprochen und verhandelt werden. Positive Zukunftsentwürfe entfalten Hoffnung, Energie und Motivation, während fehlende Perspektiven zu innerem Rückzug und Depression führen können. Dass es hierzu auch der Entwicklung positiver Altersbilder bedarf, wurde bereits erläutert. Ein gutes Beispiel für die oftmals nützliche Wirkung von Gesprächen über Wünsche und positive Zukünfte kann aus der tagesklinischen Behandlung von Herrn P.27 berichtetet werden (s. Schilderung S. 48).

Praxisbeispiel: In einem Paargespräch mit Nutzung eines offenen Reflektierenden Teams28 konnte ein Austausch über Lebensträume und Visionen entwickelt werden. Herr P. beschrieb eine neu entstandene Zukunftsvision, in der er gerne zusammen mit seiner Frau seinen Ruhestand auf Sri Lanka verbringen und dort besser malen lernen und damit in Ruhe und Frieden seine Zeit ausfüllen würde. Herr P. schätzte die Wahrscheinlichkeit, diese Wünsche umsetzen zu können, im Gespräch noch als sehr gering ein. Im Gedankenaustausch des Reflektierenden Teams entstand ein lebhaftes und vielstimmiges Gespräch über Träume, deren Realisierungschancen und das Älterwerden. Einige Wochen nach dem Ende unserer Behandlung berichtete Herr P. davon, dass er und seine Frau Anträge auf vorzeitige Berentung gestellt und bewilligt bekommen hatten. Sie hatten geplant, für sechs Monate nach Sri Lanka zu verreisen und zukünftig ihr Leben im halbjährlichen Wechsel in Deutschland und in ihrem Geburtsland zu verbringen. Das erwähnte Paargespräch hatte das Ehepaar deutlich ermutigt und in ihren zuvor vagen Träumen unterstützt. Kürzlich erhielt der Autor eine Postkarte aus Sri Lanka mit Grüßen von einem dankbaren und glücklichen Ehepaar P.

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Praxisbeispiel: Die 85-jährige Frau D.29 kam mit Zungenbrennen (Glossodynie) sowie erheblicher Seh- und Hörbehinderung zur Behandlung in eine psychosomatische Klinik; sie kam in Begleitung einer Betreuerin, die sie selbst bezahlte – sie hatte keine Pflegestufe beantragt – und von der sie ganz abhängig war. Zu Hause litt sie besonders unter ihrer Einsamkeit, in der das Zungenbrennen schlimmer wurde. Der Kontakt mit ihr war anstrengend, hatte sie doch ihr Hörgerät nicht mitgebracht: Sie hasse dieses Gerät, es tauge nichts. Dennoch klagte sie darüber, keinen Kontakt mehr zu bekommen und sich ausgeschlossen zu fühlen; in ihr schienen die Kräfte stärker zu sein, die sie ganz in ihre abgeschiedene Welt zogen. Sie gestand, dass sie jeden Tag hoffe, nicht mehr aufzuwachen. Sie beneide Hannelore Kohl, die sich gerade das Leben genommen hatte. Den Mut dazu bringe sie jedoch nicht auf. Sie fragte den Therapeuten, ob er ihr nicht eine Spritze geben könne, um ihrem Leben ein Ende zu setzen – wohl wissend, dass dies nicht möglich ist. Sie konnte sich keine Zukunft vorstellen, erwähnte die schönen Urlaube, die sie früher gemacht habe, und den Tod ihres Mannes vor 15 Jahren, über den sie nie hinweggekommen sei. Sie hing nostalgisch an ihrer Vergangenheit, empfand die Gegenwart als unerträglich und hatte keine Zukunftserwartung, welche die Gegenwart annehmbar hätte erscheinen lassen. So war sie nicht in der Lage, sich eine erträgliche Gegenwart zu schaffen.

Manchmal fällt es älteren Menschen (jüngeren übrigens oft genauso) schwer, Ziele zu benennen, was Berater oder Therapeuten zuweilen sehr irritiert. Hier empfiehlt es sich, nach der genauen Entstehungsgeschichte des Gespräches oder der Behandlung zu fragen. Können sie mir die Geschichte erzählen, die dazu geführt hat, dass wir uns heute gegenüber sitzen? Wer hatte die Idee zu diesem Kontakt, wer hat diese Idee befürwortet und wer war eher skeptisch? Es kann durchaus vorkommen, dass mein Gesprächspartner den Kontakt seinem Lebenspartner zuliebe gesucht hat, oder von seinen Kindern zu diesem Schritt gedrängt wurde. Steve de Shazer (1989) schlägt hier eine Einteilung vor, die insbesondere bei der Frage der Auftrags- oder Zielklärung sehr hilfreich sein kann. Er unterscheidet zwischen Kunden, Klägern und Besuchern. Kunden haben ein konkretes eigenes Interesse an dem Gespräch, Kläger wünschen sich implizit, dass ihnen jemand zuhört und Verständnis für ihre Beschwerden entgegenbringt, und Besucher sind nur jemand anderem zuliebe da oder als Begleitung mitgekommen. Weiterführend kann natürlich die Frage

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gestellt werden, ob es im Gespräch gelingen kann, Besucher oder Kläger dazu einzuladen, ebenfalls zu Kunden zu werden. Bei Fragen nach Zielen oder Anliegen an die Beratung oder Therapie kann es sich als hilfreich erweisen, zwischen Inhalt (z.B. »Was soll Thema der Gespräche sein?«), Form (z.B. »Wie sollen die Gespräche gestaltet sein?«) und Ergebnis (z.B. »Was wünschen Sie sich als Ergebnis unserer Gespräche?«) zu unterscheiden (Deissler et al., 1997). Folgende Fragen können für diesen Aspekt beispielhaft vorgeschlagen werden: • Was wäre für Sie ein gutes Ergebnis unseres heutigen Gespräches, was wäre ein gutes Ergebnis des gesamten Beratungs- oder Behandlungsprozesses? Woran würden Sie merken, dass wir uns Ihrem Ziel nähern, oder es erreicht haben? Was wäre dann für Sie anders? Was wäre für andere für Sie wichtige Menschen (am besten ist es hier, Personen konkret zu benennen) anders? Interessante und vielfältige kreative Möglichkeiten bieten hier (wie natürlich auch an anderen Punkten im Gespräch) auch die so genannten Skalierungsfragen (s. z.B. Vogt-Hillmann et al., 1998): • Auf einer Skala von 0 bis 100, wenn 100 das vollständige Erreichen Ihres Ziels darstellt: An welcher Stelle befinden wir uns jetzt? Was müsste sich verändern, damit Sie sich Ihrem Ziel z.B. von 20 bis auf 50 nähern könnten? Woran würden Sie merken, wenn wir uns Ihrem Ziel bis auf 50 genähert hätten? Auf einer Skala von 0 bis 100: Wie zuversichtlich sind Sie, das wir Ihr Ziel erreichen, Ihren Wunsch erfüllen können? Wie lange werden wir wohl dafür brauchen? Wie realistisch ist es, dass wir dieses Ziel erreichen können? Wodurch könnte Ihre Zuversicht erhöht oder das Erreichen des Ziels realistischer werden? Im Verlaufe eines oder mehrerer Gespräche können sich Wünsche oder Ziele selbstverständlich auch verändern. Man kann sich ihnen direkt oder auf Schleichwegen nähern oder auf Abwege geraten. Hier empfiehlt es sich regelmäßig (vielleicht einmal pro Gespräch, oder wann immer man als Berater oder Therapeut unsicher über den eingeschlagenen Weg ist) nach einer Kurs- oder Zielbestätigung zu fragen: • Sind wir mit dem, was wir besprechen, auf einem guten Weg? Können Ihnen die heutigen Fragen helfen, sich Ihrem Ziel zu nähern?

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44 | Thomas Friedrich-Hett Sind wir noch bei dem Thema, das Sie besprechen wollten, oder beschäftigen wir uns mit Nebenthemen? Hat das von Ihnen formulierte Ziel mittlerweile noch die gleiche Wichtigkeit oder Bedeutung? Haben wir uns Ihrem Ziel schon nähern können? Bei Fragen nach Zielen und Wünschen kann es häufiger vorkommen, dass von den älteren Menschen ein Nicht-Problem genannt wird, z.B. ich möchte keine Angst mehr haben, oder ich möchte keinen Streit mehr mit meinem Partner haben. Diese Formulierungen implizieren aber immer noch das Negative, Nicht-Gewünschte und tragen zudem zu einer Fokussierung auf Negatives oder Problematisches bei. Hilfreicher könnte es sein, positive Formulierungen zu finden. Wichtig erscheint auch, Folgen einer möglichen Zielerreichung zu überdenken. Zum einen kann hierdurch das Ziel noch einmal überprüft werden, zum anderen können hierdurch erste Handlungsideen und Impulse entstehen. Wege hierhin können folgende Fragen sein: • Was möchten Sie stattdessen (vielleicht Vertrauen anstelle von Angst, oder Gelassenheit anstelle von Streit)? Was wäre ein Gegenpol für das Problem? Wann tritt das Problem nicht auf, und was ist dann anders? Wenn das Problem durch ein Wunder gelöst würde, was wäre dann anders, was würden sie dann als erstes tun, wie würden sie sich fühlen? Was hätte in der Vergangenheit anders sein müssen, damit ihr Problem heute nicht da wäre? Was wird anders sein, wenn sie ihr Ziel erreicht haben? Wer wird davon noch alles profitieren, und könnte es auch Nachteile für irgendjemanden geben? Nicht selten haben Berater oder Therapeuten auch eigene Aufträge (Selbstaufträge)30 an sich, die dann implizit den Gesprächsprozess beeinflussen. Sie können, solange sie unausgesprochen und unverhandelt bleiben, zu Missverständnissen und Problemen im Prozess führen, die nicht selten als mangelnde Motivation oder fehlende Kooperation des Kunden oder Klienten ausgelegt werden. Hier sollte der Berater oder Therapeut im Sinne der Selbstreflexivität sensibel in sich hinein horchen und entsprechende Ideen gegebenenfalls als gleichberechtigte Angebote in das Gespräch einbringen. Problem- oder Krisenverständnis Um Anliegen und Befinden von älteren Kunden oder Klienten nachvollziehen zu können, erscheint es wichtig, ihr momentanes Lebensge-

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fühl zu reflektieren. Wie erläutert, macht es Sinn, dies unter Einbeziehung ihrer sozialen Bezugsysteme und Lebensgeschichten zu tun, da Wahrnehmungen und Wahrheiten soziale Konstruktionen sind und Probleme oft durch soziale Bewertungen entstehen. Dies geht einher mit der Auffassung, dass es keine objektive Realität oder Wahrheit geben kann. Erklärungen werden als subjektive Positionen, die in bestimmten Beziehungen und Kontexten konstruiert werden, betrachtet. In klinischen Kontexten, also beispielsweise in der Position des Psychologen einer gerontopsychiatrischen Tagesklinik, oder in der Position eines niedergelassenen Arztes (egal ob nun Hausarzt oder Psychiater) oder Psychotherapeuten, verlangt die soziale Vereinbarung mit den Krankenkassen, dass eine Diagnose vorliegen muss, wenn die Behandlungskosten von der Krankenkasse übernommen werden sollen. Wenn bestimmte, definierte Bedingungen vorliegen, wird aus den geschilderten Positionen heraus beispielsweise eine Depression diagnostiziert. Die Krankenkasse erlaubt dann den Einstieg in die entsprechenden klinischen Behandlungssysteme, zum Beispiel die Aufnahme in eine gerontopsychiatrische Tagesklinik, oder den Beginn einer ambulanten Psychotherapie. Aber was dann? Wenn die Depression als unumstößliche Wahrheit betrachtet wird, ist der Fortgang für den Therapeuten klar: Verordnung von antidepressiven Medikamenten und Beginn bestimmter Therapieverfahren sowie Aufklärung über Erkrankung und Ursachen. Ein sozial-konstruktionistisches Verständnis bietet dem gegenüber weitaus größere Freiheits- und Handlungsgrade. Die Depression wird nur als eine von vielen Beschreibungsmöglichkeiten betrachtet. Wie sieht der betreffende ältere Mensch seine aktuelle Situation, welche Erklärung hat er, welche Erklärungen haben die anderen relevanten Personen für Probleme oder Beschwerden? Unter welchen Umständen, zu welchem Zeitpunkt, in welcher Lebenssituation haben sich die Probleme oder Beschwerden entwickelt? Können sie nur als Krankheit oder Alterserscheinung verstanden werden, oder vielleicht auch als Reaktion auf Veränderungen, als Trauer- oder Ablösungsprozess, oder als Verunsicherungs- und Orientierungsphase? Oder als was noch? Es ist nahe liegend, dass unterschiedliche Problemverständnisse unterschiedliche Auswirkungen auf die betreffenden älteren Menschen haben. Wird z.B. eine verschlechterte Konzentrationsfähigkeit als nahezu unveränderbare Alterserscheinung oder gar als beginnende Demenz betrachtet, resultiert vielleicht Verzweiflung und Hilflosigkeitserleben. Wird sie als In-sich-gekehrt-sein in Folge von Traurigkeit nach Verlust eines geliebten Menschen verstanden, löst dies vielleicht Verständnis

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46 | Thomas Friedrich-Hett und Mitgefühl aus. Es macht also Sinn, sich nach den entsprechenden Erklärungen der Betroffenen zu erkundigen und sich über diese offen auszutauschen. Kann eine Problemerklärung als eine mögliche unter vielen verstanden werden, erzeugt dies oft schon eine große Entlastung und bildet möglicherweise einen Ausgangspunkt für weitere Veränderungen.

Praxisbeispiel: Frau T. kam im Alter von 76 Jahren erstmalig zur Behandlung in unsere Tagesklinik.31 Sie hatte sich aufgrund zunehmender Vergesslichkeit, Konzentrationsstörungen und Unruhezuständen an einen Nervenarzt gewandt, dieser hatte in Untersuchungen keine Hinweise auf eine Demenzerkrankung finden können. Der Ehemann von Frau T. war jedoch von einer Alzheimer-Erkrankung seiner Frau überzeugt, weshalb er den Hausarzt zu einer medikamentösen Behandlung mit einem Antidementiva überredete. Bei zunehmender Unsicherheit und »Verfallsängsten« ließ sich Frau T. schließlich auf eine Klinikeinweisung ein. In Gesprächen und Therapien zeigt Frau T. sich zunächst überwiegend verschlossen, zum Teil auch überfordert erscheinend. Ihre Gedanken drehten sich ausschließlich um ihre vermeintlichen Leistungsdefizite, so dass wir bald eine ausführliche neuropsychologische Testdiagnostik vornahmen. Die guten und unauffälligen Ergebnisse erleichterten Frau T., ihre Beschwerden besserten sich innerhalb weniger Tage, so dass sie bald die Behandlung beenden wollte. Wir vereinbarten, noch ein abschließendes Familiengespräch in Form eines Hausbesuchs zu führen, an dem der Ehemann und die beiden Söhne teilnahmen. Im Gespräch offenbarten alle vier Beteiligten unterschiedliche Erklärungen (man könnte auch sagen: subjektive Wahrheiten) für die aufgetretenen Beschwerden von Frau T. Der Ehemann beschrieb schon seit Jahren Verhaltensveränderungen zu beobachten, für die er trotz gegenteiliger Befunde eine beginnende Alzheimerdemenz verantwortlich machte, da er so etwas schon mal gesehen hatte. Der älteste Sohn sprach von Ehekonflikten und einer Alkoholproblematik des Vaters, der jüngste Sohn machte eine Nachbarschaftsproblematik und eine endogene Depression32 verantwortlich. Frau T. selber erinnerte sich an eine Kniegelenksoperation mit anschließenden Ängsten vor Mobilitätsverlust und Vereinsamung und an den vom Ehemann vor einigen Jahren zurückgewiesenen Wunsch, in die Nähe ihrer beiden Schwestern in eine andere Stadt umziehen zu wollen.

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Diese kurze Zusammenfassung zeigt, wie unterschiedlich Lebenssituationen betrachtet werden können und wie daraus unterschiedliche Realitäten entwickelt werden. Ohne Einbeziehung des familiären Bezugssystems hätte sicherlich die Gefahr eines sehr einseitigen Verständnisses bestanden. Was zu Problemen, Krisen oder seelischen Nöten führen kann, ist natürlich für jeden Menschen unterschiedlich und individuell verschieden. Aus der Zusammenarbeit mit älteren Menschen lassen sich dennoch Situationen und Erfahrungen ableiten, die häufiger seelische Krisen auszulösen scheinen. Hierzu gehören Todesfälle in Familie oder sozialem Bezugskreis, eigene Erkrankungen und Funktionseinbußen, Erkrankungen anderer nahe stehender Personen, Belastungen durch Pflege von Angehörigen, Ängste vor Pflegebedürftigkeit, Abhängigkeit und Einsamkeit (die sich häufig hinter der Formulierung »Zukunfts-« oder »Altersängste« verbergen), Konflikte in der Familie, Verlust von Aufgaben und Kontakten durch den Berufsausstieg, reaktivierte Traumatisierungen aus früheren Lebensabschnitten, finanzielle Probleme u.a. Lebenshaltung und Altersbilder Eine wichtige Frage in der Beratung oder Therapie älterer Menschen ist die nach ihrer Lebenshaltung und ihren Altersbildern – und damit auch danach, welche Zukünfte und Erwartungen an die verbleibende Zeit bestehen. Für den Gesprächsprozess und die Arbeitsbeziehung macht es wichtige Unterschiede, ob jemand beispielsweise sein bisheriges Leben als eine Aneinanderreihung von Schicksalsschlägen oder als bunt gemischten Teppich betrachtet; ob jemand sich mit schwerer Lebensschuld belastet sieht oder zufrieden »sein Werk« betrachten kann; oder ob jemand seine Berentung als Befreiung von Verpflichtungen und als Möglichkeit zur Renaissance betrachtet, oder als Eintritt in einen unaufhaltsamen Altersverfall, in dem er für andere nur noch zur Last wird. Welche Auswirkungen solche Altersbilder sowohl im Positiven als auch im Negativen haben können, wurde in dieser Ressource bereits hinreichend beschrieben. Folgende Fragen für den Beratungs- oder Therapieprozess können hier einen Einstieg in diese Thematiken anbieten: Was ist Ihnen wichtig im Leben? Wie ist Ihr bisheriges Leben verlaufen? Was waren wichtige Ereignisse? Worauf sind Sie stolz? Gab es schwere Erschütterungen? Haben Sie ein Lebensmotto? Wenn Sie eine Biografie über sich schreiben würden, wie sollte dann der Titel lauten? Was denken Sie über Ih-

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48 | Thomas Friedrich-Hett ren Berufsausstieg (sofern es einen gab)? Wie denken Sie über das Älterwerden? Gibt es bei Ihnen Veränderungen durch das Älterwerden? Wenn ja, welche Einschränkungen haben Sie bemerkt und welche Gewinne haben Sie entdeckt? Welche Annahmen haben Sie über das Altern von Männern und Frauen? Welche wichtigen Erfahrungen haben Sie mit älteren Menschen gemacht? Gibt es für Sie Altersvorbilder? Haben Sie bestimmte Befürchtungen oder Ängste im Zusammenhang mit dem Älterwerden? Wie wird Ihr Leben in fünf, in zehn Jahren aussehen? Was sind Ihre Wünsche für die Zukunft und wie können Sie zu ihrer Realisierung beitragen? Wie alt werden Sie wohl werden? Wie alt möchten Sie gerne werden? Lebenshaltung und Altersbilder werden bei älteren Menschen nicht selten durch religiöse oder spirituelle Vorstellungen beeinflusst. Daher sollte nicht versäumt werden, sich auch nach entsprechenden Vorstellungen und Bildern zu erkundigen. Ideen über ein Leben nach dem Tod, über Sünde und Hölle oder das Streben nach spiritueller Erfüllung und Selbstverwirklichung haben erheblichen Einfluss auf den Blick in die Zukunft.

Praxisbeispiel: Der 57-jährige, aus Sri Lanka stammende Herr P. hatte im Zusammenhang mit beruflichen Überlastungs- und Kränkungssituationen schwere Depressionen mit ausgeprägten Versagensängsten, Zukunftssorgen und Schlafstörungen entwickelt und einen Selbstmordversuch unternommen. Während insgesamt drei tagesklinischen Behandlungen33 zeigte sich, dass Ängste vor dem Älterwerden eine große Rolle spielten. In den letzten Jahren waren bei Herrn P. ein erhöhter Blutdruck (arterielle Hypertonie) sowie Verschleißerscheinungen in den Kniegelenken und im Rücken festgestellt worden. Ängste vor körperlichen Verfallsprozessen und vor einem Schlaganfall wurden für ihn zunehmend zur Gewissheit eines unausweichbaren Schicksals. Herr P., der beruflich als Hilfspfleger auf einer geriatrischen Station täglich mit pflegebedürftigen älteren Menschen konfrontiert war, sah sich bereits wie seine Pflegepatienten einsam und verlassen im Rollstuhl dahinvegetieren. Die Förderung von neuen, positiven Altersbildern hatte einen großen Anteil am Erfolg der letztendlich positiven Entwicklung von Herrn P. (s. auch S. 41).

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Praxisbeispiel: Die 59-jährige Frau J.34 kam mit unterschiedlichen körperlichen Beschwerden und hypochondrischen Befürchtungen sowie erheblicher innerer Unruhe und reduziertem Antrieb zur Behandlung in eine psychosomatische Klinik. Ihre ganze Aufmerksamkeit richtete sie auf dieses körperliche Geschehen, das sie unentwegt beobachtete, als ob sie ihren Körper keinen Augenblick aus den Augen lassen könnte. Sie selbst war seit vier Jahren nach einer Angestelltentätigkeit pensioniert, ihr Mann seit sieben Jahren. Er habe sich auf ein neues Leben eingestellt und komme gut zurecht, was sie offensichtlich mit Neid beobachtete. Ihr selbst hatten Befürchtungen und Zukunftsängste jegliche Lebensfreude genommen. Bald wurde deutlich, dass sie noch während des stationären Aufenthalts 60 Jahre alt wurde und dieses Ereignis für sie eine besondere Bedeutung hatte. Die Mutter war mit 60 Jahren depressiv geworden und verbrachte danach die meiste Zeit in psychiatrischen Kliniken, zwei Schwestern erkrankten mit 60 an Krebs und waren bereits verstorben, so dass auch sie befürchtete, schicksalhaft den gleichen Weg gehen und die Hoffnung auf ein vitales und aktives Alter aufgeben zu müssen.

Wenn es uns im Gesprächsprozess gelingt, Lebens- oder Altersbilder zu fördern, welche für die Klienten oder Kunden neue Perspektiven beinhalten, hilft dies, eine positive Zukunftsorientierung zu entwickeln und trägt wesentlich zum Erfolg des Beratungs- oder Therapieprozesses bei. An dieser Stelle sollte aber auch angemerkt werden, dass insbesondere die Frage der persönlichen Altersbilder eine ist, die sich auch Berater oder Therapeuten stellen sollten (Kruse, 1990). Denn wie bereits erläutert, wirken sich negative Vorstellungen von Beratern oder Therapeuten über ältere Menschen und das Altern ungünstig auf den Prozess und die beteiligten Menschen aus. Wer selber negative Ansichten über die zu erwartende Entwicklung im Alter hat, kann sicherlich nur schwer positive Altersbilder entwickeln helfen. Hier ist daher für den Berater oder Therapeuten eine besonders sensible Selbstwahrnehmung (Selbstreflexivität) erforderlich, um mögliche Stolpersteine von vornherein zu umgehen. Notwendige Aufarbeitung relevanter Krisen und Konflikte35 In Beratungs- oder Therapieprozessen kann es sich als notwendig erweisen, aktuelle oder vergangene reaktivierte Konflikte, Belastungen

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50 | Thomas Friedrich-Hett oder Traumata psychotherapeutisch zu bearbeiten (Kruse, 1990). Beratungsprozesse können hier, abhängig von institutionellem und situativem Kontext und Auftrag, an ihre Grenzen gelangen, die dann auch offen gelegt werden sollten. Ideen zur Aufarbeitung relevanter Krisen und Konflikte werden natürlich stark durch das Problem- oder Krisenverständnis aller relevanten Beteiligten sowie durch eine Auftrags-, Ziel- und Zukunftsorientierung beeinflusst. Auch Lebens- und Altersbilder spielen eine wichtige Rolle. Das Erleben und Handeln der älteren Menschen kann dabei oft durch Bezug aktueller Ereignisse zu lebensgeschichtlichen Erfahrungen und der persönlichen Biografie besser verstanden werden. Verständnis und Bewertung relevanter Situationen und Ereignisse erweitern sich auch durch zirkuläre Betrachtungen der relevanten Beziehungen. Die Neu- oder Umbewertung bedrückender Lebensereignisse kann sehr entwicklungsfördernd sein (Kruse, 1990) und belastungsauflösend wirken. Die Idee, unterschiedliche Verstehensperspektiven im Sinne der Vielstimmigkeit zu entwickeln, kann hierzu hilfreiche Beiträge leisten. Die Einbeziehung relevanter Bezugspersonen und die Nutzung eines reflektierenden Teams (Andersen, 1990) in Form von offenen Dialogen ermöglicht häufig einen Blick auf die Vielzahl möglicher Erklärungen und Bedeutungszuschreibungen verschiedener wichtiger Situationen und erlaubt damit z.B., Schuldgefühle oder Schuldzuweisungen zu relativieren oder aufzulösen. Der Gesprächsatmosphäre und der Form der Gesprächs- oder Prozessgestaltung kommen dabei meines Erachtens ebenso wichtige Rollen zu wie den Beziehungsangeboten des Beraters oder Therapeuten. Eine Position des Nichtwissens (s. »Grundhaltung«, S. 33) verbunden mit der Haltung eines gemeinsamen Lernprozesses und einer Prozessgestaltung, bei der wechselseitiges Sprechen und Zuhören in einem respektvollen und wertschätzenden Raum koordiniert werden können, macht Interventionen im Sinne von weiterreichenden Eingriffen oft verzichtbar. Ein gemeinsam erarbeitetes (konstruiertes), verändertes Verständnis von negativen Schlüsselsituationen und wichtigen Beziehungen führt oft schon zu weitreichenden Entlastungen und Veränderungen. (Aus verhaltenstherapeutischer Perspektive könnte man hier vielleicht von erfolgreicher kognitiver Umstrukturierung sprechen.) Untersuchungen zu Bewältigungsmechanismen konnten zudem zeigen, dass Erinnerungen an frühere Erfolge oder an überstandene Schwierigkeiten sehr hilfreich bei der Bewältigung von Schwierigkeiten im Alter sind (s. auch S. 27). Eine Lösungs- und Ressourcenorientierung scheint also eine hilfreiche Unterstützung zu sein.36 Dies deckt

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sich mit Überlegungen der Psychotherapieforschung, die Aktivierung der Ressourcen der Klienten als ein wichtiges Wirkprinzip betrachtet (Grawe/Grawe-Gerber, 1999). Die Unterstützung der älteren Menschen bei der Aufarbeitung relevanter Krisen und Konflikte fördert die Entwicklung von Konflikt- oder Krisenverarbeitungsfähigkeiten, was den Kunden oder Klienten in seiner Autonomie unterstützt und ihm im günstigsten Fall hilft, bei zukünftigen Konflikten oder Krisen besser zurechtzukommen. Therapeutische Hilfe bekommt damit gleichzeitig den Charakter von präventiver Unterstützung. Es bestehen auch enge Wechselwirkungen zwischen der Aufarbeitung von Krisen und Konflikten und der Förderung von Selbstwirksamkeit (s. unten). Eine Studie mit älteren Witwen und Witwern, die kürzlich ihren Lebenspartner verloren hatten, konnte zeigen, dass erlebte Selbstwirksamkeit wichtig für die Verarbeitung von Verlusten ist und spätere Lebenszufriedenheit und Lebensqualität vorhersagen kann (Fry, 2001). Das folgende Behandlungsbeispiel verdeutlicht aus meiner Sicht nicht nur die Notwendigkeit, relevante Belastungsfaktoren aufzuarbeiten, sondern belegt auch den häufig unmittelbaren Gewinn eines familien- und systemeinbeziehenden Vorgehens.

Praxisbeispiel: Der 69-jährige Herr O. litt seit dem Tod seiner Ehefrau vor sieben Jahren an schweren Depressionen, Schlafstörungen und panikartigen Atemnotanfällen. Seine Frau war nach einer Herzoperation unerwartet im Krankenhaus verstorben. Herr O. fühlte sich seit diesem Ereignis erstarrt, er beschrieb, nicht weinen und trauern zu können und praktisch jede Lebensfreude verloren zu haben. Ambulante nervenärztliche Behandlungen hatten Herrn O. nicht wirklich helfen können, weshalb er auf Vorschlag einer befreundeten Nachbarin in Absprache mit seinem Arzt zu uns in tagesklinische Behandlung kam.37 Herr O. hatte als angelernte Kraft 30 Jahre bei einem Busunternehmen gearbeitet und war vor zwölf Jahren aus gesundheitlichen Gründen frühverrentet worden. Seit dem Tod der Ehefrau hatte er sich sozial zurückgezogen, selbst zu seinen drei Söhnen bestand nur noch sporadischer Kontakt, zu einem von ihnen war der Kontakt vor einem Jahr komplett abgebrochen. In therapeutischen Gesprächen während der tagesklinischen Behandlung entstand zunächst die Idee, Herrn O. bei Abschied und Trauerarbeit in Bezug auf seine verstorbene Frau zu unterstützen. Durch Gespräche, kreativ-

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gestalterische und erlebnisorientierte Verfahren (s. hierzu S. 71ff.) konnte Herr O. allmählich seine unterschiedlichen Gefühle ausmachen und ihnen zaghaft im geschützten Rahmen Raum geben. Er begann, eine kirchliche Trauergruppe zu besuchen, und konnte schließlich seiner Frau einen Abschiedsbrief schreiben, wobei es ihm erstmals gelang, um seine Frau zu weinen. Sein Befinden begann sich zu bessern, es zeigte sich jedoch, dass es mindestens noch ein weiteres wichtiges Thema zu bearbeiten gab, nämlich die konfliktbeladenen Kontakte zu seinen Söhnen. Ich führte ein Familiengespräch im Rahmen eines Hausbesuchs durch, an dem alle für Herrn O. relevanten Bezugspersonen teilnahmen (alle drei Söhne, erwähnte Nachbarin, sowie eine Schwester der verstorbenen Frau nebst Ehemann). Im Gespräch wurde deutlich, dass es zwischen Herrn O. und seinen Söhnen über Jahre verschiedene unausgesprochene Kränkungen und Missverständnisse gegeben hatte, die zum Teil auf unterschiedliche Trauer- und Abschiedsrituale zurückgeführt werden konnten. Es gelang, wichtige Situationen zu benennen und zu besprechen und ein verbessertes wechselseitiges Verständnis zu fördern. Nach diesem Gespräch beschrieb Herr O. deutlich verbesserte Kontakte in der Familie, er fühlte sich wieder verstanden und geschätzt. Einige Zeit später konnte Herr O. unsere Behandlung mit neuem Lebensmut und gut gebessertem Befinden verlassen. Zuvor hatte er mit unserer Hilfe noch Kontakte zu verschiedenen Seniorengruppen aufgenommen (s. Fortsetzung des Praxisbeispiels unter: Entwicklung und Unterstützung sozialer Beziehungsnetzwerke, S. 55).

Förderung von Selbstwerterleben und Selbstwirksamkeitsempfinden Die Aufarbeitung von relevanten Krisen und Konflikten ist eine wichtige Maßnahme, die auch Selbstwerterleben und Selbstwirksamkeitsempfinden unserer Kunden oder Klienten fördert; ebenso die erwähnte Förderung von Konflikt- oder Krisenverarbeitungsfähigkeiten, da sie zu einem verbesserten Kompetenzgefühl beitragen kann. Zwischen den genannten Punkten bestehen zweifelsohne enge Wechselwirkungen. Zur Förderung von Selbstwerterleben und Selbstwirksamkeitsempfinden ist häufig eine alltagsorientierte und pragmatische Handlungsorientierung hilfreich. Krisen und Konflikte führen nicht selten zu Einbußen von Handlungskompetenzen und Leistungsschwächen im Alltag. Hieraus können schnell sich selbst verstärkende, negative Kreisläufe

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werden, die in Mutlosigkeit, Selbstwertzweifeln und Depressionen münden können. Überlegungen, wie kleinere Alltagsdefizite wieder ausgeglichen und Handlungserfolge erreicht werden können, führen oft schnell zu ersten Erfolgen und verbessern Selbstwertgefühl und Stimmung. In klinischen Kontexten leisten Pflegekräfte, Ergotherapeuten, Sozialarbeiter und Sporttherapeuten oft wichtige Unterstützung hierfür, da sie den älteren Menschen alltagsbezogen zu kleinen Erfolgserlebnissen verhelfen. Aber auch in ambulanten, beraterischen und ehrenamtlichen Kontexten können Alltagsressourcen einfach gefördert werden. Haushaltsund Alltagsgestaltung, aber auch Kontaktförderung und Freizeitplanung sind in diesem Sinne wichtige Themen. Gespräche darüber, wie sich die älteren Menschen mögliche Veränderungen oder Verluste von Alltagsfähigkeiten erklären und wie sie diese bewerten, sind ebenfalls hilfreich und notwendig. Ob ich Verständnis für mich in meiner Situation entwickeln kann, oder ob ich Veränderungen als Schwäche oder Versagen interpretiere, macht für mein Selbstwerterleben und mein Selbstwirksamkeitsempfinden wichtige Unterschiede. Wichtige Ideen können auch dem lösungsorientierten Ansatz von Steve de Shazer entliehen werden. In diesem Ansatz wird angenommen, dass jedes System bereits über alle Ressourcen zur Lösung seiner Probleme verfügt, sie nur aktuell nicht nutzt. Es wird auf Ausnahmen von Problemen (z.B.: Was machen Sie als Alkoholiker, wenn Sie nicht trinken?), Kompetenzen und Ressourcen der älteren Menschen fokussiert, wodurch oft schon in sehr kurzer Zeit veränderte Sichtweisen und positive Handlungsimpulse angeregt werden können.38

Praxisbeispiel: Die 82-jährige Frau B.39 lag schon lange in der Pflegeabteilung. In der Alltagsroutine waren die wenigen Kenntnisse über ihre Biografie verloren gegangen. Besuch erhielt sie keinen mehr. Häufig war sie zu Ort und Zeit nicht mehr orientiert und erkannte auch ihre Pflegekräfte nicht mehr. Sie nässte und kotete ständig ein. Die Pflegekräfte beschränkten sich bei ihr auf die notwendigen körperlichen Maßnahmen. Eines Tages kam eine ältere Schwester mit einem bunten Kissen mit Patchwork-Arbeit an ihrem Bett vorbei. Frau B. richtete sich plötzlich auf, zeigte auf das Kissen und signalisierte, es anfassen zu wollen. Plötzlich sagte sie zum großen Erstaunen der Schwester: »Das habe ich auch immer gemacht.« In dem mühseligen Gespräch – sie hatte bis dahin nur noch unzusammenhängend

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geredet – wurde deutlich, dass sie als ehemalige Schneiderin viele Patchwork-Arbeiten angefertigt hatte. Als die Schwester sie dann fragte, ob sie solche Arbeiten wieder machen wollte und ihr trotz Bedenken der anderen Pflegekräfte Stoffreste, eine große Nadel und Faden mitbrachte, begann die Bewohnerin zuerst ungelenk, dann immer schneller, das erste Kissen anzufertigen. Sie selber und die Schwester waren sehr stolz auf die Arbeit, die überall herumgezeigt wurde. Plötzlich war die Bewohnerin eine von allen geschätzte Partnerin auf der Abteilung. Innerhalb kurzer Zeit verschwand ihr regressiver Zustand. Sie wurde wieder orientiert, stand auf, zog sich selber an und kontrollierte wieder ihren Stuhl und Urin. Sie konnte wieder etwas für andere bedeuten, da sie in mehreren Zimmern anderen Bewohnern und auch den Pflegekräften auf der Station Unterricht in Patchwork-Arbeit gab.

Entwicklung und Unterstützung sozialer Beziehungsnetzwerke Seelische Krisensituationen älterer Menschen führen bei unzureichender Bewältigung nicht selten zu sozialen Rückzugstendenzen, was wiederum die Gefahr von Einsamkeit und Depressionen fördert. Positiv bewertete Beziehungen und zufrieden stellende soziale Netzwerke hingegen fördern positives Erleben (i.S. einer positiven geistigen Grundhaltung), steigern den Selbstwert und die Lebensfreude (Gergen/Gergen, 2005b; s. auch 3.6). Wie bereits erwähnt, schützen soziale Einbindung und Beziehungsvielfalt auch vor Funktionsverlusten (s. 3.3). Sie unterstützen allgemein eine positive Entwicklung (Kruse, 1990), erhöhen darüber hinaus aber auch die Widerstandsfähigkeit bei Belastungen und Krisen und erweisen sich als wichtige protektive Faktoren und als wertvolle »Vorbeugemaßnahmen« (Müller/Petzold, 2004). Es liegt somit auf der Hand, dass sich der Berater oder Therapeut nach der sozialen Einbindung der älteren Menschen erkundigen sollte. Nach meinen persönlichen Erfahrungen zeigen ältere Menschen, die bisher nur wenige Kontakte außerhalb der Familie gepflegt haben, anfänglich oft große Vorbehalte gegenüber der Idee, vielleicht neue Kontakte zu knüpfen. Hier kann es helfen, nach positiven oder negativen Erfahrungen in der Vergangenheit zu fragen und darüber hinaus auf Vorteile und Forschungsbefunde zu verweisen, die den Nutzen sozialer Vernetzung bestätigen. Meine Erfahrungen sind, dass insbesondere regelmäßige Gruppenkontakte, z.B. zu Vereinen, Kirchengemeinde,

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Volkshochschule o.Ä., zu einer verstärkten sozialen Einbindung führen und im Falle von psychischen Krisen vor Rückfällen schützen. Mit anderen Worten empfehle ich, für soziale Beziehungsnetzwerke zu werben, wobei man berücksichtigen sollte, dass man damit als Berater oder Therapeut eventuell ein Ziel vorschlägt, welches die älteren Menschen nicht selbst mitgebracht haben und mit welchem sie vielleicht auch nicht ganz einverstanden sein könnten. Dies gilt es offen zu besprechen und zu verhandeln (s. auch »Zielorientierung«, S. 41ff.) Gegebenenfalls sollten wir auch die Zurückweisung unseres Vorschlags akzeptieren. Falls der Vorschlag aber befürwortet werden sollte, lösen sich nach ersten Erfahrungen in einer neuen Gruppe oder in einem Verein die Vorbehalte zumeist rasch auf, und vorher vielleicht zurückgezogen lebende ältere Menschen wissen die neu gewonnenen Perspektiven zu schätzen.

Praxisbeispiel: Der oben beschriebene 69-jährige Herr O. gab neben den bereits geschilderten Problemen im Verlauf der Behandlung auch Einsamkeitsgefühle, fehlende Kontakte und Beschäftigungsmangel an. Er habe nie gut auf andere Menschen zugehen können und besitze auch kein Hobby. Auch sei er nie in Vereinen gewesen, da er von so einem geschlossenen »Geklüngel« nichts halte. Kontakte außerhalb von Familie und Arbeit kannte Herr O. nur aus Kneipen, was aber stets mit problematischem Alkoholmissbrauch verbunden gewesen war. Im Verlauf der tagesklinischen Behandlung machte er somit erstmals positive Erfahrungen mit Gruppenerlebnissen und entdeckte darüber hinaus Freude an Gedächtnistraining in der Gruppe. Trotz erheblicher Vorbehalte und Ängste stimmte Herr O. schließlich einigen Probekontakten zu. Mit Hilfe einer Rollenspielgruppe (s. S. 72ff.), Gruppen- und Einzelgesprächen entwickelte er allmählich Mut und Zuversicht sowie ein verändertes Selbstbild. Mit unserer Unterstützung nahm er schließlich Kontakt zu einer AWO-Seniorengruppe und einer Gedächtnistrainingsgruppe auf. Bereits nach jeweils nur einem Besuch war Herr O. begeistert und wurde zum überzeugten »Gruppenfan«. Er integrierte die Termine fest in sein Leben und erzählte bei späteren Begegnungen nach Abschluss der Behandlung (einmal im Monat nahm er auch an einem Ehemaligentreffen unserer Tagesklinik teil) auch von neuen Kontakten außerhalb der Gruppen. Er beschrieb sein Leben als deutlich bereichert und war dankbar für die Überzeugungshilfe.

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56 | Thomas Friedrich-Hett Im Folgenden soll abschließend ein Behandlungsbeispiel aus ambulanter psychotherapeutischer Behandlung mit Verweis auf die vorgeschlagenen Beratungs- oder Therapiebestandteile etwas ausführlicher dargestellt werden.

Praxisbeispiel: Sexuelle Torschlusspanik? Eine ambulante Paarberatung (Frau und Herr G.) Das Ehepaar G. kam gemeinsam zu Gesprächen in die psychotherapeutische Praxis eines ambulanten psychologischen Psychotherapeuten.40 Beide waren Ende 60 und hatten bisher keine Erfahrungen mit Therapie oder psychologischer Beratung gemacht. Die Initiative zur Beratung war von Frau G. ausgegangen, die den Therapeuten nach Nachfrage bei ihrer Krankenkasse aus einem Verzeichnis ausgewählt hatte. Vor der Beratung hatte Frau G. zunächst für einige Termine einen ambulanten Psychiater aufgesucht, war mit dessen Vorschlägen aber nicht zufrieden gewesen. Im Mittelpunkt der Gespräche stand der Umstand, dass sich Frau G. von ihrem Mann seit einigen Jahren zunehmend sexuell belästigt fühlte. Herr G. wollte täglich mehrfach mit seiner Frau schlafen, der das in dieser Frequenz einfach zu viel war. Herr G. zeigte sich fast permanent sexuell erregt, bedrängte seine Frau und wurde dabei zum Teil regelrecht übergriffig, wodurch das Ehepaar regelmäßig in Streit geriet. Auf Zurückweisungen reagierte Herr G. stark gekränkt und verlies häufig stundenlang das Haus. Herr G. hatte während seiner berufstätigen Zeit als Monteur gearbeitet, Frau G. hatte in den letzten Jahren stundenweise in der gleichen Firma Bürotätigkeiten erledigt. Das Ehepaar hatte zwei erwachsene Kinder, die in festen Partnerbeziehungen lebten und mit deren Entwicklung sie sehr zufrieden waren. Einzig die im gleichen Haushalt lebende pflegebedürftige Mutter von Herrn G. stellte noch eine gewisse Verpflichtung dar, die aber von den Ehepartnern nicht als Belastung erlebt wurde und in den Gesprächen keine große Rolle spielte. Herr und Frau G. waren beide in verschiedenen Vereinen aktiv und sozial gut in die Dorfgemeinschaft ihres Wohnortes integriert. Das Ehepaar verreiste gern zusammen und schien insgesamt sowohl gemeinsamen als auch getrennten Aktivitäten nachzugehen. In den Gesprächen wurde deutlich, dass Herr G. seit seiner Verrentung deutlich mehr freie Zeit und Kräfte zur Verfügung hatte und auch häufiger als früher die Gelegenheit für sexuelle Betätigung sah. Die Abweisungen durch seine Frau lösten bei ihm vermehrt eifersüchtige Gedanken aus, was die Spannungen in der Paarbeziehung noch verstärkte. In nur wenigen Gesprächen, es wurden sowohl gemeinsame Paargespräche, als auch Einzelge-

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spräche mit jeweils nur einem der Partner geführt, wurde deutlich, dass Herr G. seit der Berentung unter zunehmender Nervosität und starken Schlafstörungen litt. Einzig sexuelle Betätigung schien ihn entspannen und entlasten zu können. Es gelang Herrn G. zu formulieren, dass er Sexualität als wichtige Lebensqualität betrachtete, und dass er sexuell aktiv sein wollte, solange es noch ging. Er ging davon aus, dass dies mit zunehmendem Alter immer weniger möglich sein würde, so dass er sich unter einem gewissen »Ausschöpfungsdruck« sah, was er aber bislang selber noch nicht bewusst wahrgenommen hatte. Die Gespräche führten zu einer Entlastung beider Ehepartner und erhöhten das wechselseitige Verständnis füreinander. Herr G. wurde ruhiger und entspannter, sein Schlafverhalten besserte sich deutlich. Frau G. schilderte ihren Mann als besser auf sie eingehend und angemessener bemüht. Es fanden insgesamt nur sieben Sitzungen statt. Nach drei Sitzungen erlebte das Paar schon eine deutliche Besserung, so dass die Gespräche auf ihren gemeinsamen Wunsch zunächst eingestellt wurden. Nach einem halben Jahr meldeten sie sich aber wegen beginnender Verschlechterung erneut, worauf nochmals vier Sitzungen stattfanden. Befragt danach, was sie in der Beratung als hilfreich empfunden hätten, beschrieben die Partner die Möglichkeit, sich geschützt aussprechen zu können, das wechselseitige Zuhören mit daraus resultierendem höheren Verständnis für einander, sowie die Möglichkeit, zwischen Paar- und Einzelgesprächen variieren zu können, als wichtig für ihre Entwicklung und die verbesserte Paarbeziehung.

4.2 Stolpersteine in Beratung oder Therapie älterer Menschen Aus den bisherigen Vorschlägen und Erläuterungen ergeben sich natürlich auch vielfältige Möglichkeiten für Missverständnisse und Stolpersteine zwischen Beratern oder Therapeuten und ihren Kunden oder Klienten. Einige wurden bereits bei den vorgeschlagenen Beratungs- oder Therapieelementen erwähnt, wie beispielsweise unangemessenes Ansprechen von schwierigen Themen durch den Berater oder Therapeuten, mangelhaft koordinierte Sprache oder zu häufige Verwendung von Fachsprache, vorschnelles Verständnis, unangemessene eigene Altersbilder der Berater oder Therapeuten u.a. Schwierigkeiten können auch durch Unausgesprochenes entstehen, z.B. wenn unsere Kunden bestimmte Themen als tabuisiert betrachten. Ältere Menschen haben häufig nicht die Vorstellung, das auch über Sexualität und Liebesleben gesprochen werden könnte – Themen, die bei

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58 | Thomas Friedrich-Hett Paarproblemen oft eine Rolle spielen. Bei einer homosexuellen Orientierung erscheint dies den Betreffenden meist undenkbar. Auch bei religiösen oder spirituellen Fragen spielt Scham nicht selten eine Rolle. Bezüglich der genannten Fragen erscheint mir nicht nur wichtig, bei Verdacht oder Hinweisen sensibel nachzufragen (s. Gesprächsführung), sondern auch, dass sich Berater oder Therapeuten für ihre eigenen Positionen zu diesen Themen sensibilisieren und Offenheit und Wertschätzung auch für andere Lebensentwürfe zeigen können. Hindernisse können sich auch aus mangelnder Beachtung der vorgeschlagenen Beratungs- oder Behandlungselemente ergeben. So kann ein fehlender Einbezug wichtiger Bezugspersonen schnell zu einem unterschiedlichen und konkurrierenden Problemverständnis oder einer ungenügenden Abstimmung von Wünschen und Zielen zu Missverständnissen und sich ausschließenden Wahrheiten (i.S. von »nur einer kann Recht haben«) führen, die den Gesprächsprozess scheitern lassen können. Einige Möglichkeiten für Missverständnisse in der Beratung oder Therapie älterer Menschen können auch ganz »banaler« Natur sein, so z.B. das Übersehen oder die ungenügende Berücksichtigung körperlicher Beschwerden und Einschränkungen. Schwerhörigkeit ist hierfür ein wichtiges Beispiel: Sie ist oft mit Schamgefühlen verbunden, wird häufig nicht gleich eingestanden und von den älteren Menschen gut überspielt. Objektive oder subjektive Bewegungseinschränkungen oder Einschränkungen durch Schmerzen sind nach meiner Erfahrung häufig Quellen für Kränkungserleben der Klienten oder Kunden. Die Frage, warum jemand beispielsweise nicht häufiger sein Haus verlässt, um andere zu treffen, kann sich durch Bewegungseinschränkungen oder Schmerzen beantworten. Ohne damit negative Altersbilder von gebrechlichen Alten fördern zu wollen, scheint es doch hilfreich zu sein, die körperliche Ebene im Gespräch regelmäßig zu beachten. Die Frage, ob es körperliche Veränderungen gibt, die den Kunden oder Klienten beschäftigen, oder die er auf sich zukommen sieht, kann bereits das Verständnis in wertvoller Weise verbessern. Zum Thema körperliche Beschwerden ist aber auch anzumerken, dass viele ältere Menschen in Veränderungs- und Krisensituationen körperliche Beschwerden erleben, ohne das dafür von Ärzten entsprechende Befunde erhoben und herangezogen werden können. Hier wird nicht selten entwertend von Somatisierung gesprochen und der Auftakt zu einer langen Ärzteodyssee gesetzt, bei der die älteren Menschen sich weder verstanden noch angenommen fühlen.

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Wahrscheinlich ist es banal darauf hinzuweisen, dass Beschwerden immer geduldig ernst genommen werden sollten. Verständnisvolle Gespräche darüber, dass Gefühle bei vielen Menschen mit körperlichen Prozessen verknüpft sind, die leicht mit bedrohlichen Veränderungen des Körpers verwechselt werden können, sind oft sehr entlastend. Zusammenarbeit mit Haus- oder Fachärzten ist in solchen Situationen sicherlich unerlässlich. Ein vielen Praktikern bekannter Stolperstein in Gesprächsprozessen ist Langeweile: Wir interessieren uns kaum noch für das Gesagte, hören nicht mehr richtig zu, erleben unsere Gesprächspartner als weitschweifig oder umständlich oder vielleicht auch als nicht auseinandersetzungsbereit oder -fähig. Wir beginnen uns zu langweilen oder werden ärgerlich. Ursachen können zum Beispiel in unterschiedlichen Gesprächsgeschwindigkeiten oder -rhythmen liegen. Gerade im Umgang mit älteren Menschen spielen unterschiedliche Sprech-, Erzähl- oder Zuhörgewohnheiten eine wichtige Rolle. Langeweile kann sich auch einstellen, wenn wir schon alles zu wissen glauben. Sie kann als Symptom oder Folge von mangelnder Neugier oder auch von Nicht-Neutralität verstanden werden (Cecchin, 1988). Es kann hilfreich sein, die Ursachen bei sich zu suchen und Langeweile als Beziehungsphänomen zu verstehen, womit sich die Frage stellen lässt, ob ich als Berater oder Therapeut angemessen ungewöhnlich bin (Andersen, 1990). Sind die Rhythmen zwischen mir und den Kunden/Klienten gut koordiniert? Welche Fragen kann ich an mich oder den Kunden/Klienten stellen, um das Gespräch wieder interessant zu finden? Fühlt sich mein Gesprächspartner eigentlich gut verstanden? Langweilt er sich vielleicht auch? Kann ich vielleicht im Sinne einer Zielüberprüfung das Gespräch auf eine Metaebene bringen? Über das Gefühl von Langeweile hinausgehend lässt sich hier auch verallgemeinernd die Frage stellen, wie man als Berater oder Therapeut mit eigenen starken Affekten konstruktiv umgehen kann. Was kann ich machen, wenn ich mich ärgere, gekränkt, angegriffen oder vielleicht entwertet fühle? Oder wenn mich eine Geschichte sehr stark berührt und Erinnerungen an eigene, vergleichbare Erlebnisse wachruft? Wie bereits angedeutet (s. »Beziehungsgestaltung«, S. 37ff.), wird von einer kollaborativ-dialogischen Praxisorientierung ausgehend vorgeschlagen, eigene Gefühle als affektive Resonanzen der Beratungsoder Therapiebeziehung zu betrachten (das heißt, Gefühle als Beziehungsangebote zu verstehen). Diese können durch beziehungsengagiertes Reflektieren wertschätzend in den Gesprächsprozess eingebracht

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60 | Thomas Friedrich-Hett werden. Hierbei ist es wichtig, keine Gefühle zu entwerten, weder die der älteren Gesprächspartner, noch meine eigenen. Auch Vorwürfe oder Schuldzuschreibungen sind selten hilfreich, das Ansprechen der Gefühle führt jedoch häufig zu positiven Entwicklungen: »Entschuldigen Sie, wenn ich das Gespräch kurz unterbreche – ich frage mich gerade, ob Sie unzufrieden mit mir oder dem Gesprächsverlauf sind, oder ob ich Sie vielleicht verletzt haben könnte?« »Ich merke, dass mich Ihre Geschichte an ein eigenes Erlebnis erinnert, wären Sie daran interessiert, etwas darüber zu hören?« Nach meinen Erfahrungen lassen sich auch kritische Aspekte im Beratungs- bzw. Therapieverlauf mit älteren Menschen gut besprechen, wenn der Ton und die Form stimmen. Die These von mangelnder Reflexions-, Kritik- und Umstellungsfähigkeit im Alter lässt sich jedenfalls nicht aufrechterhalten (Kruse, 1998). Wenn Schwierigkeiten in Gesprächsprozessen auftauchen, erliegen wir häufig der Versuchung, die Ursachen dafür unseren Kunden oder Klienten zuzuschreiben. Wir etikettieren die älteren Menschen als uneinsichtig, unmotiviert, starr oder widerständig. Zumeist kommen wir auf solche Ideen, wenn unsere Auffassungen und Ideen nicht geteilt oder unsere Ratschläge nicht befolgt werden. Aus meiner Sicht impliziert eine solche Bewertung eine asymmetrische Expertenhaltung, bei der dem Berater oder Therapeuten ein quasi privilegierter Zugang zur Wirklichkeit zugeteilt wird. Aus einem sozialkonstruktionistischen Verständnis heraus werden Wirklichkeiten (wie bereits mehrfach erläutert) jedoch immer gemeinsam, dass heißt in Beziehungen konstruiert. Wenn ältere Menschen unsere Ideen nicht aufgreifen, dann kann das sicherlich vielfältige Gründe haben. Vielleicht teilen sie unsere Interpretation oder auch nur unsere Schlussfolgerung nicht, oder es gibt noch unberücksichtigte Aspekte, ungehörte Stimmen (im Sinne der Vielstimmigkeit, s. Grundhaltung), unbeachtete Kontexte oder unausgedrückte Affekte. Aus lösungsorientierter Sicht ist die Idee von Widerstand aber nicht haltbar und der Widerstand verstorben bzw. ausgestorben.41 Verhalten kann nämlich stets als sinnhaft und begründet gesehen werden, insbesondere, wenn man die Sinn-, bzw. Bedeutungserzeugung eher als ein Produkt der Beziehung und weniger als individuellen Ausdruck versteht. In verschiedenen Veröffentlichungen über die Arbeit mit älteren Menschen42 ist zu lesen, dass besondere Schwierigkeiten für Berater oder Therapeuten daraus erwachsen, dass sie in der Regel jünger als ihre Kunden oder Klienten sind. Sie könnten von den Älteren als deren Kinder oder Enkelkinder betrachtet und als nicht kompetent genug an-

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gesehen werden. Weiter wird angemerkt, dass durch die Arbeit mit älteren Menschen die Berater oder Therapeuten mit ihrem eigenen Altern und Altsein konfrontiert werden. Insbesondere der Umstand, dass die Beratung oder Therapie aufsuchenden älteren Menschen wahrscheinlich eher die unangenehmen Seiten des Alterns spiegeln, wird als belastend angesehen. Es wird auch die Frage gestellt, ob Ältere als Patienten nicht insgesamt belastender und ob Erfolge nicht schwerer zu erreichen sind und es wird auf vielfältige schwierige Übertragungs- und Gegenübertragungsgefahren aufmerksam gemacht. Die genannten Hinweise lösen bei mir zwiespältige Gefühle aus. Einerseits wird die mangelnde Offenheit von z.B. Psychotherapeuten gegenüber älteren Menschen als Klienten beklagt, andererseits könnten die obigen Einschätzungen aber vielleicht auch implizit als Warnhinweise gedeutet werden. Mir drängt sich die Frage auf, ob solche Überlegungen eigentlich auf Berater und Therapeuten nicht auch einladend oder motivierend wirken, sich älteren Menschen als Kunden oder Klienten zuzuwenden? Dass Erfolge schwieriger zu erreichen seien, gehört zu den Mythen des Alters und darf immerhin eindeutig als widerlegt gelten.43 Natürlich ist zu berücksichtigen, dass wir es in der Zusammenarbeit mit älteren Menschen mit einer (oder besser mehreren) Generationen zu tun haben, die lebensgeschichtlich mit anderen Normen, Werten und Sozialisationsbedingungen aufgewachsen sind als die nachfolgenden Generationen. Viele ältere Menschen sind zudem von Kriegs- und Nachkriegserfahrungen oder von Vertreibungserlebnissen geprägt. Sicherlich können manche spezifischen Erfahrungen von anderen, die diese nicht gemacht haben, nur schwer nachempfunden werden. Auf der Basis einer wertschätzenden, lernenden und gleichberechtigten Grundhaltung kann ich persönlich in diesen lebensgeschichtlichen Erfahrungen keine grundsätzlichen Hindernisse erkennen und die geschilderten Bedenken nicht teilen. Ob ich mich von den älteren Menschen ernst genommen fühle, hängt vielleicht wesentlich von meiner Haltung als Berater oder Therapeut, das heißt von meinen Beziehungseinladungen ab, und kann im Zweifel durch offenes Nachfragen besprochen werden. Die Arbeit mit älteren Menschen ist aus meiner und der Sicht vieler Kolleginnen und Kollegen in besonderer Weise bereichernd und wertvoll, und kaum eine andere Kunden- oder Klientengruppe ist so großzügig mit wertschätzenden Rückmeldungen, wenn sie sich gut unterstützt und respektvoll behandelt fühlt.

