Positionierungen: Pragmatische Perspektiven auf Literatur und Musik der Frühneuzeit [1 ed.] 9783737006231, 9783847106234

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Positionierungen: Pragmatische Perspektiven auf Literatur und Musik der Frühneuzeit [1 ed.]
 9783737006231, 9783847106234

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Schriften des Frühneuzeitzentrums Potsdam Herausgegeben von Iwan-Michelangelo D’Aprile, Cornelia Klettke, Andreas Köstler, Ralf Pröve, Stefanie Stockhorst und Dirk Wiemann

Band 4

Dirk Niefanger / Werner Wilhelm Schnabel (Hg.)

Positionierungen Pragmatische Perspektiven auf Literatur und Musik der Frühneuzeit

Mit 18 Abbildungen

V& R unipress

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet þber http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISSN 2198-5251 ISBN 978-3-7370-0623-1 (V& R eLibrary) Weitere Ausgaben und Online-Angebote sind erhÐltlich unter: www.v-r.de Gedruckt mit freundlicher Unterstþtzung der Friedrich Freiherr von Haller’schen Forschungsstiftung (Nþrnberg), der Luise Prell Stiftung (Erlangen) und des UniversitÐtsbundes Erlangen-Nþrnberg.  2017, V& R unipress GmbH, Robert-Bosch-Breite 6, D-37079 Gçttingen / www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich gesch þtzt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen FÐllen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Titelbild: Andreas Alciatus: Emblemata Cvm Commentariis Clavdii Minois I.C. Francisci Sanctii Brocensis, & Notis Lavrentii Pignorii Patavini […] Opera Et Vigiliis Ioannis Thvilii Mariaemontani Tirol. […]. Padua 1621, Nr. CLXXXIV: Insignia Poetarum (Erlangen, UB: 48 Trew L 149).

Epigramm zum Titelbild: Der Poeten wappen. Mit ruem fueren manch grosse hern Einn Adler, Lewen in irmm schilt, Etlich ein schlang, oder ein Bern, Oder sunst was grewlich vnd wild: Vil pas ziert die Poeten mild Der Schwan, in vnnserm land gemayn, Vor iarn ein kung, vnd noch ein bild Lieblichs gesang, vnd sitten rayn. Andreas Alciatus: Emblematum libellus, uigilanter recognitus, & iam recHns per Wolphgangum Hungerum Bauarum, rhythmis Germanicis uersus. Paris 1542, Nr. CVII: Insignia Po[tarum.

Inhalt

Dirk Niefanger / Werner Wilhelm Schnabel Positionierungen. Notwendiger Vorbericht zu einer pragmatischen Perspektive auf frühneuzeitliche Kultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Victoria Gutsche Faust und das ausgerissene Bein. Transformationen einer Faust-Episode

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Theodor Verweyen / Wolfgang Srb Auf den Spuren eines hessisch-mitteldeutschen Späthumanismus. Artus Vigelius und seine Epithalamien-Anthologie . . . . . . . . . . . .

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Werner Wilhelm Schnabel Kriegspanorama. Literarische Imaginationen und ihre Positionierungsfunktion am Beispiel nichtkanonisierter Literatur

. . . . 223

Dirk Niefanger Gryphius, Greflinger und Greiffenberg. Regionale und sozial differenzierende Autorinszenierungen in allographen Paratexten und Autorbildern des 17. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 Klaus Matthäus Die Utopie des Altdorfer Professors. »Der Kleinen Atlantis- oder Zweyten Neuen Welt-Kalender« von Johann Christoph Sturm . . . . . . . . . . . . 295 Ernst Rohmer Barocke Universalpoesie? Zur Plurimedialität von Wolf Helmhardt von Hohbergs Lust- und Artzney-Garten deß Königlichen Propheten Davids . 317

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Inhalt

Jörg Krämer Regionalität und Literatur. Novellistisches Erzählen bei Grimmelshausen und Christian Weise. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 Wolfgang Hirschmann Musikalische Stilregister in den Arien Johann Pachelbels . . . . . . . . . 353 Personenregister

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375

Dirk Niefanger / Werner Wilhelm Schnabel

Positionierungen. Notwendiger Vorbericht zu einer pragmatischen Perspektive auf frühneuzeitliche Kultur

Als Sigmund von Birken 1652 seiner »Geschichtsschrift« zum großen Nürnberger Friedensfest von 1650 einen »Nothwendigen Vorbericht an den Leser« voranstellte,1 verfolgte er damit weniger eine Rechtfertigung seines Werks als die Ausstellung der besonderen Qualität seines Buches, die es zu dieser Zeit und an diesem Ort zu präsentieren galt. Nicht zuletzt betonte er darin die pragmatische Dimension seiner Buchplatzierung im kulturellen Feld; die Friedensschrift hebe sich von den vielen zu gleicher Zeit erscheinenden Werken gerade deshalb in besonderer Weise ab, weil ihr Verfasser schon vorher in unterschiedlichen kulturellen Handlungen für den Frieden geworben und dafür öffentliche Anerkennung erfahren, ja sogar literarische Folgeaufträge erhalten habe. Ja ich meyne / ich sey in diesem Thun der ersten einer gewesen dazumal / als ich in öffentlicher Versammlung den Krieg und Frieden mit einer Teutschen Rede ausgebildete / vnd in Bildern redend machte. […] Nachgehends ward auch mir Unwürdigem / bey deme […] Fried= und Freudenmahl / die Erfind= und Aufführung etlicher Poetischen Aufzüge / auch anders / anbefohlen.2

Hinzu komme, dass er sich entschlossen habe, just zum Zeitpunkt des Friedensschlusses von seinem insgesamt dreijährigen Aufenthalt in Norddeutschland nach »Nürnberg (welche alt= adel= und löbliche Reichsstadt / billich Teutschlands Hertze genennet wird)« zurückzukehren, so dass er das große Friedensfest mit eigenen Augen habe wahrnehmen können.3 Herausgestrichen wird hier also nicht nur die Expertise des wohlerfahrenen und von den fürstlichen Auftraggebern geschätzten Autors, sondern auch seine unmittelbare Involvierung in die Bekräftigung und Zelebrierung des Friedens, dessen prakti1 Sigmund von Birken: Nothwendiger Vorbericht an den Leser. In: Ders.: Die Fried-erfreute Tevtonje. Eine Geschichtschrift […]. Nürnberg 1652, unpag. [Bl. 1]. Dazu vgl. Hartmut Laufhütte: Das Friedensfest in Nürnberg 1652. In: Klaus Bußmann / Heinz Schilling: Krieg und Frieden in Europa. Teilband II: Kunst und Kultur. Münster 1998, S. 347–357. 2 Birken, Nothwendiger Vorbericht, 1652 (wie Anm. 1), unpag. [Bl. 1]. 3 Birken, Nothwendiger Vorbericht, 1652 (wie Anm. 1), unpag. [Bl. 2].

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sche Umsetzung die Nürnberger Exekutionsverhandlungen geleistet hatten – schon damals wahrgenommen als Ereignis von welthistorischer Tragweite. Solche Handlungen der Einordnung ins kulturelle Feld, der Selbstdarstellung, ja Selbststilisierung, der Besetzung von Standpunkten und Standorten im diskursiven Raum nennen die Herausgeber des vorliegenden Sammelbandes Positionierungen. Sie beziehen sich nicht nur auf die »Inszenierung« des Autors als ›mediales Ereignis‹ – sie hat die neuere Forschung in erster Linie im Hinblick auf die Literatur seit dem Entstehen eines ›literarischen Marktes‹ im 18. Jahrhundert wiederholt thematisiert.4 Vielmehr erscheinen Positionierungen – weit über den Habitus des Autors und seine performativen Bemühungen hinaus – als zentrale Aspekte einer pragmatischen und praxeologischen Perspektive auch auf den frühneuzeitlichen Kulturbetrieb. Sie machen wesentliche Momente auch einzelner Werke, ihrer Entstehung, Konzeption, Gestaltung, Verortung und Wahrnehmung genauer verstehbar. In diesem Sinne versteht sich das Folgende als notwendiger Vorbericht an den Leser des vorliegenden Sammelbandes. In einer Literaturwissenschaft, die den Autor und seine Rolle als Inhaber der ›Werkherrschaft‹ nicht gänzlich negiert, werden selbstbezügliche Verlautbarungen und Sprachhandlungen, die in Paratexten und Werken beobachtbar sind, häufig mit psychologischen oder charakterologischen Kategorien bemessen. In Fällen wie dem eingangs zitierten wäre dann etwa von ›allzumenschlichen‹ Verhaltensweisen die Rede, möglicherweise auch von einer gewissen Eitelkeit oder gar vom Geltungsbedürfnis, die den Autor trotz seiner topischen Bescheidenheitsbekundung ausgezeichnet hätten. Äußerungen zum Status von Person und Werk werden also gewissermaßen als Selbstaussagen verstanden, in denen der Autor seine persönlichen Überzeugungen und Dispositionen unmittelbar oder zumindest verdeckt zum Ausdruck bringe. Nun ist ein solcher Rückschluss vom Text auf die Person des Urhebers nicht nur in methodischer Hinsicht problematisch; er verkennt auch den Umstand, dass Äußerungen wie die zitierte vielmehr als situationsbezogene, funktionale Standortbestimmungen verstanden werden können. Man könnte sie als soziale Praxis frühneuzeitlicher Literatur verstehen und ihr damit hermeneutisch wie typologisch beikommen. Sie wären dann eher als übliche soziale Verhaltensweisen zu bewerten, 4 Vgl. etwa Alexander Fischer : Posierende Poeten. Autorinszenierungen vom 18. bis zum 21. Jahrhundert. Heidelberg 2015 und Christoph Jürgensen / Gerhard Kaiser (Hg.): Schriftstellerische Inszenierungspraktiken. Typologie und Geschichte. Heidelberg 2011 (Beihefte zum Euphorion, 62). Ähnlich Gunter E. Grimm / Christian Schärf (Hg.): Schriftsteller-Inszenierungen. Bielefeld 2008. Ohne Fokus auf die Frühneuzeit auch Christine Künzel / Jörg Schönert (Hg.): Autorinszenierungen. Autorschaft und literarisches Werk im Kontext der Medien. Würzburg 2007, und in methodischer Hinsicht: Dirk Niefanger : Provokative Posen. Zur Autorinszenierung in der deutschen Popliteratur. In: Johannes Pankau (Hg.): Pop – Pop – Populär. Popliteratur und Jugendkultur. Oldenburg 2004, S. 85–101, 215–217.

Positionierungen

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im Interaktionsgefüge des Kulturbetriebes mittels eines ›Alleinstellungsmerkmals‹ für sich und seinen Text eine passende und respektable Position zu erringen und zu behaupten. Die Positionierung von Autor und Werk im angedeuteten Sinne gehört in der Frühneuzeit, insbesondere im 17. Jahrhundert, zum oft unterschätzten Alltagsgeschäft der Akteure. Das ist insbesondere deshalb von Bedeutung, weil die Mechanismen ökonomischer Gesetze im Kulturbetrieb vor 1750 noch nicht vollständig oder doch zumindest anders greifen.5 Kultureller Erfolg zeigt sich in der Frühneuzeit weniger im wirtschaftlichen Gewinn, der durch ein kulturelles Produkt erzeugt wird und den beteiligten Akteuren (Autoren, Verlegern, Druckern, Zwischenhändlern, Buchhändlern usw.) als Lebensgrundlage dienen würde. Ein Werk kann durchaus eine unmittelbare pekuniäre Rendite erbringen; zwingend ist dies zumindest für den Urheber aber keineswegs. Schließlich wird Autorschaft noch gemeinhin als Nebentätigkeit ohne unmittelbarem Nutzen für den Brotberuf deklariert; sie sei gewissermaßen ein Produkt der Mußestunden. Selbstbewusste Programme, etwa das von der gesamtgesellschaftlichen Nützlichkeit des Dichtertums und dem Anspruch auf entsprechende Honorierung, wie es Martin Opitz in seinem »Buch von der deutschen Poeterey« formuliert hat,6 wurden von den an Akzeptanz und Geltung interessierten Akteuren zwar gerne aufgenommen; sie blieben in der Regel aber eher Anspruch oder Utopie als tatsächlich wirksame Lebenspraxis. Das war natürlich auch den Literaten bewusst. Gleichwohl spielte die Autorschaft durchaus eine kulturelle Rendite ein. Sie lässt sich als symbolisches Kapital im Sinne Bourdieus beschreiben.7 Nicht allein durch das Werk selbst, sondern durch dessen geschickte Positionierung wurde in einem spezifischen Kontext eine erhöhte ›Aufmerksamkeit‹ generiert, die man als zentralen Mechanismus innerhalb des literarischen Feldes identifiziert hat.8 Ob diese »knappe Ressource ›Aufmerksamkeit‹« tatsächlich generell zu »permanente[n] Positionierungs- und Definitionskämpfe[n]«, ja »ästhetische[n] Distinktionsgefechte[n]« zwischen »Kombattanten« und Institutionen

5 Vgl. Siegfried J. Schmidt: Die Selbstorganisation des Sozialsystems Literatur im 18. Jahrhundert. Frankfurt/M. 1989, S. 9–76, 146–167, 280–432. 6 Martin Opitz: Buch von der Deutschen Poeterey. Studienausgabe. Hg. v. Herbert Jaumann. Stuttgart 2002, insbes. S. 14–22, 73–74. 7 Vgl. Pierre Bourdieu: Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft. Übers. v. Bernd Schibs und Achim Russer. Frankfurt/M. 1987, und vor allem: Pierre Bourdieu: Zur Soziologie der symbolischen Formen. Übers. v. Wolfgang Fietkau. Frankfurt/M. 1974. 8 Vgl. Georg Franck: Ökonomie der Aufmerksamkeit. Ein Entwurf. München, Wien 1998; Aleida Assmann / Jan Assmann (Hg.): Aufmerksamkeiten. Archäologie der literarischen Kommunikation. München 2001; Markus Joch / York-Gothard Mix / Norbert Christian Wolf (Hg.): Mediale Erregungen? Autonomie und Aufmerksamkeit im Literatur- und Kulturbetrieb der Gegenwart. Tübingen 2009.

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geführt hat,9 sei für die vormodernen Verhältnisse einmal dahingestellt. Immerhin spielte in einer Periode imitativen und aemulativen Dichtungsverständnisses gerade auch die Orientierung an mustergebenden Vorbildern und die Einfügung in institutionalisierte Zusammenhänge eine ungleich größere Rolle als in neuerer Zeit. Positionierungen vollziehen sich ja nicht nur in der Distanzierung von anderen Positionen, sondern auch in der Zugesellung und Eingliederung in Traditionen, Denkschulen oder Beziehungsnetze. Unbestreitbar ist aber der Umstand, dass sich solcher Aufmerksamkeitsgewinn nicht nur innerhalb des literarischen Feldes auszahlte und zur Einbeziehung in kulturelle Diskurse führte. Gerade in der Frühneuzeit konnte er sich in einem zweiten Schritt dann auch in einem Reputationsgewinn in sozialen Beziehungen und beruflichen Möglichkeiten, also in durchaus konkreten und ökonomisch relevanten Lebensbereichen niederschlagen. Zu denken ist dabei an ganz unterschiedliche Bezugsbereiche, die mit differenter Intensität Form, Intention und inhaltliche Schwerpunkte der einzelnen Positionierung bestimmten. So scheint etwa die Relation zum Ort der Positionierung, zur eigenen Passgenauigkeit für diesen Ort, zu anderen Akteuren und ihren Positionierungen relevant zu sein. Die unterschiedlichen Bezugsräume, in denen Positionierungen vorgenommen werden, können für die Frühneuzeit trotz zahlreicher und intensiver literatur- und kulturhistorischer Forschungen vorerst nur vage und vorläufig bestimmt werden. Ein systematischer Zugang hätte institutionelle, soziale, bildungsspezifische, weltanschauliche, politische und regionale Aspekte gleichermaßen zu berücksichtigen. Stichworte für aussagekräftige Kategorien und Untersuchungsbereiche wären etwa Res publica literaria / so genannte Volksliteratur bzw. Volkskultur,10 Institutionen / Anstalten,11 Gesellschaften / 9 So die konfliktuöse Metaphorik in der – wegen ihres systematischen Zugangs und der pragmatischen Ausweitung sehr hilfreichen – Einleitung von Christoph Jürgensen / Gerhard Kaiser: Schriftstellerische Inszenierungspraktiken – Heuristische Typologie und Genese. In: Jürgensen/Kaiser, Inszenierungspraktiken, 2011 (wie Anm. 4), S. 9–30, hier S. 9, 19. 10 Vgl. Wilhelm Kühlmann: Gelehrtenrepublik und Fürstenstaat. Entwicklung und Kritik des deutschen Späthumanismus in der Literatur des Barockzeitalters. Tübingen 1982 (Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur, 3); Gunter E. Grimm: Literatur und Gelehrtentum in Deutschland. Untersuchungen zum Wandel ihres Verhältnisses vom Humanismus bis zur Frühaufklärung. Tübingen 1983 (Studien zur deutschen Literatur, 75); Wolfgang Brückner / Peter Blickle / Dieter Breuer (Hg.): Literatur und Volk im 17. Jahrhundert. Probleme populärer Kultur in Deutschland. Wiesbaden 1985 (Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung, 13); Sebastian Neumeister / Conrad Wiedemann (Hg.): Res publica litteraria. Die Institutionen der Gelehrsamkeit in der frühen Neuzeit. 2 Bde. Wiesbaden 1987 (Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung, 14). 11 Vgl. etwa Walter Rüegg (Hg.): Geschichte der Universität in Europa. Bd. 2: Von der Reformation zur Französischen Revolution (1500–1800). München 1996; Hanns Christof Brennecke / Dirk Niefanger / Werner Wilhelm Schnabel (Hg.): Akademie und Universität Altdorf. Studien zur Hochschulgeschichte Nürnbergs. Köln u. a. 2011; Marian Füssel: Gelehrten-

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Sozietäten,12 Beziehungsnetze / Familie,13 Milieus / Stände,14 Höfe / Städte,15 Zentrum / Peripherie,16 Regionen / Landschaften,17 Konfessionen / Religio-

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kultur als symbolische Praxis. Rang, Ritual und Konflikt an der Universität der Frühen Neuzeit. Darmstadt 2006. Vgl. etwa Ingo Breuer: Literarische Sozietäten. In: Albert Meier (Hg.): Die Literatur des 17. Jahrhunderts. München 1999, S. 201–208; Dirk Niefanger / Werner Wilhelm Schnabel: Literarische Gruppenbildungen an der Universität Altdorf. In: Brennecke/Niefanger/ Schnabel (Hg.): Akademie und Universität Altdorf, 2011 (wie Anm. 11), S. 245–322; Klaus Conermann: Fruchtbringende Gesellschaft. Der Fruchtbringenden Gesellschaft geöffneter Erzschrein. Leipzig, Weinheim 1985. Vgl. etwa Markus Wriedt: Christliche Netzwerke in der Frühen Neuzeit. In: Europäische Geschichte Online (EGO), hg. vom Institut für Europäische Geschichte (IEG). Mainz 2011 (URL: http://www.ieg-ego.eu/wriedtm-2#011-de URN: urn:nbn:de:0159–2#011020180, eingesehen am 18. 11. 2014). Vgl. auch das Bamberger DFG-Projekt Märkte – Netzwerke – Räume. Wirtschaftsbeziehungen und Migrationsprozesse in der Frühen Neuzeit (1500–1800), das zwischen 2009 und 2014 gefördert wurde. Einen konkreten Fall familiärer Einbindung erläutert: Dirk Niefanger : Barockes Eheleben. Margaretha Magdalena und Sigmund von Birken in Briefen und Tagebüchern. In: Blätter für fränkische Familienkunde 35 (2012), S. 209–226. Vgl. etwa Dieter Breuer : Gibt es eine bürgerliche Literatur im Deutschland des 17. Jahrhunderts? In: Germanisch-Romanische Monatsschrift NF 30 (1980), S. 211–226; Jörn Leonhardt / Christian Wieland (Hg.): Was den Adel adelig macht. Adeliger Eigensinn in Recht, Politik und Ästhetik Europas (16.–20. Jahrhundert). Göttingen 2011; Werner Wilhelm Schnabel: Literatur oder Literaturen? Sondierungen im ›literarischen Untergrund‹ des 17. Jahrhunderts. In: Bayerisch-Ukrainischer Germanistenkongress in München / Kloster Banz. Die Germanistik um die Jahrtausendwende. 26.–30. April 2011. Lemberg (Lwiw) 2012, S. 134–141, und Marian Füssel / Thomas Weller (Hg.): Ordnung und Distinktion. Praktiken sozialer Repräsentation in der ständischen Gesellschaft. Münster 2005 (Schriftenreihe des Sonderforschungsbereichs 496, Bd. 8). Vgl. Erich Kleinschmidt: Stadt und Literatur in der Frühen Neuzeit. Voraussetzungen und Entfaltung im südwestdeutschen, elsässischen und schweizerischen Städteraum. Köln, Wien 1982 (Literatur und Leben, NF 22); Klaus Garber / Stefan Anders / Thomas Elsmann (Hg.): Stadt und Literatur im deutschen Sprachraum der Frühen Neuzeit. 2 Bde. Tübingen 1998 (Frühe Neuzeit, 39). Vgl. Wilhelm Kühlmann / Horst Langer (Hg.): Pommern in der Frühen Neuzeit. Literatur und Kultur in Stadt und Region. Tübingen 1994 (Frühe Neuzeit, 19); Werner Wilhelm Schnabel: Literatur und Region. Das frühneuzeitliche Franken als ›Literaturlandschaft‹? In: Werner K. Blessing / Dieter J. Weiß (Hg.): Franken – Vorstellung und Wirklichkeit in der Geschichte. Neustadt/A. 2003 (Franconia, Beihefte zum Jahrbuch für fränkische Landesforschung, 1), S. 221–241. Vgl. u. a. Günter Hess: Deutsche Nationalliteratur und oberdeutsche Provinz. Zu Geschichte und Grenzen eines Vorurteils. In: Jahrbuch für Volkskunde NF 8 (1985), S. 7–30; Norbert Mecklenburg: Literaturräume. Thesen zur regionalen Dimension deutscher Literaturgeschichte. In: Alois Wierlacher (Hg.): Das Fremde und das Eigene. Prolegomena zu einer interkulturellen Germanistik. München 1985 (Publikationen der Gesellschaft für interkulturelle Germanistik, 1), S. 197–211; Jakob Lehmann: Fränkischer Literaturbarock. Bamberg 1986; Hans-Peter Ecker : Region und Regionalismus. Bezugspunkte für Literatur oder Kategorien der Literaturwissenschaft? In: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 63 (1989), S. 295–314; Klaus Garber (Hg.): Nation und Literatur im Europa der Frühen Neuzeit. Akten des I. Internationalen Osnabrücker Kongresses zur

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nen18 usw. Die Vielfalt, ja Disparität der Zuordnungsbereiche bedingt die Komplexität der damit verbundenen Rollenmodelle, die wiederum die unmittelbaren Bezugspunkte für die entsprechenden Positionierungen darstellen. Dabei gilt es zu bedenken, dass oftmals von einem Autor zugleich unterschiedliche Rollen eingenommen und verschiedene Positionen bedient werden müssen. Positionierungen sind also wesentlich komplexer angelegt als das simple Einnehmen einer Autorrolle – die es im Singular ohnehin nie gegeben hat.19 Sie erweisen sich überdies selbst und in ihrer Hierarchie als verfügbar, kontext- und situationsabhängig und können im Laufe einer ›Autorenkarriere‹ durchaus auch geändert oder ausgetauscht werden. In ihrer Funktion gehen insofern auch die Autornamen über eine bloß ›klassifikatorische Funktion‹ weit hinaus.20 Sie markieren neben den literarischen Werken auch unterschiedliche und komplex vernetzte Positionen im kulturellen Feld und erinnern an soziale Praktiken, mit denen sich auch, aber eben nicht nur Reputation

Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit. Tübingen 1989; Dieter Breuer: Regionale Vielfalt und nationale Einheit. Zu einer Kontroverse des Barockzeitalters. In: Roswitha Jacobsen (Hg.): Weißenfels als Ort literarischer und künstlerischer Kultur im Barockzeitalter. Vorträge eines interdisziplinären Kolloquiums vom 1.–10. Oktober 1992 in Weißenfels, Sachsen/Anhalt. Amsterdam, Atlanta GA 1994 (Chloe, 18), S. 7–22; Detlef Ignasiak: Zum Problem der Regionalisierung in der Literaturgeschichtsschreibung. In: Ders. (Hg.): Beiträge zur Geschichte der Literatur in Thüringen. Rudolstadt, Jena 1995 (Palmbaum-Studien, 1), S. 7–13; Anselm Maler (Hg.): Literatur und Regionalität. Frankfurt/M. u. a. 1997 (Studien zur Neueren Literatur, 4); Dieter Breuer: Raumbildungen in der deutschen Literaturgeschichte der frühen Neuzeit als Folge der Konfessionalisierung. In: Zeitschrift für deutsche Philologie 117 (1998), Sonderheft: Regionale Sprachgeschichte, S. 180–191; Klaus Hermsdorf: Literaturzentren und literarische Regionen. In: Wolfgang Stellmacher (Hg.): Stätten deutscher Literatur. Studien zur literarischen Zentrenbildung 1750–1815. Frankfurt/M. u. a. 1998 (Literatur – Sprache – Region, 1), S. 11–30; Schnabel, Literatur und Region, 2003 (wie Anm. 16); Wilhelm Kühlmann / Walter E. Schäfer : Literatur im Elsaß von Fischart bis Moscherosch. Gesammelte Studien. Tübingen 2001; Dieter J. Weiß (Hg.): Barock in Franken. Dettelbach 2004; Wolfgang Adam / Siegrid Westphal (Hg.): Handbuch kultureller Zentren der Frühen Neuzeit. Städte und Residenzen im alten deutschen Sprachraum. 3 Bde. Berlin, Boston 2002. 18 Vgl. etwa Dieter Breuer: Die Auseinandersetzung mit dem oberdeutschen Literaturprogramm im 17. Jahrhundert. Zum Verhältnis von sprachlicher und gesellschaftlicher Programmatik. In: Archiv für Kulturgeschichte 53 (1971), S. 53–92; Dieter Breuer: Oberdeutsche Literatur 1565–1650. Deutsche Literaturgeschichte und Territorialgeschichte in frühabsolutistischer Zeit. München 1979 (Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte, Beiheft 11, Reihe B); Dieter Breuer u. a. (Hg.): Oberdeutsche Literatur im Zeitalter des Barock. München 1984; Barbara Bauer : Jesuitische ›ars rhetorica‹ im Zeitalter der Glaubenskämpfe. Frankfurt/M. 1986. 19 Vgl. – allerdings wieder nur mit Beispielen ab dem 18. Jahrhundert – Gunter E. Grimm (Hg.): Metamorphosen des Dichters. Das Selbstverständnis deutscher Schriftsteller von der Aufklärung bis zur Gegenwart. Frankfurt/M. 1992. 20 Vgl. Michel Foucault: Was ist ein Autor? In: Ders.: Schriften zur Literatur. Frankfurt/M. 2003, S. 234–270, hier S. 244.

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im literarischen Diskurs erwerben und eine Auratisierung der Autorpersönlichkeit und seiner Werke vorantreiben lässt. Positionierungen mithilfe kultureller Produkte kann man – das soll dieser Sammelband an einigen Exempeln zeigen – quellennah und unter verschiedenen Perspektivierungen erforschen. Das gilt auch dann, wenn ihr Erfolg in der Frühneuzeit nicht unbedingt wie heute über Distributionszahlen, Zitationen und Bestenlisten gewissermaßen statistisch zu berechnen und auszuwerfen ist. Die hier präsentierten Studien folgen, mit jeweils unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen und Akzentuierungen, Konzepten einer kulturwissenschaftlichen Pragmatik und (kultursoziologischen) Praxeologie.21 Anhand unterschiedlicher Fallbeispiele möchten sie zeigen, dass Werke der Literatur und Musik in konkreten lebensweltlichen oder diskursiven Kontexten verortet werden, die durchaus zielbewusst der Standortbestimmung von Autor und Werk dienen. Ein solcher Blickwinkel lässt nicht nur die Entstehensbedingungen der Artefakte transparenter werden, sondern kann oft ebenso und gelegentlich auch mehr zum Verständnis der künstlerischen Produkte beitragen als rein ästhetische Oberflächenphänomene. Komplexer wird dieser Sachverhalt dadurch, dass Positionierungen auch durch Dritte vorgenommen werden können (etwa einen Herausgeber oder Verleger) und auktoriale und allographe Standortbestimmungen nebeneinander – sich gegenseitig stützend oder auch konkurrierend – wirksam werden können. Überdies setzt die richtige Wahrnehmung einer Positionierung einen Leser voraus, der an den einschlägigen Diskursen teilhat, um sie auch verstehen zu können. Produktionsästhetische, wirkungsästhetische und rezeptionsästhetische Blickwinkel sind also gleichermaßen von Belang, um nicht nur die Bezugshorizonte und die Machart, sondern auch die Wirksamkeit von Positionierungen beurteilen zu können. In jedem Fall vermitteln sie zwischen Autor, Artefakt und Kontexten ganz unterschiedlicher Art und lassen sich recht konkret an die Empirie anbinden. Was aber sind nun mögliche Indikatoren von Positionierungen? Augenfällig und oft auch quantifizierbar sind etwa buchwissenschaftliche Kategorien, die kulturelle ›Erfolge‹ mit Hilfe von Auflagenzahlen oder der Präsenz in bestimmten Bibliotheken messen.22 Allerdings sind solche Daten in der Regel erst 21 Vgl. Pierre Bourdieu: Esquisse d’une th8orie de la pratique, pr8c8d8 de trois 8tudes d’ethnologie kabyle. Paris 1972 (dt.: Entwurf einer Theorie der Praxis. Auf der ethnologischen Grundlage der kabylischen Gesellschaft. 2. Aufl. Frankfurt/M. 2009); neuerdings Marian Füssel: Praktiken historisieren. Geschichtswissenschaft und Praxistheorie im Dialog. In: Franka Schäfer / Anna Daniel / Frank Hillebrandt (Hg.): Methoden einer Soziologie der Praxis. Bielefeld 2015, S. 267–288. 22 Vgl. exemplarisch: Jill Bepler u. a. (Hg.): Barocke Sammellust. Die Bibliothek und Kunstkammer des Herzogs Ferdinand Albrecht zu Braunschweig Lüneburg (1636–1687). Wolfenbüttel 1988; Klaus Garber : Schatzhäuser des Geistes. Alte Bibliotheken und Bücher-

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ex post zusammenzustellen und können durch den Geschmackswandel (Kassierung bestimmter Bibliotheksbestände, Einstampfen von Buchauflagen durch Verlage etc.) oder historische Ereignisse (Kriege, Unglücke, Umweltkatastrophen etc.) verfälscht werden. Schon rezent als Werbeaussagen genutzt wurden hingegen die vielfachen Gestaltungsmöglichkeiten der Medien selbst. Dürften Gesichtspunkte wie Verlag, Buchformat und Buchausstattung, Papierqualität und Sorgfalt des Drucks im wesentlichen allograph bedingt sein, so haben auch die Autoren ihre Publikationen in unterschiedlicher Weise zur Positionierung genutzt. Besondere Bedeutung als Quelle kommt etwa der paratextuellen Ausstattung der Bücher zu,23 die vielfältige Auswertungsmöglichkeiten verspricht. Besondere Beachtung verdienen beispielsweise Dedikationen, die die Verbindung zu (potentiellen) Mäzenen oder einem exquisiten Rezipientenkreis öffentlich machen und zugleich Aussagen über die Standortbestimmung des eigenen Werkes ermöglichen;24 andere Arten der Selbstzuordnung basieren auf dem Brauch des gegenseitigen Bedichtens, der durch die Publikation nicht minder publik gemacht wird,25 aber auch nur in halböffentlicher Form für einen von vornherein begrenzten Rezipientenkreis zugänglich sein kann.26 In den Buchbegleitgedichten werden in erster Linie prominente Leser dokumentiert,

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sammlungen im Baltikum. Köln u. a. 2007; Klaus Garber (Hg.): Handbuch des personalen Gelegenheitsschrifttums in europäischen Bibliotheken und Archiven. Hildesheim 2001ff. Vgl. G8rard Genette: Paratexte. Das Buch vom Beiwerk des Buches. Übers. v. Dieter Hornig. Frankfurt/M. 2001; Frieder v. Ammon / Herfried Vögel (Hg.): Die Pluralisierung des Paratextes in der Frühen Neuzeit. Theorie, Formen, Funktionen. Berlin 2008. Vgl. etwa das relativ häufig diskutierte Mäzenatentum im Bereich der bildenden Kunst: Ulrich Oevermann: Die Kunst der Mächtigen und die Macht der Kunst. Untersuchungen zu Mäzenatentum und Kunstpatronage. Berlin 2007; Bernd Wagner : Fürstenhof und Bürgergesellschaft. Zur Entstehung, Entwicklung und Legitimation von Kulturpolitik. Essen 2009; Hans-Joachim Giersberg u. a. (Hg.): Der Große Kurfürst. Sammler, Bauherr, Mäzen. Kurfürst Friedrich Wilhelm 1620–1688. Potsdam 1988; methodisch in Bezug auf die Literatur vgl. Joachim Bumke: Mäzene im Mittelalter. Die Gönner und Auftraggeber der höfischen Literatur in Deutschland 1150–1300. München 1979. Vgl. etwa Karl Schottenloher : Die Widmungsvorrede im Buch des 16. Jahrhunderts (Reformationsgeschichtliche Studien und Texte, 76/77). Münster 1953; Wolfgang Leiner : Der Widmungsbrief in der französischen Literatur (1580–1715). Heidelberg 1965; Arnold Rothe: Wandlungen des Widmungsrituals. In: Wilfried Floeck / Dieter Steland / Horst Turk (Hg.): Formen innerliterarischer Rezeption (Wolfenbütteler Forschungen, 34). Wiesbaden 1987, S. 7–20; Werner Wilhelm Schnabel: Über das Dedizieren von Emblemen. Binnenzueignungen in Emblematiken des 16. und 17. Jahrhunderts. In: Ferdinand van Ingen / Christian Juranek (Hg.): Ars et Amicitia. Beiträge zum Thema Freundschaft in Geschichte, Kunst und Literatur. Festschrift für Martin Bircher zum 60. Geburtstag am 3. Juni 1998. Amsterdam, Atlanta GA 1998 (Chloe, Beihefte zum Daphnis, 28), S. 115–166; Garber, Handbuch des Gelegenheitsschrifttums, 2001ff. (wie Anm. 22). Werner Wilhelm Schnabel: Das Stammbuch. Konstitution und Geschichte einer textsortenbezogenen Sammelform bis ins erste Drittel des 18. Jahrhunderts. Tübingen 2003 (Frühe Neuzeit, 78).

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die die außerordentliche Bedeutung des Autors nicht weniger als die des Werks zu preisen wissen, noch ehe dieses auf den Buchmarkt entlassen wird; in späterer Zeit zeigen Pränumeranten- und Subskriptionslisten – oft mit detaillierten Angaben zum sozialen Status – auf, welche Persönlichkeiten dem Autor schon vor der Drucklegung seines Werks Vertrauen und Wertschätzung entgegengebracht haben. Dass hierbei auch der gegenseitige Tausch von sozialer Anerkennung und anderweitiger repräsentativer Verpflichtungen eine Rolle spielen kann, versteht sich fast von selbst. Auch die enger mit den Haupttexten verbundenen Paratexte eignen sich in vielfacher Hinsicht zur Positionsbestimmung des Verfassers und seiner Schöpfung. Vorreden führen aus, in welchen Traditionen27 sich der Autor sieht;28 sie dienen nicht zuletzt der Auseinandersetzung mit konkurrierenden Positionen und der aktiven Eingliederung in Schulen, die den eigenen Überzeugungen nahekommen oder für die eigene dichterische Produktion als relevant erachtet werden. Literaturverzeichnisse (und gegebenenfalls Marginalien) belegen, auf welche vor- und gleichzeitigen Gewährsleute man sich beruft und welche denkgeschichtlichen Kontexte man damit aufruft. Auch intertextuelle bzw. intermediale Bezüge verdienen ein besonderes Augenmerk.29 Denn sie vernetzen das positionierte Werk (und dessen Autor), machen Unterschiede, Zustimmungen und Traditionen sichtbar. Unabhängig vom Werk selbst und dessen medialer Gestalt kann sich die öffentlichkeitsorientierte Positionierungen des Autors aber auch anderer Verfahren bedienen. Da spezifisch ausgebildete Agenten, Marketingfachleute oder neue Medien (Internet, Facebook usw.) in der Frühneuzeit noch fehlen, müssen komplexe persönliche Vernetzungen über weitläufige Korrespondenzen und nicht selten streng ritualisierte Besuche mühsam initiiert und geduldig gepflegt werden.30 Beispiele hierfür finden sich allenthalben; ein willkürlich ausgewähltes Briefzitat von Johann Rist an den Präses des Pegnesischen Blumenor27 Im Sinne von Wilfried Barner (Hg.): Tradition, Norm, Innovation. Soziales und literarisches Traditionsverhalten in der Frühzeit der deutschen Aufklärung. München 1989 und Wilfried Barner : Über das Negieren von Tradition. Zur Typologie literaturprogrammatischer Epochenwenden in Deutschland. In: Reinhart Koselleck / Reinhart Herzog (Hg.): Epochenschwelle und Epochenbewußtsein. Poetik und Hermeneutik XII. München 1987, S. 3–51. Vgl. auch die knappe Begriffsbestimmung bei: Dirk Niefanger : Traditionsverhalten. In: Ansgar Nünning (Hg.): Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie. Ansätze – Personen – Grundbegriffe. 2. erw. Aufl. Stuttgart, Weimar 2001, S. 642. 28 Vgl. Bärbel Schwitzgebel: Noch nicht genug der Vorrede. Zur Vorrede volkssprachiger Sammlungen von Exempeln, Fabeln, Sprichwörtern und Schwänken des 16. Jahrhunderts. Tübingen 1996 (Frühe Neuzeit, 28). 29 Vgl. Wilhelm Kühlmann / Wolfgang Neuber (Hg.): Intertextualität in der Frühen Neuzeit. Studien zu ihren theoretischen und praktischen Perspektiven. Frankfurt/M. 1994. 30 Vgl. jüngst Rosmarie Zeller (Hg.): Gelehrten-Netzwerke im 17. Jahrhundert. Akten der 22. Tagung der Christian Knorr von Rosenroth-Gesellschaft. In: Morgen-Glantz 23 (2013), S. 7–306.

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dens, Sigmund von Birken, mag dies hier dennoch anschaulich verdeutlichen: Rist fragt in seinem Schreiben vom 19. Dezember 1665 an, ob Birken »Sich wollte beliben lassen, unter Seinem hochberühmten Namen, etliche zeilen aufzusetzen, […] damit Selbige, als Ein ohnfehlbahres zeugnisse unserer alten, herzlichen Vertrauligkeit […] besagtem Meinem werke müge fürgedrukket werden.« Rist erklärt sich im nächsten Satz des Schreibens natürlich bereit, »meinem Herren einige angenehme dienste hin wider [zu] erweisen«.31 Verstöße gegen diesen selbstverständlichen Comment werden hingegen als ernste Zurückweisungen verstanden, die nicht nur halböffentlich gemacht werden, sondern auch zu einer Lockerung der gemeinsamen Beziehungen führen können.32 In solchen über frühneuzeitliche Quellen konkret fassbaren Netzwerken33 manifestieren sich Positionierungen, die nicht unwesentlich zur Semiose von literarischen Texten, Gemälden und Musikstücken beitragen. Die Besetzung bestimmter Orte im kulturellen Feld und die intendierten und dann womöglich daraus resultierenden Vernetzungen (und notfalls auch ›Entnetzungen‹) machen frühneuzeitliche Kunstwerke in mancher Hinsicht überhaupt erst zugänglich. Die hier vorgelegten Untersuchungen zu auktorialen Positionierungen möchten den alten emphatischen Autorbegriff der Literatur- und Musikwissenschaft keineswegs rehabilitieren. Sie suchen vielmehr die neuere kulturwissenschaftliche Autordiskussion34 für die Frühneuzeitforschung in exemplarischer Weise fruchtbar zu machen. Dabei leugnen sie weder ihre je eigene philologische Fundierung noch ihre Ansicht, dass Autorschaft als Instanz zumindest in der Frühneuzeit nicht wegzudenken ist. Freilich sehen sie den Autor nicht mehr als erratische Schöpferpersönlichkeit, die sich in ihren Dichtungen erhebt, selbst ausschreibt oder verwirklicht, sondern fassen ihn als möglichst nüchtern zu bestimmenden Akteur in einem Literatursystem, das 31 Sigmund von Birken: Werke und Korrespondenzen. Hg. v. Klaus Garber, Ferdinand von Ingen, Hartmut Laufhütte, Johann Anselm Steiger. Bd. 9/1, hg. v. Hartmut Laufhütte / Ralf Schuster. Tübingen 2007, S. 61. 32 Vgl. etwa das Beispiel bei Alexander Reifferscheid (Hg.): Briefe G. M. Lingelsheims, M. Berneggers und ihrer Freunde. Heilbronn 1889 (Quellen zur Geschichte des geistigen Lebens in Deutschland während des siebzehnten Jahrhunderts, 1), S. 126 (Nr. 95). 33 Vgl. Christian Stegbauer (Hg.): Netzwerkanalyse und Netzwerktheorie. Ein neues Paradigma in den Sozialwissenschaften. Wiesbaden 2008. 34 Zur jüngeren Diskussion von Autorschaft vgl. u. a. Fotis Jannidis u. a. (Hg.): Rückkehr des Autors. Zur Erneuerung eines umstrittenen Begriffs. Tübingen 1999; Fotis Jannidis u. a. (Hg.): Texte zur Theorie der Autorschaft. Stuttgart 2000; Susi Frank / Renate Lachmann u. a. (Hg.): Mystifikation – Autorschaft – Original. Tübingen 2001; Heinrich Detering (Hg.): Autorschaft. Positionen und Revisionen. DFG-Symposion 2001. Stuttgart, Weimar 2002; Christine Künzel / Jörg Schönert (Hg.): Autorinszenierungen. Autorschaft und literarisches Werk im Kontext der Medien. Würzburg 2007; Gunter E. Grimm / Christian Schärf (Hg.): Schriftsteller-Inszenierungen. Bielefeld 2008; Jürgensen/Kaiser, Schriftstellerische Inszenierungspraktiken, 2011 (wie Anm. 4).

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ständigen Wandlungen unterworfen ist; hier ist der Autor in vielfältige und komplexe soziale Praktiken eingebunden und abhängig etwa von regionalen, ständischen und konfessionellen Dispositiven, die nicht unwesentlich seine Kommunikation bestimmen.35 Diese gilt es wenigstens ansatzweise zu verstehen, ehe man über den frühneuzeitlichen Dichter und seine Dichtungen philosophieren kann. Deshalb streben die Beiträge dieses Bandes exemplarisch eine Verbindung zweier Grundlinien kulturgeschichtlicher Befassung mit dem Autor an. Sie suchen ihn als Instanz ästhetischer Handlungen zu begreifen, die in Texten und Musikstücken mehr oder minder sichtbar ist. Und sie verstehen ihn als Handelnden im kulturellen Feld,36 dem bestimmte Strategien, Inszenierungsakte, Habitualisierungen und situativ bedingte Reaktionen zuzuschreiben sind. Diese zielen abhängig von der unterschiedlichen Intensität und Wirkungsmacht der Positionierung auf das aktuelle kulturelle Leben und/oder die längerfristige Traditionsbildung und Überlieferung. Zwar folgen nicht alle Beiträge ausdrücklich den Theorien Bourdieus; sein Feldbegriff soll hier aber stellvertretend und im Hinblick auf vergleichbare Anschlussforschung einen Zugang markieren, der mit dem Stichwort ›Positionierungen‹ einen dezidiert sozialgeschichtlichen Ansatz in der Frühneuzeitforschung erprobt. Der ›Positionierung‹ des Autors widmet Bourdieu ein eigenes Kapitel seines literatursoziologischen Standardwerks Les rHgles de l’art (1992, dt. 1999).37 Hier unterscheidet er zwischen Positionen und Positionierungen. Erstere bezeichnen Orte im kulturellen Feld, die eine adäquate Positionierung zulassen oder erfordern. Jede vollzogene Positionierung gestaltet den Ort der Positionierung freilich auch um. Dabei ist entscheidend, was der Akteur mitbringt, seine »Disposition«,38 und welche Variationen die Position erlaubt.

35 Hier wäre an unterschiedliche Grade der Sozialdisziplinierung in der Frühneuzeit zu erinnern: vgl. Heinz Schilling: »Disziplinierung oder ›Selbstregulierung der Untertanen‹«? Ein Plädoyer für die Doppelperspektive von Makro- und Mikrohistorie bei der Erforschung der frühmodernen Kirchenzucht. In: Historische Zeitschrift 264 (1997), S. 675–691; Markus Meumann / Ralf Pröve: Die Faszination des Staates und die historische Praxis. In: Dies. (Hg.): Herrschaft in der Frühen Neuzeit. Umrisse eines dynamisch-kommunikativen Prozesses. Münster u. a. 2004, S. 11–49; in größerem Zusammenhang: Georg Schmidt: Geschichte des Alten Reiches. Staat und Nation in der Frühen Neuzeit. 1495–1806. München 1999 sowie Ronald G[regor] Asch / Heinz Duchhardt (Hg.): Der Absolutismus – ein Mythos? Strukturwandel monarchischer Herrschaft. Köln u. a. 1996. 36 Der Begriff des ›kulturellen Feldes‹ orientiert sich an Pierre Bourdieu: Die Regeln der Kunst. Genese und Struktur des literarischen Feldes. Übers. v. Bernd Schwibs / Achim Russer. Frankfurt/M. 2001. 37 Bourdieu, Regeln der Kunst, 2001 (wie Anm. 36), S. 365–371, das Zitat auf S. 365. 38 Bourdieu, Regeln der Kunst, 2001 (wie Anm. 36), S. 365.

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Natürlich verändern Positionierungen auch die Akteure: Bourdieu spricht davon, dass zu beachten sei, »was sie über ihre Inhaber verhängen«.39 Den unterschiedlichen Positionen (die sich innerhalb eines so wenig institutionalisierten Feldes wie des literarischen oder künstlerischen nur über Eigenschaften der Inhaber erfassen lassen) entsprechen homologe Positionierungen: literarische oder künstlerische Werke selbstverständlich, aber auch politische Handlungen und Reden, Manifeste oder polemische Schriften usw. – was dazu zwingt, die Alternative zwischen der immanenten Lektüre von Werken und ihre Erklärung durch die gesellschaftlichen Voraussetzungen ihrer Produktion und Konsumtion zurückzuweisen.40

Deshalb ist – gerade in der Frühneuzeit – die ästhetische Äußerung als Positionierung und ihre Prägung durch vielfältige Kontexte interaktiv zu denken. Die Übernahme der Präsidentschaft des Pegnesischen Blumenordens erscheint zum Beispiel nicht nur als ›Machtgewinn‹ Sigmund von Birkens, sondern verlangt auch Anpassungen an das neue Amt, die andere Positionierungen in ihren Modalitäten wieder maßgeblich verändern. Unter Umständen müssen etwa ›politische‹ oder konfessionelle Rücksichten genommen werden, die zuvor nicht nötig waren; möglicherweise sind Casualgedichte zu verfassen, denen sich das einfache Mitglied des Blumenordens noch entziehen konnte. Autoren sind bei ihren Positionierungen also nicht allein damit beschäftigt, ein bestimmtes Image von sich zu entwerfen oder für ihre Produkte zu werben, sondern sie nutzen sie auch, um innerhalb des kulturellen Feldes (und darüber hinaus) einen bestimmten Status zu erlangen und als Vertreter bestimmter Überzeugungen wahrgenommen zu werden. Eine Positionierung kann insofern erst einmal als intentionaler Vorgang verstanden werden, auch wenn er unter Umständen unkalkulierbare, ja ungewollte Effekte auslösen und den Aktanten in seinen Überzeugungen verändern kann. Wirkliche Überzeugungen des Autors und Aussagen, die der jeweils eingenommenen Position, einer Wirkungsabsicht, einem Missverständnis oder dem Zufall geschuldet sind, können dabei nicht immer sachgerecht unterschieden werden. Positionierungen können unterschiedliche Funktionen erfüllen: Sie dienen der Eingliederung in eine hierarchische Ungleichheitsordnung, in der jeder Akteur seinen Platz erringen und behaupten muss. Sie erleichtern die Verortung im Hinblick auf Zuständigkeiten, Produktionsnischen, Arbeitsbereiche oder Pflichten. Sie tragen generell zur Aufmerksamkeit, dann auch zum Wiedererkennen, Erinnern, letztlich also zur Wahrnehmung und Individualisierung des Akteurs innerhalb unterschiedlicher Bezugssysteme bei. Sie dienen damit dezidiert der (zukünftigen) Netzwerkbildung. Insofern kann eine Positionierung nicht nur Interesse wecken, sondern auch zu größerem Erfolg innerhalb des 39 Bourdieu, Regeln der Kunst, 2001 (wie Anm. 36), S. 365. 40 Bourdieu, Regeln der Kunst, 2001 (wie Anm. 36), S. 365f.

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kulturellen Feldes und darüber hinaus führen; freilich ist auch das Gegenteil denkbar, wenn sich die eingenommene Position als nicht zukunftsfähig erweist oder in einem bestimmten Kommunikationsraum marginalisiert wird. Ein überzeitlich geltendes und von Bezugsgrößen freies Verständnis von Autorschaft kann es unseres Erachtens nicht geben. Ja, man muss stets von einer Mehrzahl von Autorrollen ausgehen, die zur Auswahl stehen und die jeweils (mit entsprechenden Intra- und Interrollen-Konflikten) angenommen und mehr oder minder individuell geprägt werden können. Eine Positionierung in diesem Sinne bezeichnet die Summe der unterschiedlichen intentionalen Handlungen und unbewussten Verhaltensweisen, Statements und vertretenen Kulturkonzepte, die den Autor für andere Akteure des kulturellen Feldes als Ursprung oder Objekt von Veränderungen sichtbar machen. Man könnte hier – auch in der Frühneuzeit – in gewissem Sinne von einer ›Marke‹ oder einem ›Label‹ sprechen.41 So verstandene Positionierungen gehen über die gängigen Autorrollen (Poet, Erzähler, Sänger, vates, poeta doctus usw.) hinaus und dienen letztlich einer Individualisierung des historischen Autors, die ihn in der Wahrnehmung durch andere besser konturiert und gegebenenfalls unverwechselbar macht; Authentizität ist allerdings keine geeignete Kategorie, um diese Rollenwahl und Rollenerfüllung zu charakterisieren. Auf der einen Seite schließt sich der Akteur an bestimmte Zusammenhänge (Gruppen, Schulen, Traditionen, Überzeugungen, Institutionen usw.) an, auf der anderen Seite macht er sich durch eine individuierende Positionierung in einer historisch und regional verortbaren Konstellation unverwechselbar. Die Positionierung ist immer abhängig von den lebensweltlichen Sphären und Erfahrungsbereichen, in denen sich das historische Individuum bewegt hat, ohne dass diese je vollständig rekonstruierbar wären. Zu bedenken ist dabei, dass die persönliche Erfahrung in der Frühen Neuzeit – auch wenn sie »meist mit Leid, Schmerz und Schäden verbunden« ist – grundsätzlich höher eingeschätzt wird als der Transfer historischer Erfahrung.42 Dies mag an der Skepsis, die man gegenüber der Kontingenz überlieferten Wissens hatte, und an den gegenüber heute objektiv schlechteren Archivierungsmöglichkeiten liegen. Im Alltag rangiert jedenfalls »die unmittelbare Umgangserfahrung«, also das Wissen, das man selbst oder über konkrete soziale Kontakte erfährt, »weit über« den »indirekt vermittelten Erfahrungsmöglichkeiten«.43 Diese erkenntnistheoretische Vorstellung gilt offenbar trotz der prinzipiellen Hochschätzung gelehrten Wis41 Zur Diskussion solcher Zuschreibungen vgl. Dirk Niefanger : Der Autor und sein Label. Überlegungen zur fonction classificatoire Foucaults (mit Fallstudien zu Langbehn und Kracauer). In: Detering, Autorschaft, 2002 (wie Anm. 34), S. 521–539. 42 Paul Münch: Schule des Augenmaßes? Zur Problematik historischer Erfahrung. In: Essener Unikate 16 (2011), S. 30–41, das Zitat auf S. 35. 43 Münch, Schule des Augenmaßes, 2011 (wie Anm. 42), S. 35.

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sens. Aus frühneuzeitlicher Sicht spielt insofern die persönliche Erfahrung des Autors für seine eigene Positionierung im kulturellen Feld eine herausragende Rolle, auch wenn seiner Originalität oder Inspiriertheit vergleichsweise wenig Bedeutung zukommt. Schon deshalb sollte man nicht davor zurückschrecken die lebensweltliche Erfahrung, die einer Positionierung zugrunde liegt, soweit es eben geht zu rekonstruieren – zumindest dann, wenn man kulturelle Zeugnisse besser und das heißt sachgerechter begreifen will. Die einzelnen Beiträge suchen Positionierungen im kulturellen Feld über ihre sozialen, diskursiven und performativen Handlungsoptionen zu erfassen. Bewusst haben die Herausgeber des Sammelbandes deshalb die Beschreibung differenter Positionierungsverfahren zugelassen oder gar dazu ermuntert. So konnte in den Fallstudien ein vielfältiges Bild unterschiedlicher Positionierungspraktiken in der Frühneuzeit entstehen. Sie orientieren sich – anders als etwa der Versuch einer heuristischen Typologie von Jürgensen und Kaiser44 – nicht primär an der ›lokalen‹ und der ›habituellen Dimension‹ von Inszenierungspraktiken (also an den Fragen: wo sind sie überliefert und wie sind sie beschaffen?), obwohl diese Aspekte ohne Zweifel wichtige Kriterien für eine genauere Analyse darstellen. Vielmehr gehen wir zunächst von den Referenzbereichen aus, auf die sich die Positionierungen beziehen und innerhalb derer sie wirksam werden. Das wird den spezifischen Bedingungen frühneuzeitlicher Kultur und der Quellensituation bei weit zurückliegenden Zeugnissen unseres Erachtens eher gerecht. Überdies ermöglicht es eine unmittelbarere Anbindung an inhaltliche Fragestellungen, die für die Positionierung in einer ›vorautonomen‹ Kultur ja von ausschlaggebender Bedeutung sind. Das Interesse gilt zunächst Spielarten und Verfahrensweisen sozialer Positionierung. Mit dem Anschluss an bestimmte Personen, Personengruppen, Schulen, Schichten oder Milieus, mit der Zugesellung zu oder Abgrenzung von ihnen legt der Akteur nicht etwa primär private Präferenzen offen. Vielmehr verweist er öffentlichkeitswirksam auf seine personalen Vernetzungen, die über persönliche Abhängigkeitsverhältnisse und Beziehungsstrukturen wie Schüler-, Patronage- oder Klientelstatus hinaus kalkulierte Rückschlüsse auf den jeweiligen Standort der Person beziehungsweise ihrer Schöpfungen zulassen. Die dokumentierte, ausdrücklich markierte und publik gemachte Kontaktpflege erweist sich also über die personalen Beziehungen hinaus als ein Mittel der Positionierung im sozialen und kulturellen Feld. Theodor Verweyen und Wolfgang Srb zeigen sehr detailliert, in welcher Weise ein humanistisches ›Freundschafts-‹ und Beziehungsnetzwerk geschaffen und – mindestens ebenso wichtig – mit dem Mittel der Dedikation nach außen hin 44 Jürgensen/Kaiser, Heuristische Typologie, 2011 (wie Anm. 9), S. 11–14.

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dokumentiert wird. In Augenschein genommen wird dabei zunächst ein Beispiel, das für charakteristische Handlungsweisen im literarischen Betrieb des 17. Jahrhunderts steht. Anhand eines Glückwunschgedichts von Julius Wilhelm Zincgref wird gezeigt, mit welchen Verfahren ein damals noch junger, aber bereits ausgewiesener Autor den Anschluss an adelige Führungsschichten suchte, indem er die Hochzeit eines Grafenpaares in einem Epithalamium literarisch verewigte. Die soziale Orientierung nach oben, die Einhaltung der Regeln, die das literarische Aptum für derlei soziale Konstellationen vorsah, die Wahl des Lateinischen als Zugehörigkeitsausweis zum humanistischen Gelehrtenmilieu werden als genau kalkulierte Techniken vorgestellt, die nicht nur der Schaffung oder Aufrechterhaltung eines sozialen Kontaktes, sondern zugleich der Selbstdarstellung des Verfassers dienen. Dieser dokumentiert sich als Angehöriger der internationalen respublica litteraria, die sich auf das gemeinsame kulturelle Erbe des Humanismus berief und dessen Regeln auch über die Konfessionsgrenzen hinweg als einigendes Band empfand. Im Zuge der Aufnahme in eine bislang kaum beachtete neulateinische Anthologie wird dieser Text dann von Artus Vigelius in einen sekundären Überlieferungszusammenhang und damit in veränderte Kontexte gestellt. Er dient nun als Beispiel der Vernetzung innerhalb eines dezidiert protestantischen Milieus (unterschiedlicher Ausprägungen), das bei der Auswahl der Gedichte und Autoren bevorzugt berücksichtigt wird. Die Publikationsform der Anthologie zeigt sich hier nicht nur als ›Verschränkungszone von Literarischem und Gesellschaftlichem‹, sondern dient auch einer eigenständigen Funktionalisierung des aufgenommenen Textes, die den Absichten des ursprünglichen Autors nicht zwangsläufig entspricht. Es handelt sich bei der Zweitverwendung also nicht um eine Publikation, die im Dienste der auktorialen Positionierung Zincgrefs selbst steht, sondern vielmehr um eine allographe Positionierung seitens des Anthologisten. Und dieser arbeitet – wie sich an der Buchzueignung und der Auswahl der Texte und Autoren zeigt – nicht zuletzt an seiner eigenen Standortbestimmung in einem humanistischen Netzwerk, das nun aber primär westeuropäisch und reformiert orientiert erscheint. In ähnlicher Weise – nun allerdings anhand von Beispielen, in denen sich Literatur und Musik überschneiden – thematisiert Wolfgang Hirschmann lokale und situative Hintergründe von Casualdichtung und Casualkompositionen. Er zeigt beiläufig auf, wie die Publikationsform die Wahrnehmung von musikalischen Werken steuert, indem sie entweder Informationen über konkrete Anlässe und adressierte Personen liefert oder sie unterdrückt. Der herausgehobene Status der Empfänger strahlt immer auch auf den Komponisten (und Autor) ab, der seine vielfältig nuancierbare Kunstübung in den Dienst der nicht nur situationsbedingten, sondern eben immer auch der personenbezogenen Feierbzw. Traueranlässe stellt. Unter rezeptionsgeschichtlichem Blickwinkel wird

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erkennbar, daß eine genauere Kontextualisierung tendenziell vereindeutigend wirkt; erst die Unschärfe der Überlieferung erleichtert nachzeitige Aktualisierungen vielerlei Art, da der konkrete Bezug zum Anlass der ursprünglichen Fassung nicht mehr wirksam ist. Beim Verzicht auf die Markierung des einst konstituierenden situativen Bezugs muss sich die unterstellte Positionierungsstrategie des Autors (und Komponisten) in erster Linie auf das Ästhetische und die artifiziellen Qualitäten seines Werks beschränken. Es entfällt damit ein wichtiger Wahrnehmungs- und Wertungsaspekt, der der besseren historischen Einordnung des Werkes dient und die (unter Umständen auch anachronistische) Kaprizierung auf den vermeintlich universelleren und zugleich unverfänglicheren ›Kunstcharakter‹ unterstützt. Hirschmann zeigt am Beispiel Johann Pachelbels, wie die Beherrschung situativer Formen und Normen nicht nur herausgestellt wird, sondern diese auch eine Differenzierung mithilfe vielfältiger musikalischer Register erfahren. Der Komponist demonstriert eine Formbeherrschung musikalischer Ausdrucksformen, die die textlichen Aussagen nicht nur kongenial ergänzen, sondern mitunter auch umakzentuieren; unabhängig von der Entstehungssituation der Kompositionen als Casualwerke konnten diese durchaus auch ›autonom‹ wirken, sobald man den ursprünglichen situativen Kontext zurückdrängte oder gar unterschlug. Pachelbel dokumentierte in den Auszeichnungen seiner Musikstücke also nicht nur seine soziale Vernetzung mit herausgehobenen Persönlichkeiten der Zeit, sondern positionierte sich mit seinen musikalischen ›Kabinettstücken‹ seinerseits als weit über die Grenzen Nürnbergs hinaus geschätzter Organist und Komponist. Bedienen sich die sozialen Positionierungsverfahren literarischer und rhetorischer Mittel, um in der Wahrnehmung des Lesers eine Zugesellung des Akteurs zu bestimmten Personen, Personengruppen, Milieus und Überzeugungen zu generieren, so greifen inszenatorische Positionierungen sowohl auf primär lebensweltliche Handlungsweisen als auch auf eingeübte Kulturpraktiken (Theater, öffentliche Rede, Zeremoniell, Ritual) zurück. In der Analyse solcher Positionierungen werden Rolleninszenierungen und ihre individuellen Variationen, Selbstinszenierungen oder Habitualisierung sichtbar. So werden die Autoren mit großem Aufwand in Paratexten (etwa in Frontispizen, Widmungen, Vorreden) vorgestellt und mit oft unterschiedlichen Diskursen verbunden. Andere Orte der Autorinszenierung sind die gelehrten Beziehungsgeflechte oder institutionalisierte Gruppenbildungen wie die Dichtersozietäten. Sie sind über literarische Texte, Paratexte, Berichte, Briefe, Protokolle oder Selbstzeugnisse analysier- und in Grenzen – auch in der Frühen Neuzeit – rekonstruierbar. Autorschaft ist also nicht auf die Herstellung von Texten begrenzt, sondern impliziert vielfältige Vorgänge der Vermarktung, Selbstinterpretation und Platzierung. Autorschaft erscheint insofern nicht nur als ästhetische Ur-

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heberschaft, sondern als soziale Praxis, die an kulturelle Gepflogenheiten gebunden ist. Dirk Niefanger geht dem Entwurf unterschiedlicher Autorbilder anhand dreier unterschiedlicher Beispiele aus dem Bereich der Literatur und Rede nach. Der Beitrag stellt mit dem berühmtesten Dichter des Barock, Andreas Gryphius, der wichtigsten Dichterin der Zeit, Catharina Regina von Greiffenberg, und dem heute fast vergessenen Georg Greflinger drei paradigmatische Fälle von autornahen, meist aber allographen Autorinszenierungen im Barock vor, kontextualisiert und vergleicht sie anhand von zeitgenössischen Autorenportraits sowie Paratexten eigener und fremder Provenienz (Nachruf, Widmungstext, Vorwort usw.). Bücher als Ensemble aus Texten, Bildern, buchtechnischen Ausschmückungen und als gegenständliche, haptisch erfahrbare Objekte werden dabei als gängigste Form der poetischen bzw. literalen Inszenierung gesehen. Als Positionierungsverfahren analysiert Niefanger sowohl eher mimetische (Gryphius, Greiffenberg) als auch eher sinnbildliche Darstellungen (Greflinger, Greiffenberg), die in komplexe Verweisungszusammenhänge emblemähnlich eingebunden sind. Dabei sind neben persönlichen Akzenten (wie im Epicedium auf Anna Rosina Gryphius) charakteristische Merkmale des Dichtens (Redevermögen bei Gryphius, religiöse Inspiration bei Greiffenberg) oder markante Haltungen im kulturellen Feld (Frömmigkeit bei Greiffenberg, Wahrheitsliebe und Einfachheit bei Greflinger, Gelehrtheit bei Gryphius) beobachtbar. Die meisten Beiträge widmen sich den Strategien diskursiver Positionierungen, da sie sich am unmittelbarsten mit den text- und inhaltsbezogenen Arbeitsfeldern der Literaturwissenschaft berühren.45 In unserem Fall geht es allerdings nicht primär um den Inhalt der Diskurse selbst, sondern um die Art und Weise, in der affirmativ oder kritisch zu bestimmten Sachverhalten Stellung bezogen wird. Die Texte leisten Diskursbeiträge in jeweils aktuellen Auseinandersetzungen und dienen damit nicht zuletzt der Positionierung ihrer Autoren im diskursiven Feld. Immerhin verantworten diese die Texte als Urheber (›auctor‹) und zeichnen sie in aller Regel auch namentlich. Onymität ist denn auch generell ein starkes Signal für die Bemühungen der Verfasser, mittels ihrer Texte Aufmerksamkeit im kulturellen Feld zu erlangen und damit die Wahrnehmung auf sich als agierende Person zu lenken. Dem dient die (konservative) Besetzung ästhetischer Diskursräume, indem man sich etwa an bestimmte Traditionen anbindet und dabei formale, inhaltliche oder thematische Muster im Sinne der imitatio und aemulatio nachvollzieht. Oder man pflegt den Gestus 45 Wenn hier von Diskursen die Rede ist, so nicht ohne das Wissen um deren prinzipielle soziale und historische Einbindung: vgl. Klaus-Michael Bogdal: Historische Diskursanalyse der Literatur. Theorie, Arbeitsfelder, Analysen, Vermittlung. Opladen 1999; Achim Landwehr : Historische Diskursanalyse. Frankfurt/M. 2008; Achim Landwehr (Hg.): Diskursiver Wandel. Wiesbaden 2010.

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des Innovatorischen, ja Revolutionären, der allerdings im wesentlich erst nachfrühneuzeitlich von größerer Bedeutung geworden ist. Mehr noch als die Opposition zwischen vermeintlich affirmativen, an Bewahrung interessierten Positionen und negierenden, auf Veränderung abzielenden Standpunkten wirkt hier der Anschluss an den Mainstream, zu selbst deklarierten Avantgarden bzw. Eliten oder zu Außenseitergruppen. Sie verspricht Aufmerksamkeit in Zustimmung oder Ablehnung, auch wenn die vertretenen Positionen möglicherweise gar nicht so spektakulär oder vorwärtsgewandt sind, wie sie gerne dargestellt werden. Allein schon die Gegenposition zu einer ›herrschenden‹ Doktrin sorgt für Wahrnehmung im Literaturbetrieb – anhand der Geschichte bereits des ausgehenden 17. Jahrhunderts und v. a. des 18. Jahrhunderts ließe sich dies an zahlreichen Beispielen nicht zuletzt von ›Jugendbewegungen‹ zeigen. Als prinzipielle Option wird eine entsprechende Positionierung von den Autoren denn auch gerne wahrgenommen und damit nicht nur sozial, sondern auch literaturintern und ästhetikgeschichtlich wirksam. Dass bei der diskursiven Positionierung ein regionaler Bezug zentral zu sein scheint, zeigt schon ein Blick auf Martin Opitz. Er skizziert in seiner Poetik bekanntlich eine Art Klimatheorie der Kultur, der zufolge das rauhe deutsche Klima dem Wirken der Musen eigentlich unzuträglich sei. Hinzu kommen, wie es im dritten Kapitel seiner Poetik heißt, allerdings noch andere Voraussetzungen, die der deutsche Poet seiner Ansicht nach aber von Natur aus mitzubringen scheint: Von dieser Deutschen Poeterey nun zue reden / sollen wir nicht vermeinen / das vnser Land vnter so einer rawen vnd vngeschlachten Lufft liege das es nicht eben dergleichen zue der Poesie tüchtige ingenia könne tragen / als jergendt ein anderer ort vnter der Sonnen.46

Auch in der Frühneuzeit war man der Ansicht, dass Kreativität meist tatsächlich dann entstehe, wenn die eigene regionale Grenze in der Hoffnung auf Kulturerweiterung überschritten oder – das Gegenteil – emphatisch verteidigt oder geschützt werde. Erfahrungsgemäß erkennen wir Innovationen, wenn es zu Vermischungen und Übertragungen, zu Konkurrenzkampf und agonaler Selbstdarstellung kommt, sowie schließlich, wenn aus regionalen Teilkulturen innovative multikulturelle Einheiten entstehen, die regionale oder auch nationale Traditionen als traditionale Elemente nicht verleugnen. Der vorliegende Band zeigt, dass frühneuzeitliche Positionierungen tatsächlich oft zugleich eine regionale und – sprachpolitisch und kulturpoetisch gesehen – eine nationale Ausrichtung haben. Schon die Struktur der politischen Bezugsgrößen, einerseits das jeweilige Territorium, andererseits das Heilige Römische Reich Deutscher 46 Opitz, Buch von der Deutschen Poeterey, 2002 (wie Anm. 6), S. 23.

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Nation mit seinen unzähligen politischen und religiösen Einheiten, verlangte eine solche janusköpfige Ausrichtung der Positionierung. Die regionalen, aber patriotisch agierenden Sprachgesellschaften weisen auf das gleiche Phänomen. Systematisch anschließen kann die Analyse regionaler Positionierungen an die neue Literaturraum-Forschung und Theoreme des so genannten und etwas modisch geprägten spatial turn. Von hier aus muss man konstatieren, dass jede Kultur und soziale Verfasstheit prinzipiell ohne Räumlichkeit, ohne eine wie auch immer geprägte und präsentierte regionale Verortung nicht denkbar sind; umgekehrt sind auch Räume nur als mehr oder minder sichtbare kulturelle Konstrukte vorstellbar. Letzteres gilt selbstverständlich auch für regionale Realien: Sie erscheinen immer schon in Deutungszusammenhänge eingebettet. Über beides, die räumliche Verortung und die räumliche Konstruktivität, gibt in hoher und meist selbstreflexiver Qualität die Positionierung der Literatur Auskunft, auch und besonders in der Frühneuzeit. Sie macht jene Codes sichtbar, mit deren Hilfe Räume als Positionierungsorte gelesen, interpretiert und als besondere Bezugspunkte menschlicher Interaktion jeweils aufgefasst wurden. In Rechnung gestellt werden muss dabei, dass sich geographische, wirtschaftliche, politische, historische oder eben literarische (wenn man so will ›erzählte‹) Räume unterscheiden. Die poetische Diegese, meist ein narrativ konstruierter Raum, wird dabei mehr als andere Räume durch historische, soziale und unzählige diskursive Veränderungen und Überlagerungen synchron und diachron bestimmt und in seiner beobachtbaren Erscheinungsform relativiert. Insofern bietet die Betrachtung von Positionierungen in ihren »räumlichen Kontexten« keine Suspendierung von kultureller Komplexität, sondern verfolgt die Doppelstrategie ihrer wissenschaftlich adäquaten Visualisierung und einer gewissen methodischen Einhegung durch die Konzentration auf ihre räumlichen Bezugspunkte. Die Verfahrensweisen, die von den Akteuren dabei im Einzelnen gewählt werden, können sehr unterschiedlich sein. Die Auseinandersetzung mit einer thematischen Tradition und deren Transformationen zeigt Victoria Gutsche. Sie verfolgt spezifische Umwertungen der Faustfigur im Zuge der frühen literarischen Überlieferung und Bearbeitung. Dabei kann sie die wichtige Funktion der räumlichen Positionierung herausarbeiten, die auf die Existenz auch von Regionaldiskursen schließen lässt. Die behandelten Autoren und Fassungen akzentuierten den populären Stoff nicht zuletzt hinsichtlich der Einschätzung des Judentums, dessen Bewertung in der frühneuzeitlichen Literatur durchaus facettenreich war. Im Laufe der Verarbeitungsgeschichte des Fauststoffes wurden die Israeliten zunehmend pejorativ gekennzeichnet; dies entsprach einem Wahrnehmungswandel, wie er gerade auch durch die Literatur betrieben wurde, aber auch außerhalb der Literatur beobachtet werden kann. Anhand einer prominenten, wenngleich bisher kaum im Zusammenhang

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ihrer Entstehung und ihres Erscheinens gesehenen Psalmdichtung Wolf Helmhard von Hohbergs untersucht Ernst Rohmer literarische Medialitätsdiskurse im regionalen Kontext. Er verweist nicht nur auf die »multimediale VerbundTechnik«, die den »Lust- und Artzneygarten des Königlichen Propheten Daniels« auszeichnet; er dechiffriert auch die Stellungnahmen Hohbergs zu zeitgenössischen poetologischen Doktrinen. Sie markieren in Bezug auf die Interdependenzen zwischen Text, Bild und Musik eine eigenständige und selbstbewusste Positionierung des Autors. Die von Hohberg vertretene nürnbergisch-regensburgische Praxis emblematischer Erbauungsliteratur hatte sich denn auch kritischer Bezugnahme seitens ›norddeutscher‹ Ansätze zu stellen. Diese distanzierten sich von den komplexen Strukturen und dem – nicht zuletzt regional bedingten – hohen Stellenwert des Musikalischen. Wie es scheint, führten sie zu einer Umpositionierung, die der auf Unabhängigkeit bedachte Autor selbst vornahm, um Konfliktpotential aus dem Weg zu räumen. Mit der Regionalität von Diskursen beschäftigt sich auch Jörg Krämer in seinem Beitrag zum novellistischen Erzählen bei Grimmelshausen und Christian Weise. Er identifiziert solche offenbar begrenzteren Konzepte zumindest in den beschriebenen Fällen als wichtigen Hintergrund für das Entstehen literarischer Werke. Sie lassen auf konkretere Verbindungen zwischen den Autoren und ihrem unmittelbaren Zielpublikum schließen als allgemein unterstellt. Krämer verfolgt die regionale Bindung auch von Erzählformen anhand des neuen Erzählmusters ›Politischer Roman‹, das nach 1670 im Umfeld Leipzigs und seiner Universität entstanden ist und dort wohl auch seine primäre Leserschaft fand. Im direkten Vergleich mit inhaltlich ähnlichen Episoden Grimmelshausens und anderer zeigt er die spezifischen Erzählintentionen Weises, der sich als Propagator weltklugen, situationsadäquaten Verhaltens in kontingenten Situationen und zugleich als Vertreter ›bürgerlicher‹ Wertvorstellungen im literarischen Feld positionierte. Im Spannungsfeld zwischen Breitenwirkung und Akademismus stellt Klaus Matthäus eine literarische Utopie vor, die aus der Feder des bedeutenden Altdorfer Naturwissenschaftlers Johann Christoph Sturm stammt. Er beschreibt und kontextualisiert eine bislang nicht wahrgenommene Verbindung zwischen den deutschsprachigen Versuchen in der Gattung, die im frühen 17. Jahrhundert entstanden sind, und den Wiederaufnahmen in den 1730er Jahren. Mit der damals noch ungewöhnlichen und auf nachhaltige Positionierung setzenden Erscheinungsform als Fortsetzungstext, der – gattungs- und milieuuntypisch – im Medium des Jahreskalenders (und in deutscher Sprache) erschien, erreichte der Hochschullehrer für Mathematik und Astronomie eine breitere Leserschaft als die meisten seiner Fachkollegen, riskierte allerdings auch die Nichtbeachtung seiner Position innerhalb des Milieus der Gebildeten. Der undogmatische Sturm propagierte in seinem Text den ›vernünftigen‹ Staat und stellte ihn immer

Positionierungen

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wieder kontrastierend den Verhältnissen im Reich gegenüber. Dabei orientierte er sich erkennbar an den ›republikanischen‹ Verhältnissen in der Reichsstadt Nürnberg, deren Verfassung seiner Überzeugung nach einen guten Grundstock für ein ›vernünftiges‹ Regiment bot. Der damals international angesehene, zugleich aber in seiner Heimatregion fest verwurzelte Autor positionierte sich damit als frühaufklärerischer Vermittler von Weltwissen, der sich an ein breites Laienpublikum wandte und der eigenen Zeit durchaus kritisch gegenüberstand. Einen Beitrag zur Wahrnehmung divergierender ›literarischer Kulturen‹ leistet Werner Wilhelm Schnabel. Er macht an einem charakteristischen Beispiel deutlich, wie sich unterschiedliche (akademische bzw. nichtakademische) literarische Traditionen auch in Hinblick auf ihre Wirklichkeitsmodelle und Wahrnehmungs- und Darstellungsmuster auswirken. Wilhelm Weber, ein heute anders als damals weitgehend unbekannter Barockautor, positionierte sich dabei als Vertreter einer spezifisch ›deutschen‹ Poesie. Er knüpfte an eine Darstellungstradition des (Vers-)Erzählens an, die sich auf den im 17. Jahrhundert bereits weitgehend ›verfemten‹ Hans Sachs berief. Indem er seinen Gegenstand auf scheinbar epigonale Weise einkleidete, verschloss er sich den ›aktuellen‹ oder gar avantgardistischen Doktrinen und Darstellungsweisen der Bildungspoesie, die in seiner Zeit bereits zur Herrschaft gelangt waren. Zugleich bezog er sich demonstrativ auf die Erfahrungs- und Werthorizonte eines Publikums, die sich von denen der heute kanonisierten Bildungsdichtung auf bemerkenswerte Weise unterschieden. Für seine Leser oder Hörer war der Rekurs auf einen Musterautor, der von der akademischen Poetik inzwischen geringgeachtet wurde, möglicherweise sogar eine Art Qualitätsausweis, da Sachs und die durch ihn repräsentierte Erzählversdichtung in nichtakademischen Kreisen immer noch breit wahrgenommen wurde. Webers selbstbewusste Positionierung eröffnet den Blick auf eine literarische Breitenkultur, die bis heute nur unzureichend in den Fokus der institutionalisierten Literaturwissenschaft geraten ist. Natürlich können in einer räumlich begrenzten Sammlung wie dieser nur einzelne Aspekte der Positionierung aufgezeigt werden, die zudem erklärtermaßen mit den thematischen Interessen und Arbeitsschwerpunkten der einzelnen Verfasser der Beiträge zusammenhängen. Sie sollen in erster Linie als Anreiz dienen, Phänomene der ›Standortwahl‹ und ›Standortbehauptung‹ in praktischer Arbeit weiter zu untersuchen. Trennscharf lassen sich die hier behandelten Mittel, Verfahren und Strategien nicht unterscheiden – sie überschneiden sich in der literarischen und sozialen Praxis, ja gehen ineinander über. Ihre Differenzierung nach bestimmten Positionierungsmodi, wie sie in dieser Einleitung vorgenommen wurde, dient also in erster Linie der basalen Verständigung über den Sachverhalt, dass kulturelle Artefakte sich nicht in ihrer Artifizialität oder Ästhetizität erschöpfen, sondern einen unmittelbaren ›Sitz im Leben‹ haben.

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Das gilt nicht nur für die Konsumenten und Rezipienten von Kunstwerken, sondern auch für deren Urheber, die sich mehr oder minder bewusst ihrer Schöpfungen bedienen, um ihrerseits Positionen im kulturellen Feld zu besetzen und zu behaupten oder gegebenenfalls auch zu verändern. Durchschaubar ist dies allerdings nur, wenn man die Äußerungen als Handlungen innerhalb sozialer Praktiken und in diesem Sinne auch als Beiträge zu Diskursen versteht. Unverzichtbar ist deshalb eine möglichst detaillierte Rekonstruktion der literaturinternen und literaturexternen Entstehensbedingungen und Bezugshorizonte der jeweiligen Kunstwerke; in Augenschein zu nehmen ist dabei auch die Rolle des – so gesehen: gar nicht toten – Autors und seiner Position im kulturellen Feld. Diese durchaus pragmatische Rekontextualisierung ist – so die Überzeugung von Herausgebern und Beiträgern – viel häufiger möglich als landläufig angenommen und sollte auch aktiver in die Analyse- und Lektürepraxis von Texten einbezogen werden. Die in diesen Band aufgenommenen Untersuchungen basieren mehrheitlich auf Vorträgen, die am 8. Dezember 2012 anlässlich einer wissenschaftlichen Tagung zum 75. Geburtstag von Theodor Verweyen im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg gehalten worden sind. Sie konnten hier erfreulicherweise um mehrere Beiträge erweitert werden. Eine weitergehende systematische Ordnung nach den Kategorien unseres hier gebotenen Einordnungsversuchs verbat sich, da dies der Vielschichtigkeit des Phänomens zuwider laufen und eine unzulässige Rezeptionslenkung seitens der Herausgeber, ja eine Simplifizierung der unterschiedlichen methodischen Ansätze und Argumentationsverfahren bedeutet hätte. Die Entscheidung für eine chronologische Sortierung nach der Entstehungszeit der behandelten textuellen und musikalischen Zeugnisse bzw. nach der Wirkungszeit ihrer Urheber lag deshalb nahe. Sie lässt – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – exemplarisch das Neben- und Nacheinander der Phänomene und die unterschiedlichen Strategien und Verfahren deutlich werden, derer sich frühneuzeitliche Autoren und Komponisten in unterschiedlichen Zusammenhängen bei ihren Positionierungen bedient haben. Erlangen im Frühjahr 2016

Die Herausgeber

Victoria Gutsche

Faust und das ausgerissene Bein. Transformationen einer Faust-Episode

Marina Münkler stellt am Anfang ihrer Studie zu den Faustbüchern des 16. bis 18. Jahrhunderts fest, [d]ass die Geschichte des Teufelsbündners Johannes Faustus im Laufe ihrer Tradierung schon unmittelbar nach ihrem ersten Erscheinen im Druck zahlreichen Veränderungen unterzogen worden ist, gehört zu den Standardfeststellungen der Forschung.1

Zeugnis von diesen »zahlreichen Veränderungen« legen nicht nur die Faustbücher ab, die der Historia von 1587 folgten: Anzuführen sind hier vor allem – um nur die frühneuzeitlichen, deutschsprachigen Schriften zu nennen – der Tübinger Reimfaust von Johannes Feinaug (1588), die Widmannsche Bearbeitung von 1599, das Faustbuch von Nikolaus Pfitzer (1674) und das Faustbuch des Christlich Meynenden (1725). Darüber hinaus sind jedoch weitere Schriften zu nennen, die das Faust-Thema schon vor der Historia variieren: Die Wolfenbütteler Handschrift, die wahrscheinlich parallel oder ergänzend zur Spiesschen Ausgabe entstand,2 die Handschrift von Christoph Roßhirt, die wahrscheinlich nach 1566 entstand,3 »Faustsplitter«, das heißt Erwähnungen der Gestalt Fausts in unterschiedlichen Zusammenhängen,4 in zahlreichen weiteren Werken sowie Wanderbühnenbearbeitungen des Fauststoffes.5 Ausgehend von diesem Befund 1 Marina Münkler : Narrative Ambiguität. Die Faustbücher des 16. bis 18. Jahrhunderts. Göttingen 2011 (Historische Semantik, Bd. 15), S. 11. 2 Stephan Füssel: »Eine erschröcklich Geschicht ordentlich verfasset«. Nürnberg und der FaustStoff. In: Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg 80 (1993), S. 161–180, hier S. 170. 3 Wilhelm Meyer : Nürnberger Faustgeschichten. München 1895, S. 50–55. 4 Vgl. beispielhaft die Zusammenstellung bei Alexander Tille: Die Faustsplitter in der Literatur des sechzehnten bis achtzehnten Jahrhunderts. Nachdr. d. Ausg. Berlin 1900 u. Leipzig 1921–1924. Hildesheim 1980. 5 Vgl. zu den Wanderbühnenadaptionen des Fauststoffes einführend Hans Henning: Die FaustTradition im 17. und 18. Jahrhundert. In: Hans Henning: Faust-Variationen. Beiträge zur Editionsgeschichte vom 16. bis zum 20. Jahrhundert. München u. a. 1993, S. 153–191, hier S. 164–173.

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spricht Hans Henning von einer »ununterbrochenen Kette von Faust-Nachrichten und -Gestaltungen«.6 Trotz der in der Forschung herrschenden Einigkeit über die Transformationen des Fauststoffes durch die verschiedensten Bearbeitungen standen diese in höchst unterschiedlichem Maße im Fokus der Forschung.7 So wurden beispielsweise die Faustbücher von Widmann und insbesondere Pfitzer nur punktuell wahrgenommen:8 Sie erscheinen meist lediglich als ›Ausschreiber‹, die die Historia um, so Günther Mahal, »langatmige[]«, »überbordende[] und von emsiger Penetranz gekennzeichnete[]« Anmerkungen ergänzt hätten.9 Die Verfasser der verschiedenen Faustschriften schrieben ihre Vorgänger jedoch keineswegs einfach aus bzw. kürzten diese, sondern – darauf hat Münkler zu Recht verwiesen – sie arbeiteten sich an ihren Vorgängern produktiv ab, so dass erhebliche Transformationsphänomene statthaben, die Form und Struktur, Erzählperspektive, Zielsetzung oder auch die Faustfigur selbst betreffen.10 Diese Transformationen haben jedoch nicht nur Einfluss auf die Gesamtkonzeption 6 Henning, Die Faust-Tradition, S. 154. 7 So auch der Befund von Münkler, Narrative Ambiguität, S. 11–14. 8 Ausnahmen sind neben Münkler, Narrative Ambiguität beispielsweise Jan-Dirk Müller : Ausverkauf menschlichen Wissens. Zu den Faustbüchern des 16. Jahrhunderts. In: Literatur, Artes und Philosophie. Hg. von Walter Haug und Burghart Wachinger. Tübingen 1992 (Fortuna vitrea, 7), S. 163–194 [zur Historia und zu Widmann]; Gerhild Scholz Williams: Faust as a Witch: Transformations of the Faust Legend in Early Modern Texts. In: Scientiae et Artes. Die Vermittlung alten und neuen Wissens in Literatur, Kunst und Musik. Hg. von Barbara Mahlmann-Bauer. Bd. 1. Wiesbaden 2004, S. 215–230; Gerhild Scholz Williams, Alexander Schwarz: Existentielle Vergeblichkeit. Verträge in der M8lusine, im Eulenspiegel und im Dr. Faustus. Berlin 2003 (Philologische Studien und Quellen, 179), insb. S. 131–144; Christine Lubkoll: »›… und wär’s ein Augenblick‹. Der Sündenfall des Wissens und der Liebeslust in den Faustdichtungen von der ›Historia‹ bis zu Thomas Manns ›Doktor Faustus‹«. Rheinfelden 1986, S. 59–68. 9 Günther Mahal: Das Faustbuch von 1725 – Distanz und Reprise. In: Das Faustbuch des Christlich Meynenden von 1725. Faksimile-Edition des Erlanger Unikats mit Erläuterungen und einem Nachwort. Hg. von Günter Mahal. Knittlingen 1983 (Publikationen des FaustArchivs und der Faust-Gesellschaft, 1), S. 65–153, hier S. 73. Ähnlich auch Luigi Tacconelli: »G. R. Widmanns Faust-Buch ist eine konfessionell sehr tendenziöse, weitschweifige und zähflüssige Aufblähung der Faust-Fabel der Spies’schen Historia von 1587.« Luigi Taconelli: Faust. Reise in die Kulturalität. Von der textuellen Zeichenhaftigkeit zur hypertextuellen Entropie der »Rap«-performativen Ästhetik. Trieste 1998, S. 30. 10 Der Begriff der Transformation wird hier im Anschluss an Münkler, Narrative Ambiguität, S. 14, verwendet. Aufgrund eines abweichendes Begriffsverständnisses wird Münklers Ablehnung des Begriffs »Tradierung« hier jedoch nicht gefolgt, da davon ausgegangen wird, dass im Prozess der Tradierung der Stoff nicht ›einfach‹ weitergegeben wird, sondern Transformationsprozesse der Tradierung durch die subversive, affirmative, nachahmende oder überbietende Auseinandersetzung mit dem vorgefundenen Stoff sowie den literarischen Vorgängern inhärent sind. Vgl. Renate Lachmann, Caroline Schramm: Tradition. In: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Hg. von Jan-Dirk Müller. Band III. Berlin u. a. 2003, S. 660–663.

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der jeweiligen Faustschriften, zum Beispiel durch die Streichung von Kapiteln, sondern es lassen sich auch innerhalb der einzelnen Erzählungen zahlreiche Transformationsphänomene aufzeigen. Dennoch wurden die einzelnen Erzählungen, insbesondere jene des schwankhaften Teils,11 bislang kaum hinsichtlich ihrer jeweiligen Transformationen analysiert, obwohl sich gerade durch die Konzentration auf einzelne Passagen zeigen lässt, dass beispielsweise Widmann und Pfitzer die Historia keineswegs nur um umfangreiche Kommentare ergänzen, sondern es zu einer spezifischen Umwertung der Faustfigur kommt. Dieses soll im Folgenden anhand der Erzählung vom ausgerissenen Bein vorgeführt werden, die sich, in durchaus unterschiedlicher Gestaltungsweise, in allen Faustschriften des 16., 17. und beginnenden 18. Jahrhunderts findet. Des Weiteren wird hier die über Münkler hinausgehende These vertreten, dass bei der produktiven Rezeption und (Neu-)Aneignung des Fauststoffes der konkrete historische Kontext, genauer die regionale Verortung bzw. der Ort der Abfassung – in diesem Fall die Stadt Nürnberg –, eine wichtige Funktion hinsichtlich der Transformationen einnimmt. So hat beispielsweise Volker Mertens gezeigt, dass die spezifische Situation beim Nürnberger Zechsingen zwei Meisterlieder Friedrich Beers über Faust wesentlich bestimmt.12 Nachweisen lässt sich der regionale Einfluss auf die (Aus-)Gestaltung der einzelnen Episoden sodann bei Pfitzer, der sich über die Zitation des Nürnbergers Georg Philipp Harsdörffer sowie den impliziten Verweis auf das Anwachsen der jüdischen Gemeinde in Fürth nach 1670/1671 zum einen in einen spezifischen regionalen Diskurs einordnet und sich zum anderen durch Verweis auf den berühmten und angesehenen Harsdörffer im literarischen Feld der Reichsstadt strategisch zu positionieren sucht.

11 Zur Einteilung der Historia (sowie der nachfolgenden Faustschriften) in drei bzw. vier Teile vgl. Münkler, Narrative Ambiguität, S. 89f. und Jan-Dirk Müller : Faustbuch: Quellen. In: Melusine, Fortunatus, Faustus. Die Romane des 15. und 16. Jahrhunderts. Nach den Erstdrucken mit sämtlichen Holzschnitten. Hg. von Jan-Dirk Müller. Frankfurt a.M. 1990 (Bibliothek der Frühen Neuzeit, 1), S. 1334f. 12 Volker Mertens: Doctor Faust im Meisterlied. Zu Literaturbetrieb, Gruppennorm und Sozialgefüge in Nürnberg. In: Lyrik des ausgehenden 14. und 15. Jahrhunderts. Hg. von Franz v. Spechtler. Amsterdam 1987 (Chloe, 1), S. 97–114, insb. S. 105f. Vgl. weiter auch Füssel, Nürnberg und der Faust-Stoff, S. 168–171, der darauf verwiesen hat, dass die detaillierte Beschreibung der Stadt Nürnberg in der Historia von 1587 als einzige Stadtbeschreibung nicht allein der Schedelschen Weltchronik folgt, sondern vor allem Hans Sachs’ Lobspruch der Stadt Nürnberg als Vorlage dient.

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Der Betrug mit dem ausgerissenen Bein Die Episode vom ausgerissenen Bein findet sich bereits in der Handschrift Christoph Roßhirts. Dieser studierte in Wittenberg 1536 bis 1542 und lebte anschließend in der Grafschaft Henneberg. Er kam vor 1552 nach Nürnberg, wo er zunächst in St. Egidien und später in St. Sebald als Lehrer wirkte13 und zwischen 1575 und 158614 die hier zur Debatte stehende Schrift verfasste. Die Sammelhandschrift besteht aus drei Teilen: Der erste bietet eine Abschrift weiter Teile der Tischreden Martin Luthers aus der Übersetzung Johann Aurifabers mit teilweise eigenen Anmerkungen. Im zweiten Teil werden ebenfalls Tischreden Luthers geboten, teilweise sind aber andere Historien eingeschoben: zwei Geschichten von Faust, eine Geschichte von einem Pfaffen und seiner Köchin, von einem Ritter in einem Kloster sowie von einem Bürger. Der dritte Teil umfasst schließlich Episoden aus dem Leben des Grafen Maximilian von Henneberg, drei Geschichten Schleusingen betreffend, die von Besessenen handeln, an deren ›Heilung‹ Roßhirt selbst beteiligt war, sowie Von den Schwarzkünstlern: zweimal Albertus Magnus, viermal Georgius Faustus, viermal Vergil.15 Diese inhaltliche Übersicht deutet an, dass Roßhirts jeweiliges Lebensumfeld (insbesondere Schleusingen in Henneberg) auf die Übernahme bestimmter Texte einwirkte, die konkrete Schreibsituation mithin das Werk entscheidend prägt. Von den vier Faustepisoden des dritten Teils werden zwei (Gastmahl auf Kosten des Königs von England und Das ausgerissene Bein) je doppelt geboten, das heißt in einer kurzen und einer langen Version. Die kurze Version des Ausgerissenen Beins lautet wie folgt: Von D. Fausto dem Schwartzkunster. Zu Frankfurt am Mein wart er einem Juden schuldig, verzilt in ihn [sic] sein Herberich zu bezalen. Umb bestimpte Zeit kumpt der Jud, frag nach dem Fausto, wilcher in seim Gemach thet sam schliff er. Der Jud weckt in zeugt in letzlich beim Schenckel, wilchen er dem Fausten schlaffent ausgerissen. Darüber schreit Faustus sehr laut, der Jud gibt die Flucht, wirt also durch Betrug des Teuffels bezalt. Dan wie der Kaufmann gewesen, also ist auch der Verkauffer gewesen; das Sprichwort laut: gleich und gleich geselt sich gern.16

Vor dem Hintergrund der umfangreichen Abschrift der Tischreden Luthers ist davon auszugehen, dass hier ebenfalls Luther von Roßhirt als Quelle herange13 Meyer, Nürnberger Faustgeschichten, S. 51. Füssel geht dagegen davon aus, dass Roßhirt erst 1572 nach Nürnberg gekommen ist. Vgl. Füssel, Nürnberg und der Faust-Stoff, S. 174. 14 Füssel, Nürnberg und der Faust-Stoff, S. 174. 15 Meyer, Nürnberger Faustgeschichten, S. 55–59. 16 Meyer, Nürnberger Faustgeschichten, S. 70.

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zogen wird. So bringt dieser in seinen Tischreden das Exempel eines Wildferers (Gauklers), der sich von einem Juden, dem er schuldig ist, ein Bein ausreißen lässt. Der Jude läuft davon, so dass der Gaukler seine Schulden nicht bezahlen muss.17 Meyer führt darüber hinaus noch Hondorffs Promptuarium Exemplorum und Bütners Epitome Historiarum als Quellen Roßhirts an,18 wobei jedoch zu beachten ist, dass bei Bütner und Hondorff der Betrogene kein Jude, sondern ein Pferdehändler ist. Auch wird hier mittels verzauberter Strohbündel betrogen, ein Motiv, das bei Roßhirt jedoch keine Rolle spielt. Von Meyer nicht genannt wird zudem Von einem Juden der einem Gaugkler ein Füß auß dem Leib gerissen in Montanus’ Wegkürtzer, in der der Betrogene ebenfalls ein Jude ist.19 Roßhirts kurze Historie kann als erstes Beispiel für ein häufiges Transformationsverfahren dienen: Der Erzählkern des von Luther vorgebrachten Schwankes wird beibehalten, die Historie jedoch auf Faust übertragen. Dasselbe Verfahren findet sich auch in der Historia, die laut Münkler eine Kombination von Prätexten ist, »von denen die meisten nichts mit Faustus zu tun hatten«.20 Die Übertragung auf Faust sowie die Ergänzung der lutherischen Vorlage um eine moralisatio, in der der Jude in Beziehung zum verwerflichen Teufelsbündner gesetzt wird, lässt Faust nicht als um Wissen und Erkenntnis Strebender erscheinen, sondern vielmehr als Sünder, als dem Bösen Verfallener. Mit dieser Abwertung Fausts geht jedoch auch eine Abwertung des Juden einher : Er ist nicht Opfer eines verwerflichen Streichs von Seiten Fausts, sondern erscheint vor dem Hintergrund des in der Schwankliteratur des 16. Jahrhunderts weit verbreiteten Stereotyps des betrügerischen jüdischen Kaufmanns als zu Recht Betrogener. Die Abwertung Fausts und der jüdischen Figur bedingen sich gegenseitig, so dass Roßhirt zu dem Schluss kommt: »gleich und gleich geselt sich gern«.21 In der zweiten, sehr viel längeren Version, die Roßhirt bietet, wird das Handlungsgerüst beibehalten, jedoch um zahlreiche Einzelheiten erweitert: Faust ist aus Ingolstadt abgereist und kommt nach Frankfurt zur Zeit der Messe. 17 Martin Luther : Colloquia Oder Tischreden Doctor Martini Lutheri/ so er in vielen Jaren/ die Zeit seines Lebens/ gegen Gelehrten Leuthen/ Auch frembden Gesten vnnd seinen Tischgesellen gefuehret. Darinn von allen Artikeln vnser Religion/ Auch von den hohen Stücken/ Fragen vnnd Antwort: Jtem viel mercklichen Histoijs/ vnd sonst von allerley Lehre/ Trost/ Rath/ Weissagung/ Warnung/ vnd vermanung/ Bericht/ vnnd vnterricht zu finden. […]. Frankfurt/Main 1574, fol. 218v. 18 Meyer, Nürnberger Faustgeschichten, S. 55. 19 Martin Montanus: Wegkürtzer. Ein sehr schön lustig vnd auß dermassen kurtzweilig Büchlin/ der Wegkürtzer genant/ darinn vil schnöner lustiger vnd kurtzweyliger Hystorien/ in Gärten/ Zechen/ vnnd auff dem Feld/ sehr lustig zu lesen/ geschriben/ vnd newlich zusammen gesetzt. [Straßburg 1557], fol. 31r–33r. 20 Münkler, Narrative Ambiguität, S. 57f. Zu den Konsequenzen dieser Übertragung (bezogen auf die Historia) vgl. exemplarisch ebd., S. 57–60. 21 Meyer, Nürnberger Faustgeschichten, S. 70.

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Dort, wo die Juden »allerley Kaufmannschaft«22 treiben, kauft Faust von einem »reichen Handels Juden«23 zwei Pferde und Kleider. Faust gibt aber an nur französische Kronen zu haben, die der Jude ihm nun – für einen Nachlass auf den Kaufpreis – wechseln soll. Sie verabreden sich für einen späteren Zeitpunkt in der Herberge Fausts. Als der namenlose Jude dorthin kommt, wird er vom Knecht in die Kammer Fausts geschickt und findet diesen dort schlafend. Er versucht ihn zu wecken und wird schließlich so zornig, dass er an Fausts Bein zieht – und es ausreißt. Faust beginnt zu schreien und der Jude versucht zu fliehen. Er wird jedoch vom Knecht aufgehalten und erst als er seinen Mantel dem Knecht lässt, kann er, ohne sein Wechselgeld, weglaufen.24 Die Erweiterung gegenüber der kurzen Version hat Konsequenzen: So dient die Verortung in Frankfurt der Herstellung von Authentizität und Plausibilität, ist doch gerade auf der Frankfurter Messe ein Zusammentreffen mit »reichen Handelsjuden« möglich. Vorbilder für dieses Verfahren gibt es zahlreich – herausgegriffen sei der Nürnberger Hans Folz, der seine Schwankmäre Die Wahrsagebeeren (1479, 1468/1486) ebenfalls in Frankfurt zur Zeit der Messe verortet.25 Trotz der Erweiterung gegenüber der kurzen Version bleibt die Geschichte stark schwankhaft. Die erzählerische Perspektive steuert die Sympathieverteilung zugunsten Fausts, dessen Normverletzung durch den komischen Ausgang lizensiert wird. Wiederum erscheint der Betrogene als ›rechtmäßig‹ betrogen, auch wenn auf eine moralisatio, wie in der kurzen Fassung verzichtet wird. Der Text ordnet sich damit in eine Tradition innerhalb der Schwankliteratur ein: Juden kommen hier zwar – verglichen mit anderen Figuren wie etwa dem lüsternen Mönch oder dem schlauen Bauern – nur marginal zur Darstellung. Dennoch kann man von einem Typus der jüdischen Figur ausgehen: So sind die jüdischen Figuren stets durch feststehende Epitheta gekennzeichnet, vor allem ›Wucher‹, ›Gotteslästerung‹ und ›Verstockung‹. Ihnen werden keine individuellen Eigenschaften zugeschrieben, sie sind als Handlungsträger vielmehr typisierte Figuren und dienen als Repräsentanten für das gesamte Judentum. Grundsätzlich unterscheiden sie sich hinsichtlich der formalen Anlage damit nicht von anderen, häufiger auftretenden, Figuren, wie etwa Bauern oder 22 Ebd., S. 70. 23 Ebd., S. 70. 24 Der Knecht, der den Juden aufhält, findet sich auch in Montanus Wegkürtzer. Dies belegt zwar nicht, dass Roßhirt Montanus Version als Vorlage gedient hat, macht aber doch wahrscheinlich, dass sich Roßhirt nicht nur an der lutherischen Wildferer-Episode orientiert hat. 25 Hans Folz: Die Reimpaarsprüche. Hg. von Hanns Fischer. München 1961 (Münchener Texte und Untersuchungen zur deutschen Literatur des Mittelalters, 1), S. 60–72 [1. Fassung], S. 61–71 [2. Fassung].

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Mönchen.26 Besonders häufig treten jüdische Figuren in Schwänken über betrogene Betrüger auf. So auch bei Roßhirt: Der Jude ist reich – eine Eigenschaft, die, übersieht man vergleichbare schwankhafte Texte, den Verdacht, dass der Jude nur durch Betrug zu seinem Reichtum gekommen sei, zumindest nahelegt – und stets und ausschließlich am Handel interessiert. Insofern erscheint der Jude durchaus als rechtmäßig betrogener Betrüger. Faust erfährt, anders als in der kurzen Version, zudem keinerlei Kritik – dementsprechend erscheint er hier als Korrektor der gestörten Ordnung, als Ordnungsstifter. Roßhirt transformiert seine Vorlagen folglich, indem er eine durchaus verbreitete Schwankgeschichte auf Faust überträgt und sie – im Rückgriff auf tradierte Figurentypen – ausweitet. Die Einfügung der Figur des Juden, die sich – ohne eine direkte Abhängigkeit suggerieren zu wollen – auch bei Montanus findet, ist im Hinblick auf die Roßhirt folgenden Faustschriften von besonderem Interesse, enthalten doch alle einen Schwank, in dem Faust von einem auf dem Jahrmarkt von Pfeiffering Betrogenen aus Wut ein Bein abgerissen wird. Zwar unterscheiden sich die Versionen vor allem hinsichtlich ihrer Länge – insbesondere Pfitzer weitet die Episode durch detaillierte Schilderung des vermeintlichen Pferdes sowie des Betrogenen erheblich aus –, jedoch ist hier der Betrogene eben kein Jude, sondern ein nicht näher konturierter Roßtäuscher.27 Dennoch findet sich auch in den späteren Faustschriften ein betrogener Jude: In der Historie, auf die der Schwank Faust betreugt einen Roßtäuscher unmit26 Vgl. dazu Victoria Gutsche: Zwischen Abgrenzung und Annäherung. Konstruktionen des Jüdischen in der Literatur des 17. Jahrhunderts. Berlin, Boston 2014, S. 47–85. 27 Vgl. Faustbuch. In: Melusine, Fortunatus, Faustus. Die Romane des 15. und 16. Jahrhunderts. Nach den Erstdrucken mit sämtlichen Holzschnitten. Hg. von Jan-Dirk Müller. Frankfurt a.M. 1990 (Bibliothek der Frühen Neuzeit, 1), S. 934f. [im Folgenden: Historia]; Historia D. Johannis Fausti des Zauberers, nach der Wolfenbütteler Handschrift nebst dem Nachweis eines Teils ihrer Quellen. Hg. von Gustav Milchsack. Wolfenbüttel 1892 (Überlieferungen zur Geschichte, Literatur und Kunst, 2), S. 83f. [im Folgenden: Wolfenbütteler Handschrift]; Georg Rudolff Widmann: Erster Theil Der Warhafftigen Historien von den grewlichen und abschewlichen Sünden und Lastern, auch von vielen wunderbahren vnd seltzamen ebentheuern [sic!]: So D. Iohannes Faustus Ein weitberuffener Schwartzkünstler vnd Ertzzäuberer/ durch seine Schwartzkunst/ biß an seinen erschrecklichen end hat getrieben. Mit nothwendigen Erinnerungen vnd schönen exempeln/ menniglichem zur Lehr vnd Warnung außgestrichen vnd erkleret. Hamburg 1599, S. 271–272 [im Folgenden: Widmann, Wahrhafftige Historien]; Johann Nicolaus Pfitzer : Das ärgerliche Leben und schreckliche Ende deß viel-berüchtigten Ertz-Schwartzkünstlers D. Johannis Fausti, Erstlich/ vor vielen Jahren/ fleissig beschrieben/ von Georg Rudolph Widmann; Jetzo aufs neue übersehen/ und so wol mit Neuen Erinnerungen/ als nachdencklichen Fragen und Geschichten/ der heutigen bösen Welt/ zur Warnung vermehret. […]. Nürnberg 1674, S. 235–240 [im Folgenden: Pfitzer, Das ärgerliche Leben und schreckliche Ende]; Das Faustbuch des Christlich Meynenden von 1725. Faksimile-Edition des Erlanger Unikats mit Erläuterungen und einem Nachwort. Hg. von Günther Mahal. Knittlingen 1983 (Publikationen des Faust-Archivs und der Faust-Gesellschaft, 1), S. 20 [im Folgenden: Das Faustbuch des Christlich Meynenden].

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telbar folgt, wird ein jüdischer Geldverleiher um sein Geld geprellt, indem Faust dem Juden sein – vermeintlich abgesägtes – Bein als Pfand gibt.

Das ausgerissene Bein als Pfand Auch wenn die Episode vom ausgerissenen Bein in den verschiedenen Faustschriften mitunter stark variiert, lässt sich folgendes, den Schriften gemeinsames Handlungsgerüst ausmachen: Faust leiht sich von einem Juden Geld und will ihm, als er nach dem Monat das Geld nicht zurückzahlen kann, ein Bein oder Fuß als Unterpfand geben, bis er seine Schulden zurückzahlen kann. Der Jude zeigt sich erstaunt, willigt aber ein. Der Teufelsbündner sägt sich daraufhin – vermeintlich, denn der Jude wird durch einen Verblendungszauber getäuscht – das Bein ab und der Jude geht damit seiner Wege. Er wird jedoch müde und stellt Überlegungen über den Nutzen dieses Pfandes an, sodass er es schließlich in einen Fluss wirft. Faust erfährt davon und fordert sein Pfand zurück. Da der Jude das Pfand nicht mehr zurückerstatten kann, fordert Faust Entschädigung. Man einigt sich schließlich, dass Faust das geliehene Geld und darüber hinaus eine Entschädigung erhält. Hier wird mithin wiederum eine überaus verbreitete Schwankgeschichte auf Faust übertragen, die meist die folgenden Handlungselemente aufweist: Ein Kaufmann leiht sich Geld von einem zweiten, der im Übrigen nicht zwangsläufig Jude sein muss, und verspricht ihm als Zins oder Pfand ein Pfund Fleisch aus seinem Leib. Als der Schuldner seine Schulden nicht bezahlen kann bzw. den Zins verweigert, fordert der Gläubiger sein Pfand oder Zins zurück. Die Situation wird schließlich durch einen Richter aufgelöst, der bestimmt, dass der Gläubiger nur genau ein Pfund Fleisch aus dem Leib schneiden dürfte, sodass er schließlich weder den zuweilen angestrebten Tod des Schuldners erreicht, noch sein Geld zurück erhält. Diese Erzählung ist zahlreich in unterschiedlichen Versionen belegt: Eine besonders prominente Version findet sich in Shakespeares Merchant of Venice, aber auch in der Schwankliteratur des 16. und 17. Jahrhunderts wird das Fleischpfand-Motiv immer wieder aufgegriffen.28 28 Eine Zusammenstellung unterschiedlicher Versionen bietet Berta Viktoria Wenger : Shylocks Pfund Fleisch. Eine stoffgeschichtliche Untersuchung. In: Shakespeare-Jahrbuch 65 (1929), S. 92–174 sowie Eleonore Schamschula: Das Fleischpfand. Mot. J 1161.2 in Volkserzählung und Literatur. In: Fabula 25 (1984), S. 277–295, die anhand von 55 Texten Herkunft und mögliche Wanderungen des Motivs diskutiert. Vgl. weiter auch Hannjost Lixfeld: Fleischpfand. In: Enzyklopädie des Märchens. Bd. 4. Berlin, New York 1984, Sp. 1256–1262. Weitere Belege finden sich u. a. in Wolfgang Bütner : Epitome Historiarum, Das ist: Christliche vnd kurtze Beschreibung vieler denckwirdiger Historien vnd Exempel […]. Erstlich/ durch M. Wolffgangum Bütnern/ weyland Pfarrherrn in der Graffschafft Manßfeld/ nach den heyligen Zehen Geboten vnd sieben Bitten deß Vatter unsers zusammen getragen. Jetzo aber auffs

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Die Geschichte vom Fleischpfand wird nun auf Faust übertragen und variiert: Faust, dessen betrügerisches Vorhaben von Beginn an unzweifelhaft ist, erscheint nicht als hilfloses Opfer eines gierigen Geldverleihers, da er selbst sein Bein als Pfand anbietet und dieses dem jüdischen Kaufmann auch sogleich mit auf den Weg gibt. Die Rollenzuschreibungen kehren sich folglich um: Faust betrügt den jüdischen Geldverleiher, der Jude wird zum Opfer des sündigen Christen. Dennoch bleibt – wie schon bei Roßhirt – der Jude ein ›rechtmäßiges‹ Opfer, lässt er sich auf den Handel doch nur aus Christenhass ein. Über diese Verschiebungen gegenüber den zahlreichen Vorlagen hinaus, lassen sich an dieser Episode exemplarisch die wesentlichen formalen wie inhaltlichen Transformationen aufzeigen, die innerhalb der verschiedenen Faustschriften insbesondere im Schwankteil statthaben: Diese betreffen im Wesentlichen den Umfang der Schriften, die Paratexte, die in den Vorreden und Texten selbst formulierten Zielsetzungen, Erzählperspektive und Figurengestaltung. Zunächst zur Historia von 1587:29 Faust mangelt es an Geld, doch Mephostophiles verweigert ihm dieses mit dem Hinweis, dass Faust sich seiner »Geschicklichkeit/ darmit er durch jhnen begabet seye«30 bedienen solle, um Geld zu erlangen. Faust fügt sich und geht mit »guten Gesellen pancketieren«,31 kann jedoch seine Zeche nicht zahlen, so dass er sich bei einem Juden 60 Thaler auf einen Monat leiht. Der Betrug am Juden wird mithin motiviert: Es ist die Genussund Repräsentiersucht Fausts, die ihn – auch auf Drängen des Teufels – dazu bringt, den Juden zu betrügen; Streben nach Wissen und Erkenntnis spielt in dieser Episode in keiner der Faustschriften eine Rolle.32 Nach Ablauf der Frist

29 30 31 32

Newe vbersehen/ mit vielen nützlichen Historien vermehret […]/ Durch Georgium Steinhart. Leipzig 1596, fol. 349v f.; Christian Georg Bessel: Schmiede des Politischen Glücks, Darinnen viele heilsahme Lehren enthalten. […]. Hamburg 1667, S. 155; [Christoph Lehmann:] Exilium Melancholiae, Das ist Vnlust Vertreiber : Oder Zwey Tausend/ scharfsinnige/ kluge Sprüche/ geschwinde Außschläg/ artige Hofreden/ denckwürdige Schertz/ Fragen/ Antworten/ Gleichnussen/ vnd was dem allem gleichförmig/ sonsten Apophthegmata genannt […]. Straßburg 1669, S. 246; [Samuel Gerlach:] Eutrapeliae Philologico-HistoricoEthico-Politico-Theologicae, Oder Zwey Tausent schöne/ Nützliche/ Naachdenckliche [sic!]/ Vernünfftige/ Sinn/ Lehr/ Geistreiche/ unnd anmuthige/ auch teils lustige Geschichten und Reden/ Männiglichen zuhr [sic!] Erlustigung und Ergötzlichkeit […]. Lübeck 1647, S. 191 oder Julius Wilhelm Zincgref: Der Teutschen scharpfsinnige kluge Sprüch/ Apophthegmata genant […]. Bd. 2. Straßburg 1631, S. 152f. sowie die weiteren Nachweise bei Elfriede MoserRath: Lustige Gesellschaft. Schwank und Witz des 17. und 18. Jahrhunderts in kultur- und sozialgeschichtlichem Kontext. Stuttgart 1984, S. 360, Anm. 67. Herangezogen wird im Folgenden die von Jan-Dirk Müller edierte Fassung der Gruppe A. Historia, S. 932. Ebd. Vgl. dazu einführend Marina Münkler : »allezeit den Spekulierer genennet«: Curiositas als identitäres Merkmal in den Faustbüchern des 16. und 17. Jahrhunderts. In: Faust-Jahrbuch 2 (2006), S. 61–81; Müller, Ausverkauf menschlichen Wissens; Münkler, Narrative Ambiguität, S. 228–258.

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fordert der Jude sein Geld samt Zinsen zurück, welches ihm Faust jedoch nicht geben kann und ihm stattdessen sein Bein als Unterpfand anbietet. Der Jude willigt in das ungewöhnliche Geschäft ein und auch diese Einwilligung wird begründet: »Der Jud/ so ohne das ein Christen feind war/ gedachte bey sich selbsten/ das müste ein verwegener Mann seyn/ der seine Glieder für Gelt zu Pfandt setzen wolt/ war derohalben mit dem Pfand zufrieden.«33 Diese Argumentation hat unmittelbare Folgen: So wird der Betrug am Juden bereits zu Beginn der Episode als gerechtfertigt ausgewiesen, handelt es sich doch um einen »Christen feind«. Verschärft wird die antijüdische Tendenz noch in der Wolfenbütteler Handschrift, die sonst weitgehend identisch mit der Version der Historia ist: Hier ist nicht nur dieser bestimmte Jude ein Christenfeind, sondern alle Juden würden sich durch Christenhass auszeichnen.34 Vor dem Hintergrund zeitgenössischer antijüdischer Stereotype – Juden als Betrüger, die die Christen aufgrund ihres ökonomischen Spezialwissens ausbeuten – wird durch die Festlegung des Juden auf die ökonomische Sphäre – stellt er doch sogleich Überlegungen über den konkreten Nutzen des Pfandes an – die antijüdische Tendenz der Erzählung nochmals verschärft. Dennoch zielt diese Episode nicht allein auf die innerhalb der Schwankliteratur durchaus häufiger vorkommende Diffamierung der Juden ab, sondern thematisiert weiterhin das Problem der Verblendung. So wird dem Rezipienten sofort nachdem sich Faust ein Bein abgesägt hat mitgeteilt, dass alles nur »lauter verblendung«35 sei. Gestützt wird diese Lesart auch durch die Anordnung der Episoden, folgt doch auf die Episode vom Bein als Pfand sogleich jene vom betrogenen Roßtäuscher, der Faust vermeintlich das Bein ausreißt. Jedoch wird nicht nur der Jude von Faust geblendet, so dass er Faust schließlich noch 60 Thaler extra geben muss, sondern auch Fausts eigene Verblendung und Sündhaftigkeit wird thematisiert, wenn seine Geldgier als Motiv für den Betrug am Juden angegeben wird. Insgesamt kann man feststellen, dass für die ersten Faustschriften – Wolfenbütteler Handschrift, Historia, aber auch, trotz erheblicher inhaltlicher und formaler Transformationen, die Handschrift Roßhirts36 – der Schwankcharakter kennzeichnend ist. Hier stehen sich ein lediglich durch seinen Christenhass 33 Historia, S. 933. 34 »[…] dann die Juden ohne das den Christen feind […]«. Wolfenbütteler, S. 83. Hervorhebung d. Verf. 35 Historia, S. 933. 36 Auf den Tübinger Reimfaust soll hier nicht gesondert eingegangen werden, da sich diese Version kaum von jener der Historia unterscheidet und es auch durch die Versifikation zu keinen semantischen Verschiebungen kommt. Der Tübinger Reimfaust von 1587/88. Aus dem Prosa-Volksbuch »Historia von D. Johann Fausten« (1587) in Reime gebracht von Johannes Feinaug. Faksimiledruck des einzigen vollständigen Exemplars in der Königlichen Bibliothek in Kopenhagen. Zum 500. Gründungsjubiläum der Universität Tübingen. Hg. von Günter Mahal. Kirchheim/Teck 1977.

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näher gekennzeichneter Jude und Faust in der Rolle des Betrügers gegenüber. Die erzählerische Perspektive steuert die Sympathieverteilung zugunsten Fausts und die Auseinandersetzung ist nach typischer Verlaufsform geregelt. Im Fokus steht jedoch nicht so sehr die Diffamierung des Juden, sondern vielmehr das Problem der Verblendung, die sowohl Juden wie Christen treffen kann. Der Jude fungiert hier als austauschbarer Widerpart, der in der Auseinandersetzung mit Faust dessen Verblendung sichtbar werden lässt – eine Tendenz, die in den späteren Faustschriften noch verstärkt wird. 1587 erscheint in Hamburg die Bearbeitung der Historia durch Georg Rudolf Widmann. Widmann, dessen Vorlage ein Druck aus der C-Reihe war,37 transformiert die Historia erheblich, in dem er kürzt, erweitert, die Reihenfolge der Kapitel ändert und umfangreiche Kommentare anfügt.38 Inhaltlich betreffen die Änderungen vor allem die Lebensgeschichte Fausts, wodurch die Erzählung vom Schwarzkünstler eine deutlich antikatholische Stoßrichtung erhält. Zudem – und dies scheint in diesem Zusammenhang wichtiger – »tritt das Streben nach Wissen um der Erkenntnis willen zurück. Er erscheint eher als der dem Bösen verfallene Magier und Zauberer, als Sünder, der mit Recht unrettbar verloren ist.«39 In Bezug auf die hier zu diskutierende Episode lässt sich zunächst feststellen, dass Widmann das Geschehen beibehält, das Erzählte jedoch ausweitet, indem die Figuren genauer charakterisiert werden und dadurch gegenüber der Historia eine Umdeutung erfahren. Dies wird bereits deutlich, wenn der Jude, der Faust die sechzig Thaler leiht, als »reicher Jude«40 eingeführt wird – eine Attribuierung, die für die weitere Figurencharakterisierung und -konstellation durchaus von Bedeutung ist, erscheint doch der Betrug an einem reichen Juden nicht nur als gerechtfertigt, sondern vielmehr als notwendig, handelt es sich bei dem Opfer des Betruges doch selbst um einen – aus christlicher Perspektive – Sünder. So erweist sich dieser namenlose Jude nämlich nicht nur als gierig, bringt er Faust doch, wie dieser selbst betont, um sein »bestes kleinot«,41 sondern übt sich darüber hinaus in seinem Hass auf Christen und auf Faust als deren Repräsentant, wenn er Faust das Bein »mit Judischer begirte/ als ein Christenfeindt«42 absägt. Durch die Verschiebung gegenüber der Vorlage – nicht mehr Faust, sondern der Jude sägt das Bein ab – wird das im Motiv des Fleischpfands bereits angelegte antijüdische Diffamierungspotential ausgeschöpft: Durch die Betonung der »Judische[n] begirte« wird der historisch durchaus folgenreiche 37 38 39 40 41 42

Münkler, Narrative Ambiguität, S. 168. Vgl. dazu v. a. Münkler, Narrative Ambiguität, S. 167–181. Henning, Faust-Variationen, S. 178. Widmann, Wahrhafftige Historien, S. 266. Ebd., S. 268. Ebd., S. 268.

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Vorwurf des jüdischen Durstes nach christlichem Blut aufgerufen und somit die antijüdische Tendenz erheblich verstärkt. Auch die Erwägungen, die der Jude über das Pfand anstellt, bevor er es wegwirft, offenbaren, dass die bestimmende Disposition des Juden sein Christenhass ist, steht doch der Entschluss, das Bein wegzuwerfen von vornherein fest. Nicht mehr der potentielle Nutzen, der Geruch oder das Gewicht des Beines führen zu einer Entscheidung, sondern dass »dem bezahler der verlust seines unterpfandes sampt der Summa vnnd interesse zu thewr ankommen«43 wird. Die möglichen Folgen der Tat – in erster Linie eine Klage Fausts – werden zwar erwogen, ändern jedoch nichts an dem aus Hass geborenen Entschluss. Als Faust nun sein Pfand zurückfordert und dem Gläubiger das geliehene Geld »i[m] beysein ehrlicher leute«44 zurückgeben will, kommt es zur Konfrontation, in der der Jude jedoch – entgegen seinen vorherigen »harten worten«45 – nicht nur zurückhaltend, sondern mehr noch ängstlich reagiert und von sich aus Faust eine Entschädigung anbietet. Die judenfeindliche Tendenz der Episode nimmt somit zu, wenn sich der Jude nicht nur als geldgieriger Christenfeind erweist, sondern auch als Feigling. Darüber hinaus ist eine weitere Transformation gegenüber der Vorlage anzuführen: die Ausweitung des Personenkreises, wenn Faust die Rückgabe des Pfandes im »beysein ehrlicher leute«46 fordert. Die Umstehenden fungieren hier als Zeugen sowie Ordnungsstifter,47 mit der Folge, dass die Szene zur Gerichtsszene wird und damit an die tradierte Erzählung vom Fleischpfand angeknüpft wird, in der das Leben des Schuldners stets vor Gericht erstritten werden muss. Vielfach tradiertes und transformiertes Material wird hier folglich weiter tradiert und transformiert – ein Verfahren, das implizit vom Erzähler selbst angesprochen wird, wenn berichtet wird, wie Faust die Geschichte vom Pfand selbst weitererzählt. Die gewichtigste Änderung gegenüber der Vorlage stellt aber die Hinzufügung der gelehrten Kommentierung, die sogenannten »Erinnerungen«, dar, in der die in der Vorlage angelegte Deutung – Jude und Faust als Exempel für die Verblendung durch den Teufel – aufgegriffen und ausgeführt wird. Unter Verweis auf Augustinus und Lactantius wird dargelegt, dass alle Verblendung vom Teufel selbst komme, sowie ein weiteres Beispiel für das schädliche Wirken eines Schwarzkünstlers gegeben. Die Kommentierung übernimmt hier zwei Funktionen: Zum ersten wird dem Geschehen der Erzählung Glaubwürdigkeit verliehen, wenn der Kommentator darauf besteht, dass ihm »glaublich vor 4. Jahren 43 44 45 46 47

Ebd., S. 268. Ebd., S. 269. Ebd., S. 267. Ebd., S. 269. So fordert Faust sie auf, den Juden festnehmen zu lassen bzw. Faust eine Entschädigung zukommen zu lassen. Vgl. ebd., S. 269.

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gesagt worden«48 sei, dass auch der Schwarzkünstler Nusch andere mit seinem Sinnenzauber getäuscht hat. Zum anderen wird unter Heranziehung kirchlicher Autoritäten wie Augustinus und Lactantius dargelegt, welche Möglichkeiten sich aus der Teufelsmacht ergeben (Verblendung) und Mephostophiles somit – quasi durch die Hintertür des Kommentars – wieder eingeführt, spielt er doch in der Erzählung selbst nur eine unbedeutende Rolle.49 Fausts »in aller Regel ebenso selbstständig[es] wie selbstbewusst[es]«50 Handeln wird somit bei Widmann an den Teufel zurückgebunden, ohne jedoch Faust von seiner Schuld zu entlasten. Auch wenn der Betrug am Juden keiner direkten Kritik unterzogen wird, wird durch die Verweise auf Augustinus und Lactantius sowie das Beispiel des Mörders und Schwarzkünstler Nusch doch deutlich, dass es sich bei dem Betrug eben nicht nur um einen harmlosen Scherz handelt, der letztlich der moralischen Belehrung des christenhassenden Juden dient: Faust, verleitet durch Genuss- und Repräsentiersucht, bedient sich teuflischer Mächte und wird so zu einem dem Bösen vollständig verfallenen Zauberer. Der Kommentar zielt folglich darauf ab, nicht nur dem Betrug am Juden Glaubwürdigkeit zu verleihen, sondern Faust selbst einer Kritik zu unterziehen, auch wenn innerhalb der Erzählung der Betrug als gerechtfertigt oder zumindest harmlos erscheint. Gerade durch die Kommentierung kommt es somit zu einer Auflösung des bei Roßhirt und in der Historia deutlichen Schwankcharakters, die Schadenfreude über den betrogenen Juden wird zurückgenommen und die Mahn- und Warnfunktion der Erzählung tritt – gemäß der Vorrede51 – in den Vordergrund. Eine weitere narrative Ausweitung erfährt die Episode dann durch den Nürnberger Physikus Johann Nikolaus Pfitzer, der 1674 eine Überarbeitung der Widmannschen Ausgabe bei Endter in Nürnberg herausgab. Pfitzer legte dabei die Widmannsche Ausgabe zugrunde, übernahm aber auch zwei zusätzliche Kapitel aus der Historia von Spieß. Die Texte Widmanns – dass heißt sowohl die Historien wie auch die von Widmann beigefügten umfangreichen Kommentare – werden von Pfitzer gekürzt, erweitert, umformuliert, kommentiert oder gestrichen.52 Auch die Episode vom ausgerissenen Bein überarbeitet Pfitzer intensiv, wenn er den zeitlichen Ablauf ändert, nochmals gegenüber Widmann den Personenkreis erweitert, den Betrug am Juden begründet und den Kommentar erweitert. Gleich zu Beginn der Erzählung kommt es zu einer bedeutenden Transformation: Fausts bereits bei Widmann angelegte Genuss- und Repräsentations-

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Ebd., S. 270. Zur Absenz von Mephostophiles vgl. Münkler, Narrative Ambiguität, S. 109f. Münkler, Narrative Ambiguität, S. 110. Vgl. Widmann, Wahrhafftige Historien, Vorrede. Vgl. zu den Transformationen Münkler, Narrative Ambiguität, S. 182–185.