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5. Ausblick: Altern als relationales Phänomen Nicht das Alter ist das Problem, sondern unsere Einstellung dazu. (Marcus Tullius Cicero)

Es stellt sich abschließend die Frage, wie das Alter und das Älterwerden in gewinnbringender Weise betrachtet und verstanden werden können. Wenn negative Altersbilder ältere Menschen an der Entfaltung ihrer Potenziale hindern oder sogar zu einer Minderung ihrer Kompetenzen führen, wenn negative Erwartungshaltungen zu sich selbst erfüllenden Prophezeiungen werden, könnten positive Altersbilder vielleicht auch ein Schlüssel für Impulse in Richtung Selbstentfaltung, Entwicklung und neue Freiheit im Alter sein. Im Abschnitt über Beratung und Therapie älterer Menschen wurde mehrfach auf sozial-konstruktionistische Betrachtungen und postmoderne Ideen Bezug genommen (zur Erinnerung: postmoderne Ideen zeichnen sich durch Skepsis gegenüber Metaerzählungen und die Merkmale innere und äußere Vielstimmigkeit sowie durch die Idee der konstruierten Wirklichkeiten im Sinne des sozialen Konstruktionismus aus; Deissler, 2004). Diese Ideen können zum Verständnis unserer Altersbilder herangezogen werden. Die beschriebenen negativen Altersbilder können als sozial konstruierte Wahrheiten aufgefasst werden, die in sozialen Beziehungen sprachlich kokreativ, d.h. von allen am Gespräch Beteiligten gemeinsam erzeugt werden. In diesem Sinne sind sie nicht als objektive Realität zu sehen, sondern als subjektive Positionen in Diskursen und Gesprächen. Alter und Altern sind damit weniger individuell, sondern gesellschaftlich (Backes/Clemens, 2003) bzw. in Beziehungen bestimmt. Wie wir über Altern und Ältere sprechen, beeinflusst, was wir denken und wahrnehmen. Die Dinge sind nicht »so wie sie sind«, sondern so, wie wir über sie sprechen und uns im Gespräch auf sie beziehen. Auch die Fachliteratur zum Verfall im höheren Alter kann als sozial konstruiert gesehen werden, z.B. weil hauptsächlich Beeinträchtigungen und Krankheiten untersucht und Beiträge über positive Möglichkeiten im Alter kaum publiziert werden (Gergen/Gergen, 2000 und 2005). Ein in erster Linie sozial konstruiertes Phänomen wird damit als biologisch-natürliches Phänomen verkannt (Baltes, 1996a). Damit kann sowohl das Alter (i.S. der Altersgruppe der sog. Senioren), als auch das Altern (i.S. eines täglichen Veränderungs- und Entwicklungsprozesses) als relationales Phänomen verstanden werden: als Phänomen, welches durch Beziehungen und Bezugnehmen entsteht.

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Unsere Bewertungen sind dabei davon abhängig, auf welche Kontexte und auf welche Vergleiche wir uns beziehen. Das Alter ist ja auch keine isolierte Phase, es ist in den Gesamtkontext des Lebenslaufs und der Generationenbeziehungen zu stellen (Rosenmayr, 1996a). Beziehen wir uns auf andere Bilder, z.B. auf die außerordentliche Vielfalt und die Nutzung der gewonnenen Freiheiten, entwickeln sich automatisch andere Bilder vom Alter. Zusammenfassend ist zu konstatieren, dass einerseits das Lebensalter nur in sehr eingeschränkter Weise ein Maßstab für Fähigkeiten, Kompetenzen, Erlebens- und Verhaltensweisen sein kann, und dass andererseits die Ressourcen des Alters in unserer Gesellschaft nicht genutzt werden (Lehr, 2005). Alte Menschen haben ein großes Reservoir an Wissen, Erfahrungen, Fähigkeiten, kultureller Kontinuität, sozialer Weisheit und gesellschaftlichem Verantwortungsgefühl, welches weitgehend brachliegt (Baltes, 1996b). Es mangelt an institutionellen gesellschaftlichen Strukturen, die diesen Potenzialen zum Ausdruck verhelfen und sie pflegen können.44 Das Nachdenken über gutes Leben im Alter sowie über Ziele und Sinn des Alters verlangt aber auch einen Wertewandel von uns allen, vor allem in Bezug auf Leistungswerte, Produktivitätsverständnis und Konsum, aber auch hinsichtlich unseres Verständnisses von Verantwortlichkeiten (Baltes, 1996b; Montada, 1996). Baltes und Staudinger (1996, 349-350) führen aus: »Wir stehen noch am Beginn einer positiven, der biologischen Realität des Alters aber dennoch angemessenen Vorstellungswelt […] Wir tun uns schwer, das Potential für ein gutes Altern zu aktivieren, persönlich wie gesellschaftlich […] Es muss also darum gehen, Altersbilder zu entwickeln, die der Differenziertheit des Alters und des Alterns entsprechen […]«

Solange der Begriff des Alters negativ besetzt ist, gibt es keine Alterskultur (Bohnhorst, 1999). Positive Altersbilder könnten nach meiner Überzeugung langfristig einen wichtigen gesellschaftlichen Wandel unterstützen. Darüber hinaus könnten sie sich möglicherweise als ein wichtiger präventiver Faktor zur Verhinderung oder Abschwächung schwerwiegender psychischer Krisen älterer Menschen erweisen. Da die Perspektive des Beraters oder Therapeuten für die Entwicklungsmöglichkeiten älterer Menschen in Krisensituationen bedeutsam ist (Kruse, 1990), sind Berater oder Therapeuten aus meiner Sicht auch in einer besonderen Verantwortung, sich für andere Altersbilder und Perspektiven zu engagieren (Friedrich-Hett, 2005b).

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64 | Thomas Friedrich-Hett Vielleicht befindet sich unsere Gesellschaft am Beginn eines Umbruchs. In neueren Untersuchungen sind erste Veränderungen unserer Altersbilder erkennbar (Kruse/Schmitt, 2005). Auch die Neurobiologie bietet mit neuen Ergebnissen über vorhandene neuronale Plastizität im Alter Ansatzpunkte (Grawe, 2004). Viele Autoren erwarten auch, dass die jung gebliebenen, aktiven Alten uns zunehmend zu anderen Altersbildern verführen werden.45 Lernen wir das Alter zu schätzen und in seinen vielfältigen Möglichkeiten und Potenzialen wahrzunehmen – für viele gesellschaftliche Probleme könnte dies ein wichtiger Schlüssel sein.

Anmerkungen 1 | Im folgenden Aufsatz wird aus Gründen sprachlicher Gewohnheit überwiegend die männliche Sprachform verwendet. Ich möchte alle Leserinnen aber bitten, sich in Gedanken mit angesprochen zu fühlen. 2 | Allgemein kann zwischen vier verschiedenen Altersbegriffen unterschieden werden: a. »Das Alter« als Lebensalter: Jemand ist 10, 40 oder 70 Jahre alt. b. »Altern als Prozess«: Eine Veränderung die schon mit der Geburt beginnt. c. »Alter als eine bestimmte Altersgruppe«: Wenn wir von alten Menschen sprechen, meinen wir oft Menschen, die älter als 60 Jahre alt sind, wobei häufig negative Implikationen über diese Gruppe mitschwingen. d. »Alter als relationale Kategorie«: Hiermit sind soziale Vergleichsprozesse gemeint, deren Bewertungen von den Bezugsgruppen abhängen. Während beispielsweise Kinder stolz sind, älter als andere Kinder zu sein (z.B. meine vierjährige Tochter gegenüber ihrer zweijährigen Schwester), gilt man im Leistungssport bereits mit 35 Jahren als alt im negativen Sinne, egal welche Leistungen man noch vollbringt. Im vorliegenden Aufsatz ist mit Alter oder den älteren Menschen – wenn nicht anders gekennzeichnet – die Altersgruppe der Menschen ab 60 Jahren gemeint. 3 | Zur Vertiefung dieses Gedankens s. auch Friedan (1995), Baltes/Montada (1996), Prahl/Schröter (1996), Lehr (2005). 4 | Hierzu sind in den letzten 15 Jahren bereits verschiedene Bücher, Aufsatzsammlungen und Übersichtsartikel erschienen, s. z.B. Baltes/Staudinger (1996); Lehr (2003), Friedrich-Hett (2005b). 5 | Hiermit unterstütze ich ausdrücklich die Bemühungen des amerikanischen Professorenehepaares Ken und Mary Gergen, die sich in verschiedenen Arbeiten (z.B. Gergen/Gergen, 2000), sowie in einer in bereits vier Sprachen (darunter auch deutsch) erscheinenden Internetzeitschrift, dem »Positiv Aging

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Das Alter schätzen lernen | 65 Newsletter« (www.positiveaging.net) für eine Rekonstruktion unserer Altersbilder engagieren (z.B. Gergen/Gergen, 2005a). Viele der in diesem Aufsatz erwähnten Studien konnte ich durch Hinweise in dieser lohnenswerten Internetzeitschrift entdecken. 6 | Eine Übersicht über unterschiedliche Altersmodelle findet sich z.B. in Kruse/Lehr (1996) und Lehr (2003). 7 | Weiterführende Erläuterungen zu Altersbildern in den Medien finden sich u.a. bei Niederfranke et al. (1996). 8 | Zur Vertiefung demographischer Fragen s. z.B. Tews (1996). 9 | Überlegungen zu historischen und kulturellen Wurzeln von Altersbildern und -stereotypen finden sich bei Gergen/Gergen (2000), Göckenjahn (2000) und Rosenmayr (1996b). 10 | Übersichten und wichtige Forschungsbefunde finden sich z.B. bei Baltes (1996), Mayer/Baltes (1996), Lehr (2003) und Gergen/Gergen (2005b). 11 | Beispielhaft seien einige Arbeiten hierzu erwähnt: Eine Übersicht über psychotherapeutische Konzepte bei Demenz geben Wächtler/Feige (2005); zu Psychotherapie bei Alzheimer-Demenz s. Plattner/Ehrhardt (2002); zu verhaltenstherapeutischen Konzepten bei kognitiven Störungen s. Karlbauer-Helgenberger et al. (1996), zu systemischer Therapie bei Demenz, s. Johannsen (1994; nach Johannsen, 1999). 12 | Zu Störungen der Sexualität im Alter s. Heuft et al. (2000), 167-173. 13 | Zur Weiterführung der Thematik »Sexualität im Alter« wird auch das Buch der International Association of Gerontology von Davidson/Fennell (2004) empfohlen. Zur Einführung in die Thematik eignet sich von Sydow (1994). Zu Homosexualität im Alter s. auch den gesonderten Beitrag in diesem Buch. 14 | S. auch die Webseite der North American Menopause Society: www. menopause.org. 15 | Gemeint ist hier die Frage, inwieweit ältere Menschen sich noch flexibel auf Veränderungen ihrer Lebenssituationen einstellen können. 16 | Selbstwirksamkeit ist in der Psychologie ein feststehender Begriff und meint das Bewusstsein, dass man gefordertes Verhalten wenn nötig beherrschen und ausführen kann. 17 | Coping bezeichnet Strategien der Auseinandersetzung mit Stressoren und belastenden Situationen. 18 | Im Folgenden werden Beratung und Therapie zumeist zusammen benannt. Dies geschieht aus der Überlegung heraus, dass beiden Prozessformen in der Regel Gespräche als Hauptinstrument zugrunde liegen. Damit soll aber nicht bestritten werden, dass es Unterschiede zwischen Beratungs- und Therapieprozessen gibt. Diese sind aber meistens kontextuell verankert und markiert und durch unterschiedliche Aufträge beschrieben.

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66 | Thomas Friedrich-Hett 19 | S. hierzu die Arbeiten und Einschätzungen von Zank (2002), Heuft/ Schneider (2001), Heuft et al. (2000) sowie Kemper (1994). 20 | Siehe z.B. die folgenden Übersichtsarbeiten: APA (2004), Heuft et al. (2000), Heuft/Schneider (2001) und Karlbauer-Helgenberger et al. (1996). 21 | Während »systemische Therapie« im deutschen Sprachraum zu einem weit gefassten Oberbegriff geworden ist, wird in den angloamerikanischen Sprachräumen stärker differenziert. Systemisch werden hier insbesondere Therapie- und Beratungsformen genannt, die sich am Vorgehen des sog. MailänderModells (Boscolo et al., 1988) orientieren. Der Begriff »kollaborativ« ist im deutschen Sprachraum für Therapie- oder Beratungsformen wenig bekannt; er bezeichnet Gesprächsformen, die sich in dialogischer Weise für eine gleichberechtigte Zusammenarbeit engagieren und wurde von Harlene Anderson (1999, 2000) eingeführt. Postmoderne Therapie- und Beratungsformen zeichnen sich durch die Merkmale innere und äußere Vielstimmigkeit sowie durch die Idee der konstruierten Wirklichkeiten aus (s.a. Deissler, 2004), und werden ebenfalls in Deutschland erst vereinzelt vertreten. 22 | Zur Vertiefung der Ideen von Neugier und Allparteilichkeit s. v. Schlippe/Schweitzer (1997, 119ff.). 23 | Tagesklinik für Gerontopsychiatrie und Psychotherapie Schlaunhaus, Westfälisches Zentrum Herten; der Autor war hier von 2000-2006 als Stationspsychologe beschäftigt. 24 | Mit dieser Anmerkung sollen Übertragungskonzepte nicht abgewertet werden. Postmodernen Ideen folgend (s. z.B. Lyotard, 1994; Deissler, 2000a), wird nur ihr impliziter Status einer Metawahrheit in Frage gestellt. Wenn Übertragungs- oder Gegenübertragungsideen weniger als wahrhaftige Phänomen, sondern als mögliche Hypothese betrachtet werden, können sie meines Erachtens interessante Anregungen stiften. 25 | Mit »personenimmanenter Ausdruck innerer Zustände« ist gemeint, dass Gefühle häufig wie Charaktereigenschaften einer Person fest zugeordnet werden. Dem wird hier widersprochen. 26 | S. Anm. 23. 27 | S. Anm. 23. 28 | Das reflektierende Team ist eine vom norwegischen Psychiater Tom Andersen (1990) entwickelte Methode, bei der bei einem Gespräch zunächst nicht beteiligte, aber anwesende Zuhörer (i.d.R. weitere Berater oder Therapeuten) einen Gedankenaustausch über das im Gespräch Gehörte vornehmen, während die Gesprächspartner (z.B. eine Familie, die zuvor mit dem Berater/Therapeuten gesprochen hat) dabei zuhören. Die Gesprächspartner dürfen die gehörten Gedanken im Anschluss kommentieren. Die Berater/Therapeuten können im reflektierenden Team über Interpretationen des Gehörten oder auch über

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Das Alter schätzen lernen | 67 Interventionsmöglichkeiten u.v.a.m. sprechen, welche aber in dieser Form eher den Charakter von Angeboten als von direktiven Behandlungsanweisungen haben. 29 | Beispiel entnommen aus Peters (2004, 116). 30 | Mit Selbstaufträgen sind Ideen des Beraters oder Therapeuten gemeint, die er für wichtig hält und die er unausgesprochen verfolgt, ohne sie mit dem Klienten abgestimmt zu haben. 31 | S. Anm. 23. 32 | Der fachlich veraltete Begriff der endogenen Depression meint eine Depression, die aus dem Inneren der Person heraus entsteht, für die es also keine erklärenden Umstände gibt. 33 | S. Anm. 23. 34 | Beispiel entnommen aus Peters (2004, 112). 35 | An dieser Stelle soll kein umfassender systemischer »Interventionskatalog« aufgestellt, sondern einige grundsätzliche Überlegungen gemacht werden. 36 | Bei weiterführendem Interesse an lösungsorientierter Kurzzeittherapie nach Steve de Shazer s. zum Beispiel de Shazer (1989). 37 | S. Anm. 23. 38 | Auf die Ideen lösungsorientierter Kurzzeittherapien, die allerdings nicht für ältere Menschen spezifiziert vorliegen, kann an dieser Stelle nicht ausführlicher eingegangen werden. Bei näherem Interesse s. die beiden Themenbände der Zeitschrift für systemische Therapie und Beratung: Heft 1/1998 und Heft 4/2004 (Vogt, 2004), und bezüglich der Förderung von Selbstwertgefühl hier insbesondere die Arbeit von de Vega/Beyebach (2004) über lösungsorientierte Selbstwertgefühl-Gruppen. 39 | Beispiel entnommen aus Heuftet al. (2000, 294). 40 | Das Praxisbeispiel stammt aus der ambulanten Psychotherapiepraxis von Dr. Klaus G. Deissler, Marburg. Die vorliegende Zusammenfassung entstand nach mündlichen Berichten von Klaus Deissler und wurde von ihm überprüft. Klaus Deissler ist systemischer Therapeut und Leiter von viisa Marburg. Die im vorliegenden Aufsatz vertretenen Positionen wurden wesentlich von ihm mit beeinflusst. 41 | Zur Frage des Widerstands s.a. de Shazer (1984) und Hargens (2003). 42 | Siehe zum Beispiel Heuftet al. (2000). 43 | S. S. 30f. 44 | S. auch den Aufsatz von Schuster (1996), sowie die Internetseite des SES: www.ses-bonn.de. 45 | Die Fußballweltmeisterschaft 2006 in Deutschland zeigt uns jedenfalls in beeindruckender Weise, wie viel Vitalität und Lebensfreude durch positive Bilder und Visionen entfaltet werden können.

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Erlebnistherapeutische Methoden in der Arbeit mit älteren Menschen: Theatertherapie, Rollenspiel und Sinnesund Wahrnehmungsarbeit Thomas Friedrich-Hett, Rainer Gotzian, Regina Wolff-Ebel

1. Einleitende Gedanken In diesem Aufsatz möchten wir Anwendungsbeispiele für erlebnistherapeutische Methoden in der Arbeit mit älteren Menschen vorstellen. Wir beziehen uns auf therapeutische Gruppen, die am Westfälischen Zentrum Herten, einer psychiatrisch-psychotherapeutischen Fachklinik der Regelversorgung im nördlichen Ruhrgebiet, angeboten werden. Die Theatertherapiegruppe stellt dabei ein ambulantes Behandlungselement dar, während die Rollenspielgruppe und die Sinnes- und Wahrnehmungsgruppe Bestandteile der tagesklinischen Behandlung der Tagesklinik für Gerontopsychiatrie und Psychotherapie Schlaunhaus1 sind. Die drei ausgewählten Gruppen verbindet dabei, dass ihre Gruppenleiterinnen sich zum Teil wechselseitig vertreten und dass sich die Gruppen aufeinander aufbauend entwickelt haben. Die Rollenspielgruppe gehört seit über 15 Jahren zum etablierten und bewährten Bestand des tagesklinischen Therapiekonzepts. Erfahrungen mit dieser Gruppe haben aus unserer Sicht die Entwicklung der Sinnes- und

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72 | Thomas Friedrich-Hett, Rainer Gotzian, Regina Wolff-Ebel Wahrnehmungsgruppe beeinflusst und begünstigt. Erfahrungen mit der Sinnes- und Wahrnehmungsgruppe standen neben anderen Einflüssen wiederum Pate für die Entwicklung der ambulanten Theatertherapiegruppe. Seitens der Gruppenmitglieder konnten nicht selten Patientinnen2, die zunächst im Rahmen einer tagesklinischen Behandlung von Rollenspielgruppe und Sinnes- und Wahrnehmungsgruppe profitiert haben, nach ihrer Entlassung weitergehende Erfahrungen durch ambulante Teilnahme an der Theatertherapiegruppe machen. Alle drei Gruppen sind also in der vorgestellten Form miteinander auf verschiedenen Ebenen verbunden, was sicher keine Voraussetzung, aber vielleicht eine Erleichterung zur Entwicklung erlebnistherapeutischer Angebote darstellt. Die in der Ressource vorgestellte Idee des Positiven Alterns ist für die Autorinnen dieses Aufsatzes zu einem gewissen Teil bereits gelebte Realität. Wir sind bzw. waren alle langjährig in der genannten Tagesklinik Schlaunhaus beschäftigt, wo wir uns gemeinsam im Tagesklinikteam um eine fördernde Haltung im Sinne des Positiven Alterns bemühen. Die vorgeschlagenen Bestandteile für Beratung oder Therapie älterer Menschen werden nach unserer Einschätzung in vielen Fällen umgesetzt (s.a. Friedrich-Hett, 2005). Auch in den nachfolgend beschriebenen erlebnistherapeutischen Gruppen engagieren wir uns für eine offene, neugierige Grundhaltung und einen respektvollen, wertschätzenden dialogischen Umgang in der Behandlung.

2. Rollenspiel 3 2.1 Was ist Rollenspielpädagogik? Das Pädagogische Rollenspiel ist ein eigenständiges Gruppenverfahren, das Anwendung in der Psychiatrie und im Bildungs- und Sozialbereich findet. In Deutschland entwickelte sich das übende Verfahren vor allem in den 70iger Jahren und integrierte theoretische Konzepte und methodische Elemente aus Psychoanalyse, Psychodrama, Verhaltenstherapie, Gesprächspsychotherapie, Gestalttherapie und dem Improvisationstheater (Mävers/Volk-von Bialy, 1995). Das Rollenspiel als »erlebensgegründetes Lehr-Lern-Verfahren« (Mävers/Volk-von Bialy, 1995) steht an der »Pforte zwischen Wirklichkeit und Möglichkeit« (Lensch, 1997). Es bietet seinen »Nutzerinnen«

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die Möglichkeit, bedeutsame oder schwierige Situationen szenisch darzustellen und das eigene Handlungsrepertoire zu erweitern. Es können drei Grundtypen beim Rollenspiel unterschieden werden (Mävers/Volk-von Bialy, 1995): 1. Protagonistinnen-Rollenspiel: Die Hauptdarstellerin wird von der Gruppe bei der Bewältigung von schwierigen Situationen unterstützt. 2. Gesamtgruppen-Rollenspiel: Die gesamte Gruppe ist spielend beteiligt, die selbst gewählten Rollen sind mehr oder weniger vorgegeben. 3. Erzähl-Rollenspiel: Textbezogene oder Geschichten entwickelnde Rollenspiele, in denen einige oder alle Gruppenmitglieder mitspielen. Das Protagonistinnen-Rollenspiel ist die Form des Rollenspiels, die überwiegend in der Tagesklinik Anwendung findet. Im Protagonistinnen-Rollenspiel werden Ähnlichkeiten und Überschneidungen mit verhaltenstherapeutisch fundierten Trainings sozialer Kompetenzen und Selbstsicherheitstrainings deutlich. Das Rollenspiel dort ist jedoch als Verhaltensübung nur Teil eines umfangreicheren Trainingsmanuals (Fliegel u.a., 1994). Das Pädagogische Rollenspiel bietet hier unserer Meinung nach eine größere Bandbreite an Möglichkeiten, die über die Aspekte Selbstsicherheit und Angstbewältigung hinausgehen. Auch die Abgrenzung zum Psychodrama ist notwendig, insbesondere da es ähnliche »Spielhilfen« (im Sinne von Techniken) gibt (Damaschke/Mävers, 1981). Erfahrungen aus der Vergangenheit werden im Pädagogischen Rollenspiel nur insoweit aufgegriffen, wie sie zur Bewältigung des Alltagsproblems erforderlich sind und von der Protagonistin und der Gruppe mitgetragen werden können (Mävers/Volk-von Bialy, 1995).

2.2 Rollenspiel im psychiatrischen Kontext Das Pädagogische Rollenspiel wird als übendes Gruppenverfahren in sozialtherapeutisch arbeitenden Institutionen in der Praxis erfolgreich angewendet. In der psychiatrischen Praxis wird die Indikationsstellung sehr wichtig. Es wird darauf hingewiesen, dass insbesondere bei frühgestörten Patientinnen sehr bewusst und störungsorientiert der Bereich des trai-

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74 | Thomas Friedrich-Hett, Rainer Gotzian, Regina Wolff-Ebel nierenden Rollenspiels nicht verlassen werden sollte und keine komplexen und psychodramatischen Situationen inszeniert werden (Schimansky, 1987).

2.3 Rollenspiel mit älteren Patientinnen/älteren Menschen In der Literatur sind nur wenige Verfahren beschrieben, die Rollenspiel speziell für die Arbeit mit älteren Menschen anbieten. Erwähnt sei hier das von Hautzinger entwickelte kognitiv-therapeutische Gruppenprogamm für ältere an Depression erkrankten Menschen, in dem Rollenspielübungen das Lernen von sozialer Kompetenz, Selbstsicherheit und den Aufbau sozialer Kontakte unterstützen sollen (Hautzinger, 2000). Petzhold verbindet verschiedene erlebnisorientierte Methoden zu einem Integrativen Therapieverfahren. Im dramatischen Rollenspiel werden Situationen im Hinblick auf das Älterwerden in Szene gesetzt und in Seminaren zur Vorbereitung auf das Alter angeboten (Petzhold, 2004, 231). Das Trainingsprogramm zum Aufbau sozialer Kompetenz von Ullrich & Ullrich deMuynck (ATP) wurde von Stuhlmannn weiter entwickelt und im stationären gerontopsychiatrischen Bereich erfolgreich eingesetzt. Im Übungsprogramm sind alltagsrelevante Situationen enthalten, die von den älteren Patientinnen im Rollenspiel geübt werden (Stuhlmann, 1995).

2.4 Rollenspiel in der gerontopsychiatrischen Tagesklinik Schlaunhaus Das Pädagogische Rollenspiel ist seit vielen Jahren fester Bestandteil des Konzeptes der Tagesklinik für Gerontopsychiatrie und Psychotherapie Schlaunhaus. Die Gruppe bietet den Patientinnen die Möglichkeit, (zukünftige) Alltagssituationen, die als schwierig oder unbefriedigend erlebt werden, szenisch darzustellen und neue Handlungsweisen zu erproben. Die Gruppen bestehen aus jeweils ca. zehn Patientinnen mit unterschiedlichen Schwerpunkten in der Diagnosestellung. Die Gruppe findet einmal wöchentlich statt und dauert 75 Minuten. Co-Leiterin ist in der Regel eine Krankenschwester oder ein anderes Teammitglied. In der so genannten Anwärmphase versuchen wir, mit den Patientinnen ins Gespräch zu kommen, und begeben uns gleichzeitig auf Themensuche. Dabei ist zum einen die Eigenverantwortlichkeit der Patientinnen gefragt, zum anderen ist jedoch auch das Wissen um aktuel-

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le und anstehende Schritte im Therapieprozess unerlässlich. Bei der Suche nach einer Spielsituation können Inhalte und Erfahrungen anderer Therapieangebote wertvolle Anregungen liefern. Die Bereitschaft, von sich aus ein Thema oder eine Spielsituation vorzuschlagen, ist unterschiedlich stark ausgeprägt. Deshalb ist es manchmal erforderlich, Anregungen zu geben oder zu Themen einzuladen. Bereits in der Anfangsphase ist es wichtig, eine gute Atmosphäre zu schaffen, in der Vertrauen und Neugier, aber auch Experimentierfreudigkeit und Risikobereitschaft gedeihen können. Die folgenden Themenbereiche werden häufig angesprochen: • • • • • • • •

Kontaktaufnahme und Kontaktpflege, um Hilfe bitten, nein-sagen können, Vertreten der eigenen Interessen, sich abgrenzen können, Ärger und Unmut zum Ausdruck bringen, sich durchsetzten können, Wünsche äußern.

Oft wiederkehrende Spielsituationen aus dem Alltag sind: • Wie stelle ich mich vor, wenn ich das erste Mal eine Seniorengruppe besuche? • Wie nehme ich Kontakt zu meiner Bekannten auf, bei der ich mich lange Zeit nicht gemeldet habe? • Was sage ich, wenn ich auf meine Erkrankung angesprochen werde? • Was kann ich tun, wenn ich Unterstützung beim Einkaufen oder Bus fahren benötige? • Wie mache ich meiner Nachbarin deutlich, dass ich ihr kein Geld mehr leihen werde? • Wie sage ich meiner Tochter, dass ich nicht jedes Wochenende auf die Enkelkinder aufpassen möchte? • Wie kann ich ein schwieriges Thema innerhalb der Familie/Partnerschaft zur Sprache bringen? • Wie bringe ich meinen Ärger gegenüber meinem Vermieter zum Ausdruck? • Wie reklamiere ich im Geschäft verdorbene Ware? • Wie kann ich meinen Ehemann um mehr Verständnis im Hinblick auf meine Erkrankung bitten?

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76 | Thomas Friedrich-Hett, Rainer Gotzian, Regina Wolff-Ebel Falls mehrere Spielvorschläge geäußert werden, muss das Interesse der Gruppe für die Themen ausgelotet werden und die Teilnehmerinnen müssen sich über eine Reihenfolge einigen. Dabei stellt sich für die Leiterin nicht nur die Frage der Spielbarkeit des vorgebrachten Anliegens, sondern es ist auch Erfahrung und Gespür gefragt, welche Bedeutung das Thema für die Patientin hat und wie eine schrittweise Annäherung an ein komplexeres Thema gestaltet werden kann, ohne die Beteiligten zu überfordern. Nachdem sich die Gruppe auf eine Spielsituation geeinigt hat, schließt sich ein Klärungsgespräch mit der Protagonistin an, in dem ihr Anliegen deutlicher und die mögliche Szene konkreter wird. In dieser Phase der Klärung ist auch das Engagement der Mitpatientinnen gefragt. Sie werden eingeladen, sich in die Situation der Protagonistin hineinzuversetzen und Anregungen und Ideen beizutragen. Im nächsten Schritt wird die Szene gemeinsam mit der Protagonistin eingerichtet und die entsprechenden Rollen werden besetzt. Die Protagonistin wird aufgefordert, sich ihre Mitspielerinnen auszusuchen bzw. Wünsche hinsichtlich der Besetzung der Rollen zu äußern. In manchen Situationen kann es erforderlich sein, dass auch die Co-Leiterin eine Rolle übernimmt, z.B. bei besonders negativ besetzten Rollen. Damit sich die »Rollenträgerinnen« in ihre Rolle hineinversetzen können, werden sie von der Protagonistin instruiert, d.h. sie erhalten Beschreibungen, welche die erlebte Beziehungsrealität aktivieren kann. Bei Bedarf werden diese von der Leiterin noch durch Fragen ergänzt. Bevor das Spiel beginnt, kann es hilfreich sein, die Protagonistin noch einmal auf ihr gewünschtes Ziel hinzuweisen und evtl. wichtige Hinweise, die zur Erreichung des Ziels nützlich sein können, an die Tafel zu schreiben. Während der Spielphase bekommen die übrigen Gruppenmitglieder die Rolle der Beobachterinnen zugewiesen. Dies kann durch konkrete Beobachtungsaufgaben ergänzt werden. Da es in den Spielszenen überwiegend um »Zukunftsproben« geht, improvisieren die Rollenträgerinnen vor dem Hintergrund der durch die Protagonistin erfolgten Instruierung. Die Szene wird durch einen Schnitt der Leiterin beendet, sie kann aber auch durch Anhalten unterbrochen werden. Eine Unterbrechung kann auf Wunsch der Protagonistin oder der Rollenträgerinnen erfolgen. Dies kann hilfreich sein, wenn sich beispielsweise ein Scheitern der Protagonistin abzeichnet oder es angezeigt ist, dass Impulse von außen in Form kurzer Feedbacks stabilisierend wirken können. Eine Unterstützung der Protagonistin ist auch in Form des »Doppelns« mög-

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lich. Hierbei tritt die Leiterin hinter die Protagonistin und äußert kurze Sätze oder Satzfragmente aus der Ich-Perspektive der Protagonistin, die ihr Anliegen unterstützen können. Die Spielsequenzen sollten möglichst kurz sein, so dass die Konzentrationsfähigkeit der Teilnehmerinnen aufrechterhalten werden kann. In der sich anschließenden Rückmeldungsrunde wird zunächst die Protagonistin nach ihrer Befindlichkeit und nach ihrem Erleben gefragt. Danach geben die Gruppenmitglieder, die eine Rolle übernommen haben ein Rollen-Feedback. Es schließen sich die Beobachterinnen mit ihren Eindrücken und vielleicht eigenen Erlebnisanteilen an, die auch von der Co-Leiterin und der Leiterin ergänzt werden. Eine wichtige Aufgabe in der Abschlussrunde besteht darin, darauf zu achten, dass die Beobachtungen angemessen und konkret vorgetragen werden. Von zentraler Bedeutung ist eine wertschätzende Atmosphäre, in der das Sich-Trauen der Protagonistin und der Rollenträgerinnen positiv gewürdigt werden. In der Abschlussrunde soll sich für die Protagonistin das Gefühl aus dem Spiel mit den Beobachtungen verbinden. Aus der Feedback-Runde kann der Wunsch erwachsen, die Szene noch einmal oder mit veränderten Rollen zu spielen. Ist die Protagonistin mit ihrem Spiel zufrieden, schließt sich häufig noch ein Gespräch darüber an, welche Konsequenzen sie aus den Erfahrungen im Spiel zieht und ob es konkrete Überlegungen gibt, diese Erfahrungen in die Wirklichkeit umzusetzen. Je nach Grad der Identifikation der Mitspielerinnen mit ihren Rollen ist darauf zu achten, diese aus ihren Rollen noch einmal bewusst zu entlassen (»Sie sind jetzt nicht mehr …«). Eine Situation, die sehr häufig im Rahmen der Rollenspielgruppe inszeniert wird, ist die Kontaktaufnahme zu einer neuen Freizeitgruppe oder die Wiederaufnahme des Kontaktes zu einer bereits vor der Erkrankung besuchten Gruppe.

Praxisbeispiel: Frau O. traut sich Frau O., 65 Jahre alt, ist zum dritten Mal an einer Depression erkrankt. In Folge ihrer Krebserkrankung vor über zehn Jahren besuchte sie regelmäßig eine Sportgruppe ihrer Selbsthilfegruppe. Obwohl sie sich den Teilnehmerinnen dieser Gruppe sehr verbunden fühlte, lehnte sie den Besuch dieser Gruppe während des Tagesklinikaufenthaltes ab. Sie befürchtete, dass einige Teilnehmerinnen wenig Verständnis für ihre seelische Erkrankung auf-

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bringen würden und insbesondere eine Teilnehmerin ihr fehlende Willenskraft unterstellen würde. Nachdem sie sich in der Gruppe traute, ihr Anliegen zum Thema zu machen, bekam sie hilfreiche Tipps und Formulierungshilfen, insbesondere im Hinblick auf die von ihr befürchteten Äußerungen. Die Mitpatientinnen machten ihr Mut, die von ihr positiv bewerteten Ideen in eine Spielszene umzusetzen. Mit Unterstützung von mehreren Zuspielerinnen wurde eine Situation in der Umkleidekabine der Turnhalle eingerichtet. Im Spiel gelang es Frau O., auf »negative« Bemerkungen ihren Wünschen entsprechend zu reagieren und das Gespräch in eine für sie angenehme Richtung zu lenken. Nach der für sie positiv erlebten Erfahrung erklärte sich Frau O. bereit, am nächsten Termin ihrer Sportgruppe teilzunehmen. Dort wurde sie, entgegen ihren Befürchtungen, freundlich und verständnisvoll begrüßt. Im weiteren Verlauf der Behandlung traute sich Frau O. zu, alleine eine für sie neue Freizeitgruppe in ihrer Nähe aufzusuchen.

2.5 Erfahrungen Unserer Erfahrung nach ist das Alter der Patientinnen kein Hindernis, sich an der Rollenspielgruppe aktiv zu beteiligen und mitzuspielen. Wenn die ersten Hürden genommen sind, entwickelt sich in der Regel schnell Spielfreude. Es ist immer wieder beeindruckend, mit wie wenig Informationen die Mitspielerinnen improvisierend eine realitätsnahe Atmosphäre schaffen. Das Ende der Szene wird oft von spontanem Beifall begleitet. Zuspielerinnen, die sich vielleicht »nur« bereit erklärt haben, eine Rolle zu übernehmen, in der sie nichts sagen müssen, trauen sich dann doch manchmal, sich aktiver in das Geschehen einzumischen. Andere Rollenträgerinnen entwickeln viel Spaß dabei, in eine Rolle zu schlüpfen, die sie in ihrem wirklichen Leben bislang nicht inne hatten, und erleben so die Erweiterung der Bandbreite ihrer Möglichkeiten. Neben der Protagonistin und den Mitspielerinnen haben die anderen Gruppenmitglieder eine wichtige Bedeutung. Sie versuchen, sich in die Protagonistin hinein zu versetzten, und geben Anregungen für die Erprobung einer anderen Realitätsbewältigung. Oft kennen sie selber ähnliche Probleme und berichten über ihre Erfahrungen. Daraus kann auch der Wunsch der Protagonistin erwachsen, sich zunächst einmal anzuschauen, wie die Mitpatientin die Situation bewältigen würde. Aus diesem Verhaltensmodell werden unterschiedliche Bewältigungsstrate-

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gien konkret und können entsprechend der Möglichkeiten der Protagonistin modifiziert werden. Um die Bandbreite an Verhaltensmöglichkeiten deutlich zu machen, kann es bei manchen Spielsituationen hilfreich sein, dieselbe Szene mal bewusst unsicher, mal aggressiv und mal selbstsicher zu spielen. Auch die Einladung, eine »unerwünschte Variante« darzustellen, erhöht die Variationsmöglichkeit und die Spielfreude. Neben den spielenden Akteurinnen können auch die Beobachterinnen von diesem Modell-Lernen profitieren. Der unterschiedliche Grad der Beteiligung der Gruppe (Mitspielerin, Beobachterin) bietet verschiedene Möglichkeiten der Identifikation und verstärkt das Gruppengefühl. Die Protagonistin, vor dem Rollenspiel oft unsicher und zögernd, äußert sich häufig nach dem Rollenspiel erstaunt darüber, dass sie sich gefühlt habe »wie in Wirklichkeit«. Da im Rollenspiel der »ganze Mensch« agiert und Denken, Fühlen und Handeln verknüpft sind, schafft es neue Erlebnis- und Erfahrungsmöglichkeiten, die Veränderungen erleichtern. Diese gelebten und erlebten Veränderungen sind meist nur kleine Schritte, die aber durchaus bedeutsame Etappen im weiteren Therapieprozess markieren können. Diese Form des Pädagogischen Rollenspiels bietet viele Übereinstimmungen mit den Elementen, die in der Beratung und Therapie mit älteren Menschen als wesentlich (auch vor der Hintergrund einer systemischen Haltung) beschrieben werden. Wir möchten vor allem die respektvolle, wertschätzende und neugierige Grundhaltung betonen. Sie unterstützt das Entstehen einer Atmosphäre, in der sich die Protagonistin traut, sich auf die »Bühne« zu begeben, etwas Neues zu wagen, ohne genau zu wissen, ob es gelingt. Im Spiel wird die Realität neu konstruiert, was die Entwicklung neuer Perspektiven ermöglicht. Das Selbstwerterleben wird gefördert und durch die Reflexion der Gruppenmitglieder vielstimmig und wertschätzend verstärkt – Aspekte die sicherlich für Menschen jeden Alters hilfreich sind.

3. Sinnes- und Wahrnehmungsgruppe 3.1 Entstehungsgeschichte und Konzeptidee Die Sinnes- und Wahrnehmungsgruppe ist eine in der Tagesklinik für Gerontopsychiatrie und Psychotherapie Schlaunhaus, im Westfälischen

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80 | Thomas Friedrich-Hett, Rainer Gotzian, Regina Wolff-Ebel Zentrum Herten, speziell für die Arbeit mit älteren Menschen selbst konzipierte4 therapeutische Gruppe, die erlebnistherapeutische Elemente unterschiedlicher Form und Herkunft miteinander verbindet. Ausgangspunkt der Entwicklung war die Beobachtung, dass manche Patientinnen im Rahmen der Behandlung über Gespräche nur sehr mangelhaft Zugang zu ihren Gefühlen finden, von praktischen Handlungserfahrungen aber häufig profitieren (z.B. im Entspannungstraining, beim bildnerischen Gestalten oder bei handwerklicher Betätigung im Rahmen der Ergotherapie). Uns beschäftigte die Frage, ob es möglich wäre, zielgerichtete, sinnliche und erlebnisorientierte Erfahrungen so einzuladen, dass sie Ausgangspunkte für weiterführende therapeutische Prozesse und Reflexionen werden könnten. Im Fokus sollten dabei Wahrnehmung und Anregung von konkreten Gefühlen stehen; aber auch Selbststeuerungs- und Selbstwirksamkeitserfahrungen sollten möglich sein. In der konkreten Ausgestaltung der Sinnes- und Wahrnehmungsgruppe ließen wir uns dabei von persönlichen Erfahrungen aus einer theaterpädagogischen Zusatzausbildung und aus langjährigen, körperorientierten Selbsterfahrungsgruppen inspirieren. Die zur Anwendung kommenden Übungen stammen größtenteils aus nicht-therapeutischen Kontexten und sind im wörtlichen Sinne von den Gruppenleitern selbst erlebt und erfahren worden. Für die Sinnes- und Wahrnehmungsgruppe wurden sie nach subjektiver Einschätzung ausgewählt, adaptiert und durch Anwendungserfahrungen im therapeutischen Alltag kreativ weiterentwickelt. Aktuell sehen wir als Ziele der Gruppe, durch erlebnisorientierte Handlungserfahrungen Gefühle wieder besser wahrnehmen und bewusster erleben zu können, sowie Anregungen zur Selbststeuerung zu entwickeln. Hierdurch möchten wir positives Erleben und den Wiederaufbau von Lebensfreude und emotionaler Ausgeglichenheit fördern, zu Abbau von Unruhe, Anspannung und Angst beitragen und Wahrnehmungs- und Reflexionsfähigkeiten unterstützen.

3.2 Kontext und Rahmenbedingungen Die Sinnes- und Wahrnehmungsgruppe wird seit November 2000 angeboten und ist seitdem fester Bestandteil des Therapieplans der Tagesklinik Schlaunhaus. Sie findet einmal wöchentlich für alle Patientinnen der Tagesklinik statt und dauert 75 Minuten. In der Regel nehmen zehn bis zwölf Patientinnen teil. Die Gruppe wird zumeist von zwei Therapeuten geleitet, die sich bei

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den Durchführungen und Anleitungen der einzelnen Übungen oder Sequenzen abwechseln. Der nicht anleitende Therapeut nimmt dabei nach Möglichkeit auch selbst an den Übungen teil, was auch grundsätzlich für Kotherapeutinnen, Praktikantinnen oder interessierte Hospitanten so vorgesehen ist. Jede Übung wird zunächst von den Gruppenleitern (GL) demonstriert. Dabei wird jeweils vorgeschlagen, bezüglich der angesprochenen Gefühle nur so zu tun, als ob diese vorhanden seien; das Gefühl wirklich zu haben ist nicht notwendig. Jede Übung ist freiwillig, für die Teilnahme wird geworben, aber nicht gedrängt. Auf Ausdauer und körperliche wie psychische Belastbarkeit wird bei Auswahl wie Durchführung der Übungen genau geachtet und individuell reagiert. Die Übungen werden in der Regel durch gezielt ausgewählte Musik unterstützt. Die Sinnes- und Wahrnehmungsgruppe ist themenzentriert konzipiert, wobei sich die einzelnen Stunden an den aktuellen Problematiken der teilnehmenden Patientinnen orientieren. Die Themenschwerpunkte werden dabei häufig mit den Patientinnen und dem Behandlungsteam im Vorfeld abgestimmt und nach Möglichkeit in anderen Therapiegruppen oder in Einzelgesprächen aufgegriffen und weiterverfolgt. Häufig wird dabei ein Gefühl als Leitthema einer Stunde ausgewählt, z.B. Unruhe, Ärger, Angst oder auch Freude (s. unten). Die Stunden sind jeweils in eine thematische Arbeitsphase und in eine Entspannungsphase aufgeteilt. Zu Beginn erfolgt eine kurze Einführung für neue Patientinnen und eine Erläuterung des aktuellen Themas. Jede Stunde endet mit einer Kurzreflexion der gemachten Erlebnisse und Erfahrungen.

3.3 Themenschwerpunkte und Übungsbeispiele Obwohl die ausgewählten Themen und die zugeordneten Übungen sich immer wieder erweitern und verändern, haben sich doch bereits verschiedene Themen und Übungen als hilfreich bewährt und »etabliert«. Im Folgenden sollen häufig gewählte Themenschwerpunkte mit zugeordneten Übungsbeispielen kurz vorgestellt werden. Dabei möchten wir darauf hinweisen, dass einige Übungen mit oder ohne Variationen verschiedenen Themen zugeordnet werden können. Stimmungen bewusst erleben und vergleichen • Begrüßungsrituale: z.B. in fröhlicher, trauriger, ängstlicher, ärgerlicher Stimmung etc. • Gangvariationen: z.B. müde und abgeschlagen, in Hektik, verliebt

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82 | Thomas Friedrich-Hett, Rainer Gotzian, Regina Wolff-Ebel o.Ä.; oder in verschiedenen Rollen gehen: z.B. als Mafiaboss, als Königin, als Soldatin u.Ä.; Alltagsverrichtungen in verschiedenen Gefühlslagen spielen: z.B. sich rasieren, waschen, Zähne putzen in verliebter oder wütender Stimmung u.Ä. Beobachten und wahrnehmen • Spiegelbildübungen: Zwei Partnerinnen stehen sich gegenüber, eine ahmt die Bewegungen der anderen nach, z.B. beim Waschen, Frühstücken, o.Ä. • Gangbilder, Grimassen oder Geräusche imitieren: Eine Person macht etwas vor, die anderen ahmen nach. • Bildhauerübung: Es werden Dreiergruppen gebildet; zwei Personen sitzen, wobei eine von ihnen eine bestimmte Haltung einnnimmt und das Modell darstellt; die zweite hat die Augen verbunden und wird von der dritten nur über Sprache so instruiert, dass sie möglichst in die gleiche Haltung kommt wie das Modell. Fantasie und Kreativität • Magische Luft/magischer Gegenstand: Luft oder ein beliebiger Gegenstand – z.B. eine Bürste – können pantomimisch zu Gegenständen beliebiger Art geformt und entsprechend »verwendet« werden; die anderen versuchen zu erraten, um was es sich handelt. • Musikassoziationen: Es werden verschiedene Musikstücke kurz angespielt; jede soll versuchen, sich zu der Musik kurze Szenen vorzustellen, die dann nach jedem Stück mitgeteilt werden. Es wird angeregt, dabei bestimmte Orte, Personen, Farben, Gerüche etc. zu assoziieren. • Rhythmen erzeugen: Mit einfachen Musikinstrumenten (Rasseln u.Ä.) oder auch nur mit Mund und Körper soll jede versuchen, einen kleinen Rhythmus zu erzeugen, der dann von allen nachgeahmt wird. Freude und Unbeschwertheit • Unsichtbare Bälle: Die Teilnehmerinnen werfen sich pantomimisch einen unsichtbaren Ball zu; dieser kann mal tonnenschwer, mal federleicht sein. Als Variation kann noch eine Zeitlupenbewegung eingeführt werden. • Fratzen schneiden: Es wird ein Kreis gebildet; mit Hinweis auf spielende Kinder soll nacheinander jede eine Fratze schneiden, diese werden jeweils nachgeahmt; als Variation kann hinzukommen, dass eine versucht, eine andere durch die Fratzen zum Lachen zu bewegen. • Lachkreis: Im Kreis stehend wird nacheinander probiert, auf wie viele

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unterschiedliche Weisen frau lachen kann, was jeweils von einer vorgeführt und von den anderen nachgeahmt wird. Unruhe, Ärger und Dampf ablassen: • Zahlen schimpfen: Zwei Personen stehen sich in einiger Entfernung gegenüber, gehen dann langsam Zahlen sprechend aufeinander zu, begegnen sich kurz und gehen dann aneinander vorbei, wobei die Zahlen zuerst leise, dann immer lauter bis zum möglichen Schimpfen vorgetragen werden sollen. • Staub klopfen: Mit einem Stock oder vielleicht einem Tischtennisschläger wird Staub aus Polsterstühlen oder Sesseln geklopft, dieses wird unterstützt durch lautes Rufen oder Schimpfen. • Ja-nein-Übung: Es werden Paare gebildet; jeweils eine Person darf nur »ja«, die andere nur »nein« sagen. Hierzu wird aber ein gegensätzliches Gefühlspaar verordnet, aus dem heraus das Ja-Nein-Gespräch geführt werden soll: Z.B. das »Ja« mit Freude – vielleicht hat frau eine Reise gewonnen und will die andere einladen mitzukommen; das »Nein« dagegen mit Desinteresse und Langeweile. Nach einigen Minuten werden die Positionen vertauscht. Dann, im zweiten Durchlauf, wird »ja« mit Ärger verbunden – die Reise ist am Nein der anderen gescheitert, das Nein ist mit Schuldgefühlen verknüpft; auch hier werden noch die Rollen vertauscht. Als Steigerung bilden alle zum Abschluss einen Kreis um einen der Gruppenleiter (GL), der sich mit einer Maske unkenntlich macht, und lassen in Form von »ja« oder »nein«, was jetzt frei gewählt und variiert werden darf, Dampf ab. Der Maskenmann antwortet ebenfalls mit »ja« und »nein« und wählt dabei immer die Gegenform. Angst und erwachender Mut • Tropenexpedition: Ein GL erzählt eine improvisierte Reisegeschichte, die von allen sich bewegend und spielend miterlebt wird; hierbei tauchen Gefahren auf, die bewältigt werden müssen: z.B. Spinnen, die zertreten werden, Affen, die durch Schreie verjagt werden, Krokodile, die durch »Steine« (Bälle) vertrieben werden u.Ä. • Geister bannen (Partnerinnenübung): Eine sitzt vor Angst gelähmt auf einem Stuhl, eine andere bedrängt sie in Form von Tiergeräuschen, oder Geisterraunen (keine konkreten Sätze). Durch zuerst zaghaften, dann energischen Einsatz einer Rassel und der Stimme kann der Geist erschreckt und vertrieben werden. • Reise zur Quelle der inneren Kraft (Imaginationsübung): Ein GL beschreibt eine Begegnung mit einem Zauberspiegel, der an einen ver-

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84 | Thomas Friedrich-Hett, Rainer Gotzian, Regina Wolff-Ebel borgenen Ort führt, wo eine alte weise Person Mut zuspricht; jede hört einen persönlichen Satz, der sie für die Zukunft wappnet und selbst ausgedacht werden soll. Trauer und beginnende Bewältigung • Trauertrance: Gefühlsanregende Imagination; ein GL schildert einen Traum, in dem alle eine Bildergalerie besuchen, in der persönliche Verlustereignisse festgehalten sind (diese sollten hierfür dem GL bekannt sein). • Klageweiber: Zwei Personen sitzen sich auf Stühlen gegenüber; mit den trauernden Klagefrauen aus anderen Kulturkreisen als Vorbild soll zuerst zaghaft, dann immer theatralischer und übertriebener gejammert und geklagt werden: Haare raufend, stampfend u.s.w. Vertrauen und Kontrolle • Blindenführübungen (Partnerinnenübung): Jeweils im Wechsel hat eine die Augen locker verbunden oder auch nur geschlossen und wird von der anderen behutsam durch den Raum geführt, zuerst an den Schultern gefasst und geschoben, dann, durch einen Stock verbunden, gezogen oder geschoben, mit sprachlichem Kontakt oder ohne; viele Variationen sind möglich. • Falling-Übungen: Jeweils eine führt die Übung mit beiden GL durch; die Person steht aufrecht mit geschlossenen Augen, wird von einem GL der vor ihr steht, an den Händen gehalten, der zweite GL steht hinter der Person und berührt sie leicht an den Schultern. Die Person soll nun zuerst leicht vor und zurück schaukeln und schließlich loslassen und sich nach hinten fallen lassen; sie wird nach nur wenigen Zentimetern aufgefangen. • Vertrauenskreis: Alle stellen sich Schulter an Schulter und bilden einen Kreis; eine betritt die Mitte und läst sich mit offenen oder geschlossenen Augen leicht fallen und wird von den anderen mit gestreckten Armen sanft weitergereicht und »geschaukelt«. Entspannungsübungen5 • Traumreisen: Ein GL erzählt eine zur Entspannung einladende kleine Reise, z.B. einen Waldspaziergang, eine Schifffahrt, einen Ballonflug o.Ä. Alle sitzen im Kreis; es wird versucht, Empfindungen aller Sinnesqualitäten anzusprechen; vom Thema abweichende Reisen zu erleben ist ausdrücklich erlaubt. • Atemtraining: Verschiedene Atemübungen, z.B. eine Bauchatemvariante, bei der zuerst schlürfend durch den Mund eingeatmet, die Luft

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kurz angehalten und dann in den Bauch auspustend ausgeatmet wird; dabei wird individuell korrigiert und unterstützt. • Meditationsübungen: Verschiedene Formen werden in Abwandlungen vorgestellt, z.B. die Phase 1 der »No Dimensions« von Osho, oder der AUM-Kreis, bei denen alle sich an den Händen haltend und mit den Schultern gegenseitig stützend einen Kreis bilden und gemeinsam bestimmte Töne singen.6

3.4 Erfahrungen, Bewertungen und Ausblick Die beschriebene Sinnes- und Wahrnehmungsgruppe der Tagesklinik Schlaunhaus ist nach unserem Kenntnisstand bisher einmalig in ihrer Art. Im Rahmen eines jährlich stattfindenden bundesweiten Treffens der gerontopsychiatrischen Tageskliniken stellten wir die Gruppe 2002 in Herten vor, wobei kein vergleichbares Angebot entdeckt werden konnte. Auch in der Literatur konnten wir zu unserem Erstaunen kein ähnliches Konzept in der Arbeit mit älteren Menschen entdecken (was natürlich nicht bedeutet, dass wir die Einzigen sind, die so arbeiten). Von den Patientinnen wird die Gruppe überwiegend positiv und angstfrei erfahren, obwohl einige Übungen durchaus auch als konfrontativ erlebt werden können. Der spielerische Charakter vieler Übungen und der Versuch einer leistungsfreien, respektvollen und wertschätzenden Atmosphäre, scheinen dabei den Zugang zu dieser für nahezu alle Patientinnen unvertrauten Gruppenform zu erleichtern. Die Erfahrung der Bewusstwerdung und Wiedererweckung von Gefühlen wird von den Patientinnen ebenso bestätigt, wie der gleichwohl belebende als auch entlastende und entspannende Charakter insgesamt. Die Sinnes- und Wahrnehmungsgruppe wird von allen Beteiligten als hoch erfolgreich erlebt. Patientinnen beschreiben regelmäßig tief berührende Erfahrungen, nicht selten führen diese zu wichtigen Weiterentwicklungen ganz im Sinne der beschriebenen Zielsetzungen bis hin zu regelrechten »Behandlungsdurchbrüchen«. Nicht unerwähnt bleiben soll auch die Erfahrung, dass sowohl den Patientinnen als auch den Therapeuten diese Gruppe im Verlauf einer Behandlungswoche oft am meisten Spaß macht. Vom Tagesklinikteam insgesamt wird die Sinnes- und Wahrnehmungsgruppe als kreative und originelle Erweiterung und Bereicherung des Behandlungsangebots erlebt; die Gruppenleiter fühlen sich herausgefordert, motiviert und inspiriert. Neue Mitarbeiterinnen der Tagesklinik zeigen zu Beginn allerdings nicht selten gewisse Berührungsängste.

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86 | Thomas Friedrich-Hett, Rainer Gotzian, Regina Wolff-Ebel Die Sinnes- und Wahrnehmungsgruppe wird von uns weiterhin als ein in der stetigen Entwicklung befindliches Projekt betrachtet. In klinischen und außerklinischen Kontexten schauen wir uns nach neuen Anregungen um, entwickeln neue Übungen oder Sequenzen und wenden uns neuen Themenschwerpunkten zu. Gerne würden wir uns beispielsweise von musik- und tanztherapeutisch oder von körpertherapeutisch erfahrenen Kolleginnen inspirieren lassen und entsprechende Erfahrungen integrieren. Auch das Gebiet der Euthymen Therapie (Lutz, 1996) bietet aus unserer Sicht wertvolle Anregungen für die zukünftige Weiterentwicklung unserer Gruppe. Die Erfahrungen mit der Sinnes- und Wahrnehmungsgruppe zeigen deutlich, was in der klinischen Arbeit (und sicherlich auch außerklinischen Arbeit, wie z.B. in der Erwachsenenbildung) mit älteren Menschen alles möglich ist. Der auch in der Gerontopsychiatrie weit verbreitete negative Mythos der geringen Belastbarkeit und der mangelnden Flexibilität älterer Menschen kann in dieser Hinsicht unserer Meinung nach kaum aufrechterhalten werden. Selbst nach mehreren Jahren Erfahrung mit dieser Form der therapeutischen Arbeit sind wir immer noch häufig überrascht und tief berührt, wie schnell manchmal tief versteinerte und hilflos erscheinende ältere Menschen Lebendigkeit, Kreativität und Spielfreude wiederentdecken können. Wir hoffen mit diesem Erfahrungsbericht Interesse an unüblichen Behandlungsformen in der Arbeit mit älteren Menschen wecken zu können. Über aufgeschlossene Kolleginnen und Nachahmungsideen würden wir uns sehr freuen. Anwendungen im außerklinischen Bereich, z.B. bei Bildungsträgern, Wohlfahrtsverbänden oder auch in Schulen sind nach unserer Ansicht ebenfalls ohne Weiteres möglich.

Praxisbeispiel: Frau A. oder: Die Entdeckung von befreiendem Ärger Die 57-jährige gelernte Kinderpflegerin Frau A. litt bereits seit neun Jahren unter wiederkehrenden schweren depressiven Verstimmungen, die bisher nur ambulant behandelt worden waren. Aufgrund einer zunehmenden Zustandsverschlechterung mit Vernachlässigungstendenzen und Schlafstörungen drängte der ambulant behandelnde Psychiater bereits seit einem Jahr auf eine tagesklinische Behandlung bei uns, der Frau A. jetzt erstmals zugestimmt hatte. Frau A. beschrieb als schlimmstes Symptom quälendes Gedankenkreisen um die Beziehung zu ihrer Mutter, was sie schier verrückt mache. Frau A.

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schilderte, fast ihr gesamtes Leben im Haus der Eltern verbracht zu haben. Selbst nach ihrer Heirat (mittlerweile ist sie wieder geschieden und seit kurzem mit einem neuen Partner zusammen) wohnte sie mit ihrem Mann und ihrem Sohn im Haus der Eltern. Sie war von der Mutter immer unterdrückt, schikaniert und bevormundet worden, hatte sich niemals abgrenzen und befreien können. Nach dem Tod des Vaters vor einigen Jahren war es für sie kaum noch auszuhalten gewesen. Die Mutter war klammernd und vereinnahmend geworden und hatte keinerlei Distanz mehr akzeptiert. Nach einem Sturz war die Mutter nun pflegebedürftig geworden und schließlich in ein Heim gekommen. Frau A. hatte sich um alles gekümmert und die Mutter gehorsam täglich besucht. Einige Wochen später stand Frau A. plötzlich vor einem leeren Zimmer und erfuhr durch Dritte, dass die Mutter heimlich eine Verlegung in ein anderes Heim organisiert (ohne eine Adresse zu hinterlassen) und Frau A. alle Vollmachten entzogen und auf die Schwester übertragen hatte. Zur Schwester hatte Frau A. bereits seit Jahren keinen Kontakt mehr, da sich diese nie um etwas gekümmert hatte. Frau A. erlebte sich innerlich völlig zerrissen, sie litt unter der massiven Zurückweisung und Kränkung, war gleichzeitig wütend, schämte sich aber über dieses unerlaubte Gefühl und konnte die Kontaktabbrüche kaum ertragen. Im Rahmen der Sinnes- und Wahrnehmungsgruppe fokussierten wir in Absprache mit Frau A. die unerlaubten Ärgergefühle in Form verschiedener Übungen (s. Abschnitt: Unruhe, Ärger und Dampf ablassen). Nachdem sich Frau A. zunächst nur sehr zögerlich und gehemmt beteiligte, kam es in der zweiten Stunde plötzlich zu einem Gefühlsdurchbruch. Sie sollte nach einigen anderen Übungen zum gleichen Thema mit einem Stock Staub aus einem Polsterstuhl klopfen und dies durch lautes Schimpfen unterstützen. Frau A. begann gewohnt zurückhaltend, sah plötzlich das Gesicht der Mutter in einer typischen sie unterdrückenden Situation vor sich, erlebte sich dann plötzlich von einer flammenden nie gekannten Wut überflutet und begann wild schimpfend und gleichzeitig heftig weinend den Stuhl durchzuprügeln. Frau A. zeigte sich später völlig verblüfft über sich selbst und beschrieb ein beflügelndes Befreiungsgefühl. In nur kurzer Zeit besserte sich der depressive Zustand erheblich und der Lebenspartner von Frau A. beschrieb eine völlig veränderte Persönlichkeit, die Frau A. bestätigte und auf die beschriebene Stunde zurückführte.

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4. Theatertherapie 4.1 Versuch einer Begriffsklärung Theatertherapie ist im deutschen Sprachraum eine sehr junge Disziplin. Deshalb hat sich auch noch keine abschließende Begrifflichkeit und damit international diskursfähige Fachsprache entwickelt. Es beginnt sich der Begriff »Drama- und Theatertherapie« zu etablieren. Darunter versteht frau derzeit einen Sammelbegriff für verschiedene künstlerische Ansätze, mittels Theater heilend zu arbeiten. Elemente der Theaterarbeit werden also als Grundlage für den therapeutischen Prozess benutzt. Noch immer ist es in Fachkreisen umstritten, ob Theater per se schon heilend wirkt, oder welche Elemente die heilende Wirkung ausmachen. Drama- und Theatertherapie ist in Deutschland, im Gegensatz zu den Niederlanden oder England, noch ein relativ unbekanntes Gebiet, doch das Interesse daran wächst. So hat sich 1995 bei uns die Deutsche Gesellschaft für Theatertherapie (DgfT) mit dem Ziel gegründet, diese junge Disziplin bekannter zu machen und zu etablieren. Mittlerweile gibt es in mehreren Städten Weiterbildungen zum Drama- und Theatertherapeuten.

4.2 Das Werkzeug kommt aus dem Theater, die Ziele sind in der Psychotherapie angesiedelt In der Theatertherapie macht frau sich zu nutze, dass die Theaterrolle Sicherheit bietet, um Veränderungen und Entwicklungen auszuprobieren, ohne Sanktionen befürchten zu müssen. Die Rolle bietet also Schutz. Wenn frau in eine Rolle schlüpft, ist es möglich, sich die Kraft und die Eigenarten der Figur »auszuleihen«, die frau gerade spielt. Gleichzeitig kann die Spielerin sich hinter ihrer Rolle verstecken, in der sie Dinge sagen und tun kann, die sie in der Realität noch nicht zu sagen oder zu tun wagt. Sie kann Rollen einnehmen, zu denen sie im Alltag keinen Zugang hat (Vamp, Chefin u.s.w.), oder Rollen ausprobieren, die sie in Zukunft vielleicht einnehmen muss oder möchte (Rentnerin, Mutter u.s.w.)

4.3 Theatertherapie am Westfälischen Zentrum Herten Im Jahr 2004 begannen die ersten Versuche, Theatertherapie am Westfälischen Zentrum Herten anzubieten.7 Mittlerweile ist sie zum festen

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Bestandteil des zentralen Therapieangebotes der Klinik geworden. Das heißt, Theatertherapie wird für stationäre, teilstationäre und ambulante Patientinnen generationsübergreifend und settingübergreifend angeboten. Bisher werden zwei Theatertherapie-Gruppen im Rahmen der Zentralen Ergotherapie angeboten. Jahrelange, sehr gute Erfahrungen mit generationsübergreifenden Theatergruppen haben dazu geführt, dieses Setting auch für theatertherapeutische Gruppen zu wählen. Es zeigt sich, dass der gegenseitige Erfahrungsaustausch für alle Altersgruppen sehr fruchtbar ist, und dass das miteinander Spielen sehr förderlich für das gegenseitige Verständnis sein kann. Im Unterschied zur Sinnes- und Wahrnehmungsgruppe und zur Rollenspielgruppe begegnen sich hier also Patientinnen, die sich nicht aus gemeinsamen therapeutischen Gruppen kennen, sondern die von verschiedenen Stationen, aus den Tageskliniken oder ambulant von zu Hause kommen. Es kann also inhaltlich nicht an andere Gruppen (Gesprächsgruppe u.s.w.) angeknüpft werden. Die Theatertherapiegruppe findet einmal wöchentlich statt und dauert eineinhalb Stunden. Nach einer Dreiviertelstunde gibt es eine kurze Pause. Eine Gruppe besteht aus personellen und räumlichen Gründen aus maximal zehn Patientinnen. Es handelt sich um halboffene Gruppen, bei denen immer mal wieder Patientinnen entlassen werden oder neu in die Gruppe kommen. Die Anmeldung zu der Gruppe erfolgt durch die behandelnde Stationsärztin oder die ambulant behandelnde Ärztin. Da der Begriff »Theatertherapie« bei einigen Patientinnen zunächst einmal Angst auslöst, ist es oft nötig, den Patientinnen im persönlichen Gespräch die Befürchtung zu nehmen, dass sie öffentlich auftreten oder viel Text lernen müssen. Die bisherige Erfahrung zeigt, dass Theatertherapie nahezu bei allen psychiatrischen Krankheitsbildern einsetzbar ist, abgesehen von akuten Phasen der Erkrankung.

4.4 Worum geht es in den Theatertherapiegruppen? »Leichtigkeit wiederfinden« und »Eigentlich bin ich ganz anders, ich komme nur so selten dazu«: Diese Stichworte fassen die Inhalte der Gruppen gut zusammen. Die amerikanische Dramatherapeutin Renee Emunah (1994, nach Junker, 2002) beschreibt fünf dramatherapeutische Arbeitsphasen, die nicht zwingend aufeinander folgen müssen, sondern beweglich und oft überlappend sein können. In den Theatertherapiegruppen im Westfälischen Zentrum Herten

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90 | Thomas Friedrich-Hett, Rainer Gotzian, Regina Wolff-Ebel kommen überwiegend die Phasen 1 und 2, gelegentlich die Phase 3 zum Einsatz. Phase 1: R. Emunah nennt sie die Phase des dramatischen Spiels. Es geht dabei um den Aufbau von Arbeitsstrukturen, die notwendig sind, um Vertrauen entwickeln zu können und somit spontanes Spiel möglich zu machen. Die Patientinnen sollen in Bewegung kommen und miteinander in Kontakt treten. Der Akzent wird dabei auf die durch die seelische Erkrankung nicht beeinträchtigten Fähigkeiten gesetzt. In dieser Phase sind die Anforderungen noch recht leicht, damit die Patientin den Mut findet, langsam auf intensivere Gefühle einzugehen. In der 2. Phase, Emunah nennt sie »scenework«, geht es um die Freiheit zum Selbstausdruck und zur Rollenerweiterung (»Eigentlich bin ich ganz anders …«). Bei der Übernahme einer Rolle erhält die Patientin die ausdrückliche Erlaubnis, »anders« zu sein als im realen Leben. Am Ende der Spielphase werden Verbindungen zum persönlichen Leben hergestellt. Bei Gruppen, in denen eine offene und vertrauensvolle Atmosphäre vorherrscht, ergeben sich fließende Übergänge zur 3. Phase (»playing roles«). Hier wird eigenes Erfahrungsmaterial spielerisch erforscht. Welche aktuellen realen Rollen spiele ich? Welche Verhaltensmuster habe ich? Wie nehme ich andere Rollen wahr? In der 4. Phase, Emunah nennt sie »culminating enactment«, geht der Therapeut über die Darstellung aktueller Themen hinaus. In der Gruppe wird die Aufmerksamkeit nun auf eine Person gerichtet. Es geht in der Regel um die Erforschung von Schlüsselszenen aus dem eigenen Leben. Phase 5 (»dramatic ritual«) führt zum Abschluss. Die zentrale Frage lautet hier, wie die Patientin die in der Gruppe entstandenen Veränderungen in ihr alltägliches Leben integrieren kann. Das gemeinsame Erleben von Ritualen als Ausdruck dessen was zuvor geschehen ist, festigt das Erleben von Entwicklungsprozessen.

4.5 Wie verläuft eine typische Theatertherapiestunde? Die einzelnen Stunden verlaufen nach einem festen Muster: 1. Warming-up, 2. Spielzeit, 3. Abschlussritual.

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Zu 1. Warming-up: Das Warming-up ist dringend notwendig, um den Patientinnen bei einer Therapieform Sicherheit zu geben, die für viele noch unbekannt und mit Unsicherheiten verbunden ist. Jede Stunde beginnt mit einer Befindlichkeitsrunde, die jedoch nicht immer verbal sein muss. So wird die Patientin zum Beispiel aufgefordert, ihre Befindlichkeit in einer Körperhaltung oder einem dafür typischen Gangbild auszudrücken; oder sie soll ihr Befinden mit einem Bild aus dem Wetterbericht deutlich machen (z.B. »Nebel mit Aufheiterungen und gelegentlichen sonnigen Abschnitten«). Daran schließt sich die Frage an, ob von Seiten der Patientinnen Wünsche und aktuelle Themen vorliegen, die beim weiteren Verlauf der Stunde natürlich vorrangig berücksichtigt werden. Die folgenden Übungen, die zusammen mit der Befindlichkeitsrunde die Aufwärmphase darstellen, haben das Ziel, die Patientinnen spielbereit und gelöster zu machen, denn nur dann ist es möglich, spontan und mit einer gewissen Unbefangenheit in den eigentlichen Spielszenen zu agieren. Zu Beginn stehen meist Übungen, welche die Patientinnen in Bewegung bringen. Der Einsatz von Musik hat sich dabei sehr bewährt. Die Patientinnen werden zum Beispiel aufgefordert sich vorzustellen, über verschiedenartige Untergründe zu gehen, oder auszuprobieren, wie man wohl mit unterschiedlichen Schuhen geht (Gummistiefel, Taucherflossen u.s.w.). Die Bewegungsübungen wechseln in Partnerinnenübungen, bei denen frau zu zweit oder in kleinen Gruppen niedrigschwellige Aufgaben bekommt (z.B. zu führen und zu folgen oder zu gehen und dabei immer mit einem Körperteil Kontakt zum Partner halten). Dabei ist es wichtig, die Partnerinnen oft zu wechseln, um zu möglichst vielen Gruppenmitgliedern Kontakt zu bekommen. Daran schließen sich Übungen an, die man als Wahrnehmungsoder Achtsamkeitsübungen bezeichnen kann (siehe Sinnes- und Wahrnehmungsgruppe). In der nächsten Sequenz kommen Spiele zum Einsatz, die Fantasie und Spielfreude anregen. Das können kleine Pantomimeübungen oder Assoziationsspiele sein. Das Aufwärmen dauert mindestens eine halbe Stunde, nimmt also etwa ein Drittel der zur Verfügung stehenden Therapieeinheit in Anspruch. Diese Zeit ist jedoch dringend notwendig, da nur so die nötige Spielbereitschaft erreicht werden kann, die frau für den weiteren Verlauf braucht. Die Auswahl der Übungen richtet sich nach dem Befinden der Gruppe, sollte aber auf jeden Fall für die Teilnehmerinnen erkennbare Strukturen aufweisen.

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92 | Thomas Friedrich-Hett, Rainer Gotzian, Regina Wolff-Ebel Zu 2. Spielzeit: Erst jetzt setzt die eigentliche Spielzeit ein (Phasen 1 bis 3 nach Emunah). Dabei können je nach Zielsetzung ganz unterschiedliche Themen zum Einsatz kommen. Wenn es das Thema der Gruppe ist, Kreativität, Spontaneität, Humor und Vitalität zu fördern, werden schwerpunktmäßig Übungen eingesetzt, die aus dem Bereich des Improvisationstheaters stammen und die auf die Bedürfnisse der Gruppe abgestimmt werden. Eine sehr schöne Art, ins Spiel zu kommen, ist der Einsatz von bekannten Märchen, die besonders geeignet sind, da sie klar strukturiert sind und jede die Möglichkeit hat, sich in einer Figur daraus wiederzufinden. Beim Einsatz von Märchen kann es auch dazu kommen, dass einzelne Patientinnen sich in den Figuren wiedererkennen, was auch heftige emotionale Reaktionen auslösen kann. So zog eine Patientin, welche die böse Stiefmutter aus Schneewittchen spielte, Parallelen zu ihrem eigenen Leben und dem ihrer Tochter. Ihr wurde bewusst, dass sie ihre Tochter nie geliebt und immer ihren Sohn vorgezogen hat. Im anschließenden Rollenfeedback berichtete sie sehr offen von ihren Gefühlen. Von der Gruppe bekam sie sehr mitfühlende Rückmeldungen und auch die Erlaubnis, diese Gefühle haben zu dürfen. Zu 3. Abschlussritual: Am Ende jedes Spiels steht eine Rückmeldungsrunde mit den Fragen: Wie habe ich mich in der Rolle gefühlt? Wie habe ich mich gesehen? Wie hat die Gruppe mich gesehen? Jede Theatertherapiestunde endet mit einer Befindlichkeitsrunde (siehe Beginn der Stunde). Ganz zum Schluss erfolgt ein kleines Abschiedsritual, bei dem jede Patientin der Stunde eine ganz persönliche Überschrift geben soll, die sie dann der Gruppe mitteilt. Alternativ werden die Teilnehmerinnen aufgefordert, einer anderen Teilnehmerin ein symbolisches Geschenk zu machen (z.B. »Ich schenke dir einen Sonnenstrahl auf deiner Haut« oder »den Geschmack von Erdbeertorte«).

4.6 Theatertherapie mit älteren Menschen In den bisherigen Ausführungen wurde die Altersfrage deshalb nicht erwähnt, weil sie sich in der alltäglichen Arbeit als unwesentlich erwiesen hat. Im Gegenteil, die älteren Teilnehmerinnen sind durch ihre Lebenserfahrung in der Lage, den jüngeren wertvolle Anregungen zu geben. Wenn die Teilnehmerinnen Masken tragen würden, würde eine imaginäre Zuschauerin keinen Unterschied zwischen Alt und Jung er-

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kennen. Generationsübergreifende Theatertherapiegruppen können das Vorurteil von fantasielosen, rigiden, gebrechlichen alten Menschen auflösen und stattdessen das Bild von kreativen, spielfreudigen Menschen entstehen lassen. Ältere Menschen erfahren insbesondere dann Wertschätzung, wenn sie von den jüngeren nach persönlichen Erlebnissen gefragt werden. Beispiel: Eine 20-jährige Teilnehmerin mit Liebeskummer befragte in einer Spielszene eine 60-jährige Teilnehmerin nach deren Erfahrungen in 40 Ehejahren. Überrascht konnte sie feststellen, dass sich die Erlebnisse der älteren Teilnehmerin auf die eigene Situation übertragen ließen.

Praxisbeispiel: Herr T. oder: Die Last, stark sein zu müssen Herr T. ist ein 62-jähriger Mann, der bis zu seiner Frühpensionierung vor ca. zwei Jahren als Grundschulrektor gearbeitet hat. Die Anforderungen am Arbeitsplatz führten in den letzten Jahren zu massiven Problemen. So entwickelte er Angst vor der Schule und seinen Schülerinnen. Da er ein zurückhaltender und eher schüchterner Mensch ist, bereitete ihm seine Rolle als Rektor zunehmend Schwierigkeiten, insbesondere wenn er unangenehme Entscheidungen treffen musste. Er zog sich sozial zurück, verkroch sich nach der Schule ins Bett und entwickelte starke Insuffizienzgefühle. Die Folge war eine stationäre Behandlung auf einer gerontopsychiatrischen Station und später seine vorzeitige Pensionierung. Während des stationären Aufenthaltes nahm er an der Theatertherapie teil. Da er privat versichert ist, kann er die Teilnahme mit kleinen Unterbrechungen bis heute ambulant fortsetzen. Herr T. machte die Erfahrung, in der Gruppe anerkannt zu werden, ohne immer stark sein zu müssen. Er wurde zunehmend gelöster, zeigte sich in Spielszenen immer öfter von seiner humorvollen, witzigen Seite. Es gelang ihm dadurch, andere Teilnehmerinnen zum Spiel zu motivieren. Über die Gruppe ergaben sich neue soziale Kontakte. So gehen die Teilnehmerinnen und deren Partnerinnen nach der Theatertherapiestunde gemeinsam Kaffee trinken und treffen sich auch privat. Im Laufe der Zeit wagte sich Herr T. verstärkt an für ihn belastende Themen heran. Rollen, in denen er stark und dominant sein musste, entwickelten sich zu seinem zentralen Thema. Im Spiel machte er die Erfahrung, dass es für ihn nicht immer notwendig ist, permanent Stärke zu demonstrieren. In weniger dominanten Rollen fühlt er sich sichtlich wohler und entwickelt eine große Spielfreude. Während der Behandlung kam es zu Krisen als er sich ein Haus kaufte. Die dabei auftretenden Probleme spielte

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er in der Gruppe auf teilweise humorvolle Art und es gelang ihm, einen etwas lockereren Umgang mit diesen Schwierigkeiten zu finden. Insgesamt kann man sagen, dass die Theatertherapie Herrn T. hilft, seine Stimmungsschwankungen unterstützend zu begleiten und seinen mittlerweile guten Zustand zu stabilisieren.

Anmerkungen 1 | Die Tagesklinik Schlaunhaus, benannt nach ihrem westfälischen Architekten, behandelt Menschen mit psychischen Erkrankungen ab 50 Jahren. Konzeptionell besteht eine Spezialisierung auf depressive Erkrankungen sowie auf Gedächtnisprobleme in Form einer Memory-Klinik. 2 | Wir haben uns im vorliegenden Beitrag entschieden, zu den üblichen Verwendungen der männlichen Sprachform einen Unterschied zu machen und die weibliche Form zu verwenden, sofern nicht konkrete Männer gemeint sind. 3 | Die folgenden Ausführungen basieren auf meinen (Regina WolffEbel) Erfahrungen als Leiterin für Pädagogisches Rollenspiel. Seit vielen Jahren ist die Rollenspielgruppe fester Bestandteil des Therapieprogramms der Gerontopsychiatrischen Tagesklinik Schlaunhaus. 4 | Die Gruppe wurde von Thomas Friedrich-Hett und Rainer Gotzian gemeinsam entwickelt und konzipiert. Sie wird in der Praxis durch neue Ideen und Erfahrungen laufend bereichert und weiterentwickelt; die geschilderten Konzepte und Eindrücke stellen somit den gegenwärtigen Stand dieser Gruppe dar. 5 | In der Gruppe werden weder progressive Muskelrelaxation (PR) nach Jakobson, noch autogenes Training (AT) als Entspannungsverfahren verwendet. PR wird in der Tagesklinik Schlaunhaus als regelmäßiges Entspannungstraining in einer separaten Entspannungsgruppe durchgeführt, AT ist nicht im Programm enthalten. Wir wollen im Entspannungsteil der Sinnes- und Wahrnehmungsgruppe mit unterschiedlichen, in der Öffentlichkeit nicht so geläufigen Techniken bekannt machen, damit im Gesamtverlauf einer tagesklinischen Behandlung jeder für sich auswählen kann, welches Verfahren ihm persönlich am ehesten hilfreich sein kann. 6 | S. hierzu auch den Meditationsführer von Osho (2002). 7 | Die Theatertherapiegruppe wurde von Rainer Gotzian konzipiert. Sie wird von ihm alleine ohne Cotherapeutin geleitet.

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»Zwischen Hoffen und Bangen«: Partnerschaftsberatung im Alter Michael Vogt

I. Phänomenologie des Alter(n)s Alter scheint kein erstrebenswerter Zustand für die Menschen in unserer Gesellschaft zu sein. Zu sehr sind Bilder vom Nachlassen der körperlichen bzw. geistigen Kräfte, von unvermeidbaren Verlusterfahrungen oder von einer Verkrustung von Werthaltungen und Einstellungen öffentlich präsent. Andererseits ist Alter inzwischen ein wichtiger Wirtschaftsfaktor, etwa auch im Bereich Werbung, geworden. Nachdem sich ältere Menschen lange Zeit als Bedürftige (Haftcreme-Werbung, Treppenlift etc.) wiederfanden, sind sie seit Anfang der 90er-Jahre in Rollen als Großeltern, Babysitter oder Jubilare oder als Empfänger langfristiger Investmentfonds im Fernsehen zu finden (Jürgens, 1994/Tews, 1991). Inzwischen ist das aus Japan kommende Schlagwort des »silbernen Marktes« fester Bestandteil westlicher Industriegesellschaften (dies im Übrigen nicht nur wegen des silbernen Haares der potenziellen/potenten Kunden). Der in fünfzig Jahren ohne Krieg angehäufte Wohlstand wird zum wichtigen Ziel der Werbung und Industrie (Prahl/ Schroeter, 1996, 83). Eine erfolgreiche Vermarktung mehr oder weniger sinnvoller Produkte bedient sich in westlichen Gesellschaften einem expliziten, extensiv betriebenen Jugendkult: Nur jungen Menschen werden Schönheit, Intelligenz, Sexualität, Gesundheit etc. zugesprochen, während im Alter all diese Attribute nur noch durch ihre Vergänglichkeit und damit als

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96 | Michael Vogt Erinnerung übrig blieben. Um so wichtiger wird es scheinbar, durch den Kauf der ›richtigen‹ Produkte (Stichwort: »Anti-Aging«) dem Alterungsprozess entgegenzuwirken.

Die Lebenswirklichkeit Bei genauerer Betrachtung hat sich im Laufe der letzten 30 bis 50 Jahre ein Wandel vollzogen, der es heute schwierig macht, »das Alter« eindeutig zu fassen. Weder gibt es eindeutige soziale oder biologische Alterskriterien, noch entspricht die Lebensform der heute 60-Jährigen dem, was früher mit »Alter« verbunden wurde. Befragt nach ihrem Selbstbild, fühlen sich 60- oder 70-Jährige weder alt, noch wollen sie so benannt werden. Die durchschnittliche Lebenserwartung für einen neugeborenen Jungen liegt derzeit bei 75,89 Jahren und für ein Mädchen bei 81,55 Jahren. Bedeutsam für die heutige Generation der 60-Jährigen ist die sogenannte »fernere Lebenserwartung«, die nach der Sterbetafel 2002/ 2004 weitere 20,05 Jahre für Männer und für gleichaltrige Frauen weitere 24,08 Jahre umfasst (Statistisches Bundesamt, Mitteilung für die Presse, 20.09.2005). Im Vergleich dazu erreichten lediglich 39,3 % der Frauen und 33,5 % der Männer in den Jahren 1881 bis 1890 ihr 60. Lebensjahr (Kohli, 2000, 11). Menschen höheren Lebensalters verfügen heute in der Regel über einen besseren Gesundheitszustand, ein höheres Bildungsniveau und stabile Einkommensverhältnisse, was historisch sonst nur jüngeren Altersgruppen vorbehalten war. Andererseits nimmt die Gruppe der »Hochbetagten«, die zwar über eine hohe Lebenserfahrung verfügen, hinsichtlich ihres Gesundheitszustandes jedoch in ihrer Mobilität z.T. deutlich reduziert und auf ein Netz von sozialen und medizinischen Hilfeleistungen angewiesen sind, an Zahl zu. Damit ergibt sich die Notwendigkeit der internen Differenzierung des Alters (Tews, 1993, 16). Wenn man beide Seiten zusammenfasst, könnte sich eine Unterscheidung von »jungen« und »alten« Alten, zwischen dem »dritten« und »vierten« Lebensalter aufdrängen. Mit den »jungen Alten« sind idealtypisch Menschen in den ersten 15 bis 20 Jahren nach ihrem Austritt aus dem Erwerbsleben gemeint. Die »Verjüngung« erfolgt durch die Vorverlegung des Ruhestandes in das sechste Lebensjahrzehnt. Dem gegenüber steht die Gruppe der »alten Alten« oder der Menschen im »vierten Alter«. Für sie gilt eine Zunahme von Einschränkungen und Verlusterfahrungen, die zu fühlbaren »Zäsuren in körperlichen Lebensbedingungen mit psychisch-sozialen Konsequenzen« (vgl.

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Rosenmayr, 1983, 104) führen. Insbesondere die »vier I« im vierten Lebensalter gewinnen an Bedeutung: »Isolation, Intelligenzeinbußen, Immobilität und Inkontinenz« (Blasberg-Kuhnke, 2003, 3), Menschen erleben »seltener werdende Selbsterfahrung als aktiv und leistungsfähig, Einbußen von Anerkennung und Bestätigung, Verluste von Bezugspersonen, körperliche Funktionseinbußen, Schmerzen und Beeinträchtigungen« (Bruder, 1996, 4). Und an welche Altersgruppe denken wir als Psychologen und Berater, wenn wir an ältere Menschen denken? An Johannes Heesters, der sich mit 100 Jahren braungebrannt an den Flügel stürzt und seine Lieder singt, begleitet von einer viel jüngeren Ehefrau? Oder an agile »Nordic-Walking-Senioren«, die hohe Erwartungen an das Leben haben und sich selbstständig um Eigenheim, Enkel und Erspartes kümmern? Oder sehen wir eine Altersgruppe, die sich gegenüber allem, was mit »Psycho« anfängt verschließt, es als etwas Bedrohliches, zumindest sehr Unangenehmes erlebt, und die gelernt hat, nicht über sich zu sprechen, sondern Wesentliches nur mit sich selbst auszumachen und die ihre Schwächen eher verleugnet?

Spannungsfeld zwischen Fremd- und Selbstbild Offensichtlich existiert ein Spannungsfeld zwischen dem Selbst- und Fremdbild der über 60-Jährigen. Auf der einen Seite wirken »negative Altersmythen« (Friedan, 1985), die in der Regel defizitäre Bilder transportieren. In Redensarten wie »alte Bäume verpflanzt man nicht« oder »man zählt zum alten Eisen« scheint eine weitere Entwicklungsfähigkeit nahezu ausgeschlossen. Auf der anderen Seite stehen selbstaktivierende Vorstellungen nach dem Motto »jeder ist so alt wie er sich fühlt«, die ihrerseits implizieren, Alter(n) liege in der persönlichen Verantwortung jedes Einzelnen. Wen wundert’s, dass unter diesen Umständen die Aussage von Jonathan Swift: »jeder möchte lange leben, aber keiner will alt werden« an Bedeutung gewinnt – und im Zweifelsfall eher »die Anderen« alt sind. Bei allen Definitionsversuchen darf nicht außer Acht gelassen werden, dass natürlich mit dem Alterungsprozess auf Dauer und mehr oder weniger stark ausgeprägt Veränderungen des körperlichen Aussehens (Haut, Fettgewebe, Ergrauen der Haare), des sensorischen Empfindens (Sehstärke, Hörfähigkeit), der kognitiven Fähigkeiten (Verlangsamung in der Verarbeitung von Informationen, Gedächtnis), der gesundheitlichen Anfälligkeit (Verdauungs- und Kreislaufsystems) verbunden sind. Bedeutsamer erscheint jedoch vielmehr die Akzeptanz

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98 | Michael Vogt von Veränderungen, denn der Umgang mit bestehenden und befürchteten Grenzen im Alter ist vor allem abhängig von einer eher pessimistischen oder eher optimistischen Lebenssicht, die maßgeblich durch die Möglichkeiten der Kontrolle über das eigene Schicksal (Friedan, 1995, 78) beeinflusst wird..

II.

Partnerschaft im Alter

Ehe und Familie stellen für die Mehrheit der Menschen die wichtigsten Quellen der Lebenszufriedenheit dar (vgl. Tyrell, 1983). Persönliche Netzwerke, zu denen vorrangig die Partnerschaft im Alter zählt, sind für die Entfaltungsmöglichkeiten im Alter konstitutiv. In der Untersuchung von Karl steht der Wunsch, »Menschen zu haben, denen ich vertrauen kann«, auf Platz 3 (Karl, 1993, 29). Insbesondere Ehepartner/-innen sind für ältere Menschen vorrangige Unterstützungspersonen; sie leben in der Regel in einem Haushalt zusammen und sind somit auch in alltäglichen Dingen die ersten Ansprechpartner/-innen (Künemund/Hollstein, 2000, 214). Immerhin sind 74 % der 55-69 Jahre alten Frauen und 88 % der gleichaltrigen Männer verheiratet. Im Alter von 70-85 Jahren verringert sich die Zahl drastisch. Dann leben lediglich nur noch 36 % der Frauen und 83 % der Männer mit ihrem Ehepartner zusammen (Alterssurvey; gewichtete Daten; Künemund/Hollstein, 2000, 268-272). Aus historischer Sicht haben heute – in Anbetracht deutlich gestiegener Lebenserwartung – so viele Paare wie noch nie zuvor in der Geschichte die Möglichkeit, miteinander »Goldhochzeit« oder gar »diamantene Hochzeit« zu feiern. Alleine von 1991 bis zum Jahr 2001 stieg die Zahl von Ehepaaren, die übers Jahr ihre Goldhochzeit feiern konnten, von 71.000 Paaren (0,4 % aller Ehepaare) auf 190.000 Ehepaare (1 % aller Ehepaare). Auch bei den Diamanten Hochzeiten, also den 60. Hochzeitstagen, ist im gleichen Zeitraum ein Anstieg von 13.000 auf 18.000 zu verzeichnen (Mikrozensus, Statistisches Bundesamt, 2002). Dies passiert aber auch nur, wenn sich die Liebe nicht zuvor aus der Beziehung verflüchtigt hat. Genau dies ist die andere Seite des Lebens und der Liebe: Wenn die positiven Auswirkungen von Partnerschaft und Familie auf die Lebensqualität empirisch nachgewiesen werden können, gilt umgekehrt auch, dass zerbrechende Ehebeziehungen zu den Problemen zählen, unter denen Menschen heute am stärksten leiden. Offensichtlich differenziert sich die »Grundsehnsucht, gemeinsam

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älter zu werden« (Vogt, 1998) zunehmend in Wunsch und tatsächliches Gelingen aus. Dies wird u.a. an der steigenden Zahl von Ehescheidungen in langjährigen Beziehungen erkennbar. Von den im Jahr 1955 geschlossenen Ehen waren nach 25 Jahren etwa 12 % geschieden. Seit 1975 hat sich die Zahl der Ehescheidungen nach der »Silberhochzeit« verdoppelt; über 9 % der Scheidungen werden nach einer Dauer von 26 Jahren und mehr ausgesprochen. Von den im Jahr 2001 ausgesprochenen Ehescheidungen, insgesamt 197.498, betrug die Ehedauer in 18.528 der Fälle 26 Jahre und länger. Die Zahl der Frauen und Männer, die sich im Alter von 60 Jahren aufwärts von ihrem Partner scheiden ließ, hat sich in der Zeit von 1992 bis 2000 mehr als verdoppelt. Selbst bei über 75 jährigen Frauen ergab sich eine Steigerung in dieser Zeit um 30,3 %, bei den gleichaltrigen Männern gar um 104,4 % (Statistisches Bundesamt, 2002). Nicht selten wird diese Entwicklung mit Distanz wahrgenommen. So wird in der Öffentlichkeit leider oft vorschnell »die Flucht der Liebe« aus den Ehen und Partnerschaften kommentarlos zur Kenntnis genommen, wie die alljährlichen Reaktionen auf die Veröffentlichung von Scheidungszahlen zeigen. Dies mag daran liegen, dass Trennung und Scheidung zwar einerseits zur Realität moderner Gesellschaften gehören, andererseits aber auch nicht selten die Hintergründe für das Scheitern von Paarbeziehungen als »individuelles Unglück oder Unfähigkeit« bewertet werden. Bedeutsam ist dabei, dass in der Gesellschaft trotz des fortbestehenden Verfassungsauftrages zum Schutz von Ehe und Familie der eigenständige Wert von Ehe immer mehr nivelliert wird. Dabei wäre eine familiäre Solidarität zugunsten von Kindern oder pflegebedürftigen Elternteilen ohne eine belastungsfähige Paarbeziehung kaum möglich.

Herausforderungen und Entwicklungsaufgaben Unabhängig vom Alter der Beteiligten oder der Dauer der Ehe entscheiden in der modernen Gesellschaft vor allem emotionale Qualitäten wie die subjektive Zufriedenheit in der Beziehung oder der Grad der Übereinstimmung in konkreten Lebensbereichen, in Wünschen, Bedürfnissen und Perspektiven (Lauer, 1990) über die Zukunftsfähigkeit als Paar. Als zentraler Parameter für die Bewertung der Paarbeziehung lässt sich die Vereinbarkeit der Lebensentwürfe beider Partner mit ihren Sehnsüchten und Hoffnungen festhalten. So sind auch altersspezifische Aufgaben auf der individuellen Ebene zu bewältigen, z.B.

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100 | Michael Vogt • »nach Eintritt in das Rentenalter neue Aufteilung von anfallenden Aufgaben und Arbeiten, • Entwicklung einer neuen befriedigenden Form der Tagesgestaltung, • Suche nach anderen Lebensinhalten und Sinn gebenden Aktivitäten, • Veränderung der Machtbalance, • Wechselseitige Unterstützung beim Verarbeiten des ›Pensionierungsschocks‹ (Rollenwandel), von Alterungsprozessen, Verlustängsten, Todesfällen, Trauer usw., • Unterstützung des Partners bei Krankheit, Behinderung oder Pflegebedürftigkeit und bei der Vorbereitung auf den Tod« (Textor, 1998, 161). Zum Glück gelingt die Bewältigung dieser Aufgaben sehr vielen Paaren. Hingegen gibt es – abhängig von der bisherigen Verlaufsgestalt der ehelichen Beziehung oder dem Eintritt von als krisenhaft erlebten Veränderungen (z.B. einem ungewollten Eintritt in den Ruhestand) – in manchen Paarbeziehungen ein Belastungsniveau, welches aus eigener »Anstrengung« nicht mehr aufzulösen ist.

Die »Entberuflichung« als kritisches Lebensereignis für die Paarbeziehung Das Ereignis der »Entberuflichung« gilt als hervorgehobenes »kritisches Lebensereignis«. Es hat nicht nur Auswirkungen auf Betroffene, sondern strahlt unter systemischen Gesichtspunkten ebenfalls auf die Paarund Familienbeziehungen aus. Diese Belastungsfaktoren lassen sich unterscheiden in unmittelbare (primäre) Veränderungen für direkt Betroffene (z.B. die Veränderung der Autonomie [privacy], des Rollenhaushaltes, der Zeitstruktur, der finanziellen Situation, des mit Arbeit verbundenen Netzwerkes etc.), wie auch als deren Folgen in sekundäre Belastungsmomente für das Paar (z.B. Rollenkonflikte, Gesprächsinhalte, Veränderung der Selbstdefinition [Identität], Langeweile, Kontrolle, Geldfragen etc.). Mit dem Entfall der außerhäusigen Bindung (Arbeit) verändert sich das »innere Haus« (Bösch, 1985) der Beziehung. Unabhängigkeit/getrennte Aktivität ist die Folge eines freiwilligen Entschlusses, während sich nun Zweisamkeit ergibt. Es gibt ein gegenseitig gerichtetes dauerhaftes Bedürfnis nach Unterstützung und Ermutigung, eine Konzentration auf die Paarbeziehung mit der Gefahr, dass sich komplementäre Beziehungsmuster verschärfen: Bezogenheit – Abgrenzung, Nähe – Distanz, Angleichung – Zunahme der Unterschiede und Entfremdung

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etc. Das ungleichzeitige Altern als Paar, das konkretere Empfinden von Endlichkeit und sich daraus ableitende Sinnfragen, das Belastetsein durch Kinder oder Enkelkinder, durch Krankheit und Verlust, sowie die Zuspitzung unterschwelliger langandauernder Paarkonflikte gewinnen an Dynamik (Goldbrunner 1999, Wallerstein & Blakeslee 1996).

III.

Ehe-, Familien- und Lebensberatung für lebenserfahrene Paare – eine Analyse

Hilfsangebote zur Bearbeitung und Bewältigung kritischer Lebensereignisse – insbesondere mit dem Fokus der Paarbeziehung für ältere Menschen – sind leider noch selten vorzufinden, wenngleich die Bereitschaft älterer Paare, professionelle Hilfe anzunehmen, stetig wächst. Aufgrund der besonderen Bevölkerungsstruktur im Ruhrgebiet mit seinem Strukturwandel und zahlreichen vorzeitigen »Ausgliederungsprozessen aus der Erwerbstätigkeit« hat sich die Ehe-, Familien- und Lebensberatung im Bistum Essen schon sehr frühzeitig und inzwischen seit über zehn Jahren bemüht, die Notwendigkeit von Beratung und bestehende Bedarfslagen älterer Paare empirisch zu überprüfen. Vor dem Hintergrund bisheriger Forschungsanstrengungen, die Problembereiche von Ratsuchenden über 55 Jahren zu erkennen (Vogt, 2001), wurde als Instrumentarium für diese Studie (Vogt, 2004) das Inventar der »Beratungsbegleitenden Forschung« mit standardisierten Fragebögen zu drei Messzeitpunkten (Prä-/Post-/Follow-up-Messung) gewählt. Als Vergleichsstichprobe diente eine altersunspezifische Stichprobe von Ratsuchenden aus NRW, bei der beide Partner jünger als 55 Jahre alt waren. Die Erhebungsinstrumente der Studie umfasste einen Fragebogen zu den sozio-ökonomischen Daten, eine Problemliste (PL), einen Fragebogen zur Einschätzung von Partnerschaft und Familie (EPF), eine Depressionsskala (ADS), eine Beschwerdenliste (BL), Fragen zur Lebenszufriedenheit (FLZ), sowie Fragen zur Beratung an Klienten (FBK), Fragen zur Beratung an den/die Berater/in (FBB) sowie Fragen zum Beratungsverlauf (FBV) (Hahlweg, 1996; Hautzinger/Bailer 1992; Henrich/Herschbach, 1994, 2000; Klann et al., 1992; Snyder, 1981; Zerssen, 1976).

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Sozio-ökonomische Daten der älteren Ratsuchenden Insgesamt konnten 84 Paare (168 Ratsuchende), die sich in einer Ehe-, Familien- und Lebensberatungsstelle angemeldet hatten, und bei denen beide Partner über 55 Jahre alt waren, gewonnen werden. Die Daten wurden im Zeitraum von Juni 1999 bis November 2002 erhoben. Das Durchschnittsalter der männlichen Klienten betrug zu Beginn der Beratung 62,2 Jahre, das der weiblichen Ratsuchenden 60,7 Jahre. 88 % der Paare waren miteinander verheiratet, und zwar seit durchschnittlich 31,2 Jahren. Die Mehrheit der Paare (68 %) hatte mindestens ein gemeinsames Kind. Ein Fünftel der Klienten war früher schon einmal verheiratet und rund 13 % hatten Kinder aus einer früheren Ehe oder Partnerschaft. Gut die Hälfte der Klienten verfügte über die Mittlere Reife (52 % der Männer und 55 % der Frauen). 38 % der männlichen Klienten sowie 66 % der Frauen waren zum Zeitpunkt der Prä-Erhebung berufstätig. 55 % der Männer waren bereits im Ruhestand, 6 % arbeitslos und 1 % Hausmann; von den Frauen waren 23 % im Ruhestand und 12 % gaben an, Hausfrauen zu sein. Zwischen der Gruppe der über 55-jährigen Paare und der Vergleichsstichprobe jüngerer Ratsuchender zeigten sich bedeutsame Unterschiede. Im Laufe der Untersuchung erwies sich, dass Partnerschaftskonflikte die Rangreihe der Problemanlässe anführen.

Die Problembereiche in Ehe und Familie Die Klienten der Studie BF Alter schätzen entsprechend ihrer Lebenssituation andere Bereiche als belastend ein als jüngere Ratsuchende. Konfliktbesetzt sind vor allem Sexualität, Freizeitgestaltung, Haushaltsführung/Wohnung, Freunde und Bekannte, persönliche Gewohnheiten des Partners, Gewährung persönlicher Freiheiten und Berufstätigkeit. Signifikante Abweichungen zur Vergleichsstichprobe liegen vor allem in den Bereichen Einkommen/finanzielle Sicherheit, Beruf/Arbeit, Wohnsituation, Familienleben/Kinder vor. In Einzelfalluntersuchungen mit einer ausführlichen Exploration wurden besondere Facetten und Problemstellungen deutlich, die im Beratungsprozess angesprochen wurden, z.B.: • Identität und Sexualität • Trennungsabsichten nach langjähriger Ehe/Bindungsverhalten

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• Rollenkonflikte in Folge von Autonomie und Individuationsbestrebungen • Sinnfragen • Kommunikationsprobleme • Umgang mit dem Partner bei Krankheit und Behinderung (Schlaganfall, Altersdepression) • Bewältigung von chronischen körperlichen Erkrankungen und begleitenden Ängsten • Sorge um erwachsene Kinder oder Enkel (Alkoholabhängigkeit/Spielsucht/finanzielle Forderungen) Anfragen zu den Lebensbereichen »Identität und Sexualität« sowie »Sinnfragen« stechen in den Beratungsgesprächen besonders hervor.

Identität und Sexualität Bei der Betrachtung der Sexualität im höheren Lebensalter sind geschlechtsspezifische Unterschiede wahrnehmbar. Männer scheinen Sexualität einen höheren Wert einzuräumen als Frauen. Wenn auch das grundsätzliche Interesse an Sexualität und Lustempfinden altersunabhängig zu betrachten ist, fällt eine Diskrepanz zwischen Wunsch und Wirklichkeit auf (vgl. Arentewicz, G./Schmidt, G., 1993). Insoweit erscheint die Betrachtung der sexuellen Intimität in älteren Partnerbeziehungen von Bedeutung, vor allem vor dem Hintergrund, dass Intimität zu den Grundbedürfnissen des Menschen zählt. Insoweit stellt sexuelle Intimität eine ganz wesentliche Dimension der Intimität dar. Die Entwicklung einer zugewandten Haltung und Körpersprache, die sich möglicherweise zentral außerhalb von Orgasmus und Geschlechtsverkehr konzipiert, mündet ein in die Kultur des Erotischen. Sie umfasst Gefühle von Zugehörigkeit, Zärtlichkeit und einer neuen Sensualität im Alter. Sexualität in Altersbeziehungen ist oft durch gegenläufige Bestrebungen gekennzeichnet. Philip Roth (2003, 42) formuliert es wie folgt: »Was soll man machen, wenn man zweiundsechzig ist und der Drang, das zu ergreifen, was noch greifbar ist, nicht stärker sein könnte? Was soll man machen, wenn man zweiundsechzig ist und all die Körperteile, die bisher unauffällig waren (Nieren, Lunge, Venen, Arterien, Gehirn, Därme, Prostata, Herz) im Begriff sind, sich besorgniserregend bemerkbar zu machen, während das Organ, das sich ein Leben lang mehr als alle anderen bemerkbar gemacht hat, dazu verurteilt ist, zur Bedeutungslosigkeit zu verkümmern?«

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104 | Michael Vogt Die sexuelle Befriedigung scheint für Männer – anders als für Frauen – ein bedeutsames Element erlebter Intimität darzustellen. Die Gestaltung von Sexualität im Alter ist oft mit vorhandenen Rollenverteilungen und Machtverhältnissen in der Beziehung und mit der Balance zwischen interpersonaler Bezogenheit und individueller Autonomie verbunden. Häufig betonen ältere Menschen, dass Sexualität im ihrem bisherigen Leben kaum eine Rolle gespielt hat. Sie »gehörte einfach dazu« oder »ich erfüllte meine eheliche Pflicht«. Gefühle wie Lust und Leidenschaft werden eher selten benannt, häufiger dagegen eine zwischen den Zeilen ausgesprochene Andeutung, wie wohltuend es sei, nicht mehr bedrängt zu werden. Dabei haben die bestehenden kulturellen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen einen nachhaltigen Einfluss auf die geschlechtsspezifischen Entwicklungsmöglichkeiten sexueller Identität hinterlassen. Vor allem Frauen sind wenig aktiv, um ihre Partner gegebenenfalls zu einer Änderung ihres sexuellen »Vorgehens« zu bewegen, sondern überlassen es ihnen herauszufinden, was sie wollen. In Beratungsgesprächen ist der Eindruck zu gewinnen, dass Frauen die Sexualität ihres Mannes besser kennen, während diese umgekehrt weniger über die Sexualität ihrer Partnerinnen wissen. Dies könnte auf eine stärker erkennbare Erregung des Mannes (Erektion des Penis) zurückzuführen sein. Insbesondere Appetenzstörungen werden in der Beratung häufig von älteren Frauen und Männern angemerkt. Neben dem Verlust, den Geschlechtsverkehr zu vollziehen, z.B. infolge körperlicher Erkrankungen (Spätfolge der Diabetes), geben Häufigkeit und gewünschte Intensität sexueller Kontakte immer wieder Anlass für Konflikte. Dabei ist es wichtig, dass das Paar eine Kultur des Erotischen entwickelt, ein aufeinander bezogenes Geschehen, welches nicht auf Genitalität begrenzt ist. Sexualität als Körpersprache der Liebe zeigt sich hingegen in vielen Gesten; sie macht sich fest in dem Bemühen, für den anderen attraktiv zu bleiben, wozu zahllose Zwischentöne gehören.