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sucht wird ins Unermessliche gesteigert und wirkt sich fortan handlungsleitend aus: Wahr ist es/ daß der Geist Mephostophiles eben genug zu thun hatte/ Geld und Mittel zu verschaffen/ daß sein wollüstiger und verschwenderischer Herr/ der D. Faustus, genug zu banquetieren und zu verschlemmen hatte/ wollte demnach dieses so sehr nicht mehr thun […].53

Faust, allein daran interessiert, wie sein »Nam ausgebreitet werden«54 kann und »Geld mit guten Gesellen zu verspielen«,55 ist getrieben von Geltungssucht, womit es zu einer Umwertung auch des Betrugs an dem Juden kommt. Nicht mehr Schadenfreude über ein selbst nicht schuldloses Opfer dominiert, sondern die Verwerflichkeit von Faust wird deutlich herausgestrichen, wenn darauf verwiesen wird, dass der Betrug – neben der Geldakquise – der Erheiterung seiner Freunde dient.56 Der Jude wird dementsprechend auch, deutlicher als bei Widmann, zum Opfer : Er ist nur noch ein »fast reiche[r] Jude«57 und der Erzähler betont gleich zu Beginn, dass Faust »doch nicht im Sinn hatte/ solches [das geliehene Geld; Anm. d. Verf.] wieder zugeben«.58 Dennoch wird auch dem Juden eine Mitschuld zugesprochen, wenn Faust, während er sich das Geld leiht, das Bein nur »Schertzweise«59 als Pfand anbietet, der Jude diesen aber wörtlich versteht. Damit verändert sich aber auch der zeitliche Ablauf sowie die Vertragsbedingungen: Das Pfand im Falle der Nichteinlösung steht bereits zu Beginn fest, so dass weder Faust noch Jude im Nachhinein etwas an den Bedingungen ändern können. Der Vertragsabschluss wird dann auch von »den andern Anwesenden«60 bezeugt. Als Faust nun den Juden nach einem Monat wieder zu sich bestellt, ahnt dieser nichts Gutes, so dass er selbst zwei Zeugen mitbringt. Die Vorahnungen bestätigend, stellt sich Faust, als wüsste er nichts von der Vereinbarung. Doch nicht nur sein angebliches Unwissen über die Vertragsbedingungen, sondern auch sein despektierliches Verhalten gegenüber dem Juden reizen diesen, so dass er »gantz rasend«61 wird. Der Zorn des Juden, der im Übrigen noch nicht als Christenfeind tituliert wird, erscheint vor diesem Hintergrund gerechtfertigt, darüber hinaus wird aber auch das Beharren auf dem Unterpfand motiviert. Faust treibt mithin sein Spiel mit dem Juden, Spott über den Betrogenen wie in 53 54 55 56 57 58 59 60 61

Pfitzer, Das ärgerliche Leben und schreckliche Ende, S. 226 [Hervorhebung d. Verf.]. Ebd., S. 227. Ebd., S. 227. Vgl. ebd., S. 227. Ebd., S. 227. Ebd., S. 227. Ebd., S. 227. Ebd., S. 227. Ebd., S. 228.

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den schwankhaften Erzählungen von Roßhirt oder der Historia mag nicht aufkommen. Erst als der Jude Faust den Fuß abschneidet, wird der Vorwurf des jüdischen Blutdurstes angesprochen, wenn der Jude »als ein rechter Christenfeind«62 zu Werke geht. Dennoch erweist er sich – auch wenn er Faust »seiner Meynung nach« »halb todt«63 zurücklässt – nicht als grausamer Christenhasser, salbt er doch den Stumpf von Faust. Diese Handlung kann aber auch gegen den Juden gewendet werden: Stirbt Faust an der Wunde, erhält der Jude sein Geld nicht zurück. Dass aus diesem Geschäft nichts Gutes für den Juden erwachsen kann, ahnt er schließlich auch selbst, so dass er das Bein nach kurzer Beratung mit seinen Begleitern, der praktische Nutzen sowie die Verwesung spielen im Übrigen keine Rolle, wegwirft. Bereits in der ersten Hälfte kommt es mithin zu bedeutenden Transformationen: Faust erscheint als ruhmsüchtig, der sein Opfer so zu reizen versteht, dass dieses selbst zum Täter wird. Als Faust nun sein Pfand zurückfordert, wird die bei Widmann bereits angedeutete Gerichtsszenerie vollends entfaltet: Vorbereitet durch die stets anwesenden Zeugen auf beiden Seiten und das Vorlesen der Schuldverschreibung wird die Verhandlung um die Rückgabe des Pfandes in Fausts Stube zu einer Gerichtsverhandlung. Dementsprechend werden nicht nur Fausts Freunde als Zeugen, sondern auch »zween Gerichts Bediente« in die Stube zitiert und der Jude »gleichsam mit Gewalt mitzugehen gezwungen«.64 Dem Juden bleibt schließlich nichts anderes übrig, als Faust, der sich selbst mithilfe einer Lüge zum Opfer stilisiert, seine Schulden zu erlassen und ihn für den abhanden gekommenen Fuß zu entschädigen. Am Schluss der Erzählung wird sodann nochmals die bereits zu Beginn vorgenommene Disqualifizierung Fausts als ruhmsüchtiger Genussmensch wiederholt und bestätigt, wenn er sich mit dem Geld des Juden »recht lustig erzeiget«65 und den Juden mit seinen Freunden verlacht. Bei der Kommentierung der Episode übernimmt Pfitzer die Kommentare Widmanns, die alle trotz unterschiedlicher Provinienz (Lactantius, Augustinus, Schwarzkünstler Nusch) die Verblendung durch den Teufel in den Fokus rücken – ohne Bezug zum Judentum. Damit wird zugleich die folgende Erzählung vom betrogenen Roßtäuscher vorbereitet. Pfitzer belässt es jedoch nicht bei dieser Übernahme, sondern stellt seinem Kommentar eine Historie aus Harsdörffers Schauplatz jämmerlicher Mord-Geschichte voran: die 135. Historie Der gemarterte Jud.66 Nach einer einleitenden Frage – »ob man die Juden dulden sol oder 62 63 64 65 66

Ebd., S. 229. Ebd., S. 229. Ebd., S. 229. Ebd., S. 230. [Georg Philipp Harsdörffer :] Der Grosse Schauplatz jämmerlicher Mordgeschichte […]. [Hamburg 1659], zitiert nach der Ausgabe Georg Philipp Harsdörffer. Der Grosse Schauplatz

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nicht«67 – werden kurz Pro- und Contraargumente angeführt. Danach wird von dem aufsehenerregenden Fall Franz Ferdinand Engelbergers berichtet. Dieser zum Katholizismus konvertierte Jude war 1642 mit zwei anderen Juden in die Erzherzogliche Schatzkammer eingebrochen. Im Verlauf der Gerichtsverhandlung lästerte er dann wiederholt dem Christentum und wurde schließlich grausam gefoltert und hingerichtet. Harsdörffer hängt diesem Bericht – als Quelle dient Harsdörffer ein Flugblatt, das er um mehr als die Hälfte kürzt68 – eine weitere Erzählung über eine hingerichtete jüdische Konvertitin an und schließt mit einer versifizierten moralisatio. Pfitzer kürzt nun die bei Harsdörffer gegebene Erzählung um die moralisatio und ersetzt die bei Harsdörffer neutrale Einstiegsfrage – »Es ist eine schwere Frage: Ob man die Juden dulden sol oder nicht?«69 durch: Dieser Jud nun […] gibt alhier gute Anlaß zu fragen/ ob man die Juden/ weiln sie ebenmässig noch heutiges Tages so gesinnet seynd/ vnd man doch nie nichts Gutes sich zu ihnen zu versichern hat/ sie stellen sich gleich so gut an als sie immer wollen/ dulten und aufnehmen solle/ oder nicht.70

Die Ersetzung der einleitenden Frage bedingt, dass die Erzählung von Franz Ferdinand Engelberger eine deutliche antijüdische Stoßrichtung erhält, wird doch ein vermeintliches Abwägen von Argumenten zur Duldung ad absurdum geführt, wenn von vornherein feststeht, dass von Juden niemals »Gutes« zu erwarten sei. Auch wird der Deutungshorizont der folgenden Geschichte über Engelberger vorgegeben: Es handelt sich laut Eingangsfrage eben nicht um einen Einzelfall, sondern die Juden werden in ihrer Gesamtheit als verlogen und verstockt charakterisiert. Damit wird zugleich die Geschichte von Engelberger mit der Episode vom Fuß als Pfand verschränkt: Der dort namenlose Jude wird zum Repräsentanten der Gesamtheit der Juden, sind Juden doch stets – so Kommentar und Erzählung – Christenfeinde. Das in der Erzählung vom Fuß als Pfand angelegte antijüdische Potential kommt mithin durch die Lektüre des Kommentars zur Entfaltung und erhält durch die Rückbindung an die Realität – der Fall Engelberger ereignete sich tatsächlich in Wien 1642 und wurde über die Grenzen Wiens hinaus weit verbreitet71 – Beweiskraft.

67 68

69 70 71

jämmerlicher Mordgeschichte. Beigebunden ist: Neue Zugabe, Bestehend in C. Sinnbildern. Hildesheim, New York 1978 [Nachdruck der Ausgabe Hamburg 1659], S. 464–468. Harsdörffer, Der Grosse Schauplatz jämmerlicher Mordgeschichte, S. 464. [Anonym:] Eine sehr denckwürdige Historie/ Von einem getaufften/ doch wider vom Christenthumb abgefallenen Juden/ welcher wegen Diebstal sampt zweyen andern Juden in Wien ergriffen/ und justificiert worden. [Wien 1642]. Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum, Graphische Sammlung, Inv.-Nr. HB 212, Kapsel 1279. Harsdörffer, Der grosse Schauplatz jämmerlicher Mordgeschichte, S. 464. Pfitzer, Das ärgerliche Leben und schreckliche Ende, S. 230. Vgl. beispielhaft Theatrum Europaeum, Oder/ Außführliche und Warhafftige Beschreibung

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Die Juden erscheinen bei Pfitzer insgesamt als Werkzeug des Teufels72 und die Teufelsmacht ist dann auch das verbindende Element des Kommentars: So stehen die einzelnen Versatzstücke – Augustinus, Lactantius, Nusch und Harsdörffer – auf den ersten Blick recht unverbunden nebeneinander, insgesamt dokumentieren sie aber alle das Wirken des Teufels auf Erden, wie es sich auch in der Erzählung vom verpfändeten Fuß zeigt. Die These, dass auch der regionale Kontext eine nicht unbedeutende Rolle bei der Abfassung der jeweiligen Faustschriften spielt, lässt sich schließlich ebenfalls mit Blick auf den Kommentar, genauer die Ergänzung des Widmannschen Kommentars um den Gemarterten Jud, begründen. So kommt es zwar durch die Anführung der Historie von Engelberger zu einer semantischen Verschiebung, doch dieses hätten auch zahlreiche andere Exempel in der Literatur des 16. und 17. Jahrhunderts, die die Juden als verstockt, unbekehrbar, christenfeindlich, mörderisch usw. verwerfen, geleistet. Warum also gerade der Text Harsdörffers? Zunächst kann vermutet werden, dass Pfitzer – wenn er nicht ohnehin den Schauplatz jämmerlicher Mordgeschichte kannte – über den Nürnberger Verleger Endter mit dem Text in Berührung kam, veröffentlichten doch sowohl Harsdörffer wie auch Pfitzer in dessen Verlag.73 Darüber hinaus fungiert der bei Pfitzer namentlich genannte Harsdörffer als autoritärer Verweis: Durch Anschluss an Harsdörffer und dessen Position im kulturellen Feld der Stadt Nürnberg wird erstens erhöhte Aufmerksamkeit für das eigene kompilatorische Schreiben Pfitzers und damit die eigene Person erhofft – der Verweis auf Harsdörffer dient folglich der strategischen Positionierung. Zweitens fungiert die Aufnahme des Harsdörfferschen Textes durch dessen literarisches Prestige als Beglaubigungsstrategie für Pfitzers These von der Verwerflichkeit der Juden. aller und jeder denckwürdiger Geschichten/ so sich hin und wieder in der Welt/ fürnemblich aber in Europa, und Teutschlanden/ so wol im Religion- als Prophan-Wesen/ vom Jahr Christi 1617. biß auff das Jahr […] sich zugetragen haben/ […]. 21. Bde. Frankfurt 1635–1738, hier Bd. 4, S. 976; Warhaffter Bericht So sich zu Wien in Oesterreich mit dreyen Juden zugetragen: darunter einer/ so von diesem ein vornehmer Rabbi gewesen/ unnd sich vor etlichen Jahren zu Rackawitz in Poln tauffen lassen/ aber […] die Christenheit verleugnet […]. So geschehen in Wien den 16/26. Augusti 1642. [Wien 1642] oder Warhaffte vnd erschröckliche Zeitung/ So geschehen diß 1642. jar/ den 26. Augusti/ in der Kays. Hauptstatt Wien in Österreich/ von drey Gottlosen Juden/ so vmb ihrer Dieberey willen […] vmb das Leben kommen […] in ein Gesang verfaßt […]. [Augsburg 1642]. 72 Besonders deutlich wird dies in den Kommentaren zum Teufelspakt, in denen Beispiele für angebliche jüdische Ritualmorde gegeben werden. Vgl. Widmann, Wahrhafftige Historien, S. 58–77 und Pfitzer, Das ärgerliche Leben, S. 69–77. 73 Pfitzer hatte auch seine beiden vorhergehenden medizinischen Schriften bei Endter verlegt. Von einer persönlichen Bekanntschaft zwischen Harsdörffer und Pfitzer ist nicht auszugehen, kam Pfitzer doch erst 1660, zwei Jahre nach dem Tod Harsdörffers, zurück nach Nürnberg. Vgl. Georg Andreas Will: Nürnbergisches Gelehrten-Lexicon oder Beschreibung aller Nürnbergischen Gelehrten […]. Teil I–IV. Nürnberg, Altdorf 1755–1758, hier Bd. 3, S. 159.

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Darüber hinaus erscheint gerade die Erzählung Harsdörffers geeignet, um mögliche realhistorische Implikationen der Erzählung – wie etwa die Ausweisung und Vertreibung der Juden – in Bezug auf Nürnberg und Umgebung anzudenken. So waren zwar in Nürnberg seit 1499 keine Juden mehr ansässig, erst 1850 kam es zu einer Wiederaufnahme,74 doch nach der Ausweisung aus Wien 1670 kamen viele Juden nach Fürth, unter ihnen äußerst wohlhabende Familien, die eine rege Wirtschaftstätigkeit entfalteten.75 Die Anwesenheit der Juden im nahegelegenen Fürth sowie das Anwachsen der dortigen Gemeinde wurden durchaus von den Nürnbergern wahrgenommen und registriert. So schreibt beispielsweise Catharina Regina von Greiffenberg an Sigmund von Birken 1679 über einen Besuch in Fürth76 und Birken notiert in seinem Tagebuch Ereignisse innerhalb der jüdischen Gemeinde: »Mit U[xore], Fr[au] D. Röderin, ihrem ledigen Sohn u[nd] Tocht[er] u[nd] H[errn] Braun, nach Fürth zur JudenHoch[zeit]«.77 Vor dem Hintergrund, dass erstens die Erzählung von Faust sowie der von Widmann übernommene Kommentarteil nicht von Duldung oder Vertreibung von Juden handeln, wohl aber – zweitens – Der gemarterte Jud dieses ›Problem‹ thematisiert, erscheint es plausibel, dass Pfitzer den berühmten Nürnberger zur Duldung bzw. Vertreibung der Juden zitiert und nicht einen anderen, letztlich austauschbaren antijüdischen Belegtext. Pfitzers Kommentar und damit Hars74 Vgl. einführend zur Geschichte der Juden in Nürnberg Alexander Schmidt: »Eine ganz moderne Gemeinde…«. Zur Geschichte der Nürnberger Juden vor 1933. In: Michael Brenner und Daniela F. Eisenstein: Die Juden in Franken. München 2012 (Studien zur Jüdischen Geschichte und Kultur in Bayern, 5), S. 181–198 sowie zur Vertreibung Markus J. Wenninger : Man bedarf keiner Juden mehr. Ursachen und Hintergründe ihrer Vertreibung aus den deutschen Reichsstädten im 15. Jahrhundert. Wien u. a. 1981, S. 135–154. 75 Vgl. Daniela F. Eisenstein: »Über die vielen Juden klagt man bitter…«. Jüdisches Leben in Fürth vom 16. bis ins 19. Jahrhundert. In: Michael Brenner und Daniela F. Eisenstein: Die Juden in Franken. München 2012 (Studien zur Jüdischen Geschichte und Kultur in Bayern, 5), S. 139–156, hier S. 142f. 76 Brief von Regina Catharina von Greiffenberg an Sigmund von Birken vom 21. 11. 1679. Zitiert nach: Der Briefwechsel zwischen Sigmund von Birken und Catharina Regina von Greiffenberg. Hg. von Hartmut Laufhütte. Teil I: Die Texte. Tübingen 2005 (Neudrucke deutscher Literaturwerke, N. F. 50), S. 348. 77 Sigmund von Birken: Eintrag vom 11. 05. 1676, zitiert nach: Die Tagebücher des Sigmund von Birken. Bearb. von Joachim Kröll. Band 2. Würzburg 1974 (Veröffentlichungen der Gesellschaft für fränkische Geschichte, Reihe VIII, 5), S. 325. Vgl. weiter auch den Eintrag in Zedlers Universallexikon: »Ausser den Christlichen Einwohnern hat sich eine grosse Menge Juden angehäuffet, welche sich auf etliche tausend Seelen beläufft […]. Heut zu Tage haben sie 2. Haupt= und verschiedene Hauß=Synagogen, viele Hauß=Schulen, auch gar eine jüdische hohe Schule nach und nach zu stifften sich unterfangen, wie denn bereits 2. ansehnliche, sogenannte allgemeine Lehr=Häuser vorhanden, auch die Menge der studierenden Juden=Söhne, die von vielen fremden Orten sich dahin begeben, ihr Vorhaben genugsam entdeckt.« Art. Fürth. In: Johann Heinrich Zedler : Grosses Vollständiges Universallexikon Aller Wissenschafften und Künste […]. Bd. 9. Halle, Leipzig 1741, Sp. 1159.

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dörffers Erzählung wird somit – zumindest für Nürnberger und Fürther – zu einem hochaktuellen Text, wenn Pfitzer empfiehlt, keine Juden zu dulden. Dieses ist sicherlich kein unübliches Vorgehen, erschienen doch immer zeitgleich zur Aufnahme und Duldung von Juden Hetzschriften dagegen. Auffällig ist jedoch im Falle Pfitzers, dass er sich nicht nur namentlich auf Harsdörffer beruft, sondern gerade einen solchen Belegtext auswählt, der von einem Wiener Juden handelt. Insofern lässt sich mit Blick auf Pfitzer argumentieren, dass die regionale Verortung nicht nur der Erzählungen selbst, sondern textextern auch der Ort der Abfassung durchaus von Bedeutung ist. Johann Nicolaus Pfitzer schreibt sich mit der Erzählung somit in einen spezifischen regionalen Diskurs ein. Zuletzt sei noch auf das im Faustbuch des Christlich Meynenden von 1725 verwiesen; Erscheint Faust bei Widmann und Pfitzer als Ruhmsüchtiger, der in seiner eigenen Verblendung zwar einen Juden betrügt, sich damit jedoch nicht schuldiger macht, als der Jude selbst, findet sich im Faustbuch des Christlich Meynenden nochmals eine deutliche Umwertung der Figuren: Der Christlich Meynende kürzt Pfitzers Faustbuch um die Kommentare sowie einzelne Kapitel und fasst Kapitel zusammen, so dass von den 635 Seiten bei Pfitzer nur noch 46 Seiten bei dem Christlich Meynenden übrig bleiben,78 und Faust als abschreckendes Exempel erscheint, der sich – betrachtet man die Zauberepisoden – in erster Linie durch Geldgier auszeichnet.79 Dies lässt sich auch anhand der Episode vom ausgerissenen Bein zeigen: Der Christlich Meynende orientiert sich hier stark an Pfitzer – so salbt auch hier der Jude Fausts Wunde –, kürzt die Vorlage jedoch, indem er das bei Pfitzer ausführlich dargestellte Geschehen knapp zusammenfasst. Dies hat zur Folge, dass zum einen Fausts Geldgier betont wird – Mephistophilis80 spielt keine Rolle –, zum anderen, dass der Jude nun noch stärker als bei Pfitzer als Christenfeind erscheint, wenn das Motiv für seine Wut, Fausts Diffamierungen, wegfällt. Zugleich wirft er aber den Fuß aus »Reue […] ins Wasser«81 – worüber er genau Reue empfindet bleibt jedoch unklar. Unklar bleibt auch, warum der Streit am Ende ohne weitere Erklärungen »per amicabilem compositionem«82 beigelegt wird. Die radikalen Kürzungen und Zusammenfassungen, die der Christlich Meynende vornimmt, haben – mit Blick auf diese Episode – also mehrere Konsequenzen: Zum einen wird Faust hinsichtlich seiner Motive eindeutiger, allein seine Geldgier begründet seine Handlungen. Zum anderen bedingen die Kürzungen, dass die jüdische Figur an Eindeutigkeit verliert, wenn ihren Handlungen eine kausale Motivation fehlt. 78 Münkler, Narrative Ambiguität, S. 186. 79 Ebd., S. 191. 80 So die Schreibung im Faustbuch des Christlich Meynenden. Vgl. Faustbuch des Christlich Meynenden, S. 19. 81 Ebd., S. 19. 82 Ebd., S. 20.

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Victoria Gutsche

Damit wird jedoch drittens der Exempelcharakter unterlaufen: Nicht nur die Handlungen des Juden erscheinen unmotiviert, auch das Ende bleibt unklar, eine eindeutige Lehre ist aus dieser Episode – entgegen der Ankündigung auf dem Titelblatt, die die Erzählung »allen vorsetzlichen Sündern zu einer hertzlichen Vermahnung und Warnung«83 anempfiehlt – kaum noch zu ziehen.

Fazit Sind die frühen Faustschriften – in erster Linie Roßhirts Handschrift sowie die Historia – noch auf Eindeutigkeit hin angelegt – Faust erscheint hier als geldund repräsentationssüchtiger Frevler, der sich zwar sündhaft gegenüber dem Juden verhält, dieser jedoch wiederum als zu Recht betrogenen erscheint – kommt es im Zuge der Transformationen zu einer Umwertung der Figuren. Faust erfährt eine allmähliche Abwertung, was jedoch nicht umgekehrt eine Aufwertung des Juden bedingt; vielmehr nimmt die antijüdische Stoßrichtung der einzelnen Texte immer mehr zu. Darüber hinaus stellt die Hinzufügung der Kommentare bei Widmann und Pfitzer eine bedeutende Transformation dar, dienen sie doch nicht nur der Herstellung von Glaubwürdigkeit durch Zitation von Autoritäten, sondern vor allem der Pluralisierung der Sinnhorizonte: Nicht mehr nur der unterhaltsame Betrug an einem Juden wird dargeboten, sondern das Geschehen wird über die Kommentare perspektivisch erweitert, so dass nun nicht nur das Problem der Verblendung (von Faust sowie von dem Juden) verhandelt wird, sondern auch die Duldung von Juden in der Nürnberger Umgebung diskutiert wird. Der Christlich Meynende schließlich kürzt seine Vorlagen radikal, was jedoch nicht Eindeutigkeit und Einebnung der bei Widmann und Pfitzer aufgerufenen Sinnhorizonte zur Folge hat, sondern Ambivalenz, wenn zwar die Handlungen Fausts konsequent über seine Geld- und Machtgier motiviert werden, die jüdische Figur sowie die abschließende Einigung einer auf Eindeutigkeit angelegten Lesart jedoch entgegenstehen. Überblickt man diese Transformationen kann nicht von einer gradlinigen Entwicklung ausgegangen werden, in deren Zuge sich die Verfasser der jeweiligen Faustschriften stets nur an ihrem unmittelbaren Vorgänger abarbeiteten und diesen lediglich ausschrieben bzw. kürzten und die einzelnen Episoden ein Geschehen somit nur unwesentlich variiert darbieten. Vielmehr werden gerade durch die zahlreichen Transformationsphänomene die einzelnen Episoden zu neuen Erzählungen.

83 Ebd., S. 1 [Titelblatt]. Vgl. dazu weiter auch Münkler, Narrative Ambiguität, S. 191f.

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Auf den Spuren eines hessisch-mitteldeutschen Späthumanismus.* Artus Vigelius und seine Epithalamien-Anthologie

I. Kapitel Ein unbekannter Zincgref in einer späthumanistischen Anthologie Vorbemerkungen 1. Dass Anthologien als eine der konkret fassbaren »Verschränkungszonen von Literarischem und Gesellschaftlichem« gelten, »die literatursoziologischen und stilkritischen Untersuchungen zugleich zugänglich sind«, hat Walter Höllerer Ende der 60er Jahre, zur Hochzeit programmatischer Forderungen nach Öffnung der Literaturgeschichtsschreibung für Fragen der gesellschaftlichen Bedingtheit, Relevanz und Wirkung von Literatur und Kunst, konstatiert.1 Dass es ein Viertel Jahrhundert später an repräsentativer Stelle dann noch immer hat heißen können, Anthologien seien »ein noch nicht annähernd ausgeschöpfter Forschungsgegenstand«,2 obwohl mit den im zweiteiligen Sammelband Die deutschsprachige Anthologie vereinigten Beiträgen eine wichtige Anregung gegeben worden war, mutet angesichts des cultural turn der germanistischen Literaturgeschichtsschreibung allerdings ziemlich überraschend an. Die von Höllerer »literatursoziologisch« genannte Literaturforschung ist ja seinem eigenen Verständnis nach keineswegs nur ›sozialgeschichtlich‹ gemeint und wäre * Für vielfältige Hilfen danken wir Sigrid Kohlmann (UB Erlangen), Jürgen Lenzing (ULB Münster), Christian Hogrefe (HAB Wolfenbüttel) und Dr. Lutz Mahnke (Ratsschulbibliothek Zwickau). 1 Walter Höllerer : Vorwort. In: Die deutschsprachige Anthologie. Hg. von Joachim Bark / Dietger Pforte, 2 Bde. Frankfurt a. M. 1969–1970 (Studien zur Philosophie und Literatur des neunzehnten Jahrhunderts, 2), hier 2/1: Ein Beitrag zu ihrer Theorie und eine Auswahlbibliographie des Zeitraums 1800–1950, 1970, S. VII–XI, hier S. VII. 2 Vgl. Joachim Bark: Art. Anthologie. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik [WbRh] 1, 1992, Sp. 678–685, hier Sp. 684 mit der zitierten Schlussbemerkung des Artikels; vom selben Vf.: Art. Anthologie. In: Literaturlexikon. Begriffe, Realien, Methoden. Hg. von Volker Meid. Gütersloh, München 1992 (= Literaturlexikon. Autoren und Werke deutscher Sprache. Hg. von Walther Killy, 13), S. 29–30.

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im Sinne der Kulturalistischen Wende durchaus ›soziokulturell‹ aufzufassen gewesen,3 so dass sich eine derart angeregte Anthologie-Forschung hätte forcieren lassen. Dies ist nur für wenige Teilbereiche der neueren deutschen Literaturgeschichte der Fall: gelegentlich des 18., dominant des 19. und gelegentlich des 20. Jahrhunderts, und dank der in Projektbildungen eingebetteten Aktivitäten Einzelner im Rahmen des Münchner Projekts »Sozialgeschichte der deutschen Literatur«, eines freilich auf die literarische Neuzeit eingeschränkten Beschreibungszeitraums. Mit der wichtigen Studie Conrad Wiedemanns zur Anthologie im 17. Jahrhundert scheint hier der spezielle Forschungsstand günstiger, ihr Gegenstandsbereich vergleichsweise exhaustiv behandelt zu sein. Aber selbst diese Studie ist erneut unter den Vorbehalt gestellt, dass, unabhängig von der Forschungsdiskussion, nicht einmal »die bibliographischen und textlichen Gegebenheiten […] eine wirklich gründliche Bearbeitung des Themas [zuließen].«4 Der Vorbehalt mag in der selbstkritischen Haltung des Verfassers motiviert sein, hat jedoch auch ›objektive‹ Gründe. Wiedemann beschränkt sich der thematischen Vorgabe des Sammelbandes entsprechend auf die deutschsprachige Anthologie (insbesondere einer speziellen Prosatypik). Er geht jedoch schon insoweit über den eng begrenzten Rahmen hinaus, als er beispielsweise mit dem Hinweis auf die 1608 bis 1614 erschienenen vielbändigen Delitiae Poetarum Belgicorum (- Gallorum, Germanorum, Italorum) Janus Gruters5 an den Sachverhalt erinnert, dass in der deutschen Literaturlandschaft der frühen Neuzeit Anthologien zur Schatzkammer von Gedichten vor allem in der lingua Latina geworden sind. Darüber hinaus unterstreicht er dies, eben zu einem frühen Zeitpunkt der Anthologieforschung, mit einer ersten Analyse des Aufbaus des 1650 publizierten Arbustum vel Arboretum Augustaeum von Martin Gosky, dem Wolfenbütteler Hof-Archivar.6 Mit diesen Beobachtungen zu dem von ihm so genannten »Vorspiel« der deutschsprachigen Anthologie konnte Wiedemann zugleich andeuten, dass die ohnehin erst Anfang der 60er Jahre wieder in Gang gekommene Erforschung der intertextuellen Grundlagen der deutschen Literatur beispielsweise in der neulateinischen Dichtungstradition, aber ebenso ihre interkulturelle Einbettung in den Kulturraum Altes Europa genau das in solchen Zusammenhängen interessante Segment: die Anthologie als eigenen Typ literarischer und kultureller Formierung und Distribution neulateinischer Poesie 3 Vgl. dazu das Vorwort Höllerers im Weiteren. 4 Conrad Wiedemann: Vorspiel der Anthologie. Konstruktivistische, repräsentative und anthologische Sammelformen in der deutschen Literatur des 17. Jahrhunderts. In: Die deutschsprachige Anthologie (wie Anm. 1), hier 2/2: Studien zu ihrer Geschichte und Wirkungsform. 1969, S. 1–47, hier S. 3. 5 Vgl. Wiedemann, Vorspiel (wie Anm. 4), hier S. 3. 6 Vgl. Wiedemann, Vorspiel (wie Anm. 4), hier S. 15–18.

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und Kulturalität, zum Forschungsparadigma hätte erheben können. Das ist bislang in der germanistischen Literaturgeschichtsschreibung nicht oder nur unzureichend geschehen und kann hier allenfalls mit einem interessanten Beispiel illustriert werden. 2. In der defizitären Kenntnis einer dichteren Anthologie-Tradition neulateinischer Dichtung ist auch ein Grund dafür zu sehen, dass sich bei der Edition und den Forschungen zum Werk Julius Wilhelm Zincgrefs nicht zuletzt im Hinblick auf seine Lyrik immer auch einmal ein bislang unbekannter Text findet. Dem 1635 von der Pest dahingerafften Autor war ja wegen der schwierigen politischen Umstände nie die Gelegenheit gegeben, eine eigene Werkausgabe einzurichten – im Unterschied zu Zeitgenossen wie etwa Martin Opitz oder Friedrich von Logau. Die Möglichkeiten des anthologischen Zugriffs auf seine poetischen Arbeiten wie somit auch auf die Bandbreite ihres rezeptions- und wirkungsgeschichtlichen Potentials waren infolgedessen erheblich eingeschränkt. Dies gilt nochmals umso mehr, als die lateinischen Poemata, in der Regel Kasualgedichte, über die unausschreitbare Landschaft des Gelegenheitsschrifttums verstreut sind7 und auch dem zeitgenössischen Anthologisten unbekannt blieben, sofern ihm nicht eine Abschrift des Casualcarmen oder gar ein gedrucktes Exemplar der ganzen Gelegenheitsschrift über seine Gelehrtenfreunde zugetragen worden war. Es ist daher wohl einem besonders glücklichen Umstand zu verdanken, dass sich Johann Leonhard Weidner, der langjährige Freund aus gemeinsamen Studienzeiten und späthumanistisch gelehrte Schulmann, daran gemacht hat, Zincgrefs lateinische Jugenddichtungen (Iuvenilia) zu sammeln und mit der poetischen Hinterlassenschaft (Reliquiae) Friedrich Lingelsheims sowie seinen eigenen Versuchen (Conatus) in einem Buch zu vereinigen: in der Triga Amico Poetica von 1619.8 Erich Trunz, dem noch das inzwischen verschollene Berliner 7 Zu einem signifikanten Beispiel vgl. Wilhelm Kühlmann: Ein unbekanntes Gedicht Julius Wilhelm Zincgrefs. In: Wolfenbütteler Barock-Nachrichten 8 (1981), Heft 2, S. 236–238: ein Epicedium auf den Heidelberger Medizinprofessor Nicolaus Bachendorp (1573–1621), den Hausarzt der Familie Zincgref, überliefert in einer Leichenpredigt-Sammlung der UB Heidelberg (Sign.: F 2791, Bd. V, Nr. 15). 8 Dieses zu den äußersten Rara zählende Buch wurde erst um 1970 im Zuge der für die historisch-kritische Ausgabe der Schriften Zincgrefs in In- und Ausland durchgeführten Bibliotheksumfrage wiederentdeckt; vgl. Dieter Mertens / Theodor Verweyen: Bericht über die Vorarbeiten zu einer Zincgref-Ausgabe. In: Jahrbuch für Internationale Germanistik IV (1972), Heft 2, S. 125–150, hier S. 138. Im Folgenden nun doch ein historisch klärendes Wort zur Wiederentdeckung. In WBN 1, 1974, H. 3 (September), S. 51f. hatte Martin Bircher unter Bezug auf den Zincgref-Biographen Schnorr von Carolsfeld notiert, dieser habe »als einzigen Standort dieses Buches ein Exemplar in Berlin« erwähnt, »das sich dort nicht erhalten zu haben scheint« und »das ich (M.B.) bisher erfolglos in den Bibliotheken der BRD, der DDR und der Schweiz habe suchen lassen«; »auch« Mertens und Verweyen, so Bircher weiter, »geben« in ihrem ›Bericht über die Vorarbeiten‹ von 1972 »keinen Standort der Triga an«.

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Exemplar der Triga für seine große Arbeit über den deutschen Späthumanismus von 1931 zur Verfügung gestanden hatte, verortete das bedeutende Büchlein der drei Freunde in der Reihe »späthumanistischer Freundschaftsbücher« und charakterisierte es darin als ›hervorragend‹.9 Inwieweit es aber auch in eine ganz andere Reihe, nämlich die der Anthologie, einzuordnen ist, lag nicht im Fokus seiner kultursoziologischen Untersuchungen10 zur späthumanistischen Gelehrtenkultur als Standeskultur, deren Bedeutung gleichwohl auch für die folgenden Beschreibungen gewahrt bleibt. Dass die Triga Amico Poetica eine Anthologie ist, daran kann aufgrund der jüngeren Merkmalsbestimmungen in der Anthologie-Diskussion, seien sie auch von unterschiedlicher Trennschärfe,11 kaum ernsthafter Zweifel bestehen. Und ebenso wenig ist zu bezweifeln, dass sie als ein illustratives Zeugnis für die Triftigkeit der grundlegenden These Höllerers gelten kann, ein Sammelband in der »Verschränkungszone von Literarischem und Gesellschaftlichem« zu sein.12

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Nun, zu diesem frühen Zeitpunkt der Recherchen für eine Edition keinen Standort anzugeben – was übrigens für viele neuentdeckte Texte Zincgrefs im Zusammenhang der Vorarbeiten zu einer Edition gilt, etwa für das unikate Epos –, muss ja nicht bedeuten, nicht vielleicht doch ein Exemplar dieses Rarum gefunden und benutzt zu haben. In WBN 2, 1975, H. 4 (Dezember), S. 166 vermutet Horst Meyer daher zutreffend, dass auch »Mertens und Verweyen das Elberfelder Exemplar benutzt« haben dürften. Tatsächlich ist die Triga im o.g. Bericht über die Vorarbeiten für erste kontextgeschichtliche Analysen und Entscheidungen der Heidelberger Gelehrtengruppen vor, um und nach 1600 umfänglich herangezogen worden. Ein »Nachtrag« von Wilhelm Kühlmann zur Zincgrefschen Werkbibliographie von 1972, Birchers Anmerkung betreffend, ist leider nicht durch den korrigierenden Hinweis Horst Meyers ergänzt; vgl. WBN 8, 1981, H. 2 (September), S. 236–238: siehe oben. Erich Trunz: Der deutsche Späthumanismus um 1600 als Standeskultur (zuerst 1931). In: Deutsche Barockforschung. Dokumentation einer Epoche. Hg. von Richard Alewyn. Köln, Berlin 31968 (Neue Wissenschaftliche Bibliothek, 7), S. 147–181, hier S. 170f., S. 181. Vgl. dazu Theodor Verweyen: Literarische Evolution um 1600. Epochenschwellen und Epochenprobleme im Blick auf Erich Trunz: Deutsche Literatur zwischen Späthumanismus und Barock (1995). In: Göttingische Gelehrte Anzeigen 252 (2000), Heft 1/2, S. 76–100, hier S. 85–94, bes. S. 91f. Vgl. Dietger Pforte: Die deutschsprachige Anthologie. Ein Beitrag zu ihrer Theorie. In: Die deutschsprachige Anthologie (wie Anm. 1) 2/1, S. XIII–CXVI, hier S. XXII–XXV; Bark, Art. Anthologie (wie Anm. 2), hier Sp. 678f.; Günter Häntzschel: Art. Anthologie. In: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft, Bd. 1. Hg. von Klaus Weimar u. a. Berlin, New York 1997, S. 98–100, hier S. 98f. – Eine wichtige Abgrenzung zu anderen »literarischen Publikationsformen« wie Silvae und Satura bei Wolfgang Adam: Poetische und Kritische Wälder. Untersuchungen zu Geschichte und Formen des Schreibens ›bei Gelegenheit‹. Heidelberg 1988 (Beihefte zum »Euphorion«, 22), hier S. 78–81; vgl. darüber hinaus die Abgrenzung der textsortenbezogenen Sammelform Stammbuch von der Anthologie als eigenem Typ der »Verarbeitung von Texten seitens der auswählenden Instanz« in: Werner Wilhelm Schnabel: Das Stammbuch. Konstitution und Geschichte einer textsortenbezogenen Sammelform bis ins erste Drittel des 18. Jahrhunderts. Tübingen 2003 (Frühe Neuzeit, 78), S. 30f. Vgl. dazu erste Verflechtungsanalysen im Gründungsbericht zur Zincgref-Ausgabe in: Mertens/Verweyen, Bericht über die Vorarbeiten (wie Anm. 8), hier S. 141–144; ferner zu deren Vertiefung in: Dieter Mertens: Zu Heidelberger Dichtern von Schede bis Zincgref. In:

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Darüber hinaus verbindet sich mit der Frage nach dem Anthologie-Charakter der Triga, die allein von Zincgref 184 lateinische Gedichte verschiedener Sujets und unterschiedlicher generischer Muster versammelt hat, der interessante Aspekt, welcher Status und Rang ihr in einer denkbaren Anthologie-Reihe hat zukommen können. 3. Im folgenden steht im Fokus der Beschreibungen: (I) ein einzelnes, bislang unbekanntes Gedicht Zincgrefs, (II) die Anthologie als sekundärer Überlieferungsträger des Zincgrefschen Gedichts und Artus Vigelius als ihr Sammler/ Herausgeber. Die Analysen weisen dabei in vielfältige, im übrigen neu erschlossene Kontextbezüge, die darzulegen sind, auch wenn im besonderen an einen kleinen literarhistorisch-empirischen Beitrag zum ungeklärten Komplex ›Neulateinisch-späthumanistische Anthologie‹ gedacht ist. Dass im Zuge der zweiten Analyse die Anthologie des Vigelius literaturintern als Makrotext im Verhältnis zum Zincgrefschen Einzelgedicht als Mikrotext fungiert, ist unabdingbar eine Konsequenz der Text-Kontext-Frage, insoweit funktionsgeschichtlichen, d. h. text- und literaturexternen Zusammenhängen Deskriptionsrelevanz zukommen soll.

I.

Zincgrefs Gedicht

1. Das Gedicht erscheint im überlieferten Druckbild wie folgt: JULII GUILIELMI ZINCGREFII EPIGRAMMA IN NUPTIAS ILLVSTRISSIMI IOHANNIS PHILIPPI COMITIS IN LEININGEN ET DAXPERG, DOMINI IN ASPREMONT, CVM ELISABETHA COMITISSA LEININGENSI & HARTEBURGI CELEBRATAS IX. JAN. CI I XX. HActenus in sterili vixit comes inclytus aul., Cunctaque tristitiae plena frequentis erant. Iam sese auspiciis melioribus induit annus, Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 103 (1974), S. 200–241, hier S. 201, S. 226–236.

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Cunctaque laetitiae plena recentis erunt, Quando Liningiades sese Heros Nymphaque vinclo Par consanguineum proximiore ligant. Sic viti gemma inseritur de vite propinqu., Sic rosa purpureis additur alba rosis. Arboris agnatae ramum sic ramus adoptat, Junctaque confuso Lilia odore placent: Haud secus illa arbor, foecundae stirpis honorem Divisa postquam fertilitate probat, Hinc redit in sese, coalescitque omine fausto, Vt se mox iterum separet innumeros In ramos; (sic opto) piis qui nexibus umbram Efficiant populo delitiasque suo.13 (Julius Wilhelm Zincgref: j Epigramm j auf die Vermählung j Seiner Erlaucht j Johannes Philipps Grafen zu Leiningen und Dagsburg, Herrn j zu Aspremont, j mit j Elisabetha Komteß j von Leiningen etc. zu Harteburg j gefeiert den 9. Januar j 1[6]20. Bis heute hat der weitgerühmte Graf in einem Schlosse leben müssen, das kein Leben kannte, alles quoll tagaus, tagein von Traurigkeit. Doch nunmehr hat das Jahr in glücklichere Vorbedeutung sich gekleidet, alles wird von frohem frischem Leben quellen, da sich nun der Held von Leiningen und seine Braut, wiewohl bereits ein blutsverwandtes Paar, in noch viel engerem Bund vereinen. Grade so wird einer Rebe von der nahverwandten Rebe eingepfropft das Auge, grade so paart man die weiße Rose mit den purpurfarbnen Rosen. Grade so empfängt ein Zweig den Zweig vom stammverwandten Baume, und die Lilien, zum Strauß vereint, erregen Wohlgefallen, wenn ihr Duft sich mischt. Nicht anders kehrt der Stamm von einst, nun er den Ruhmestitel seiner Wurzelkräfte durch geteilte Fruchtbarkeit beweist, von heut’ an zu sich selbst zurück und wächst aufs neu’ zusammen unter glückverheißender Bedeutung, um sich wiederum alsbald zu teilen in ein Astwerk ohne Zahl (so ist mein Wunsch), das fromm sich ineinander schlinge und so Schatten werden lasse seinem Volk, und Wonne.)

2. Das Gedicht, ein aus acht elegischen Distichen bestehendes Epigramma, spielt auf allen Ebenen rhetorisch durchformter Textbildung das Thema der Vermählung (nuptiae) durch. Dabei wird der eigene semantische Rang des Themas im Mittelteil der Distichenfolge (Distichen 4 und 5) mittels Vergleichen hervorgehoben: in drei mit sic eingeleiteten Syntagmen und mit einer que-Erwei13 Das Gedicht steht in der später anzuführenden Quelle (siehe Anm. 45), S. 475f. Textkritisches: die fehlerhafte Wiedergabe des Datums im Druck ist zu 1620 zu korrigieren; und in Vers 12 ist postquam fälschlich doppelt gesetzt.

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terung der dritten Syntagme. Die Syntagmen gewinnen ihrerseits durch vier organologische Metaphern – der veredelnden Kopulation und floralen Vereinigung – eine imaginativ-nachdrückliche Konkretheit. Das Tertium comparationis der metaphorischen Operationen formulieren die Stichworte consanguineus (»blutsverwandt«) im dritten Distichon zusammen mit der Bestimmung proximiore vinclo und agnatus (»blutsverwandt väterlicherseits«) im fünften Distichon. Metaphorische Verdichtung und semantische Steigerung überhöhen das factum brutum der Vermählung Blutsverwandter14 und verleihen ihm den Schein besonderer Eigenwilligkeit, freilich nicht des Heroisch-Elitären, auch wenn die Vokabeln Heros und Nympha (im dritten Distichon) dies zu insinuieren scheinen; sie bleiben die einzigen Ausdrücke einer, insgesamt gedämpften, Erhabenheitspanegyrik. Dem entspricht die mittlere Stillage, das genus medium dicendi, und zwar bis in die Auswahl der verwendeten Metaphern. Die Metaphernhäufung in Vers 7–10 verharrt nicht in schlichter Reihung. Ohnehin durch syntaktische Variation beweglich gehalten, wird sie vor allem makrostrukturell vom Grundgestus der argutia bestimmt, die sich hier als sinnenfällig-sinnfällige Überbietungsfigur ausbildet. Dieser, im übrigen sehr verhaltene, Spitzfindigkeitsgestus unterstreicht in poetologischer Hinsicht die Zuordnung des Gedichts zur Gattungsgeschichte des erotischen Epigramms.15 Das bedeutet im Vollzug des epigrammatischen Sprechens für die thematische Disposition eine Remetaphorisierung des lexikalisch gewordenen Ausdrucks »Stammbaum«. Dem Ausdruck liegt ja auf der primären semantischen Ebene als sprachliches Zeichen oder ersatzweise in graphischer Schematisierung als optisches Zeichen die Gestalt eines sich verzweigenden Baumes für genealogische Darstellung zugrunde. Mit der Remetaphorisierung geht eine Poetisierung einher : der ›Stammbaum‹ ist auf der Bildebene des Gedichts wirklich Baum. Im 2. Distichon mit der Adjektivkonstruktion plena laetitiae recentis auf die belebende Wirkung stammesverwandtschaftlicher Kopulation vorausweisend und im 5. Distichon mit der attributiven Bestimmung arbor agnata zugleich die stammesverwandtschaftliche Doppeldeutigkeit aufhebend, entwirft das lyrische Ich, okkurrent herausgehoben, in den beiden folgenden Distichen zum Zweck überhöhender Konfiguration der Vereinigungsmetaphorik einen zweifachen 14 Zum Problem der Ehe zwischen Verwandten im niederen Grad vgl. Sebastian Schmidt: Glaube – Herrschaft – Disziplin. Konfessionalisierung und Alltagskultur in den Ämtern Siegen und Dillenburg (1538–1683). Paderborn u. a. 2005 (Westfälisches Institut für Regionalgeschichte Münster. Forschungen zur Regionalgeschichte, 50), S. 57ff. Inwieweit die Darlegungen auch für die im Gedicht adressierte adelige Landesherrschaft in Anschlag zu bringen sind, bedürfte hier einer speziellen Untersuchung. 15 Vgl. Theodor Verweyen / Gunther Witting: Das Epigramm. Zum Problem von Struktur und Funktion am Beispiel seiner Geschichte. In: Gattungstheorie und Gattungsgeschichte. Ein Symposion. Hg. von Dieter Lamping / Dietrich Weber. Wuppertal 1990, S. 259–295.

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Prospekt: eine optativisch unterlegte Baumallegorie dynastischer Einheit (›ein Stamm‹) wie auch vervielfachender Vermehrung (›vielgliedriges Geäst‹) und damit verbunden die metonymische Wunschvorstellung schattenspendender Lust und beschirmender Herrschaft fürs Volk durch das glücklich wiedervereinigte gräfliche Haus. 3. Unter situationell-funktionalen Gesichtspunkten gehört das Gedicht zur Kasuallyrik und speziell zum Sujettyp Epithalamium. Es soll ein festlich-feierndes Poem auf die hochzeitliche Vereinigung eines bedeutenden Paares sein. Dabei sind, wie der Gedichttitel zeigt, der konkrete Anlass, die adressierten Hauptpersonen, deren Herkunft und gesellschaftlicher Status, die UntertanenBürger der Herrschaft als implizierte Adressaten, Örtlichkeit und Zeit des Anlasses usw. im Sinne des dem Genre eigenen Anspruches auf Referenzialisierbarkeit angezeigt.16 So ungewöhnlich ein solcher Titel in neuzeitlich-moderner Lyrik auch erscheinen mag, in der Gelegenheitsdichtung der frühen Neuzeit ist er das allergewöhnlichste. Der Autor eines derartigen Textes bewegt sich in den ziemlich engen Bahnen strikter Konventionen poetischer Hervorbringung, die im aptum, im Modell der gesellschaftlichen ebenso wie persönlichen ›Schicklichkeit‹, prägend vorgegeben sind. Die Frage ist dabei, inwieweit das aptum-Modell über den situationellen Kontext kasualer Poesie hinaus das diesem lyrischen Typus inhärente Konzept bestimmt, inwieweit es somit den Kernbereich des Erotischen epithalamischer Produktion und eben auch dieses Epithalamiums überlagert oder transformiert. Die Frage stellt sich, unabhängig von der Poetik und Geschichte des in die Antike zurückreichenden Gedichttyps, nicht zuletzt aufgrund literarischer Hervorbringungen im unmittelbaren Umfeld des Schaffens J. W. Zincgrefs selber. Als dieser den Anhang Vnderschiedlicher außgesuchter Getichten anderer mehr teutschen Poeten für seine Edition von Opitz’ Werksammlung Teutsche Poemata (Straßburg 1624) »zu einem Muster vnnd Fürbilde« künftiger deutscher Dichtung zusammentrug, nahm er auch das aus Anlass der zweiten Heirat Georg Michael Lingelsheims entstandene Hochzeitlied des Freundes der Familie und, wie der Hochzeiter, juristisch promovierten Petrus Denaisius auf.17 Bereits eine 16 Exemplarisch Albrecht Schöne: Kürbishütte und Königsberg. Modellversuch einer sozialgeschichtlichen Entzifferung poetischer Texte. Am Beispiel Simon Dach. München 1975. 17 Vgl. Auserlesene Gedichte Deutscher Poeten, gesammelt von Julius Wilhelm Zinkgref. 1624. Halle a.S. 1879 (Neudrucke deutscher Litteraturwerke des XVI. und XVII. Jahrhunderts, 15. Hg. von Wilhelm Braune), S. 3: Zitat aus Zincgrefs Vorbemerkung, S. 9–11: Hochzeitlied Herrn Doctori Jörg Michael Lingelsheimern, vnd Agnes Löfenijn. Zu Analysen und poetischen Einschätzungen der Zincgrefschen Anthologie vgl. zuletzt den wichtigen Beitrag von Achim Aurnhammer : Zincgref, Opitz und die sogenannte Zincgref ’sche Gedichtsammlung. In: Julius Wilhelm Zincgref und der Heidelberger Späthumanismus. Zur Blüte- und Kampfzeit der calvinistischen Kurpfalz. Hg. in Verb. mit Hermann Wiegand von Wilhelm Kühlmann. Ubstadt-Weiher u. a. 2011 (Mannheimer historische Schriften, 5), S. 263–283;

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Strophe aus diesem liedhaften Gedicht vermag die lyrikgeschichtliche Einsicht Wilhelm Kühlmanns zu bestätigen, dass »[i]m bürgerlichen Gesellschaftslied, dort, wo sich in Städten, an Universitäten, sangbare Lyrik im festen Umkreis begrenzter sozialer Gruppen entfaltete, […] auch […] der latent libertinistische Individualismus der anakreontischen Dichterrolle abrufbar und akzeptiert [blieb].«18 Die Schlußstrophe des Hochzeitliedes exemplifiziert schlagend diese Tendenz; sie evoziert – und das nicht ohne Komik und Witz – eine eigene imaginative Konkretheit, eine lebens- so gut wie alltagsweltliche Nähe. Fordert doch das lyrische Ich die Brautleute freizügig auf: Thut mundt mit mundt beschliessen Wie Muscheln an der Bach, Mit Armen vnd mit Füssen Thuts grünem Ebhew nach. Last Bettstatt Wacker krachen, Kein Music besser laut, Vnd wers wolt anders machen, Der bleib nur ohne Braut.

Poetisch-libertinistische Lizenzen solcher Art – es sind dies Lizenzen des genus humile dicendi und einer vom anakreontischen Lied provozierten, das Hochzeitlied mitgreifenden Gattungsinterferenz – sucht man im Epithalamium Zincgrefs vergebens. Das mag verwundern, da Zincgref ansonsten mit Denaisius, dem juristischen Weggefährten und Freund seines Vaters Laurentius und politisch-publizistischen Vorbild für sich selber,19 die langjährigen Bemühungen in der literaturkulturellen Sphäre um eine Reform der deutschen Dichtung geteilt und – entschieden weitergehend – forciert hat. auf Denaisius’ Hochzeitlied ist darin nicht eingegangen. Im Kontext des Petrarkismus als antipetrarkistisches Gedicht versteht das Hochzeitlied, kaum überzeugend, Jörg-Ulrich Fechner: Der Antipetrarkismus. Studien zur Liebessatire in barocker Lyrik. Heidelberg 1966, hier S. 67. 18 Vgl. Wilhelm Kühlmann: »Amor liberalis«. Ästhetischer Lebensentwurf und Christianisierung der neulateinischen Anakreontik in der Ära des europäischen Späthumanismus (zuerst 1987). In: ders.: Vom Humanismus zur Spätaufklärung. Ästhetische und kulturgeschichtliche Dimensionen der frühneuzeitlichen Lyrik und Verspublizistik in Deutschland. Hg. von Joachim Telle / Friedrich Vollhardt / Hermann Wiegand. Tübingen 2006, S. 354–375, hier S. 368. 19 Zu Denaisius zuletzt Theodor Verweyen: Art. Denaisius, Petrus. In: Frühe Neuzeit in Deutschland 1520–1620. Literaturwissenschaftliches Verfasserlexikon (= VL 16). Hg. von Wilhelm Kühlmann / Jan-Dirk Müller / Michael Schilling / Johann Anselm Steiger / Friedrich Vollhardt, Bd. 2. Berlin, Boston 2013, Sp. 137–145. Zur politisch-publizistischen und literarisch-polemischen Könnerschaft Zincgrefs vgl. exemplarisch Werner Wilhelm Schnabel: Zincgrefs »Quodlibetisches Weltkefig«. Eine satirisch-polemische Flugschrift gegen den politischen Katholizismus. In: Kühlmann/Wiegand, Julius Wilhelm Zincgref (wie Anm. 17), S. 223–262.

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4. Möglicherweise erschließt sich die in der sprachlichen Evokation des Erotischen eklatant sichtbar werdende Diskrepanz zwischen Zincgrefs Epithalamium und Denaisius’ Hochzeitlied deutlicher, wenn man tentativ Klaus W. Hempfers gattungstheoretische Differenzierung von ›Gattung‹ und ›Schreibweise‹ aufnimmt. Mit »Schreibweise« sind nach ihm »ahistorische Konstanten wie das Narrative, das Dramatische, das Satirische usw. gemeint«, mit »Gattung« demgegenüber »historisch konkrete Realisationen dieser allgemeinen Schreibweisen wie z. B. Verssatire, Roman« usw.20 Aufgrund dieser Unterscheidung wäre dann das Epithalamische als Schreibweise vom Epithalamium als Textsorte des erotischen Diskurses abzugrenzen. Und demnach könnten verschiedenste Formmöglichkeiten des erotischen Sprechens auf überzeitliche Invarianten bezogen werden, von denen dann Darstellungstypen des Epithalamischen eben als Spezifika abzuheben wären. Zincgrefs Gedicht käme so eine eigene, d. h. auch begründungs- und bewertungsoffene Kontur gegenüber dem zweifellos in der Amor liberalis-Tradition stehenden und darin ›moderner‹ anmutenden Hochzeitslied des Denaisius zu. Dabei soll hier das theoretische ebenso wie literarhistorische Problem der Korrelierbarkeit von Schreibweisen als »transhistorischen Invarianten« und Gattungen als »historischen Variablen« keineswegs ignoriert werden.21 Zudem ist zu betonen, dass ›das Epithalamische‹ eine keineswegs nur literarischen Realisierungen, sondern auch literaturextern-kulturellen Objektivationen zugrundeliegende Konstante und somit eine universelle Kategorie ist. Gerade Letzteres wird sich mit einer im folgenden einzubeziehenden kulturgeschichtlichen Darstellung illustrieren lassen, die offenkundig von Möglichkeiten der Zuordnung kulturgeschichtlicher ›Oberflächenphänomene‹ zu vorgeschichtlichen ›Tiefenstruktur(en)‹ ausgeht. Eine eindringliche Vorstellung davon, wie sich das Epithalamische im Epithalamium als einer literarischen Variablen im erotischen Diskurs ausbilden kann, vermag das große kulturgeschichtliche Buch Johan Huizingas Herbst des Mittelalters (1919) zu geben. Es besteht aus 22 Studien über Lebens- und Geistesformen des 14. und 15. Jahrhunderts in Frankreich und in den Niederlanden. Deren achte Studie – Die Stilisierung der Liebe22 – entwirft dabei eine Skizze der »Entwicklung des erotischen Gedankens«, heutigem Sprachgebrauch nach eine ›Genealogie des erotischen Konzepts‹. Dieses verhält sich gleichsam als ›Tiefenstruktur‹ zu den verschiedenen Realisierungen auf der ›Oberfläche‹ literarischer und kultureller Manifestation wie eine Konstante zu ihren historischen

20 Klaus W. Hempfer: Gattungstheorie. München 1973, hier S. 27. 21 Vgl. Klaus W. Hempfer : Art. Schreibweise. In: RL2 Bd. 3. Hg. von Jan-Dirk Müller u. a. Berlin, New York 2003, S. 391–393. 22 Johan Huizinga: Herbst des Mittelalters. Hg. von Kurt Köster. Stuttgart 81961, hier S. 147–165.

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Variablen. Das kann ein längerer Bezug auf Huizingas Ausführungen über den von ihm so genannten »epithalamischen Stil« andeuten: »Wie die veredelte Liebe hatte auch die Ungebundenheit ihren eigenen Stil, und sogar einen sehr alten. […] Auf dem Gebiet der Liebesvorstellungen erbt eine verfeinerte Gesellschaft wie die des ausgehenden Mittelalters so viele uralte Motive, daß die erotischen Stile miteinander wetteifern oder sich untereinander vermischen. Viel ältere Wurzeln als der Stil der höfischen Minne und eine ebenso vitale Bedeutung wie sie hatte die primitive Form der Erotik, die die Geschlechtsgemeinschaft selbst verherrlicht, eine Form, die zwar durch die christliche Kultur aus ihrer kultischen Würde als heiliges Mysterium verdrängt wurde, aber sich dennoch immer gleich lebendig erhielt. Der ganze epithalamische Apparat mit seinem schamlosen Lachen und seiner phallischen Symbolik hatte einst einen Teil der heiligen Riten der Hochzeitsfeier ausgemacht. Eheschließung und Hochzeitsfest waren einst ungeschieden gewesen: ein großes Mysterium, das in der Paarung gipfelte. Dann war die Kirche gekommen, hatte Heiligkeit und Mysterium für sich beansprucht und sie […] auf das Sakrament des feierlichen Eheschlusses [beschränkt]. Die Begleitzeremonien des Mysteriums, den Hochzeitszug, das Lied und den Jubelschrei hatte sie dem profanen Hochzeitsfest überlassen. Dort aber lebten sie nun, ihres sakralen Charakters entkleidet, in um so schamloserer Ungebundenheit fort, und die Kirche war machtlos, sie dort zu vertreiben. Keine kirchliche Sittsamkeit konnte den heißen Lebensschrei des Hymen, o Hymenaee! dämpfen. Kein puritanischer Sinn vermochte die schamlose Öffentlichkeit der Hochzeitsnacht aus den Sitten verschwinden lassen, sogar unser siebzehntes Jahrhundert kennt sie noch in ihrer vollen Blüte. Erst das moderne individuelle Empfinden, das in Stille und Dunkelheit hüllen wollte, was zweien allein gehörte, hat mit diesem Brauch gebrochen.«23

Huizinga geht offenkundig von einem triadischen Prozessverlauf in der erotischsexuellen Sphäre aus und beschreibt zugleich eine erste Skala von Merkmalen der je aktuellen literarischen und/oder kulturellen Vergegenwärtigungsformen des erotisch-sexuellen Grundzuges: das Schamlose des Lachritus, das Phallische in der symbolischen Zeichensprache, das Sexuell-Ungebundene in der Vereinigung und ihrer Ritualität, die Öffentlichkeitsdimension der hochzeitlichen »Geschlechtsgemeinschaft«. Zusätzliche Charakteristika, die Huizinga unter Beibehaltung des triadischen Prozesses dem »epithalamischen Stil« weiterhin zuordnet, sind dabei geeignet, diese Sphäre in der einen wie anderen Dimension zudem zu erhellen: »Die Zweideutigkeiten, die zotenhaften Wortspiele, die lasziven Anzüglichkeiten sind im epithalamischen Stil zu Hause; sie sind dort uralt. Sie werden verständlich, wenn man sie auf ihrem ethnologischen Hintergrund sieht: als die zu Umgangsformen abgeschwächten Reste des phallischen Symbolismus der primitiven Kultur. Als entwertetes Mysterium also. Was einmal, als die Grenzen von Spiel und Ernst noch nicht durch 23 Ebd., S. 148, S. 150f.

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die Kultur gezogen waren, die Heiligkeit des Rituals mit der Ausgelassenheit der Lebensfreude verbunden hatte, konnte in einer christlichen Gesellschaft nur noch als prickelnder Spott und aufreizender Scherz Gültigkeit haben. […] Man kann, wenn man will, das ganze komisch-erotische Genre – die Erzählung, die Posse, das Liedchen – als wilden Trieb aus dem Stamm des Epithalamiums betrachten. Der Zusammenhang mit jenem Ursprung ist jedoch längst verlorengegangen; es hat sich zum selbständigen Literaturgenre entwickelt; die komische Wirkung ist Selbstzweck geworden. Nur die Art der Komik ist noch immer dieselbe wie die des Epithalamiums: sie beruht durchweg auf der symbolischen Andeutung der geschlechtlichen Dinge oder der Einkleidung der Geschlechtsliebe […].«24

Ist hier das Epithalamische in seiner vorgeschichtlich-›primitiven‹ Weise als ursprüngliche, ununterscheidbar-elementare Einheit der erotisch-sexuellen Sphäre statuiert, so erscheinen dessen geschichtliche Realisierungen in Lied, Posse, zotenhaftem Wortspiel, lasziver Anspielung, symbolischer Andeutung usw. jeweils als Reduktionsformen. In ihnen wird der »epithalamische Stil« im Modus der ›Verkümmerung‹ manifest. Man könnte in Anlehnung an Michail M. Bachtin, der diesen kulturgeschichtlichen Ansatz offensichtlich in seiner Theorie der Lachkultur und »Karnevalisierung der Literatur« in Mittelalter und Renaissance aufgenommen und verarbeitet hat, von einem »Prozeß der Degradation des Lachens« seit der Ablösung von der epochalen »Lachtradition« sprechen.25 Wie immer nun diese Ablösung zu bewerten sein mag – Huizingas ebenso wie Bachtins kulturwissenschaftlicher Ansatz ist nomothetisch – und wie immer auf dieser Folie das Hochzeitlied des Denaisius und das des Zincgref als »zu Umgangsformen abgeschwächte Reste des phallischen Symbolismus der primitiven Kultur« und als Reduktionsformen einer das Epithalamische mitumfassenden »Lachtradition« in der Geschichte nach Mittelalter und Renaissance verständlich werden mögen –: trotz des derart auf beide Gedichte applizierten einen kulturgeschichtlichen Aspekts von Degradation bzw. Reduktion bleibt das Auseinandertreten der sprachlichen Evokation des Erotischen erklärungsbe24 Ebd., S. 152; Huizingas ziemlich großzügige, wenig auf Wortgebrauchsabgrenzung abhebende Verwendung von »Epithalamium«, »epithalamischer Stil«, »das Epithalamische« soll hier nicht erörtert werden; es ist nicht distinkt, gleichwohl klar, was jeweils gemeint ist. 25 Vgl. Michail Bachtin: Grundzüge der Lachkultur. In: ders.: Literatur und Karneval. Zur Romantheorie und Lachkultur, aus dem Russischen von Alexander Kaempfe. München 1969, S. 32–46, bes. S. 45; ferner : ders.: Der Karneval und die Karnevalisierung der Literatur. In: ebd., S. 47–60, bes. S. 58f. Es bedarf einer eigenen Untersuchung der Hypothese, dass über die strukturelle Analogie der beiden Theorieansätze hinaus produktive Rezeption vorliegt. Der gewichtige Band zur Relevanz der Kulturwissenschaft im 20. Jahrhundert: Kulturwissenschaftler des 20. Jahrhunderts. Ihr Werk im Blick auf das Europa der Frühen Neuzeit. Hg. von Klaus Garber. München 2002, wäre vom Ansatz her leicht um einen Beitrag über den russischen Literaturwissenschaftler und Kulturtheoretiker Michail M. Bachtin (1895–1975) zu ergänzen.

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dürftig. Dabei scheint zugleich das Hochzeitlied des älteren Autors nicht nur eingängiger, sondern kategorial im Sinne neuzeitlicher Ästhetik und Literaturkonzepte auch ›interessanter‹. Eine plausible Interpretation für die ästhetische Differenz, ja Defizienz des Zincgrefschen Epithalamiums ist dabei auch aus dem Text selber nicht eigentlich zu gewinnen. Man wird – ein Grundgedanke soziokultureller Hermeneutik literarischer Hervorbringungen – den Text in seinen ursprünglichen Kontexten sehen26 und dazu unabdingbar über vom gegenwärtig vorherrschen cultural turn nahegelegte Ansätze hinausgehen müssen. 5. Die mangelnde (ästhetische) Interessantheit des Zincgrefschen Epithalamiums beruht auf der denkbar weiten Reduktion all dessen, was Bachtin »Karnevalslachen« genannt27 und Huizinga als elementare Merkmale des »Epithalamischen« beschrieben hat. Das dürfte unstrittig sein. Findet dieses »reduzierte Lachen« aber, wie von Bachtin am Beispiel von Dostoevskijs Romanwerk diskutiert, »seinen entscheidenden Ausdruck« in »der letzten Position des Autors«,28 ist nach dieser ›letzten Position‹ zu fragen. Klärungen gelingen hier freilich nur im Blick auf die relevanten gesellschaftlichen und soziokulturellen Kontexte des Textes, in dem sie sich niederschlagen.29 Oder anders formuliert: sie sind, zumal im Rahmen der Kasualpoesie, zunächst eine Frage des Verhältnisses von Autor und Adressaten seiner Zeit. Ob die bei Zincgrefs Epithalamium auszumachende Absorption des Libertinistischen der Amor liberalis-Tradition wie auch des Epithalamischen Stils möglicherweise auf religiös motivierten moralischen Rigorismus des calvinis26 Zum Verhältnis von Text und Kontext vgl. Klaus W. Hempfer: Überlegungen zu einem Gültigkeitskriterium für Interpretationen und ein komplexer Fall: Die italienische Ritterepik der Renaissance. In: Interpretation. Das Paradigma der europäischen Renaissance-Literatur. FS Alfred Noyer-Weidner. Hg. von Klaus W. Hempfer / Gerhard Regn. Wiesbaden 1983, S. 1–31, hier S. 1–18; Gunther Witting: Friederike Kempners Gedicht »Das scheintote Kind«. Zum Problem von Intention und Rezeption. In: Was ist ein Text? Hg. von Oda Wischmeyer / Eve-Marie Becker. Tübingen, Basel 2001 (Neutestamentliche Entwürfe zur Theologie, 1), S. 131–143, hier S. 143. 27 Bachtin, Der Karneval (wie Anm. 25), S. 53f. Anzudeuten ist hier zumindest, dass mit »Karneval« nicht die heute gängige »Fasnet/Helau/Alaaf«-Inszenierung zu einer bestimmten Jahreszeit gemeint ist; vgl. die Teilsynthetisierungen zu den Arbeiten: Literatur und Karneval (dt. 1969), Probleme der Poetik Dostoevskijs (dt. 1971) und Die Ästhetik des Wortes (dt. 1979) bei Theodor Verweyen: Der polyphone Roman und Grimmelshausens »Simplicissimus«. In: Simpliciana 12 (1990), S. 195–228, hier S. 199–205 sowie: Theodor Verweyen / Gunther Witting: Die Parodie in der neueren deutschen Literatur. Darmstadt 1979, S. 188ff. im Kapitel: Komik und Kritik. 28 Vgl. Michail Bachtin: Probleme der Poetik Dostoevskijs, aus dem Russischen von Adelheid Schramm. München 1971, hier S. 187. 29 Vgl. Jan-Dirk Müller : Johan Huizinga (1872–1945) und der »Herbst des Mittelalters«. In: Garber, Kulturwissenschaftler (wie Anm. 25), S. 263–282. Müller gibt die Kritik »traditioneller Geschichtswissenschaft« an Huizingas Werk zu bedenken, es hätten »die großen politischen, sozialen und ökonomischen Phänomene stärkeres Gewicht erhalten sollen« (S. 277).

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tischen Autors zurückgeht, soll zunächst mit einem prominenten Beispiel als Problem gezeigt werden. Matthias Bernegger, Professor der Geschichte an der 1621 zur Universität erhobenen Straßburger Akademie, trug in besonderer Weise Sorge um das Zincgrefsche Œuvre der Apophthegmata teutsch,30 wobei er auch die Recherchen des Autors mit apophthegmatischen und ›verwandten‹ Materialien unterstützte – dazu stets den Autorwillen einholend. So fragte Bernegger am 29. März 1625 bei Zincgref in Worms an: »Hast du nicht etwas Kynisches in deinen Apophthegmen? Du könntest, wenn du willst, in sie einfügen, was auf dem beigefügten Blatt steht, wenngleich ich nicht weiß, ob es eigentlich ›Apophthegma‹ genannt werden kann, sicherlich ist es sehr unbedeutend. Aber dass wir ein wenig lachen, ist doch erlaubt, trotz der Fastenzeit.«31

Bernegger sucht hier nicht nur dem Gattungsverständnis Zincgrefs gerecht zu werden, er bedenkt vor allem das calvinistische Lachverbot in Literatur und Kunst, um das der Lutheraner natürlich wusste und das er, wenn auch mit einer gewissen Skepsis, zu respektieren gewillt gewesen zu sein schien. Auf seine Anfrage finden wir keine direkte, brieflich bezeugte Antwort des Autors. In verallgemeinerter Form gibt es sie dennoch, und zwar in der poetologischen Vorrede des Apophthegmenwerkes. Dort ist eine gewisse liberalere Haltung Zincgrefs in Fragen der Literatur ablesbar.32 Ob und inwieweit sie freilich im Epithalamium zum Tragen kommen konnte, entscheidet sich nach Maßgabe des ›Schicklichkeit‹-Modells im situationell-funktionalen Kontext und näherhin somit im konkreten Adressatenbezug dieses Casualcarmen. 6. Erster Adressat des Epithalamiums ist das gräfliche Paar zu LeiningenDagsburg, das sich im Januar 1620 vermählte.33 Johann Philipp II., Graf zu 30 Vgl. Julius Wilhelm Zincgref: Apophthegmata teutsch, 2 Bde. Hg. von Theodor Verweyen, Dieter Mertens, Werner Wilhelm Schnabel. Berlin, Boston 2011 (J. W. Zincgref, Gesammelte Schriften, Bd. IV,1 und IV,2 = Neudrucke deutscher Literaturwerke N. F. 57 und 58), hier Bd. IV,2, S. 2–4 der »Einleitung« und passim. 31 Vgl. Briefe G. M. Lingelsheims, M. Berneggers und ihrer Freunde. Hg. von Alexander Reifferscheid. Heilbronn 1889 (Quellen zur Geschichte des geistigen Lebens in Deutschland während des siebzehnten Jahrhunderts, 1), Nr. 165, S. 212: »In tuis Apophthegmatis annon quaedam etiam habes cynica? Possis, si videtur, iis addere quae in adiuncta schedula, quanquam nescio an proprie queant apophthegmata dici, certe sordida valde sunt. Sed aliquantulum rideamus licet, non obstante quadragesima.« 32 Vgl. dazu die Erörterung als Gattungsproblem der Apophthegmatik in: Theodor Verweyen: Apophthegma und Scherzrede. Die Geschichte einer einfachen Gattungsform und ihrer Entfaltung im 17. Jahrhundert. Bad Homburg v. d.H. 1970 (Linguistica et Litteraria, 6; zugl. Diss. Münster/W. 1967), S. 41–48, sowie als Autorproblem in: Zincgref, Apophthegmata teutsch (wie Anm. 31), IV, 2, S. 19–21 der »Einleitung« und passim. 33 Das Datum der Hochzeit ist im Gelegenheitsdruck von 1624 mit »9.I.«, bei den beiden herangezogenen Stammtafeln mit »1.I.« wiedergegeben. Aktenkundig ist, dass die »Eheverschreibung« datiert ist »Heidesheim vff der Eyss, am 1. Jan. 1620«; »von demselben Orte, und Tage auch die Witthumsverschreibung und die Verschreibung der Morgengabe, wie

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Leiningen-Dagsburg (1588–1643), stammte aus der Hardenburger Linie des leiningischen Hauses. Sein Großvater, Johann Philipp Graf zu Leiningen-Dagsburg in Hardenburg (25. 12. 1539–8. 9. 1562), hatte am 15. 12. 1560 Anna Gräfin von Mansfeld († 1621) geheiratet. Aus dieser Ehe ging Emich XII. postumus (4. 11. 1562–1607), der Vater Johann Philipps II., hervor; er war 1585 die Ehe mit Marie Elisabeth, Pfalzgräfin bei Rhein (1561–1629), eingegangen, so dass auch eine verwandtschaftliche Beziehung zur kurfürstlichen Linie der Pfalz entstand. Elisabeth, Gräfin zu Leiningen-Dagsburg (1586–1623), stammte aus der Falkenburger Linie des leiningischen Hauses. Ihr leiblicher Vater, Emich XI. Graf zu Leiningen-Dagsburg in Falkenburg (15. 12. 1540–1593), seit 1577 mit Ursula von Fleckenstein verheiratet, war der um ein Jahr jüngere Bruder Johann Philipps d.Ä. Die Erbteilung im leiningischen Hause unter den Brüdern erfolgte 1560, wohl im Zusammenhang mit der Heirat des älteren, dem als Ältestem auch der größte Teil des Stammlandes zufiel.34 Dank der Eheschließung Johann Philipps II. mit Elisabeth – Gegenstand des Zincgrefschen Epithalamiums – wurde genau sechzig Jahre später die Teilung rückgängig gemacht und die dynastische Einheit des Hauses Leiningen-Dagsburg stammesverwandtschaftlich im zweiten Grad restituiert. Auch im Sinne politischer Semantik ist dabei der Vorgang in den konfessionspolitisch bedingten Wirren vor dem Beginn des Großen Krieges bedeutend. Dass im Zeitalter des Konfessionalismus dieser Restitution konfessionelle Hindernisse nicht im Wege standen, scheint das Ergebnis einer weniger überstürzten Religionspolitik während des Reformationsjahrhunderts in beiden Grafschaften gewesen zu sein. Die Hardenburger Linie blieb über das Ableben ihres Stammvaters 1562 hinaus zunächst katholisch, wobei sich interessanterweise Johann Philipps I. Gemahlin Anna, Tochter des Grafen Johann Georg von Mansfeld und Rates des Kurfürsten Moritz von Sachsen, zum Luthertum bekannt zu haben scheint.35 Die Einführung der Reformation in dieser Linie, deren denn an demselben Tage auch die Vermählung stattfand«; vgl. Ed. Brinckmeier : Genealogische Geschichte des uradeligen, reichsgräflichen und reichsfürstlichen, standesherrlichen, erlauchten Hauses Leiningen und Leiningen-Westerburg. nach archivalischen, handschriftlichen und gedruckten Quellen bearb., 2 Bde. Braunschweig 1890–1891, hier Bd. 1, S. 276–281, bes. S. 279; zu Johann Philipp II. J. G. Lehmann: Urkundliche Geschichte des gräflichen Hauses Leiningen-Hartenburg und Westerburg in dem damaligen Wormsgaue. Kaiserslautern 1861 (Urkundliche Geschichte der Burgen und Bergschlösser in den ehemaligen Gauen, Grafschaften und Herrschaften der bayerischen Pfalz, 3), S. 241–246. 34 Vgl. ›Europäische Stammtafeln‹ N. F. Hg. von Detlev Schwennicke, Bd. IV: Standesherrliche Häuser I. Marburg 1981, Tafel 25–26: mit genauerer Generationenabfolge als in der folgenden Stammtafel; vgl. Theodor Kaul: Die Einführung der Reformation in der Grafschaft Leiningen-Hartenburg und die Entwicklung der religiösen Verhältnisse bis zum dreißigjährigen Kriege. Grünstadt 1942 (zugl. Diss. Heidelberg), S. 3: Stammtafel des Hauses Leiningen-Dagsburg 1500–1650. 35 Vgl. Kaul, Die Einführung (wie Anm. 34), S. 4–6, 12.

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verschiedene Gründe ausführlich erörtert worden sind,36 begann erst nach dem Tod Engelhards und Hans Heinrichs von Leiningen, die als Vormünder der jungen Grafen Johann Philipp I. und Emich XI. noch im Sinne der vom altgläubigen Geist bestimmten Kirchlichkeit gehandelt hatten. In der Falkenburger Linie hingegen setzte die »Kirchenverbesserung« früher ein: Emich XI., 1560 aus der Vormundschaft seines Onkels Hans Heinrich entlassen, wurde Anhänger der Confessio christianae fidei und ab 1561 behutsamer »Reformator seines eigenen Gebietes«. Selber dann Vormund Emichs XII. postumus, führte er, wohl in Übereinstimmung mit Johann Philipps d. Ä. Witwe Anna, die Reformation auch in der Grafschaft Leiningen-Dagsburg-Hardenburg durch – nach historiographischer Einschätzung »mit weiser Mäßigung und ohne jeden Zwang«.37 Als sich Johann Philipp II. und Elisabeth also 1620 vermählten, war die konfessionelle Konsolidierung beider Grafschaften weitgehend abgeschlossen, war der letzte Wille Emichs XI. gemäß dem Testament vom 17./27. September 1593 befolgt: »[…] und wollen, daß unsere Erben […] unsere Kinder von päpstischen, calvinischen, zwinglischen und anderen aberheiligen Jrrtumben, so jetzt leider im Schwang ab und zu, auch in der rechten Augsburgischen Konfession, als dieselbe bishero in dem Herzogtum Württemberg und Neuburg völlig gebräuchlich, öffentlich in den Kirchen gelehrt […] worden, auf fleißigste Weise unterrichten […], Untertanen, Land und Leut […] schirmen und bei der reinen wahren Religion und ihrem Rechten handhaben […].«38

Das testamentarisch beglaubigte Bekenntnis zum Luthertum wird nicht bloß implizit, sondern ausdrücklich von strikter Ablehnung der altkirchlichen Gläubigkeit wie auch der reformierten Lehrmeinungen (»Irrtum«) begleitet. Gleichwohl hat dies die engeren Beziehungen Emichs XII. zum pfälzischen Kurfürsten Friedrich IV. offenbar nicht blockiert – zu jenem Landesfürsten also, der die Religionspolitik des calvinistischen Kuradministrators Johann Casimir : Rückführung der unter Ludwig VI. wieder lutherisch gewordenen Kurpfalz zur calvinischen Konfession, während seiner Regierungszeit (1592–1610) fortsetzte und den »pfälzischen Calvinismus« zu festigen bemüht gewesen ist. Insoweit mag Zincgrefs Epithalamium – Hochzeitsgedicht eines unbeirrten Calvinisten an ein gräfliches Paar Augsburgischer Konfession – nicht verwunderlich anmuten, zumal in diesem Falle wohl auch nähere, indes noch nicht erschlossene Beziehungen zugrunde lagen. Dafür spricht auf den ersten Blick zumindest, dass Zincgref in das zweite Buch des Apophthegmenwerkes von 1631 die Spruchrede

36 Ebd., S. 13ff. 37 Ebd., S. 13; vgl. Brinckmeier, Genealogische Geschichte (wie Anm. 33), S. 269f. 38 Kaul, Die Einführung (wie Anm. 35), S. 15.

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eines jüngeren Bruders des Bräutigams, Georg Adolfs zu Leiningen-Dagsburg (1597–1624), aufgenommen hat.39 Die Tatsache freilich, dass ein Gelehrter bürgerlicher Herkunft ein Anlassgedicht an ein Paar adeligen Standes richtete, verbot aufgrund des aptum, der Schicklichkeitspostulate, einen die erotische oder gar sexuelle Sphäre ›locker‹ thematisierenden oder auch nur streifenden Ton, der zudem im Calvinismus und gnesiolutheranischen Protestantismus, wie der Streit um die Adiaphora zeigt,40 verpönt war. Im Sinne von Günther Müllers durchdringender Idee eines »höfischen Auswahlsystems« im höfisch-historischen Roman ebenso wie im Trauerspiel der Zeit waren die, landesfürstlich limitierten, Vorgaben selbstredend auch für dieses Epithalamium bis in die Stilistik einschließlich des Metaphorischen obligat; und das betraf nicht weniger die Wahl der lingua Latina als einzig angemessenen Sprachkleides und der in ihr implizit mitgehenden höfisch-klassizistischen Dämpfung. Im Unterschied dazu bewegten sich beim Hochzeitlied des Denaisius Autor und Adressat als bürgerliche Gelehrtenfreunde auf derselben Ebene der gesellschaftlichen Hierarchie und frönten aus Anlass in geradezu studentischer Geselligkeit einer freizügigeren Ausgelassenheit in der Tradition der Musa iocosa. Es dürfte darüber hinaus wohl noch ein weiterer Kontext relevant sein, welcher die substantielle Differenz des Epithalamischen im Epithalamium Zincgrefs verständlich und den das Gedicht prägenden Gedanken der Vereinigung überzeugend erscheinen lassen kann. Das Epithalamium ist gewiss 1619 verfasst worden – in einem für den Protestantismus insgesamt gravierenden zeitgeschichtlichen Zusammenhang.41 Auf welche politische Entscheidung und auf welches Vorkommnis um diese Zeit man auch schaut, stets ist es um die protestantische Sache der einen wie der anderen Orientierung nicht gut bestellt. Einen illustrativen Beleg dafür liefert der innere Zustand der 1608 mit symbolträchtigem Namen – Union – gekürten Vereinigung der protestantischen Parteien. Dass in ihr »gegensätzliche politische Ziele schnell offen zu Tage traten«, wurde in jüngeren Veröffentlichungen vielfach analysiert. Die tief reichende Gegensätzlichkeit scheint dabei in Formulierungen wie »Grenzen der 39 Vgl. Zincgref: Apophthegmata teutsch (wie Anm. 30), hier Bd. IV,1: Nr. , S. 307; dazu Bd. IV, 2, S. 656. 40 Vgl. Schmidt, Glaube – Herrschaft – Disziplin (wie Anm. 14), S. 84–97; zum umfassenden Rahmen aus literarischer Musa iocosa, Ästhetik, gnesiolutheranischer Adiaphora-Lehre und pietistischer Arbeitsethik und Berufsaskese vgl. Theodor Verweyen: Emanzipation der Sinnlichkeit im Rokoko? Zur ästhetik-theoretischen Grundlegung und funktionsgeschichtlichen Rechtfertigung der deutschen Anakreontik. In: Germanisch-Romanische Monatsschrift N. F. 25 (1975), S. 97–305. 41 Vgl. den zahlreiche Darstellungen zum Beginn des Dreißigjährigen Krieges synthetisierenden Beitrag von Wilhelm Kreutz: Die Kurpfalz zu Beginn des Dreißigjährigen Krieges. In: Kühlmann/Wiegand (Hg.): Julius Wilhelm Zincgref (wie Anm. 17), S. 71–84.

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konfessionellen Solidarität in der protestantischen Union« deutlich auf.42 Zunächst aber galt, dass sich mit ihrer Gründung große Hoffnungen verbunden hatten, die freilich 1619, kurz vor ihrer Auflösung, längst geschwunden waren. Vor diesem Hintergrund und in diesem Kontext konnte ein Gedicht über die Vereinigung einer geteilten und in zänkischem Hader zerstrittenen Herrschaft ein positives Gegenbild darstellen – auf der bildlich-virtuellen Ebene metonymischer Repräsentation. Dass aber ein derartiges produktionsästhetisches Anliegen Verfahren komischen Herabstimmens, scherzhaften Mitspielens, hintergründiger Ironie nicht hat zulassen können, müsste aufgrund der neueren Diskussion überlieferter so gut wie rezenter Komik- und Lachtheorien43 plausibel sein.

II. Kapitel Artus Vigelius: Biographisches, Literarisch-Politisches und die Anthologie Zincgrefs Anlassgedicht überliefert die Anthologie Deliciarum Gamicarum Aureolus, ein voluminöser Band ausschließlich mit Epithalamia.44 Wie sich das Casualcarmen in den Kotext der Sammlung einfügt, und zwar nicht bloß der textsortenspezifischen Typik, sondern auch ihrem geistigen Gehalt, ihrer grundsätzlichen Orientierung nach, das ist fürs erste eine Frage nach dem Herausgeber der Deliciae, seinen Ambitionen und kontextuellen Einbindungen. 1. Artus Vigelius, der Sammler, ist literaturgeschichtlich ein Unbekannter. Mit Ausnahme karger Bemerkungen im Deutschen Literatur-Lexikon von 2005 fin-

42 Vgl. Kreutz, Die Kurpfalz (wie Anm. 41), S. 77f. Kreutz bezieht sich in diesem Zusammenhang v. a. auf zwei Arbeiten von Gregor Horstkemper : Die protestantische Union und der Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges. Kriegstreibende Integrationsprobleme eines Defensivbündnisses. In: Winfried Schulze (Hg.): Friedliche Intentionen – Kriegerische Effekte. War der Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges unvermeidlich? St. Katharinen 2002 (Studien zur Neueren Geschichte, 1), S. 21–51; ders.: Zwischen Bündniszielen und Eigeninteressen – Grenzen konfessioneller Solidarität in der protestantischen Union. In: Dimensionen der europäischen Außenpolitik zur Zeit der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert. Hg. von Friedrich Beiderbeck / Gregor Horstkemper / Winfried Schulze. Berlin 2003 (Innovationen, 10), S. 223–246. 43 Grundlegend die Beiträge des Sammelbandes: Das Komische. Hg. von Wolfgang Preisendanz und Rainer Warning. München 1976 (Poetik und Hermeneutik, 7); wichtig in diesem Zusammenhang auch Joachim Ritter : Über das Lachen (zuerst 1940). In: Subjektivität. Sechs Aufsätze. Frankfurt a. M. 1974, S. 62–92, hier S. 72–84. 44 Auf den Fundort der Anthologie hat uns Werner Wilhelm Schnabel aufmerksam gemacht: Wolfenbüttel, HAB: 91.1 Poet.(1); dafür unseren Dank ebenso wie für die eine oder andere Hilfe.

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Titelblatt der »Deliciae« von 1624 [nach Ex. Wolfenbüttel, HAB: 91.1 Poet. (1)]

det sich in maßgeblichen Autorenlexika kein Hinweis auf ihn.45 Demgegenüber führen regionalgeschichtliche Arbeiten der Historiographie sowie Hochschulmatrikel etwas weiter.46 Im nassauischen Haiger um 1573 geboren,47 wird Vi45 Vgl. Wilhelm Kosch: Deutsches Literatur-Lexikon. Hg. von Hubert Herkommer und Konrad Feilchenfeldt, Bd. 25. Zürich, München 32005, Sp. 505f.; der Artikel merkt Vigelius’ Anthologie nicht an; spärlich auch die Hinweise in: Allgemeines Gelehrten=Lexicon. Hg. von Christian Gottlieb Jöcher, Bd. 4. Leipzig 1751, S. 1595; ohne Eintrag Zedlers Universallexikon, Goedekes Grundrisz, Killys Literaturlexikon1, Killy/Kühlmanns Literaturlexikon2, Jaumanns Handbuch (naheliegend), BBKL, RGG4, Nassauische Lebensbilder, DBE2. Darüber hinaus auch keine Erwähnung des Vigelius und seiner Anthologie in dem Beitrag Leonard Forster und Jörg-Ulrich Fechner : Die »Alte Bibliothek« des evangelisch-theologischen Seminars der Landeskirche Nassau zu Herborn. In: Wolfenbütteler Barock-Nachrichten 10 (1983), H. 3 (Dezember), S. 537–542. 46 Vgl. Friedrich Wilhelm Strieder : Grundlage zu einer Hessischen Gelehrten- und Schriftsteller-Geschichte. Von der Reformation bis 1806, Bd. 16. Hg. von Ludwig Wachler. Marburg 1812, S. 331f.; Pfarrer- und Schulmeisterbuch für die acquirierten Lande und die verlorenen Gebiete. Hg. von Wilhelm Diehl. Darmstadt 1933 (Hassia sacra, 7), S. 41; Pfarrergeschichte des Sprengels Hanau (»Hanauer Union«) bis 1968. Nach Lorenz Kohlenbusch bearb. von Max Aschkewitz, 2 Teile. Marburg 1984 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für

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gelius erstmals fassbar in der Matrikel des Pädagogiums zu Herborn, eingeschrieben im Oktober 1588 als Schüler der classis prima, der letzten Klassenstufe in der schola privata vor dem Übergang in die schola publica;48 dort wurde er an der Hohen Schule ab 1590 Student der Theologie; im selben Jahr verteidigte er Thesen De providentia Dei – Thesen calvinistischer Selbstverständigung par excellence. Unter dem 8. November 1593 findet sich sein Name in der Matrikel der Universität Genf; hier verteidigte er am 26. Januar 1594 ein zweites Mal Thesen: De sacramentis in genere – auch dies ein Kernthema ebenso konfessioneller Orientierung wie konfessionalistischer Kontroverse. In Genf weilte er, laut Datum eines Eintrages eines Chrysostomus-Zitates im Stammbuch des Anders Schwendi († um 1646), noch am 28. Februar d.J.; an der Universität Heidelberg schließlich, seinem letzten Studienort, wurde er am 25. November 1594 »gratis« immatrikuliert.49 Die Stationen des Studienverlaufs sind signifikant: Herborns Johannea, nach ihrer Gründung 1584 »in erstaunlich rascher Zeit zu einem geistigen Zentrum des internationalen Kalvinismus« entwickelt,50 Genf als das »protestantische Rom«, wo Vigelius noch Th8odore de BHze gehört haben dürfte51 und wo sein Präzeptor nachweislich Simon Goulart d.Ä.

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50 51

Hessen, 33 = Kurhessisch-Waldeckisches Pfarrerbuch, 2), hier: Teil 1, S. 361 u. ö., s.v. Register; Otto Renkhoff: Nassauische Biographie. Kurzbiographien aus 13 Jahrhunderten. Wiesbaden 21992 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Nassau, 39), S. 829; dort wie hier kein Hinweis auf Vigelius’ Epithalamia-Sammlung. Vgl. Johannes Textor : Naßawische Chronick. Herborn (Christoff Raab) 1618, S. 14 (benutztes Ex.: Erlangen, UB: Hist. 681a–48); wie Vigelius ist der jüngere Textor (1582–1626) in Haiger geboren. Zur Gliederung des Bildungssystems vor dem Eintritt in die Hochschule vgl. Gerhard Menk: Die Hohe Schule Herborn in ihrer Frühzeit (1584–1660). Ein Beitrag zum Hochschulwesen des deutschen Kalvinismus im Zeitalter der Gegenreformation. Wiesbaden 1981 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Nassau, 30), S. 170–174. Vgl. Die Matrikel der Hohen Schule und des Paedagogiums Herborn. Hg. von Gottfried Zedler / Hans Sommer. Wiesbaden 1908 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Nassau, 5), S. 11 Nr. [180], S. 184 Nr. [18], S. 711 Nr. [7], dabei wird unmittelbar zuvor S. 11 Nr. [179] »Philippus Ludouicus comes ab Hanaw etc.« notiert (siehe dazu auch Anm. 53); Suzanne Stelling-Michaud: Le Livre du Recteur de L’Acad8mie de GenHve (1559–1878), Bd. 6. Genf 1980, S. 222: s.v. »Weigel (Vigelius) Artus«; Gustav Toepke (Hg.): Die Matrikel der Universität Heidelberg von 1386 bis 1662, Teil 2. Heidelberg 1886, S. 176 Nr. [191]: »Artus Vigelius, Heigeranus Nassouius«. In der Epistola Dedicatoria zu seiner Plutarch-Ausgabe Bibliotheca Historica (siehe Anm. 86), 1626, fol. {{r nennt Vigelius vier Studienorte in folgender Reihung: Herborn, Heidelberg, Basel und Genf; in der Basler Matrikel ist er nicht aufgeführt. Zum Stammbucheintrag vgl. RAA – Repertorium Alborum Amicorum. Internationales Verzeichnis von Stammbüchern und Stammbuchfragmenten in öffentlichen und privaten Sammlungen (http://www.raa.phil.uni-erlangen.de/): 1590_ schwendi/63. Vgl. Menk, Die Hohe Schule Herborn (wie Anm. 48), S. 40. Vgl. Jill Raitt: Art. Beza, Theodor. In: Theologische Realenzyklopädie [TRE] 5, 1980, S. 765–774, hier S. 768: »1595 reduzierte er [Beza] seine Vorlesungstätigkeit, stellte sie aber erst vier Jahre später völlig ein«.

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(1543–1628), der reformierte Theologe und französische Humanist, gewesen ist, sowie Heidelberg mit seiner im internationalen Späthumanismus und Calvinismus vernetzten Universität, für die um den Bestand ihres reformierten Charakters während der ganzen Regierungszeit Friedrichs IV. (1592–1610) prominenteste Reformierte rangen:52 – allesamt also Wegemarken eines bewussten calvinischen Bekenntnisses, wie es dann auch in beruflicher so gut wie schriftstellerischer Tätigkeit sichtbar wird. Zunächst wirkte Vigelius nach seinen akademischen und universitären Studien ab 1595 als Kirchen- und Schuldiener in Hanau, dem zentralen Ort der reformierten Grafschaft Hanau-Münzenberg, und heiratete zu dieser Zeit in Dillenburg Anna Katharina Thomas aus Horn, Kreis Simmern (Hunsrück), der Herkunftslandschaft der Väter Julius Wilhelm Zincgrefs. Aus der Ehe gingen vier Kinder hervor, eine Tochter und drei Söhne. Nach der Tätigkeit als Diakon ab 1596 in Windecken wurde er 1598 an der reformierten Pfarrei Rodheim v. d. Höhe erster Pfarrer und nahm bis zu seinem Tod 1627 dieses Amt wahr. Ihm folgten dort als Pfarrer seine Söhne Philipp (1627–1637) und Johann Heinrich (1638–1661) sowie noch ein Enkel. 2. Die in einem derart theologisch und pastoral bestimmten Leben einseitig scheinende Orientierung täuscht über die wirklichen Spannungen geistlicher und geistiger Fundierungen und Ambitionen hinweg. a) Als theologisch versierter Pfarrer stand Vigelius in vorderster Front der Verteidigung substantieller Anliegen der Zweiten Reformation. Predigten seines Herborner Lehrers Jodocus Nahum (1551–1597)53 hat er zur Veröffentlichung 52 Vgl. Eike Wolgast: Geistiges Profil und politische Ziele des Heidelberger Späthumanismus. In: Späthumanismus und reformierte Konfession. Theologie, Jurisprudenz und Philosophie in Heidelberg an der Wende zum 17. Jahrhundert. Hg. von Christoph Strohm, Joseph S. Freedman und Herman J. Selderhuis. Tübingen 2006 (Spätmittelalter und Reformation, Neue Reihe, 31), S. 1–25, hier S. 2ff. 53 Jodocus Naum, der sich nach dem Propheten Nahum seinen Namen gab, wurde im pfälzischen Sinsheim a. d. Elsenz geboren; am 4. 11. 1575 als »Naum« in Heidelberg immatrikuliert; aufgrund der lutherischen Restauration durch Kurfürst Ludwig VI. (reg. 1576–1583) aus der Pfalz vertrieben, fand er Zuflucht im Nassauischen; hier 1577–1582 Schulmeister in der Stadt Nassau, 1582–1584 Oberschulmeister an der Lateinschule in Dillenburg; 1584 an die Johannea berufen, wurde er bereits nach wenigen Monaten von Graf Johann VI. d.Ä. von Nassau-Dillenburg als Oberpfarrer nach Burbach abgeordnet, um dort u. a. die ›Zweite Reformation‹ durchzuführen. Nach dem Tod seines theologischen Lehrers Caspar Olevian (1536–1587) wurde J. Nahum 1587 zur Übernahme des Lehramtes an der Hohen Schule nach Herborn zurückgeholt; hier war er, zudem als Pfarrer und Inspektor, bis zum Jahr 1594 tätig, in dem er vor der Pest nach Siegen auswich. Von Philipp Ludwig II. (1576–1612), Graf von Hanau-Münzenberg, wurde er in der Absicht nach Hanau geholt, in Teilen der Herrschaft die »reformatio vitae« durchzuführen; er fiel 1597 der auch hier wütenden Pest zum Opfer. Zu seinen bedeutenden Hörern während der Herborner Zeit zählte neben seinen Schülern Johannes Heupel (1584) und A. Vigelius (ab 1590) auch der junge Graf Philipp Ludwig II.; vgl. ADB 23, 1886, S. 301f. (Fr. W. Cuno); Max Aschkewitz: Die Wirksamkeit Mag. Jodocus

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gebracht, das ist gesichert; aber auch kontroverstheologische Schriften könnten von ihm vielleicht als Herausgeber und auch als Übersetzer mitbetreut worden sein. Einige Beispiele: 1604 erschienen im Hanauer Verlag des Wilhelm Antonius Conciones in … JESV CHRISTI Passionem: »ex Archetypis Nahumi« »stvdio et opera« zum Druck gebracht von A. Vigelius, der die Ausgabe Hans Engelbert von Lautter widmete.54 1610 ließ Vigelius beim selben Verlag J. Nahums Conciones in omnia EVANGELIA, vt vocant, DOMINICALIA, facili et perspicua methodo tractatae folgen: »Nunc primum in lucem editae«, versehen mit einem eigenen Widmungsbrief an Kurfürst Friedrich IV. von der Pfalz und zudem gerichtet an eine Reihe von Grafen und Herren Nassaus, Katzenelnbogens, Diez’, Hanau-Rienecks und Münzenbergs.55 1615 kam beim Buchhändler und Drucker Friderich Hartmann in Frankfurt a. d.O. heraus Idea Theologiae oder Wegweiser des ewigen Lebens / Darinnen kurtz auß der gantzen H. Schrifft in einer Summa vnser Christenthumb begriffen vnd angezeiget wird / Zum ersten mahl / geschrieben vnd an Tag gegeben durch H. Jodocum Nahum Süntzheimensem, Diener des Worts Gottes zu Hanaw / Jetzo aber von einem Liebhaber der Warheit / für die liebe Jugendt / Gemeinen Mann vnd einfeltigen Christen zur Lehr vnd Trost / Jn Frag vnd Antwort … verfasset.56 Der Bearbeiter des 1597 erstmals publizierten Wegweiser verbarg seinen Namen in der topischen Periphrase »Liebhaber der Warheit«, gehörte dabei zum engeren Kreis der Nahum-Schüler und calvinistischen Mitstreiter – neben Ludovicus Lucius vor allem Johannes Heupel, der sich nicht zuletzt bei der Publikation und Verbreitung der kontroverstheologischen Schriften Nahums hervortat – und könnte der ungenannte Vigelius gewesen sein. 1627, im Todesjahr Vigelius’, verließ die, für J. Nahums religiöse Haltung charakteristische, Predigtsammlung über das alttestamentliche Buch Daniel – Nahums bei der Einführung des reformierten Bekenntnisses in der Grafschaft Hanau. In: Hanauer Geschichtsblätter 21, 1966, S. 83–96; Aschkewitz, Pfarrergeschichte (wie Anm. 46), hier Teil 1, S. 5; Heinrich Bott, Gründung und Anfänge der Neustadt Hanau (wie Anm. 83), hier Bd. 1, S. 47ff.; kein Lemma in NDB oder etwa BBKL und theologischen Lexika wie TRE und RGG; aber auch bei Menk, Die Hohe Schule Herborn (wie Anm. 48) keine exponierende Erwähnung. 54 Wolfenbüttel, HAB: A: 231.105 Theol (3); VD17 23: 329 706T. Zu dem Widmungsempfänger siehe Anm. 83. 55 Wolfenbüttel, HAB: 82 Theol. Hinsichtlich der Vernetzung dieser Personengruppe ist gewiss bedeutsam, dass die deutsche Übersetzung einer dieser Predigtsammlungen, publiziert im Amberger Verlag Michael Forster 1609, von dem theologisch versierten Basler Professor der Logik Ludwig Lucius (1577–1642; siehe ADB 19, 1884, S. 354f. [Jakob Franck]), Korrespondenzpartner auch Zincgrefs, stammt: ›Postilla, Das ist Auslegung der Sonntäglichen Evangelischen Texten … Hie bevor in Lateinischer Spraach zusammen gefasset‹; Wolfenbüttel, HAB: A: 92.7 Theol. 56 Wolfenbüttel, HAB: A: 1286 Theol (2).

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zunächst 1607 von J. Heupel beim Hanauer Verlag Wilhelm Antonius für den »Druck verfertiget« und Thomas Pithan und Georg Heupel in Siegen gewidmet57 – nochmals die Presse: mit dem Datum 10. 3. 1627 der Vorrede An den Leser im Verlag Johannes Ammon in Frankfurt a.M. unter dem (hier sehr verkürzten) Titel Prophetica Danielis … in vnderschiedliche Predigten verfasset.58 Selbst wenn fürs erste ungeklärt bleiben muss, ob A. Vigelius auch übersetzender Bearbeiter bestimmter Schriften Nahums gewesen ist, kann gleichwohl als gesichert gelten, dass er in jene konfessionelle Gruppe eingebettet war, die sich ständig der theologischen Angriffe der lutheranischen Gegnerschaft erwehren musste, also apologetisch auf jene Gegenberichte Bezug zu nehmen hatte, in denen – allein dies Beispiel – J. Nahums Bericht vom … Abendmal … vnd den Ceremonien als theologische Blasphemie verunglimpft wurde, »der Caluinisten Wahn zu vertheidigen vnd vnsere Lutherische Kirchen vieler vnleidenlicher Jrrthumb bößlich verdächtig zu machen«.59 b) Hinzu kommt nun freilich unabhängig von jener Unsicherheit eine Orientierung, die A. Vigelius aus der skizzierten Personengruppe durchaus heraushebt. Bereits die Tatsache, dass er im Zusammenhang mit geistlichen Schriften Nahums in lateinischer Sprache als namentlicher Herausgeber hervortrat und den Veröffentlichungen Dedikationen beigab sowie – weiterhin signifikant – bis hinauf zum kurfürstlichen Status Personen des Adels als Widmungsträger ausersah, gab seiner calvinistischen Grundhaltung eine spezifische Färbung: ›Latein‹ (statt ›Deutsch‹), huldigende ›Dedikation‹ (anstelle wegweisender ›Vorrede an den Leser‹), ›adeliger Adressat‹ (nicht ›Gemeiner Mann‹ und ›einfältiger Christ‹) sind charakteristische Merkmale späthumanistischer Veröffentlichungs- und Zuwendungspraxis. Und dieser spezielle Kontext erfährt im folgenden Unterstreichung gleich auf mehreren Ebenen: (1) der primären Lyrikproduktion und (2) der neulateinischen Dedikation, (3) der Edition bzw. Übersetzung spätantiker Schriften sowie (4) der anthologischen Selektion und Distribution lyrischer Hervorbringungen. 57 Wolfenbüttel, HAB: A: 231.76 Theol (1). Zu Johannes Heupelius († 16. 8. 1624): immatrikuliert Frankfurt a. d. O. 1579, imm. Wittenberg Juli 1580, Abbruch des Studiums aus Armut und Dienste als Kopist beim Erzbischof und Kurfürsten Gebhard II. Truchseß v. Waldburg von Kurköln; 1584 Wiederaufnahme des Studiums, nun in Herborn; 1585–1596 Pfarrer in Mengerskirchen in Nassau, 1596–1624 Pfarrer in Marköbel im Kirchenkreis Hanau-Land; gab hier J. Nahums »Vier und Neuntzig Predigten über die Epistel deß H. Apostels Paulus an die Römer« (Hanau 1602) heraus; Wolfenbüttel, HAB: A: 191.1 Theol.; vgl. Aschkewitz, Pfarrergeschichte (wie Anm. 46), hier : Teil 1, S. 237f. 58 Wolfenbüttel, HAB: M: QuN 277(1). 59 ›Zween gründtliche … Gegenbericht‹. Frankfurt a. M. (Johann Spies) 1598: verfasst/autorisiert von Pfarrern des Kapitels zu Friedberg in der Wetterau, vom hessischen Magister der Theologie Johannes Schroderus und in der »Schlussrede« des Wittenberger Professors der Theologie Salomon Gesner (Wolfenbüttel, HAB: A: 748.5 Theol [1]).

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(1) Eine erste Ebene bildet die primärliterarische Produktion kasuallyrischer Poesie. 1620 erschien bei Jacobus de Zetter in Frankfurt/M. eine Sammlung Poemata, in der Johannes Petrus Lotichius (1598–1669), Großneffe des princeps poetarum Petrus Lotichius Secundus (1528–1560), seine Gedichte zusammen mit den Lyrica von Christian Lotichius (1530/31–1568), dem Bruder des humanistischen Dichters, in einer gemeinsamen Ausgabe veröffentlichte.60 Unter dem Kolumnentitel Elegia Dedicatoria sind dort Buchbegleitgedichte versammelt: so von Janus Gruter, Georg Faber61, Christoph Albert62 – und eben auch von Artus Vigelius. Er steuerte ein Carmen Protrepticon bei.63 Dass nun in diesem Text mit dem antik-paganen Götterhimmel ohne christliche Allegorese operiert wird, scheint zwar im Hinblick auf den Adressaten Johannes Petrus Lotichius64 plausibel, provoziert indes die Frage nach dem produktionsästhetischen Habitus des Autors im Verhältnis zu seiner Signierung des Widmungsgedichts. Der reformierte Kirchenmann unterzeichnete das recht profan anmutende Poem wie folgt: Artus Vigelius Ecclesiae Rodheim[ensis] Hanoicae pastor Amico gratulabundus accinebat. Kommt darin etwa ein »humanistisch erweichter Calvinismus« zum Ausdruck?65 Eine Frage, die auf die historisch angespannte Vermittelbarkeit von Humanismus und Protestantismus zurückweist. 60 Titelseite: Poemata I. Jo(annis) Petri Lotichii Doct(oris) Medic(inae) Et Poet(ae) Caesar(ei) Celeberrimi Illivs Pet(ri) Lotichii Secundi, Poetae, ex fratre pronepotis: Et II. Christiani Lotichii Secvndi Fratris Hactenvs Nvnqvam excusa. (Schmuckfigur) Francofvrti Apud Jcobum de Zetter Anno M.DC.XX (Nieders. LB Hannover/ZB: Le 5491; für freundliche Hilfen danken wir dem Personal des Handschriftenlesesaals). Bernhard Coppel: Bericht über Vorarbeiten zu einer neuen Lotichius-Edition. In: Daphnis 7 (1978), S. 55–106, hier S. 102 deutet an, Joachim Camerarius habe anscheinend »darauf hingewirkt«, dass »Christian Lotichius von seinem ursprünglichen Vorhaben abgelassen hat, die Gedichte seines Bruders mit seinen eigenen in einer gemeinsamen Lotichier-Ausgabe herauszugeben«. Dies könnte das späte Erscheinen der Gedichte Christians in neuer Kombination erklären. 61 Georgius Faber (1582–1646) war Hofprediger und Konsistorialrat im Ansbach, Markgraftum Brandenburg-Ansbach (»Aulae Onoldinae Concionator«); vgl. Die Stammbücher und Stammbuchfragmente der Stadtbibliothek Nürnberg. Teil I: Die Stammbücher des 16. und 17. Jahrhunderts. Bearb. von Werner Wilhelm Schnabel. Wiesbaden 1995 (Die Handschriften der Stadtbibliothek Nürnberg, Sonderband), S. 284. 62 Christophorus Albertus (1586 Bunzlau – 1646 Breslau), Dr. med., Hofpfalzgraf (»Comes Palatinus«) und Poeta Laureatus, war Leibarzt und Rat des Herzogs von Münsterberg-Oels; vgl. Reifferscheid, Briefe (wie Anm. 31), S. 743. 63 Lotichius, Poemata (wie Anm. 60), fol. b2v-b3r ; Inc.: »Teutonicos inter Vates Celeberrimus ille j LOTICHIUS, postquam vitali excesserat aura, j Mœstus Apollo lyram, myrtos Cypris, atque pharetram j Tristis amor posuit«, Expl.: »Vive diu, plectroque piae pia Carmina linguae j Felici famae remigio ede. Vale.« 64 Zu diesem Schriftsteller-Arzt des Späthumanismus vgl. Wilhelm Kühlmann. In: Killy Literaturlexikon. Hg. von Wilhelm Kühlmann u. a., Bd. 7. Berlin, New York 22010, S. 522f.; die Ausgabe der ›Poemata‹ ist hier nicht erwähnt. 65 Die Zuspitzung nach Thomas Klein: Der Kampf um die Zweite Reformation in Kursachsen 1586–1591. Köln, Graz 1962 (Mitteldeutsche Forschungen, 25), hier S. 36.

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Im selben Jahr lieferte Vigelius einen neulateinischen Gedichtbeitrag zu einem Emblembuch des Theologen und Schriftstellers Henricus Oraeus (Assenheim 1584–1646 Hanau), der ab 1612 an verschiedenen Orten der Grafschaft Hanau-Münzenberg als Pfarrer wirkte und sich vor den Kriegswirren in der Wetterau 1635 nach Frankfurt/M. zurückzog. Das emblematische Werk weist schon dem Titel nach in pansophische Richtungen und steht in engem Zusammenhang mit anderen Schriften des Theologen, die ein ›mystisches‹ Denken in Mikrokosmos-Makrokosmos-Analogien zeigen: Aereoplastes Theo-Sophicus, sive Eicones Mysticae. Wie A. Vigelius’ Beitrag In Hasce Eicones Mysticas Programma66 vom September 1620 in diesem Kontext zu beurteilen ist, muss einer eigenen Beschreibung vorbehalten bleiben. 1624 kamen weitere lateinische Gedichte hinzu, und zwar zunächst einmal als Beiträge zu einer neulateinischen Anthologie, die, wie A. Vigelius’ Sammlung, literaturgeschichtlich bislang so gut wie unbekannt geblieben ist. Diese Anthologie – Trivmphus Poeticus Mortis67 – vereinigt in einem Textumfang von 818 Seiten Carmina in Obitum, im Unterschied zu den Epithalamia des Deliciae Gamicarum Aureolus also ausschließlich Epicedia. Ihr Sammler, Matthaeus Turnemainnus, Verbi Dei minister (»Diener des Worts Gottes«) und ähnlich unerschlossen,68 hatte offenbar näheren Kontakt zu A. 66 Henricus Oraeus: Aereoplastes Theo-Sophicus […]. Frankfurt a. M. 1620 (Hamburg, SUB: A/208812), hier: fol. ):( ):( 3r-v : Inc.: »Virtutum ad viuum exsculptas simul ac vitiorum j Ecquis es, EICONAS, qui non miseris, amesque?«, Expl.: »Quod vobis vouet et spondet mea Musa. VALETE.« Frau Marion Sommer von der Handschriftenabt. danken wir für rasche Hilfe. – Ein weiterer poetischer Widmungstext Vigelius’ zu Johannes Piscator (1546–1625), Volumen … Thesium Theologicarum, in Illustri Schola Nassovica, Partim Herbornae, partim Sigenae disputatarum Praeside Johanne Piscatore sacrarum literarum Professore. Teil 1, Herbornae Nassoviorum (Christoph Corvinus) 1607 (Dresden, SLUB; siehe VD17 14: 684884Q), konnte nicht eingesehen werden. 67 Turnemainnus: Trivmphvs Poeticvs Mortis. 1624 (Wolfenbüttel, HAB: A: 91.1 Poet [2]); der vollständige Titel bei Klaus Karrer: Johannes Posthius (1537–1597). Verzeichnis der Briefe und Werke mit Regesten und Posthius-Biographie. Wiesbaden 1993 (Gratia, 23), S. 525: Werkverzeichnis Nr. 1592/2b; ebd. S. 525f. kurze Gliederung des Aufbaus der Anthologie. 68 Zum Autor, wohl belgischer Herkunft, kein Eintrag in NBW, ADB oder auch speziellen biographischen Nachschlagewerken; nach Menk, Die Hohe Schule Herborn (wie Anm. 48), S. 271 war Turnemainnus (Tournemann, Turnemann, Tornomannus und weitere Schreibungen) wesentlich in die wissenschaftlichen Programme des hessischen Landgrafen Moritz des Gelehrten einbezogen; ihre Korrespondenz ist noch nicht ausgewertet. Vgl. Jürgen Telschow / Elisabeth Reiter : Die evangelischen Pfarrer von Frankfurt am Main. Frankfurt a. M. 21985, S. 353: Tournemein, Matthäus: 1616–1631 Pfarrer in Frankfurt a.M. (Deutsch-ref. Gemeinde). Die Matrikel des Pädagogiums zu Herborn (wie Anm. 49) notiert in der Sparte ›Post examen autumnale‹ 1604 als Nr. [1683], S. 232 Matthaeus Tornomannus Francofurdensis und ähnlich in der Sparte ›In classe prima‹ 1609 als Nr. [1967], S. 240; die Matrikel der Hohen Schule (wie Anm. 49), S. 52 verzeichnet ihn unter dem 28. April 1609 als einen von sechs Absolventen ›ex classibus ad scholam publicam evecti sunt‹ und in einem erläuternden Zusatz als ›pastor Francofurtensis‹.

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Vigelius, wie eine Bemerkung in der Epistola Dedicatoria zu dessen PlutarchAusgabe von 1626 nahelegt.69 Aus einem solchen Kontakt erklärt sich u. a. die Übernahme zweier Epicedien des Vigelius in den Triumphus mortis. Das erste Leichgedicht galt dem Ableben seines gebildeten Landesherrn Johann VI. d.Ä. († 1606). Es arbeitet mit dem artifiziellen Stilmittel des in ein Distichon eingearbeiteten Chronogramms: ETEOSTICHON, Annvm Discessvs Generosißimi Domini literis numeralibus complectens. HeV DoLor, heV oCCVbVIt IanVs DVX NassoVIae orae AnChora saCra ChorI! BasIs & Vna ForI! S[acrum] M[anibus] apposuit A. VIGELIVS Heiger. Nassovius.70 (Übersetzung: ›Jahrzahlgedicht, das Jahr des Hingangs des Hochwohlgeborensten Herrn mittels zahlwertiger Buchstaben in sich fassend. Ach weh, o Schmerz, ach weh, es ging von hinnen Janus, Fürst der Nassauschen Gestade, heil’ger Anker seiner Pfarrerschaft, und einzig fester Grund der öffentlichen Welt! Dem Gedenken an den Hingeschiedenen errichtet von A. Vigelius aus Heigera in Nassau.‹)

Das zweite Epikedion – In Obitvm Philippi-Ludovici71 – hat Vigelius auf das Ableben seines Landesherrn Philipp Ludwig II. (1576–1612) verfasst, des ehemaligen Kommilitonen aus gemeinsamer Studienzeit in Herborn bei J. Nahum und Grafen zu Hanau und Rieneck sowie Herrn zu Münzenberg. Das Leichgedicht besteht aus 31 Distichen und demonstriert selbstverständliche Beherrschung der sujettypischen und poetisch-stilistischen Konventionen.72 Darüber hinaus ist 1624 nicht nur das Jahr der Publikation der EpithalamiaAnthologie; auch weitere lateinische Gedichte kamen zur Veröffentlichung; sie sind nun in diese Ausgabe unter der abbreviierten Autorkennung »A.V.« eingefügt. Interessanterweise handelt es sich dabei um zwei Epithalamia sujetuntypischer Art, die dafür nun die speziellen Erfordernisse des ersten Teilbereichs der Anthologie erfüllen. Einer der Texte lautet:

69 70 71 72

Vgl. Vigelius, Bibliotheca Historica, 1626 (siehe Fußnote 89). Turnemainnus, Trivmphvs Poeticvs Mortis (wie Anm. 67), S. 624. Turnemainnus, Trivmphvs Poeticvs Mortis (wie Anm. 67), S. 650–652. Vgl. zum Sujettyp Hans-Henrik Krummacher : Das barocke Epicedium. Rhetorische Tradition und deutsche Gelegenheitsdichtung im 17. Jahrhundert. In: Jahrbuch der Deutschen Schillergesellschaft 18 (1974), S. 89–147; zu den kasuallyrischen Konventionen Schöne, Kürbishütte und Königsberg (wie Anm. 16).

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EPIPHONEMA. Dulcius haud quicquam pulcro reperitur in orbe Fœmineo (Felix tutk hoc qui gaudet) Amore.

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A.V.73

(Übersetzung: ›Ausruf. Süßres ward auf dieser schönen Erde nicht erfunden denn die Liebe eines Weibes (glücklich, wer sich ihrer in Gewissheit freuen kann). A.V.‹)

Vigelius hat das Gedicht dem ersten Teil seiner Anthologie, der Textgruppe der »Epithalamia sacra« zugeordnet. Aufgrund dieser Einbindung ist der Tendenz dieses Gedichtzyklus zufolge der Bezug auf den Grundtext sakraler Hochzeitsgedichte, die Bibel, nahegelegt. Als Praetext ist dabei wohl an 2. Sam 1,26 zu denken, an König Davids Klage um Jonathan: doleo super te frater mi Jonathan decore nimis et amabilis super amorem mulierum. (Vulgata-Text; Übersetzung: ›Ich trage Schmerz um dich, mein Bruder Jonathan, über die Maßen schön und liebenswürdig mehr als die Liebe der Frauen.‹) Auf die alttestamentliche Klage wäre dann der frühneuzeitliche Jubelruf, in Umkehrung (Inversio) und Steigerung (Gradatio), eine christliche Antwort aus dem Geist der Rhetorik. 1626, ein Jahr vor dem Tod A. Vigelius’, erschien seine Ausgabe der Parallelbiographien Plutarchs, eine Epitome, ein sog. ›Auszug‹ von 964 eng bedruckten Oktavseiten. Im Hinblick auf die primärliterarische Ebene lyrischer Produktion – sie umfasst zeitgenössisch stets auch den Typus der Übertragung fremder Rede – ist die Ausgabe in doppelter Hinsicht interessant. Zum einen beginnt nach der Epistola Dedicatoria in Prosa der poetische Teil der Widmungen mit zwei Dedikationspoemen des Autors selber : in jeweils 12 Distichen abgefasst, aus dem Französischen ins Lateinische übertragen; das eine gewidmet Gaspard Simon de Masan (1602–1655; Hugenotte, französischer Resident und Geheimer Rat in Hanau, Mitglied der Fruchtbringenden Gesellschaft unter dem Ordensnamen »Der Verhindernde«), das andere Wilhelm Stöver (Dr. beider Rechte und Amtmann in Hanau) zugedacht. Darüber hinaus ist die PlutarchAusgabe insofern bedeutsam, als ihre 52 Biographien von 52 lateinischen Tetrasticha gleichsam als einer Art Regesten eingeleitet sind. In dieser Erläuterungs- und Deutungspraxis eines großen Autors der Spätantike steht A. Vigelius in einer Reihe mit Schriftstellern wie etwa Johannes Posthius (1537–1597), dessen »erläuternde lateinische und deutsche Vierzeiler« nach Einschätzung

73 Vigelius: Deliciarum Gamicarum Aureolus (wie Anm. 44), S. 21; ebd., S. 31f. der zweite Text: ›In Monachos Ex Eodem Pavlvlvm immvtatvm‹; er besteht aus drei Distichen; Inc.: »VT sus limosa lutulenta subinde palude j Margitur […]«; Expl.: »Nuncium enim cum Coniugio misÞre pudicae j Vitae, quo in scelerum sorde natare queant.«

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einschlägiger Forschung erheblich zur Popularisierung der Metamorphosen Ovids beigetragen haben.74 Zwei Beispiele aus Vigelius’ Werk zur Illustration: IN C. IVL[IVM] CÆSAREM. Ore, manu, Calamo nemo huic, lætisque tropæis, Inter mortaleis anteferendus erit. O nimium felix, modo pax tibi publica cordi; Preßissesque animi turgida vela tui! (Auf C. Julius Caesar. Niemand ist an Wortgewalt, an Tapferkeit, an Stilgefühl, an Siegesglanz von allen Menschen diesem Manne jemals vorzuziehen. Über alle Maßen glücklich wärest du, wenn nur der Frieden innerhalb des Staates dir am Herzen läg’ und wenn du den geblähten Stolz der Segel deines kühnen Mutes hättest dämpfen wollen.)

Das zweite Beispiel: IN CATONEM VTICENSEM. Virtutem expertem fuci hic, nudamque tueris, Et Rom. maius cor, vacuumque metu: Quod formidauit Cæsar, Mors ipsa refugit Hoste tuo, ridens tu, illacrymante facis!75 (Auf Cato Uticensis. Haltung, die der Schminke nicht bedarf, die reine Haltung wahrst du hier, ein Herz, das weiter ist als Rom, ein Herz, das Furcht nicht kennt; wovor ein Caesar bangte, was der Tod zu tun gar selbst sich scheute, das vollbringst du, selber unter Lächeln, während deinem Feind die Tränen steigen.)

Die in eine feste Tradition eingebundene Art der Explikation entfaltet hier mehrere Aspekte. Zum einen versteht sie sich als Vermittlung einer ästhetischrhetorischen Form sinnfälliger Rede, die dem Epigrammatischen in der Ausprägung des Sinnspruchhaften nahesteht und zum formalästhetischen Nacheifern solcher Rede und Textbildung anleiten will. Zudem will diese Art als exegetisch-didaktische Vorgabe zum Zweck der Einübung in die zuspitzende Verdichtung eines semantisch-thematischen Aspekts vorgegebener Textbeispiele verstanden sein. Dass hier schließlich von »Popularisierung« nur in eingeschränkter Hinsicht gesprochen werden sollte, hängt aufs engste an dem bil74 Vgl. Die deutschen Humanisten. Dokumente zur Überlieferung der antiken und mittelalterlichen Literatur in der Frühen Neuzeit. Abt. I: Die Kurpfalz, Bd. III: Jacobus Micyllus, Johannes Posthius, Johannes Opsopoeus und Abraham Scultetus. Hg. von Wilhelm Kühlmann u. a. Turnhout (Belgien) 2010 (Europa Humanistica, 9), S. XX f. der »Einleitung« (mit weiterführender Literatur). 75 Vigelius, Bibliotheca Historica (siehe Anm. 86), S. 660 bzw. 714.