Sinnfragen Partnerschaftsprobleme wie gegenseitige Entfremdung, häufiger Streit und Trennungsüberlegungen sind immer auch Ausdruck einer Begrenztheit und Beziehungsbedürftigkeit des Menschen, der nicht nur auf andere Menschen, sondern auch auf Gott existenziell angewiesen

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ist. Somit beeinflussen kritische Lebensereignisse im fortgeschrittenen Lebensalter und deren Folgen maßgeblich die religiöse Haltung der betroffenen Personen. Das Leben wird zunehmend als endlich wahrgenommen, was häufig mit symbolhaften Handlungen einhergeht. So wird die Zeitung eher von hinten aufgeschlagen, nicht wegen der Sonderangebote, sondern wegen der Todesanzeigen. Persönliche Sehnsüchte werden wach, bislang unerfüllt gebliebene Bedürfnisse bei einer nur noch begrenzten Zeit umzusetzen. Die Berührung mit der Endlichkeit des Lebens kann aber auch Anlass zur Resignation sein, den eigentlichen Lebenszielen nicht mehr nahe genug zu kommen. Die existenzielle Frage »Kann dies alles gewesen sein?« wird zum ständigen Begleiter. In Paarbeziehungen ist dabei eine große Hemmung feststellbar, über »Sterben und Tod« zu reden und die Konsequenzen für die weitere Lebensführung einzubeziehen. Das aber ist Voraussetzung für das Erkennen und Nutzen der z.Zt. vorhandenen Ressourcen und Möglichkeiten. Wenn nichts so schlimm ist wie das Versäumte, hat gerade die Reflexion über das derzeitig Mögliche präventiven Charakter, um nicht in Verbitterung und Enttäuschung den vertanen Möglichkeiten hinterher zu trauern. Diese notwendige Auseinandersetzung ist gleichzusetzen mit einer Revision des bisherigen Lebens mit dem Ziel, konkrete und erreichbare Präferenzen für die Zukunft zu entwickeln. Interessant ist, dass es bei älteren Menschen ein Spannungsverhältnis zwischen öffentlich gezeigtem Bekenntnis, z.B. durch sonntägliche Gottesdienste einerseits und den persönlichen Anfragen zum Lebensund Glaubensweg andererseits gibt. Dies hängt damit zusammen, dass die religiöse Orientierung Erwachsener einer dauernden und lebenslangen Veränderung unterworfen ist. Zugleich unterliegt sie einer dauerhaften Verarbeitung religiöser und nicht-religiöser Erfahrungen vor dem Hintergrund einer bestimmten religiösen Sozialisierung in Kindheit und Jugend. Eine Untersuchung der Universität Bonn und des Bistums Aachen (Fürst/Wittrahm, 2002) erkennt den Ausschluss einer »natürlichen Affinität« Älterer zu Glaube und Kirche als Folge von kulturellen Umbrüchen innerhalb des 20. Jahrhunderts und dem Berührtsein von Tendenzen zu Pluralität und Individualität. Somit seien frühere Selbstverständlichkeiten zu Glaube und Kirche obsolet (von Holtum, 2002, 7). Modelle der religiösen Entwicklung (Fowler, 1989; Oser, 1988) beschreiben einen Rückgang der religiösen Differenzierung im höheren Lebensalter. Fürst/Wittrahm (2002, 29) konstatieren eine mit dem Al-

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106 | Michael Vogt ter wachsende Zunahme »diffuser Transzendenzvorstellungen« und »apersonaler Gottesvorstellungen«, hingegen eine starke Reduktion des Verständnisses von »Religion als Ordnung« im höheren Alter. Die sogenannten »kritischen Lebensereignisse« tragen somit in einer eher unbewussten Weise zu einer Neupositionierung älterer Menschen gegenüber Kirche und Glaube bei. Es kommt zu einem »Zerreißen der kleinen Lebenswelt« (Zulehner/Polak, 2000), welche die eigene »Beheimatung im Glauben und in der Kirche« beeinflusst.

IV. Beratungssystematik für lebenserfahrene Ratsuchende Betrachtet man die über Jahre hinweg gängige Beratungs- und Therapiepraxis, so fällt auf, dass das Thema »Partnerschaft im Alter« kaum Berücksichtigung fand. Selbst zum heutigen Zeitpunkt sind spezifische – vor allem institutionelle Beratungsangebote für ältere Menschen im deutschsprachigen Raum eher die Ausnahme. Um so notwendiger erscheint der Blick auf die Problemsituationen, mit denen ältere Paare um einen Beratungstermin nachfragen. Zwei Fallbeispiele:

Fallbeispiel 1: Bernhard ist seit vier Monaten Rentner, seine Frau noch teilzeitbeschäftigt. Beide berichten über Anpassungsschwierigkeiten mit der für sie neuen Situation. Bernhard: »Ich fühle mich total überflüssig. Egal was ich mache oder wo ich mich aufhalte, meine Frau fühlt sich von mir gestört. Setze ich mich in meinen Sessel, um die Zeitung zu lesen, verfolgt sie mich mit dem Staubsauger und macht einen Höllenkrach. Flüchte ich dann in mein Zimmer auf dem Dachboden, dauert es nicht lange, bis ich von ihr wieder aufgescheucht werde… Schlage ich einen Spaziergang vor, höre ich, dass zuerst noch die Hausarbeit erledigt werden muss. Will ich ihr helfen, damit wir schneller fertig werden, nimmt meine Frau mir die Sachen aus der Hand.« Seine Frau Anneliese: »Es ist einfach nicht zu fassen: Im größten Durcheinander setzt er sich gemütlich hin und liest Zeitung. Er sieht überhaupt nicht, was alles zu tun ist. Stattdessen funkt er ständig dazwischen. Als wenn ich Ruhe zum Spazierengehen hätte, wenn ich weiß, welche Arbeit noch zu erledigen ist. Seine umständliche Art macht mir nur mehr Arbeit. Und wenn ich mich nach getaner Arbeit – wie sonst auch – bei einem Kaffee und einem guten Buch erholen möchte, unterbricht er

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mich permanent, dass ich keine Seite zu Ende lesen kann, und bedrängt mich, mit ihm gemeinsam etwas zu unternehmen.«

Fallbeispiel 2: Seit dem Ruhestand kauft Alfons regelmäßig morgens ein. Seine Frau Lisa und er haben zwar eine Aufgabenteilung miteinander abgesprochen, doch statt wie sonst das Mittagessen vorzubereiten, will sie neuerdings immer mit. Alfons hat den Eindruck, dass Lisa immer weniger Eigeninitiative zeigt und nichts mehr selbstständig macht. Seit Monaten leidet Lisa an Herz- und Kreislaufbeschwerden. Nun sind noch Gelenkprobleme hinzugekommen, die ihre Mobilität immer mehr begrenzen. Alfons hat das Gefühl, dass es Lisa gar nicht recht ist, wenn er seinen Hobbys außer Haus nachgeht. Er fühlt sich körperlich fit und will nicht den ganzen Tag zu Hause »vertrödeln«. Obwohl er Lisa’s gesundheitliche Belastungen sieht, fühlt er sich zunehmend an die Wohnung gefesselt. Andererseits übernimmt er immer mehr Aufgaben, die seine Frau seiner Meinung nach zu sehr belasten. Lisa sieht das mit gemischten Gefühlen. Auf der einen Seite fühlt sie sich entlastet, andererseits aber auch beschnitten. Dann spürt sie Unzufriedenheit in sich und kritisiert die Art und Weise, wie Alfons die Aufgaben erledigt. Alfons möchte dann am liebsten alles hinwerfen, denn zu der Arbeit erlebt er das Verhalten seiner Frau als »nörgelnde Kontrolle« (Vogt, 2005, 177f.).

Revision der Paarbeziehung In beiden Fällen ergibt sich die Notwendigkeit der Revision und Bilanzierung der Partnerschaft (Goldbrunner, 1994), wozu die Reflexion innerer Bilder, Einstellungen, Erwartungen wie auch von Rollenzuschreibungen zählt. Insbesondere bislang unerfüllte Erwartungen, unverarbeitete Enttäuschungen und Kränkungen können im Kontext eines kritischen Lebensereignisses positive Seiten des bisherigen Zusammenlebens in den Hintergrund drängen. Die Folge ist, dass sich »das Miteinander-alt-Werden aus einem Jugendtraum von ewiger Liebe und Vertrautheit in einen Albtraum voller Bitterkeit« (vgl. Baumann, 1994, 35) verwandeln kann. Um so wichtiger wird es, die teilweise unterschiedlichen Sichtweisen, ja gar gegensätzlichen Zukunftsvorstellungen beider Partner in einem geschützten und moderierten Raum »zur Sprache« zu bringen, damit es nicht zu »einem

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108 | Michael Vogt Nebeneinander von zwei Autisten oder zu Festungspaaren« (Rosenmayr, 1992, 469) kommt. Dies gelingt durch die Bewusstmachung und Durcharbeitung a) der durch die Lebenssituation im Alter verursachten psychischen Konflikte und Bedrohungen, b) der im Alter reaktivierten Traumaerlebnisse früherer Lebensjahre und c) der bereits seit mehreren Jahrzehnten bestehenden, aber erst im Alter zu psychischen Symptomen führenden Konflikte und ihrer Bewältigung. Vorausgesetzt, es kommt zu einer Begegnung des Paares mit dem Berater, bei der sie sich als Subjekte erleben und die Kontrolle über ihr Schicksal behalten. Um so bedeutsamer ist eine »Reduktion auf das Wesentliche [...] und Veränderungswünsche konzentrieren sich mehr auf aktuelle Problemsituationen, deren Lösung positive Effekte auf andere Lebenslagen und Konstellationen haben« (Vogt, 2001a, 103). Die beziehungsorientierte Vorgehensweise, wie sie Goldbrunner weiterentwickelt hat, erscheint als geeignete Vorgehensweise, da sie für ältere Ratsuchende nachvollziehbar ist und dadurch Widerstände gegenüber der Beratung zu reduzieren hilft. Erkennbar wird der Versuch einer »Schulen übergreifenden« Beratungsmethodik, in der es in Anbetracht der zur Verfügung stehenden Lebensspanne weniger um eine langfristige Psychotherapie, als vielmehr um eine kurzzeitige Beratung und Begleitung geht. So liegt ein Akzent auf einem Bedeutungsgewinn von Teilzielen im Beratungskontrakt zwischen Berater und Klient(en). Darüber hinaus zeigen die bisherigen Erfahrungen nachdrücklich auf, dass der Beziehung zwischen Berater und Klienten eine ausgewiesene Bedeutung zukommt: Ist der Berater in der Lage und bereit, sensibel den Lebenserfahrungen älterer Menschen zu begegnen und eine offene Beziehung zu gestalten? Oder erinnert er sich beispielsweise bei der 72-jährigen Klientin an seine ihn fordernde und belastende Mutter? Dann wird er unter Umständen gerne auf die verbalen Mitteilungen der Klientin eingehen, wonach das Anliegen wirklich zu gering sei, um seine Zeit darauf zu verwenden.

Erzielte Veränderungen durch die Ehe-, Familienund Lebensberatung Die Beziehungsorientierte Beratung älterer Menschen in langjähriger Paarbeziehung zum Zeitpunkt des Übergangs in den Ruhestand führt erkennbar sowohl auf der individuellen wie auch paarbezogenen Ebene

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zu einer deutlichen Verbesserung der Lebensqualität (vgl. Vogt, 2004, 255f.). Messungen, die das Belastungsniveau von Ratsuchenden zu Beginn und nach der Beratung miteinander verglichen, zeigen auf, dass die Ratsuchenden nach der Beratung signifikant zufriedener waren und ihre Probleme besser bewältigen konnten. Es zeigen sich nach Beratungsende statistisch signifikante positive Veränderungen in den Skalen des Fragebogens zur Einschätzung von Partnerschaft und Familie »globale Zufriedenheit mit der Partnerschaft«, »affektive Kommunikation«, »Problemlösung«, »gemeinsame Freizeitgestaltung«, »Finanzplanung«, »sexuelle Zufriedenheit« und »Rollenorientierung« (Vogt, 2004, 255f.). Selbst bei der Follow-up-Messung ließen sich diese Ergebnisse bestätigen. Die Skalenwerte der beratenen Paare lagen sowohl zur Postals auch zur Follow-up-Messung im Normbereich zufriedener Paare.

Subjektive Rückmeldungen von älteren Ratsuchenden in der Ehe-, Familien- und Lebensberatung Die subjektiven Rückmeldungen der an der Studie beteiligten Ratsuchenden (Anmerkungen, Eindrücke und Wünsche) ermöglichen weitergehende Impulse. Während sich einige der Ratsuchenden noch einmal ausdrücklich für die Beratung bedankten, gaben andere ganz konkret Bereiche an, unter denen sie zuvor am stärksten gelitten hatten. • »Vorher sahen wir nur die Macken, hatten ständig Streit. Sagte ich grün, meinte er rot. Jetzt können wir reden, ohne uns sofort zu fetzen. Planen sogar einen Urlaub. Danke für die Beratung.« • »Ich dachte, jetzt ist die letzte Gelegenheit, neu anzufangen. Schluss und anders neu. Horror, so irgendwann zu sterben. Könnte ja noch schlimmer werden. Lieber weg und meine Ruhe. Kann lieber nur für mich putzen und kochen, weniger Arbeit. Immer dieses Hinterherräumen und mach mal das, koch mal dies, als sei ich seine Mutter. Wenn der in Rente geht, dachte ich, ist nicht auszuhalten. Doch jetzt klappt es irgendwie, haben weniger Stress. Ich glaube, jetzt bleibe ich doch bei ihm.« Die sekundären Belastungsfaktoren mit dem Eintritt in den Ruhestand wurden teilweise sehr konkret wahrgenommen:

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110 | Michael Vogt • »Mit dem Vorruhestand war es zuerst Klasse. Ausschlafen, Zeit haben, in Urlaub fahren. Dann kam diese Langeweile. Ich wusste schon am Wochenanfang, wie die Woche zu Ende geht, aber nicht, worüber ich mit meiner Frau sprechen sollte. Durch Zufall las ich den Zeitungsartikel und ging zu Herrn Vogt. Jetzt geht es mir wieder besser, auch mit meiner Frau.« • »Mein Mann nervte seit seinem Abschied aus dem Betrieb nur rum. Sollen wir nicht das, fahren wir da hin. Dann die Vorschläge, wie es mit Aufräumen und putzen schneller geht oder ob es überhaupt muss. Der saugte mich aus, war nur um mich rum, da bekam man keine Luft mehr. Jetzt ist besser. Er hat seins und ich wieder meins.« Ein zentrales Thema berührt die Art und Weise der Kommunikation in der Paarbeziehung: • »Ich hab viel Neues über mich und meine Frau erfahren. Und dies nach 35 Jahren Ehe!« • »Dass die Kirche so was hat, so für Leute in unserem Alter! Wusste ich nicht, sonst wäre ich schon früher dahin gegangen.«

V. Zusammenfassung Auch wenn die Beratung älterer Menschen noch »Neuland in der Beratungsszene« darstellt, wird ihre Nachfrage permanent steigen. Sie ist im übrigen auch für Berater ein sehr lebendiges und bereicherndes Arbeitsgebiet, indem sich alternative Bilder möglicher Altersverläufe auftun. Die Inanspruchnahme von Ehe-, Familien- und Lebensberatung stellt eine Ressource älterer Paare dar, ihre Beziehung aus einer möglichen Alltagsroutine »herauszuholen« und sich Konflikten in einer geschützten Atmosphäre aktiv zu stellen. Die mit Hilfe der Beratung im sogenannten »dritten Lebensalter« erreichbaren Akzentverschiebungen in Partnerschaft und Ehe sind somit konstitutiv für die positive Gestaltung des »vierten Lebensalters«. Ehe-, Familien- und Lebensberatung für ältere Paare trägt dazu bei, neue Optionen und Möglichkeiten »Verzauberung in einer entzauberten Welt« für die Paarbeziehung zu eröffnen, in der »das Selbstverständliche neu wird und mit Staunen erfüllt« (Guardini, 1956, 12). Denn Bedürfnisse nach Zugehörigkeit und Verwurzelung, nach Liebe

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und Anerkennung bleiben im Alter ebenso bestehen wie Bedürfnisse nach Autonomie, Selbstwert und Selbstachtung. »Das Alter schätzen lernen«, so der Titel und die Leitidee dieses Buches: Sich auf dieser Spur bewegend, kann es nur bedeuten, das Leben als Geschenk zu begreifen und – trotz der einen oder anderen Einschränkung – bestehende Möglichkeiten, vorhandene Ressourcen und die Neugier auf das Leben aktiv zu gestalten. Hat der englische Schriftsteller George Bernard Shaw nicht Recht, wenn er schreibt: »Wenn ich achtzig Jahre zählen werde, so wird ein weißes Haar vom Haupte der geliebten Frau mich mehr erzittern machen als der dichteste Zopf des allerschönsten jungen Hauptes« (zit. in Vogt, 1998, 50)?

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112 | Marco Pulver

Anders Altern: Beratung für schwule Senioren Marco Pulver

Wer nicht selber betroffen ist, wundert sich in der Regel über die Notwendigkeit besonderer Beratungsangebote und psychosozialer Projekte für ältere schwule Männer.1 Warum reichen die bestehenden Seniorenangebote nicht aus? Woher resultiert ein spezieller Beratungsbedarf? Ich möchte diese Frage zunächst ein wenig beleuchten, bevor ich auf die Erfahrungen meiner Beratungspraxis eingehe und Wünsche zur Verbesserung der Lage der Betroffenen vorbringe.

1. Zum geschichtlich-gesellschaftlichen Hintergrund der aktuellen Situation schwuler Senioren Das Leben schwuler Männer, die vor 1950 geboren wurden, ist vor allem geprägt von der Angst als Schwuler entdeckt zu werden und der sozialen Ächtung preisgegeben zu sein. Diese Angst sitzt allen Senioren, die heute in meine Beratung kommen, noch immer tief im Nacken. Sie hat sich vor allem bei den heute 80-Jährigen tief eingegraben, die in der Jugend ihre vermeintlich entartete Sexualität vor den Nazis verbergen mussten. Aber auch bei den nachfolgenden Jahrgängen war die gesamte Lebensgestaltung am Tabu und an dem gesetzlichem Verbot der Homosexualität ausgerichtet, weil der entsprechende §175 in der von den Nazis verschärften Form in der Bundesrepublik noch bis 1969 weiter bestand und erst 1994 endgültig abgeschafft wurde. Wer aber glaubt, dass damit auch die Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Beziehungen endgültig aufgehört hat, der irrt. Der Prozess der Liberalisierung und Entmystifizierung der Homosexualität ist auch in unseren Tagen

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Beratung für schwule Senioren | 113

noch lange nicht abgeschlossen. Von Lehrern ist zum Beispiel zu erfahren, dass Kinder und Jugendliche wieder verstärkt den Begriff »Schwuler« als Schimpfwort benutzen. Die völlige rechtliche Gleichstellung homosexueller Lebenspartnerschaften mit der Ehe steht noch aus. Die Mystifizierung insbesondere der männlichen Homosexualität wird immer wieder erneuert – zuletzt bekanntlich als zentrales Merkmal derer, die angeblich an der Verbreitung einer neuen Pandemie Schuld gewesen sein sollen (vgl. Pulver, 1998). Und auch der aggressive Umgang mit Schwulen und Lesben in Nachbarländern wie z.B. Polen, zeigt, dass die unter älteren Schwulen verbreiteten Ängste vor sozialer Ablehnung und einer Zeit erneut zunehmender Diskriminierung durchaus nicht unbegründet sind. Vor allem aber sind sie genährt aus den Erfahrungen eines langen Lebens. Oftmals trauen sich jedenfalls vor allem ältere homosexuelle Männer bis heute nicht, das Wort »schwul« in den Mund zu nehmen. Viele pflegen deshalb einen versteckten Umgang mit der eigenen Homosexualität und es fällt ihnen sehr schwer, ihre sexuelle Identität, ihre Wünsche und Bedürfnisse zu akzeptieren und zu äußern. Bei jedem Kontakt mit Nachbarn, mit Behörden oder im Geschäft spüren viele Betroffene ein Unbehagen und die Angst, man könnte ihr Geheimnis lüften. Man verhält sich entsprechend reserviert, distanziert. Nicht zuletzt auch deshalb leiden heute viele unter einer sozialen Isolation, die sich zuweilen noch durch Krankheit und Immobilität verstärkt.2 Diese besondere gesellschaftlich-historisch begründete Lebenslage vieler homosexueller Senioren wird in der aktuellen Seniorenpolitik der Bundesländer kaum zur Kenntnis genommen und bis heute in der Finanzplanung nicht angemessen berücksichtigt. Die wenigen bisher geförderten Projekte, wie z.B. Rubicon und das Netzwerk Anders Altern der Schwulenberatung Berlin3, müssen immer wieder um eine Weiterfinanzierung kämpfen. Zumal angesichts der Anzahl der Betroffenen – man rechnet mit ca. einer Million homosexueller Senioren in Deutschland4 – ist diese Situation skandalös.

2. Barrieren der Beratung und deren Überwindung Die erwähnte Problematik erschwert vielen Senioren auch den Weg zur Beratung. Viele Männer sind zwar über die Möglichkeit informiert, eine Beratung in Anspruch nehmen zu können. Sie scheuen aber häufig den Weg in psychosoziale Einrichtungen – vor allem solche für schwule Männer. Schon die Vorstellung, beim Betreten der Einrichtung gesehen

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114 | Marco Pulver zu werden, macht vielen immer noch Angst. Andere fürchten vor allem den Gedanken, über die eigene Homosexualität reden zu müssen. Zuweilen trägt ein Klient ein Inserat der Schwulenberatung Monate lang in seinem Portmonee mit sich herum, bevor er sich – vor allem wegen eines erdrückenden Einsamkeitsgefühls – endgültig dazu durchringt, eine Beratung für schwule Männer aufzusuchen. Die Beobachtung, dass ältere Männer sich besonders hartnäckig davor scheuen, Beratungsangebote anzunehmen, trifft in der Regel auch auf jene zu, die in den 60er und 70er Jahren schwulenpolitisch aktiv waren und für die Rechte homosexueller Männer mutig eingetreten sind. Im Sich-Eingestehen persönlicher Probleme und Ängste und in der Annahme von Hilfen sind solche Männer zudem meist ungeübt. Es gehört vielmehr zum Verständnis ihrer Rolle als Mann, das Leben ohne fremde Hilfe zu meistern, solange es irgendwie geht. Der Weg in die Beratung fällt vielen Männern daher etwas leichter, wenn dort auch Freizeitaktivitäten organisiert werden. Der Gesprächskreis für Senioren in der Schwulenberatung Berlin z.B. ist so ein vergleichsweise niedrigschwelliges Angebot zur ersten Kontaktaufnahme mit professionellen Gesprächspartnern. Der offene Gesprächskreis »Anders Altern« bietet inzwischen seit einigen Jahren ca. 20-30 Männern einmal wöchentlich die Gelegenheit, über Themen zu reden, die sie besonders interessieren. Es ist für viele die einzige Möglichkeit, sich über aktuelle Ereignisse, Erinnerungen, Interessen und Erlebnisse auszutauschen, die mehr oder weniger von schwulen Wünschen und Biografien geprägt bzw. gefärbt sind. Die Erfahrung, als Person wahr- und ernst genommen zu werden, ist an sich schon eine wichtige und seltene Erfahrung für viele Besucher. Darüber hinaus bietet der Gesprächskreis natürlich die Gelegenheit, neue Bekanntschaften zu machen. Das persönliche Kennenlernen findet übrigens eher im kleinen Kreis, häufig bei einer Zigarette vor und nach den Diskussionen in der Gruppe statt. In der Schwulenberatung Berlin steht hierfür ein caféartig gestalteter Wartesaal in einem bürgerlich-altberliner Mietshaus zur Verfügung, der sich für solche Begegnungen als sehr geeignet erweist. Eine wichtige Hilfe bei der Überwindung von Hemmungen, einen Beratungsbedarf anzumelden, ist auch der Umstand, dass die Moderatoren des Gesprächskreises zugleich für die Einzelfallberatung zuständig sind. Während der Moderation können den Teilnehmern Angebote zur persönlichen Beratung unterbreitet werden. Männer mit Beratungsbedarf finden dann immer eine Gelegenheit – vor oder nach den Diskussionen oder in einer kurzen Pause – ihren Wunsch nach einem persönlichen Gespräch vorzubringen. Viele Senioren, die sich mir in

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den letzten Jahren anvertraut haben, sind diesen Weg gegangen. Manchen fällt es aber so schwer, mit jemanden über ihre Situation zu sprechen, dass sie erst nach vielen Monaten der Teilnahme am Gesprächskreis in der Lage sind, den Wunsch nach einer persönlichen Beratung vorzubringen und sich dem Berater mit ihren Problemen anzuvertrauen5.

3. Grundhaltungen des Beraters, Beziehungsgestaltung und Aspekte der Gesprächsführung Beratungsgespräche mit älteren schwulen Männern sind oft eine äußerst heikle Angelegenheit. Viele ältere schwule Männer, die wegen ihrer Einsamkeit in die Beratung kommen, fühlen sich schnell abgelehnt, unverstanden, nicht ernst genommen. Bei länger währenden Beratungskontakten ist es möglich, dass sich ein Klient plötzlich aufgrund eines Missverständnisses oder z.B. auch wegen einer aus organisatorischen Gründen notwendig gewordenen Terminverschiebung hintergangen, verhöhnt und verspottet fühlt. Herr K. z.B., der bei einem Telefongespräch das Lachen anderer Mitarbeiter im Raum vernahm, bezog es sogleich auf sich und brach deshalb den Kontakt zur Beratungsstelle ganz ab. Man hätte sich wohl über ihn lustig gemacht, so die Vermutung des Klienten, der bis heute unter traumatischen Erlebnissen in einer Jugenderziehungsanstalt leidet, in die er von seiner Mutter eingewiesen wurde, nachdem seine Homosexualität bekannt geworden war. Die Diskussionen im Gesprächskreis Anders Altern der Schwulenberatung sind ebenfalls von diesem Misstrauen und der Erwartung einer Verhöhnung der Teilnehmer untereinander geprägt. Es ist deshalb nützlich, in regelmäßigen Abständen den Umgang der Teilnehmer miteinander in der Gesprächsgruppe zu thematisieren und auf die Möglichkeit von Missverständnissen und die Notwendigkeit eines respektvollen Umgangs miteinander ausdrücklich hinzuweisen. Es ist eben die Respektlosigkeit der Anderen im Verhalten ihnen gegenüber, die viele Männer ihr Leben lang ertragen mussten oder vor der sie sich besonders gefürchtet haben, vor allem auch im Beruf. Viele Klienten berichten, dass sie von Kollegen als Witzfigur behandelt wurden. Wer diese Tatsache bedenkt, wird auch als Berater echtes Verständnis für die vergleichsweise übertrieben erscheinende Verletzlichkeit der Klienten aufbringen können. Er wird z.B. auch besonderen Wert auf die Verbindlichkeit seiner Angebote legen und auf den pünktlichen Beginn verein-

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116 | Marco Pulver barter Beratungstermine achten. Hilfreich beim Aufbau einer vertrauensvollen Arbeitsbeziehung ist selbstverständlich auch ein freundliches und höfliches Entgegenkommen. Gesten der Höflichkeit werden von schwulen Senioren als ein wichtiges Zeichen für die Vertrauenswürdigkeit und Hilfsbereitschaft des Beraters gewertet.6 Der Wunsch, respektvoll behandelt und als Person ernst genommen zu werden, ist jedenfalls bei älteren schwulen Männern ganz besonders ausgeprägt, und der Erfolg der Beratung wird nicht zuletzt davon abhängen, wie sehr der Berater diese Haltung dem Klienten gegenüber realisieren kann. Eine vom Respekt vor der Person und deren Lebensgeschichte geprägte Grundhaltung des Beraters kommt freilich nicht nur in der Verlässlichkeit und Verbindlichkeit des Gesprächsangebots zum Ausdruck. Ältere schwule Männer, die eine Beratung in Anspruch nehmen, erwarten vor allem, dass man ihnen zuhört und sich in ihre Denk- und Gefühlswelten hineinversetzt. Das mag auf alle Klienten in Beratungen und Therapien zutreffen – zumal auf Senioren, die sozial isoliert leben, und großen Gesprächsbedarf haben. Man muss aber bedenken, dass ältere schwule Männer von Erfahrungen des Sich-nicht-verstanden-Fühlens geradezu geprägt sind, quasi von Kindheit an. Abgesehen davon, dass man in ihrer Jugendzeit ohnehin nicht offen über sexuelle Angelegenheiten sprach, so war doch das Reden über Homosexualität ein besonderes Tabu. Und einige Männer, die heute in meine Beratung kommen, mussten zudem erleben, wie gerade auch medizinische und psychologische Experten ihre zentralen Wünsche und Interessen weniger verstehen als vielmehr korrigieren wollten. Schwule Senioren, die in die Beratung kommen, wünschen sich also vor allem, jemandem zu begegnen, der ihnen zuhört. Ein Berater wiederum, der diesen Wunsch respektiert, wird freilich nicht nur passiv zuhören, sondern den Klienten dabei unterstützen, seine Geschichten zu erzählen. In Beratungsgesprächen stelle ich deshalb z.B. bewusst Verständnisfragen oder lade den Klienten dazu ein, eine bisher nur angerissene Episode ausführlicher zu schildern.7 Meine Einschätzung zu den geäußerten Problemen formuliere ich grundsätzlich nicht ungefragt bzw. ohne implizite oder ausdrückliche Aufforderung des Klienten und immer als subjektive Perspektive, als eine ergänzende bzw. alternative Betrachtung, die ich regelmäßig begründe. Manche Klienten erwarten allerdings, dass man sich in bestimmten Fragen bzw. Ansichten sogleich auf dieselbe Seite stellt. Abgesehen davon, dass es sicher nicht der Sinn einer Beratung sein kann, Klienten nach dem Mund zu reden, so halte ich es für die Schaffung einer vertrauensvollen Atmosphäre doch für wichtig, ge-

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meinsame Standpunkte ausdrücklich festzustellen, sofern sie aus dem Gespräch ersichtlich werden. Wenn es etwa um Erfahrungen von Diskriminierung geht, fällt es mir nicht schwer, mich mit schwulen Senioren zu solidarisieren. Um so eher gelingt es dem Klienten dann in anderen Momenten der Beratung, alternative Perspektiven zur Kenntnis zu nehmen, ohne sich gleich unverstanden zu fühlen. Als schwuler Berater hat man natürlich im Gespräch mit schwulen Senioren ohnehin einen gewissen Vertrauensvorschuss. Beratungen mit schwulen Senioren sind oft sehr zeitaufwendig. Ältere schwule Männer, die in die Beratung kommen, haben in der Regel ein sehr großes Mitteilungsbedürfnis, eben weil sie, wie ich schon erwähnte, im Alltag seit je her wenig Verständnis für ihre Situation und Probleme erwarten. In einigen Fällen, bei denen die Überweisung an einen Therapeuten aus bestimmten Gründen nicht in Frage kommt oder kein passender Therapeut gefunden werden kann, werden Gesprächsreihen nötig, die sich über ein ganzes Jahr oder länger erstrecken und häufig erst dann enden, wenn der Klient – oft mit Hilfe von ehrenamtlicher Unterstützung – neue private Hilfsnetzwerke aufbauen konnte. Der aktiv zuhörende Berater ist für viele schwule Senioren eben tatsächlich die erste Person, bei der sie das Gefühl entwickeln, alles sagen zu dürfen, was sie bedrückt und dem gegenüber sie offen aussprechen können, was sie sich wünschen. Wenn dies gelingt, entsteht allerdings auch auf der Seite des Beraters zunehmend ein Gefühl von Verantwortung für den Klienten und ein echtes Interesse an der Verbesserung der Situation des Ratsuchenden, was der Klient dann auch spürt. Auf diese Weise entwickelt sich in der Tat eine Kooperationsbasis, die es den Gesprächspartnern ermöglicht, gewissermaßen in Teamarbeit und Schritt für Schritt, Veränderungen zu planen und zu realisieren.8

4. Themenfelder der Beratung Die Themen, mit denen schwule Senioren in die Beratung kommen, sind vielfältig. In den Beratungsgesprächen spiegelt sich ein Großteil der Lebenssituation schwuler Männer wider. Einige Themen dominieren den Beratungsalltag. Dazu gehören vor allem die Erfahrung bzw. der Umgang mit der Einsamkeit und der Wunsch nach einem Partner. Häufig geht es auch um Wohnprobleme, Krankheit und Sexualität. Hinzu kommt die Angst vor dem zunehmenden Alter, vor Demenz und Gebrechlichkeit und einem qualvollem Sterben. Innerhalb der Gruppe der schwulen Senioren nehmen wiederum HIV-positive Männer in Be-

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118 | Marco Pulver zug auf die Themen der Beratung eine Sonderrolle ein, auf die ich weiter unten kurz eingehen möchte.

Einsamkeit und soziale Isolation Einsamkeit ist das am häufigsten genannte Problem schwuler Senioren, die mich als Berater konsultieren. Und es scheint auch das Problem zu sein, das deren Zufriedenheit im Alter am meisten beeinträchtigt. Mit finanziellen oder gesundheitlichen Problemen allein finden sich schwule Senioren offenbar viel eher ab. Erst das Einsamkeitsgefühl macht solche Belastungen dann unerträglich. In der Folge kommt es nicht selten zu ausgeprägten Depressionen, die zuweilen jeder medizinischen oder psychotherapeutischen Behandlung trotzen und die Gesamtsituation dann noch verschlimmern. Dass bei schwulen Männern, die vor 1950 geboren wurden, der Weg in die soziale Isolation schon durch gesellschaftlich-historische Faktoren begünstigt wird, habe ich bereits erwähnt. Das Verbot homosexueller Handlungen in der Vergangenheit und die Furcht vor Diskriminierungen haben die Form, in der soziale Kontakte aufgenommen bzw. partnerschaftliche Bindungen realisiert werden konnten, maßgeblich beeinflusst. Als Resümee zahlreicher Gespräche mit Betroffenen lässt sich feststellen, dass älteren schwulen Männern vor allem drei Wege offen standen, partnerschaftliche Intimität und Nähe zu gestalten: Entweder haben sie geheiratet und nebenbei geheim und sporadisch anonyme, sexuelle Kontakte zu Männern hergestellt. Oder sie haben sich schon früh auf einen männlichen Partner festgelegt und ihre Partnerschaft am heterosexuellen Modell der monogamen Ehe orientiert. Ein anderer Teil wiederum lernte, als Single zu leben und seine sexuellen Wünsche an gewissen Orten (vor allem Parkanlagen, öffentlichen WCs, Schwimmbäder, Sexkinos) zu befriedigen. Erst die Männer, die nach 1950 geboren wurden, praktizieren häufiger auch das Modell mehrjähriger schwuler Partnerschaften in Abfolge, sozusagen das Modell der seriellen Partnerschaft, wobei sexuelle Treue mehr oder weniger realisiert wird. Diese flexiblere Form, Sexualität, Intimität und Partnerschaft miteinander zu verknüpfen, war offenbar für die älteren Generationen schwuler Männer nicht praktikabel. Sie barg zu sehr die Gefahr, als schwuler Mann geoutet zu werden und sie entsprach auch nicht dem Ideal lebenslanger Partnerschaft, an dem sich eben auch homosexuelle Männer orientierten und zuweilen bis heute orientieren. Viele schwule oder bisexuelle Männer, die heute in die Beratung kommen, waren also einen Großteil ihres Lebens verheiratet. Zuweilen

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gingen aus solchen Ehen Kinder hervor. Nach einer Scheidung bzw. dem Bekanntwerden der Homosexualität sind dann häufig die Verbindungen zur Familie abgebrochen.9 Und auch die früheren Freunde, die Freunde der Familie, wurden einem fremd oder zogen sich zurück und standen der ehemaligen Gattin und den Kindern bei, die sich nicht selten betrogen und belogen fühlen.10 Viele Männer, die dann oft schon über 40 Jahre alt sind, wenn sie das Familienleben aufgeben, haben große Schwierigkeiten, in einer stark jugendfixierten schwulen Szene Kontakte zu knüpfen oder gar partnerschaftliche Beziehungen aufzubauen. Auch mit der Unverbindlichkeit und Anonymität in der schwulen Szene kommen viele Männer, die an ein Familienleben gewöhnt sind, nicht zurecht. Das Alleinsein hat hier eine besondere Qualität, man steht sozusagen zwischen zwei Welten: Die eine hat man gerade unwiderruflich verlassen, zur anderen findet man nicht den rechten Zugang. Mir sind Klienten begegnet, die versucht haben, solche Belastungen mit Hilfe von Alkohol oder anderen Suchtmitteln, zu bewältigen. Mir sind auch einige Fälle bekannt, die in dieser Situation Selbstmord begangen haben oder es zumindest versucht haben. In einem mir bekannten Fall konnte auch eine sehr enge Beziehung zu den aus der Ehe hervorgegangenen eigenen Kindern nicht verhindern, dass ein schwuler Mann einen Suizidversuch unternahm. Es ist nicht einfach, älteren Männern in dieser Situation eine geeignete therapeutische Hilfe zu vermitteln. Zum einen gibt es selbst in einer Großstadt wie Berlin wenige Therapeuten, bei denen ein selbstverständlicher Umgang mit der Homosexualität des Klienten vorausgesetzt werden kann. Zum anderen bieten selbst von den wenigen offen schwul praktizierenden Therapeuten die meisten wiederum ungern Männern über 55 oder 60 Jahren einen Therapieplatz an, weil sie bei Älteren wenig Veränderungspotenzial vermuten.11 Erfahrungsgemäß fühlen sich viele Männer in dieser Situation jedenfalls besonders einsam und suchen in erster Linie »geschützte« Orte, wo Schwulsein selbstverständlich ist und wo man sich auch nicht, wie sonst in der schwulen Szene, dem Druck ausgesetzt fühlt, so zu tun als sei man besonders glücklich, erfolgreich oder gesund. Die Schwulenberatung Berlin bietet zum Glück solche Orte, wo man auch recht schnell Anschluss findet. Man kann unangemeldet kommen, sich in einen caféartig eingerichteten Raum setzen, sich dort aufhalten, solange man will, und mit anderen Besuchern Kontakt aufnehmen, wenn man möchte. Für manchen Klienten mag es hilfreich sein, zu wissen, dass der Berater, den man schon kennt, immer in greifbarer Nähe ist. Es gibt ältere Klienten, die sich in einer Krisenzeit täglich in der

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120 | Marco Pulver Schwulenberatung aufhalten und das vielfältige Angebot nutzen. Einige dieser in der Regel kostenlosen Veranstaltungen12 sind speziell für ältere Männer konzipiert, z.B. die Gruppe »Hausmannskost 50+«, bei der sich schwule Senioren zum gemeinsamen Abendbrot treffen. Andere Veranstaltungen, wo man mit anderen ins Gespräch kommen oder einfach nur dabei sein kann, sind für alle Altersgruppen offen und werden auch sehr gerne von älteren Männern besucht, wie – neben den schon erwähnten Gesprächskreisen – z.B. auch der »Frühstücksclub«, ein Angebot für alle Männer, die sich, zum Beispiel aufgrund von körperlichen Handicaps oder eben aufgrund des Alters in schwulen Szenelokalen nicht wohl fühlen. Kuschel-, Entspannungs-, Bewegungs- oder Selbsterfahrungsgruppen wiederum sind, wie sich gezeigt hat, nicht jedermanns Sache. Vor allem aber Gruppenausflüge bzw. -reisen, die das Netzwerk Anders Altern seit 2006 organisiert, sind sehr beliebt und haben den Effekt, dass viele teilnehmende Senioren soziale Kompetenzen reaktivieren, die ihnen dann auch bei der Bewältigung ihrer sozialen Ängste bzw. ihrem Kontaktverhalten im Alltag sehr zu Gute kommen. Beratungsbedarf haben aber nicht nur ältere schwule Männer, deren Ehe- und Familienleben in die Brüche gegangen ist. In die Falle sozialer Isolation geraten auch Männer, die zeitlebens mit einem anderen Mann in monogamer Partnerschaft lebten. Diese Männer kommen einige Zeit nach dem Tod des Partners in die Beratung. Manche hatten bis dahin nie die Gelegenheit, um ihren verstorbenen Mann ganz offen vor einer anderen Person zu trauern. Schließlich haben viele Paare sehr zurückgezogen gelebt. Und auch wenn man mit dem Verstorbenen zusammen gewohnt hat, blieb oft das Verhältnis, vor allem den Nachbarn gegenüber, geheim. Offiziell lebten in der Wohnung dann zwei Brüder oder zwei Männer, die vorgeblich in irgendeinem anderen Verwandtschaftsverhältnis zu einander standen. Einige machten z.B. von dem Recht Gebrauch, einen jüngeren Mann zu adoptieren. Für schwule Männer war das bis vor kurzem die einzige Chance, ein Verwandtschaftsverhältnis miteinander zu begründen und von den damit wiederum verbundenen Rechten zu profitieren. Es tut dem Hinterbliebenen dann jedenfalls gut, wenn er in einem schwulen Gesprächskreis oder in der Beratung das wahre Ausmaß und den wahren Grund für seine Trauer zum Ausdruck bringen darf. Schwule Senioren erfahren es als eine große Erleichterung, davon erzählen zu können, was man mit dem Verstorbenen erlebt, welche Gefahren und Hindernisse man gemeinsam überstanden hat und wie sehr man seinen Mann vermisst. Manchmal trauen sich die Klienten in dieser Situation nicht, ihren Wunsch nach

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neuen Kontakten anzusprechen. Viele glauben, es würde sich nicht ziemen, von ihrem allmählich erwachenden Wunsch nach einer neuen Beziehung zu sprechen. Letztlich sind die Klienten dann aber erleichtert, wenn der Berater die Möglichkeit der Existenz solcher Wünsche anspricht und sie auch ausdrücklich gutheißt. Es ist natürlich von Vorteil, wenn ein Berater dann auch konkrete Veranstaltungen oder Gruppen empfehlen kann, wo ältere Männer neue Bekanntschaften machen können. Sowohl diejenigen Männer also, die lange Zeit verheiratet waren, als auch solche, die den Großteil ihres Lebens mit einem Mann fest befreundet waren, können im Alter in eine Lage geraten, in der sie stark isoliert leben und sich besonders einsam fühlen. Das Aufsuchen einer Beratung mag dann aus den oben genannten Gründen lange Zeit sehr schwer fallen. Bei jenen aber, die diesen Schritt wagen, kommt es oft recht schnell zu einer merklichen Verbesserung ihrer Situation – zumal, wenn der Berater, wie in der Schwulenberatung Berlin, ein Angebot zur Teilnahme an Gesprächs- und Freizeitaktivitäten mit anderen schwulen Männern unterbreiten kann. Viele schwule Senioren wiederum, die wegen erdrückender Einsamkeitsgefühle in die Beratung kommen, waren ihr Leben lang Single. Die meiste Zeit kamen sie mit dem Alleinsein und ihrer Sehnsucht nach einem Traumprinzen gut zu recht; sie hatten sich mit dem Alleinsein arrangiert. Manche, vor allem finanziell besser gestellte Männer, genossen diese Lebensweise sogar als besonderes Privileg: Sie waren immer außerordentlich zufrieden damit, sich nicht auf die Wünsche eines Partners einstellen zu müssen und sich ganz auf die Erfüllung der eigenen Bedürfnisse oder das Erreichen beruflicher Ziele konzentrieren zu können. Es mag sein, dass – wie es in einer Untersuchung aus NordrheinWestfalen heißt (Buba/Weiß, 2003) – das Alleinsein von diesem Teil schwuler Männer, die zeitlebens ohne festen Partner gelebt haben, dann auch im Alter als nicht so bedrohlich empfunden wird. Allerdings ändert sich die Situation, wenn sich z.B. wegen stärkerer körperlicher Beschwerden, wegen Vergesslichkeit oder einsetzenden Wortfindungsstörungen und bei langwierigen Krankheiten zunehmend Gefühle der Hilflosigkeit oder der Angst davor einschleichen. Der Wunsch nach einem – möglichst gut aussehenden – Partner, der vitaler ist als man selbst, der einen liebt und umsorgt, wird bei einigen Senioren außerordentlich stark. Die Männer, die in die Beratung kommen, wollen dann oft nicht wahrhaben, dass sich dieser Wunsch nicht mehr erfüllt. Einige klammern sich daran, und man muss mit diesen Illusionen als Berater

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122 | Marco Pulver sehr vorsichtig umgehen. Manchen Klienten gibt die Hoffnung, im Alter noch auf den Traumprinzen zu stoßen, den man das ganze Leben nicht gefunden hat, womöglich auch die Kraft, den so beschwerlich gewordenen Alltag weiter zu bewältigen. Andererseits ist es gerade auch die Angst davor, das Leben beenden zu müssen, als jemand der niemals einen festen Freund bzw. Partner hatte, die vielen schwulen Männern das Altern zur Qual werden lässt – nicht nur, weil sie andere um diese Erfahrung beneiden: Einige fühlen sich geradezu darum betrogen. Und das Single-Dasein war ja auch in der Tat nur scheinbar frei gewählt. Es war, wie ich oben schon festgestellt habe, eine der wenigen lebbaren Existenzweisen für schwule Männer, die in einer homophoben Gesellschaft aufgewachsen sind. Sich mit einem anderen Mann tagsüber auf der Straße auch nur zu zeigen oder ihn zu sich nach Hause einzuladen und damit womöglich einen Verdacht der Nachbarn zu nähren, erschien ja vielen Männern schon als riskante Verhaltensweise. Und kaum einer der Senioren, die ich treffe, kann sich bis heute vorstellen, mit einem anderen Mann Hand in Hand spazieren zu gehen, geschweige denn, sich mit ihm in der Öffentlichkeit zu küssen. Der Berater, der sich dieser Umstände bewusst ist, wird im Gespräch echtes Mitgefühl aufbringen können. Er kann dazu beitragen, dass dieser unerfüllt gebliebene Wunsch nach einem »festen Freund« wenigstens nicht – wie so häufig unter meinen Klienten der Fall – als eigenes Versagen gedeutet werden muss. Der Berater kann darüber hinaus schwule Senioren dabei unterstützen, ihren Bekanntenkreis zu erweitern. Inzwischen existieren nicht nur eine Reihe von Gesprächsund Freizeitgruppen, sondern auch schwule Besuchsdienste für alle jene Männer, die aus gesundheitlichen Gründen ihre Wohnung nicht mehr verlassen können oder denen es aus anderen Gründen schwer fällt, auf andere Menschen zuzugehen. Der erste in Deutschland realisierte Besuchs- und Begleitdienst für schwule Senioren, der Mobile Salon, ist 2003 von der Schwulenberatung Berlin gegründet worden, nachdem sich ein entsprechender Bedarf in Beratungsgesprächen gezeigt hatte. Inzwischen konnten mehr als 100 ehrenamtliche Helfer gefunden werden, die mit ihren Besuchen, Begleitungen und Gesprächen schon viel erreicht haben. Viele Senioren haben durch die neuen Kontakte wieder Freude am Leben gewonnen und nehmen durch diese Besuchsfreundschaften auch wieder stärker am sozialen Leben teil. Oft geht es ihnen dadurch auch gesundheitlich wieder besser u.a. weil die Besucher auch darauf achten, dass es den Betroffenen nicht an medizinischer Hilfe oder pflegerischer Unterstützung mangelt und andere geeignete Hilfen organisiert werden. Einige schwule Senioren sind freilich

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mit dem Besuchsdienst nicht zufrieden. Sie wünschen sich einen Freund und keinen Besucher. Auf neue Bekannte, die weder als Lebensnoch als Sexualpartner in Frage kommen, wollen sie sich trotz ihrer sozialen Isolation nicht einstellen. Oft werden Männer, mit denen man sie bekannt macht, schon nach wenigen Minuten als ungeeignet abgelehnt, z.B. weil der Gesprächspartner sich parfümiert hat, weil sich schnell herausstellt, dass er nicht über dieselbe Bildung verfügt, weil er sich nicht seriös genug kleidet, weil er zu viel oder zu wenig redet, weil er zu alt oder zu jung, zu dick oder zu dünn ist. Manche schwule Senioren haben zudem ganz und gar die Fähigkeit verloren, sich für ihre Mitmenschen zu interessieren. Womöglich taten sie das ihr Leben lang nicht. Sie finden einen Kontakt nützlich, solange er als Kummerkasten fungiert. Beginnt ein Besucher, von seinem eigenen Leben zu erzählen oder gar eigene Sorgen zu thematisieren, wird er ihnen lästig. Als Organisator eines Besuchsdienstes ist es nicht leicht, für diesen Teil schwuler Senioren, die von ihrer Umgebung als »seltsame Käuze« wahrgenommen werden, Kontakte zu organisieren, die von Dauer sind. Das Leben als Einsiedler hat sie geprägt. Manchmal verbergen sich freilich hinter dieser Isolation und Abwehr auch größte soziale Ängste. Manche schwulen Senioren, die in die Beratung kommen, geben irgendwann zu, dass es ihnen bereits schwerfällt, abgesehen von Ärzten überhaupt irgend jemanden anzusprechen, geschweige denn in die eigene Wohnung zu lassen. So traut man sich am Ende auch nicht mehr, jemanden fürs Fensterputzen zu engagieren oder eine nötige Reparatur im Bad in Auftrag zu geben. Viele möchten auch aus ihrer Wohnung ausziehen, trauen sich aber nicht, die entscheidenden Schritte zu unternehmen, weil sie Angst haben, dass es dann zu einer Besichtigung der bisherigen Wohnung kommen würde, für deren Zustand sie sich schämen. Dass schwule Senioren womöglich häufiger in ihrer Wohnung verwahrlosen als andere Senioren, soll damit nicht gesagt sein. Nur dass dies aufgrund der besonderen Tendenz zur Vereinsamung und manchmal sehr ausgeprägter sozialer Ängste durchaus der Fall sein kann und dass ein Ratsuchender sich nicht traut, über seine Wohnsituation zu sprechen, sollte ein Berater für schwule Senioren durchaus in Erwägung ziehen. Das Wohnen im Alter ist aber auch noch aus anderen als den eben angesprochenen Gründen ein zentrales Thema in vielen Beratungsgesprächen mit schwulen Senioren, worauf ich im folgenden Abschnitt gesondert eingehen möchte.

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Pflegebedürftigkeit und Wohnen im Alter Solange es älteren schwulen Männern gesundheitlich noch einigermaßen gut geht, ist die Einsamkeit meist das zentrale Thema in der Beratung. Bei zunehmender Gebrechlichkeit kreist das Gespräch dann eher um die Frage, wie bei Pflegebedürftigkeit das selbstständige Wohnen weiter realisiert werden kann, ob es Pflegedienste gibt, deren Mitarbeiter mit dem Schwulsein eines Patienten ganz selbstverständlich umgehen können, und ob es womöglich Altenheime oder ähnliche Einrichtungen speziell für schwule Männer gibt. Viele Klienten haben Angst, weil sie keine Angehörigen haben, die sich um sie kümmern, in ein Altersheim eingewiesen zu werden und dort auf intolerante Mitbewohner und Pfleger zu stoßen.13 Diese zum Teil nicht unbegründeten Ängste sind bei schwulen Senioren außerordentlich stark ausgeprägt und stellen häufig die wichtigste Motivation dar, eine Beratung in Anspruch zu nehmen. In der Tat haben Untersuchungen in Deutschland und anderenorts ergeben, dass Pfleger (sofern nicht selber schwul oder lesbisch) auf den Umgang mit homosexuellen Männern und Frauen nicht vorbereitet sind und zuweilen auch besondere Vorbehalte gegen den Umgang mit Schwulen haben. Einige haben bei entsprechenden Befragungen offen ihren Ekel gegenüber Homosexualität zum Ausdruck gebracht.14 Von den Mitbewohnern im Altenheim erwarten schwule Senioren sogar noch weniger Verständnis. Jedenfalls fürchten sie häufig, sie müssten Geschichten über eine angeblich verstorbene Ehefrau und verunglückte Kinder erfinden, um als Mitbewohner akzeptiert zu werden. Weil es nicht genügt, in einem Beratungsgespräch Verständnis für solche zum Teil sicher berechtigten Sorgen zu zeigen, bemüht man sich in der Schwulenberatung Berlin bereits seit einigen Jahren darum, ein Wohnprojekt für schwule Senioren zu realisieren. Die Ratsuchenden können inzwischen selbst aktiv werden und bei der Umsetzung des Projekts mithelfen. Im Frühjahr 2006 wurde eine »Haus-AG« gegründet, an der Interessierte oder Betroffene ihre eigenen Vorstellungen zum Wohnen in einer vorläufig so genannten »Regenbogenvilla« einbringen können.

Weitere Beratungsthemen: Sexualität, neue Medien, HIV/AIDS, Sucht Vielen Senioren, die in die Schwulenberatung kommen, fällt es schon schwer, über ihr Alleinsein und über die Folgen dieser sozialen Isolation zu reden. Noch seltener werden sexuelle Frustrationen offen ange-

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sprochen. Meist nur bei massivem Leidensdruck und wenn bereits eine besonders vertrauensvolle Beziehung zum Berater besteht, werden sexuelle Wünsche und Probleme thematisiert. Das mag bei heterosexuellen Senioren nicht anders sein. Zum einen ist das Reden über Sexualität in dieser Generation nicht üblich. Zum anderen glauben viele Klienten auch, dass es sich nicht ziemen würde, als älterer Mensch sexuelle Wünsche zu haben. Das sehen viele schwule Senioren eben nicht anders als die heterosexuelle Mehrheit der älteren Bevölkerung. Manche reden in Beratungen sogar abfällig über Bekannte, die jüngeren Callboys »zumuten« würden, mit einem alten Mann sexuelle Kontakte zu haben. Fest steht aber auch, dass viele meiner Klienten die Gelegenheit für sexuelle Abenteuer vermissen und dass viele von ihnen keine Anstalten mehr unternehmen, sich auf ein Abenteuer einzulassen, weil sie Angst vor Zurückweisung haben. So kommen offenbar viele Männer der erwarteten Frustration durch Enthaltsamkeit zuvor. Einige, die es sich leisten können, nehmen gelegentlich Kontakt mit Callboys und Strichern auf. Zumeist allerdings auch nur zögerlich und mit Bedenken – nicht nur moralischer Art. Viele haben vor allem Angst, beraubt oder mit dem HI-Virus oder anderen Krankheiten infiziert zu werden. Nicht selten werden tatsächlich ältere Männer, die Stricher mit in die Wohnung nehmen, mit sog. K.O.-Tropfen betäubt und anschließend beraubt. Die Polizei wird aus offensichtlichen Gründen zumeist nicht informiert. Und nur bei einem bereits länger bestehenden Beratungskontakt werden solche Vorfälle thematisiert.15 In der Beratung reden schwule Senioren auch meist nicht offen über sexuelle Dysfunktionen. Nur selten werde ich z.B. gefragt, ob ich schwulenfreundliche Spezialisten zur Behandlung von Erektionsproblemen kenne. Mit heterosexuellen Experten haben einige Männer bereits schlechte Erfahrungen gemacht. Von einem Arzt der Berliner Charité z.B. wurde einer meiner Klienten mit der Bemerkung abgespeist, dass sexuelle Probleme ja typisch wären für »Seinesgleichen«. In den seltenen Fällen, wo Sexualität zum zentralen Beratungsgegenstand wird, wird dann zugleich deutlich, wie belastend solche Dysfunktionen wiederum besonders für ältere Männer sind, die in ihrem bisherigen Leben als schwule Single gelebt haben und bei denen Bekanntschaften mit anderen Männern fast ausschließlich über den Weg eines sexuellen Abenteuers entstanden sind. Der Sex war sozusagen der Schlüssel für die Möglichkeit, Bekanntschaften zu machen. Mit den sexuellen Funktionsstörungen geht dieser Schlüssel verloren. Die Betroffenen wissen nicht, wie man sonst Bekanntschaften macht, und sie sind nicht auf die Möglichkeit von Freundschaften eingestellt, die keinen sexuellen Entstehungskontext

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126 | Marco Pulver haben. Und selbst wenn sie sich auf diese Möglichkeit besinnen würden, so gibt es doch in der schwulen Szene kaum entsprechende Gelegenheiten bzw. Orte, wo man Männer kennen lernen könnte, ohne dass sexuelle Absichten vorausgesetzt würden. Oft erscheinen den Betroffenen aber solche Bekanntschaften selber wertlos und langweilig. Dennoch ist es freilich angebracht, Klienten in dieser Situation wenigstens über das bestehende, wenn auch seltene Angebot an weniger sexorientierten Kontaktportalen zu informieren, das von einigen Beratungseinrichtungen bzw. Schwulenverbänden organisiert wird, das aber auch im Internet zu finden ist.16 Insbesondere die Chance, über Internetportale neue Kontakte zu knüpfen, wird für schwule Senioren nicht selten zum Anlass, sich doch noch verstärkt mit den neuen Medien zu beschäftigen. Es macht durchaus Sinn, diese Möglichkeit in der Beratung zu erwähnen und ggf. auf Kurse zum Umgang mit Computern und dem Internet aufmerksam zu machen. Einige Klienten haben auf diesem Wege inzwischen ein neues Hobby entdeckt und haben nun zumindest den Eindruck, ihre Lage aktiv beeinflussen und verbessern zu können. Hinzu kommt das gute Gefühl, die Zeit sinnvoller auszugestalten. Viele sind dann auch stolz darauf, die technischen Neuerungen nicht mehr wie viele andere Ältere zu ignorieren oder sich zu alt dafür zu fühlen. Ein besonders schweres Schicksal haben schwule Senioren, die sich mit HIV infiziert haben und von ihrer Infektion wissen. Leider kann ich im Rahmen dieses Aufsatzes nicht ausführlich auf die Situation und Beratung HIV-positiver Senioren eingehen. Ich möchte aber zumindest darauf hinweisen, dass die Anzahl der Betroffenen in Deutschland allein schon wegen der fortwährenden Verbesserung der Therapien stetig zunimmt. Für diesen Teil der Senioren, die sich nicht nur aufgrund ihres Alters und ihrer Homosexualität, sondern auch der HIV-Infektion besonders ausgegrenzt bzw. isoliert fühlen, ist die Teilnahme an einer Selbsthilfegruppe in der Regel sehr effektiv. Oftmals gehen aus solchen Gruppen dann auch Freundschaften oder zumindest gute Bekanntschaften hervor, die für die Betroffenen äußerst kostbar und Quelle neuen Lebensmutes sind. Zuweilen kommt zu allen genannten Problematiken noch ein Suchtproblem hinzu. Ich habe in anderem Zusammenhang bereits darauf hingewiesen, dass der Missbrauch von Alkohol oder Medikamenten bei schwulen Senioren nicht selten im Zusammenhang mit Belastungen auftritt, die aus dem Umgang mit dem eigenen Schwulsein resultieren, z.B. weil der Kontakt zu den Eltern, zur Ehefrau, zu den Kindern abbricht oder die Ehe und Gründung einer Familie im Nachhinein als Flucht und als ein Verlust von Chancen der Selbstverwirklichung

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begriffen wird. Manche Senioren lehnen ihr Schwulsein auch innerlich ab. Ich kann aus meiner Beratungspraxis allerdings nicht ableiten, dass schwule Senioren häufiger Suchtprobleme haben als andere Senioren, wie das zuweilen behauptet wird.17 Es zeigt sich aber, dass eine Alkohol- oder Medikamentenabhängigkeit bei schwulen Senioren grundsätzlich im Kontext der Auseinandersetzung mit der Homosexualität und den damit zusammenhängenden Kontaktproblemen behandelt werden muss. In herkömmlichen Drogenkliniken scheuen sich Betroffene oft davor, ihr Schwulsein zu thematisieren. Die Schwulenberatung Berlin bietet deshalb auch schon seit vielen Jahren eine ambulante Drogentherapie für schwule Männer an, in denen das Einzel- bzw. Gruppengespräch über den Umgang mit der eigenen Homosexualität ein wichtiger Bestandteil ist.

Resümee Es zeigt sich, dass ein Großteil des Beratungsbedarfs schwuler Senioren einerseits aus einem versteckten Umgang mit der eigenen Homosexualität resultiert, andererseits aus einer ungenügenden Einbindung in die schwule Community. Diese Faktoren sind zugleich Barrieren für die Inanspruchnahme von Beratungsangeboten. Es ist deshalb zu vermuten, dass gerade diejenigen Senioren von solchen Angeboten keinen Gebrauch machen können, die unter den mit der Homosexualität assoziierten Problematiken am meisten leiden. Andere wiederum, die ihr Schwulsein weniger problematisch erleben, sind auch im Alter eher in der Lage, ihr soziales Netz zu organisieren, zu erhalten oder gar auszubauen. Von solchen Männern und ihren Aktivitäten im Alter erfährt man leider zu wenig, und es ist deshalb auch für die nachwachsende Generation schwierig, sich ein schwules Leben jenseits der Jugend vorzustellen – unbeeindruckt von Mythen, die das Alter prinzipiell mit Krankheit, Einsamkeit und Merkwürdigkeit verknüpfen –, zumal wenn es um schwule Männer geht. Im vorliegenden Artikel war nun leider auch nicht von denjenigen Senioren die Rede, die mit ihrer Situation zufrieden sind – eben weil sie in der Regel nicht zu meinen Klienten zählen. Genauso wenig ging es darum, die Situation schwuler Senioren im Allgemeinen zu beschreiben.18 Vielmehr habe ich versucht, besondere Problemlagen schwuler Senioren zu skizzieren und auf einige Schwierigkeiten, aber auch Chancen der Beratung hinweisen.

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128 | Marco Pulver Der Autor dieses Artikels arbeitet seit vier Jahren im Netzwerk Anders Altern der Schwulenberatung Berlin.19 Er gehört zu den Initiatoren und Leitern dieses Projekts für schwule Senioren, das inzwischen neben psychosozialer Beratung auch Gesprächs-, Körpererfahrungs-, Freizeit- und Reisegruppen umfasst, einen ehrenamtlichen Besuchsdienst hervorgebracht hat und das derzeit ein intergeneratives Wohnprojekt und eine Demenzkranken-WG für über 55-jährige homosexuelle Männer realisiert. Die Berater der Schwulenberatung Berlin sind jeden Tag mehrere Stunden lang für ihre Klienten erreichbar. Über 30 ehrenamtliche Helfer engagieren sich für das Projekt. Das Netzwerk Anders Altern ist damit nicht nur in Berlin, sondern auch europaweit dasjenige Projekt mit dem größten regionalen Angebot für unterstützungsbedürftige schwule Männer im Alter.20

Anmerkungen 1 | Zum Thema der Beratung älterer lesbischer Frauen vgl. vor allem Brauckmann (2004, 2005), Wortmann (2004, 2005), Bührmann (2000) und die Dokumentation des bundesweiten Fachtags Lesben und Alter (2004). Informationen über weitere aktuelle Projekte bzw. Projektadressen schickt der Autor interessierten Lesern gerne zu. Anfragen bitte senden an: m.pulver@schwulen beratungberlin.de 2 | Alle – zumeist auf qualitativen Studien basierenden – Forschungsberichte zur Homosexualität im Alter, die bis heute vorliegen, zeigen deutlich, dass schwule Männer generell eine selektive Informationspolitik in Bezug auf ihr Schwulsein betreiben: Nur bestimmte Personen aus dem Bekanntenkreis werden über die sexuelle Vorliebe informiert. Der Anteil der über die Homosexualität informierten Bekannten sinkt wiederum mit zunehmendem Alter (Bochow 2001, nach Gille 2003, S. 47). 3 | Das Rubicon-Beratungszentrum für Lesben und Schwule befindet sich in Köln und wird vom Ministerium für Frauen, Jugend, Familie und Gesundheit des Landes Nordrhein-Westfalen gefördert. 4 | In Deutschland leben nach Angaben des Statistischen Bundesamtes zurzeit. ca. 15 Millionen Menschen, die über 65 Jahre alt sind. Wenn man – wie üblich – davon ausgeht, dass sich der Bevölkerungsanteil von Schwulen und Lesben zwischen 5 % bis 7 % bewegt, so leben in Deutschland zwischen ca. 750.000 und einer Million homosexuelle Männer und Frauen im Alter von über 65 Jahren – davon wiederum, so schätzt man, ca. 40-80.000 in Berlin (Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Sport in Berlin, 2002). 5 | Selten kommen Senioren auf Empfehlung ihres Arztes, Therapeuten oder einer Behörde zur Schwulenberatung, was auch daran liegen mag, dass die

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Beratung für schwule Senioren | 129 Seniorenangebote dieser Einrichtung sich – trotz Informationskampagnen in Tageszeitungen, in Rundfunk und Fernsehen – erst allmählich in den medizinischen und psycho-sozialen Einrichtungen für Senioren in Berlin herumsprechen und auch bei Altenpflegern kaum bekannt sind. 6 | Eine ähnliche Einschätzung trifft Thomas Friedrich-Hett in der Ressource im Hinblick auf die Bedeutung von korrekten Umgangsformen für die Beratung von Senioren allgemein. 7 | »Zuhören« realisiere ich in Beratungen, dem klientzentrierten Konzept von C. Rogers entsprechend, als »aktives Zuhören« und zugleich als Ausdruck bzw. Konsequenz einer Haltung des Nichtwissens, ganz im Sinne der Ausführungen von Thomas Friedrich-Hett, der in der Ressource des vorliegenden Buches diese Position ausdrücklich von der des allwissenden Fachexperten abhebt (s.o.). 8 | Thomas Friedrich-Hett spricht in ähnlichem Kontext in der Ressource von einem »geteilten Expertentum«. 9 | Das gilt jedenfalls für die Klienten unserer Beratungsstelle. Diejenigen Männer, die nach ihrem Outing in der Familie weiterhin gute Kontakte zu ihren Kindern und ehemaligen Ehefrauen pflegen können, suchen aufgrund dieses funktionierenden sozialen Netzes wohl auch seltener eine Beratung auf. Manchmal kommt übrigens auch die ganze Familie in dieser Situation des Outings des Vaters in die Schwulenberatung – eine besondere Herausforderung für den Berater, auf die ich an dieser Stelle nicht weiter eingehen kann. 10 | Es gibt freilich auch einen großen Beratungsbedarf für Ehefrauen schwuler Männer. Zuweilen kommen ältere Ehefrauen oder Freundinnen von Männern in die Schwulenberatung und möchten wissen, woran sie eindeutig festmachen können, ob ihr Mann, den sie zuweilen schon seit Jahren für schwul halten, tatsächlich schwul ist. Sie vermeiden es meistens, mit Freunden und Bekannten über ihren Verdacht zu sprechen, weil ihnen diese Angelegenheit sehr peinlich ist. Oftmals reagieren Männer auch sehr aggressiv, wenn Sie einem entsprechenden Verdacht ausgesetzt sind – zumal wenn er zutrifft und sie sich keinesfalls outen wollen. Die Partnerinnen befinden sich dann in einer sehr schwierigen Situation. Einerseits wollen sie Gewissheit, andererseits haben sie auch Angst, den Partner zu verlieren, und vermeiden deshalb meist, das Thema offener oder häufiger anzusprechen. Inzwischen existieren für betroffene Frauen einige spezialisierte Beratungsstellen und Internetforen (z.B. die Fraueninitiative »Tangiert«). 11 | Dies ist das Resümee eines Treffens von Psychotherapeuten zum Thema Therapie älterer schwuler Männer, das kürzlich in der Schwulenberatung Berlin stattfand. Eine ähnliche Einschätzung diskutiert Thomas Friedrich-Hett im Leitaufsatz dieses Buches. 12 | Die Tatsache, dass die Angebote und Beratungen in der Schwulenbe-

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130 | Marco Pulver ratung kostenlos sind, begünstigt deren Akzeptanz bei den Senioren, von denen viele ausgesprochen sparsam sind – auch wenn sie über eine gute Rente verfügen. Einige erschweren sich die Situation dadurch, dass sie ihr Geld geradezu horten. Wenn man diese Einstellung in der Beratung problematisiert, kommen oft große existenzielle Ängste zum Vorschein. Es ist deshalb fast schon als ein Wagnis zu bezeichnen, das Thema des Umgangs mit Geld in der Beratung anzusprechen. Einige Senioren bekommen allzu leicht den Eindruck, man wolle sie ruinieren. 13 | Viele schwule Senioren haben auch Angst davor, dass sie im Falle eines Krankenhausaufenthalts der Willkür von Ärzten und Pflegern ausgeliefert sind, eben weil sie keine Angehörigen und Freunde haben. Deshalb sind sie häufig sehr dankbar für Informationen zur Möglichkeit der Patientenverfügung und zum Ausstellen von Vollmachten im Krankheitsfall. 14 | Vgl. Gerlach (2002, 2003, 2004). Erst seit kurzem wird Homosexualität in Altenpflegeschulen ausführlicher thematisiert (vgl. Haase/Drenhaus 2003; Hessisches Sozialministerium 2004). Und zunehmend entdecken auch Pflegedienste Serviceangebote für schwule Senioren als Marktlücke. Wenn man sich aber heute in Berliner Senioren- bzw. Altenpflegeheimen nach deren Strategien zum Umgang mit homosexuellen Klienten erkundigt oder Informationsveranstaltungen zu diesem Thema anbieten möchte, hört man zumeist den Satz: »Dieses Problem haben wir bei uns nicht.« Sollte aber doch einer der Bewohner »dieses Problem haben« (und die Wahrscheinlichkeit bei schätzungsweise 4080.000 in Berlin lebenden homosexuellen Senioren über 65 Jahren ist ja nicht gering), dann heißt das eben auch, dass jemand sein Schwulsein dort verheimlichen muss und darunter mit Sicherheit leidet. 15 | Viele schwule Senioren wissen noch nicht, dass es bei der Berliner Polizei inzwischen einen besonderen Ansprechpartner für schwule Männer gibt, den sog. Schwulenbeauftragten, an den man sich in solchen Fällen, aber auch bei Beleidigungen und anderen Delikten vertrauensvoll wenden kann. In der Beratung kann man außerdem vorschlagen, das schwule Überfalltelefon des Berliner Projekts »Maneo« anzurufen, um solche Erlebnisse wenigstens anonym zu Protokoll geben können. 16 | So existiert z.B. auf dem Internetportal von »homo.net« eine Rubrik für Freundschaftsinserate. Eher sexuelle Bekanntschaften kommen über das Internetportal von »Gayromeo« (gayromeo.com) zustande, das zunehmend auch Senioren nutzen. 17 | Vgl. z.B. Egemen Savaskan: Homosexualität im Alter, ein Vortrag anlässlich eines Treffens der MediGay zum Thema Homosexualität im Alter vom 4. Oktober 2003 in Basel [www.medigay.ch/default.asp?m=33]. 18 | In den letzten Jahren wurden einige wenige Befragungen zur Situation schwuler Senioren durchgeführt, an der aber freilich nur Männer teilnah-

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Beratung für schwule Senioren | 131 men, die stärker in die Schwulenszene integriert sind (vgl. Gille 2003; Buba/ Weiß 2003; Bochow 2005; Landeshauptstadt München, Koordinierungsstelle für gleichgeschlechtliche Lebensweisen 2004). Erste Fachtagungen zum Thema Homosexualität im Alter sind bereits organisiert worden und liegen z.T. als Dokumentation vor (vgl. Schwules Netzwerk NRW e.V. 1996; Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Sport in Berlin 2002). Ergänzende/weiterführende Literatur: Stümke (1998), Pro Alter, Fachmagazin des Kuratoriums Deutsche Altershilfe (3/2004); Schwules Netzwerk NRW e.V. (2003); Gerlach et al. (2002). 19 | Die Schwulenberatung Berlin leistet seit 1981 psychosoziale Grundversorgung für schwule und bisexuelle Männer und deren Freunde und Freundinnen in Berlin und Umgebung. Inzwischen ist sie die zentrale psychosoziale Versorgungseinrichtung für schwule und bisexuelle Männer in dieser Region mit über 40 hauptamtlichen Mitarbeitern und vielen ehrenamtlichen Helfern und Honorarkräften. 20 | Es wird seit September 2005 als Modellprojekt gefördert und ist auch nur deshalb und auch nur solange diese Förderung besteht, nämlich bis Ende des Jahres 2008, in der Lage, die erwähnten Aktivitäten anzubieten. Die Folgefinanzierung ist derzeit ungeklärt. In anderen Bundesländern werden Treffen für ältere schwule Männer – meist im Rahmen von so genannten gay&grey-Gruppen – vor allem von ehrenamtlichen Mitarbeitern des deutschen Lesben- und Schwulenverbandes, LSVD, organisiert.

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Empowerment-Coaching ® für die nachberufliche und nachfamiliäre Lebenszeit. Ein Konzept für Training und Beratung Ulrich Meindl, Adelheid Schramm-Meindl

Einleitung Älter werden ist ein schleichender Prozess, den man oft nicht bewusst erlebt. Alt ist man in unserer Gesellschaft »offiziell«, wenn man in Rente geht. Das gefühlte Alter beginnt allerdings meist schon Jahre vorher. Früher, und das ist schon lange her, fühlte man sich alt, wenn einem in der Straßenbahn, im Bus oder in der U-Bahn von Jüngeren ein Sitzplatz angeboten wurde. Heutzutage stellt sich dieses Gefühl ein, wenn der Arbeitsplatz bedroht ist, wenn das erste Kind das »Nest« verlässt oder wenn eine chronische Krankheit diagnostiziert wird. Das alles sind Ereignisse, die nur sehr bedingt mit dem Lebensalter verknüpft sind; eigentlich können sie einen im Erwachsenenalter jederzeit treffen. Wann also ist man alt? Die gängige Formel »Wenn man an Bedeutung für andere verliert« hilft bei der Beantwortung dieser Frage nur bedingt weiter, weil man im Alter auch wieder an Bedeutung gewinnen kann, etwa als Großvater oder Großmutter. Die Pensionsgrenze oder der Vorruhestand sind Zuschreibungen, die man nicht unbedingt als Grenze zum Altsein akzeptieren muss, insofern sind auch diese Kriterien nicht immer zutreffend. Alter ist nach den Erkenntnissen der Altersforschung ein Prozess ohne feste zeitliche Bestimmung. Dennoch ist es aus unserer Sicht für das Lebensgefühl im Alter ausschlaggebend,

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wann wir zum ersten Mal wirklich realisiert haben, dass wir alt werden, alt sind oder alt geworden sind. Wir schlagen dazu einen Zeitpunkt vor, an dem man Bilanz zieht – eine Bilanz, die sich von allen vorangegangenen Bilanzierungen auf dem Lebensweg grundsätzlich unterscheidet. Die »Jetzt-bin-ich-alt-Bilanz« ist dadurch gekennzeichnet, dass einem klar wird: Die vor mir liegende Lebensphase hat keine von der Gesellschaft vorgegebenen Ziele mehr, hat auch keine formulierte Tagesund Wochenstruktur. Viel unstrukturierte Zeit auf der einen Seite und nur noch begrenzte Zeit für unser Leben auf dieser Erde auf der anderen: Das ergibt eine Mischung von quälender Ambivalenz. Dieses ambivalente Gefühl kann Antrieb dazu sein, die neu gewonnene Freiheit zu gestalten und z.B. dafür zu nutzen, das nachzuholen, was man in der vorwiegend fremdbestimmten Zeit von Berufs- und Familientätigkeit gerne getan hätte, aber neben den übernommenen Verpflichtungen nicht tun konnte. Dieses ambivalente Gefühl kann aber auch dazu führen, sich »gewaltsam« gegen das Altern zu stemmen und sich in hektischen Aktionismus zu stürzen, um die Auseinandersetzung mit dieser Lebensphase zu vermeiden. Letzteres führt dann häufig genug zu den Karikaturen von älteren Menschen, die man tagtäglich in unseren Metropolen besichtigen kann. Eckart Hammer (2006) hat die verschiedenen Verhaltensvarianten anhand der fünf Säulen der Identität sehr anschaulich beschrieben. Vor diesem Hintergrund bieten wir für Menschen, deren Altersbilanzierung zu der Frage führt: »Ist das schon alles gewesen?«, oder zu der Feststellung geführt hat: »Das kann doch nicht alles gewesen sein«, Beratung in Form von Einzelcoaching und Workshops oder Seminare für Strategien zu erfolgreichem Altern an. Dabei verstehen wir unter erfolgreichem Alter und/oder Altern die Herausforderung, sich selbst Ziele zu setzen und den Weg zu ihrer Realisierung eigenständig zu bestimmen. Den Workshops und Seminaren liegt deshalb das Altersmodell von Baltes et al. (1999) zugrunde, in dem das Alter weder überhöht noch mystifiziert wird, aber auch nicht als Lebensphase angesehen wird, deren einziges Ziel darin besteht, die Zeit bis zum Ableben mühsam mit Sinn zu füllen. Wir gehen davon aus, dass erfolgreiches Alter und Altern ein selbstgesteuerter Prozess ist, in den alle Erfahrungen einfließen, die Menschen im Laufe ihres Lebens gewonnen haben.

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Das Konzept Grundlage des Empowerment-Coaching ist das Empowerment-Konzept, das wir aus dem sozialpädagogischen Bereich entnommen und für die Beratungsarbeit mit Senioren adaptiert haben. Dabei verstehen wir unter Empowerment • Strategien zur Steigerung von Selbstbestimmung und Autonomie im Leben, • Maßnahmen, die in die Lage versetzen, eigene Belange (wieder) selbstverantwortend und selbstbestimmt zu vertreten und zu gestalten, • den Prozess der Selbstbemächtigung und die professionelle Unterstützung von Menschen, ihre Gestaltungsspielräume und Ressourcen wahrzunehmen und zu nutzen. Übergreifendes Ziel des Empowerment-Coaching ist es, Menschen in der nachberuflichen und nachfamiliären Lebensphase zu ermutigen, ihre persönliche Identität neu zu justieren, um damit den Herausforderungen des Älterwerdens so zu begegnen, dass Lebensfreude und Lebensgenuss nicht auf der Strecke bleiben. Wir stellen damit ein Trainings- und Beratungskonzept für ältere Mitbürger vor, das der Forderung von Thomas Friedrich-Hett (s. Ressource), Angebote für diese Zielgruppe zu machen, die nicht an pathologische Problemlagen oder »verlustbezogene Themen« (S. 63) anknüpfen, entspricht. Wir verbinden mit diesem Konzept den Anspruch, Menschen zur aktiven Gestaltung ihres nachberuflichen und nachfamiliären Lebens zu motivieren, und wollen sie dabei unterstützen, ihre Potenziale auszuschöpfen. Gleichzeitig sehen wir darin einen Beitrag zur Entwicklung eines neuen Bildes vom Alter.

Die Arbeitsweise und die Arbeitsprinzipien Grundlage unserer Arbeit ist das Fünf-Säulen-Modell der Identität (Hammer, 2006), in dem die persönliche Identität aus dem Zusammenspiel der Lebensbereiche »Arbeit und Betätigung«, »Soziales Netz«, »Körper und Gesundheit«, »Materielle Sicherheit« und »Sinn und Werte« beschrieben wird. Das nachberufliche und nachfamiliäre Leben erfordert es, insbeson-

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dere diese Lebensbereiche zu überdenken und im Hinblick auf die veränderten Lebensbedingungen neu auszurichten. Von der Geburt bis zur Rente sind uns die Stationen und Ziele unseres Lebensweges weitgehend vorgezeichnet. Diese Routenführung hört mit dem Eintritt ins Rentenalter (wann immer er auch stattfindet) auf. Die größte Herausforderung des nachberuflichen und nachfamiliären Lebens besteht darin – grundsätzlich anders als in allen vorhergehenden Lebensphasen –, die Ziele und Wege für diesen Lebensabschnitt selbst zu bestimmen. Mit dieser Möglichkeit zur autonomen Lebensgestaltung sind Chancen und Risiken verbunden. Die Chancen bestehen vor allem darin, die »neu gewonnene Freiheit« produktiv für sich zu nutzen; das Risiko liegt darin, die »unbegrenzte Freiheit« als bedrohlich zu erleben und dem Anspruch nicht genügen zu können, dafür ein eigenes Lebenskonzept zu entwerfen. Mit dem Gedanken, dass die Herausforderung für ein erfülltes Leben in der nachberuflichen und nachfamiliären Zeit darin besteht, es nach eigenen, selbst gesetzten Spielregeln zu gestalten, wird die eigene Biografie zu einer zentralen Informationsquelle. Nur in der Auseinandersetzung mit dem eigenen Lebensweg lassen sich die Fähigkeiten und Kompetenzen identifizieren, die für die Weiterentwicklung der Identität herangezogen werden können. Dieses Vorgehen wird von dem Kerngedanken geleitet, dass jeder Mensch über die Ressourcen verfügt, die er zur Veränderung braucht, oder dass er sie sich erschließen kann. Im Hinblick auf die negativen Bilder, die normalerweise mit Alter und Altern verbunden sind, nehmen wir damit einen radikalen Perspektivenwechsel vor, nämlich vom Defizitmodell zum Ressourcen-Modell: Wir rücken für die Beratungs- und Trainingsarbeit die Potenziale eines Menschen und seine Ressourcen ins Zentrum der Aufmerksamkeit (Gudjons et al., 2003). Die Arbeit an der Biografie bezieht alle drei Zeitdimensionen (Klingenberger, 2001) ein: • die Erinnerung an die Vergangenheit als »Lebensbilanz«, • die Gegenwart als »Lebensbewältigung«, • die Perspektive für die Zukunft als »Lebensplanung«. Die ganzheitliche Betrachtung der Biografie ermöglicht es zu entdecken, was aus der Vergangenheit gelernt werden kann, und herauszufinden, welche Schlussfolgerungen daraus für die Zukunft abgeleitet werden können. Unserer Erfahrung nach verleiht die Auseinanderset-

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136 | Ulrich Meindl, Adelheid Schramm-Meindl zung mit der eigenen Vergangenheit, wenn sie unter psychologischer Anleitung erfolgt, persönliche Sicherheit, stärkt das Selbstvertrauen und hilft dabei, sich mit schwierigen Situationen des Älterwerdens auseinanderzusetzen und diese besser zu bewältigen. Im Idealfall kann eine Aussöhnung mit der Vergangenheit erfolgen und daraus zusätzliche Kraft für die nachberufliche und nachfamiliäre Lebensphase entstehen. Die individuelle Biografie wird so zu einer Plattform für die »Neuproduktion des Vergangenen in der Gegenwart« (Thomae, 1998, 77). Der Ansatz des Empowerment-Coaching nutzt die individuelle Biografie als Rohmaterial, um Ressourcen für ein erfolgreiches Altern und gutes Alter zu gewinnen und zielt darauf ab, das Bewusstsein für Selbstwirksamkeit (self-efficacy) systematisch zu stärken. Ein selbstbestimmtes Leben setzt die Zuversicht und Überzeugung voraus, erwünschtes Verhalten, angestrebtes Handeln und Ziele aus eigener Kraft erreichen und aufgrund eigener Kompetenzen ausführen zu können. Das Empowerment-Coaching betrachtet die Aufgabe, für ein erfülltes Leben in der nachberuflichen und nachfamiliären Zeit die persönliche Identität neu zu justieren, als einen Entwicklungsprozess, der sich anhand des Rubikon Modells1 (Storch/Krause, 2005) gut beschreiben lässt. Die Vorgehensweise im Empowerment-Coaching gliedert sich in sechs Phasen: 1. Den Standort bestimmen: Wo stehe ich heute und welche Chancen eröffnet mir das? 2. Im Rückblick den roten Faden finden: Was hat mein (Berufs-)Leben geprägt, was waren meine Themen, Ziele und Interessenschwerpunkte? 3. Visionen entwickeln: Wie kann ich diese Themen für erfolgreiches Altern nutzen? Was hilft mir dabei, auf neue Ideen zu kommen? 4. Abschied und Neubeginn: Welche Perspektiven eröffnen sich mir: will ich weitermachen, an Früheres anknüpfen, Versäumtes nachholen oder etwas ganz Neues beginnen? Wovon muss ich mich verabschieden? Was habe ich »im Gepäck«? 5. Entscheidungen treffen und Ziele formulieren: Welche Kriterien muss mein Konzept erfüllen? Hält es einer kritischen Prüfung stand? 6. Sich auf den Weg machen: In welchen Schritten will ich und kann ich die Umsetzung planen? Welche Hindernisse stehen mir (noch) im Weg? Welche Ressourcen habe ich zur Verfügung? Der angestrebte Entwicklungsprozess verläuft erfahrungsgemäß spiral-

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förmig, d.h. Themen wiederholen sich unter wechselnden Gesichtspunkten auf unterschiedlichen Bewusstseinsebenen. Aus Gründen der Übersichtlichkeit haben wir den Verlauf des Coaching-Prozesses linear dargestellt. Methodisch orientieren wir uns an den Regeln der Themenzentrierten Interaktion (TZI), der systemischen Beratung (Simon/Rech-Simon, 1999) und der Neurolinguistischen Programmierung (NLP) und nutzen deren Instrumente.2 Damit charakterisieren wir unsere KlientInnen als ExpertInnen in eigener Sache und definieren uns als Experten für den Entwicklungsprozess.

Der Beratungs- und Trainingsprozess Die erste Runde: Den Standort bestimmen Von den Chinesen könnten wir einiges lernen. Man hat mir gesagt, sie hätten ein und dasselbe Schriftzeichen für die Krise und für die Chance. (Richard von Weizsäcker)

Die Lebenssituation von Menschen unmittelbar vor oder in der nachberuflichen oder nachfamiliären Lebensphase ist durch Ungewissheit gekennzeichnet, die sich z.B. in folgenden Äußerungen widerspiegelt: »Bis jetzt habe ich noch keinen richtigen Rhythmus gefunden« oder drastischer: »Ich komme mir vor wie ein Zirkuspferd, das sein Leben lang im Kreis gelaufen ist und das man im Alter erstmals hinaus auf die grüne Wiese lässt. Natürlich weiß es nicht, was es dort tun soll«. Die generelle Motivation, an unseren Seminaren und Workshops teilzunehmen, entspringt also einem Bedürfnis nach Orientierung, dem Wunsch, sich mit Gleichaltrigen über Betätigungs- und Gestaltungsmöglichkeiten auszutauschen und dem Wunsch nach Selbstklärung. Soweit dem Wunsch nach Coaching nicht das Missverständnis zugrunde liegt, im Prozess konkrete Ratschläge für die zukünftige Lebensgestaltung zu bekommen, sind wir vor allem mit drei typischen Bedürfnislagen konfrontiert: • »Menschen, die zwar über ein bewusstes Motiv verfügen, dies aber aus Gründen, die ihnen selbst unerklärlich sind, nicht in Handlung umsetzen können.« (Storch/Krause, 2005, 61). Bedingungen für diese Bedürfnisthematik liegen meist darin, dass ein noch unbewusstes Bedürfnis die Umsetzung des bewussten Motivs behindert oder dass

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138 | Ulrich Meindl, Adelheid Schramm-Meindl ein Motivkonflikt vorliegt. Ein typisches Beispiel für dieses Erleben besteht z.B. darin, dass ein Klient den Wunsch äußert, für seine Kinder und Enkelkinder die Geschichten, die er ihnen erzählt hat, zu veröffentlichen. Diesen Wunsch realisiert er aber nicht und das beunruhigt ihn, weil dieses Verhalten im Gegensatz zu seinem sonstigen Verhalten steht. Die Exploration dieses Verhaltens ergab, dass dem Motiv »Geschichten aufzuschreiben« jedes Mal das unbewusste Bedürfnis nach einer »ernsthaften Tätigkeit, für die man Anerkennung erhält«, in die Quere kam. • Eine zweite typische Situation besteht darin, dass KlientInnen ein vermeintlich bewusstes Ziel formulieren, ihnen dabei aber entgangen ist, dass sie diesen Wunsch gar nicht selbst realisieren wollen, sondern die Verwirklichung von günstigen Bedingungen oder einer imaginären Macht erwarten. Diese typische Bedürfnissituation kann beispielhaft an folgender Zielformulierung erläutert werden: »Ich möchte eine (berufliche) Perspektive, die mich trägt und immer wieder dazu befähigt, meinen Weg zu gehen.« • Eine weitere typische Situation ergibt sich daraus, dass Menschen ein generelles Unbehagen empfinden, aber gar nicht genau berichten können, was eigentlich ihr Wunsch (oder Problem) ist. Stellvertretend für diese Bedürfnislage steht die Aussage eines Klienten: »Ich bin eigentlich permanent unzufrieden mit mir … und bemühe mich immer wieder, zu sortieren; aber mein System funktioniert nicht mehr.« In diesem Fall gehen wir davon aus, dass alle wesentlichen Bedürfnisse noch unbewusst sind und deshalb nicht in konkrete Handlungspläne einbezogen werden können. Unabhängig von den unterschiedlichen Bedürfnislagen konzentrieren wir die Aufmerksamkeit zu Beginn des Seminars auf die Gegenwart und das Lebensgefühl in einer solchen Übergangssituation. Dazu sammeln wir Aussagen zum aktuellen Lebensgefühl und ordnen diese Aussagen den Körperteilen in einer Personendarstellung zu. Das Ergebnis dieses Gruppenbildes dient dazu, das vorherrschende Lebensgefühl zu thematisieren und daraus ein erstes grobes Ziel für die gemeinsame Arbeit abzuleiten. Im dargestellten Beispiel ging es darum, aufzudecken, dass wesentliche Ziele der Gruppe darin bestanden, mit ambivalenten Gefühlen konstruktiv umzugehen und die eigene Passivität zu überwinden, um zum Handeln zu kommen. Die Darstellung der Gruppe als eine Person fördert das Bewusstsein der einzelnen TeilnehmerInnen, mit ihren ambivalenten Gefühlen nicht alleine dazustehen, sondern im Kreis von Gleichgesinnten an der

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Planung einer vor ihnen liegenden Lebensphase zu arbeiten. Insbesondere dieser Aspekt, die Gruppe als Resonanzboden für die individuelle Bearbeitung von Fragen und Themen zu nutzen, stellt einen wichtigen Teil unserer Arbeit dar. Auch wenn die Schlagworte »Pensionierungstod« oder »Pensionierungsschock« heute kaum mehr auf die Lebenssituation von Menschen in der nachberuflichen Phase zutreffen (Stitzel, 1985), gehen wir davon aus, dass geplante Veränderungen sinnvoll immer mit einer Bestandsaufnahme beginnen. Wir verwenden für diese Standortbestimmung das Instrument der Stärken-Schwächen-Analyse in einer Form, bei der Stärken und Schwächen im Hinblick auf ihre Chancen und Risiken untersucht werden. Ziel der »Standortanalyse« ist es, die TeilnehmerInnen mit dem scheinbaren Paradox vertraut zu machen, dass die veränderte Lebenssituation eine Änderung ihrer Haltung, ihrer Einstellungen und auch ihres Verhaltens zwangsläufig nach sich zieht, dass sie aber bei alledem darauf achten müssen, dass ihre Identität nicht beschädigt wird. Sie sind deshalb zunächst aufgefordert, für die fünf Säulen der Identität zusammenzutragen, welche Stärken und Schwächen sie identifizieren und wie diese als Risiken und/oder Chancen für den neuen Lebensabschnitt gekennzeichnet werden können. Dies wird zunächst in Einzelarbeit vorgenommen und in einem weiteren Schritt in der Gruppe besprochen. Für die einzelnen identitätsstiftenden Lebensbereiche bedeutet dies u.a.: Arbeit und Betätigung Sich bewusst zu machen, dass wir auch in der vor uns liegenden Lebensphase so viel »Arbeit« brauchen, dass wir den Kontakt zur gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Realität nicht verlieren. Soziales Netz In der Berufs- oder Familientätigkeit ist man Teil eines größeren Systems und erlebt diese Zugehörigkeit mit ihren guten und auch negativen Seiten. In der nachberuflichen oder nachfamiliären Lebenszeit ändern sich Zugehörigkeiten dramatisch und müssen neu sortiert werden. Körper und Gesundheit Es gehört zu unseren wichtigen Aufgaben in der nachberuflichen und nachfamiliären Lebenszeit, für ausreichend Bewegung zu sorgen und – soweit möglich – Gesundheitsvorsorge zu betreiben (Lauterbach, 2005).

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140 | Ulrich Meindl, Adelheid Schramm-Meindl Materieller Erfolg Im nachberuflichen und nachfamiliären Leben müssen Kriterien für materiellen Erfolg nicht nur justiert, sondern vor allem auch neu »erfunden« werden. Sinn und Werte Zentrale Lebenswerte und Überzeugungen, Leitbilder, Lebensstile, der Umgang mit Konflikten, mit Autorität und Gehorsam sind zu überprüfen und ggf. anzupassen. Aus dieser ersten Runde werden folgende Schlussfolgerungen gezogen: • Was brauche ich, um meine aktuelle Lebenssituation zu akzeptieren und mich soweit wie möglich mit kritischen Ereignissen in meiner Biografie zu versöhnen? • Wie kann ich ambivalente Gefühle als Chance begreifen, zum Handeln zu kommen? • Woran kann ich erkennen, dass Kontinuität in meinem Leben eine Ressource ist? • Wie kann ich sicherstellen, dass ich bei frei verfügbarer Zeit zwischen gezielter Aktivität und zielloser Geschäftigkeit unterscheide?

Die zweite Runde: Lebensthemen identifizieren oder den roten Faden finden Die längste Reise ist die Reise nach innen.« (Dag Hammarskjöld)

Diese zweite Runde auf dem Weg zu einer altersgerechten Identität beschäftigt sich mit roten Fäden, die den Lebensweg charakterisieren oder Lebensthemen, die in der Biografie eine wichtige Rolle gespielt haben. Dazu bieten wir den TeilnehmerInnen einen relativ umfangreichen Satz von explorativen Fragen an, die zunächst individuell bearbeitet werden: • • • •

Was hat mein Leben bestimmt? Woher komme ich? Welchen Berufs- und Lebenszielen bin ich gefolgt? Welche Leitbilder und Wertvorstellungen waren wichtig für mich? Welche Wünsche und Pläne konnte ich realisieren, worauf musste ich verzichten? • Welche Fähigkeiten habe ich entwickelt? Worauf bin ich stolz?

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• • • • •

Welche Erfahrungen habe ich mit mir und mit anderen gemacht? Wie habe ich Krisen und Wendepunkte erlebt? Gab es eine zentrale Aufgabe, eine »Berufung«, ein Lebenskonzept? Worüber habe ich mich bisher definiert? Wann in meinem Leben habe ich mich besonders »lebendig« gefühlt? An welchen Stellen in meiner Biografie habe ich mich gefühlt, als ob ich in einer Sackgasse stecke? • Welche Punkte sind offen geblieben? Welche Vorhaben, Wünsche und Erwartungen haben sich nicht erfüllt? Viele TeilnehmerInnen haben Schwierigkeiten, mit Hilfe dieser Fragen in den fünf Lebensbereichen (Säulen der Identität) rote Fäden oder Lebensthemen zu identifizieren und brauchen weitere Hilfestellung. Ein Grund für diese Schwierigkeiten liegt darin, dass Lebensthemen als Grundbedürfnisse, als Ziele, als Bedingungen für Handeln etc. auftreten, d.h. sehr unterschiedliche »Gesichter« haben können und eine Kategorisierung nicht möglich ist, ohne damit Vorgaben zu machen, mit denen die Suche nach roten Fäden oder Lebensthemen konditioniert würde. Weitere Gründe für die Schwierigkeit, Themen zu identifizieren, die für die zukünftige Identität eine Rolle spielen, liegen darin, dass diese Themen nicht immer klar sichtbar in der Biografie oder auf dem Lebensweg liegen, sondern sich gerne hinter Verhaltensweisen »verstecken«, die nicht oder nicht mehr reflektiert werden, in Handlungen und Überzeugungen, die im Laufe des Lebens Routine oder selbstverständlich geworden sind: Sie müssen aus der Biografie herausgearbeitet werden, wie ein Bildhauer seine Skulptur aus dem Stein herausmeißelt. Darüber hinaus sind prägende Elemente der eigenen Biografie auch nicht immer intentional und gewollt im Sinn von biografischen Plänen, sondern stehen häufig als eine Art »verdeckter Sinn« hinter der Dynamik, den Veränderungen und Verwerfungen der »Lebensprojekte«. (Das NLP spricht in diesem Zusammenhang von dahinter liegender guter Absicht). Schließlich treffen wir häufig auf die Situation, dass Lebensthemen deshalb nicht bewusst werden, weil sie miteinander im Konflikt stehen. Als ein bemerkenswertes Beispiel dazu ist uns in einem GruppenCoaching für Männer über 50 Jahre begegnet: ein Teilnehmer verließ während einer Kreativitätsübung die Gruppe, weil er die offene Situation ohne eine festgelegte Führungsstruktur als unerträglich empfand und gleichzeitig ein stark ausgeprägtes Bedürfnis nach Anerkennung in einer Führungsposition erkennen ließ. Die beiden Lebensthemen »Be-

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142 | Ulrich Meindl, Adelheid Schramm-Meindl dürfnis nach Führung« und »Bedürfnis nach geführt werden« wurden erst durch die Weigerung bewusst, an der Kreativitätsübung teilzunehmen. Eine generelle Ursache für die Schwierigkeiten, Lebensthemen zu identifizieren, sehen wir vor allem darin, dass der eigene Beitrag zu Entscheidungen, die im Leben getroffen wurden, nicht erkannt wird. »Es hat sich eben so ergeben …«, ist eine Äußerung, die wir in diesem Zusammenhang besonders häufig hören. Auch deshalb sehen wir die Notwendigkeit, immer wieder darauf aufmerksam zu machen, welche Rolle das Wissen um die eigene Selbstwirksamkeit für ein erfülltes Leben im Alter spielt. Unter Berücksichtigung dieser Schwierigkeiten beschreiben wir Lebensthemen formal als Themen, die • motivational stark besetzt sind, • als persönliche Potenziale erlebt werden, • immer wieder unter verschiedenen Lebensbedingungen auftauchen oder über einen längeren Zeitraum im Leben wirksam wurden (Kontinuität = roter Faden), • die individuelle Lebensgestaltung strukturieren und als Lebenskonstruktionen in individuelle Sinnstrukturen eingebunden sind, • der Stärkung des Selbstwertgefühls und der Entwicklung von Selbstwirksamkeit dienen. In einem zweiten Schritt bitten wir die SeminarteilnehmerInnen, im Hinblick auf ihre nachberufliche und nachfamiliäre Zeit eine erste Auswahl aus den bereits identifizierten Themen zu treffen. Wir unterstützen sie dabei mit folgenden Leitfragen: • Welche Themen aus den genannten Lebensbereichen (Säulen der Identität) sind weiterhin von Bedeutung? Womit wollen Sie weitermachen? • An welche Themen, die Ihre Identität mit geprägt haben, wollen Sie zukünftig anknüpfen? • Was ist aus Ihrer Sicht bisher zu kurz gekommen? Was wollen Sie nachholen? • Welche Themen aus den Lebensbereichen wollen Sie anders realisieren, als Sie das in der Vergangenheit getan haben oder tun mussten? • Welche Themen wollen Sie für Ihre nachberufliche und nachfamiliäre Zeit neu aufnehmen?

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Unsere Erfahrungen bestätigen die Ausführungen von Barbara Langmaack (1997), dass »Weitermacher« besonders häufig Menschen sind, die auch vorher ihre Zeit und Arbeit relativ eigenständig einteilen konnten. Weitermacher stellen sich meist die Frage, wie sie weitermachen können und führen ihre Kompetenzen als Ehrenamtliche oder auch in einer zweiten beruflichen Karriere fort. Die »Anknüpfer« ähneln den Weitermachern. Sie nutzen persönliche Erfahrungen, Kompetenzen und fachliches Wissen und setzen es auf anderen Gebieten als den ursprünglichen ein, ihre typische Frage lautet: Wo wird meine Kompetenz gebraucht? Menschen, deren Kernfragen für die nachberufliche und nachfamiliäre Zeit darin bestehen, was sie nachholen wollen oder ganz neu und anders machen wollen, erleben diese Zeit als Befreiung und als ein völlig neues Leben und schildern ihre Befindlichkeit (zumindest in der Anfangszeit dieser Lebensphase) mit den Worten »nur noch machen zu wollen, was sie wirklich wollen« (Swientek, 2005). Für sie ist das Leben danach so etwas wie eine »guided tour« ins Abenteuerland. Die Reise ist »geführt«, weil die ökonomische Basis in der Regel gesichert ist und man sich mit sehr begrenztem finanziellem Risiko auf das Abenteuer einlassen kann. Nachholende Motivation lässt sich in der Regel zurückführen auf Träume, die nicht annähernd realisiert werden konnten, die aber über die Jahre lebendig geblieben sind. Hier finden sich die »unerledigten Handlungen«, die in der nachberuflichen und nachfamiliären Zeit mit Macht an die Oberfläche drängen und zu enormen Anstrengungen körperlicher und auch geistiger Art motivieren. Menschen, deren später Lebenstraum durch ein Nachholbedürfnis geprägt ist, entwickeln dafür eine bemerkenswerte Energie, die sie verjüngt. Für viele in dieser Gruppe stehen Lebensfreude und Lebensgenuss im Vordergrund, sie leisten sich häufig Abenteuer und leben Leidenschaften unbeschwert aus. Um zu illustrieren, welche Lebensthemen diese Arbeit mit der Biografie zu Tage fördern kann, sind im Folgenden einige Beispiele angeführt, die uns in verschiedenen Gruppen begegnet sind: Arbeit und Betätigung: • mein wichtigstes Talent finden • ein »leeres Haus« mit Leben füllen

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144 | Ulrich Meindl, Adelheid Schramm-Meindl Soziales Netz: • Verletzungen heilen, sich versöhnen mit … • partnerschaftliche Begleitung in schwierigen Situationen finden; sich mit anderen verbunden fühlen Körper und Gesundheit: • die Balance zwischen Anstrengung und Entspannung finden Materieller Erfolg: • verlorene Macht durch gewonnenen Geist ersetzen Sinn und Werte:3 • den eigenen Maßstab finden • Fremdbestimmtheit in Selbstbestimmtheit verwandeln (weg davon, anderen zu gefallen) • die ungelebten eigenen Wurzeln entdecken und in das zukünftige Leben integrieren • Grenzen überschreiten: Jetzt habe ich den Mut dazu … • weg vom »Eigentlich-sollte-ich« (Anpassung an die Vorstellungen und Wünsche von Autoritäten) • »die Säge schärfen …« (Mut fassen, Zutrauen steigern, Persönlichkeit entfalten, sich vorbereiten auf …) Ein weiteres Beispiel zeigt eindrucksvoll, wie bei der Bearbeitung der Lebensthemen für die nachberufliche Zeit ein übergreifendes Lebensthema bewusst werden kann. Zunächst versuchte der Teilnehmer, sich Klarheit darüber zu verschaffen, nach welchen Kriterien er sein zukünftiges Leben ausrichten könnte. Durch die Zuordnung seiner Themen zu vier der fünf Leitfragen wurde ihm ein übergreifendes Lebensthema bewusst, mit dem er eine Verbindung zwischen den Einzelthemen herstellen konnte: • Weitermachen: Verehrung und »Nacheifern« von Geistesgrößen, die für rationale Welterkenntnis stehen (z.B. Kant) • Neu und anders machen: Selbstakzeptanz (»Mich annehmen, so wie ich bin«) • Anknüpfen: Bewunderung und Ausleben des »Faustischen« • Nachholen: Überwindung der Heimatlosigkeit als existenzielles Grundgefühl Die ursprüngliche Absicht, sich darauf zu konzentrieren, was ihm für

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sein zukünftiges Leben relevant erschien, aktualisierte sein eigentliches Kernthema: »verstehen wollen«. Daraufhin entschied er sich gegen Ende des Workshops (nach den Runden Abschied und Neubeginn sowie Zielfindung und Entscheidung) für ein Zweitstudium der Neueren Geschichte und Philosophie, um seinem Familientrauma »Heimatlosigkeit« mit wissenschaftlicher Methode auf die Spur zu kommen und es in sein Leben zu integrieren. Besonders beeindruckt sind wir von zwei Lebensthemen, die relativ häufig auftauchen und für Menschen unserer Generation offenbar von besondere Bedeutung sind: Das Thema der »Heimatlosigkeit«, die als Folge des 2. Weltkriegs oder auch als Folge nicht erlebten Urvertrauens erscheint; und der Wunsch nach »Authentizität«, die Suche nach der eigenen »Berufung« oder dem eigenen Kern (»Ich möchte der sein, der ich wirklich bin« oder »Ich möchte leben, wie ich gedacht bin«). Die zweite Runde als Suche nach dem oder den roten Fäden im Leben beenden wir gerne mit dem prominenten Beispiel einer 85-jährigen Frau: »Wenn ich mein Leben noch mal leben könnte, würde ich versuchen, mehr Fehler zu machen. Ich würde mich entspannen. Ich würde bis zum Äußersten gehen. Ich würde alberner sein als bei diesem Trip. Ich weiß einige Dinge, die ich ernster nehmen würde. Ich würde verrückter sein. Ich würde weniger hygienisch sein. Ich würde mehr Chancen wahrnehmen. Ich würde mehr unternehmen. Ich würde mehr Berge besteigen, in mehr Flüssen schwimmen und mehr Sonnenuntergänge beobachten. Ich würde mehr Eis und weniger Spinat essen. Ich würde mehr aktuelle Probleme und weniger eingebildete haben. Das Leben ist mit einer Reise zu vergleichen. Ich habe meine Lebensreise immer mit zu viel und zu schwerem Gepäck unternommen. Wenn ich mein Leben noch einmal leben könnte, würde ich im Frühling früher anfangen, barfuß zu laufen und im Herbst später damit aufhören. Ich würde öfter die Schule schwänzen. Ich würde gute Noten nur aus Versehen schreiben. Ich würde öfter Karussell fahren. Ich würde mehr Gänseblümchen pflücken. Wenn Du Dich andauernd nur schindest, vergisst Du sehr bald, dass es so wunderbare Dinge gibt wie zum Beispiel einen Bach, der Geschichten erzählt, und einen Vogel, der singt.«4

Bei der intensiven Arbeit an den eigenen Lebensthemen, die nicht immer leicht fällt, ist es uns wichtig, dass Humor nicht zu kurz kommt. Damit sind nun alle Koffer gepackt und die Reise ins unbekannte, wilde Land des Alters kann beginnen.

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Die dritte Runde: Visionen entwickeln Wenn das Leben keine Vision hat, nach der man sich sehnt, dann gibt es auch kein Motiv, sich anzustrengen. (Erich Fromm)

In dieser Runde verfolgen wir das Ziel, die Lebensthemen motivational aufzuladen und damit eine Grundlage für die nächsten Stufen auf dem Weg zu einer altersgerechten Identität zu legen. Dabei geht es uns darum, die in Worte und Beschreibungen gefassten Themen »zum Leben zu bringen«, d.h. sie mit Hilfe der Vorstellungskraft bildhaft zu konkretisieren und erlebbar werden zu lassen. Wir nutzen die Kraft der inneren Bilder, um Ressourcen zu aktivieren, die für die Umsetzung der Themen notwendig sind. Das NLP weist darauf hin, dass handlungsleitende innere Bilder, die von positiven Gefühlen (Hoffnung auf Erfolg) begleitet sind und intensiv erlebt werden, in hohem Maße psychische Energien freisetzen, die Vorstellungen in Handlung umzusetzen (Mohl, 2006: Submodalitäten-Arbeit). Das stimmt mit den Ergebnissen der modernen Hirnforschung überein, die belegen, dass Vorstellungen in gleicher Weise wirksam sind, wie das Handeln in der Realität (Hüther, 2005). Die Visualisierung der Lebensthemen gibt unseren KlientInnen weitere Hinweise darauf, welchen Stellenwert ein Lebensthema für die Gestaltung der persönlichen Zukunft haben kann und machen darauf aufmerksam, welche Varianten zur Verwirklichung eines Themas vorstellbar sind (gedankliches Probehandeln). Um den TeilnehmerInnen den Zugang zu Vorstellungsbildern zu erleichtern, starten wir diese Runde mit Kreativitätsübungen, wie z.B. der Übung »Können Eier fliegen?«, oder nutzen Übungen, die dazu anregen, die Grenzen des Alltags-Denkens zu überschreiten und sich Freiräume in der Fantasie zu eröffnen (Csikszentmihalyi, 2003). In der anschließenden Einzelarbeit fordern wir die TeilnehmerInnen auf, für jedes identifizierte Lebensthema drei Situationen zu visualisieren, in denen sie das Thema verwirklichen können. Dabei nutzen wir die Submodalitäten-Technik des NLP, bei der die formalen Qualitäten eines inneren Bildes (Farben, Helligkeit, Geräusche, Körpergefühle) angesprochen werden, um das Erleben des inneren Bildes zu intensivieren (Mohl, 2006; Schmidt-Tanger/Stahl, 2006). Wichtige Themen werden lebendig visualisiert, wie am Beispiel einer 50jährigen Familienfrau deutlich gezeigt werden kann, deren Plan darin bestand, in Kindertagesstätten als Märchenerzählerin aufzutreten. Sie verband damit die schönen Erinnerungen an die Zeit, als ihre eige-

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nen Kinder noch klein waren, und an die uneingeschränkte Zuwendung, die sie für die Gute-Nacht-Geschichten von ihren Kindern bekommen hatte. Sie malte sich die Situation in einer Kindertagesstätte lebendig aus, erzählte von erwartungsvollen Kinderaugen, die sie anschauten, »hörte« die Geräusche, wenn sie den Raum betrat etc. Diese Visualisierung half ihr schließlich, ihre Scheu zu überwinden und mit diesem Angebot an Kindertagesstätten heranzutreten. Die Arbeit an lebendigen Visualisierungen von angestrebten Zuständen, Ereignissen, Verhaltensweisen, Fähigkeiten etc. für das nachberufliche und nachfamiliäre Leben dient in erster Linie dazu, Ressourcen zu aktivieren, die dazu beitragen, die geplanten Aktivitäten auch zu verwirklichen. Darüber hinaus liefert sie auch Hinweise auf eine erste Priorisierung der Themen, wenn z.B. zu bestimmten Themen keine oder nur schwach illustrierte Vorstellungsbilder entwickelt werden können.