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dungssoziologischen Kontext des Späthumanismus als Standeskultur im Sinne E. Trunz’ – einer Standeskultur, bei der etwa die gymnasial-akademische Bildung als Bedingung der Möglichkeit des Heranbildens von Funktionseliten in Kirche, Gesellschaft und Administration inklusive Defensionswesen gesehen worden ist.76 Und dies zusammen genommen darf als ein weiteres Merkmal der Zugehörigkeit literarischer Aktivitäten des reformierten Pfarrers zur Symptomatik eines ›erweichenden Humanismus‹ gelten. (2) Die Ebene neulateinischer Dedikation sei hier mit drei Beispielen lediglich überblicksweise gestreift. 1600 dedizierte A. Vigelius seine Ausgabe von Jodocus Nahums Conciones in omnia Evangelia dem pfälzischen Kurfürsten Friedrich IV. dem Aufrichtigen (1574–1610), der entgegen dem Willen seines lutherischen Vaters Ludwig VI. auf Geheiß des Administrators der Kurpfalz Johann Casimir calvinistisch erzogen worden war ; die Verantwortung dafür hatten Georg Michael Lingelsheim als Präzeptor und Otto von Grünrade als Hofmeister, wobei letzterer als sächsischer Exulant zuvor in Dillenburg zusammen mit Wolfgang Krell 1574/75, also in der Zeit der »beginnenden Calvinisierung« Nassau-Dillenburgs,77 aufgenommen worden war. Nach seinem Regierungsantritt (1593) betrieb Friedrich eine Ausgleichspolitik zwischen Calvinisten und Lutheranern und machte die Pfalz damit auch für die lutherischen Fürsten zu einem geeigneten Bündnispartner.78 Die Zeit um und nach der Jahrhundertwende war eben auch eine solche der Einigungsbemühungen im politischen Protestantismus auf der calvinistischen so gut wie zumindest teilweise auch lutherischen Seite. In diesem Sinne erhielt die Ausgabe eine Reihe weiterer Dedikationsadressaten: Zunächst einmal Johann VI. d. Ä. (1536–1606),79 Graf von Nassau-Dillenburg, Katzenelnbogen, Diez, Siegen und Hadamar sowie Beilstein, dessen nachhaltigste konfessionspolitische Bedeutung in der »Calvinisierung« seiner Herrschaft, dessen bil76 Generell vgl. Trunz, Der deutsche Späthumanismus (wie Anm. 9); zum Aspekt der Elitebildung im speziellen Kontext vgl. Menk, Die Hohe Schule Herborn (wie Anm. 48), S. 130ff.; Georg Schmidt: Die »Zweite Reformation« im Gebiet des Wetterauer Grafenvereins. Die Einführung des reformierten Bekenntnisses im Spiegel der Modernisierung gräflicher Herrschaftssysteme. In: Die reformierte Konfessionalisierung in Deutschland – Das Problem der »Zweiten Reformation«. Hg. von Heinz Schilling. Gütersloh 1986 (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte, 195), S. 184–213, hier: S. 205f.; S. Schmidt, Glaube – Herrschaft – Disziplin (wie Anm. 14), hier: S. 210f. 77 Vgl. Paul Münch: Nassau, Ottonische Linien. In: Die Territorien des Reichs im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung. Land und Konfession 1500–1650. Hg. von Anton Schindling / Walter Ziegler. Bd. 4: Mittleres Deutschland. Münster 1992, S. 234–252, hier : S. 243f.; Schmidt, Glaube – Herrschaft – Disziplin (wie Anm. 14), hier: S. 201–220. 78 Vgl. Zincgref, Apophthegmata teutsch (wie Anm. 30), hier: Teilbd. 2, S. 348. 79 Vgl. Europäische Stammtafeln. Neue Folge. Bd. I. Hg. von Detlev Schwennicke. Marburg 1980: Tafel 116, hier: die Angabe zum Ableben »ref(ormiert) 6.X.1605«; nach Münch, Nassau (wie Anm. 77), S. 235 und anderen Quellen ist das Todesjahr 1606 gesichert.

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dungspolitische Bedeutung für den deutschen Calvinismus in der Gründung der Hohen Schule Herborn und dessen reichspolitische Bedeutung in der Belebung des Wetterauischen Reichsgrafenkollegiums bestand.80 Weitere Adressaten waren dessen Söhne aus erster Ehe mit Landgräfin Elisabeth von Leuchtenberg († 1579), und zwar Johann VII. (1561–27.IX.1623), Graf von Nassau, der 1607 auf seinen Vater in Siegen folgte, und Georg (1562–9.VIII.1623), Graf von Nassau, der 1607(–1620) in Beilstein und 1620 in Dillenburg die Nachfolge antrat.81 Schließlich kamen als Widmungsempfänger noch hinzu die Söhne Graf Philipp Ludwigs I. von Hanau in Münzenberg (1553–1580) und dessen erste Gemahlin Magdalene, Gräfin zu Waldeck: Philipp Ludwig II. (1576–1612), Graf in Münzenberg und Rieneck, der vierjährig zwar auf seinen Vater folgte, aber unter der Vormundschaft zweier lutherischer und zweier calvinistischer Vormünder, u. a. Graf Johanns VI. d. Ä. von Nassau-Dillenburg, stand – Symptom und Ausdruck wechselseitigen konfessionellen und konfessionspolitischen Misstrauens im Protestantismus; dies erklärt teilweise auch, warum während der Vormundschaft 1593 in der Grafschaft gegen den Widerstand der lutherischen Gemeinden die Calvinisierung durchgesetzt wurde und 1596 offizielles Bekenntnis geworden ist. Philipp Ludwig heiratete 1596 Catharina Belgica, Prinzessin von Oranien, Tochter Graf Wilhelms I. von Nassau und Prinz von Oranien – ein signifikanter Beleg für die adelsgesellschaftliche ›Verzweigung‹ des Calvinismus in seinen unterschiedlichen Erscheinungsarten. Dem ältesten Sohn Philipp Ludwigs II., Graf Philipp Moritz von Hanau-Münzenberg (1605–1638), widmete im übrigen Zincgref den ersten Teil seines Apophthegmata-Werkes von 1626.82 Der drei Jahre jüngere Bruder Philipp Ludwigs II., Albert (Albrecht) zu Schwarzenfels (1579–1635), dem Vigelius ebenfalls die Ausgabe der Predigtsammlung J. Nahums gewidmet hatte, ging 1604 die Ehe mit Gräfin Ehrengard zu Isenburg ein. Wie schon angedeutet, widmete A. Vigelius 1604 J. Nahums Predigtsammlung der Conciones in Christi Passionem dem Junker Hans Engelbert von Lautter (Lautern; 1559–1615). Aus dem Steinauer Zweig der Familie stammend, stand er als Oberamtmann (»Archipraefectus«), zugleich kurpfälzischer Rat, 1589 bis 1601 in hanauischen Diensten und wechselte 1601 als Rat und Vogt nach 80 Vgl. Münch, Nassau (wie Anm. 77), S. 247; ADB 14, 1881, S. 254–258 (P. L. Müller); Rolf Glawischnig: Niederlande, Kalvinismus und Reichsgrafenstand 1559–1584. Nassau-Dillenburg unter Graf Johann VI. Marburg 1973 (Schriften des Hessischen Landesamtes für geschichtliche Landeskunde, 36), hier S. 114–129; NDB 10, 1974, S. 500f. (R. Glawischnig); Renkhoff, Nassauische Biographie (wie Anm. 46), S. 550; vgl. darüber hinaus im Hinblick auf den »Aufbau einer protestantischen Verteidigungsgemeinschaft« Oestreich, Grafschaft und Dynastie Nassau (wie Anm. 97), hier S. 24. 81 Vgl. Münch, Nassau (wie Anm. 77), S. 235; Europäische Stammtafeln (wie Anm. 79), Tafel 116 bzw. 118. 82 Vgl. Zincgref, Apophthegmata teutsch (wie Anm. 30), hier Teilbd. 1, S. 5; Teilbd. 2, S. 195f.

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Straßburg und somit zugleich ganz in kurpfälzische Dienste. Er gehörte der obersten Administrations- und Beamtenschicht an, wie auch der Vormundschaftsstreit um die Kinder Philipp Ludwig II. und Bruder Johann II. zeigt, in dem es den »reformierten Vormündern« gelungen war, anstelle des lutherischen Oberamtmannes den reformierten Hans Engelbert von Lautter einzusetzen.83 1626 war A. Vigelius mit der Publikation seiner Epitome der Parallelbiographien Plutarchs, auf die wir gleich zurückkommen, wieder Gelegenheit gegeben, einzelne aus der Gruppe der früheren Dedikationsadressaten erneut für die reformierte Sache zu motivieren und neue hinzu zu gewinnen – zu einer Zeit, in der nach dem politischen und militärischen Fall der Kurpfalz die calvinistischen Lande generell und eben auch die Grafschaften der Wetterau zunehmend mehr in die Auseinandersetzungen des Großen Krieges hineingezogen wurden. Aus Gründen der Hierarchie nahm Graf Albrecht zu Schwarzenfels, dem 1600 mit anderen bereits eine Predigtsammlung Nahums dediziert worden war, die Vorrangstellung unter den Widmungsempfängern ein; seine 1604 mit Gräfin Ehrengard von Isenburg-Büdingen geschlossene Ehe84 knüpfte im übrigen eine dynastische Verbindung mit einer weiteren wetterauischen Grafschaft. Darüber hinaus wurden drei Brüder mit der Widmung der Parallelbiographien bedacht, und zwar die Söhne des Grafen Wolfgang Ernst I. von Ysenburg-Büdingen († 1633) aus seiner Ehe mit Gräfin Anna von Gleichen: Wolfgang Heinrich (1588–1638) in Offenbach, der 1609 in Büdingen Gräfin Maria Magdalena von Nassau-Wiesbaden-Idstein heiratete, in schwedischen Diensten als Generalmajor stand und 1633 die Nachfolge des Vaters antrat; Philipp Ernst (1593–1635), seit 1628 in Büdingen, der 1619 Gräfin Anna von Nassau-Dillenburg, Tochter Graf Johanns VI. d.Ä., heiratete und in Hanau an der Pest starb; Wilhelm Otto (1597–1667), mit der Nachfolge in Birstein und Büdingen seit 1635, der in erster Ehe ab 1628 mit Gräfin Katharina Elisabeth von HanauMünzenberg, Tochter Graf Albrechts zu Schwarzenfels, verbunden war und 1648 eine zweite Ehe mit Gräfin Anna Amalia von Nassau-Dillenburg, Tochter Graf Johanns VI. d.Ä., einging85 – allesamt Indizien dynastischer, verwandtschaftlicher und konfessioneller Bindungen und Verflechtungen. Unter den verschiedenen Aspekten einer derartigen Dedikationsstreuung gilt dabei aus dem

83 Vgl. Heinrich Bott: Gründung und Anfänge der Neustadt Hanau 1596–1620, 2 Bde. Marburg 1970–1971 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Hessen und Waldeck, 30), Bd. 1, hier S. 49; Bd. 2, hier S. 490. 84 Vgl. Europäische Stammtafeln. Neue Folge (wie Anm. 79), Bd. XVI. Berlin 1995, Tafel 160, hier mit der Angabe »HB« = Helvetischen bzw., in anderer Nomenklatur, Oberdeutschen Bekenntnisses. 85 Vgl. Europäische Stammtafeln. Neue Folge (wie Anm. 79), Bd. XVII. Frankfurt a. M. 1998, Tafel 62: Die Grafen zu Ysenburg und Büdingen, in Offenbach und Birstein.

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Blickwinkel des Widmenden gewiss auch das akute Anliegen, die Zusammengehörigkeit der Glieder einer ecclesia oppressa zu stärken.

Titelblatt der »Bibliotheca historica« von 1626 [nach Ex. Erlangen, UB: Phl. VII,414]

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(3) Für die Ebene der Edition und/oder Übersetzung spätantiker Schriften steht exemplarisch das Biographienwerk Plutarchs in Vigelius’ Bibliotheca Historica, seu Plvtarchi Chaeronei Vitarvm Illvstrivm Virorvm, Succinta, et iam diu desiderata Epitome, Magni Illivs Operis von 1626.86 Zu diesem Werk lieferten Carmina Gratvlatoria Johannes Petrus Lotichius und Heinrich Oraeus87 – eine charakteristische Replik-Praxis in der späthumanistischen Diskursöffentlichkeit –, ferner Johannes Wilhelm Rosabachius, ein reformierter Pfarrerkollege im Friedberger Kapitel. Das Titelkupfer der Bibliotheca, durch und durch späthumanistisch geprägt,88 ist in einen programmatischen Bildaufbau eingepasst. Aus der Optik des Betrachters links oben stellt die in ein Medaillon eingelassene Büste, mittels einer Inscriptio bestätigt, den antiken Philosophen Seneca dar; eine als Subscriptio zugeordnete Devise Disce Vivere komplettiert das Detailbild in einer geradezu emblematischen Ausführung. In struktureller Analogie erhält es rechts oben mit der Darstellung des Epictetus und der Devise Sustine et abstine seine Spiegelung. In der mittleren Bildebene gibt linken Blicks vor einem Pilaster eine gewandete und mit Narrenkappe versehene, im rechten Arm einen Folianten haltende Figur Democritus wieder; die hinzugesellte Subscriptio lautet: O stultas hominum mentes. Dieses Bilddetail findet rechts, mit leichten Abweichungen bei der figürlichen Wiedergabe, seine Entsprechung durch die Darstellung des Heraclitus einschließlich der Subscriptio O pectora caeca. Beide Konfigurationen ruhen auf gleichgestalteten Diamantquadern. Die obere Mitte des Titelkupfers bestimmt eine Kartusche; sie repräsentiert eine vor allem in der Emblematik tradierte Darstellung der mit geblähtem Segel auf der Weltkugel schwebenden Fortuna mit dem ihr zugeordneten Lemma Nunquam fortunæ credidi. Dieses in sich geschlossene Bilddetail findet in der unteren Mitte des Titelkupfers folgende Entsprechung: Inmitten einer Ansammlung von Menschen steht am helllichten Tag der mit der paradoxen Aussage Homines Quaero zitierte Kyniker Diogenes. Das mit einem solchen Bildprogramm eingeleitete Biographienwerk gibt vielfältigen Deutungsmöglichkeiten Raum; gleichwohl sind sie der Deutungsrichtung in bonam partem oder in malam partem verpflichtet und dank des ausschließlichen Antike-Bezugs zugleich auf die (spät)humanistische Adhortatio-Pädagogik verbindlich bezogen. Mit anderen Worten: Pluralisierungseffekte – ebenso wie Lachstrategien als Komisierungsverfahren – sind in diesem Rahmen und in diesem Kontext weder beabsichtigt noch naheliegend. 86 Vigelius, Bibliotheca Historica, 1626. 87 Vigelius, Bibliotheca Historica (wie Anm. 86), fol. {{ 3r – [{{ 4v]: siehe dazu Anm. 63 und 66. 88 Aufgrund der wortgebrauchs- und begriffsgeschichtlichen Erörterung des Ausdrucks »Späthumanismus« könnte es naheliegen, den historisierenden Index ›spät‹ einzuklammern; vgl. Dieter Mertens: Julius Wilhelm Zincgref und das Problem des Späthumanismus. In: Zeitschrift für Geschichte des Oberrheins 150 (2002), S. 185–207.

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A. Vigelius hat Plutarchs Paq\kkgkoi b_oi nicht in ihrer originalsprachlichen Fassung herausgegeben. Zudem liegen sie offenkundig auch nicht seiner lateinischen Version zugrunde. Die folgende Stelle in der Epistola Dedicatoria deutet einen komplexen intertextuellen Zusammenhang an: Ille sciat verH se profecisse, Plutarchus Cui magis, atque magis perplaciturus erit. Me quod attinet, equidem doleo, quod serius ad lectionem tanti auctoris me contuli: tametsi sperem, tarditatem illam quantacunque diligentia non segniter postea compensatam. Epitomen vero hanc, quam beneuolo Lectori nunc exhibemus, quod attinet, ad eam sic concinnandam, hac fortuna vsus sum: Conueni aliquando Reuerendum, Cl. mihique insigniter dilectum virum, Dn. M. Turnemainnum, Gallicam auctoris nostri versionem, ab Amiotto quam eleganter sane redditam: argumentis vero, notisque politicis, & tetrastichis Gallicis doctissimis, nitidissimH / S. Goularthio, meo dum Geneuae fui præceptore charissimo, illustratam, manibus tum versantem. Cumque quid libri esset intellexissem, temperare mihi non potui, quin, vltro concedente eo, aliquot mox pagellas, summaria cum primis, & docta illa tetrasticha, succum, & sanguinem vniuscuiusque vitæ vno quasi pugillo complectentia, lectione tum quidem tumultuaria celeriter percurrerem: ita tamen repentH affectus, excitatusque, vt integram, et qui etiam totius operis lectionem, j in summa votorum meorum quam primum tunc reponerem.89 (›Der mag wissen, dass er wahrhaft fortgeschritten ist, dem der Plutarch von Grund auf mehr und mehr gefallen wird. Was meine Person betrifft, so reut es mich gewiss, dass ich erst spät an die Lektüre eines so bedeutenden Autors geriet; freilich darf ich wohl hoffen, meine frühere Säumigkeit durch eine wenn auch noch so bescheidene Beflissenheit späterhin nicht faul wieder ausgeglichen zu haben. Was nun vollends den vorliegenden Auszug betrifft, den wir dem geneigten Leser hiermit unterbreiten, so kam mir für seine Zusammenstellung in dieser Gestalt folgender glückliche Umstand zustatten: Ich traf gelegentlich den hochverehrlichen, hochansehnlichen und von mir ausnehmend geschätzten Mann, Herrn M. Turnemainnus, wie er in der französischen Übersetzung unseres Autors, von Amiottus ungemein feinsinnig wiedergegeben, darüber hinaus durch Inhaltsangaben, zeitgeschichtliche kommentierende Bemerkungen und hochgelehrte französische Vierzeiler aufs glänzendste von S. Goularthius, meinem teuersten Lehrer während meiner Genfer Zeit, erläutert, gar fleißig las; und als ich erkannte, um welch ein Werk es sich da handelte, konnte ich es mir nicht versagen, mit seiner entgegenkommenden Erlaubnis, alsbald einige wenige kleine Seiten, zumal die Hauptstücke, und die gelehrten vierzeiligen Epigramme, die Saft und Kraft einer jeden einzelnen Lebensbeschreibung gewissermaßen auf eine Handvoll des Umfangs komprimierten, in einer seinerzeit freilich hastigen Lektüre rasch zu durchmustern, gleichwohl unvermutet in solchem Maße angetan und begeistert, dass ich die unverkürzte und tunlichst gar vollständige Lektüre des ganzen Werkes, so bald wie möglich, damals zum Ziel meiner Wünsche machte.‹) 89 Vigelius, Bibliotheca Historica (wie Anm. 86), fol. [{ 7r-v]. – Zu Amiottus d.i. Jacques Amyot siehe Anm. 92. – Zu S. Goularthius d.i. Simon Goulart d.Ä. siehe Anm. 93.

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Erneut ist hier ein charakteristisches späthumanistisches Geflecht von Motiven, Ambitionen und Faszinationen gegeben. Das Biographienwerk Plutarchs – eines Autors, der zu den bedeutendsten der griechischen Spätantike zählt90 – bildet die Grundlage einer imposanten Rezeption in der Zeit vom frühen Renaissancehumanismus bis weit über das Zeitalter der Aufklärung des 18. Jahrhunderts hinaus.91 Dabei wurden Les vies des hommes illustres grecs et romains compar8es l’une avec l’autre par Plutarque – im Auftrag und mit Förderung des französischen Hofes (Franz’ I.) von Jacques Amyot aus dem Griechischen übersetzt und in der französischen Hochrenaissance erstmals 1559 veröffentlicht92 – zum Brückentext in den europäischen Kultursprachen der Frühen Neuzeit. Einem speziellen Ausgabentyp der französischen Adaption fiel nun in unserem Zusammenhang offenbar eine besondere Rolle zu: dem Typ der »8ditions de Simon Goulart, – avec notes et sommaires, – 1583–1619«;93 dieser repräsentiert die um ›zeitgeschichtliche kommentierende Bemerkungen und Inhaltsangaben‹ S. Goularts erweiterte Amyotsche Erstausgabe, wie es wortgetreu auch bei Vigelius lautet. Darüber hinaus aber scheint die Vigelius vorliegende Ausgabe insofern eine Singularität (gewesen) zu sein, als sie um französische Vierzeiler aus der Feder Goularts ergänzt war, die womöglich ungedruckt geblieben und somit dem Anthologisten nur handschriftlich zugänglich gewesen sind. Als Vermittler schließlich fungierte, geradezu beiläufig, jener der »Französischen Kirche« angehörende Bürger Mathieu Tournemain, der mit 262 Mitbürgern am 4. August 1596 den Rat der Stadt Frankfurt um Wiederherstellung ihres Gottesdienstes 90 Zu Plutarch und seinem Biographienwerk vgl. Der Neue Pauly 9, 2000, Sp. 1160–1165. 91 Vgl. Richard Hirzel: Plutarch. Leipzig 1912 (Das Erbe der Alten, 4); Ren8 Sturel: Jacques Amyot. Traducteur des Vies ParallHles de Plutarque. Paris 1908 (BibliothHque LittHraire de la Renaissance, I/8), hier u. a. S. 257–267 (A. de Muret, H. Cruserius, W. Xylander) u. ö.; S. 450–514 (W. Canter, J. Lipsius. H. Estienne) u. ö. (s.v. Register). 92 Jacques Amyot (1513 Melun – 1593 Auxerre), französischer Humanist, Jurist, Bischof; aus ärmlichen Verhältnissen stammend, werden ihm am neugegründeten CollHge de France in Paris humanistische Studien ermöglicht; durch Vermittlung von Marguerite de Navarre Lektor und Professor für Griechisch und Latein an der Universität in Bourges; Übersetzungsauftrag König Franz’ I.; im Gefolge französischer Gesandtschaften in Rom und Venedig (auf der Suche nach Manuskripten griechischer Autoren); 1557 Hauslehrer am Hof König Heinrichs II. und später »Grand auminier« unter König Karl IX., seinem einstigen Schüler ; 1570 Ernennung zum Bischof. Vgl. Alexandre Cioranescu: Vie de Jacques Amyot. Paris 1941; Herbert Jaumann: Handbuch Gelehrtenkultur der Frühen Neuzeit. Berlin, New York 2004, S. 31f.; Sturel, Amyot (wie Anm. 91), S. 87–90. 93 Sturel, Amyot (wie Anm. 91), hier : S. 94f. und ausführlich S. 112–119. – Zu Simon Goulart d.Ä. (1543 Senlis – 1628 Genf), französischer Humanist, Schriftsteller, reformierter Theologe; eine präzisere Charakterisierung (»poHte, musicien, humaniste, th8ologien, publiciste, historien, orateur«) gibt Leonard Chester Jones: Simon Goulart. Sa vie et son œuvre 1543–1628. GenHve 1916, hier S. 547; Werkbibliographie mit 82 Stücken (S. 537–544) und Zusammenfassung (S. 285–322) zeugen von dem vielfältigen Spektrum seiner französischen Übersetzungstätigkeit.

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anging94 und etwa am 27. Januar 1597 die Verpflichtungserklärung Frankfurter Reformierter zum Wohnen oder Bauen in der neustädtischen Gründung Hanau unterschrieb.95 Dass A. Vigelius nun auch noch in jener Zeit (1593 auf 1594) Genf als Studienort wählte, die der Biograph Goularts als dessen »p8riode humaniste« bezeichnet und als »une ann8e trHs productive au point de vue litt8raire« umschreibt,96 komplettiert das sich abzeichnende Porträt von A. Vigelius als einem reformierten Geistlichen, der die engen Grenzen des kleinen Territoriums im Wetterauischen überschritt – und zwar, konfessionell so gut wie kulturell, bezeichnenderweise in west- und südeuropäischer Orientierung. Oder genereller auf der Grundlage landesgeschichtlicher Forschung formuliert: Wie der Calvinismus »gleichsam Institutionen, Menschen und Kultur dieses Landes [durchtränkte]«, so verband er sie dadurch zugleich »mit dem Schicksal des westeuropäischen Protestantismus aufs engste«.97 (4) Die Anthologie Deliciarum Gamicarum Aureolus Es ist demnach die Frage, ob sich die »verschiedene hochgelehrte und kunstvollst ausgeformte Hochzeitsgedichte« zusammenstellende Sammlung98 als eine Anthologie erweist, die aus dem Geist jenes Institutionen, Menschen und Kultur durchtränkenden, ›humanistisch erweichten Calvinismus‹ hervorging. Ob sie also in nuce die der Zweiten Reformation auch zugeschriebene »Belebung der Wissenschaft und Künste«, des kulturellen Überbaus in seiner Vielfalt repräsentiert.99 Eine erste Antwort ergibt sich aus der Makrostruktur der Anthologie, wie sie am klarsten im Index Rervm et Materiarum aufscheint.100 In zwei Teilen mit je

Vgl. Bott, Gründung (wie Anm. 83), hier : Bd. 1, S. 360; zu M. Tournemain siehe Anm. 68. Ebd., S. 400; vgl. S. 406, 421, 424. Vgl. Jones, Goulart (wie Anm. 93), S. 545 bzw. S. 65ff. Vgl. Gerhard Oestreich: Grafschaft und Dynastie Nassau im Zeitalter der konfessionellen Kriege. In: Blätter für deutsche Landesgeschichte 96 (1960), S. 22–49, hier : S. 47 bzw. S. 23. 98 Vgl. Franz Schnorr von Carolsfeld: Julius Wilhelm Zincgrefs Leben und Schriften. In: Archiv für Litteraturgeschichte 8 (1879), S. 1–58, 446–490, hier : S. 19; v. Carolsfeld bezieht sich auf eine Sekundärquelle: das Schulprogramm von Johann Heinrich Andreae, dem Rektor des Heidelberger Reformierten Gymnasiums, zum Jahr 1771: Simmera Palatina in Pago Hunnorum Illustrata. […] Ad Actum Oratorio-Promotorium in Aede S. Gallica […] publice celebrandum (Mannheim, UB: XK 0422); darin S. 36 das Epithalamium mit Verweis auf die Quelle. Die Schulschrift enthält zudem u. a. eine biographische Darstellung Laurentius Zincgrefs nach M. Adam, eine lateinische Übersetzung von J. L. Weidners Vita J. W. Zincgrefs sowie nach M. Adam dessen Epitaphe für Petrus Denaisius, Hippolytus a Collibus und Marquard Freher. 99 Vgl. Schmidt, Die »Zweite Reformation« (wie Anm. 76), hier S. 209. 100 Zur hermeneutischen Relevanz semantisch strukturierter Verzeichnisse vgl. Wolfgang Schibel: »Summaria ac Indices«: Inhaltserschließende Paratexte in gelehrten Werken des 16. und 17. Jahrhunderts. In: Strenae Nataliciae. Neulateinische Studien. Hg. von Hermann 94 95 96 97

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eigener, römischer Zählung sind Epithalamia sacra im [I.] Teil von solchen des Typs ›Hochzeitsgedicht‹ unterschieden, die der Autor unter alia gefasst hat, wobei diese Bestimmung abweichender Epithalamia für den um ein Vielfaches vermehrten [II.] Teil vorbehalten ist. Es handelt sich letztlich um die Gliederung ›geistlich – weltlich‹, die von autoreigenen Werkausgaben wie etwa der des Martin Opitz bekannt ist und mit guten Gründen als ›säkular‹ gelten darf. Auch der Autor der Anthologie selber hat sie, um ein Beispiel aus geistlicher Sicht anzudeuten, in seiner Praefatio ad Lectorem thematisiert (siehe im Anhang 1, fol. )?( 6r : »Quk ad ordinem …«). Im Sinne dieser Gliederung umfasst die Anthologie auf 621 Quartseiten im vollen späthumanistischen Formenspektrum poetischer Rede Gedichte von 70 Autoren: für ca. 10 bibelgeschichtliche Hochzeiten wie etwa die Nuptiae mysticae Sponsi cœlestis cum Ecclesia Sponsa nach Psalm 45 (bzw. in konkurrierender Zählung nach Ps. 44) und für ca. 55 profangeschichtliche Eheschließungen, die allein mit rd. 155 Epithalamien großen wie kleinen Umfangs bedacht sind. Das zugrundeliegende Selektionsprinzip, nach dem aus religiös-christlichen Traditionen so gut wie literarischaktuellen humanistischen Formationen thematischer und rhetorisch-ästhetischer Vorgaben ausgewählt wurde, ist derart offensichtlich, dass es hier keiner weiteren Erörterung bedarf. Ins Konkretere gewendet legt sodann die Titelseite der Anthologie weitere Aspekte nahe; Titelseiten und mehr noch Titelkupfer frühneuzeitlicher, eben späthumanistischer bzw. vor-, früh- und hochbarocker Werke haben ja rezeptionslenkende, auf ihre Inhalte und Textorganisation verweisende Funktionen und vermitteln somit auch verstehens- und interpretationsleitende Ansätze.101 Zwei Aspekte dieser Art – im Titel der Anthologie explizit vorgegeben – bestimmen die folgenden paradigmatischen Skizzen. Der erste Beschreibungsansatz geht vom ursprünglichen Kreis der Adressaten dieser »Hochzeitlieder« aus: von den Gedichten für »die Eheschließungen mächtigster Könige, erlauchtester Kurfürsten, hochberühmter Fürsten, edler Grafen und anderer Helden, so in nahezu ganz Europa bereits einstmals wie auch heute glücklich herrschten und herrschen (etc.).« Beim zweiten Ansatz sind die »Heiratsgedichte aus sämtlicher hochgefeierter Dichter, so ausfindig zu machen waren, in Deutschland, Frankreich, Italien, Belgien, Schottland etc., Werken« in

Wiegand. Heidelberg 2006 (= FS Wilhelm Kühlmann), S. 177–192. Schibels Beobachtungen gelten nicht nur für gelehrte Werke im engeren Sinne. 101 Vgl. etwa den Versuch von Theodor Verweyen: Komische Intertextualität im »Simplicissimus« am Beispiel des Antipetrarkismus. In: Critica Poeticae. Lesarten zur deutschen Literatur. Hg. von Andreas Gößling / Stefan Nienhaus. Würzburg 1992 (= FS Hans Geulen), S. 41–55, hier S. 41–43 u. ö. An die nicht enden wollende Diskussion des Titelkupfers zum Simplicissimus Grimmelshausens sei nur erinnert.

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den Blick zu nehmen .102 Mit der gesellschaftlichen Statusangabe wie auch ›nationellen‹ Herkunftsangabe zu den Adressaten der Epithalamia und mit der ›nationellen‹ Herkunftsangabe zu den adressierenden Autoren der Hochzeitsgedichte ist über den religiös-christlichen Traditionsrahmen hinaus offenkundig das fundamentale Merkmalpaar ›international‹ und ›westeuropäisch orientiert‹, das bekanntlich den deutschen Calvinismus vom Luthertum unterscheidet, in dieser Anthologie grundlegend und strukturbildend. Dass darüber hinaus freilich regionalen, überregionalen und entsprechend interregionalgeschichtlichen Aspekten frühneuzeitlicher »Vernetzung« hier großes Gewicht zukommt, liegt auf der Hand, soll denn begründet von ›international-westeuropäischer Vernetzung‹ des deutschen Calvinismus gesprochen werden. Diesem dritten Beschreibungsansatz ist eine prosopographische Erschließung der Anthologie zugrunde zu legen. Sie folgt im zweiten Teil der Studie – zudem bestimmt von der Absicht, künftigen Forschungen zum hessisch-mitteldeutschen Späthumanismus mit einer ersten Materialbasis Anregungen zu geben. Die beiden zuvor genannten Aspekte sollen im folgenden noch an wenigen ausgewählten Beispielen andeutungsweise umrissen werden. (a) Die profangeschichtliche Reihe der Heiratsgedichte, der wir uns zunächst zuwenden, beginnt mit dem Epithalamium zur Eheschließung Jakobs VI., König von Schottland seit 1567, und der Prinzessin Anna, Tochter des Königs Friedrich II. von Dänemark, am 20. 8. 1589 in Kopenhagen bzw. am 23.11.d.J. in Oslo.103 Nach den »Grundsätzen des strengen Calvinismus« von keinem Geringeren als George Buchanan erzogen, wurde der schottische König, seit 1603 auch als Jakob I. König von England und von Irland, unter Wahrung des protestantischen Bekenntnisses zum ebenso gelehrten wie polemischen Gegner der monarchomachischen Theorie eines radikalen Widerstandsrechts, das ihn ausgerechnet Buchanan gelehrt hatte, und nicht weniger zum entschiedensten Gegner der biblisch fundierten »Relativierung der monarchischen Herrschaftsgewalt durch die streng presbyterianischen Theologen Schottlands«. Der hochgebildete Monarch, ein »rex doctus« und überzeugter Absolutist, trat demgegenüber in Wort und Schrift als zäher »Verteidiger des Gottesgnadentums« in Erscheinung.104 Sein zu den staatstheoretischen Frühschriften zählender Fürstenspiegel 102 Vigelius, Deliciarum Gamicarum Aureolus (wie Anm. 44), Titelseite. 103 Ebd., Teil [II], Nr. I, S. 69–80: Epithalamium ›De Nvptiis Scotorum Regis Jacobi VI. et Annae Danor[um] Regis Friderici II. Filiae‹. Zu den Daten der Eheschließung vgl. Ronald G. Asch: Jakob I. 1603–1625. In: Englische Könige und Königinnen der Neuzeit. Von Heinrich VII. bis Elisabeth II. Hg. von Peter Wende. München 2008, S. 95–110, hier: S. 95. 104 Ronald G. Asch: Jakob I. (1566–1625). König von England und Schottland. Herrscher des Friedens im Zeitalter der Religionskriege. Stuttgart 2005, hier : S. 21, 114–118 sowie das ganze VI. Kapitel; vgl. zusammenfassend Asch, Jakob I. 1603–1625 (wie Anm. 103), S. 101–103.

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Basilikon Doron oder Instructions to his dearest sonne von 1599 (u. ö.) stand in seiner Wirkung in ganz Europa – nicht zuletzt in Frankreich, Deutschland und den Niederlanden – dem vielgelesenen Traktat De Iure Regni apud Scotos G. Buchanans in nichts nach.105 Die Tatsache nun, dass die profangeschichtliche Gedichtreihe der Anthologie mit dem Epithalamium für Jakob VI. (I.) und die dänische Anna eröffnet wurde, hat unabweisbar literarisch-politische Motive ebenso wie Gründe internationalwesteuropäischer Orientierung. Letzteres nicht zuletzt deswegen, weil mit dem britischen Regenten in besonderer Weise auch das politische und zudem militärische Geschick des pfälzischen Kurfürstentums unter Friedrich V., der führenden Kraft der reformierten Fürsten und Stände im Heiligen Römischen Reich vor Beginn des Großen Krieges, verbunden106 – und dem calvinistischen Autor der Anthologie als Zeitgenossen auch präsent gewesen ist. Dieser spezielle Initialeffekt verweist unzweifelhaft auch auf den Sachverhalt, dass der Anthologie ein Konzept zugrunde liegt. Das belegt auf eindrückliche Weise das an die zweite Stelle der profangeschichtlichen Reihe gerückte Epithalamium zur fürstlichen Hochzeit Friedrichs V. von der Pfalz in London am 24. 2. 1613 mit Elisabeth (1596–1662), der ältesten Tochter eben aus jener Ehe Jakobs und Annas. Hier ist eine im Sinne konfessionspolitischer Semantik vorentschiedene Abfolge bestimmend, wie sie auch die dritte Position bestätigen kann. Denn aus temporalistischen Gründen, gemäß annalistisch motivierter Reihung, wäre das im dritten Gedicht gefeierte Heiratsgeschehen König Heinrichs VIII. (* 1491; Regierungszeit 1509–1547) mit Anna (1515–1557) im Januar 1540 an die erste Position der Reihe zu stellen gewesen, wobei schon in diesem Fall eine der späteren Verbindung Elisabeth – Friedrich vergleichbare britischdeutsche Liaison zustande gekommen war : Anna war die Tochter Herzog Johanns III. von Jülich-Kleve-Berg. Nun, im Fortgang der Beschreibung und Interpretation der IN NVPTIAS markierten profangeschichtlichen Abfolge – von Position IV bis X der Anthologie – wären die weiteren assoziativ anmutenden, gleichwohl in konfessionspolitischer Ambition grundgelegten Reihungen und Verknüpfungen darzulegen. Das soll hier nicht mehr geschehen. Ins Blickfeld träten jedenfalls zum anglikanischen Great Britain das gallikanische Frankreich (IV bis IIX), das 105 Vgl. The Basilikon Doron of King James VI. Hg. von James Craigie. Vol. I (Text) Edinburgh, London 1944, Vol. II (Introduction, etc.) ebd. 1950, hier : Vol. II; Theodor Verweyen: Über die poetische Praxis vor Opitz – am Beispiel eines Sonetts aus dem Englischen von Petrus Denaisius. In: Daphnis 13 (1984), S. 137–165, hier : S. 145–148, 156–159, 161–164; Asch, Jakob I. (1566–1625), 2005 (wie Anm. 104), S. 114f. 106 Vgl. Mertens/Verweyen, Vorarbeiten (wie Anm. 8), S. 147ff. (mit weiterführender Literatur); Asch, Jakob I. (1566–1625), 2005 (wie Anm. 104), S. 182–188.

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spanisch-katholische Weltreich Philipps II. in der besonderen Version der kurzzeitigen Verbindung mit der englischen Krone (IX) sowie das jagiellonischpolnische Königreich Sigismunds (X). Es handelt sich, was aber näher zu analysieren bleibt, um protestantische oder das Protestantische mehr oder weniger bereitwillig tolerierende Monarchien im Alten Europa der frühen Neuzeit. Dabei dürfte die »zweite Reformation« wohl die Dominante, also die das Konzept der Anthologie letztlich bestimmende Grundorientierung der Auswahl und Zusammenstellung, von Selektion und Kombination sein. Das deutet sich auch in der anschließenden territorialgeschichtlich-deutschen Abfolge der profanen Epithalamien-Auswahl an. In konsequenter Weise prägt sie sich schon in Position XI der Sammlung mit der wittelsbachischwürttembergischen Liaison aufgrund der Heirat von Ottheinrich II., Pfalzgraf und Herzog von Sulzbach, und Dorothea Maria, Herzogin von Württemberg, aus, wobei in dieser Vereinigung hinsichtlich des männlichen Parts ›natürlich‹ an die zweite, die wittelsbachisch-pfälzische Linie zu denken ist. Die Heirat sollte die Bemühungen um die Konsolidierung des lutherischen Protestantismus hier wie dort in wechselseitiger Stärkung stützen. Der protestantisch-lutherischen Pfälzer Nebenlinie ist in Position XII unmittelbar folgend nun mit der Kurpfalz die wittelsbachisch-pfälzische Hauptlinie an die Seite gestellt. Und diese hatte, nach dem lutherischen Interim in der Pfalz bei Rhein unter Ludwig VI., in Kurfürst Friedrich IV. einen Repräsentanten des Calvinismus, der, um wenigstens ein Beispiel anzuführen, bei der Stabilisierung des Protestantismus in seinem Herrschaftsbereich vor allem die Festigung des erneut eingeführten reformierten Glaubens betrieb, wozu die Verbindung mit dem Haus Oranien nicht wenig beigetragen hat. Dabei erfuhr Friedrich nachdrückliche Unterstützung aus der inländischen so gut wie internationalen Gelehrtenwelt. Es ist dazu das Korrelat in der Anthologie signifikant; gerade auf diese durch Heirat untermauerte dynastische Verbindung sind Epithalamien prominentester neulateinischer Autoren des Späthumanismus vermehrt versammelt: Hochzeitsgedichte von Janus Gruter (»Index Authorvm« Nr. 29), Paulus Schede Melissus (60), Johannes Posthius (39), Marquard Freher (47) und Nikolaus Reusner (57). Vergleichbar mit dieser anthologischen Gewichtung ist etwa, wollte man ins Einzelne gehen, die Anhäufung von Heiratsliedern auf die Verbindungen des Hauses Wettin in seiner Ernestinischen wie Albertinischen Linie – es betrifft in der Anthologie insbesondere die Positionen XVI und XVII sowie XIX bis XXI – mit konfessionsgeschichtlich und -politisch verwandten Häusern wie dem sächsischen Anhalt-Dessau, Brandenburg-Preußen, Pfalz-Simmern (einer kurpfälzischen Nebenlinie), Kurpfalz und Hessen-Kassel: die Akkumulierung von Gedichten eines Gregor Bersmann (Nr. 16), Adam Siber (2), Jakob Furmann (48), Nikolaus Reusner (57), Johannes Stigel (42), Job Fincel (27), Moritz Brandt

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(52), Joachim von Weisbach (33), Petrus Lotichius Secundus (62) und Werner Gigas (70). Eine solche Gewichtung darf freilich nicht die anthologische Gesamtstrategie vernachlässigen. Das ganze mittlere Deutschland, geographisch gesprochen, bzw. das ganze Mitteldeutschland, konfessionalistisch pointiert, erhält mit einzelnen oder mehreren Epithalamien in der Anthologie Repräsentanz. Ihre prosopographische Erschließung wird das belegen können. Ob Herrensitz oder Grafschaft, Herzogtum, Fürstenherrschaft oder Kurfürstentum, ob Haupt- oder Nebenlinie dynastischer Häuser ; ob also Arenberg in der Eifel, Neuwied und Isenburg über Leiningen-Dachsburg, Solms-Münzenberg, Hohenlohe, Plauen bis zu Anhalt-Dessau, ob Nassau-Saarbrücken, Pfalz-Zweibrücken, Kurpfalz über die Wetterauer Grafschaften, Nassau-Siegen, Hessen-Darmstadt, HessenKassel oder Braunschweig-Lüneburg-Wolfenbüttel bis zu den sächsischen Herrschaften mit Residenzen wie Gotha, Weimar oder Eisenach und erst recht Dresden, ob Württemberg mit Mömpelgard, Böhmen und Mähren mit der Residenz Prag über Brandenburg bis zum preußischen Königsberg – stets bildet der Protestantismus die konfessionelle Klammer, bestimmt seine unterschiedliche Ausprägung in Luthertum, Philippismus/Kryptocalvinismus und Calvinismus die je andere konfessionspolitische Verkettung, garantiert die anthologisch vermittelte Epithalamiendichtung das gemeinsame ästhetisch-rhetorische Korrelat mit seinen verschiedenen Appellen zu ›unionistischem‹ Zusammenhalt, wechselseitiger Hilfestellung. (b) Die Eröffnung der profangeschichtlichen Epithalamien-Reihe verweist offenkundig auf ein Konzept. Ist in der biblischen und bibelgeschichtlichen Reihe der Hochzeitslieder eine Bestätigung dafür auszumachen? Generell ist festzuhalten, dass die Anthologie überhaupt erst mit der Abteilung »Epithalamia sacra« beginnt und so Grundsätzliches erwarten lässt. Dass dabei nun – im Gleichtakt mit der profangeschichtlichen Reihe – gerade dem Präzeptor Jakobs VI. von Schottland, eben George Buchanan, mit einem geistlichen Epithalamium aus seinem Œuvre der Initialeffekt eingeräumt ist, hat programmatischen Charakter, und zwar gleich in mehrfacher Hinsicht. Es ist, zunächst einmal, der in christlich-spiritueller Striktheit entschiedene, nicht schon der zum fundamentalistischen Widerstandstheoretiker gewandelte Buchanan, dem – auch hier in der ›heiligen‹ Reihe – das erste und grundlegende Wort geliehen ist. Mit diesem demonstrativen Einsatz sind erwartbare monarchomachische Ambitionen von vornherein – auch oder gerade nach 1620 – unterbunden, zumal Buchanan selbst noch in der Anthologie mit einem Hochzeitslied zur Heirat der, später bis aufs Blut bekämpften, Maria Stuart mit Franz v. Valois (S. 121–131) repräsentiert ist. ›Thron und Altar‹, um eine im 19. Jahrhundert verfestigte Formel im Hinblick auf ein bestimmtes konfessionspolitisches Verhältnis in gewagter Aktualisierung zu beziehen, sind hier auf ein ungebrochenes Bündnis

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geeicht und darüber hinaus durch die Einbindung der ›bürgerlichen‹ Intellektuellen als Lobdichter und Mahnredner um den ›Musensitz‹ erweitert. Und das dürfte, wie die Prosopographie der Sammlung zu belegen hat, für die Anthologie im Einzelnen wie im Ganzen gelten. Das Programmatische des anthologischen Einsatzes gilt zudem in gattungspoetischer Hinsicht. Der ›geistliche‹ Anteil der Sammlung, der ihren Eingang (S. 1–68, Position I.-IX. nach dem »Index Rervm«) prägt, ist ja bibelpoetisch bestimmt und im Besonderen in der Tradition der poetischen Psalmparaphrase fundiert. Ein derart basierter Eingang hat eine genuin protestantisch-lutherische wie -reformierte Begründung. Für den Geist und Duktus der ganzen Sammlung ist ihre Eröffnung mit den drei Paraphrasen des 45. Psalms in der Reihenfolge der Autoren Buchanan (Nr. 13), Egenolff (Nr. 7) und Bersmann (Nr. 16) signifikant. Dieser Psalm, von Romano Guardini in seiner Übersetzung plausibel mit dem bezeichnenden Titel »Hochzeitslied für den König« überschrieben,107 kann als locus classicus der protestantischen Epithalamiendichtung im Zeitalter des landesfürstlichen Absolutismus angesehen werden. (Der erste Text dieser speziellen Reihe, von Buchanan, ist mit Übersetzung im Anhang 2a und 2b wiedergegeben.) Um den Rang dieses Psalms für die biblische Begründung protestantischer Dynastien zu zeigen, sei als Beispiel auf »Ein Predig auß dem fünff vnnd vierzigsten Psalmen« anlässlich der Hochzeitsfeierlichkeiten Fürst Ludwigs, Herzogs zu Württemberg und Teck, am 8. November 1575 in Stuttgart zurückgegriffen (siehe III. Kap. unter Nr. [55] zu b]). Ihr Prediger, Lucas Osiander d.Ä. (1534–1604), württembergischer Theologe und seit 1569 Hofprediger Fürst Ludwigs, trat aktiv für die Konkordienformel ein, agierte als theologischer Gegner Melanchthons und wendete sich in einer Reihe von Schriften gegen die Jesuiten ebenso wie gegen Calvin, Zwingli und Flacius Illyricus.108 Als strikter Lutheraner führte Osiander am Vorabend der Vermählung die »Fürstlichen Eheleut« mit einer »Erinnerung vom Ehestand« in dessen biblisch-schöpfungsgeschichtliche Grundlegung (mit implizitem Bezug auf 1 Mose 1,26–29) ein,109 um am Tage der Hochzeit selber in der Predigt eine neutestamentlichtheologische Fundierung am Beispiel des 45. Psalms zu skizzieren; ein Auszug daraus:

107 ›Deutscher Psalter‹, übers. von Romano Guardini. München 31954, S. 81f., hier: Psalm 44. 108 Vgl. Hermann Ehmer : Art. Osiander, Lukas (I.) d.Ä. In: RGG4 6, 2003, Sp. 720f. 109 Lucas Osiander : Ein Predig auß dem fünff vnnd vierzigsten Psalmen / Bey der Fürstlichen Hochzeit deß […] Herrn Ludwigen Hertzogen zu Würtenberg […]. Sampt einer kurtzen Erinnerung vom Ehestand […]. Getruckt zu Tübingen […] 1576, hier S. 1–8. (Wolfenbüttel, HAB: H 183 Helmst 48)

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»[…] wie der erste Adam mit vnsrer ersten Mutter Eua / vermehlet / vnd verehlichet worden / haben wir gesterigs tags gehört. Nun hat sich der ander Adam / vnser Herr Christus (gleichwol auff Geistliche weise) auch verheuratet / vnd hat jhm selbst die Christliche Kirch / oder Gemein / durch den Glauben vermehlet / Oseae Cap. 2. Es ist aber sehr ein grosse gleichheit / zwischen dem leiblichen Ehestand / vnd der Geistlichen Ehe / wölche Christus mit seiner Gemein hat. Also / daß S. Paulus beide Ehe mit einander j vergleichet / vnnd auß dem Geistlichen Ehestand Christi / die Eheleute lehret / wie sie sich gegen einander halten sollen: Nämlich / wie sich der Herr Christus helt gegen seiner Gemein / vnd sich die Gemein herwiderumb hellt / gegen jrem Herren / vnd Gemahel Christo. Vnd hat der heilig Geist / dem Herrn Christo / als dem Breutigam / vnd der Christlichen Kirchen / oder Gemein / als der Hochzeitterin / ein herrlich Epithalamium, oder Hochzeitlied in disem jetzt verlesenen Psalmen gemacht / vnnd beschreiben lassen […]. Der heilig Prophet aber fahet gedachts Hochzeitlied also an: Mein Hertz dichtet ein feines Lied / ich will singen von einem König: mein Zunge ist ein Griffel eines guten Schrei= j bers […].«110

Die Predigt will normatives Fundament und Handlungsanweisung zugleich sein, wobei von literarischer Relevanz ist, dass Osiander genau in diesem Zusammenhang auch den formgeschichtlichen Begriff »Epithalamium« verwendet hat. Dem Genre ›Hochzeitslied‹ kann in solchem Kontext eine spezielle Legitimation und Dignität zukommen. Sie verdichtet sich im folgenden. Der ersten Dreiergruppe folgt eine Textsequenz, die entgegen der Angabe im »Index Rervm« (Position II der Anthologie) mit Paraphrasen des 128. Psalms von Melanchthon (Nr. 63), Artomedes (65) und Martinius (50) – Letzterer im übrigen »ad melodiam et rhitmos« Ambrosius Lobwassers – eine weitere Trias bildet. In ihr wird insbesondere der dritte Psalmvers poetisch umspielt: »uxor tua sicut vitis abundans in lateribus domus tuae j filii tui sicut novella olivarum in circuitu mensae tuae«;111 Luther hat den Vers wie folgt übersetzt: »3 Dein Weib wird sein wie ein fruchtbarer Weinstock um dein Haus herum, deine Kinder wie die Oelzweige um deinen Tisch her. [Im Kotext von Vers] 4 Siehe, also wird gesegnet der Mann, der den HErrn fürchtet«.112 Von erheblicher Bedeutung 110 Osiander, Ein Predig (wie Anm. 109), S. 9–25, hier S. 9ff.; die Übersetzung Ps. 45, v. 2 wörtlich nach Luthers »Auslegungen über die Psalmen«. In: Martin Luther : Sämtliche Schriften. Hg. von Joh. Georg Walch. 4. Bd.: Auslegung des Alten Testaments (Fortsetzung) Auslegung über die Psalmen. Groß Oesingen 1987 (= Nachdr. d. 2., überarb Aufl., St. Louis), hier Sp. 1588–1599, bes. Sp. 1588, nicht aber nach: ›Der Psalter, verdeutscht durch D. Martin Luther‹, ebd., Sp. 40. 111 Biblia Sacra iuxta Vulgatam Versionem. Rec. Robertus Weber OSB. Editio tertia emendata. Stuttgart 1983 (= Vulgata), S. 934, hier Ps. 127 nach altkirchlicher Zählung. 112 Luther, Schriften (wie Anm. 110), hier Sp. 1986 bzw. 1999: Auslegung über den 128. Psalm; siehe ferner die summarische Auslegung, ebd., Sp. 187: »Ist ein Trostpsalm, darin der eheliche Stand herrlich gepreiset, und die Eheleute höchlich getröstet werden, dass sie nicht sollen ansehen die Mühe, Arbeit, Unlust und ander Ungemach, so sie darinne fühlen und erfahren müssen, sondern den gnädigen Willen Gottes über sie […]«.

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dürfte für die drei Autoren so gut wie für den auswählenden und anordnenden Sammler A. Vigelius die Auslegung des 128. Psalms durch Luther gewesen sein; ein Auszug: »Im vorhergehenden Psalm hat der Prophet von den beiden Ständen gelehrt, nämlich von dem Welt= und dem Hausregiment; hier handelt er auch fast dasselbe, aber auf andere Weise. Denn wiewohl er hier auch das Hauswesen mit dem Weltregiment verbindet […], so sieht er in diesem Psalm doch mehr auf das Hauswesen oder den Ehestand, weil dieser gleichsam die Quelle und der Ursprung des Staatswesens ist. […] Denn so geht es zu: aus den Häusern oder Familien werden Städte, aus Städten Länder (provinciae), aus Ländern Königreiche. Mit Recht wird daher gesagt, daß das Hauswesen die Quelle des Weltregiments sei […]. Deshalb wollen wir diesem Psalm den Titel geben, daß er eine Art epithalamium und Hochzeitslied sei, durch welches der Prophet die Eheleute tröstet […]. Es wird aber in diesem Psalm zu Tage treten, ein wie guter Dichter und Redner der Heilige Geist sei, welcher alle Regeln, wie man reden und überzeugen soll, aufs beste kennt […]«.113

Über die biblisch begründete ordnungspolitische Vorstellung hinaus – von der systematischen Theologie wird in diesem Zusammenhang auch von »Ordnungstheologie« gesprochen – hat Martin Luther in der Psalmenexegese gewisse Elemente der Überlieferung der antik-paganen und antik-christlichen Textform durchaus im Blick,114 gibt ihnen aber eine in der Tradition der Bibelpoesie und Bibelpoetik stehende Begründungsform. Ein derartiger Fundierungsansatz dürfte es zusammen mit biblischen Vorbildern (z. B. Psalmverse, Psalmen, Hohes Lied) gewesen sein, der anregend auf die Predigt Lucas Osianders und auf Epithalamien der Autoren in der ersten und zweiten anthologischen Textsequenz sowie nicht zuletzt auf deren Auswahl durch den evangelisch-reformierten Pfarrer A. Vigelius gewirkt hat. Das gilt umso mehr, als einer weiteren Trias bibelbezüglicher Texte (Position III in der Anthologie) von Balduinus Berlicomius (Nr. 5), Friedrich Taubmann (11) und Jean Jaquemot (26) das Buch der Proverbia Salomonis zugrundeliegt, und zwar darin die Texteinheit Sprüche 31,10–31, die exegetisch gern als »Lob der tüchtigen Hausfrau« verstanden worden ist und die in der Epithalamien-Anthologie den bezeichnenden Kolumnentitel Encomion strenuae mulieris erhalten hat. Zudem ergänzen keineswegs als beiläufig zu bewertende Gedichte über ›Hochzeiten‹ des Alten Testaments den poetischen Spielraum eines semantisch-thematischen Kerns der Sammlung: etwa über den ›Ehestand‹ Adams und Evas (1 Mose 1,27–28 im Kotext der Genesis), den Luther in seiner Predigt von 1525 eigens herangezogen hat;115 etwa die Geschichte des Tobias mit Sarah (Buch Tobias), die Sebastian 113 Luther, Schriften (wie Anm. 110), 4. Bd., Sp. 1972–2009 hier Sp. 1972ff. 114 Vgl. Rudolf Keydell: Art. Epithalamium. In: RAC 5, 1962, Sp. 927–943, hier bes. Sp. 936–937. 115 Luther, Schriften (wie Anm. 110), Bd. 10: Katechetische Schriften, 1987, Sp. 644–673, hier

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Artomedes (Nr. 65) poetisierte; auch die Darstellung der Hochzeit König Davids mit Bathseba (2 Sam 2), die für die beiden Autoren Nicolaus Reusner (Nr. 57) und Theodorus Beza (67) die Textvorgabe bildete. Weitere Hinweise erübrigen sich hier. Diese narrativ angelegten Hochzeitslieder haben ›natürlich‹ stark lehrhaften Charakter und fungieren dabei als exempla virtutis bzw. exempla vitii. Letzteres ließe sich exemplarisch am Epithalamium Bezas (Inzest-Problematik) zeigen. Ausprägungen des Epithalamischen solcher Art führen darüber hinaus in das Feld literarischer Konfessionspolemik, etwa wider die zölibatäre Bestimmung monastischer und weltgeistlicher Lebensformen im römischen Katholizismus, wie sie in einigen Schlussgedichten der Anthologie zum Tragen kommt. Dabei bildet nicht allein Luthers Predigt vom ehelichen Leben von 1522 eine Folie der Kritik jener Ehelosigkeit.116 Ebenso wichtig – für den Calvinisten A. Vigelius gewiss wichtiger – ist Calvins »Bekämpfung der monastischen Gelübde«,117 die ihren Grund nicht zuletzt in dem reformierten Anliegen einer reformatio vitae hat. Aus all den Textsequenzen und Begründungsansätzen möchten sich Weiterungen der funktionsgeschichtlichen Frage zur Anthologie nahelegen; sie sollen hier nicht mehr verfolgt werden. Jüngere Epithalamien-Forschung zum protestantischen Hochzeitslied im Reformationsjahrhundert hat ja im Kontext konfessionalistischer Aktualität und humanistischer Überlieferung literarischer Formkultur die konfliktreiche Spannung biblischer und christlicher sponsussponsa-caritas im Verhältnis zur antik-paganen Herkunft und erotisch-sexuellen Sinnlichkeitsakzentuierung im amor liberalis des Epithalamiums zu bestimmen versucht. Die Versuche sind sehr unterschiedlich ausgefallen, So werden etwa Salmon Macrins Carminum libellus von 1528 und seine Erweiterung, Carminum libri quattuor von 1530, als eine neuartige Liebesdichtung insoweit erörtert, als in ihr die »seit dem Mittelalter weitgehend verschmähte Institution der Ehe« zum Thema geworden ist – erörtert dabei im Kontext sowohl einer intensiven Rezeption des Hohen Liedes um 1500 bis 1528 als auch rasch aufeinander folgender humanistischer und reformatorischer Schriften »zur Rehabilitation der Eheinstitution«.118 Zugleich ist am Beispiel des Epithalamiums des Melchior

Sp. 650–673: »D. Luther’s Predigt vom Ehestande«, bes. Sp. 650–652; die Predigt bezieht auch Ps. 128,3 mit ein, ebd., Sp. 666, 670. 116 Luther, Schriften (wie Anm. 110), 10. Bd., Sp. 598–628, hier Sp. 601f.: »also, daß Pfaffen, Mönche und Nonnen schuldig sind, ihre Gelübde zu lassen, wo sie sich finden, daß GOttes Schöpfung sich zu besamen und zu mehren in ihnen kräftig und tüchtig ist, und keine Macht haben, durch Gewalt, Gesetz, Gebot, Gelübde solches GOttes Geschöpf an ihnen selbst zu hindern«. 117 Vgl. Michael Banner : Art. Sexualität II. In: TRE 31, 2000, S. 195–214, hier S. 203f. mit Quellenangabe. 118 Marie-FranÅoise Schumann: Salmon Macrin und sein Werk unter besonderer Berück-

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Acontius für die Eheschließung zwischen Georg Sabinus und Anna Melanchthon die Art der Vermittlung dieses semantisch-thematischen Spektrums mit »Elementen der römischen Hochzeitsdichtung« als Musterfall der »von den Reformationshumanisten geforderten litterata pietas« dargestellt worden, und zwar insofern, als darin »die beiden entgegengesetzten Pole des Konzepts […] in geradezu aufreizend glatter Form harmonisiert wurden«.119 Dies scheint sich in der Schlussbemerkung der bedeutenden Abhandlung über die evangelischen Humanisten des Melanchthonkreises – gemeint sind Eobanus Hessus, Georg Sabinus, Johannes Stigel, Jacob Micyllus, Georg Fabricius und Adam Siber – zu bestätigen, wenn es darin heißt, »Musenkult und Gottesdienst« seien »keine Alternative«.120 Diesem Harmonisierung nahelegenden Fazit ist jedoch das dichtungstheologische Postulat derselben Humanistengruppe vorausgeschickt, dass man – mit einer exemplarischen Bemerkung Sibers zum Problemstand De poetis Christianis 1562 – »die Vers- und Wortformen von Vergil, Ovid, Tibull und Properz übernehmen, den Inhalt ihrer Dichtungen dagegen wegwerfen und statt von schändlicher Liebe nur von Gott singen solle, so wie es Eobanus Hessus [sc. in seinen Psalmdichtungen] und Johannes Stigel getan hätten«.121 Nicht ›versöhnende‹ Adaption also, vielmehr Substitution (in schulrhetorischer Striktheit als antithematische Behandlung) wäre danach die dominante Vorgehensweise im evangelischen Prozeß der Aufnahme der Literaturkultur der paganen Antike.122 An diesem Punkt der Erörterung wäre nun die Praefatio ad lectorem des Artus Vigelius zu seiner Anthologie einzubeziehen und auch hinsichtlich der funktionsgeschichtlichen Facette des semantisch-thematischen Teilaspekts zu bedenken. Um freilich über eine einseitige konfessionsgeschichtliche Perspektivierung des dargelegten Teilaspekts hinauszugelangen, sei beiläufig zumindest auf das Epithalamium, In nuptias Christi et Ecclesiae des Jacobus Pontanus (1542–1626)

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sichtigung der »carmina ad Gelonidem« von 1528 und 1530. Berlin 2009 (Hamburger Beiträge zur Neulateinischen Philologie, 6), hier S. 105f. Robert Seidel: Lutherische Ehelehre und antikisierende Epithalamiendichtung – Ein Hochzeitsgedicht für Georg Sabinus und Anna Melanchthon. In: Neulateinisches Jahrbuch 9 (2007), S. 287–307, hier S. 296f. (Textabdruck mit Übersetzung S. 298–303 bzw. 303–307). Walther Ludwig: Musenkult und Gottesdienst – Evangelischer Humanismus der Reformationszeit. In: Die Musen im Reformationszeitalter. Hg. von Walther Ludwig. Leipzig 2001, S. 9–51, hier S. 42 bzw. S. 50. Ebd., S. 38: lateinisches Zitat und deutsche Paraphrase. Zur Änderungskategorie der Substitution nach ihrer rhetorischen Herkunft, textkonstitutiven Wirksamkeit und literaturgeschichtlichen sowie darüber hinausreichenden Relevanz vgl. Theodor Verweyen / Gunther Witting: Die Kontrafaktur. Vorlage und Verarbeitung in Literatur, bildender Kunst, Werbung und politischem Plakat. Konstanz 1987 (Konstanzer Bibliothek, 6), S. 86–103, 115–125; zu ›Substitution‹ (= ›immutatio‹) im Rahmen der vier Änderungskategorien bündig Heinrich Lausberg: Elemente der literarischen Rhetorik. München 31967, S. 31f.

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aus der Zeit um 1594 hingewiesen – jenes Jesuiten, dessen Bedeutung nicht allein für die religionsgeschichtliche Bildung in der frühen Neuzeit erst in jüngerer Zeit in den Blick geraten ist. Seinem – altkirchlich-katholischen – Brautlied liegt eine Struktur zugrunde, die genau dem skizzierten Modell: Adaption antik-paganer Literaturformen und biblisch wie auch patristisch-hermeneutisch fundierte antithematische Behandlung, entspricht.123 Dass mit diesem einzigen Beispiel freilich ein weites Feld angedeutet ist, das vor allem die Jesuiten der Zeit bestellt haben,124 kann hier nur noch gesagt werden; wir würden ansonsten den Rahmen unserer Studie bei weitem überschreiten.

III. Kapitel Die kasualpoetische Anthologie des Artus Vigelius: prosopographische Erschließung einer Epithalamien-Sammlung protestantisch-calvinistischer Orientierung (mit Text und Übersetzung der Praefatio ad lectorem des Herausgebers) Die Anthologie gliedert sich nach Paratext und Text wie folgt auf: Titelseite Praefatio ad lectorem Index rerum et materiarum huius tomi Index Authorum Epithalamia (S. 1–621) Errata. Der prosopographischen Erschließung sind die beiden Indices zugrunde gelegt. Wo es nötig wurde, ist auf die Textsammlung der Epithalamia selber ergänzend und stützend Bezug genommen. Mit Absicht ist nicht über den prosopographischen Befund, der im übrigen hie und da noch lückenhaft ist, hinausgegangen. Bevor Synthetisierungen vorgenommen und Hypothesen gebildet werden, sollten als nächste Schritte der Analyse einläßliche Textbeschreibungen und -interpretationen folgen, und zwar im Kotext der Sammlung selber wie 123 Vgl. Iris Heckel: Christliche Heilsbotschaft als Liebeslied. Jacobus Pontanus: »Epithalamium, In nuptias Christi et Ecclesiae«. In: ›Parodia‹ und Parodie. Aspekte intertextuellen Schreibens in der lateinischen Literatur der Frühen Neuzeit. Hg. von Reinhold F. Glei / Robert Seidel. Tübingen 2006 (Frühe Neuzeit, 120), S. 255–285 mit Wiedergabe des Epithalamiums S. 256–258 und anschließender Übersetzung. 124 Vgl. etwa Jonas Göhler : Das »Canticum Canticorum« und die geistliche Liebe in den Epigrammen Maciej Kazimirz Sarbiewskis. In: Strenae Nataliciae. Neulateinische Studien. Hg. von Hermann Wiegand. Heidelberg 2006 (= FS Wilhelm Kühlmann), S. 85–97 mit weiterführenden Literaturhinweisen u. a. über die bernhardinische Hoheliedrezeption.

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hinsichtlich der funktionsgeschichtlichen Vielfalt der einzelnen Epithalamien im Kontext ihres je eigenen Entstehungszusammenhangs. Einen ersten Versuch dazu möchten die im I. und II. Kapitel dargestellten Analysen des Epithalamiums J. W. Zincgrefs als Teil der Anthologie sein. INDEX AVTHORVM und INDEX RERVM ET MATERIARUM (1) A. F. Mellemannus = Mellemann, Albert Friedrich * 1558 Berlin; † um oder nach 1593 (»in Holstein verschollen«). Konfession: protestantisch-lutherisch. Charakterisierung: Gelegenheitsdichter. Sohn Simon Mellemanns (1520–1588), des Juristen und kurfürstlichbrandenburgischen Kammerrats und Syndikus der märkischen Städte; wenige gesicherte Daten zur Biographie. Der in Sekundärliteratur behauptete Besuch der Universität Frankfurt/O. in jungen Jahren lässt sich aus den älteren Universitäts-Matrikeln (3 Bde., hg. von Ernst Friedlaender, 1887–1891) nicht nachweisen; eine Bildungsreise soll ihn durch verschiedene Länder Westeuropas geführt haben. Ein Eintrag im Stammbuch des Jacob Hesch (um 1563–1607) vom 13. 4. 1583 weist einen Albert Mellemann in Tübingen aus. Zwischen 1587 und 1593 gab er eigene Werke unterschiedlicher Art bei Nicolaus Voltzius im Grauen Kloster in Druck. »Danach verlor sich die Spur dieses märkischen Dichters.« Mellemann verfasste ein Epithalamium zur Hochzeit Michael Haselobs am 19. 2. 1588 mit Maria Schosser, Tochter des Professors für Eloquenz Johannes Schosser Aemilianus (1534–1585) an der Universität Frankfurt/O. und dortigen Kollegen Haselobs (siehe dort); ferner ein »Carmen in obitum … Dn. Lamperti Distelmeieri … 1589« sowie ein Epithalamium »In Nuptias Christiani Distelmeieri, IC, et Catharinæ / Luderiz«, das in Janus Gruters »Delitiae Poetarum Germanorum« (1612, Pars IV, S. 493–496) eingegangen ist: C. Diestelmeier trat die Nachfolge des Vaters Lampert im Amt des brandenburgischen Kanzlers an, seine Eheschließung 1581 mit Katharina von Süderitz zu Walsleben bedeutete den Aufstieg der Familie Diestelmeier in den Landadel; zur Schrift »Dissertatio de matrimonio literati« (Berlin 1588, Frankfurt/O. 1593, Amsterdam 1651, Wittenberg 1714): »Ob es einem Mann von Wissenschaft wohl anstehe, verheiratet zu sein«, vgl. unten B. Kytzler, Katalog-Nr. 50. Lit.: Neben den genannten Gedichten ebenfalls in: Gruter, Delitiae, s. o., Pars IV, S. 493–515, u. a. S. 498: »Ad Paulum Melissum«; »Ad Nicodemum Frischlinum«; S. 505: »Alphonsi regis dictum« (Zweizeiler); S. 511: »Ad Christophorum Firxium, equitem Liuonum«. – Goedeke verweist darüber hinaus in seinem »Grundriß« auf Gedichte in der Anthologie des Johannes Petrus Lotichius (Teil 4, S. 133–141), zudem Heyne auf »Poemata Alberti

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Friderici Mellemanni, varii generis … Francofurti ad viadrum et Brachfeld 1593«; Texte in: Echtermeyer-Seyffert, Anthologie I, 1834; vgl. ferner VD16 M 4455 Verweis auf Mellemanns »omnium horarum po[mata«, Berlin 1591. Rez.: A. Vigelius, Deliciae, 1624, [Teil I], Nr. VI, S. 39: »Nuptiae protoplastorum in paradiso, secundo decantatae«, hier : »Epigramma«: »Non hera sit coniunx …«. – Siehe auch ebd. S. 37–39 Sebastian Artomedes; ebd. S. 40–46 Johannes Himmelius. Sekundärlit.: Goedeke, Grundrisz, 1884, S. 111; Das dichterische Schrifttum, 1939, S. 47: Nr. 468–474; Peter-Michael Hahn: Geistiges Leben zwischen Hof und Stadt in Brandenburg. In: Marchia Resurge, 1992, S. 7–10, hier S. 9; Ursula Greif: Zur lateinischen Poesie der Mark Brandenburg, ebd., S. 11–16, hier S. 16; ferner Katalog-Nr. 48–50 sowie Nr. 41; KatalogS. 64 ein Kupferstich-Porträt des Autors; RAA: 1580_hesch/36 (W.W. Schnabel). Kommentar: Text nicht nach: Gruter, Delitiae, s. o., Pars IV. (2)

Adam Siberius = Siberus (eigentl. Siber), Adam * 8. 9. 1516 Schönau b. Wiesenburg/Sächsisches Erzgebirge, † 24. 9. 1584 Grimma. Konfession. evangelisch-lutherisch, philippistisch. Charakterisierung: Humanist, Melanchthon-Schüler, neulateinischer Dichter, Schulmann. Sohn des Stephan Siber, des ersten evangelischen Predigers in Schönau; zunächst Schulbesuch in Schönau; nach frühem Tod der Eltern nahm der Freund der Familie Stephan Roth die Kinder zu sich nach Zwickau; hier Besuch des Gymnasiums, Schüler des Johannes Rivius; mit ihm an die Schule in Annaberg 1534; schon hier Beginn der lebenslangen Freundschaft mit Georg Fabricius (siehe dort); 1536/37 Universität Wittenberg: Vorlesungen bei Justus Jonas, Johannes Bugenhagen, Caspar Cruciger, Ph. Melanchthon, M. Luther. 1540 Magister. Schulkarriere: Konrektor an der Lateinschule in Freiberg; 1545 Rektor in Halle a.S.; 1548 in Chemnitz; von dort 1550 von Christian I. v. Sachsen als erster Rektor der dritten sächsischen Fürstenschule zu Grimma berufen: das Collegium Moldanum als »sächsische Kaderschmiede« Lit.: Texte in: Gruter, Delitiae Poetarum Germanorum, Pars VI, 1612, S. 117–203: unter dem Titel: »ADAMI SIBERI CHEMNICENSIS«; Texte in: Echtermeyer-Seyffert, Anthologie I, 1834 – II/2, 1835. Rez.: A. Vigelius, Deliciae, 1624, [Teil II], Nr. XVII, S. 250–253: »Christiani Ducis Saxoniae Elect. Cum Sophia Marchionissa

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Brandenburgica« (1582, Fundort: SLUB Dresden: 1. Ex.: Hist. Sax. C. 766,1; 2. Ex.: Hist. Suev. 313,6). Sekundärlit.: Goedeke, Grundrisz, 1884, S. 101; ADB 34, 1892, S. 125–130 (Georg Müller); Ellinger II, 1929, S. 157–161 u. ö. s.v. Register ; Klein, Der Kampf, 1962, S. 75, 77, 100; Killy 11, 1991, S. 25 (Reinhard Düchting); Karrer, Posthius, 1993, S. 70, 80 u. ö. s.v. Register ; Ludwig, Musenkult und Gottesdienst – Evangelischer Humanismus der Reformationszeit. In: ders. (Hg.), Die Musen, 2001, S. 9–51; Killy/Kühlmann 11, 2011, S. 1f. (Wilhelm Kühlmann). Kommentar: Text nicht nach: Gruter, Delitiae, s. o., Pars VI. Sachkomm.: Christian I., Kst. v. Sachsen (albertinische Linie des Hauses Wettin): * Okt. 1560 Dresden; † 5. 10. 1591; achtes Kind von Kfst. August v. Sachsen (1526–1586, reg. 1553–1586) und der 1548 geheirateten dänischen Prinzessin Anna. Prägende Erziehung durch seinen langjährigen Lehrer Christian Schütz, Hofprediger, Anhänger Melanchthons und als Philippist geltend, der beim Sturz der Philippisten 1574 sein Amt verlor. Der junge Christian hing sehr an dem vom Hof gejagten Magister ; der neue Prinzenerzieher wurde der starre Lutheraner Paul Vogel, den Christian nach Antritt als regierender Kurfürst 1586 in seiner ersten Amtshandlung vom Hof jagte. »So war der Prinz bereits früh in den von seinen beiden gegensätzlichen Erziehern verkörperten Gegensatz zwischen westeuropäischen Reformierten und deutschen Lutheranern hineingeraten.« Als »schwache Persönlichkeit« von diesem Gegensatz immer wieder eingeholt, kam eine unstete Lebensweise (Saufgelage, Jagd, Spielleidenschaft) hinzu, die der Kanzler Nikolaus Krell immer wieder in die politisch ›richtigen‹ Bahnen zu lenken versuchte: ›Calvinisierung‹ Kursachsens, d. h. »Hinwendung zur Reformation westeuropäischer Prägung«. Zu den erbittertsten Feinden dieser Entwicklung gehörten nicht nur die Theologen lutherisch-orthodoxer Richtung, sondern auch die Kfstin. Sophie als eifernde Lutheranerin, die dann auch der Hinrichtung Krells 1601 persönlich beiwohnte. Christian I. erlag 1591 seinem ausschweifenden Lebenswandel gerade in dem Augenblick, als in Kursachsen »die Fundamente für die Zweite Reformation gelegt« waren und außenpolitisch »der Kurstaat in die Front reformierter Mächte, an die Seite Englands, der niederländischen Generalstaaten, des hugenottischen Königs Heinrich IV. von Frankreich und der Kurpfalz« getreten war (Nicklas). Mit dem Tod Christians I. vollzog sich die konfessionelle und »politische Wende« zum strengen Luthertum, an der die Kurfürstinwitwe neben den zurückkehrenden lutherischen Theologen und den Vertretern des alten Adels maßgeblichsten Anteil hatte. – Hochzeit Christians I. am 25. 4. 1582 in Dresden mit Prinzessin Sophia v. Brandenburg (1568–1622), Tochter des brandenburgi-

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schen Kfst. Johann Georg (1525–1598). – Sekundärlit.: NDB 3, 1957, S. 231f. (Christa Schille); Thomas Nicklas, Christian I. 1586–1591 und Christian II. 1591–1611, in: Kroll (Hg.), Die Herrscher Sachsens, 2004, S. 126–136, hier S. 126–133; Essegern, Fürstinnen, 2007: s.v. »Sophia von Brandenburg« Register ; Zincgref, Apophthegmata, 2011, Bd. 2, S. 347. (3)

Anonius Palearius = Paleario, Aonio (Paglia, Antonio della) * 1503 Veroli/südl. von Rom; † 3. 7. 1570 Rom (Hinrichtung als Häretiker). Konfession: altgläubig, protestantisch. Charakterisierung: reformatorisch gesinnter Humanist; neulateinischer Dichter : »teologo romano« (E. Malato). Beginn des Studiums in Rom 1520; dort blieb er bis zur Plünderung der Stadt 1527; ging von dort nach Perugia; danach wiederholt in Padua und Siena, auch Florenz und Ferrara. Wo immer er sich auch sonst aufhielt, seine Ambitionen galten stets dem Literarischen, der Philosophie und der Theologie, zugleich junge Leute angesehener Familien unterrichtend. 1537 verheiratete er sich und verbrachte einige Jahre im sienesischen Colle Val d’Elsa als Privatlehrer. 1542 eröffnete der Bischof von Siena gegen ihn einen Häresieprozeß (als Anhänger der lutherischen Rechtfertigungslehre); einflußreiche Humanisten wie Giacopo Sadoleto (1477–1547), aber auch »die reformfreundliche Haltung des Bischofs selbst« verhinderten eine Verurteilung. Zu dieser Zeit stand Paleario im Briefwechsel mit Luther, Melanchthon, Bucer und Calvin, zuvor schon mit Erasmus; er wurde einer »der bedeutendsten Anhänger des Protestantismus in der Toskana« und in Teilen Italiens, in denen »das für die italienische Halbinsel (…) charakteristsiche Phänomen einer relativ weiten Verbreitung des calvinistischen Protestantismus« beobachtet worden ist (Welti, S. 44f.); von der Ernsthaftigkeit seines religiösen Anliegens zeugt das didaktische Gedicht »De animarum immortalitate« mit 1800 Hexametern in drei Büchern (erster Druck Lyon 1536). 1546 wurde er zum Professor für Rhetorik (»eloquenza«) an den Oberschulen in Lucca ernannt, 1555 zudem für griechische und lateinische Literatur, ebenso 1567–1568 in Mailand; Paleario musste bei seinem Amtsantritt in Lucca, die 1542 ihren ersten Höhepunkt der Reformation gehabt hatte, geloben, »sich mit Philosophie und ›lettere umane‹ zu befassen und dem Entscheid der Kirche zu überlassen, was zu glauben sei« (Welti, S. 54). Bereits 1560 überstand er einen zweiten Häresie-Prozeß; in Mailand stellte ihn der Inquisitor Fra Angelo von Cremona erneut unter Ketzeranklage (wegen weitreichender kirchlicher Reformvorschläge); die Fortführung dieses Prozesses fand auf Weisung des Papstes Pius V. ab 1568 in Rom statt und endete mit der Hinrichtung. Die literarische Bedeutung Palearios ist daran ablesbar, dass er von Sca-

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liger (»Poetik«: lib. VI, cap. I, S. 295b; Ausg. 2003, S. 44/45; ferner lib. VI, cap. IV, S. 307b; Ausg. 2003, S. 138/139) in die Liste jener acht neulateinischen Dichter Italiens aufgenommen worden ist, die »man mit jedem antiken Dichter vergleichen« dürfe (vgl. auch Ludwig, 1979, S. 21); Matthias Martini (siehe dort) hat 1619 seine »Opuscula« herausgegeben. Lit.: Texte in: Gruter, Delitiae Italorum Poetarum, Pars Altera, 1608, S. 149–163: unter dem Titel »AONII PALEARII VERVLANI«. Rez.: A. Vigelius, Deliciae, 1624, [Teil II], Nr. XLIX, S. 577–580: »Nicolai Marini, Cum Aloisa Mendoza«. Sekundärlit.: Ellinger I, 1929, S. 287f.; Guiseppe Borgiani: Art. »Paleario, Aonio (Antonio della Paglia)«. In: Enciclopedia Italiana, Bd. XXV. Mailand 1935, S. 972; Delio Cantimori: Italienische Häretiker der Spätrenaissance. Deutsch von Werner Kaegi. Basel 1949, S. 482 u. ö. s.v. Register ; LThK 7, 1968, Sp. 1367 (Giuseppe Alberigo); Ludwig, Scaligers Kanon, 1979, S. 21, 24, 29; Salvatore Caponetto: A. Paleario (1503–1570) e la Riforma protestante in Toscana. Turin 1979 (nicht zugänglich); Manfred E. Welti: Kleine Geschichte der italienischen Reformation. Gütersloh 1985 (= Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte, 193), S. 34, 44f., 48, 54; Letteratura italiana, Bd. 2, 1991, S. 1307 (Gabriella Macciocca); BBKL 6, 1993, Sp. 1451–1453 mit Werkverzeichnis und Sekundärlit. (Erich Wenneker); Malato, Storia, Bd. IV, 1996, S. 477, 480. Kommentar: Text offensichtlich nach: Gruter, Delitiae Italorum Poetarum, Pars altera, 1608, S. 149–151: »AONII PALEARII VERVLANI. In nuptiis Nicolai Marini & Aloisiae Mendozae.« Sachkommentar: ungeklärt. (4)

A.V. = wohl Initialen für Vigelius, Artus Rez.: Deliciae, 1624, [Teil I], Nr. III, S. 21: »Encomion strenuae mulieris«. – Siehe auch ebd. S. 21 Justus Vultejus. Deliciae, 1624, [Teil I], Nr. V, S. 31f.: »In laudem conjugii & conjugatorum, Epigrammata varia«, hier : »In Monachos Ex Eodem Pavlvlvm immvtatvm«.

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Balduinus Berligomius = Berlicomius (Berlicum, Berlikom), Balduinus (Boudewyn) – fehlt im INDEX AVTHORVM und ist aus dem Werk ergänzt. * ?, † ca. 1609 Niederlande. Konfession: reformiert. Charakterisierung: Jurist, Philologe, neulateinischer Dichter. Sekretär am Hof von Brabant; Wirkungsort: s-Hertogenbosch. Lit.: »Hierostichon siue Carminvm ex Libris Sacris et Ecclesiasticis Metaphrasi Po[tic. concinnatorum, libri IX. j Baldvino Berlicomio Siluaedu-

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censi auctore. Heidelberg (Officina Commeliniana) M.D.XCVIII. (428 S.; Ex. Köln, UStB) – Widmungsbeiträger : Joseph Justus Scaliger, Bonaventura Vulcanius, Jean Taffin, Jacobus Arminius; Texte in: Gruter, Delitiae Poetarum Belgicorum, Prima Pars, 1614, S. 547–578 (statt 587): unter dem Titel »BALDVINI BERLIGOMII SILVÆDVCENSIS«. Rez.: A. Vigelius, Deliciae, 1624, [Teil I], Nr. III, S. 12–14: »Encomium Strenuae Mulieris Ex Proverb. Salomonis, Cap 31«. – Siehe auch ebd. S. 15f. Friedrich Taubmann; ebd. S. 17–21 Jacobus Jacomotus; ebd. S. 21 A. V. Sekundärlit. bzw Bibliogr.: VD16 ZV 1318. Kommentar: Text offensichtlich nach: Gruter, Delitiae s. o., Prima Pars, S. 563–565: »Encomium strenuæ Mulieris ex Prouerb. Salomonis. Cap. XXXI« im Kontext einer Vielzahl von Gedichten des Autors unter dem Kolumnentitel der Anthologie »Pia Carmina« S. 547–577. (6)

Casparus Bucherus = Bucher, Kaspar * 1554 Tübingen, † 1617 Tübingen? Konfession: lutherisch. Charakterisierung: Professor, Philologe, neulateinischer Dichter. »Professor Oratoriae«, also der Rhetorik an der Universität in Tübingen; verschiedentlich Reden aus akademischem Anlass (siehe unter Lit. ein Beispiel). Lit.: »Oratio Adversus Philosophicae Et Literarum Humaniorum Contemptores, in Festo Catharinae, Anno 1604 habita / M. Casparo Buchero, Lingvarum in Academia Tubingensi Professore«, Tübingen 1605 (VD17 12: 180642K); zudem Buchbegleitgedichte, etwa zu: »Operum Nicolai Reusneri (…) Pars prima«, Jena 1594, im Kontext einer außergewöhnlichen Vielzahl beitragender Repräsentanten der humanistischen Formkultur (VD16 R 1368). Rez.: A. Vigelius, Deliciae, 1624, [Teil II], Nr. XXXVIII, S. 477f.: »Georgii Friderici Comitis in Hohenloe, Cum Dorothea Rutena a Plauen«. Sekundärlit. u. a.: Professorengalerie Tübingen. Kommentar: Der Autor ist nicht in: Gruter, Delitiae Poetarum Germanorum, 1612, eingegangen. Sachkomm.: Georg Friedrich I., Gf. v. Hohenlohe-Waldenburg: * 30. 4. 1562 Waldenburg; † 22. 10. 1600 Waldenburg; seit 1568 auch Gf. zu Waldenburg; Sohn von Gf. Eberhard v. Hohenlohe (1535–1570, seit 1558 auch v. Waldenburg) und dessen 1554 in Heuchlingen geheiratete Gfin. v. Tübingen Agathe (1533–1609). Haus Hohenlohe wurde im Zuge der Reformation Mitte des 16. Jahrhunderts protestantisch-lutherisch und zudem in zwei

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Linien geteilt. – Eheschließung am 21. 8. 1586 in Waldenburg mit Dorothea Reuß v. Plauen (1570–1631; diese ab 6. 12. 1606 in 2. Ehe mit Wilhelm Schenk v. Limpurg-Speckfeld). – Sekundärlit.: Europäische Stammtafeln N. F., Bd. XVII, Tafel 15. (7)

Christianus Egenolphus = Egenolff (Egenolphus), Christian d.J. * 1519 Straßburg; † 1598 Frankfurt/M. Konfession: evangelisch-lutherisch. Charakterisierung: Buchhändler, Pfarrer, Psalmenübersetzer, Poeta Laureatus. Ältester Sohn Christian Egenolffs d.Ä. (1502–1555), der sich 1530 von Straßburg nach Frankfurt/M. veränderte und hier am 9. 2. 1532 den Bürgereid ablegte. Christian d.J. ging in den Jahren von 1549 bis 1559 drei Ehen ein. Am 21. 11. 1573 trug er sich in Frankfurt/M. in das Stammbuch Jeremias Eisenmengers († 1625) ein. Sein Bruder Lorenz führte mit Margarethe, der Witwe Christians d.Ä., die bedeutende Frankfurter Offizin weiter. Lit.: »CL. PSALMI DAVIDIS ALIORVMQVE PROPHETARVM; In laudem DEI Optimi Maximi vario carminum genere LatinH expressi / CHRISTIANO LAVRENtiade Egenolpho Francofortensi, Werthemiæ Lautebacens. Ecclesiæ ministro, Poeta Laureato […]«. Frankfurt 1597. (Ex. Wolfenbüttel, HAB: A: 196.5 Poet.[1]) Rez.: A. Vigelius, Deliciae, 1624, [Teil I], Nr. I, S. 7–9: »Tria Epithalamia sacra, in nuptias mysticas Sponsi cœlestis cum Ecclesia Sponsa, H Psalm. XLV«, hier : »Idem Adhuc Epithalamion, Tertio«. Sekundärlit.: Günter Richter : Christian Egenolffs Erben 1555–1667. In: AGB 7, 1967, Sp. 449–1130; Christoph Reske: Die Buchdrucker des 16. und 17. Jahrhunderts im deutschen Sprachgebiet. Wiesbaden 2007 (Beiträge zum Buch- und Bibliothekswesen, 51), S. 224f., 882; RAA: 1570_eisenmenger/3. Kommentar: Text nicht nach: Gruter, Delitiae Poetarum Germanorum, 1612; wohl nach: »CL. Psalmi Davidis«, s. o., 1597, S. 151–154: »PSAL. XLV. Vulgk XLIV. Eructauit cor meum verbum bonum. AD EBERHARDVM BIDEBACHIVM, DOCT. THEOLOGVM, Abb. Bebenhus. Carm. genus 16.«

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Daniel Angelocrator = Angelocrator (eigentl. Engelhardt), Daniel * 19. 10. 1569 Korbach/Gft. Waldeck; † 30. 7. 1635 Köthen. Konfession: reformiert. Charakterisierung: Hofprediger, Superintendent, Professor in Kassel. Sohn des Corbacher Bäckers Justus Engelhardt; Studium 1588 Marburg, 1589 Franeker ; begleitete junge hessische Adelige auf die Universitäten

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Marburg und Helmstedt; 1594 Rückkehr in die Heimat. Wegen seiner reformierten Orientierung mit seinem Vater entzweit; danach in Genf bei Th. Beza (siehe dort). Anstellung im Gymnasium von Stade; von 1597 bis 1606 Pfarrer in hessischen Gemeinden. 1612 Archidiakon in Marburg und 1614 bis 1624 Superintendent; 1625 Pfarrer in Gudensberg, verlor hier Hab und Gut durch die plündernden Truppen Tillys; 1626 Konsistorialassessor in Kassel, wo Lgf. Moritz in ihm eine wichtige Stütze bei den reformierten »Verbesserungspunkten«, der Kirchenreform ebenso wie vor allem der »reformatio vitae«, hatte; nahm 1618 an der reformierten Synode von Dordrecht in Holland teil. 1627 Oberpfarrer und Superintendent in Köthen, dort 1632 Hofprediger. Rez.: A. Vigelius, Deliciae, 1624, [Teil II], Nr. XXIX, S. 428f.: »Othonis Landgraviae Hassiae, Cum Catharina Ursula Marchionissa Badensi«. – Siehe auch ebd. S. 412–426 Janus Henricus Scroterus; ebd. S. 427f. Henricus Petraeus PH. e. M.D. Sekundärlit.: ADB 1, 1875, S. 453 (Heinrich Heppe); DBE1 1, 1995, S. 135f.; Graf, Anhaltisches Pfarrerbuch, 1996, S. 241. Kommentar: Der Autor ist nicht in: Gruter, Delitiae Poetarum Germanorum, 1612, eingegangen. Sachkomm.: siehe unter Janus Henricus Scroterus zu a). (9)

Dominicus Baudius = Baudius (eigentl. Bauldier), Dominicus (Dominique le) * 8. 4. 1561 Rijssel, † 22. 8. 1613 Leiden. Konfession: reformiert. Charakterisierung: Neulateinischer Dichter, Professor Historiarum, JuraProfessor. * in einer calvinistischen Familie der Niederlande; 22. 4. 1578 immatrikuliert in Leiden; dort Studium der Theologie 1578–1579, fortgesetzt in Gent und Genf 1581, hier unter Anleitung Theodor Bezas; am 7. 9. 1583 erneut in Leiden eingeschrieben, Studium der Rechte, dort 1585 Graduierung, engere Beziehung zu Justus Lipsius und Janus Dousa. Während eines Aufenthaltes in England Freundschaft mit Sir Philip Sidney. Der Beginn von Baudius’ Aufenthalt in Frankreich fiel mit der Ermordung Heinrich Guises zusammen (1588), die den unmittelbaren Anlaß zum Sturz Kg. Heinrichs III. und den mittelbaren zur Erhebung Heinrichs IV. gab (G. Ellinger, 161), zu dessen Anhänger Baudius wurde (mit ganzen Gedichtreihen auf ihn); Freundschaft mit Jacques Auguste de Thou; Advokat am französischen Parlament; nach 1603 in Leiden Prof. der Rhetorik (der »welsprekendheid«, der »Elegantia« im Sinne der Schulrhetorik), Freundschaft mit Daniel Heinsius und Hugo Grotius; 1608 auch Prof. des

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Römischen Rechts; Auftrag der Generalstaaten für eine Geschichte des Rechts und der Niederlande. Bedeutender Vertreter der niederländischen Gelehrtenrepublik. Persönliche Beeinträchtigungen durch Liebesaffären, Trunksucht, finanzielle Probleme. Lit.: »Poemata varia« (1607 u. ö.); »Libri tres de induciis belli Belgici« (1613); Texte in: Gruter, Delitiae Poetarum Belgicorum, Prima Pars, 1614, S. 241–506: unter dem Titel »DOMINICI BAVDII INSVLENSIS FLANDRI«; Texte in: Echtermeyer-Seyffert, Anthologie I, 1834 – II/1, 1834. Rez.: a) A. Vigelius, Deliciae, 1624, [Teil II], Nr. IIX, S. 146ff.: »Henrici IV. Cum Maria Medices«: a) S. 146–150: »Propempticon ad sponsam Henrici IV. quum Florentia profisceretur in Galliam«; b) S. 150–154: »Epithalamium dictum Regi Henrico IV. & Mariæ Medices«; c) S. 155: »Super anni tempore quo nuptiæ celebratæ«; d) S. 155: »Aliud eiusdem argumenti«; e) S. 155–160: »Aliud eiusdem«. b) A. Vigelius, Deliciae, 1624, [Teil II], Nr. LIII., S. 602–605: »Alberti / Scaghen. Cum Theodora / Duvenvord«. Sekundärlit.: Schroeter, Beiträge, 1909, s.v. Register ; NNBW 6, 1924, Sp. 81f. (Brugmans); Ellinger III, 1933, S. 157–170, hier S. 167f. (mit Hinweis auf Baudius’ »Variorum carminum farrago«); Humanistische Lyrik, 1997, S. 1385; Zincgref, Apophthegmata, 2011, Bd. 2, S. 394. Kommentar: a) – b) Texte offensichtlich nach: Gruter, Delitiae Poetarum Belgicorum, Prima Pars, 1614, aus einer denkbar umfänglichen Reihe von Gedichten unter dem Titel »DOMINICI BAVDII INSVLENSIS FLANDRI, S. 241–491, hier : a) – a) Text offensichtlich nach Gruter, s.d., S. 466–469; a) – b) Text offensichtlich nach: Gruter, s.d., S. 469–473; a) – c) Text offensichtlich nach: Gruter, s.d., S. 478: »Super anni tempore …«; a) – d) Text offensichtlich nach: Gruter, s.d., S. 478: »Ad eiusdem argumenti«; Inc.: »Phoebe quid Hesperio …«, Expl.: »… Cynthia pulchra tuis.«; a) – e) Text offensichtlich nach: Gruter, s.d., S. 473–478: Inc.: »Temporius solito cur Vespera claudit Olympum?« Expl.: »Sic populus poscit , sic rata fata volunt.« b) – Text offensichtlich nach: Gruter, s.d., S. 488–491: »Epithalamium Alberto / Scaghen et Theodoræ / Duvenvord«. Sachkomm.: a) Heinrich III., Kg. v. Navarra, als Heinrich IV. Kg. v.

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Frankreich; siehe auch unter Joannes Auratus (Jean Dorat) zu b). Heinrich IV. trat in einem weiteren Konfessionswechsel am 25. 7. 1593 erneut zum Katholizismus über, indem er in der Basilika Saint Denis die Kommunion empfing (angeblicher Ausspruch Heinrichs: »Paris vant bien une messe.«). Er wurde am 27. 2. 1594 in der Kathedrale Notre-Dame de Chartres gesalbt und als Kg. v. Frankreich – »Henricus Quartus D(ei) G(ratia) Rex Francorum et Navarrae« – gekrönt. 1599 verlobte er sich mit Maria de’ Medici, der damals reichsten Erbin des europäischen Kontinents. Es folgte die Annullierung der Ehe mit Margarete v. Valois durch Papst Clemens VIII. Somit war der Weg frei für die Ehe mit der Medici. – Heirat in 2. Ehe am 5. 10. 1600 mit Maria de’ Medici. Kinder : Louis (1600–1643); regiert 1610–1643 als Kg. Ludwig XIII. v. Frankreich; Elisabeth (1602–1644), in Spanien Isabelle de Bourbon genannt, verheiratet mit Philipp IV., Kg. v. Spanien und Portugal. – Sekundärlit.: Ernst Hinrichs, Heinrich IV. 1589–1610, in: Hartmann (Hg.), Französische Könige, 1994, S. 143–170; Zincgref, Apophthegmata, 2011, Bd. 2, S. 714ff. u. ö. s.v. Register. b) Albrecht van Schagen: * 1577, † 6. 7. 1638; seit 1618 Herr zu Schagen. Ältester Sohn von Johann, seit 1548 Herr zu Schagen und zu Borchharen (1544–1618), und dessen am 3. 8. 1568 geehelichter Anna van Assendelft (1547–1630), Tochter von Dirk und Adriana v. Nassau. – Ehe am 1. 3. 1603 geschlossen mit Theodora v. Wassenaer (1577–1660), Tochter von Arnold van Duvenvoorde (1528–vor 1600) und Theodora van Scherpenzeel († 1622); die Tochter nahm – zu einem nicht geklärten Zeitpunkt – wieder den Geschlechternamen Wassenaer an. – Sekundärlit.: NNBW 1, 1911, Sp. 769: Art. »Duvenvoorde (Arent VII van)«; Europäische Stammtafeln, N. F. Bd. III/Teilbd. 2, 1983, Tafel 214: Nichtstandesgemäße und illegitime Nachkommen der Regierenden Häuser Europas, hier : Die Herren von Beieren von Schagen II des Stammes der Herzoge von Bayern. (10) Fridericus Lingelshemius = Lingelsheim, Friedrich * um 1597 Heidelberg; † 15. 9. 1616 Heidelberg. Konfession: reformiert. Charakterisierung: Neulateinischer und deutscher Dichter. Sohn Georg Michael Lingelsheims aus dessen erster Ehe (vgl. das Distichengedicht Gruters »Georg. Mich. Lingelsemio, in natalem Friderici filij« in: Gruter, Delitiae Poetarum Belgicorum, Pars II, S. 805); Studium in Heidelberg (immatrikuliert 25. 6. 1607); ab 1612 gemeinsam mit J.W. Zincgref auf einer peregrinatio academica durch Frankreich und England; 1613/14 Studium der Rechte in Orl8ans (vgl. Eintragung mit Zincgref ins

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Stammbuch Christoph Röttingers am 8.4. bzw. 7.4. 1614); danach in Italien (u. a. Rom); 1616 Rückkehr nach Heidelberg, wo er kurz darauf verstarb. Lit.: Texte in: Parnassus Palatinus, 1989, S. 186–195: lat.-deutsch. Rez.: Vigelius, Deliciae, 1624, [Teil II], Nr. XIV, S. 236–238: »Joannis Comitis Palatini Elector. Palat. Administratoris Cum Loysa Friederici IV. Elect. Palat. filia«. – Siehe auch ebd. S. 231f. Janus Gruter ; ebd. S. 232–236 Nicolaus Reusner. Sekundärlit.: Reifferscheid, Quellen, 1889, S. 728–730, 767; Trunz, Deutsche Literatur (1931), 1995, S. 43; Parnassus Palatinus, 1989, S. 275 (Biographische Skizze); Walter, Späthumanismus, 2004, S. 308–310; Die Deutschen Humanisten I/II, 2010, S. 793f.; Zincgref, Apophthegmata, 2011, Bd. 2, S. 519f. Kommentar: Text nicht nach: Gruter, Delitiae Poetarum Germanorum. Sachkomm.: Johann II., Pfgf. v. Pfalz-Zweibrücken-Veldenz: * 26. 3. 1584 Bergzabern; † 9. 8. 1635 Metz (Flucht vor den kaiserl. Truppen); 1604–1635 Hzg. v. Pfalz-Zweibrücken; 1610–1614 Vormund des minderjährigen Kfst. Friedrich (später V.) v. d. Pfalz; in dieser Funktion nach dem Tod Ks. Rudolfs II. 1612 kurzzeitig auch Reichsvikar des Heiligen Römischen Reiches; gründete in Zweibrücken die französische reformierte Gemeinde. – Heirat in 2. Ehe am 4. 5. 1612 in Heidelberg mit Louise Juliane, ältester Tochter von Kfst. Friedrich IV. v. d. Pfalz und Luise Juliane v. OranienNassau. – Sekundärlit.: Press, Calvinismus, 1970, S. 479–485; NDB 10, 1974, S. 514f. (Volker Press). (11) Fridericus Taubmannus = Taubmann, Friedrich * 15./16. 5. 1565 Wonsees, † 24. 3. 1613 Wittenberg. Konfession: evangelisch-lutherisch. Charakterisierung: Neulateinischer Dichter, Klassischer Philologe, Professor. Sohn eines Schusters, Schulbildung in Kulmbach und in der Heilsbronner Fürstenschule; 1592 zum PLC erhoben durch Paul Schede Melissus; 1595 gegen Widerstände Professur für Poesie an der Universität Wittenberg. Sein Nachruhm gründet sich vor allem auf seine Tätigkeit als »Kurzweiliger Rat« am sächsischen Hof, seine Rezeptionsgeschichte geht nicht zuletzt auf die in den »Taubmanniana« gesammelten witzigen Apophthegmata und Anekdoten zurück. Lit.: »Schediasmata Poetica innovata«, o.O. (Wittenberg) 1619 (Wolfenbüttel, HAB: 128.6 POETICA); hier im »Sacrorum Liber III«, S. 178–181: »Epithalamium Christi & Ecclesiæ mysticum: PSALMUS DAVIDIS XLV«; in den Büchern der »Epigrammata« eine Reihe von Widmungstexten, etwa an Johannes Conradus Rhumelius (»Liber I«, S. 760f.), an »Jaco. Fur-

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mannum Clodae Sax. Praesulem.« (»Liber II«, S. 732f.), mehrere an Sebastian Artomedes im selben Epigramm-Buch; an Adam Th. Siber (»Liber III«, S. 836f.); Texte in: Gruter, Delitiae Poetarum Germanorum, Pars VI, 1612, S. 616–674. unter dem Titel »FRIDERICI TAVBMANNI FRANCI«, bspw. S. 619–621: »In nuptias Philippi Ernesti von Hoenlohe, et Annæ Mariæ von Solms«; Nachweis zahlreicher Stammbucheinträge in der zweiten Hälfte der 90–er Jahre: siehe Stammbuchdatenbank RAA (W.W. Schnabel): Suche unter Taubmann. Rez.: A. Vigelius, Deliciae, 1624, [Teil I], Nr. III, S. 15f.: »Encomium Strenuae Mulieris Ex Proverb. Salomonis, Cap. 31«. – Siehe auch ebd. S. 12–14 Balduinus Berlicomius; ebd. S. 17–21 Johannes Jacomotius. Sekundärlit.: Goedeke, Grundrisz, 1884, S. 112; Trunz, Deutsche Literatur (1931, 1935, 1975), 1995, S. 192 u. ö. s.v. Register ; Killy 11, 1991, S. 310 (Hermann Wiegand); Killy/Kühlmann 11, 2011, S. 438f. (ders.); Die Deutschen Humanisten I.I/1, 2005, S. 462; Zincgref, Apophthegmata, 2011, Bd. 2, S. 511. Kommentar: Text nicht nach: Gruter, Delitiae, s. o., Pars VI; ebenfalls nicht in den »Schediasmata Poetica« von 1619. (12) Gabriel Altilius = Altilio, Gabriele * 1440 in Caggiano/Salerno (Königreich Neapel); † in der ersten Hälfte des Jahres 1501 in Policastro (nach Ellinger 1484). Konfession: altkirchlich. Charakterisierung: Jurist, Humanist, neulateinischer Dichter. Studium der Jurisprudenz in Neapel; gehörte dem dortigen Gelehrtenkreis um Giovanni Pontano und Iacopo Sannazaro an; gewann die Gunst Alfonsos, des Hzg. v. Kalabrien und späteren Alfonso II., dem er im Krieg gegen Venedig 1482–1484 folgte und bei dieser Gelegenheit die Abruzzen, die Romagna, die Herrschaft Ferraras und die Lombardei kennen lernte; avancierte zum Präzeptor Ferdinands, der 1495 seinem Vater Alfonso II. auf dem Thron folgte; Januar 1493 zum Bischof von Policastro ernannt, ohne den Aufenthalt am aragonesischen Hof sogleich aufzugeben. Nach der Besetzung Neapels duch Karl VIII. v. Frankreich 1495 begab er sich in seine Diözese, wo er die poetische Tätigkeit theologischen Studien opferte. Als das bedeutendste Gedicht Altilios gilt sein in Catullscher Manier verfasstes Epithalamium für die Hochzeit G. Sforzas 1489. Julius C. Scaliger lobte das Gedicht als »exzellent« (»Poetik«: lib. VI, cap. IV, S. 308a; Ausg. 2003, S. 142/143); für Pontano und Sannazaro war Altilio »il maggior poeta latino della corte aragonese di Napoli«.

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Lit.: Texte in: Gruter, Delitiae Italorum Poetarum, Pars (prior), 1608, S. 57–64: unter dem Titel »GABRIELIS ALTILII«. Rez.: A. Vigelius, Deliciae, 1624, [Teil II], Nr. XLV, S. 517–526: »Sfortiae Ducis, Cum Isabella Aragonia«. Sekundärlit.: Ellinger I, 1929, S. 65; Fausto Nicolini, Art. »Altilio, Gabriele«, in: Enciclopedia Italiana, Bd. II, Mailand 1929, S. 704; DBI 2, 1960, S. 565f. (F. Nicolini); Letteratura italiana, Bd. 1, 1990, S. 67 (Marco Perugini); Malato, Storia, Bd. III, 1996, S. 727, 770 (Pindar-Bezug). Kommentar: Text offensichtlich nach: Gruter, Delitiae, s. o., Pars (prior), S. 57–64: »Epithalamion.« Inc.: »PVRPVREOS iam læta sinus Thitonia coniux«; Expl.: »Dulcis Hymen Hymenæe Hymen, ades i Hymenæe.« Sachkomm.: Giangaleazzo Sforza, Hzg. v. Mailand: * 1469; † 1494. – Januar 1489 Eheschließung mit Isabella von Aragjn (1470–1524), Tochter von Kg. Alfonso II. v. Neapel und Ippolita Maria Sforza, ihrer ersten Cousine. (13) Georgius Buchananus = Buchanan (mit Beinamen Scotus), George * 1. 2. 1506 Killearn/Stirlingshire, † 28. 9. 1582 Edinburgh/Schottland. Konfession: Wechsel vom Katholizismus zum (schottischen) Calvinismus. Charakterisierung: Neulateinischer Dichter, Historiker, Humanist, antimonarchischer Widerstandstheoretiker. 1520 von seinem Onkel zum Universitätsbesuch nach Paris geschickt; 1522 wieder in Schottland (Tod des mäzenatischen Onkels); 1525 Universität St. Andrews (Schottland), dort 1526 Baccalaureat und Rückkehr nach Paris; Hinwendung zur Reformation; dort 1528 Magister und Lehrer am CollHge de Sainte Barbe; 1529 zum »procurator of the German nation« in der Universität Paris gewählt; 1534 oder 1535 wieder in Schottland und tätig als Hofmeister eines schottischen Grafen; 1539 wegen seiner Satiren »Somnium« – eine Übersetzungsarbeit – und »Franciscanus« eingekerkert; Flucht nach Frankreich; drei Jahre als Lateinlehrer am CollHge de Guyenne in Bordeaux tätig, dort Montaigne einer seiner Schüler ; ab 1544 Lehrer in Paris, ab 1547 bis 1550 an der Universität in Coimbra; wegen Verbreitung reformatorischer Ideen Inquisitionsprozeß; zum Abschwören der ›Irrlehren‹ und, bis 1552, zu haftähnlichem Aufenthalt in einem Kloster bei Lissabon gezwungen; danach Privatlehrer in Frankreich. 1560 trat er offen für den Protestantismus ein und nahm 1561 das reformierte Bekenntnis an. Er wurde Lehrer Maria Stuarts und später ihres Sohnes Jakob, zudem Vorstand der Universität St. Andrews, Lordkanzler und Siegelbewahrer. 1568 Mitglied des Gerichts über Maria Stuart, die er – »Mary’s bitter enemy« – seit 1567 bekämpfte. Über ihn Caspar von Barth (1587–1658) in einem weiträumig überschauenden Gedicht (Schroeter, 1909, S. 278). Lit.: »Baptistes sive Calumnia«, 1575 gedr.; »De iure regni apud Scotos

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dialogus«, 1579: als Gegner des Absolutismus verteidigt Buchanan die Souveränität des Volkes und das Recht auf Tyrannenmord; Texte in: Echtermeyer-Seyffert, Anthologie I, 1834 – II/1, 1834 – II/2, 1835. Rez.: a) A. Vigelius, Deliciae, 1624, [Teil I], Nr. I, S. 1–3 in der Reihe »Tria Epithalamia … H Psalm. XLV«, hier : »Epithalamion I«, siehe Anhang 2a und 2b (Text und Übersetzung); b) ebd. [Teil II], Nr. IV, S. 121–131: »Francisci Valesij, Cum Maria Stuarta Reg. Franc. & Scotiae«. Sekundärlit.: Trunz, Deutsche Literatur (1928), 1995, S. 124–128 u. ö. s.v. Register ; Encyclopaedia Britannica 4, 1961, S. 310f. (Jn. D. M.); BBKL 1, 1975, Sp. 785–786 (F.W. Bautz); LThK 2, 1994, Sp. 747 (Robert Roth); Humanistische Lyrik, 1997, S. 892f., 1511, 1513; Roger A. Mason: People Power? George Buchanan on Resistance and the Common Man. In: Robert von Friedeburg (Hg.): Widerstandsrecht in der frühen Neuzeit. Erträge und Perspektiven der Forschung im deutsch-britischen Vergleich. Berlin 2001 (Zeitschrift für historische Forschung, Beiheft, 26), S. 163–181; Jaumann, Handbuch, 2004, S. 138f. Kommentar: a) Text nach einer der vielen Ausgaben von G. Buchanans poetischen Psalmparaphrasen, hier nach (Ex. Wolfenbüttel, HAB: LI 1001): »PSALMORVM DAVIDIS Paraphrasis po[tica GEORGII BVCHANANI SCOTI: Argumentis ac melodiis explicata atque illustrata Oper. & studio NATHANIS CHYTRÆI«, Herborn 1619, S. 142–145: »PSAL. XLV. Eructauit cor meum etc.« mit kurzer inhaltlicher Paraphrase in Prosa von N. Chytraeus. Das Widmungsgedicht in sechs Distichen ist übrigens auch in der folgenden Ausgabe erhalten: »AD MARIAM, ILLVSTRISSIMAM SCOTORVM Reginam, GEORGII BVCHANANI Epigramma«. b) Text hier nach der Sammelausgabe (Ex. Wolfenbüttel, HAB: LI 1003): »POEMATA omnia innumeris penH locis, ex ipsius autographo castigata et aucta. […]«, Edinburgh: Andreas Hart, 1615, hier : Abteilung »Silvæ«, fol. D3r – D6v : »FRANCISCI VALESII, et Mariæ Stuartæ Regum Franciæ et Scotiæ, Epithalamium.« Sachkomm.: b) Franciscus Valesius = Franz II. (FranÅois II.) aus dem Haus der Valois-AngoulÞme; * 19. 1. 1544 Fontainebleau, † 5. 12. 1560 Orl8ans; Sohn Heinrichs II. v. Frankreich († 10. 7. 1559); 1559–1560 Kg. v. Frankreich; vertragsgemäße Heirat des ein Jahr jüngeren Dauphin mit Maria Stuart am 24. 4. 1558 in der Kathedrale Notre-Dame de Paris; – Maria Stuart: 8. 12. 1542–8./18. 2. 1587; Tochter von Jakob V. v. Schottland und Maria v. Lothringen aus dem Hause Guise; vom 14. 12. 1542 bis zum 24. 7. 1567 als Maria I. Kgin. v. Schottland sowie durch die Ehe mit Franz II. von 1559–1560 auch Kgin. v. Frankreich; entstammte dem Haus Stuart. – Se-

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kundärlit.: Rainer Babel: Franz II. 1559–1560. In: Hartmann (Hg.), Französische Könige, 1994, S. 91–98 u. S. 458f. (Kommentierte Bibliographie). (14) Georgius Fabricius = Fabricius (eigentl. Goldschmidt), Georg * 23. 4. 1516 Chemnitz; † 13.7. 1571 Meißen. Konfession: evangelisch-lutherisch, Melanchthon-Schüler. Charakterisierung: Neulateinischer Dichter, Pädagoge, Herausgeber, Kommentator. Sohn eines Goldschmieds; nach Schulbesuch (Lateinschulen) in Chemnitz bzw. Annaberg, wo Johannes Rivius (siehe unter August v. Sachsen), »der Organisator des sächsischen protestantischen Schulwesens« (H. Wiegand), sein Lehrer war ; 1538 Studium in Leipzig, wo ihm Caspar Borner Horaz und die christliche Dichtung des Prudentius nahebrachte, dann Lehrer in Chemnitz und Freiberg; 1539–1543 große Italienreise mit Wolfgang v. Werthern; dabei Studien in Padua; 1542 über Venedig, Ravenna, Urbino, Ancona, Perugia, Assisi und Spoleto nach Rom, dort mehrmonatiger Aufenthalt, Frühjahr 1543 nach Neapel; die Rückkehrroute führte sie u. a. über Siena, Pisa, Lucca, Florenz, Bologna und Ferrara; 1544 bei Johann Sturm in Straßburg mit Brüdern Wolfgangs v. Werthern; 1546 Rektor der Fürstenschule St. Afra in Meißen; aus dieser Zeit ein Eintrag im Album des Andreas Weber ; ihm folgte eine Eintragung am 6. 4. 1551 in das Stammbuch von Abraham Ulrich (1526–1577) und David Ulrich (1561–1626). Unter Fabricius’ Leitung wurde die Fürstenschule, unterstützt von seinem Grimmaer Kollegen Adam Siber (siehe dort), zu einer der berühmtesten protestantischen Lehranstalten des 16. Jahrhunderts; am 7. 12. 1570 auf dem Reichstag zu Speyer Poeta Laureatus Caesareus durch Ks. Maximilian II.; Verbindungen mit bedeutendsten Gelehrten der Zeit wie Caspar Peucer, Melanchthon, Joachim Camerarius d.Ä., Michael Neander, David Chytraeus, Conrad Gesner, Georg Agricola. Lit.: Texte in: Gruter, Delitiae Poetarum Germanorum, Pars III, 1612, S. 1–99: unter dem Titel »GEORGII FABRICII CHEMNICENSIS«; Textauswahl in: Humanistische Lyrik, 1997, S. 608–651: Textabdruck mit Übersetzungen; S. 1313: Werkangaben. Rez.: A. Vigelius, Deliciae, 1624, [Teil II], Nr. XXX, S. 429–432: »Ecloga Nuptialis In Nuptias Johannis Junioris Comitis a Nassau, Cum Magdalena Comitissa VValdeccensi Hanoica«. Sekundärlit.: Goedeke, Grundrisz, 1884, S. 98; Ellinger II, 1929, S. 150–157 u. ö. s.v. Register ; Trunz, Deutsche Literatur (1928, 1931), 1995, S. 150–157 u. ö. s.v. Register ; NDB 4, 1959, S. 734f. (Herbert Schönebaum); Klein, Der Kampf, 1962, S. 152f.; Schäfer, Deutscher Horaz, 1976, hier S. 39–64; Killy 3, 1989, S. 320f. (Hermann Wiegand); Kühlmann: Poeten und Puritaner.

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Christliche und pagane Poesie im deutschen Humanismus. Mit einem Exkurs zur Prudentius-Rezeption in Deutschland (1993). In: ders., Vom Humanismus, 2006, hier S. 74–78; Humanistische Lyrik, 1997, S. 1311f. (Biogramm), S. 1314f. (Forschung); Ludwig: Georg Fabricius – der zweite Rektor der Fürstenschule St. Afra in Meißen (2001). In: ders., Miscella Neolatina, 2004, Bd. 2, S. 268–292; Jaumann, Handbuch, 2004, S. 257f.; Die Deutschen Humanisten I.I/2, 2005, S. 783; Killy/Kühlmann 3, 2008, S. 354 (H. Wiegand); Zincgref, Apophthegmata, 2011, Bd. 2, S. 781; VL 16–2, 2012, Sp. 272–283: Art. »Fabricius, Georg« (H. Wiegand); RAA: 1549_ulrich/239 bzw. 1563_weber/61. Kommentar: Text nicht nach: Gruter, Delitiae, s. o., Pars III. Sachkomm.: Johann VII. der Mittelste, seit 1607 Gf. zu Nassau-Siegen und Freudenberg: * 7. 6. 1561 Dillenburg; † 27. 9. 1623 Siegen; reformierten Bekenntnisses; Sohn von Johann VI., Gf. zu Nassau-Dillenburg (1536–1605), und Elisabeth Lgfin. v. Leuchtenberg († 1579); Studium an der Universität Heidelberg, peregrinatio Italien, Frankreich und die Niederlande. Erhielt aufgrund der väterlichen Erbteilung 1606 die Teilgrafschaft Nassau-Siegen mit Residenz in Siegen. – Heirat in 1. Ehe am 9. 12. 1581 auf Schloss Dillenburg, Stammsitz des oranischen Zweiges des Hauses Nassau, mit Magdalena Gfin. v. Waldeck (1558–1599), Witwe von Philipp Ludwig I. Gf. v. Hanau-Münzenberg, Tochter von Gf. Philipp IV. in Wildungen. – Heirat in 2. Ehe am 27. 8. 1603 in Rotenburg/Fulda mit Margaretha Pzin. v. Holstein-Sonderburg-Plön (1583–1638), einer Nichte des dänischen Königs. – Sekundärlit.: Europäische Stammtafeln N. F., Bd. I.1, 2005, Tafel 74: Die Grafen und Fürsten von Nassau-Siegen 1 Ottonischer Linie. (15) Georgius Sabinus = Sabinus (eigentl. Schuler), Georg * 23. 4. 1508 Brandenburg/Havel; † 2. 12. 1560 Frankfurt/O. Konfession: evangelisch-lutherisch, Melanchthon-Schüler. Charakterisierung: Jurisconsultus und Historiker ; neulateinischer Dichter, Orator, »Hofdichter« (L. Mundt); Profesor für Poesie und Rhetorik; Gründungsrektor. 1523/24 bis 1533 Jura- und Medizinstudium in Wittenberg; wohnte bei Melanchthon, zu dessen engerem Schülerkreis er zählte; zudem prominentestes Mitglied des sog. Älteren Wittenberger Dichterkreises, dem auch Johannes Stigel (siehe dort) angehörte; 1533 Italienreise, freundschaftliche Beziehung zu Pietro Bembo (1470–1547); in Venedig durch den päpstlichen Nuntius Girolamo Aleandro zum Poeta Laureatus und päpstlichen Hofpfalzgrafen erhoben; 1536 Heirat mit Melanchthons Tochter Anna, zu deren Feierlichkeiten u. a. der Wittenberger Studienfreund Melchior

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Acontius Epithalamien beisteuerte (vgl. R. Seidel mit Textwiedergabe und Übersetzung); 1538–1543 Professor für Poesie und Rhetorik in Frankfurt/ O.; 1544 erster Rektor der von Hzg. Albrecht d.Ä. in Preußen neugegründeten Universität Königsberg, der »Albertina«; aufgrund theologischer Richtungskämpfe (Andreas Osiander) und damit verbundener Entfremdung vom Landesherrn 1555 Rückkehr nach Frankfurt/O. Zahlreiche Kontakte zu Gelehrten und Fürstenhöfen; Gesandtschaftsreisen im Auftrage des Kfst. v. Brandenburg. Eifrig betrieb er die Mitbelehnung Kurbrandenburgs mit Preußen durch Polen. Die Charakterisierung als »Hofdichter« ist kasualpoetischen Arbeiten wie der langen HexameterDichtung auf die Hochzeit des polnischen Kg. Sigismund II. August mit einer Tochter Ks. Ferdinands I. (1543) geschuldet, die zum größten Teil aus einer Aufzählung der Ahnen und Vorväter des königlichen Bräutigams besteht: aus ›annalistisch aneinandergereihten Kurzcharakteristiken von Herrscherpersönlichkeiten‹ (Mundt). Lit.: Texte in: Gruter, Delitiae Poetarum Germanorum, Pars V, 1612, S. 920–1176: unter dem Titel »GEORGII SABINI BRANDENBVRGICI«; Texte in: Echtermeyer-Seyffert, Anthologie I, 1834 – II/2, 1835; Textauswahl in: Humanistische Lyrik, 1997, S. 500–539: Textabdruck mit Übersetzungen; zwei Bücher »De Caesaribus Germanicis« (1531); »Caesares« in: Die Deutschen Humanisten I.I/1, 2005, S. 242ff.; Seidel, Lutherische Ehelehre, s. u., 2007, S. 298–307: Textabdruck mit Übersetzung; zahlreiche Stammbucheinträge zwischen 1550 und 1553: siehe Stammbuchdatenbank RAA (W.W. Schnabel). Rez.: a) A. Vigelius, Deliciae, 1624, [Teil II], Nr. X, S. 186–192: »Sigismundi Regis Poloniae, Cum Elisa Caesaris Ferdinandi filia« (Cracoviae 1543: LB Dresden; vgl. Das dichterische Schrifttum, 1939: Nr. 144): epithalamisches Hexameter-Gedicht. b) A. Vigelius, Deliciae, 1624, [Teil II], Nr. XVIII, S. 259–266: »(Iolas. De Nuptiis principis) Alberti Marchionis Brandenburgici, Cum Anna Maria Brunsuicensis Ducis filia (Ecloga Georgii Sabini)« (Königsberger Druck [wohl 1550]): epithalamische Ekloge. Vgl. Das dichterische Schrifttum, 1939: Nr. 172; vgl. Mundt in: Daphnis 32 (2003), S. 456–461: Textabdruck, S. 462–467: Übersetzung, S. 484–488: Kommentierungen, S. 448ff.: historiographische und gattungsgeschichtliche Zuordnung. Sekundärlit.: Goedeke, Grundrisz, 1884, S. 93; Schroeter, Beiträge, 1909, S. 129–152; Ellinger II, 1929, S. 68–75, 289–306, 307–339; Trunz, Deutsche Literatur (1931, 1932), 1995, S. 96 u. ö. s.v. Register ; Das dichterische Schrifttum, 1939, S. 23–29: bibliogr. Hinweise Nr. 135–225; Killy 10, 1991, S. 88f. (Reinhard Düchting); Marchia Resurge, 1992, S. 11–16 (U. Greiff)

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sowie Katalog-Nr. 42–46 und S. 31 Kupferstich-Porträt des Autors; Humanistische Lyrik, 1997, S. 1240f. (Biogramm), S. 1242f. (Forschung); Mundt, in: Daphnis 32 (2003), S. 435–490; Ludwig, Musenkult und Gottesdienst – Evangelischer Humanismus der Reformationszeit. In: ders. (Hg.), Die Musen, 2001, S. 9–51; Die Deutschen Humanisten I.I/1, 2005, S. 264f.; Robert Seidel: Lutherische Ehelehre und antikisierende Epithalamiendichtung – Ein Hochzeitsgedicht für Georg Sabinus und Anna Melanchthon. In: Neulateinisches Jahrbuch 9 (2007), S. 287–307; Killy/ Kühlmann 10, 2011, S. 133–137 (Mario Müller); Zincgref, Apophthegmata, 2011, Bd. 2, S. 374f. Kommentar: a) Text offensichtlich nach: Gruter, Delitiae, s. o., Pars V, S. 1102–1118: »De Nuptiis Regis Poloniae Sigismundi, et Elissae Caesaris F[e]rdinandi filiae.« b) Text offensichtlich nach: Gruter, Delitiae, s. o., Pars V, S. 1121–1127: »Ecloga de nuptiis Alberti Marchionis Brandenburgensis, et Annæ Mariæ, Erici Ducis Brunsuicensis. Palemon. Faustus.« Sachkomm.: a) Sigismund II. August (poln. Zygmunt II. August), König v. Polen: * 1. 8. 1520 Krakau; † 7. 7. 1572 Knyszyn. Ab 1529 Großfürst v. Litauen, ab 1530 Kg. v. Polen und ab 1548, nach dem Tod seines Vaters, Alleinherrscher ; ab 1569 der erste Regent des Staates Polen-Litauen. Er war der einzige Sohn von König Sigismund I. und dessen 2. Gemahlin Bona Sforza. Zu Lebzeiten seines Vaters per »Vivente Rege« zum Kg. v. Polen gekürt. Er blieb in seinen 3 Ehen kinderlos. – 1. Ehe: geschlossen am 21. 4. 1543 mit Elisabeth (1543–1545), Tochter von Ks. Ferdinand I. (1503–1564) und Anna v. Böhmen-Ungarn (1503–1547); 2. Ehe: mit Barbara Radziwill (1547–1551); 3. Ehe: mit Katharina (1553–1571). Aufgrund der Kinderlosigkeit Erlöschen des Königsgeschlechts der Jagiellonen im Mannesstamm. – Elisabeth v. Österreich, aus dem Hause Habsburg: * 9. 6. 1526 Linz; † 15. 6. 1545 Vilnius, Tochter von Ks. Ferdinand I. und Anna, Erbtochter Wladislaus’, des Königs v. Ungarn und Böhmen. Die Eheschließung war schon kurz nach ihrer Geburt dem Jagiellonen Sigismund II. August, ihrem Schwager, versprochen. Sigismund heiratete später ihre Schwester Katharina v. Österreich. – Sekundärlit.: v. Wurzbach, Lexikon, Bd. 6, 1860, S. 169, Nr. 70; Almut Bues: Die Jagiellonen. Herrscher zwischen Ostsee und Adria. Stuttgart 2010, S. 158f., 166, 186f., 189, 280f.: Stammtafel der Jagiellonen. b) Albrecht d. Ä., Hzg. in Preußen: * 17. 5. 1490 Ansbach; gest.: 20. 3. 1568 Burg Tapiau/Ostpr. (Pesttod); Sohn Friedrichs II. v. Hohenzollern, Mgf. v. Brandenburg-Ansbach, und Sophias, einer Tochter des polnischen Kg.