Die vierte Runde: Abschied und Neubeginn Es muss das Herz bei jedem Lebensrufe Bereit zum Abschied sein und Neubeginne« (Hermann Hesse)

In dieser Runde werden die Anliegen bestimmt, mit denen die Reise in die Zukunft begonnen und durchgeführt werden soll. Der Prozess, eine altersgerechte Identität zu entwickeln, schließt zwangsläufig die Auseinandersetzung mit der Endlichkeit des eigenen Lebens ein – und damit auch die Trauer über verpasste Chancen, über den Verlust der Jugendlichkeit, über das Nachlassen der körperlichen Kräfte, über den Verlust der körperlichen Integrität etc. Wir sprechen deshalb zu Beginn dieser Runde sehr bewusst von Trauerarbeit, wenn es darum geht, sich von bestimmten Wünschen zu verabschieden und die Themen daraufhin zu überprüfen, welche Bedeutung sie in der verbleibenden Zeit für ein erfülltes Leben haben sollen. »Loslassen können« ist das zentrale Stichwort für die Phasen des Abschieds • • • •

nicht wahrhaben wollen, Wut, Zorn, Traurigkeit und Angst, Suche nach dem, was erhalten bleibt oder modifiziert werden kann, akzeptieren und sich neu orientieren.

Mit der Thematisierung der Endlichkeit setzen wir weitere Impulse, das

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148 | Ulrich Meindl, Adelheid Schramm-Meindl Themenspektrum auf seine Realisierungsbedingungen hin zu untersuchen. Wir folgen damit dem Modell von Baltes (2003), in dem als Bedingung für gutes Altern das Zusammenspiel von drei Kriterien formuliert ist: • Selektion, die Konzentration auf ausgewählte Lebensziele angesichts begrenzter Energie; • Optimierung des Kräfteeinsatzes, um ausgewählte Ziele auch tatsächlich zu erreichen; • Kompensation von zwangsläufigen Verlusten durch den gezielten Einsatz von Hilfsmitteln und/oder mit Unterstützung durch andere Personen. Zunächst lassen wir die Themen, die nach der dritten Runde in die engere Wahl gekommen sind, nach subjektiver Wichtigkeit für das zukünftige Leben und gutes Altern gewichten. Dazu wird jedem Thema ein Punktwert zwischen 0 und 10 zugeordnet (0 = nach der »Trauerarbeit« keine größere Bedeutung mehr für mich; 10 = hat nach wie vor hohe Priorität). Die Wichtigkeit kann mit den Werten zwischen 1 und 9 individuell abgestuft werden. Mit diesem Verfahren vermeiden wir eine eindimensionale Rangfolge der Themen und machen bewusst, dass bei gleicher Punktzahl Entscheidungen anstehen oder aber Themen in übergreifende Themenkomplexe integriert werden können. Mit den Lebensthemen wurden in der Vergangenheit und werden in Gegenwart und Zukunft zentrale Bedürfnisse realisiert. Diese Bedürfnisse bleiben in der nachberuflichen und nachfamiliären Phase erhalten, müssen jedoch auf andere Weise als bisher befriedigt werden. Zu diesen zentralen Bedürfnissen zählen wir »die persönliche Bedeutsamkeit für Andere«, Zugehörigkeitsgefühle, Anerkennung und Attraktivität, Erfolgskriterien etc. Wir nutzen die Notwendigkeit, neue Formen für die Realisierung dieser Bedürfnisse zu finden, für eine Optimierung des Kräfteeinsatzes und damit für eine weitere, diesmal qualitative Selektion von Lebensthemen. Dazu stellen wir folgende Fragen, die zunächst wiederum individuell bearbeitet und anschließend in der Gruppe besprochen werden: • »Wodurch wollen Sie in der nachberuflichen und nachfamiliären Lebenszeit die persönliche Bedeutung, die Sie für Andere haben, aufrecht erhalten oder gewinnen?« • »Wo wollen Sie sich zukünftig zugehörig fühlen?«

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• »Was wollen Sie tun, um für sich selbst und/oder für andere auch zukünftig attraktiv zu bleiben?« • »Nach welchen Kriterien werden Sie zukünftig Erfolg und materielle Sicherheit bestimmen?« • »Welches Vermächtnis möchten Sie hinterlassen?« • »Welche sonstigen Leitmotive müssen Sie in der nachberuflichen und nachfamiliären Zeit anders realisieren als vorher?« Nach der Diskussion der Lebensthemen, die zukünftig realisiert werden sollen, bitten wir die TeilnehmerInnen, sich nun von allen Themen und Wünschen zu verabschieden, die nur einen geringen Beitrag aufweisen, diese Grundbedürfnisse altersgerecht zu realisieren. Konkret haben wir dazu ein Ritual entwickelt, bei dem die TeilnehmerInnen die Dinge, von denen sie sich verabschieden wollen, auf Zettel schreiben, die von allen mit dem Text nach unten in eine Urne gelegt werden, in der sie verbrannt werden können. Es ist immer wieder sehr eindrucksvoll, die Stimmung und Atmosphäre zu erleben, wenn sich die Wünsche, von denen man sich verabschiedet hat, vor den Augen aller in Rauch auflösen. Aus unserer Sicht geht es vor der Entscheidung über die näheren und langfristigen Absichten für das zukünftige Leben immer wieder auch darum, Dinge zu akzeptieren, so wie sie geworden sind. Insofern enthält unser Konzept des Empowerment-Coaching neben dem Gedanken, die Selbstwirksamkeit sukzessiv und systematisch zu steigern, auch die Integrationsaufgabe, wie schon Erikson (1966) sie in seinem Modell der menschlichen Entwicklung beschreibt. Nach unserer Erfahrung gelingt dies am besten in wohlwollender Konfrontation mit der eigenen Biografie unter psychologischer Begleitung, die gute Absichten hinter Misserfolgen oder offensichtlichem Scheitern sichtbar macht. Bei der Bearbeitung der Frage, was ich »im Gepäck« mitnehmen möchte, und der Entscheidung, den Weg in das unbekannte, wilde Land des Alterns mit »leichtem Gepäck« anzutreten, achten wir darauf, dass destruktive Selbstkritik weitgehend vermieden wird. Aus unserer Sicht geht es beim Selektieren vor allem darum, zuversichtlich zu altern und dabei selbstwirksam zu bleiben oder, um mit Baltes zu sprechen: selektieren, was wichtig ist, optimieren was Freude macht und Energie gibt und kompensieren, was nicht mehr so gut geht (Freund/Baltes, 2003).

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Die fünfte Runde: Entscheidungen treffen und Ziele formulieren Die Menschen reisen in fremde Länder und staunen über die Höhe der Berge, die Gewalt der Meereswellen, die Länge der Flüsse, die Weite des Ozeans, das Wandern der Sterne; aber sie gehen ohne Staunen aneinander vorüber. (Augustinus Aurelius)

Die Aufgabe, eine altersgerechte Identität zu entwickeln, die Lebensfreude und Lebensgenuss auch dann noch erlaubt, wenn körperliche oder auch psychische Einschränkungen kompensiert werden müssen, ist eine ernstzunehmende Herausforderung. Sie macht es erforderlich, sich dem Älterwerden bewusst zu stellen und sich den individuellen Bedürfnissen für diese neue Lebensphase mit großer Sorgfalt zu nähern. Wir fordern deshalb die TeilnehmerInnen zu Beginn dieser Runde noch ein weiteres Mal auf, die verbleibenden Themen noch einmal nach subjektiver Wichtigkeit für das zukünftige Leben und gutes Altern zu gewichten und wiederum jedem Thema einen Punktwert zwischen 0 und 10 zuzuordnen. (0 = keine größere Bedeutung mehr für mich; 10 = hat nach wie vor hohe Priorität. Die Wichtigkeit kann wieder mit den Werten zwischen 1 und 9 individuell abgestuft werden.) Die jetzt vorgenommene Gewichtung wird anschließend mit der aus der vorangegangenen Runde verglichen und Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Gewichtung werden in der Gruppe besprochen. Damit ist der Weg bereitet, die Themen in konkrete Ziele umzuformulieren oder konkrete Ziele zu den Themen zu formulieren. Mit der Formulierung als handlungswirksame Ziele, die den Kriterien • • • •

selbst initiierbar und aufrecht zu erhalten, situationsbezogen (gut kontextuiert) und sinnesspezifisch konkret sowie positiv (enthalten keine Negationen oder Vergleiche),

genügen müssen, entfalten die Themen noch einmal volle motivationale Schubkraft, weil mit einer solchen Zielformulierung wiederum Ressourcen aktiviert werden.

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Sechste Runde: Sich auf den Weg machen Älter werden heißt, selbst ein neues Geschäft antreten. Alle Verhältnisse ändern sich und man muss entweder zu handeln ganz aufhören oder mit Willen und Bewusstsein das neue Rollenfach übernehmen. (J. W. Goethe)

Diese Runde konzentriert sich auf die Realisierungsbedingungen der Anliegen, die für die nachberufliche und nachfamiliäre Zeit formuliert wurden. Dabei stehen folgende Fragen im Mittelpunkt der Betrachtung: • Welche Lebensziele habe ich für mich definiert? Wozu habe ich mich selbst verpflichtet? • Welche Schritte muss ich machen, um mein Projekt zu realisieren? Wie sieht der Zeitplan aus, was sind Prioritäten und Meilensteine? • Welche Ressourcen (z.B. Zeit, Geld, Fähigkeiten, Übung) brauche ich dafür? • Wen kann ich als BegleiterIn oder Verbündete(n) für meinen Weg gewinnen? • Welche Hindernisse und Schwierigkeiten können auftreten? • Wo bekomme ich Hilfe und Unterstützung? • Wie kann ich mich selbst wieder motivieren, wenn Schwierigkeiten so groß scheinen, dass sie mich mutlos machen? • Welches Leitbild, welches Symbol kann mich leiten und immer wieder als Erinnerungsanker von mir genutzt werden? Mit Hilfe dieser Kriterien können die TeilnehmerInnen für jedes Ziel festlegen und überprüfen, welche förderlichen Rahmenbedingungen sie für die Zielerreichung vorfinden oder schaffen müssen, und wo sie Hindernisse sehen oder befürchten. Das fördert eine realitätsgerechte Planung und schrittweise Umsetzung der Ziele und unterstützt die Zuversicht und Selbstwirksamkeitserwartung (Dilts et al., 1993).

Erfahrungen und zukünftige Entwicklung Das Empowerment-Konzept fußt auf Entwicklungsmodellen, die das gesamte Leben betrachten und in denen »das Alter« als eine Lebensphase betrachtet wird, die gesellschaftlich definiert und im Sinne des radikalen Konstruktivismus5 konstruiert ist, d.h. deren Bild geprägt ist

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152 | Ulrich Meindl, Adelheid Schramm-Meindl durch die jeweilige gesellschaftliche Situation; gegenwärtig vor allem durch die Diskussion über den demographischen Faktor. Ob Älterwerden als eine Reise ins Ungewisse oder als Aufbruch zu neuen Ufern erlebt wird, hängt vor allem davon ab, ob Menschen sich selbst als wirksam erleben oder ob sie von der Überzeugung beherrscht werden, letztlich doch nichts ändern oder beeinflussen zu können, weil Älter werden, Altern und das Alter sind »wie das Wetter, das man ertragen muss«. Besonders fatal ist es, wenn Altern und Alter als Krankheit angesehen werden, die zum Tode führt. Wir haben, ausgehend von dem Gedanken, dass Menschen alle Ressourcen, die sie zur Bewältigung und Gestaltung ihres Lebens brauchen, in sich tragen oder zumindest die Kraft dazu haben, sich die erforderlichen Ressourcen zu beschaffen (z.B. durch professionelle Beratung), ein Konzept für Beratung und Training für das nachberufliche und nachfamiliäre Lebens entwickelt, bei dem die Arbeit an der eigenen Biografie und die Weiterentwicklung von Selbstwirksamkeit im Zentrum stehen. Zusammenfassend möchten wir festhalten, dass es aus unserer Sicht für ein erfolgreiches Altern und ein gutes Alter zwingend erforderlich ist: • Die veränderten Lebensbedingungen der nachberuflichen und nachfamiliären Phase zu akzeptieren. Selbstbestimmung ist die beste Voraussetzung für Lebensqualität im Alter, mit der es gelingt, den Alltag neu zu strukturieren und wieder in Kontakt zu den eigenen Zielen und Bedürfnissen zu kommen, den man in der Übergangssituation möglicherweise verloren hat. • Die Begegnung mit dem eigenen Selbst zu suchen und zu bestehen. Die Frage danach, wer wir sind, wenn wir nicht mehr arbeiten und wenn die Kinder aus dem Haus sind, was unserem Leben jetzt (noch oder wieder) Sinn gibt, können bedrohlich sein, aber auch Impulse für eine produktive Auseinandersetzung geben. • Die eigenen Kräfte strategisch nutzen. Die Lebenserfahrung ist die zentrale Kompetenz, um vorhandene Fähigkeiten und seelische Kräfte effizient zu nutzen und Strategien zu entwickeln, mit deren Hilfe unser persönliches Wohlbefinden, unsere Lebensqualität zunehmen kann. Friedrich-Hett (2007) weist zu Recht darauf hin, wie wichtig und hilfreich eine »alltagsorientierte und pragmatische Handlungsorientierung« (S. 52) für das Selbstwerterleben und Selbstwirksamkeitsempfinden ist. Insofern stellt unser Ansatz ein Angebot zur Problemlösung im nicht-therapeutischen Bereich dar. Ergänzend zu sei-

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Empowerment-Coaching | 153

nen Ausführungen können wir dazu noch berichten, dass Krisen und Konflikte, die Handlungskompetenzen und Leistungsfähigkeit im Alltag durchaus gefährden, im Rahmen der Biografiearbeit durch Reframing integriert werden können. • Sich darauf vorbereiten, die Kräfte zu nutzen, die im gesellschaftlichen System wirken. Das Lebensalter zwischen fünfzig und achtzig ist ein Schatz, dessen Potenzial heute noch vergeudet wird. Hier hilft der demografische Wandel als heilsamer Zwang: schon in fünf bis zehn Jahren werden wir einen Arbeitskräftemangel erleben – und dann haben die »Alten« Hochkonjunktur.

Anmerkungen 1 | Das Rubikon-Modell von Heckhausen et al. (1987, nach Heckhausen, 1989) unterscheidet vier verschiedene Handlungsphasen. Es ist Bestandteil der Motivationstheorie und beschreibt den Ablauf von der Wunschregung bis zur Realisierung von Zielen. 2 | Neuro-Linguistisches Programmieren (NLP) ist eine Anfang der 1970er Jahre in Kalifornien entstandene psychologische Richtung. Sie wurde von den Psychologen und Linguisten Richard Bandler und John Grinder als offene Methodensammlung zusammengestellt. In ihr wurden gesprächs-, verhaltens-, hypno- und körperorientierte Psychologieansätze zusammengeführt. 3 | Vgl. Lebensweg Arbeit bei Isert/Rentel (2000) sowie Isert (2005). 4 | Quelle: Kaiser, H.J. (1994). Selbstreflektierendes Denken als Element klugen Handelns. Ein Beitrag zur Frage der »Weisheit« (des Alters). Report Psychologie. 5 | Der Radikale Konstruktivismus wurde vor allem durch die Veröffentlichungen von Paul Watzlawick: »Die erfundene Wirklichkeit« (1981) bekannt. Der Radikale Konstruktivismus zeigt, dass Wirklichkeit unbewusst konstruiert wird. Durch Erziehung, Schule, Werbung, Medien etc. werden wir auf eine bestimmte Weltbildperspektive fixiert. Unser soziales Weltbild und unser mentales Selbstmodell/Selbstbild ist damit lediglich eine kollektive Glaubenssache, eine Möglichkeit von vielen. In diesem Sinne ist auch Alter eine soziale Konstruktion.

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154 | Renate Rubin

Entwicklung und Bildung in der 4. Lebensphase. Poesie- und bibliotherapeutische Schreibgruppenarbeit mit alten Menschen Renate Rubin

Gedanken über Bildung und Alter(n) heute Wer nicht mehr arbeitet, hat ausgelernt Die UNESCO-Weltkonferenz über Erwachsenenbildung (CONFINTEA, nach Cuvry et al., 2000) hat 1997 in Hamburg lebenslanges Lernen als Schlüssel zum 21. Jahrhundert bezeichnet. Globalisierung, Informationsgesellschaft, Anwachsen von Wissen, Diskontinuität von Berufsbiografien und Individualisierung sind einige Stichworte zum Verständnis des gesellschaftlichen Hintergrundes. In Gegenposition zu dem Begriff des lebenslangen Lernens wird heute von dem Bildungsappell oder gar von einem Bildungszwang gesprochen, der durch das Credo des »lebenslangen Lernens« aufkommt und sich an Menschen richtet, für die es keine Sicherheiten mehr gibt: keine Sicherheit einer kontinuierlichen Berufsbiografie, keine Sicherheit einer lebenslangen familiären Eingebundenheit und keine Sicherheit durch soziale oder regionale Einbettung. Ob Schlüssel zur Zukunftsfähigkeit oder Zwang innerhalb einer deregulierten Welt: Interessant ist, dass der Begriff des »lebenslangen

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Lernens« gesellschaftspolitisch auf den erwerbstätigen Menschen ausgerichtet ist und hauptsächlich die Aktualisierung und Erweiterung von beruflich relevanten Qualifikationen zum Ziel hat. Auf die älteren Mitarbeitenden bezogen, soll sie deren Leistungs- und Innovationskraft fördern, so lange sie im Erwerbsalter sind. Für die Zeit nach der Pensionierung scheint Schluss zu sein mit Programmen zum Thema »lebenslangen Lernen«, Schluss mit Bildungsförderungsprogrammen. Eine erstaunliche Tatsache, die mich an den Satz erinnert: »Wer nicht mehr arbeitet, hat ausgelebt.« Friedrich-Hett hat ihn in der Ressource erwähnt als eine den alten Menschen krank machende Einstellung. Die öffentliche Förderung von Bildung impliziert jedoch das Gleiche: Wer nicht mehr arbeitet, hat ausgelernt.

Lernen und Älterwerden Lernen, das über die Pensionierung hinausgeht, wird nicht als staatliche Angelegenheit betrachtet. Kirchliche und karitative Institutionen decken diese Lücke ab. Aber auch private Unternehmen, die das Senior-Marketing entdecken, richten ihr Angebot auf die aktiven Alten, die so genannten Jungsenioren aus. Ein »Renner« in der Altenbildung sind Handy- und Computerkurse. Die Senioren sollen und wollen am technologischen Wandel teilnehmen. Daneben ist das Gedächtnistraining hoch im Kurs. Hier wird in unzähligen Seminaren dem befürchteten Zerfall entgegen gewirkt. Solche Seminare können nützlich sein und auch Spaß machen. Allerdings weist die enorme Angebotsdichte solcher Kurse auf ein Altersbild hin, das sich auf die Defizite stützt. Ich frage mich, ob dadurch dem alternden Menschen nicht die Botschaft oder die Aufforderung vermittelt wird: »Erhalte dich jung und repariere was zu reparieren ist …«, mit dem unausgesprochenen Zusatz: »… wenn du weiterhin zu uns (Jüngeren) gehören willst!« Im Kontext des Alter(n)s wird viel von Eigenverantwortung gesprochen und der gerontologische Begriff des »erfolgreichen Alterns« geistert herum. Die Verknüpfung dieser beiden Begriffe lässt den Schluss zu, dass Altersgebrechlichkeit ein persönlicher Misserfolg sei. Dies ist selbstverständlich weder die Absicht noch die Aussage der Gerontologen, kann jedoch in der Auslegung schnell in diesen Zusammenhang gebracht werden. Das Hinauszögern-Wollen des von Gebrechlichkeit geprägten Alters ist auf der persönlichen Ebene bestens zu verstehen. Darüber hinaus ist das Verhindern der Gebrechlichkeit, in Anbetracht des bevorstehenden demographischen Wandels, von bedeutendem ökonomischem Interesse.

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156 | Renate Rubin Nach neuer gerontologischer Forschung (Kolland, 2005) fördert der Bildungserwerb über die gesamte Lebensspanne hinweg sowohl die körperliche wie die geistige Gesundheit. Bildung gilt als eigentlicher »Schutzfaktor« im Alter. Das Motto »lebenslanges Lernen« kann in diesem Zusammenhang als wichtiges Argument gebraucht werden, um staatliches Engagement in Sachen Gesundheitsvorsorge und Altenbildung einzufordern. Doch was ist, wenn der Mensch schließlich alt und gebrechlich ist? Behält das Motto dann noch Sinn und Zweck?

Lernen bis ans Lebensende Um der Frage nachzugehen, welchen Sinn und Zweck »lebenslanges Lernen« in den späten Lebensjahren haben könnte, mache ich im Folgenden ein Gedankenspiel: Was wäre, wenn der Slogan darauf hinweisen möchte, dass Lernen bis zum Lebensende stattfinden soll? Er müsste dann vielleicht umbenannt werden in »Lernen bis ans Lebensende«. Doch dann tauchte das Problem auf, dass der Einbezug des Todes die Perspektive auf eine »Ausbeute« und auf einen »Nutzen« wie den Erhalt von Gesundheit oder das Verkraften von schnellem gesellschaftlichem Wandel verhindert. Damit gibt es keine zwingende Notwendigkeit mehr, auf diesen Nutzen hinzuarbeiten. »Lernen bis ans Lebensende« könnte nutzungsorientiert vielleicht noch das Ziel haben, durch Bildungsmaßnahmen das Sterben effizienter, d.h. kostengünstiger gestalten zu wollen. »Erfolgreiches Sterben« würde so zur Schlussetappe des »erfolgreichen Alterns«. Eine perfide Gedankenreise; doch regt sie dazu an, die Schiene des Erfolgsdenkens und der Kostenminimierung zu verlassen und festzustellen: Solange Nutzen und Bildung derart gekoppelt sind, macht Lernen bis ans Lebensende keinen wirklichen Sinn, sondern verstärkt nur den Verdacht der eingangs erwähnten Kritik, dass es sich beim »lebenslangen Lernen« um eine gesellschaftlich verordnete Zwangsmaßnahme handelt. Zum Weiterdenken jedoch lohnt sich der Einbezug des Todes.

Menschenbild und Menschenbildung Ich möchte für meine weiteren Ausführungen den Begriff »Bildung« näher erörtern. Bildung kann als Aspekt der Teilhabe an der Welt gesehen werden. Solange ein Mensch lebt, ist er Teil unserer Welt, und der Wille an der Welt teilzuhaben ist ihm immanent. Teilhabe an der Welt heißt, sich auf einen Austausch einzulassen, aufzunehmen und zurückzugeben. Bildung erhöht die Differenzierungsmöglichkeiten in-

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nerhalb dieses Austausches und weitet zudem den persönlichen Blickwinkel. Damit eröffnet sie dem Menschen eine größere Wahlfreiheit, auf welchen Austausch er sich einlässt oder auf welchen er verzichtet. Oder bildhafter gesagt: Bildung gibt dem Menschen einen Bilderreichtum in die Hand, welcher ihm die Möglichkeit gibt Zusammenhänge zu entdecken und seine Handlungsfähigkeit zu stärken. Nach Wilhelm von Humboldt ist Bildung »eine Anregung aller Kräfte des Menschen, damit diese sich über die Aneignung der Welt entfalten und zu einer sich selbst bestimmenden Individualität und Persönlichkeit führen« (nach Hentig, 1996). Der zeitgenössische Pädagoge Hartmut von Hentig (1996) fügt dem Wort Bildung im Humboldtschen Sinne »das Moment der Selbständigkeit, also des Sich-Bildens der Persönlichkeit« hinzu. Bemerkenswert dabei ist, dass das Lebensende in dieser humanistisch ausgerichteten Bildungsauffassung nicht deren Sinnhaftigkeit in Frage stellt. Im Gegenteil: Der Tod ist hier integraler Bestandteil der Menschen-Bildung! Die Auseinandersetzung mit der eigenen Vergänglichkeit und den nachlassenden Kräften, gekoppelt mit dem Erstreben, Neues in der Welt zu erfahren, gibt eine anregende geistige Kraft. Es fordert den Menschen heraus, sich bis an die Grenzen des Nicht-Wissens vorzuwagen. Diese Bereitschaft zum Loslassen und sich, wenn es soweit ist, auf das Unveränderbare einzulassen, ohne die Augen früher als nötig vor der Welt zu verschließen, ist ein Balanceakt und bedingt Entwicklung. Bei dieser Entwicklung den alten Menschen zu begleiten und ihm Möglichkeiten des Austausches und des Ausdrucks zu geben, darf als Bildungsprozess bezeichnet werden, sogar als Prozess gegenseitiger Bildung, der uns allen Wissen, Weisheit und Menschlichkeit zurück gibt und unser Potenzial erhöht, positive Lösungen für anstehende Herausforderungen wie die demographische Veränderung zu finden. Wenn wir uns auf diesen Bildungsprozess einlassen, gibt er uns die Möglichkeit, unsere Angst vor dem 4. Lebensalter und dem Tod abzubauen. Die im Weiteren vorgestellte Schreibgruppenarbeit mit hochbetagten Menschen ist vielleicht ein winziges Wirkungsteilchen im Bemühen, Alter(n) und Tod nicht von Entwicklung und Bildung abzugrenzen. Doch es scheint mir ein Beitrag zu sein, der vorgestellt zu werden lohnt. Wir werden in Zukunft noch viele andere Puzzleteile zusammenbringen müssen, um würdevoll auf Begriffe wie »Altersschwemme« reagieren zu können.

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Aktivierung oder Entwicklung In der institutionellen Arbeit mit hochbetagten Menschen wird oft von Aktivierung gesprochen. Das menschliche Bedürfnis nach Lernen und Entwicklung wird dabei wenig beachtet. Woher kommt der Gedanke, dass alte Menschen Aktivierung brauchen? Weshalb wird nicht davon gesprochen, den alten Menschen, trotz ihrer zahlreichen Handicaps die Möglichkeit zu geben, ihren Bildungsdurst zu stillen und ihnen Teilhabe an der Welt sozial und kulturell zu ermöglichen? Um diese Frage zu beantworten, ist ein kleiner Exkurs in die Geschichte der Gerontologie notwendig. Der Aktivierungsgedanke steht im Bezug zum Defizitmodell des Alter(n)s (Martin/Kliegel 2005) Das Defizitmodell ging von der Grundannahme eines generellen Abbaus der körperlichen und geistigen Fähigkeiten im Alter aus. Es orientierte sich an empirischen Forschungsarbeiten der Nachkriegszeit. Die Lebenslage und Biografie alter Menschen damals war im Vergleich zu heute durch starke Entbehrungen geprägt. Viele Menschen hatten – wenn überhaupt – nur wenige Jahre die Schule besuchen können, wurden dafür aber umso mehr vom Leben geschult, und dies in harter Form: zwei Weltkriege, Hunger, Entwurzelung und die Jahre des Wiederaufbaus. Als der Friede stabil und hoffnungsvoll eingerichtet war, mit TV, Kühlschrank und Waschmaschine, da waren sie bereits alt geworden. Diesen Menschen wollte man, kraft des neu erworbenen Wohlstands, einen behaglichen Ruhestand ermöglichen. Da man erkannt hatte, dass zu einem befriedigenden Leben auch ein bestimmtes Maß an Aktivität gehörte, gewann der Gedanke an Bedeutung, alte Menschen brauchen Aktivierung. Es ist das Bild des entmutigten, in seiner Lebenskraft weitgehend gebrochenen alten Menschen, der das Bild weckte, ihm Ruhe oder Aktivität zu verordnen. Das Defizitmodell, wie auch das spätere Aktivitätsmodell, haben aus der heutigen Sicht eine etwas entmündigende Einstellung gegenüber dem alten Menschen, so gut sie damals auch gemeint worden waren. Die aktuelle Altersarbeit geht vom »Kompetenzmodell des Alter(n)s« aus. Dieses Modell orientiert sich an den Ressourcen, über die der Mensch verfügt und die er bis zum Lebensende weiterentwickeln kann. Das Alter wird als ein Entwicklungsraum im menschlichen Leben gesehen. Altersgebrechen, Einschränkungen, Krankheit und Verluste gehören zum hohen Alter und stellen den Menschen vor gänzlich neue Entscheidungen und Herausforderungen, die er in der einen oder andern Art zu bewältigen hat. Um Lebenszufriedenheit zu bewahren, ist Lernen und Entwicklung, Anpassung und Widerstand erforderlich.

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Dem alten Mensch wird im Kompetenzmodell des Alter(n)s, gerade in der Auseinandersetzung mit dem Prozess des Alterns, ein hohes Maß an persönlichem Wachstum und Entwicklung zugestanden. Bildungsarbeit oder andere den alten Menschen unterstützende Arbeit muss in diesem Sinne als partnerschaftlich gesehen werden. Wenn ich im Folgenden von meiner poesiepädagogischen Arbeit mit alten Menschen berichte, gehe ich von dem Ansatz des Kompetenzmodells aus. Ich sehe diese Arbeit nicht als Aktivierungsanlass. Die alten Menschen, mit denen ich arbeitete, mussten nicht aktiviert, sondern ermutigt werden. Auch setzt meine Arbeit nicht an den Defiziten alter Menschen an; die Betonung von Defiziten hätte die Arbeit sogar fast verhindert, doch davon später. Für das Teilnehmen an einer Schreibgruppe besteht kein Zwang, nicht einmal eine Notwendigkeit; kein alter Mensch muss eine Schreibgruppe besuchen um zufrieden zu sein. Es ist lediglich eine Wahlmöglichkeit, die wenn sie offen steht bereichernd wirken kann, wie so vieles im Leben.

Entdeckendes Schreiben Ein Journalist, der vor Jahren einen Artikel über meine Schreibgruppenarbeit machen wollte, fragte mich damals provokativ: »Ja, wollen Sie denn aus allen Leuten Schiller machen?« In unserer Kultur kennen wir eine scharfe Trennung zwischen Kunst schaffenden und Kunst konsumierenden Menschen. Es gibt die Künstler und die Betrachter, die Dichter und die Leser. Dazwischen erstreckt sich seit geraumer Zeit und in der Tendenz wachsend, ein Feld von erwachsenenbildnerischen -und therapeutischen Angeboten der Kreativitäts- und Ausdrucksförderung: Ausdrucksmalen, Ausdruckstanzen und auch das Schreiben in Schreibgruppen gehören in diesen Bereich. Als Kinder können wir Singen, Malen, Theater spielen und Tanzen und freuen uns beim Schuleintritt, Schreiben und Lesen zu lernen. Nach Schulabschluss, sei es nun nach der Volksschule oder dem Gymnasium, haben die meisten von uns den Mut verloren, sich von der Muse küssen zu lassen. Einmal abgesehen von Kritzeleien beim Telefonieren, dem alltäglichen Maskenspiel und dem Aufschreiben von Notwendigem, verlieren und vernachlässigen wir die Künste, die in uns angelegt sind. Niemandem käme es in den Sinn zu sagen: »Gehen sie nicht Jog-

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160 | Renate Rubin gen, sie haben ja doch keine Chance an den Olympischen Spielen teilzunehmen!« Beim Schreiben jedoch hält sich diese Art von Dünkel, unterschwellig wird vermittelt: »Vergessen Sie das Schreiben, für einen Nobelpreis wird es niemals reichen!« Dabei ist Schreiben, Malen, die Begegnung und Auseinandersetzung mit Kunst und das sich darin Üben, mindestens ebenso gesundheitsfördernd wie Sport. Der Mensch ist Körper und Geist und der Geist ist mehr als ein Funktionsrelais. Von Max Frisch stammt der Satz »Schreiben heißt sich selber lesen« (Tagebuch 1, 1985). Schreibend gibt man sich und dem eigenen spezifischen Blick einen Wert. Nicht in überheblicher, sondern in entdeckender Intention. Voraussetzung für ein »sich selbst entdeckendes Schreiben« ist, dass man den inneren Zensoren ein Redeverbot erteilt. »Du kannst nicht schreiben, ist ja alles banales Zeugs und diese Fehler und gut muss es sein, bedeutend oder gar genial, sonst lass es bleiben!«, mäkeln die Stimmen in einem Selbst. Die Kunst ist es, die Hände schreiben zu lassen und ihnen neugierig zu folgen. Taucht das Gefühl auf »es Schreibt« ist das eine hervorragende und bereichernde Erfahrung. »Oft wissen die Hände ein Geheimnis zu enträtseln, an dem der Verstand sich vergebens mühte« (Jung, 1967). Schreiben ist Hand- und Seelenarbeit in einem.

Prosatexte und Gedichte als Anregung zum Schreiben »Über die Bücher kann der Leser seine eigene Natur erforschen, er kann in sich selbst Gedanken- und Gefühlskräfte entdecken, er kann klarere Perspektiven erlangen, Ziele und einen Sinn für Richtung entwickeln, die äußere Welt ergründen, andere Persönlichkeitsstrukturen und andere Lebenswege erforschen. Befreit von den Fesseln von Zeit und Raum, kann er die ganze Breite der sozialen und zeitlichen Alternativen durchstreifen, die andere imaginiert und geschaffen haben.« (Rosenblatt 1938, nach Petzold/Orth 1995, 111)

Das Anhören oder Lesen von Texten aus der Literatur und der Poesie ermöglicht eine Erweiterung der eigenen Lebenswelt. Persönliche Erfahrungen, gegenwärtige und vergangene, können in neuen Zusammenhängen gesehen und für sich selbst und im Austausch mit andern als sinnhaft erkannt werden. Da dieser Prozess von der gestalteten Sprache ausgeht, wird auch der Einstieg ins eigene Schreiben erleichtert und bereichert. Bilder und Formulierungen aus der literarischen Vorlage können übernommen werden und sind Impulse für das eigene Schreiben. Das Erfassen und Berührtwerden von Sprache, die Sensibili-

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tät gegenüber Worten und Sprachbildern wird gestärkt. Die eigenen schöpferischen Kräfte erfahren Nahrung und Anregung, das Repertoire an Möglichkeiten des sprachlichen Ausdrucks wird erweitert. Konkret sieht das etwa so aus: Ein Gedicht oder eine Textstelle wird vorgelesen, zweimal empfiehlt sich: Das erste Mal kann der Text als Ganzes erkannt werden, dass zweite Mal dient dem Erfassen und Aufnehmen von Details. Die auftauchenden Empfindungen, Gedanken und Erinnerungen geben den Impuls für das Schreiben eigener Texte. Dabei geht es nicht um Gedichts- oder Textinterpretation. Viele Schreibgruppenteilnehmende machen zu Beginn der Arbeit Aussagen wie: »Bisher konnte ich nichts mit Gedichten anfangen.« Oft steht dahinter die während dem Deutschunterricht in der Jugendzeit gelernte Angst, mit seinen eigenen Empfindungen und Gedanken nicht die richtige Interpretation zu treffen. In der poesie- und bibliotherapeutischen Arbeit gilt: Das Gedicht darf auf der Empfindungsebene wahrgenommen werden. Die Aufmerksamkeit gilt dem subjektiven Eindruck, den die Worte, der Text auf die Zuhörenden machen und welche innere Bewegung dadurch ausgelöst wird. Dieser Prozess des Hinhörens und von der inneren Bewegung her ins Schreiben zu kommen, wird »Resonanz geben« genannt. Die vorgelesenen Texte sprechen direkt die Gefühlswelt der Teilnehmenden an. In der Resonanz auf die Texte tauchen Erinnerungen auf, Phantasien, Wünsche, Träume, Hoffnungen oder auch philosophische Gedanken über das Leben und die Welt. Die integrative Poesie- und Bibliotherapie geht davon aus, dass das emotionale Leben des Menschen zentral für seine Gesundheit ist, der Mensch wird als emotionales Wesen gesehen. Die Poesie selbst gilt als eine der tiefen Ausdrucksformen des Menschen, durch die Gefühle freigesetzt werden können. Das Gedicht wird auch als kürzeste emotionale Distanz zwischen Schriftsteller und Leser bezeichnet (Petzold/Orth 1995, 32).

Eigene Texte vorlesen Vorlesen in einer Schreibgruppe ist immer freiwillig. Niemals darf ein Zwang, ein Druck entstehen alles mit allen zu teilen. Jede teilnehmende Person entscheidet für sich selbst: Mag ich, dass was ich geschrieben habe, den andern zu Gehör bringen, oder möchte ich es bei mir verwahren, da es zu persönlich ist oder da mir nicht danach ist, etwas davon mitzuteilen? Das Nicht-vorlesen-Wollen muss nicht begründet werden.

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162 | Renate Rubin Ein nützlicher Hinweis ist jedoch anzuregen, den eigenen Kritiker zu stoppen. Sagt dieser, dein Text ist viel schlechter als jeder andere, dann lohnt es sich Mut zu fassen und trotzdem vorzulesen. Keine Angst vor Fehlern, keine Angst vor »schlechter« oder »besser« ist eine Grundregel, um Schreib- und Vorlesehemmungen abzubauen. Jürgen von Scheidt (1990, 202) weist im Buch »Kreatives Schreiben« auf Folgendes hin: »Noch etwas zum Umgang mit Rohtexten, vor allem in einem Seminar. Sie sind so etwas wie ›Neugeborene‹ – und ein Neugeborenes ist zunächst einmal bedingungslos das schönste, intelligenteste und interessanteste Kind der Welt. Es verträgt die Zugluft der Kritik überhaupt noch nicht.« Findet ein Austausch über Texte statt, steht dieser selbst im Mittelpunkt des Austausches, nicht die schreibende Person. Sie darf im Hintergrund bleiben und sich nur soweit zeigen, wie sie möchte. Folgende Fragen werden primär an den Text gestellt: Ist er verständlich? Stimmen die gewählten Bilder? Löst er eigene Gefühle, eigene Erinnerungen aus, können diese benannt werden – im Sinne einer Anteilnahme gegenüber dem was im Text geschildert wurde, doch nicht um sich selbst und seine Geschichte in den Mittelpunkt zu stellen? Ausgangspunkt bleibt der gelesene Text; das Gespräch soll diesem eine Würdigung entgegenbringen. Niemals dient der Text als Angelrute, um noch mehr aus der Person heraus zu ziehen.

Geschichten, die das Leben schrieb Das Klima in einer Schreibgruppe ist von Ermutigung und Wertschätzung gegenüber den Teilnehmenden und ihrer Geschichte, ihren Geschichten getragen. Die Betonung des wechselseitigen Austausches und damit das Vermeiden einer voyeuristischen Haltung ist Grundvoraussetzung jeder Schreibgruppenarbeit. Sie geschieht zwingend auf der Grundlage von Respekt und Würdigung gegenüber der einzelnen Person und ihrem gelebten Leben. Der Prozess der Formgebung, den die Schreiberin, der Schreiber im Moment des Schreibens vollzieht, ist ein schöpferischer Akt. Der Mensch ist schreibend sein eigener Gestalter, er darf wählen, was, wie, und in welchem Sinnzusammenhang er seine Erinnerungen, seine Bilder stellt. Er darf sich überraschen lassen, was alles in ihm ruht und sich darauf freut, aufwachen zu dürfen. Vieles in uns liegt in einem eigentlichen Dornröschenschlaf. Die schreibende Person küsst sich durch diesen musischen Prozess selbst wach: Sie formt aus ihrem Erleben

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und ihrer Imagination Geschichten. Oft wird Vergangenes dabei noch einmal in einer Unmittelbarkeit zugänglich, welche auch den Schreibenden selbst überrascht und erstaunt. Das bewusst gewählte Bild des »Wachküssens« beinhaltet jene liebevolle und behutsame Achtsamkeit und Zuneigung zu sich selbst und zum andern. Dabei geht es niemals um ein gewaltsames Aufreißen oder gar Wachrütteln; es ist vielmehr der Prinz oder die Prinzessin, die liebevoll in uns agiert. Seit mehr als fünfzehn Jahren leite ich Schreibgruppen, auch immer wieder für Menschen in schwierigen Lebenssituationen. Es gibt Momente, in denen jemand während des Lesens zu weinen beginnt, oder in denen im Gespräch über den Text die Tränen fließen. Das gehört zur Gefühlswelt und darf geschehen. Nie erlebte ich, dass eine teilnehmende Person durch das, was auftauchte, ernstlich erschüttert worden wäre. Hier spielt sicherlich das Fachwissen und die richtige Handhabung der poesie- und bibliotherapeutischen Methode eine zentrale Rolle. Sie spricht grundlegend die regulativen Kräfte der Selbstheilung im Menschen an. Absolut zentral dabei und über die Schreibgruppenarbeit hinausgehend ist die unverrückbare Akzeptanz, dass jeder Mensch »manch Schlimmes vielleicht im Schweigen belassen zu wollen« darf und das »Recht auf Geheimnisse« (Petzold, 2004, 363) hat. Das Aufdecken von traumatischer Erinnerung kann zu einer Retraumatisierung führen, was die Gesundheit von Menschen gefährdet.

Erinnern und Erfinden, Vergangenes und Gegenwärtiges Texte zu schreiben heißt, unterschiedliche Fäden miteinander zu kombinieren, sie zusammen spielen zu lassen und sie miteinander zu verweben. Nicht von ungefähr gibt es die Wortverwandtschaft Text und textil, und es wird vom literarischen Stoff gesprochen. Grundstränge für das Entwerfen von Geschichten sind, neben dem Erinnern und Empfinden, die Vision oder die Imaginationskraft des Menschen. Im Italienischen gibt es den Spruch »Se non e vero, e ben trovato«, auch das Englische kennt ein Bonmot mit gleichem Inhalt:»If the story isn’t at all true, at least it is a good story!« Es darf erfunden und erinnert werden, das ist eine wichtige Anregung zum Schreiben, auch wenn es um biografisches Schreiben geht. Gedächtnis hat immer auch mit Imagination zu tun: »Memory ist Imagination!« Eine Tatsache, der auch in narrativen Interviews in der Gerontologie Rechnung getragen wird; nie

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164 | Renate Rubin wird die Wirklichkeit aus der Vergangenheit gezogen, immer nur Bilder, die Menschen sich in der Gegenwart vom Vergangenen machen. Die Dynamik von Erinnerung und Vision sind in der Literaturwissenschaft ein stark beachtetes Thema. Im Buch »Erinnern und Erfinden« der Literaturwissenschaftlerin Anna Mitgusch (1999, 6) bezeichnet die Autorin Erinnerung als ein »Scheitern an der Realität« und sie führt aus: »Ganz gleich, wie akribisch unser Gedächtnis auch sein mag, es wird nie die Wirklichkeit zutage fördern, nicht das, was sich wirklich zugetragen hat, sondern nur unsere subjektive Reaktionen darauf, unsere Gefühle, Stimmungen, Ausschnitte einer ganzen, nicht rekonstruierbaren Realität. […] Und dabei wissen wir nicht mehr, ob die Bilder und Abläufe, die uns so authentisch und realistisch erscheinen, aus unseren Träumen stammen oder aus unserer Phantasie, ob sie Metaphern sind oder die rekonstruierbare Wahrheit.« (Mitgutsch, 1999, 6f.)

In Schreibgruppen wird erlebt, dass erfundene oder fantasievoll erzählte Geschichten oft genauso stark oder auch stärker das Wesen der Schreiberin aufleuchten lassen, als das Bemühen, strikt bei der Wahrheit zu bleiben. Um diesen kreativen Spielraum zu gewinnen, lohnt es sich, den oben genannten literarischen Diskurs in groben Zügen den Teilnehmenden darzustellen. Es ist wertvoll, am Anfang der Zusammenarbeit zu benennen, dass jeder Mensch, neben seiner Vergangenheit, eine Gegenwart und bis zu seinem letzten Atemzug eine Zukunft und neben diesen drei Zeitebenen eine die gesamte Lebensspanne umfassende Imaginationskraft zur Verfügung hat. Bemerkenswert ist auch die Erfahrung, im Schreiben ein Stück Zukunft gestalten zu können. Im Moment des spontanen Schreibens überlässt sich die Person des gegenwärtigen Empfinden, und die Hand führt ihr Schreiben. Was genau dabei rauskommt, wie der Text sein wird, wenn er fertig geschrieben ist, liegt während dem Schreibens in der Zukunft. Eine wunderschöne Schreiberfahrung ist: Vor zwanzig Minuten war da nur eine Gefühlsregung, ein Gedankensplitter; ich habe mich diesem schreibend überlassen, und nun ist daraus ein Text, ein Gedicht entstanden, etwas Vages hat Form angenommen und ich kann auf dieses zurückgreifen, bei anderer Gelegenheit es selbst lesen oder es andern zum Lesen geben. Ich schaffe mir, neben den Ressourcen aus dem dynamischen Moment der Herausforderung des Schreibens, auch fassbare und verteilbare Ressourcen, die wiederum weiter wirken können.

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Wohlbefinden und Versöhnung mit der eigenen Geschichte Hillarion Petzold gibt in seinem Buch »Mit alten Menschen arbeiten« die kurze und prägnante Weisung: »Wissen was man tut« (Petzold, 2004, 249). So kurz diese Aussage ist, so zentral ist ihre Bedeutung. Ob es eine Schreibgruppe, eine Erzählrunde oder was auch immer ist: Es verlangt von der Fachperson neben einer klaren methodisch-didaktischen Zielsetzung eine vertiefte Auseinandersetzung mit ihrem eigenen Alters- und Menschenbild. Nur das bietet die Voraussetzung, damit Achtsamkeit, Vertrauen und Zuwendung möglich werden. Deshalb habe ich mir zu Beginn des Artikels den Raum genommen grundsätzlich über Bildung und Alter(n) nachzudenken. Zum Schluss möchte ich diese Auseinandersetzung noch einen Schritt konkretisieren und vertiefen. Kernaufgabe der Bildungsarbeit mit hochbetagten Menschen ist der Erhalt und die Förderung des Wohlbefindens der Teilnehmenden, denn nur so können Bildungsveranstaltungen das Entwicklungspotenzial der Teilnehmenden unterstützen. Doch was macht eigentlich Wohlbefinden im Alter aus? In »Psychologische Grundlagen der Gerontologie« (Martin/Kliegel, 2005) werden folgende sechs Dimensionen psychischen Wohlbefindens aufgeführt: • positive Einstellungen zu sich haben/Einschränkungen akzeptieren, • vertrauensvolle Beziehungen zu andern pflegen, • selbstständig den Alltag meistern und ein den eigenen Ressourcen angemessenes Lebensumfeld herstellen, • eigenen Überzeugungen auch gegen Widerstände folgen können, • Sinn im Leben finden, Ziele haben und verfolgen. Kontinuierliche Entwicklung und Verwirklichung von Talenten und Potenzialen. Auf die Bildungsarbeit mit alten Menschen angewandt, habe ich aus diesen sechs Dimensionen folgende Leitlinien entwickelt: • Bildung ausgerichtet auf alte Menschen fördert eine positive Einstellung der Teilnehmenden gegenüber ihrer Geschichte und stärkt die Bereitschaft, Einschränkungen und Niederlagen, gegenwärtige und vergangene, zu akzeptieren. • Bildung ausgerichtet auf alte Menschen geschieht in einem Vertrauen fördernden Rahmen und auch in Institutionen stets freiwillig und auf vertraulicher Basis.

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166 | Renate Rubin • Das Streben nach Souveränität wird als eine wichtige Triebfeder im Hier und Jetzt und in der Vergangenheit respektiert und gefördert. Ressourcen, die zur Verfügung standen oder stehen, werden benannt und gewürdigt. • Grundsätzlich Überzeugungen (religiöse, ethische u.a.m.) der Teilnehmenden werden nicht in Frage gestellt. Andere Deutungsmöglichkeiten gegenüber Erlebtem können aufgezeigt werden, aber jeder Person ist es freigestellt, sich gedanklich auf diese einzulassen oder nicht. Jede/r hat das Recht auf ihre/seine Eigenart und Andersartigkeit. • Bildung ausgerichtet auf alte Menschen fördert sinnhaftes Verstehen gegenüber der eigenen Lebensgeschichte und gegenüber den Lebensgeschichten von andern. Ziele und Grenzen der angewandten Methode werden zu Beginn formuliert. Die Lernatmosphäre ist ausgerichtet auf die kontinuierliche Entwicklung und Verwirklichung von Talenten und Potenzialen der Teilnehmenden.

»Schreibstube« im Altersheim Klus Park in Zürich Wann hört der Mensch auf zu schreiben? Wenn die Hände zittern, die Finger sich nicht mehr geschmeidig um den Stift schmiegen, ihn halten und führen können, wenn das Schriftbild beinahe unleserlich wird und der Schmerz auftaucht, dass das doch mal ganz anders war, oder auch die Frage »wozu« und »für wen«? Oder auch dann, wenn niemand mehr alten Menschen das Schreiben zutraut? Auf der Suche, ein Altersheim zu finden, welches meine Idee unterstützt, eine Schreibgruppe für alte und hochbetagte Menschen im Haus zu gründen, wurde ich zuerst nur mit dem zweiten Einwand konfrontiert: »Ja, ist das nicht zu anspruchsvoll, ausgehend von Literatur zum Schreiben zu kommen? Auch Menschen, die früher regelmässig schrieben, haben im Heim damit aufgehört, es geht halt nicht mehr, ihre Hände zittern, sie sind extrem langsam und ermüden rasch.« Ich wurde ziemlich eingeschüchtert und darauf verwiesen, dass ich, die ja nicht in einer Altersinstitution angestellt bin, vom hohen Alter keine Ahnung habe. Fast hätte ich aufgegeben, wäre nicht ein Gespräch mit dem Leiter des Altersheim Klus Park gewesen. Er unterstützte meine Idee und war überzeugt, dass in seinem Heim genügend InteressentInnen gefunden werden könnten. Zudem sah er die Möglichkeit das Projekt innerhalb einer geplanten Veranstaltungsreihe aller Altersheime der Stadt Zürich mit dem Namen »Lesen belebt« zu präsentieren. Die nötigen Finanzen

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wurden uns durch die Hatt-Bucher Stiftung zur Verfügung gestellt und so konnte im Mai 2006 das Projekt »Schreibstube Klus Park« starten. Während einem halben Jahr wurden zehn Schreibnachmittage geplant und durchgeführt.

Das erste Treffen Im Altersheim wurde unter dem Titel »Schreibstube« kleine Plakate als Einladung zu einer ersten Informationsveranstaltung aufgehängt. Zu dieser Veranstaltung kamen zehn Frauen. Ich hatte mich gut vorbereitet, hatte ein Infoblatt mit wesentlichen Punkten zu meiner Arbeit kreiert, erzählte über meine bisherige Tätigkeit und versuchte, die Frauen für die Idee der Schreibnachmittage zu motivieren. Die Resonanz war klein, es wurde brav und still zugehört, niemand stellte eine Frage oder gab einen Kommentar. Nachdem ich abgeschlossen hatte und schon meine Sachen wegräumen wollte, kamen die Frauen mit ihren Fragen und Ängsten auf mich zu. Die Aufbruchsituation entspannte das Klima und ermöglichte eine persönlichere Kontaktnahme. Die Anwesenden äußerten, ähnlich wie die in der Altersarbeit Tätigen, Bedenken, ob denn eine Teilnahme möglich sei, wenn die Hand zittert und die Schrift nicht mehr gut lesbar ist. Doch auch Nöte und Hoffnungen wurden formuliert: »Wissen Sie, mein Mann spricht kaum mehr mit mir, so eine Schreibstube gäbe mir etwas Abwechslung und wieder etwas Austausch«. Eine Frau meldete sich stockend und erzählte mir ihre Geschichte, wieso sie das fließende Sprechen verloren habe. Sie fragte mich, ob ihre Art wie sie sprach ein Hinderungsgrund für eine Teilnahme sei. Ich hörte zu und vertrat die Haltung, das Interesse und Neugier ausschlaggebend für eine Teilnahme seien – für alles andere ließen sich Lösungen finden. Wir verabschiedeten uns herzlich und in der Zuversicht, dass die Schreibstube wie geplant in wenigen Wochen mit genügend Teilnehmenden starten konnte.

Der Verlauf der Schreibstube Die Hürden der Vorbehalte zu nehmen, hat sich mehr als gelohnt. Von den anfänglich zehn Frauen bildete sich mit der Zeit eine Kerngruppe von sieben Teilnehmerinnen heraus, die wenn immer möglich die Schreibstuben-Nachmittage besuchten. Es waren viele »Störungen« zu bewältigen. Plötzliche Krankenhausaufenthalte; Schmerzen; die das Sitzen unmöglich oder schmerzhaft machten; eine Teilnehmerin, die nur kurz dabei war, starb. Die Gesundheit, die Fragilität des Alters war all-

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168 | Renate Rubin gegenwärtig – und trotzdem oder gerade deshalb: die Schreibnachmittage hatten oft eine Atmosphäre von »Sternstunden« und ließen mich mehr als einmal staunen. Die Frage, wie viel ich den Teilnehmerinnen zumuten konnte, beschäftigte mich immer wieder. In meinen Schreibgruppen gebe ich jeweils einen knapp bemessenen Zeitrahmen zum Schreiben, damit der »innere Zensor« sich nicht gemütlich ausbreiten kann und sich auf jeden Schreibimpuls setzt. Hier musste ich der besonderen Situation Rechnung tragen und mehr Zeit zur Verfügung stellen als üblicherweise. Einmal, wir hatten bereits eine Schreib- und Leserunde hinter uns, welche länger gedauert hatte als eingeplant, las ich als Resonanztext ein Gedicht vor von Hilde Domin1 mit dem Anfangsvers »Die Sehnsucht/Nach Gerechtigkeit/Nimmt nicht ab/Aber die Hoffnung.« Ein Gedicht über das Älterwerden. In meinem Hinterkopf meldete sich nun ebenfalls ein Kritiker: »Wie kannst du bloß ein derart geballtes Gedicht vorlegen, wenn doch kaum mehr Zeit vorhanden ist, darauf zu reagieren, du respektierst die Handicaps der alten Menschen nicht!« Doch wieder mal hatten meine inneren Unkenrufe nicht recht: Innerhalb weniger Minuten entstanden wunderbare Resonanztexte! Dies in einer philosophischen Dichte und Offenheit, die wahrlich durch das Leben gereift schienen. Schreiben im hohen Alter mag einen kurzen Moment lang die Widrigkeit eines Sandstrahlgebläses haben, doch das Ergebnis macht die Anstrengung lohnend. Sehr auffallend in dieser Schreibgruppenarbeit war auch das Interesse der Teilnehmerinnen, etwas über die Autorinnen und Autoren zu erfahren. Die Gruppe schätzte diesbezügliche Hinweise sehr, und es kam auch auf eine angenehme Weise zu tragen, dass einige der Teilnehmenden ihr literarisches Wissen einbrachten, Reimschemata kannten oder zusätzliche Anregungen über die Zeitgeschichte der Texte oder ähnliches mehr geben konnten. Die Teilnehmerinnen hatten einen unterschiedlichen Bildungshintergrund, zeichneten sich jedoch alle durch eine hohe Feinfühligkeit im Umgang miteinander aus, was half, Ängste und Unsicherheiten abzubauen. Im Schreiben selbst ist der Faktor, ob über die Sprache etwas zum Klingen gebracht werden kann, nur sehr bedingt von der herkömmlichen Bildung abhängig. Sie kann der schreibenden Person auch im Wege stehen und Texte behäbig und unecht wirken lassen, was jedoch in dieser Schreibarbeit bei niemandem der Fall war. Unabhängig von der Bildungsbiografie der Einzelnen zeichneten sich die Texte durch eine ausgesprochene Authentizität aus. In der Gruppe wurde wenig über die geschriebenen Texte geredet, sie wurden vorgelesen und so angenommen und gewürdigt, wie sie waren. Die Themen, die in den Texten auftauchten, führten manchmal zu

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kurzen, doch intensiven Gesprächssituationen. So erwähnte eine Frau in einem Text, wie wenige Gegenstände aus ihrem früheren Leben ihr geblieben sind und wie teuer ihr diese »Fundstücke der Vergangenheit« heute sind, unabhängig von ihrem realen Wert. Es ergab sich ein Gespräch über das Zusammenwohnen im Heim. »So viele Biografien unter einem Dach, so viele verdichtete Schicksale: Menschen werden Krank. Menschen sterben, nah an nah.« Es wurde über das Sterben im Heim gesprochen. Über den Wunsch Abschied nehmen zu können: »Nicht einfach erfahren zu müssen und plötzlich ist die Frau weg, mit der ich mich viel unterhalten habe. Gestorben und schon weg, ohne dass ich sie nochmals sehen konnte, einfach weg.« Es wurde erzählt, dass Gesichter nach dem Tod sehr anders aussehen können oder auch unverändert bleiben, so bleiben, wie man die Person kannte, als sie noch lebte. Über die Art und Weise wie jemand nach dem Tod zurechtgemacht und schön gekleidet wird, wurde gesprochen. Diese »Schönheitspflege« der toten Person erschien den Frauen als sehr wichtig, gehe es doch um einen letzten Besuch, ein letztes Bild was man mitnehme und darum die Erinnerung an das, was vorher war zu erhalten und auch einen guten Abschied zu ermöglichen. Dieses Gespräch wies eine große Gelassenheit und Sachlichkeit gegenüber dem Sterben auf, wie es selten zu erfahren ist und auch für die Teilnehmerinnen in einer größeren Runde nicht alltäglich war. Ich erlebte gerade in diesem Gespräch das Getragen werden vom formalen Setting der Schreibgruppe: Ein Text aus der Literatur, das persönliche Hineinsinken in eine Stimmung, in ein Bild, das darin gegeben wird, kann die Seele öffnen. Der literarische Text hat etwas von einem Netz, das die Welt umspannt, den Menschen anrührt, das ihn auffängt, ihn mit andern Menschen verbindet und ihm einen gewissen Halt gibt. Halt auch dieser Schreibgruppe, die hinhört und sich selbst in ihren Gefühlen ernst nimmt und sich sorgsam in einen Austausch begibt. Im ersten Schritt, während des Schreibens, ist es eine stille Begegnung mit sich selbst und dem, was auf das Papier fließt. Im zweiten Schritt, während des Vorlesens, teilt der oder die Einzelne sich mit und findet Gehör für das, was aus der Stille aufgetaucht ist. Es ist eine intensive Teilhabe mit andern und zugleich ein ruhiges Ankommen bei sich selbst. Und neugierig waren die alten Damen! In keinem andern Seminar wurde ich je beim Einführen der Versform »Haiku« gefragt, was der Begriff übersetzt bedeutet. Es gab viele solche Momente, in denen eine erkennbare Lust da war, etwas genau wissen zu wollen, und immer wieder musste ich recherchieren, um eine Antwort zu finden. Wissbe-

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170 | Renate Rubin gierde und Lernfreude waren im hohen Maß da, ungealtert und ohne Gebrechlichkeit.

Rückmeldungen der Teilnehmerinnen zur Schreibstube Zum Abschluss der Schreibstube fand mit großem Erfolg im Saal des Altersheims Klus Park eine Lesung statt. Als Abschluss meiner Beschreibung des »Schreibstuben-Projektes Klus Park« möchte ich den Teilnehmerinnen selbst noch einmal das Wort geben, indem ich ihre Aussagen widergebe, welche sie in einem Auswertungsgespräch gemacht haben: • »Wir lernten dem Eigenen, was in einem drin ist, zu begegnen und es wertzuschätzen!« • »Das Selbstbewusstsein wurde gestärkt.« • »Im Alltag ist oft eine geistige Unterforderung da, 90 % der Fähigkeiten, die da wären, werden nicht mehr eingesetzt.« • »Es brauchte Überwindung zu wagen, die eigenen Bilder auftauchen zu lassen.« • »Die Möglichkeit sich zu äußern war schön!« • »Früher war die Erziehung stark auf den Intellekt ausgerichtet, um die Kreativität, die jede in sich trägt, wurde sich nicht gekümmert, sie ist zugedeckt, verödet, jedoch vorhanden!« • »Entsprach einem Bedürfnis.« • »Ich habe gemerkt, was in mir drinsteckt: Alter, Farbigkeit, Kreativität, sich selbst sein, originell, jede Person eine Persönlichkeit.« • »Man macht auch im Alter noch eine Entwicklung, Brachliegendes kann in Gang gebracht werden.« • »Gab Ansporn!« • »Hat eine Atmosphäre zurückgebracht von unvergesslichen Schulstunden, die wie im Flug vergehen.« • »Es ist eine Tür aufgegangen, wir kamen an in einem Teil des Hirns, welches Anspricht auf die feine Seite des Menschen.« • »Eine gute Erfahrung, gefordert worden zu sein!« • »Es war enorm anstrengend und beglückend!« • »Etwas ist dagestanden dann. Etwas wurde hervorgeholt, wurde wach!« Auch benannten die Frauen Nachwirkungen, die sie nach der Lesung bei sich oder als Reaktion anderer erlebten. Ich führe einige prägnante Aussagen auf:

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• Eine Teilnehmerin tauscht nun regelmäßig mit einer Freundin Elfchen aus. Das habe ihrer Kommunikation, die in den Jahren etwas schwer geworden war, eine neue spielerische Qualität verleiht, die auch auf den Ehemann der Freundin wirkt, der sich ebenfalls an den Elfchen freue, wenn die beiden Freundinnen ihre Gedichte ihm vorlesen. • Ein Patenkind benutzte ein Akrostichon2 einer Teilnehmerin, um mit seinem pflegebedürftigen Vater über das Älterwerden zu sprechen. • Eine Teilnehmerin, welche früher ihre Erinnerungstexte jeweils zerrissen hatte, hat nun nach dem Seminar für sich selbst ein Buch gestaltet mit Texten und Bildern, welches sie für ihre Nachkommen als Erinnerung aufhebt. • Eine Teilnehmerin erzählt, dass ihre Tochter folgendes sagte: »Ich bin stolz auf meine Mutter. Stolz, dass sie sich getraut hat zu schreiben und ihre Texte vor so vielen Menschen vorzulesen; ich bin stolz auf ihre Besonderheit, ihre Einzigartigkeit …« • Die Teilnehmerinnen erzählten, dass auch die Zuschauenden durch die Lesung ermutigt wurden im Sinne von: Theoretisch könnte ich das auch! • Ein Echo, dass als Kommentar zur Lesung oft gehört wurde: Faszinierend, unerwartet, dass man so etwas in dem Alter fertig bringt! Die Teilnehmerinnen waren durchwegs überrascht vom großen Interesse und von der Freude, welche die Lesung als krönender Abschluss unserer Schreibgruppenarbeit bei den Zuhörenden ausgelöst hat.

Abschließende Überlegungen und Diskussion der Ressource Die »Schreibstube Klus Park« war ein Erfolg: Die Teilnehmenden äußerten sich, wie die Feedbacks zeigen, überaus zufrieden über den Prozess und die Wirkung der Poesiearbeit. Die abschließende Lesung erreichte ein Publikum, welches begeistert und erstaunt war, dass »so was in diesem Alter« noch möglich ist. Das Weiterführen der Arbeit ist durch eine private Sponsorin gesichert, welche bei der Lesung anwesend war und die Weiterarbeit unterstützt. Ein Folgeprojekt mit dem Titel »Lebensräume – Lebensträume: Schreibvormittage im Klus Park« ist gestartet und steht auch für Teilnehmende offen, die nicht im Heim leben.

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172 | Renate Rubin Ich möchte im Folgenden einige Thesen der Ressource kurz aufgreifen und in einen Zusammenhang zu meiner Arbeit stellen. »Negative Altersstereotypen dominieren häufig auch die Einstellungen der Mitarbeiter in helfenden medizinischen Berufen« (Ressource, S. 31). In der Entwicklung des Schreibstubenprojektes wurde ich, wie geschildert, sehr stark mit »negativen Altersstereotypen« konfrontiert, und es brauchte Mut und inneren Glauben an die Möglichkeiten der PoesieArbeit, um meine Idee nicht aufzugeben und dranzubleiben. Der Zufall half mir in der Begegnung mit Herrn und Frau Elber, eine Heimleitung zu finden, welche es wagte, das Projekt mit mir zusammen zu verwirklichen. Die Unterstützung der Heimleitung war enorm wichtig; sie ermöglichte den Teilnehmenden, den Mut aufzubringen und neugierig zum ersten Treffen zu kommen. Denn auch die Teilnehmenden selbst waren trotz Neugier und Interesse im Zweifel, ob sich die Anstrengung des Schreibens noch lohne und ob sie überhaupt mit zittriger Hand noch mitmachen dürfen. Dass ein Interesse an ihren Texten vorhanden sein könnte, vorausgesetzt es würden wirklich solche entstehen, nahm wohl niemand an. Förderung von Selbstwerterleben und Selbstwirksamkeitsempfinden (Ressource, S. 52ff.). Im Nachfolgeprojekt, welches vor kurzem gestartet ist, kann ich auf ein gesteigertes Selbstwerterleben und Selbstwirksamkeitsempfinden der Teilnehmenden aufbauen. Einerseits sind neue Teilnehmende dazugekommen, welche durch die Lesung angeregt wurden, selbst wieder zu schreiben und ihrem Schreiben, d.h. ihren Bildern und Erinnerungen, Wert zu geben. Andrerseits erlebe ich die bisherigen Teilnehmenden in ihren Aussagen und in ihrem Auftreten als selbstbewusster. So wurde an einem Schreibvormittag auch über den Begriff »Schreibstube« gesprochen. Eine Frau meinte: »Ja, man dachte halt [bei der Titelwahl], das sei nicht so … [zögernd, das passende Wort suchend] wie es war, drum hat man es ›Stube‹ genannt, man dachte, das passe zu uns alten Menschen, doch eigentlich stimmt der Begriff überhaupt nicht für die Qualität des Gewesenen.« Auch wurde die Ausschreibung in dem Flyer für die Lesung höflich kritisiert, in der es hieß: »Lustiges, Spannendes, Rührendes aus unserer ›Schreibstube‹«. Die Worte »Lustiges und Rührendes« wurden als unpassend empfunden: So seien die Texte nicht. Diese Kritik entsprach auch meinem Gefühl, doch da die Ausschreibung vom Altersheim formuliert worden war, dachte ich, die Wortwahl entspräche den Teilnehmenden. Durch deren nachträglichen Einspruch

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wurden die gewählten Begriffe als aus der »Mottenkiste der Altersstereotypen« stammend entlarvt: Mit »Stube« verbindet man einen alten Menschen im Lehnstuhl, ein brennendes Feuerchen, vielleicht noch eine Zipfelkappe auf dem Kopf. Lustig und rührend, so mag man Alte – doch ernst nimmt man sie nicht … Vielstimmigkeit und Liebenswürdigkeit (Ressource S. 24 u. 34) Vielleicht noch ein Wort dazu, wie in der Gruppe Kritik geübt wurde. War eine andere Meinung im Raum, wurde das oftmals sehr sachte und liebenswürdig mitgeteilt, ob diese Art nun die Liebenswürdigkeit des Alters oder Kohortenspezifisch ist oder aber mit den individuellen Charakteren zusammenhängt, möchte ich offen lassen. Auch wenn die Liebenswürdigkeit alter Menschen statistisch gesehen höher ist als die junger, darf das nicht zur Zuschreibung werden. Mal schroff zu sein, deutlich und direkt: Auch das sind selbstverständlich Möglichkeiten des Ausdrucks alter Menschen. Die Haltung, unterschiedlichste Facetten zuzulassen und als erlaubt zu betrachten, erfrischt deutlich die Arbeit mit Älteren. Die Grundhaltung der Vielstimmigkeit in der Gruppe und in der einzelnen Person zu fördern, ist bereichernd. Ein Beispiel aus der Arbeit mit Resonanztexten: Es gab Texte, welche die absolut unterschiedlichsten Gefühle und Gedanken weckten. Ein Gedicht zum Beispiel wurde sowohl als »harmonisch«, »friedlich«, »zu süß« und »unheimlich« bezeichnet. Wichtig war hier von mir als Leiterin, diese Einschätzungen nebeneinander stehen zu lassen. Es gibt keine Wahrheit, keine wahrhaftige Interpretation. Die Gruppenleitung ist nicht der Experte. Experte ist jede Person für sich selbst. In der Poesiearbeit geht es darum, der eigenen Stimme zu vertrauen und die Bereitschaft zu stärken, fremde Stimmen zu verstehen. Damit wird auch der eigenen Vielstimmigkeit, dem eigenen Zwiespalt und den gegensätzlichen Gefühlen in sich selbst Raum gegeben. Eine alterstereotype Tendenz von uns Jüngeren ist es, ältere Menschen »bereinigen« zu wollen, in dem wir sie mit eingängigen Begriffen kategorisieren. Damit schränken wir ihre Farbigkeit und Vielfalt ein. Auch eine neunzigjährige Frau kann neben ihrem gelassenen Auftreten, neben ihrer erkennbaren Weisheit, immer wieder von blödsinnigen Selbstzweifeln gepeinigt werden. Eine Teilnehmerin sagte mir am Abschluss des Seminars zwischen Tür und Angel: »Habe ich die Gruppe nicht gestört, alle andern waren doch soviel begabter als ich?« Das zu hören, hatte mich bodenlos erstaunt, zumal diese Frau mir durch ihren Empfindungsreichtum aufgefallen war.

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174 | Renate Rubin Einstellung zum eigenen Altern und Beziehungsgestaltung (Ressource S. 32 u. 37ff.) Eine Grundregel in meiner Poesie-Arbeit gegenüber den Texten der Teilnehmenden ist der Satz »Das Eigene zählt, richtig oder falsch, gut oder schlecht, gibt es nicht.« Damit werden die Teilnehmenden zu den Experten: Sie wählen aus, was sie möchten und was nicht, sie folgen schreibend ihrer inneren Stimme, sie bestimmen welchen Text sie lesen und was sie für sich behalten. In einer Feedbackrunde können sie jederzeit sagen: Stopp ich habe genug gehört! Diese Regeln geben den Rahmen der Schreibgruppenarbeit und ermöglichen einen kreativen und von gegenseitiger Wertschätzung und Respekt getragenen Arbeitsraum. Die Schreibgruppenarbeit ist ein sich Begegnen auf gleicher Ebene, es ist ein Erkunden mit offenem Herzen, sei es im Moment des Schreiben oder des Hörens auf Texte. Es geht um die Schärfung der eigenen Wahrnehmung und ums Verstehen. Durch meine Arbeit als Seminarleiterin von Pensionierungskursen und meine Ausbildung in Gerontologie bin ich mit vielen Ergebnissen aus der gerontologischen Forschung vertraut, welche unser althergebrachtes Altersbild widerlegen. Ich weiß um die hohe Plastizität und um Entwicklungspotenziale der geistigen Fähigkeiten auch im höheren und hohen Alter, und dennoch heißt es auch für mich in der Zusammenarbeit mit alten Menschen, immer wieder meine eigenen Bilder vom Alter zu hinterfragen, um gegenüber dem Menschen und seinem Alter, wie er oder sie es erlebt, offen zu sein. Realität und Konstruktion (Ressource S. 45) In meinem Aufsatz habe ich die Bedeutung von Erinnern und Erfinden im Schreiben eigener Texte erwähnt. Das Erfundene birgt oft mehr Realität als eine vermeintlich objektive Wirklichkeit. Die Freiheit des Erfindens oder der Konstruktion zu haben und diese auch zu ergreifen, erschafft Wirklichkeit. Neben der Realität von vorhandenen Altersgebrechen – sei das ein defektes oder künstliches Hüftgelenk, welche das Sitzen schmerzhaft werden lässt, sei es Arthrose in den Fingern, welches Schreiben mühsam macht – konstruieren wir Jüngeren und auch die Alten selbst unser oder ihr Alter(n) ständig. Dies mit massiver Auswirkung auf die Wirklichkeit. Wir konstruieren eine Altersrealität, in der vor allem »Krankenblätter« und »Gebrechlichkeitslisten« von hochbetagten Menschen in den Medien erscheinen, und wir konstruieren ein anderes Altersbild, indem wir den alten Menschen darin unterstützen, seinem Empfinden, seiner

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Gedankenwelt und Vorstellungskraft Ausdruck und Wertschätzung zu geben.

Anmerkungen 1 | Quelle: fhoelder.googlepages.com/hildedomin. 2 | Akrostichon (gr. akros: zu oberst, an der Spitze; gr. stichos: Vers): Gedicht, bei dem Anfangsbuchstaben oder -silben der Verse oder Strophen, von oben nach unten gelesen, ein Wort, einen Namen, oder einen Satz ergeben (nach Braak & Neubauer, 1990).

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176 | Ilona Klaus

»Und wenn sie auch alt werden, werden sie dennoch blühen …«. Wahrnehmung und Wertschätzung des Lebens alter Frauen aus feministisch-theologischer Perspektive Ilona Klaus

Hanna Es war Hanna, die mich neugierig machte und bewegte, über mein eigenes Älterwerden und das Altwerden von Frauen nachzudenken. Hanna war 84 Jahre und lebte und arbeitete im Zentrum politischer und religiöser Macht. Ja, sie war im hohen Alter noch berufstätig und in der Öffentlichkeit hoch angesehen. Ihre Arbeit, ihr Leben, ihr Familienstand als Witwe waren Vorbild für die Gründung eines Sozialinstituts mit der Bildung eines eigenen Berufsstands. Neugierig geworden? Der Name »Hanna« wird den wenigsten etwas sagen. Sie ist eine Frau, die in der Bibel, im sog. Zweiten bzw. Neuen Testament, eine wesentliche Rolle inne gehabt hatte. Doch auch denjenigen, denen die biblischen Schriften vertraut sind, wird sie nicht bekannt sein. Nur drei Verse umreißen ihr langes Leben, die wie eine Randnotiz einer ausführlicheren Erzählung wirken, die ihrem ebenso betagten Kollegen Simeon gewidmet ist: »Und dort war eine Prophetin, Hanna, eine Tochter Phanuëls, aus dem Stamm Asser; die war hochbetagt. Als junges Mädchen hatte sie geheiratet und nur sieben Jahre in der Ehe gelebt und war nun eine Witwe von vierundachtzig Jahren; die wich nicht vom Tempel und

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diente Gott mit Fasten und Beten Tag und Nacht. Die trat zur selben Stunde auch hinzu, pries Gott und sprach von ihm zu allen, die auf die Erlösung Jerusalems warteten.« (Lukas 2,36-38)1 Ganze drei Verse, während Simeon zehn Verse eingeräumt werden. Es wundert nicht, dass Simeon in der Kunstgeschichte so manches Werk gewidmet wurde, da ihm der Tradition nach als erstem die heilsgeschichtliche Bedeutung des gerade geborenen Jesuskindes aufgegangen war. Hanna blieb dahinter jahrhundertelang unsichtbar, unerwähnt – bis feministische Theologinnen sie vor wenigen Jahren »ins rechte Licht« rückten.2 Mir ging bei der Beschäftigung mit Hanna so manches Licht auf. Ich reflektierte meine persönliche Erfahrungen mit alten Frauen, meinen Blick auf alte Frauen, meine damalige Arbeit als Gemeindepfarrerin mit alten Frauen … und entdeckte trotz ihrer Allgegenwart in meiner privaten und beruflichen Umgebung die gleichzeitige Trivialisierung ihres Daseins. Als reizlos, angepasst, unaufregend nahm ich alte Frauen wahr. Ich hatte mir zum Beispiel bis zu diesem Zeitpunkt nicht bewusst gemacht, dass in mehr als der Hälfte meiner Gemeindearbeit alte Frauen mein direktes Gegenüber waren. Ich traf sie mehrheitlich in den Gruppenstunden (Seniorenclubs, Frauenhilfe…), bei ehrenamtlichen Tätigkeiten, bei Hausbesuchen und in den Gottesdiensten, und registrierte, wie die Arbeit mit ihnen in der Regel bewertet wurde: als (oft lästiges) Pflichtprogramm, ohne Konzept und großartige Vorbereitung, eben trivial. Die Perspektive »Es sind ja nur alte Frauen da!« schien eine eher gelangweilte Haltung und Herangehensweise zu evozieren. Auf sie verzichten mochte allerdings niemand. Wer soll sonst für das Gemeindefest die Kuchen backen? Wer sollte sonst die Streicheleinheiten verteilen, wenn nicht die alten Frauen der Gemeinde? Kollegenspruch: »Wenn ich mal schlecht drauf bin, gehe ich in die Frauenhilfe, zu den treuen Seelen.« Nützlich und nutzbar waren und sind sie, unverzichtbar – und doch in der Öffentlichkeit zur Bedeutungslosigkeit verurteilt. Neben der Trivialisierung herrscht in der Kirche eine paternalistische Haltung, die auf eine lange Tradition zurückblicken kann: Wenn »sie« nicht mehr »so können«, werden alte Menschen Objekte christlicher Fürsorge und Mildtätigkeit. Diesem Umstand verdanke ich wohl auch meinen jetzigen Arbeitsbereich als Altenheimseelsorgerin. Es versteht sich, dass bei diesen Zuschreibungen die einzelne Frau nicht in den Blick gerät. Ich habe noch den bezeichnenden Satz einer Kollegin im Ohr: »Ich kann diese alten Frauen nicht auseinander halten. Sie sehen für mich alle gleich aus mit ihren Dauerwellen.« Gesichtslos, profillos, konturlos, natürlich geschlechtslos – so habe ich

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178 | Ilona Klaus über viele Jahre hinweg alte Frauen wahrgenommen. Mit anderen Worten: Ich lernte alte Frauen als Gruppe von Alten kennen, in der weder die Einzelne noch die einzelne Frau identifizierbar war. Kurz: Ich lernte alte Frauen als ›Nicht-Frauen‹ kennen. Und die alten Frauen selber? Im Altenheim reden sie bis heute völlig selbstverständlich von sich wie von einer stigmatisierten Kaste: »wir Alten«, was immer eine negative Selbstbezichtigung impliziert: »Wir Alten, zu was sind wir noch nütze?« Die Alternative ist, sich dieser Kaste »noch nicht« zugehörig zu fühlen: »Man ist so alt, wie man sich fühlt. Ich fühle mich noch fit und jung…« Wenn etwas Positives am Alter gesehen wird, dann ist es das Noch-nicht-alt-Sein: das Jungsein. Hanna trat mir als Individuum entgegen, als alte Frau und als Frau, die eine Geschichte hat. Die androzentrische, also männlich dominante Sichtweise biblischer Schriften sowie ihre Auslegungen haben Hanna nur eine marginale Rolle zugebilligt. Der Evangelist Lukas konnte jedoch nicht anders, als ihr eine zentrale Position im Zentrum der damaligen Welt (es war der Tempel in Jerusalem) zuzugestehen: als Verkünderin (sie war Prophetin) des Anbruchs einer neuen Zeit, die sich der Befreiung ihres Volkes Israel und seiner Kinder verschrieben hatte. Und das sehe ich auch als meine Aufgabe: alte Menschen, insbesondere alte Frauen mit ihren jeweiligen Lebensrealitäten sichtbar zu machen und ihre je eigenen Lebensgeschichten, Erfahrungen, Deutungen, Werte, Fragestellungen, Wünsche, Klagen und Ängste ins Zentrum meines Interesses zu rücken und neugierig zu sein auf jede einzelne Frau (und jeden Mann). Ich möchte sie begleiten, um mit ihnen gemeinsam konstruktive, befreiende Alters- und Selbstbilder jenseits aller diskriminierenden und mythologisierenden Bewertungen zu entdecken, damit unsere verinnerlichten Stigmatisierungen und Stereotypisierungen erkannt und aufgebrochen werden.

Die Suche nach weiteren Hannas – und die Feministische Theologie Die Feministische Theologie steht in der Tradition der christlich-befreiungstheologischen Ansätze. Sie benennt patriarchale Strukturen und ihre Mechanismen in Religion, Kirche und Gesellschaft, die für die Benachteiligung und Unterdrückung von Menschen, insbesondere die Unterdrückung von Frauen verantwortlich gemacht werden müssen. Sie arbeitet mit der feministischen These, dass Geschlechtsrollen von sozialen bzw. kulturellen und deshalb patriarchal gefärbten Konstruk-

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tionen geprägt sind, die von der tatsächlichen Vielfalt der Realitäten des Lebens von Frauen und Männern deutlich unterschieden werden müssen.3 Insofern ist davon auszugehen, dass auch unsere Altersbilder von Frauen und Männern eben diesen Konstruktionen entstammen. Daneben hat sie ihre Aufmerksamkeit immer darauf gerichtet, in Theorie und Praxis biblische, theologische und kirchliche Traditionen aufzuspüren, die es erlauben, neue Deutungen zu rekonstruieren und (rituelle) Formen und Wege zu erproben, durch die Frauen sich spirituell beheimatet wissen und sich gestärkt fühlen, ihr Leben in all seinen Bereichen nach ihren Vorstellungen zu gestalten. Da wir uns nun aufmachen, die Kategorie »Alter« als »eine Kategorie feministischer Befreiungstheologie«4 einzubeziehen, muss ich genauer formulieren: Es gilt, in den biblischen und kirchlichen Traditionen die Altersbilder hervorzuheben, die das Altsein als wertvolle Phase im Leben einer Frau bewerten. Oder um es mal christlich auszudrücken: Altsein ist ein Geschenk Gottes und nicht eine Strafe. Den aufmerksam Lesenden wird nicht entgangen sein, dass ich damit den Ansatz dieses Buches unterstütze, obwohl die Settings meines beruflichen Wirkens sehr verschieden von denen der anderen Autorinnen und Autoren sind. Aber es gibt Überschneidungen, die fruchtbar gemacht werden können, auch wenn ich mir ein wenig konstruktive Kritik nicht ganz verkneifen kann. Damit bin ich bei meinem ersten Kritikpunkt aus feministisch-theologischer Sicht:

Hanna ist eine Frau – das Altern von Frauen und das Altern von Männern Feministische Theologie betont, dass es nicht den Menschen an sich gibt (vgl. Ahrens et al., 1997, 13ff.). Es gibt Frauen und Männer. Da die Geschlechts- wie auch die Altersrolle ein soziales Konstrukt ist, ist es unabdingbar, sich das Altwerden von Frauen und Männern in seiner Unterschiedlichkeit vor Augen zu halten. Das Altwerden entzieht sich nicht jenseits der Frage von Weiblichkeit und Männlichkeit, im Gegenteil: Friedrich-Hett (Ressource, Kap. 3.1) bemerkt zwar die Unterschiedlichkeit des Altwerdens und formuliert »das Alter ist zunehmend weiblich«, zieht aber daraus keine inhaltlichen Schlüsse. Dabei gilt es unbedingt wahrzunehmen: unsere Altersbilder sind geschlechtsspezifisch unterschiedlich (Höpflinger, 1997, 17ff.). In Gesellschaft, Religion und Kultur wird Männern im Alter zu allen Zeiten der Menschheitsgeschichte ein anderer Status zugestanden als Frauen. Gemälde von altehrwürdigen Männern füllen die Wände in Museen und Schlössern, in

2007-09-20 10-06-14 --- Projekt: T799.diskursys.friedrich-hett.positives altern / Dokument: FAX ID 02fe158256672080|(S. 176-198) t03_06 klaus.p 158256674552

180 | Ilona Klaus deren Gesten und Gesichtern die Künstler ihre Lebensleistung, Größe und Weisheit abgebildet haben. Dagegen: Kennen Sie Gemälde alt-ehrwürdiger Frauen? Fallen Ihnen außer Inge Meisel bei dem Thema »alte Frauen« in Kunst, Kultur und Wissenschaft noch andere Namen und Gesichter ein? Die Bilder und Zuschreibungen von alten Männern und Frauen differierten zu allen Zeiten. Und das kann nicht verwundern: das Altwerden und -sein von Männern hat sich immer realiter von dem der Frauen unterschieden. Das ist bis heute so. Einige Skizzierungen: Unbestritten unterscheiden sich Männer und Frauen in ihrer Lebenserwartung. Unbestritten unterscheiden sich ihre Lebenslagen. Die Lebensqualität alter Männer ist im allgemeinen viel höher als die der Frauen: Männer stehen ökonomisch deutlich besser dar (BM für Familie, 2002, 84). Sie sind mehrheitlich stärker und meistens bis zum Tod in ihren vertrauten sozialen Systemen eingebunden, während Frauen sich durch die frühere Verwitwung auf einen Orts- und Systemwechsel einstellen müssen. Männer werden im Krankheits- und Pflegefall oftmals durch ihre Frau versorgt, während die Frauen mehrheitlich auf Fremdpersonen und Fremdinstitutionen angewiesen sind. Mit zunehmendem Alter sind Frauen grundsätzlich stärker gesundheitlich wie auch sozial eingeschränkter als Männer. Die Gründe für die unterschiedlichen Lebenslagen liegen in den geschlechtsspezifischen Unterschieden der Lebensläufe.5 Von all dem sind zwangläufig unsere eigenen Bilder in Bezug auf unser eigenes Altwerden und Altsein beeinflusst. »Das Alter ist zunehmend weiblich«. Ja! Die Armut im Alter ist zunehmend weiblich so wie die soziale Vereinsamung im Alter weiblich ist, sowie meiner Einschätzung nach auch die Institutionalisierung der Altgewordenen in Zukunft eine Institutionalisierung der Frauen ist.6 Die Diskriminierung scheint zu kumulieren: als Frau alt zu sein heißt, doppelt und dreifach und vierfach stigmatisiert zu sein. Darum schaue ich als allein stehende, kinderlose Frau nicht ganz ohne Sorge auf mein eigenes Altwerden. Ich bin sicher, wenn Sie ein Mann sind, werden Ihre Sorgen andere sein. Übrigens frage ich mich unwillkürlich, ob unsere Altersbilder insgesamt positiver wären, wenn nicht die Mehrheit der alten Menschen Frauen wären?! Umso dringlicher ist es, positive Bilder zu finden, da sie eine maßgebliche Anfrage an patriarchales Denken und Strukturen darstellen.

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Es gibt noch mehr Hannas – Bilder von alten Frauen in der Bibel Hanna bedeutet übersetzt »Gnade« und so können wir gnädigerweise weitere »positive« Altersbilder in der Bibel finden, auch wenn es insgesamt keine einheitlichen Aussagen über die Bewertung des Alters gibt: Ein hohes Alter wird gerühmt – Methusalem soll 969 Jahre alt geworden sein (1. Buch Mose 5,21ff.). Alt und lebenssatt sterben zu dürfen, gilt als Ausdruck eines gelungenen, gottgefälligen Lebens. Langes Leben verdient Anerkennung: »Vor einem grauen Haupt sollst du aufstehen und die Alten ehren und sollst dich fürchten vor deinem Gott […]«, so heißt es 3. Mose 19,32. Damit wird die Beziehung zu Gott aufs Spiel gesetzt, wenn es um die Wahrung der Würde alter Menschen geht. Ähnlich geht es im vierten Gebot (»du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren […]«) um die soziale Einbeziehung alter Menschen in die Gemeinschaft und um den Schutz der rechtlosen Witwen. Auch die weniger schönen Seiten des Altwerdens, die körperlichen Nachteile, bleiben nicht unerwähnt: das Nachlassen der Sinne, Schwäche und Gebrechlichkeit. Doch werden immer auch alte Menschen hervorgehoben, die herausragende Bedeutungen in der Geschichte Gottes mit seinem Volk haben. An dieser Stelle seien nur Frauen genannt, auch wenn ihre Spuren oft hinter denen der Männer verblasst sind. Neben dem alten Abraham gibt es die von Gott gesegnete Sara, die schwanger und – obwohl schon lange in der Menopause – die Mutter aller Völker wird (1. Mose 17,15ff. und 1. Mose 18,1-15). Da gibt es die Naomi, die sich und ihrer Schwiegertochter Ruth ein Leben in Freiheit und existenzieller Absicherung schafft – ein unvergessenes Beispiel gelebter Frauensolidarität. Ihnen ist im Ersten Testament ein ganzes Buch gewidmet: das Buch Ruth. Es gibt im Ersten Testament Prophetinnen, Königinnen, Priesterinnen, weise Frauen, die als Ratgeberinnen den Mächtigen zur Seite stehen, reiche Frauen und Frauen, die sich mühsam ihren Lebensunterhalt bis zu ihrem Tod verdienen müssen. Viele hatten wichtige Aufgaben inne, auch wenn ihre Würdigung hinter denen der alten Männer kleiner ausfällt. Auch im Zweiten, Neuen Testament treffen wir neben Hanna auf weitere Frauen: auf Elisabeth, die Mutter des Johannes des Täufers, auf Maria, die Mutter Jesu, die als alt gewordene Frau mit ansehen musste, wie ihr Sohn am Kreuz hingerichtet wurde. Wir entdecken Jüngerinnen, Apostelinnen, Prophetinnen, Witwen (als eigener Berufsstand). Auch wenn ihr Alter nicht explizit genannt wird, können wir doch davon ausgehen, dass viele von ihnen alt waren. Interessant ist

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182 | Ilona Klaus auch: immer wenn sie »reden« können, zeichnen sie eine Welt Gottes, in der es keine Ungerechtigkeit und keine Unterdrückung mehr gibt. Warum ich darauf hinweise? Feministische Theologinnen haben immer versucht, diese Frauen und Männer lebendig zu machen durch Erzählungen, durch Musik, Spiel und Tanz in unseren Gesprächskreisen, in unseren Gottesdiensten und zuweilen auch in seelsorglichen Zusammenhängen. Es sind Geschichten, die vom Leben erzählen, von Liebe und Hass, von Einsamkeit und Freundschaft, von Sexualität, Versagen, von Freude und von Leid. Es sind Bilder, die Mut machen, die zur Identifikation oder zur Auseinandersetzung einladen. So haben wir beispielsweise im Rahmen eines intergenerativen Frauenprojekts gemeinsam einen Gottesdienst zu Hanna gestaltet, in dem die jeweiligen Sichtweisen alter und junger Frauen zur Sprache kamen. Die alte Sara fand oft Eingang in seelsorgliche Gespräche, weil sie die Kraft hatte, in ein neues Land zu ziehen und sich ein neues Leben aufzubauen. Für Menschen, die den Einzug in ein Heim als Krise empfinden, kann Saras Gesegnetsein zum Trost werden.

Hanna verkündet einen Gott, der erlöst … – Gottesbilder alter Menschen Die biblischen Schriften zeichnen einen Gott, der den Menschen zugewandt ist und sie ihr Leben lang bewahrt und segnet: »Auch bis in euer Alter bin ich derselbe, und ich will euch tragen, bis ihr grau werdet.« (Jesaja 46,4) Aus dem Glauben an einen persönlichen Gott, der seine »Kinder« in seinen Armen trägt und emotionalen Halt und Geborgenheit verspricht, ziehen insbesondere alte Menschen eine hohe Lebensgewissheit und Lebenszufriedenheit.7 Es gilt als bewiesen, dass religiöse Menschen psychisch und körperlich gesünder sind als nicht-religiöse und auf eine höhere Lebenserwartung hoffen dürfen. Besonders der Glaube an einen persönlichen Gott hat große selbstwertstützende Funktion.8 Dieser Glaube intendiert, dass Gott die Menschen bedingungslos liebt und sich ihrer in allen Krisen des Lebens erbarmt: in Trauersituationen, in Krankheit und anderen Leiderfahrungen, Situationen, denen man sich nicht gewachsen fühlt, in denen man sich als gescheitert erlebt hat. Der persönliche Gott ist ein Gott, der mitleidet. Besonders Menschen, die sich bewusst als »Christen« bezeichnen, zeigen auf das Kreuz und formulieren: »Der da lässt mich auch in meiner Not nicht allein. Ich muss die Schmerzen nicht alleine aushalten.« Ein Glaube, in

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dem das Kreuz zentral ist, scheint eine hohe leidentlastende Funktion zu haben. Das Kreuz steht für Wahrnehmung des Leids; ich bin also nicht gezwungen, Leiderfahrungen zu verdrängen. Es steht für geteiltes Leiden, woraus Kraft geschöpft wird, das Leid zu tragen. Es steht für die Entlastung von Schuldgefühlen, von Gefühlen des Versagens, des ungelebten Lebens, denn Christus hat alle Schuld auf sich genommen, wie die klassische Theologie lehrt. Und es steht für die bedingungslose Liebe Gottes bis in den Tod hinein. Die Theologie pointiert diese Liebe Gottes in ihrer Rechtfertigungslehre. Sie betont die Liebe Gottes als Geschenk, das heißt, sie kann nicht verdient werden. Anders gesagt: Was ein Mensch leistet, ist vor Gott ohne Belang. Allein der Glaube an den gnädigen Gott rechtfertigt den Menschen. Eine entlastende Glaubenslehre liegt hier vor, die Menschen helfen kann, die Angst haben, die Kontrolle über ihr Leben zu verlieren. Dazu ein Beispiel:

Ich besuchte eine 96-jährige Frau im Altenheim, die zunehmend unter depressiven Stimmungen litt. Frau S. war ihr ganzes Leben lang trotz ihrer Herzschwäche stolz gewesen auf ihre Unabhängigkeit und Leistungsfähigkeit, die sie sich selbst im Altenheim bewahren konnte. Nun geriet ihr Selbstbild ins Wanken, weil ihr schwächer gewordenes Herz sie zwang, immer häufiger Hilfe in Anspruch zu nehmen. Sie verließ ihr Zimmer nicht mehr und zweifelte an dem Sinn ihres Daseins. Ich sprach mit ihr darüber, wie viel »Wert« ein Mensch vor Gott hat, wenn er nicht (mehr) leistungsfähig ist. Werden wir nur geliebt, wenn wir stark sind? Sie dachte an die kranke Mutter, die sie jahrelang gepflegt hatte. Irgendwann murmelte Frau S.: »Ich darf krank sein. Ich muss nicht stark sein.« Und plötzlich hellte sich ihr Gesicht vollends auf und sie sagte wiederholt: »Ich werde von Gott getragen.« Sie beendete das Gespräch mit den Worten: »So wie Gott will, nicht wie ich. Ich möchte noch so gerne leben, aber wenn Gott es anders will, ist es auch gut.« Sie nimmt bis heute wieder an allen Veranstaltungen teil. Im Zweiten Testament wird berichtet, wie Jesus Menschen geheilt hat. Nicht selten sagte er nach vollzogener Heilung: »Mensch, dein Glaube hat dir geholfen.« (Vgl. z.B. Markus 5,34; Lukas 18,4)

Religiös zu sein, ist eine lebensbekräftigende Ressource.9 Die alten Menschen, die mir in den Altenpflegeeinrichtungen begegnen, erzählen mir auf unterschiedliche Weisen, wie bedeutend der Glaube war und ist. Sie erzählen von einem behüteten Leben, in der »die Kirche« zum

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184 | Ilona Klaus Leben gehörte, Sicherheit und Orientierung gab, nicht nur in Krisensituationen. Oft erwähnen sie den richtungsweisenden Charakter der Gebote. Nach ihnen gelebt zu haben, vermittelt im Alter hohe Zufriedenheit und Angstfreiheit. Viele alte Menschen lassen mich teil haben an ihrer Hoffnung auf ein Leben im Jenseits in Gottes Nähe. Wie oft sind Sterbende erfüllt von dem Gedanken, bald bei Gott sein zu dürfen, im »Himmel«, ihrer eigentlichen Heimat. Meiner Erfahrung nach als evangelische Pfarrerin sind alte gläubige Menschen aller christlichen Konfessionen hier im Ruhrgebiet auf diese klassischen Gottesbilder ansprechbar. Unterschiede zwischen den Konfessionen haben im seelsorglichen Gespräch nie eine besondere Rolle gespielt. Das kann allerdings regional verschieden sein. So konfessionsübergreifend die klassischen Gottesbilder sind, so geschlechtsspezifisch verschieden können die Gottesbilder für die sein, denen die klassischen nicht genügen. Selbst hochbetagte Frauen und Männer begeben sich gerne mit mir auf die Suche nach neuen Gottesbildern: Ein Gott, der auch weibliche Züge hat? Von diesem Gott, die wie eine gebärende Frau (Jesaja 42,14) oder wie eine Mutter ist (vgl. Jesaja 49,15 oder 66,13), sind besonders alte Frauen angerührt. Sie entdecken, dass das Wesen Gottes als dreieinige Männlichkeit – als »Vater, Sohn und Heiliger Geist« – zu kurz beschrieben ist und es daneben ganz andere identitätsstärkende Bilder gibt.10 Bilder, in denen Frauen Bedeutung haben. Ein Beispiel: Jesus erzählt folgendes Gleichnis. Da sucht eine Frau einen Groschen, der im Haus verloren gegangen ist. Sie hört nicht auf zu suchen, bis sie ihn wieder fand. Gott sucht das, was verloren gegangen ist, wird jede/r denken und dabei übersehen, dass die Frau Gott ist und Gott diese Frau (Lukas 15,8-10). Es gibt Bilder und Texte, die von Lebenslust und -energie nur so strotzen: über Schönheit, über Freude, über die Liebe.11 Mich persönlich rührt ein Text an, den die Rabbinerin Margaret Moers Wenig für eine Predigt geschrieben hat. Ein Gott, die alt wird mit mir – was für eine Offenbarung: »Gott würde uns in ihre Küche führen, uns an ihrem Tisch einen Platz anbieten und Tee einschenken […] Dann schiebt sie ihren Stuhl zurück und sagt: ›Laß dich anschauen.‹ Und sie schaut. […] Mit einem einzigen Blick sieht sie unsere Geburt und unseren Tod und all die Jahre dazwischen. Sie sieht uns, als wir jung waren, als wir für sie schwärmten und ihr vertrauensvoll überallhin folgten . […] ›Du wirst immer mein Kind bleiben‹, sagt sie, ›aber du bist kein Kind mehr. Werde älter zusammen mit mir.‹ […] Gott nimmt unser Gesicht in ihre beiden

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Das Leben alter Frauen aus feministisch-theologischer Perspektive | 185 Hände und flüstert: ›Hab keine Angst, ich will treu zu dem Versprechen stehen, das ich dir gab, als du jung warst. Ich werde bei dir sein. Noch im hohen Alter werde ich bei dir sein, wenn du grauhaarig bist. Ich habe dich geboren, ich trug dich, ich halte dich fest. Werde alt mit mir […]‹« (Ahrens et al. 1997, 222)

Hanna betet – alte Frauen und Spiritualität 12 »Was ist Ihrer Meinung nach wichtig am Glauben?« Diese Frage war schon oft Thema in unseren Gesprächsrunden. Immer sagen die Frauen: das Singen und das Beten. Das gemeinsame Singen von bekannten Kirchenliedern erfüllt mehrere Funktionen. Es entspannt und vertreibt die bösen Gedanken, wie schon Luther wusste. Es weckt die Lebensgeister und hat gemeinschaftsstiftende Funktion: Es erinnert an erlebte Geschichte. (Bei dem Lied »So nimm denn meine Hände« werden fast alle sowohl an Hochzeiten als auch Abschieds- und Trauersituationen erinnert). Es macht deutlich, was gemeinsam trägt: der Glaube. Singen ist auch spirituelles Geschehen. Es wird häufig am Ende eines seelsorglichen Gesprächs der Wunsch nach einem Lied formuliert. »Komm, Herr, segne uns …« war das Lieblingslied von Frau M. und »Großer Gott, wir loben dich …« von Frau G. Auch die Bitte um ein Gebet beendet oft ein Gespräch. Es gibt Menschen, für die allein der rituelle Charakter des Gebets wichtig ist und das gemeinsam gesprochene »Vater unser« emotional entlastend wirkt. Andere bitten, ich möge ein freies Gebet »für sie« sprechen. Ich nutze diese Bitte immer für Nachfragen und höre dann, was offen und unklar geblieben ist. Alle verbliebenen Gefühle und Fragen einer »höheren Macht« anvertrauen zu können, entlastet alle Beteiligten. Eine besondere Art der Zuwendung und Wertschätzung durch Gott bzw. den Seelsorgenden erleben Menschen durch den Gestus des Segnens. Das Auf-die-Stirn-Legen der Hand, verbunden mit gesprochenem Segen und Kreuzzeichen, kann auch Menschen erreichen, die nicht (mehr) sprachfähig oder kognitiv eingeschränkt sind. Immer berührt dieser Gestus sowohl den Leib als auch die Seele beruhigend und wohltuend. Auch der Wunsch nach der Feier des Heiligen Abendmahls wird oft geäußert. Das sakramentale Ereignis setzt Gefühle der Annahme und der Geborgenheit frei, welche die Beziehung zwischen den Beteiligten übersteigen, also transzendieren kann. Noch viele andere Symbole können im seelsorglichen Gespräch ih-

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186 | Ilona Klaus ren Ort haben: biblische Verse, z.B. die Psalmverse, welche die ganze Spannbreite an existenziellen Erfahrungen auszudrücken vermögen. Sie bieten sich als Sprachmuster an, wo eigene Worte fehlen: Besonders in belastenden Situationen. »Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?« fragt der Beter in Psalm 22,2f. – Worte, die schon oft von alten Menschen zitiert wurden.13 Für jemanden, der sich als agnostisch, areligiös, atheistisch … bezeichnet, mögen diese religiösen Symbole befremdlich erscheinen. Transportieren sie wirklich positive Altersbilder? Ja, das tun sie. Symbole weisen über sich hinaus; sie repräsentieren das Heilige, das (nicht nur) im christlichen Verständnis jegliche Existenz hervor rief und bewahren will. Das Heilige – so die Vorstellung – birgt und stiftet Leben, auch Leben im Sinne von Handlungsfähigkeit. Es interagiert mit den eigenen Ressourcen. Es berührt auf ganzheitliche Weise den Menschen, der sich gesehen, erkannt, angenommen und gehalten fühlt und stärkt die Eigenkräfte. Auf seine eigene berührende spirituell-ganzheitliche Weise vermittelt es neben anderem das, was in Beratung und Gesprächstherapie oft sehr mühsam als Therapeutenvariablen bezeichnet wird: Echtheit, positive Wertschätzung, einfühlendes Verstehen.14 Gemeinsam vollzogene sakramentale, rituelle Handlungen schaffen Wege zu Menschen, um die wir Seelsorgenden so manches Mal beneidet werden. Sie eröffnen uns Zugänge zu Menschen, die kognitiv bzw. verbal nicht (immer) ansprechbar sind. Ein Kreuz auf die Stirn eines Wachkomapatienten zu zeichnen, kann eine beruhigende Wirkung haben. Eine gemeinsame Gebetshaltung einzunehmen mit Menschen, die nicht sehen, nicht hören und sprechen können, vermag zu trösten. Religiöse Symbole haben die Macht, Menschen ganzheitlich zu berühren, alle Sinne anzusprechen. Sie geben das Gefühl, »ergriffen« zu sein: von Menschen und von Gott. Aufgabe der Seelsorgenden ist es, wie Hanna spirituell präsent zu sein. Ich laufe folglich nicht durch die Einrichtungen und biete allen, die das Gespräch suchen, ein christliches Ritual an. Im Gegenteil ist viel Sensibilität geboten, da ich als Repräsentantin von Kirche auch mit manchem Vorurteil konfrontiert bin. Aber die Menschen wissen, ich bin ansprechbar. Symbolisch gesprochen: Ich trage meinen Schatz an biblischen, christlichen, kirchlichen Bildern immer bei mir, und je nach Situation und Bedarf greife ich in meinen Ressourcenschatz bzw. lasse Menschen in ihn hineingreifen. Oft scheint sich ein praktischer Vollzug zu erübrigen, da in einem seelsorglichen Rahmen Gott mit repräsentiert ist. Wie Hanna, die »Tag und Nacht« fastete und betete, haben Seelsorgende in diesem Sinne auch eine Art Stellvertretungsfunktion.15

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Und doch kann ich nur Mut machen, auch in einem säkularen Beratungskontext Menschen, besonders alte Frauen auf ihre Religiosität bzw. Spiritualität anzusprechen. Voraussetzung ist meines Erachtens nicht unbedingt ein eigener Glaube; Voraussetzung ist die Achtung vor der Spiritualität eines Menschen, die von der Zugehörigkeit zu einer Kirche oder religiösen Gemeinschaft unterschieden werden sollte. Persönliche Ressentiments der Beratenden beziehen sich eher (vielleicht nicht zu Unrecht) auf ebendiese Institutionen mit ihren je eigenen Regelwerken. Hingegen sollte gelebte Spiritualität immer als etwas gewertet werden, was Quelle von Lebenssinn und -vergewisserung, von Lebensmut und -orientierung sein kann.

Hanna sprach … von Erlösung – Aspekte feministischer Seelsorge mit alten Frauen Es waren die Erzählungen meiner Großmutter, die mich aufmerken ließen. Ich liebte meine Großmutter, wie man Großmütter zu lieben pflegt. Wenn die Großeltern uns besuchten, zog Oma die leckerste Schokolade aus ihrer Handtasche. Sie verwöhnte uns Kinder, wie sich das gehört. Oma fuhr mit uns in die Stadt, um was Schönes zu kaufen und am Ende des Bummels kehrten wir in ein feines Café ein. Oft durfte ich bei Oma und Opa schlafen, wobei Opa auf das Sofa verbannt wurde und ich im großen Ehebett nächtigen durfte. Mein Opa wurde ebenso heiß geliebt wie die Oma, aber er zog sich oft zurück und überließ den »Frauen« das Feld. Beim Abendbrottisch erzählte Oma vom Krieg und in der Nacht Teile ihrer eigenen Lebensgeschichte. Damals begriff ich, dass eine Oma nicht immer nur eine Oma war, sondern ein Mädchen und eine junge Frau gewesen ist, die in ihrer Zeit ihren Weg suchte, ihre Träume Wirklichkeit werden zu lassen. Mit 15 oder 16 Jahren ging sie ins Ausland, um eine Ausbildung zu machen. Dort verliebte sie sich unsterblich in einen blonden Hünen. Sie hat ihn trotz vieler Bemühungen nicht heiraten können, aber er blieb die große Liebe ihres Lebens (ich war immer froh, dass Opa nicht hörte, was Oma erzählte). Warum sie meinen Opa geheiratet hat, hat sie mir nie erzählt. Sie starb sehr früh und sehr plötzlich. Später hörten wir die nicht-erzählten Geschichten: die Geschichte ihres Suizidversuches und der »Rettung« durch meinen Großvater und viele andere mehr. Geschichten, die mich und meine Familie bis heute nachhaltig bewegen. So wurde ich neugierig auf die Geschichten alter Frauen. Unzählige Geschichten wurden nie erzählt, weil es nur wenige gibt, die neugierig

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188 | Ilona Klaus sind. Dabei sind sie Zeitgeschichte(n), Sozial- oder Kulturgeschichte(n)… oder auch Leidensgeschichten und Geschichten des Widerstands … Es braucht aufmerksame Zuhörerinnen und Zuhörer und »Räume«, in denen Frauen sich trauen zu erzählen.16 Räume zu schaffen, in denen sie Respekt erhoffen dürfen, das ist wohl das wichtigste Anliegen feministischer Seelsorge. Kleine Einblicke in diese Räume, in denen normale, aufregende und unaufregende und unaussprechliche Geschichten erzählt werden, seien an dieser Stelle gewährt: • Frau B, 101 Jahre alt, hört nie auf zu erzählen, wie es ihr als »Bastard«, der selbst von der Mutter verstoßen worden war, ihr Leben lang ergangen ist. • Frau A. hat nur mit wenigen Menschen über ihre Geschichte sprechen können. Sie ist auf der Flucht aus dem Osten zweimal vergewaltigt worden. Das erste Mal wurde sie an dem Tag vergewaltigt, an dem sie ihr erstes Kind beerdigt hatte. Auch sie bittet mich immer wieder, für sie zu beten. • Frau J. erzählt von der Scham der deutschen Frauen, die sich mit polnischen Zwangsarbeitern eingelassen hatten und aus diesen Verbindungen schwanger wurden. • Frau P. erzählt, dass sie und ihr Mann die ersten waren, die in ihrer Stadt »eine nationalsozialistische Trauung« hatten. Das Gespräch zeichnete ich auf. Später erzählte sie von ihrer besten jüdischen Freundin, die plötzlich einfach nicht mehr da war und deren Abwesenheit sie nie beunruhigt hatte. • Frau B. lebt auf, wenn sie von ihrer Künstlerkarriere in den 50er Jahren erzählt. Sie war eine echte Diva, zeigt stolz ihre Fotos und vergisst, sich in ihre Demenz zu flüchten. • Frau G. erzählt, wie sie ihre Mutter aufnahm, als sie pflegebedürftig wurde. Sie hat sie fast 25 Jahre lang gepflegt. Dann wurde ihr Mann krank… • Frau L., 98 Jahre alt, lebte viele Jahre in Amerika und Australien. Sie beschloss nach wenigen Wochen im Altenheim, es sei noch nicht die Zeit, die Kontrolle über ihr Leben anderen zu überlassen. Sie packte ihren Koffer (aus dem Rollstuhl heraus) und bezog gegen den Widerstand ihrer Kinder ihre alte Wohnung, wo sie noch heute lebt. • Eine 97-Jährige fasste ihre Ehe mit folgenden Worten zusammen: »Ich heiratete ihn 1914 und dann ist er gestorben.« (Die Ehe dauerte über 60 Jahre.)