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Casimir IV. Jagiello und Elisabeth v. Habsburg. Der von 1510 bis 1525 als (letzter) Hochmeister des Deutschen Ordens amtierende Hohenzoller wandelte, 1522 von Andreas Osiander für die Reformation gewonnen und von Luther beraten, das Ordensland Preußen in ein erbliches Herzogtum unter polnischer Lehnsoberhoheit um; die Anerkennung des neuen Herzogs und die Annahme der Reformation erfolgte mit Zustimmung aller Stände, einschließlich des (letzten) Bischofs von Samland. Selbst die 1532 gegen den Hzg. verhängte Reichsacht beförderte eher die Reformation im neuen Hzgt. als dass sie sie verhinderte. Albrechts Verdienst bestand darüber hinaus in der Neuordnung des Schul- und Bildungswesens (Lateinschulen, Gründung des Gymnasiums 1540, der Universität 1544 u. a.). – 1. Ehe geschlossen am 1. 7. 1526 mit Dorothea (1504–1547), Tochter Kg. Friedrichs I. v. Dänemark. – 2. Ehe geschlossen am 26. 2. 1550 im Königsberger Dom mit Prinzessin Anna Maria (1532–1568), einer Tochter Hzg. Erichs I. v. Braunschweig-Calenberg, deren Verschwendungssucht und Unbeherrschtheit das Verhältnis der Eheleute schwer belastete und zerbrechen ließ. – Sekundärlit.: NDB 1, 1953, S. 171–173 (Walther Hubatsch); Hubatsch, Albrecht von Brandenburg-Ansbach, 1960; Scheller, Herzogin Anna Maria (1532–68). In: Scheller, Die Frau am preussischen Herzogshof, 1966, S. 29–71; Mundt, in: Daphnis 32 (2003), S. 435–490; VL 16–1, 2011, Sp. 99–106: Art. »Albrecht, Herzog von Preußen« (Stefan Hartmann). (16) Gregorius Bersamus = Bersmanus (Bersmann), Gregor * 10. 3. 1538 Annaber,; † 5. 10. 1611 Zerbst/Anhalt. Konfession: protestantisch-philippistisch, später reformiert. Charakterisierung: Philologe, neulateinischer Dichter, Professor der Poetik wie auch der alten Sprachen und Ethik. Besuchte seit 1549 die Fürstenschule in Meißen; hier übte Georg Fabricius (siehe dort) maßgeblichen Einfluß auf ihn aus; Studien in Leipzig, dort seit 1555 im Kontakt mit Joachim Camerarius d.Ä., dessen Schüler er war und Nachfolger wurde; 1561 Erwerb des Magistergrades; peregrinatio in Frankreich und Italien (Padua, Bologna, Ferrara); freundschaftliche Beziehung u. a. zu dem »Arztschriftsteller« Johannes Posthius, der ihm eine Vielzahl von Distichengedichten widmete (vgl. in: Gruter, Delitiae Poetarum Germanorum, Pars V, 1612, u. a. S. 195 »Gregorio Bersmanno«, S. 254 »De Gregorio Bersmano Poeta cultiss[imo]«, S. 256f. »Ad Bersmanum«). 1565–1568 Lehrtätigkeit an der Fürstenschule zu Pforta, 1568 in Wittenberg; 1571 Prof. der Poetik in Leipzig, dort 1575 Nachfolger seines Lehrers Camerarius auf dem Lehrstuhl für Philologie und Ethik; verlor denselben 1580, weil er als einziger der dortigen Professoren die Unterschrift unter Konkordienformel und -buch verweigerte. Seit 1582 Rektor des Gymna-

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sium illustre in Zerbst. Wichtiger Kopf in der »philippistischen Gesinnungsgemeinschaft« (Ludwig, 2007, S. 452, dazu S. 457), die im Zuge des Calvinismusstreites in Sachsen ihre führende Rolle einbüßte. Zwischen 1584 und 1596 trug er sich in eine Reihe von Freundschaftsalben ein, darunter am 2. 11. 1584 mit einem griechischen Zitat aus Platon, Politeia 361a,4–5 und lateinischen Zitaten aus Cicero, De officiis, 41 bzw. Publilius Syrus 74 in das Stammbuch Abraham und David Ulrichs und am 24. 1. 1594 in Zerbst in das des Johannes Haller (1573–1622); Seine philologischen Arbeiten zentrierten sich um Ausgaben von Horaz, Ovid, Vergil, Lucan; in seinen ernster Satire nahen, schonungslosen Kontrafakturen (»Parodiae«) ist antilutheranische Invektive nicht gescheut. Seine Dichtungen bewegen sich im »Formenkreis des humanistischen Klassizismus« (Kühlmann), ihre christliche, speziell protestantisch-reformierte Orientierung bezeugt sich insbesondere in den lyrischen Psalmparaphrasen. Lit.: Texte in: Gruter, Delitiae Poetarum Germanorum, Pars I, 1612, S. 424–640; siehe auch »Poematum Gregorii Bersmani Annæbergensis, In Parte Dvas Tribvtorvm, Pars prior […]. Pars altera […]«. Editio secunda. 2 Teile in 1 Band, Leipzig 1591 (Ex. Freiburg, UB: D 8271); ebd., Teil II, S. 120–126 das von Vigelius übernommene Epithalamium; ferner »Psalterii Davidis in quinque libros tributi«, Hanau 1598, Teilausg. Zerbst 1594; Epicedium zum Tod Maria Posthius’, der Tochter des Johannes Posthius (* 26. 2. 1578 in Würzburg, † 25.8. d.J.) in: Erasmus Posthius (Hg.), Posthvma Pietas, 1618, S. 41; Texte in: Echtermeyer-Seyffert, Anthologie I, 1834. Rez.: a) A. Vigelius, Deliciae, 1624, [Teil I], Nr. I, S. 4–7: »Tria Epithalamia … H Psalm. XLV« (im Text fälschlich »A Georgio Bersmanno«); b) ebd., [Teil I], Nr. V, S. 25.: »In laudem conjugii & conjugatorum, Epigrammata varia«; c) ebd., [Teil I], Nr. V, S. 28–31: »In laudem conjugii & conjugatorum, Epigrammata varia«. – Siehe auch ebd. S. 25 Henricus Porsius Fridb.; ebd. S. 35f. Johannes Aurelius Augurellus. d) [Teil II], Nr. XVI, S. 243–249: »Augusti Ducis Saxoniae Elect. Cum Agnete Hedvvige Pr. Anhaldina«. Sekundärlit.: Goedeke, Grundrisz, 1884, S. 108; Ellinger II, 1929, S. 255–257; Klein, Der Kampf, 1962, S. 114; Gerhard Pfeiffer : Joachim Camerarius d.Ä.. In: Fränkische Lebensbilder 7, 1977, S. 97–108, hier S. 102; Killy 1, 1988, S. 473 (Wilhelm Kühlmann); Castan, Hochschulwesen, 1999, S. 175, 180, 182, 184; Karrer, Posthius, 1993, S. 22 u. ö. s.v. Register ; Die Deutschen Humanisten I.I/2, 2005, S. 911f.; Ludwig, in: Daphnis 36 (2007), S. 381–461, hier S. 404–408, 435–444 u. ö.; Killy/ Kühlmann 1, 2008, S. 496f. (W. Kühlmann); VL 16–1, 2011, Sp. 218–225:

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Art. »Bersmann, Gregor« (Michael Rupp); RAA: 1594_ulrich/26 bzw. 1591_haller/9 Kommentar: a) – c) Texte nicht nach: Gruter, Delitiae, s. o., Pars prior ; d) Text nicht nach: Gruter, Delitiae, s. o., Pars prior ; wohl nach: Bersmann: Poematum … Pars altera, s. o., 1591, S. 120–126. Sachkomm.: d) August, Hzg. v. Sachsen: * 31. 7. 1526 Freiberg/Sachsen; † 12. 2. 1586 Dresden; Sohn von Heinrich d. Frommen (1473–1541), Hzg. v. Sachsen, und Katharina, Hzgin. v. Mecklenburg. Hervorragende Bildung während der Leipziger Universitätsjahre 1540 und 1541 durch den humanistischen Lehrer Johannes Rivius; schloss 1542 bei einem Aufenthalt am Hof Ferdinands I. Freundschaft mit dem Thronfolger, dem späteren Ks. Maximilian II. Seinem Bruder Moritz, der in der Schlacht von Sievershausen 1553 gefallen war, folgte er als Kurfürst nach. Seine Innenpolitik von bedeutenden Maßnahmen und Reformen geprägt: in bezug auf Finanzwesen ebenso wie Wirtschaftsleben und Bergbau, Behördenorganisation so gut wie Schul- und Kirchenordnung; letztere 1580 mit der Aufnahme der Konkordienformel in das Konkordienbuch, »das fortan als theologische Grundlage des orthodoxen Luthertums diente« (J. Bruning). Mit der Berufung des Melanchthonschülers Dr. Georg Cracow zum Leiter der Politik kam es zu außenpolitischen Veränderungen mit (krypto)calvinistischer Tendenz: Bündnis mit dem unter den Einfluß Colignys geratenen französischen Kg. Karl IX. und Distanzierung vom habsburgischen Kaiserhaus in den Jahren 1568 bis 1572. Gleichwohl hielt August am Reichsfrieden fest und schwenkte nach 1572 als Erfahrung aus der Pariser Bartholomäusnacht auf den alten politischen Stabilitätskurs zurück, dem mit dem Sturz der Philippisten um Cracow 1574 ein streng orthodoxlutherischer Kurs entsprach. Die Ablehnung der frankophilen calvinistischen Politik des Kurpfälzers und die außenpolitische Rückkehr zu Habsburg spiegeln sich in der Zuspitzung jüngerer Historiographie wider : »reichstreues Luthertum« vs. »reichsfeindlicher Calvinismus«. Erst mit Augusts zweiter Ehe schien sich eine Aussöhnung mit dem Calvinismus anzubahnen. – Heirat in 1. Ehe am 7. 10. 1548 in Torgau mit Anna († Oktober 1585), Tochter von Kg. Christian III. v. Dänemark und Hzgin. Dorothea v. Sachsen-Lauenburg. Heirat in 2. Ehe am 3. 1. 1586 mit Agnes Hedwig. – Agnes Hedwig v. Anhalt-Dessau, Kfstin. v. Sachsen durch die Heirat mit August v. Sachsen: * 12. 3. 1573 Dessau; † 3. 11. 1616 Sonderburg; Tochter des Fürsten Joachim Ernst v. Anhalt und seiner zweiten Ehefrau Eleonore v. Württemberg. Heirat am 3. 1. 1586 mit Kfst. August v. Sachsen, nach wenigen Wochen verwitwet. Während der kurzen Ehe wurde der Calvinist Caspar Peucer, 1574 mit anderen Opfer des sächsischen Calvinismus-

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streites, 1586 aus Kerkerhaft frei gelassen. Am 14. 2. 1588 heiratete sie den verwitweten Johann III., Hzg. v. Schleswig-Holstein-Sonderburg-Plön. – Sekundärlit.: NDB 1, 1953, S. 446–450 (Hellmuth Rößler); Klein, Der Kampf, 1962, S. 53; Jens Bruning, August 1553–1586. In: Kroll (Hg.), Die Herrscher Sachsens, 2004, S. 110–125 und S. 331–333 (Kommentierte Bibliographie); Essegern, Fürstinnen, 2007, S. 52, 79, 236; Zincgref, Apophthegmata, 2011, Bd. 2, S. 337 u. S. 489f. (zu Peucer). (17) Hadrianus Junius = Junius (eigentl. Jonghe), Hadrianus (Adriaen de) * 1. 7. 1511 Hoorne; † 16. 6. 1575 Middelburg. Konfession: protestantisch-reformiert. Charakterisierung: Arzt; Historiker; neulat. Dichter, Philologe, Hofmeister. Gymnasium in Haarlem; Studium zunächst an der Universität Löwen; nach vier Jahren peregrinatio durch Deutschland, Italien und Frankreich; in Bologna 1540 Doktorpromotion in Medizin; nach Aufenthalten in Paris und England, stets von Armut begleitet, 1562/63 Prinzenerzieher (Hofmeister) des späteren Kg. Christian IV. v. Dänemark; 1563 Rückkehr nach Haarlem, hier Stadtarzt und Rektor der Lateinschule; 1564 von den Generalstaaten zum Historiker ernannt; 1574 Stadtarzt in Middelburg. Gilt als einer der bedeutendsten niederländischen Humanisten seiner Zeit, Justus Lipsius nannte ihn den gelehrtesten Niederländer nach Erasmus; von einiger Bedeutung wurde das (nach Ellinger) »pomphafte Gelegenheitsgedicht« »Philippeidos sive Epithalamium in Philippi et Mariae nuptias« (London 1554; siehe im folgenden). Lit.: Texte in: Gruter, Delitiae Poetarum Belgicorum, Tertia Pars, 1614, S. 7–37: unter dem Titel »HADRIANI IVNII HORNANI«. Rez.: A. Vigelius, Deliciae, 1624, [Teil II], Nr. IX, S. 161–185: »Philippi Regis Hispan. Cum Maria Angliae Regina«. Sekundärlit.: ADB 14, 1881, 736f. (J. Franck); Ellinger III, 1933, S. 135–137; Die Deutschen Humanisten I.I/2, 2005, S. 595; NNBW 7, 1927, Sp. 692–694 (Brugmans). Kommentar: Text offensichtlich nach: Gruter, Delitiae, s. o., Tertia Pars, S. 7–28: »In nuptias Philippi et Mariæ Hispaniæ Angliæ etc.« Sachkomm.: Philipp II. (span. Felipe II.): * 21. 5. 1527 Valladolid; † 13. 9. 1598 El Escorial b. Madrid; einziger legitimer Sohn Karls V. und Isabellas v. Portugal; erbte 1556 das Königreich v. Spanien, die amerikan. Kolonien, die Niederlande, die Freigrafschaft Burgund, das Königreich beider Sizilien, das Königreich Sardinien und das Herzogtum Mailand; 1580 auch als Philipp I. Kg. v. Portugal. – 1. Ehe geschlossen am 15. 11. 1543 mit Prinzessin Maria Manuela v. Portugal (Cousin und Cousine); Sohn Don Carlos; Tod im Kindbett am 12. 7. 1545. – 2. Ehe nach Maria Manuelas Tod auf

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Wunsch des Vaters Ks. Karls V., der ein Bündnis mit England anstrebte, geschlossen am 25. 7. 1554 mit der katholischen Königin Maria I. v. England (1516–1558) = der Cousine seines Vaters, also seiner Tante zweiten Grades: eine politische Allianz. Während der Ehe führt er den Titel »König von England«. Tod der kinderlosen Maria Tudor 1558. Philipp macht danach der jüngeren Schwester Marias, Elisabeth I. v. England, Avancen, von ihr abgewiesen. – Maria Tudor (1516–1558) war Kgin. v. England von 1553 bis 1558. Vater : Heinrich VIII. (1491–1547), Kg. v. England; Mutter : Katharina v. Aragjn (1485–1536). Gatte: Philipp II. (1527–1598), Kg. v. Spanien. – Sekundärlit.: Edelmayer, Philipp II., 2009; Karl Heinz Metz: Maria die Katholische. 1553–1558. In: Wende (Hg.), Englische Könige, 2008, S. 60–74 u. S. 372f. (Kommentierte Bibliographie). (18) Hadrianus Danimanis Gandauensis = Damman (aus Gent), Hadrian (Adrian) * 1540 (Belgien/Niederlande); † nach 1604. Konfession: reformiert (Calvinismus). Charakterisierung: Humanist; neulateinischer Dichter. Lebte Mitte der 1570–er Jahre in Köln; schließlich in Schottland, dort nahm er das calvinistische Bekenntnis an. Lit.: Texte in: Gruter, Delitiae Poetarum Belgicorum, Altera Pars, 1614, S. 1–43: unter dem Titel »HADRIANI DAMMANIS GANDAVENSIS«; Porträt von 1578 (Kupferstich) in The Fitzwilliam Museum, Cambridge. Nachweise u. a. J. Puraye (Hg.): Album Amicorum Abraham Ortelius, Amsterdam 1969, S. 53. Rez.: A. Vigelius, Deliciae, 1624, [Teil II], Nr. I, S. 69–80: »Jacobi VI. Reg. Scotorum, Cum Anna Danorum Regis Friderici filia«. Sekundärlit.: Ellinger III, 1933, S. 319. Kommentar: Text offensichtlich nach: Gruter, Delitiae, s. o., Altera Pars, S. 1–14: »De Nuptiis Scotorum Regis , Iacobi VI. & Annæ Danor. Reg. Friderici II. Filiæ«. Sachkomm.: Jakob VI. (I.): * 19. 6. 1566 Edinburgh/Schottland, † 27. 3. 1625 Theobalds Park. Seit 1567 als Jakob VI. König von Schottland und seit 1603 (Tod Kgin. Elisabeths I.) zusätzlich als Jakob I. Kg. v. England und Irland. Sohn der Maria Stuart. Als diese abdanken musste (treibende Kraft nicht zuletzt der Monarchomache G. Buchanan, siehe dort), wurde James als Säugling unter dem Namen Jakob VI. schottischer König. Seine streng protestantisch-reformierte Erziehung oblag vor allem George Buchanan. – Eheschließung am 20. 8. 1589 in Kopenhagen (durch Stellvertreter) und am 23. 11. 1589 in Oslo mit Anna v. Dänemark (1574–1619, 1590 zur Kgin. gekrönt), Tochter Friedrichs II. v. Dänemark und Sophias v. Mecklenburg.

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Aus der Ehe ging u. a. Elizabeth (1596–1662), die Gemahlin des sog. »Winterkönigs«, hervor. – Sekundärlit.: Asch, Jakob I. (1566–1625), 2005; ders., Jakob I. 1603–1625. In: Wende (Hg.), Englische Könige, 2008, S. 95–110 u. S. 373–375 (Kommentierte Bibliographie). (19) Henricus Plitershagius = Blittershagen, Heinrich Geb.: in der Grafschaft Wied-Runkel. Konfession: protestantisch-reformiert. Charakterisierung: Pfarrer ; Gelegenheitsschriftsteller. Kärglichste Hinweise auf Leben und Schriften; etwa dass Heinrich Blittershagen am 28. 4. 1598 als »Henricus Blittershagius Runcaliensis Widanus« an der Universität Heidelberg eingeschrieben wurde; er stammte demnach aus der Herrschaft Wied-Runkel, einem evangelisch-reformierten Territorium, das wegen der geographischen Lage einen »calvinistischen Vorposten« gegenüber den rheinischen Erzstiften bildete und »permanent davon« bedroht war, »der Gegenreformation zum Opfer zu fallen« (Schlüter, S. 14). Auch die Universitätswahl Blittershagens lässt auf evangelisch-reformierte Konfession schließen. Nach Darstellung des evangelischen Pfarrers in Neuwied J. St. Reck auf der Grundlage des Archivs Runkel war Plittershagen (sic!) der »erste evangelische Geistliche zu Runkel« (S. 177). Lit.: Übersetzung eines Sprachlehrbuches von Juan Luis Vives: »Explicatio viginti quinque colloquiorum sive exercitationum Latinae linguae, … Germanica«, Frankfurt/M. 1650 (Wolfenbüttel, HAB: A: 50.8 Gram.); Casualcarmina. Rez.: a) A. Vigelius, Deliciae, 1624, [Teil II], Nr. XXXIX, S. 479–482: »Johannis VVilhelmi Comitis Widensis, Cum Magdalena Hardeccia«; b) ebd., [Teil II], Nr. XL, S. 483–486: »Christophori Comitis Westerburg, Cum Walpurga Comitissa Wedana«. Sekundärlit.: Matrikel Heidelberg, hg. von Gustav Toepke, Bd. 2, 1886, S. 192. Kommentar: a) Text nicht nach: Gruter, Delitiae Poetarum Germanorum, 1612. b) wie a). Sachkomm: a) Johannes Wilhelm, Gf. v. Wied (Wied-Neuwied): Geburtsdatum nicht bekannt; † 12.7. 1633 in Mainz. 1564 bzw. 1575 und im weiteren Verlauf der Konfessionalisierung war die noch einheitliche Grafschaft Wied zur Zweiten Reformation übergegangen. Aufgrund der »Wiedischen Stammesvereinigung« vom 20. 5. 1613 erhielt Johannes Wilhelm als der älteste von drei Brüdern die Niedergrafschaft Wied-Neuwied

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(Residenz Neuwied) mit Isenburg und Braunsberg, der mittlere Bruder Hermann die Obergrafschaft, das Amt Dierdorf und die Herrschaft Runkel, während der jüngste Bruder Philipp Ludwig mit 100.000 Gulden abgefunden werden sollte. In den Wirren des Großen Krieges musste Johannes Wilhelm die Grafschaft verlassen, ebenso sein Sohn Philipp Ludwig († 6. 10. 1638), der am 25. 4. 1638 die Ehe mit Anna Amalia v. NassauDillenburg eingegangen war. – Die Eheschließung Johannes Wilhelms mit Magdalena (1577–1657), Gfin. zu Hardegg, fand am 16. 6. 1606 statt. – Sekundärlit.: Johann Stephan Reck: Geschichte der gräflichen und fürstlichen Häuser Isenburg, Runkel, Wied, verbunden mit der Geschichte des Rheintals zwischen Koblenz und Andernach von Julius Cäsar bis auf die neueste Zeit. Weimar 1825, S. 175–193 (18. Kap. »Geschichte von 1553 bis 1612«), S. 193–209 (19. Kap. »Geschichte von 1613 bis 1648. Von dem Wiedischen Stammverein, bis zur Gründung der Stadt Neuwied«); Hellmuth Gensicke: Landesgeschichte des Westerwaldes. Wiesbaden 1958 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Nassau, 13), S. 332–334; Europäische Stammtafeln. N. F., Bd. IV, 1981, Tafel 36: Die Grafen aus dem Haus der Herren von Runkel; Roland Schlüter : Calvinismus am Mittelrhein. Reformierte Kirchenzucht in der Grafschaft WiedNeuwied 1648–1806. Köln u. a. 2010 (Rechtsgeschichtliche Schriften, 26), hier S. 14–17, 18–27. b) Christoph, Gf. zu Leiningen-Westerburg-Schadeck: * 30. 9. 1575; † 1635; evangelisch-lutherisch. Sohn Georgs I., Gf. zu Leiningen-Westerburg, und dessen Ehefrau Margaretha, Gfin. v. Isenburg-Büdingen-Birstein; erhielt durch den Friedberger Vertrag 1597 die Herrschaften Schadeck, Cleeberg und Minsfeld, 1609 Schaumburg im Tausch; während des Großen Krieges von Kontributionen und Opfern jeglicher Art heimgesucht. – 1. Ehe geschlossen am 25. 8. 1601 mit Anna Maria Ungnad (1573–1605), Freiin v. Sonnegg, Tochter des Simon Ungnad-Weißenwolf Freiherr v. Sonnegg und der Katharina Gfin. v. Plesse; als einziges Kind ging aus der 1. Ehe Margarete Elisabeth hervor. – 2. Ehe geschlossen am 29. 10. 1611 mit Philippine Catherine Walpurgis, Gfin. v. Wied († 1647), Tochter Wilhelms IV. (1560–1612), Gf. v. Wied-Runkel, und der Johanna Sibylle zu HanauLichtenberg. – Sekundärlit.: »Leiningen-Westerburg-Schadeck, Christoph Graf zu«. In: Hessische Biografie http://www.lagis-hessen.de/de/subjects/ idree/sn/bio/id/6575 (Stand: 30. 6. 2010) (20) Henricus Petraeus = Petraeus (Petreus, Beiname Hardesianus), Heinrich * 1. 2. 1546 Hardegsen b. Göttingen (daher das cognomen); † 22. 9. 1615 Wolfenbüttel Konfession: protestantisch, gnesiolutheranisch.

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Charakterisierung: Pädagoge; Rechtsgelehrter ; Schriftsteller ; Naturforscher (letzteres legen zumindest nachgelassene Briefe J. Posthius’ in der Sammlung Trew der UB Erlangen, in denen wiederholt von H. P. gesprochen ist, nahe). Sohn eines in Diensten Hzg. Erichs v. Braunschweig-Kalenberg stehenden Hauptmannes; 1564 Studium in Jena (nicht in der Matrikel) und Leipzig, eingeschrieben als »H. Petreus Herdessianus«: Unterricht insbes. bei dem Juristen Modestinus Pistoris und dem Philologen und Historiker Joachim Camerarius d.Ä. (1500–19. 4. 1574, seit 1541 Prof. in Leipzig). Als Hofmeister mit jungen Adeligen auf Reisen. Im Studienjahr Mai 1575/1576 war er als »Heinricus Petreius Hartrensis« an der Universität Basel in die Matrikel (Bd. II, 1956, S. 235f.) eingetragen. Das findet seine Bestätigung in Briefen Johannes Posthius’ an Joachim Camerarius d.J. nach Nürnberg: am 16.10. und 14. 11. 1574 lautet die kurze Mitteilung noch, Henricus Petreus habe ihn in Würzburg besucht und denke, an eine Universität zurückzukehren; am 19.12. 1575 wußte Posthius dann an denselben Adressaten zu berichten, Petraeus lebe in Basel; im Brief mit dem Datum 4. 5. 1577 ist sogar von einem gemeinsamen Werk die Rede: »Aulica vita«, über die Nachteile des Hoflebens, sei bald nach Erscheinen vergriffen gewesen. Auf Vermittlung des Syndikus der Stadt Frankfurt/M., des Juristen Johann Fichard, 1577 Rektor des Barfüßergymnasiums; als Flacianer Auseinandersetzungen mit den Prädikanten der Stadt und Entlassung aus dem Amt 1581; während dieser Zeit trug Posthius seinem Adressaten Camerarius d.J. brieflich das Anliegen vor, der nun in Frankfurt ansässige Petreus sei für einen französischen Exulanten, der sich seit zwei Jahren bei ihm durchschlage, auf der Suche nach einer Anstellung (Brief vom 24. 9. 1580). 1586 erster Rektor des Pädagogiums in Göttingen, lehrte Logik, Rhetorik und Recht, wirkte zugleich als Pädagogarch; 1590 wurde er in Marburg zum Dr. iur. promoviert und war danach von 1591 bis zu seinem Tod als Konsistorial- und Hofrat von Hzg. Heinrich Julius v. Wolfenbüttel und als Landesschulinspektor tätig. Petraeus heiratete 1577 die Witwe des Flacius Illyricus und kam dadurch in den Besitz einer großen Handschriftensammlung und Bibliothek, die er später der Wolfenbütteler Bibliothek vermachte. Petraeus verfasste nicht nur ein (erhaltenes) Trauergedicht auf den Tod des ihm nahestehenden Joachim Camerarius d.Ä., sondern auch die Schrift »Hofleben und Privatleben« sowie eine Biographie Johann Fichards; zudem ist 1575 von ihm in Basel (bei Ostenius) jenes Epithalamium publiziert worden, das A. Vigelius in seine Anthologie aufgenommen hat. In Gruters »Delitiae Poetarum Germanorum«, Pars V, S. 150–153 ein Distichengedicht J. Posthius’ »Ad Henricum Petraeum Herdesianum«. Lit.: »Gnosologia harmonica dogmatica et hermetica«, 1615; »Alivd

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Henrico Petreo autore«: Epitaphium zum Tod Maria Posthius’, der Tochter des Johannes Posthius (* 26. 2. 1578 in Würzburg, † 25.8. d.J.) in: Erasmus Posthius (Hg.), Posthvma Pietas, 1618, S. 48. Rez.: a) A. Vigelius, Deliciae, 1624, [Teil II], Nr. XXIII, S. 364–387: »Erici Ducis Brunsuicensis, Cum Dorothea Ducissa Calabriae«; b) ebd., [Teil II], Nr. XXIX, S. 428f.: »Othonis Landgravii Hassiae, Cum Catharina Ursula Marchionissa Badensi«. Sekundärlit.: ADB 25, 1887, S. 519f. (P. Zimmermann); Karrer, Posthius, 1993, s.v. »Petreus/Petraeus, Henricus« Register ; Frankfurter Biographie 2, 1996, S. 131 (Reinhard Frost). Kommentar: a) Text nicht nach: Gruter, Delitiae Poetarum Germanorum, 1612; wohl nach dem Einzeldruck (14 Bl. in Quart): »IN NVPTIAS […] PRINCIPIS […] ERICI, DVCIS BRVNSVICENSIS, COMITIS IN CLAROMONTE, EQVITISQVE AVREI VELLERIS ET […] DOMINÆ DOROTHEÆ, DVCISSÆ CALABRIÆ, LOTHARINGIÆ, BARR, etc. EPITHALAMION. Authore Henrico Petraeo Hardesiano«, o.O. (Wolfenbüttel) 1576 (HAB: H 183.48 Helmst.(13). Beiträger zur Hochzeitsschrift u. a. Georg Sabinus. b) Text nicht nach: Gruter, Delitiae Poetarum Germanorum, 1612. Sachkomm.: a) Erich II. d. J., Herzog v. Braunschweig-Lüneburg-Calenberg, Landesherr des Fstt. Calenberg-Göttingen: * 10. 8. 1528 auf der Erichsburg b. Dassel; † 17. 11. 1584 Pavia. Sohn von Hzg. Erich I. v. Braunschweig-Lüneburg-Calenberg (1470–1540) aus dessen Ehe mit Elisabeth v. Brandenburg (1510–1558), Tochter des Kfst. Joachim I. v. Brandenburg. (Sie heiratete in 2. Ehe 1546 Gf. Poppo XII. v. Henneberg, 1513–1574.) Erichs II. Mutter führte nach dem Tod Erichs I. die Reformation ein, während sie vormundschaftlich für den Zwölfjährigen die Regierungsgeschäfte übernommen hatte. Erich II. selber übernahm bereits 1546 für fast vierzig Jahre die Regierung des hochverschuldeten Fürstentums Göttingen-Calenberg-Oberwald (die Verschuldung trieb er aufgrund seiner Bauleidenschaft weiter). Die Schludrigkeit seiner Regierungstätigkeit war nicht zuletzt durch seine ständige Abwesenheit bedingt: trat 1547 in Wien zum Katholizismus über ; tat sich mit Teilerfolgen als Söldnerführer hervor; dabei unterwegs in Spanien, Frankreich, den Niederlanden, Italien. 1573 wurde ihm vom spanischen Kg. Philipp II. wegen seines Engagements für den Katholizismus das Goldene Vlies verliehen. Scheiterte am Widerstand der Städte bei den Versuchen, die Gegenreformation in seinem Land durchzusetzen; mußte 1555 sogar die lutherische Lehre bestätigen. – Heirat in 2. Ehe am 26. 12. 1575 mit Dorothea v. Lothringen (1545–1612/1621, letzteres Datum ungeklärt), einer Tochter von Franz I. v. Lothringen und Christina v. Dänemark. – Sekundärlit.: NDB 4, 1959,

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S. 584f. (Klaus Friedland: Art. »Erich II.«). b) Sachkomm.: siehe unter Janus Henricus Scroterus zu a). (21) Henricus Porsius = Porsius (Porsch), Heinrich (Wetteravus, Fridbergensis) * 1556 Friedberg/Wetterau; † 1610 Wien. Der Friedberger Porsius ist nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Schlesier (»Silesius«). Konfession: offensichtlich protestantisch. Charakterisierung: Jurisconsultus, Historiker, Professor der Poesie, Poeta Laureatus. Studium in Marburg und Wittenberg (am 7. 1. 1573 als »Henricus Porschius Fridbergensis« eingeschrieben: Matrikel, Bd. 1, Heft 2, 1894, S. 223b) sowie in Italien; Professor der Poesie in Wien (vgl. im Titel »HISTORIA BELLI PERSICI, GESTI … AB Henrico Porsio IC. … et Po[seos Professore publico in Archigymnasio Viennensis«, Frankfurt 1583 [Wolfenbüttel, HAB: 352 Hist.(2)]); 1585 kaiserlicher Sekretär und ungarischer Kammerrat. Historiographische Beiträge zur byzantinischen und persischen Geschichte; Byzantinischer Reisebericht; Poetische Beiträge, etwa Buchbegleitgedichte wie bspw. zur Ausgabe »Operum Nicolai Reusneri Leorini Silesii … Pars prima [Pars secunda]«, Jena 1593 (Wolfenbüttel, HAB: A: 123 Poet. [1], [2]); zu den »Emblemata Nicolai Reusneri IC. Partim Ethica, Et Physica: Partim verk Historica, et Hieroglyphica […] Ex Recensione Ieremiae Reusneri«, Frankfurt 1581 (Wolfenbüttel, HAB: 50.22), wobei Porsius seinen poetischen Beitrag »Ex Constantinopoli, quae est noua Roma, in Thracia. Kal. April. M.D.XXC« zugesandt zu haben scheint. Lit.: »Henrici Porsii Itineris Byzantini libri III«, Frankfurt 1583; »Poeta et Historia Belli Persici«, ebd. 1583 (mit den Anhängen »Carminum libri II«, »Epigrammatum libri II«: gewidmet den Fürsten und Herren Lgf. Wilhelm und Ludwig v. Hessen, Gf. zu Katzenelnbogen, Diez etc. (Zu beachten ist: die Texte in: Gruter, Delitiae Poetarum Germanorum, Pars V, 1612, S. 110–122, sind die des Henricus Porsius Silesius). Ob ein Eintrag vom 29. 8. 1598 im Album Ulrich Reutters (um 1566 – nach 1617) dem Wetterauer Heinrich Porsius oder Schlesier Henricus Porsius zuzuordnen ist, konnte bislang nicht entschieden werden. Rez.: A. Vigelius, Deliciae, 1624, [Teil I], Nr. V, S. 25: »In laudem conjugii & conjugatorum, Epigrammata varia«. – Siehe auch ebd. S. 25 Gregor Bersmann. Sekundärlit.: Goedeke, Grundrisz, 1884, S. 110; VD16 s.v. »Porsius, Henricus«; Zuordnungsproblem: RAA: 1582_reutter/86.

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Kommentar.: H. Porsius Fridbergensis ist nicht in Gruters »Delitiae« von 1612 eingegangen. (22) Hermannus Kirchnerus = Kirchner, Hermann * 11. 11. 1562 Hersfeld, † 26. 3. 1620 Burgbreitungen (heute Breitungen a. d. Werra). Konfession: protestantisch-reformiert. Charakterisierung: Jurist, Hochullehrer ; Historiker, Rhetoriker, Festredner ; Gelegenheitsdichter. Sohn des Hersfelder Ratsherrn Joachim Kirchner. Nach längerem Aufenthalt in Kopenhagen Studium der Humaniora und Geschichte seit 1585 in Rostock; Nathan Chytraeus sein Lehrer; seit ca. 1588 Fortsetzung des Studiums in Marburg, Neigung zur Jurisprudenz; dort am 8. 3. 1594 außerordentl. Prof. der Poesie; am 5.8. desselben Jahres PLC mit Brief durch Ks. Rudolf II.; unter der Förderung Hermann Vultejus’ am 14. 7. 1599 zum Dr. utr. iur. promoviert. »Manifestiert dies seine bleibenden engen Beziehungen zur Rechtswissenschaft, so hat er doch die Rechte nicht gelehrt, sondern ist im folgenden der Philosophischen Fakultät treu geblieben« (Th. Klein, 185). Mai 1603 Erhalt der »Ordinaria Professio Poeseos et Historiarum«; 1607/08 auch Prof. der Eloquenz; Unterstützung des Wechsels zum reformierten Bekenntnis. Stammbucheintrag Marburg 13. 2. 1613 in das Album Georg Altermanns; 1614 Ausbruch einer depressiven Erkrankung, Flucht aus Marburg in den Heimatort seiner 1605 geheirateten Frau Sophie zum Sekretär der verwitweten Gfin. v. Henneberg. Zu zahlreichen Zeremonialreden herangezogen, etwa zur Leichenrede auf Lgf. Georg I. v. Hessen-Darmstadt (= Vater der 1583 geborenen Anna) oder auch auf die Landesherrin Agnes v. Solms-Laubach, seit dem 23. 9. 1593 erste Gemahlin Moritz’ des Gelehrten, Lgf. v. Hessen-Kassel. Lit.: »Orationes«, »Curricula«, »Respublica« (Marburg 1608 u. ö.: rechtlich wie politisch bedeutsame Disputationensammlung), »Legatus« (Theorieschrift über Gesandtschaft), Gelegenheitsdichtung. Texte in: Gruter, Delitiae Poetarum Germanorum, Pars III, 1612, S. 807–819: ausschließlich Anagrammata. Rez.: A. Vigelius, Deliciae, 1624, [Teil II], Nr. XXXV, S. 466f.: »Alberti Othonis Comitis Solmensis, Cum Anna Landgrav. Hassiae«. Sekundärlit.: Thomas Klein: Conservatio Reipublicae per bonam educationem. Leben und Werk Hermann Kirchners (1562–1620). In: Academia Marburgensis, Bd. 1, 1977, S. 181–230; Stolleis, Reichspublizistik, 1988, S. 120f.; Jan Seifert: Hermann Kirchner : Pro disciplina poetica oratio. Marburg 1595. In: Bauer (Hg.), Melanchthon, Bd. 1, 1999, S. 178–185;

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Waltraud Strickhausen: H. K.: Respublica. Marburg 1608 [u. 1609], ebd., S. 307–313; Jaumann, Handbuch, 2004, S. 369; Killy/Kühlmann 6, 2009, S. 427–429 (Herbert Jaumann); Zincgref, Apophthegmata, 2011, Bd. 2, S. 793f.; RAA: 1610_altermann/41. Kommentar: Text nicht nach: Gruter, Delitiae, s. o., Pars III. Sachkomm.: Albert Otto I., Gf. zu Solms-Laubach: * 9. 12. 1576; † 2. 3. 1610 Brederbent; vierter Sohn von Johann Georg (1546–1600), Gf. zu SolmsLaubach, und dessen Ehefrau Margareta v. Schönburg-Glauchau (1554–1606). Albert Otto regierte nach Erbteilung und Vergleich mit seinen Brüdern 1607 über Laubach, Amt Utphe und Solmsische Anteile an Münzenberg; sein Großvater, Gf. Friedrich Magnus I. (1521–1561), hatte die Reformation in Laubach eingeführt. Albert Otto diente schon im 18. Lebensjahr im Niederländischen Krieg auf protestantischer und reformierter Seite; als Oberst fiel er im Jülicher Erbfolgekrieg vor Brederbent; seine Beisetzung in der Stadtkirche zu Jülich fand im Beisein des Pfgf. Wolfgang, des Mgf. Wilhelm v. Brandenburg, des Fst. Christian v. Anhalt, des Hzg. Julius v. Württemberg und der Prinzen Moritz und Friedrich Heinrich v. Oranien statt: samt und sonders Repräsentanten protestantischer und reformierter Konfession. – Eheschließung am 28. 10. 1601 in Kassel mit Anna (1583–1631), Lgfin.v. Hessen-Darmstadt, Tochter Georgs I., Lgf. v. Hessen-Darmstadt, aus dessen Ehe mit Magdalene zur Lippe (* 1552); er hatte sie beim Besuch seines Schwagers, Lgf. Moritz des Gelehrten v. Hessen-Kassel, kennengelernt. – Sekundärlit.: Rudolph zu Solms-Laubach: Geschichte des Grafen- und Fürstenhauses Solms, Frankfurt a.M. 1865, S. 247–251; Europäische Stammtafeln N. F., Bd. XVII, Tafel 43, 44: Die Grafen zu Solms-Laubach. (23) Hieronymus Borgia = Borgia (auch Borgio), Girolamo * 1475 Lucania; † wahrscheinlich 1550 Neapel. Konfession: altkichlich. Charakterisierung: Neulateinischer Dichter, Historiker ; Literat und Höfling. Ging in frühester Jugend mit seinen Eltern nach Neapel, ihrem ursprünglichen Herkunftsort. Ansonsten ist wenig über seine Jugend bekannt; wahrscheinlich hat er bis 1503 das Königreich nicht verlassen. In Neapel nahm er eifrig die Übungen und Vorlesungen Giovanni Pontanos (1426–1503) wahr und wurde unter freundlichster und geselligster Anteilnahme des Lehrers Mitglied der berühmten Akademie zu Neapel. Nach dessen Tod folgte er als Literat und Waffengefährte dem Condottiere Bartolomeo d’Alviano, dessen in Diensten der Spanier vollbrachte Taten er in panegyrischen »carmina« besang. Mit ihm begab er sich 1507 nach

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Venedig und nutzte die Gelegenheit zu Studien in Padua, die unter Anleitung des Gräzisten M. Musuro zur Aneignung des Griechischen verhalfen, und zur Teilnahme an der sog. Accademia Liviana, die zwischen 1508 und 1509 in Pordenone um d’Alviano u. a. H. Borgia, Giovanni Cotto, Girolamo Fracastoro und Andrea Navagero vereinigte. 1509 bis 1513 wieder in Neapel; nach dem Tod Alvianos (1515) führte er zwischen Neapel und Rom ein hektisches Leben. Um 1525 war seine Situation am Hof des Kardinals Alessandro Farnese in Rom stabil; seit 1534 erfreute er sich dabei der besonderen Gunst des zum Papst Paul III. aufgestiegenen Alessandro und erwiderte sie in seinen Schriften mit leidenschftlicher Unterstützung der päpstlichen Versuche der Befriedung Europas »in vista della guerra santa contro il Turco«. Während dessen nahm er am Leben der erneuerten Accademia Romana teil und kehrte zur Arbeit an seinem Lebenswerk zurück: der, unveröffentlicht gebliebenen, »Historia de bellis Italicis«, einer Darstellung der Italien strapazierenden Kriege bis 1494. Wurde 1544 von Paul III. zum Bischof von Massa Lubrense ernannt und mit Pfründen in der Diözese von Nola versorgt, im Juli desselben Jahres geweiht; 1545 Verzicht auf das Bischofsamt zugunsten eines Neffen und Rückzug ins Privatleben. Zu seinen frühesten Veröffentlichungen zählt das »Epitalamium in nuptias A. Herrici Neapolitani equitis«, 1517 in Rom publiziert und Girolamo Carbone (1465–1528), dem auf Pontano folgenden Leiter der Accademia Pontaniana, gewidmet. Seine literarische Bekanntheit geht vor allem auf einen besonderen Anlaß zurück: 1538 entstand nach einem Erdbeben in der Nacht vom 19. auf den 20. September der Berg »Il Monte Nuovo«. Borgia hat den neuen Berg selbst in Augenschein genommen und darüber ein Paul III. gewidmetes »poemetto« verfasst. Lit.: »Incendium ad Avernum lacum horribile pridie Kal. Octob. 1538, nocte intempesta exortum« (Neapel 1538); Text in: Gruter, Delitiae Italorum Poetarum, Pars (prior), 1608, S. 490–501: unter dem Titel »HIERONYMI BORGIÆ«. Rez.: A. Vigelius, Deliciae, 1624, [Teil II], Nr. LII, S. 588–601: »Johannis Alfonsi Herricii Neapolit. Equitis«. Sekundärlit.: Ellinger I, 1929, S. 69; Giuseppe Fatimi: Art. »Borgia, Girolamo«. In: Enciclopedia Italiana, Bd. VII. Mailand 1930, S. 477; DBI 12, 1970, S. 721–724 (Gianni Ballistreri); Letteratura italiana, Bd. 1, 1990, S. 337 (Stefano Carrai); Malato, Storia, Bd. III, 1996, S. 765, 800. Kommentar: Text offensichtlich nach: Gruter, Delitiae, s. o., Pars (prior), S. 490–501: »EPITHALAMION IN NVPTIAS IO. Alfonsi Herricii, Neapolitani Equitis«. Sachkomm.: bislang ungeklärt.

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(24) H. Rodscheid P. A. = Bislang ungeklärt; vgl. dazu A. Vigelius, Praefatio, fol. )?( 5r. Rez.: A. Vigelius, Deliciae, 1624, [Teil II], Nr. XXVIII, S. 406–411: »VVilhelmi Hassiae Landgravii, Cum Aemilia Elisabetha Comitissa Hanovica«. Kommentar: Text nicht nach: Gruter, Delitiae Poetarum Germanorum, 1612. Sachkomm.: Wilhelm V., mit Beinamen »der Beständige«, Lgf. v. HessenKassel: geb.14. 2. 1602; † 21. 9. 1637; dritter Sohn von Lgf. Moritz dem Gelehrten und Agnes, Gfin. v. Solms-Münzenberg; streng im Sinne der Lehre Calvins erzogen. Besuch der Universitäten Straßburg, Basel und Genf sowie der Ritterschule in Kassel; 1617 Administrator des Stifts Hersfeld, 1627 Übernahme der Regierungsgeschäfte nach Abdankung des Vaters; 1631 Anschluß an Gustav Adolf v. Schweden, ohne die erhoffte Unterstützung; 1635 Beitritt zum Frieden von Prag. Nach Ablehnung seiner Forderungen nach Religionsfreiheit und Rückgabe des 1629 abgetretenen Stifts Hersfeld durch Ks. Ferdinand II. Eingehen eines Bündnisses mit Frankreich 1636, Ächtung als Reichsfeind. Vor dem Gang ins ostfriesische Exil (Leer) setzte er seine Gemahlin als Regentin ein. – Eheschließung am 21.9.(11.9.)1619 mit Amalie Elisabeth v. Hanau-Münzenberg (reformiert), Tochter von Gf. Philipp Ludwig II. v. Hanau und Katharina Belgica: * 29. 1. 1602 Hanau; † 8. 8. 1651 Kassel; regierte nach dem Tod ihres Gemahls die Landgrafschaft Hessen-Kassel für den noch unmündigen Erben von 1637 bis 1650. – Sekundärlit.: ADB 43, 1898, S. 39–54 (Kretzschmar); DBE2 10, 2008, S. 636. (25) H. Tr. = ? – Fehlt im INDEX AVTHORVM und ist hier aus dem Werk ergänzt. Bislang ungeklärt; vgl. dazu A. Vigelius, Praefatio, fol. )?( 5r. Rez.: A. Vigelius, Delitiae, 1624, [Teil I], Nr. XXVI, S. 405: »Ludovici Landgravii Hassiae, etc.« (Distichengedicht) Kommentar: Text nicht nach: Gruter, Delitiae Poetarum Germanorum, 1612. Sachkomm.: Ludwig V., mit Beinamen »der Getreue«, Lgf. v. HessenDarmstadt: * 24. 9. 1577 Darmstadt; † 27. 7. 1626 ebd.; streng protestantisch-lutherisch; Sohn des Lgf. Georg I. v. Hessen-Darmstadt († 1596); nach dem Tod des Vaters gemeinsam mit seinen Brüdern Philipp (später Lgf. v. Hessen-Butzbach) und Friedrich (später Lgf. v. Hessen-Homburg) 1597 von Ks. Rudolf II. mit Hessen-Darmstadt belehnt; nach anteiliger Auszahlung seiner Brüder alleiniger Regent. Seine Politik war konsequent von Reichstreue und Loyalität gegenüber dem Kaiserhaus bestimmt. Bil-

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dungs- und konfessionspolitisch ist er hervorgetreten durch die Gründung des Gymnasium illustre in Gießen 1605 als Reaktion auf die Calvinisierung der Universität in Marburg durch den Vetter Moritz, Lgf. v. Hessen-Kassel, und die Aufnahme evangelischer Exulanten aus Marburg; 1607 Erhebung des Gymnasiums in den Rang einer Universität durch kaiserliches Privileg. – Eheschließung am 5. 6. 1598 in Berlin mit Magdalene (1582–1616), Tochter des Kfst. Johann Georg v. Brandenburg (1547–1598). – Sekundärlit.: ADB 19, 1884, S. 547–550 (Walther); NDB 15, 1987, S. 391–392 (Wilhelm Martin Becker). (26) I. A. = ? Bislang ungeklärt; vgl. dazu A. Vigelius, Praefatio, fol. )?( 5r. Rez.: A. Vigelius, Delitiae, 1624, [Teil I], Nr. V, S. 31: »In laudem conjugii & conjugatorum, Epigrammata varia«, hier : »Dulce meum …« (ein Distichon); ebd., [Teil I], Nr. VIII, S. 57: »Nuptiae Davidis cum Bathsabaea, H 2. Sam. II.«. Kommentar: Texte nicht nach: Gruter, Delitiae Poetarum Germanorum, 1612. (27) Jacobus Jacomotius = gemeint ist: Jacomotus (eigentl. Jaquemot), Johannes (Jean) Geb.: 1543; † 1615 Genf (?). Konfession: protestantisch-reformiert. Charakterisierung: Pfarrer ; neulateinischer Dichter. Aus der Familie Bar-le-Duc (Frankreich) stammend; 1569 Bürger von Genf; Pfarrer und möglicherweise Rektor der Akademie; bis 1591 als Sekretär für die Register der »Compagnie des Pasteurs de GenHve« zuständig, zugleich ein enger Mitarbeiter Th. Bezas; danach Vikar in Neuch.tel 1591 und erneut ab 1593, tauchte aber seit 1596 wieder in den Registern der Genfer Pastoren auf; 1603 in Lyon (Vall8es). Lit.: »Lamentationes Prophetae Ieremiae, variis lyricorum generibus expressae, cum aliquot Sacrae Scripturae canticis«, Genf 1591 (Wolfenbüttel, HAB: H: P 1495.88 Helmst. [1]); drei Tragödien als Bibeldramen; neulateinische Buchbegleitgedichte; Texte in: Gruter, Delitiae Poetarum Gallorum, Pars Altera, 1609, S. 350–375: unter dem Titel »IOANNIS IACOMOTII BARRENSIS« (aufgrund der Herkunftsangabe »Barrensis« ist die Einordnung in die Ausgabe der »Delitiae Gallorum« plausibel). Rez.: A. Vigelius, Deliciae, 1624, [Teil I], Nr. III, S. 17–21: »Encomium Strenuae Mulieris Ex Proverb. Salomonis, Cap 31«, unterzeichnet »alio Carminum genere redditum a Jo. Jacomotio«. – Siehe auch ebd. S. 12–14 Balduinus Berlicomius; ebd. S. 15f.

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Friedrich Taubmann; ebd. S. 21 A[rtus] V[igelius]; ebd. S. 21 Justus Vultejus. Sekundärlit.: C. Roch: Art. »Jaquemot, Jacomotus«. In: Historisch-biographisches Lexikon der Schweiz 4, 1927 (Göttingen, Mailand), S. 387; Barbara Mahlmann-Bauer : Abraham, der leidende Vater. Nachwirkungen Gregors von Nyssa in Exegese und Dramatik (im 16. bis 18. Jahrhundert). In: Isaaks Opferung (Gen 22) in den Konfessionen und Medien der Frühen Neuzeit. Hg. von Johann Anselm Steiger und Ulrich Heinen. Berlin, New York 2006 (Arbeiten zur Kirchengeschichte, 101), S. 309–397, hier S. 343–368: Kap. »4. Theodor Beza und Jacobus [!] Jacomotus«; Udo Sträter : Die Schweiz als Umschlagplatz englischer Erbauungsliteratur. In: Ulrich Gäbler / Martin Sallmann / Hans Schneider (Hg.): Schweizer Kirchengeschichte – neu reflektiert. FS Rudolf Dellsperger. Bern u. a. 2011, S. 211–224, hier S. 221 (Erwähnung). Kommentar: Text nach: Gruter, Delitiae, s. o., Pars Altera, S. 350–354: »Materfamilias, ex Proverbiis Salomonis«. (28) Jobus Vincelius = Fincelius, Job (Fincel, Hiob) * um 1530 Weimar, † 1. 7. 1589 Zwickau. Konfession: evangelisch-lutherisch. Charakterisierung: Arzt; neulateinischer Dichter ; Kompilator. Sein »Werdegang ist eng verknüpft mit seinem Landsmann« Johannes Stigel (Heinz Schilling, Sp. 349). Studium 1547 in Erfurt, dann in Wittenberg, hier 1549 Magistergrad der Philosophie, und in Jena, wo er 1561 mit einer Arbeit zum Thema Pest Dr. med. wurde; hier 1563 Assessor der med. Fakultät; wirkte 1565/66 als Stadtphysikus in Weimar und übernahm schließlich die Stelle des Stadtphysikus in Zwickau; dort erwarb er 1572 das Bürgerrecht. Lit.: »Ordnung vnd Bericht … durch Jhobo Vincelio Medico zu Zwickau« (Wolfenbüttel, HAB: A: 50.4 Med [3]); Herausgeber der »Poemata« seines Schwagers Johannes Stigel (siehe dort) in neun Büchern (Jena 1566–1572); Text in: Gruter, Delitiae Poetarum Germanorum, Pars III, 1612, S. 153–157: Epithalamium »JOBI FINCELII in Nuptias Dauidis Chytræi«; dreiteiliges Hauptwerk: »Wunderzeichen« (1556–1562). Rez.: A. Vigelius, Deliciae, 1624, [Teil II], Nr. XIX, S. 308–315: »Johannis Friderici II. Ducis Saxoniae, Cum Agnetha Principis Hessorum filia«. – Siehe auch ebd. S. 267–286 Johannes Stigelius; ebd. ders. S. 287–306; ebd. ders. S. 306–307; ebd. ders. S. 307–308; ebd. S. 316–321 Mauritius Brandt Neoburgensis; ebd. S. 322 Joachim von Wisbach. Sekundärlit.: EM 4, 1984, 1133f. (Wolfgang Brückner); Heinz Schilling: Job

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Fincel und die Zeichen der Endzeit. In: Brückner (Hg.), Volkserzählung und Reformation, 1974, S. 325–392, hier S. 327–332; VL 16–2, 2012, Sp. 349–354: Art. »Fincelius, Job« (H. Schilling). Kommentar: Text nicht nach: Gruter, Delitiae, s. o., Pars VI; das Hochzeitsgedicht in 100 Distichen stammt aus ein und demselben Einzelband mit den gekennzeichneten Beiträgen von Stigel (siehe dort), Brandt (s.d.) und Weisbach (s.d.); hier : siehe Bibliographie unter Stigelius, 1555, fol. EvFv : »AD ILLVSTRISSIMVM PRINCIPEM, AC DOminum, D. Ioannem Fridericum II. Ducem Saxoniæ, Landgrauium Thuringiæ, Marchionem Misniæ. In eius nuptijs. Epithalamion. Autore Iobo Fincelio Vinariense«. Sachkomm.: siehe unter Johannes Stigelius zu b). (29) Janus Chunradus Rhumelius = gemeint: Rhumelius (auch Rhumel, Rummel), Johann Conrad d.Ä. * 13. 2. 1574 Nördlingen; beerdigt 23. 2. 1630 Wöhrd b. Nürnberg. Konfession: protestantisch-lutherisch. (Selbst)Charakterisierung: »Philosophus«, »Medicus«; Arzt; neulateinischer Dichter. Sohn des Nördlinger Theologen und Geistlichen Johann Rummel. Schulbesuch in Neumarkt/Oberpfalz; 1587 Beginn des Studiums in Straßburg, 1591 Magisterwürde an der Universität in Jena, 1593 Promotion zum Doktor der »Arzneykunde« in Tübingen. 1594 verehelichte er sich in Reutlingen mit Helena, der Tochter Johann Conrad Mennings von Wyle und Schönbach, und kehrte in seine Geburtsstadt zurück; er wurde 1595 »Pfälzischer Physicus« in Neumarkt, aus dem er 1628 (1626?) wegen der »Religions-Veränderung« in Treue zum Luthertum mit seiner Familie exilierte und in der Nürnberger Vorstadt Wöhrd Zuflucht fand. An ihn richtete Friedrich Taubmann im »Epigrammatum liber I«, S. 670f. der Ausgabe »Schediasmata« von 1619 ein anerkennendes Wort: »AD JOH. CONRAD. RHUMELIUM, Medic. Patris octuagenarij obitum legentem«. Ein Eintrag in das Stammbuch des bekannten Altdorfer Juristen Nicolaus Rittershausen (»Wöhrd – 1626«), könnte auch vom gleichnamigen Sohn stammen. Seine Tochter Maria Elisabetha heiratete 1648 den Geistlichen und Nürnberger Dichter Johann Klaj (Claius), Mitbegründer des Pegnesischen Blumenordens. – Der gleichnamige Sohn Johann Conrad Rummel d.J.: * 30. 8. 1597 in Neumarkt, † 1. 9. 1661 in Nürnberg; in der Altdorfer Matrikel am 4. 8. 1612 als »Johannes Cunradus Rhumelij, Neagor., gratis« eingeschrieben; nach weiteren Studien in Heidelberg und Straßburg sowie Bildungsreisen durch Frankreich, England, Schottland und Holland mehrfach Dienste als »Feldmedicus« in den Heeren unter Gf. Ernst v. Mansfeld und Hzg. Al-

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brecht v. Sachsen-Lauenburg; wurde schließlich in Altdorf 1630 zum Dr. med. promoviert und praktizierte als Arzt in Nürnberg, wo er nach Erwerb des Bürgerrechts schon 1631 in das Collegium Physicum und 1632 als Genannter des Größeren Rates berufen wurde. Er betätigte sich auch als Schrifteller ; ein von ihm überlieferter Stammbucheintrag im Album Christoph Martin Dornfelds hat das Datum 6. 9. 1646. »Seine Schrifften sind«, nach G. A. Will (siehe unten, S. 430), »sehr schwer von den Schrifften seines Vatters zu unterscheiden, weil er sich wie derselbe geschrieben und zu gleicher Zeit als Autor erschienen ist«. Lit.: Siehe Will, Gelehrtenlexikon III, 1757, S. 427–429: Literaturverzeichnis mit 29 Titeln, darunter Sammeltiteln wie etwa »Symptomatum poeticorum LL« bzw. S. 430f.: mit 10 Titeln; Texte sehr wahrscheinlich des Vaters in: Gruter, Delitiae Poetarum Germanorum, Pars V, 1612, S. 837–841. Rez.: A. Vigelius, Deliciae, 1624, [Teil II], Nr. II, S. 83–94 u. 95–98: »Alia Epigrammata Votiva Palatino-Britannica«, »Anagramma[ta] ex Psalmi XCII. Versa XIII.«, »Hymenaeus Palatino-Britannicus«. Sekundärlit.: Georg Andreas Will: Nürnbergisches Gelehrten-Lexicon. Dritter Theil. Nürnberg, Altdorf 1757, S. 426–429 bzw. S. 429–431; Matrikel Altdorf, Bd. I, 1912, S. 122; Bd. II, 1912, S. 477, Erläuterung: Neumarkt; RAA: 160_rittershausen/216 bzw. RAA: 1643_dornfeld/17 (W.W. Schnabel). Kommentar: Texte nicht nach: Gruter, Delitiae, s. o., Pars V; teilw. gewiß nach: Epigrammata votiva Palatino-Britannica, Amberg 1614 (in 48; bislang nicht zugänglich). Sachkomm.: siehe unter Janus Gruter zu a). (30) Janus Gruterus = Gruter, Janus (eigentl. Gruytere, Gruutere), Jan de * 3. 12. 1560 Antwerpen; † 20. 9. 1627 Bierhelder Hof b. Heidelberg. Konfession: reformiert. Charakterisierung: Bibliothekar ; Philologe; Professor der Geschichte, Polyhistor ; neulateinischer Dichter. Sohn eines betuchten Tuchhändlers; im Kindesalter mit dem Vater Flucht nach England, hier in Norwich Elementarausbildung; 1577 eingeschrieben in Cambridge, noch im selben Jahr immatrikuliert an der neu errichteten Universität in Leiden, Studium der Rechtswissenschaften (Hugo Donellus), der Philologie und der Geschichte (Janus Dousa d.Ä., Justus Lipsius); 1584 Dr. iur. utr., 1586 Eintrag in Rostocker Matrikel, mit den auf der Flucht befindlichen Eltern nach Danzig und Königsberg; 1590 Prof. Historiarum in Wittenberg, wegen Verweigerung der Unterschrift unter die Konkor-

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dienformel 1591 Verlust der Professur ; 1592 Einladung nach Heidelberg durch seinen Freund Henricus Smetius, am 15. 7. 1592 Ehe mit dessen Tochter Johanna. Am 7. 2. 1593 Ruf durch Kfst. Friedrich IV. an die Universität als Professor der Geschichte, 1602 auch Leiter der kfstl. Bibliothek; 1622 mit dem Fall Heidelbergs Verlust der Bibliotheca Palatina und der Privatbibliothek, auch von Hab und Gut, Flucht nach Brettheim (heutiges Bretten/Kreis Karlsruhe). – Weit gefächerte Kasualpoesie. Lit.: siehe Verzeichnis in: Die Deutschen Humanisten, Abt. I, Bd. I/2, 2005, S. 534–536; Texte in: Gruter, Delitiae Poetarum Belgicorum, Altera Pars, 1614, S. 681–880: unter dem Titel »IANI GRVTERI«; umfängliches Epicedium zu Johannes Posthius in: Erasmus Posthius (Hg.), Posthvma Pietas, 1618, S. 12–17. Rez.: a) A. Vigelius, Deliciae, 1624, [Teil II], Nr. II, S. 81f.: »Friderici V. Electoris Palat. nunc Regis Boh. Cum Elisabetha Jacobi I. Magnae Britanniae Regis fili[a]«. – Siehe auch ebd. S. 83–98 die Epithalamien des Jan Konrad Rhumelius. b) A. Vigelius, Deliciae, 1624, [Teil II], Nr. XII, S. 214–218: »Friderici IV. Cum Loysa Juliana Uraniae Principe«. – Siehe neben Janus Gruter auch ebd. S. 196–206 Paulus Schede Melissus, ebd. S. 206–209 Johannes Posthius, ebd. S. 209–214 Marquard Freher, ebd. S. 219 Nicolaus Reusner. c) A. Vigelius, Deliciae, 1624, [Teil II], Nr. XIV, S. 231f.: »Joannis Comitis Palatini Elector. Palat. Administratoris Cum Loysa Friderici IV. Elect. Palat. filia«. Sekundärlit.: Trunz, Deutsche Literatur (1931, 1935), 1995, S. 21, 290f. u. ö. s.v. Register ; Ellinger III, 1933, S. 303–309; Karrer, Posthius, 1993, S. 91f. u. ö. s.v. Register ; Drüll, Gelehrtenlexikon, 2002, S. 194f.; Walter, Späthumanismus, 2004, S. 300–303; Die Deutschen Humanisten, Abt. I, Bd. I/2 (grundlegend): Janus Gruter, 2005 , hier S. 532–534: Biogramm und Sekundärliteratur ; Killy/Kühlmann 4, 2009, S. 479–481 (Volker Hartmann); Zincgref, Apophthegmata, 2011, Bd. 2, S. 521f. u. ö. s.v. Register ; Hartmann/Kühlmann, Heidelberg, 2012, S. 70ff. u. ö. s.v. Register. Kommentar: a) Gruters Text offensichtlich nach: Gruter, Delitiae, s. o., Altera Pars, S. 877: »Nuptiis Friderici V. Electoris Palatini, etc.« (Gedicht mit markant aktualisiertem Gedichttitel durch A. Vigelius und im Kotext von ca. 30 huldigenden Distichen-Gedichten Gruters auf Elisabeth, die Kgin. v. England); b) Gruters Text offensichtlich nach: Gruter, Delitiae, s. o., Altera Pars, S. 797–800: »In Nuptias Friderici IV. Palat. etc.«; möglich aber auch nach der von Paulus Schede Melissus zusammengestellten Sammlung aus jenem Anlass: Melissus, Emmetron, 1593, S. 21–24: »Iani Grvteri IC. EPI-

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GRAMMATA. I–VI«; c) Gruters Text offensichtlich nach: Gruter, ebd., S. 874f.: »In nuptias Ioannis Bipontini AdministratorisPalatinatus, etc.«. Sachkomm.: a) Epithalamium zur Heirat am 24. 2. 1613 in London von Elisabeth Stuart (1596–1662), Tochter Jakobs I., Kg. v. England, mit dem calvinistischen Kfst. Friedrich V. v. d. Pfalz (26. 8. 1596 Jagdschloss Deinschwang b. Neumarkt/Oberpf. – 29. 11. 1632 Mainz; reg. 1610–1623 als Pfgf. und Kfst. v. d. Pfalz; als Friedrich I. Kg. v. Böhmen 1619–1620: der »Winterkönig«); Sohn des pfälzischen Kfst. Friedrich IV. und der Prinzessin Luise Juliane von Nassau-Oranien; über seine Mutter war er ein Neffe des Fürsten v. Sedan, Heinrich v. Bouillon; dort an der hugenottischen Ritterakademie ab Frühjahr 1604 calvinistisch ausgerichtete Erziehung und Ausbildung. Sein Lehrer war der Theologe Daniel Tilenius, der dort schon seit langem wirkte und eine umfassende protestantische Fürstensolidarität predigte; galt als Vertreter eines königstreuen und gemäßigten Calvinismus. Als Regent ließ Friedrich V. anstelle »der derben Formen, die am Hof seines Vaters geherrscht hatten, … einen verfeinerten elegant-französischen Hofstil treten«, »entfernte sich von den altüberkommenen Formen des deutschen patriarchalischen Landesfürstentums« und »half dem französischen Kultureinfluß an den deutschen Residenzen die Wege bereiten« (F. H. Schubert). – Sekundärlit.: NDB 5, 1961, S. 535f. (Friedrich Hermann Schubert); Press, Calvinismus, 1970, S. 479–515, hier S. 488; Hartmann/Kühlmann, Heidelberg, 2012, S. 13 u. ö. s.v. Register. b) Sachkomm. und Sekundärlit.: siehe auch unter Marquard Freher. – Epithalamium zur Hochzeit am 23. 6. 1593 in Dillenburg von Prinzessin Louisa Juliana Urania v. Oranien-Nassau (1576 Delft – 1644 Königsberg), Tochter von Prinz Wilhelm I. v. Oranien-Nassau und dessen 3. Ehefrau Charlotte v. Bourbon-Montpensier, mit Kfst. Friedrich IV. v. d. Pfalz (1574 Amberg – 1610 Heidelberg; reg. 1583–1610). – Friedrich IV. v. d. Pfalz, mit Beinamen »der Aufrichtige«, war zum Zeitpunkt seiner Thronbesteigung 1583 erst neun Jahre alt; sein Onkel, der reformierte Pfgf. Johann Casimir, übernahm bis 1592 († am 6.1.d.J.) die Regentschaft in der Kurpfalz; Friedrich, lutherisch erzogen, soll sich zunächst geweigert haben, Johann Casimir als Vormund anzuerkennen. – Sekundärlit.: Press, Calvinismus, 1970, S. 322–368, hier S. 322f.; Hartmann/Kühlmann, Heidelberg, 2012, S. 12ff. u. ö. s.v. Register. c) Epithalamium zur Hochzeit am 4. 5. 1612 in Heidelberg von Louise Juliane (1594–1640, ältester Tochter von Kfst. Friedrich IV. v. d. Pfalz und Louisa Juliana Urania v. Oranien-Nassau) mit Pfalzgf. Johann II. v. PfalzZweibrücken-Veldenz (1584–1635). – Sachkomm. u. Sekundärlit.: siehe unter Friedrich Lingelsheim.

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(31) Janus Henricus Schroterus (Scroterus) = Schröter, Johann Heinrich (viele Namensformen) * in Güstrow, Schaffensperiode 1586–1615. Konfession: wohl protestantisch. Charakterisierung: Neulateinischer Dichter ; C(omes) P(alatinus), P(oeta) L(aureatus) C(aesareus); Astronom (1590)? Lit.: Nachweis von Casualcarmina in digitaler Edition CERL sowie THESAURUS; vgl. VD16. Rez.: a) A. Vigelius, Deliciae, 1624, [Teil II], Nr. XXIX, S. 412–426: »Othonis Landgravii Hassiae, Cum Catharina Ursula Marchionissa Badensi«; b) ebd., Nr. XXXIV, S. 461–465: »Philippi Ludovici Comitis Isenburgici, Cum Elisabetha Comitissa Rheni«; c) ebd., Nr. XXXVI, S. 468–474: »VVolffgangi Henrici ab Ysenburg. Cum Maria Magdalena Heroina Nassovica«. Kommentar: a) – c) Texte nicht nach: Gruter, Delitiae Poetarum Germanorum, 1612. Sachkomm.: a) Otto von Hessen-Kassel, Erblandgraf von Hessen-Kassel und Administrator von Hersfeld (Abtei): * 24. 12. 1594 Kassel; † 7. 8. 1617 Hersfeld. Ältester Sohn von Lgf. Moritz v. Hessen-Kassel (1572–1632), aus dessen Ehe mit Agnes (1578–1602), Tochter des Gf. Johann Georg zu Solms-Laubach. Studien in Marburg, peregrinatio academica u. a. nach London und Paris. Tod durch Unglücksfall, Beisetzung in der Lutherischen Pfarrkirche St. Marien in Marburg. – Heirat in 1. Ehe am 24. 8. 1613 in Kassel mit Mgfin. Katharina Ursula (1593 Durlach, Schloss Karlsburg – 1615 Marburg), Tochter des Mgf. Georg Friedrich v. Baden-Durlach (* 1573) und Juliana Ursula, Wild- und Rheingfin. von Salm-Neufville. – Heirat in 2. Ehe am 14. 6. 1617 mit Agnes Magdalena, Fürstin von AnhaltDessau (1590–1626), Tochter des Fürsten Johann Georg I. zu Anhalt. – Sekundärlit.: NDB 18, 1997, S. 136 (Fritz Wolff). b) Philipp Ludwig I., Gf. v. Ysenburg (Isenburg) und Büdingen: * 8. 9. 1593 Birstein; † 22. 11. 1616 bei Braunschweig (Duell; jüngerer Bruder von Wolf Heinrich I., siehe im folgenden). Dritter Sohn von Wolfgang Ernst I. (1560–1633), Gf. v. Ysenburg-Büdingen, Reichsvogt v. Münzenberg, Burggf. v. Gelnhausen, aus dessen Ehe mit Katharina v. Gleichen-Remda († 3. 3. 1598). – Eheschließung 1. 6. 1615 mit Elisabeth, Wild- und Rheingräfin (1593–13. 1. 1656 Dillenburg), Tochter von Adolf Heinrich zu Dhaun. – Sekundärlit.: Europäische Stammtafeln N. F., Bd. XVII, 1998, Tafel 62: Die Grafen zu Ysenburg und Büdingen, in Offenbach und Bierstein. c) Wolfgang Heinrich I., Gf. v. Isenburg-Büdingen-Birstein: * 20. 10. 1588 Offenbach; † 27. 2. 1635 Frankfurt a.M. Ältester Sohn von Wolfgang Ernst I.

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(1560–1633), Gf. v. Ysenburg-Büdingen, der nach Aussterben der Ronneburger Linie 1601 wieder die gesamte Gft. in einer Hand vereinigte und schon 1584 in der Wetterau als erster Graf das reformierte Bekenntnis in seiner Herrschaft durchzusetzen begann. Wolf Heinrich, Militär, stand 1615 in Diensten des Hzg. v. Savoyen, 1616 unter den hanseatischen Hilfstruppen für die Stadt Braunschweig, führte 1620 als Kommandant ein Fähnlein des Wetterauer Grafenvereins, nahm an der Schlacht bei Höchst a.M. 1622 teil und diente als Obrist und Feldzeugmeister unter Christian v. Braunschweig; in der Schlacht bei Stadtlohn (6. 8. 1623) geriet er in Gefangenschaft, aus der er Februar 1624 entlassen wurde. Beim Feldzug Gustav Adolfs in Norddeutschland befand er sich als Generalmajor auf der Seite der Schweden und übernahm die Errichtung von zwei Regimentern. – Eheschließung am 12. 11. 1609 in Büdingen mit Maria Magdalena (1592–1654), Gfin. v. Nassau-Wiesbaden-Idstein, Tochter von Gf. Johann Ludwig. – Sekundärlit.: ADB 14, 1881, S. 628–630 (Crecelius); NDB 10, 1974, S. 192–194 (Art. »Isenburg«, Dagmar Reimers); Europäische Stammtafeln N. F., Bd. XVII, 1998, Tafel 62; Bernd Warlich: Der Dreißigjährige Krieg in Selbstzeugnissen, Chroniken und Berichten. Miniaturen (digital): Wolf Heinrich I. Graf von Isenburg-Büdingen-Birstein; Georg Schmidt: Die Zweite Reformation in den Reichsgrafschaften. Konfessionswechsel aus Glaubensüberzeugung und aus politischem Kalkül? In: Schaab (Hg.), Territorialstaat und Calvinismus. 1993, S. 126f.: Ysenburg. (32) Joachimus Axonius = Axonius, Joachim * Grave/Brabant; † 25. 8. 1605 Antwerpen. Konfession: altkirchliche Orientierung. Charakterisierung: Neulateinischer Dichter ; Philologe. Nach Rechtsstudien in Löwen, in deren Verlauf er außer dem Lateinischen auch gründliche Kenntnisse des Griechischen erwarb, trat er als Präzeptor in den Dienst des Grafen Philipp von Lalaing. Reisen im Gefolge des Grafen führten ihn durch Italien, Spanien, Frankreich, Deutschland, Griechenland und das Medien bis ins Heilige Land; erhielt 1558 probeweise eine Lektur für »philisophia latine vel grece« an der Universität Ingolstadt; dort scheint er jedoch nicht lange tätig gewesen zu sein. 1579 Mitglied des friesischen Provinzialrates; trat, seiner Nähe zu den Habsburgern wegen, später in den Dienst der Erzherzöge. Im Kontext seiner Palästinareise ist wohl eine der Übersetzungen aus dem Griechischen ins Lateinische zu sehen: »Maximi Planudis in corporis domini dei nostri, Iesu Christi sepulchrum, et sacrosanctae dei matris ac dominae nostrae lamentationem, oratio« (Dillingen 1559); als bedeutsam gilt auch die kontroverstheologische, gegen Luther und Calvin gerichtete Schrift »De libero arbitrio« (vgl. C. Schöner).

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Lit.: Texte in: Gruter, Delitiae Poetarum Belgicorum, Prima Pars, 1614, S. 183–207: unter dem Titel »IOACHIMI AXONII GRAVIANI«; Texte in: Echtermeyer-Seyffert, Anthologie I, 1834. Rez.: A. Vigelius, Deliciae, 1624, [Teil II], Nr. XLVIII, S. 547–551: »Philippi Lalaenii Comitis, Cum Margaretha Arrenbergica«. – Siehe auch ebd. S. 552–576 Nicolaus Reusner. Sekundärlit.: ADB 1, 1875, S. 707 (E.J.H. Steffenhagen); Biographie Nationale des Sciences, des Lettres et des Beaux-Arts de Belgique. Tom. 1. Brüssel 1866, S. 568f. (Bou de Saint-Genois); Ellinger III, 1933, S. 319; Biographisches Lexikon der LMU München, Teil I: Ingolstadt-Landshut 1472–1826. Berlin 1998, S. 26 (bes. C. Schöner auf der Grundlage des Art. in der »Biographie Nationale de Belgique« und universitätsgeschichtlicher Quellen). Kommentar: Der Text offensichtlich nach: Gruter, Delitiae, s. o., Prima Pars, S. 183–207: »Joachimi Axonii Graviani. Gamelion Philippi Lalænii Comitis & Margaretæ Arenbergæ«: ein Epithalamion in Form eines Musenwettstreites. Sachkomm.: Philipp, Gf. v. Lalaing (Philippe, Comte de Lalaing), Baron v. Escornaix, Herr v. Wavrin: * 1537, † 24. 5. 1582 (Unfall). Sohn Karls II., Gf. v. Lalaing (Charles II. de Lalaing: 1506–1558), und dessen am 30. 8. 1520 geehelichter Gattin Margaretha v. Croy (Marguerite de Croy : 1508–1549), Dame de Wavrin. Seneschall von Flandern, Großbaljeu von Hennegau und Befehlshaber des Valenciennes, das im Aufstand gegen Spanien eine wichtige Rolle spielte; wurde 1576 Generalleutnant unter dem Befehlshaber Philippe de Croy, Duc d’Aerschot (1526–1595), als auf Veranlassung der in Gent versammelten Generalstaaten Truppen zur Vertreibung der Spanier angeworben wurden; trug viel zum Zustandekommen der Union von Brüssel bei. Im Zuge der Trennung der nördlichen und südlichen Provinzen folgte er wie der gesamte Adel der südlichen Niederlande dem Aufruf des Herzogs v. Aerschot zum Gehorsam gegen den Kg. v. Spanien (1579). Nach der Aussöhnung mit Kg. Philipp II. wurde er Mitglied des Staatsrates in Brüssel. – Eheschließung am 7. 6. 1569 mit Marguerite (1552–1611), Tochter von Jean de Ligne (1568 gefallen) und dessen 1547 geehelichte Gattin Margareta v. d. Marck. – Sekundärlit.: ADB 17, 1883, S. 794 (Wenzelburger); Franz-Josef Heyen (Hg.): Die Arenberger. Geschichte einer europäischen Dynastie. Bd. 1: Die Arenberger in der Eifel. Koblenz 1987, S. 14–18; Europäische Stammtafeln N. F., Bd. XVIII, 1998: Tafel 100: Die Fürsten und Herzoge von Arenberg; ebd. Tafel 107: Les Ducs de Croy, Reichsfürsten, Ducs d’Arschot.

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(33) Joachimus Bellajus = Du Bellay, Joachim * um 1522 Anjou/Gemeinde von Lir8/Ch.teau de la TurmeliHre; † 1. 1. 1560 Paris. Konfession: altgläubig. Charakterisierung: Lyriker, mit Pierre de Ronsard der bedeutendste Dichter der französischen Renaissance; Poetiker ; auch neulateinischer Dichter. Aus altem Adelsgeschlecht; früh verwaist; stand unter der Vormundschaft seines Bruders Ren8. Um 1540 bis etwa 1546 Studium der Jurisprudenz in Poitiers; 1546 und 1547 Bekanntschaft mit Peletier und Ronsard, auch Dorat und Jean-Antoine de Ba"f; es bedeutete den Anschluß an den Kreis humanistisch gebildeter Autoren (»une famille humaine«, Saulnier, S. 15). 1547–1553 in Paris; während dieser Zeit große Frankreich-Tour; lernte zugleich bei dem führenden Gräzisten Jean Dorat (siehe dort) am CollHge de Coqueret altgriechische Literatur kennen; in diesen Jahren suchte ihn eine schwere Erkrankung heim. Nach 1547 Gründung des Dichterkreises »La brigade«, später in »La Pl8iade« umgetauft. 1549 erschienen seine Poetik »La D8fense et Illustration de la Langue FranÅoyse«, die poetologische Gründungsurkunde der französischen Renaissance, und die Sonettsammlung »L’Olive« (erheblich erweitert 1550), die erste der französischen Literatur und petrarkistischer Orientierung;. Ein vierjähriger Aufenthalt, von 1553 bis 1557, in Rom mit Kardinal Jean du Bellay (Reiserouten Paris – Rom – Paris bei Saulnier, S. 175f.). Er wurde zum Vermittler antiker Literatur, zeichnete sich mit Lyrik-Bänden wie »Les Regrets« (»Klagelieder« von 1558) aus; war freilich auch mit kasualpoetischer Hofdichtung erfolgreich; in diesem Zusammenhang das lateinische Epithalamium der Vigelius-Anthologie. Lit.: Texte in: Gruter, Delitiae Poetarum Gallorum, Pars Prima, 1609, S. 390–487: unter dem Titel »JOACHIMI BELLAII ANDINI«. Rez.: a) A. Vigelius, Deliciae, 1624, [Teil II], Nr. VII, S. 146: »In Eivsdem Nuptias«; bezieht sich mit dem Kurztitel auf den Vorgängertext von Jean Dorat, ebd. S. 145f., zur Ehe Kg. Heinrichs v. Navarra mit Margarete v. Valois; b) A. Vigelius, Deliciae, 1624, [Teil II], Nr. XLVII, S. 545f.: »J. Momorantii, Cum Diana Herrici Regis filia«. Sekundärlit.: Verdun-Louis Saulnier : Du Bellay. Paris 41968, S. 175f.: »Chronologie de la vie de Joachim du Bellay«, S. 176f.: »Chronologie des principales publications de Joachim du Bellay« ; Trunz, Deutsche Literatur (1931), 1995, S. 210–214 u. ö. s.v. »Du Bellay« Register. Kommentar: a) Text offensichtlich nach: Gruter, Delitiae, s. o., Pars Prima, 1609, S. 432: »In eiusdem nuptias« (2 Distichen; Inc.: »Qualia Virtuti

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Virtus …«). b) Text offensichtlich nach: Gruter, Delitiae, s. o., Pars Prima, S. 431–432: »In nuptias I. Mommorantij et Dianæ filiæ Reg. Herrici.« Sachkomm.: a) Heinrich III., König v. Navarra: * 13. 12. 1553 Pau/Navarra als Heinrich v. Bourbon; † 14. 5. 1610 Paris (Attentat); seit 1572 als Heinrich III. Kg. v. Navarra; zweiter Sohn des katholischen Hzg. v. Vendime, Antoine de Bourbon, und der protestantischen Kgin. v. Navarra, Johanna v. Albret. Unter Heinrichs Großmutter Margarete war das Königreich Navarra zum Sammelpunkt der Protestanten und religiösen Reformer geworden; ihre Tochter Johanna machte u. a. das Schloss Pau zum Zentrum des französischen Protestantismus. Heinrich wurde am 6. 3. 1554 katholisch getauft. Als Heinrich III. Anführer der hugenottischen Partei in den Hugenottenkriegen. Am 9. 6. 1572 verstarb Johanna v. Albret, aus Heinrich wurde nun Kg. Heinrich III. v. Navarra. – Heirat in 1. Ehe am 24. 8. 1572 in Notre-Dame de Paris mit Margarete v. Valois; als »Pariser Bluthochzeit« bzw. »Bartholomäusnacht« ein denkwürdiges konfessionspolitisches Ereignis. Siehe auch unter Dominicus Baudius. – Sekundärlit.: Ernst Hinrichs, Heinrich IV. 1589–1610, in: Hartmann (Hg.) Französische Könige, 1994, S. 143–170 u. S. 461–464 (Kommentierte Bibliographie/Forschungsbericht); Zincgref, Apophthegmata, 2011, Bd. 2, S. 714ff. b) J. Mom(m)orantius = FranÅois de Montmorency : 2. Hzg. von M.: 17. 6. 1530–6. 5. 1579; Gouverneur von Paris und Marschall von Frankreich. 1556 schlug ihm der Kg. Heinrich II. vor, seine Tochter aus der illegitimen Verbindung mit der Mätresse Filippa Duci, Diane de Valois, zu heiraten; nach Klärung von Dispensproblemen Mai 1557 Heirat; Diana 1572 als Prinzessin v. Frankreich legitimiert. Durch seine gemäßigte Haltung gegenüber den Protestanten zog sich Montmorency die Feindschaft der Guisen zu und entkam nur mit knapper Not dem Massaker der Bartholomäusnacht. Seine Verbindung zum Königshaus rettete ihm zudem 1574 das Leben, als König Karl IX. Mitglieder der sog. Malcontents, einer politischen Gruppierung gemäßigter Protestanten und Katholiken, hinrichten ließ. – Heinrich II., König von Frankreich (1519–1559; reg. 1547–1559, Tod bei Festturnier), aus dem Haus Valois, vermählt mit Katharina von Medici, hatte illegitime Kinder von verschiedenen Mätressen, darunter : Diane de Poitiers. – Diana (1538–1619), von der Mätresse Filippa Duci (Diane de Poitiers), Diana von Frankreich: verheiratet 1) seit 1553 mit Horatio Farnese, 2) seit Mai 1557 mit Franz von Montmorency, Hzg. von Damville (1530–1579). – Sekundärlit.: Rainer Babel, Heinrich II. 1547–1559. In: Hartmann (Hg.),

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Französische Könige, 1994, S. 71–90 u. S. 457f. (Kommentierte Bibliographie). (34) Joachimus a Wisbach = Weisbach, Joachim von Bislang ungeklärt; vgl. dazu A. Vigelius, Praefatio, fol. )?( 5r. Lit.: Texte in: Gruter, Delitiae Poetarum Germanorum, Pars VI, 1612, S. 318–574. Rez.: A. Vigelius, Deliciae, 1624, [Teil II], Nr. XIX, S. 322: »Johannis Friderici II. Ducis Saxoniae, Cum Agnetha Principis Hessorum filia«. – Siehe auch ebd. S. 267–286 Johannes Stigel; ebd. S. 308–315 Jobus Fincelius; ebd. S. 316–321 Mauricius Brandt. Kommentar: Text nicht nach: Gruter, Delitiae, s. o., Pars VI; das Hochzeitsgedicht in neun Distichen stammt aus ein und demselben Einzelband zusammen mit den gekennzeichneten Beiträgen von Stigel (siehe dort), Fincel (s.d.) und Brandt (s.d.); hier : siehe Bibliographie unter Stigelius, 1555, fol. Gr-Gv : ohne Titel allein mit Autorangabe: »IOACHIMI A VVEISBACH. FINIS.« Sachkomm.: siehe unter Johannes Stigel zu b), ba). (35) Ioannes Angelus (Taygetus) = Taygetus (Taigeto), Johannes Angelus (Giovanni Angelo) Bislang ungeklärt; nicht zu verwechseln mit Johannes Antonius Taygetus (Giovanni Antonio Taigeto: siehe Ellinger I, 1929, S. 303f.). Schaffensphase um 1560 (erschlossen). Nach dem Titel eines Distichengedichtes in Aegidius Perianders »Horti tres amoris«, Bd. 1, 1567, fol. b5r (siehe unten), war Ioannes Angelus Taygetus »Iur[is] Cons[ultus] Brixianus«; die Konsultation einer Reihe von Universitätsmatrikeln blieb ohne Resultat. Lit.: Der von A. Vigelius rezipierte Text schon überliefert in: Aegidius Periander (Hg.): »Horti tres amoris AMOENISSIMI PRAESTANTISSIMORVM POETARVM NOSTRI SECVLI flosculis et plantulis, odoriferis iam primum ab AEGIDIO PERIANDRO Bruxel[lensi] Brabant[ino] consiti […]. PARS PRIMA. Hortus Italorum Poetarum«. Frankfurt a.M. 1567, S. 308: »Foeniculum II. IOANNES ANGELVS TAYGETVS. Epithalamion Lucretij Cancriferi Comitis & Thadeae Vermigenae« (München, BSB: P.o.lat. 1134–1, digital); dann auch in: Gruter, Delitiae Italorum Poetarum, Pars altera, 1608, S. 1118f.: unter dem Titel »IO. ANGELI TAYGETI«. Rez.: A. Vigelius, Deliciae, 1624, [Teil II], Nr. XLIII, S. 501: »Lucretii Comitis Cancriferi, Cum Thadea Vermigena«. Kommentar: Text offensichtlich nach: Gruter, Delitiae, s. o., Pars altera, S. 1118f.: »Epithalamium Lucretii Cancriferi Comitis, et Thadeæ Vermi-

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genæ«; möglich auch nach: Periander, Horti tres amoris, Bd. 1, 1567, S. 308. Aegidius Periander, eigentl. Gilles Omma (und weitere Namensformen), wurde um 1540 in Brüssel geboren, war Schüler in Louvain, verließ 1564 seine Heimat und ließ sich nach dreijähriger Wanderschaft in Frankfurt a.M. nieder, wo ihn einflussreiche Gönner förderten; er starb um 1568 vermutlich in Mainz. Sachkomm.: ungeklärt. (36) Joannes Auratus = Auratus (d’Aurat, Dorat, eigentl. Dinemandi), Johannes (Jean) * 3. 4. 1508 le Dorat nahe Limoges; † 1. 11. 1588 Paris. Konfession: altgläubig. Charakterisierung: Klassischer Philologe, Gelehrter, Hochschullehrer, Dichter. Um 1537 Studien an der Pariser Artistenfakultät; 1539 Magister, 1542–1545 Lehrer am CollHge de Chenac; 1544 von dem humanistisch gebildeten Adeligen Lazare de Ba"f als Hauslehrer für seinen Sohn Jean Antoine sowie seinen jungen Sekretär und Verwandten, Pierre de Ronsard, angestellt. Beide Schüler folgten ihm auf das CollHge de Coqueret, dort 1547–1556 Prof. für Griechisch und Latein; 1556–1567 Prof. für Griechisch am CollHge Royal; 1567 von Kg. Karl IX. mit dem Titel »poeta regius« ausgezeichnet. Gehörte zu den Mitgliedern des informellen Dichterbundes La Pl8iade um Ronsard und Joachim Du Bellay. Willem Canter (1542–1575) hat seinem Griechischlehrer an der Pariser Universität eine gr.-lat. Kurzfassung der »Kassandra« in anakreontischen Versen im Anhang der Ausgabe »Lykophronos« (1566) gewidmet: »Epitome Cassandrae Graecolatina«. Seine »Poemata« haben Schüler und Freunde 1586 herausgegeben. Für die zeitgenössische Rezeption in Deutschland ist das in humanistisch-onomastischem Formspiel verfasste, Motive aus Horaz (carm. 3,30) und Ovid (met. 15,871 sqq.) umspielende Distichengedicht »Ad Iohannem Auratum« von Johannes Posthius (in: Gruter, Delitiae Poetarum Germanorum, Pars V, S. 219) bezeichnend: »Splendidius nihil est, nihil est preciosus auro, Cui neque longa dies, nec fera flamma nocet. Ergo, Iane, decus Vatum, et noua gloria Phœbi, Ex auro nomen conuenienter habes: Aurea felici fundis quia carmina vena, Quæ nec edax perdet flamma, nec vlla dies.« (Übersetzung: Nichts besitzt mehr Glanz, mehr Wert hat nichts denn Gold, dem weder lange Frist noch Feuers Brunst kann Eintrag tun.

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Und somit, Ianus, Zierde du der Dichterzunft und neuer Ruhm Apollons, paßt es gut, daß abgeleitet von dem Gold du deinen Namen führst: denn güldne Lieder streust du reich aus reicher Ader, Lieder, die das Feuer nicht in seiner Unersättlichkeit verzehren wird noch je … ein ferner Tag.) Lit.: Texte in: Gruter, Delitiae Poetarum Gallorum, Pars Prima, 1609, S. 264–384: unter dem Titel »IOANNIS AVRATI LEMOVICIS«. Rez.: a) A. Vigelius, Deliciae, 1624 [Teil II], Nr. VI, S. 138–143: »In Nuptias Caroli IX. Galliarum Regis«. b) A. Vigelius, Deliciae, 1624, [Teil II], Nr. VII, S. 144–145: »Henrici Regis Navarrae, Cum Margaretha Valesia«. Sekundärlit.: Christine de Buzon, Jean-Eudes Girot: Colloque Dorat de Limoges, GenHve 2002; Jaumann, Handbuch, 2004, S. 229f.: Art. »Dorat, Jean«. Kommentar: a) Text offensichtlich nach: Gruter, Delitiae, s. o., Prima Pars, S. 333–337: »In Nuptias Caroli IX.« b) Text offensichtlich nach: Gruter, Delitiae, s. o., S. 312–314: »In originem nominis, et Matrimonii Henrici Regis Nauarræ et Margaritæ Valesiæ eius vxoris« (vgl. den vollständigen Gedichttitel bei A. Vigelius). Sachkomm.: a) Karl IX., König von Frankreich: * 27. 6. 1550 Saint-Germain-en-Laye; † 30. 5. 1574 Vincennes; zweiter Sohn von Heinrich II. v. Frankreich und dessen Gemahlin Katharina v. Medici; 1559–1560 Hzg. v. Orl8ans, 1560–1574 Kg. v. Frankreich. In seine Regierungszeit fällt die Bartholomäusnacht (1572). Im Edikt von Amboise (April 1563) gewährte der König den Hugenotten »nichtöffentliche Religionsfreiheit« außerhalb der Städte (und brach darin mit der repressiven Religionspolitik der Vorgänger). – Heirat am 26. 11. 1570 in der Kirche Notre-Dame de M8ziHres mit Ezhzgin. Elisabeth v. Österreich (1554–1592), Tochter Ks. Maximilians II. – Sekundärlit.: Rainer Babel, Karl IX. 1560–1574. In: Hartmann (Hg.), Französische Könige, 1994, S. 99–119 u. S. 459 (Kommentierte Bibliographie). – Siehe auch ebd. S. 143 Stephanus Forcatulus (Ptienne Forcadel). b) Siehe Sachkommentar u. Sekundärlit. unter Joachim Du Bellay zu a) Heinrich III., König v. Navarra, und in 1. Ehe 1572 geheiratete Margarete v. Valois. (37) Johannes Aurelius Augurellus = Augurelli (Augurello, Agorelli), Giovanni Aurelio * 1456 Rimini/Forl&; † 1524 Treviso. Konfession: ›Renaissancekatholizismus‹ (Th. Reiser, S. 55).

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Charakterisierung: Kanoniker ; Alchemist; Dichter. Über seine Jugend ist nichts bekannt. Studium seit 1473 in Rom sowie in Florenz, wo er Marsilio Ficino (1433–1499) zum Freund gewann, zudem Angelo Poliziano (1454–1494); ab 1475 im Umkreis des venetischen Gesandten und Rhetors Bernardo Bembo (1433–1519); dieser legte Augurelli nahe, mit lateinischer Widmungslyrik und petrarkistischen Dichtungen im Volgare sich der Protektion der Medici zu versichern. Nach dem Weggang Bembos von Florenz wechselte Augurelli nach Padua und studierte dort bis 1485 die Rechte, zugleich mit Hingabe die antike Literatur. 1485 trat er als Sekretär in die Dienste seines Freundes Nicolk Franco (1425–1499) und ging mit ihm, dem päpstlichen Nuntius, nach Treviso. Nach dem Tod Francos begab er sich 1500 nach Feltre und kehrte 1503 nach Treviso zurück, wo er als Lehrer für klassische Sprachen tätig war ; 1509 vertrieb ihn der Krieg der Liga von Cambrai nach Venedig; in dieser Zeit revidierte er Dichtungen Bembos und brachte das eigene alchemische Lehrgedicht »Chrysopoeiae libri III« zum Abschluß; sein in Strömungen des Hermetismus sich bewegendes Hauptwerk, letztendlich Papst Leo X. (1475–1521) zugedacht, erschien 1515 in Venedig (Ex. Wolfenbüttel, HAB: A: 37.6 Phys.[1]) und trug seinem Autor nicht nur eine Sinekure in Treviso ein; es erlangte europäische Geltung (siehe auch eine deutsche Übersetzung Valentin Weigels [1533–1588] und eine deutsche Teilübersetzung von Christian Knorr v. Rosenroth [1636–1689]). Scaliger (»Poetik«: lib. VI, cap. IV, S. 303ab; Ausg. 2003, S. 106, 108/107, 109) hat es namentlich aus dem größeren Formenkreis seiner Dichtungen hervorgehoben, aber kritisiert, während sich Lotichius über Augurelli in einem poetischen Billett an Renatus Hener (Schroeter, 1909, S. 83) lobend geäußert hat. Lit.: Texte in: Gruter, Delitiae Italorum Poetarum, Pars (prior), 1608, S. 287–321: unter dem Titel »IO. AVRELII AVGVRELLI«; Texte in: Echtermeyer-Seyffert, Anthologie II/2, 1835. Rez.: A. Vigelius, deliciae, 1624, [Teil I], Nr. V, S. 35f.: »In laudem conjugii & conjugatorum, Epigrammata varia«. Sekundärlit.: Giuseppe Pavanello: Un maestro del Quattrocento – Giovanni Aurelio Augurello. Venedig 1905, hier S. 1–40; Ellinger I, 1929, S. 121–124; G. Pavanello: Art. »Augurello, Giovanni Aurelio«. In: Enciclopedia Italiana, Bd. V. Mailand 1930, S. 836; DBI 4, 1962, S. 578–581 (Robert Weiss); Letteratura italiana, Bd. 1, 1990, S. 138f. (Gabrieela Milan); Malato, Storia, Bd. III, 1996, S. 101, 380, 546; Bd. IV, 1996, S. 531, 534, 602, 603; Thomas Reiser : Mythologie und Alchemie in der Lehrepik des frühen 17. Jahrhunderts. Die »Chryseidos Libri III« des Straßburger Dichterarztes Johannes Nicolaus Furichius (1602–1633). Berlin, Boston 2011 (Frühe Neuzeit, 148; Online-Ausgabe), S. 51–56: »Die ›Chryseis‹ im Vergleich mit

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der ›Chrysopoeia‹ des Augurelli«. Kommentar: Text nicht nach Gruter, Delitiae, s. o., Pars (prior). (38) Johannes Himelius = Himmelius (eigentl. Himmel), Johannes Geb.: 27. 12. 1581 Stolpe/Pommern; gest.: 31. 3. 1642 Jena. Konfession: orthodox-lutherisch. Charakterisierung: Theologe; Verfasser dogmatischer und polemischer Schriften. Sohn des Enoch Himmelius; studierte ab 1601 an den Universitäten Wittenberg, Jena und Gießen; anschließend peregrinatio academica durch Süddeutschland, die Schweiz, das Elsaß und die Pfalz; Rektor in Durlach; als Gymnasialprofessor und Prediger in Speyer. 1615 Promotion zum Dr. theol. in Gießen, 1617 bis zum Lebensende Professor der Theologie an der Universität Jena; dort mehrfach ab WS 1619/20 Rektor/Prorektor der Universität (wie Johannes Stigel ab SS 1552; Nicolaus Reusner ab SS 1592; Johann Maior ab WS 1613/14; Johann Gerhard ab WS 1617/18). Gehörte mit Johann Maior (1564–1654) und Johann Gerhard (1582–1637) zu den drei führenden orthodox-lutherischen Theologen der Universität Jena: das »Johanneische Dreigespann«. Lit.: Nachgewiesen ein Gedichtbeitrag zu der Gelegenheitsschrift ›Hochzeit‹: »Acclamationes Votivae In Nuptias secundas Viri … Josephi Avenarii Jcti Eximii, Aulae Electoralis Saxonici Consiliarii, & Consistorii supremi Eccles. Adsessoris … Ut Et … Annae Dorotheae … Christiani Gorlicii Patricii Hallensis … relictae Filiae«, Dresden 21. 4. 1618, Druck: Jena (Johann Weidner) 1618, hier fol. A2v (4 Bl., 48: Ex. Zwickau, Ratsschulbibliothek: 48.4.12[69], unvollständig erhalten). – VD17 125:018584E. Zahlreiche Stammbucheinträge zwischen 1617 und 1635 mit Eintragungsort Jena: siehe Stammbuchdatenbank RAA (W. W. Schnabel). – Als Universitätsrektor 1637 Leichenprogramm der Universität für Johann Gerhard. Rez.: A. Vigelius, Deliciae, 1624, [Teil I], Nr. VI, S. 40–46: »Nuptiae protoplastorum in paradiso, secundo decantatae« = »Eadem [Epigramma] Sacra Nuptialia Primorum Parentvm In Paradiso celebrata«. – Siehe auch ebd. S. 37–39 Sebastian Artomedes; ebd. S. 39 Albert Friedrich Mellemann. Sekundärlit.: ADB 12, 1880, S. 436f. (Heinrich Heppe); Friedrich Stier : Lebensskizzen der Dozenten und Professoren der Universität Jena 1548/ 49–1958. 4 Bde. Jena 1960; Thomas Pester (Uni-Archiv Jena): Die Rektoren und Prorektoren der Universität Jena 1548/49–2008 (Internet); Wolfgang Sommer : Politik, Theologie und Frömmigkeit im Luthertum der Frühen

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Neuzeit. Göttingen 1999 (Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte, 74), S. 141. Kommentar: Text nicht nach: Gruter, Delitiae Poetarum Germanorum, 1612. (39) Johannes Major = Major (auch: Maior), Johannes * 2. 1. 1533 Joachimsthal/Böhmen; † 1600 Zerbst/Anhalt. Konfession: philippistisch, reformiert. Charakterisierung: Professor der Poetik; neulateinischer Dichter. Schulbesuch in der Heimatstadt; als Mentor und Freund traten ihm Johannes Mathesius, der Lutherbiograph, und Johannes Gigas (eigentl. Heune oder Hühne), Mitglied des »älteren Wittenberger Dichterkreises« (Ellinger, S. 114f.), zur Seite; seit 1549 Studium in Wittenberg; Leipzig; wieder Wittenberg, Magistertitel 1556; »glühender Verehrer Melanchthons«, zog deswegen die Feindschaft der orthodoxen Lutheraner auf sich; in diesen Jahren lernte er Johannes Stigelius (siehe dort) kennen; Beginn der poetischen, satirisch-allegorischen Auseinandersetzungen mit Flacius Illyricus und den Flacianern, etwa 1556 im »Idyllion de Philomela«, in dem Melanchthon-Huldigung (Nachtigall-Gesang) und Flacius-Invektive (Kuckuck-Rufe) sich wechselseitig bedingen. 1560 Professor für Poesie und Poetik in Wittenberg, Mitglied des »jüngeren Wittenberger Dichterkreises« (Ellinger, S. 121ff.); hielt hier über zehn Jahre lang die jährliche Gedächtnisrede auf Melanchthon. Mit dem Sturz der Philippisten in Kursachsen 1574 geriet auch Maior in Wittenberg unmittelbar nach dem Tod Christians I. (1591), des den Calvinismus fördernden Territorialfürsten, in Gefahr ; unter dem Vorwurf des Kryptocalvinismus 1591–1593 Kerkerhaft; Vertreibung aus den sächsischen Kurlanden; seit 1595 als Freund des Zerbster Superintendenten Wolfgang Amling im Zerbster ›Asyl‹, in dem 1582 schon Gregor Bersmann (siehe dort), ein anderer Gegner der lutherischen Konkordienformel, Zuflucht gefunden hatte: Funktion der »philippistischen Gesinnungsgemeinschaft« (Ludwig, 2007, S. 452). Lit.: Texte in: Gruter, Delitiae Poetarum Germanorum, Pars IV, 1612, S. 2–244 unter dem Titel »IOANNIS MAIORIS IOACHIMICI«; »Idyllion de Philomela«: Teildruck mit Übersetzung in: Humanistische Lyrik, 1997, S. 142–145; Stammbucheinträge ohne Datum in die Alben von Abraham und David Ulrich sowie von Georg Vogtherr. Rez.: A. Vigelius, Deliciae, 1624, [Teil I], Nr. V, S. 28: »In laudem conjugii & conjugatorum, Epigrammata varia«. – Siehe auch ebd. S. 25 Gregor Bersmann; ebd. S. 25 Henricus Porsius; ebd. S. 35f. Johannes Aurelius Augurellus. Sekundärlit.: Goedeke, Grundrisz, 1884, S. 99f.; Ellinger II, 1929, S,

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120–126; Klein, Der Kampf, 1962, S. 73, 123, 147f.; Wilhelm Kühlmann: Lyrik als Waffe. Zum literarischen Profil des Kryptocalvinismus in Kursachsen. Der »Poet« Johannes Major : 1533–1600 (1992). In: ders., Vom Humanismus, 2006, S. 256–264; Humanistische Lyrik, 1997, 1271f. (Biogramm), S. 1272ff. (Forschung); Ludwig, in: Daphnis 36 (2007), S. 381–461, hier S. 397, 400; Killy/Kühlmann 7, 2010, S. 630–632 (Heinz Scheible); RAA: 1549_ulrich/34 bzw. 1580_vogtherr/1. Kommentar: Text nicht nach: Gruter, Delitiae, s. o., Pars IV; auch nicht in: Maior, »LIBER POEMAtum, iam primFm aeditus«, Wittenberg 1576. (Eingesehenes Ex. Wolfenbüttel, HAB: A: 127.1 Poet.[1]) (40) Johannes Posthius = Posthius (eigentl. Posth), Johannes * 15. 10. 1537 Germersheim (Pfalz); † 24. 6. 1597 Mosbach. Konfession: altgläubig, calvinistisch. Charakterisierung: Arzt; neulateinischer Dichter. Sohn eines begüterten Germersheimer Bürgers; am 1. 5. 1554 an der Universität Heidelberg eingeschrieben, Herbst 1555 Aufnahme in das von Kfst. Friedrich II. für bedürftige Studenten gegründete Sapienzkollegium; 1556 Baccalaureus, 1558 Magister ; ab 1560 mehrjährige Lehrtätigkeit am Heidelberger Pädagogium; 1563–68 peregrinatio nach Italien (Mailand, Padua, Venedig, Bologna, Florenz, Siena) und Frankreich (Montpelllier, Valence, Paris); am 4. 10. 1565 Immatrikulation in Montpellier für Medizin, 1567 in Valence Promotion zum Dr. med. Ärztliche Tätigkeit in Antwerpen, Feldarzt im Heer Hzg. Albas; 1569 Leibarzt des Würzburger Fstbf. sowie hier 1582 Stadtarzt. »Wohl aus konfessionellen Gründen« Wechsel 1585 in die Stellung eines leitenden Arztes am kurpfälzischen Hof zu Heidelberg. Intensivierung der Kontakte mit Paul Schede Melissus (siehe dort). Wegen einer Pestepidemie 1596 in Heidelberg Flucht nach Mosbach. Als Lotichius-Schüler einer der bedeutendsten neulateinischen Dichter des Späthumanismus. Seine »Parerga poetica« von 1580 zeigen erste Einflüsse der niederländischen und französischen Dichtung der Spätrenaissance (u. a. Baudius, siehe dort), ihren Rahmen bildet weitgehend die Kasualpoesie; unter den Csualcarmina befinden sich 11 Epithalamia zur Hochzeit des Pfgf. und Kfst. Friedrichs IV. (1574–1610) und Luisa Juliana, Fstin. v. Uranien/Oranien und Gfin. v. Nassau (1576–1644) und Tochter Prinz Wilhelms I. v. Oranien-Nassau, am 13. 6. 1593 in Dillenburg; enthalten in dem von Paulus Schede Melissus publizierten Bändchen »Emmetron«, siehe Melissus, Emmetron, 1593. Lit.: »Parerga Poetica«, Würzburg 1580, erw. Heidelberg 1595; »Iohanis Postii Archiatri Palatini EPIGRAMMATA« in: Melissus, Emmetron, 1593, Bl. 13–15; Texte in: Gruter, Delitiae Poetarum Germanorum, Pars V, 1612,

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S. 122–344 (statt 244), bspw. in der Abt. »ELEGIACA« S. 171f. »In Nuptias Georgii Michaelis Lingelshemii«, in der Abt. »SILVÆ« S. 227f. »Christiano Egenolpho P.L.«, S. 285 »D. Friderico IV. El. Pal.«, S. 286 »Ad Fridericum IV. Electorum Pal.«: unter dem Titel »IOANNIS POSTHII PALATINI«; Texte in: Echtermeyer-Seyffert, Anthologie I, 1834; siehe: Parnassus Palatinus, 1989, S. 71–79: Texte mit Übersetzung; Humanistische Lyrik, 1997, S. 708–750: Textauswahl mit Übersetzungen; zahlreiche Stammbucheinträge: siehe Stammbuchdatenbank RAA (W.W. Schnabel). – Die seinem Gedenken gewidmete Epicedien-Sammlung »Posthvma Pietas: Hoc est, Carmina Epitaphia« wurde erst 1618 vom einzigen Sohn Erasmus Posthius publiziert: sie enthält Epicedien-Beiträge u. a. von Paulus Schede Melissus (siehe dort), Janus Gruter (s.d.), Gregor Bersmann (s.d.) und Heinrich Petraeus (s.d.), während Melchior Adam (ebd., S. 3–5) und J. W. Zincgref (ebd., S. 5, siehe Anhang 3a und 3b: Text und Übersetzung) Enkomia zum Oktavdruck beisteuerten. Rez.: A. Vigelius, Deliciae, 1624, [Teil II], Nr. XII, S. 206–209: »Friderici IV. Cum Loysa Juliana Uraniae Principe«, hier : epithalamische »Epigrammata« für die Hochzeit am 13. 6. 1593 (alten Stils). – Siehe für die weiteren epithalamischen Texte unter Paul Schede Melissus (Pindarische Ode in 7 Gliedern), Marquard Freher (11 Epigrammata) und Janus Gruter (7 Epigrammata) sowie Nicolaus Reusner. Die Abfolge der 11 Epithalamia des Posthius hat A. Vigelius in den »Deliciae«, S. 206–209: Nr. XII beibehalten. Sekundärlit.: Goedeke, Grundrisz, 1884, S. 105; Schroeter, Beiträge, 1909, S. 253–266; Ellinger II, 1929, S. 396f. und III, 1933, S. 292ff.; Trunz, Deutsche Literatur (1931, 1932, 1938), 1995, S. 20f. u. ö. s.v. Register ; Killy 9, 1991, S. 219 (Hermann Wiegand); Humanistische Lyrik, 1997, S. 1365f. (Biogramm), S. 1367f. (Forschung); Karrer, Posthius, 1993, S. 107f., speziell: Werkverzeichnis 1593/1 zu den 11 Epigrammata Posthius’, S. 531f.; Jaumann, Handbuch, 2004, S. 535f.; Killy/Kühlmann 9, 2010, S. 309–311 (H. Wiegand); Hartmann/Kühlmann, Heidelberg, 2012, S. 151ff. u. ö. s.v. Register. Kommentar: Texte nicht nach: Gruter, Delitiae, s. o., Pars V; womöglich nach: »Iohanis Postii Archiatri Palatini Epigrammata. I–XI«, in: Melissus, Emmetron, 1593, S. 13–15. (Ex. Freiburg, UB: D 8152) Sachkomm.: siehe unter Janus Gruter zu b). (41) J. R. L. T. = ? Bislang ungeklärt; vgl. dazu A. Vigelius, Praefatio, fol. )?( 5r. Rez.: A. Vigelius, Deliciae, 1624, [Teil I], Nr. V, S. 26f.: »In laudem

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conjugii & conjugatorum, Epigrammata varia« – hier : »Aliud Ejusdem Adhuc Argumenti In Misogamos«; das »Aliud« bezieht sich auf das vorhergehende »Epigramma« des P. Costalis: »De Monasterio Inclusis«. Kommentar: Herkunft des Textes nicht geklärt. (42) Johannes Schosserus (d.Ä.) = Schosserus, genannt Aemilianus Turingus, Johannes * 11. 10. 1534 Amalienruh/Thüringen oder Emleben b. Gotha; † 3. 7. 1585 Frankfurt/O.; nach seinem Geburtsland »Thuringus«, nach seinem Geburtsort »Aemilianus« genannt. Konfession: protestantisch-lutherisch, Melanchthon nahestehend. Charakterisierung: Doktor der Rechte; Rhetorik-Professor ; neulateinischer Dichter. Geboren als Sohn des ersten evangelischen Pfarrers in Gotha Friedrich Schösser († 1563); Besuch der Gothaer Schule bis 1554; fünfjähriges Studium in Königsberg, wo er den entscheidenden Einfluß G. Sabinus’ erfuhr ; Lehrtätigkeit in Schmalkalden; Magister 1559 in Wittenberg; 1560 Professor der Rhetorik in Frankfurt/O.; blieb mit dem Wittenberger Poetenkreis in Kontakt, insbesondere aber mit seinem Lehrer Georg Sabinus (siehe dort), dessen Nachfolger er auf der Frankfurter Professur geworden war. 1585 erschienen seine Werke in einer Sammlung von 11 Büchern; darin auch die Februar 1560 verfasste Elegie zur Hochzeit des Hzg. Julius v. Braunschweig (siehe »Poemata«, 1585, Bl. E5v-Fv = Elegiae II.11): »De coniugio illustrissimi Principis Iulii, Ducis Brunsuicensis, et serenissimae Dominae Hedwigis, filiae Electoris Brandeburgici Ioachimi II.« In die Beschreibung des in Berlin stattfindenden Festgeschehens mit Turnierstechen der männlichen Hochzeitsgäste ist zum Lobe der ruhmreichen Vorfahren des Bräutigams die Geschichte der Kämpfe Welfs VI. gegen Ks. Konrad III. eingeflochten (Mundt, S. 449f.), einschließlich der Schilderung des Falls der welfischen Burg Weinsberg b. Heilbronn 1140 (›Historie der Weiber von Weinsberg‹). Lit.: »Marchias« (»Die Mark«), Frankfurt/O. 1562; »Po[matum … libri XI … Francofordiae ad Viadrum 1585« (Ex. Wolfenbüttel, HAB: A:122.19 Poet.); Texte in: Gruter, Delitiae Poetarum Germanorum, Pars VI, 1612, S. 1–34: : unter dem Titel »IOANNIS SCHOSSERI THVRINGI«, bspw. S. 33: »Epitaphium Melanthonis«; Texte in: Echtermeyer-Seyffert, Anthologie I, 1834. Rez.: a) A. Vigelius, Deliciae, 1624, [Teil I], Nr. V, S. 23f.: »In laudem conjugii & conjugatorum, Epigrammata varia«;

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b) ebd., [Teil II], Nr. XXII, S. 357–363: »Julii Brunsuicensis Ducis, Cum Hedvviga Elect. Joachimi II. Brandenb. filia« (Elegie). Sekundärlit.: Goedeke, Grundrisz, 1884, S. 110; Ellinger II, 1929, S. 290–292; Killy 10, 1991, S. 374f. (Reinhard Düchting); Marchia Resurge, 1992, S. 11–16 (U. Greiff) sowie Katalog-Nr. 1; Karrer, Posthius, 1993, S. 42; Mundt, in: Daphnis 32 (2003), H. 3–4, S. 435–490., hier S. 449f.; Killy/Kühlmann 10, 2011, S. 568f. (R. Düchting). Kommentar: a) Texte nicht nach: Gruter, Delitiae, s. o., Pars VI; b) Text offensichtlich nach: Gruter, s. o., Pars VI, S. 12–19: »In nuptias Iulii, Ducis Brunsuicensis«. Sachkomm.: b) Julius, Hzg. zu Braunschweig und Lüneburg, Fürst v. Braunschweig-Wolfenbüttel: * 29. 6. 1528 Wolfenbüttel; † 3. 5. 1589 ebd.; reg. von 1568 bis 1589; dritter Sohn Hzg. Heinrichs II. d.J., des einzig verbliebenen norddeutschen Fürsten als Verteidiger des Katholizismus. Julius war für die geistliche Laufbahn bestimmt; Studium in Köln, dann in Löwen; ab 1550 bereiste er Frankreich und kaufte hier zufällig einige Ritterromane, die später den Grundstock für die berühmte Wolfenbütteler Bibliothek bilden sollten. Da seine beiden älteren Brüder in der Schlacht bei Sievershausen (1553) fielen, wurde Julius zum Mißfallen seines Vaters Thronfolger. Zwei Monate nach Regierungsantritt Einführung der Reformation (die Kirchenordnung nach württembergischem Vorbild); 1577 Unterzeichnung der Konkordienformel. Reform der Verwaltung und des Wirtschaftswesens (Industrieförderung) wie auch der Waffenproduktion; 1576 Gründung der Universität Helmstedt (Alma Julia) als Landesuniversität, Wertschätzung der französischen Kultur. Julius hinterließ ein geordnetes und finanziell gesundes Fürstentum. – Protestantische Heirat am 25. 2. 1560 in Cölln an der Spree mit Hedwig v. Brandenburg. – Hedwig v. Brandenburg, Mgfin. v. Brandenburg und, durch Heirat, Hzgin. v. Braunschweig-Wolfenbüttel: * 1540 Cölln, † 1602 Wolfenbüttel; Tochter des Kfst. Joachim II. v. Brandenburg (1505–1571) und aus dessen 2. Ehe mit Hedwig (1513–1573), Tochter von Kg. Sigismund I. v. Polen. – Sekundärlit.: ADB 14, 1881, S. 663–670 (Paul Zimmermann); NDB 10, 1974, S. 654f. (Hans-Joachim Kraschewski); Walter Ziegler : Braunschweig-Lüneburg. Hildesheim. In: Schindling/Ziegler (Hg.), Territorien, Bd. 3, 1991, S. 8–43. (43) Johannes Stigelius = Stigelius (eigentl. Stigel), Johannes Gothanus * 13. 5. 1515 Gotha, daher der Beiname; † 11. 2. 1562 Jena. Konfession: protestantisch (Melanchthonischer Orientierung). Charakterisierung: Akademischer Lehrer; Professor der Poesie, neulateinischer Dichter. Sohn eines Schulmeisters; Gothaer Lateinschule; Studium in Leipzig und

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seit 1531 an der Universität Wittenberg, dort 1542 Erwerb des Magistergrades; Anschluss an Melanchthon, der von ihm ebenso wie im Kreis der befreundeten Poeten (Eobanus Hessus, Sabinus, Fabricius) »als Leitgestalt des humanistischen Kulturprogramms gefeiert« wurde. Neben den altsprachl. Fächern auch Studien in Astronomie, Physik und Medizin. Reisen im Gefolge des kursächsischen Kanzlers Franz Burckhardt (zum Schmalkaldener Konvent 1537; nach England 1539, um Anna von Kleve, die Schwägerin Hzg. Johann Friedrichs v. Sachsen, zur Hochzeit mit Heinrich VIII. v. England zu begleiten). Auf dem Regensburger Reichstag 1541 von Ks. Karl V. zum Poeta Laureatus gekrönt. Seit 1543 Professor für Poesie in Wittenberg; nach der Niederlage Kursachsens im Schmalkaldischen Krieg jedoch 1547 Wechsel an die neu gegründete ernestinische Universität Jena; während dieser Zeit, am 11. 4. 1551, ein Eintrag mit Ps. 34,8–20 in das Stammbuch von Abraham und David Ulrich. In der Auseinandersetzung mit den Gnesiolutheranern unter Führung des Flacius Illyricus vertrat er, auch mit den Mitteln der Poesie und Publizistik und in Übereinstimmung mit Johannes Major (siehe dort), die Anschauungen Melanchthons. Mit Georg Sabinus (siehe dort) und anfänglich Simon Lemnius bildete er »den Kern des sog. älteren Wittenberger Dichterkreises«. Bereits Scaliger (»Poetik«: lib. VI, cap. IV, S. 308a; Ausg. 2003, S. 144/145) hat Stigelius zusammen etwa mit Georg Aemilius (eigentl. Oemler, 1517–1569) im Umkreis Melanchthons angesiedelt. Ein erheblicher Teil seiner Dichtungen wurde von Hiob Fincelius (siehe dort) und Adam Siber (siehe dort) gesammelt und herausgegeben. Fincelius hielt auch die Leichenrede auf ihn: »De vita et obitu clarissimi et praestantissimi poetae Johannis Stigelii habita in Academia Jenensi« (gedr. Jena 1563). Lit.: Texte in: Gruter, Delitiae Poetarum Germanorum, Pars VI, 1612, S. 318–574: unter dem Titel »IOANNIS STIGELII GOTHANI«; Texte in: Echtermeyer-Seyffert, Anthologie I, 1834 – II/1, 1834; Humanistische Lyrik, 1997, S. 571–605: Textwiedergabe mit Übersetzungen. Rez.: a) A. Vigelius, Deliciae, 1624, [Teil II], Nr. III, S. 99–121: »Henrici VIII. Angli[ae] & Franciae Regis, Cum Anna Juliacensi«. b) A. Vigelius, Deliciae, 1624, [Teil II], Nr. XIX, S. 267–286: »Johannis Friderici II. Ducis Saxoniae, Cum Agnetha [Agna] Principis Hessorum filia«; ba’) A. Vigelius, ebd., Nr. XIX, S. 306–307: »Ad Illustrissimam Principem Dominam Agnam, Sponsam«; ba’’) A. Vigelius, ebd., Nr XIX, S. 307–308: »Ad eandem«. c) A. Vigelius, ebd., Nr. XIX, S. 287–306: »In Secundas Nuptias Ejusdem«.