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Auch nicht-erzählte Geschichten sind Geschichten: Es ist übrigens sehr auffällig, dass alte Frauen nur selten über ihre Ehemänner reden. Andere Tabu-Themen sind »Scheidungen«, »außereheliche Beziehungen«, »Konflikte oder Suchtprobleme in der Familie«, »Gewalt- und Missbrauchserfahrungen« und »Schamgeschichten«. Ich höre diese Geschichten, oft immer wieder und wieder. Und auch damit es nicht zu anstrengend wird (und es wird anstrengend, wenn bei jedem Besuch dieselben Geschichten erzählt werden), habe ich begonnen zu fragen. Ich frage, wie sie selbst als Frau mit ihren Träumen und Gefühlen in ihrem Leben vorgekommen sind. Ich frage danach und zwar weil es mich wirklich interessiert, wie sie es geschafft haben, mit Schwerem fertig zu werden. Ich frage nach dem, was sie stolz macht, frage nach ihren Lebensleistungen und versuche zu würdigen, was Lebenszufriedenheit verschafft. Ich frage »ressourcenorientiert«17. Ich frage auch nach ihren Träumen für die Zukunft, obwohl ich spontan selten Antworten bekomme. Manche versagen sich die Träume, weil sie um die Begrenztheit des Lebens wissen: »Was soll ich jetzt noch für Träume haben?« Manche können nicht fühlen, dass Träume in Erfüllung gehen können, weil sie das Träumen irgendwann im Laufe des Lebens aufgegeben haben. Da gibt es nämlich auch viel Ungelebtes, viel Bitterkeit über das Schwere im Leben. Dann heißt es, gemeinsam Räume für Trauer oder auch für Wut zu schaffen, auch für Wut auf diesen Gott, der so oft nicht zugehört hatte. Wir beginnen, die alten (patriarchalen) Bilder und Bewertungen zu hinterfragen und die Dinge neu zu deuten (zu transformieren), um neue Geschichten mit neuen Überschriften zu schreiben, um neue Frauen- und Gottesbilder zu entdecken …, um … Ja, mit welchem Ziel kann eigentlich feministische Seelsorge mit alten Frauen geschehen? Neben dem Zuhören und der gemeinsamen Erinnerungsarbeit wird als ein Ziel feministischer Seelsorge die »Ermöglichung einer eigenen Autorinnenschaft für die weitere Lebensgeschichte« genannt (RiedelPfäfflin/Strecker, 1999, 29). Die »weitere Lebensgeschichte« zu schreiben, bekommt in der Arbeit mit alten Frauen in der letzten Phase ihres Lebens und manchmal auch ganz am Ende ihres Lebens zwangsläufig eine zynische Note, wenn wir dieses Ziel nicht neu interpretieren oder auch modifizieren. Das Ziel der »Ermöglichung einer eigenen Autorinnenschaft für die weitere Lebensgeschichte« impliziert den Beginn eines Prozesses, der offen ist, der sich in viele Richtungen entwickeln kann. Am Ende des Lebens wird man sich scheuen, prozesshafte Entwicklungen zu formu-

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190 | Ilona Klaus lieren. Der Tod ist absehbar und markiert das Ende aller Entwicklungsmöglichkeit. Die »weitere Lebensgeschichte« kann dann nur spirituell begriffen werden, wobei die »AutorInnen« nicht wir selbst sein werden. Diese Dimension zu erarbeiten wird natürlich nicht Aufgabe eines seelsorglichen Gesprächs sein. Allerdings kann und will Seelsorge mit alten Frauen nicht davon absehen, dass sie am Ende des Lebens stattfindet. Von daher wird feministische Seelsorge mit alten Frauen unbedingt eine Autorinnenschaft im Angesicht des Todes im Blick haben. Das Sterben, so betont die Hospizbewegung unermüdlich, gehört zum Leben. Christliche Theologie formuliert, dass unsere Zeit von Geburt bis Tod in Gottes Händen liegt, was aber nicht bedeutet, seinem Schicksal hilflos zu sein. Vielmehr gilt es, sein Leben und sein Sterben aktiv und kreativ zu gestalten.18 Feministische Seelsorge mit alten Frauen – das wird bedeuten, bewusst Zeit zu erleben: die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft. Feministische Seelsorge mit alten Frauen bedeutet, sich im Rückblick mit seinem Leben so weit wie möglich auszusöhnen. Versöhnung bedeutet, Frieden zu schließen. Das hebräische Wort für Frieden ist schalom, was wiederum verwandt ist mit dem englischen Wort »whole« (ganz) wie auch mit dem Begriff »heil«. Sich anzufreunden mit dem gelebten Leben, Frieden zu finden, heil zu werden und sich und sein Leben als ge-heil-igt (im Sinne von einmalig und wertvoll als Geschenk Gottes) zu empfinden, das ist die Voraussetzung, das Leben in der Gegenwart als lebenswert zu empfinden19. Und in Bezug auf die Gegenwart: Unser Leben ist nie ganz heil, ganz voll und glücklich und positiv. Es gibt den Alltag, die Selbstverständlichkeiten, die Arbeit, die Lustlosigkeit, die Freizeit, die Glücksmomente, die Enttäuschungen, die Zeiten der Einsamkeit, die Brüche und Einbrüche wie Krankheiten, Abschiede – unser Leben ist eine Aneinanderreihung von gelebter und nicht-gelebter Zeiten, und daran ändert auch die Zeit des Altwerdens und des Altseins nicht. All diese Fragmente des Lebens anzuerkennen, mit dem Fragmentarischen Frieden zu schließen und sich trotzdem und gerade im Alter »das Leben zu nehmen«20 im Hier und Jetzt, das ist das gegenwartsbezogene Ziel feministischer Arbeit mit alten Frauen: wobei natürlich nicht an Suizid gedacht werden sollte, sondern an die Haltung, das Leben anzunehmen und auszuschöpfen. Wer das Leben erfahren hat, so die Annahme, der kann auch ge-löst (-er) sterben. Hanna spricht von (politischer) Er-lösung im Sinne von Be-

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freiung von patriarchalen Mächten. Sich gut vom Leben lösen zu können in der doppelten Hoffnung, dass Gott das Nicht-Eingelöste (das Private und Politische) erlösen wird, auch darauf wird feministische Seelsorge mit alten Frauen hinarbeiten. Sie wird gemeinsam mit den alten Frauen auch ihr Sterben gestalten. Feministische Seelsorge arbeitet für die Hoffnung, dass alte Frauen »alt und lebenssatt« sterben dürfen. Sie selbst lebt von der Hoffnung, dass Gottes Reich für Menschen schon im Hier und Jetzt sichtbar werden kann und so auf das verweist, was in der Zukunft auf uns wartet.

Hanna lebte und arbeitete im Tempel – Orte, wo andere alte Frauen leben und arbeiten (müssen) »Beratung und Seelsorge sind politische Akte und können nicht von den sozialen Bedingungen gelöst werden, in denen die Seelsorgesuchenden leben.« (Riedel-Pfäffin/Strecker, 1999, 55)

Ich arbeite in drei Altenpflegeeinrichtungen eines Evangelischen Trägers. Rund neunzig Prozent der alten Menschen, die dort leben, sind Frauen. Bei den Pflegekräften ist die prozentuale Verteilung ähnlich. Die meisten Angehörigen, die ich kennen lerne, sind Frauen. Die meisten Ehrenamtlichen sind Frauen. Das Altenheim ist ein frauendominanter Ort; doch die Institution ist durch und durch patriarchal geprägt. Erving Goffman erarbeitete das soziologische Modell der »totalen Institution« (Goffman, 1973, 15ff.). Ein Altenheim trägt Züge seiner Beschreibung: Menschen werden kontrolliert verwahrt. Die Abläufe im Heim sind formal organisiert und können sich nur sporadisch an den Bedürfnissen einzelner orientieren. Je weniger Pflegekräfte zur Verfügung stehen, umso formaler, hierarchischer wird organisiert. Persönliche Freiheit, die Erfüllung persönlicher Bedürfnisse, die Entscheidungsfreiheit sind folglich eingeschränkt. Schon der Einzug in ein Heim geschieht selten völlig freiwillig. Aufgrund der knappen Ressourcen nehmen sich die BewohnerInnen mit ihren Anliegen zurück: Sie passen sich mehr und mehr dem Reglement an, bis sie außer den institutionskonformen kaum mehr Wünsche formulieren. Sich eine Identität zu bewahren, die größtmögliche Privatsphäre und Entscheidungsfreiheit unter den Bedingungen einer zunehmenden Hilfsbedürftigkeit ist eine Aufgabe, welche die meisten alten Menschen alleine nicht erfolgreich bewältigen können. Viele geben auf, ziehen

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192 | Ilona Klaus sich zum Sterben zurück. Andere versuchen, sich ihre Selbstbestimmung durch den Rückzug in ihr Zimmer zu bewahren. Die meisten ordnen sich unter, weil sie abhängig sind. Die Altenheimseelsorge steht immer in dem Dilemma, für die Funktionalität der Institution missbraucht zu werden oder die Funktionalität infrage zu stellen, was ihren Auftrag allerdings übersteigen dürfte. Es ist stets eine Gratwanderung, einerseits die Selbstbestimmung und Entscheidungsfähigkeit der Bewohnerinnen zu stärken, sie andererseits aber nicht in Situationen zu bringen, die sie und die (oft weiblichen) Pflegekräfte in unlösbare Konfliktsituationen hinein manövrieren. Was kann Altenheimseelsorge überhaupt leisten vor diesem Hintergrund? Flache Hierarchien anzumahnen, Transparenz einzuklagen, Kommunikation zu fördern, die sozialen Subsysteme zu unterstützen, Räume für Beziehungen und Gemeinschaft anzustoßen – das sind die wichtigsten sozialen Aufgaben der Altenheimseelsorge. Die wichtigste feministisch-seelsorgliche Aufgabe ist es, parteilich21 zu sein: für die Frauen (und wenigen) Männer, die in diesen patriarchalen Institutionen leben und arbeiten müssen. Es gilt zu würdigen, dass mehrheitlich Frauen für alte Menschen sorgen. Und genauso sollte die enorme Anpassungsleistung gewürdigt werden, die Bewohnerinnen und Bewohner eines Altenheims erbringen (vgl. Ressource, Kap. 3.7). Daneben sollten alle ermutigt werden, die vorhandenen Entscheidungsund Handlungsmöglichkeiten in Gänze auszunutzen: also ressourcenorientiert zu denken. Auf diese Weise kann feministische Altenheimseelsorge kleine »Tempel« kreieren, Räume, wo sich Menschen und Gott begegnen können.

Hanna diente mit Fasten und mit Beten – Aspekte feministischer Altenheimseelsorge »Beten Sie für mich«, sagt Frau K. mir stets am Ende eines Gesprächs. Sie ist traumatisiert. Sie hat monatelang am Bett ihres Sohnes gebetet, der im Wachkoma lag. Als er starb, hörte sie auf zu beten. Sie ist bis heute nicht in der Lage, eine Kirche oder Kapelle zu betreten. »Beten Sie für mich!« Manchmal bittet sie mich auch, eine Kerze für ihren Sohn anzuzünden, falls ich eine katholische Kirche besuche. Wenn ich ihr dann später von der aufgestellten Kerze erzähle, ist sie über Tage wie verwandelt. Und ich bin es auch. Ihre Bitte eröffnet uns gemeinsam neue Räume, auch wenn ich stellvertretend für uns beide agiere. Die schönsten Räume sind die, die geteilt und gelebt werden, die Räume ge-

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teilter Macht, wie sie in der feministischen Literatur oft bezeichnet werden (vgl. Riedel-Pfäffin/Strecker, 1999, 33). Ganzheitlichkeit – das ist ein Begriff, der eine lange Tradition in der feministischen Literatur hat. Ganzheitlich meint, dass »feministische Seelsorge nicht nur im verbalen Gespräch wirksam wird.« Alle Sinne, der Körper, die Ausdrucksweisen des Körpers, der architektonische Raum wie auch Aspekte des sozialpolitischen Raums (soziale, ökonomische, psychische, geschichtliche Aspekte …) werden in die Beratung mit eingeschlossen (Riedel-Pfäfflin/Strecker, 1999, 43). Besonders in der feministischen Altenheimseelsorge muss das berücksichtigt werden, da auf der rein verbal-kognitiven Ebene oft nicht kommuniziert werden kann. Viele Menschen, die dort leben, werden durch die fortschreitenden Krankheiten bewegungsunfähiger, werden bettlägerig. Je immobiler ein Mensch wird, umso mehr verliert er das Gespür für seinen Körper. Der Gebrauch der »Sinne« nimmt ab: das Sehen, Hören, Sprechen, Fühlen usw. wird oft schwieriger. Feministische Seelsorge im Altenheim muss daher auf der rezeptiven wie reaktiven Ebene oft ganzheitlich interagieren. Menschen zu berühren, zu streicheln, auch mal ein Kissen aufzuschütteln, gehören dazu. Zu singen, Musik zu hören, Bilder und Fotos anzuschauen, die Anwendung der Methoden der basalen Stimulation22 – alles, was die Seelsorgenden können und was beziehungsstärkend und kommunikativ ist, kann angewendet werden. Und natürlich ist praktizierte Spiritualität immer ganzheitlich. Das obige Beispiel zeigt auch, feministische Altenheimseelsorge hat oft advokatorische Funktion. Sie springt ein, wo die Möglichkeiten der alten Menschen begrenzt sind: Sie tätigt mal einen Anruf. Sie kauft auch einen Bückling, weil frau vergessen hat, wie er schmeckt. Sie bezieht stellvertretend die Angehörigen mit ein und ermutigt sie, parteilich zu sein. Bereichernd finde ich den Gedanken von Monika Müller, die den Begriff der »Ganzheit« spirituell versteht und ihn im Hinblick auf den seelsorgenden Menschen ausweitet. Sie spricht »vom Geist der Ergänzung« (Müller, 2006, 25ff.). Ausgehend von dem Bild, dass Menschen in der Krankheit bzw. im Alter von einer »Ganzheit« abgetrennt sind oder anders ausgedrückt, »dass der Mensch nicht immer von sich aus oder auch nicht auf Dauer das göttliche Antlitz hat«, wenn wir uns an den Gedanken der Ebenbildlichkeit des Menschen mit Gott orientieren, dann sind wir aufgerufen, zu ergänzen, was verloren gegangen ist. Nicht das Schadhafte, Kaputte, Fehlerhafte, Mangelhafte zu reparieren sei unsere Aufgabe, sondern als »Diener der Ganzheit« die eigene Ganzheit als Gegenüber mitzubringen und mit einzubringen. Dazu gehören auch die eigenen Mängel, Wunden und Ängste. »Wenn wir die-

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194 | Ilona Klaus nen, dienen wir nicht mit unserer Stärke, wie dienen mit unseren Wunden, unserer Dunkelheit, unserer Begrenzung.« (Müller, 2006, 33) Manchmal die eigene Hilflosigkeit zu spüren und zu zeigen, das verbindet mich mit der alten Frau, deren Hand ich beim Sterben halte. M. Müller spricht von der Würdigung eines Menschen, wenn wir seine Ganzheit ergänzen. Auch ich als Seelsorgerin fühle mich gewürdigt, wenn ich »ergänzen« kann: wenn ich beim Sterben dabei sein darf oder eine Kerze für einen toten Jungen anzünde.

Es gibt noch viele Hannas zu entdecken … – nicht nur in der Bibel Die »Hannas« in Kirche und Gesellschaft – nein, sie sind noch nicht ins Zentrum der Altenarbeit gerückt und auch noch nicht ins Zentrum kirchlicher Frauenarbeit. In der kirchlichen offenen Altenarbeit findet zwar ein Umdenken statt (Ev. Kirche im Rheinland, 2002, 5). Man hat erkannt, »dass man nicht mehr von den Seniorinnen und Senioren sprechen kann, sondern dass man von unterschiedlichen Lebenslagen älter werdender Menschen ausgehen muss …«23 Neben den aktivierenden und betreuenden Konzepten, die man nicht gegeneinander aufrechnen will, will Kirche sich in Zukunft »in erster Linie an den selbst formulierten Wünschen und Bedürfnissen der Betroffenen in ihrer je spezifischen Lebenslage« orientieren. Kirche soll »Lerngemeinschaft« werden, die sich kritisch befragt lässt und gemeinsam mit den Menschen nach Antworten sucht. Zwar gibt es Ansätze einer eher »ressourcenorientierten« Sichtweise, Modelle, in denen »Alterskompetenzen« (ebd., 10) zum Tragen kommen: gemeinwesenorientierte Ansätze (ebd., 15f.) oder selbstinitiative Ideen, Modelle der Ehrenamtlichenarbeit usw. Und doch bleibt festzuhalten, dass man in der kirchlichen Praxis immer noch vielerorts von einer homogenen Gruppe ausgeht, »die durch kirchliche Angebote betreut werden [will]« (ebd., 5f.) Hinzu kommt, dass es kaum Strukturen gibt, in denen Selbstinitiative und Selbstorganisation greifen können (ebd., 14f.). Die Situation in der kirchlichen Frauenarbeit möchte ich als genau gegensätzlich beschreiben. Hier hat frau viele Hannas entdeckt, wozu die feministische Theologie die Grundlagen geschaffen hat, die gerne von den Frauenverbänden der Evangelischen und Katholischen Frauenarbeit für neue Konzeptionen adaptiert wurden. Gleichzeitig wird von allen Verbänden die Überalterung ihrer Mitglieder beklagt. Das heißt, die alten Frauen werden zwar wahr genommen, aber sie werden nicht

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wertschätzend wahrgenommen. Kirchliche Frauenarbeit muss sich selbstkritisch fragen, inwieweit sie ein negatives Altersbild mit transportiert. Es gibt sie kaum in der Kirche: die geschlechtsspezifische offene Altenarbeit und auch nicht die offensive, positiv formulierte altersspezifische kirchliche Frauenarbeit. Mitte der 90er Jahre haben wir versucht, altersspezifische Frauenprojekte zu finden und zu veröffentlichen. Wir mussten die Idee begraben. Es gab wohl einige Projekte in Deutschland, aber es fanden sich nur wenige Frauen, die schreiben bzw. ihre Projekte veröffentlichen wollten. Wir mussten damals zu dem Schluss kommen, dass sich die theoretische Beschäftigung mit dem Thema »Alter« identitätsverstörend auswirkt. Vielleicht beginnt jetzt, da das Thema »Alter« in aller Munde ist, eine neue Zeit des Nachdenkens über alternative, also wertschätzende Altersbilder. A. Blome (1994) hat gefordert, die Kategorie »Alter« in den feministisch-theologischen Diskurs mit einzubeziehen. Meines Erachtens hinken wir in vielen theologischen Fächern diesem Anspruch hinterher. Vielleicht kann dieser Beitrag die (feministischen) Theologinnen und Theologen wie auch Männer und Frauen anderer Professionen ermutigen, weitere Bausteine zu einer geschlechtsspezifischen Alten-(Heim-) Seelsorge zusammenzutragen. Das Anliegen dieses Buches, für einen »positiven« Blick auf alte Frauen und Männer zu werben und in Beratung und Therapie einfließen zu lassen, versuchte ich zu unterstützen. Ob positive Altersbilder allein ausreichen, auf politischer Ebene stärker für die Bedürfnisse alter Menschen in ihrer Unterschiedlichkeit einzutreten, mag dahingestellt sein, geht auch sicher über die Intention des Buches hinaus. Dieser Gedanke führt jedoch zu der Frage, ob die fehlenden »positiven Altersbilder« wirklich alle alten Menschen im Blick haben. Es ist doch unbestreitbar, dass das Altwerden auch das Risiko des Gebrechlichwerdens, des Krankseins und der Pflegebedürftigkeit in sich birgt. Ebenso wird sich das Bewusstsein für die Endlichkeit, für den Tod einstellen. Warum klammert das Ringen um positive Altersbilder diese Themen aus, obwohl sie doch auch alte Menschen betreffen? Möchte Therapie und Beratung es nur mit aktiven, gesunden, mobilen, orientierten alten Menschen zu tun haben? Ist allein die Seelsorge für die zuständig, die »nicht mehr können«? Sollten nicht auch Lebenssituationen wie Krankheit und bevorstehender Tod »positiv« in unsere Altersbilder mit einbezogen werden, wozu ich Mut machen möchte. Nicht nur wer sich »positiv« dem Thema Altwerden nähert, sondern auch wer sich mit den Begrenzungen des Lebens und mit dem Tod beschäftigt, wird positiv

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196 | Ilona Klaus fühlen und denken lernen. »Die Wahrheit ist, dass sich im Tod sehr viel Leben zeigt« (Cline, 1997, 12), glaubt nicht nur eine Theologin.

Anmerkungen 1 | Ich zitiere stets aus der Luther-Bibel, revid. Text 1975. 2 | Siehe meine Ausführungen zu Epiphanias. Lukas 2,36-38, in Ahrens et al. (1997, 81ff.). 3 | Vgl. auch dazu die Gender Studies, die ihre Wurzeln in der feministischen Theorie haben. Sie betonen den Sozialkonstruktivismus in der Geschlechterdebatte. Dazu genauer Zimmermann 2004, 5ff. 4 | Siehe das gleichnamige Buch von Blome (1994), die m.W. als erste Theologin »das Alter« in den systematischen Diskurs einbrachte. 5 | »Weibliche Biographie und weibliches Altern sind eng verhängt; namentlich in Gesellschaften, in denen weiterhin eine ausgeprägte geschlechtsspezifische Arbeitsteilung in Beruf und Familie zu beobachten ist …« (Höpflinger, 1997, 18). 6 | Aufgrund der Langlebigkeit der Frauen sind sie zahlenmäßig bei den Pflegefällen übervertreten. Vgl. Höpflinger (1997), 71ff. 7 | Die Zahlen differieren je nach Umfragesituation und Fragestellung: In einem unveröffentlichten Manuskript zitiert Friedrich-Hett Andreas Kruse (2005), Zur Religiosität und Spiritualität im Alter. In: Bäuerle, P. u. a. (Hg.), Spiritualität und Kreativität in der Psychotherapie mit älteren Menschen, Bern, 4963) Seine Zahlen weisen bei Menschen ab 60 Jahren eine hohe Religionszugehörigkeit auf: in den alten Bundesländern 91,4 % (in den neuen nur 66,6 %). 81,9 % schätzen sich als religiös bis sehr religiös ein (61,8%). 50,2 % (34%) glauben an den Himmel; 33,4 % (17,8 %) glauben an die Hölle; 67,7 % (46,2 %) glauben an die Sünde, 47 % (20,2 %) glauben an ein Leben nach dem Tod. In Depping (2000), 49f wird auf eine repräsentative Umfrage durch das EMNIDInstitut hingewiesen, die das Sonntagsblatt im Mai 1997 veröffentlicht hat. Auf die Frage: »Glauben Sie, dass es eine göttliche Kraft gibt?« bejahten nur 66,7 % der Menschen über 60 diese Frage. Und nur 17,9 % der Befragten gaben an, dass Gott »ein persönliches Gegenüber« ist. Bei einer anderen Untersuchung stellte man die Frage anders: »Glauben Sie, dass es einen persönlichen Gott gibt?«, was 73 % der Befragten über 64-Jährigen bejahte. Viele Umfragen bestätigen überdies, dass Frauen stärker an einen persönlichen Gott glauben als Männer. Grundsätzlich verstärkt sich aber auch bei Männern mit zunehmendem Alter der Glaube an Gott. 8 | Umgekehrt wird das Selbstwertgefühl gemindert durch den Glauben an einen strengen, richtenden Gott. Vgl. Depping (2000), 50.

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Das Leben alter Frauen aus feministisch-theologischer Perspektive | 197 9 | Mir ist in meiner beruflichen Tätigkeit kein Fall begegnet, bei dem sich Religiosität lebensbeeinträchtigend bzw. pathologisch ausgewirkt hätte. Auch ein negatives Gottesbild, zum Beispiel das eines strafenden, richtenden Gottes, das u.U. depressive Störungen aufrecht erhalten kann, ist mir in keinem Gespräch aufgefallen. Mir scheint, eine zunehmende Emanzipierung von autoritären Strukturen hat auch mit autoritären Gottesbildern aufgeräumt. 10 | Maria, die in der katholischen Tradition als Mutter Gottes verehrt wird, kann durch ihre Vergöttlichung wohl auch nicht identitätsstiftend sein. Sie steht in der Tradition als »Heilige« der »sündigen« Eva gegenüber und entzieht sich so aller Identifikation. Allerdings repräsentiert sie für viele katholische Frauen die weibliche Seite Gottes. 11 | Siehe dazu das Hohe Lied der Liebe im Ersten Testament über gelebte Sexualität. Siehe dazu Hanna, die nach ihrer Ehe ein asketisches Leben führt. Daneben gibt es die Bilder und Geschichten, die das Leiden von Frauen thematisieren: verübte Gewalt an Frauen, sexuelle Ausbeutung bis zu brutalen Morden an Frauen (vgl. Richter 11,29ff oder Richter 19). 12 | Es sind meiner Erfahrung nach primär die Frauen, für die als Christinnen gelebte Spiritualität selbstverständlich zum Alltag gehört. Gläubige Männer praktizieren lieber an den öffentlichen Formen: sie gehen die Kirche, sie nehmen an der Abendmahls- bzw. Eucharistiefeier teil, im seelsorglichen Kontext jedoch scheint es eine gewisse Scheu zu geben, sich als spirituell zu offenbaren. Nie hat ein alter Mann mich gebeten, mit ihm zu beten oder das Abendmahl zu feiern. 13 | Vgl. viele weitere Beispiele bei Depping (2000), 117f. 14 | Ich greife auf die Übersetzungshilfe von Weinberger (1994), 30ff. zurück 15 | S. unten. 16 | Der Begriff »Räume« ist dem Ansatz von ist Ursula Riedel-Pfäfflin und Julia Strecker (1999) entnommen, die erstmalig eine Konzeption feministischer Seelsorge und Beratung vorgelegt haben. Ich orientiere mich teilweise an ihrem Ansatz, der sich auf die Systemische Familientherapie stützt, allerdings in seiner feministischen Kritik, den sie »feministische Familientherapie« nennen: s. 40 ff und 72 ff. Leider haben auch sie die Kategorie »Alter« nicht mit einbezogen, sodass ich ihre Konzeption an einigen Stellen modifizieren muss. 17 | Vgl. Riedel-Pfäfflin & Strecker (1999), 34ff.: »Für die beraterische und seelsorgerliche Arbeit ist der Begriff Ressourcenorientierung wichtig geworden […] Ressourcen sind Schätze, mögliche Potentiale, Quellen der Kraft, aus denen geschöpft werden kann. […] Wenn wir unseren Blick weniger auf das Fehlende, sondern stärker auf das Mögliche, auf die Potentiale richten, werden wir mehr gewünschte Kraft mobilisieren.« 18 | Vgl. dazu EKD (Hrg.), 12.

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198 | Ilona Klaus 19 | Diese Wortspielerei habe ich Monika Müller (2006), 30 entnommen. 20 | Diese schöne Formulierung habe ich ebenfalls Monika Müller (2006), 15 zu verdanken. 21 | Parteilichkeit ist ein Begriff, der im feministischen Denken und Handeln immer präsent ist: Riedel-Pfäfflin & Strecker (1999), 46f. schreiben dazu: »Die gesellschaftlichen Machtstrukturen sind immer im Raum, und daher ist keine Seelsorge unparteilich, auch wenn sie sich um Neutralität bemüht. Wir halten Parteilichkeit nicht nur für unumgänglich, sondern auch für notwendig, solange asymmetrische Machtverhältnisse das Leben jeder Frau und jedes Mannes prägen.« In der Arbeit mit traumatisierten Frauen, so wird genauer formuliert, ist die methodische Neutralität von moralischer Neutralität zu unterscheiden. In der Arbeit mit Traumatisierten sei eine engagierte moralische Stellungnahme gefordert. Die Therapeutin bzw. Seelsorgerin muss »eine Position der Solidarität mit dem Opfer einnehmen. Denn für jede Betroffene ist es wichtig, dass ihr Gefühl für Gerechtigkeit wieder hergestellt wird […]« 22 | Basale Stimulation ist eine Methode zur Aktivierung der Wahrnehmung, Bewegung und Kommunikation bei Menschen, deren entsprechende Fähigkeiten eingeschränkt sind. Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Basale_Stimula tion 23 | Ebd. Auch wird deutlich gesehen, dass die Lebenslagen von alten Frauen andere sind als die der Männer. Doch wird leider nur daraus abgeleitet, dass Frauen stärker von Armut betroffen sind.

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216 | Thomas Friedrich-Hett

Kommentierte Literaturempfehlungen Thomas Friedrich-Hett

An dieser Stelle möchte ich dem Konzept der DiskurSys-Reihe folgend einige themengebundene Literaturhinweise geben, die interessierten Leserinnen und Lesern einen Einstieg oder auch eine vertiefte Beschäftigung mit den im vorliegenden Band vorgestellten Themen ermöglichen können. Die Übersicht entspringt natürlich meiner subjektiven Einschätzung und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. In unserem Literaturverzeichnis finden sich schon viele Hinweise; die vorgenommenen Kommentierungen sollen die Auswahl erleichtern helfen. Bei meiner Zusammenstellung fiel mir die Auswahl aus dem Bereich der Grundlagenliteratur am schwersten, da hier zahlreiche gute Werke Überblicke über gesicherte Erkenntnisse bieten. Bei den kommentierten Empfehlungen habe ich folgende Unterscheidungen vorgenommen:1 1. Literatur zum Thema Positives Altern bzw. vergleichbaren Haltungen. 2. Literatur zu Beratung oder Therapie mit älteren Menschen. 3. Grundlagenliteratur zur Psychologie des Alterns und zur Gerontologie. 4. Spezifische Aspekte im Alter (Spiritualität, Sexualität, Homosexualität).

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Kommentierte Literaturempfehlungen | 217

1. Literatur zum Thema Positives Altern Gergen, M. M./Gergen, K. J. (Hg): Der Rundbrief »Positiv Altern«. http://www.positivaging.net. Der von dem amerikanischen Professorenehepaar Ken und Mary Gergen seit 2001 herausgegebene, kostenlose E-Mail-Rundbrief Positiv Altern ist nach meinem Kenntnisstand einzigartig in seiner Art. In dem bereits in vier Sprachen (darunter auch deutsch) erscheinenden Newsletter engagieren sich die Herausgeber für eine Rekonstruktion unserer negativen Altersbilder hin zu einer wertschätzenden und ermutigenden Perspektive. Ken und Mary Gergen referieren und kommentieren auf leicht zugängliche Weise neue Forschungsergebnisse, sichten Pressemeldungen, Bücher und Videos zum Thema und machen auf Tagungen und Veranstaltungen aufmerksam. Eine unschätzbare, sechsmal jährlich erscheinende Quelle an neuen Informationen zu einem positiven Bild vom Altern, jenseits von defizitorientierter Forschung. Friedan, B. (1995): Mythos Alter, Reinbeck bei Hamburg. Die bedeutende amerikanische Forscherin und Autorin Betty Friedan (sie verstarb Anfang 2006), bereits aus der Frauenbewegung bekannt, hat sich mit einem wichtigen Werk dem Mythos des Alters angenommen und mit einer dringend notwendigen Aufklärungsarbeit begonnen. Ihre Arbeit markiert einen Meilenstein auf dem Weg zu einem anderen Bild vom Alter und widerlegt in sehr persönlicher Weise, die Klischees von Senilität und Verfall. Baltes, M./Montada, L. (Hg.) (1996): Produktives Leben im Alter, Frankfurt a.M. Der Sammelband der bekannten Gerontologin Margret Baltes (1999 verstorben) und des Entwicklungspsychologen Leo Montada definiert in vielen Beiträgen einen neuen Produktivitätsbegriff, der ein wertschätzendes und überwiegend optimistisches Bild älterer Menschen voller Entwicklungsmöglichkeiten skizziert. Damit wird ein wichtiger Unterschied zur häufig defizitorientierten Literatur über Altersfragen gemacht. Prominente Wissenschaftler/-innen und Verbandsvertreter/-innen spannen einen Themenbogen von physiologischen Potenzialen über Kompetenzen, Eros und Liebe bis hin zur Alterskultur und zu Zukunftsperspektiven.

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218 | Thomas Friedrich-Hett Friedrich-Hett, T. (Hg.) (2005): »Positives Altern – eine neue Haltung gegenüber einem alten Thema«. Zeitschrift für systemische Therapie und Beratung 23/4. Das Themenheft stellt die Idee des Positiven Alterns vor und bietet eine Sammlung von Aufsätzen, die wertschätzende Perspektiven entwickeln. Mary und Ken Gergen zeigen mit dem Modell der Beziehungsmatrix die Vielfalt der Ressourcen im Alter auf. Ursula Lehr reflektiert die Altersbilder unserer Gesellschaft. Ich selbst verweise in einem Beitrag auf unangemessene Vorbehalte von Therapeuten gegenüber älteren Menschen und stelle Überlegungen zur Behandlung Älterer im tagesklinischen Kontext vor. Ein Interview mit der renommierten Familientherapeutin Lynn Hoffman und ein weiteres mit Klaus Zitt, der ein wegweisendes integriertes Altenpflegemodell vorstellt, runden diese Ausgabe der Zeitschrift ab.

2. Literatur zu Beratung oder Therapie mit älteren Menschen Heuft, G./Kruse, A./Radebold, H. (2000): Lehrbuch der Gerontopsychosomatik und Alterspsychotherapie, München. Das Lehrbuch vereint psychosomatische und psychotherapeutische Aspekte und wird damit der Erfahrung gerecht, dass in der klinischen Praxis entsprechende Fragen oft Hand in Hand gehen. Den langjährigen Erfahrungen der Autoren entsprechend, scheint es kaum eine relevante Frage im Themenbereich zu geben, die nicht bedacht worden ist. Beim Lesen fällt an vielen Stellen eine ausgeprägte analytische Sichtweise auf die behandelten Thematiken auf. Dem wichtigen Grundlagenbuch hätte es sicher nicht geschadet, diese Orientierung zu erwähnen. Bäuerle, P./Radebold, H./Hirsch, R.D./Studer, K./Schmid-Furstoss, U./Struwe, U. (Hg.) (2000): Klinische Psychotherapie mit älteren Menschen: Grundlagen und Praxis, Bern. Die Autorengruppe, allesamt langjährig in der therapeutischen Arbeit mit älteren Menschen engagiert, legen ein umfassendes Werk der psychotherapeutischen Arbeit mit Älteren im klinischen Bereich vor, welches so manches Standardwerk der Gerontopsychiatrie verstaubt erscheinen lässt. Neben unterschiedlichen Behandlungssettings werden verschiedene

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Kommentierte Literaturempfehlungen | 219

therapeutische Schulen, spezifische Therapieformen (z.B. auch Tanzund Musiktherapie) und besondere Behandlungsaspekte (z.B. Sexualität im Alter, Humor in der Therapie, Sterbebegleitung, Religiosität) von zahlreichen Praktikerinnen vorgestellt. Auch Kooperationsfragen und Qualitätssicherung werden bedacht. Bäuerle, P./Kipp, J./Peters, M./Radebold, H./Trilling, A./Wormstall, H. (Hg.): Psychotherapie im Alter. Forum für Psychotherapie, Psychiatrie, Psychosomatik und Beratung, Gießen. Die im fünften Jahr erscheinende Zeitschrift Psychotherapie im Alter, scheint mir in Deutschland noch ohne Konkurrenz zu sein. In Form von Themenheften werden sowohl genuin therapeutische Aspekte (z.B. Gruppentherapie, Paartherapie, Erstgespräche), als auch wichtige, häufig nur am Rande zur Sprache kommende Fragen (wie z.B. Liebe, Erinnern, Biografie, Migration) reflektiert. Die Autorinnen repräsentieren ein breites Spektrum an Perspektiven und therapeutischen Ausrichtungen. Maercker, A. (Hg.) (2002): Alterspsychotherapie und klinische Gerontopsychologie, Berlin. Der stark verhaltenstherapeutisch orientierte Sammelband des Züricher Psychologieprofessors ist deutlicher an Pathologieperspektiven angelehnt, als die anderen hier empfohlenen Werke. Vielleicht erleichtert das aber den klassisch orientierten Klinikern den Zugang zu psychotherapeutischen Verfahren in der Arbeit mit älteren Menschen. Ein weiterer Empfehlungsgrund ist die Berücksichtigung in anderen Publikationen häufig vermisster Probleme, wie z.B. die Behandlung von Traumata oder komplizierter Trauer. Petzold, H. Mit alten Menschen arbeiten: Teil 1 (2004): Konzepte und Methoden sozialgerontologischer Praxis, Stuttgart. Teil 2 (2005): Lebenshilfe, Psychotherapie, kreative Praxis, Stuttgart. Hilarion Petzold ist neben Hartmut Radebold sicher einer der wichtigsten Wegbereiter der Alterspsychotherapie in Deutschland. Es scheint kaum einen Themenbereich der Arbeit mit Älteren zu geben, über den er nicht auf der Basis eines integrativen Verständnisses Zahlreiches veröffentlicht hat. So können diese beiden Bücher sicher als wichtige Nachschlagewerke angesehen werden. Band 1 berichtet über Altersforschung, protektive und erlebnisaktivierende Faktoren, Exchange Learning, Biographie-, Gruppen- und Stadtteilarbeit. Band 2 über Psychotherapie, die Methode der Lebensbi-

2007-09-20 10-06-16 --- Projekt: T799.diskursys.friedrich-hett.positives altern / Dokument: FAX ID 02fe158256672080|(S. 216-222) t04_02 komm_lit.p 158256674776

220 | Thomas Friedrich-Hett lanz, Musiktherapie, Puppenspiel und Poesie- und Bibliotherapie, sowie über Alterswürde und Sterbebegleitung. Der einzige Haken an diesen Werken ist für mich eine schwer lesbare Verliebtheit in zum Teil selbst geschaffene Fachsprache. Vogt, M. (2004): Beziehungskrise Ruhestand – Paarberatung für ältere Menschen, Freiburg i.B. Das Buch gibt einen wichtigen und umfassenden Einblick in die Paarberatung älterer Menschen im Kontext von Beratungsstellen. Nach einer Einführung in Altersbegriffe und -fragen, werden wichtige Beziehungs- und Partnerschaftsfragen reflektiert, worauf sich schließlich ein Plädoyer für eine beziehungsengagierte Beratungsarbeit gründet. Abschließend wird noch eine Untersuchung zum Erfolg von Paarberatung bei Partnern über 55 Jahren referiert.

3. Grundlagenliteratur zur Psychologie des Alterns und zur Gerontologie. Deutsches Institut für Fernstudienforschung an der Universität Tübingen (Hg.) (1996): Funkkolleg Altern, Tübingen. Der in sieben Teilen in Heftform erschienene Funkkolleg bietet einen umfassenden Überblick über viele wichtige Altersfragen und eignet sich gut als Einstiegsliteratur und als Nachschlagewerk für die Arbeit mit älteren Menschen. Namhafte Altersforscher/-innen diskutieren über Altersbilder, historische Entwicklungen, biografische, psychologische und biologische Aspekte, Grenzsituationen u.v.m. Lehr, U. (2003): Psychologie des Alterns, 10. korr. Auflage, Wiebelsheim. Ein wichtiges, immer wieder erweitertes, aktualisiertes und sehr umfassendes Grundlagenbuch der Alterspsychologie, von einer der führenden Gerontologinnen in Deutschland, welches zu Recht als Standardwerk gilt. Nach einem historischen Überblick über die Altersforschung folgen psychosoziale Theorien des Alterns, sowie Kapitel über Funktionsfähigkeit und Kreativität, Persönlichkeit und Altern, Altern und Gesellschaft und die Auseinandersetzung mit Sterben und Tod. Mayer, K.U./Baltes, P.B. (Hg.) (1996): Die Berliner Altersstudie, Berlin. Die Berliner Altersstudie ist eine wohl einzigartige interdisziplinäre Längstschnittuntersuchung von Menschen im hohen Lebensalter (70-

2007-09-20 10-06-17 --- Projekt: T799.diskursys.friedrich-hett.positives altern / Dokument: FAX ID 02fe158256672080|(S. 216-222) t04_02 komm_lit.p 158256674776

Kommentierte Literaturempfehlungen | 221

bis über 100-Jährige). Das Buch bietet Vertiefungsmöglichkeiten zu den Themen geistige Leistungsfähigkeit und körperliche Gesundheit, Persönlichkeit, soziale Beziehungen und Alltagskompetenz im hohen Alter, über psychische Erkrankungen, die wirtschaftliche Situation und Unterschiede zwischen Frauen und Männern u.v.m.

4. Spezifische Aspekte im Alter (Spiritualität, Sexualität, Homosexualität) Bäuerle, P./Förstl, H./Hell, D./Radebold, H./Riedel, I./Studer, K. (Hg.) (2005): Spiritualität und Kreativität in der Psychotherapie mit älteren Menschen, Bern. Die hohe Bedeutung von Spiritualität und Religiosität für ältere Menschen habe ich in der Ressource aufzuzeigen versucht. Es gibt kaum Literatur, welche die Implikationen dieser Bereiche für die klinische Arbeit reflektiert. Dieses Buch füllt diese Lücke und bezieht auch den Bereich der Kreativität mit ein. Wenn auch nicht alle Beiträge von gleich hoher Qualität sind, so sensibilisiert der Sammelband doch für die Wahrnehmung in beraterischer und therapeutischer Arbeit häufig vernachlässigte Perspektiven älterer Menschen. Sydow, K. v. (1994): Die Lust auf Liebe bei älteren Menschen, 2. verb. Aufl., München. Sexualität älterer Menschen ist noch immer ein tabuisiertes Thema. Aufklärung und Vorurteilsabbau von Berater/-innen und Therapeut/ -innen sollte Pflicht sein. Dieses Buch macht deutlich, wie unterschiedlich Sexualität im Alter erlebt und gestaltet wird. Neben körperlichen und gesellschaftlichen Fragen werden verschiedene Lebensformen betrachtet, wobei auch Ältere selber zu Wort kommen. Pro Alter (2004): Homosexualität im Alter. Frauen liebende Frauen und Männer liebende Männer altern anders. Pro Alter 3/04, Köln, 6-32. Homosexualität im Alter ist noch stärker ausgeblendet, als es Sexualität in diesem Lebensabschnitt ohnehin schon ist. Erschwerend gibt es kaum Literatur zu diesem wichtigen Thema. Das Themenheft der Zeitschrift Pro Alter, das auch kostenlos im Internet zu erhalten ist (www. kda.de), möchte ich daher auch allen mit älteren Menschen Engagierten besonders nahe legen. Es gibt einen Einblick in die Bedürfnisse älterer, gleichgeschlechtlich liebender Menschen und informiert über Initiativen und Netzwerke.

2007-09-20 10-06-17 --- Projekt: T799.diskursys.friedrich-hett.positives altern / Dokument: FAX ID 02fe158256672080|(S. 216-222) t04_02 komm_lit.p 158256674776

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Anmerkung 1 | Den ebenfalls interessanten Bereich der Erfahrungsberichte, sprich: die Perspektive älterer Menschen selbst habe ich nicht mehr aufgenommen. Hierzu, wie auch zu anderen wichtigen Themen wie Wohnen, Politik oder Pflege, empfehle ich die Internetseite www.aging-alive.de.

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Autorinnen und Autoren | 223

Autorinnen und Autoren

Klaus G. Deissler, Dr. phil., Dipl.-Psych., ist Herausgeber der Reihe »DiskurSys« im transcript-Verlag. Darüber hinaus ist er als Herausgeber der »Zeitschrift für Systemische Therapie und Beratung« und als Verfasser zahlreicher Aufsätze und Bücher im Bereich Beratung und Therapie publizistisch tätig. Neben seiner Tätigkeit als Psychotherapeut in freier Praxis arbeitet er als Supervisor, Coach und Berater von Familienunternehmen. Tel.: (06421) 59 08 70 E-Mail: [email protected] Internet: www.deissler.org; www.mics.de; www.marburger-beratergruppe.de

Thomas Friedrich-Hett, geb. 1966, Dipl. Psych. und Exam. Krankenpfleger, Lehrtherapeut für Systemische Therapie und Beratung (viisa, SG), tätig an der Fliedner Klinik Gevelsberg, Tagesklinik und Ambulanz für psychologische Medizin, seit 21 Jahren in psychiatrischen Kliniken tätig. Seit 1997 freiberuflich als Referent, Moderator, Berater und Supervisor tätig, Gründungsmitglied des Projektes »Qualität durch Dialog«, Mitausrichter versch. internationaler Tagungen, 2. Vorsitzender von viisa – Verband internationaler Institute für systemische Arbeitsformen (Marburg), sowie 2. Vorsitzender des Langenfelder Instituts für systemische Praxis und Forschung e.V. Tel.: E-Mail:

(0201) 76 22 24 [email protected]

2007-09-20 10-06-17 --- Projekt: T799.diskursys.friedrich-hett.positives altern / Dokument: FAX ID 02fe158256672080|(S. 223-226) t04_03 autoren.p 158256674824

224 | Autorinnen und Autoren Rainer Gotzian, geb. 1957, Ergotherapeut und Theaterpädagoge, Theater- u. Dramatherapeut i.A. (Deutsche Gesellschaft für Theatertherapie, DGFT), angestellt in der LWL-Klinik Herten mit den Schwerpunkten Gerontopsychiatrische Tagesklinik, Station für Psychotherapie sowie forensische Psychiatrie. Seit 1985 in verschiedenen psychiatrischen Kliniken und zeitweise als Dozent für Ergotherapie tätig. Langjährige Bühnenerfahrung als Amateurschauspieler in mehreren Theatergruppen. Tel.: E-Mail:

(02361) 89 23 72 [email protected]

Ilona Klaus, geb. 1961, aufgewachsen im östlichen Ruhrgebiet, Studium der Evangelischen Theologie in Münster, Heidelberg und Hamburg, ab 1990 als Vikarin und danach als Pfarrerin in verschiedenen Gemeinden wie auch im Ev. Jugendpfarramt in Gelsenkirchen tätig, ab 2001 Altenheimseelsorgerin im Kirchenkreis Recklinghausen. Schwerpunkte: Arbeit mit jungen und alten Frauen.

Ulrich Meindl, Dipl. Psych., Mediator und Coach (DVNLP). Langjährige Erfahrung in psychologischer Beratung und Training in der Tradition der humanistischen Psychologie sowie der Praxis von Planung und Durchführung von Veränderungsprozessen (Change Management). Tel.: (040) 45 03 76 63 E-Mail: [email protected] Internet: www.amuletum.de

Marco Pulver, Dr. phil., M. A., geb. 1961 in Berlin, Erziehungswissenschaftler, Dozent am FB Erziehungswissenschaften und Psychologie der Freien Universität Berlin in den Bereichen Sozialpädagogik, Philosophie der Erziehung, Historische Anthropologie, Wissenstheorie, sozialwissenschaftliche Forschungsmethoden. Trainer für klientenzentrierte Beratung. Sozialpädagogischer Mitarbeiter der Schwulenberatung Berlin (Gesundheitszentrum für schwule Männer, Berlin-Charlottenburg). Mitgründer des schwulen Besuchsdienstes »Der Mobile Salon« und des »Netzwerks Anders Altern Berlin«, Redaktion und Lektorat der Schriftenreihe »Forum Anders Altern«.

2007-09-20 10-06-17 --- Projekt: T799.diskursys.friedrich-hett.positives altern / Dokument: FAX ID 02fe158256672080|(S. 223-226) t04_03 autoren.p 158256674824

Autorinnen und Autoren | 225

Tel.: E-Mail:

(030) 6 87 32 71 [email protected]

Renate Rubin, Gerontologin und Erwachsenenbildnerin, Weiterbildung in integrativer Poesie- und Bibliotherapie, sowie im Bewegungs- und Theaterbereich. Tätigkeit bei Pro-Senectute im Kanton Zürich und Dozentin für Sprache und Gerontologie am Zentrum für medizinische Bildung in Bern, sowie langjährige Leitung von Schreibgruppen. Früher als Buchhändlerin tätig. Tel.: E-Mail:

+41 (44) 4 81 56 03 [email protected]

Dr. Adelheid Schramm-Meindl, Dipl. Psychologin, Psychodrama-Leiterin und systemische Organisationsberaterin. Langjährige Erfahrung in psychologischer Beratung und Training in der Tradition der humanistischen Psychologie sowie der Praxis von Planung und Durchführung von Veränderungsprozessen (Change Management). Tel.: (040) 45 03 76 63 E-Mail: [email protected] Internet: www.karrierewege.de

Dr. Michael Vogt, Diplom-Pädagoge, Dipl. Sozialarbeiter, Dipl. Ehe-, Familien- und Lebensberater, Psychotherapeut, Supervisor (BAG), Suchtberater, Diözesanreferent für Ehe-, Familien- und Lebensberatung im Bistum Essen, Vorsitzender der Katholischen Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) und des Landesarbeitskreises für Ehe-, Familien- und Lebensberatung in Nordrhein-Westfalen (LAK), Vorstandsmitglied der Katholischen Bundeskonferenz für Ehe-, Familien- und Lebensberatung. Tel.: (0201) 3 16 54 37 E-Mail: [email protected] Internet: www.partnerschaft-alter.de

Regina Wolff-Ebel, Jg. 1955, Dipl. Sozialarbeiterin und Erzieherin, seit 1985 angestellt im Westfälischen Zentrum in Herten, ab 1990 schwer-

2007-09-20 10-06-17 --- Projekt: T799.diskursys.friedrich-hett.positives altern / Dokument: FAX ID 02fe158256672080|(S. 223-226) t04_03 autoren.p 158256674824

226 | Autorinnen und Autoren punktmäßig in der Tagesklinik für Gerontopsychiatrie und Psychotherapie Schlaunhaus. Ausbildung zur Anwendung des Pädagogischen Rollenspiels als übendes Gruppenverfahren (APR e.V.), seit 2003 Weiterbildung zur Systemischen Beraterin und Therapeutin (viisa Marburg). Tel.: E-Mail:

(0231) 47 82 38 [email protected]

2007-09-20 10-06-17 --- Projekt: T799.diskursys.friedrich-hett.positives altern / Dokument: FAX ID 02fe158256672080|(S. 223-226) t04_03 autoren.p 158256674824

DiskurSys – Ressourcen zur Beratungspraxis Klaus G. Deissler, Kenneth J. Gergen (Hg.) Die Wertschätzende Organisation

Klaus G. Deissler (Hg.) Familienunternehmen beraten Positionen und Praxisbeispiele

2004, 196 Seiten, kart., 18,80 €, ISBN 978-3-89942-223-8

2006, 150 Seiten, kart., 16,80 €, ISBN 978-3-89942-395-2

Die Akzentuierung des Positiven ist ein Grundsatz, der im geschäftlichen Alltag von Organisationen oft verloren geht. Wertschätzendes Organisieren liefert hier neben einem innovativen theoretischen Rahmen auch neue Praxisformen, die wachsende Effizienz-, Leistungs- und Qualitätsanforderungen erfüllen. Wertschätzendes Organisieren setzt dabei zwei zentrale Gedanken um: dass wir uns insbesondere für die Dinge engagieren, die uns etwas bedeuten und die wertvoll für uns sind, und dass diese Bedeutungen und Werte in Beziehungen hergestellt werden. Im Mittelpunkt dieses Bandes steht der prominente Text von Kenneth Gergen et al. »Die Wertschätzende Organisation« (Titel der US-amerikanischen Originalausgabe: »The Appreciative Organisation«), der hier erstmalig in deutscher Übersetzung vorliegt. Experten aus unterschiedlichen Berufsfeldern diskutieren die neue Konzeption und untersuchen ihre Praxistauglichkeit.

Familienunternehmen werden nach aktuellen Statistiken zu 50 Prozent und mehr von der nächsten Generation übernommen. Mit der öffentlichen Anerkennung des Erfolges von Mehrgenerationen-Familienunternehmen geht jedoch oft eine Entwertung von EingenerationenFamilienunternehmen einher. Damit wird bei fast der Hälfte aller Familienunternehmen ein Versagen insbesondere bei der Nachfolgeregelung impliziert. Für die Beratung von Familienunternehmen ist dieser Umstand bedeutsam. So stellt sich die Frage, ob erfolgreiche Familienunternehmen notwendigerweise über mehrere Generationen hinweg bestehen müssen, oder ob sie nicht auch von ihren Gründern als zeitlich begrenzte Unternehmen angelegt und mit Erfolg geführt werden können. Diese und andere beratungsrelevante Themen werden in dem vorliegenden Band mit Blick auf die Praxis kritisch und vielstimmig diskutiert. Inspiriert durch diese Fragestellungen werden neue Beratungspraktiken vorgestellt, die über verwandtschaftsorientierte Konzepte hinausgehen und punktuelle, ressourcenorientierte, effiziente und kostengünstige Beratungen ermöglichen.

Leseproben und weitere Informationen finden Sie unter: www.transcript-verlag.de

Systemisches Coaching Peter Szabó / Insoo Kim Berg

Kurz(zeit)coaching mit Langzeitwirkung Wirksames Coaching muss weder lang noch kompliziert sein. Die Wirksamkeit des Coaching zeigt sich schließlich einfach darin, dass die KundInnen ihre Ziele so rasch wie möglich erreichen und sie sich dabei selber weiter entwikkeln können. Genau dies zeigen Szabó und Berg in ihrem Buch auf. Sie geleiten die LeserIn Schritt für Schritt durch den Coaching-Prozess, beschreiben die einzelnen Phasen, zeigen auf, was es zu beachten gilt, demonstrieren an Fallbeispielen, wie es funktioniert und wie Kurz(zeit)coaching und Langzeitwirkung zusammengehen. Die Autoren sind erfahrene Coaches und ExpertInnen im lösungsorientierten Arbeiten. Dieses Buch ermöglicht einen Blick in ihre Werkstatt und zeigt zugleich, wie Sie als Coach Ihre eigenen Ressourcen und Kompetenzen lösungsorientiert nutzen können, um Ihren KlientInnen optimal hilfreich zu sein. 2006, 192 S., Format DIN A5, fester Einband ISBN 978-3-938187-29-6, Bestell-Nr. 9382, E 29,80

Jürgen Hargens (Hrsg.)

Werkstattbuch Systemisches Coaching Aus der Praxis für die Praxis Coaches gewähren einen Einblick in ihre Praxis. Sie beschreiben dabei nicht nur, was sie tun, sondern sie erläutern auch, warum sie gerade das tun, was sie tun. So erhalten die LeserInnen einen sehr direkten und unmittelbaren Blick in die systemische Werkstatt – indem sie den Coaches gleichsam über die Schulter schauen, dabei sein und sehen können, was, wie, aus welchen Überlegungen heraus und mit welchen Folgen geschieht. Die Autoren sind nicht nur erfahrene Coaches, sondern – und das macht dieses Buch so außergewöhnlich – sie arbeiten auch in unterschiedlichen Situationen und Kontexten. Dabei eint die Autoren nicht nur ein respektvolles Verständnis ihrer KundInnen und das Zutrauen in deren Kompetenzen und Ressourcen, sondern auch ihre systemisch-lösungsorientierte Grundüberzeugung, die sie in ihrer jeweils sehr individuell ausgeprägten Eigenart illustrieren. 2007, 160 S., Format DIN A5, fester Einband ISBN 978-3-938187-32-6, Bestell-Nr. 9384, E 25,50

BORGMANN MEDIA vml

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