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d) A. Vigelius, ebd., Nr. XX, S. 345–350: »Johannis Wilhelmi Ducis Saxoniae, Cum Dorothea Palatina«. Sekundärlit.: Goedeke, Grundrisz, 1884, S. 94f.; Schroeter, Beiträge, 1909, S. 152–164; Ellinger II, 1929, S. 75–94; Trunz, Deutsche Literatur (1932), 1995, S. 123; Killy 11, 1991, S. 205f. (Reinhard Düchting); BBKL 10, 1995, Sp. 1463 (Thomas K. Kuhn); Humanistische Lyrik, 1997, S. 1286f. (Biogramm), S. 1287f. (Forschung); Stefan Rhein: Johannes Stigelius. Dichtung im Umkreis Melanchthons. In: Scheible (Hg.), Melanchthon, 1997, S. 31–48; Bärbel Schäfer, Johann Stigels antirömische Epigramme. In: ebd., S. 51–68; Killy/Kühlmann 11, 2011, S. 273f. (R. Düchting/W. Kühlmann); RAA: 1549_ulrich/249. Kommentar: a) Text nicht nach: Gruter, Delitiae, s. o., Pars VI; auch nicht enthalten in: Iobus Fincelius (Hrsg.): POEMATVM IOANNIS STIGELII LIBER I. [-] LIBER IX. IENÆ 1569–1572, hier : Liber Octavus. Continens Epithalamia. b) Text nicht nach: Gruter, Delitiae, s. o., Pars VI; das Hochzeitsgedicht stammt offensichtlich aus ein und demselben Einzelband mit den gekennzeichneten Beiträgen von Stigel, Fincel, Brandt und Weisbach; hier : siehe Bibliographie unter Stigelius, 1555, fol. Aiijv-Dijv ; weitere Epigrammata von Stigelius in diesem Einzelband sind Distichengedichte auf die ritterlichen Kampfspiele anlässlich der Hochzeitsfeierlichkeiten; das Epithalamium ist in der Fincelius-Ausgabe des Stigelius, Buch VIII, fol. A5v – B7r enthalten; ba’) Text nicht nach: Gruter, s. o., Pars VI; das panegyrische Gedicht im o.g. Einzeldruck, 1555, fol. Diijr-Diiijr : »AD ILLVSTRISSIMAM Principem Dominam Agnam, sponsam« (15 Distichen); ba’’) Text nicht nach: Gruter, s. o., Pars VI; das Gedicht im o.g. Einzeldruck, 1555, fol. Diiijr : »AD EANDEM.« c) Text wohl nach: Gruter, Delitiae, s. o., Pars VI, S. 330–347 unter dem Kolumnentitel »STIGELII EPITHALAMIVM«: »Nuptiis Ioan. Frid. II. Duc.Sax. et Elisabethæ, filiæ Friderici, Comitis Palatini ad Rhenum«; in der Fincelius-Ausgabe, Buch VIII, fol. B7r – C8v unter dem Titel: »ALIVD EPITHALAMIVM Scriptum in honorem Nuptiarum secundarum …« enthalten; d) Text wohl nach: Gruter, siehe unter Petrus Lotichius Secundus. Sachkomm.: a) Heinrich VIII., König v. England und Irland: * 28. 6. 1491, † 28. 1. 1547; reg. 1509–1547; aus dem Hause Tudor. – Heirat in 4. Ehe am 6. 1. 1540 (Auflösung der Ehe im Juli 1540) mit Anna v. Cleve (Jülich – Kleve – Berg; 1515–1557), deren Vater Johann III. († 1539), Hzg. v. Cleve und Geldern, aufgrund verwandtschaftlicher Beziehungen eine gewisse Affinität zum Luthertum hatte. Stigelius begleitete Anna 1539 nach England zu

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den Hochzeitsfeierlichkeiten. – Sekundärlit.: Michael Erbe, Heinrich VIII. 1509–1547, in: Wende (Hg.), Englische Könige, 2008, S. 30–46 u. S. 370f. (Kommentierte Bibliographie). b) Johannes Friedrich II., Hzg. v. Sachsen: * 8. 1. 1529 Torgau; † 9. 5. 1595 (während der Haft auf Schloss Steyr/Oberösterreich); Fürst aus der ernestinischen Linie der Wettiner ; ältester Sohn des sächsischen Kfst. Johann Friedrich I. des Großmütigen (1503–1554) aus dessen Ehe mit Sibylle (1512–1554), Tochter Hzg. Johanns III. v. Jülich-Kleve-Berg; wurde nach dem testamentarischen Willen seines Vaters und im Einvernehmen mit seinen Brüdern alleiniger Regent der ernestinischen Besitzungen; Residenz: Gotha. – ba) Heirat in 1. Ehe am 26. 5. 1555 in Weimar mit Agnes (1527–1555), Tochter des Lgf. Philipp I. v. Hessen und Witwe des Kfst. Moritz v. Sachsen, Tod im selben Jahr am Fieber. bc) Heirat in 2. Ehe am 12. 6. 1558 in Weimar mit Elisabeth (1540–1594), Tochter des Kfst. Friedrich III. v. d. Pfalz (Prinzessin v. Pfalz-Simmern). – Sekundärlit.: NDB 10, 1974, S. 530 (Thomas Klein); Zincgref, Apophthegmata, 2011, Bd. 2, S. 704. d) Sachkomm. und Sekundärlit.: siehe unter Petrus Lotichius Secundus. (44) Johannes Theophilus = gemeint Theopoldus, Johannes * 27. 7. 1563 Hilpertshausen/Franken; † 15. 4. 1626 Zerbst. Konfession: philippistisch, reformiert. Charakterisierung: Theologe; Lehrer ; neulateinischer Dichter. Studium in Wittenberg; wegen seiner philippistischen Orientierung von dort vertrieben; von 1587 bis 1596 als Prorektor des Gymnasiums für die Lateinschule in Zerbst verantwortlich; 1597 Diakon an St. Bartholomäi; 1599 Superintendent in Amesdorf; 1608 Pastor an St. Nikolai und Superintendent in Zerbst; sollte 1608 bzw. 1611 Wolfgang Amlings Nachfolger als Professor der Theologie und Zerbster Superintendent werden; ihm stand hier als Kon- und Prorektor des Gymnasiums bzw. als Rektor der St. Johannisschule die oberste der acht regulären Klassen, die Prima, zu (Ludwig, 2007, S. 384). Ein Eintrag im Album Amicorum des Zerbster Gymnasiallehrers Martin Zeel vom 6. 7. 1592 belegt den antilutheranischen Affekt und den Willen zur Auseinandersetzung mit dem Gnesiolutheraner Flacius Illyricus. Auch Theopoldus erweist sich als eingebettet in die »philippistische Gesinnungsgemeinschaft« im anhaltinischen Zerbst, die in ›verdeckender Schreibweise‹ ebenso bei Wittenberger Einträgern ins Stammbuch M. Zeels gegeben scheint. Theopold, der Vierte der Superintendenten aus Franken, die in Zerbst zur höchsten kirchlichen Würde emporstiegen, »war ein guter Kenner der lateinischen und griechischen

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Sprache«. (Zum Sohn Konrad Theopold, reformierter Pfarrer und später Hofprediger, * 1600 in Amesdorf und gestorben 1651 in Bernburg, siehe H. Graf; zum Sohn Abraham Theopold, reformierter Pfarrer, * 1592 Zerbst und † 1657 Blomberg/Lippe, siehe BBKL 19, 2001, Sp. 1373–1375 [Erich Wenneker]). Lit.: Texte in: Gruter, Delitiae Poetarum Germanorum, Pars VI, 1612, S. 674–689: unter dem Titel IOANNIS THEOPOLDI«, bspw. »Parentatio, Ioachimi Ernesti Principis Anhaltini«; »In Nuptias Iani Gruteri cum Ioanna Smetia«. Rez.: A. Vigelius, Deliciae, 1624, [Teil II], Nr. LI, S. 584–587: »Caroli / Zerotin«. Sekundärlit.: Hermann Graf: Die Zerbster Geistlichen seit der Reformation. In: Zerbster Jahrbuch 14 (1929), S. 47; Graf, Anhaltisches Pfarrerbuch, 1996, S. 445; Castan, Hochschulwesen, 1999, S. 180; Ludwig, in: Daphnis 36 (2007), S. 384, S. 409f. Kommentar: Text nicht nach: Gruter, Delitiae, s. o., Pars VI. Sachkomm.: Zierotin, Karl von (Carolus / Zerotin d.Ä.; tschech.: Karel starsˇi ze Zˇerotina): * 15. 9. 1564 Brandeis/Böhmen (Brandy´s nad Orlici); † 9. 10. 1636 Breslau, wohin er sich politisch resigniert 1629 zurückgezogen hatte. Besuch der Schule der Böhmischen Brüder-Unität in Eibenschitz; danach Studien an der Akademie in Straßburg und an den Universitäten Basel und Genf; im »calvinistischen Rom« Schüler Theodor Bezas; die peregrinatio academica führte ihn nach Frankreich (1585 persönlicher Empfang bei Heinrich, dem späteren Kg. v. Frankreich), in die Kurpfalz und über Heidelberg in die Niederlande und nach England an den Hof der Königin Elisabeth I. sowie nach Italien. In dieser Zeit zwischen 1578 und 1587 erwarb er breiteste Kenntnisse in Recht und Theologie, nachhaltig wirksame Einsichten in Politik und Religion. Nach dem Ende der Vormundschaft 1588 Übernahme der väterlichen Güter ; 1591–1592 Parteinahme für die Hugenotten und Kg. Heinrich IV. von Frankreich; Teilnahme in kaiserlichen Diensten am Türkenkrieg (Belagerung der Festung Gran); 1594 durch Schreiben Ks. Rudolfs II. Mitglied des obersten Gerichts Mährens, gleichzeitig Protektor der mährichen Brüder-Unität; er entwickelte sich zum Führer jener großen Gruppe innerhalb der mährischen Stände, die für die Erhaltung der Landesfreiheiten und der Religionsfreiheit eintrat; im habsburgischen Bruderzwist 1607 nahm er für Ehzg. Mathias Partei. 1608 bis März 1615 Landeshauptmann von Mähren, dabei engagiertes Eintreten für die Glaubensfreiheit der mährischen Protestanten; nach 1620 Unterstützung der Opfer der Rekatholisierung in Böhmen. – 4 Ehen: 1. Ehe 1589 mit Barbara Kraigirˇ auf Jungbunzlau († 1591). – 2. Ehe 1596 mit

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Elisabeth Kraigirˇ († 1600). – 3. Ehe 1604 mit Katherina Anna, Tochter Wilhelms v. Waldstein auf Hermanitz († 1605). – 4. Ehe 1614 mit Katharina von Waldstein († 1637). – Sekundärlit.: v. Wurzbach, Lexikon, Bd. 60, 1891, S. 87–91, Nr. 37; ADB 45, 1900, S. 208–212; Gustav Korkisch: Karl von Zˇerot&n. In: Lebensbilder zur Geschichte der böhmischen Länder 1. München, Wien 1974, S. 63–95 (mit ausgewählten Quellen- und Literaturhinweisen). (45) Julius Guilielmus Zingrefius = Zincgref, Julius Wilhelm * 3. 6. 1591 Heidelberg; † 12. 11. 1635 St. Goar (Pesttod). Konfession: reformiert, calvinistisch. Charakterisierung: Jurist, Dr. utr. iuris; neulateinischer und deutschsprachiger Dichter, politischer Publizist und Satiriker, Emblematiker und Apophthegmatiker. Rez.: A. Vigelius, Deliciae, 1624, [Teil II], Nr. XXXVII, S. 475f.: »Joh. Philippi Comitis in Leiningen, Cum Elisabetha Comitissa Hartenburg«. Sekundärlit.: siehe im I. Kapitel; ergänzend: Julius Wilhelm Zincgref und der Heidelberger Späthumanismus. Zur Blüte- und Kampfzeit der calvinistischen Kurpfalz. Hg. von Wilhelm Kühlmann in Verb. mit Hermann Wiegand. Ubstadt-Weiher u. a. 2011; Hartmann/Kühlmann, Heidelberg, 2012, S. 159ff. u. ö. s.v. Register. Kommentar: Der Weg des Epithalamiums in die Anthologie ist bislang nicht geklärt. Sachkomm.: siehe im I. Kapitel. (46) Justus Vultejus = Vultejus (eigentl. Will), Justus * 1529 Wetter/Hessen; † 31. 3. 1575 Marburg. Konfession: protestantisch-reformiert. Charakterisierung: Philologe; Lehrer ; Professor ; Gelegenheitsdichter. 1544 Beginn des Studiums in Marburg, dort Erwerb des Baccalaureats; es folgen Immatrikulationen an der Akademie zu Straßburg (Hörer Martin Bucers), den Universitäten in Leipzig und Wittenberg (Hörer Melanchthons), in Basel (Hörer des Oswald Myconius) und Genf (Johannes Calvins); Rektor der Lateinschule in Wetter ; ab 1560 am Pädagogium in Marburg, 1572 Professor des Hebräischen an der Universität Marburg; fungiert in dieser Zeit auch als Pädagogarch am Pädagogium in Marburg (Gundlach, 1930, S. 132); Kasualdichtungen. Dem rezeptionsgeschichtlich unbekannt gebliebenen Gelegenheitsdichter widmete kein Geringerer als Scaliger (»Poetik«: lib. VI, cap. IV, S. 305a; Ausg. 2003, S. 120/121) einen beachtenswerten Absatz, auch wenn er ihn darin kritisiert.

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Lit.: Lateinische Übersetzung der »Varia historia« des Aelianus (Basel 1543 u. ö.) und der »Strategemata« des Polyaenus (Basel 1550); die postume Ausgabe der »Poematum libri« (Marburg 1612) besorgte sein berühmterer Sohn Hermann Vultejus; Texte in: Gruter, Delitiae Poetarum Germanorum, Pars VI, 1612, S. 1050–1057. Rez.: a) A. Vigelius, Deliciae, 1624, [Teil I], Nr. III, S. 21. »Encomion strenuae mulieris«; ebd. Nr. IV, S. 23: »De concordia & discordia conjugali«; ebd. Nr. V, S. 31: »In laudem conjugii & conjugatorum, Epigrammata varia«; ebd. S. 32f.: dass.; ebd. S. 33f.: dass.; [Teil I], Nr. VII, S. 46f.: »Nuptiae in Cana Joh. 2. descriptae«. b) A. Vigelius, Deliciae, 1624, [Teil II], Nr. XXV, S. 400–404: »Wilhelmi Landgravii Hassiae, Cum Sabina Ducissa VVirtenbergica«. Sekundärlit.: Goedeke, Grundrisz, 1884, S. 107; ADB 40, 1896, S. 391f. (J. Pistor); Ellinger II, 1929, S. 249–254, 340. Kommentar: a) Texte nicht nach: Gruter, Delitiae, s. o., Pars VI. b) Text nicht nach: Gruter, s. o., Pars VI. Sachkomm.: b) Wilhelm IV., mit Beinamen »der Weise«, Lgf. v. HessenKassel: * 24. 6. 1532 Kassel, † 25. 8. 1592 Kassel. Ältester der vier Söhne Philipps I. des Großmütigen, Lgf. v. Hessen; sorgfältige Ausbildung u. a. in Straßburg bei Johannes Sturm, die sich auch auf die »exakten Wissenschaften« (Astronomie, Mathematik) erstreckte; dogmatischem Streit abgeneigt, war er mehr Melanchthon als Luther zugetan und hegte größere Sympathien für das reformierte Bekenntnis, ohne indes die »überkonfessionelle« Linie des Vaters ernsthaft aufs Spiel zu setzen. Von 1567 bis 1592 erster Lgf. von Hessen-Kassel; gilt als Begründer dieser Linie des hessischen Fürstenhauses. – Heirat am 11. 2. 1566 in Marburg mit Sabine (1549 Mömpelgard – 1581 Rotenburg), Tochter von Hzg. Christoph v. Württemberg (1515–1568); aus dieser Ehe ging u. a. Tochter Christine (1578–1658) hervor, die am 14. 5. 1598 die Ehe mit Hzg. Johann Ernst v. Sachsen-Eisenach einging (siehe unter Werner Gigas). – Sekundärlit.: ADB 43, 1898, S. 32–39 (Walther Ribbeck); bes. Manfred Rudersdorf: Hessen. In: Schindling/Ziegler (Hg.), Die Territorien, Bd. 4, 1992, S. 254–288, hier S. 273–279; Zincgref, Apophthegmata, 2011, Bd. 2, S. 390f.. (47) Ludovicus Ariostus = Ariosto, Ludovico * 8. 9. 1474 Reggio Emilia; † 6. 7. 1533 Ferrara. Konfession: altkirchlich. Charakterisierung: Humanist, Schriftsteller, Militär, Höfling. Vater Niccolk Ariosto in Diensten von Hzg. Ercole I. d’Este (1431–1505),

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des Herrschers von Ferrara, Modena und Reggio, befehligte die Garnison von Reggio Emilia. Ludovico besuchte ab 1484 die Lateinschule in Ferrara und begann 1489 auf Wunsch des Vaters ein Rechtsstudium in Ferrara, widmete sich aber v. a. humanistischen Studien; Freundschaft mit Pietro Bembo; mit ihm entfaltete sich ein lebhaftes Interesse an der volkssprachlichen Literatur (Petrarca, Boccaccio) und für den Neuplatonismus. 1500 Tod des Vaters, trat in dessen militärische Fußstapfen. 1503 wieder in Ferrara, in Diensten des Kardinals Ippolito d’Este. Niedere Weihen verhalfen ihm 1506 zu einer Pfründe in einer reichen Gemeinde. – Ab 1506 literarische Projekte nur noch in italienischer Sprache: Sonette, Kanzonen im Stile Petrarcas, die Arbeit am Versepos »Orlando furioso« in elfsilbigen Stanzen (in 1. Fassung 1516 publiziert). Wechselte in die Dienste Alfonsos I. d’Este; zog sich ins Dorf Mirasole zurück, heiratete heimlich die Witwe Alessandra Benucci des Florentiner Humanisten Tito Vespasiano Strozzi (siehe dort). Lit.: Texte in: Gruter, Delitiae Italorum Poetarum, Pars (prior), 1608, S. 273–287: unter dem Titel »LVDOVICI AREOSTI FER[R]ARIENSIS«. Rez.: A. Vigelius, Deliciae, 1624, [Teil II], Nr. XLII, S. 492–497: »Herculis F. Ducis Ferrariensis, Cum Lucretia Borgia«. Sekundärlit.: Francesco Torraca: Art. »Ariosto, Ludovico«. In: Enciclopedia Italiana, Bd. IV. Mailand 1929, S. 314–321; Ellinger I, 1929, S. 153–155 u. ö. s.v. Register ; DBI 4, 1962, S. 172–188 (Natalino Sapegno); Letteratura italiana, Bd. 1, 1990, S. 121–124 (Paolo Procaccioli); Malato, Storia, Bd. IV, 1996, S. 355–448 u. ö. s.v. Register ; Jaumann, Handbuch, 2004, S. 44. Kommentar Text offensichtlich nach: Gruter, Delitiae, s. o., Pars (prior), S. 273–278: »Epithalamion.« Inc.: »SVRGITE, iam signum venientis tibia nuptæ«; Expl.: »Blande Hymen, iucunde Hymen, ades i Hymenæe.« Sachkomm.: Alfonso I. d’Este, Hzg. v. Ferrara: * 21. 7. 1476 Ferrara; † 31. 10. 1543 ebd.; drittes Kind und ältester Sohn (F. = figlio) des Ercole I. d’Este (1430–1505) mit Eleonora v. Aragjn, der Tochter Kg. Ferdinands I. v. Neapel. Alfonso 1505 Herzog; Förderer bspw. Tizians, Ariostos. Heiratete 1491 Anna Sforza (1473–1497), Tochter Galeazzo Maria Sforzas; in 3. Ehe am 2. 2. 1502 Lucrezia Borgia. – Lucrezia Borgia (lat. Lucretia Borgia): drittes Kind des spanischen Kardinals und Vizekanzlers der Kirche Rodrigo Borgia, des späteren Papstes Alexander VI., mit seiner Geliebten Vanozza de’ Cattanei; * 18.4. 1480 Rom oder Subiaco; † 24. 6. 1519 bei Ferrara; ihr Vater verheiratete sie dreimal in dynastischen, d. h. politisch motivierten Ehen. Mit Alfonso I. d’Este, in ihrer dritten Ehe, blieb sie bis zu ihrem Tod verheiratet und hatte mit ihm mehrere Kinder ; sie starb als Hzgin. v. Ferrara, hochgeachtet und dennoch

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rezeptionsgeschichtlich und historiographisch in Extremen beleuchtet und beurteilt. – Sekundärlit.: Albano Sorbelli: Art. »Borgia, Lucrezia«. In: Enciclopedia Italiana, Bd. VII. Mailand 1930, S. 478. (48) Marquardus Freherus = Freher, Marquard d.J. * 26. 7. 1565 Augsburg; † 13. 5. 1614 Heidelberg. Konfession: reformiert. Charakterisierung: Rechtsgelehrter, Staatstheoretiker, späthumanistischer Historiker und Herausgeber, Politiker ; Publizist, Gelegenheitsdichter. Sohn des gleichnamigen Juristen Dr. jur. M. F. (1542–1601); nach dem Besuch des akademischen Gymnasiums in Altdorf 1575/76 Studium in Basel 1581/82 und Bourges 1583, hier von Jacques Cujas 1585 zum Lizentiaten der Rechte promoviert; trat als kurpfälzischer Rat in die Dienste der Kurpfalz; 1596 als Professor Codicis Mitglied der Heidelberger Universität, ein Vertreter des Römischen Rechts; verließ die Universitätslaufbahn 1598 für den unmittelbaren Hofdienst als Geheimer Rat und Vizepräsident des Hofgerichts; ein Vertrauter und Gesandter Friedrichs IV. v. d. Pfalz, nahm er vielfältige diplomatische Aufgaben wahr ; scharfzüngig als politischer Publizist, bspw. in der Kontroverse mit Christoph Gewold über die Zuständigkeit von Wittelsbacher Kur, Truchsessenamt und Reichsvikariat. Galt als einer der führenden Repräsentanten der calvinistisch-ständischen Reichs- und Europapolitik während der Regierung Kfst. Friedrichs IV.; bedeutend in der Wissenschaftsgeschichte etwa zusammen mit Melchior Goldast als Quelleneditor ; geschätzt in den gelehrten und kulturellen Kreisen »der mit dem pfälzischen Calvinismus sympathisierenden Gelehrtenwelt« (VL 16–2, 2012, Sp. 430). Lit.: Texte in: Gruter, Delitiae Poetarum Germanorum, Pars III, 1612, S. 289–322: unter dem Titel »MARQUARDI FREHERI AVGVSTANI«; Parnassus Palatinus, 1989, S. 158/159–166/167: die im folgenden angezeigte Sequenz von Texten lat.-deutsch: Rez.: A. Vigelius, Deliciae, 1624, [Teil II], Nr. XII, S. 209–214: »Friderici IV. Cum Loysa Juliana Uraniae Principe [Epigrammata]«. Sekundärlit.: Trunz, Deutsche Literatur (1931), 1995, S. 16 u. ö. s.v. Register ; NDB 5, 1961, S. 392f. (Peter Fuchs); Walter, Späthumanismus, 2004, S. 276–278; Jaumann, Handbuch, 2004, S. 278; Die Deutschen Humanisten, Abt. I, Bd. I/1 (grundlegend): Marquard Freher, 2005, hier S. 1–3: Biogramm und Sekundärliteratur ; Killy/Kühlmann 3, 2008, S. 558f. (Susann El Kholi); Zincgref, Apophthegmata, 2011, Bd. 2, S. 784f.; Hartmann/ Kühlmann, Heidelberg, 2012, S. 116ff. u. ö. s.v. Register ; VL 16–2, 2012, Sp. 429–440: Art. »Freher, Marquard Friedrich« (Wilhelm Kühlmann). Kommentar: Text nach: Gruter, Delitiae, s. o., Pars III, S. 312–316: »In

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nuptias Illustriss. Electoris Palatini Friderici IV. cum Loisa Iuliana, Principis Auriaci filia«: Epithalamion in einer Distichen-Sequenz von zwölf Textgruppen mit dem Schlussakkord in »XII. Symbolum«, erstes Distichon: »Rege me Domine verbum tuum j Regier mich Herr nach deinem Wort«; möglich aber auch die Übernahme aus der von Paulus Schede Melissus erstellten Epithalamien-Sammlung: Melissus, Emmetron, 1593, S. 16–20: »Marquardi Freheri Consiliarij Palatini EPIGRAMMATA. I–XII«. Sachkomm.: siehe auch unter Gruter zu b). – Friedrich IV. von der Pfalz, Pfalzgraf und Kurfürst: * 5. 3. 1574 Amberg; † 19. 9. 1610 Heidelberg; reg. 1583–1610: unter seiner Regentschaft erfolgt die landesherrschaftliche Sicherung und Stabilisierung des reformierten Bekenntnisses in der Kurpfalz. – Heirat am 13. 6. 1593 (alten Stils) in Dillenburg mit Prinzessin Louise Juliane von Oranien-Nassau (1576 Delft – 1644 Königsberg), Tochter Prinz Wilhelms I. von Oranien-Nassau und dessen 3. Ehefrau Charlotte von Bourbon-Montpensier. – Sekundärlit.: NDB 5, 1961, S. 522–535 (Peter Fuchs); Press, Calvinismus, 1970, S. 369–478, hier S. 399ff. u. S. 464–466; Zincgref, Apophthegmata, 2011, Bd. 2, S. 348; Hartmann/Kühlmann, Heidelberg, 2012, S. 12 u. ö. s.v. Register. (49) M. Jacobus Furmannus = Furmann (lat. auch Furmanus), Jakob, Magister * 1550 in Liebenwerda; wenige, zudem vage biographische Kenntnisse. – 1582/1604–1618 Schaffensperiode. Konfession: evangelisch-lutherisch. Charakterisierung: Magister artium; Doktor der Theologie, Rektor der Fürstenschule Grimma, Prof. poes. et graec. ling. in Wittenberg, Propst in Klöden. Die Charakterisierung erschlossen u. a. über : »ADAMI SIBERI Et AMICORVM Ad 17. Febr. [1578] M. JACOBI FVRMAMANI Libenverdensis Et Blandinæ Siberæ Grimensis nuptiarum VOTA«, Leipzig 1578 (vgl. VD16 A 204; Wolfenbüttel, HAB: M: Qu N 631.3[3]): Beiträger neben Adam Siber selber (siehe dort) sind u. a. Nikolaus Selnecker, Gregor Bersmanus, M. Johannes Albinus, Balthasar Crusius und Lorenz Drabitius; 1582 ein Epithalamium zur Hochzeit von Hzg. (ab 1586 Kfst.) Christian I. v. Sachsen mit Sophia v. Brandenburg; 1586 die »Oratio funebris« auf Kfst. August v. Sachsen (1526–1586; HAB: A: 231.128 Theol.[4]); Stammbucheintrag vom 29. 5. 1595 o.O. im Album des Johannes Ehinger (1575–1616); 1618 »Jacobi Furmani Praepositi Clodensis Philyria, Astrapaea, Albimontica«. Lit.: Das Epithalamium zur Hochzeit Christians I. mit Sophia hat A. Vigelius in seine Anthologie übernommen. Rez.: A. Vigelius: Deliciae, 1624, [Teil II], Nr. XVII, S. 253–255: »Christiani Ducis Saxoniae, Cum Sophia Marchionissa Branden-

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burgica« (27 Distichen; Inc.: »Expectata dies …«, Expl.: »…excipit aure preces. – M. Jac. Fvrmanvs«). Vor dem Epithalamium Furmanns steht in der Sammlung des Vigelius zur selben Gelegenheit das Casualcarmen von Adamus Siberus, »R(ector) Scholae Grimmensis«, [Teil II], Nr. XVII, S. 250–253. Kommentar: Der Autor ging nicht ein in: Gruter, Delitiae Poetarum Germanorum, 1612. Das Epithalamium ist im Originaldruck von 1582 nachweislich in zwei Exemplaren erhalten (Ex. 1: SLUB Dresden: Histor. Sax. C. 766,1; Ex. 2: ebd., Hist. Suev. 312,6). – Zur Sekundärlit.: RAA: 1592_ehinger/66. Sachkomm. und Sekundärlit.: siehe unter Adam Siber. (50) M. Jo. Henricus Vigelius = Vigelius, Johann Heinrich, Magister – fehlt im INDEX AVTHORVM und ist hier aus dem Werk ergänzt. Getauft 23. 10. 1597 Windecken, wo der Vater A. Vigelius von 1596 bis 1598 als Diakon tätig gewesen war ; † 1661 Rodheim v. d.H. Konfession: reformiert. Charakterisierung: Magister, Pfarrer. Ältester Sohn des Pfarrers und Autors Artus Vigelius; immatrikuliert Herborn 1615, imm. Heidelberg 1617; 1621–1625 Pfarrer in Dexheim, 1625–1629 in Assenheim bei Friedberg und 1629–1638 in Obereschbach; er folgte seinem Bruder Philipp als nächster Pfarrer von 1638 bis 1661 an derselben reformierten Pfarrei Rodheim v. d.Höhe, die schon sein Vater von 1598 bis 1626 inne gehabt hatte. Nach 1648 verheiratete er sich mit Anna Maria, der Witwe des Pfarrers Johann Reinhard Kesenberg († 1648), in Bad Nauheim. Rez.: A. Vigelius, Deliciae, 1624, [Teil II], Adiectum, S. 619–621: »Aliud Ejusdem Argumenti, Epilogi Loco adiectum / Jo. Henrico Vigelio.« Das »Aliud Ejusdem Argumenti« bezieht sich auf das vorherige Gedicht des Sebastian Artomedes »In Coelibatum Impurum Pontificiorum« und dessen Grundmotiv : die lutherische Ehelehre, und dessen Thema ›Wider den Zölibat‹. Sekundärlit.: Pfarrergeschichte des Sprengels Hanau (»Hanauer Union«) bis 1968. Nach Lorenz Kohlenbusch bearb. von Max Aschkewitz. 2 Tle. Marburg 1984 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Hessen, 33), hier. Tl. 1, S. 361. (51) Matthias Martinius = Martinius (eigentl. Martini), Matthias * 1572 Freienhagen/Waldeck; † 30. 6. 1630 Kirchtimke b. Bremen. Konfession: lutherisch, dann calvinistisch.

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Charakterisierung: Theologe (reformiert); Philologe. Sohn des Richters Jonas Martini in Freienhagen. Seit 1583 Besuch des Gymnasium illustre in Korbach; um 1586/87 Wechsel an das Pädagogium in Herborn; dort 1589 an der Hohen Schule (Matrikel Nr. 171) Beginn des mit Konfessionswechsel verbundenen Theologiestudiums; seine theologischen Lehrer Johannes Piscator, Wilhelm Zepper und Bernhard Textor. Bereits während des Studiums 1592 Präzeptor wittgensteinscher Grafensöhne; 1596 im Lehrkörper der Hohen Schule. Im Jahr der Pest 1597 Kavalierstour mit den Grafensöhnen in die Niederlande, u. a. Besuch der Universität Leiden, und nach Norddeutschland; 1598 in Siegen Pädagogarch und Adjunkt des Stadtpfarrers. Zu seinen bedeutendsten Schülern wird der Herborner Professor Johann Heinrich Alsted gezählt. 1607 übernahm er trotz eines Rufes an die Universität Leiden eine Pfarrstelle in Emden/Ostfriesland; wurde 1610 Rektor des Gymnasium illustre und Professor der Theologie in Bremen; am 4. 2. 1618 trug er sich dort in das Stammbuch Kaspar Kirchners (1592–1627) ein; 1618/19 nahm er an der Dordrechter Synode der niederländischen reformierten Kirche teil: Indizien einer hohen theologischen Reputation. Anhänger der Föderaltheologie, scharfer Kontroverstheologe gegen die Lutheraner. Lit.: Theologische und katechetische Schriften, Trostschriften; Auslegung von Psalmen; Grammatikalische und lexikalische Arbeiten; bemerkenswert: Ausgabe der »Aonii Palearii Verulani, viri eloquentissimi, Opuscula doctissima. Orationes …, Epistolae …, Poema De Animarum Immortalitate …«, Bremen 1619 (zu Palearius, siehe dort). Rez.: A. Vigelius, Deliciae, 1624, [Teil I], Nr. II, S. 11f.: »Duo Epithalamia omnium piorum conjugum, H Psalmo CXXVIII«. – Siehe auch ebd. S. 10 Philipp Melanchthon; ebd. S. 10f. Sebastian Artomedes. Sekundärlit.: Otto Renkhoff: Nassauische Biographie. Wiesbaden 21992, S. 495; NDB 16, 1990, S. 305–307 (Gerhard Menk); RAA: 1616_kirchner/ 56. Kommentar: Der Autor ist nicht in: Gruter, Delitiae Poetarum Germanorum, 1612 eingegangen. (52) M. M. Scheffer = Schefferus (Scheffer), M(artin) M(agister) * in Görlitz; † ? Konfession: protestantisch (aufgrund der Universitätswahl erschlossen). Charakterisierung: Doktor der Medizin. Unter »Martinus Schefferus, Gorlicensis Lusatus« in der Matrikel Basel geführt. Winter 1599 in Leipzig eingeschrieben, in Basel Juli 1610 (Nr. 9) als stud. med. (Mathias Scefferus, Gorlitius L.) immatrikuliert, mit Datum

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vom 11. 9. 1610 als Dr. med. ausgewiesen. Nach einem Eintrag im Stammbuch des R. Wasserhun vom 22. 6. 1618 könnte er in Görlitz, seiner Geburtsstadt, als Arzt praktiziert haben. Rez.: A. Vigelius, Deliciae, 1624, [Teil I], Nr. V, S. 35: »In laudem conjugii & conjugatorum, Epigrammata varia«: M. M. Scheff. Sekundärlit.: Matrikel Leipzig, Bd. 1, 1909, S. 392; Matrikel Basel, Bd. 3, 1962, S. 117. Kommentar: Der Autor ist nicht in: Gruter, Delitiae Poetarum Germanorum, 1612 eingegangen. (53) Mauritius Brand = Brandt, Mauritius (Moritz) * Neuburg (vgl. die Autorangabe zum Epithalamium); Schaffensperiode zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts. Genaueres nicht bekannt. Lit.: Eine Übersetzungsarbeit: »Phoenicia. Eine schöne, züchtige, liebliche und gedechtniswürdige History […]. Durch Mauritium Brandt«, Danzig 1594; Magdeburg 1600; Magdeburg o. J.; (unmittelbare Vorlage: »Histoires tragiques extraites de l’italien de Bandel«, 1568; mittelbare Vorlage: Matteo Bandello »Narra il signor Scipione Attellano«, Lucca 1554;) ferner das von A. Vigelius adaptierte Epithalamium von 1554. Johannes Stigelius widmete ihm die 19. Elegie »Scripta ad Mauricium Brantum Neobergensem, qua donat Maronis po[ma« im dritten Buch der Elegien der Fincelius-Ausgabe »POEMATVM … STIGELII Liber Quartus«, Jena 1569 (fol. O2v-O3r). Rez.: A. Vigelius, Deliciae, 1624, [Teil II], Nr. XIX, S. 316–321: »Johannis Friderici II. Ducis Saxoniae, Cum Agnetha Principis Hessorum filia«. – Siehe auch ebd. S. 267–286 Johannes Stigelius; ebd. S. 308–315 Jobus Fincelius; ebd. S. 322 Joachim von Weisbach. Sekundärlit.: Goedeke, Grundrisz, 1884, S. 575; Alberto Martino (FrankRutger Hausmann): Die italienische Literatur im deutschen Sprachraum. Amsterdam, Atlanta 1994 (Chloe, 17), S. 49, 382. Kommentar: Der Text nicht nach: Gruter, Delitiae Poetarum Germanorum, 1612; das Hochzeitsgedicht in 77 Distichen stammt aus ein und demselben Einzeldruck mit den gekennzeichneten Beiträgen von Stigel (siehe dort), Fincel (s.d.) und Weisbach (s.d.); hier : siehe Bibliographie unter Stigelius, 1555, fol. Fv-Gr : »AD ILLVSTRISSIMVM PRINCIPEM, AC DOminum, D. Ioannem Fridericum II. Ducem Saxoniæ, Landgrauium Thuringiæ, Marchionem Misniæ, In eius Nuptijs. Epithalamion. Autore Mauricio Brandt Neoburgense. Sachkomm.: siehe unter Johannes Stigel zu b).

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(54) Michael Haslobius = Haslobius (Haslob, auch Haselob, Haseloff), Michael * 1540 Berlin; † 28. 4. 1589 Frankfurt/O. Konfession: lutherisch. Charakterisierung: Pädagoge, Professor der Poesie; neulateinischer Dichter, Kasuallyriker. Schulbildung wohl in Berlin; Immatrikulation an der Universität in Wittenberg (3. 8. 1555) als »Michael Haseluff Berlinensis« (mit der Anm. in der Matrikel 1,1841,S. 309: »i. e. Haslob, Poeta«); Wechsel an die Universität in Frankfurt/O. (imm. 1561 als »magister Michael Haslobius Berlinensis, poeta«); zwischenzeitlich in Wittenberg, Rückkehr an die Viadrina, dort am 22. 3. 1569 das Baccalaureat, bald danach Erwerb des Magistergrades (mit dem Zusatz »insignis poeta«); am 19. 4. 1572 »Profesor poeseos et poetices«; dieses Amt übte er bis zu seinem Tod aus. Mehrmals Dekan der philosophischen Fakultät; 1580 auch Vizerektor der Viadrina. Heiratete am 19. 2. 1588 in zweiter Ehe Maria Schosser, die Tochter seines Frankfurter Kollegen Johannes Schosser Aemilianus (1534–1585; siehe dort), Prof. für Eloquenz. Hochzeitsgedichte zu diesem festlichen Anlaß verfassten Albert Friedrich Mellemann (siehe dort) und der Prof. für griechische Sprache an der Universität Frankfurt/O. und spätere märkische Generalsuperintendent Christoph Pelargus. Haslob gilt als »ein Vertreter der humanistischen Gelegenheitsdichtung, die im festen Verbund eines gelehrten Freundeskreises und in der Nähe mäzenatischer Fürsten gedieh« (Rädle), und neben Georg Sabinus und Johannes Schosser als dritter herausragender neulateinischer Dichter der Viadrina; viele seiner Gedichte tragen versifizierte Widmungen an hochgestellte Persönlichkeiten (Noack) oder beklagen als Eklogen »in Maskenform« den Tod Luthers, Melanchthons, Sabinus’ und Lotichius’ (Ellinger, S. 321). Haslob hat sich in allen klassischen Versmaßen und Grundformen der Lyrik versucht, wobei wohl G. Sabinus sein Vorbild war. Auf seinen Tod verfasste der Frankfurter Rhetorikprofessor Johannes Schosser d.J., ein Sohn des gleichnamigen Eloquenzprofessors und Schwager von Haslob, ein lateinisches Epitaph. Lit.: Sechs Bücher »Carmina« (1588); Texte in: Gruter, Delitiae Poetarum Germanorum, Pars III, 1612, S. 491–522: bspw. »Epit[h]alamion in nuptias Ioan. Schosseri«: unter dem Titel »MICHAELIS HASLOBII BEROLINENSIS«; in der Bibliographie L. Noacks (S. 251, 6. Position, mit Fundortangabe) das von Vigelius aufgenommene Epithalamium. Rez.: A. Vigelius, Deliciae, 1624, [Teil II], Nr. XXXI, S. 433–448: »Guilielmi D. de Rosenberg, Cum Sophia Princip. Joachimi Brandenburg. Elect. filia«. Sekundärlit.: Goedeke, Grundrisz, 1884, S. 103; ADB 10, 1879, S. 745 (R.

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Schwarze); Ellinger II, 1929, S. 320–336 u. ö. s.v. Register ; Das dichterische Schrifttum, 1939, S. 31–37: bibliogr. Hinweise Nr. 246–348; Killy 5, 1990, S. 49 (Fidel Rädle); Marchia Resurge, 1992, S. 11–16 (U. Greiff) sowie Katalog-Nr. 51–55; Noack, Art. »Haslob, Michael«. In: ders./Jürgen Splett, Bio-Bibliographien, 2009, S. 248–267, hier S. 248–250 und, eine herausragend genaue und detaillierte, Werk-Bibliographie S. 250–266 sowie Bibliographie der Sekundärlit. S. 266–267; Killy/Kühlmann 5, 2009, S. 64 (F. Rädle). Kommentar: Text nicht nach: Gruter, Delitiae, s. o., Pars III. Sachkomm.: Wilhelm von Rosenberg: * 10. 3. 1535; † 31. 8. 1592; aus dem Haus der Grafen Rosenberg (tschechische Linie), das ›an erster Stelle unter allen böhmischen Adligen stand‹; ausgedehnte fruchtbare Gebiete im südlichen Böhmen bildeten die Grundlage ihres ungemessenen Reichtums und hohen Ansehens, die ihnen »eine geradezu fürstliche Stellung« gaben; den Stadtpalast in Prag bewohnten sie abwechselnd mit ihrem Landsitz. 1552, nach dem Ende der Verwaltung durch seine Vormünder, übernahm W. v. Rosenberg den Familienbesitz, wurde 1556 königlicher Rat, 1560 Oberstlandkämmerer und 1570 Oberstburggraf in Böhmen; 1563 begleitete er Ks. Maximilian zur Krönung nach Pressburg und zu den Landtagen in Mähren, Schlesien und der Lausitz, zudem fand er wiederholt Verwendung in wichtigen politischen Aufträgen des Kaisers; 1574 und 1575 war er in Dresden und Berlin in Unterhandlungen mit den Kfst. von Sachsen und Brandenburg wegen der Wahl des Ehzg. Rudolf zum Römischen König involviert. 1585 verlieh ihm Kg. Philipp II. v. Spanien die Insignien des Goldenen Vließes. Rege Bautätigkeit; errichtete u. a. das Jesuitenkollegium in Krumau und erweiterte die seit Generationen dort zusammengetragene Bibliothek beträchtlich, zugleich umgab ihn aber auch eine ganze Schar von Alchimisten. Vier Ehen: mit Katharina Hzgin. v. Braunschweig († 1559), mit Maria Anna Mkgfin. v. Baden († 1583), zuletzt mit Polyxena von Pernstein, die Wilhelm überlebte. – Eine besonders aufwendige Hochzeit am 7. 8. 1561 in Berlin in zweiter Ehe mit Sophie, Markgräfin v. Brandenburg († 1564); auch diese Ehe blieb kinderlos. – Sekundärlit.: v. Wurzbach, Lexikon 27, 1874, S. 8–14, hier S. 12–13: Nr. 23 sowie S. 11: Nr. 20 (zu Sophie v. R.); Erich Trunz: Wissenschaft und Kunst im Kreise Kaiser Rudolfs II. 1576–1612. Neumünster 1992 (Kieler Studien zur deutschen Literaturgeschichte, 18), S. 15–26: »Der kaiserliche Hof«, hier S. 19f. (55) Michael Hospitalis = Hospitalis (eigentl. l’Hipital), Michael (Michel de) * um 1506 Aigueperse/Auvergne; † 13. 3. 1573 auf Ch.teau B8lesbat b. Ptampes.

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Konfession: altgläubig (seine Gattin calvinistisch). Charakterisierung: Staatsmann; Jurist; Schriftsteller. Sohn eines verbannten Arztes. Studium der Rechtswissenschaft in Toulouse, erzwungenermaßen fortgesetzt in Padua und Bologna; diente Ks. Karl V. und dem päpstlichen Hof, ehe er 1534 nach Frankreich zurückkehrte; Rechtsanwalt; drei Jahre später Rat am Parlament von Paris; erwarb das Vertrauen von Mitgliedern der kgl. Familie; im Auftrag Kg. Heinrichs II. 1547 in diplomatischer Mission zum Konzil von Trient; Kanzler von Margarete, der Schwester der Kgin. und Hzgin. v. Berry. Veranlasste als Kanzler Frankreichs (seit 1. 4. 1560) das Parlament von Paris dazu, das Edikt von Romorantin (Mai 1561) in Kraft zu setzen. Die »Ernennung Michel de l’Hipitals, [dieses] humanistisch gebildeten und vom Geist des konfessionellen Ausgleichs geprägten Juristen, als Nachfolger des im Frühjahr 1560 verstorbenen Kanzlers Olivier, war Katharinas [der Königinmutter] Werk gewesen.« (R. Babel, S. 95) Bemühte sich in der Folgezeit, den jugendlichen Kg. Karl IX. (1560–1574) auf einen gemäßigten Kurs gegenüber den Hugenotten zu halten. Kennzeichnend für seine gesamte Politik waren Toleranz und Ausgleich in der äußerst schwierigen konfessionspolitischen Gemengelage Frankreichs. Galt daher als – der katholischen Partei der Guise verhasster – Mitbegründer der »Politiques«, einer politisch, gesellschaftlich und religionspolitisch einflussreichen Gruppe gemäßigter Katholiken. Verlangte Februar 1568 nach Ausbruch des Zweiten Hugenottenkrieges im September 1567 seine Entlassung, Rückzug auf seinen Besitz, überstand die Bartholomäusnacht 1572. Gilt ähnlich Montaigne als liberaler Skeptiker. Lit.: Texte in: Gruter, Delitiae Poetarum Gallorum, Pars Altera, 1609, S. 1–350: unter dem Titel »MICHAELIS HOSPITALII GALLIARVM CANCELLARII«; siehe ein interessantes Epigramm des Johannes Posthius auf das Landhaus des Michael Hospitalis, in: Humanistische Lyrik, 1997, S. 736/737. Rez.: A. Vigelius: Deliciae, 1624, [Teil II], Nr. V, S. 132–137: »Francisci Franciae Delphini, Cum Maria Scotorum Regina«. Sekundärlit.: Rainer Babel: Franz II. 1559–1560. In: Hartmann, Französische Könige, 1994, S. 91–98 u. S. 458f. (Kommentierte Bibliographie), hier S. 95f. Kommentar: Text offensichtlich nach: Gruter, Delitiae, s. o., Pars Altera, S. 220–225: »In Francisci Franciæ Delphini, & Mariæ Scotorum Reginæ nuptias« im Teil »EPISTOLARVM SEV SERMONVM LIBER quartus«. Sachkomm.: Franz II. (FranÅois II.): * 19. 1. 1544 Fontainebleau; † 5. 12. 1560 Orl8ans; 1559–1560 Kg. von Frankreich; Sohn von Heinrich II. v. Frankreich († 1559) und der Katharina von Medici. – Am 24. 4. 1558 ver-

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tragsgemäße Eheschließung in der Kathedrale Notre Dame de Paris von Maria Stuart mit dem 1 Jahr jüngeren Dauphin, dem frz. Thronfolger ; durch seine Heirat mit Maria Stuart im Jahr 1558 zumindest nominell auch Kg. v. Schottland. – Maria Stuart: * 8. 12. 1542 Linlithgow; † 8./18. 2. 1587 Schloss Fotheringhay ; entstammte dem Hause Stuart; Tochter Kg. Jakobs VI. und der Maria von Guise; war vom 14. 12. 1542 bis zum 24. 7. 1567 Königin von Schottland und durch die Ehe mit Franz II. von 1559 bis 1560 auch Kgin. v. Frankreich. – Sekundärlit.: R. Babel, s. o. (56) Nicodemus Frischlinus = Frischlin, Nicodemus * 22. 9. 1547 Erzingen b. Balingen; † 29. 11. 1590 Festung Hohenurach (bei einem Fluchtversuch). Konfession: protestantisch-lutherisch. Charakterisierung: Klassischer Philologe, Dichterhumanist; Schulreformer. Ältester Sohn des lutherischen Pfarrers Jacob F. (1522–1566); Besuch der evangelischen Klosterschulen in Königsbronn (1560) und Bebenhausen (ab 1562); am 12. 11. 1562 an der Universität Tübingen immatrikuliert; seit 1563 Stipendiat im Tübinger Theologenstift, Studium der klassischen Philologie, Rhetorik, Poetik, Astronomie und Medizin; 1565 Erwerb des Magistergrades; danach zwei Jahre theologisches Studium. 1568 erhielt er die »Lectio Poetices« als »Professor Poetices et Historiarum«. In Vorlesungen behandelte er Vergil, Horaz, Lukian, Caesar, Sallust und Cicero. Mit Huldigungs- und Hochzeitsgedichten und seinen gesellschaftlichen Talenten gewann er die Gunst des Stuttgarter Hofes. Konflikte in der Universität (mit dem Gräzist Martin Crusius) und mit dem Adel (»De vita rustica«) beeinträchtigten seine berufliche und persönliche Situation erheblich, auch wenn Landesherr Hzg. Ludwig zu befrieden versuchte – nur zeitweilig erfolgreich – und 1576 die Dichterkrönung durch Ks. Rudolf II. und 1577 die Ernennung zum kaiserlichen Pfalzgrafen dagegen zu sprechen scheinen; drei Bücher Panegyriken auf das österreichische Kaiserhaus; 1582 Rektor der Landesschule in Laibach/Krain; Versuche, in Tübingen wieder Fuß zu fassen, mißlangen; Verdächtigung calvinistischer Neigungen; Flucht 1586 nach Frankfurt/M.; Wanderleben: Prag, Wittenberg und Braunschweig, dort 1588 Rektor an einer Lateinschule. Aufgrund der Verkettung teils unglücklicher, teils selbstverschuldeter Umstände Haft in der Feste Hohenurach. Lit.: Texte in: Gruter, Delitiae Poetarum Germanorum, Pars III, 1612, S. 342–403; zahlreiche Stammbucheinträge der 70-er und 80-er Jahre: siehe Stammbuchdatenbank RAA (W. W. Schnabel). Rez.: a) A. Vigelius, Deliciae, 1624, [Teil II], Nr. XIII, S. 220–226:

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»Caroli Suetiae Ducis, Cum Maria Ludovici Electoris filia«. – Siehe auch ebd. S. 227–230 Nikolaus Reusner. b) Ebd. [Teil II], Nr. XXIV, S. 390–400: »Ludovici Ducis VVirtenbergici, Cum Dorothea Badensis«. – Siehe auch ebd. S. 388f.: Sebastian Artomedes. c) Ebd. [Teil II], Nr. XXXIII, S. 456–460: »Ludovici Comitis in Nassau, Weilb. & Sarbrug. & Cum Anna Maria Guilielmi Landgr. Hass. filia«. Sekundärlit.: Goedeke, Grundrisz, 1884, S. 108; Trunz, Deutsche Literatur (1931, 1932), 1995, S. 83, 214 u. ö. s.v. Register ; NDB 5, 1961, S. 620f. (Gustav Bebermeyer); Deutsche Literatur des 16. Jahrhunderts. Hg. von Adalbert Elschenbroich. 2. Bde. München, Wien 1981, hier Bd. 2, S. 1197–1201; Killy 4, 1989, S. 37–39 (A. Elschenbroich); Wilhelm Kühlmann: Nicodemus Frischlin (1547–1590). Der unbequeme Dichter. In: Humanismus im deutschen Südwesten, 1993, S. 265–288; Sabine Holtz/ Dieter Mertens (Hg.): Nicodemus Frischlin (1547–1590). Poetische und prosaische Praxis unter den Bedingungen des konfessionellen Zeitalters. Tübinger Vorträge, Stuttgart-Bad Cannstatt 1999; Jaumann, Handbuch, 2004, S. 279–281; Killy/Kühlmann 4, 2009, S. 39–43 (A. Elschenbroich/ Robert Seidel); Zincgref, Apophthegmata, 2011, Bd. 2, S. 457; VL 16–2, 2012, Sp. 460–477 (R. Seidel). Kommentar: a) Text nicht nach: Gruter, Delitiae, s. o., Pars III; b) Text nicht nach: Gruter, Pars III; c) Text nicht nach: Gruter, Pars III. Sachkomm.: a) Karl IX., König v. Schweden: * 4. 10. 1550 Stockholm; † 30. 10. 1611 Nyköping: der fünfte Sohn von Gustav I. Wasa. Laut Testament des Vaters gingen in Karls Herzogtum Södermanland, Värmland und einige Gebiete in Nerike, Västmanland und Västergötland ein. Solange sein Bruder Erik König war, konnte er sein Erbe nicht antreten. Nach geglücktem Aufstand gegen Erik XIV. 1568 ging das Königreich an seinen Bruder Johann über ; Karl konnte bereits 1569 sein Hzgt. in Besitz nehmen. Als Johann begann, die Gegenreformation zu unterstützen, forderte Karl für sein Hzgt. Selbständigkeit und erhielt so die Möglichkeit, den Protestantismus weiter auszubauen. 1599–1604 Reichsverweser, 1604–1611 Kg. v. Schweden. – Heirat in 1. Ehe am 11. 5. 1579 in Heidelberg mit Anna Maria v. d. Pfalz (1561–1589), ältester Tochter des Kfst. Ludwig VI. v. d. Pfalz und der Prinzessin Elisabeth (1539–1582), Tochter des Lgf. Philipp I. v. Hessen. – Heirat in 2. Ehe am 27. 8. 1592 mit Pzin. Christine v. Holstein-Gottorp (1573–1625), Tochter von Hzg. Adolf. – Sekundärlit.: Europäische Stammtafeln, N. F., Bd. II, 1984, Tafel 117: Die Wasa, 1523–1654 Kge. v. Schweden, 1587–1668 Kge. v. Polen.

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b) Ludwig III. (I.) mit Beinamen »der Fromme«, 5. Hzg. von Wirtemberg (Württemberg): * 1. 1. 1554 Stuttgart; † 8. 8. 1593 ebd.; reg. von 1568 bis 1593: der einzige überlebende Sohn von Hzg. Christoph. Nach dessen Tod stand Ludwig zunächst unter Vormundschaft, u. a. der Mutter Anna Maria († 1589), geb. Mgfin. v. Brandenburg-Ansbach. Sie war stets um eine humanistische Grundausbildung Ludwigs und ein regelmäßiges Studium der Bibel besorgt. Aufgrund gediegener Erziehung durch den rechtsgelehrten Präzeptor Andreas Lautmayr und der Hofprediger gewann er ein starkes »Persönlichkeitsprofil« (Rudersdorf). Mit Anna Maria wirkten Mgf. Georg Friedrich v. Brandenburg-Ansbach, Mgf. Karl II. v. Baden sowie Pfgf. Wolfgang v. Zweibrücken als Vormund; die drei »Fürstenvormünder« waren samt und sonders evangelische und kaisertreue Reichsfürsten. 1578 förmliche Übernahme der Regierung mit 24 Jahren (Volljährigkeit nach väterlicher Bestimmung); unterzeichnete aber bereits 1577 die Konkordienformel, dann das Konkordienbuch von 1580; die evangelische Landeskirche war damit stabilisiert und das lutherische Bekenntnis gesichert, zugleich die staatliche Ordnung garantiert (Rudersdorf, 115). Die Politik des Landes war auf die Erhaltung des Status quo im Schutz des Augsburger Religionsfriedens abgestellt. Hielt demnach zum Gedanken eines gemeineuropäischen protestantischen Bündnisses Abstand; stattdessen landesinnere Anliegen wie Erneuerung des konfessionellen Luthertums, Abgrenzung gegen den Calvinismus und tridentinischen Katholizismus. – Eheschließung in 1. Ehe am 7./8. 11. 1575 in Stuttgart mit Mgfin. Dorothea Ursula (1559–1583), Tochter von Mgf. Karl II. v. Baden-Durlach (1529–1577), und, in dessen 2. Ehe, Pfgfin. Anna v. Veldenz; prunkvolle, von Frischlin im genus demonstrativum gefeierte Hochzeit: erste badenwürttembergische Ehe. – Hochzeit in 2. Ehe am 10. 5. 1585 in Stuttgart mit Ursula (24. 2. 1572–5.3.1635), Tochter von Georg Johann I., Pfgf. v. PfalzVeldenz-Lützelstein. – Sekundärlit.: ADB 19, 1884, S. 597f. (v. Alberti); NDB 6, 1964, S. 221–223 (Peter Fuchs); Manfred Rudersdorf: Ludwig. In: Das Haus Württemberg, 1997, S. 114–116; ders.: Dorothea Ursula, ebd., S. 116f. bzw. Ursula, ebd., S. 117f.; Ludwig, Musenkult und Gottesdienst, in: ders. (Hg.), Die Musen, 2001, S. 11, Anm. 9. c) Ludwig II., Gf. von Nassau-Saarbrücken: * 9. 8. 1565 Weilburg; † 8. 11. 1627 Saarbrücken; reg. ab 1593; ältester Sohn von Gf. Albrecht v. NassauWeilburg-Ottweiler und Gfin. Anna von Nassau-Dillenburg. Nach Ausbildung Grand Tour durch Europa: französisch-sprachige Schweiz (Genf), Frankreich (Lyon, Paris) und deutsche Fürstenhäuser (Marburg, Kassel); lernte dabei anläßlich eines Besuches bei Wilhelm IV. v. Hessen-Kassel die Tochter Anna Maria kennen. – Heirat am 4. 6. 1589 in Kassel. Mit dem

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Ableben Albrechts wurde das Erbe zwischen den drei Söhnen geteilt. Ludwig erhielt dabei die linksrheinischen Gebiete Ottweiler, Homburg, Kirchheim und Lahr : er verlegte den Regierungssitz ins Schloss Saarbrücken, setzte innere Reformen durch: Gründung des Saarbrücker Gymnasiums, Förderung von Elementarschulen, Steigerung des Wohlstandes des Landes. – Gemahlin Anna Maria, Prinzessin v. Hessen-Kassel und durch Heirat Gfin. v. Nassau-Saarbrücken: * 27. 1. 1567 Kassel; † 21. 11. 1626 Neunkirchen; älteste Tochter des Lgf. Wilhelm IV. v. Hessen-Kassel (1532–1592) aus dessen Ehe mit Sabine (1549–1581), Tochter des Hzg. Christoph v. Württemberg; Anna Maria floh 1626 vor der Pest aus Saarbrücken nach Neunkirchen, wo sie ihr dennoch erlag. Sie erwarb sich Verdienste um die Armenfürsorge und mit der Einrichtung einer Hofapotheke. – Sekundärlit.: ADB 19, 1884, S. 568 (Ernst Joachim); NDB 15, 1987, S. 404f. (Hans-Walter Herrmann); BBKL 25, 2005, Sp. 856–862 (Joachim Conrad). (57) Nicolaus Heinsius = Heinsius, Nikolaus * wohl in den Niederlanden; † 1615/1616. Konfession: reformiert. Charakterisierung: Stadthauptmann und zweiter Schultheiß. Am 24. 1. 1611 in Heidelberg immatrikuliert (Matr. Heidelberg, Bd. 2, S. 252 Nr. 17), und zwar als »Nicolaus Heinsius, Brugensis Flander [Brügge] iur. utr. doctor«; am 1. 8.1612 zum Schultheiß und »reisigen Amtsknecht« in Mannheim ernannt, dort zur Zeit seiner Eheschließung auch Hauptmann; dies bis zu seinem Tod 1615/1616. Zweiter Ehemann der Salome Lingelsheim, Tochter Georg Michael Lingelsheims aus erster Ehe mit Claudine Virot (nicht aus der zweiten, am 21. 9. 1596 geschlossenen Ehe mit Agnes Loefen!) und Schwester Friedrich Lingelsheims († 1616); Salome († 19. 2. 1639) heiratete N. Heinsius am 10. 10. 1615 während der peregrinatio academica Friedrichs in Italien; er starb kurz nach der Rückkehr von dieser Bildungsreise; sein Epithalamium zur Hochzeit Salomes in Johann Leonhard Weidners »Triga« von 1619, S. 118 (vgl. auch Zincgrefs Hochzeitsgedicht aus diesem Anlaß in der »Triga«, S. 18). Rez.: A. Vigelius, Deliciae, 1624, [Teil II], Nr. XIV, S. 232–236: »Joannis Comitis Palatini Elector. Palat. Administratoris Cum Loysa Friderici IV. Elect. Palat. filia«. Sekundärlit.: Reifferscheid, Briefe, 1889, S. 728 u. 767; Wilhelm v. Lingelsheim: Familien-Chronik derer von Lingelsheim. Mengeringhausen 1922, S. 49f.; Dieter Mertens: Zu Heidelberger Dichtern von Schede bis Zincgref. In: ZfdA 103 (1974), S. 200–241, hier S. 227; Parnassus Palatinus, 1989, S. 254f.

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Kommentar: Text nicht nach: Gruter, Delitiae Poetarum Germanorum, 1612. Sachkomm.: Johann II., Pfalzgf. v. Pfalz-Zweibrücken-Veldenz: * 26. 3. 1584 Bergzabern, † 9. 8. 1635 Metz (Flucht vor den kaiserl. Truppen); 1604–1635 Hzg. v. Pfalz-Zweibrücken. – Eheschließung in 2. Ehe am 4. 5. 1612 in Heidelberg mit Louise Juliane, ältester Tochter Kfst. Friedrichs IV. v. d. Pfalz und der Louise Juliane v. Oranien-Nassau. – Sachkomm. und Sekundärlit.: siehe unter Friedrich Lingelsheim. (58) Nicolaus Reusnerus = Reusner, Nikolaus * 2. 2. 1545 Löwenberg/Schlesien; † 12. 4. 1602 Jena. Konfession: protestantisch-lutherisch. Charakterisierung: Rechtsgelehrter, Polyhistor, neulateinischer Dichter. Aus Gelehrtenfamilie; Schule in Goldberg und Breslau (Elisabeth-Gymnasium); Studium der Medizin und Jurisprudenz in Wittenberg und Leipzig; 1565 machte er auf dem Reichstag zu Augsburg Ks. Maximilian II. (1527–1576) durch seine lateinischen Gedichte auf sich aufmerksam; seit 1566 Lehrer am humanistischen Gymnasium im kurpfälzischen Lauingen/ Donau; dort 1572 Rektor ; 1583 Dr. jur. in Basel, bis 1586 Prof. in Straßburg, Kontakte nach Basel; 1589 Prof. in Jena, dort auch zweimal Rektor. Gemeinsam mit dem Bruder Jeremias literarisch tätig: neulateinische und griechische Poesie (u. a. Epik, Oden, Heroiden, Panegyrik); darüber hinaus Hodoeporica, Kompendien; trug sich u. a. in folgende Stammbücher ein: am 5. 8. 1581 in das Album von Otto Heinrich, Ottheinrich II., Pfgf. und Hzg. v. Sulzbach (1556–1604), siehe unten; am 18. 5. 1599 in Prag in das Stammbuch des Nicolaus von Wicken (erw. 1582–1623); am 13. 9. 1597 in Jena in das Album des Johann Hieronymus Kreß von Kressenstein (1580–1607). Lit.: Texte in: Gruter, Delitiae Poetarum Germanorum, Pars V, 1612, S. 561–818: unter dem Titel »NICOLAI REVSNERI LEORINI SILESII«; zahlreiche Stammbucheinträge der 80–er und 90–er Jahre; Texte in: Echtermeyer-Seyffert, Anthologie I, 1834 – II/2, 1835. Rez.: a) A. Vigelius, Deliciae, 1624, [Teil I], Nr. V, S. 28: »In laudem conjugii & conjugatorum, Epigrammata varia«, hier : »Aliud«; b) ebd., [Teil I], Nr. V, S. 34, hier : »De Miseria Irreligiose Amantium«; c) ebd., [Teil I], Nr. VIII, S. 56f.: »Nuptiae Davidis cum Bathsabaea, H 2. Sam. II.«; ebd. S. 57: »Omnis amans …« (ein Distichon); d) ebd., [Teil II], Nr. XI, S. 192–195: »Othonis Henrici Palat. Principis, Cum Dorothea Maria VVirtenbergica«; e) ebd., [Teil II], Nr. XII, S. 219: »Friderici IV. Cum Loysa Juliana

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Uraniae Principe«; f) ebd., [Teil II], Nr. XIII, S. 227–230: »Caroli Suetiae Ducis, Cum Maria Ludovici Electoris filia«; g) ebd., [Teil II], Nr. XV, S. 238–241 u. S. 242: »Guilelmi Ducis Boiorum, Cum Renata Lotharingica«; h) ebd., [Teil II], Nr. XVII, S. 256f.: »Christiani Ducis Saxoniae Elect. Cum Sophia Marchionissa Brandenburgica«; i) ebd., [Teil II], Nr. XVII, S. 258: Joannis-Georgii Elect. Brandenb. ET Elisabethae Princip. Anhaldinae Elisabeda«; k) ebd., [Teil II], Nr. XXVII, S. 405: »Mauritii Landgravii Hassiae, Cum Agnetha Solmeia«; l) ebd., [Teil II], Nr. XLVIII, S. 552–576 u. S. 576: »Philippi Lalaenii Comitis, Cum Margaretha Arrenbergica«; m) ebd., [Teil II], Nr. L, S. 581f.: »Friderici Comitis VVirtenbergici, Cum Sibylla Anhaldina«; n) ebd., [Teil II], [ohne Nr.], S. 582f.: »Ad Richardvm Streinivm Baronem Schwartzenavivm« (aus dem Textkorpus ergänzt). Sekundärlit.: Goedeke, Grundrisz, 1884, S. 109; Killy 9, 1991, S. 400f. (Hermann Wiegand); Jaumann, Handbuch, 2004, S. 551f.; Die Deutschen Humanisten, Abt. I, Bd. I/2, 2005, S. 673; Killy/Kühlmann 9, 2010, S. 574f. (H. Wiegand); Zincgref, Apophthegmata, 2011, Bd. 2, S. 822f.; RAA: 1574_sulzbach/486 bzw. 1596_wicken/260 bzw. 1597_kress/12. Kommentar: a) – n) Texte nicht nach: Gruter, Delitiae, s. o., Pars V. Sachkomm.: d) Otto Heinrich, Ottheinrich II., Pfgf. und Hzg. v. Sulzbach I, Nebenlinie der pfälzischen Nebenlinie Zweibrücken-Veldenz zum Stammhaus Wittelsbach: * 22. 7. 1556 Amberg; † 19./29. 8. 1604 Sulzbach; dritter Sohn von Hzg. und Pfgf. Wolfgang v. Zweibrücken (1526–1569) aus dessen Ehe mit Anna, Tochter des Lgf. Philipp I. v. Hessen; Bruder von Philipp Ludwig (1547–1614, reg. 1569–1614 in Pfalz-Neuburg) und Johann I. (lutherisch, dann reformiert; Pfgf. b. Rhein und Hzg. v. Pfalz-Zweibrücken mittlere Linie; 1550–1604, reg. ab 1569). Otto Heinrich regierte als Erbherr über Sulzbach die ihm durch das väterliche Testament zugewiesenen Ämter Sulzbach (mit Schloss, Landgericht und Stadt), Hilpoltstein und Allersberg. Allerdings blieb er gemäß Testament des Vaters der »Superiorität« seines ältesten Bruders Philipp Ludwig vom 11. Juni 1569 bis zum 19. August 1604 unterstellt; dieser war es auch, der die von Ottheinrich I. per Mandat 1542 eingeführte evangelisch-lutherische Konfessionalisierung energisch vorantrieb; sie nahm bisweilen calvinistische Züge der »reformatio vitae« an (vgl. Schmid, S. 544f.). Zunächst stand Otto Heinrich vom 11. Juni 1569 bis zum 11. Juni 1574 unter Vormundschaft des lutherischen Kfst. Ludwig VI. v. d. Pfalz und Lgf. Wilhelm v. Hessen. Er

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lebte in seiner Jugend länger am dänischen Hof (nach Stammbucheinträgen vom 1. 12. 1576 bis 4. 12. 1577 in Kopenhagen); daraus erwuchs eine enge Freundschaft mit Kg. Friedrich II.; im Mai 1579 weilte er, ebenfalls nach einem Stammbucheintrag, in Heidelberg; Anlaß waren die Feierlichkeiten zur Hochzeit Hzg. Karls (siehe unter Frischlin zu [a]), des späteren Königs Karl IX. v. Schweden, mit Anna Maria v. d. Pfalz. Am 21. März 1582 bzw. 5. 5. 1582 ergriff er von seinem »Erbland« Besitz, residierte auf der umfassend erneuerten Burg Sulzbach, kümmerte sich um die Landesverwaltung, gründete Pfarreien und eine öffentliche Bibliothek, galt seine Sorge besonders der Pflege des Schulwesens; er blieb gemäß dem »ius reformandi« im Unterschied zu seinem Bruder Johann I. lutheranischer Landesherr und stärkte den Protestantismus nach außen »durch vermehrte Zusammenarbeit mit anderen gleichgesinnten Staaten wie Württemberg, Kursachsen oder Brandenburg-Ansbach« (Schmid, S. 547). Seine Devise lautete »Deum time, Regem honora«. – Eheschließung am 25. 11. 1582 in Stuttgart mit Dorothea Maria: * 3. 9. 1559 Stuttgart, † 23. 3. 1639 Hilpoltstein; 6. Tochter Hzg. Christophs v. Württemberg und Anna Maria, geb. Mgfin. v. Brandenburg-Ansbach; blieb auch als Witwe in den Wirren des Dreißigjährigen Krieges gegen alle gegenreformatorischen Bestrebungen standhaft. – Sekundärlit.: Christian Haeutle: Genealogie des erlauchten Stammhauses Wittelsbach. Nach Quellen neu bearbeitet und zusammengestellt. München 1870, S. 152f.; Franz Brendle: Dorothea Maria, in: Das Haus Württemberg, 1997, S. 118; Ingeborg Krekler (Hg.): Stammbücher bis 1625. Wiesbaden 1999 (= Die Handschriften der Württembergischen Landesbibliothek, Sonderreihe: Bd. 3), S. 24–35, hier S. 25; Hans Schneider : Sulzbach bei Pfalz-Neuburg bis 1614, siehe: Sulzbach-Rosenberg, 1999, Bd. I, S. 103–127, hier S. 123–125; Alois Schmid: Sulzbach im Konfessionellen Zeitalter, ebd., Bd. II, S. 537–553, hier S. 544–547; Rank, Sulzbach im Zeichen der Gegenreformation, siehe: Sulzbach-Rosenberg, 2003, hier S. 18–23: »Lutherische Konfessionalisierung im Zeitraum 1544–1613«. e) Friedrich IV. von der Pfalz, Pfgf und Kfst: * 5. 3. 1574 Amberg; † 19. 9. 1610 Heidelberg; reg. 1583–1610. – Am 13. 6. 1593 (alten Stils) Hochzeit in Dillenburg mit der Prinzessin Louise Juliane von Oranien-Nassau (1576 Delft – 1644 Königsberg). – Siehe Sachkomm. und Sekundärlit. unter Marquard Freher. f) Karl IX., König von Schweden: siehe Sachkomm. und Sekundärlit. unter Nicodemus Frischlin zu a). g) Wilhelm V. der Fromme, 1579/97 Hzg. v. Bayern: * 29. 9. 1548 Landshut (Burg Trausnitz); † 7. 2. 1626 Schleißheim; zweiter Sohn Albrechts V. des Großmütigen (1550–1579), Hzg. v. Bayern seit 1550; übernahm nach dem

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Tod des Vaters die Regierung im Hzgt. Bayern und setzte dessen gegenreformatorische Politik fort; Ritter des Ordens vom Goldenen Vlies; 1583 Ratifizierung des Konkordats, verbunden mit erheblicher Erweiterung der Befugnisse über kirchliche Regelungen; griff 1583 nach dem Übertritt des Kölner Erzbischofs und Kfst. Gebhard Truchseß von Waldburg zum Protestantismus in den Kurkölnischen Krieg ein. Sein Bruder Hzg. Ernst wurde nach Beendigung des Krieges Kfst. und Ezbf. von Köln. Während der Herrschaft Wilhelms in Bayern entstand die repräsentative Michaelskirche in München, erweiterte der Jesuitenorden u. a. mit Niederlassungen in Altötting, Regensburg und Ebersberg seinen Einflußbereich, erlebten die Künste einen großen Aufschwung. Ab 1594 führte er seinen Sohn Maximilian (I.; 1573–1651) in die Regierungsgeschäfte ein und dankte 1597 ab. – Eheschließung am 22.2. 1568 in München mit Renata v. Lothringen, Tochter des Hzg. Franz I. v. Lothringen mit dessen Ehefrau Christina v. Dänemark, einer Nichte Ks. Karls V.; die hochzeitliche Festmusik lieferte kein Geringerer als Orlando di Lasso, den schon Albrecht 1556 an den Hof hatte ziehen können. – Sekundärlit.: ADB 43, 1898, S. 88–90 (Sigmund von Riezler); Hans Rall: Zeittafeln zur Geschichte Bayerns und der mit Bayern verknüpften oder darin aufgegangenen Territorien. München 1974, S. 34f., 70–72, 118; Europäische Stammtafeln N. F. Bd. I.1, 2005, Tafel 107: Die Herzoge, 1623 Kurfürsten von Bayern. h) Christian I., Kfst. v. Sachsen: siehe Sachkomm. u. Sekundärlit. unter Adam Siber. i) Johann Georg »der Oeconomicus«, Kfst. v. Brandenburg: * 11. 9. 1525 Cölln; † 8. 1. 1598 Cölln; von 1571 bis zum Lebensende Kfst. v. Brandenburg. Unter seiner Herrschaft fand eine, insbes. ökonomisch motivierte, scharfe Verfolgung der märkischen Juden statt, die sie zu einem Exodus vor allem nach Prag und Polen zwang. Gegenüber der Verschuldungspolitik seines Vaters galt seine Sorge der wirtschaftlichen und finanziellen Konsolidierung des Landes wie auch der Sicherstellung der protestantischen Konfession; er unterschrieb 1577 die Konkordienformel und 1580 das Konkordienbuch. – 6. 10. 1577 in dritter Ehe Heirat auf Jagdschloss Letzlingen mit Prinzessin Elisabeth v. Anhalt-Zerbst (1563–1607), Tochter des Fst. Joachim Ernst v. Anhalt (1536–1585). k) Moritz, mit Beinamen »der Gelehrte«, Lgf. von Hessen-Kassel: * 25. 5. 1572 Kassel; † 16. 3. 1632 Eschwege; reg. Hessen-Kassel von 1592 bis 1627 (zur Abdankung gezwungen); 1605 Übertritt zum Calvinismus, durch seine Ehefrauen dazu motiviert. – 1. Ehe geschlossen am 23. 9. 1593 mit Agnes zu Solms-Laubach († 23. 11. 1602); Schwägerin der Anna, Lgfin. von Hessen-Darmstadt und verheiratet mit Albert Otto I. von Solms-Laubach. – 2. Ehe geschlossen am 22. 5. 1603 mit Juliane von Nassau-Dillenburg. –

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Sekundärlit. in Auswahl: Zincgref, Apophthegmata, 2011, Bd. 2, S. 391f. l) Philipp, Gf. v. Lalaing: siehe Sachkomm. und Sekundärlit. unter Joachim Axonius. m) Friedrich I., Hzg. v. Württemberg: * 19. 8. 1557 Mömpelgard; † 29. 1. 1608 Stuttgart; war Gf. v. Mömpelgard (1558–1608) und Hzg. v. Württemberg (1593–1608). Studium 1571–1574 in Tübingen, danach ausgedehnte Bildungsreisen. Als Gesandter bspw. in Angelegenheiten der Hugenotten 1586 nach Paris, 1592 nach London im Zusammenhang mit der Intensivierung württ.-engl. Beziehungen usw.; 1593 reg. Hzg. von Württemberg, verkörperte den neuen europäischen Fürstentyp: neue Wege einer aktiven Wirtschaftspolitik merkantilistischer Tendenz und im Militärwesen, dabei begabt, gebildet, polyglott, weltoffen; starke künstlerische Ambitionen. – Nach dem Ehekontrakt vom 13. 11. 1580 dann am 22. 5. 1581 Hochzeit in Stuttgart mit Sibylla (1564–1614), Tochter des Fst. Joachim Ernst v. Anhalt. – Sekundärlit.: Dieter Stievermann: Friedrich I., in: Das Haus Württemberg, 1997, S. 139–142; ders.: Sibylla, ebd., S. 142; Zincgref, Apophthegmata, Bd. II, 2011, S. 384. n) Reichard (Richard) Frh. v. Streun (auch Strein) und Schwarzenau: * 1538; † 1600. Österreichischer Herkunft aus protestantischen Adelskreisen. Unter seiner Herrschaft wurde 1575–1594 das Schloss Freydegg, Sitz der Freiherren, völlig umgebaut. Richard von Streun galt als enger Vertrauter Ks. Maximilians II. (1527–1576), dessen Erzieher der Lutheraner Wolfgang Schiefer war und dessen »protestantische Neigungen« (Rudersdorf) dazu führten, dass sich in der Zeit vor der Thronfolge Protestanten am Hof und in seiner nächsten Umgebung bewegten. In der Reformation setzte er auf Dürnstein einen Lutheraner als Pfarrer ein. Baron v. Schwarzenau war als Historiker und Politiker, auch schriftstellerisch tätig. – Sekundärlit.: Karl Lechner : Donauländer und Burgenland. Stuttgart 1970 (Handbuch der historischen Stätten Österreich, 1), S. 249, 257, 310, 515, 542f.; Manfred Rudersdorf: Maximilian II. 1564–1576. In: Anton Schindling / Walter Ziegler (Hg.): Die Kaiser der Neuzeit 1519–1918. Heiliges Römisches Reich, Österreich, Deutschland. München 1990, S. 79–98 u. S. 474f. (Literaturbericht). (59) Paulus Cerratus Albensis = Cerrato, Paolo * um 1485 Alba di Monferrato/Piemont; † Mai 1541; der Beiname »Albensis« nach dem Geburtsort Alba. Konfession: altkirchlich. Charakterisierung: Neulateinischer Dichter. Aus einer adeligen und begüterten Familie stammend; sein Vater Benedetto starb 1517. Cerrato hat in seiner Vaterstadt »letteratura volgare«

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studiert und sich, mit besonderem Interesse, auch dem Studium der klassischen Literatur zugewandt. In Pavia wurde er in Jurisprudenz examiniert. 1508 verfasste er jenes Epithalamium zur Hochzeit des Mkgf. Guilielmus Paleologus v. Monferrato mit Anna v. AlenÅon, das über Gruters »Delitiae«-Ausgabe von 1608 in die Anthologie A. Vigelius’ eingegangen ist. Der vielfach geäußerte zeitgenössische Verdacht, das Piemont habe keinen einzigen Dichter hervorgebracht, ist mit dem Hinweis auf G. Vernazza relativiert worden, der über Paulus Cerratus weitläufiger in den »Notizie degli Scrittori Albesani«, S. 28–56, gehandelt und dabei auch folgende Werke angeführt hat: 1. Das bereits genannte »Epithalamium«; 2. drei Epigramme in dem Buch »Coryciana«, Rom 1524; 3. drei Bücher »De virginitate« mit rd. 1500 Hexametern, Paris 1528: »ein allegorisches, deutlich Prudentius verpflichtetes Lehrepos«. Von weiter reichender Bedeutung ist zudem die Tatsache, dass Scaliger (»Poetik«: lib. VI, cap. I, S. 295b; ferner lib. VI, cap. IV, S. 308b; Ausg, 2003, S. 44/45 bzw. S. 144,146/ 145,147) Cerrato in die Liste jener acht neulateinischen Dichter Italiens aufgenommen hat, die sich »mit den antiken messen können« (vgl. Ludwig, 1979, S. 21). Darüber hinaus ist die Beziehung Cerratos zu internationalen literarischen Kreisen dadurch dokumentierbar, dass ein Exemplar des Buches »De Virginitate« von 1528 mit lateinischer Widmung von seiner Hand dem französischen Autor Jean Salmon Macrin (siehe dort) zugedacht war ; das Autograph lautet: »Dono dedit Salmonio Macrino j Paulus ipse Cerratus Albensis.« Lit.: »Pauli Cerrati Albensis Pompeiani de virginitate libri III«, Paris (apud Simonem Colinaeum) 1528, 88; das lat. Werk wurde 1778 von G. Vernazza neu ediert und kommentiert; Texte in: Gruter, Delitiae Italorum Poetarum, Pars (prior), 1608, S. 746–761: unter dem Titel »PAVLII CERRATI ALBENSIS«. Rez.: A. Vigelius, Deliciae, 1624, [Teil II], Nr. XLVI, S. 527–545: »Guilielmi Principis Montisfer. Cum Anna Montisferr.«. Sekundärlit.: Archivio biografico italiano 1 A-M, Fiche I-409; Vicenzo Caputo, I poeti italiani dall’antichit/ ad oggi, 1960, S. 336; G. E. Lessing: Werke u. Briefe, 12 Bde., hg. v. Wilfried Barner in Zus.arbeit mit Karl Eibl u. a., hier Bd. 8: Kunsttheoretische und kunsthistorische Schriften, hg. v. Albert v. Schirnding, München 1974: Tagebuch der italien. Reise, 30. August; Ellinger I, 1929, S. 245; Ian D. McFarlane: Jean Salmon Macrin (1490–1557), in: BibliothHque d’ Humanisme et Renaissance 21, 1959, S. 55–84, 311–349, hier S. 311; Ludwig, in: Antike und Abendland 25, 1979, S. 21, ferner S. 24, 30f., 38; DBI 23, 1979, S. 805f. (Nicola Longo). Kommentar: Text offensichtlich nach: Gruter, Delitiae, s. o., Pars (prior),

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S. 746–761: »In Gulielmi, & Annæ Montisferrati principum nuptiis Epithalamion«. Sachkomm.: bislang nicht geklärt. (60) P. Costalius = Costalius (eigentl. Coustau), Petrus (Pierre) zwei lateinische Namensversionen: firmiert als Petrus Costalius, wenn er in Jurisprudenz und Emblematik publiziert; als Petrus Costus, wenn er sich auf das Feld biblischer Exegese begibt. * in Paris; tätig um 1550–1560. Konfession: ? Charakterisierung: Jurist; Schriftsteller ; Emblematiker ; neulateinischer Dichter. Wenig gesicherte Daten, in der Regel auch nur erschlossen. Studium der Rechtswissenschaft; lebte zeitweilig in Wien und Lyon, dort hat er Mac8 Bonhomme, seinen Verleger, kennengelernt. Lit.: »Adversiorum ex Pandectis Iustiniani imperatoris liber prior, ad quinque et viginti antecedentes libros, authore Petro Costalio«, Lyon (bei M. Bonhomme) 1554; »Typus Messiae et Christi Domini ex veterum prophetarum praesensionibus contra Iudaeorum, authore Petro Costo«, Lyon (M. Bonhomme) 1554; »Petri Costalii de pace carmen«, Paris 1559; »Le Pegme« (in frz. Sprache, nicht erschienen), »Pegma cum narrationibus philosophicis«, Lyon 1555 (122 Embleme mit 95 Picturae; Johann Georg v. Werdenstein [1542–1608] verwendete das Emblem-Buch als Stammbuch mit einer Laufzeit von 1563–1604; Texte in: Gruter, Delitiae Poetarum Gallorum, Pars Prima, 1609, S. 817–832: unter dem Titel »PETRI COSTALII«). Rez.: A. Vigelius, Deliciae, 1624, [Teil I], Nr. V, S. 26: »In laudem conjugii & conjugatorum, Epigrammata varia«, hier : »De Monasterio Inclusis« unter dem Kolumnentitel »LAUDES CONJUGII«. – Siehe auch ebd. S. 23f. Johannes Schosserus; ebd. S. 25 Gregor Bersmanus; ebd. S. 25 Heinrich Porsius; ebd. S. 26f. J.R.L.T.; ebd. S. 27f. Vincenz Opsopoeus; ebd. S. 28 Johannes Major ; ebd. S. 28 Nicolaus Reusner ; ebd. S. 28–30 Gregor Bersmanus; ebd. S. 31 I. A.; ebd. S. 31 Justus Vultejus; ebd. S. 31–32 A.V.; ebd. S. 32f. Justus Vultejus; ebd. S. 33f. Justus Vultejus; ebd. S. 34 Nicolaus Reusner ; ebd. S. 35 M.M. Schefferus; ebd. S. 35–36 Johannes Aurelius Augurellus. Kommentar: Text offensichtlich nach: Gruter, Delitiae, s. o., Pars Prima, S. 829: »De monasterio inclusis«.

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(61) Paulus Melyssus = Schede Melissus, Paulus * 20. 12. 1539 Mellrichstadt/Unterfranken; † 3. 2. 1602 Heidelberg. Konfession: reformiert. Charakterisierung: Neulateinischer Dichter ; Komponist; Bibliothekar. Besuch des Gymnasiums in Zwickau und der Universität in Jena; Kantor im unterfränkischen Königsberg; 1561–1567 am Kaiserhof in Wien, dort 1564 Erhebung zum Poeta Laureatus Caesareus durch Ks. Ferdinand I.; 1566 Teilnahme am Türkenfeldzug unter Maximilian II. In den folgenden Jahren in Paris (Bekanntschaft mit Ronsard und Dorat, siehe dort) und Genf (Bekanntschaft mit Henri Estienne und Beza, siehe dort). 1570 Auftrag vom reformierten Kfst. Friedrich III. v. d. Pfalz, den Hugenottenpsalter von Cl8ment Marot und Beza ins Deutsche zu übertragen; 1579, während seiner großen Italienreise 1577–1580, Ernennung zum Hofpfalzgrafen, lebte zeitweilig in Augsburg und Nürnberg; 1584 mit Georg Erasmus Tschernembl in Paris; mit diesem als »Hofmeister« nach England; Kgin. Elisabeth I. suchte ihn für den Hof zu gewinnen; 1586 vom reformierten Pfgf. Johann Casimir zum Leiter der Bibliotheca Palatina ernannt. Gilt als »Haupt der Heidelberger Dichter des Späthumanismus« und als »einer der angesehensten Vertreter der europäischen Gelehrtenrepublik« (Kühlmann, 1997, S. 1397). Lit.: Epithalamium in Form der Pindarischen Ode »In Nuptias Friderici IV. Electoris Palatini etc.« (1593) in der von ihm selbst zusammengestellten Epithalamien-Sammlung »Emmetron« (siehe unten); Texte in: Gruter, Delitiae Poetarum Germanorum, Pars IV, 1612, S. 342–493: bspw. S. 342: »Ad Elisabetham, Reginam Angliæ«; S. 493: »Ad Elisabetham, Reginam Angliæ« (Epigrammata): unter dem Titel »PAVLI MELISSI FRANCI«; Texte in: Echtermeyer-Seyffert, Anthologie I, 1834 – II/1, 1834; Humanistische Lyrik, 1997, S. 753–861: Textauswahl mit Übersetzungen; drei poetische Beiträge zu Johannes Posthius (»In obitum«, »In effigiem«, »In tvmvlos«) sowie ein in Rom verfasstes Epicedium zum Tod Maria Posthius’, der Tochter des Johannes Posthius (* 26. 2. 1578 in Würzburg, † 25.8.d.J.) in: Erasmus Posthius (Hg.), Posthvma Pietas, 1618, S. 6–9 bzw. S. 40; zahlreiche Stammbucheinträge zwischen 1578 und 1600: siehe Stammbuchdateibank RAA (W.W. Schnabel). Rez.: A. Vigelius, Deliciae, 1624, [Teil II], Nr. XII, S. 196–206: »Friderici IV. Cum Loysa Juliana Uraniae Principe«. Sekundärlit.: Goedeke, Grundrisz, 1884, S. 107f.; Ellinger II, 1929, S. 261 u. ö. s.v. Register ; Eckart Schäfer, Deutscher Horaz, 1973/1976, S. 65–108 u. ö. s.v Register ; ders.: Paulus Melissus Schedius (1539–1602). Leben in Versen, in: Humanismus im deutschen Südwesten, 1993, S. 239–263; Humanistische Lyrik, 1997, S. 1395–1397 (Biogramm), S. 1397f. (Werkver-

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zeichnis), S. 1399–1401 (Forschung); Jaumann, Handbuch, 2004, S. 588f.; Killy/Kühlmann 10, 2011, S. 267–269 (E. Schäfer); Hartmann/Kühlmann, Heidelberg, 2012, S. 152ff. u. ö. s.v. Register. Kommentar: Text offensichtlich nach: Gruter, Delitiae Poetarum Germanorum, Pars IV, 1612, S. 349–356: »In Nvptias Friderici IV. Electoris Palatini et Loisæ Iulianæ Principis Vraniæ etc.« (Pindarische Ode mit siebenfacher Wiederholung der Grundgliederung; diese lyrische Gattung schon realisiert im Gedicht »Ad Elisabetham, Reginam Angliae«, ebd., S. 342–349); Textwiedergabe möglich auch nach: Melissus, Emmetron, 1593, Bl. 3–12. Sachkomm.: siehe unter Marquardus Freher sowie auch unter Janus Gruter zu b): Am 23. 6. 1593 in Dillenburg Hochzeit Friedrichs IV. v. d. Pfalz mit der Prinzessin Louise Juliane v. Oranien-Nassau.– Sekundärlit.: siehe unter Marquardus Freher. (62) Petrus Angelius = Angelius Bargaeus (AngHli, Angelio, degli Angeli), Petrus (Pietro, Piero) * 22. 4. 1517 Barga; † 29. 2. 1596 Pisa; das cognomen »Bargaeus« nach dem Geburtsort. Konfession: altgläubig. Charakterisierung: Neulateinischer und italienischer Dichter ; Lehrer; Historiker ; Gelegenheitsschriftsteller. Aus einer alten und prosperierenden Familie stammend. 1533 Beginn des Studiums der Jurisprudenz in Bologna; besuchte jedoch mit größerem Erfolg die Vorlesungen des Humanisten Romolo Amaseo. Nach kurzem Aufenthalt in Rom und Rückkehr nach Bologna von 1539 bis Mai 1542 in Venedig als Schreiber in Diensten des Guilelmus Pellicerius, Bischofs von Montpellier und Gesandten Frankreichs in Venedig; zugleich Fortsetzung des Studiums der Humaniora; Freundschaft mit Pietro Aretino; befand sich dank der Empfehlung Pelliciers im Gefolge Antoine Polins, des Botschafters in Konstantinopel; dort mit Polin im Auftrag des französischen Königs. Zwischenzeitlich abenteuerhaft anmutendes Leben. 1546 Ruf auf den Lehrstuhl für Latein und Griechisch an der Hochschule in Reggio Emilia, 1549 Ruf Cosimos I. v. Florenz nach Pisa mit der Aufgabe, dort als Nachfolger Francesco Robortellos »lettere umane« zu lehren; neben ihm war der Gräzist Cyriacus Strozza tätig; hier wirkte Bargaeus bis 1573; er kommentierte während dieser Zeit Reden Ciceros, übersetzte Sophokles’ »Oedipus Rex« in die Landessprache und verfasste zudem Liebes- und Hirtendichtung sowie das Jagdgedicht »Cynegeticon« (1561 gedruckt); von 1573 bis 1587 fungierte er in Rom als humanistischer Berater des Kardinals Ferdinand Medici und lebte, im Genuß ungeschmälerter

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»Fürstengunst« (Rüdiger, S. 497f.), seiner Dichkunst; seinem Gönner folgte er Ende 1587 nach Florenz, zog nach kurzem Aufenthalt jedoch nach Pisa weiter, wo ihm die Würde eines Konsuls der Akademie verliehen wurde. Von 1575 an machte er sich mit Sperone Speroni und anderen für Kardinal Gonzaga an die Revision von Torquato Tassos »Gerusalemme liberata« sowie neben kleineren Werken auch an die Ausarbeitung des Epos »Syrias« in 11 Büchern, dessen erste beiden Bücher er 1582 Heinrich III. von Frankreich und dessen drittes und viertes Buch er 1584 Caterina de’ Medici widmete; eine sechs Bücher umfassende Fassung von 1585 enthält ein Widmungsschreiben an Papst Sixtus V. Rezeptionsgeschichtlich bedeutsam wurde das nachhaltige Interesse des Schede Melissus an den Dichtungen P. Angelius’ während seines Italienaufenthaltes 1577–1580, wobei hier im besonderen die Beschäftigung mit der Pindarischen Ode angeregt worden sein dürfte. Lit.: »Syrias hoc est expeditio illa celeberrima Christianorum Principum qua Hierosolyma ductu Goffredi Bulionis Lottaringiae Ducis a Turcarum tyrannide liberata est« (Florenz 1591; ein Werk nach dem Vorbild Tassos); »Poemata omnia« (Florenz 1561, 1568); die Sammlung italienischer Gedichte »Poesie Toscane« Florenz 1589; poetische Epistolae, u. a. an Melissus; Leichenreden auf Heinrich III., Kg. v. Frankreich, und auf die Landesherren der Toskana Cosimo I. und Francesco I.; »Commentarius de bello Senensi« (Darstellung des Krieges 1556 zwischen Cosimo und Siena); Texte in: Gruter, Delitiae Italorum Poetarum, Pars (prior), 1608, S. 111–159: unter dem Titel »PETRI ANGELII BARGÆI«; zum Werk W. Rüdiger, siehe unten, S. 464–483, 498ff. Rez.: A. Vigelius, Deliciae, 1624, [Teil II], Nr. XLIV, S. 502–516: »Francisci Medicis, Cum Jo. Austria«. Sekundärlit.: Wilhelm Rüdiger : Petrus Angelius Bargaeus. Ein Dichterund Gelehrtenleben. In: Neue Jahrbücher für das Klassische Altertum, Geschichte und Deutsche Literatur und für Pädagogik (hier : Zweite Abteilung: Neue Jahrbücher für Pädagogik) 1 (1898), S. 385–400, 464–483, 497–517; Ellinger I, 1929, S. 290–294, 303; Giulio Dolci: Art. »Angeli, Pietro degli«. In: Enciclopedia Italiana, Bd. VII. Mailand 1929, S. 292; DBI 3, 1961, S. 201–204 mit reicher Bibliographie (Alberto Asor-Rosa); E. Schäfer, Der deutsche Horaz, 1976, S. 81, Anm. 85; Letteratura italiana, Bd. 1, 1990, S. 83f. (Maurizio Moschella); Malato, Storia, Bd. V, 1997, S. 296, 612, 732. Kommentar: Text offensichtlich nach: Gruter, Delitiae, s. o., Pars (prior), S. 111–123: »Epithalamium in nuptias Fr. Medicis & Ioh. Austriæ«; nach Rüdiger, S. 477, teilweise unter Bezugnahme auf das »Epithalamium in Stellam et Violentillam« des Statius; nach Ellinger, S. 292, das umfangreichste seiner Gelegenheitsgedichte.

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Sachkomm.: Francesco I de’ Medici, granduca di Toscana: * 25. 3. 1541 Florenz; † 20. 10. 1587 ebd.; aus dem Geschlecht der Medici, der älteste der fünf Söhne Cosimos I., duca di Firenze. 1574 Großherzog der Toskana in der Nachfolge Cosimos I. († 21. 4. 1574), dabei erstmals Anerkennung des Titels durch den Kaiser. Francescos Außenpolitik ist im Unterschied zu der seines Vaters von enger Anlehnung an Österreich und an Spanien als weiterer Schutzmacht bestimmt, während die Beziehungen zu Frankreich ruhten. Im Innern kamen seine literarischen, künstlerischen und wissenschaftlichen Neigungen in vielen glänzenden Unternehmungen zum Ausdruck: etwa in der Gründung der Galleria degli Uffizi, im Bau des Schlosses Pratolino, in der Institutionalisierung der Crusca, in den Beziehungen zu den großen Künstlern des Jahrhunderts, aber auch in der Leidenschaft für Alchemie, Porzellanherstellung und die mechanischen Künste. – Eheschließung in 1. Ehe mit glänzenden Hochzeitsfeierlichkeiten am 13. 12. 1565 in Florenz mit Johanna von Österreich (* 24. 1. 1547; † 9. 4. 1578 im Kindsbett), Tochter des Ks. Ferdinand I. und Schwester des Ks. Maximilian II. Der Artikel dazu im biographischen Lexikon von Wurzbach führt neben dem Epithalamium P. Angelius’ zwei weitere Hochzeitsgedichte (Giovanni Guadagni, Antonio Renieri) sowie Lob- und Funeralreden auf Johanna an. Die zweite aus dieser Ehe hervorgehende Tochter, Maria de’ Medici, wurde am 5. 10. 1610 die Gemahlin Heinrichs IV., Königs von Frankreich. In 2. Ehe heiratete Francesco seine langjährige Mätresse Bianca Cappello unmittelbar nach dem Ableben Johannas. – Sekundärlit.: v. Wurzbach, Lexikon, Bd. 6, 1860, S. 290–292, Nr. 122: Art. »Johanna von Oesterreich«; DBI 49, 1997, S. 797–804: Art. »Francesco I de’ Medici« (Gino Benzoni). (63) Petrus Lotichius = Lotichius Secundus, Petrus * 2. 11. 1528 Niederzell b. Schlüchtern; † 7. 11. 1560 Heidelberg. Konfession: evangelisch. Charakterisierung: Mediziner, Hochschullehrer ; neulateinischer Dichter. Sohn des Bauern Johannes (Hans) Lotz(e); sein gleichnamiger Onkel und Abt des Schlüchterner Klosters veranlasste die Erziehung des begabten Jungen in der Klosterschule; 1544 an die Universität Marburg, 1546 an die Universität Wittenberg, um Melanchthon zu hören; von dort weiter nach Magdeburg und über Schlüchtern nach Erfurt: Frühjahr 1548 zurück an die neueröffnete Universität Wittenberg, dort im September 1548 Erwerb des Magistertitels bei Melanchthon; begleitete ab 1550 als Tutor Neffen des Würzburger Domherrn auf der peregrinatio nach Burgund, Paris und Montpellier, an der letzteren Universität eingeschrieben als Student der Medizin (23. 11. 1551); von Avignon mit seinen Schutzbefohlenen Frühling 1554 nach Deutschland zurück; im Herbst d.J. erneut Aufbruch nach Ita-

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lien, um das Medizinstudium fortzusetzen; über Padua nach Bologna (1555), dort Dr. der Medizin Mai 1556; Kfst. Ottheinrich v. d. Pfalz berief ihn als Prof. der Medizin an die Univ. Heidelberg; zu dem in der Kurpfalz entstehenden Kreis von Schülern und Freunden gehörte auch Johannes Posthius (siehe dort). Seinen Zeitgenossen galt Lotichius als »princeps poetarum«, den Schülern und Freunden im Heidelberger Kontext das Buch seiner Elegien als »felix imitatio veterum«. Zu seinen 5 Büchern Elegien, zwei Büchern »Carmina« und fünf Eklogen gehört ein Epithalamium zur Hochzeit des Hzg. Johann Wilhelm v. Sachsen; Lotichius legte als Muster das Epithalamium des Georg Sabinus aus Anlass der Hochzeit des polnischen Kg. Sigismund II. August von 1543 für seine eigene Textbildung zugrunde (vgl. bes. Mundt, S. 448f.). Lit.: Texte in: Gruter, Delitiae Poetarum Germanorum, Pars III, 1612, S. 1297–1507; »Po[mata omnia …, Tom. 1, Amstelodami 1754«, hier S. 610–647 (dazu L. Mundt: in dieser späten Ausgabe des 18. Jh. ist die Ecloga VI vom Herausgeber aus dem ursprünglichen Eklogen-Komplex, in den der Text eingebettet war, herausgenommen); Texte in: EchtermeyerSeyffert, Anthologie I, 1834 – II/1, 1834 – II/2, 1835; Parnassus Palatinus, 1989, S. 50–63: ausgewählte Texte lateinisch und deutsch; Humanistische Lyrik, 1997, S. 395–497: repräsentative Textauswahl mit Übersetzungen. Rez.: A. Vigelius, Deliciae, 1624, [Teil II], Nr. XX, S. 323–345: »Johannis VVilhelmi Ducis Saxoniae, Cum (Susanna) Dorothea Palatina«: Epithalamium in Eklogenform. – Siehe auch ebd. S. 345–350 Johannes Stigelius. Sekundärlit.:Goedeke, Grundrisz, 1884, S. 102f.; Schroeter, Beiträge, 1909, S. 36–128 u. ö. s.v. Register ; Ellinger II, 1929, S. 340–395 u. ö. s.v. Register ; NDB 15, 1987, S. 238–240 (Adalbert Elschenbroich); Killy 7, 1990, S. 352–355 (Bernhard Coppel); Parnassus Palatinus, 1989, S. 276–278; B. Coppel, in: Füssel, Dichter, 1993, S. 529–544; Humanistische Lyrik, 1997, S. 1178f. (Biogramm), S. 1180–1182 (Forschung); speziell: L. Mundt, in: Daphnis 32 (2003), S. 448f.; Killy/Kühlmann 7, 2010, S. 523–525 (B. Coppel); Hartmann/Kühlmann, Heidelberg, 2012, S. 150ff. u. ö. s.v. Register. Kommentar: Text offensichtlich nach: Gruter, Delitiae, s. o., Pars III, S. 1457–1475: »LOTICHII ECLOGA VI« »In Nvptias Illvstr. Principis Ioannis Gulielmi Saxoniæ Ducis, etc.«. Sachkomm.: Johann Wilhelm, Hzg. v. Sachsen-Weimar : * 11. 3. 1530 Torgau, † 2. 3. 1573 Weimar ; aus dem Haus der ernestinischen Wettiner ; zweiter Sohn Johann Friedrichs I. des Großmütigen (1503–1554), Hzg. v. Sachsen, und dessen Ehefrau Sibylle v. Jülich-Kleve-Berg. Nach Ableben des Vaters, für seine Untertanen und darüber hinaus »Märtyrer des Protestantismus« (Schirmer, 2004, S. 75), trat 1554 Johann Wilhelm in dem auf

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Gebiete in Thüringen beschränkten Hzgt. gemeinsam mit seinem älteren Bruder, Johann Friedrich II., die Herrschaft an. Nach der unter ihnen vereinbarten Landesteilung von 1565 erhielt der ältere Sachsen-CoburgEisenach mit Residenz in Gotha, der jüngere, Johann Wilhelm, SachsenWeimar. Aufgrund unkalkulierbarer politischer Aktivitäten (Kampf um die Rückgewinnung der 1547 abgetretenen sächsischen Kurwürde) verlor zunächst Johann Friedrich seine Herrschaft (Verhängung der Reichsacht über ihn, 1567 militärische Niederlage durch Kfst. August v. Sachsen [albertinisch], kaiserliche Gefangenschaft); die kaiserliche Ungnade traf dann auch Johann Wilhelm, der – politisch ebenso wie konfessionspolitisch unklug – als General den französischen Kg. Karl IX. in dessen Feldzug gegen die Hugenotten unterstützte. – Eheschließung im Juni 1560 mit Susanna Dorothea, einer Tochter Friedrichs III., Pfgf. bei Rhein. – Sekundärlit.: ADB 14, 1881, S. 343–350 (Ernst Wülcker); NDB 10, 1974, S. 350f. (Thomas Klein); Uwe Schirmer : Die ernestinischen Kurfürsten bis zum Verlust der Kurwürde (1485–1547). In: Kroll (Hg.), Die Herrscher Sachsens, 2004, S. 55–75; Zincgref, Apophthegmata, 2011, Bd. 2, S. 704. – Siehe auch unter Johannes Stigelius zu b). (64) Philippus Melanthon = Melanchthon (eigentl. Schwartzerdt), Philipp * 16. 2. 1497 Bretten/Kurpfalz (heute: Kreis Karlsruhe); † 19. 4. 1560 Wittenberg. Konfession: protestantisch-lutherisch. Charakterisierung: Humanist und Reformator ; Philologe; Pädagoge; Theologe; Lehrbuchautor ; neulateinischer Dichter. Studium in Heidelberg 1509–1512 und Tübingen 1512–1518, dort Magister artium 1514; schon mit 21 Jahren Berufung auf den neu gestifteten Lehrstuhl für Griechisch an der Universität Wittenberg, sein Verwandter Johannes Reuchlin hatte ihn 1518 dem sächsischen Kfst. empfohlen. In Wittenberg »geriet Melanchthon ganz unter den Einfluss Luthers«; Studium der Theologie, theologisches Baccalaureat 1519. Beginn der »[s]ystematischen Entfaltung der reformatorischen Theologie« (Scheibe, 2010, 145); während seines Rektorates 1523/24 grundlegende Studienreform im Sinne seines humanistisch-reformatorischen Ansatzes; rege Tätigkeit als Berater bei Schul-, Universitäts- und Kirchenreformen innerhalb und außerhalb des Landes, Berater der Protestanten auf Reichstagen und bei Religionsgesprächen seit 1529; erfolgreiches Wirken für den Erhalt der Universität Wittenberg nach der Niederlage des Schmalkaldischen Bundes 1547. Sein fachliches, theologisches und literarisches Schaffen trug ihm die Wertschätzung als »Praeceptor Germaniae« ein. Früh fand er auch Eingang in die Tradition der humanistischen Poetik, repräsentiert in den schon in

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den 40–er Jahren entstandenen, aber erst 1561 postum publizierten »Poetices libri septem« Scaligers (lib. VI, cap. IV, S. 308a; Ausg. 2003, S. 142,144 bzw. 143,145), wobei mit dem Präzeptor zugleich eine Reihe namhafter ›Schüler‹ des Erfurter bzw. Wittenberger Kreises angeführt ist: Stigelius (siehe dort), Georg Aemilius, Michael Acontius, Johannes Wolf, Joachim Camerarius d.Ä. – allesamt Nachfolger »von nicht unbedeutendem Talent«. Lit.: Texte in: Gruter, Delitiae Poetarum Germanorum, Pars IV, 1612, S. 328–342: bspw. »Impetus Poeticos esse dona Dei«; »Contra curiositatem«; »Apophtegma Alberti Dureri«: unter dem Titel »PHILIPPI MELANTHONIS PALATINI«; Texte in: Echtermeyer-Seyffert, Anthologie I, 1834; Humanistische Lyrik, 1997, S. 339–357: Textauswahl aus den »Epigrammatum libri tres« mit Übersetzungen; zahlreiche Stammbucheinträge: siehe Stammbuchdateibank RAA (W. W. Schnabel).. Rez.: A. Vigelius, Deliciae, 1624, [Teil I], Nr. II, S. 10: »Duo Epithalamia omnium piorum conjugum, H Psalmo CXXVIII«. – Siehe auch ebd. S. 10f. Sebastianus Artomedes. Sekundärlit.: Goedeke, Grundrisz, 1884, S. 92f.; Schroeter, Beiträge, 1909, 99–104 u. ö. s.v. Register ; Ellinger II, 1929, S. 47–49, 65–67 u. ö. s.v. Register ; Press, Calvinismus, 1970, S. 226–230 u. ö. s.v. Register ; NDB 16, 1990, S. 741–745 (Robert Stupperich); Killy 8, 1990, S. 88–92 (Heinz Scheible); TRE 22, 1992, S. 371–410 (Scheible; grundlegend); Bauer, in: Füssel, Dichter, 1993, S. 428–463 (mit Bibliographie); Frankfurter Biographie 2, 1996, S. 30f. (Reinhard Frost); Humanistische Lyrik, 1997, S.1144f. (Biogramm), S. 1145f. (Forschung); Scheible (Hg.), Melanchthon in seinen Schülern, 1997; Ludwig, Musenkult und Gottesdienst – Evangelischer Humanismus der Reformationszeit: In: ders. (Hg.), Die Musen, 2001, S. 9–51; Jaumann, Handbuch, 2004, S. 444–446; Killy/Kühlmann 8, 2010, S. 145–150 (Heinz Scheible); Zincgref, Apophthegmata, 2011, Bd. 2, S. 801 u. ö. s.v. Register ; Hartmann/Kühlmann, Heidelberg, 2012, S. 56 u. ö. s.v. Register. Kommentar: Texte nicht nach: Gruter, Delitiae, s. o., Pars IV. (65) Salomon Macrinus = Salmonius Macrinus (eigentl. Salmon mit dem Beinamen Macrin), Johannes (Jean) * 1490 Loudun; † 20. 10. 1557 ebd.; zum Beinamen »Macrinus« vgl. M.-F. Schumann, siehe unten, S. 98f. Konfession: altgläubig. Charakterisierung: Neulateinischer Dichter : der »französische Horaz« (»l’Horace franÅais« [NBG 43, 1864; J. Boulmier, 1872, hier nach McFarlane, 1959, S. 55]).

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Sohn eines Bäckers und Weizenhändlers. Der Leiter der höheren Schule in Loudun soll den Vater veranlasst haben, seinen Sohn auf die Universität nach Paris zu schicken, an der er die ersten Jahre des Rechtsstudiums unter Anleitung von Jacques LefHvre d’E˙taples (1455–1537) verbrachte. Unter nicht bekannten Umständen gewann er die Gunst des Kardinals Antoine Bohier, Erzbischofs von Bourges, und wurde dessen Sekretär, zudem Schüler Hieronymus Aleanders (1480–1542), des päpstlichen Nuntius und maßgeblichen Luther-Gegners, der 1508–1510 und nochmals 1513 in Paris weilte; während dieser »8poque« wurde Salmon Macrin in die griechische und lateinische Literatur eingeführt. Ab ca. 1519 hielt er sich, als Präzeptor von Claude und Honor8, den Söhnen Ren8s de Savoie, Onkel des Königs, zeitweilig am Hof Franz’ I. auf; 1528 Verehelichung mit der 18–jährigen Guillonne Boursault, der Gelonis einer großen Anzahl neulateinischer Gedichte. Zwischen Ende 1533 und Juni 1534 Anstellung als Königlicher Kammerherr (Cubicularius Regius), die ihm auch nach dem Tod Franz’ I. (1547) erhalten blieb. Für seine neulateinische Liebesdichtung wurden Catull und vor allem Horaz – daher der poetische Beiname –, aber auch Anakreon sowie Italiener der frühen Neuzeit (etwa Pontano) literarische Vorbilder ; daher gilt seine Poesie als »Muse na"ve« und »tendre style«. Zu seinen prominenten Freunden und dichtenden Zeitgenossen zählten Joachim du Bellay, FranÅois Rabelais, Pierre de Chastel und Michel de l’Hospital sowie Cl8ment Marot; zudem gilt sein Einfluß auf die Dichtung der Pl8iade als nachhaltig. Gruter hat poetische Adressen des Michael Hospitalis »Ad Salmonium Macrinum« integriert in: Delitiae Poetarum Gallorum, Pars Altera, S. 107f., 180–182, 216–218; ebenso von Dorat »Ad Macrinum« in: Pars Prima, S. 289f.; ebenso von Johannes Stigel im 4. Buch der »Poemata«, Elegia XI; und du Bellay stellte Macrin an die Seite von Pontano, Sannazaro, Marullus, Petrarca sowie von Beza in seiner Jugenddichtung, ferner von Tyard und Ba"f; er galt als »Leitfigur des französischen ›goldenen Zeitalters‹« (Schumann, S. 107). Lit.: Siehe M.-F. Schumann: Salmon Macrin, 2009, S. 182–269: Texte und Übersetzungen der »carmina ad Gelonidem« von 1528 und 1530; McFarlane, 1960, S. 84–88: Werkverzeichnis, vgl. Schumann, S. IX: Salmons Werke erschienen zwischen 1513 und 1550; Texte in: Gruter, Delitiae Poetarum Gallorum, Pars Altera, 1609, S. 453–573: unter dem Titel »SALMONII MACRINI IVLIODVNENSIS«. Rez.: A. Vigelius, Deliciae, 1624, [Teil I], Nr. IV, S. 21–23: »De concordia & discordia conjugali«, beginnend mit dem ersten Vers der ersten alkäischen Strophe: »Vinclis amoris connubialibus«. – Siehe auch ebd. S. 23 Justus Vultejus. Sekundärlit.: Nouvelle Biographie G8n8rale 43, 1864, Sp. 200f.; Ian D.

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McFarlane: Jean Salmon Macrin (1490–1557). In: BibliothHque d’Humanisme et Renaissance 21, 1959, S. 55–84, 311–349; ebd. 22, 1960, S. 73–89; E. Schäfer, Der deutsche Horaz, 1976, S. 38, 75, 249; Philip Ford: Jean Salmon Macrin’s »Epithalamiorum Liber« and the joys of Conjugal Love. In: Eros et Priapus. Erotisme et obsc8nit8 dans la litt8rature n8o-latine. Hg. von Ingrid de Smet und Philip Ford. Genf 1997 (Cahiers d’Humanisme et Renaissance, 51), S. 65–84; Marie-FranÅoise Schumann: Salmon Macrin und sein Werk unter besonderer Berücksichtigung der »carmina ad Gelonidem« von 1528 und 1530. Berlin 2009 (Hamburger Beiträge zur Neulateinischen Philologie, 6), S. 97–139: »Macrin in seiner Zeit«, S. 143: »Genealogie«. Kommentar: Text offensichtlich nach: Gruter, Delitiae, s. o., Pars Altera, S. 486–487: »Ad Gelidonidem vxorem de concordia coniugali«. – Vgl. Salmonius Macrinus: »Hymnorum libri sex, ad Io. Bellaium, S.R.E. Cardinalem ampliss.«. Paris 1537, hier : Liber secundus, S. 72–73: Nr. 13 (nach: Schumann, S. 33 bzw. S. 66). Vigelius hat den Text um die letzte Strophe gekürzt; sie lautet: Hortatibus non qukd sit opus meis Hæc explicaui: at gratior vt foret Quam vincta mecum pax fidesque, Me mihi chara magis Geloni. (Übersetzung: Nicht weil es etwa meiner Mahnungen bedürfte, hab’ ich dieses ausgeführt – vielmehr auf daß noch lieber werde als die mir verbundne Frau der Frieden und die Treue, als Gelonis, teurer mir als ich mir selber.) (66) Sebastianus Artomedes = Artomedes (auch Artomaeus, eigentl. Brotsorg), Sebastian * 1544 Langenzenn; † 11. 9. 1602 Königsberg/Preußen. Konfession: protestantisch, philippistisch. Charakterisierung: Evangelischer Pfarrer, Kirchenlieddichter, PLC. Eingeschrieben 1562 an der Universität Wittenberg, dort 1567 Erwerb des Magistergrades; Rektor der Schule in Crailsheim; 1572 in Ansbach Hofprediger des Mgf. Georg Friedrich v. Brandenburg-Ansbach. 1579 von demselben mit der Order nach Königsberg mitgenommen, als Kurator für den schwachsinnigen Hzg. Albrecht Friedrich v. Preußen die Regierungsgeschäfte zu führen; aus diesem Anlaß für ihn eine kleine Sammlung mit Abschiedsgedichten vom 11. 4. 1579 »Desideria et vota, quibus amici prosequuntur reverendum … Seb. Artomedem, H Franconia in Borussiam demigrantem« (Druck 1579; BNU Strassburg). 1579 wider den Willen des

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Mgf. Pfarrer »der kneiphöfischen Kirche«: ein gemäßigter Philippist; der bereits in Wittenberg mit der Grundrichtung des Philippismus vertraut geworden ist. Trat mit geistlichen Dichtungen hervor, etwa mit der poetischen Übersetzung der Bußpsalmen; Predigtkunst nach Maßgabe der humanistischen Rhetorik; früh mit der Dichterkrönung ausgezeichnet. Lit.: »Lacrymae Davidis« (1590); Texte in: Gruter, Delitiae Poetarum Germanorum, Pars I, 1612, S. 395–403. Rez.: a) A. Vigelius, Deliciae, 1624, [Teil I], Nr. II, S. 10f.: »Duo Epithalamia omnium piorum conjugum, H Psalmo CXXVIII«. – Siehe auch ebd. S. 10 Philipp Melanchthon; ebd. S. 11f. Matthias Martinius; b) ebd., [Teil I], Nr. VI, S. 37–39: »Nuptiae protoplastorum in paradiso, secundo decantatae«. – Siehe auch ebd. S. 39 Albert Friedrich Mellemann; ebd. S. 40–46 Johannes Himmelius; c) ebd., [Teil I], Nr. IX, S. 57–68: »Nuptiæ Tobiæ Ad Joannem Feurelium«; d) ebd., [Teil II], Nr. XXIV, S. 388–389: »Ludovici Ducis Wirtenbergicis, Cum Dorothea Badensis«. – Siehe auch ebd. S. 390–400 Nicodemus Frischlin; e) ebd., [Teil II], Nr. XXXII, S. 449–455: »Ornithore Ecloga De Nuptiis Hennebergensibus«; f) ebd., [Teil II], Nr. , S. 606–617: »(Elegia) De Conjugio Sacerdotum (Ad Johannem Zodicium etc.)«; g) ebd., S. 618: »In Cœlibatum Impurum Pontificiorum«. Sekundärlit.: G. C. Pisanski’s Entwurf einer preußischen Literärgeschichte in vier Büchern [1790]. Mit einer Notiz über den Autor und sein Buch hg. v. Rudolf Philippi. Königsberg 1886, S. 115, 179f., 203; Altpreußische Biographie 1, 1936–1941, S. 20 (Kurt Tiesler); NDB 1, 1953, S. 403 (Fritz Gause); BBKL 1, 1975, Sp. 249 (F.W. Bautz). Kommentar: Texte a) – g) nicht nach: Gruter, Delitiae Poetarum Germanorum, Pars Prima, 1612, S. 395–403. Sachkommentar: d) siehe Sachkommentar und Sekundärlit. unter Nicodemus Frischlin zu b): Ludwig III. (I): Heirat in 1. Ehe am 7. 11. 1575 in Stuttgart mit Mgfin. Dorothea Ursula (1559–1583), Tochter von Mgf. Karl II. v. Baden-Durlach (1529–1577): erste baden-württembergische Ehe. – Hochzeit in 2. Ehe am 10. 5. 1585 in Stuttgart mit Ursula (24. 2. 1572–5.3.1635), Tochter von Georg Johann I., Pfgf. v. Pfalz-Veldenz-Lützelstein. – Sekundärlit.: ADB 19, 1884, S. 597f. (v. Alberti); NDB 6, 1964, S. 221–223 (Peter Fuchs); Manfred Rudersdorf: Ludwig, in: Das Haus Württemberg, 1997, S. 114–116; ders.: Dorothea Ursula, ebd., S. 116f. bzw. Ursula, ebd., S. 117f.

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e) Eines der wenigen Epithalamien in der profangeschichtlichen Reihe dieser Anthologie, das nicht zu einer Adelsheirat gedichtet ist, hier für : Kaspar Hennenberger (in latein. Publikationen »Casparus Hennebergus Erlichensis«; nannte sich selber »Erlichensis« und »Francus«): * 1529 Erlich/Oberfranken; † 29. 2. 1600 Königsberg/Preußen; protestantischevangelisch. Eltern unbekannt; aus seiner fränkischen Heimat nach Preußen zugewandert, studierte er seit Mitte 1550 (imm. 30.6.) in Königsberg; Studium der evangelischen Theologie; Ende 1554 wurde er Kaplan in Domnau und Pfarrer in Georgenau/Kr. Friedland, 1560 Pfarrer in Mühlhausen/Kr. Pr.-Eylau; dort war Georg von Kunheim, der Ehemann von Luthers Tochter Margarete, sein Patron; 1590 erhielt er die Pfarrstelle am fürstlichen Hospital in Königsberg-Löbenicht. Seine Bedeutung liegt vor allem auf dem Gebiet der Kartographie; 1576 erschienen seine nicht zuletzt auf empirischer Basis entstandenen kartographischen Arbeiten im Druck unter dem Titel »Prussiae, das ist des Landes Preußen … warhafftige Beschreibung durch Casparum Hennenbergerum Erlichensem«, auch »Die große Mappe« genannt; auf Befehl des Hzg. Georg Friedrich stellte er die Karte noch einmal, nun in kleinerem Maßstab, her, sie wurde in Antwerpen in Kupfer gestochen: »Prussia accurate descripta a Casparo Henneberg. Erlichensi«. – Eheschließung 1556 mit Klara Kaufmann, Tochter eines Schiffers, zwei Söhne: Kaspar und Hans († 21. 12. 1601); letzterer wurde 1593 herzoglicher Hofmaler in Königsberg, ausgebildet von dem Ansbacher Hofmaler Thomas Bitterer, der 1585 einen Auftrag zum Bau und zur Ausmalung der Königsberger Schlosskirche erhalten hatte. – Sekundärlit.: ADB 11, 1880, S. 769–771 (Lohmeyer); Altpreußische Biographie 1, 1936–1941, S. 266 (Loch) bzw. S. 265f. (Zech); NDB 8, 1969, S. 542f. (Werner Horn). f) Eines der wenigen Epithalamien in der profangeschichtlichen Reihe dieser Anthologie, das nicht zu einer Adelsheirat gedichtet ist, hier für : Lactantius Johannes Codicius: * 1536 Schluckenau/Nordböhmen; bezeugt bis 1561; Studium in Frankfurt/O., Rostock, Wien; Lehrer in Kulm (Chelmno/Polen); Canonicus in Bautzen. Verfasste einen Hochzeitsglückwunsch auf Johannes Schosserus (siehe dort) vom 18. 11. 1560 (gedr. 1560); 1557 einen Beitrag zur Hochzeitsschrift des Johannes Bocerus; eine Elegie zur Hochzeit Jacob Bergmanns, Prof. in Frankfurt/O., mit Margarete Pappius 1561. – Sekundärlit.: Internet-Edition CAMENA, Einführung zum Abdruck von Texten nach Janus Gruter. (67) Stephanus Forcatulus = Forcadel, Ptienne * um 1518 in der Region von B8ziers ; † Anfang des Jahres 1578 Toulouse. Konfession: reformatorisch gesinnter Humanist.

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Charakterisierung: Humanist; Hochschullehrer, Professor der Juristischen Fakultät; juridischer Schriftsteller, neulateinischer Dichter ; Historiker. Sohn eines Edelstein- und Preziosenhändlers; studierte Recht an verschiedenen Universitäten, vor allem zu Paris, und wurde in Toulouse Schüler von Arnaud Du Ferrier ; nach der Promotion zum Doktor beider Rechte wurde er am 7. September 1556 an der Universität von Toulouse zum Professor der Jurisprudenz ernannt. Den größten Teil seines Lebens verbrachte er in Toulouse. Neben neulateinischer Dichtung hat er, im Sinne der zeitgenössischen Imitationspoesie Ronsard folgend, auch im heimischen Idiom gedichtet; in Fragen der Glaubensüberzeugung galt ihm Erasmus als Orientierung, in der Rechtslehre war er ein strenger Verfechter des Römischen Rechts (Mesnard, S. 458). Lit.: Po8sies, Lyon 1551; Epigrammata, Lyon 1554; Dissertation »De jure, authoritate et imperio regum Francorum«; Texte in: Gruter, Delitiae Poetarum Gallorum, Pars Prima, 1609, S. 899–922: unter dem Titel »STEPHANI FORCATVLI«. Rez.: A. Vigelius, Deliciae, 1624, [Teil II], Nr. VI, S. 143: »Caroli IX. Regis Galliarum«. – Siehe auch ebd. S. 138–143 Joannes Auratus (Dorat). Sekundärlit.: Gottlob von Polenz: Geschichte des politischen französischen Calvinismus vom Aufstand von Amboise i. J. 1560 bis zum Gnadenedict von Nimes i. J. 1629. Zweiter Theil. Gotha 1860, S. 470; Pierre Mesnard: Un rival heureux de Cujas et de Jean Bodin: Etienne Forcadel. In: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte (Romanistische Abteilung) 67 (1950), S. 440–458; J. Domergue: Art. »Forcadel, Ptienne (Forcatulus)«. In: Dictionnaire de Biographie FranÅaise, Bd. 14. Paris 1979, Sp. 423f. Kommentar: Text offensichtlich nach: Gruter, Delitiae, s. o., Pars Prima, S. 899f. Sachkomm.: Zu Karl IX. (1550–1574), König von Frankreich, siehe Sachkomm. und Sekundärlit. unter Auratus zu a). (68) Theod. Beza V. = Beza (eigentl. BHze), Theodorus (Th8odore de) * 24. 6. 1519 V8zelay/Burgund, daher die Initiale »V«; † 13. 10. 1605 Genf. Konfession: reformiert; als Nachfolger Calvins geistiges Haupt und Wortführer der Calvinisten. Charakterisierung: Theologe und Pfarrer ; Jurist und Verwaltungsfachmann; Humanist und Autor ; Diplomat und Konfessionspolemiker ; Widerstandstheoretiker (Monarchomache). Zu Biogramm und ausgewählter Sekundärliteratur siehe: Zincgref, Apophthegmata, 2011, Bd. 2, S. 732f.; zu ergänzen ist, dass er über den – 1553

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in Genf unter aktiver Teilnahme Calvins auf dem Scheiterhaufen endenden – Häretiker Michel Servet 1554 in paradigmatischer Absicht die Schrift »De haereticis a civili magistratu puniendis« verfasste; hervorzuheben ist im besonderen seine Arbeit an der Vollendung der Psalmübersetzung Cl8ment Marots. Nach seiner Einführung in die protestantische Lehre 1535 durch Melchior Wolmar und der Verehelichung mit Claudine Dosset 1548 in Genf nach reformiertem Ritus distanzierte er sich 1550 in der Vorrede zu seinem Bibeldrama »Abraham sacrifiant« aufs entschiedenste von seinen weltlichen Jugenddichtungen als »fictions et flatteries« (nach Barbara Mahlmann-Bauer, siehe Lit.angabe unter Jacomotus, S. 344f.). Lit.: Texte in: Gruter, Delitiae Poetarum Gallorum, Pars Tertia, 1609, S. 578–743: unter dem Titel »ADEODATI SEBÆ VESELIENSIS IVVENILIA«; »SEBAE« ist dabei das leicht durchschaubare Anagramm zu »Bezae«; vgl. eine Ergänzung zum Titel von alter Hand im Wolfenbütteler Exemplar: ›seu Theodori Bezae, Vecelij‹; zahlreiche Stammbucheinträge, u. a.: Genf 22. 8. 1591 in das Album von Heinrich Carlhack Hermeling (1571–1614); Genf 15. 5. 1593 in das Album von Simon Engel von Wagrain; Genf 15.2./ 3.1594 in das Album von Anders Schwendi († um 1646); o.O. 10. 8. 1595 in das Album von Johannes Haller ; Texte in: Echtermeyer-Seyffert, Anthologie II/1, 1834 unter dem Pseudonym »Seba, Adeodatus«. Rez.: A. Vigelius, Deliciae, 1624 [Teil I], Nr. VIII., S. 47–56: unter dem Kolumnentitel »Nuptiæ Incest. Davidis« lautet der spezifische Gedichttitel: »Nvptiarvm Incestarum Davidis Cum Bathsabaea Et consecutae, Deo gratissima, seriae poenitentiae, Elegantissima Paraphrastica descriptio / Avthore TH.B.V.« Im abgekürzten Indextitel kommt ergänzend die Quellenangabe hinzu: »H 2. Sam. II.« – Siehe auch ebd., S. 56f. Nikolaus Reusner. Sekundärlit.: RAA: 1587_hermeling/21 bzw. 1588_engel/90 bzw. 1590_schwendi/21 bzw. 1591_haller/25. Kommentar: Text nicht nach: Gruter, Delitiae, s. o., Pars Tertia; ebd., S. 627–635 in der Abteilung »Sebae Sylva« gibt es als IV. Sylve eine »Præfatio po[tica in Psalmum Dauidis 51.« mit dem signalhaften Einsatz: »Forte pererratis coelo terraque marique, j Ales Amor …«. Die Vorgabe für Vigelius dürfte mit Erfolg wohl in Marot-Bezas Psalmübersetzung zu suchen sein. (69) Titus Stroza = Strozza (lat., eigentl. Strozzi), Titus Vespasianus (Tito Vespasiano) * (Mai 1424 oder wahrscheinlicher) Juni/Juli 1425 Ferrara; † 30. 8. 1505 auf Gut Racano (Pesttod); zum cognomen »Vespasianus« (nach dem römischen Kaiser Titus Flavius Vespasianus, 79–81 n. Chr.) aus der Zeit um 1460

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siehe Ludwig, 1977, S. 33ff. Konfession: altkirchlich. Charakterisierung: Humanist, neulat. Dichter des Quattrocento; Hofdichter, Staatsbeamter. Abstammung aus florentinischem Adel, der zu Beginn des 15. Jahrhunderts nach Ferrara wechselte. Sein Vater Giovanni Strozzi (1377–1427) starb in Kriegsdiensten des Mgf. Niccolk d’Este v. Ferrara bei einem Reitergefecht zwei Jahre nach der Geburt Titos. Sein Vormund wurde der Bruder seiner Mutter. Entscheidend für sein späteres Leben wurde indes Guarino Guarini (1374–1460), der 1429 nach Ferrara gekommen war und eine neue kulturelle Phase am estensischen Hof einleitete; er hat länger im Haus der Geschwister Strozzi gewohnt. Auf diesen ging das starke humanistische Interesse Titos zurück, das sich in der frühen Lektüre der wichtigsten lateinischen Klassiker dokumentiert. Bereits in die Zeit um 1443 fiel der Plan, seine Dichtkunst »in den Dienst des Hauses d’Este zu stellen« (Ludwig, 17). Als Sechzehnjähriger beteiligte er sich an einer Sammlung von Epitaphien auf den Tod Niccolks III. d’Este, widmete 1443 einen Zyklus von Liebeselegien dem jungen Mgf. Leonello, der seinerseits ein Schüler Guarinis geworden war, und wandte sich nach 1463 mehr »gesellschaftlicher Gelegenheitspoesie« zu, in der Hzg. Borso d’Este, Regent 1450–1471, eine dominante Rolle spielte, wie »Titi Vespasiani Strozzae Borsiadis libri X« bezeugen. (Zum Fragmentcharakter der »Borsias« als »beabsichtigtes opus imperfectum« siehe Ludwig, S. 54f. und zur epochalen Bedeutung des an Vergils »Aeneis« und Lucans »Pharsalia« orientierten Werkes ebd., S. 58f.) Eine »steile Karriere« am Hof der Este war ihm nicht nur als »Hofpoet« gewiß; er reüssierte später auch – in der Ära Ercoles und Alfonsos (1471–1505) – in Politik und Gerichtsbarkeit, etwa 1497 mit der Ernennung zum »Giudice dei dodici Savi«, zur höchsten Stufe der Ämterlaufbahn Ferraras (Albrecht, S. 38). Von wirkungs- und rezeptionsgeschichtlicher Relevanz wurde der anerkennende Eingang in Scaligers »Poetik« (lib. VI., cap. IV, S. 305b; Ausg. 2003, S. 124,126 bzw. 125,127). Lit.: Texte in: Gruter, Delitiae Italorum Poetarum, Pars Altera, 1608, S. 990–1071: unter dem Titel »TITI STROZÆ FERRARIENSIS«; das epische Werk »Borsias« erstmals 1977 von W. Ludwig ediert; seine Poesia Latina bewegt sich im humanistischen Formenkreis Ekloge, Elegie, Epigramm, Panegyricus, Oratio und Epos; Texte in: Echtermeyer-Seyffert, Anthologie II/1, 1834. Rez.: A. Vigelius, Deliciae, 1624, [Teil II], Nr. XLII, S. 498–500: »Herculis F. Ducis Ferrariensis, Cum Lucretia Borgia«. Sekundärlit.: Reinhard Albrecht: Tito Vespasiano Strozza. Ein Beitrag zur

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Geschichte des Humanismus in Ferrara. Leipzig 1891 (Osterprogramm des Königl. Gymnasiums zu Dresden für 1891, Sonder-Druck), hier S. 9–43 (v. a. aus den Quellen); Ellinger I, 1929, S. 147–152, 155–159 u. ö. s.v. Register ; Giulio Reichenbach: Art. »Strozzi, Tito Vespasiano«. In: Enciclopedia Italiana, Bd. XXXII. Rom 1936, S. 864; Walther Ludwig: Die Borsias des Tito Strozzi. Ein lateinisches Epos der Renaissance, hg., eingel. u. komm. München 1977 (Humanistische Bibliothek. Reihe II: Texte, 5), hier S. 11–59; Letteratura italiana, Bd. 2, 1991, S. 1679 (Angela Carella); Malato, Storia, Bd. III, 1996, S. 580, 582, 639, 642, 647, 652; 658, 671, 672f.; ebd., Bd. IV, 1996, S. 390. Kommentar: Text nicht nach: Gruter, Delitiae, s. o., Pars Altera; ebd., S. 990–1071 zahlreiche Poemata, darunter auch huldigende Gedichte auf Lucretia Borgia. Sachkomm.: siehe unter Ludovicus Ariostus. (70) Vincentius Obsopaeus = Opsopoeus (Opsopaeus), Vincentius Aus Franken stammend; lebte in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts; † 1539; Gymnasialrektor in Ansbach. Konfession: eher protestantisch. Charakterisierung: Philologe, neulateinischer Dichter. Wenig Gesichertes; gab die erste griechische Edition der fragmentarisch überlieferten griechischen Universalgeschichte »Bibliotheca« des Diodorus Siculus (1. Jh. vor Chr.) heraus (Basel 1539: Johann Oporinus u. Robert Winter). Lit.: Lehrgedicht »De arte bibendi« in drei Büchern (Nürnberg 1536), das keine Parodie sei, vielmehr lehre, »die Freuden eines kleinen Räuschleins zu genießen« (W. Kühlmann); das Lehrgedicht in: Gruter, Delitiae Poetarum Germanorum, Pars IV, 1612, S. 1202–1273. Rez.: A. Vigelius, Deliciae, 1624, [Teil I], Nr. V, S. 27f.: »In laudem conjugii & conjugatorum, Epigrammata varia«, hier : »Aliud Ejusdem Argumenti« = im Sinne von J.R.L.T. (unaufgeschlüsselt, siehe dort): »In Misogamos« (= d. h. »Gegen die Eheverächter«, gemeint sind die zu zölibaterem Leben verpflichteten Mönche und Priester der römisch-katholischen Kirche). Sekundärlit.: Goedeke, Grundrisz, 1884, S. 94; Humanistische Lyrik, 1997, S. 1443; Die Deutschen Humanisten, Abt. I/ Bd. III, 2010, S. 261f. Kommentar: Text nicht nach: Gruter, Delitiae, s. o., Pars IV. (71) Wernerus Gigas = Gigas, Werner * Lüneburg; † Lüneburg? Konfession: protestantisch (lutherisch?).

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Charakterisierung: Studium der Rechte (siehe Titel der Gratulationsschrift zur Hochzeit von Hzg. Johann Ernst). Ungeklärt, ob W. Gigas verwandtschaftlich verbunden ist mit Johannes Gigas (eigentl. Heune; 1514–1581), dem mit M. Acontius, G. Aemilius, G. Sabinus und J. Stigel sowie G. Fabricius befreundeten neulateinischen Autor, evangelischen Prediger und Kirchenlieddichter (vgl. Harry Vredeveld, in: Killy/Kühlmann 5, 2008, S. 386f.; Johanna Loehr, in: VL 16–2, 2012, Sp. 591–596). Förderung durch den Lüneburger Patrizier und Gelegenheitsdichter Georg Töbing (Jurastudium, Lüneburger Bürgermeister, † 1620). Verfasste Casualcarmina zwischen 1588 und 1598: Lit.: a) Epithalamium zur Eheschließung des Laurentius Thunius (Erfurt; Studium der Rechte; imm. in Heidelberg 27. 8. 1582) mit Magdalena Bernutz (gedr. Wittenberg 1588; VD16 ZV 18630). – b) Genethliacum zur Geburt Heinrich Töbings, des Sohnes des Lüneburger Patriziers Georg Töbing, jenes späteren Lüneburger Bürgermeisters (das Carmen gedr. Wittenberg 1589; VD16 ZV 27913). – c) Beitrag zur Ehrenschrift für Christoph Meurerus, Lizentiat der Medizin und Professor der Mathematik, vom 17. 11. 1591 (gedr. Leipzig 1591; VD16 A 187). – d) Epithalamium zur Hochzeit von Johann Ernst, dem Hzg. v. Sachsen-Eisenach, mit Sabine (gedr. Schmalkalden 1598; VD16 ZV 6618): siehe A. Vigelius. Rez.: A. Vigelius, Deliciae, 1624, [Teil II], Nr. XXI, S. 351–356: »Johannis Ernesti Ducis Saxoniae, Cum Christina, Wilhelmi Hassiae Princip. Filia«: unterzeichnet »Wer. Gigas Luneb.« Kommentar: Text nicht nach: Gruter, Delitiae Poetarum Germanorum, 1612. Sachkomm.: Johann Ernst, Hzg. v. Sachsen-Eisenach: * 9. 7. 1566 Burg Grimmenstein in Gotha, † 23. 10. 1638 Eisenach; entstammte dem Haus der ernestinischen Wettiner ; jüngster Sohn von Hzg. Johann Friedrich II. dem Mittleren und dessen Gattin Elisabeth, Pfgfin. b. Rhein. Aufgrund widrigster politischer Vorgänge war er schon früh von seinen beiden Eltern getrennt, seit dem Erfurter Teilungsvertrag von 1572 nominell zwar Regent des Hzgt. Sachsen-Coburg-Eisenach, aber aufgrund der Minderjährigkeit wie der seines älteren Bruders Johann Casimir unter die Vormundschaft der drei Kfst. Friedrich III. v. d. Pfalz, Johann Georg v. Brandenburg und August v. Sachsen (1526–1586) gestellt. Dabei übernahm Letzterer machtbewusst die »Vormundschaftsregierung«, die er bis zu seinem Tod nicht abgab, obwohl seine Mündel zwischenzeitlich längst volljährig geworden waren (Bruning, 2004, 115). Im Namen Johann Ernsts unterzeichneten die Vormünder auch die Konkordienformel von 1577 und das Konkordienbuch von 1580. Nach Aufhebung der Vormundschaft 1586 regierten die Brüder teils gemeinsam, teils in den neu zugeschnittenen

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Herzogtümern Sachsen-Eisenach (Johann Ernst) und Sachsen-Coburg (Johann Casimir) voneinander unabhängig. Mit dieser Landesteilung erhielt Sachsen-Eisenach erstmals den Status eines eigenständigen Fürstentums mit Residenz in Eisenach. – Hochzeit in 2. Ehe am 14. 5. 1598 in Rotenburg mit Christine (1578–1658), Tochter von Wilhelm IV. (1532–1592), dem ersten Lgf. v. Hessen-Kassel, und Sabine, Tochter von Hzg. Christoph v. Württemberg (1549–1581); die Ehe blieb kinderlos. – Sekundärlit.: ADB 14, 1881, S. 364f. (August Beck); Jens Bruning: August 1553–1586. In: Kroll (Hg.), Die Herrscher Sachsens, 2004, S. 110–125 und S. 331–333 (Kommentierte Bibliographie), hier S. 115f. (72) Anonym = ohne Autorkennung Zur Zurückhaltung von Autorkennungen vgl. A. Vigelius, Praefatio, fol. )?( 5r. Rez.: A. Vigelius, Deliciae, 1624, [Teil II], Nr. XLI, S. 487–491: »Othonis Comitis Solmensis, Cum Ursula Comitissa / Gleichen.« Sachkomm.: Otto, Gf. zu Solms-Braunfels in Hungen: * 3. 1. 1572 Braunfels; † 23. 6. 1610 (in der Schlacht bei Molsheim; beerdigt in der Heiliggeistkirche in Heidelberg); Sohn von Gf. Konrad zu Solms-Braunfels (1540–1592) und Gfin. Elisabeth v. Nassau-Dillenburg (1542–1603, Heirat 1559 in Dillenburg); 1597 kurpfälzischer Oberst, 1599 Rat, 1603 Obermarschall. – Eheschließung am 12. 2. 1604 in Birstein mit Gfin. Ursula v. Gleichen († 20. 9. 1625 in Hungen) in deren 2. Ehe (ihre 1. Ehe am 19. 9. 1585 in Wächtersbach geschlossen mit Gf. Wolfgang v. Isenburg-Büdingen in Kelsterbach: * 12. 6. 1533, † 20. 12. 1597 in Kelsterbach). – Sekundärlit.: Europäische Stammtafeln N. F., Bd. XVII, 1998, Tafel 34: Die Grafen zu Solms-Braunfels 1, 1432–1623; ferner Bd. XIX, 2000, Tafel 100: Die Grafen von Gleichen zu Gleichen-Remda.

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Die Autoren der Anthologie (nach neuzeitlicher Konvention alphabetisiert; die arabischen Zahlen in runden Klammern zeigen die Position im historischen »Index Authorum« an) Anonym (72) Altilio, Gabriele (Nr. 12) Angelius Bargaeus, Petrus (62) Angelocrator (Engelhardt), Daniel (8) Ariosto, Ludovico (47) Artomedes (Brotsorg), Sebastian (66) Augurelli, Giovanni Aurelio (37) Auratus, s. Dorat A.V. (4) Axonius, Joachim (32) Baudius, Domenicus (9) Bellay, Joachim Du (33) Berlicomius, Balduinus (5) Bersmann, Gregor (16) Beza (BHze), Thodorus (68) Blittershagen, Heinrich (19) Borgia, Girolamo (23) Brandt, Mauritius (53) Brotsorg, s. Artomedes Buchanan, George (13) Bucher, Casparus (6) Cerrato, Paolo (59) Costalius, Petrus (60) Danimanus (Damman), Hadrian (18) Dorat (Auratus), Jean (36) Egenolff, Christian d.J. (7) Engelhardt, s. Angelocrator Fabricius, Georg (14) Fincel, Job (28) Forcatulus (Forcadel), Stephanus (67) Freher, Marquard Friedrich (48) Frischlin, Nicolaus (56) Furmann, Jakob (49) Gigas, Werner (71) Gruter, Janus (30) H. Tr. (25), s. auch Tr. H. Haslob, Michael (54)

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Heinsius, Nikolaus (57) Himmel, Johann (38) Hospitalis, Michael (55) I. A. (26) Jacomotus, Johannes (27) J.R.L.T. (41) Junius (de Jonghe), Hadrian (17) Kirchner, Hermann (22) Lingelsheim, Friedrich (10) Lotichius Secundus, Petrus (63) Major, Johannes (39) Martinius, Matthias (51) Melanchthon, Philipp (64) Mellemann, Albert Friedrich (1) Opsopoeus, Vincentius (70) Paleario, Aonio (3) Petraeus, Heinrich (20) Porsius (der Friedberger), Heinrich (21) Posthius, Johannes (40) Reusner, Nikolaus (58) Rhumelius, Jan Konrad d.Ä. und/oder d.J. (29) Rodscheid, H. (24) Sabinus, Georg (15) Salmon Macrin, Jean (65) Schede Melissus, Paul (61) Scheffer, Martin (52) Schosserus, Johannes (42) Scroterus, Jan Heinrich (31) Siber, Adam (2) Stigelius, Johannes (43) Strozza, Titus (69) Taubmann, Friedrich (11) Taygetus, Johannes Angelus (35) Theopoldus, Johannes (44) Tr., H. (25), s. auch H. Tr. Vigelius, Johannes Henricus (50) Vultejus, Justus (46) Weisbach, Joachim (von) (34) Zincgref, Julius Wilhelm (45)

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Quellen, Literatur, Poetik (zum III. Kapitel) Echtermeyer – Seyffert (Hg.), Anthologie = ANTHOLOGIE j aus j neueren Lateinischen Dichtern. j Herausgegeben j von j Dr. Theodor Echtermeyer j und j Dr. Moritz Seyffert, j Lehrern am Königl. Pädagogium j zu Halle. j Erster Theil. j Halle, j Verlag der Buchhandlung des Waisenhauses. j 1834. Zweittitel: TEXT j zu j den Materialien j der j PALAESTRA MUSARUM j für j untere Gymnasialklassen j herausgegeben j von j Dr. Moritz Seyffert […]. Halle 1834. ANTHOLOGIE […]. Zweiter Theil. Erste Abtheilung. Halle […] 1834. (Mit dem Ersten Theil in 1 Band zusammengebunden) Zweittitel: TEXT j zu j den Materialien j der j PALAESTRA MUSARUM j für j höhere Gymnasialklassen. j Erste Abtheilung j herausgegeben j von j Dr. Moritz Seyffert […] Halle 1834. ANTHOLOGIE […]. Zweiter Theil. Zweite Abtheilung. j Halle 1835. Zweittitel: TEXT j zu j den Materialien j der j PALAESTRA MUSARUM j Für j höhere Gymnasialklassen. j Zweite Abtheilung j herausgegeben j von j Dr. Moritz Seyffert […] Halle 1835 Die Deutschen Humanisten. Dokumente zur Überlieferung der antiken und mittelalterlichen Literatur in der Frühen Neuzeit (Europa Humanistica. Collection publiee par l’Institut de Recherche et d’Histoire des Textes). Abteilung I: Die Kurpfalz. Band I/1: Marquard Freher, hg. u. bearb. v. Wilhelm Kühlmann, Volker Hartmann, Susann El Kholi. Turnhout 2005 (= Europa Humanistica 3). Abteilung I. Band I/2: Janus Gruter, hg. u. bearb. v. dens. Turnhout 2005 (= Europa Humanistica 4). Abteilung I. Band II: David Pareus, Johann Philipp Pareus und Daniel Pareus, hg. u. bearb. v. dens. u. Björn Spiekermann. Turnhout 2010 (= Europa Humanistica 7). Abteilung I. Band III: Jacob Micyllus, Johannes Posthius, Johannes Opsopoeus und Abraham Scultetus, hg. u. bearb. v. dens. Turnhout 2011 (= Europa Humanistica 9). Gruterus, Janus: Delitiæ C. Poetarvm Belgicorvm, Hvivs Svperiorisqve Ævi illustrium Prima Pars. Collectore Ranvtio Ghero. Francofvrti, Typis Nicolai Hoffmanni, Sumptibus Iacobi Fischeri. Anno M. DC. XIV. (Ex. Erlangen, UB: Phl. IX, 181; Ex. Wolfenbüttel, HAB: 224 POETICA) Altera Pars, 1614. (Ex. Erlangen, UB: Phl. IX, 181; Ex. Wolfenbüttel, HAB: 225 POETICA) Tertia Pars, 1614. (Ex. München, BSB: Rem. IV 1987–3: digital; Ex. Wolfenbüttel, HAB: 226 POETICA) Quarta Pars, 1614. (Ex. Wolfenbüttel, HAB: 227 POETICA). Gruterus, Janus: Delitiae C. Poetarvm Gallorvm, Hvivs Svperiorisqve Ævi illustrium, Pars Prima. Collectore Ranvtio Ghero. Prostant in officina Ionæ Rosæ. o.O. 1609. (Ex.: Wolfenbüttel, HAB: A: 215 Poet.) Pars Altera, 1609. (Ex.: Wolfenbüttel, HAB: A: 216 Poet.)

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Pars Tertia, 1609. (Ex.: Wolfenbüttel, HAB: A: 217 Poet.; München, BSB: P.o.lat. 399–3: digital) Gruterus, Janus: Delitiae Poetarvm Germanorvm Hvivs Svperiorisqve Ævi illustrium Pars I. Collectore A. F.G.G. Francofvrti. Excudebat Nicolaus Hoffmannus, sumptibus Iacobi Fischeri M.DC.XII. (Ex. München, BSB: P.o.lat. 400–1: digital; Ex. Wolfenbüttel, HAB: 218 POETICA) Pars II, 1612. (Ex. München, BSB: P.o.lat. 400–2: nur bis S. 512 digitalisiert; Ex. Wolfenbüttel, HAB: 219 POETICA)) Pars III, 1612. (Ex. München, BSB: P.o.lat. 400–3: digital; Ex. Wolfenbüttel, HAB: 220 POETICA) Pars IV, 1612. (Ex. München, BSB: P.o.lat. 400–4: digital; Ex. Wolfenbüttel, HAB: 221 POETICA) Pars V, 1612. (Ex. München, BSB: P.o. lat. 400–5: digital; Ex. Wolfenbüttel, HAB: 222 POETICA) Pars VI, 1612. (Ex. München, BSB: P.o.lat. 400–6: digital; Ex. Wolfenbüttel, HAB: 223 POETICA). Gruterus, Janus: Delitiæ CC. Italorvm Poetarvm, Collectore Ranvtio Ghero [Anagrammatisches Ps.]. Prostant in officina Ionæ Rosæ. (Pars prior). o.O. 1608. (Ex. Erlangen, UB: Phl. IX, 178a ; Ex. Münster, ULB: X 277) Pars Altera. o.O. 1608 (Ex. Münster, ULB: X 277) Humanistische Lyrik des 16. Jahrhunderts. Lateinisch und deutsch, ausgewählt, übersetzt, erläutert und hg. von Wilhelm Kühlmann, Robert Seidel, Hermann Wiegand. Frankfurt a.M. 1997 (Bibliothek der Frühen Neuzeit, 5 = Bibliothek deutscher Klassiker, 146). Melissus, Emmetron = Paulus Schede Melissus (Hg.): EMMETRON IN NVPTIAS j SERENISSIMI ILLVSTRISSIMIQVE j PRINCIPIS ELECTORIS j FRIDERICI IV. j COMITIS PALATINI AD j RHENVM, DVCIS BOIORVM: ET j ILLVSTRISSIMÆ GENEROSIS- j SIMÆQVE HEROINÆ j LOISÆ IVLIANÆ j PRINCIPIS VRANIÆ, CO -j MITIS NASSOVIÆ: j MODVLATVM A j PAVLO MELISSO FRANCO. j ANNO CHRISTI j 1593. [lat.] j MENSE IVNIO. j Adiecta sunt Epigrammata Posthij, j Freheri, Gruteri. item j Elegia Melissi, quam scripsit calendis Ianuariis. (Ex. Freiburg i.Br., UB: D 8152) Parnassus Palatinus. Humanistische Dichtung in Heidelberg und der alten Kurpfalz. Lateinisch – Deutsch, hg. von Wilhelm Kühlmann, Hermann Wiegand. Heidelberg 1989. Posthius, Erasmus = ERASMI POSTHII PHIL. j ac Med. D. j POSTHVMA j PIETAS: j Hoc est, j CARMINA EPITA- j phia / viris celeberr. j IN OBITVM j IOANNIS POSTHII j Phil. Po[tæ ac Medici, j ET j ROSINÆ BRÆSAMERÆ j Coniugis eius: j PARENTVM DESIDERATISS. j Nec non j MARIÆ POSTHIÆ SO- j rorculæ suaviss. scripta. j FRANCOFVRTI, j In Bibliopoleio, IOANNIS CA- j ROLI VNCKELII. j Anno M. DC. XVIII. (Zwickau, Ratsschulbibliothek: 6.8.54[9]; vgl. VD17 125: 00557/4G) Reifferscheid, Alexander : Briefe G. M. Lingelsheims, M. Berneggers und ihrer Freunde. Nach Handschriften […] herausgegeben und erläutert von A. R. Heilbronn 1889 (Quellen zur Geschichte des geistigen Lebens in Deutschland während des siebzehnten Jahrhunderts, 1). Scaliger, Julius Caesar : Poetices libri septem. Sieben Bücher über die Dichtkunst. Unter Mitwirkung von Manfred Fuhrmann hg. v. Luc Deitz u. Gregor Vogt-Spira, hier : Band V: Buch 6 und 7. Hg., übers., eingel. und erl. v. G. Vogt-Spira (Buch 6) u. L. Deitz (Buch 7). Stuttgart-Bad Cannstatt 2003.

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Scaliger, Julius Caesar : Poetices libri septem. Faksimile-Neudruck der Ausgabe Leipzig von Lyon 1561 m. e. Einl. v. August Buck. Stuttgart-Bad Cannstatt 1987. Stigelius, 1555 = IN NVPTIIS ILLVSTRISSIMI PRINCIPIS, AC DOMINI, D. IOANNIS Friderici II. Ducis Saxoniæ, Landgrauij Thuringiæ, Marchionis Misniæ. Et Illustrissimæ sponsæ, Dominæ Agnæ, natæ Principis Hessorum, Epithalamion. IOANNIS STIGELII. Accesserunt & aliorum Carmina […] Epigrammata«, Jena: Christian Rödinger d.Ä., 1555. (München, BSB: Res 48 P.o.lat. 752,29: digital; vgl. VD16 S 9076)

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Anhänge (1a) Artus Vigelius: [fol. )?(2r] AD CANDIDUM ET BENEVOLUM LECTOREM PRÆFATIO. E VULGATVRO mihi de consilio optimorum, iuxta ac doctissimorum quorundam amicorum meorum hoc, (qualecunque id h%c habes lector lectissime atque humanissime) opusculum Po[ticum Gamicum, seu Epithalamicum, cFm post multas variasque tergiversationes, (quas partim temporum horum sanH qu/m tristissimorum; partim status et conditionis meæ ratio, et conditio; partim denique invidiosa, et sinistra hominum etiam infra mediocritatem literis tinctorum iudicia planH in contrarium, ut nimirum premerem potiFs, qu/m ederem, mihi suggerebant) amicæ tandem, et favorabili amicorum petitioni victas manus darem; Occurrit istud, quod apud Platonem, auctorem gravissimum lib. 6. de leg. extat, his verbis. Nequaquam profectk, postquam dicendi, partes suscepi, sermonem absque capite (luhom aj]vakom) libens reliquerim. Etenim sioberrans talis occurrat alicui, aloqvor fœtus et infirmis videretur. Appositum omnink, et ex familiarisimo iam olim, tum dicentium, tum scribentium usu et consuetudine nemini sanæ mentis hactenus [fol. )?(2v] improbata, desumtum proemium; iuxta quod ipsam rem / me efflagitare, ipsam necessitatem mihi imperare prævidebam, omnino ita faciendum esse, aliquid quoque in operis vestibulo, ut de collectionis et evulgationis illius rationibus et instituto brevibus saltem præfaremur. Quod dum paro, non est, Lector optime, ut exquisitum de laudibus divinæ Poeseos panegyricm / me expectes. Omnink enim actum agere velle non iniuri. censeri possem, si post chiliades auctorum, eorumque undequaque doctissimorum, qui in lucubrationibus suis eruditissimis certatim quasi ita illud præstiterunt, ut omne punctum tulisse, et vel ipsi Momo satisfecisse prædicari mereantur : Si, inquam, ego qui ex istis, quod dicitur, heroibus non sum imk qui ne vestigia quidem illorum / longinquo assequi valeo, ad imitationem saltem, / qua mea me infirmitas, et ingenij tenuitas deterret, ausu, ut non necessario, ita planH temerario, soli scilicet meridiano lumen fœneraturus, idem adhuc facere contenderem. Ne tamen omnink nihil dicam, pauca hæc instituti nostri præsidium attulisse, nunc quidem suffecerit; Omnium Po[tarum (saltem saniorum et laudatorum) obiectum unicum, scopus, et materia perpetua est, ut lepidissimus Theocritus pulcherrimH et felicissimH uno eam versiculo complexus est; Et laudare Deos; et fortia facta bonorum. Huc cFm conditi simus, pia autem Poesis præ reliquis disciplinis, ceu Musica quædam divina omnium felicißimH, abundantißimHque id præstet,

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quis quæso, nisi Dei conditoris, et omnis virtutis teterrimus hostis omni eam studio, industriaque dignissimam, omni laude, et [fol. )?( 3r] celebratione vel maximH decorandam, non persuasum habeat? CFm præsertim apud quosvis rectH sentientes omni dubitatione careat, quemadmodum viri fortes, et Heries excelsi, ac magnanimi tantum divinitus dantur, et excitantur : ita vim, et facultatem istam, quæ rebus eorum præclarH gestis deprædicandis, et ceu vivis coloribus depingendis et delineandis ab ingeniis PoÞticis affertur, et adhibetur ; Entheon tantFm, et divinum quendam motum et stupendum afflatum, adeoque insigne Dei donum esse. Quod si in priscis Gentium Po[tis, quos propterea in Jovis aut Apollinis mysteriis, in nescio quo Delphico aut alio ignoto antro præ reliquis mortalibus edoctos Ethnica superstitio credidit, adhuc in lectione eorum non sine admiratione animadvertimus et admiramur : Ecquo modo quæso affectos nos esse decet erga eos, qui in Ecclesia nati et sanguine Christi in Baptismo tincti, in Christianorum scholis informati, et haud dubiH / spiritu Dei, omnium bonorum motuum incentore inflammati, æterni huius et immensi Dei laudes, carminibus suis cFm primis exaltare, tFm Christianorum Heroum, Imperatorum, Regum, Principum, etc. Natales, Coniugia, et res pro Ecclesia et Patria fortiter gestas, stylo et calamo suo exornare, et ceu buccin. quadam sonor., ad omnem posteritatem usque, alta voce decantare, adeoque (quantum quidem in ipsis est) immortalitati consecrare unicH desudarunt? E quorum numero cFm Authores nostri, h%c laudati, illaque ferH omnia, quæ ex illorum Voluminibus PoÞticis antehac editis, in hunc thesaurum nostrum congeßimus, meritk censeri debeant: Omnibus Dei, sinceræ pietatis, summi [fol. )?( 3v] magistratus, Politicique ordinis studiosis et observantibus, quæcunque in selecta hac carminis materia, coniunctim exhibemus, non nisi iucundißima, gratissimaque futura in spem adducimur propemodum firmissimam. Et vel hæc sola, opinor, editionem hanc non excusare modk, sed et omnibus bonis commendare satis poterant. Ne tamen / nasutulis aut argutulis, qui nunquam non erunt, censoribus, quasi supervacaneus et inutilis, nulliusque ferH pretij, labor noster, in Enchiridio hoc Gamico, concinnando positus, ex alto contemni, aut extenuari minimFm poßit; age omißis Po[ticæ, Authorumque in hoc Aureolo nostro coniunctorum, Encomiis, ek nunc orationis nostræ vela convertamus, ut novitatem editionis, aut Syntagmatis huius lectori dilaudemus, eiusque in hac forma, et compage publicationis causas iustas, ac legitimas ostendamus. Collectæ sunt antehac, Lector humanissime, / diversis Reipublicæ literariæ studiosis, et industriis viris, Deliciæ Poeticæ variæ, H variorum Po[tarum toto Christiano orbe celebratißimorum monumentis accurat. oper. excerptæ, et aureolorum instar publicis typis descriptæ, quæ ab

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eruditis Musarum cFm primis Po[ticorum alumnis deamantur, et in illorum manibus passim cum fructu non contemnendo terantur. Hinc operæ pretium non pœnitendum facturum eum arbitrati sumus, huiusmodi operis adornationi sedulam manum qui admoturus esset. Itaque ne adornatio ista diutius in suspenso maneret eam qualiter hic quidem confectam habes, serik aggressi sumus. Fave igitur, benevole Lector, desiderij tui, quod haud dubiH idem cum meo habuisti, labore no- [fol. )?( 4r] stro iam compos factus; et in hoc spacioso Gamico, aut Nuptiali Theatro oculos, animumque ad satietatem pasce et oblecta. FacilH autem nobis persuademus, omnes erga politiorem literaturam et studiosam iuventutem sincerH affectos, bonos et æquanimos nobis futuros, cFm nihil h%c tam quæramus, qu/m scholasticæ pubis, in qua totius Christianæ Reipublicæ spes et expectatio unicH recumbit, in Po[seos, Artis planH divinæ, laudabili exercitatione expeditos progressus. Quorsum sanH opus est, imk plurimFm interest in hoc studiorum genere exempla extare probatißima, quæ enascenti iuventuti et eruditis alioquin viris ad imitationem proponi et de meliore nota commendari mereantur : Cuius quidem bonitatis et præstantiæ, si non omnia, quæ h%c exhibemus; pleraque tamen, ab æquis et peritis rerum æstimatoribus censeri iure possH, certk certius nobis pollicemur. Vnde etiam de opera nostra non male collocat., quodque e. non vulgarem apud eruditos gratiam inituri simus ferH iam dum certi sumus. Enimverk, si omnium bonorum calculo studium eorum semper approbatum est, qui qualicunque oper. iuventuti prodesse, et artes liberales, remque literariam publicam quomodocunque exornare et exaltare attentarunt; quid quæso, scrupuli superesse potest quk minus in spem certam et nos erigamur, etiam hunc non temerH certH, ut vides, susceptum laborem nostrum suam quoque debitæ laudis portionem apud omnes rectH sentientes facilH inventurum? Cum præsertim iuxta studiosæ iuventutis laudatos in Po[tica progressus (ad quos, ut dictum antea est, feliciFs faciendos præsens libellus, præsentissimo emolumento esse potest) hunc quoque fructum secum ferat dulcissimum, ut attento lectori, non solum agnationes, et prosapias [fol. )?( 4v] Illustrißimarum per totam ferH Europam Regum et Principum familiarum, et multa circa eas historica scitu dignißima, (quod vilipendi omnink non debet) suaviter insinuet; sed etiam præcipuos nostræ et superioris ætatis Po[tas et Apollines, ob oculos ponat, et amorem, ac æmulationem laudabilem erga eosdem, nostros, si verum fateri velimus, in re literaria nunquam satis laudatos antecessores, (quorum doctißima monumenta et gratam memoriam honestare h%c et renovare, quasique de novo immortalitati consecrare animus fuit:) in animo ipsius, ardore planH laudabili, accendat et foveat, et ad posteros quoque , eodem cum fructu, et successu feliciter transmittat. Quæ omnia ut

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magni momenti sunt in se; ita huic libello nostro gratiam non vulgarem apud omnes, qui non planH excordes sunt, et \lousoi eadem conciliatura esse indubiH, ut dixi, nobis persuademus. Accedit, quod in hisce aut saltem his similibus qui ingenium porrk exercere, aliorumque honoribus inservire satagunt, (si eo usque disciplina et usu fortH nondum pertigerint, ut per undas Castalias sine cortice tranare audeant) iuvenient h%c (credant mihi velim) plenos folliculos, quibus brachia suffulti, incumbere tutk poterunt, usque dum libero natatu ad portum quemcunque appetunt laudabiliter, et læto cum applausu feliciter eniti suo Marte aliquando poßint. Sed quid pluribus opus. Ad commendationem operis enim, si quid præterea requiritur, vel nuda eius inspectio sufficientis opinor, præconii loco nobis esse poterit. Quod si tamen præter opinionem alicui in omnibus minFs satisfactum, aut non omnia h%c æquH exculta aut perpolita videbuntur, (tam- [fol. )?( 5r] etsi ut elaboratissima, et qu eius fieri potuit absolutißima quæque haberemus strenuam operam navavimus:) is, si penitius secum reputaverit, non omnia h%c unius venæ, aut eiusdem artificis: si itidem ingeniorum, temporum, nationum, locorum, et conditionum, in sponsis pariter, ac authoribus diversitatem in mentem sibi revocaverit nullam puto, ampliFs nobis hoc nomine litem intentabit. Quid? quod styli et tractationum illa dißimilitudo cupidum lectorem non modk (ut opinamur) non offendet; sed styli grandiloquenti. ad æthereas Parnaßi verticis auras non sine vertigine aut laßitudine alicubi evectum, leniter iterum in demissa et mollißima Camœnarum vireta demittet, adeoque subolescente nausea abstesa, novo quasi appetitu excitato tenebit, et vicibus suavißimH subalternantibus ad finem lectionis usque citra sacietatis tædium mirH etiam reficiet? Quo sanH consilio PoÞtæ quos maiorum gentium præ reliquis dicere possis, una cum aliis, si non Nervo et Numero Venustate tamen et Candore, (quibus tota Elegantia PoÞtica absolvitur) non multum illis disparibus, permixti h%c et sacra et divina non pauca, secularibus et humanioribus paulk pluribus intergesta inveniuntur. Quorsum etiam acuta illa Epigrammata, et ingeniosa Anagrammata paßim aspersa, non parum momenti allatura existimamus. Quem n longa Epithalamiorum tela alicubi non afficiet. um grata haud dubiH et concisa Epigrammatum brevitas tenebit et oblectabit. Omnink ut varii hominum sunt palatus, et Velle suum cuique est, et ita varias h%c necessarik conquisivimus dapes. Quod si ad palatum, et ex animi tui sententia, Chare Lector, bene admodum; [fol. )?( 5v] sin minFs, in voluntate tamen, ut speramus, tibi cupidissima placidus acquiesces. Impuritatem et obscœnitatem omnem (cui, proh pudor, plus nimio in hoc scribendi genere indulgere non pauci solent) omni studio devitavimus,

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Lepidæ orationis Veneres, et casti ioci, quæ ab huiusmodi tractationibus ceu anima quædam separari omnink non possunt, nec debent, ut suo loco positæ sunt, et carmina suis coloribus nitere faciunt, ita neminem nisi Thersitico planH sit ingenio et corneam quae dicitur, in pectore fibram gestet, vel minimFm hic offendent.[Pers. 1,47] { Porrk primis carminum singulorum auctoribus (ut et hanc cavillandi fenestram malevolis obstruamus) in tantFm derogatum nihil hic voluimus, ut quorumcunque saltem nomina rescire potuimus, ea suo loco candidH, et expreßH adscripserimus omnia: Si quos verk qui pauci erunt: maiusculis literis tantFm notatos divinando assequi non potuimus, aut præter auctorum voluntatem edere noluimus, eorum tamen literas nominales, quales eas sub finem asscriptas reperimus: nihilominus addidimus ne hac quoque in parte, quasi id nostra vel incuria emißum, aut invidia quadam quæ ab omnibus bonis et ingenuis, qu/m alienißima esse debet, suppreßum sit, vel minimæ reprehensioni locum suspicionis quoque relinqueremus. Quæ quidem ingenuitas, ut in aliorum laboribus, jure meritissimo omnibus tenenda et probanda est: Ita non dubitamus quin ea non lectoribus modo, sed et auctoribus nostris, quos h%c coarctavimus omnibus (qui quidem vitæ hujus usura incolumes adhuc fruuntur) si laboribus suis nomina itidem honorificH adscripta legerint, grata admodum: et accepta maximH sit futura. Quam quidem gratiam, et affectum, [fol. )?( 6r] non minFs de filiis, ac posteris eorum, qui lucis hujus usuram jam amiserunt, constanter quoque nobis pollicemur, cum / natura, omnibus, qui modk monstrosæ indolis non sunt, nihil tam ingeneratum sit, qu/m ut amor, honestum judicium et benevolentia, gratitudinem, et benefacta vel nobis vel majoribus aut liberis nostris demonstrata, ultrk consequantur. Quibus et hoc momenti accedit, qukd reproducto hoc labore, beatas defunctorum animas non modk, quasi novis trophæis aut mausol8is erectis / lethali oblivione vindicare, ac ceu de novo immortalitati consecrare laboravimus: sed et filios ac posteros eorum, ad patriæ avitæque famæ, et nominis celebritatem et gloriam, si non superandam, exæquandam saltem aut minimFm conservandam extimulare operæ pretium duximus. Quorsum quidem omnes, qui non planH ignavi, torpescentis, adeoque degeneris sunt animi facilH nos excitaturos, facilH etiam nobis persuademus. Quk ad ordinem, ut de huius quoque observatione quadantenus lectorem informemus. A sacris initium factum est; non solFm quia, etiam secundum Andinum vatem, [Vergil, ecl. 3,60] omne laudatum / Jove principium petendum; sed multk magis, ut quasi in limine et ingressu protestaremur [NB!], nos vel maximH his talibus delectari, et ad similium vel compositionem, vel modulationem omnes in universum lectores nostros allicere velle.

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Quod si ad extremum in collocatione ordinem non ubique competentem nos iniisse, et Heroas, Dynastasque aliquos non suo loco collocasse videbimur : Quod si etiam præ aliquibus alii melioris notæ, et / Doctoribus forsan Po[tis, multk his elegantiore Musa decantati inseri h%c et exhiberi potuisse quis existimet; eum amicH rogatum volumus, [fol. )?( 6v] æquiFs ut secum perpendat; primk qu/m difficile sit in aliorum laboribus miscellaneis præsertim, eo ordine omnia disponere, cujusvis satisfiat ut arbitrio: Deinde flagitari hoc importunius / nobis non debere; cFm Authores ipsi in propriis suis lucubrationibus et operibus de ordine collocationis nunquam adeo superstitiosH solliciti fuerint; quin potiFs, ita ut ad manus venerunt pleraque collocarint. Tandem, tantum nunc quidem sponsorum Illustrium (siquidem Sponsis tantFm ex Illustribus familiis procreatis hic Tomus adornatus prodire debuit) in scenam / nobis producitur, quantum eorum nunc quidem conquirere potuimus; usque dum secund/ cura, si H re illud videbitur, locupletior, ut speramus, appareat. Quam in rem eruditorum liberalem librorum, et carminum communicationem officiosH petimus, et amice exspectamus. Quorsum quidem, ut propensiores omnes inveniamus, latere eos nolumus speciale Privilegium / Serenißimo Electore Palatino, nunc, Dei grati., Bohemiæ Rege, Vicariatus tempore, Typographo nostro in hanc materiam gratiosH concessum; ne scil quispiam in toto Imperio Romano spatio duodecim annorum hunc librum Epithalamicum et alios, eiusdem materiæ, brevi Deo benedicente in lucem redemus, imitari, interpolare, transformare, recudere, vel alio aut alibi recudendos dare, etc. præsumat sub pœna desuper constituta gravißima: prout hæc fusiFs in Privilegio ipso continentur. Quibus te, chare lector, nunc demittimus, nosque et operam hanc nostram ex animo tibi commendamus. Bene et feliciter vale. A. VIGELIVS H.N. (1b) Übersetzung: [fol. )?(2r] Vorrede an den edlen und wohlmeinenden Leser. Da ich im Begriffe stand, gemäß dem Ratschlag etwelcher ebenso enger wie hochgelehrter Freunde vorliegendes Werklein (mag es nun immer sein wie es will, was du hier nun in Händen hältst, geschätztester und hochgebildeter Leser), das zum Gegenstand hat Gedichte aus Anlaß einer Hochzeit, auch ein Epithalamicum genannt, an die Öffentlichkeit zu geben, indem ich nach manch vielfältigem Zögern (das mir nahegelegt wurde teils durch die Erwägung und die Gegebenheit der gegenwärtigen Zeiten, die wunders traurig genug sind, teils meiner eigenen Lage und Umstände, teils endlich durch das missgünstige und scheelsüchtige Urteil von Zeitgenos-

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sen, die noch weniger denn auch nur einigermaßen vom Literatursachverstand benetzt sind, – nahegelegt nachgerade mit der gegenteiligen Absicht, nämlich diese Schrift selbstredend natürlich zu unterdrücken statt sie herauszugeben) – indem ich also endlich der freundlichen, unwiderstehlichen Bitte der Freunde mich geschlagen gab: siehe, da fiel mir bei das Wort, das sich bei Plato, dem gewichtigsten Bürgen, im 6. Buche der Schrift »Über die Gesetze« findet, mit folgendem Wortlaut. [lat. leg. 752a2?]: Mitnichten in der Tat würde ich, seitdem ich auf dem Felde der Beredsamkeit mich umzutun begann, freiwillig einen Text ohne einleitendes Kopfstück belassen wollen. Denn wenn ein derartiger Text durch Irrungen und Wirrungen irgendjemandem in die Hände geriete, so müsste er ihm wie ein ungestalter und lebensunfähiger Embryo erscheinen. Geboten ist also unbedingt und abgeleitet aus einer schon seit alters fest eingebürgerten Gewohnheit bald mündlicher, bald schriftlicher Rede, und einer Tradition, die noch keinem Menschen, der bei Vernunft ist, bis zum heutigen Tage [fol. )?(2v] tadelnswert erschien, eine Vorrede. Dementsprechend konnte ich voraussetzen, dass die Sache selbst von mir fordert, die Notwendigkeit selbst es gebietet, es mit einem Wort unumgänglich sei, dass wir immerhin doch auch einiges zu Beginn des Werkes über Sinn und Unterfangen dieser Sammlung und Veröffentlichung wenigstens in Kürze als Vorrede vorausschicken. Indem ich mich hierzu anschicke, wollest du, geneigtester Leser, jedoch von mir nicht einen erlesenen Lobgesang zum Ruhme der göttlichen Dichtkunst erwarten. Durchaus nämlich könnte man nicht zu Unrecht von mir den Eindruck gewinnen, ich wollte längst Abgetanes von neuem aufrollen, wenn ich tausend und abertausend Schriftstellern, obendrein noch in jeglicher Hinsicht hochgelehrtesten, die in ihren von einzigartiger Bildung zeugenden, nächtlicher Arbeit abgetrotzten Werken im Wettstreit jenes hohe Lob gewissermaßen in einer Weise gespendet haben, dass man sie zu Recht rühmen darf, sie hätten allen Ruhm davongetragen und gar noch der Schmäh- und Tadelsucht in Person eine befriedigende Antwort zuteil werden lassen, – wenn, so wiederhole ich, gerade ich, der ich diesen Geistesheroen, wie man so sagt, nicht zugehöre, ja mehr noch, nicht einmal ihren Fußspuren auch nur entfernt nachzufolgen vermag, doch immerhin zum Zweck ihrer Nachahmung, – von der mich indes meine eigene Unzulänglichkeit und die Dürftigkeit meiner Begabung abschreckt – in einem Wagestück, das in dem Maße, wie es unnötig ist, offenkundig Verblendung verrät, da ich offenkundig mich anheischig mache, der hellen Mittagssonne auf Pump ein Licht aufzustecken, jetzt auch noch das just selbe zu tun mich mühen wollte. Um gleichwohl jedoch nicht gar nichts zu sagen, mag es für jetzt im-

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merhin genügen, folgendes Wenige zu Schutz und Trutz für unser Vorhaben angeführt zu haben. Allen Dichtern (wenigstens den ernstzunehmenden und gerühmten) ist gemeinsam ein einziger Gegenstand, ein Ziel, dafür jedoch ein unendlicher Stoff, wie es der feinsinnige Theokrit allerliebst und höchst treffend in einem einzigen Verslein zusammengefaßt hat: »zu preisen einerseits die Götter, andrerseits die Heldentaten wackrer Männer.« Da wir nun hierzu geschaffen sind, die fromme Dichtkunst aber, verglichen mit allen anderen Künsten, als eine gewissermaßen wahrhaft göttliche Musenkunst von allen am glücklichsten und in reichster Fülle diese Aufgabe erfüllt, wer, so frage ich, er wäre denn der abscheuerregendste Feind Gottes, des Schöpfers, und aller Tugend, – wer wollte nicht überzeugt sein, dass sie allen Eifers, aller Bemühungen in höchstem Maße wert wäre, dass sie mit allem Lobpreis und [fol. )?( 3r] jeder erdenklichen Jubelfeier zu allerhöchst geziert zu werden habe? Und dies zumal es bei allen recht Gesinnten keinen Zweifel leidet, dass in der Weise, wie tapfere Männer und herausragende Helden und überhaupt großgeartete Menschen allein durch göttliches Wirken geschenkt und wachgerufen werden, ebenso auch die Macht und Fähigkeit, die, um deren herrliche Ruhmestaten zu preisen und gewissermaßen mit lebendig leuchtenden Farben zu malen und abzuschildern, von den begabten Dichtern beigebracht und aufgewendet werden, allein eine Form gottbegeisterter und von Gott geschenkter Wallung und ein staunenerregender Anhauch, mithin in besonderer Weise ein herrliches Gottesgeschenk ist. Wenn wir dies schon bei den alten heidnischen Dichtern, welche eben darum heidnischer Aberglaube für eingeweiht in die Mysterien eines Jupiter oder Apollo, unterwiesen in irgendeiner Grotte in Delphi oder sonst in einer weniger bekannten Kulthöhle, über alle übrigen Sterblichen hinaus, geglaubt hat, bis zum heutigen Tage, wenn wir sie lesen, nicht ohne Bewunderung wahrnehmen und anstaunen, wie erst, so frage ich, müssen wir uns hingezogen fühlen zu denen, die, im Schoße der Kirche geboren und durch das Blut Christi in der Taufe genetzt, in christlicher Unterweisung erzogen und ohne Zweifel vom Heiligen Geist, dem Anstifter jeglicher sittlicher Regung, entzündet den Lobpreis unseres ewigen und unfaßbaren Gottes in ihren Gesängen vor allem zu erhöhen, sodann aber auch christlicher Helden, Kaiser, Könige, Fürsten etc. Geburtstage, Eheschließungen und für die Kirche wie für das Vaterland tapfer vollbrachte Taten durch ihren Stift und ihre Feder auszuschmücken und, gleichsam mit Posaunenschall, für alle Zeit und Nachwelt mit erhobener Stimme zu besingen, ja (wenigstens soviel es in ihrem Vermögen liegt) der Unsterblichkeit zu weihen in ein-

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zigartiger Weise sich gemüht haben? Da unter ihre Zahl unsere hier zitierten Autoren und nahezu alles, was wir aus ihren bis anheute veröffentlichten Gedichtsammlungen für diesen unseren Dichterschatz zusammengetragen haben, mit Recht gerechnet werden müssen, so lassen wir uns zu der nachgerade festesten Hoffnung verleiten, es werde allen, die um eine lautere Frömmigkeit gegenüber Gott, um das höchste [fol. )?( 3v] Staatsamt und um den politisch tätigen Stand beflissen und ehrend besorgt sind, alles, was wir in vorliegender Dichtungsauswahl vereinigt darbieten, nichts als nur überaus wohlgefällig und hochwillkommen sein. Ja womöglich können gar diese Gedichte allein, möchte ich wähnen, die vorliegende Ausgabe nicht nur entschuldigen, sondern auch allen rechtgesinnten Menschen hinlänglich empfehlen. Damit jedoch die spöttelnden und haarspalterischen Kritikaster, die es allzeit geben wird, nicht als überflüssig und nutzlos, ja nahezu ohne jeden Wert unser Werk, das in der Zusammenstellung dieses hochzeitlichen Handbüchleins besteht, von oben herab verachten oder auch nur im mindesten herabsetzen können, ei, so wollen wir auf die Belobigung der Dichtkunst und ihrer Vertreter, die in unserem vorliegenden goldenen Kranz von Edelsteinen verbunden sind, verzichten und nunmehr die Segel unserer Rede auf das Ziel richten, die Neuheit der vorliegenden Ausgabe resp. Zusammenstellung dem Leser in jeder Hinsicht anzupreisen und ihm die berechtigten und sachgerechten Gründe für diese in dieser Gestalt und Zusammenstellung vorgelegte Veröffentlichung vor Augen zu führen. Gesammelt wurden bereits früher, du hochgebildeter Leser, von verschiedenen um das Gemeinwesen der Literatur beflissenen und emsigen Männern allerlei dichterische Kostbarkeiten, die aus den Werken von allerlei auf dem gesamten christlichen Erdenrund hochgefeierten Dichtern mit sorgfältiger Mühe ausgehoben wurden, und sie kamen wie Goldstücke in den Druck, wurden vervielfältigt und veröffentlicht und werden nun von gebildeten Musensöhnen, allzumal den Jüngern der Dichtkunst, mit Hingabe geliebt und unter ihren Händen landauf landab zerlesen und zeitigen hochachtbare Früchte. Daher kamen wir zu der Auffassung, dass einen unverächtlichen Lohn seiner Mühe einfahren würde, wer zur schmuckvollen Ausgestaltung eines Werkes solcherart mit Fleiß Hand anlegen wollte. Und so haben wir, auf dass eine solche schmuckvolle Ausgestaltung nicht länger auf sich warten ließe, dieses Werk, wie du es nun also vollendet in Händen hältst, ernsthaft in Angriff genommen. Somit erzeige dich gnädig, wohlmeinender Leser, da du nun der Erfüllung deines Sehnens, das du zweifelsohne genauso wie ich selbst gehegt hast, dank unserer Mühewaltung [fol. )?( 4r] teilhaftig geworden bist, und laß in diesem weiten Schauspielhaus der Hochzeiten resp. Eheschließungen

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deine Augen und dein Herz bis zur Sättigung weiden und sich ergötzen. Unschwer aber dürfen wir uns gewiß sein, dass jeder, der gegenüber einer feineren Literatur und für die strebsam bildungsbeflissene Jugend in lauterer Gesinnung eingenommen ist, uns gutgesinnt und wohlgewogen sein wird, wo wir doch hiermit nichts so sehr zu gewinnen suchen wie einer studentischen Jugend, auf der des gesamten christlichen Staates Hoffnung und Erwartung in einzigartiger Weise ruht, freie Fortschritte auf dem Felde löblicher Übung in der Dichtkunst, einer vollkommen von Gott gegebenen Kunst. Hierfür ist es allerdings tunlich, nein vielmehr höchlichst daran gelegen, dass auf diesem Gebiet geistiger Betätigung fraglos anerkannte Muster zur Hand sind, die einer heranwachsenden Jugend und Männern, die in anderer Beziehung bereits gebildet sind, zum Zwecke der Nachahmung vor Augen gerückt und mit Berufung auf ihre Vorzüge empfohlen zu werden verdienen. Dass solche Güte indes und Vortrefflichkeit wenn schon nicht allem, was wir hier darbieten, so doch jedenfalls dem größten Teil davon von gerechten und sachkundigen Kunstrichtern mit Recht zugebilligt werden kann, das dürfen wir uns mit unangefochtener Gewissheit versprechen. Daher sind wir auch in Hinblick auf unsere nicht umsonst aufgewendete Mühe und darüber, dass wir damit eine bei gebildeten Menschen nicht alltägliche Anerkennung finden werden, eigentlich doch schon seit geraumer Zeit uns gewiß. Denn wenn nach der Auffassung aller Rechtschaffenen das Tun derjenigen allzeit billigenswert war, die, unter welcher Bemühung auch immer, der Jugend zu nützen und die Schönen Künste als wie die Republik der Gelehrten auf welche Weise auch immer zu schmücken und zu erhöhen getrachtet haben, – was, so frage ich, kann es denn da noch an Bedenken geben, dass nicht auch wir uns zu der sicheren Hoffnung erheben dürfen, dass auch diese unsere gewiß nicht unüberlegt, wie man sehen kann, übernommene Mühewaltung denn auch ihren ihr zustehenden Anteil an verdientem Ruhm bei allen rechtlich denkenden Menschen leicht wird finden können? Zumal sie nebst den löblichen Fortschritten der bildungsbeflissenen Jugend in der Dichtkunst (damit diese Fortschritte, wie oben gesagt, glücklicher vonstatten gehen, kann vorliegendes Büchlein von hilfreichstem Nutzen sein) auch noch diese allersüßeste Frucht mit sich bringt, dass sie nämlich dem aufmerksamen Leser nicht nur die Verwandtschaftsverhältnisse und Versippungen [fol. )?( 4v] der berühmtesten Königs- und Fürstengeschlechter nahezu in ganz Europa und vielerlei geschichtliche Ereignisse um sie herum, die zu wissen unbedingt lohnt (was ganz und gar nicht geringgeachtet werden darf) in vielfältiger Weise nahebringt, sondern darüber hinaus auch die herausragenden Dichter und Apollos unserer Zeit wie früherer Zeiten vor Augen rückt und die Liebe zu ihnen wie auch lobenswerten Wetteifer mit ihnen,

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ihnen, die unsere, um die Wahrheit zu sagen, auf dem Felde der Literatur niemals hinlänglich belobigten Vorgänger gewesen sind (ihre hochgelehrten Werke und ihr vollkommenes Andenken hier zu ehren und zu erneuern und gleichsam erneut der Unsterblichkeit zu weihen war meine Absicht) im Herzen dieses Lesers mit unbedingt lobesamer Glut entzündet und fördert und auch noch auf die Nachwelt mit derselben Frucht, demselben Erfolg glücklich überträgt. All dies ist schon bedeutsam genug an und für sich, es wird aber zweifelsohne doch zugleich diesem unserem Buch einen über das gewöhnliche Maß hinausgehenden Dank erwerben bei allen, die nicht vollkommen ungeistig und kulturlos sind, so dürfen wir, wie gesagt, fest vertrauen. Hinzu kommt, dass diejenigen, die in solcherlei oder wenigstens ihnen ähnlichen Texten ihr Talent übend weiter zu schulen und der Ehre anderer Personen dienstbar zu sein ihre liebe Mühe haben (wenn sie etwa noch nicht durch Unterweisung und eigene Praxis dahin gelangt sein sollten, dass sie es wagen dürften, die Wasser der Castalischen Quelle ohne Schwimmgürtel zu durchschwimmen), hier (man möge mir bitte vertrauen) prallgefüllte Schwimmblasen vorfinden werden, mit denen sie ihren Armen Auftrieb geben und sich gefahrlos in die Fluten stürzen können, so lange, bis sie sich freigeschwommen haben und zu jedem beliebigen Hafen, den sie anstreben, mit lobenswertem Erfolg und unter begeistertem Beifall irgendwann einmal aus eigenem Vermögen glücklich hingelangen können. Doch was bedarf es noch weiterer Ausführungen: Denn das Werk zu empfehlen, wenn es denn noch etwas darüber hinaus bedarf, wird leicht die schlichte Einsichtnahme uns an Rühmung, sollt’ ich meinen, genug sein können. Sollte indes gleichwohl entgegen aller Erwartung irgendjemandem insgesamt nicht recht genügegetan oder aber nicht alles darin gleichermaßen gut gelungen und feingeformt zu sein scheinen (auch wenn [fol. )?( 5r] wir redliche Mühe darauf verwandt haben, gerade das Feinstgearbeitete und, soweit das überhaupt möglich war, Vollkommenste zu bekommen), so wird er, wenn er erst eingehender bei sich bedacht hat, dass eben nicht alles hier Versammelte aus einer einzigen poetischen Ader geflossen ist, will sagen, vom selben Dichter stammt, wenn er ebenso die Verschiedenheit der Menschen, Zeiten, Völker, Orte und Umstände bei den Eheschließungen ebenso wie bei den Dichtern sich in Erinnerung ruft, meiner Überzeugung nach unter diesem Vorwand fürder keinen Streit mehr mit uns anzetteln. Ja mehr noch, wird nicht jene Uneinheitlichkeit im Stil und in der Behandlung des Themas den interesierten Leser, anstatt ihn unangenehm zu berühren (wie wir meinen), vielmehr, wenn er irgendwo und – wie durch einen erhabenen Stil zu den luftigen Himmelshöhen des Scheitelkammes des Parnaß, nicht ohne

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Schwindelgefühl und Erschöpfung, emporgetragen wurde, ihn wiederum sanft zu den schlichten, weichen Auen der Camenen hinabgeleiten, ihm gar die aufkeimende Übelkeit wegzaubern, gewissermaßen neuen Lesehunger erwecken und ihn damit festbannen und ihn durch das allerreizendste Wechselspiel der Formen bis zum Ende der Lektüre, ohne jeden Ekel einer Übersättigung, in wunderbarer Weise sogar noch erquicken? In genau dieser Wirkungsabsicht natürlich kann man Dichter, die man mehr als andere den bedeutenderen Heiden zurechnen darf, gemeinsam mit anderen, die, wenn schon nicht an Kraft und Verskunst, so jedenfalls doch an Liebreiz und Schönheit (worin ja doch der ganze poetische Zauber sich vollkommen verwirklicht) kaum hinter jenen zurückstehen, hier vermengt und umgekehrt gar manches an frommen und religiös bestimmten Gedichten zwischen eine etwas größere Zahl von weltlichen und irdisch angehauchten eingeschoben finden. Darum meinen wir auch, dass jene scharfsinnigen Epigramme und geistreichen Anagramme, hier und da und dort eingestreut, eine ebenso nicht geringe Wirkung entfalten werden. Wen nämlich das weitläufige Gewebe von Hochzeitsgedichten irgendwie nicht recht anspricht, den wird zweifellos die willkommene bündige Knappheit von Epigrammen fesseln und entzücken. Wie denn überhaupt die Geschmäcker der Menschen verschieden sind und es einem jeden zusteht, das zu verlangen, was ihm behagt, so haben wir hier folgerichtig auch ganz verschiedene Leckerbissen ausgesucht. Wenn das deinem Geschmack und deinem Wunsch und Willen entspricht, lieber Leser, so wäre das fein, [fol. )?( 5v] wenn nicht, so wirst du dich immerhin, so hoffen wir, freundlich mit unserm dir ergebensten guten Willen zufrieden geben können. Die ganze Unsittlichkeit und Schmutzigkeit (in der, Schande über Schande, im Übermaß in dieser Literaturgattung gar manche zu schwelgen pflegen) haben wir mit allem Eifer zu vermeiden getrachtet. Zierliche Anmut der Rede jedoch und sittsame Scherze, die von Themen dieser Art gewissermaßen als ihre Seele gar nicht abgespalten werden können und auch nicht dürfen, werden in dem Maße, wie sie an Ort und Stelle passend gesetzt sind und den Gedichten durch ihre Eigenfarben erst Leuchtkraft verleihen, bei niemandem, er wäre denn ganz und gar vom Wesen eines Thersites und trüge, wie man so sagt, ein Herz aus Stein in der Brust, auch nicht im mindesten hier Anstoß erregen. { Weiterhin wollten wir den Urhebern der einzelnen Gedichte (um auch dieses Einfallstor der Kritik unsern Neidern zu verrammeln) hier in dem Maße keinen Eintrag getan sein lassen, dass wir, soweit wir wenigstens ihre Namen in Erfahrung bringen konnten, diese Namen an Ort und Stelle ohne Ausnahme allesamt ehrlich und ausdrücklich hinzugesetzt haben; wenn wir einige aber – und

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es werden nur wenige sein – , die nur durch Großbuchstaben abgekürzt bezeichnet waren, durch Mutmaßung nicht ermitteln konnten, oder aber sie nicht gegen den Willen der Autoren selbst bekanntmachen wollten, so haben wir trotzdem ihre Namenskürzel, wie wir sie am Ende jeweils angefügt fanden, nichtsdestowenigder beigegeben, um auch in dieser Hinsicht, als wäre dies etwa durch unsere womögliche Unbekümmertheit unterlassen oder aus einer Art von Missgunst, die ja doch allen rechtschaffenen und edelgesinnten Menschen so fremd wie nur etwas sein muß, unterdrückt worden, keinen Ort für auch nur den geringsten Tadel zuzulassen, und wäre es nur ein Verdachtsmoment. Eine solche Ehrlichkeit freilich ist zwar bei den Leistungen anderer stets und ständig mit vollstem Recht zu wahren und nachzuweisen, aber wir setzen doch keinen Zweifel darein, dass sie nicht bloß unseren Lesern, sondern auch unseren Autoren sämtlich, die wir hier zusammengedrängt haben (soweit sie wenigstens sich noch des Genusses ihres irdischen Lebens unversehrt erfreuen können), wenn sie unter ihre Werke ihre Namen in ebenso ehrender Weise daruntergesetzt lesen werden, doch recht willkommen und überaus lieb sein wird. Dieselbe Dankbarkeit und Zuneigung [fol. )?( 6r] versprechen wir uns nicht weniger auch mit Zuversicht vonseiten der Söhne und Nachkommen derjenigen, denen die Freude am irdischen Lichte bereits genommen ist, wo doch von Natur aus allen Menschen, die nur nicht gerade unmenschlich von Wesen sind, nichts so sehr mitgegeben ist, als mit Liebe, gerechtem Urteil und Wohlwollen die Liebenswürdigkeit und die Wohltaten, die sei es uns selber, sei es unsern Vorfahren oder unsern Kindern bezeigt wurden, aus freien Stückenzu vergelten. Hinzu kommt noch folgender bedeutsamer Umstand, dass wir nämlich danach getrachtet haben, durch das Wiederauflebenlassen dieser ihrer Leistung die gottseligen Seelen der Entschlafenen nicht bloß durch gleichsam neuaufgerichtete Denkmäler und Grabbauten dem Todesvergessen zu entreißen und sozusagen von neuem der Unsterblichkeit zu weihen, sondern dass wir es auch für lohnend und wichtig genug erachtet haben, ihre Söhne und Nachfahren dazu zu ermuntern, den gefeierten Ruhm ihres väterlichen ererbten guten Namens und Rufes wenn schon nicht zu übertrumpfen, so immerhin selber zu erreichen oder doch wenigstens zu bewahren. In dieser Hinsicht jedenfalls dürfen wir auch unschwer überzeugt sein, alle, soweit sie nicht von völlig träger, erschlaffender, ja gar entarteter Geisteshaltung sind, leicht dazu aufrütteln zu können. Daher nun zur Anordnung des Buches, um den Leser auch darüber, was hierbei Beachtung fand, einigermaßen zu unterrichten. Es beginnt mit den geistlichen Gedichten, nicht allein deswegen, weil man auch in den Spuren des Propheten aus Andes jeden lobwürdigen Anfang mit Iupiter machen

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muß [Vergil, ecl. 3,60], sondern noch viel mehr, um gleichsam auf der Schwelle und beim ersten Schritt schon zu bezeugen, dass wir doch am meisten an solchen und ähnlichen Gedichten unsere Freude haben und alle unsere Leser überhaupt dazu verlocken möchten, derlei sei es zu schaffen, sei es vorzutragen. Wenn wir jedoch schließlich bei der Anordnung eine nicht überall angemessene Reihung vorgenommen zu haben und den einen oder andern Helden und Herrscher nicht an die gebührende Stelle gesetzt zu haben scheinen, wenn ferner jemand meinen sollte, dass statt bestimmter Vertreter andere von besserer Qualität, die vielleicht auch von Dichtergelehrten wegen ihrer im Vergleich zu unseren Beispielen weit gewählteren Kunst gepriesen worden sind, hier hätten eingefügt und dargeboten werden können, so möchten wir ihn freundlich gebeten haben, er möge etwas abgewogener bei sich bedenken: erstens, wie schwierig es ist bei den Werken anderer, bunt vermischten allzumal, alles in einer solchen Anordnung zu reihen, dass dem Urteil eines jeden Lesers Genüge getan ist; zweitens, dass derlei mit Unduldsamkeit von uns gar nicht gefordert werden darf, wenn doch die Autoren selbst in ihren eigenen Arbeiten und Werken in Hinsicht auf Anordnung und Reihenfolge niemals so besonders ängstlich besorgt gewesen sind, ja vielmehr die Dinge meistenteils grade so, wie sie ihnen unter die Hände kamen, angeordnet haben. Und nun endlich lassen wir, zumindest für jetzt, so viele berühmte Brautleute (da nun eben ausschließlich mit Brautleuten aus berühmten Familien geziert dieser Band hinausgehen sollte) auf der Bühne auftreten, wie wir sie, zumindest für jetzt, zusammentragen konnten, solange bis ein zweites Buch, falls das zweckdienlich erscheint, reicher gefüllt, wie wir hoffen, erscheinen kann. Zu diesem Zweck erbitten wir beflissen und erwarten wir freundlich vonseiten gelehrter Beiträger die hochherzige Mitteilung von Büchern und Gedichten. Darum indes, um sie alle geneigter zu finden, wollen wir sie nicht im unklaren darüber lassen, dass ein Sonderprivileg von Seiner Durchlaucht dem Kurfürsten von der Pfalz, nunmehr durch Gottes Gnade König von Böhmen, zur Zeit seines Reichsvikariats unserem Drucker für diese Sammlung gnädiglich gewährt worden, auf dass nämlich niemand im ganzen Römischen Reich innerhalb von zwölf Jahren dieses Buch mit Hochzeitsgedichten sowie weitere Bücher, denselben Stoff enthaltend, die wir binnen kurzem mit Gottes Segen veröffentlichen werden, nachzuahmen, zu verfälschen, abzuwandeln, nachzudrucken oder an Dritte resp. andernorts in den Nachdruck zu geben usf. sich herausnehme, unter allerhöchst festgesetzter schwerster Strafe, wie es ausführlich in dem Privileg selbst mitgeteilt wird. Mit diesen Worten entlassen wir dich nun, teurer

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Leser, und empfehlen dir uns und dieses unser Werk von Herzen. Ein gesundes und glückliches Lebewohl, A(rtus) Vigelius, aus H(aiger) in N(assau). (2a) George Buchanan: Epitalamion I. Regis Cœlestis, Pvlcherrimi Sponsorum, Domini, Et Salvatoris Nostri Jesv Christi, ET Sponsæ Eivs Ecclesiæ, Decantatum / Sancto, In Psal. XLV. Et Carmine redditum, A Georgio Buchanano Scoto. (Kolumnentitel: EPITHALAMIA SACRA) COr micat; exsultant trepidis præcordia fibris, Eructantque novum gravido de pectore carmen, Certa lingua animum fando; manus æmula linguam Scribendo exæquare, meo Nova Carmina Regi Dum cano, Regi hominum cui nemo H sanguine cretus Audeat eximiæ contendere munere formæ: Quem decorat lepor, & roseis affusa labellis Gratia: cui rerum cœli indulgentia spondet Hunc fore perpetuum longæva in secla tenorem. Ergo armis invicte heros age, fortibus apta Ensem humeris, ensem per quem te gloria cœlo Aequat: & adversum fiens per pectus in hostem, Fræna tibi currus Verum moderetur, & æquum, Et quæ præcipitem Clementia temperat iram. His ducibus tibi surget honos; tua dextera factis Clara per ignotas fundet miracula terras: Cordaque vulnificis figens inimica sagittis, Sponte tibi coges validas procumbere gentes. Nec maris aut terræ spacium nec terminus ævi Finiet imperium sceptri moderamine iusti Quod regis, & leges mollis clementer acerbas: Te super æquævos omnes Regnator Olympi Diligit, & læto vultum exhilaravit olivo: Vnde tui mulcent populi nova gaudia mentes, Pallia quum loculis tibi depromuntur eburnis, Et myrrhæ passim lacrymæ, stactæque suavis Halitus, & molles casiæ funduntur odores. Ancillæ apparent, genus alto H sanguine Regum Inter honoratas promptæ ad tua iussa ministras. At Regina, thori consors tibi dextera adhæret, Auro picta sinus, auro radiata capillos, Misit ab Eöis Ophyre quod flava caminis.

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Tuque adek Regina audi & rem pectore conde, Nec mea dicta nega placidas demittere in aures: Jam nunc & patriam, & patrem obliuiscere, iam nunc Ex animo caros penitus depone propinquos: Vnum oculis specta, unum animo complectere Regem, Regem oculis animoque tuo qui pendet ab ore, Vnius, & pulchris defixus vultibus hæret. Hunc Dominum agnosce, & supplex venerare: nec ille Officio studioque tibi concedet, & illa Vndarum Regina Tyrus te murice, & auro Accumulans colet. & vicina per oppida latH Procumbent tibi suppliciter gazisque potentes, Aut opibus clari: meritumque feretis honorem Hunc populi. Pharii proles generosa tyranni Tota decens, tota est gemmisque insignis, & auro: Et facies cultum illustrat, facieque decora Pulcrior est animus. Tibi Rex, en ducitur uxor Dives opum, dives pictai vestis & auri, Virginibus comitata suis: de stirpe propinqua Virginibus, quas pompa frequens clamore secundo Insequitur, plausuque fremens lætæque choreæ Cantibus augustam lætas deducet ad aulam. Neu desiderio nimium tangare tuorum Virgo: tibi dulcem patrisque, & matris amorem Leniet adnascens Sobolis generosa propago, Quos regere imperio terras, totumque per orbem Aspicies populos sceptris frenare superbos. Nec tu carminibus Regina tacebere nostris Quaque patet tellus liquido circumsona ponto, Posteritas te sera canet: dumque aurea volvet Astra polus, memori semper celebrabere fam/. (nach: A. Vigelius, Deliciae Gamicarum Aureolus, 1624, S. 1–3) (2b) Übersetzung: Hochzeitsgedicht Nr. 1 auf die Vermählung des himmlischen Königs, des herrlichsten Bräutigams, unseres Herrn und Erlösers Jesus Christus, mit seiner Braut, der Kirche, gesungen vom Heiligen im 45. Psalm und in Gedichtform wiedergegeben von George Buchanan aus Schottland. Es pocht mein Herz, mir bebt die Brust, Unruhe zuckt in allen Fibern,

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und sie würgen aus ein neues Lied aus meiner fruchtbeschwerten Brust, mein Sinnen auszusprechen in geformter Rede; meine Hand wetteifert mit der … Zunge, will der Sprache schreibend gleichen, während ich nun meinem König neue Lieder singe, aller Menschen König, dem sich niemand, der aus Blut geboren ist, zu messen wagen dürfte in der Gabe überlegener Schönheit: Denn ihn ziert die Anmut und von Rosenlippen überhauchte Huld, und ihm verheißt die Gnadengunst des Himmels, daß es so wie heute ewig bleiben werde auf nichtendende Jahrhunderte hinaus. Somit wohlan, o Held, in Waffen unbesiegt, umgürte deine wackren Schultern mit dem Wehrgehenk, dem Schwert, vermöge dessen dich dein Ruhm … zum Himmel hebt; indem sie dieses Schwert dem Feinde gegenüber durch die Brust stößt, wolle dir die Wahrheit deines Wagens Zügel maßvoll leiten im Verein mit der … Gerechtigkeit und mit der Milde, die den jähen Zorn zu dämpfen weiß. Mit ihrer Führung wird sich deine Ehre auf zur Höhe schwingen; deine Rechte, weit gerühmt ob ihrer Taten, wird in unbekannte Lande wundersame Dinge … streuen; und das Herz der Feinde treffend mit den Pfeilen, welche Wunden schlagen, wirst du starke Völker zwingen, vor dir von alleine in die Knie zu sinken. Nicht des Meeres oder Festlands Raum und nicht der Zeiten Ende wird begrenzen deines Szepters Macht, das maßvoll waltet in Gerechtigkeit. Dieweil du herrschest, milderst du in Gnaden auch die Herbheit der Gesetze. Du bists, den noch mehr als alle andern deines Alters liebt der Himmelskönig, und er hat dein Angesicht mit heiterem Salböl froh gemacht. Und daher sänftigen unerhörte Freuden nun die Herzen deines Volkes, da man dir aus elfenbeinernen Gefachen deine Festgewänder holt hervor, und allenthalben werden Myrrhentränen, süßer Hauch von Myrrhenöl und weiche Düfte ausgestreut von Zimt. Und Dienerinnen warten auf, herstammend selbst aus hohem Blut von Königen, inmitten hochgeehrter Mägde sind sie gern bereit zum Dienst nach deinen Winken. Doch die Königin sitzt dir zur Rechten als Gefährtin deines Throns, von Gold gestickt ist ihre Brust, von Golde schimmert hell ihr Haar, von Gold, das Ophyre, die blonde, aus des Morgenlandes Schmiedestätten … hergesandt. Und nun vor allem du, o Königin, vernimm und birg in deinem Herzen, was ich … sage, und verweigere nicht, den Worten, die ich spreche, milde dein Gehör zu leihen: Nunmehr darfst du deiner Heimat, darfst du deines Vaters dich nicht mehr

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… erinnern, nunmehr streiche aus in deinem Herzen völlig die Erinnerung an deine teuren … Anverwandten; einen nur blick an mit deinen Augen, einen nur umfasse mit dem Herzen: nur den … König, deinen König, der mit seinen Augen und mit ganzem Sinn an deinem Antlitz hängt, an dir, der einzigen, von deinem schönen Angesicht wie festgebannt sich nicht … mehr lösen kann. Als deinen Herrn sollst du ihn anerkennen, ihn verehren voller Demut; umgekehrt wird er auch nichts an Pflicht und Eifer fehlen lassen gegenüber dir, und Tyrus, jene sagenhafte Herrscherin der Meere, wird dich ehren, dich mit Purpur … und mit Golde überhäufen; und im weiten Umkreis aller Nachbarstädte werden dir in Demut und mit ihren Schätzen sich zu Boden werfen sie, die groß an Macht sind oder weitgerühmt. Mit vollem Recht könnt ihr die Ehrung eures Volkes dann entgegennehmen. Edel ist das Kind des Pharao, ganz voller Anmut ist es, ganz geschmückt mit Gold und Edelsteinen; und sein Antlitz läßt die edle Haltung deutlich sichtbar werden, doch noch schöner als das edle Angesicht ist seine Seele. Sieh, o König, deine Gattin führt man dir … herbei, an Schätzen reich und reich an stickereibesetzten Roben und an Gold, von ihren Jungfrau’n hergeleitet, aus verwandter Sipp, Jungfrau’n, denen groß an Zahl ein Festzug unter freundlichem Zurufen auf dem Fuße folgt, und die, von Beifall tosend und den Liedern eines heitern … Reigens, er voll Freude führen wird, hin zum erhabenen Palast. Doch du, o Jungfrau, laß dich nicht zu sehr anrühren von der Sehnsucht nach den Deinen: wird dir doch den süßen Drang zum Vater und zur Mutter lindern eine hochgeborene Nachkommenschaft von Kindern, und du wirst mit anseh’n dürfen, wie sie machtvoll über alle Lande herrschen und … die Völker auf der ganzen Welt in deren Stolz mit ihrem Szepter zügeln. Auch wirst du, o Königin, fortan in unsern Liedern nicht verstummen, und so weit die Erde reicht, umtost vom Naß des Ozeans, wird dich in weiter Zukunft noch die Nachwelt preisen, und so lange, wie der Himmel noch die güldnen Sternlein kreisen läßt, wird dich allzeit beredte Kunde … des Gedenkens feiern.

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(3a) Julius Wilhelm Zincgref: Ad eundem POSTHIVM IVLII GVIL. ZINCKGREFII SCAZON, POSTHI, parentis hactenus parentare Quod distulisti Manibus, puto factum, Quod non haberes nunc habes sed heredem Pietatis olim cui Paternæ, Avitæ cui Opus futurum gloriæ sit exemplo. (In: Posthvma Pietas: Hoc est Carmina Epitaphia, hg. von Erasmus Posthius, Frankfurt/M. 1618, S. 5; vgl.: Triga Amico-Poetica, hg. von Johann Leonhard Weidner, o.O. 1619, S. 69: Ad Erasmum Posthium Medicum, post natum ei filium Ernestum, patris, ante 17. (?) annos defuncti, Epicedia edentem.) (3b) Übersetzung: An denselben Posthius ein Hinkjambus von Julius Wilhelm Zinckgref Wenn du, Posthius, bis heute aufgeschoben hast, die letzte Ehre zu … erweisen deines Vaters Angedenken, mein’ ich, war es deshalb, weil du keinen Erben hattest; doch jetzt hast du einen, dem dereinst das Zeugnis väterlicher Sohnestreue und großväterlichen … Ruhmes wohl zum Vorbild dienen möchte. (In: Totenehrung, das ist: Grabgedichte. Hg. von Erasmus Posthius. Frankfurt/M. 1618, S. 5.) Kommentar: Das gewählte Versmaß dieses Epigramms überrascht: Die Gattungstradition und Gattungskonnotationen des Scazon / Choliambus / Hinkiambus scheinen sich zu einem Gedicht nicht zu fügen, dessen Worte ehrenden, wo nicht rühmenden Gestus vermitteln. »Der Name Hinkiambus wurde dem Vers gegeben, weil er wegen der Länge des vorletzten Halbfußes etwas Schleppendes an sich hat.« (Heißt es in der altrömischen Metrik.) Und: »Der Charakter der in Hinkiamben verfaßten Gedichte ist meist komisch oder satirisch.« (Vgl. Fr. Crusius: Römische Metrik. Eine Einführung. Neu bearb. von H. Rubenbauer. Hildesheim u. a. [Ndr.] 1984, S. 80, 81). An satirische oder gar invektivische Intention wird man hier, ungeachtet der literarischen Reihe in Hinkiamben verfaßter Epigramme in griechischer so gut wie lateinischer Literatur, freilich nicht denken wollen. Wenn

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zudem nicht eine Emanzipation der bloßen Form von den mit ihr ursprünglich konnotierten und transportierten Inhalten als Erklärung in Betracht gezogen werden soll – wir haben Zweifel an einem solchen Versuch –, dann könnte der Choliambus als »eigentlich ›lahmer Jambus‹« (vgl. J. W. Halporn / M. Ostwald: Lateinische Metrik. Göttingen 21980, S. 28) hier realisiert worden sein, um das ›Spät- oder Zu-spät-Kommen‹, gleichsam das ›Hinterher Hinken‹ der dem Vater des Angeredeten geschuldeten literarischen Ehrung scherzhaft-rügend durch die metrische Form abbildend zum Ausdruck zu bringen.

Werner Wilhelm Schnabel

Kriegspanorama. Literarische Imaginationen und ihre Positionierungsfunktion am Beispiel nichtkanonisierter Literatur

Der Dreißigjährige Krieg – eigentlich eine Reihe ineinander greifender Teilkonflikte – war für eine ganze Generation von Menschen unmittelbare und leidvolle Erfahrungswirklichkeit. In weiten Teilen des Reichs war man früher oder später von den hin- und herwogenden Kampfhandlungen direkt betroffen oder verspürte zumindest deren schreckliche Begleiterscheinungen in Form von militärischen Durchzügen, Plünderungen und Greueltaten, von Hungersnöten und Seuchen am eigenen Leibe. Aber selbst diejenigen, die davon verschont blieben, konnten der Berichterstattung und Polemik und der literarischen Adaption der Ereignisse im Medium der Flugblatt- und Flugschriftenpublizistik kaum entgehen. So hat sich der große Krieg nachhaltig im kulturellen Gedächtnis der Deutschen verankert. So wie heute bewegte und unbewegte Bilder von militärischen Handlungen vorgeben, die Wirklichkeit des Krieges zu zeigen, in ihrer Ausschnitthaftigkeit allerdings eher eine interessenbestimmte, ja manipulative Wahrnehmung der Dinge vermitteln,1 dominierten in der breitenwirksamen Bildpublizistik des 17. Jahrhunderts zwei traditionelle Darstellungsmuster, die beide dem Schema des historischen Ereignisbildes zuzurechnen sind.2 Das eine fokussiert den 1 Vgl. etwa Matthias Rogg / Jutta Nowosadtko: Gedanken über Krieg, Kunst und Kultur in der Frühen Neuzeit. In: Dies. (Hg.): »Mars und die Musen«. Das Wechselspiel von Militär, Krieg und Kunst in der Frühen Neuzeit. Berlin 2008 (Herrschaft und soziale Systeme in der Frühen Neuzeit, 5), S. 7–30, hier S. 16; Gerhard Paul: Kriegsbilder – Bilderkriege. In: Aus Politik und Zeitgeschichte 31/2009, S. 39–46 (http://www.bpb.de/apuz/31834/kriegsbilder-bilder kriege?p=all). 2 Eine durchdachte und differrenzierende Einteilung der Erscheinungsformen in historische Ereignisbilder und militärische Genremalerei und jeweilige Untertypen liefert Matthias Pfaffenbichler : Das barocke Schlachtenbild – Versuch einer Typologie. In: Jahrbuch der kunsthistorischen Sammlungen in Wien 91 = NF 55 (1995), S. 37–110. Vgl. auch Ders.: Das frühbarocke Schlachtenbild – vom historischen Ereignisbild zur militärischen Genremalerei. In: Klaus Bußmann / Heinz Schilling (Hg.): 1648 – Krieg und Frieden in Europa. Textband II: Kunst und Kultur. Münster 1998, S. 493–500. Allerdings lassen sich seine aus der Malerei gewonnenen Systematisierungen nur bedingt auf die Darstellungskonventionen der Bildpublizistik übertragen, die propagandistisch stärker auf eine breite Öffentlichkeit ausgelegt war.

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großen Einzelnen, den Feldherrn zu Pferde, wie er sich entschlossenen Blicks und in dynamischer Pose anschickt, sich ins räumlich noch ferne Schlachtgetümmel zu stürzen und die Seinen zum Sieg zu führen. Angesichts der glorifizierenden Darstellung des Helden ist das eigentliche Kampfgeschehen dabei mehr oder minder austauschbar und wird meist nur durch einzelne topographische Markierungen konkretisiert. Im zweiten Typus dominiert stattdessen der Blick auf choreographierte Massenszenen, in denen die manövrierenden Truppenteile die strategischen Pläne der Heerführer umsetzen und die Schlacht als ein am Planungstisch entworfenes Spiel erscheinen lassen. Schräg von oben und mehr oder minder detailliert wird in diesen topographisch-analytischen Darstellungen ein ganzes pulverrauchendes Tableau in Augenschein genommen. In ihm geht, von genrehaften Vordergrundfiguren abgesehen, das Töten und Sterben der jeweils Einzelnen völlig unter. In seinem dokumentarischen Anspruch zielt dieser Typus – nebst der Verherrlichung des überlegenen Siegers – wohl primär auf ein militärisches Fachpublikum, das hier exemplarisch die Regeln der Kriegskunst nachvollziehen konnte. Den konkreten Kampfhandlungen näher zeigt sich allenfalls die zeitgenössische Malerei, die mit ihren narrativen Schlachtenbildern freilich nie ein breites Publikum, sondern eher wohlhabende Liebhaber- und Sammlerkreise erreichte. Auch ihr ging es allerdings nicht etwa um eine naturalistische Darstellung von Kampfereignissen, sondern um den Beleg für die Meisterung einer Kunstübung: in den Kampfszenen sollte in erster Linie die kompositionelle und malerische Artifizialität des Künstlers bei der Umsetzung von Atmosphäre und Dramatik, Dynamik, Anspannung und Affektivität dokumentiert sollte. Schon seit dem späten 15. Jahrhundert lassen sich in der kunsttheoretischen Literatur immer wieder Anleitungen für die Gestaltung solcher ›Bewegungsbilder‹ finden. Die drastischen Stiche Jacques Callots (1592–1635) von den »Grandes MisHres de la Guerre« oder die spätere Kriegsserie von Hans Ulrich Franck (1603–1680) nehmen in diesem Kontext eine Ausnahmestellung ein und müssen wohl im Zusammenhang einer Thematisierung des wechselhaften Kriegsglücks3 oder auch von Lastern und Vanitas gesehen werden4 – eine Anklage des Kriegswesens an sich waren sie aber sicher nicht.5 In eine ähnliche Richtung wie die Konventionen der bildenden Künstler weisen auch die Darstellungsverfahren der Literaten, die mit sprachlichen Mitteln Bilder und Vorstellungen im Kopf entstehen lassen können. Erst ganz vereinzelt hat die Poesie des ausgehenden Mittelalters ›realistische‹ Schilde3 Pfaffenbichler, Schlachtenbild, S. 107. 4 Martin Knauer : Die Rezeption des Krieges in Graphik und Literatur. In: Von teutscher Not zu höfischer Pracht 1648–1701. Nürnberg 1998, S. 60–68, hier S. 61. 5 Pfaffenbichler, Schlachtenbild, S. 107.

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rungen blutrünstiger Schlachtereignisse geschaffen, die offenbar aus eigener Anschauung gewonnen waren.6 Daran änderte sich auch im 16. und in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts wenig. Üblicherweise blieben die Gewaltschilderungen gerade in den Dichtungen der akademisch gebildeten Poeten trotz ihrer vermeintlichen ›Anschaulichkeit‹ formelhaft und topisch. Selbst dort, wo man Gewalttaten sehr drastisch in Szene setzte, geschah dies mit dem Rückgriff auf literarische Muster und unter Nutzung gängiger Vergleiche mit und Anspielungen auf biblische Geschichten oder pagan-antike Historien und Mythen.7 Kaum ein einschlägiges Gedicht, in dem nicht vom blutdampfenden Schwert, von dröhnenden Posaunen, von Massenschändungen und dem gewissenlosen Mord an Kindern, ja Ungeborenen die Rede ist und damit auf sehr präsente Pathosformeln der Bildungstradition verwiesen wird; kaum ein Text, in dem nicht Personifikationen oder gar Götter wie Mars auftreten, um ›Wut‹ und ›Zorn‹ der agierenden ›Bestien‹ zu verbildlichen; kaum ein Text, in dem die Gewaltaktionen nicht auf hyperbolische Weise übersteigert werden, um ihre Abscheulichkeit hervorzuheben. Damit korrespondiert die moraldidaktische Ausrichtung, die den Darstellungen von Krieg und Gewalt üblicherweise unterlegt wird. Sie plazieren den beschriebenen, oft topisch konturierten oder allegorisierten Einzelfall vor allem als Exempel für den Lehrsatz, auf den es den Autoren letztendlich ankommt.8 Deutlich minder bewegt, aber nicht weniger konventionalisiert und hyperbolisch sind dagegen die Schilderungen von den Folgen der Gewalttaten, die üblicherweise als Hintergrund und Anlass mahnender Klagen über die Gegenwart oder die transzendenten Folgeschäden des Kriegswesens zu dienen hatten.9 Die bekannten Motive des gestürzten Kirchturms und des verlassenen Rathau6 So einzelne Schlachtbeschreibungen aus den Burgunderkriegen in Liedform von Veit Weber ; etwa bei R[ochus] von Liliencron (Hg.): Die historischen Volkslieder der Deutschen vom 13. bis 16. Jahrhundert. 5 Bde. Leipzig 1865–1869, hier Bd. II, 1866, Nr. 133. Dazu Sonja Kerth: »Der landsfrid ist zerbrochen«. Das Bild des Krieges in den politischen Ereignisdichtungen des 13. bis 16. Jahrhunderts. Wiesbaden 1997 (Imagines Medii Aevi, 1), S. 240f. 7 Vgl. etwa Martin Opitz: Trostgedichte in Widerwertigkeit des Krieges [1633]. In: Martin Opitz: Weltliche und geistliche Dichtung. Hg. von H[ermann] Oesterley. Berlin, Stuttgart [1888] (Deutsche National-Literatur, Historisch kritische Ausgabe, 27), S. 270–324. 8 Vgl. etwa Andreas Merzhäuser : Über die Schwelle geführt. Anmerkungen zur Gewaltdarstellung in Grimmelshausens »Simplizissimus«. In: Markus Meumann / Dirk Niefanger (Hg.): »Ein Schauplatz herber Angst«. Wahrnehmung und Darstellung von Gewalt im 17. Jahrhundert. Göttingen 1997, S. 65–82, hier S. 67. 9 Als kanonisches Beispiel können die »Thränen des Vaterlandes« (1636) von Andreas Gryphius dienen. Vgl. Theodor Verweyen: »Thränen des Vaterlandes / Anno 1636« von Andreas Gryphius – Rhetorische Grundlagen, poetische Strukturen, Literarizität. In: Wolfgang Düsing (Hg.): Traditionen der Lyrik. Festschrift für Hans-Henrik Krummacher. Tübingen 1997, S. 31–45. Vgl. auch Wilhelm Kühlmann: Krieg und Frieden in der Literatur des 17. Jahrhunderts. In: Bußmann/Schilling, 1648, Bd. II, S. 329–337, hier S. 333–336.

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ses, der blutgetränkten Äcker und der rotgefärbten, von Leichen angeschwollenen Flüsse bezeichnen in diesem Zusammenhang eben keine real existierenden Lokale oder Sachverhalte, sondern sind hypertrophe Metaphern für das Chaos der Welt, die sich von der göttlichen Friedensordnung selbstverschuldet (und auf Antrieb des unruhestiftenden Gegners) entfernt hat. Immer wieder ist es die personifizierte Germania selbst, die in den Texten wort- und metaphernreich über ihren Zustand klagt und um Frieden fleht. Hinter derartigen Darstellungen stand gerade in den späten Jahren des Krieges sicher auch wahrhafte Verzweiflung angesichts der Schrecken der Kampfhandlungen und ihrer Begleitumstände, die zumindest von den Literaten als Zustand monströser Unordnung wahrgenommen wurden.10 Dominant sind gleichwohl lange Zeit die propagandistischen Interessen in politischer oder konfessioneller Hinsicht gewesen, die ein permanentes Wechselspiel von »Information und Polemisierung« zeigen.11 Den Dichtern, die ja auch hier gelegenheitsbezogene Gebrauchspoesie verfertigten, war es in ihren Aufrufen zur Umkehr und zum Frieden nicht zuletzt darum zu tun, den barbarischen Gegner ins Unrecht zu setzen bzw. die bewundernswürdige Verteidigungsbereitschaft der eigenen Kämpfer und die märtyrergleiche Leidensfähigkeit der eigenen Parteigänger zu unterstreichen.12 Nicht selten galt das Interesse der literarischen Berichterstatter primär der Herrscher- oder Heerführerpanegyrik, die den großen Einzelnen als überlegten Taktiker und kühnen Lenker seiner Heere vorführte oder ihn noch im heißesten Kampfgewimmel als selbstlosen, unnachgiebigen und todesmutigen Helden zeigte.13 Oder Kampf und Kriegsfolgen wurden als plastische Beispiele für den Umstand herangezogen, dass der wahre Glaube letztendlich doch belohnt werde. Sie folgten also einem Muster von Exempel und Auslegung, wie es in der Literatur der frühen Neuzeit allgemein verbreitet war.14 Gedichte aus dem akademischen Bildungsmilieu verfolgten an zentraler Stelle 10 Zur Divergenz zwischen literarischer und lebensweltlicher Kriegs-Wahrnehmung und -Beschreibung siehe Ernst Rohmer : Den Krieg als ein ›anderer Vergil‹ sehen. Literatur und Alltagsbewältigung bei Wolf Helmhard von Hohberg. In: Klaus Garber (Hg.): Erfahrung und Deutung von Krieg und Frieden: Religion – Geschlechter – Natur und Kultur. München 2001 (Der Frieden, Rekonstruktion einer europäischen Vision, 1), S. 1043–1062. 11 Christine Vogel: Einleitung. In: Dies. (Hg.): Bilder des Schreckens. Die mediale Inszenierung von Massakern seit dem 16. Jahrhundert. Frankfurt/M., New York 2006, S. 7–14, hier S. 12. 12 Siehe Kerth, Landsfrid, S. 237–256. 13 Beispielsweise in zahlreichen Gedichten auf den Schwedenkönig Gustav II. Adolf. Vgl. etwa Georg Rodulf Weckherlin: Des großen Gustav-Adolfen Ebenbild [1633]. In: G.R.W.: Gedichte. Hg. von Christian Wagenknecht. Stuttgart 1972, S. 156–181. 14 Vgl. etwa Hartmut Kugler : Meisterlieder zum Dreißigjährigen Krieg. In: Horst Brunner / Gerhard Hirschmann / Fritz Schnelbögl (Hg.): Hans Sachs und Nürnberg. Bedingungen und Probleme reichsstädtischer Literatur. Hans Sachs zum 400. Todestag am 19. Januar 1976. Nürnberg 1976 (Nürnberger Forschungen, 19), S. 289–310.

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darüber hinaus aber auch die Ausstellung ihrer eigenen Artifizialität. Sie manifestierte sich nach humanistischer Vorstellung im souveränen Umgang mit rhetorischen Mitteln und Verfahren und inhaltlich mit dem zielgerichteten Einsatz der biblischen und humanistischen Bildungstradition. Indem er (mehr oder minder topische) Motive kriegerischer Gewalt und ihrer Begleitumstände versammelte, stellte der Autor seine Kunstfertigkeit unter Beweis und belegte zugleich seine Zugehörigkeit zur respublica literaria, aus der er einen wesentlichen Teil seines Selbstverständnisses bezog. Das lässt sich in den kunstvoll gestalteten Dichtungen allenthalben erkennen. Die Anwendung amplifikatorischer Techniken, der enumeratio partium und der insistierenden Nennung, von hyperbolischen Vergleichen, ja gar der Einsatz plurimedialer Verfahren15 dienten wirkungspoetisch dem Aufbau eines dynamischen Vorstellungsfeldes, das den Leser gewissermaßen in die geschilderten Aktionen hineinziehen sollte; umgekehrt schuf man mit den Mitteln der Metaphorik, der Personifikation und Allegorese zugleich auch eine Distanz, die beim Rezipienten eine Anknüpfung an bekannte Vergleichsmotive und eine reflektierende Einordnung anstoßen sollte. Mit der Wahl passender Einkleidungsformen aus der Gattungstradition, mit der gekonnten Anwendung der technischen Mittel und in der Verfolgung allgemein anerkannter Wirkungsintentionen und -ziele präsentierte sich der Autor gewissermaßen selbst als Meister seines Faches. Die heute üblicherweise wahrgenommenen Schriftsteller fühlten sich im Einklang mit der zeitgenössischen Rhetorik also eher für die rhetorische Überhöhung und zielbewusste Ausdeutung kriegerischer Gewalt zuständig als für deren wirklichkeitsgetreue Beschreibung. Erst mit Grimmelshausen und seinem »Simplicissimus« (1668) soll sich – so eine jüngere Behauptung – eine ›realistischere‹ Darstellung des Krieges als ›Monstrum‹ angebahnt haben, die nicht nur den traditionellen Heroenmythos destruiert, sondern auch die Leiden der ›kleinen Leute‹ und der Nichtkombattanten ins Blickfeld gerückt habe.16 Diese Behauptung mag für das zwangsläufig begrenzte Korpus der ›Höhenkammliteratur‹ und für die darstellerischen Neuerungen in den simplicianischen Romanen einigermaßen plausibel sein; auch in den deutlich früheren Kriegsklagen, die sich der Darstellung von Kriegsgreueln an der Zivilbevölkerung durchaus nicht verschließen, sind entsprechende Schilderungen ja in der Regel auf eigenartige Weise durch literarische Mittel und traditionelle Bild15 Dirk Niefanger : Poetisches Tarantantariren. Kriegsbilder in der Nürnberger Barockdichtung. In: Birgit Emich / Gabriela Signori (Hg.): Kriegs/Bilder in Mittelalter und Früher Neuzeit. Berlin 2009 (Zeitschrift für historische Forschung, Beiheft 42), S. 277–293, hier S. 277f. 16 Italo Michele Battafarano: Simpliciana Bellica. Grimmelshausens Kriegsdarstellung und ihre Rezeption 1667–2006. IRIS, 26), S. 36f., 187–189. Dazu die Rezension von Laura Balbiani in: Morgen-Glantz 22 (2012), S. 218–223.

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lichkeit vorgeformt. Für die Gesamtheit literarischer Texte, aus der der gegenwärtige ›Kanon‹ nur einen kleinen, immer interessenbezogen ausgewählten Teilbereich darstellt und die das eigentliche Betätigungsfeld einer ›historisch‹ arbeitenden Literaturwissenschaft sein müsste, lässt sie sich aber nicht aufrechterhalten. Das zeigt ein Blick auf einen Text, der in mancherlei Hinsicht abseits des akademisch-literarischen Mainstreams liegt und bei Neuzeitgermanisten deshalb bisher so gut wie keine Aufmerksamkeit erfahren hat. Zugleich ist dabei zu fragen, welche Funktion ein solch einigermaßen außergewöhnlicher Text für die Positionierung des Autors im literarischen Feld bzw. innerhalb seiner Bezugsgruppe hatte.

I. Die Erzähldichtung, die hier zunächst vorzustellen ist, erweist sich in mehrfacher Weise als außergewöhnlich. Der »Klag Spruch Deß Verderbten Teütschlandtß« ist nur in einer einzigen Handschrift überliefert.17 Das erscheint für ein Gedicht aus dem 17. Jahrhundert zunächst sonderbar, hatte sich die Verbreitung von Literatur im Druck doch schon lange vor dem Barockjahrhundert durchgesetzt; der Schreiber, der den Text um 1664 festgehalten hat, dokumentierte seine Wertschätzung allerdings geradezu auffällig durch ein schön gestaltetes Manuskript mit einer schnörkeligen Auszeichnungsschrift im Titel, mit verzierten Initialen und schmückenden Rubrizierungen und – im Hauptteil – mit einem sehr sauberen Schriftduktus, der das Ergebnis deutlich von einem bloßen Konzept oder einer nachlässigen Abschrift abhebt. Festgehalten worden ist der Text mehrere Jahre nach dem Tod seines Verfassers und rund 30 Jahre nach seinem mutmaßlichen Entstehen. Zwar ist das Gedicht selbst nicht datiert; den Terminus ante quem legt aber seine Erwähnung in einer anderen Spruchdichtung des gleichen Verfassers fest, die sich anhand ihrer Entstehensumstände eindeutig auf den Oktober 1637 fixieren lässt.18 Zieht man die regionale Geschichte als immerhin bedenkenswerten Kontext hinzu, so könnte der Text auch etwas früher, nämlich in den Jahren 1632/34 entstanden 17 Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum, Bibliothek: 28 Hs. 7161 a, fol. 12r–13r. Einen kleinen, sprachlich modernisierten Ausschnitt (W 117–130) dokumentiert hat lediglich Hugo Holstein: Der Nürnberger Spruchsprecher Wilhelm Weber (1602–1661). In: Zeitschrift für deutsche Philologie 16 (1884), S. 165–185, hier S. 180. Die Siglen W (Weber) und S (Sachs) beziehen sich auf die beiden Textabdrucke im Anhang. 18 Nürnberg, Stadtbibliothek: Will IV 114 bb.28 (»Vnderthänige Ersuchung, vnd Auss getrungener Nohtt, Reimenweiss gemachte Klaag, wie Es mir Wilhelm Weber Ergangen A8 1637 den 30. October Auff Einer priesters hochzeit, bey dem gulden prunnen«), dort erwähnt in V. 9–11 ein »spruch von dem teutschland j welchs Jn Eim Elenden Zustand j durch das kriegs wessen Jst gepracht […]«.

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sein; gerade in dieser Zeit wurde Nürnberg – die Stadt, in der der Autor lebte – unmittelbar und in existenzbedrohender Weise von den Ereignissen des Dreißigjährigen Krieges heimgesucht.19 Ob der Titel des Textes dem Autor oder dem Abschreiber zuzuweisen ist, ist zunächst nicht eindeutig zu entscheiden. Derlei Paratexte wurden ja nicht zwangsläufig vom Verfasser des Haupttextes vergeben, sondern auch von anderen Instanzen, die damit versuchten, eine der Orientierung dienende Inhaltskennzeichnung vorzunehmen. Im vorliegenden Falle wird das Gedicht auf diese Weise dem Genre der Kriegsklage zugewiesen. Das mag angesichts des Umstands wenig überraschend sein, dass derlei Threnoi mit ihrem klagenden und zugleich anklagenden Duktus damals durchaus gängig waren. In der akademischen Literatur häuften sich – natürlich aus gegebenem Anlass – gerade seit Mitte der 1630er Jahre Gedichte, in denen üblicherweise eine personifizierte Germania die Verheerungen des Kriegswesens beklagte und das Geschehen in einen größeren, meist politischen, moralischen oder religiösen Zusammenhang einordnete. So hatte Paul Fleming etwa schon 1631 ein einschlägiges Gedicht verfasst, in der ›Frau Germania‹ als Klägerin und Mahnerin auftrat.20 1637 erschien Andreas Gryphius’ berühmte, im Vorjahr niedergeschriebene »Trawrklage des verwüsteten Deutschlandes« erstmals im Druck;21 drei Jahre später wurde die »Lamentatio Germaniæ Exspirantis. Der nunmehr hinsterbenden Nymphen Germaniæ elendeste Todesklage« von Justus Georg Schottel publiziert;22 und auch die Begründer des Nürnberger Blumenordens nahmen 1644 in 19 Überblicksmäßig Rudolf Endres: Politische Haltung bis zum Eintritt Gustav Adolfs in den Dreißigjährigen Krieg. In: Gerhard Pfeiffer (Hg.): Nürnberg – Geschichte einer europäischen Stadt. München 1971, S. 269–273; ders: Endzeit des Dreißigjährigen Krieges. In: ebd., S. 272–279. – Hinsichtlich der Details nach wie vor überaus ertragreich: Franz [Ludwig] von Soden: Gustav Adolph und sein Heer in Süddeutschland von 1631 bis 1635. Zur Geschichte des dreißigjährigen Krieges. 3 Bde. Erlangen 1865/1867/1869; Ernst Mummenhoff: Altnürnberg in Krieg und Kriegsnot, Teil II: Aus den schlimmsten Tagen des dreißigjährigen Krieges. Nürnberg 1917. 20 Etwa Paul Fleming: Schreiben vertriebener Frau Germanien an ihre Söhne oder die Churfürsten, Fürsten und Stände in Deutschlande [1631]. In: ders.: Deutsche Gedichte I, hg. von J[ohann] M[artin] Lappenberg, Stuttgart 1865 (Bibliothek des literarischen Vereins in Stuttgart, 82), S. 101–110. Dazu Barbara Becker-Cantarino: Paul Flemings Schreiben vertriebener Frauen Germanien. Zu Ikonographie und Konzept von ›Germania‹ im 17. Jahrhundert. In: Stefanie Arend / Claudius Sittig (Hg.): Was ein Po[te kan! Studien zum Werk von Paul Fleming (1609–1640). Berlin, Boston 2012 (Frühe Neuzeit, 168), S. 233–256. 21 Dazu Verweyen, Thränen des Vaterlandes; Christian von Zimmermann: Andreas Gryphius’ »Threnen des Vatterlandes / Anno 1636«. Überlegungen zu den rhetorischen Grundlagen frühneuzeitlicher Dichtung. In: Daphnis 28 (1999), S. 227–244; Nicola Kaminski: Ex Bello Ars oder Ursprung der »Deutschen Poeterey«. Heidelberg 2004 (Beiträge zur neueren Literaturgeschichte, 205), S. 273–293, 312–317. 22 Textabdruck bei Ernst Voss: Schottel. In: The Journal of English and Germanic Philology 7/1 (1908), S. 1–31, hier S. 2–31. Dazu Kaminski, Ex Bello Ars, S. 294–312.

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ihrem ›Pegnesischen Schäfergedicht‹ auf diese Darstellungstradition Bezug, wenn sie die »Schwarmreden« ihrer ›rasenden‹ Schäferin Pamela anführten, »die ihr sicherlich einbildete/ sie were das arme und in letzten Zügen liegende Teutschland«.23 Ähnliche zeitgenössische Beispiele sind beispielsweise auch von Johann Klaj (1645)24 und von Johann Rist (1646)25 bekannt. Auch das vorliegende Gedicht scheint sich zunächst in den Zusammenhang dieser Lamentationes einzuordnen. Allerdings wächst beim Lesen dann doch das Erstaunen darüber, dass die nach dem poetologischen Regelhorizont zu erwartenden Klagepartien in diesem Text ausgesprochen randständig bleiben; ja selbst »Teütschlandt«, auf dessen Rollenrede die Überschrift ausdrücklich vorbereitet, nimmt im Gedicht keine zentrale Rolle als Sprecherinstanz ein. Da der Autor in seiner eigenen Charakterisierung des Gedichts nicht die Klage einer Personifikation, sondern die Beschreibung des Kriegselends akzentuiert hat,26 ist bei der unikalen Überlieferung des Textes mit einiger Sicherheit von einer »allographen« Titelformulierung auszugehen.27 Sie orientiert sich zwar an einem zeitgenössischen Erwartungshorizont und ist letztendlich auch nicht völlig falsch, generiert beim Leser aber – wie sich noch zeigen wird – ein teilweise falsches Vorverständnis. Immerhin mag die Titelgebung somit einen Rezeptionszugang dokumentieren, der dem Schreiber besonders nahe gelegen haben mag. Doch auch in anderer Hinsicht widersetzt sich der Text den Erwartungen, die Literaturhistoriker von einem Gedicht dieser Zeit haben. Das liegt zunächst einmal an seiner Form. Zu einem Zeitpunkt, zu dem die weitaus meisten kanonisierten Poeten längst die opitzianischen Forderungen befolgten, erscheint der in traditionellen Knittelversen geschriebene Text sonderbar anachronistisch. Erwarten dürfte man in den 1630er Jahren nach der communis opinio eigentlich das alexandrinische Standardversmaß, das der schlesische Literaturreformer propagiert hatte, weiter die genau beachtete Übereinstimmung von Wort- und Versakzent. Allerdings ist es bei unvoreingenommener Kenntnisnahme des poetischen Schaffens nicht zu übersehen, dass weite Teile der zeit23 [Georg Philipp Harsdörffer / Johann Klaj]: Pegnesisches Schäfergedicht in den Berinorgischen Gefilden. Nürnberg 1644, S. 14–17 (Reprogr. Ndr., hg. von Klaus Garber, Tübingen 1996). 24 Johann Klaj: Herodes, der Kindermörder. Nürnberg 1645, S. 25–27 (Reprogr. Ndr. in: J.K. Redeoratorien und ›Lobrede der Teutschen Poeterey‹, hg. von Conrad Wiedemann, Tübingen 1965, S. 129–200, hier S. [161]–[163]). 25 [Johann Rist]: Das Friede wünschende Teutschland In Einem Schauspiele öffentlich vorgestellet und beschrieben […]. O.O. 1647. 26 Weber erwähnt dort einen »[…] spruch von dem teutschland j welchs Jn Eim Elenden Zustand j durch das kriegs wessen Jst gepracht«; Nürnberg, Stadtbibliothek: Will IV 114 bb.28 (3), fol. 1r. 27 Zur Terminologie vgl. G8rard Genette: Paratexte. Frankfurt/M., New York 1989, S. 16.

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genössischen Literatur, die ein wirklich breites Publikum erreichen wollten, noch lange nach und trotz Opitzens Postulaten weiter in der Form des traditionellen Erzählverses gehalten waren. Die Wahl des Versmaßes war für mehrere Jahrzehnte eben nicht nur vom ›Können‹ des Dichters, sondern zumindest ebenso sehr vom intendierten Zielpublikum abhängig: während akademische Rezipienten mit längeren, komplizierteren Versformen und genau kalkulierter Rhythmik bedient wurden, scheint die Neuerung bei den weniger gebildeten Lesern eher auf Vorbehalte oder gar auf Unverständnis gestoßen zu sein. Um sie zu erreichen, hielt man lieber an den gewohnten, traditionellen Einrichtungsverfahren fest. Der Mythos von der raschen Durchsetzung der opitzianischen Reform gilt selbst unter Autoren innerhalb des Bildungsmilieus nur für die Arbeiten, die unmittelbar ein akademisch und damit humanistisch gebildetes Publikumssegment adressierten; in die wirkliche Breite hat die Programmschrift erst seit den 1660er Jahre gewirkt.28 Zudem gilt eine solche Beobachtung auch nur für Dichter, die ihrerseits aus dem akademischen Milieu stammen und für die Reglements der selbstempfundenen literarischen Avantgarde offen waren; Poeten, die der humanistischen Bildung fernestanden, haben sich weiterhin eher an den Mustern orientiert, die in der volkssprachlichen Poesie über die Reputation langdauernder Tradition verfügten. Tatsächlich handelt es sich beim Verfasser des vorzustellenden Gedichts um einen der bekanntesten nichtakademischen Autoren seiner Zeit. Wilhelm Weber (1602–1661)29 war von seiner Ausbildung her eigentlich Dockenmacher in Nürnberg, also Hersteller von Spielzeugen aus Holz und Pappmach8. Eine Lateinschule hatte er nie besucht, und auch die Immatrikulation an der Universität Altdorf, die sich 1636 in der Matrikel nachweisen lässt, verdankte er nicht etwa einem ernsthaften Studienvorhaben; leitend war vielmehr sein Wunsch, das geheimnisvolle Ritual der akademischen Deposition zu erleben und in einem Spruchgedicht schildern zu können. Seine Pro-forma-Einschreibung zeigt, dass er innerhalb des Nürnberger Patriziats, das mit dem Scholarchat ja auch die 28 Elisabeth Lang: Das illustrierte Flugblatt des Dreißigjährigen Krieges – Ein Gradmesser für die Verarbeitung der Opitzischen Versreform? In: Daphnis 9 (1980), S. 65–87, 670–675, hier S. 77 u. passim. 29 Der Vf. bereitet derzeit eine kommentierte Gesamtausgabe der überlieferten Werke Webers mit einer ausführlichen Einleitung vor. Das dort aufgearbeitete reichhaltige Quellenmaterial kann hier nur summarisch resümiert werden. Bis jetzt ist über den Autor und seine Profession nur ältere Literatur heranzuziehen: E[mil] Weller : Die Nürnberger Spruchsprecher und Neujahrsdichter. In: Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzeit 1867, Sp. 201–205; Hugo Holstein: Der Nürnberger Spruchsprecher Wilhelm Weber (1602–1661). In: Zeitschrift für deutsche Philologie 16 (1884), S. 165–185; Th[eodor] Hampe: Spruchsprecher, Meistersinger und Hochzeitlader, vornehmlich in Nürnberg. In: Mitteilungen aus dem germanischen Nationalmuseum 1894, S. 25–44, 60–69; Hugo Holstein: Art. »Weber, Wilhelm«. In: Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 41. Leipzig 1896, S. 358.

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administrative Aufsicht über die Hochschule stellte,30 einigen Rückhalt genossen haben muss. Der damals 34jährige war in seiner Heimatstadt, immer noch einer der größten, kulturell und wirtschaftlich führenden Metropolen des Reichs, bereits ein bekannter Poet, dem man eine solche Sonderbehandlung offenbar gerne zubilligte.31 Weber betrieb das Dichten nicht nur in den knappen Mußestunden, die ihm seine Arbeit im gelernten Handwerk gelassen hätte. Vielmehr hatte er sich bereits als junger Mann ganz der deutschsprachigen Poesie verschrieben und darin nicht nur seine Berufung, sondern auch eine Möglichkeit gefunden, den Lebensunterhalt für sich und seine vielköpfige Familie zu verdienen. Schon in jungen Jahren hatte er nämlich das Amt eines städtischen Spruchsprechers übernommen – eine Institution, die es offenbar nur in Nürnberg gab. Wie schon zuvor sein Vater Hans Weber († 1623), ein Meistersinger und produktiver Autor von Knittelversgedichten,32 war ihm damit seitens der Obrigkeit das Recht verliehen, bei den regelmäßigen Versammlungen der zahlreichen Handwerke, die es in Nürnberg gab, sogenannte Handwerkersprüche vorzutragen. Diese Gedichte dienten der Traditionsbildung und Selbstdarstellung der einzelnen Gewerbe, die sich in der Reichsstadt nicht als Zünfte organisieren durften und streng den Reglements des städtischen Rugamts unterworfen waren. Ein Privileg, das dem städtisch bestellten Spruchsprecher die Auftritte vor den Handwerken vorbehielt, führte so nicht nur zu einem breiten Beziehungsnetzwerk innerhalb der urbanen Mittelschichten, sondern wird sich auch wirtschaftlich rentiert haben. Denn seine identitätsstiftenden Auftritte vor den Meistern wurden regelmäßig entlohnt, ja als Zeichen der engen Verbindung mit den Handwerken wurden ihm von den einzelnen Korporationen mehr oder minder auffällige, dekorativ versilberte Messingschilde verliehen. Diese auf breiter Brust stolz präsentierten Plaketten, die neben dem Spruchsprecherstab zur Amtstracht des Spruchsprechers gehörten, wurden in zahlreichen Darstellungen 30 Vgl. Peter Fleischmann: Das Verhältnis des Nürnberger Rats zur Universität Altdorf. In: Hanns Christof Brennecke / Dirk Niefanger / Werner Wilhelm Schnabel (Hg.): Akademie und Universität Altdorf. Studien zur Hochschulgeschichte Nürnbergs. Köln, Weimar, Wien 2011 (Beihefte zum Archiv für Kulturgeschichte, 69), S. 7–28, hier S. 17–27. 31 Das in diesem Zusammenhang entstandene Gedicht wurde 1637 in zwei Auflagen als Flugschrift vertrieben. Breite Wahrnehmung erfuhr es mit der – geglätteten – Wiedergabe bei Johann Christoph Wagenseil (Buch Von Der Meister=Singer Holdseligen Kunst Anfang/ Fortübung/ Nutzbarkeiten/ und Lehr=Sätze. In: Ders.: De Sacri Rom[ani] Imperii Libera Civitate Noribergensi Commentatio […]. Altdorf 1697, S. 433–576, hier S. 468–479); diese wurde im 18. und 19. Jahrhundert wiederholt abgedruckt. 32 Irene Stahl: Die Meistersinger von Nürnberg. Archivalische Studien. Nürnberg 1982 (Nürnberger Werkstücke zur Stadt- und Landesgeschichte, 33), S. 316f. Einzelne Nachweise bei Horst Brunner / Burghart Wachinger (Hg.): Repertorium der Sangsprüche und Meisterlieder des 12. bis 18. Jahrhunderts. 16 Bde. Tübingen 1986–1996, hier Bd. 13, 1989, S. 293–295.

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›Nürnberger Trachten‹ bis weit ins 18. Jahrhundert hinein immer wieder prominent verbildlicht.

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Aber nicht nur vor den Handwerkerkorporationen trat Weber als Vortragender auf. Als Berufspoet und Gelegenheitsredner wurde er auch bei vielen Hochzeiten in der Stadt engagiert, wobei die Auftraggeber durchaus auch aus akademischen Milieus kamen. Bei diesen Anlässen trug er vorbereitete lustige und ernste Gedichte vor und stellte gegebenenfalls auch seine viel gerühmte Fähigkeit zu geistesgegenwärtigem (und oft auch bissigem) Extemporieren unter Beweis. Weiter zog er des Abends durch die Wirtshäuser der Großstadt, um die Zecher dort mit seinen Sprechsprüchen zu unterhalten und anschließend einen Obolus einzusammeln. Schließlich scheint ihn auch die Obrigkeit selbst als Conferencier und Unterhaltungskünstler engagiert zu haben. So kommentierte er etwa mit dem Fischerstechen von 1650 eine populäre Lustbarkeit, die der Rat als öffentliche Veranstaltung im Rahmen des Friedensexekutionskongresses in Nürnberg anberaumt hatte. Sie ergänzte die elitären Feierlichkeiten der Verhandlungsparteien, die sich mehrfach in ambitiösen Schriften Georg Philipp

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Harsdörffers und Sigmund von Birkens niedergeschlagen haben,33 auf volkstümliche Weise, und sicher war Weber der geeignete Moderator der Wettkampfspiele, die ganz auf die Unterhaltungsinteressen der breiten Bevölkerung abgestimmt waren. Der Spruchsprecher agierte also als eine Art Entertainer und Alleinunterhalter, der mit seinen launigen und situationsbezogenen Reimvorträgen zumindest innerhalb der Stadt außerordentlich populär war. Neben dieser auf mündlichen Vortrag angelegten Präsenz machte sich Weber aber durchaus auch einem breiten Publikum inner- und außerhalb der Reichsstadt bekannt. Mit kleineren Flugschriften, v. a. aber mit seinen zahlreichen reizvoll aufgemachten Einblattdrucken sprach er auch Rezipienten an, die durch eine orale Vermittlung seiner Dichtungen nicht zu erreichen waren. Da er den Vertrieb der überwiegend bebilderten Kleinschriften selbst übernahm, konnte er an der Wertschöpfung seiner Werke auch hier unmittelbar profitieren. Es ist kein Wunder, wenn der geschäftstüchtige, selbst in Kreisen des Patriziats geförderte und von Akademikern engagierte Autor, dem man überdies 1647 auch noch die Dichterkrönung zuerkannte, damit den Unwillen der arrivierten Literaten erregte. Die Vertreter der Bildungspoesie wie Harsdörffer oder Birken ließen sich verschiedentlich despektierlich über ›Reimleimer‹ wie ihn aus, denen man statt des (auch im abgedruckten Porträt verbildlichten) Lorbeerkranzes eher eine Eselsmütze verpassen solle. Der Beliebtheit des aus dem Handwerkerstand kommenden Spruchsprechers haben die Sottisen der standes- und bildungsbewussten akademischen Poeten freilich keinen Abbruch getan. Noch Jahre nach Webers Tod hat ihn etwa Christian Weise gezielt (freilich auch spöttisch) in einem seiner literaturkritischen Lustspiele herbeizitiert;34 ja selbst am Ende des 17. Jahrhunderts galt er nach Johann Christoph Wagenseil als der bedeutendste Vertreter seines Faches,35 und noch zum 50. Todestag wurde in Nürnberg ein Weber-Porträt als Kupferstich neu aufgelegt – auch angesichts der Diskussion um die Bildwürdigkeit nichtadeliger und nichtakademischer Personen in dieser Zeit ein bemerkenswerter Umstand. Für einen Handwerkerdichter, der heute so gut wie unbekannt ist, stellt dies immerhin ein außergewöhnliches Nachleben dar, das über die Verbreitung einzelner seiner Werke auch noch im 18. Jahrhundert anhielt. Erst 33 Hartmut Laufhütte: Das Friedensfest in Nürnberg 1650. In: Bußmann/Schilling, 1648. Bd. II, S. 347–357. 34 Christian Weise: Anhang eines neuen Lust=Spieles Von Einer zweyfachen Poeten=Zunfft/ præsentiret in Zittau/ den 6. Mart. MDCLXXX. Leipzig 1683. Separat foliierter Anhang zu: Ch. W.: Reiffe Gedancken/ Das ist Allerhand Ehren= Lust= Trauer= und Lehr=Gedichte/ Bey männlichen Jahren nach unterschiedner Gelegenheit aufgesetzet/ Und nunmehr zu Verbesserung Der Uberflussigen Gedancken heraus gegeben. Leipzig 1682, fol. C3v (Ndr.: Ch. W.: Sämtliche Werke, Bd. 11: Lustspiele II. Hg. von John D. Lindberg [Ausgaben deutscher Literatur des XV. bis XVIII. Jahrhunderts]. Berlin, New York 1976, S. 163–244, hier S. 206). 35 Wagenseil, Meister=Singer, S. 466.

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die Geringschätzung volkstümlicher Literaturtraditionen durch eine Germanistik, die nur mehr am Höhenkamm interessiert war, hat die Erinnerung an den Nürnberger Spruchsprecher vergehen lassen – ein Phänomen, dem die primär kulturgeschichtlich interessierten Spielarten des Faches um die Mitte des 19. Jahrhunderts nur zeitweilig entgegenwirken konnten.

II. Wie hat der Autor seine Imagination des Krieges aber nun umgesetzt? Der Text beginnt mit einer Auszeichnung der Handlung als Traum, der erst wenige Tage zurückliege. Mit diesem Verfahren beansprucht der Ich-Erzähler, der sich erst ganz am Schluss in einer traditionellen Teichnerformel als »Wilhelm Weber« offenbart, nicht nur frische Erinnerung und unmittelbare Aktualität; er nimmt damit auch eine poetische Lizenz in Anspruch, die traditionell dazu dient, Nichtempirisches erzählbar zu machen, Wunderbares aus der Optik persönlichen Erlebens wiederzugeben. Mit der Markierung der Traum-Struktur schafft der Autor zugleich einen Rahmen für die eigentliche Handlung, der erst ganz am Ende mit dem Erwachen und einer Reflexion über das Erlebte wieder geschlossen wird. Die geträumte Handlung greift zunächst eines der zentralen Motive auf, die in zahlreichen Weber-Gedichten zu beobachten ist: den Spaziergang vor den Mauern der Stadt, den das Ich als Quelle der Anregung und Inspiration benutzt. Üblicherweise macht der Berichterstatter bei seinem Ausgang mancherlei erstaunenerweckende Beobachtungen und begegnet einem Gesprächspartner, der ihm auf Nachfrage mit den Hintergründen des Gesehenen vertraut macht. Sind dies in der Regel Repräsentanten bestimmter Berufe, deren Herleitung und Ruhm das jeweilige Gedicht gilt, so ist die Zufallsbekanntschaft diesmal ein »Alter Mann« (W 6), der sich als Verkörperung des ›alten Deutschland‹ zu erkennen gibt. Während in Webers anderen Texten – es sind insgesamt knapp 60 handschriftlich oder gedruckt überlieferte – ausschließlich ›reale‹ Personen agieren, seien es (zum Teil namentlich benannte) Zeitgenossen oder historische bzw. pseudohistorische (biblische) Gestalten, wird hier eine allegorische Figur eingeführt, die als Personifikation für ein ganzes Land steht. Ein solches Verfahren mochte dem bodenständigen Publikum des Autors verdächtig sein und bedurfte somit einer besonderen Rechtfertigung, die durch die Einkleidung in eine Traumsequenz leicht und nachvollziehbar zu geben war. Interessanterweise greift Weber hier also nicht auf Germania zurück, die in Texten der humanistischen Bildungstradition dominant war und zu der der Akt der Wehklage auch nach zeitgenössischen Aptum-Vorstellungen besser gepasst hätte. Statt der Mütterlichkeit der weiblichen Personifikation und ihrer Sorge für

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die verfolgten Kinder wird hier das Alter des Gesprächspartners akzentuiert. Tatsächlich bricht dieser in seiner Replik denn auch – ungefragt – zunächst in ein Lob der alten, unverdorbenen Zeiten aus, die anders als in der jetzigen moralischen Entartung durch Frömmigkeit und Tugendstärke gekennzeichnet gewesen seien. »Daß Teütschlandt/ Jst gantz vmbkehrt/ j Alleß verwüstet/ v[nd] zerstörth« (W 17f.), lautet sein trauerndes Resümee, mit dem er den moralischen Verfall gleich auch mit den aktuellen Kriegsfolgen in Bezug setzt. Etwas unvermittelt – für einen Traum aber immerhin nachvollziehbar – folgt das berichtende Ich dem Alten nun auf einer Wanderung, die auf einen hochgelegenen Aussichtspunkt führt. Von hier aus werden in einer Folge von Blickwinkeln und Szenen verschiedene Schauplätze in Augenschein genommen. Zunächst überblickt der Berichterstatter eine Kulturlandschaft, die ganz dem zuvor angekündigten Verwüstungszustand entspricht. Innerhalb des Panoramas verschiedene Einzelerscheinungen fokussierend, werden im einzelnen (und im Sinne einer Klimax) Aspekte der Wald-, Gras-, Wein-, Obst-, Feld- und Teichwirtschaft benannt, die vom Grundlegenden zum Spezialisierteren, vom Einfachen zum Wertvolleren voranschreiten (W 21–28). Erst im Anschluss an die natürlichen, nicht mehr kultivierten Lebensressourcen der Menschen geraten dann auch deren Ansiedlungen in den Fokus. Zunächst ist es ein dörfliches Ambiente, das geschildert wird (W 29–36). Der Lebensraum ist zerstört, und in durchaus traditioneller Weise stehen einschlägige Bauwerke für das Darniederliegen der geistlichen und bildungsmäßigen Infrastruktur. Nachdem die devastierten Dörfer und Weiler zunächst menschenleer erschienen waren, kommen bald auch »Die Leüth« ins Blickfeld. Es sind hier nicht Personifikationen, die duldend oder mit Heldenmut Schweres ertragen, sondern Menschen, die sich in die Wälder »verkrochen« haben, die körperlich schwer blessiert sind (»zerhauen/ vnd zerstochen«), die orientierungslos auf der Straße umherirren und ihre materiellen und geistigen Lebensgrundlagen eingebüßt haben. Ihr Verhalten wird aus der Ferne beobachtet und beschrieben, ohne dass affekthaltige Vokabeln ein persönliches Mitfühlen des Berichterstatters erkennen ließen. Nach einem kurzen ›Schwenk‹ des Auges auf die Landsitze des Adels (W 37) wendet sich das Interesse dann aber der Stadt zu, dem Lebensraum, den der Verfasser wie auch der intendierte Hörer oder Leser des Spruchgedichts am besten kannte und der demzufolge auch deutlich ausführlicher beschrieben wird (W 38–65). Auch hier vollzieht die Erzählung wieder den Erkundungsprozess nach, den das suchende Auge fast im Sinne filmischer Kameraführung vornimmt. Die öffentlichen Verkehrsräume sind verlassen; die Bauwerke, die für das Funktionieren des städtischen Gemeinwesens stehen – also Rathaus (Obrigkeit, Recht und Verwaltung), Kirche (religiöses Lehramt) und Schule (Bildungswesen) – stehen leer ; das gleiche gilt für die Einrichtungen der damaligen

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Hochtechnologie (Mühlen) und die Orte handwerkerlicher Produktion (Werkstätten), für die Stätten des Handels (Messen und Märkte) und die Refugien geselliger Vergnügungen (Wirtshäuser). Ja sogar in enge Seitengassen und Innenräume dringt der Blick vor – eine Sichtführung, die angesichts des vermeintlichen Beobachterstandorts auf einem Berg eigentlich unmöglich, durch die Traumsituation aber immerhin lizensiert ist. Die gezeigten Bilder selbst funktionieren auf eine raffinierte Weise: ohne dies explizit zu machen, konterkarieren sie nämlich die Topoi der Beschreibung städtischen Lebens, die schon in der Frühneuzeit gängig waren (und es bis heute sind): statt Menschenmassen sieht man nur Leere, statt Betriebsamkeit Stillstand, statt geschäftigen Lärms hört man nur Stille oder Seufzen, Geschrei und Weinen, statt fröhlichen Treibens nimmt man allenthalben Traurigkeit wahr. Auch hier liegen also nicht nur die materiellen Ressourcen am Boden, sondern ist das gesamte menschliche Leben in seinen Grundbedingungen gestört; eine rasche Erholung der wirtschaftlichen Zustände ist ebensowenig zu erwarten wie die Vermittlung von »Zucht/ Tugent/ vnd Weißheit« (W 48), die die Voraussetzung für eine Überwindung der demoralisierten Stimmung und für künftiges Wohlergehen wäre. Schauplätze, Personal und Verhaltensweisen der Figuren mögen bis jetzt nicht weiter bemerkenswert erscheinen. Sie sind es freilich durchaus, denn hier wird Elend und Zerstörung auf eine Weise geschildert, die so gar nichts mit den ›donnernden Kartaunen‹ und dem ›rasenden Schwert‹ zu tun hat, wie sie in akademischen Gedichten des 17. Jahrhunderts immer wieder bemüht werden. Nicht hypertrophe Akte brutaler Gewaltausübung werden hier geschildert; vielmehr vermitteln die Bildersequenzen verschiedene Aspekte der Kriegsfolgen, des bleibenden Grauens nach den eigentlichen Greueltaten. Dabei werden unterschiedliche soziale Gruppen in Augenschein genommen, die sich in der realitätsnahen Diegese Webers durchaus als leidfähig erweisen. Tatsächlich sind es nicht allegorische Figuren oder Wahnsinnige, die agieren und klagen, sondern es werden aus der Außensicht die geschundene Kulturlandschaft, das zerstörte Lebensumfeld und gequälte Menschen gezeigt. Diese haben weder einen Namen noch werden sie näher charakterisiert – der Rezipient nimmt sie also nicht als Individuen mit einem tragischen Schicksal wahr, sondern nur und ausschließlich als entwurzelte, um die Früchte ihres Lebens gebrachte Kreaturen. Anders als bei den üblichen Kriegsschilderungen versucht der Verfasser den Leser nicht gezielt in ein Geschehen hineinzuziehen, das scheinbar unmittelbar miterlebt wird; die Beschreibung vermittelt vielmehr geradezu leidenschaftslos ein Panorama dessen, was die Kriegsfurie hinterlassen hat. Vielleicht wirkt sie vor dem Hintergrund üblicher barocker Kriegsdarstellung gerade deshalb merkwürdig packend und ›modern‹. Wie es sich für eine vermeintliche Kriegsklage gehört, hat der Autor bis dahin ausschließlich die Rolle der Opfer thematisiert. Schuld an der Misere – so

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schlussfolgert der Rezipient zwangsläufig – sind die Militärs, die Soldaten, die all das angerichtet haben. Und genau dorthin, zu den mutmaßlichen Tätern, führt uns der Berichterstatter jetzt (W 65–116). Der im Zuge der Beobachtungen schon fast vergessene Alte, der am Anfang ja die Funktion eines Führers übernommen hat, ergreift mit einer moralisierenden Replik erneut das Wort (W 65–74). Indem er das Geschehen in einen transzendenten Verständniszusammenhang einordnet und den Krieg zur Strafe Gottes für die sündige Menschheit und zugleich zum Ansporn für ein frömmeres Leben erklärt, leitet er auf einen wechselnden Schauplatz über. Der Beobachter wird nun in ein militärisches Feldlager geführt (W 75–93). Es ist aber nicht das fröhliche Lagerleben, wie man es aus dem »Simplizissimus« oder später aus »Wallensteins Lager« kennt, das ihm hier begegnet. Bei der Schilderung der zeltbestandenen Wagenburg dominieren die Wort- und Vorstellungsfelder des Schmutzes und Gestanks, der Erde, Feuchtigkeit und Fäulnis, des Hungers und der Kälte, der Wetterunbilden und Krankheiten, des Wahnsinns und der unvorstellbaren Gier derer, die sich hier aufhalten. Die Gewalt einer feindlichen Natur und infrastrukturelle oder materielle Unzulänglichkeiten verführen die gequälten Lagerinsassen zu allerlei Verhaltensweisen, die nicht nur unzivilisiert und unmoralisch, sondern auch asozial und selbstschädigend sind. Das Gemeinschaftsleben in den Grenzen des Lagers ist aus den Fugen geraten, der Einzelne ständig bedroht; auch hier ist der Tod ein ständiger Begleiter, sei es durch Krankheit und Seuchen, auf Beutezügen oder bei Raufereien der Soldaten untereinander. Gemeine Soldaten und ihre Offiziere sind von diesen Verhältnissen gleichermaßen betroffen. Die offene Feldschlacht, die in der nächsten Bildersequenz geschildert wird (W 94–110), ist da schon eine fast herbeigesehnte Abwechslung. Unter Einbezug visueller, akustischer und taktiler Details schildert der Beobachter die Vorbereitung des Treffens und das erste Geplänkel, während die eigentlichen Kampfhandlungen nur raffend und summarisch resümiert werden: »Viel wurden/ Erschoßen/ Erstochen/ Erschlagen«, lautet die distanzierte Feststellung, die freilich auch »Jammer vnd Klagen« der Verwundeten nicht verschweigt (W 105f.). Schnell hat sich die Lage geklärt, und die Kämpfer verlassen das Schlachtfeld. Dafür werden die Folgen des Treffens desto drastischer vor Augen geführt (W 109–116). Die verlassene Walstatt liegt voller Leichname, das Jammern der Versehrten, die kaum auf medizinische Versorgung hoffen dürfen, durchdringt die Luft. Statt des eigentlichen Kampfgeschehens, der exzessiven Gewalt, sind es hier also vor allem die gänzlich unheroischen Folgeerscheinungen der Schlacht, die Hilflosigkeit der Einzelnen, das Verschmachten der Verletzten, die in wirklichkeitsgetreuer Weise präsent gemacht werden. Aber auch die Krüppel, die nach der Entlassung versuchen, wieder nachhause zu kommen, werden mit einer asyndetischen Reihe von Kennzeichnungen als

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»Krumm/ Lahm/ zerißen/ zerlumbt/ dörr/ Geschmogen [gebeugt]« in einer Weise beschrieben, wie es in der akademischen Kriegspoesie so kaum vorkommen dürfte. Werden die einen auf Wagen nachhause gekarrt, so fallen andere wehrlos der Mordsucht der Bauern zum Opfer, die sich für die ihnen zugefügten Schandtaten rächen.36 Das für den Leser Erschütternde an diesen sprachlichen Bildern ist der Umstand, dass auch die Soldaten nicht etwa Akteure, sondern vielmehr Opfer des Krieges sind. Im Unterschied zu den gängigen Lamentationen über das Kriegwesen und dessen Repräsentanten leiden hier alle unter den Bedingungen, die das organisierte Verwüsten und Töten schafft. Auch diejenigen, die das Verderben über das Land bringen, werden also zu Opfern des Krieges, der letztendlich in allen Bereichen nur Unheil generiert. Sieger gibt es hier nicht, alle sind Verlierer – das scheint in seiner Drastik tatsächlich ein Unikum in der zeitgenössischen dichterischen Darstellung des Krieges zu sein. Anders als zu erwarten, kommt der Alte nach dieser immerhin recht bewusst strukturierten Revue verschiedener Kriegsschauplätze nicht mehr zu Wort. Es ist der Erzähler selbst, der im Aufwachen ein gedankliches Resümee aus dem zieht, was er im Traum gesehen hat: wenn die Bilder, die er so offenbar nicht erwartet hat, wahr sind, so ist der Krieg ein schrecklicher Zustand, zumal er Deutschland an den Rand des Ruins gebracht hat. Noch gehört diese Reflexion, die aus den vor Augen gestellten Bildern den Unheilscharakter des Krieges ableitet, zunächst noch der Traumsphäre an, markiert aber zugleich den Prozess des Erwachens. Die praktische Schlussfolgerung aus dieser Erkenntnis ist dann vollends dem Wachzustand zuzurechnen. Die Überwindung des Krieges kann nur durch das Gebet, die Bitte um Frieden an Gott, erzielt werden, der »Daß Edle Kleinodt/ hie Auf Erdt« (W 125) wieder gewähren solle. Dann habe er den Dank der Menschheit als Beschirmer um so mehr verdient. Mit Gottes Lobpreis und der üblichen Teichnerformel endet das Gedicht des Nürnberger Spruchsprechers. Abgeschlossen wird es durch die religiöse Bekräftigungsformel »Amen«, die der auf Gott bezogenen Schlussfolgerung Webers noch zusätzliche Weihe verleiht. Der moralisierende Schluss erscheint dem heutigen Rezipienten möglicherweise als ein Versatzstück, das qualitativ abfällt, weil es den gerade erst evozierten Bildern mit einer vernunftgemäßen Ausdeutung und Wendung zum Transzendenten vermeintlich ein Stück ihrer unmittelbaren Wirkung nimmt. Gleichwohl ist es nicht nur für den bildungsfernen Poeten Weber, sondern generell in der Dichtung der Zeit unverzichtbar. Denn die Kriegsimaginationen 36 Zu diesem, v. a. in der Kunst des 17. Jahrhunderts aufgekommenen und insbesondere durch Jacques Callots Radierungsserie (1633) bekannten Motiv vgl. Peter Paret: Imagined Battles. Reflections of War in European Art. Chapel Hill, London 1997, S. 31–39.

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sind ja nicht etwa Selbstzweck der Darstellung. Vielmehr müssen sie nach dem rezentem Verständnis in einen lehrhaften Kontext eingebunden sein. Poesie verfolgt einen Zweck: sie soll die Menschen zur Einsicht und zur Besserung bewegen, und am sichersten wird diese Funktion gerade bei einer weniger gebildeten Adressatenschaft immer noch erzielt, wenn die Redeinstanz auch deutlich macht, worin der Lerneffekt beruhen soll. Was ist an diesem äußerlich so kunstlosen Text also zunächst einmal bemerkenswert? Auffällig ist einmal ein merkwürdiges Changieren zwischen den Genres, die aus der akademischen Poesie bekannt sind. Um ein Klagegedicht, wie es der Titel suggeriert, handelt es sich nicht eigentlich. Die Verwüstungen des Krieges werden zwar genau beobachtet und referiert; klagende Passagen sind aber allenfalls der als Personifikation fungierenden Gestalt des alten Mannes zuzuweisen. Ihm allerdings geht es eher um den moralischen Abstieg der Deutschen, die zur Strafe des Krieges geführt habe, als um den Krieg selbst – dieser ist für ihn nur Symptom einer tiefergehenden Entfremdung von Gott. Seine Position kann der Alte als Sprecher nur in kurzen Passagen äußern, während er den Beobachter jeweils auf ein neues Beobachtungsobjekt hinweist; wesentlich mehr Wertungspotenz kommt dagegen dem fiktionalisierten Autor selbst zu, der mit seiner namentlich autorisierten Replik am Ende auch die Deutungshoheit für sich beanspruchen kann. Ihm ist die Klageattitüde allerdings gänzlich fremd. Als Beobachter des Geschehens aus der Ferne erweist er sich als distanziert, ja geradezu mitleidlos. Äußerungen der Wertung oder gar der emotionalen Anteilnahme sucht man in der im wesentlichen registrierenden Traumsequenz vergeblich, und erst ganz am Ende kommt der Sprecher zu einem Urteil, das seine affektive Berührtheit offenbart. Aber auch hierbei gilt sein Aufruf eher der Umstimmung des letztendlich gnädigen Gottes als der Klage über die auferlegte Strafe. Anders als in den meisten akademischen Gedichten wird in Webers Spruch überhaupt nicht viel geredet. Statt Dialogen, Klage- oder Anklagereden werden stattdessen starke, packende, drastische, z. T. brutale Bilder versprachlicht, die sich zu einem Panorama des Krieges oder besser : zu einem Panorama der Kriegsfolgen verdichten. Dabei kommt den Szenerien letztendlich ein höherer Stellenwert zu als den Menschen selbst; sie werden vor allem als Leidende in eine zerstörte Umgebung gestellt, kein exemplarischer Einzelner zieht besondere Aufmerksamkeit auf sich. Die Bilder und Szenen, die hier fast wie eine imaginäre Kamerafahrt über das Geschehen angelegt sind und nach einer ›Totalen‹ wechselnde Fokussierungen gegeneinander ›schneiden‹, bedürfen der Einkleidung in einen Traum eigentlich nicht. Mit diesem technischen Kunstgriff werden allenfalls die Gestalt des geheimnisvollen Alten, die raschen Ortswechsel und manche Eigenheiten der Blickführung für ein Publikum legitimiert, das – viel-

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leicht anders als das akademische – großen Wert auf die Vermittlung und Nachvollziehbarkeit von Empirizität legt. Gegenübergestellt werden zwei Sphären, die auf den ersten Blick einen Gegensatz bilden, sich dann aber als zwei Seiten einer Medaille entpuppen. Der des Mitleids werte Opferstatus, der üblicherweise den Ausgeraubten und Gequälten zukommt, wird hier allen Beteiligten zugesprochen. Erst der unvoreingenommene, genau beobachtende und den Dingen folgende Blick auf die Verhältnisse zeigt, dass eine trennscharfe Unterscheidung zwischen Opfern und Tätern kaum möglich ist, ja dass aus den Jägern selbst Gejagte geworden sind. Anders als in gängigen akademischen Gedichten kommt diese realistische, gelegentlich fast naturalistische Schilderung des Kriegslebens ganz ohne mythologische oder biblische Anspielungen aus. Vermieden werden die dort üblichen hyperbolischen Formulierungen und Topoi der Bildungstradition, die gewählten Metaphern und kunstvollen Nachvollzüge lautmalerischen Sprachspiels; die Vergleiche, die hier ohnehin selten bleiben, speisen sich im wesentlichen aus der lebensweltlichen Erfahrung der Opfer und Teilnehmenden selbst. So funktioniert das vorgestellte Gedicht anders als die üblichen akademischen Texte der Zeit weniger auf der Ebene ausgestellter Artifizialität als vielmehr durch die Wucht der evozierten Bilder. Der Verfasser erweist sich auf diese Weise als ein Zeitzeuge, der das Erleben seiner Generation ganz ohne rhetorischen Prunk und ohne alle poetische Spielerei in Worte oder besser : in verbalisierte Bilder fasst.

III. Mit der humanistischen Bildungs- und Dichtungstradition und ihrem Regelwerk hat diese ›volkstümliche‹ und nichtakademische Art barocken Dichtens kaum etwas zu tun. Das heißt allerdings nicht, dass nicht eigene, andere Traditionen fruchtbar gemacht werden, die von der Barockphilologie üblicherweise kaum beachtet werden. Für das vorgestellte Gedicht hielt sich der Autor beispielsweise eng an eine Vorlage, die ein anderer nichtakademischer Poet rund 90 Jahre zuvor verfasst hatte. Er hat sie aber nicht nur adaptiert, sondern auch teilweise umakzentuiert, ja in der Aussage erheblich verändert. Dieser Prätext stammt aus der Zeit des Schmalkaldischen Krieges – eine Praxis aktualisierender Wiederaufnahme übrigens, die sich in der Dichtung des Dreißigjährigen Krieges gelegentlich beobachten lässt.37 Ja genauer sogar lässt sich diese Vorlage auf den 24. Oktober 1546 datieren und nach Nürnberg lokalisieren. Damals hatte Hans Sachs in seinem »Landts Knecht Spiegel« das 37 Kühlmann, Krieg und Frieden, S. 330.

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militärische Geschehen in einer bis dahin unerhörten Weise mit Blick auf die Leidenden und mit allerlei grässlichen Details in Augenschein genommen.38 Auffällig ist hierbei, dass er – anders als in anderen Texten aus dieser Zeit – keine der gängigen politisch-konfessionellen Tendenzdichtungen intendierte, wie sie während und im Umfeld der Auseinandersetzung von beiden Konfliktparteien mit Fleiß produziert wurden.39 Dass Weber ausgerechnet ein Gedicht des Nürnberger Schusterpoeten aufgriff, ist kein Zufall. Tatsächlich verfügte er über eine bemerkenswerte Kenntnis des Schaffens von Hans Sachs. Von ihm übernahm er Stoffe und Motive in etliche seiner überlieferten Spruchgedichte und applizierte sie dort auf seine Aussageintentionen. Ja als Erbe seines Großvaters und Vaters verfügte er sogar über eine umfangreiche Handschrift mit 226 Meisterliedern, die der produktivste und vielseitigste Dichter des 16. Jahrhunderts einst eigenhändig abgeschrieben hatte.40 Sie stand offensichtlich nicht nur dekorativ im Regal, sondern wurde auch als Lesestoff verwendet, ja produktiv weiterverwertet. Später hat Weber sie 38 Der Text wurde wohl zunächst als Einblattdruck veröffentlicht, von dem allerdings kein Exemplar erhalten ist. Erster erhaltener Druck bei Hans Sachs: Sehr Herrliche Schöne vnd warhaffte Gedicht. Geistlich vnnd Weltlich/ allerley art/ als ernstliche Tragedien/ liebliche Comedien/ seltzame Spil/ kurtzweilige Gesprech/ sehnliche Klagreden/ wunderbarliche Fabel/ sampt andern lecherlichen schwencken vnd bossen etc. […]. Bd. I. Nürnberg 1558 (»Der dritt Tayl j Von Tugend vnd laster«), fol. CCCXXVIIr-CCCXXIXv. In jüngerer Zeit Abdruck bei Wilhelm Wackernagel (Hg.): Altdeutsches Lesebuch. Bd. II. Basel 21840, Sp. 107–118 (nach der Werkausgabe Augsburg 1612); sprachlich modernisiert bei Hans Sachs. Hg. von Adelbert von Keller / E[dmund] Goetze. Bd. 3, Stuttgart 1870 (Bibliothek des Litterarischen Vereins in Stuttgart, 104), S. 470–479. Kurze Ausschnitte bei Johannes Rettelbach: Zwischen Gott, dem Kaiser und dem Markgrafen: Hans Sachs über den Krieg. In: Horst Brunner u. a.: Dulce bellum inexpertis. Bilder des Krieges in der deutschen Literatur des 15. und 16. Jahrhunderts. Wiesbaden 2002 (Imagines Medii Aevi, 11), S. 602–666, hier S. 651; Horst Brunner : Hans Sachs. Gunzenhausen 2009 (Auf den Spuren der Dichter und Denker durch Franken, 10), S. 45–47. – In der Forschung fand dieser bemerkenswerte Text bislang nur beiläufige und summarische Erwähnung: Horst Brunner : Hans Sachs – sein Bild nach 500 Jahren. In: Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg 81 (1994), S. 13–30, hier S. 26f.; Horst Brunner: Bilder vom Krieg in der deutschen Literatur des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. In: Dieter Rödel / Joachim Schneider (ed.): Strukturen der Gesellschaft im Mittelalter. Interdisziplinäre Mediävistik in Würzburg. Wiesbaden 1996, S. 101–114, hier S. 113f.; Ulrich Feuerstein: Derhalb stet es so übel Icz fast in allem regiment. Zeitbezug und Zeitkritik in den Meisterliedern des Hans Sachs (1513–1546). Nürnberg 2001 (Nürnberger Werkstücke zur Stadt- und Landesgeschichte, 61), S. 291f.; Rettelbach, Zwischen Gott, 2002, S. 650–652; Albrecht Classen: Poetische Proteste gegen den Krieg: Der Meistersänger Hans Sachs als früher Kriegsgegner im 16. Jahrhundert. In: Amsterdamer Beiträge zur älteren Germanistik 63 (2007), S. 235–256, hier S. 247–252. 39 Kerth, Landsfrid, S. 189–224. 40 Nürnberg, StadtB: Will VIII 235.48. Beschreibung und weitere Literaturhinweise: RSM 1, 1994, S. 241f. Vgl. auch Johannes Karl Wilhelm Willers (Bearb.): Hans Sachs und die Meistersinger in ihrer Zeit. Eine Ausstellung des Germanischen Nationalmuseums im Neuen Rathaus in Bayreuth, 16. Juli bis 30. August 1981. Nürnberg 1981, S. 162.

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der Bibliothek des Altdorfer Alumneums zum Geschenk gemacht.41 Dort wurde der Codex über lange Zeit aufbewahrt, ehe er in den Besitz des Altdorfer Historikers und Antiquars Georg Andreas Will (1727–1798) gelangte42 und zusammen mit dessen umfangreicher Noricasammlung schließlich den Weg in die Nürnberger Stadtbibliothek fand. Weber griff mit dem Sachsschen ›Landsknechtsspiegel‹ ein Gedicht auf, das ebenfalls in einer konkreten kriegerischen Situation entstanden war.43 Nach dem Scheitern des Regensburger Religionsgespräches hatte sich Kaiser Karl V. entschlossen, im geheimen Bündnis mit dem Papst und Bayern dem Schmalkaldischen Bund, dem Schutzbündnis der Protestanten, den Garaus zu machen. Seit dem Sommer 1546 verfolgten die kaiserlichen Truppen, die bald durch spanische, norddeutsche und päpstliche Hilfstruppen unterstützt wurden, in Süddeutschland einen Zermürbungskrieg, der einstweilen ohne große Entscheidungsschlachten verlief, aber für die ausgeplünderte Bevölkerung desto misslicher war. Erst der Seitenwechsel Herzog Moritz’ von Sachsen führte im November des Jahres zum Rückzug und Auseinanderbrechen der Schmalkaldener. Während die Bevölkerung Nürnbergs offen mit den konfessionsverwandten Fürsten sympathisierte, nahm der vom Kaiser abhängige Rat eine recht zwiespältige Haltung ein, indem er nach außen seine strikte Neutralität behauptete, heimlich aber die Truppen der protestantischen Partei unterstützte. Die politische und militärische Situation war also der zu Zeiten Webers gar nicht so unähnlich. Unter den Bedingungen des Dreißigjährigen Krieges, unter denen Nürnberg gerade in den frühen 1630er Jahren enorm zu leiden hatte, besaß der Gegenstand unbestreitbar hohe Aktualität, konnten die Folgeerscheinungen der Kämpfe und Plünderungen doch direkt vor den Mauern besichtigt werden. Gleichwohl handelt es sich nicht lediglich um die Übernahme eines älteren Mustertextes durch einen Nachgeborenen, der um Ideen verlegen gewesen wäre. Vielmehr passte Weber den Prätext auf verschiedene Weise den Erfordernissen seiner eigenen Zeit, seines Publikums und der Präsentationssituation an. Auffällig ist zunächst einmal, dass er das im Original 372 Verse umfassende Gedicht auf 130 Verse und damit auf gut ein Drittel reduziert hat. Dahinter stand wohl die Absicht, den als Vorlage dienenden Lesetext zu einem Vortrags- bzw. Hörtext zu machen, wie er ihn für seine Tätigkeit benötigte. Der Medienwechsel bedingte also die Reduzierung des Umfangs auf das Maß, den seine mündlich 41 Wagenseil, Meistersinger, 1697, S. 501. Möglicherweise hängt die Schenkung mit der Deposition Webers an der Universität Altdorf im Jahr 1637 zusammen. 42 Ferdinand Eichler : Das Nachleben des Hans Sachs vom XVI. bis ins XIX. Jahrhundert. Eine Untersuchung zur Geschichte der deutschen Literatur. Leipzig 1904, S. 14. Der Codex findet sich als Privatbesitz erstmals im gedruckten Katalog der Willschen Norica-Sammlung von 1793. 43 Feuerstein, Deshalb steht es so übel, S. 265.

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präsentierten Spruchdichtungen üblicherweise hatten. Darüber hinaus griff er aber auch in formaler Hinsicht in seine Vorlage ein. Er ersetzte die dreihebigen (sechs- bis siebensilbigen) Verse Sachsens nämlich durch die vierhebigen (achtbis neunsilbigen) Standardverse, die er auch sonst zumeist benutzte. Dies ermöglichte es ihm, die Verszeilen mit mehr Inhalten zu füllen als das bei dem älteren Gedicht möglich war. Die Kürzung fällt demzufolge in rein quantitativer Hinsicht tatsächlich geringer aus als zunächst zu vermuten; gleichwohl kommt sie auch in inhaltlicher Hinsicht zum Tragen. Das erste Signal dafür liefert bereits die rezeptionsleitende Überschrift, die den Text in der erhaltenen handschriftlichen Fassung des Weber-Gedichts als Threnos kennzeichnet. Auch wenn die Titelwahl möglicherweise allograph ist, wird damit bereits eine inhaltliche Umakzentuierung der Vorlage vorgenommen. Sachs nämlich hatte in seiner – zweifellos auktorialen – Überschrift ein Panorama des Landsknechtslebens angekündigt. Er hatte damit die seinerzeit gerade in der moralphilosophischen Literatur beliebten »Speculum«-Titel aufgegriffen, die dem Leser einen ›Spiegel‹ der Welt und ihrer Verhältnisse versprachen. Eingelöst wurde die Ankündigung allerdings auch bei ihm nur zum Teil. Auch Sachs nämlich widmete sich in der ersten Hälfte seines Textes zunächst einer breiten Betrachtung der Kriegszerstörungen in Land und Stadt (S 27–178 & W 19–65); erst nach der Inaugenscheinnahme ihres Wirkens richtet er die Aufmerksamkeit dann tatsächlich auf die Landsknechte und ihre Lebensumstände (S 179–339 & W 65–116). Immerhin wird der Inhalt des Spruchgedichts durch das Reimverspaar, das Sachs als Explikation unter sein Titelschlagwort gesetzt hat, doch hinreichend gekennzeichnet. Die Klage-Attitüde, die der Gedichttitel bei Weber nahelegt, spielt in Sachsens Text gar keine Rolle. Hier dient die – deutlich phantastischer angelegte – Reise in erster Linie der Information des Berichterstatters, der eben dabei ist, auf Drängen von Jugendfreunden den Verlockungen des Reislaufens zu verfallen. Statt als Spiel und Abenteuer lernt er den Krieg und seine Folgen von einer drastischeren, realistischeren Seite kennen und wird nach vollbrachter Reise in einer abschließenden Diskussion zur Erkenntnis seiner bürgerlichen Pflichten gebracht. Bezieht man den Titel auf den Anlass und die Situation, in der sich der Informations- und Lernprozess der Sprecherinstanz vollzieht, so deckt sie über die Aufmerksamkeitslenkung auf die unmittelbar aktuelle Thematik gleichwohl einen wesentlichen Aspekt der Sachsschen Dichtung ab. Der Bearbeitungsvorgang des Autors aus dem 17. Jahrhundert beschränkte sich freilich nicht auf eine Umakzentuierung des Erwartungshorizonts, der durch den Peritext generiert wurde. In vielfältiger Weise wurden auch inhaltliche Kürzungen vorgenommen, die die Komplexität der gedruckten Vorlage reduzierten und damit an die Wahrnehmungsmöglichkeiten eines Hörer-Publikums anpassten.

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So hat Weber die Motivsequenzen seiner Vorlage zum Teil deutlich gekürzt. Dabei hat er insbesondere die Drastik der Darstellung, die bei Hans Sachs auffällig ist, reduziert und gar zu brutale Einzelheiten getilgt (etwa S 168–178, S 237–246, S 309–318). Er hat aber auch Details weggelassen, die er offensichtlich für verzichtbar hielt; gemildert wurde dadurch das Ungleichgewicht, das bei Sachs zwischen der (relativ kurz geschilderten) dörflichen Welt und dem (sehr breit ausgeführten) städtischen Ambiente herrschte. Aus der besuchten »Hauptstat« wird bei ihm »Ein Stadt«, die außer ihrer Lage im Tal nicht näher spezifiziert ist und deren Fortifikationsanlagen, in der Vorlage ausführlich als devastiert beschrieben, nur noch als »zerschoßen« charakterisiert werden (S 81–95 & W 39f.). Wichtiger als die Auflistung einzelner Zerstörungen ist Weber wohl die Kennzeichnung der Lebensumstände der Menschen gewesen, die er denn auch näher an der Vorlage verfolgt. Aber auch hier hat er die detailversessenen Amplifikationen, die Sachs anwandte, um ein möglichst plastisches Bild der Sachverhalte zu zeigen, immer wieder reduziert und stattdessen nur die maßgeblichen Bildmotive herausgegriffen. Zugleich hat er auf die explizite Ausdeutung der Szenen verzichtet, die die Vorlage regelmäßig vornahm. Offensichtlich vertraute er selbstbewusst auf die Aussagekraft der evozierten Bilder. Getilgt hat Weber aber auch Motive, die sein städtisches und wohl überwiegend aus der Kleinbürgerperspektive urteilendes Publikum weniger interessiert haben mögen. So werden die fatalen Kriegsfolgen für die Bergschlösser, also die Sitze des Adels, die bei Sachs immerhin 12 Verse beanspruchen, bei Weber auf nur eine einzige Zeile ohne jede Details verkürzt (S 68–80 & W 37); in ähnlicher Weise hat er gänzlich auf die ausführliche Darstellung der Nöte verzichtet, die bei Sachs auch die »Kriegß Herren« zu erleiden haben – sie geraten in der Rezeptionsfassung nur in zwei Versen ganz am Rande ins Blickfeld (S 248–292 & W 92f.). Und obwohl das Augenmerk des späteren Spruchgedichts eindeutig den Lebensbedingungen der Menschen gilt, hat er die quälenden Aspekte des Lagerlebens ganz erheblich komprimiert. Die von ihm entworfenen Bilder erscheinen trotz des Verzichts auf die amplifizierenden Details allerdings nicht weniger bedrückend als das ausführlichere Tableau Sachsens, das stets eine Vielzahl von Aspekten berücksichtigte. Webers Bearbeitungsverfahren zeigt sich – neben diesen v. a. kürzenden Eingriffen – aber auch in einer sehr weitgehenden Umgestaltung der Rahmenfiktion, die Sachs in seinem Text geschaffen hatte (S 1–29 und 339–370 & W 1–20 und 117–130). In dessen Gedicht liegt die erzählte Handlung 30 Jahre zurück und ist in die biographische Situation des zu dieser Zeit etwa 22 Jahre alten Verfassers eingebunden. Von seinen abenteuerlustigen Freunden gedrängt, sich als Söldner zu verdingen, um im Alter etwas Aufregendes erzählen zu können, erscheint dem Berichterstatter eines Morgens, noch im Bett liegend, aber bereits

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munter, der »groß Gott der Natur« (S 18). Genius, der auch in zahlreichen anderen Texten Sachsens als Führerfigur auftaucht, verspricht ihm, »Art/ Frucht vnnd […] lohn« des Krieges zu zeigen, um ihm die Entscheidung an diesem wichtigen Scheideweg zu erleichtern. In raschem (S 187) und hohem Flug nimmt er ihn mit sich, um ihm aus der Himmelsperspektive das Kriegsgeschehen auf Erden zu zeigen. Während des Fluges weist er ihn – offensichtlich wortlos – auf verschiedene Phänomene hin (S 97, 247, 307, 319); nur beim Perspektivenwechsel von den Zivilisten auf die Soldaten markiert er den wichtigen Einschnitt mit einer eigenen Replik, die die Neugier auf den »Werd vnd Lon« (S 185) lenkt, den die Landsknechte selbst durch ihr Tun empfangen. Erst am Ende, nach der Rückkehr von dem an Eindrücken reichen Flug, meldet sich Genius wieder zu Wort (S 339–370). Er provoziert mit seiner Nachfrage einen Erkenntnisvorgang des Berichterstatters, der auch von »Hans Sachs« unkommentiert bleibt. Sachs hatte hier also mit einer geschlossenen, didaktisch funktionalisierten Rahmenhandlung gearbeitet, die nur in der Mitte des Textes noch einmal aufgegriffen wurde, um die beiden Schauplätze der Handlung (Welt der Zivilbevölkerung – Welt der Soldaten) kommentierend miteinander zu verbinden. Aufgrund der zeitlichen Distanz zwischen berichtetem Geschehen und dem Bericht selbst wurde der phantastische und bei vollem Bewusstsein erlebte Flug zum Auslöser eines Meinungsumschwungs, der das Leben des Sprechers in andere Bahnen gelenkt hatte und noch zum Zeitpunkt des Erzählens unvergessen und wirksam war. Die aktuelle Kriegssituation war für Sachs somit vor allem ein geeigneter Anlass, sich grundsätzlich über das Militärwesen auszulassen; den direkten Konnex zu den eigenen Zeitumständen herzustellen, überließ er seinen Lesern. Der Bearbeiter Weber dagegen hat seine Rahmenhandlung in seine unmittelbare Gegenwart verlegt, die anders als 80 Jahre zuvor nicht nur von militärischer Bedrohung, sondern von akuten Kampfhandlungen und Seuchenzügen geprägt war. Erst wenige Tage sind vergangen, seitdem sein Sprecher-Ich das Berichtete erlebt hat – unverkennbar wird damit Aktualität markiert. Den Aspekt des Wunderbaren, der in der Vorlage besonders herausgestrichen wird, hat der Verfasser des Epitextes bewusst getilgt; die Ereignisse sollen – so weit möglich – empirisch nachvollziehbar erscheinen. Selbst innerhalb des Traumgeschehens wird die Redeinstanz nicht in phantastische Aktionen verstrickt, die hier immerhin ihre Lizenz finden würden. Den Ausgangspunkt für die Begegnung mit seinem Gesprächspartner bildet ein Spaziergang, wie er auch in vielen anderen Gedichten Webers dem Einstieg in die eigentliche Handlung dient. Die Abschwächung des Wunderbaren wird bereits in der Ersetzung des Sachsschen »Genius« durch einen alten Mann deutlich, der sich allerdings bald als Personifikation (und damit als Phantasiewesen) herausstellt. Zur Gewinnung der Perspektive von oben kann weiter nicht der bequeme Flug in Anspruch ge-

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nommen werden, sondern muss erst ein hoher Berg erstiegen werden, von dem aus der Blick ringsum schweifen kann. Damit wird auf ein phantastisches Motiv verzichtet, wenngleich für den Ortskundigen doch klar ist, dass es sich hier um eine Traumlandschaft handeln muss. In der empirischen, topographisch relativ flachen Umgebung Nürnbergs, die in anderen Gedichten Webers meist genau gekennzeichnet und benannt wird, kann ein solcher Berg mit Rundumsicht jedenfalls nicht lokalisiert werden. Weber folgt seiner Vorlage insoweit, als er den Alten die Blickrichtungen bestimmen lässt (W 38, 111) und die Zweiteilung der Beobachtungssphären durch eine kommentierende Replik des Cicerone markiert (W 66–74). Allerdings wird die Rahmenhandlung im Epitext nicht symmetrisch abgeschlossen. Während sich Genius bei Sachs am Ende als eine Lehrerinstanz entpuppt, die ihren Schüler dialogisch zur Erkenntis führt, verzichtet die Rezeptionsfassung auf ein abschließendes Auftreten des Alten. Eine solche Inkonsistenz mag zunächst als struktureller Mangel erscheinen; sie ist der unterlegten Traumsituation allerdings durchaus nicht systemfremd: diese ist ja gerade durch willkürliche, alogische Handlungsverknüpfungen und -abläufe gekennzeichnet und kann auf konstruktive Symmetrie verzichten, wie sie in empirischem Ambiente in der Regel erwartet wird. Bei Weber reflektiert der Berichterstatter ohne weiteres Zutun – und noch im Dämmerzustand des endenden Traumes – von sich aus über die Schrecken des Krieges, der Deutschland an den Rand des Abgrunds geführt hat. Nach dem Erwachen entschließt er sich dann, Gott um Frieden zu bitten, der auf Erden eines der höchsten Güter sei. Somit wird in der Folgeversion nicht nur die Herleitung der ›Moral‹ geändert, die am Ende des Gedichts mit seinen schrecklichen Details steht, sondern zugleich die Aussage selbst. Bei Sachs provoziert Genius mit seiner Frage nach dem möglichen ›Lohn‹ und der ›Beute‹ des Reislaufens eine spontane Abwendung des Sprechers von seinen Kriegsplänen. Dieser fühlt sich dabei »gar klug« (S 343); vom Krieg solle sich jedermann enthalten, da er nicht nur nutz- und ehrlos, sondern eine Strafe für alle sei. Diese ohne große Überlegung gewonnene, affektive Abwehr ist aber gerade nicht im Sinne des Moderators und Lehrers, der hier im besten Sinne verantwortungsethisch argumentiert (S 357–371): bei Verteidigungskriegen habe der Bürger sehr wohl zu den Waffen zu greifen und mit allen Mitteln für sein Vaterland einzutreten. Gefühlsgeleiteter Pazifismus werde der Verschiedenheit der politischen Situationen und dem Leid der unter der Aggression leidenden Bevölkerung nicht gerecht.44 Auch die Alten hätten

44 Dies ist der etwas kurzschlüssig urteilenden Sekundärliteratur entgegenzuhalten, die Sachs politisch korrekt, aber anachronistisch als »kompromißlose[n] Gegner des Krieges« zu identifizieren versucht hat (Brunner, Sachs 1994, S. 26, ähnlich Brunner, Sachs, 2009, S. 43).

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hier entsprechende Beispiele vorgegeben.45 Das Wertungsangebot, das dem Leser in dieser Schlusspassage gemacht wird, ist also durchaus differenziert und appelliert an die Unterscheidungsfähigkeit und das Verantwortungsbewusstsein des Rezipienten: auf der einen Seite ist der zunächst unreflektierten Sprecherinstanz der Spaß an militärischem Abenteurertum gründlich genommen;46 auf der anderen Seite wird die Wehrbereitschaft nicht nur aus Abschreckungsgründen, sondern als legitime, ja notwendige Selbstverteidigungsfähigkeit ausdrücklich gutgeheißen. Der Rettung des »Vatterlandt[s]« darf sich »ein ehrlicher Man« (S 366) nicht entziehen, hat er doch geradezu die Pflicht, den Seinen in einer Notsituation auch mit robusten Mitteln beizuspringen. Friede und Ruhe werden nach der autoritativen Einschätzung des Genius durch die Bereitschaft gesichert, dafür notfalls auch einzustehen, nicht aber durch pazifistische Verweigerung. Bei Weber hingegen wird der Krieg schon durch die Repliken des Alten als Strafe Gottes gegenüber einer Menschheit bezeichnet, die ihre moralischen und religiösen Pflichten vergessen habe. Die Schlussfolgerungen aus dem Gesehenen zieht der Berichterstatter dann ganz ohne weitere Anleitung oder Zurechtweisung durch einen überlegenen Interpreten. Hier geht es auch nicht mehr um die Frage nach einer moralisch und politisch richtigen innerweltlichen Lebensentscheidung. Die sonderbar immanent ausgerichtete Moralisatio des Sachs-Gedichts wird von Weber eindeutig aufs Transzendente bezogen: bei ihm steht die Sorge um den Zustand und die Zukunft der Gesellschaft selbst im Vordergrund, die nur noch durch eine von Gott herbeigeführte Lösung zu retten ist. Mit dem Gebet um Frieden, mit dem sein Gedicht schließt, will der Sprecher einen Mechanismus durchbrechen, der einem älteren Bild vom strafenden Gott entspricht. Auf der Basis der protestantischen Überzeugung vom gnädigen Gott hat seine Bitte dabei durchaus Aussicht auf Erfolg. Zudem würden mit dem Frieden – so die Logik des Gedankengangs – auch Gotteslob und Dankbarkeit neu belebt werden, denn Gott seien Schutz und Schirm des Gemeinwesens letztendlich zu verdanken. Der standardisierte Lobpreis Christi, der die meisten Weberschen Spruchdichtungen als Teichnerformel beendet, wird auf diese Weise aus der Logik des Geschehens selbst abgeleitet. Auffällig ist im Vergleich der beiden Versionen also eine gänzliche Umkehr der Argumentationsverfahren. Bei Sachs bedient sich die übernatürliche Lehr45 Die Anspielung bezieht sich wohl auf die Beispiele ›gerechter Kriege‹ aus der griechischrömischen Geschichte und der Bibel, deren Umstände Luther in seiner Erörterung der Rechtfertigung des Soldatenstandes herangezogen hat. Vgl. Martin Luther : Ob Kriegsleute auch in seligem Stande sein können. 1526. In: D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesammtausgabe, Bd. 19. Weimar 1897, S. 616–662, passim. 46 Die Sachssche Belehrung folgt hier ganz der Konzeption Luthers von der Illegitimität freiwilligen Söldnerdienstes aus Abenteuerlust.

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instanz durchgängig innerweltlicher Bilder und Schlussfolgerungen: die grauenhaften Folgen des Krieges werden in den immanenten Lebensumständen der Menschen verfolgt – nicht etwa im ›Verlust des Seelenschatzes‹;47 die Notwendigkeit kriegerischer Aktionen wird nicht in Zweifel gezogen. Was für einen überzeugten Vertreter reformatorischer Prinzipien wie Sachs zunächst recht merkwürdig erscheint, findet seine Begründung aber durchaus in der lutherischen Theologie. Diese geht in der Zwei-Regimenten-Lehre bekanntlich von der Eigengesetzlichkeit der innerweltlichen Daseinsbedingungen aus, die ihrerseits gottgegeben seien und auch entsprechende, durchaus pragmatische Handlungsstrategien erforderten;48 idealistische Verhaltensanleitungen in Anknüpfung an die Bergpredigt seien hier nicht zwangsläufig der rechte Ratgeber. Unausgesprochen, aber unübersehbar präsent ist hier die lutherische Lehrmeinung, dass Krieg ein Teil der irdischen Weltordnung sei; ein frommer ›Kriegsmann‹, der einzig dem landesherrlichen Ruf zur Verteidigung der Heimat folge, habe deshalb durchaus eine wichtige Funktion und könne seinem Beruf mit gutem Gewissen folgen, komme er doch seiner Verpflichtung gegenüber der Obrigkeit nach. Abzulehnen sei demgegenüber das wilde, gottferne Treiben des ›verlorenen Haufens‹ der Landsknechte und Reisläufer, die den Krieg um seiner selbst willen und damit ohne religiöse Legitimation betrieben – ein sicherer Passierschein zur Hölle.49 Den Lesern des ›Landsknechtsspiegels‹, dem es zumindest in der Rahmenhandlung in erster Linie um die Legitimation des Soldatentums ging, war dieser Hintergrund präsent; einer ausdrücklichen Herbeizitierung bedurfte er offensichtlich nicht. Anders als Hans Sachs hat sich Wilhelm Weber erkennbar bemüht, seine vermeintlich sehr diesseitige Vorlage explizit um einen transzendenten Hintergund zu erweitern. Offenbar erkannte der Verfasser, der sicher über deutlich geringeres theologisch-dogmatisches Hintergrundwissen verfügte als sein Vorbild, ein Problem des Gedichts in der Herleitung der textinternen Schlussfolgerung. Diese griff nicht allein auf eine deskriptive Bilderreihe aus innerweltlichen Kriegsereignissen zurück, sondern verdankte auch ihre Moralisatio vordergründig ausschließlich der Autorität des auktorialen und pädagogisch geschickt operierenden Genius. Dass sie eigentlich religiös motiviert war, war dem unbedarfteren Rezipienten nicht bewusst. Weber akzentuierte die Schlussfolgerungen des Gedichts also um. Nicht die Entscheidung des Einzelnen für oder gegen den Kriegsdienst ist hier das Thema. Vielmehr ist es der Krieg als Phänomen selbst, der als Strafe wahrgenommen wird. Eine Lösung der gegen47 So Gryphius, Threnen des Vatterlandes / Anno 1636. 48 Martin Luther : Von weltlicher Oberkeit, wie weit man ihr Gehorsam schuldig sei. 1523. In: Dr. Martin Luthers Werke. Kritische Gesammtausgabe, Bd. 11. Weimar 1900, S. 229–281, hier S. 251f. u. passim. 49 Luther, Kriegsleute, S. 660.

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wärtigen Misere des ›verderbten Deutschland‹ ist bei Weber mit politisch-militärischen Mitteln nicht mehr zu erwarten. Vielmehr kann nur Gott aus dem Dilemma führen, dessen Eingreifen tatkräftig herbeibeschworen werden soll. Die mehr oder minder gleiche, nur geringfügig gekürzte Beispielreihe wird hier in unterschiedlicher Weise instrumentalisiert und offen auf einen religiösen Wertungshorizont bezogen, der das irdische Geschehen bestimmt. Wahrscheinlich ist die Position Webers den mehrjährigen und verheerenden Kriegserfahrungen geschuldet, die Nürnberg um die Jahre 1632/34 erlebte; im Unterschied zur Zeit des Hans Sachs, in der die militärischen Bedrohungen eher latent als akut und längerdauernd gewesen waren, war die reichsstädtische Bevölkerung nach den katastrophalen Ereignissen der frühen 30er Jahre wirtschaftlich und mental zermürbt und ohne Vertrauen auf die eigene Verteidigungsfähigkeit. Rettung mochte in dieser Situation tatsächlich nur noch von oben erwartet werden.

IV. Etikette wie das der ›bürgerlichen Behäbigkeit‹, der ›Harmlosigkeit‹ oder der bloßen ›Affirmation‹, die der Literatur bildungsferner, nichtakademischer Milieus gerne zugeschrieben wird, greifen im Hinblick auf die beiden hier thematisierten Texte eindeutig zu kurz. Dabei ist ihnen eine auffällige Entpolitisierung der Konfliktsituation gemeinsam, wie sie in der Bildungsdichtung kaum je durchgehalten wird. Weber wie vor ihm Sachs vermieden es in ihren Darstellungen vielmehr nachdrücklich, Partei für einen der Kontrahenten zu ergreifen, ja sie grenzten jeden Hinweis auf die Hintergründe der Auseinandersetzungen peinlich aus ihren Texten aus. Selbst in unmittelbaren Kriegszeiten lebend und mit den Folgewirkungen aus eigener Erfahrung nur zu vertraut, identifizierten sie die Parteien in keiner Weise. Sie umgingen die Frage nach Recht und Unrecht der jeweiligen Kriegsgründe, die – für den Nichtjuristen und Nichtpolitiker – immerhin problematische und in vielerlei Hinsicht angreifbare Stellungnahmen zur Folge gehabt hätten. Überdies vermieden sie damit eine fast zwangsläufige Funktionalisierung ihrer Bilder, die eine Dämonisierung des Gegners und einen Lobpreis der eigenen Partei kaum hätten umschiffen können. Stattdessen stellten sie die grauenhaften Kriegsfolgen als strukturell bedingt dar, indem sie mit distanziertem Blick menschliche Verhaltensweisen und Handlungszwänge benannten. Dass die beobachteten Figuren in beiden Texten keine Individuen sind, sondern nur als entindividualisierte Gruppen, Rollen und Funktionen, als Teil einer unpersönlichen ›Maschinerie‹ erscheinen und in einem unbestimmbaren Lokal agieren, kommt dieser Absicht sehr entgegen. Abgehoben von jeweils aktuellen Ereignissen und Umständen gewinnen die

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beiden Kriegspanoramen dadurch universelle und überzeitliche Gültigkeit – ein Merkmal, das einer Produktivrezeption wie in diesem Falle sehr förderlich ist. Von den konventionellen Erklärungs- und Einordnungsmodellen des Krieges in der zeitgenössischen Bildungsliteratur halten sich die beiden Texte in auffälliger Weise fern. Nirgends erfolgt eine Einordnung des Geschehens in die göttliche Heilsgeschichte, nirgends ein Rekurs auf die Providentia Dei, die das Leiden ausdrücklich als Strafgericht oder Prüfung Gottes für die sündigen Menschen interpretieren würde, nirgends das Konzept des Krieges als »Monstrum«,50 das die göttliche Weltordnung außer Kraft setzen würde. Statt dem Grauen mit Scharfsinn einen übergeordneten Sinn zu verleihen, wendet sich der Blick in den beiden nichtakademischen Gedichten auf die Leiden der kleinen Leute – bei Weber noch ausgeprägter als bei Sachs, der den Nöten der Militärbefehlshaber immerhin noch eine ausführliche Passage gewidmet hatte. In allen Details werden die Drangsale der Opfer in Augenschein genommen. Dabei wird der Rückgriff auf gelehrte Topoi und konnotationsbeladene Metaphern zugunsten einer direkten, durchaus realistischen Beschreibung der Kriegsschrecknisse vermieden. Geht es der akademischen Barockliteratur darum, den Leser mit affekterregenden rhetorischen Mitteln in die grausame Handlung hineinzuziehen,51 so wird bei Weber wie schon bei Sachs in einer kühlen Bestandsaufnahme die Distanz zum Geschehen mit Nachdruck gewahrt; statt mit dem Vokabular der Grausamkeit, des Schreckens und Entsetzens wird das Elend hier kühl, ja scheinbar mitleidlos vor Augen geführt. Ohne durchschaubare Übertreibungen werden Handlungen und Folgen des Krieges in der ungeschönten Schilderung der Spruchdichter auf die leidende Kreatur heruntergebrochen. Auch hier entsteht letztendlich Empathie. Aber es ist weniger eine affektive als eine vernunftgesteuerte – die freilich bei beiden Autoren zu jeweils unterschiedlichen Schlussfolgerungen führt. Überdies ist sie eine, die geeignet ist, nicht nur Mitleid mit den offensichtlichen Opfern, sondern auch mit den vermeintlichen Tätern zu erzeugen, die auf ihre Weise ja ebenfalls Opfer sind. Dabei ist unübersehbar, dass die Autoren sehr wohl wissen, wovon sie schreiben. Die Elementarität der Erfahrungen, die hier zum Tragen kommt, wirkt auf den Leser weit unmittelbarer als das mit einem sinngebenden Überbau oder einer Ästhetisierung nach den Reglements der akademischen Poetik möglich wäre. In ihrer Nähe zur Erfahrungswirlichkeit sprechen die scheinbar so ›konventionell‹ arbeitenden Spruchdichter auf diese Weise auch potentiell

50 Walter Ernst Schäfer : Der Dreißigjährige Krieg im »Soldatenleben« Moscheroschs und den simplicianischen Erzählungen Grimmelshausens. In: Bußmann/Schilling, 1648, Bd. II, S. 339–345, hier S. 340. 51 Vgl. etwa Moritz Baßler: Zur Sprache der Gewalt in der Lyrik des deutschen Barock. In: Meumann/Niefanger, Schauplatz, S. 125–144, hier S. 136f.

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bildungsfernere Rezipienten an, die in der literarischen Kultur des akademischen Milieus nur unzureichend oder gar nicht sozialisiert waren. Im Vergleich zu den ambitiösen Kriegsklagen der literarischen Avantgarde des 17. Jahrhunderts52 erscheinen die beiden eng verwandten Gedichte von Hans Sachs und Wilhelm Weber formal ohne Zweifel ausgesprochen schlicht, ja ›altmodisch‹. Dass dem so ist, liegt an der unhinterfragten und letztlich inadäquaten Praxis, poetologische Wertmaßstäbe zu allererst aus der sogenannten Höhenkammliteratur abzuleiten und eventuelle Abweichungen als qualitative Defizite wahrzunehmen. Das bedeutet freilich, die Normen der akademischen Dichtung auch auf die Hervorbringungen von Poeten anzuwenden, die diese Maßstäbe in keiner Weise teilten. Der Schuhmacher und Universalpoet des 16. wie der Dockenmacher und Spruchsprecher des 17. Jahrhunderts kamen aber aus einem anderen Milieu als die heute kanonisierten Autoren. Sie schrieben und deklamierten für überwiegend nicht-akademische Schichten, deren literarische Bedürfnisse augenscheinlich andere waren als die des humanistisch gebildeten Kunst-Publikums. Aus diesem Grunde sahen sie keinerlei Anlass, sich an Axiomen zu orientieren, die innerhalb der Intellektuellenzirkel für ihresgleichen aufgestellt wurden. Auch wenn Weber, der uns hier zu allererst interessiert, keine explizite Dichtungstheorie hinterlassen hat: erkennbar ist anhand seines Kriegsgedichts wie seines Gesamtwerks doch immerhin, dass an erster Stelle seines poetologischen Wertsystems in ganz traditioneller Weise die Lebenshilfefunktion von Poesie, nicht die Zur-Schau-Stellung von Artistik stand. Ihm ging es nicht um eine Ästhetisierung des Grauens, um gesuchte Formulierungen und metaphorischen oder allegorischen ›Mehrwert‹. Nicht emotionale Affizierung durch plurimediale Reizüberflutung, kein »Klang- und Bilderrausch«53 war intendiert; das Augenmerk des Lesers wurde nicht auf die manierierte Artifizialität der Sprache oder auf den sonst üblichen Motivvorrat aus Geschichte, Mythologie und antiker Poesie gelenkt, sondern auf die geschilderten Sachverhalte selbst. Dem dienten die einfache Form und der niedere Stil, die ruhige Blickführung auf die sichtbaren Kriegsumstände und Kriegsfolgen, der geradezu kühle Blick auf die referierten Phänomene. Die beobachtbaren Erscheinungen wurden zwar durchaus drastisch beschrieben, aber nicht hyperbolisch (und damit unglaubwürdig) überhöht. Die Rezeptionshaltung, die mit einem solchen Verfahren nahegelegt wird, besteht nicht im Sich-Hineinziehenlassen in emotionale Ausnahmesituationen, sondern in der bewussten, konzentrierten, distanzierten Wahrnehmung einer Bilderfolge, die beobachtbare und zunehmend beklemmender werdende Zu52 Siehe etwa Niefanger, Taratantariren. 53 Niefanger, Tarantantariren, S. 293.

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stände und Handlungen vor Augen stellt. Diese Bilderfolge, dieses Panorama ist die Basis für Überlegung und Meinungsbildung, die der nichtempirische Cicerone schon während der mehrstufigen Besichtigungstour anregt; sie ist es obendrein für die Schlussfolgerung, die am Ende in einer Art Moralisatio aus seinem Munde oder aus dem des Berichterstatters vorgeschlagen wird. Ganz zentral für die wirkungspoetische Ausrichtung, die wir unterstellen dürfen, ist das Abheben auf den denkenden Mitvollzug des Beobachteten und Geschilderten, nicht auf eine primär emotionale Affizierung des Lesers. Ob das nun tatsächlich ›altmodisch‹ oder epigonal ist oder einfach nur ›anders‹ als das gemeinhin Erwartete – das mag jeder nach eingehender Prüfung selbst entscheiden. Eindrucksvoll ist die Besichtigungstour über die vom Krieg verheerten Dörfer und Städte und Burgen, über die Lager und Schlachtfelder und Heerstraßen allemal. In der zeitgenössischen ›Hochliteratur‹ hat diese eindringliche, ebenso distanzierte wie ›realistische‹ Bildersequenz von den Umständen und Folgen militärischer Gewalt keine vergleichbare Entsprechung. Es ist also durchaus ein verdienstvoller Akt, dass der Nürnberger Spruchsprecher in den 1630er Jahren den geradezu singulären Prätext des damals schon weitgehend mit Missachtung gestraften Hans Sachs aufgegriffen und umgestaltet hat. Dass sich die Schlussfolgerungen, die die beiden Autoren aus ihrer ›Bilder‹-Folge gezogen haben, so deutlich unterscheiden, ist bemerkenswert; es ist aber nur ein weiterer Beleg dafür, dass die Adaption Webers eben nicht etwa ein ›Plagium‹, sondern eine durchaus eigenständige, neu akzentuierende Verarbeitungsleistung darstellt. Ähnliche Verfahren lassen sich auch in etlichen weiteren Spruchdichtungen beobachten, in denen Weber auf Texte seines dichterischen Vorbildes zurückgegriffen hat. So zeigt das Webersche Poem eine sehr selbstbewusste Bezugnahme auf einen Musterautor, der im scheinbar ›herrschenden‹ literarischen Milieu mittlerweile kaum mehr ernstgenommen wurde. Sein Rückgriff nicht nur auf die formalen Darstellungstechniken, sondern auch auf eine konkrete Vorlage von Hans Sachs kann nur als Statement verstanden werden: hier verweigerte sich ein ›teutscher Poet‹ ganz offensichtlich den Forderungen der zeitgenössischen Bildungsdichtung, die einen universellen Geltungsanspruch erhob. Stattdessen hielt er sich an die – deutlich weniger einschränkenden – Reglements, die aus der Erzählpoesie des ausgehenden Mittelalters und des 16. Jahrhunderts bekannt und auch in der eigenen Gegenwart – in der Flugblattliteratur – noch durchaus gängig waren. Sein ostentativer Anschluss an den rund 60 Jahre zuvor verstorbenen ›Schuhmacherpoeten‹ war nicht nur dem Lokalpatriotismus geschuldet, sondern knüpfte zugleich an die literarische Tradition an, die er mit seiner Weiterführung bewährter Muster gegen modische Veränderungen zu bewahren versuchte. Und sie war ein Bekenntnis zu einer Dichtung, die aus dem Handwerkermilieu selbst kam und für ein Publikum geschrieben wurde, das von der ›anspruchs-

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volleren‹ akademischen Poesie kaum erreicht wurde. In auffälliger Weise korrespondieren diese technischen Entscheidungen mit einem auch inhaltlich ganz anderen Blick auf die Wirklichkeit als dies aus den üblichen Belegen der literarhistorischen ›Meistererzählungen‹ bekannt ist. Krieg wird in dieser offenbar milieuspezifischen Sichtweise nicht als metaphorisch überformter Deutungsraum oder Bewährungsort für den strahlenden Helden, sondern als Schauplatz des Leidens verstanden, das unter den Bedingungen brutaler Gewalt restlos alle Betroffenen ereilt. Form und Inhalt des Textes zusammen positionieren den Verfasser somit als Vertreter eines Dichtertums, das vornehmlich die Perspektive der ›Opfer der Geschichte‹ einnimmt und nahe am unmittelbaren Erfahrungshorizont eines formal weniger gebildeten, konservativeren Publikums ausgerichtet ist. In diesem (wohl überwiegend klein- und mittelbürgerlichen) Sektor hat Weber – wie gezeigt wurde – durchaus erfolgreich ein ›Marktsegment‹ erworben und behauptet. Innerhalb seiner eigenen Gesellschaftsschicht war der bekennende ›teutsche Poet‹ wohl deutlich bekannter und erfolgreicher als Autoren vom Schlage eines Harsdörffer oder Birken, die zur gleichen Zeit wie der Spruchsprecher in der nämlichen Stadt lebten und schrieben, aber primär auf das Bildungsmilieu und die Oberschichten ausgerichtet waren. Auch wenn ein gewisses Konkurrenzverhältnis nicht zu übersehen ist, bot die Stadt mit ihren ausdifferenzierten Sozialstrukturen54 durchaus Raum für unterschiedliche literarische Kulturen, die nicht nur den Akademikern,55 sondern auch dem selbstbewussten Handwerker das Überleben und entsprechende Reputation in ihren jeweiligen Bezugskreisen sicherten. Der Umstand, dass Autoren wie Weber und ihre Texte trotz dieser zeitlichen Kongruenz kaum Beachtung gefunden haben, hängt sicher mit einer gewissen Neigung zusammen, Phänomene einer weiter entfernten Vergangenheit prinzipiell eher als ›einheitlich‹ wahrzunehmen, während zeitlich und kulturell nähere Erscheinungen eher als komplex, ja als unübersichtlich empfunden werden. Während sich das Näherliegende schon aus Gründen der Informationsdichte plumper Vereinheitlichung widersetzt, geraten die Details beim Blick auf entferntere Zeiten und Kulturen eher aus dem Blickfeld; es werden nur noch die 54 Überblicksmäßig Rudolf Endres: Sozial- und Bildungsstrukturen fränkischer Reichsstädte im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit. In: Horst Brunner (Hg.): Literatur in der Stadt. Bedingungen und Beispiele städtischer Literatur des 15. bis 17. Jahrhunderts. Göppingen 1982 (Göppinger Arbeiten zur Germanistik, 343), S. 37–71; Rudolf Endres: Sozialstruktur Nürnbergs. In: Gerhard Pfeiffer (Hg.): Nürnberg – Geschichte einer europäischen Stadt. München 1971, S. 194–199. 55 Vgl. Rudolf Endres: Das Einkommen eines freischaffenden Literaten der Barockzeit in Nürnberg. In: Friedhelm Brusniak / Horst Leuchtmann (Hg.): Quaestiones in musica. Festschrift für Franz Krautwurst zum 65. Geburtstag. Tutzing 1989, S. 85–100.

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großen Entwicklungslinien, die Gemeinsamkeiten wahrgenommen, das Disparate, Störende aber tendenziell übergangen. Solche Wahrnehmungsmechanismen haben sicher ihre Vorteile. Sie vermindern den Aufwand, etwas einschätzen und zuordnen zu können; sie schaffen Einordnungsraster, mit denen wir uns leichter tun. Zugleich haben sie aber aber auch gravierende Nachteile: sie verfälschen unsere Bild historischer Strukturen, die ihrerseits äußerst vielgestaltig waren. Einzel-Geschichten der barocken Literaturen56 ließen sich nicht nur poetologisch-gattungsgeschichtlich verfolgen, sondern auch an kulturräumlichen, konfessionellen oder sozialen Bezugshorizonten ausrichten. Deren Diversität wird auch heute noch nur unzureichend nachvollzogen. Allenfalls dominiert das Wahrnehmungsmuster der »Ungleichzeitigkeit des Gleichzeitigen«. Der Vielfalt auch der historischen Kulturen wird aber gerade dieser Analyseansatz nicht gerecht, beurteilt er kulturelle Erscheinungen der Vergangenheit doch nur als Vorgeschichte des Späteren oder gar des Heutigen. Denn üblicherweise wird der Fokus dabei auf die »moderneren«, vermeintlich zukunftsträchtigeren literarischen Phänomene gerichtet; von Interesse sind die ›Avantgarden‹, während die oft sehr viel breiter wirksamen ›DerriHregarden‹ als veraltete Relikte einer überwundenen oder erst noch zu überwindenden Epoche erscheinen. Mit seinem teleologischen und oft genug anachronistischen Blickwinkel kann ein solcher Ansatz der Vielgestaltigkeit rezenter Literaturen allerdings kaum gerecht werden. Ein konsequent historischer Zugang hätte literarische Textzeugnisse im Gegensatz dazu nicht primär nach ihrem Bezug zur Gegenwart des heutigen Interpreten zu befragen, sondern nach ihrem Stellenwert und ihrer Verortung in ihrer eigenen Zeit. Es wäre darum zu tun, sie nach zeitgenössischen Kategorien zu analysieren und dabei die sozialen und ästhetischen Kontexte und Funktionen innerhalb ihres eigenen Bezugshorizonts zu rekonstruieren. Nur so kann man literarische Texte als kommunikative Akte, ja als Diskursbeiträge erkennen. Als solche sind sie nicht auf die Menschheit als solche, sondern eher auf bestimmte Milieus zugeschnitten, denen die jeweiligen Leser und mehrheitlich auch ihre Autoren entstammen und innerhalb derer sich letztere auch gezielt positionieren. Im Hinblick auf die Literatur der ›Gelehrtengesellschaft‹ wird dies seit Jahrzehnten mit überaus erfreulichen Ergebnissen unternommen; im Hinblick auf die der bildungsferneren Milieus ist gleiches bedauerlicherweise noch ein Desiderat. Inwieweit der Verzicht auf ästhetische Experimente und die Ausstellung 56 Vgl. Werner Wilhelm Schnabel: Literatur oder Literaturen? Sondierungen im ›literarischen Untergrund‹ des 17. Jahrhunderts. In: Bayerisch-Ukrainischer Germanistenkongress in München / Kloster Banz: »Die Germanistik um die Jahrtausendwende«. 26.–30. April 2011. Lemberg (Lwiw) 2012, S. 134–141.

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poetischer Artifizialität, inwieweit die Ausrichtung an überkommenen Formmustern und das Misstrauen gegenüber von außen kommenden Neuerungen, die Bedienung ›eingefahrener‹ (bzw. bewährter) Lese- und Hörgewohnheiten ein Spezifikum gerade dieser Art von Literatur ist, wäre sicher noch detaillierter zu untersuchen. Genauere Fokussierung verdiente auch die Orientierung der Texte an der empirischen Lebenswelt ihrer Leser ; deren Erfahrungshorizonte liefern ja in jeder Literatur einen zentralen Verständniskontext, und niemand wird ernsthaft bestreiten, dass die Erfahrungen und Welt-Bilder unterschiedlicher Milieus auch in der Vergangenheit nicht so einheitlich waren, wie es aus der zeitlichen Ferne leicht erscheinen mag. Die ›Andersartigkeit‹ von Texten abseits des vermeintlichen Mainstreams, von Autoren, die nicht der kanonisierten Bildungstradition angehören, sollte nicht nur als Defizit gegenüber den Wertvorstellungen der ›Sieger‹ wahrgenommen werden, die die Literaturhistorie gekürt hat. Sie sollte vielmehr durchaus als potentiell funktionales Element innerhalb einer ›anderen‹ literarischen Kultur verstanden werden, die sich mit ihrem eigenen Zugang zu den Dingen auch in der Frühneuzeit durchaus selbstbewusst im kulturellen Feld positioniert hat.

Anhang W Nürnberg, GNM: 28 Hs. 7161 a, fol. 12r-13r. Klag Spruch Deß Verderb ten Teütschlandtß

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Vor Wenig Tagen Träumet Mir/ WJE Jch gieng Jn Einer Revier/ Nicht weith vom waldt/ da war Ein Berg/ Auff dem Gieng Jch zu vber zwärg/ Jn dem da kam Auß vngefähr/ Ein vhr Alter Mann zu mir her/ wer Er doch sey/ Jch Jhn baldt fragt/ Der Mann sprach/ daß sey Gott Geklagt/ spricht Man Erst/ wie Jch sey genandt/ So wüst/ Jch bin daß Alte Teütschlandt/ O. waß haben wir frome Leüth/ Damahln gelebt/ zu Meiner zeit/ Jederman/ hielt sich staiff zu Gott/ Folgten seinem wordt/ v[nd] Gebott/ Alle Laster/ waren nicht Gemein/ Wie Es zu dießer Zeit thut sein/ Daß Teütschlandt/ Jst gantz vmbkehrt/

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Alleß verwüstet/ v[nd] zerstörth/ Der Man/ führt mich/ durch Eine Auen/ Auff Einen Berg/ da thet Jch schauen/ Wie daß verhauen war/ der waldt/ Daß feldt zertreten/ manichfaldt/ Abgemähet/ war Graß/ v[nd] getraidt/ Dem füeh Entzogen/ war sein waith/ Die Edlen Wein Reben Jch meldt/ Vnd fruchtbare Baim/ waren gefält/ Die Ecker vngebaut/ v[nd] zerfahren/ Die Weyer Außgefischet waren/ Dörffer/ vnd Wäiller Abgeprendt/ Kürchen vnd Schulen/ stunden Ehlendt/ Die Leüth/ sich Jn den waldt verkrochen/ Eins theilß zerhauen/ vnd zerstochen. Auff der strasßen/ Lieff weib vnd Kinder/ Hien war Jhr füeh/ Schaf/ Küeh/ v[nd] Rinder/ Waß sie vor Geldt heten Einkraben/ Die Landts Knecht Auch gefunden haben/ Manich Schöneß Schloß zerstöret stundt/ Er zeigt mir Auch Jn Einen Grundt/ Ein Stadt/ die vor war wohl verschloßen/ Jezt durch den Krüeg/ gewaltig zerschoßen/ Jn der Stadt gieng es Ehlendt her/ Die Gasßen waren Öth/ vnd lehr/ Gantz Erbärmlich/ stund daß Rathhauß/ Die Kürchen/ waren lehr durch Auß/ Man höret keine vhr/ noch Glocken/ Menschen vnd füeh/ stehet Alleß Erschroken/ Die Schulen/ stunden lehr/ Niemand Studiert Keine Zucht/ Tugent/ vnd Weißheit man spiert/ Die Mühl stunden/ die werckstädt Leer/ Jn Allen Ständen/ ging es übel her/ Jm Bachen/ Schmeltzen/ Gießen/ v[nd] Schmidten/ Alle Handtwerker/ groß Mangel Lieten/ Jm Würthshauß still/ Kein Hochzeit Tantz/ Kein Seitenspiel/ man höret gantz/ Kein Kurtzweill/ Noch frölicher Wandel/ Traurich/ waren Alle gewerb/ v[nd] handel/ Alleß durch Krieg/ verhindert waß/ Gantz vnßicher/ waren Auch die Straß/ Alle Mäsß/ vnd Märckht/ die lagen darnider/ Jch schauet viel Winckel/ hin vnd wieder/ Waren Erfült/ mit Geschrey/ vnd weynen/ Mit Seyffzen/ von den Großen/ v[nd] Kleinen/

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Aller haußrath/ war gar dahin/ Kleider/ Bethgewandt/ Sielber/ vnd Zien/ Darzu Alle Baarschafft/ der Alt/ sprach/ Jez wil Jch dir zeigen baldt/ Daß Kriegsheer/ die gantze Armeen/ Wie Es mit der Landtschafft/ vmb thut gehen/ Welches Jhnen Gott verhängt/ der gestaldt/ Wegen vnßerer Sünden/ manichfaldt/ Darmit Teütschlandt/ möcht An seinen orth/ Besßer halten/ ob Gotteß wordt/ Nun schau Auch die Soldaten An Wie Eß mit Jhnen her thut gahn/ Voll Aufgeschlagner Zäldt da stund/ Ein wagen Burckh/ gantz Zierkel Rundt/ Darin lag der hauff/ verschanzt/ Eingraben/ Gar Wetter farb/ Auch dethens haben/ Kleider zerrißen/ vnd verfault Vor Hunger/ Auch manicher dürr Mault/ Bey der Nacht/ sie gar hardt Erfrorn/ Beim Tag/ sie hart gepeiniget waren/ Jn Vngewiter/ Jn hütz/ v[nd] Käldt/ Bekamenß Prouiandt vnd Geldt/ Vielen sie foll/ vnd doll zu Boden/ fraßen daß fleisch kaum halb geßoden/ Daruon Jhrer viel wurden Kranck/ Viel Kranckheit/ verursacht/ der gestanck/ Jhr viel sturben/ Auch vff der Beüth/ Bezahlten solches Auch mit der Häüt/ Jm Palgen Jhr Auch viel vmbkamen/ Veldtherrn/ Obristen/ Hauptleüth Aleßamen/ zu Rosß/ v[nd] fuß/ offt Mangel lieten/ Biß sie entlich zusamen striten/ Alda zu halten Ein Veldtschlacht/ Alß nun die Ordnung war gemacht/ Auff Beyder zu fuß vnd Rosß/ Ließen Abgehen die großen geschoß/ Mi[t] Tromethen/ vnd Trommelschal/ Bließ/ vnd schlug man Auch Lermen Ball/ Daruon der Erd boten sehr Kracht/ Viel Hundert wurden nieder gemacht/ Erst ging die schlacht recht An/ mit schallen/ Hefftig war daß Schießen vnd Knallen/ Da war Jm veldt Jammer vnd Klagen/ Viel wurden/ Erschoßen/ Erstochen/ Erschlagen/ Jn dem daß ein Hörr/ Siegloß flug/

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Der Ander Hauff Jhm baldt Nachzog/ Daß veldt/ voll Todter Leichnam lag/ Die verwundten/ führten große Klag/ Auch zeüget mir/ der Alte Mann/ wie Eß thet Jm Abdancken gahn/ Alß sie wider zu Hauße zogen/ Krumm/ Lahm/ zerißen/ zerlumbt/ dörr/ Geschmogen/ Eines theils führt man Auf den wagen/ Viel theten Auch die Bauren Erschlagen/ Jch dacht/ gehts Also zu Jm Krieg/ So ist derßelb gar Erschreklich/ Weil er/ daß Arme Teütsche Landt/ Hat bracht/ Jn Ein solchen zustandt/ Daß man wohl nehmen/ soll Jn Acht/ Jn dem Jch wider Auff Erwacht/ Dacht/ so will Jch Gott helffen bietten Daß Er vnß geb ein lieben frieden/ Daß Edle Kleinodt/ hie Auf Erdt/ Auf daß sein Nahm gepreißet werd. Durch vnßern Herrn Jeßum Christ/ Der vnßer schutz/ vnd beschirmer ist/ An Leib vnd Seel/ Alleß guets Ein geber/ der steh vnß bey/ wünscht Wilhelm Weber. AMMEN

Anhang S Hans Sachs: Sehr Herrliche Schöne vnd warhaffte Gedicht. Geistlich vnnd Weltlich/ allerley art/ als ernstliche Tragedien/ liebliche Comedien/ seltzame Spil/ kurtzweilige Gesprech/ sehnliche Klagreden/ wunderbarliche Fabel/ sampt andern lecherlichen schwencken vnd bossen etc. […]. Bd. I. Nürnberg: Christoph Heußler 1558, fol. CCCXXVIIr–CCCXXIXv. Landts Knecht Spiegel. Des Kriegs Art/ Frucht vnd Lon Magst du hierinn verston. 1

ALs Jch vor Dreissig Jaren Noch Jung vnnd vnerfaren Offt hört vom Kriege sagen Vnd mir auch hart anlagen

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Mein Gsellen das ich hin Solt inn den krieg mit ihn Auch etwas zu erfaren Das ich inn alten Jaren DarVon zusagen west Fürsagten mir das best Das JCH ein lust gewunn Zum krieg/ vnnd dem nach sunn Wie noch manch Junges Blut Auß vnwissenheyt thut

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Nun/ eins Nachts gegem Tag Als JCH frey mundter lag Erschin mir hell vnnd pur Der groß Gott der Natur Genius/ sprach zu mir Wolauff Gsell das JCH dir Den Krieg dir zeige on Sein Art/ Frucht vnnd sein lohn Wenn JCH dir den fürstell Nach dem dir außerwel Jnn diesen Krieg zu ziegen Oder jn gar zu fliegen Nach dem da namb er mich Fürt mich hoch vber sich Hin durch den klaren Lufft Vnnd auff der erden grufft Mir zeygt ein weytes thal Verwüstet vber al Verhawen warn die welder Zertretten die Bawfelder Würtze/ Krawt/ Laub vnnd Gras Alls abgefretzet was Sampt allerley Getrayd Vnnd aller wunn vnnd wayd Vnnd die Edlen Weynrebn All fruchtpar Päwm darnebn Waren all abgehawen Die Ecker vngebawen Auch stunden die Weyer Von Visch vnnd Wasser lehr Auch zeygt er mir darumb Ein vber grosse sumb Lang vnnd brayt ettlich Meyler Dörffer vnnd kleyne Weyler Die brunnen hoch vnnd lo Eins theyls die lagen do Jnn der Aschen vnnd rochen Zaygt mir wie sich verkrochen Die Pawren inn den Welden Jnn heckn vnnd finstren Helden Der JCH doch viel sach schetzn Fahen/ Martern vnnd Pfetzn Auch wie da an den strassen Vor den Dörfferen sassen Weib vnnd die kleynen Kinder

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Hin war Roß/ Schaf vnnd Rinder Auch JR schetzgelt ein graben War hin von den Kriegs knaben Sampt Futer vnnd Getrayd Des sassens inn hertzlayd Jnn Hunger/ Durst vnnd Frost Ellend an allen Trost Vnnd westen nit wo hin Nach dem zaygt er mir in Den Bergen mannig Schloß Welche durch das geschos War hart worden bekümmert Zerscherbet vnnd zu trümmert Vnd auß gebrendt mit Fewer Doch stund noch etlich gmewer Sunst all Notfest zerstört Kein Adel man drinn hört Hin war als Frawen Zimmer Vnnd als was man vor immer Geflöhnet hett darein Das war hin groß vnnd klein Nach dem er mir auch hat Gezeyget die Hauptstat Die vor war fest beschlossen Yetzt durch den Feind zerschossen JR pastey warn zerschellet Thürn vnnd Prustwör gefellet Mit Pölern hart getrenget Vnnd mit Buluer zersprenget Die Mawer vnnd den Graben Gar außgefüllet haben Auch lag da noch vom sturm Kriegsrüstung mancher furm Von den die Statt wart gwunnen Das Wasser vnnd die Brunnen Warn abgraben vnnd gnummen Als mir darob sind kummen Zaygt er MJR hin vnnd her All Gassen öd vnnd lär Ellend stund das Rathauß All ghrechtigkeyt war auß Nyemand het straff noch schutz Es lag gemayner Nutz Freyheyt Original All Polycey zu mal

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Es schwieg Rat/ Gsetz vnnd Recht Es galt Herr wie Statknecht War als verjagt vnnd blöd Auch stund die Kirch gar öd Geblündert ihrer zier Kein freyheyt war inn jr Kein Ampt noch Sacrament Als Kirchen gsang het endt Kein Glocken noch kein Vhr Jnn iHr gehöret wur Da war kein Pryester mehr Hin war Jr Wirrd vnnd EHR Derhalb das göttlich wort Wart darinn nit gehort Mehr auff dem Predig stul Auch stund gantz öd die schul Nyemand da mehr studieret Jnn Künsten Arguiret Kein freye Kunst gelehret Dardurch die wurd gemehret Die Zucht/ Weyßheyt vnd Tugend Bey der blüenden Jugendt Auch stunden all Hemmer vnd Mül Auch sach ich alle Stül Jnn den Werckstetten lehr Jch sach keyn Handwercker Darinn schmieden noch Dreen Bachen/ Schneyden noch Neen Schmeltzen/ Giessen noch Weben Grabn/ Zymmern darnebn Buchtrucken noch Binden Blieb alles da hinden Sticken vnnd Seydenfitzen Maln/ Gulden oder schnitzen Sach weder Badn noch schern Lär waren all Dafern Sach kein Hochzeyt noch Tentz Kein Bulerey noch Krentz Kein Saytenspiel hofiern Kein Kurtzweyl noch Thurniern Trawrig war all Jhr wandel Aller Gwerb vnnd Handel Vom Krieg gefeget was Vnsicher war die stras Auff alle Meß vnd Merck

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Jnn summa alle Handwerck Vnd hendel lagen nieder Jch schawet hin vnnd wider Die hewser alle offen Das Volck het sich verschloffen All winckel hin vnnd dar Mit klag erfüllet war Mit seufftzen/ gschrey vnd Weynen Von grossen vnnd von kleynen Dann all Hewser inn zorn Zurißn geblündert worn Aller Haußrat war hin Pettgwand/ Silber/ vnnd zin Klayder/ vnnd die Parschafft Der gantzen Burgerschafft. Der gleich gemayne Stat War an Jhrem vor rat Beraubt sampt aller schetz Erst sach JCH das all Pletz Vnnd gaßn vol Burger lagen Erschossen vnnd erschlagen Jm Blut geweltzt JR Leyber Darbey Töchter vnnd Weyber Sassen ein grosse schar Raufften JR aygen Har Wanden vor Layd JR Hend JR viel waren geschendt An JR weiblichen EHR Vonn dem vnzüchtigen Heer Genius sprach zu mir Nun will ich zaygen dir Auch das gewaltig Heer Das mit Blutiger Weer Die Landschafft hat verheret Schlösser vnnd Stett vmbkeret Was sie für Werd vnd Lon Auch empfangen daruon Schnell mit mir Genius Durch die wolcken hin schuß Vber ein weytes Feldt Das stund voller gezelt Vnnd darumb zirckel rund Ein Wagnpurg gschlossen stundt Do lag die Blutig Rott An der Erdt inn dem Kot

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Samb lebendig begraben Jnn jren hütten gleich den Raben Gantz Wetterfarb vnnd hager Hungerig/ dürr vnnd Mager Jre Klayder zerrissen Erfawlet vnnd zerschlissen Bey der Nacht sie erfruren Beym Tag hardt peynigt wuren Von Sunnen/ Hitz vnnd staub Macht sie gantz matt vnnd daub Regen vnnd vngewitter Herb/ kalte Wind warn pitter Die Leuß inn nassem Klayd Thetten auch vil zulayd Offt wardt gespert das Land Bracht mangel an Profant Derhalb Altter vnnd Junger Must leyden grossen Hunger Wann sie dann hetten wol Warens denn gar stüd vol Frassens Flaysch hinein gar Wans kaum halb gsotten war Durch so vnorndlich leben Thet sich bey jhn begeben Das jr vil waren kranck Vmb sie war groß gestanck Sie hetten Breun vnnd Rur Vil jr begraben wur Kein rhu thetens auch haben Mit schantzen vnnd mit graben Mit Tagwach vnnd Schiltwachen Vnnd andren Krieges sachen Der Pfennig Mayster gar Offt zu lang aussen war Viel loffen auff die Bewt Zahltens offt mit der hewt Vil auch durch Armut kamen Das Feind vnnd Freunden namen Die henckt man dann an Galgen O wie sach ich ein palgen Ein Gotslestren vnnd schweren Das es nyemandt kundt weren Auf dem vmbplatz viel ringer Lagen Hend vnde Finger On zal jhr wurden wundt

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Die man offt schlecht verbund Das sehr viel krüppel gab Jch sach von oben ab Wie sie lieden zu mal Vom Feind groß vberfal Auch kamen vom scharmützel Jr offt herwider lützel Auch zeygt er mir von ferren Jnn eym zält die Kriegß Herren Theten viel anschleg machen Fälten doch inn viel sachen Des war jhn haymlich pang Der Krieg verzog sich lang Das Land gar zu gewinnen Offt thet jhn Gelts zerrinnen Bey all jhren auff setzen Der Vndterthanen schetzen Denn thet der Krieg sie dringen Eylend Gelt auff zu bringen Musten zu vndterpfandt Versetzn jhr aygen Landt Jr Kleynat vnnd Credentz Gieng auch da hin behendts Jetz fält Puluer dann Pley Vnnd ander Municey Dem Raysing zeug gebrach Füdring vnnd Obedach Das Wasser mancher Zeyt Dem Leger war zu weyt Offt wart Profandt verlegt Der Lerman sie erschreckt Klag kham Abendt vnnd Morgen Auch mustens hart besorgen Jhn würd haymlich vergeben Ander auff setz darneben Auch förchtens mancherley Auffrur vnnd Meuterey Jnn jhrem aygnem Heer Auch erewgnet sich Meer Vntrew jhrer Amptlewt Jr viel trugen schalckshewt Auch war jhr kundschafft schlecht Offt falsch vnnd vngerecht Auch wurd jn hin vnnd wider Viel Post geworffen nieder

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Dardurch kam an den Tag Jr haymlicher fürschlag Von jhnen fiel auch ab Ettlich Stett/ sich begab Jhr Bundgnoßn wurden gweltigt Not/ Angst wurd manigfeltigt Jr Landt vnnd Fürstlich gnad Stund als auff dem Glückrad Der Feind auch auff sie zug Das Leger an sie schlug Bayd Theyl zu thun ein schlacht Wurden ordnung gemacht Beyde zu Fuß vnnd Roß Ab gieng das Feld geschoß Das gleich das Erdrich kracht Nach dem gieng an die Schlacht Vom gschütz war ein gedöß Von Rossen ein gestöß Ein stechen vnde Hawen Jnn dem da thet ich schawen Das ein Heer sigloß flog Der ander Hauff abzog Genius ließ mich sehen Bald die Schlacht war geschehen Die Walstatt dieser Wiesen Sach ich mit Blute fliesen Da grosse hauffen lagn Erstochen vnnd erschlagn Eins theils lagen Todt Wund Etzsten noch mit dem Mund Eins theils hört ich laut gemmern Seufftzen vnnd kleglich wemmern Vnnd nach dem Todte schreyen Auß engstn sie zu freyen Genius zaygt herab Wie man auch vrlaub gab Dem gantzen hellen Hauffen Ach wie sach jch ein lauffen Bayde von Jung vnnd Alt Des Soldt nicht gar bezalt Der halb die strassen schlecht Lag gar vol krancker Knecht Jr viel sach wir gefangen Auch an den Bawmen hangen Jr viel die Pawren erschlugn

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Gantz ellend sie haym zugn Wann der tausent thail gleich Nit haym kam gsund vnd reich Der mayst thail kam zu Hauß Erger dann er zog auß Vol laster vnnd vntugendt Also die blüend Jugend Jm Krieg verdorben war Das jr anhangt viel Jar Genius sprach zu mir Sag an gsell wie gfelt dir Der Krieg/ vnnd die Kriegs lewt Sein art/ frucht lon vnnd Pewt Jch antwort jm gar klug Des Kriegs hab ich genug Die weil ich hab mein leben So will ich mich begeben Jnn kein krieg nimmer mehr Weyl er on Nutz vnnd Ehr Handelt/ allein mit schaden Wird land vnnd lewt beladen Welche der Krieg thut rüren Sampt denen die jhn füren Der halb den Krieg ich sag Jst lautter straff vnnd plag Des gar soll müssig gan Ober vnnd Vndterthan Da antwort Genius Vnnd sprach/ Gesell man muß Des Feindes sich offt weren Der wider recht vnnd Ehren Bekümmert leut vnnd land Alda mit thewrer hand Wehrt man sich recht vnnd billig Da solt du auch gutwillig Deym Vatterland bey stan Als ein ehrlicher Man Dran setze leib vnnd Blut Krafft/ Macht/ Gwalt vnde Gut Dein Vatterlandt zu retten Als auch die Alten theten Das Fried vnnd rhu jm wachs Spricht von Nürnberg Hans Sachs.

Dirk Niefanger

Gryphius, Greflinger und Greiffenberg. Regionale und sozial differenzierende Autorinszenierungen in allographen Paratexten und Autorbildern des 17. Jahrhunderts

Anders als man es vielleicht erwarten würde, sind schon im 17. Jahrhundert gewisse Einblicke in das Privatleben von Dichtern möglich. Einige beliebige Beispiele: Grimmelshausen, Autor des Simplicissimus, bezog für seine Gastwirtschaft Zum Silbernen Stern Wein aus dem eigenen Rebhof in Gaisbach. Für den Ausbau des belehnten Hofs bekam er einen Baukostenzuschuss von seinem Lehnsherren Philipp Hannibal von Schauenburg. Dieser stammte aus der Familie seines ehemaligen Regimentschefs. Ausgezahlt wurde der Zuschuss in Geld und Naturalien (etwa in Wein, Roggen und Hafer). Darauf verweisen drei von Grimmelshausen eigenhändig unterzeichnete Quittungen.1 Zu den bekanntesten Epigrammatikern des 17. Jahrhunderts gehört gewiss Friedrich von Logau. Von seiner Wirkung zeugt unter anderem die Ausgabe der Sinngedichte, die 1759 Lessing zusammen mit Karl Wilhelm Ramler ediert. In den Altdorfer Universitätsakten ist zu lesen, dass der Student Logau 1627 bestraft wird, weil er übermütig die Kirchenmauer zerstört und sich ein Duell mit einem Kommilitonen geliefert habe.2 Sigmund von Birken war der zweite Präses des Pegnesischen Blumenordens; er hat als einer der wenigen Barockautoren ein Tagebuch geschrieben, das überliefert ist. Hier lesen wir zum Beispiel: »Rixae cum Ux[ore] post Coenam.«3 Immer wenn es sich um heikle Inhalte handelt, verwendet Birken die lateinische Sprache. Hier notiert er sich einen Streit mit der Ehefrau nach dem Mittagessen. Solche biographischen Informationen sind zwar zweifellos kulturhistorisch lesenswert und befriedigen auch in allen drei Fällen unser curiositas-Bedürfnis, nutzen aber für eine konkrete Analyse barocker Texte eher wenig. Sie sind auch 1 Vgl. Christian Kruse / Theodor Verweyen: Eine Grimmelshausen-Handschrift. In: Simpliciana 9 (1987), S. 155–161. 2 Vgl. Ulrich Seelbach: Friedrich von Logau. Biographischer Abriss. In: Thomas Althaus / Sabine Seelbach (Hg.): Salomo in Schlesien. Zum 400. Geburtstag Friedrich von Logaus (1605–2005). Amsterdam 2006, S. 489–493, hier S. 491. 3 Sigmund von Birken: Die Tagebücher. Bearbeitet von Joachim Kröll. Würzburg 1971 (Veröffentlichungen der Gesellschaft für fränkische Geschichte, VIII/5), Teil 1, S. 34.

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Dirk Niefanger

keine Dokumente einer Autorinszenierung, sondern eher zufällig erhaltene Quellen zu biographischen Details. Für die hier diskutierte Frage nach den Möglichkeiten barocker Autorinszenierungen sind diese Zeugnisse also unerheblich. Unter Autorinszenierungen verstehe ich publizierte Referenzen auf Verfasser literarischer Texte, die das Verständnis und die Lektüre dieser in der zeitgenössischen Öffentlichkeit maßgeblich steuern können. Sie dienen in der Regel der Positionierung im kulturellen Feld und anderen sozialen Zusammenhängen. Die Präsentation von konkreten Personen als Urheber poetischer Produkte müssen als kulturell codierte Zeichenensemble gelesen werden, die in enger Relation, mit G8rard Genette als Para- bzw. Epitext,4 zu den Dichtungen selbst stehen. Deshalb sind die Wechselbeziehungen zwischen diesen und den Autorinszenierungen Gegenstand einer kulturpoetischen Literaturwissenschaft.5 Mit Genette könnte man zusätzlich zwischen auktorialen und allographen Autorinszenierungen unterscheiden: Erstere verantwortet der Autor selbst, letztere werden von anderen Personen (Verleger usw.) vorgenommen.6 In der Einleitung zu einem vor wenigen Jahren erschienenen Sammelband fordern Künzel/Schönert Forschungen »zu konkreten Formen der Autorinszenierung«.7 Notwendig sei, die Auftritte der Dichter in ihren Präsentationen ernst zu nehmen, da diese »ihre Körper in Praktiken der Selbstinszenierung und Selbststilisierung einbeziehen.«8 Auch wenn Nachweise einer ›körperlichen‹ Präsenz von Autoren im literarischen Leben des Barock kaum nachzuweisen sind, sollte man bei der Analyse von Barocktexten doch die konkrete regionale und sozial differenzierende Verortung des Schreibenden, so wie sie sich in den Paratexten und anderen Dokumenten zeigt, ernst nehmen und in der Analyse von literarischem Text und kultureller Positionierung berücksichtigen. 4 Vgl. G8rard Genette: Paratexte. Das Buch vom Beiwerk des Buches. Frankfurt/M. 1992, S. 328ff. 5 Vgl. zu diesem Ansatz meine Beiträge zur Selbstinszenierung deutschsprachiger Popautoren: Dirk Niefanger : Rolf Dieter Brinkmanns Poetik der Selbstinszenierung. In: Markus Fauser (Hg.): Medialität der Kunst. Rolf Dieter Brinkmann in der Moderne. Bielefeld 2011, S. 65–82; ders.: Helmut Kraussers Selbstinszenierungen. Strategisches Sammeln und Schreiben in den Tagebüchern. In: Claude D. Conter / Oliver Jahraus (Hg.): Sex, Tod, Genie. Beiträge zum Werk von Helmut Krausser. Göttingen 2009, S. 109–126 und ders.: Provokative Posen. Zur Autorinszenierung in der deutschen Popliteratur. In: Johannes Pankau (Hg.): Pop – Pop – Populär. Popliteratur und Jugendkultur. Oldenburg 2004, S. 85–101, 215–217. In Kürze erscheint die Studie von Alexander Fischer : Posierende Poeten. Autorinszenierungen vom 18. bis zum 20. Jahrhundert, die im Kontext meines gleichnamigen DFG-Projekts (2007–2011) entstanden ist. 6 Vgl. Genette, Paratexte, S. 173. 7 Christine Künzel / Jörg Schönert (Hg.): Autorinszenierungen. Autorschaft und literarisches Werk im Kontext der Medien. Würzburg 2007, S. 9f. 8 Künzel / Schönert (Hg.), Autorinszenierungen, S. 11.

Gryphius, Greflinger und Greiffenberg

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Grimm/Schärf machen in ihrer Einleitung zum Band Schriftsteller-Inszenierungen zurecht deutlich, dass alle mögliche Formen von Autorinszenierungen »integrale Bestandteile in der Selbstdarstellung des Systems Literatur« seien. Zu fragen ist aber, ob – wie dort behauptet wird – das »performative Fundament der Autorschaft« erst »mit dem Modernismus in den Vordergrund katapultiert werde« oder schon immer zum Setting marktorientierter Autorschaft gehörte.9 Letzteres möchte ich mit dem vorliegenden Beitrag ansatzweise zeigen, wobei die Bedingungen des literarischen Marktes in der Vormoderne natürlich gänzlich andere waren als in der Moderne. So schlug sich literarischer Erfolg zum Beispiel viel deutlicher im symbolischen als im ökonomischen Kapital nieder, um mit Bourdieu zu argumentieren.10 Mit Sicherheit zielten aber auch die Barockautoren in ihren Autorinszenierungen auf eine gesteigerte Aufmerksamkeit, die letztlich der Distribution und der vermehrten Wahrnehmung der eigenen Texte, also ihrer mehr oder minder bewussten Positionierung, diente.11 Dass in dieser Zeit ein eigener Verhaltenskodex für Dichter galt, dass sie ihre Tätigkeit zum Beispiel in der Regel als gelehrtes Nebenwerk begreifen mussten und sich selbst kaum loben durften, versteht sich von selbst. Autorinszenierungen erschienen deshalb nominell meist im allographen Modus. Trotzdem eröffnen sie aber keinen alternativen Zugang zu den Dichtungen, sondern suchen diese textkonform durch Biographeme zu ergänzen. Von größerer Bedeutung als heute erscheint die regionale Verortung des Dichtens. Bei einem fehlenden Nationalstaat, einer kleinstaatlichen und unterschiedliche Schwerpunkte setzenden Kulturpolitik sowie einer auf Förderung angewiesenen Dichtung gehörte die ostentative Verortung des eigenen Schreibens und Lebens zum Programm der Autorinszenierung. Dies kann bei den gewählten drei Beispielen unterschiedlich stark beobachtet werden. Alle drei Autorinszenierungen – Gryphius, Greflinger, Greiffenberg – sind in den Paratexten platziert; d. h. sie sind Bestandteile eines Buchensembles, gehören aber nicht zu den meist in der Forschung und den Schulen ausschließlich interpretierten Kerntexten der Autoren. Bei den drei Beispielen handelt es sich nicht um Autobiographien, sondern um Texte und Bildnisse, die biographische und personale Details präsentieren, um die Autorin oder den Autor in Bezug auf sein Publikum zu formieren. 9 Gunter E. Grimm / Christian Schärf (Hg.): Schriftsteller-Inszenierungen. Bielefeld 2008, S. 8. 10 Vgl. Pierre Bourdieu: Die Regeln der Kunst. Genese und Struktur des literarischen Feldes. Übers. v. Bernd Schwibs und Achim Russer. Frankfurt/M. 2001. 11 Vgl. Georg Franck: Autonomie, Markt und Aufmerksamkeit. Zu den aktuellen Medialisierungstrategien im Literatur- und Kulturbetrieb. In: Markus Joch / York-Gothart Mix / Norbert Christian Wolf (Hg.): Mediale Erregungen? Autonomie und Aufmerksamkeit im Literatur- und Kulturbetrieb der Gegenwart. Tübingen 2009, S. 11–21 und zum Kontext: Georg Franck: Ökonomie der Aufmerksamkeit. Ein Entwurf [1998]. München 2007.

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1.

Dirk Niefanger

Andreas Gryphius: »Wer reden ihn gehört / der hat ihn donnern hören«12

Beginnen wir die konkrete Analyse mit dem berühmten Andreas-GryphiusStich von Philipp Kilian,13 der sich in der posthum edierten Ausgabe der Dissertationes Funebres, Oder Leich-Abdanckungen findet. Mit dem im Grunde einzig erhaltenen Porträt des Dichters liegt also eine allographe Autorinszenierung vor, die mit anderen Fremdinszenierungen auffällig korrespondiert. Die Zeitgenossen waren sich einig, dass seine Leichabdankungen zu seinen bedeutendsten Werken gehörten. Deshalb heißt es etwa in Daniel Casper von Lohensteins lyrischem Nachruf Die Höhe des menschlichen Geistes / über das Absterben / Hn. Andreæ Grphyphii markant: Wer reden ihn gehört/ der hat ihn donnern hören; Die Honig=Zunge war mit Stacheln ausgerüst/ Der Zentner=Worte Trieb erfüllt mit klugen Lehren/ der ernsten Sitten Arth mit Anmuth angesüst/ […].14

Der gewaltige Redner Gryphius verband – so hebt es sein Schlesischer Kollege und Nachfolger – hervor, seine stupende Gelehrtheit mit Überzeugungskraft, didaktischem Vermögen und anmutiger Sprache. Bedenkt man diese Hochschätzung der rhetorischen Fähigkeiten des Dichters, erscheint die posthume Ausgabe seiner Leichabdankungen folgerichtig. Sie kam zuerst 1666 in Breslau zwei Jahre nach dem Tod des Autors heraus. Angehängt wurde den Dissertationes Funebres ein eigener Gedenkteil über den Autor selbst, der Verse zum letzten Ehrengedächtnis, eine Leichenabdankung und den Lebenslauf enthält.15 Dieser Buchteil macht deutlich, dass die Sammlung durchaus als Inszenierung ganz eigener Art zu verstehen ist, die dem auf dem Stich abgebildeten Autor und Redner gilt. Deshalb findet sich diese Abbildung allein hier und sonst in keinem der früher erschienenen eigenen 12 Daniel Casper von Lohenstein: Lyrica. Hg. v. Gerhard Spellerberg. Tübingen 1992, S. 403 (Hyacinthen, S. 27). 13 Vgl. hierzu: Dirk Niefanger : Andreas Gryphius [v.] Philipp Kilian. In: Dichterbilder. Von Walther von der Vogelweide bis Elfriede Jelinek. Hg. v. Frank Möbus und Friederike Schmidt-Möbus. Stuttgart 2003, S. 24–25 und Susanne Skowronek: Autorenbilder. Wort und Bild in den Porträtkupferstichen von Dichtern und Schriftstellern des Barock. Würzburg 2000, v. a. S. 107–112. Allgemein zu Dichterbildern vgl. jetzt: Literaturgeschichte und Bildmedien. Hg. v. Achim Hölter und Monika Schmitz-Emans. Heidelberg 2015 (Hermeia, 14). 14 Lohenstein, Lyrica, S. 403 (Hyacinthen, S. 27). 15 Zur barocken Memorialkultur vgl. Ralf Georg Bogner : Der Autor im Nachruf. Formen und Funktionen der literarischen Memorialkultur von der Reformation bis zum Vormärz. Tübingen 2006 und Ralf Georg Bogner / Johann Anselm Steiger / Ulrich Heinen (Hg.): Leichabdankung und Trauerarbeit. Zur Bewältigung von Tod und Vergänglichkeit im Zeitalter des Barock. Amsterdam, New York 2009.

Gryphius, Greflinger und Greiffenberg

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Abb.1: Stich von Philipp Kilian, in: Andreae Gryphii Dissertationes funebres, oder Leichabdankungen […], Leipzig 1667, Frontispiz.

Werke des Autors. Das Bild von Kilian und der biographisch-panegyrische Anhang bilden gewissermaßen einen Rahmen, in den das rhetorische Hauptwerk von Gryphius eingebettet wird. Der Herausgeber und damit derjenige, der die Abbildung des Autors verantwortet, ist anonym geblieben. Er nimmt sich auch im Vorwort ganz zurück, um in den Leich-Abdanckungen allein den kürzlich verstorbenen Autor und seine Redefähigkeit lebendig ins Gedächtnis zu rufen. Denn Gryphius sei ein »in allen Wissenschaften durchtriebener Geist« gewesen. »Sein Name« sei »nunmehr bey den Gelehrten durch seine Verdienste so bekannt worden / daß er keiner Schmincke bedarff.«16 Die Bekanntheit des Autors in der gesamten scientific community des Barock verbiete eine übermäßige Stilisierung seines Könnens; seine hier veröffentlichten Reden allein seien im Übrigen in dieser Hinsicht beredt genug. Denn, so der anonyme Herausgeber weiter, »du wirst den 16 Andreas Gryphius: Dissertationes funebres oder Leichabdankungen. Hg. v. Johann Anselm Steiger. Tübingen 2007, S. 4.

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werthen Mann niemals entzückter / und in der Andacht brennender befinden / als wenn er von unserm Tod und Aufferstehung redet.«17 Der verstorbene Gryphius sei also niemals lebendiger gewesen, als in dem Augenblick, wo er von den letzten Dingen spricht. Die Texte über Verstorbene zeigen ein unnachahmliches Bild seiner einstigen Lebendigkeit. Der unausweichliche eigene Tod – so das bekannte barocke memento mori-Motiv – prägt das Leben. Den Leichenredner Andreas Gryphius versteht der anonyme Herausgeber deshalb als Mahnung an die eigene Vergänglichkeit, vanitas, verbindet mit ihm aber gleichzeitig den Hinweis auf die Auferstehung, auf die Überwindung des irdischen Leides. Auch die consolatio gilt als häufig wiederkehrendes Barockmotiv. Als eine solche Autorinszenierung mit eschatologischer Perspektive kann man – in Relation zum anonymen Vorwort und den Texten der Dissertationes Funebres – auch den Stich von Kilian ansehen. Vielleicht liest man in der Überschrift deshalb nur das Geburtsjahr, 1616, aber nicht das Sterbejahr des Dichters. Man hat das fehlende Todesjahr auch als Hinweis darauf gedeutet, dass der Autor hier noch zu Lebzeiten porträtiert worden ist.18 Neben dem Geburtsjahr findet sich ein Hinweis auf den bürgerlichen Beruf, nicht auf die poetische Profession, von Gryphius: Er übte die Tätigkeit eines Syndikus der Glogauischen Stände bis zu seinem Tode aus. Und das ist wörtlich zu nehmen; denn er soll mitten in einer Sitzung der Stände einen Schlaganfall erlitten haben. Einer seiner ersten Biographen, Christian Stieff, berichtet recht präzise und deshalb wohl auch glaubwürdig vom Hinscheiden des Autors im Schlesischen Historischen Labyrinth von 1737: Allein den 16. Jul. 1664. Drey Viertel auf 5. Uhr Nachmittage rührete ihn im Angesichte der versammleten Herren Landes-Eltesten und Ausschusses ein so plötzlicher und starcker Schlag-Fluß, daß er unter den Händen der erschrockenen Anwesenden sein Leben mit 48. Jahren weniger 11. Wochen beschlossen, und mitten in seinen AmtsVerrichtungen Todes verblichen.19

Die ältere Forschung kennt sogar noch die letzten Worte des Dichters: »mein Jesus, wie wird mir«.20 Die Betonung der aufopfernden Hingabe an seine Amtsgeschäfte buchstäblich bis zu seinem Hinscheiden korrespondiert mit der Berufsbezeichnung auf dem Kilian-Stich. Denn von den Zeitgenossen wurde Gryphius selbstverständlich in erster Linie als Jurist gesehen. Auch er selbst verstand sich als Syndicus, der – wie es im 17. Jahrhundert üblich war – die Dichtkunst nur als Nebenarbeit pflegte. Damit geht er mit den Normen des hier 17 Gryphius, Dissertationes funebres, S. 4. 18 Vgl. Skowronek, Autorenbilder, S. 241. 19 Christian Stieff: Andreae Grphii Lebens-Lauff. In: Text+Kritik. Andreas Gryphius. Hg. v. Heinz Ludwig Arnold, 7/8 (21980), S. 24–31, hier 28. 20 Willi Flemming: Andreas Gryphius. Eine Monographie. Stuttgart u. a. 1965, S. 77.

Gryphius, Greflinger und Greiffenberg

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maßgebenden Buchs von der Deutschen Poeterey (1624) konform. Martin Opitz beteuert dort, dass er sich »besten fleißes […] bemühen« will, »an größeren vnd mehr wichtigen sachen (denn ich gar wol weiß/ daß es mit der Poeterey alleine nicht auß gerichtet sey/ vnd weder offentlichen noch Privatämptern mit versen könne vorgestanden werden) […] mein heil zue versuchen.«21 Das weiß auch Andreas Gryphius und widmete sich deshalb – auch für die literarische Öffentlichkeit in Schlesien sichtbar – seinen Aufgaben als Glogauischer Syndikus. Das Vorwort seiner in diesem Kontext erschienenen Ausgabe der Landesprivilegien22 unterschreibt er, anders als seine literarischen Werke eigenhändig. Diese Unterschriften gehören zu den wenigen überlieferten Autographen von Andreas Gryphius. Kehren wir nochmals zum Kilian-Stich zurück: Er ist insgesamt – typisch für Autorenporträts der Zeit – vergleichbar einem Emblem organisiert. Das heißt, wir haben hier ein aufeinander verweisendes Ensemble von Überschrift, lateinischem Gedicht und Bild vor uns. Als Lemma erscheinen der Name des Autors, seine zivile Berufsbezeichnung nebst Wirkungsort und sein Geburtsdatum. Die Pictura zeigt möglicherweise eine Kopie des anonymen, aber amtlich-repräsentativen Ölgemäldes, das sich wohl früher in der Stadtbibliothek Breslau befand, aber seit 1945 als verschollen gilt.23 Auffällig ist, dass ein sonst bei barocken Personendarstellungen üblicher Zierrahmen fehlt, so dass die Darstellung von Körper und Gesicht des Dichters unmittelbarer wirkt.24 Seine rechte Hand überschreitet selbstbewusst die Bildgrenze zur Inscriptio. Der Stich zeigt ein Antlitz, das der individuellen Gesichtszüge wesentlich beraubt ist.25 Dies wird deutlich, wenn man etwa die zeitgenössische Darstellung des Daradiridatumtarides daneben hält, die sich auf den Horribilicribrifax, eine Komödie von Gryphius bezieht. Zur Buchausgabe der Komödie steuert der abgebildete Kriegsheld die Widmungsvorrede an den im Titel genannten Protagonisten bei, nimmt also gewissermaßen die Rolle des Autors an. Die Tochter von Martin Engelbrecht (1684–1756), dem Stecher des Bildes, hat den Enkel von Philipp Kilian, dem Stecher des obigen Gryphius-Portraits, geheiratet. Erstaunlich ist, wie ähnlich der Schnurrbart und das Doppelkinn 21 Martin Opitz: Buch von der Deutschen Poeterey. Studienausgabe. Hg. v. Herbert Jaumann. Stuttgart 2002, S. 8. 22 Vgl. Andreas Gryphius (Hg.): Glogauisches Fürstenthumbs Landes Privilegia aus den Originalen an Tag gegeben. Glogawischen Fürstenthums LandesStände und Ritterschaft Privilegia, Statuten, Kayserl:Königl: und Fürstliche Indulten und Bekräfftigungen. Lissa in GroßPohlen 1653. 23 Vgl. Flemming, Gryphius, S. 228. Eine Reproduktion findet sich in: Nicola Kaminski: Andreas Gryphius. Stuttgart 1998, S. 20 (nach einem Foto aus dem Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz). 24 Vgl. Skowronek, Autorenbilder, S. 107. 25 Anders: vgl. Skowronek, Autorenbilder, S. 243.

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Abb. 2: Martin Engelbrecht: Capitain Daradiridatumdarides. Augsburg nach 1720 (Fruchtbringende Gesellschaft Digital Exhibit, FBG 380, UC Berkeley Libary).

ausgefallen sind. Nur die Haare von Gryphius wirken gepflegter. Unterschiedlich ist in erster Linie die Kleidung; denn für die Stiftung einer Persönlichkeit in der Frühen Neuzeit war sie bekanntlich entscheidend. Gerade am Ornat – und nicht am Gesicht – kann man den militärischen Prahlhans mit seinen riesigen Stiefeln von dem würdigen Gelehrten mit schwarzem Rock, sauberem Hemd und weißem Kragen unterscheiden; selbst die Handschuhe zeugen von einer vornehmen Stellung. Die kaum sichtbare Säule im Hintergrund kann man als Hinweis auf die Constantia des Dargestellten deuten.26 Gryphius ist in Kilians Stich als juristischer Vertreter der glogauischen Stände zu sehen, also als mächtiger Mann. Darauf weist selbstverständlich auch die Körperform des standesgemäß Porträtierten: Die Leibesfülle und das volle Gesicht von Gryphius zeugen einerseits von Wohlstand und Macht, andererseits aber auch von den rhetorischen Grundtugenden Gewicht und Würde. Das unter dem Bild zu lesende lateinische Epigramm des galanten Dichters 26 Vgl. Skowronek, Autorenbilder, S. 242.

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Heinrich Mühlpfort (1639–1681) aus Breslau ist dem deutschen Dichter des Tragischen gewidmet:27 Qvem stvpiat Tragicvm felix Germania Vatem. Fvlmine qvi feryt saxea corda hominvm, Talis erat Vvltv. Cvmvlata scientia rervm, Et qvicqvid vasti circvlvs orbis habet. Emicat es scriptis, qvæ mens divina reliqvit, Gryphivs Elysiis altera Pallas erit.28

Ungewöhnlich ist, dass Gryphius als vates – als prophetischer Dichter – und nicht als poeta doctus, also als gelehrter Autor, eingeführt wird. Vermutlich sollen so seine überragenden angeborenen Fähigkeiten (wenn man so will sein Ingenium) betont werden, ein Aspekt der am Ende des Jahrhunderts poetologisch wichtiger war als am Anfang.29 In den anderen Versen Mühlpforts bezieht sich das Lob aber ausdrücklich und erwartbar auf dessen weite Kenntnisse in den Wissenschaften. Mit der Vates-Vorstellung korrespondiert, dass bei der posthumen Würdigung – von einer göttlichen Erscheinung und vom »jenseitigen Elysium ist die Rede«30 – die Unsterblichkeit seiner Werke betont wird. Schon in der Fruchtbringenden Gesellschaft hatte Gryphius ja den Beinamen ›der Unsterbliche‹.31 Kilians Stich befindet sich nicht nur an einem repräsentativen Ort der Edition, sondern er stellt auch eine wichtige Rezeptionshilfe für den Leser dar. Als Frontispiz füllt es die Seite vor dem Titelblatt der Sammlung aus. Dort übernimmt es die Funktion eines ›Vestibüls‹; es führt vom sinnlich zugänglichen, zum gedanklichen Teil der Gedächtnisschrift und stellt somit die Schwelle dar zwischen dem Buch als haptisch-materiellem Gegenstand und der Schrift als deutbarem Text. Das repräsentative Bild-Text-Ensemble verweist auf die Sinn gewordene Gestalt des Verstorbenen. 27 Übersetzt lautet es: »Welch einen Tragödiendichter bewundert das glückliche Germanien/ Der wie ein Blitz die steinernen Herzen der Menschen trifft/ So war sein Aussehen. Vollkommene Kenntnis der Dinge/ Und ale, was das ganze Gebiet der unermeßlichen Wissenschaft beinhaltet/ leuchtet hervor aus den schriften, die der göttliche Geist hinterließ./ Gryphius wird den Elysiern eine zweite Pallas Athene sein.« (Übersetzung: Skowronek, Autorenbilder, S. 108). 28 Text unter dem Stich von Philipp Kilian. In: Andreae Gryphii Dissertationes funebres, oder Leichabdankungen […]. Leipzig 1667, Frontispiz. 29 Vgl. Jörg Wesche: Literarische Diversität. Abweichungen, Lizenzen und Spielräume in der deutschen Poesie und Poetik der Barockzeit. Tübingen 2004, besonders S. 268–284. 30 Skowronek, Autorenbilder, S. 241. Die Vates-Bezeichnung könne auch schlicht als Synonym für Poeta gesehen werden, wobei sich Vates hier auf die geradezu ›mythisch‹ verehrte Größe der deutschen Dichtkunst beziehen würde: vgl. ebenda, S. 236. 31 Vgl. Martin Bircher (Hg.): Im Garten der Palme. Kleinodien aus dem Zeitalter des unbekannten Barock: Die Fruchbringende Gesellschaft und ihre Zeit [Ausstellung der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel]. Berlin 1992, S. 115–118.

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Stellen wir dieser repräsentativen Autorinszenierung eine kleine, auch allographe, aber fast privat erscheinende, und, wie man sehen wird, regelrecht anrührende Inszenierung kontrastiv gegenüber. Auch diese Präsentation des Dichters erschien erst nach dem Tode von Andreas Gryphius, sie zeigt ihn vor allem als besorgten Vater einer behinderten Tochter. Auch wenn diese Autorinszenierung auf einem faktualen – und auktorialen – Textzeugnis, einem heute verlorenen Brief an seinen Freund, den Polyhistor und Mediziner Johann Johnston (1603–1675) beruht, ist für die Veröffentlichung im poetischen Umfeld nun der Sohn Christian Gryphius und erste Herausgeber der posthumen Werke verantwortlich. Denn der allographe Hinweis auf den Vater ist im biographischen Vorspann eines Epicediums auf Anna Rosina Gryphius, der Tochter von Andreas Gryphius, zu finden. Sie trägt die beiden Vornamen der Ehefrau des befreundeten Briefempfängers; ein Patenschaftsverhältnis erscheint daher möglich. Dieses Gedicht rückt Christian Gryphius in die Pietas Gryphiana ein und druckt den Text in seinen Poetischen Wäldern von 1707 ab.32 Der Sohn leitet sein Gedicht mit einer bedrückenden Lebens- und Krankengeschichte Anna Rosinas ein, wo sich der Brief des Vaters zitiert findet. In ihrem fünften Lebensjahr erkrankte Rosina schwer ; sie »verlor« – wie Andreas Gryphius berichtet – »nach und nach das Gedächtnis; es entfiel allgemählich die Sprache […] und der Verstand.« Selbst die »berühmtesten Ärzte«, die zum Teil genannt werden und verschiedene »Artzneyen«, können den langsamen aber unaufhaltsamen Verfall von Körper und Geist nicht stoppen. Im 16. Jahr ihres Alters stiessen zu vorbeniemten Elend die heftigsten Convulsiones [vermutlich Epilepsien, Anm. d.V.] / welche dergestalt zunahmen / daß sie fast alle sieben Tage / und bisweilen noch öfter von denselben überfallen / und jämmerlich zugerichtet wurde / wie denn in dem einen Paroxysmo, im Gesichte der biß auf den Tod betrübten Mutter / der eine Schenkel gebrochen / und sie / die ohne dieses in zarter Kindheit eine Verrenckung und Schwachheit am anderen Schenckel erdulden müssen / vollends beide gelähmt ward. Unter so vielfältigem Elende giengen Vater und Mutter fort / welche nicht mehr gewünschet / als diese armselige Tochter vor ihnen ins Grab zu schicken; wiewol man dennoch solche Vorsorge vor sie getragen / daß sie an einem gutten Ort gebracht / und untermeiner Auffsicht an nöthiger Pfleg und Wartung keinen Mangel gelitten.33

Nachdem das Ehepaar Gryphius verstorben war, übernahm also der Sohn die Pflege der Schwester. Auch in der Gestaltung des medizinischen Berichts zeigt sich Gryphius als Poet, der etwa mit dem aus der Dichtungstradition bekannten Höhe/Fall-Prinzip arbeitet, also das früh bezeugte Talent Rosinas mit ihrem 32 Christian Gryphius: Pietas Gryphiana. In: Poetische Wälder. Faksimiledruck der Ausgabe von 1707. Hg. v. James N. Hardin / Dietrich Eggers. Bern u. a. 1985, S. 547–558. 33 Christian Gryphius, Pietas Gryphiana, S. 553f.

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körperlichen und geistigen Verfall konfrontiert. Zudem finden sich rhetorische Figuren (etwa die Aufzählung und Steigerung) oder typische narrative Verfahren wie Raffungen und – beim Wendepunkt im Leben Rosinas – Dehnungen. Die Geschichte von Anna Rosina war in den Augen der Zeitgenossen offenbar so zentral für die Charakterisierung des Menschen und Dichters Andreas Gryphius, dass sie auch in Christian Stieffs späterem Lebens-Lauff aus dem Jahre 1737 Erwähnung findet: Sie sei »im äussersten Grad unglückseelig« gewesen, da sie, obwohl sie ihren Eltern »die gröste Hoffnung […] [ge]macht« habe, plötzlich »das Gedächtniß, den Verstand und die Sprache, auch das Gewächse ihrer Leibes-Glieder« verlor. Ausführlich geht Stieff sogar auf die Pflege des Mädchens ein: [Nur von] gantz dünnen beygebrachten Speisen [behielt sie] die Verdauung und das Leben. Dabey [blieb sie] fast immer auf einer Stelle liegen […], wo man sie mit der erbärmlichsten Wartung besorgen muste: Vornehmlich zu derjenigen Zeit, da sie durch nachgefolgte starcke Convulsiones auch gäntzlich gelähmet worden.34

Stieffs Lebens=Lauf und der von Christian Gryphius veröffentlichte Bericht des Vaters legen nahe, dass Anna Rosina im Hause Gryphius gepflegt wurde und man der Krankheit des Mädchens große Aufmerksamkeit widmen musste. Auch hierfür – so die Texte von Christian Gryphius und Christian Stieff – nahm sich der große Dichter und hart arbeitende Glogauische Syndicus Andreas Gryphius die nötige Zeit. Bemerkenswert ist zumindest – und das belegt ja Stieffs Biographie in gewisser Hinsicht –, dass die Krankengeschichte der Tochter ganz offenbar zum zeitgenössischen Autorbild von Andreas Gryphius gehörte und nur wir sie heute (fast) vergessen haben.

2.

Georg Greflinger: »O wie stestu nun verändert / Gegen jener trüben Zeit«35

Beginnen wir die Ausführungen zum eher unbekannten Barockdichter Georg Greflinger36 mit einem Zitat Gotthold Ephraim Lessings. In seinen Vermischen literarischen Anmerkungen, die posthum sein Bruder herausgab, lesen wir, dass er das historische Epos des oberpfälzischen Dichters kennt und schätzt, aber offenbar nichts mehr mit dessen Pseudonym und Ortzuweisung anfangen kann: 34 Christian Stieff: Lebens-Lauff [1737]. In: Text und Kritik 7/8 (1980), S. 24–31, Zitate: S. 30. 35 [Georg Greflinger :] Celadonische Musa. Inhalt hundert Oden und Etlich hundert Epigrammata. Hg. v. Johann Georg Greflinger. Hamburg 1663, [unpag., S. 5]. 36 Vgl. zum Folgenden: Dirk Niefanger : »Die Welt vol Schrecken«. Die Schlacht bei Wittstock in Georg Greflingers Der Deutschen Dreyßig-Jähriger Krieg. In: Simpliciana 33 (2011), S. 255–270.

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Celadon von der Donau. Wer ist der Dichter, der unter diesem Namen 1657: der deutsche dreyßigjährige Krieg, poetisch erzählt, in 88 [Oktav] herausgegeben hat? Das Gedicht besteht aus zwölf Büchern oder Theilen, wie er sie nennt, und verdient bekannter zu seyn.37

In der Tat verdient das Buch auch heute noch bekannt zu sein; denn es ist eins der wenigen deutschsprachigen Originalepen der Barockzeit. Dass Greflinger sich an eine Art Nationalepos38 gewagt hat – denn so könnte man Der Deutschen Dreyßig-Jähriger Krieg ohne weiteres nennen – hat, trotz der hohen poetischen Ansprüche, die diese Gattung prinzipiell in der Frühen Neuzeit stellt, zweifellos mit seinem Selbstverständnis als Autor der ›einfachen Sprache‹ und seiner Selbstinszenierung als wahrheitsliebender Kriegsdichter zu tun. In der Forschung wird das Epos als Greflingers »zeitpoetische Hauptleistung« gewürdigt.39 Heute kann man das Werk recht leicht erwerben oder in einer digitalen Version einsehen.40 Auch findet sich der Name ›Greflinger‹ in den gängigen Lexika verzeichnet. Journalisten dürfte der Autor vielleicht als Herausgeber und Redakteur des Norddeutschen Mercurius bekannt sein;41 hier führte er das bis heute gängige Ressort-System für Zeitungen ein. Erwähnenswert ist auch, dass Greflinger Verfasser der ersten deutschen Komplimentierlehre, der Ethica Complementoria von 1645 war. Als Dichter kommt er, trotz einiger sehr schöner Texte, in den modernen eher populären Literaturgeschichten allerdings nur am Rande vor.42 Der Philologe Lessing hatte Schwierigkeiten, dem Georg Greflinger das Kriegsepos zuzuschreiben, weil dessen Pseudonym nicht mehr so geläufig war und weil er den Dichter allenfalls mit seinem späteren Wohn- und Wirkungsort Hamburg, aber nicht mit dessen Heimatregion in der Oberpfalz in Verbindung brachte. Erschwerend kam hinzu, dass sich in den Werken Greflingers ganz unterschiedliche regionale Zuordnungen finden: In der Celadonischen Musa von 1663 wird im Widmungsgedicht an Paul Tscherning der tatsächliche Au37 Gotthold Ephraim Lessings Leben, nebst seinem noch übrigen litterarischen Nachlasse. Hg. v. Karl Gottlieb Lessing. Berlin 1795, S. 371f. 38 Zum Epos im 17. Jahrhundert vgl. Ernst Rohmer : Das epische Projekt. Poetik und Funktion des ›carmen heroicum‹ in der deutschen Literatur des 17. Jahrhunderts. Heidelberg 1998. 39 Elger Blühm: Neues über Greflinger. In: Euphorion 58 (1964), S. 74–97, hier S. 90. 40 Vgl. Georg Greflinger : Der Deutschen Dreyßig-Jähriger Krieg 1657 [Faksimile]. Kommentiert und mit einem Nachwort von Peter Michael Ehrle. München 1983 und die Website: www.georggreflinger.de (eingesehen am 26. 11. 2012). 41 Vgl. Günter Berghaus: Georg Greflinger als Journalist und historisch-politischer Schriftsteller. Mit einem Anhang seiner Schriften über die englische Revolution. In: Wolfenbütteler Barock-Nachrichten 12 (1985), S. 1–14. 42 In der viel gelesenen Deutschen Literatur Geschichte im Metzler-Verlag oder in Peter Nussers Deutsche Literatur von 1500 bis 1800 taucht der Name zum Beispiel aber nicht mehr auf: vgl. Wolfgang Beutin u. a.: Deutsche Literaturgeschichte. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, Stuttgart 41992; Peter Nusser : Deutsche Literatur von 1500 bis 1800. Lebensformen, Wertvorstellungen und literarische Entwicklungen, Stuttgart 2002.

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torname und als Ortsangabe Hamburg genannt.43 In Greflingers Ausgabe der Embleme Zincgrefs erscheint die gleiche Ortsangabe.44 Eine Auflösung des Pseudonyms und die Ortsangabe Regensburg liest man auf dem Titelblatt eines historiographischen Werks: »Wahre Abbildung der Türckischen Kayser vnd Persischen Fürsten […]. Wie dann auch vorher eines jeden wandel kürtzlich mit Versen Beschrieben Durch Georg Greblinger alias Seladon von Regenspurg« (1648).45 In seiner recht bekannten Übertragung des Cid von Corneille und in den Zwölff gekröhnten Häuptern von dem Hause Stuart unglückselige Herrschafft erscheint als Herkunftsort Greflingers ebenfalls Regensburg.46 In der Satire Gegen-Satz aus dem Satz der Wahrheit von 1656 wird »G.G. alias Seladon« als Autor genannt, aber kein Ort genannt.47 Seladons Weltliche Lieder bringen auf dem Titelblatt weder eine Auflösung des Pseudonyms noch eine Ortsangabe.48 Ich komme darauf zurück. Wenn man die Verortung des Autors also als verdeutlichendes Identifizierungsmerkmal nimmt, hat man, da sie zwischen Hamburg, Regensburg und dem etwas unspezifischen »Von der Donau«49 changiert, wenig Erfolg. Gleichwohl erscheint die räumliche Zuordnung für die Autorinszenierung Greflingers von Belang, wenn man sich der aus seiner Biographie bekannten Lebensstationen erinnert. Einschlägige Hinweise finden sich in unterschiedlichen Werken; doch können die Angaben natürlich nicht als biographische Fakten, sondern nur als Teil einer durchaus komplex angelegten Selbstdarstellung des Autors gelesen werden. Die Hinweise sind möglicherweise sogar Teil einer spezifischen ›Werkpolitik‹, die unterschiedliche Schaffensphasen – zumindest Regensburg und Hamburg – unterscheiden lässt.50 Hinzu kommen sicherlich auch sozial-ökonomische Gründe. Die Lobgedichte auf Hamburg in der Cel43 [Georg Greflinger :] Celadonische Musa. Inhalt hundert Oden und Etlich hundert Epigrammata. Hg. v. Johann Georg Greflinger. Hamburg 1663, [unpag., fol. 2r]. 44 Vgl. Julii Wilhelm Zinckgrefens Hundert Sitten- und Politische Sinnen-Bilder / in Kupffer entworffen von Matthäus Merian. Und mit schönen Reimen geziert durch Georg Greflinger. Frankfurt/M. 1698. 45 [Georg Greflinger :] Wahre Abbildung der Türckischen kayer vnd Persischen Fürsten […]. Wie dann auch vorher eines jeden wandel kürtzlich mit Versen Beschrieben. Frankfurt/M. 1648, Titelblatt. 46 Vgl. Pierre Corneille: Die Sinnreiche Tragi-Comoedia genannt Cid, ist Ein Streit der Ehre und Liebe / verdeutscht vom Georg Greflinger. Hamburg 1679 und Georg Greflinger : Der zwölff gekröhnten Häupter von dem Hause Stuart unglückselige Herrschafft. O.O. 1652. 47 [Georg Greflinger :] Gegen-Satz Aus den Sack der Warheit/ Gegen den Newlicher Zeit/ außgegangenen und zum Druck verfertigten Lügen-Sack. O.O. 1656. 48 [Georg Greflinger :] Seladons Weltliche Lieder Nechst einem Anhang Schimpf- und Ernsthaffter Gedichte. Frankfurt 1651. 49 [Georg Greflinger :] Der Deutschen Dreyßig-Jähriger Krieg. O.O. 1657, Titelblatt. 50 Vgl. Steffen Martus: Werkpolitik. Zur Literaturgeschichte kritischer Kommunikation vom 17. bis ins 20. Jahrhundert mit Studien zu Klopstock, Tieck, Goethe und George. Berlin 2007.

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adonischen Musa etwa kann man als Versuche des Weitgereisten und gewissermaßen Heimatlosen deuten, sich in der Weltstadt zu etablieren. Mit der Dichterkrönung durch Rist scheint das ja im Bereich der Kultur dann auch gelungen zu sein.51

Abb. 3: Frontispiz zu: [Georg Greflinger :] Seladons beständige Liebe. Frankfurt 1644, Stich von Sebastian Furck.

Der Stich von Sebastian Furck zu Seladons beständiger Liebe (1644) findet sich auch als Titelkupfer zu den Weltlichen Liedern (1651); mit ihm konnte man Greflingers Lyrik also recht deutlich identifizieren. Die Soldatengestalt rechts repräsentiert vermutlich Georg Greflinger selbst.52 Sie trägt einen Degen an der 51 Vgl. [Georg Greflinger :] Celadonische Musa. Inhalt hundert Oden und Etlich hundert Epigrammata. Hg. v. Johann Georg Greflinger, Hamburg 1663 [unpag., zweites Epigramm]. 52 Vgl. Claudia Sedlarz: Der Beitrag Georg Greflingers zur Rezeption von Ripas Iconologia in Deutschland. München: Magisterarbeit 1989, S. 22–24 (http://eodoc.bbaw.de/volltexte/ 2011/2067/pdf/Greflinger-Ripa.pdf, eingesehen am 25. 10. 2013) mit weiterführenden Hinweisen auch zum Greflinger-Kupfer von Hans Martin Winterstein, das sich als Frontispiz in einigen Ausgaben von Der Deutschen Dreyßig-Jähriger Krieg (1657) findet. Die Gestalt dort ähnelt der von Furck abgebildeten.

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Seite und einen Lorbeerkranz in der Hand. Da Greflinger erst 1654 von Johann Rist zum poeta laureatus gekrönt wurde, wird sich der Kranz, wie die Erläuterung des Kupfertitels durch seinen Frankfurter Freund Johann Georg Schleder53 es nahelegt, eher allgemein auf die zukünftige Anerkennung seiner poetischen Fähigkeiten beziehen. Auf dem Bild muss sich der Soldat gegen die Verführungen des Neids, die so bezeichneten Früchte des Baums, gegen ein Ungeheuer und eine Schlange erwehren. Das Herz am Palmbaum verweist auf die Thematik der weltlichen Gedichte. Die Paradiesszene wartet auch mit einer Eva-Gestalt als Muse – laut Erklärung des Titelkupfers ist es die »Flora« der Liebesgedichte54 – mit einem auf dem Boden liegendem zerbrochenen Schwert als Zeichen eines überstandenen Kampfes auf. Die Szenerie spielt in einem poetischen Garten, verweist also auf den Sammlungscharakter der Gedichte; links die Sonne und rechts das Gewitter erinnern an wechselhafte Lebenserfahrungen und eine möglicherweise unterschiedliche Wahrnehmung der Texte. Das Bild markiert einerseits die Constantia des Dichter-Helden, andererseits seine körperlich greifbare Wehrhaftigkeit gegenüber allerlei Angriffen. Beide Eigenschaften und der den Autor relational umgebende Raum sind hier auf das Dichten – Lorbeerkranz, Muse und Garten lassen daran denken – bezogen, obwohl die Ausstattung der Figur natürlich auch an Celadons Leben und Lieben erinnert. Greflinger wurde nahe Neunburg (ehemals Newburg) vorm Wald in der Oberpfalz,55 einem Örtchen an der Ascha, geboren. Die Bezeichnung ›an der Donau‹ in einigen Texten Greflingers bezieht sich wohl auf seinen späteren 53 Vgl. J[ohann] G[eorg] S[chleder]: Erläuterung deß Kupfertituls an statt einer Vorrede. In: [Georg Greflinger :] Seladons beständige Liebe. Frankfurt 1644, fol. iijr–ivv. Auf diese Erklärung bezieht sich Schleders Widmungsgedicht in den Weltlichen Liedern: J[ohann] G[eorg] S[chleder]: Duret Amicitæ non teme. Rata fides! In: [Georg Greflinger :] Seladons Weltliche Lieder. Frankfurt 1651, S. 9–12, hier S. 9f. 54 Schleder : Erläuterung, Bl. iijr. 55 Vgl. Franz Heiduk: Georg Greflinger. Neue Daten zu Leben und Werk. In: Daphnis 9 (1980), S. 191–208, hier S. 192f. oder Sedlarz: Der Beitrag Georg Greflingers zur Rezeption von Ripas Iconologia, S. 51. Eine zeitgenössische Beschreibung des Ortes findet sich in der Topographia Bavariae: »Newburg vorm Wald. // In der Obern Pfaltz / drey Meylen von Chamb / nit weit von Retz / vnd Schwandorff / vnnd zwischen solchen beeden Orthen / am Wasser Schwartzach / darein da ein anders vnbenambstes; sie die Schwartzach aber bey Schwartzenfeldt / in die Naab fällt / gelegen. Ist ein Stättlein / sampt einem Schloß / allda Anno 1634. das Thor mit einer Petarden eröffnet / vnd die Schweden eingelassen worden. Anno 1641. hat der Schwedische FeldMarschall Banner / vnd die seinigen solchen Orth erobert; aber den 11. 21. Martij bekamen ihn die Käyserischen wiederumb / vnnd ergaben sich der Obriste Schlang / vnd andere auff Gnad vnnd Vngnad; wie in den außgegangenen Relationen, vnd in tom. 4. Theatr. Europ. fol. 637. seq. hievon mit mehrerm zu lesen. // Anno 1621. ist dieser Orth / sampt Waldmünchen / Bleystein / Kemmat / oder Kemnat / Pressat / Eschenbach / Gravenwerd / vnd andern Orthen / vom Hertzog auß Bäyern / eingenommen worden; wie in deß Meterani Historischer Continuation, lib. 38. stehet. Siehe oben Cham.« (Matthäus Merian: Topographia Bavariae. Frankfurt/M. 1644, S. 56).

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Wohnort Regensburg. Da er zu Beginn seiner Verserzählung Der Deutschen Dreyßig-Jähriger Krieg angibt, er sei »als sich der Krieg erhob / noch ungebohren«56 gewesen, schon im April 1639 aber durch Kampfhandlungen gefährdet wurde, geht man davon aus, Greflinger sei um das Jahr 1620 auf einem Bauernhof zur Welt gekommen. Seine Kinderjahre ähneln auffällig der des Simplicissimus.57 Denn auch sein Hof wurde vermutlich von marodierenden Soldaten überfallen. Danach verbarg sich der weltfremde Hirte in den Wäldern, um später nach Regensburg zu wandern und dort Lesen und Schreiben zu lernen. Schließlich ergriff er wie Simplicissimus wohl den Beruf des Soldaten und des Kriegsschreibers. Nach einem Studium in Wittenberg unter anderem bei August Buchner verfasste er 1639, in dessen unmittelbarer Nachfolge,58 seine erste Dichtung: die Weinacht-Gedancken in Versen.59 Auch hier findet sich ein Hinweis auf die eigene Herkunft. Er habe sich mit »Leuthen meines Herkommens / alß mit den einfältigen Hirten« beschäftigen wollen.60 Das einfache Hirtendasein und die bukolische Schlichtheit seiner Verse werden in der Einleitung von Seladons Weltliche[n] Lieder[n] (1651) zum Leitmotiv.61 Die erste anonym erschienene Gedichtsammlung Greflingers versammle, wie die uneinheitliche Herde eines Schäfers, schlechte und gute Schafe. Greflingers captatio benevolentiae wirkt nahezu übertrieben, wenn er seinen Gedichten eine eigentliche Poetizität abspricht: Poetisches wird man hierinnen [in den Weltlichen Liedern, Anm. d. V.] nichts finden / dann ich bin nur ein Liebhaber der Poeterey und kein Poet. Es ist auch nicht nötig, daß ich einer werde / dann es diesen Zeiten hieran nicht gebricht.62

Der Einfachheit korrespondieren die regionale Verbundenheit mit der randständigen Oberpfalz und die Absage ans Alamode: Belangend die Art zu schreiben/ so kehre ich mich an das newe nicht groß / weil sich die meisten nit daran kehren vnd vor auß meine Oberländer / wir sind von den Alten / vnd nicht # la modo Teutschen.63 56 Greflinger, Der Deutschen Dreyßig-Jähriger Krieg, S. 11. 57 Vgl. Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen: Werke. Hg. v. Dieter Breuer. Frankfurt/M. 1989–1997, Bd. I,1, S. 27–28. 58 Vgl. August Buchner, Weynacht Gedancken (1638). 59 Vgl. den Abdruck des Gedichts bei Blühm, Neues über Greflinger, S. 79f. und das Faksimile einer späteren Fassung der Weihnacht-Gedancken im Anhang zu Franz Heiduk, Georg Greflinger, [unpag., S. 199ff.]. 60 Georg Greflinger, Weihnacht-Gedancken, zit. nach Blühm, Neues über Greflinger, S. 76. 61 Zur frühen Lebensphase Greflingers vgl. Victoria Gutsche: Der Dichter des Dreißigjährigen Krieges: Georg Greflinger alias Seladon von der Donau. In: Kleine Regensburger Literaturgeschichte. Hg. von Rainer Barbey und Erwin Petzi. Regensburg 2014, S. 136–142. 62 Greflinger, Seladons Weltliche Lieder, S. 7. 63 Greflinger, Seladons Weltliche Lieder, S. 7.

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Im der Einleitung folgenden Widmungsgedicht – unterschrieben mit »Dein ehrlicher Verräther / J.G.K.S.B.«64 – wird Georg Greflinger als Autor mit dem Herkunftsort Regensburg entdeckt. Die Betonung des eigenen geringen Standes bedeutet für Greflinger eine Möglichkeit besonderer Selbstbehauptung, die mehr auf Intellekt und Fähigkeit als auf Abkunft und Bildung setzen kann. Poetisches Ansehen und publizistischer Erfolg gelten als höherwertiger, wenn sie nicht auf eine hohe Geburt und vorgeplantem Bildungsweg bauen können. Die Geburt sei eben nur Folge des »Glück[s]«, das errungene Ansehen geringer Standespersonen basiere aber auf ehrlichem »Tun« und sei deshalb höher zu bewerten. So heißt es in einem Epigramm Greflingers »Auff einen vortrefflichen doch von Geburt geringen Mann«: Dein Ankunfft ist gering/ dein Thun ist Welt=bekannt/ Das eine macht das Glück/ das ander dein Verstandt.65

Wenn Greflinger also immer wieder seinen geringen Stand betont oder in seinen Texten – mit seinen einfachen Versen und genrehaften Motiven wie Alkoholgenuss und deftiges Frauenlob – eine scheinbar wenig komplexe Dichtungsart bevorzugt, so drückt sich darin stets auch ein Behauptungswille des sozial Benachteiligten aus. Kurz nach seinem Studium scheint Greflinger sich unter großer persönlicher Gefahr dem Krieg verschrieben zu haben. Bei der grausamen Erstürmung Pirnas am 3. Mai 1639 durch die schwedischen Truppen geriet er in Lebensgefahr.66 In dem ansonsten ohne jegliche Subjektbezüge erzählten Epos Der Deutschen Dreyßig-Jähriger Krieg hört man deshalb plötzlich eine persönlich klingende Stimme: Ey aber sich Bannier [Johan Ban8r, Anm. d. V.] nach Böhaims Grentzen fügte Gieng er nach Pirna hin / das er auch bald besiegte/ und alles nider hieb was in den Waffen war. Ich selber stundte da in euerster Gefahr.67

In der Vorrede zu einer früheren Fassung des Epos’, Die grausame Tragoedia vom Deutschlande, unterscheidet Greflinger zwei Arten der Berichterstattung. 64 Greflinger, Seladons Weltliche Lieder, S. 8. 65 Georg Greflingers Deutscher Epigrammatum Erstes Hundert. Danzig 1645 [unpag. S. 7]. 66 Vgl. Wolfgang von Oettingen: Über Georg Greflinger von Regensburg als Dichter, Historiker und Übersetzer. Eine literarhistorische Untersuchung. Straßburg, London 1882, hierzu: C. Walthers Besprechung und Ergänzung im Anzeiger für deutsches Altertum und Literatur 10 (1884), S. 80–127, hier S. 4; Blühm, Neues über Greflinger, S. 78 und Heiduk, Georg Greflinger, S. 194. 67 Greflinger, Der Deutschen Dreyßig-Jähriger Krieg, S. 118f.

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Augenzeugen hätten ein ebensolches Recht vom Krieg zu berichten, argumentiert er, wie wohlgelehrte Historiker : Ein unansehlicher Bote, welcher durch diß oder Jenes Kriegslager daher reist, hat vor den Liebhabern der neuen Zeitungen eben so viel, wo nicht Freyheit zu reden, als ein umbstehender, welcher zwar ansehentlich und vielwissend, dennoch bey solchen Händeln selbst nicht gewesen ist. Fürwahr diß Wetter hat mich und die Meinige von seinem Anfang biß auff diese Zeiten berühret, und uns nicht mehr übrig gelassen als das Gedächtnis, daß wir und unsere Nachkömmlinge desselben Lebenslang nicht vergessen.68

Das eigene und das dazu in Relation stehende kollektive Gedächtnis rechtfertigten, ja verlangen den Kriegsbericht. Implizit werden die Kindheitstraumata Greflingers in der Oberpfalz und die eigene Kriegserfahrung in Sachsen angeführt und als Verpflichtung verstanden an den Krieg zu erinnern. Analog argumentiert Greflinger in einer bislang weitestgehend unbekannten Schrift mit dem schönen Titel Der unterrichtete Student (1668), einem kleinen akademischen Dialog zwischen Damis und Seladon.69 Manchem Gelehrten täte es gut, sagt Seladon dort, sich die Dinge anzusehen, ehe er urteile. Er vertritt die Ansicht, Gelehrtheit, Bildung und Weisheit sei nicht an Universitäten gebunden, sondern an Personen. Deshalb sollten die Studenten sich auch außerhalb der Universität, etwa auf gut vorbereiteten Reisen, beim Kontakt mit einfachen Leuten und Bevölkerungsgruppen, genaue Kenntnisse verschaffen. Diese seien meist mehr wert als die Theorie, die von den Kathedern gelehrt werde. Ungewöhnlich für das Barock erscheint also die Betonung der ›Erfahrung‹ bei Greflinger, die hier natürlich nicht als subjektiver Eindruck im modernen Sinn missverstanden werden darf.70 Gleichwohl präsentiert sie sich konkret, ortsgebunden und von einer benennbaren Person wahrgenommen. Bei einer dieser Vorstellung nützlicher ›Erfahrung‹ dürfte sich eine populäre Form frühen empirischen Denkens niederschlagen, wie wir es etwa von Francis Bacon, Thomas Hobbes oder John Locke schon im 17. Jahrhundert philosophisch reflektiert kennen. »Der Mensch«, sagt Bacon im Neuen Organon (1620), »wirkt und weiß nur so viel, wie er von der Ordnung der Natur durch die Sache oder den Geist 68 Georg Greflinger : Die grausame Tragoedia vom Deutschlande, Ist eine Erzählung des Deutschen Krieges. Von 1618 biß 1648. O.O.u.J. Das Exemplar der Hamburger Stadtbibliothek scheint verloren zu sein. Zitiert wird der Text nach Blühm, Neues über Greflinger, S. 90. 69 [Georg Greflinger]: Der unterrichtete Student / Oder : Ein Academischer Discours zwischen zweyen Freunden Seladon und Damon. In: Johann Balthasar Schuppii Schriften. Hamburg 1668, S. 202–248, 459–460 [fälschlich pag. als 259]. 70 Vgl. Paul Münch (Hg.): Erfahrung. Über den wissenschaftlichen Umgang mit einem Begriff. In: Heft 16 der Essener Unikate. Berichte aus Forschung und Lehre. Essen 2001, hier besonders: Paul Münch: Schule des Augenmaßes? Zur Problematik historischer Erfahrung, S. 30–41.

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beobachtet hat; mehr weiß oder vermag er nicht.«71 Viele Aspekte seines Wissens beruhten auf zufälligen Erfahrungen, nicht auf einer systematischen Erforschung der Welt und ihrer Naturgesetze. Dass Georg Greflinger die konkreten Erfahrungen des Menschen in wieder erkennbaren Regionen als ostentative Grundlage seiner poetischen Texte wichtig sind, zeigt ein Gedicht, das erstmals 1654 in Seladons Beständiger Liebe unter dem Titel »Sein Erstes an Floren«72 und dann in den Poetischen Rosen und Dörnern von 1655 unter dem Titel »Beschreibung seiner selbst« veröffentlicht wurde;73 hier vermerkt der Sprecher im Habitus und im komischen Ton eines einfachen Bauern: Ich kann nicht[s] von Schlachten sagen/ Sprach auch keinem Feinde Hohn/ Mancher hat ein Huhn erschlagen/ Schreyet von Occasion/ Lüzen liegt auff vieler Zungen/ Wenig haben da gerungen.74

Es ist nicht gleichgültig, ob man in Lützen war oder nicht, wenn man über die berühmte Schlacht in welcher Form auch immer berichtet. Mangelnde Erfahrungen verpflichten zur Zurückhaltung wie Kriegserinnerungen zur Mitteilung. In welcher Weise die eigene ›Erfahrung‹ zum Moment der Autorinszenierung wird, zeigt besonders gut ein biographisches Gedicht, das der Celadonischen Musa aus dem Jahre 1663 vorangestellt wurde. Das allograph auftretende Widmungsgedicht An seinen von Jugend auff bekannten und getreuen Freund Celadon wurde mit »Columbin« unterzeichnet. Die vermeintliche Fremdwahrnehmung verleiht der Darstellung konkreter Erfahrungen des Dichters eine höhere Authentizität. Gleichzeitig konstatiert das Gedicht auch eine besondere Dichternähe, da in der ersten Strophe des Gedichts »Celadon / mein ander ich« nennt.75 Er kann über die Kinder- und Jugenderlebnisse des Autors also besonders gut berichten. Da von Columbin sonst kein Text bekannt ist und hier eine besondere Nähe zu Greflinger aufgebaut wird, hat man in der Forschung vermutet, Greflinger habe sich hier selbst besungen.76 Ein Argument hierfür ist 71 Francis Bacon: Aphorismen über die Interpretation der Natur und das Reich des Menschen. In: Empirismus. Geschichte der Philosophie in Text und Darstellung. Hg. v. Güntzer Gawlick. Stuttgart 1980, S. 26–49, hier S. 26. 72 [Georg Greflinger : ] Seladons Beständiger Liebe. Frankfurt/M. 1654 [unpag., S. 1]. 73 Georg Greflinger : Poetische Rosen und Dörner / Hülsen und Körner. Hamburg 1655, Nr. XXXV. 74 Greflinger, Poetische Rosen, Nr. XXXV. 75 [Georg Greflinger,] Celadonische Musa, [unpag., S. 5]. 76 Vgl. Oettingen, Über Georg Greflinger, hierzu C. Walthers Besprechung und Ergänzung im Anzeiger für deutsches Altertum und Literatur 10 (1884), S. 80–127, hier S. 101.

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auch, dass das Vorwort Greflingers nicht eigens mit Namen gekennzeichnet ist. Deshalb wirkt es so, als seien beide Texte, Vorwort und Widmungsgedicht, aus einer Hand. Beweisen kann man das freilich nicht. Als zentraler biographischer und überhaupt einziger lyrischer Paratext der Celadonischen Musa steuert das Gedicht jedenfalls die Lektüre der wichtigsten Gedichtsammlung des Autors erheblich. Programmatisch scheint schon der einfache Rhythmus der vierhebigen Trochäen in der Ode zu sein, so, als hätte der Autor Greflinger nicht bei August Buchner studiert oder seine berühmten Daktylen absichtlich überhört;77 der einfache, ja unbeholfene Ton der Verse nimmt in der Metrik die Hirtenstilisierung Greflingers auf: GOTT! Was kann ein Mensch beleben! Was wird offte vorgebracht/ Da[s] man nie hatt’ angedacht/ Mag ich nicht die Hand auffheben Und mich wundern über dich/ Celadon / mein ander Ich.78

Das in einem biographischen Text erwartbare ›erleben‹ im ersten Vers ersetzt der Sprecher durch ein poetologisch deutbares ›beleben‹. Den Gedanken einer wunderbar, ja, erdichtet scheinenden Biographie führen die nächsten Verse der Strophe fort. Dem Schöpfer-Gott der anfangs gesetzten Exklamatio steht so selbstbewusst oder reichlich naiv der Dichter seines eigenen Lebens gegenüber. Die nächste Strophe spielt folgerichtig auf Greflingers Dichtererfolg, seine Krönung zum poeta laureatus durch den Hamburger Schriftsteller und Pfarrer Johann Rist, Leiter des Elbschwanenordens, im Jahre 1653 an: Einen Krantz von Lorberzweigen Auff dein grauen Häupt gesetzt/ Freund/ das wird sehr groß geschätzt Und zumal vor großen zeugen. Grösser/ daß der große Rist Selbsten dein Bekröner ist.79

Die Dichterkrönung wird nun zum Anlass einer biographischen Analepse, in der der schwere Weg vom naiven Hirten zum gefeierten Dichter besungen wird: O wie stehstu nun verändert/ Gegen jener trüben Zeit/ Da wier beyde weit und breit 77 Vgl. Philipp von Zesen: Dactylisches Sonnet an den Edlen und Weltberühmten Herrn August Buchnern / über die Erfindung der Dactylischen und Anapästischen Verse. In: Gedichte des Barock. Hg. v. Ulrich Mach8 und Volker Meid. Stuttgart 1980, S. 128–129. 78 Greflinger, Celadonische Musa, [unpag., S. 5]. 79 Greflinger, Celadonische Musa, [unpag., S. 5].

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Elend haben rum geschländert/ Da uns vor der Kriegsgefahr Berg und Wald zur Wohnung war.80

Die Flucht vor den Kriegsgräuel erscheint im 17. Jahrhundert als nachvollziehbare Erfahrung. Die Verwahrlosung wurde schon von Zeitgenossen als ernst zu nehmende Kriegsfolge gesehen und etwa von Grimmelshausen im Simplicissimus aufgegriffen. Die nächsten Strophen zeigen den Weg Celadons in die Zivilisation: Da ich in den dicken Büschen Hungrig dir zur Seiten saß/ Und mit dir die Eckern aß Unsern Magen zu erfrischen/ Welches uns doch so bekam Daß es alle Krafft benahm Da dein Vater dier zu Füssen Durch den Feind erschossen lag/ Dachtestu wol solchen Tag Dieser Ehre zu genüssen? Nimmermehr. Des Vaters Tod War auch deine Tods Noht. Minders nicht / das von den Flammen All dein Haab zu Grunde gieng/ Daß kein Stock am andern hieng. Da auch all dein Blut zusammen Mutter/ Brüder über ein Eines Todes musten seyn. Dieser aller Fall und Sterben Brachte dich zur guten Stadt/ Die die stärckste Brücken hat/ Deine Nahrung zu erwerben/ Die auch in das sechste Jahr Deine treue Pflegrin war.81

Unschwer ist in der letzten Strophe eine konkrete örtliche Anbindung des besungenen Greflingers zu hören, der nun allein zu agieren scheint. Die Stadt mit der steinernen Brücke ist natürlich Regensburg, die erste Bildungsstation. Sie bietet dem um Familie und Hof gebrachten Jüngling Nahrung und freundliche Einhegung. Auf den konkret benannten tiefen »Fall« der Familie folgt ein erster örtlich anbindbarer Höhepunkt: Celadon aus Regensburg ist geboren. 80 Greflinger, Celadonische Musa, [unpag., S. 5]. 81 Greflinger, Celadonische Musa, [unpag., S. 5f.].

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Diese trieb dich in die Bücher/ In dem Orte wol bekannt/ Die Poeten Schul genannt/ Doch ich weiß und sag es sicher Daß du Reyhmen unternahmst Eh du einst zur Fibel kamst.

Mit Poetenschulen bezeichnete man eine bestimmte Form des kommunal finanzierten Gymnasiums in der Frühen Neuzeit. Gemeint ist hier die 1505 gegründete Regensburger Lateinschule, das spätere reichsstädtische Gymnasium. Im Gedicht korrespondiert die Schulbezeichnung mit dem später sichtbaren Talent zur Reimkunst. Dass das Ingenium hier eigens betont wird, hängt mit der spezifischen Inszenierung Greflingers als ›naivem Hirten‹ zusammen, der seinen spezifischen Blick auf die Welt bei aller späteren Gelehrtheit und Erfahrung niemals aufgab. Um seine ›naive‹ Abkunft und sein Naturtalent zum Reimen nochmals zu betonen, folgt eine erneute Analepse, die zurück in die Kindheit führt: Da wir noch in Kinder Freuden Eh der Krieg uns hat verzehrt Unser Eltern Lämmer Herd Pflagen an der Asch zu weyden/ Rymtestu schon auf ein Lam Wann es von der Mutter kam. […]82

Dann erst folgt die Aufzählung weiterer Orte und Personen der dichterischen Förderung. Trotz der guten Ausbildung und Förderung blieb dem Besungenen aus materieller Not nichts anderes übrig, als sich den Verdienstmögkeiten des Krieges zu verschreiben. Unklar bleibt, ob Greflinger tatsächlich Soldat oder ›nur‹ Kriegsberichterstatter wurde. Doch was halffs? Wie viel du strebtest Was zu seyn in dieser Kunst/ War es doch sehr viel umsunst/ Daß/ weil du entmittelt lebtest/ Du sehr offt von ihr entkamst Und den Krieg zur Nahrung nahmst. […]83

Die nächste Strophe lamentiert, dass sich Greflinger fast damit abgefunden habe, »Marspiters sein Sclav zu seyn.«84 Schließlich findet er aber zur Poesie zurück. Die beiden letzten Strophen setzen bäuerliche Herkunft und Dichterkrönung nochmals in Bezug und verbinden den Dichter durch die explizite Nennung 82 Greflinger : Celadonische Musa, [unpag., S. 6]. 83 Greflinger : Celadonische Musa, [unpag., S. 7]. 84 Greflinger : Celadonische Musa, [unpag., S. 7].

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Rists mit dem jetzigen, auch auf dem Titelblatt genannten Wirkungsort Hamburg. Ein letztes Mal Columbin: Bistu schon vom Bauern kommen/ Frage gleichwol nicht darnach Daß ein Bier= und Schmauch=Gelach Dich zum Wort hat fürgenommen/ Narren Schimpf hat wenig Krafft/ Wann dich nur kein Weiser strafft.85

Denn Alkohol und Tabak galten als probate, allerdings nicht von allen geschätzte Inspirationsmittel des Poeten. Trag die Krohne/ dier zu Ehren Auf dein grauend Haupt gesetzt/ Wann Herr Rist dich würdig schätzt Dier dieselbe zu zu kehren/ Ey was achtestu dann viel/ Was ein Thor und Esel will.86

Indem das Gedicht auf die Lorbeeren der ersten Strophe zurückkommt und nochmals die Dichterkrönung Rists erwähnt, windet es gleichsam diesen Kranz erneut. Diese Ehrung wird als so würdig ersehen, dass sie immun macht gegenüber ungerechtfertigter Kritik; wenn wir uns erinnern, dass die Ehrung eines Menschen niederer Abkunft nach Celadon weit höher einzuschätzen sei als die einer Standesperson, so können wir sehen, welche Bedeutung die späte Würdigung seines Schaffens für Greflinger wirklich hatte.

3.

Catharina Regina von Greiffenberg: »Wer kann diesem Mund gleichsingen?«87

Der Präses des Pegnesischen Blumenordens, Sigmund von Birken, spart in seiner anonymen Vor-Ansprache zum edlen Leser, die den Geistlichen Sonnetten / Liedern und Gedichten (1667) von Catharina Regina von Greiffenberg vorangestellt ist, nicht an Superlativen, um das poetische Können der Autorin zu beschreiben. Sie singe unvergleichlich, ästhetisch anspruchsvoll und durch Gott selbst inspiriert. Größer könnte der Kontrast der bekanntesten Dichterin des Barock zu Georg Greflinger kaum sein. Die Abbildung zeigt den anonymen 85 Greflinger : Celadonische Musa, [unpag., S. 8]. 86 Greflinger : Celadonische Musa, [unpag., S. 8]. 87 [Sigmund von Birken:] Vor-Ansprache zum edlen Leser. In: Catharina Regina v. Greiffenberg: Sämtliche Werke. 10 Bde. Hg. v. Martin Bircher / Friedhelm Kemp. Millwood (N.Y.) 1983, Bd. I, unpag., fol. )( vijr–)()( ixr, Zitat: fol. )()( viijr.

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Kupferstich88 aus der Leichenpredigt von Georg Albrecht Hagendorn, die 1694 in Nürnberg erschienen ist.89

Abb. 4: Anonymer Kupferstich aus der Leichenpredigt auf Catharina Regina von Greiffenberg.a) Stadtbibliothek Nürnberg, Will II 793.28.a) Georg Albrecht Hagendorn: Des Glaubens Geheime Süssigkeit / Welche/ In der Gnade Gottes/ Nach den Worten des Hohenlieds […] / Die […] Frau Catharina Regina / Frau von Greiffenberg […] bis an das Ende Dero Sterblichkeit / so da erfolgte. Nürnberg 1694.

Hagendorn war Diakon der Nürnberger Lorenzkirche und Beichtvater der Dichterin. Entsprechend seinem Veröffentlichungsort und der Profession des Verfassers haben wir es hier mit einem religiös zugespitzten Porträt der geistlichen Dichterin zu tun. Die Kranzinschrift bezieht sich auf ihre stets ausgestellte Jesus-Minne: »Was will ich mehr/ wündschen wann / JESUM / ich habe / O

88 Vgl. Skowronek, Autorenbilder, S. 136–143. 89 Vgl. Georg Albrecht Hagendorn: Des Glaubens Geheime Süssigkeit […] 1694. In: Greiffenberg, Sämtliche Werke, Bd. I, S. 482–491.

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JESU / meine Allheit / in Allem mich labe«.90 Die Inschrift scheint mir kein überliefertes Zitat der Dichterin zu sein; es kann aber unschwer auf ihre Glaubensprinzipien, ihr Vokabular und ihre Texte bezogen werden; im ersten Epigramm der Spruch=Reime heißt es etwa: JEsu/ meine Wunder=Allheit! Wunschbeseelig mich mit dir. Wann ich diesen Haupt=Wunsch kriege/ opffer’ ich all andre Gier.91

Angesprochen ist wie in der Inscriptio Jesus als Allheit, der der Wunsch der eigenen Beseelung durch Christus entgegengebracht wird. Die radikale Hinwendung zu und Beseelung durch Jesus erübrigt alle anderen Wünsche. Die hier angedeutete, sich gegenseitig steigernde Oszillation zwischen poetischer Inspiration und Lob Gottes gehört zu den Grundprinzipien der Greiffenberg’schen Poetik.92 Dabei wird die göttliche Beseelung als besondere Gnade aufgefasst, die allein der geistlichen Lyrik dienen darf. Diese Konzentration auf das Geistliche, diese Ausschließlichkeit poetischer Ausrichtung rechtfertigt einerseits das Dichten als Frau, deren Pflichten mehr noch als die männlichen in der Reglung der Hausangelegenheiten lagen, andererseits die augenscheinlich ›ungelehrte‹ Autorschaft. Denn Frauen war der höhere Bildungsweg im 17. Jahrhundert in der Regel noch verwehrt. Das Eingangs-Sonett der Geistlichen Sonnette, Lieder und Gedichte (1662) von Catharina Regina von Greiffenberg, betitelt Christlicher Vorhabens=Zweck vermittelt genau dieses Programm: Ach Allheit/ der ich mich in allem hab ergeben/ mit allem was ich bin/ beginne/ denk und dicht! zu deiner hohen Ehr mein Spiel und Ziel ich richt. ach laß den Engel-Zweck/ dein Lob laß mich erstreben. Laß nichts/ als was dich liebt und lobet/ an mir leben. Ach gib mir Hitz’ und Witz/ zu richten meine Pflicht. versag/ den Geistes=Strom/ die Flügelflamm / mir nicht. ja mach den Muht zu Glut: dich brünstig zuerheben!93 (I, 1)

Die vollständige Hingabe in allem Handeln, Denken und Fühlen an Gott lizensiert das Dichten, das selbst einzig dem Lob Gottes dient und nur auf der In-

90 Inschrift im Porträt von Catharina Regina von Greiffenberg: vgl. die Abbildung in: Möbus (Hg.), Dichterbilder, S. 27. 91 Greiffenberg, Sämtliche Werke, Bd. I, S. 404. 92 Vgl. etwa Conrad Wiedemann: Engel, Geist und Feuer. Zum Dichterselbstverständnis bei Johann Klaj, Catharina Regina von Greiffenberg und Quirinus Kuhlmann. In: Literatur und Geistesgeschichte. FS Heinz Otto Burger. Hg. v. Reinhold Grimm und Conrad Wiedemann. Berlin 1968, S. 85–109. 93 Greiffenberg, Sämtliche Werke, Bd. I, S. 1.

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spiration durch Gott beruhen kann, auf dessen »Geistes=Strom«, auf seiner buchstäblichen Befeuerung. Sigmund von Birkens Vor-Ansprache zum edlen Leser, die den Gedichten als männlich-gelehrte Rechtfertigung und Leseanweisung vorangestellt ist, bereitet diese spezielle religiöse Dichtungslizenz vor. Sie beginnt aber mit einem Lob der Dichterin und ihrer Fähigkeiten: Von der Fürtrefflichkeit/ und insonderheit von der Geist= und Kunstfähigkeit / des lieblöblichen Frauenzimmers zu schreiben / ist die Arbeit / die ein ganzes Buch erfordert und nur von etlichen Blättern nicht kann umschränket werden.94

Es folgt dann eine lange Reihe von Beispielen schreibender Frauen aus der Antike und der Bibel, in die Catharina Regina von Greiffenberg schließlich eingeordnet wird; dabei nutzt Birken das Vokabular und die poetologische Vorstellungswelt der Gelobten: Daß auch unsere Zeiten / von dergleichen geist-feurigen Kunstgöttinnen / von Himmelklingenden Uranien […] geadelt worden: solches haben anfangs-erwehnte Kunstfedern […] genugsam erwiesen […]. Nur einer einigen lob-gebührlich zugedenken / so behauptet auf sich mit recht den Namen einer wahren Uranie und himmlischen KunstSangerinn / die Wollgebohrne Freulein / Freulein Catharina Regina von Greiffenberg / gebohrene Freyherrinn von Seyßenegg / durch gegenwärtige übertreffliche Sinnbruten.95

Das den Paratexten folgende Titelblatt benennt die Dichterin als deutsche Uranie: »Der / Teutschen Uranie / Himmel-abstammend= / und Himmelaufflammender / Kunst-Klang / in / dritthalb-hundert / Sonneten oder Klinggedichten.«96 Als Urania wird jene der neun Musen bezeichnet, die sich mit geistlichen Dingen befasst. Ihr wird – wie auf dem Titelblatt – eine besondere Beziehung zum Himmel und den Sternen nachgesagt. Diesen Bezug deutet Birken in seiner poetologischen Vor-Ansprache als göttliche Inspiration: »Daß der Poetische Geist und die Dichtkunst vom Himmel einfliesse / ist ein alter und wahrer Lehrspruch«.97 Doch nicht jeder wäre, anders als »unsre Uranie« empfänglich für diese Gnade. Deren »zart-schöne Hände« wüssten »auf der himmlischen Dichter-Harfe nur lauter-unvergleichlich zu spielen.«98 Ihre Dichtkunst wird in der Vor-Ansprache zum poetischen Ideal erklärt, da die wahre Poesie bei Birken geistliche Poesie zum Lobe Gottes sei:

94 95 96 97 98

Greiffenberg, Sämtliche Werke, Bd. I, Vor-Ansprache, fol. )( vijr. Greiffenberg, Sämtliche Werke, Bd. I, Vor-Ansprache, fol. )()( vjv. Greiffenberg, Sämtliche Werke, Bd. I, fol. )()( xijr. Greiffenberg, Sämtliche Werke, Bd. I, Vor-Ansprache, fol. )()( vijr. Greiffenberg, Sämtliche Werke, Bd. I, Vor-Ansprache, fol. )()( viijr.

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Gleichwie aber / die Göttliche Dichtkunst / von Himmel flammet: also soll sie hinwiederum / von der Erden / gen Himmel flammen. Auf der / von Himmel herabgelassenen Orfeus-Harffe / soll man / den Himmel und seiner Gottheit zu Ehren / Lieder spielen. Die Dichterflamme / ist nicht irdisch: darum soll sie auch nicht im irdischen brennen.99

Diese Poetik geistlicher Dichtung hat Birken in seiner etwas später erscheinenden Teutschen Rede-bind und Dicht-Kunst (1679) ausgeführt. Sie gehört neben dem Pegnesischen Schäfergedicht (1644) von Klaj und Harsdörffer und dem Poetischen Trichter Harsdörffers (1647–53) zu den zentralen Programmtexten der Nürnberger Dichterszene, insbesondere in seiner Spätphase. Birken war von 1658 bis zu seinem Tod Präsident des Blumenordens, dem Catharina Regina von Greiffenberg wohl nur deshalb nicht beitrat, weil es ihrem adeligen Selbstverständnis nicht entsprach.100 In seiner Poetik hat Birken die »Geistlichen Lieder« als die wichtigste lyrische Gattung hervorgehoben und angemahnt, dass im Grunde »dergleichen […] billig alle Lieder seyn sollten.«101 So wie die Dichtungen der Greiffenberg; denn Diß thut unsre Himmel-klingende Uranie: Sie brennet von Göttlicher Lob=begierde / und von Verlangen nach Tugend und Weißheit; Sie flammet in himmlischer Liebesglut gegen ihrem ewigen Seelen=Liebhaber deme zu Ehren sie allhier / nicht Worte / sondern lauter Geistes-funken ausseuffzet.102

Die metaphorische Beschreibung der poetischen Tätigkeit Catharinas korrespondiert mit dem Frontispiz des Gedichtbandes. Uranie spielt die Himmelsharfe, die unmittelbar mit dem im Himmel zu sehenden heiligen Geist verbunden ist. Auf dem Felsen lesen wir Uranie und die Angaben des eben zitierten Titelblatts. Die metaphorische Sprache erinnert aber auch an Birkens Widmungsgedicht zu den Geistlichen Sonnetten / Liedern und Gedichten. Die Verse, die Catharina beschreiben, benutzen das Vokabular petrarkistischer Liebeslyrik. Sie loben zwar die geistigen Fähigkeiten seiner ›innig-Freundin‹, heben aber trotzdem in ungewöhnlicher Weise auf ihre Körperlichkeit, ja, sexuelle Attraktivität ab; ich zitiere die zweite Strophe, die neben den körperlichen Reizen auch die Klugheit Catharinas als attraktives Moment betont.

99 Greiffenberg, Sämtliche Werke, Bd. I, Vor-Ansprache, fol. )()( viijv. 100 Vgl. Renate Jürgensen: Melos conspirant singuli in unum. Repertorium bio-bibliographicum zur Geschichte des Pegnesischen Blumenordens in Nürnberg (1644–1744). Wiesbaden 2006 (Beiträge zum Buch- und Bibliothekswesen, 50), S. 448 und 508. 101 Sigmund von Birken: Teutsche Rede-bind und Dicht-Kunst. Reprint der Ausgabe Nürnberg 1679. Hildesheim 1973, S. 189. 102 Greiffenberg, Sämtliche Werke, Bd. I, Vor-Ansprache, fol. )()( ixr.

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Eine Schnee-Alpaster-Stirn (die mit güldnem Locken-zwirn Sonne-strahlend ist behangen/) Männer-hertzen an sich rückt: jeder wünschet sich bestrickt und in dieses Netz gefangen. Wie / wann unter Haar und Stirn wohnt ein göttlich Geist-Gehirn? ach die selbste Lieb / zu lieben so ein Bild / sich fühlt getrieben.103

* Vorgestellt wurden drei unterschiedliche Autorinszenierungen des Barock. Obwohl die Inszenierungen autornah, das heißt im unmittelbaren, paratextuellen Umfeld eigener Werke erfolgten, zeichnen meist andere dafür verantwortlich. Dieser allographe Modus entspricht dem uns auch heute gängigen rhetorischen Prinzip der captatio benevolentiae sehr gut, nämlich übertriebenes Eigenlob zu vermeiden. Eine gewisse Ausnahme bildet hier Greflinger, der sich das Image des nichtgebildeten und wahrheitsliebenden Autors gibt und deshalb etwas weniger an rhetorische Simulationen gebunden scheint. Aber auch bei ihm wird das zentrale biographische Widmungsgedicht einem anderen, wenn auch nicht identifizierbaren Autornamen zugeordnet. Als Verfahren der Autorinszenierungen werden sowohl eher mimetische (Gryphius) als auch eher sinnbildliche Abbildungen (Greiffenberg, Greflinger) verwendet, deren Einbindung nicht selten wie ein Emblem gestaltet ist. Hinzu kommen stets Widmungsgedichte, Vorreden und sogar Briefauszüge (wie bei Gryphius). Der paratextuelle Aufwand barocker Autorinszenierungen, die der Positionierung im kulturellen Feld dienen, ist im Vergleich zu anderen Epochen sicherlich enorm und wohl auch ein Spezifikum der Zeit.104 Persönliche Akzente werden – wie in der Einleitung zum Epicedium auf Anna Rosina Gryphius – kaum verwendet, wohl aber charakteristische Merkmale, die sich dann in den Dichtungen wiederfinden sollen: Gelehrtheit und Redevermögen bei Gryphius, Frömmigkeit und Inspiration bei Greiffenberg, Wahrheitsliebe und Einfachheit bei Greflinger. Immer wieder bieten die Autorinszenierungen im Barock nicht sogleich Erwartbares: etwa das petrarkistische Frauenlob in Birkens Widmungsgedicht an Catharina von Greiffenberg, das – fast legitimatorisch – auch die geistigen Fähigkeiten mit einbezieht, die Kran103 Greiffenberg, Sämtliche Werke, Bd. I, Sonnet, fol. )()( xv. 104 Vgl. Frieder v. Ammon / Herfried Vögel (Hg.): Die Pluralisierung des Paratextes in der Frühen Neuzeit. Theorie, Formen, Funktionen. Berlin 2008.

Gryphius, Greflinger und Greiffenberg

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kengeschichte von Anna Rosina Gryphius oder die Kriegserinnerungen Greflingers.

Klaus Matthäus

Die Utopie des Altdorfer Professors. »Der Kleinen Atlantis- oder Zweyten Neuen Welt-Kalender« von Johann Christoph Sturm

Als 1669 durch den Tod von M. Abdias Trew der Altdorfer Lehrstuhl für Mathematik und Physik frei geworden war, konnte der bisherige Pfarrherr von Deiningen in der Grafschaft Oettingen, Johann Christoph Sturm, der durch einschlägige Veröffentlichungen hierzu qualifiziert war, dessen Nachfolge antreten. Seine Berufung gereichte der Altdorfer Universität, wie schon die Zeitgenossen feststellten, zweifellos zum Vorteil. Sturm wurde am 3. November 1635 im pfalz-neuburgischen Hilpoltstein geboren, wo sein Vater beim evangelischen Pfalzgrafen Johann Friedrich Hofbediensteter war. Nach dessen Tod 1644 gab es für die Familie im rekatholisierten Fürstentum des bereits 1613 konvertierten Pfalzgrafen Wolfgang Wilhelm keine Bleibe mehr und sie flüchtete in die nahe Reichsstadt Weißenburg, wo Sturm die Lateinschule besuchte. Dank der Bemühungen seines Vaters, der am Hof der (evangelischen) Grafen von Oetttingen in Oettingen eine Anstellung gefunden hatte, wurde der junge Sturm anschließend im Hause des Nürnberger Predigers Daniel Wülfer aufgenommen, der ihm nach kurzer Zeit durch die Verschaffung eines Stipendiums das Theologiestudium in Jena ermöglichte. Auch Wülfer hatte in Jena studiert und lehrte danach zunächst am Egidiengymnasium Logik, Metaphysik und Physik. Vielleicht hat er das Interesse Sturms an diesen Themen geweckt, der in Jena neben der Theologie auch bei dem berühmten Erhard Weigel Mathematik und Physik hörte. 1658 erhielt Sturm den philosophischen Magistergrad. Nach einem Studienjahr in Leiden, das der Physik gewidmet war, kehrte er wieder nach Jena zurück und hat dort sein theologisches Studium abgeschlossen. Ende 1662 wieder in Nürnberg fand er zunächst bei seinem Gönner Wülfer eine Anstellung als Hauslehrer. Über seine Verbindungen zum Oettinger Hof gelang es Sturm, 1664 eine Pfarrstelle in Deiningen und Klosterzimmern östlich von Nördlingen zu erlangen. Deiningen war wegen der Gemengelage der oettingischen Grafschaften ein gemischt kon-

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Klaus Matthäus

fessioneller Ort, was einen umsichtigen Pfarrherrn erforderte. Dennoch fand er dort Gelegenheit, seine naturwissenschaftlichen Arbeiten fortzusetzen.1 Sturms Rang in der Wissenschaftsgeschichte ist jüngst neu bestätigt worden. Seine Berufung auf die Altdorfer Professur wurde unlängst als »ein Glücksfall für die deutsche Naturwissenschaft« bezeichnet, wegen der in die Zukunft weisenden Impulse, die er dem von ihm vertretenen Fach gab.2 Bereits 1672 offerierte Sturm im Rahmen seiner Lehrtätigkeit erstmals ein »Collegium Experimentale«, in dem physikalische Experimente im Sinne einer Ursachenforschung der Naturerscheinungen durchgeführt wurden. Die sich seit der Mitte des 17. Jahrhunderts etablierende experimentelle Methode der Physik hat Sturm mit regelmäßigen Veranstaltungen in den universitären Kontext eingefügt und über eine lehrbuchmäßig festgehaltene Systematik zum festen Bestandteil des akademischen Unterrichts gemacht. Altdorf nahm so unter den europäischen Universitäten eine Vorreiterstelle ein. Die zentrale Bedeutung des Collegiums resultiert nicht aus der Weiterentwicklung neuer Experimente, sondern aus der Weitergabe seiner Methode an andere Universitäten. Über Christian Wolff prägte die Sturmsche Wissenschaftssystematik, die dem reflektierten Experiment einen festen Platz einräumte, die an den deutschen Universitäten gelehrte Naturlehre bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts.3 Für Sturm und seine Zeit war das Fach Physik als Naturlehre eine philosophische Disziplin. Als philosophische Arbeitsmethode hatte Sturm von Anfang seiner Lehrtätigkeit an die Eklektik übernommen, die ihm als die »einzig wahre und echte Art des Philosophierens« erschien.4 Sie sollte nicht Beliebigkeit bedeuten, sondern eine unvoreingenommene, von jeder starren Schulbildung freie 1 Vgl. Hans Gaab: Zur Biographie von Johann Christoph Sturm (1635–1703). In: Johann Christoph Sturm (1635–1703). Hg. v. Hans Gaab / Pierre Leich / Günter Löffladt. Frankfurt/M. 2004 (Acta Historica Astronomiae, 22), S. 12–85; Hans Gaab: Bibliographie zu Johann Christoph Sturm. In: ebd., S. 250–328; Klaus Matthäus: Sturm als Kalendermacher. In: ebd., S. 226–249. Weiter Klaus Matthäus: Der Atheist Matthias Knutzen streifte Altdorf (1674). Johann Christoph Sturm und seine Stellungnahme gegen die Gewissener von 1675. In: Zeitschrift für bayerische Kirchengeschichte 75 (2006), S. 56–86; Klaus Matthäus: Johann Christoph Sturm und sein Eitelkeiten-Calender, verfaßt unter dem Pseudonym Alethophilus von Uranien. In: Alethophilus von Uranien [Johann Christoph Sturm]: Eitelkeiten-Calender (Eitler Werck-Calender) für das Jahr 1669. Reprogr. Ndr. hg. von Klaus-Dieter Herbst. Jena 2010 (Acta Calendariographica, Kalenderreihen 2/1), S. 19–54. Danach auch die folgenden Ausführungen zu Sturm, soweit sie nicht den Utopie-Kalender betreffen. 2 Michael Albrecht: Eklektik. Eine Begriffsgeschichte mit Hinweisen auf die Philosophie- und Wissenschaftsgeschichte. Stuttgart-Bad Cannstatt 1994 (Quaestiones. Themen und Gestalten der Philosophie, 5), S. 309–357, hier S. 311. 3 Vgl. Gerhard Wiesenfeldt: Das Collegium experimentale sive curiosum und die Anfänge experimenteller Naturlehre in Deutschland. In: Gaab/Leich/Löffladt, Sturm (wie Anm. 1), S. 184–202; Gerhard Wiesenfeldt: Leerer Raum in Minervas Haus. Experimentelle Naturlehre an der Universität Leiden, 1675–1715. Amsterdam 2002, S. 307f., 333, 344–346. 4 Albrecht, Eklektik (wie Anm. 2), S. 317.

Die Utopie des Altdorfer Professors

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Betrachtungsweise gewährleisten. Die eklektische Methode bot Sturm die Möglichkeit, über die Auseinandersetzungen der Aristoteliker und Cartesianer seiner Zeit hinaus, offen für neue Erkenntnisse und Einsichten zu sein. Es gelte die Aussagen der Philosophen, von denen keiner die volle Wahrheit erfassen könne, abzuwägen. Sturms undogmatische Grundauffassung wirkte bis in das 18. Jahrhundert hinein. »Von Wolff bis Kant allgemein begrüßt«, ist die Eklektik als Wissenschaftsprinzip allgemein akzeptiert worden. Sie wird als »erste philosophische ›Schule‹ der deutschen Aufklärung bezeichnet«5. Als Naturwissenschaftler war Sturm ferner ein überzeugter Anhänger der Physikotheologie.6 Mit dem Konzept eines »intelligent Design« wollte die physikotheologische Argumentation Theologie und Naturwissenschaft in einen vernunftgemäßen Einklang bringen. Nach ihrer teleologischen Begründung führt die Erkenntnis der Ordnung der Natur zur Erkenntnis Gottes. In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts in England formuliert, konnte diese Lehrmeinung als Ausdruck eines aufgeklärten Zeitalters mit Beginn des 18. Jahrhunderts in Deutschland festen Fuß fassen und erfuhr eine breite Popularisierung. Es seien nur die »Physica Sacra« von Johann Jakob Scheuchzer (1672–1733)7 sowie das »Irdische Vergnügen in Gott« von Barthold Heinrich Brockes (1680–1747) erwähnt. Physikotheologische Auffassungen werden heute eher fundamentalistischen Kreisen zugeordnet. Für die damalige Zeit sind sie als gewichtige Schubkräfte für eine moderne naturwissenschaftliche Welterklärung einzuschätzen. Sie boten in jener Epoche ohne Zweifel ein zukunftweisendes und erfolgversprechendes Konzept. Sturm gehörte in Deutschland zu den frühesten Vertretern dieser fruchtbaren Wissenschaftsposition. Ein umfangreiches wissenschaftliches Oeuvre begleitet die hohe Wertschätzung, deren sich Sturm in der damaligen Gelehrtenwelt erfreuend durfte. Diese wird auch damit bestätigt, dass ein Portrait von ihm – wahrscheinlich das erste eines deutschen Gelehrten – in den Versammlungsraum der »Royal Society« zu London aufgenommen wurde.8 Nun gibt es noch einen bis vor kurzem übersehenen, vergessenen Professor Sturm. Er hat sich nämlich auch bewusst an ein 5 Vgl. Manfred Gierl: Befleckte Empfängnis. Pietistische Hermeneutik, Indifferentismus, Eklektik und die Konsolidierung pietistischer, orthodoxer und frühaufklärerischer Ansprüche und Ideen. In: Strukturen der deutschen Frühaufklärung 1680–1720. Hg. v. Hans-Erich Bödeker. Göttingen 2008, S. 119–146, hier S. 139. 6 Zum Komplex der Physikotheologie vgl.: Enzyklopädie der Neuzeit. Hg. von Friedrich Jaeger. Bd. 9. Stuttgart 2009, Sp. 1175–1181 (Birgit Biehler); Historisches Wörterbuch der Philosophie. Hg. von Joachim Ritter und Karlfried Gründer. Bd. 7. Basel 1989, Sp. 948–955 (Stefan Lorenz); Religion in Geschichte und Gegenwart. Bd. 6. Tübingen 2003, Sp. 1328–1330 (Udo Krolzik). 7 Scheuchzer studierte 1692 in Altdorf und nahm an Sturms Collegium Experimentale teil. 8 Gaab, Biographie (wie Anm. 1), S. 47. Das Portrait ist im Internet abrufbar unter : www. pictures.royalsociety.org/image-rs-9684.

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breiteres Publikum gewandt – mit deutschen Texten – um dem Laien wie dem nicht in den Naturwissenschaften Bewanderten das zu vermitteln, was er als Professor vertrat. Er wollte herausstellen, dass sich Erklärungen des Naturgeschehens und damit der Schöpfung letztlich an die »gesunde Vernunft« als Richtschnur zu halten hätten. Dies wird exemplifiziert an der strikten Ablehnung beziehungsweise Widerlegung aller abergläubischen Vorstellungen und Konstrukte, wie sie vor allem die irrigen Lehren der Astrologie verbreiteten, die bedauerlicherweise noch immer viele seiner Zeitgenossen als Wahrheiten akzeptierten.9 »Gesunde Vernunft« ist nach Sturms Überzeugung ein unbedingt erforderliches Regulativ gesellschaftlichen Lebens.10 Dessen nicht zu übersehende Deformationen resultieren aus der Nichtbeachtung dieser Anforderung. Dies ist jedenfalls das Resümee eines utopischen Entwurfs, den Sturm in diesem Zusammenhang vorgelegt hat. Diese Utopie aus Altdorf ist bislang nicht als solche notiert worden. Die Forschungsliteratur zum Thema Utopie hat sie daher nicht berücksichtigt.11 Dabei handelt es sich nicht um einen bis jetzt unzugänglichen Text. Er liegt vielmehr quasi auf der Straße – nur hat ihn keiner aufgehoben, da er äußerlich eher wie ein Stück uninteressanter Makulatur wirkt. Der Text erschien nämlich in einem ordinären Jahreskalender und bringt die Beschreibung einer neuen Insula utopica, die Sturm in dem »Der kleinen Atlantis- oder Zweyten Neuen Welt-Kalender« in Fortsetzungen über 11 Jahre von 1690 bis 1700 veröffentlicht hat. Diese Kalendergeschichte des Altdorfer Professors wurde bis jetzt schlicht übersehen. Dem entsprechend fanden auch die vier weiteren Kalenderreihen Sturms keine Resonanz – das Willsche Gelehrten-Lexikon erwähnt sie nur kursorisch ohne Titelangabe.12 Im Zusammenhang meiner Arbeit zur Geschichte des Nürnberger Kalenderwesens ging ich erstmals auf die Sturmsche Kalenderproduktion ein, wobei ich mich vor allem auf die in Nürnberg erhal9 Vgl. Alethophilus [Sturm], Eitelkeiten-Calender (wie unten Anm. 1), S. 33. 10 Ebd., S. 31f. Ein in ebenfalls in diesem Kalender über alle Jahrgänge hinweg aufgeführtes »Narren-Register« bringt ein buntes Narrenpanoptikum als Beispiele eines Lebens ohne rechte Vernunft. 11 Der versteckte Text war Michael Winter (Compendium utopiarum, 1: Von der Antike bis zur deutschen Frühaufklärung. Stuttgart 1978) unbekannt. Er blieb daher auch unberücksichtigt von Richard Saage: Utopische Profile. Bd. 2: Aufklärung und Absolutismus. Münster 2002 (Politica et Ars, 2), S. 287–317: Multiplikatoren des utopischen Denkens in anderen europäischen Ländern (Deutschland u. a.) sowie bei Andreas Heyer: Sozialutopien der Neuzeit. Bibliographisches Handbuch. Bd. 2: Bibliographie der Quellen des utopischen Diskurses von der Antike bis zur Gegenwart. Münster 2009 (Poltica et Ars, 20). 12 Georg Andreas Will: Nürnbergisches Gelehrten-Lexicon. Bd. 3. Nürnberg, Altdorf 1757 (Reprint Neustadt a. d. Aisch 1997), S. 804.

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tenen Kalenderjahrgänge stützte.13 In der Folgezeit konnten zahlreiche weitere Exemplare nachgewiesen werden.14 Nun sind nahezu alle 51 Jahrgänge der fünf von Sturm verfassten Kalenderreihen bekannt – lediglich zwei stehen noch aus. Der Utopie-Kalender der kleinen Atlantis liegt jetzt vollständig vor. Eine komplette Folge besitzt die Universitätsbibliothek Münster15 mit der 1977 übernommenen Bibliothek des westfälischen Freiherrn August von Haxthausen (1792–1866), welche auch eine umfangreiche Kalendersammlung enthält. In ihr werden darüber weitere Sturmsche sowie andere Nürnberger Kalender des 17. Jahrhunderts überliefert.16 Zu erwähnen wäre, dass der Utopie-Kalender für 1690 Eintragungen des damaligen Herrnsheimer (bei Kitzingen) Pfarrers Johann Weinrich enthält, der ab 1669 in Altdorf studiert hatte.17 Der ehrenwerte, allseits anerkannte Professor Sturm hatte sich also unter die Kalendermacher eingereiht – eine Tätigkeit, von der Gelehrte damals eher Abstand nahmen. Neben dem bereits angedeuteten Motiv, sich an den Laien zu wenden, gab es dafür auch lokale Gründe. Sturms Vorgänger in der Altdorfer Professur, Abdias Trew, zählte eher zu den »Antiqui«18. Er war neben seiner Professur auch der vom Rat bestätigte offizielle Calendariographus der Reichsstadt Nürnberg gewesen, nach dessen Kalenderangaben sich die Bader und Barbiere beim Aushängen der Aderlassbinden zu richten hatten.19 Seit Jo13 Klaus Matthäus: Zur Geschichte des Nürnberger Kalenderwesens. Die Entwicklung der in Nürnberg gedruckten Jahreskalender in Buchform. In: Archiv für Geschichte des Buchwesens 9 (1969), Sp. 965–1396, hier Sp.1262–1265. 14 Weitere Nachweise lieferte zunächst Hans Gaab in seiner »Bibliographie zu Johann Christoph Sturm«, in: Gaab/Leich/Löffladt, Sturm (wie Anm. 1), S. 277–281: Kalender. Die abschließende Ergänzung brachte Klaus-Dieter Herbst: Verzeichnis der Schreibkalender des 17. Jahrhunderts. Jena 2008 (Acta Calendariographica – Forschungsberichte, 1), S. 68 und 153f. Hier konnten erstmals auch die Kalendersammlungen der Biblioteka Czartoryskich in Krakau und des Stadtarchivs Altenburg berücksichtigt werden (vgl. ebd., S. 16–18). 15 Die Jahrgänge sind jetzt im Internet einzusehen unter : urn:nbn:de:hbz:6:1–64317. 16 Vgl. Peter Heßelmann: August Freiherr von Haxthausen (1792–1866). Sammler von Märchen, Sagen und Volksliedern, Agrarhistoriker und Rußlandreisender aus Westfalen. Münster 1992 (Schriften der Universitätsbibliothek Münster, 8); die Seiten 168–170 des Ausstellungskatalogs zeigen Kalender aus Nürnberg. Ferner : Cornelia Czach: Die Bibliothek der Freiherrn von Haxthausen. In: Bibliothek in vier Jahrhunderten. Hg. v. Helga Oesterreich. Münster 1988 (Schriften der Universitätsbibliothek Münster, 2), S. 195–222, hier S. 218f. – Weitere Kalender aus der Bibliothek Haxthausen, meist Nürnberger Provenienz, sind abgebildet bei Kalender in Westfalen. Dokumentation. Hg. v. Alfred Bruns. Münster 1984, S. 33–52. 17 Auf den Rektoseiten April und May. Zu Weinrich (1645 oder 1651–1717) vgl. Wilhelm Dannheimer / Wilhelm Zahn / Georg Kuhr: Ritterschaftliches Pfarrerbuch Franken. Neustadt a. d. Aisch 1979 (Einzelarbeiten aus der Kirchengeschichte Bayerns, 58), S. 350. Es wäre zu überprüfen, ob diese Handschrift mit weiteren Eintragungen korrespondiert. 18 Gaab, Biographie (wie Anm. 1), S. 76. 19 Zu Trew vgl. jetzt Hans Gaab: Der Altdorfer Mathematik- und Physikdozent Abdias Trew (1597–1669). Astronom, Astrologe, Kalendermacher und Theologe. Frankfurt 2011 (Acta

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hann Schöner gehörte dies zu den Aufgaben des bestallten Mathematicus der Reichsstadt, der zunächst dem Gymnasium bei St. Egidien und dann der Altdorfer Akademie zugeordnet war.20 Wie vor ihm Kepler hatte sich sich Trew um eine »astrologia reformata« bemüht und er hielt daher an der Berechtigung von astrologisch begründeten Kalendervorhersagen fest. Bei aller Trew gegenüber gezeigten Wertschätzung wollte Sturm diese Tradition nicht fortsetzen. Unter seinem Namen erschienen vorerst keine Jahreskalender mehr. Doch das Publikum @ darunter auch »vornehme Leute« @ erwartete vom Altdorfer Mathematicus nach dem Exempel seines »weitberühmten Vorgängers« einen alljährlichen Kalender.21 Sturm ließ sich schließlich bewegen, unter seinem Namen einen Kalender eigener Art herauszubringen, der erstmals für 1676 unter folgendem Titel erschien: RechtAstronomischer, von allen Aberglaubischen Waarsagereyen und Ungewissheiten gesäuberter und Absonderlich so genannter Finsternissen-Calender.22 Im Vorwort begründete Sturm seine bisherige Zurückhaltung zum Kalenderwesen. Es sei freylich dahin kommen, daß unterschiedliche rechtschaffene Astronomi und Professores Mathematum sich bishero geschämet haben Calender zu schreiben, welches doch Ihnen von Rechtswegen eigenthümlich zustünde, und von niemand besser und nützlicher als von Ihnen könnte verrichtet werden; weil nemlich der schändliche Mißbrauch und Geldgeitz, anstatt rechter Astronomischer, des Nahmens Würdiger, Calender oder Jahrbücher, deren Nutzen die Christliche Kirche und das gemeine Wesen in der ganzen Welt genugsam bezeuget, ganze Karren voll vermessener Waarsagereyen, aberglaubischer Zeichendeutungen und anderer lüderlichen Chartecken […] eingeführet hat, unter welchen dann jene, ihren bisher belobten Nahmen mit eingemischt zu sehen, sich billich gescheuet haben.23

Voraussetzung, unter die Kalendermacher gegangen zu sein, sei gewesen, dass sein Verleger sich damit einverstanden erklärt habe, dass er, Sturm, den Kalender nach seinen Wünschen einrichten könne und alles ihm Missfallende auslassen dürfe.24 Der Kalender enthält eine rein naturwissenschaftliche, astronomische Erklärung der beiden für 1676 anstehenden Finsternisse und verzichtet auf jegliche astrologische Interpretation. Er bringt mehr ein astro-

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Historica Astronomiae, 42), S. 101–105: Trew als Kalenderschreiber ; S. 369–401: Kalender und Streitschriften. Zusammengefaßt bei Klaus Matthäus: Die offiziellen Nürnberger Kalenderschreiber. In: Astronomie in Nürnberg. Hg. v. Gudrun Wolfschmidt. Hamburg 2010 (Nuncius Hamburgensis. Beiträge zur Geschichte der Naturwissenschaften, 3), S. 185–195. Finsternissen-Calender 1676, fol. A3r (Reprint 2013 vgl. Anm. 25). Herbst, Verzeichnis (wie Anm. 14), S. 153. Finsternissen-Calender 1676, fol. A2v. Ebd., fol. A3r.

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nomisches Jahrbuch als einen gewohnten Jahreskalender. Über einen zweiten Jahrgang kam dieser Versuch nicht hinaus. Die Käufer blieben offenbar aus.25 Nach dem kurzlebigen »Finsternissen-Calender« dauerte es dann weitere zehn Jahre, bis Sturm sich noch einmal bewegen ließ, wieder einen Kalender unter eigenem Namen herauszubringen. Für 1687 erschien erstmals sein ebenfalls von allen abergläubischen Wahrsagereien gesäuberter Curiositäten-Kalender,26 dem er folgende Erklärung voransetzte: Ich habe mich nun das zweytemal bereden lassen diese, bey so vielfältig eingerissenem Unfug und schändlichen Mißbrauch, des seinem Ursprung nach heiligen Calenderwesens, wenig Ehre bringende Calender Arbeit auf mich zu nehmen und offentlich unter meinem Namen herfür zu geben; zu keinem andern Ende, als, […] daß ich auch also durch mein Exempel andern, die etwan bishero nicht so wol aus bösem Gemüht als böser Gewohnheit mit dieser nöhtigen und nützlichen Arbeit etwas lüderlich verfahren, zu künfftiger mehrerer Bescheidenheit, vorgehen, und also soviel an mir ist, allem unverschämten aberglaubischen Wesen mit abhelffen möge[n].27

Sturm war nunmehr bereit, etwas mehr Rücksicht auf die Erwartungen der Leser zu nehmen und »um nicht auf einmal das Kind samt dem Bad auszuschütten«,28 enthielt der Kalender dieses Mal die vom Publikum erwarteten Witterungsvorsagen und Aderlasshinweise, von denen er sich im weiteren Text jedoch immer wieder distanzierte. Bei den vorgestellten »Curiositäten« handelt es sich um legitime Objekte der »curiositas«, der Neugierde,29 um »allerhand in der Natur neubemerckte oder von der Kunst neu-erfundene Seltzamkeiten«, Geräte wie Mikroskop und Fernrohr, die dem wissbegierigen Leser kompetent erklärt werden. Informationen hierzu entnahm Sturm auch den damals aufkommenden wissenschaftlichen Zeitschriften, wie z. B. den britischen »Philosophical Transactions« der Royal Society zu London,30 die kaum einem Kalenderleser zugänglich waren. Die beiden Kalendern vorausgestellten Aussagen Sturms zu einer ihm eher 25 Wegen der Bedeutung dieses Kalenders für die heutige Forschung zur Frühaufklärung wurde der Jahrgang für 1676 von Klaus-Dieter Herbst 2013 als Reprint neu herausgegeben (Jena 2013, Acta Calendariographica – Kalenderreihen, 2,2). Vgl. auch: Klaus-Dieter Herbst: Die Schreibkalender im Kontext der Frühaufklärung. Jena 2012 (Acta Calendariographica – Forschungsberichte, 2). Ein Reprint zum Utopie-Kalender ist geplant. 26 Herbst, Verzeichnis (wie Anm. 14), S. 153. 27 Curiositäten-Kalender für 1687, fol. A2r. 28 Ebd.; Sturm zitiert hier wohl bewußt aus dem Titel von Keplers »Tertius Interveniens«. Vgl. Johannes Kepler : Tertius Interveniens. Warnung an etliche Gegner der Astrologie das Kind nicht mit dem Bade auszuschütten. Hg. v. Jürgen Hamel. Frankfurt/M. 2004 (Ostwalds Klassiker der exakten Wissenschaften, 295). 29 Vgl. Enzyklopädie der Neuzeit (wie Anm. 6), Bd. 9 (2009), Sp. 132–136: Neugier (Gerrit Walther). 30 Sie erscheinen seit 1665.

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aufgenötigten Kalenderschreibertätigkeit treffen jedoch nicht ganz zu. Er hatte nämlich bereits seit 1668, damals noch Pfarrherr im oettingischen Deiningen, kontinuierlich einen Eitelkeiten-Calender31 herausgegeben – allerdings unter dem Pseudonym »Alethophilus von Uranien«. In Nürnberg wusste man bald über die Identität des »Wahrheitsfreundes aus der Himmelswelt« Bescheid, was aber nicht weiter festgehalten wurde.32 Die einschlägigen Pseudonymen-Lexika bringen daher keine Auflösung und die Kalenderfolge des Eitelkeiten-Kalenders von 1669 bis 1700 konnte deswegen erst 1969 wieder Sturm zugeordnet werden.33 Mit diesem Kalender war Sturm also bereits vor der Professur unter die Kalenderschreiber gegangen. Inhaltlich nimmt diese Kalenderreihe, mit herabgeklapptem, aber bald durchsichtigem Visier,34 bereits die Intentionen der späteren Kalender vorweg. Sie zeigt keinen anderen Sturm. Er hatte diesen Kalender zunächst als »Narren-Kalender« bezeichnen wollen um sich in das neumodische Kalenderwesen mit seinen effekthascherischen Titeleien gebührend einzuführen.35 Den Eitelkeiten-Kalender charakterisiert als durchgehendes Leitthema eine grundsätzliche Ablehnung der Astrologie, ihrer Lehren und Behauptungen, die in den gängigen Kalendern immer noch präsent seien, Deshalb könne man auch die »heutigtägige gemeine Calenderschreiberei« als eine »allgemeine Weltbetriegerey« bezeichnen. Er lieferte dem gemäß in Fortsetzungen eine systematische Widerlegung aller astrologischen Argumentationen als bloßes Fabelwerk. Sturm/Alethophilus brachte dies in verständlicher Sprache mit rein vernunftgemäßen Erklärungen vor, die sich konsequent an einer naturwissenschaftlichen Systematik orientierten und auf theologischen Rekurs verzichteten. Die über dreißig Jahre erscheinende Kalenderreihe lässt spüren, dass es ihm ein Herzensanliegen war, den Laien eine fundierte überzeugende Aufklärung in dieser dubiosen Materie zu geben. Mit dieser strengen Sicht nahm Sturm auf dem Kalendermarkt wohl zunächst eine Außenseiterrolle ein. Diverse Verlagswechsel lassen dies vermuten. Aber immerhin, der Eitelkeiten-Kalender hatte ein Publikum und konnte kontinuierlich erscheinen. Nur der Versuch mit dem noch rigideren Finsternissen-Kalender schlug dann fehl. Doch allmählich fand die Sturmsche Sicht der Dinge eine gewisse Akzeptanz. Der Umstand, dass der Eitelkeiten-Kalender zuletzt von der Endterschen Handlung, dem größten Nürnberger Kalenderverlag, verlegt wurde, weist darauf hin. Die Endter hatten bereits den Curiositäten-Kalender gedruckt und sie übernahmen auch dessen Fortsetzung, der nun den um31 32 33 34 35

Herbst, Verzeichnis (wie Anm. 14), S. 68. Matthäus, Eitelkeiten-Calender (wie Anm. 1), S. 19–54. Matthäus, Nürnberger Kalenderwesen (wie Anm. 13), Sp. 1262f. Matthäus, Matthias Knutzen (wie Anm. 1), S. 63. Matthäus, Eitelkeiten-Calender (wie Anm. 1), S. 30.

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ständlichen Titel Der Kleinen Atlantis- oder Zweyten Neuen Welt-Kalender36 trug. Eine Erklärung dafür, was ihn motiviert hat, nun das Thema einer utopischen Insel aufzugreifen, gibt Sturm nicht. Die neuere Forschung hat darauf hingewiesen, dass im deutschen Raum zwischen dem Erscheinen von Valentin Andreaes »Christianopolis« im Jahre 1619 und der »Insel Felsenburg« von Johann Gottfried Schnabel, die ab 1731 zu erscheinen begann, kein gewichtiger Betrag zum Thema Utopie geliefert wurde.37 Diese Thematik war mehr in England und Frankreich zuhause. Sturm wäre danach der Einzige gewesen, der damals im deutschen Umfeld hierzu einen ernstzunehmenden Versuch plazierte. Das jetzt sichtbare Sturmsche Unternehmen stand jedoch in seinem zeitlichen und topographischen Umfeld nicht ganz allein. Der erste Sturmsche Utopie-Kalender für 1690 dürfte im Sommer 1689 herauskommen sein. Im gleichen Jahr oder Ende 1688 erschien im nahegelegenen Sulzbach die erste deutsche Übersetzung eines französischen utopischen Reiseromans, die »Historie der Neu-gefundenen Völcker Severambes« von Denis Vairasse (Veiras).38 Vairasse, ein Jurist aus dem Languedoc, der als Hugenotte nach England ausgewichen war, ein Literat, der dort mitunter im Vorhof der Macht agierte, der dann wieder nach Frankreich zurückkehrte, hatte 1675 zunächst auf englisch, dann 1677 auf französisch diesen Titel als einen umfangreichen utopischen Roman im Gewand eines realistischen Reiseberichts veröffentlicht. Beim Publikum fand er sofort großes Interesse. Leibniz nahm ihn zur Kenntnis. Die deutsche Übersetzung wurde im Erscheinungsjahr 1689 ausführlich und wohlwollend von Christian Thomasius besprochen.39 Die aufwendige, mit Kupferstichen versehene Ausgabe war in Sulzbach von Abraham Lichtenthaler gedruckt worden. Das Titelblatt vermeldet »In Verlegung des Übersetzers«, nennt diesen aber nicht weiter. Leibniz hat Anfang 1688 auf seiner Reise nach Wien und Italien mit einer Station in Nürnberg zweimal den Sulzbacher Herzogshof besucht.40 In der zweiten Jahreshälfte in Wien skizzierte er als Vorwort zu seinem großen Projekt der »scientia generalis« ein paar Seiten, in denen die hinter einer dichten Ne36 Herbst, Verzeichnis (wie Anm. 14), S. 153. 37 Winter, Compendium (wie Anm. 11), S. 51 u. 189. 38 Denis Veiras: Eine Historie der Neu-gefundenen Völcker Sevarambes genannt 1689. Mit einem Nachwort, Bibliographie und Dokumenten zur Rezeptionsgeschichte hg. von Wolfgang Braungart / Jutta Golawski-Braungart. Tübingen 1990 (Deutsche Neudrucke des Barock, 39): S. 1*–319*: Nachwort der Herausgeber. (S. 4*–25*: Versuch einer Biographie des Denis Veiras d’Allais; S 41*–53*: Zur Übersetzung von 1689; S. 64*–203*: Quellen und Dokumente zur Rezeptionsgeschichte). 39 Braungart, Nachwort (wie Anm. 38), S. 75*–129*. Die Besprechung erschien bereits 1689 in der Juli-Ausgabe seiner Monatsgespräche. 40 Kurt Müller / Gisela Krönert: Leben und Werk von Gottfried Wilhelm Leibniz. Eine Chronik. Frankfurt a. M. 1969, S. 85–103.

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belwand verborgene insula utopica apostrophiert wird. Aus jener nur selten sichtbaren Insel der Seeligen sei jetzt das Licht des Entdeckergeistes hervorgeblitzt und diesen glücklichen Augenblick nutzend gelte es, nun die Richtung dorthin aufzunehmen.41 Der Herausgeber des Neudrucks des Sulzbacher Vairasse, Wolfgang Braungart, konstatiert, dass die Veröffentlichung dieser Ausgabe in die Atmosphäre des Sulzbacher Hofes von Herzog Christian August und seines vertrauten Rates Christian Knorr von Rosenroth passt, und er will nicht ausschließen, dass Leibniz mit dessen Erscheinen zu tun gehabt habe, was wohl eine vage Vermutung bleibt.42 Nicht ausgeschlossen könnte sein, dass Sturm die Neuerscheinung aus dem nahen Sulzbach mitbekommen hat. Deren Intention, deren Tenor nahm er jedoch keinesfalls auf. Da stand er eher Leibniz näher. Die beiden kannten sich über ihre Veröffentlichungen und Mitte der 90er Jahren gab es einen wissenschaftlichen Disput zwischen ihnen.43 Doch für irgendwelche schnelle Schlussfolgerungen ist diese Basis wohl zu schmal. Es bleibt aber zu konstatieren: Wenn Leibniz die Neufundierung der Scientia quasi als Mahnruf aus Utopia herausstellte, so war es bei Sturm eine Aufforderung von dort zum rechten Gebrauch der Vernunft. Sturm expliziert dies in einem »anmutigen und dabei sehr nützlichen Gespräch zwischen Eusebius, einem geistreichen Gottes-Lehrer und Empirus, einem Welt-Erfahrnen und dabei gelehrten See-Mann von einer neuentdeckten Insel, die kleine Atlantis genannt, deroselben unvergleichlichen Policey und Regierungs-Art, samt andern, nirgendwo in der ganzen Welt befindlichen Seltzamkeiten«.44 Das wird dargelegt in einem Bericht über Semnopolis, die wundersame Hauptstadt der Zweiten Neuen Welt. Es handelt sich bei diesem Land um eine große Insel im nördlichen Pazifik hinter der Ersten Neuen Welt, hinter Amerika, dem Atlantis Platons45, als ein kleineres Atlantis – zwei Tagreisen zu Schiff von Bensalem, der Nova Atlantis von Francis Bacon entfernt, der Schiffahrt durch eine dichte schwarze Nebelwand verborgen. Empirus hatte an einer »curieusen« englischen Expedition nach Bensalem teilgenommen, die genauere Informationen über das dortige Haus Salomonis und seine Wunderwerke zu erlangen 41 Gottfried Wilhelm Leibniz: Sämtliche Schriften und Briefe. Reihe 6: Philosophische Schriften. Bd. 4, Teil A. Berlin 1999, S. LVIf., 981–987: Nr. 207 Ad scientiam generalem praefatio. De insula utopica. Vgl. Saage, Utopische Profile 2 (wie Anm. 11), S. 289–291. 42 Veiras, Historie (wie Anm. 38), Nachwort, S. 41*–44*. 43 Stefan Kratochwil: Johann Christoph Sturm und Gottfried Wilhelm Leibniz. In: Gaab/Leich/ Löffladt, Sturm (wie Anm. 1), S. 104–118. 44 Kolumnenüberschrift der Berichte in allen Jahrgängen. Zum Genre der »Gesprächskalender« vgl. Herbst, Frühaufklärung (wie Anm. 25), S. 196–208. 45 Sturm sieht in Amerika das Atlantis Platons. Zur Atlantisfrage vgl. abschließend: HeinzGünther Nesselrath: Platon und die Erfindung von Atlantis. München, Leipzig 2002 (Lectio Teubneriana, XI).

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suchte. Dort erfuhr er von jenem uns noch unbekannten Land und konnte es auch besuchen, worüber Eusebius in »angeborener Neugierigkeit« inständig weitere Auskünfte erbat.46 Die Reise dorthin war nicht einfach gewesen, denn das christliche Bensalem – der Apostel Bartholomäus hatte es bekanntlich auf eine ziemlich spektakuläre Weise missioniert – sucht die Kontakte mit der nach der Lehre unchristlichen zweiten Neuen Welt möglichst zu unterbinden. Deren Einwohner praktizieren eine bloß natürliche Religion, erweisen sich aber darin viel christlicher als die meisten europäischen Christen, die sie in allen Tugenden nur beschämen könnten. Empirus durfte also in einem Land von unerwarteter Fruchtbarkeit und Glückseligkeit Semnopolis besuchen, eine Stadt von so unglaublicher Grösse, so schöner ordentlichen und Regularen Anlage, so unzehlich vielen rechtschaffenen, redlichen, verständigen und Sittsamen Einwohnern, u.a.m. daß dergleichen in der gantzen Welt nicht anzutreffen sey : Eine Regierungs-Art, die unvergleichlich und in allen Stücken auf dem Recht der Natur und der Menschlichen Natur anständigen Billichkeit gegründet sey : Eine hohe Schule von solcher Vollkommenheit, von solcher Anzahl hochgelehrter Professoren und Lehrer, von einer so unerhörten Menge Studenten und Lehrlinge von einer unter diesen so fast und ohne Zwang gehaltenen Disziplin und Zucht, von so prächtigen und Königlichen Gebäuden, derer Collegien oder Lehrhäuser, Professoren und Studenten-Wohnungen etc., daß man es nicht ehe glauben könne, bis man es mit Augen sehe: In Summa eine Republick und Polizey, welche die alte Platonische (die dannoch nirgend als in des weisen Platonis Gehirn anzutreffen gewesen) weit übertreffe.47

Die Kalender bringen dann kontinuierlich die von barocker Höflichkeitsrhetorik eingerahmten jährlichen Gesprächsrunden zwischen Eusebius und Empirus. Letzterer berichtet detailliert über die herrliche Stadt Semnopolis, über die dortige Religion, das Schul- und Regierungswesen sowie über die Hochschule, was Eusebius benutzt, bei den jeweiligen Themen ausführlich an das entsprechende negative Erscheinungsbild unserer alten Welt zu erinnern. Bereits bei der Hafeneinfahrt von Klein-Atlantis verkünden der Reisegesellschaft aus Bensalem zwei monumentale Inschriften die Devisen des angesteuerten Landes: »Exulet impietas« und »Ratio hic et regnat honestas«. Landessprachen seien nämlich das einst vermittelte klassische Griechisch und Latein. Die Angekommenen werden zunächst in »ernsthafter Freundlichkeit« darüber informiert, dass sie als Christen in Semnopolis nichts zu befürchten hätten, auch wenn hier nur der Gottesdienst für recht gelte, den Gott den Bewohnern »vermittels der gesunden Vernunft« an die Hand gegeben habe. Die gleiche gesunde Vernunft lehre aber auch, keinen wegen seines Glaubens oder seiner 46 Zweyte Neue Welt-Kalender für 1690 (weiterhin unter der Abkürzung: »Kalender«). 47 Ebd., fol. D2v.

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Religion anzufeinden, sofern er diese nicht benutze, »Unruhe ins gemeine Wesen« zu bringen. Zwar würden sie hier die christliche Religion unter allen Religionen der Welt nach der eigenen am meisten schätzen, man könne auch mit ihren Gelehrten »bescheidentlich« darüber disputieren, doch eine Proselytenmacherei beim einfachen Volk sei bei Strafe nicht gestattet. Hier wie in allen weiteren Ausführungen wird deutlich, dass in Semnopolis die Würde der Religion und die wohleingerichtete Ordnung der Institutionen ein sicheres Fundament in dem rechten Gebrauch der Vernunft, der gesunden Vernunft, besitzen.48 * Zunächst erläutert Empirus detailliert die Topographie und Architektur des imposanten, nahe am Meer gelegenen, »ganz regular« in schönen Proportionen errichteten Semnopolis, der »erhabenen« Stadt, ihrer Vorstädte und ihrer 16 Quartiere.49 An deren Dimensionen und Pracht kommen weder das von Johann Valentin Andreae beschriebene Christianopolis noch die Sonnenstadt Campanellas heran. Man wird, wie Eusebius konstatiert, mit dem Bericht von Empirus an das »Neue Jerusalem« der Offenbarung erinnert.50 In der Mitte der vier 48 Kalender 1691. 49 Kalender 1692. Die Stadtbeschreibung wird themenbezogen ergänzt in den Jahrgängen 1695, 1696 und 1698. Eine fiktive Stadt Semnopolis wird noch einmal im folgenden Werk eingeführt: Callophile, histoire traduite de scythe en latin par un vieux philosophe visigoth et mise en francais par un jeune avocat du Languedoc [BarthHs/Barthez]. A Eutaxie 1759. (Vgl. Fernand Drujon: Les Livres / Clef. ðtude de Bibliographie. Bd. 2, Paris 1888, Sp. 1023f. – Text über Google: Callophile: histoire). 50 Kalender 1692, August. Die kleine Vignette des Grundrisses, die der Kupfertitel des Kalenders zeigt, gibt nur einen unzureichenden Eindruck. Semnopolis erweist sich als ein wohl unübertreffbares Beispiel für die Herrschaftsarchitektur des Absolutismus. Vgl. Saage, Profile 2 (wie Anm. 11), S. 10. Sturm hatte bereits 1664 eine lateinische Übersetzung der »Architectura curiosa« von Georg Andreas Böckler herausgegeben und er beschäftigte sich als Mathematiker weiterhin mit Fragen der Architektur. Sein mehrfach aufgelegter Abriß »Mathesis compendiara sive tyrocinia mathematica« (erstmals 1690) enthält auch Kapitel »Architectura militaris« und »Architectura civilis« mit Beispielen für notwendige Rechenoperationen. (vgl. Gaab, Bibliographie, wie Anm. 1, S. 253f. – Hierzu ergänzend: die »Architectura militaris tyrocinia« erschien bereits 1683 in einer Separatausgabe). Eine erweiterte Ausgabe brachte 1714 sein Sohn, der Architekt und Architekturtheoretiker Leonhard Christoph Sturm (1669–1719, vgl. NDB 25, S. 652–654) heraus, die der deutschen Übersetzung von 1717 zugrunde liegt. Auch Sturms »Mathesis Juvenilis«, Bd. 1 (vgl. Gaab, Bibliographie, wie Anm. 1) enthält Kapitel über die Architectura militaris und civilis. Zu bisher bekannten utopischen Stadtentwürfen vgl. Eva-Maria Seng: Stadt – Idee und Planung. Neue Ansätze im Städtebau des 16. und 17. Jahrhunderts. München, Berlin 2003. S. 159–184: Utopische und architekturtheoretische Stadtmodelle; Eva-Maria Seng: Christianopolis. Der utopische Architekturentwurf des Johann Valentin Andreae. In: Das Echo Halles. Kulturelle Wirkungen des Pietismus. Hg. v. Rainer Lächele. Tübingen 2001, S. 59–91; Sabine Rahms-

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zentralen Hafen- und Marktquartiere liegt der großmächtige, prächtige Tempel.51 Seine Dekorationen und Inschriften sind Illustrationen der Vernunft und ihrer Ausprägungen, der Tugenden. Der Zentralbau enthält eine Galerie von etlichen hundert Weltweisen »welche in der natürlichen Wissenschaft oder Sitten-Lehre etwas Nutzliches und Grundliches gelehret haben«52. Besonders hervorgehoben werden dabei die Statuen von Sokrates, Aristoteles, Zeno[n] und Epikur. Die hier ausgedrückte und vom begleitenden Tempelpriester verteidigte Wertschätzung Epikurs bestätigte Eusebius dem verwunderten Empirus. Auch hierzulande würden die meisten rechtschaffenen Gelehrten dem beipflichten.53 Im Mittelpunkt des Zentralbaus steht schließlich der mächtige, reich geschmückte Altar, der »Dem unsichtbaren wahren Gott« gewidmet ist. ** Der Tempelbesichtigung folgt eine Einführung in die »einig und allein herrschende Religion« von Semnopolis54. Ohne äußerliche Zeremonien besteht sie in der rechten gründlichen Erkenntnis Gottes, der aus dem Nichts Himmel und Erde, die Lebewesen wie den Menschen »in einer unbegreiflichen […] Subtilität« entworfen und geschaffen habe. Gott erhält seine Schöpfung stetig im Fortbestehen, was die Natur allein nicht vermag.55 Die von Gott dem Menschen verliehene, mit Vernunft begabte immaterielle unsterbliche Seele kann ihren Schöpfer erkennen und ewig mit ihm zusammen sein. Durch weise Gotteslehrer werden die Semnipolitaner von Jugend hierin unterrichtet und zur Pflicht eines jeden Menschen hingeführt: Gott wegen seiner Wohltaten zu lieben und den Mitmenschen, der ebenfalls ein Kind Gottes sei, als Bruder zu achten. Der Mensch habe alles, was dem durch Gott seinem Herzen eingeschriebenen natürlichen Gesetz gemäß ist, unbedingt zu tun und alles, was diesem entgegensteht, eifrigst zu vermeiden.

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dorf: Stadt und Architektur in der literarischen Utopie der frühen Neuzeit. Heidelberg 1999 (Beiträge zur neueren Literaturgeschichte, 168); Hanno-Walter Kruft: Städte in Utopia. Die Idealstadt vom 15. bis zum 18. Jahrhundert. München 1989; Hanno-Walter Kruft: Utopie und Idealstadt. In: »Klar und lichtvoll wie eine Regel«. Planstädte der Neuzeit. Karlsruhe 1990, S. 31–37; Jann Holl: Die historischen Bedingungen der philosophischen Planstadtentwürfe in der frühen Neuzeit. In: ebd., S. 9–30. Kalender 1693. Kalender 1693, Heumon. Vgl.: Der Neue Pauly. Enzyklopädie der Antike. Hg. von Hubert Cancik / Helmut Schneider. Bd. 3. Stuttgart 1997, Sp. 1130–1140 und Bd. 13 (1999), Sp. 985–996 (Dorothee Kimmich). Herrn Prof. Dr. Maximilian Forschner verdanke ich den Hinweis, daß der Rekurs von Sturm auf die »gesunde Vernunft« letztlich durch Epikur begründet ist. Allerdings hatte Sturm vor allem das »gemeine Wesen« und nicht das Privatleben als Ansatzpunkt im Auge. Kalender 1694. Vgl. unten Anm. 60.

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Von Eusebius kommt bei diesem Bericht der Einwand, dies seien lauter feine vernünftige Gedanken, doch seien die Leute zu bedauern, da ihnen ohne die Offenbarung der Bibel die rechte und völlige Erkenntnis Gottes mangle. Empirus will dies allein Gott anheimgestellt lassen und hält weiter fest, dass von allen UnChristen die Semnopolitaner dem Christentum am nächsten stünden. In ihrer Religion sei nichts Unvernünftiges oder Falsches.56 Doch Empirus muss abschließend zu bedenken geben, dass zu einer naheliegenden Vereinung der Semnopolitaner mit dem Christentum leider die Christen das größte Hindernis abgäben. Zum ersten seien es die unzähligen erbitterten Glaubensstreitigkeiten unter den christlichen Sekten, die bei einem Außenstehenden nur Ekel und Abscheu für die christliche Religion erregen könnten. Zum anderen würde bei einem in Semnopolis in Zucht und Tugend Erzogenen das unchristliche Leben der meisten Christen den größten Anstoß geben – zumal wenn die Geistlichen, die das ganze »Uhrwerk des Christentums« richten und regieren sollten, in allen Lastern ersoffen seien, wenn die »Vornehmsten« unter den Christen selbst nicht glaubten, was sie andere glauben lassen wollten. Daher sei es besser, dass die vermeintlichen Christen nach Semnopolis kämen um endlich nach der Vernunft leben zu lernen als dass die vernünftigen Semnopolitaner der Christen Unvernunft sehen und sich darüber nur höchst ärgern würden. Eusebius und Empirus können daher nur die im Christentum immer mehr einreißenden Unordnungen schmerzlich bedauern.57 In einem anderen Zusammhang beklagt Eusebius »das vor Augen schwebende unheilbare Elend deß in den letzten Zügen ligenden Christenthums«.58 Dieser Bericht wie auch die folgenden Themen geben Eusebius immer wieder Anlass, die entsprechenden misslichen Verhältnisse in der Alten Welt, in Deutschland ausführlich zu beklagen, wo leider soviel ohne alle Vernunft eingerichtet sei. Sturm zeichnet für die Semnopolitaner eine natürliche Religion auf, die ohne Offenbarung allein auf konsequentem Gebrauch der gesunden Vernunft begründet ist.59 Gottes Souveränität ist unangefochten. Die Auffassung, dass die Schöpfung nunmehr durch die Natur, durch die dieser eingegebenen Gesetze erhaltenen wird, entspricht weder in Semnopolis noch bei Sturm der gesunden Vernunft.60 Sturm expliziert dies immer wieder in seinen physikotheologischen 56 57 58 59

Kalender 1694, August. Kalender 1694, fol. D2v, E1r. Kalender 1695, November u. Dezember. Vgl. Historisches Wörterbuch der Philosophie. (wie Anm. 6), Bd. 8 (1992), Sp. 713–727: Religion bzw. Theologie, natürliche bzw. vernünftige (Winfried Schröder); Religion in Geschichte und Gegenwart (wie Anm. 6), Sp. 120–124 (Christian Link); Enzyklopädie der Neuzeit (wie Anm. 6), Sp. 28–31 (Martin Laube). 60 Kalender 1694, Hornung bis May, und Kalender 1699, September u. Weinmon. In diesem

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Beweisführungen – in anderen Kalendertexten ausführlicher als im UtopieKalender.61 Zur Vollkommenheit der Semnopolitanischen Religion fehlt nur das, was die Vernunft allein nicht ergründen kann, was von der »göttlichen besonderen Offenbarung« erwartet werden muss.62 Sebasmius, der Geleitsmann von Empirus nach der Kleinen Atlantis, hatte in Bensalem den christlichen Glauben angenommen, weil er in dessen Sittenlehre und den Geboten Christi eine so »schöne Harmonie und Gleichförmigkeit« angetroffen habe.63 Doch der oben angeführte Zustand der christlichen Welt legt einer Religionsvereinigung kaum überwindbare Hürden in den Weg. *** Der Bericht über die Religion gibt den Übergang zur Beschreibung des Schulwesens bei den Atlantern.64 Auf einen sorgfältigen Unterricht wird großer Wert gelegt. Das Ziel ist es, von Anfang an die »angeborne thierische Affecten und Begierden« der Jugend zu zähmen und nach und nach deren Verstand durch nützliche Wissenschaften zu erleuchten, damit sie »mit der Zeit […] dem allgütigen Gott und dem geliebten Vaterland mit ihrer eigenen Glückseligkeit zu dienen geschickt sein könnten«.65 Es versteht sich, dass in allen Stadtvierteln großzügige und zweckmäßige Schulgebäude für Knaben und Mädchen eingerichtet sind. Bei der Anstellung der Schulleiter wird darauf geachtet, dass sie der Wichtigkeit ihrer Aufgabe gemäß, zu den »gelehrtesten, klügesten und tugendhaftesten« Männern zählen. Sie dürfen sich daher großer Wertschätzung erfreuen, was auch entsprechend honoriert wird.66 Der Unterricht ist so gestaltet, dass die Kinder mit Lust und Freude dabei sind und er geht mehr auf Übung des Verstandes und des »Judicii« als auf Gedächtnisübungen. Schon in der ersten Klasse wird großer Wert auf die Mathematik gelegt, was dann konsequent weitergeführt wird.67

61 62 63 64 65 66 67

Punkt widersprach Sturm auch Leibniz. Vgl. Kratochwil, Sturm und Leibniz (wie Anm. 43), S. 113–115 mit weiterer Literatur. Eitelkeiten-Kalender 1676, 1699 u. 1700. (Vgl. Matthäus, Matthias Knutzen, wie Anm. 1, S. 74–86) sowie Vernunfft- Weisheit- und Tugend-Calender 1702–1704 (Geneigter und nach Stands-Gebühr geehrter Leser!). Kalender 1694, August, September. Kalender 1690, Weinmon, November. Kalender 1695. Kalender 1695, Dezember verso. Kalender 1695, Heumon, August. Kalender 1695, fol. D4v–E2v.

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**** Semnopolis ist, wie nicht anders zu erwarten, eine freie Republik, die – keinem Fürsten untertan – aristokratisch im ursprünglichen Sinn des Worts regiert wird, d. h. von den Besten, Klügsten, von denen, die den Affekten und weltlichen Begierden am wenigsten ergeben sind, die das natürliche Recht und die vernunftmäßige Billigkeit achten.68 Irgendeine geburtsmäßige Prärogative gibt es nicht. Aus diesem durch Schule und Universität gesicherten Reservoir werden Innerer, Mittlerer und Großer Rat gebildet, die jeweils zehn, hundert und tausend Mitglieder haben. Diese Gremien ergänzen sich durch Kooptation nach Verdienst, Tugend und Fähigkeit. Manipulationen und Korruption sind dabei undenkbar.69 Der Innere Rat stellt den »festen Ober-Regenten« der Stadt. Für die Verwaltung der zehn Wohnviertel der Stadt, die gleichmäßig ungefähr 1000 Haushalte umfassen und quasi eine eigene Stadt bilden, ist jeweils ein zehnter Teil der Ratsherren von 111 Personen zuständig. Geschriebenes, kodifiziertes Recht ist bei dieser vernunftgeleiteten Regierungsweise nicht weiter erforderlich. Aus dem Großen Rat bestallte »Friedensrichter« schlichten ohne großes Gezänk »fein vernünftig« etwaige Streitigkeiten und regeln entsprechend abzuschließende Verträge. Es besteht der Konsens, dass Jedermann dem Anderen das Seine lasse.70 Schwerwiegende Kriminalfälle sind dem Inneren Rat vorbehalten, doch solche ereignen sich »bey dieser so wol angerichteten Policey und bey so herrlicher Zucht und Aufsicht gar selten«71. Die Regierenden können daher nahezu uneingeschränkt ihr Hauptaugenmerk, »Eifer und Fleiß«, dahin richten »wie sie eine fromme, gottesfürchtige Bürgerschaft ziehen und erhalten mögen«72. Diese Intention erfordert allerdings, wie schon eingeräumt, eine gewisse Aufsicht. Das beginnt mit der freundlichen Einreisekontrolle und dem bei dieser Gelegenheit ausgesprochenen strikten Missionierungsverbot73 – eine Maßnahme, zu der eine kluge Obrigkeit gemäß der gesunden Vernunft berechtigt sei.74 In den Stadtvierteln achten verordnete Rugherren oder Sittenrichter in täglicher Aufsicht auf den Lebenswandel der Bürger, damit alles »mäßig, vernünftig und

68 69 70 71 72 73 74

Kalender 1696, September. Kalender 1697, fol. D4v–E1v. Kalender 1697, September. Kalender 1697, April. Kalender 1697, August. Kalender 1691, fol. D2v. Kalender 1691, fol. D2v–D3r.

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ordentlich« verrichtet werde.75 Falls ein freundliches, ernsthaftes Zureden nicht ausreicht, folgen schärfere Disziplinierungen, was jedoch nur selten erforderlich sei76 – eine positive Folge des erklärten Erziehungsziels, das »auf die Sinnlichkeiten und animalischen Begierden« von Natur aus allzusehr geneigte Wollen des Menschen von Jugend an auf die gute Seite zu bringen.77 Die oberen Ratsherren kontrollieren daher auch regelmäßig den Unterricht an den Schulen. Sie spornen die Fleißigen an und wissen Mittel und Wege unbändige Gesellen zu zähmen. Eine Oberaufsicht über die Tätigkeit der Rugherren wird regelmäßig von Mitgliedern des Inneren Rates wahrgenommen.78 Solche Kontrollen sieht der Berichterstatter Empirus im Einklang mit der Devise des Gemeinwesens: »Hic nemini fit iniuria«.79 ***** Ein weiterer Bericht zur Regierungsform von Semnopolis wird dann allerdings auf Wunsch von Eusebius zurückgestellt, der zuvor Nachricht über die dortige, wohlbestellte Universität erbittet. Auch diese Einrichtung lässt keinen Wunsch offen. Während sich in Deutschland bei den meisten Universitäten – vor allem bei den evangelischen – die Gebäude als schlecht eingerichtet, liederlich in Bau und Sauberkeit erweisen,80 können dort schöne, zweckmäßige und großzügige Bauten für ungefähr 9000 Studenten Raum zum Unterricht und zum Wohnen bieten.81 Aufgenommen werden nur Studenten, die ein wahrhaftiges und ungeheucheltes Zeugnis über ihre bisherige Studien und ihren Lebenswandel vorweisen können. Stand und Herkommen zählen nicht und Minderbemittelte werden gefördert. Nach der Immatrikulation wird der Student sogleich dem für seine Fakultät zuständigen Zensor unterstellt.82 Ferner achten Professoren als »Special-Aufseher« in den Collegien über täglichen Fleiß und ehrbaren Tugendwandel.83 Die Studenten haben wie in »Ochsfurt« einen Talar zu tragen. »Cavallerismus«, kriegerische Aufmachung, das Tragen von Waffen, Duellieren und der gleichen »irraisonabilität« sind unbekannt.84 Die Hohe Schule hat für die Lehre 24 bestallte Professoren, alles Philosophen wie einst in Athen, deren Wissen man als eine aus der gesunden Vernunft her75 76 77 78 79 80 81 82 83 84

Kalender 1696, fol. E1r. Kalender 1697, Weinmon und November. Kalender 1696, August. Kalender 1697, Heumon, August. Kalender 1691, November. Kalender 1698, September. Kalender 1698, Mertz, April, Brachmon bis August und November bis fol. D2v. Kalender 1700, Hornung, Mertz. Kalender 1700, Heumon. Kalender 1700, Dezember.

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zuholende Weisheit bezeichnen kann.85 Wie anschließend noch einmal festgestellt wird, sind alle Wissenschaften, die auf Universitäten getrieben werden, entweder nichts anderes als eine »sana philosophia« oder sie verdanken zumindest unleugbar all ihr Ansehen der Philosophie.86 Da man bei der Berufung der Professoren darauf achtet, dass sie ihrer Affecte ganz und gar mächtig sind, gibt es unter ihnen keinerlei »ehrgeitziges Schulgezänk«. Empirus stellt heraus, dass die Professoren mehr durch den von Ihnen gezeigten Lebenswandel als über ihre Lehren die ihnen anvertraute Jugend bilden und fördern.87 An vier Fakultäten – der Bericht benutzt diese gewohnte Bezeichnung – werden folgende Fächer gelehrt: 1) eine philosophische Theologie aus den Gründen der gesunden Vernunft; 2) eine Sittenlehre, wie ein jeder vernünftige Mensch zu seinem Glück leben solle;88 3) Unterricht für diejenigen, die »dem Regiment ins künfftig vorzustehen gedencken, wie dasselbige, wann es glückseelig seyn will, angeordnet und erhalten werden, auch nach dem Recht der Natur…administriret werden solle und müsse«89 ; 4) Erforschung der Natur, d. h. der Beschaffenheit von irdischen Körpern und der Gestirnen, um dabei »absonderlich aus dem Wunder-Gebäu des menschlichen Leibes, die unermäsliche Allmacht und Weisheit Gottes, dessen allweise Regierung, Allgegenwart etc.der studirenden Jugend […] für Augen zu stellen und einzuprägen«.90 Speziell werden die Voraussetzungen der Gesundheit wie die Ursachen und Therapien der Krankheiten erforscht.91 Die Hochschule vergibt nach strengen Prüfungen akademische Ehrentitel und Würden. Gebühren fallen dabei nicht an und eine Verleihung eines akademischen Grades gegen Geld ist undenkbar. Das Salär der Professoren ist so bemessen, das sie auf derartige Einnahmen nicht angewiesen sind.92 Damit endet die Thematik des »Zweyten Neuen Welt-Kalenders«, der nach dem Jahrgang 1700 nicht mehr fortgeführt wurde. Auch der »Eitelkeiten-Calender« endet mit diesem Jahr. Der Grund dafür liegt wohl in Differenzen mit der Endterschen Handlung, dem bisherigen Verleger.93 Für die Jahre 1701 bis 1704 erschien von Sturm dann noch ein neuer »Vernunfft- Weisheit- und TugendCalender« bei Johann Jonathan Felsecker, dem Konkurrenten der Endter, der 85 86 87 88 89 90 91

Kalender 1699, Hornung. Kalender 1699, November. Kalender 1699, Mertz. Vgl. Anm. 53: die Wertschätzung Epikurs. Kalender 1699, August. Kalender 1699, September. Kalender 1699, Weinmon, November. Intentionen einer Technikentwicklung, wie sie das »Haus Salomonis« auf der »Nova Atlantis« Bacons verfolgt, werden nicht genannt und die Thematik des »Curiositäten-Kalenders« wird nicht berührt. 92 Kalender 1700, fol. E1v. 93 Matthäus, Eitelkeiten-Calender (wie Anm. 1), S. 43f.

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nicht an seine bisherigen Kalenderfolgen anschließt. Es ist Sturms anspruchsvollster Kalender, der ausführlicher als bisher das Resümee seines wissenschaftlichen und religiösen Weltbildes darlegt.94 Eine neue Gesellschaftsordnung hat Sturm mit seiner Utopie nicht konzipiert.95 Die »unvergleichliche Policey und Regierungs-Art« als Garant der Gesellschaft resultiert nicht aus einer säkularen Vernunft, die sich von den Implikationen der Theologie emanzipiert hat, sondern allein aus der gesunden Vernunft, die letztlich zu Gott und zu einem gottgefälligen Leben führt. Theologische Vorbehalte gegen eine Überbewertung der Vernunft will Sturm nicht teilen.96 Es liegt ihm aber auch fern, mit dem Bericht über die natürliche Religion zu Semnopolis einen Ansatz zu einer Religionskritik zu geben.97 Die Kritik wird Sturms Entwurf als ein für damalige Zeit eher konventionelles »archistisches« Modell bezeichnen.98 Es wird bei ihm kein individualistischer Weg in die Moderne aufgezeigt und ein egalitäres Modell ist ihm fremd. Die ständige Forderung nach Unterdrückung der Affekte erscheint eher als der Ausdruck einer repressiven, emanzipatorischen Visionen konträren Auffassung. Eine »anthropologische Wende« deutet sich nicht an.99 Die ökonomischen Verhältnisse des prosperierenden Landes werden nicht weiter berührt, das Privateigentum steht nicht in Frage. Allerdings eröffnet Reichtum allein keine gesellschaftlichen Positionen und es existiert keine ständisch gegliederte Privilegiengesellschaft. Sturm hat jedoch konsequent und nachdrücklich das Zauberwort der neuen Zeit, Vernunft, quasi ins damalige Bewusstsein gehämmert. Die »gesunde Vernunft« ist ein möglicher Weg, der einzige, das gewohnte gesellschaftliche Gefüge auch für die Zukunft zu sichern. Die Zweite Neue Welt ist »als praktischer Imperativ« darin vorangegangen.100 Ihre Staatsverfassung sei »in allen Stücken auf dem Recht der Natur und der Menschlichen Natur anständigen Billichkeit gegründet«.101 Wie bei der Beschreibung der Schulen hat der Bericht über die Universität von 94 Matthäus, Eitelkeiten-Calender (wie Anm. 1), S. 26. 95 Zu den Utopien der Aufklärungsepoche ab der Mitte des 17. Jahrhunderts vgl. zunächst Richard Saage: Utopische Profile II (wie Anm 11); weiter Richard Saage: Politische Utopien der Neuzeit. Darmstadt 1991; Utopische Profile. Bd. I: Renaissance und Reformation. 2. A. Berlin 2009 (Politica et Ars, 1); Utopisches Denken im historischen Prozeß. Materialien zur Utopieforschung. Berlin 2006 (Politica et Ars, 9): Utopieforschung, 2 Bde. Berlin 2008 (Politica et Ars, 14 u. 19). Ferner Thomas Schölderle: Geschichte der Utopie. Eine Einführung. Köln 2012. 96 Kalender 1694, Heumon und August. 97 Vgl. Winfried Schröder : Natürliche Religion und Religionskritik in der deutschen Frühaufklärung. In: Bödeker, Strukturen (wie Anm. 5), S. 147–164. 98 Saage, Profile Bd. 2 (wie Anm. 11), S. 9. 99 Ebd., S. 5. 100 Saage, Politische Utopien (wie Anm. 94), S. 71. 101 Vgl. Anm. 47.

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Semnopolis weidlich Anlass gegeben, die schwarze Folie der hiesigen Zustände auszubreiten. Die Schattenseiten des damaligen Universitätsbetriebs werden ausführlich dargelegt. Doch ein Lichtblick kann hier vermeldet werden: das kleine Altdorf, wo der edle Rat der Stadt Nürnberg mit großen Unkosten ein schönes, mit lauter Quadersteinen aufgeführtes Kollegienhaus habe errichten lassen, nachdem die dortige Universität bereits vor Jahren um ein kostbares Laboratorium Chymicum vermehrt worden sei. Es sei nur zu hoffen, dass das ruinöse astronomische Observatorium nun ebenfalls zum Nutzen der studierenden Jugend einen besseren Platz erhalten könne.102 Doch hat die Erfüllung dieses Wunsches dann noch bis 1713 gedauert. Zum Ruhm von Altdorf hat auch Sturm durch seine Reputation nicht wenig beitragen. Der Gelehrte, der Professor ist in seinen umfangreichen Veröffentlichungen präsent geblieben. Ob seine voluminösen Bücher – meist in Latein – viel gelesen wurden, steht dahin. Man musste aber, wie Michael Albrecht ausführt, wissen, dass es sie gab, denn ihr Titel war ein Programm, das Zukunft hatte.103 Bei seinen deutschen Kalenderschriften wird deutlich, dass Sturm sehr viel daran lag, über seine gelehrten Diskurse hinaus, seinen Mitmenschen ein richtiges, wahres Weltbild zu vermitteln. Er wollte helfen, Irrtümer und Aberglauben zu überwinden. Beharrlich verfolgte er mit seinen Kalendern, um Verständlichkeit und Anschaulichkeit bemüht, dieses Ziel über Jahrzehnte.104 In seiner letzten Kalenderreihe, dem »Vernunft-, Weisheit- und Tugend-Kalender«, gibt Sturm drei Jahre vor seinem Tod ein persönliches Bekenntnis ab: nachdem ich durch Gottes Gnade viele Vorurtheile und von meiner kleinen Jugend an in mich gesogene Meinungen endlich nach vielen Schwärigkeiten aus meinem betrogenem Gemüt verbannet und ausgetrieben habe. Indem aber noch viele hundert und tausend andere das Glück noch nicht gehabt haben, sich von dergleichen, oder doch zum wenigsten nicht von allen sich frey zu machen, so will ich mich ins künfftige bemühen, eine oder die andere [der Vorurteile und falschen Meinungen] nach und nach aus ihren Herzen auszureuten.105

»Auszureuten«, das klingt recht massiv – aber Sturm fühlte sich offenbar in dieser Verantwortung. Wen hat er damit erreicht? Sicherlich weniger den einfachen, schlichten Leser als vielmehr den interessierten Laien, »curieuse Ge-

102 Kalender 1698, September bis November. Nach dem Lob des schönen »Hortus Medicus« mit seinen 3000 bis 4000 Pflanzen noch weitere Wünsche zu einer »letzten Vollkommenheit«. 103 Vgl. Albrecht, Eklektik (wie Anm. 2), S. 320. 104 Eine adäquate Würdigung fand Sturms Engagement erstmals bei Georg Seiderer : Formen der Aufklärung in fränkischen Städten. Ansbach, Bamberg und Nürnberg im Vergleich. München 1997 (Schriftenreihe zur bayerischen Landesgeschichte, 114), S. 102f. 105 Tugend-Calender 1702, fol. D2v.

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müther«106 und darüber hinaus »Litterati«, studierte Leute. Der gewöhnliche Jahreskalender als Massenmedium transportierte jedenfalls damals auch anspruchsvollere Texte, die mit Fug und Recht unter die Rubrik »Frühaufklärung« zu setzen sind.107 Einen schmalen Kalender konnte man eher kaufen als ein teueres Buch. Sturm hat sicher eine Leserschaft gehabt. Sein Alethophilus-Kalender war schließlich doch nicht ohne Wirkung geblieben.108 Auch beim Imperativ der gesunden Vernunft ist dies anzunehmen, messbar ist es aber nicht. Den alten Blumenstrauß wirft man aus dem Fenster, den alten Kalender in den Papierkorb. Nur die wenigsten konnten sich in einen Sammelband retten, der wieder in die Hand genommen wird.

Daniel Meisner : Thesaurus Philo-Politicus. Hoc Est: Emblemata Sive Moralia Politica, Figvris Aeneis Incisa, Et Ad Instar Albi Amicorvm Exhibita, Versibvs Qvoqve Latinis Ac Thytmis Germanicis conscripta […]. 2 Bde. Frankfurt/M.: Eberhard Kieser 1625–1631, hier II/5, Nr. 1.

106 Titelblatt Finsternissen-Calender 1676. 107 Vgl. Herbst, Frühaufklärung (wie Anm. 25) und ders., Der Kalendermacher Johann Christoph Sturm im Kontext der Forschung zur Frühaufklärung in Deutschland. In: Alethophilus/Sturm (wie Anm. 1), S. 11–18. 108 Matthäus, Eitelkeiten-Calender (wie Anm. 1), S. 47f.

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Barocke Universalpoesie? Zur Plurimedialität von Wolf Helmhardt von Hohbergs Lustund Artzney-Garten deß Königlichen Propheten Davids

Das Werk des aus Niederösterreich nach Regensburg emigrierten Protestanten Wolf Helmhardt von Hohberg hat in der Wissenschaft bisher eine recht ungleich verteilte Berücksichtigung erfahren. Hohberg selbst wurde wegen seines vielfach nachgedruckten Handbuchs zur Ökonomie eines adeligen Haushaltes von dem Wirtschaftshistoriker Otto Brunner zum mustergültigen Vertreter des alteuropäischen Landadels erhoben, weil sich an dessen Leben und vor allem in dessen Georgica curiosa1 eine seit dem Mittelalter die Ständegesellschaft prägende Lebensform noch einmal in besonders sinnfälliger Weise zeige, bevor sie in den Umwälzungen hin zum bürgerlichen 18. Jahrhundert ihren Niedergang erlebe.2 Dagegen ist sein sonstiges literarisches Lebenswerk vergleichsweise stiefmütterlich behandelt worden. Die Gründe dafür kann man schon dem Standardwerk Brunners zu Hohberg entnehmen. Die Georgica curiosa repräsentiert für ihn den Typus der Haushaltungs- und Hausväterliteratur in besonderer Weise und steht für das die Zeit prägende Ideal des ›ganzen Hauses‹.3 Die zeitgenössische Wir1 [Wolff Helmhard von Hohberg]: Georgica Curiosa. Das ist: Umbständlicher Bericht und klarer Unterricht Von dem Adelichen Land- und Feld-Leben […] Durch ein Mitglied der Hochlöbl. Fruchtbringenden Gesellschafft ans Liecht gegeben, Nürnberg: Endter 1682; Georgica Curiosa Aucta. Das ist: Umständlicher Bericht und klarer Unterricht Von dem Adelichen Land- und Feld-Leben. Nürnberg: Endter 1687; nach Hohbergs Tod kam es zu weiteren Ausgaben 1695, 1701, 1715/16 (ab da ergänzt um ein Kochbuch als drittem Teil), 1749. Der 1. Teil der Ausgabe 1682 steht in einem Digitalisat der Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf zur Verfügung (urn:nbn:de:hbz:061:1–23007), vollständige Digitalisate der Ausgabe 1695 bieten die SLUB Dresden (urn:nbn:de:bsz:14–db-id2784982646) und die ULB Sachsen-Anhalt (urn:nbn:de:gbv :3:3–11580, urn:nbn:de:gbv :3:3–11416). 2 Otto Brunner: Adeliges Landleben und europäischer Geist. Leben und Werk Wolf Helmhards von Hohberg 1612–1688. Salzburg 1949. Als These der Untersuchung S. 9 und summierend dann S. 313f. 3 Dieses die Sozialgeschichtsschreibung zur Frühen Neuzeit lange prägende Konzept wird zunehmend kritisch betrachtet. Einen Überblick über Einwände und Diskussionsbeiträge vermittelt z. B. Inken Schmidt-Voges: O&ko-nom&a. Wahrnehmung und Beherrschung der Umwelt im Spiegel adeliger Haushaltungslehren im 17. und 18. Jahrhundert. In: Adel und Umwelt. Horizonte adeliger Existenz in der Frühen Neuzeit. Hg. von Heike Düselder. Köln 2008, S. 403–428.

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kung des Werkes wird durch Neuauflagen und die im Gefolge entstehenden weiteren Haushaltungslehren greifbar ; sie hält noch bis weit ins 18. Jahrhundert hinein an. Demgegenüber ist das literarische Werk ›rückständig‹, bleibt es doch einem Dichtungsideal der Frühen Neuzeit verpflichtet, was in der Dissertation Irmgard Jerschkes, aus der Otto Brunner seine Bewertung der literarischen Tätigkeit Hohbergs entnahm, immer noch eine Abwertung des Barocken nach sich zog.4 Es war als Ehrenrettung des Dichters gedacht, wenn Brunner auch im literarischen Werk die Hinwendung zu den Realien des Lebensumfeldes feststellte; das Urteil lebt selbst bei Albrecht Schöne noch weiter, der aus der von ihm konstatierten Ferne des dichtenden Landadeligen zur Kultur des Barock ein Lob des Autors gewinnt: Hohberg gehörte dem Stande zu, der dem Hofleben, den hochstilisierten höfischfeudalen Konventionen seiner Zeit fern stand, der dem Landleben tätig-nahe war, ohne daß er doch, im Schweiße seines Angesichts über den Acker gebeugt, blind blieb für das irdische Vergnügen in Gott, – der deshalb für die Übersetzung ländlicher Lebenswirklichkeit in den Bereich der Kunst einen kaum weniger bedeutenden Beitrag geleistet hat als später, unter ähnlicher Voraussetzung, die Landgeistlichen des 18. Jahrhunderts.5

Es spricht allerdings viel dafür, dass Hohberg wohl mehr Schweiß über den Büchern als über dem Acker vergossen hat. So entspringt die Georgica curiosa nur zum Teil persönlich gemachten Erfahrungen, sondern stützt sich auf das intensive Studium von schriftlichen Überlieferungen.6 Wie sollte das im Bereich seines literarischen Wirkens anders sein? Hohberg folgte als Dichter des Barock ganz selbstverständlich dem Prinzip der imitatio veterum, indem er mit seinen Werken versuchte, nach dem Vorbild des Vergil das Heldenepos, das Lehrgedicht und das Hirtengedicht in deutscher Sprache zu realisieren. So sollten sich Die unvergnügte Proserpina,7 der Habspurgische Ottobert,8 eine in Versen gefasste 4 Brunner stützt sich in seiner Darstellung zum Dichter Hohberg fast vollständig auf Irmgard Jerschke: Wolfgang Helmhard Freiherr von Hohberg, ein Dichter aus der Zeit des Barock (Diss. München 1936). Emsdetten 1936. 5 Albrecht Schöne: Hohbergs Psalter-Embleme. In: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 44 (1970), H. 4, S. 655–669, hier S. 669. 6 Die »Vorrede an den großgünstigen Leser« zur »Georgica curiosa« von 1682 besteht im Wesentlichen aus einem Literaturbericht, der die Schriften über landwirtschaftliche Fragen von der Antike bis in die 70er Jahre benennt und dazu eine Vielzahl von handschriftlichen ›Hausbüchern‹, die von Generation zu Generation weiter gegeben worden sind, aufzählt, die dem Verfasser als Informationsquelle gedient haben. Vgl. dort fol. a III f. 7 Wolf Helmhardt von Hohberg: Die unvergnügte Proserpina. Regensburg 1661. Exemplar der Bayerischen Staatsbibliothek (Signatur : P.o.germ. 642 g), Digitalisat: http://www.mdz-nbnresolving.de/urn/resolver.pl?urn=urn:nbn:de:bvb:12-bsb10111456-3. 8 Wolf Helmhardt von Hohberg: Der habspurgische Ottobert [1]. Leipzig: Oelers 1664 (BSB, Signatur: P.o.germ. 642 ge-1, Digitalisat: http://www.mdz-nbn-resolving.de/urn/resolver. pl?urn=urn:nbn:de:bvb:12-bsb10111457-8; Des habspurgischen Ottoberts Anderter Theil.

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Georgica9 und der Lust- und Artzney-Garten des Königlichen Propheten Davids10 erkennbar zu einem Gesamtwerk in der imitatio des Vergil runden.11 Angesichts der Tatsache, dass in die Jahre ihrer Veröffentlichung auch das Erscheinen der großen Romane des Barock fällt,12 erscheint das Festhalten an der gebundenen Rede und an den durch die antiken Autoren legitimierten Formen rückwärtsgewandt, so dass sich vielleicht auch daraus das spärliche Interesse der Literaturwissenschaft an seinem Oeuvre erklärt. Lediglich ein Werk daraus hat immer wieder Erwähnung gefunden, weil es durch einen Reprint der darin enthaltenen Embleme, der im Jahr 1969 von der Grazer Kunsthistorikerin Grete Lesky herausgegeben worden ist, der Sinnbildforschung zur Verfügung stand. Seither haben namhafte Vertreter der Barockforschung immer wieder den besonderen Rang und die Singularität des Lust- und Artzney-Garten des Königlichen Propheten Davids betont. Schöne hat das »einzigartige Buch der Psalter-Embleme« an Hand zahlreicher Beispiele in einem Beitrag für die Deutsche Vierteljahresschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte vorgestellt,13 Dietmar

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Leipzig: Oelers 1663 (BSB, Signatur : P.o.germ. 642 ge-2, Digitalisat: http://www.mdz-nbnresolving.de/urn/resolver.pl?urn=urn:nbn:de:bvb:12-bsb10111458-3; Der Dritte Theil des habspurgischen Ottoberts. Leipzig: Oelers 1663 Signatur: P.o.germ. 642 ge-3, Digitalisat: http://www.mdz-nbn-resolving.de/urn/resolver.pl?urn=urn:nbn:de:bvb:12-bsb10111459-3. Sie ist in Verbindung mit der ersten Ausgabe der Georgica Curiosa. Oder : Des auf alle in Teutschland übliche Land- und Haus-Wirthschafften gerichteten … Adelichen Land- und Feld-Lebens. Nürnberg: Endter 1682 gedruckt worden und findet sich dort häufig beigebunden, hat aber den eigenständigen Titel Georgica. Unterricht Von Landgütern und Adelicher Wirthschafft auf dem Lande: In Sechs Büchern Versweise beschrieben. Nürnberg: Endter 1682. [Wolf Helmhardt von Hohberg:] Lust- und Artzeney-Garten des Königlichen Propheten Davids. Das ist Der gantze Psalter in teutsche Verse Übersetzt, sam[m]t anhangenden kurtzen Christlichen Gebetlein; Dazugleich jedem Psalm eine besondere neue Melodey, mit dem Basso Continuo … beygefügt worden. Regenspurg: Freysinger u.a 1675. Ein vollständiges Exemplar der Staats- und Stadtbibliothek Augsburg (Sign. Th Pr 1218) steht als Digitalisat zur Verfügung (Permalink: http://www.mdz-nbn-resolving.de/urn/resolver. pl?urn=urn:nbn:de:bvb:12-bsb11290964-3). Ein Digitalisat der Ausgabe von 1680 aus dem Bestand der Duke University Libraries findet sich unter http://archive.org/details/diemit teutschens01hohb. Ernst Rohmer : Das epische Projekt. Poetik und Funktion des ›carmen heroicum‹ in der deutschen Literatur des 17. Jahrhunderts. Heidelberg 1998 (= Beihefte zum Euphorion, 30), S. 264f. Nachdrücklich belegt durch Hans Gerd Rötzer : Der Roman des Barock. München 1972; vgl. dort die Werkchronologie S. 135–155. Schöne, Hohbergs Psalter-Embleme, S. 664. Hier auch der Hinweis darauf, dass die Multimedialität in der Form des Nebeneinanders von Text, Bild und Musik keinen Ausnahmefall darstellt. Gestützt auf die Bibliographie von Mario Praz (Studies in seventeenth-century imagery. Second edition, considerably increased. Rom 1964) nennt Schöne sechs weitere Autoren des 17. Jahrhunderts mit ihren der Andacht gewidmeten werken. Die Singularität Hohbergs gilt demnach im Wesentlichen der Tatsache, dass es keine weiteren Psalmübersetzungen gibt, die so verfahren.

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Peil in dem von Peter M. Daly herausgegebenen Sammelband zur internationalen Emblemforschung auf seine Ausnahmestellung hingewiesen14 und Volker Meid hält in seiner voluminösen Literaturgeschichte des 17. Jahrhunderts fest, dass »Hohberg mit einer derartigen emblematisch-musikalischen Umsetzung des ganzen Psalters wohl alleine dasteht.«15 Was aber ist das für ein Buch, das so singulär erscheint? Albrecht Schöne hat es philologisch präzise beschrieben und dennoch das Ineinander der in einer »multimedialen Verbund-Technik«16 miteinander verwobenen Teile nur annähernd wiedergeben können. Nimmt man die Erstausgabe von 1675 und die zweite des Jahres 1680 zur Grundlage, dann handelt es sich um eine Übersetzung des gesamten Psalters in paarweise gereimten Alexandrinern in vierzeiligen Strophen. Dieser Nachdichtung voraus geht vor jedem Psalm zunächst eine Überschrift mit Angabe des theologischen Gehalts des Psalms sowie der im Buch abgedruckte Notentext mit Singstimme und Continuo-Begleitung. Jeder Psalm wird abgeschlossen durch eine Bibelstelle und ein in Prosa gefasstes Gebet. Durch den Buchbinder eingefügt sind die Blätter mit den emblematischen Darstellungen, wobei jedes Blatt auf der Vorderseite eine pictura zu einer Zeile des jeweiligen Psalms enthält. Die Psalmzeile stellt aber nicht die ›inscriptio‹ dar ; vielmehr weist jedes Emblem für sich noch einmal eine solche in lateinischer Sprache auf. Die Psalmzeile trennt vielmehr die ›subsciriptiones‹, die aus jeweils einem vierzeiligen lateinischen Gedicht und dessen deutscher Übertragung bestehen, von der pictura. Die Rückseite trägt das Bild einer Heilpflanze, wobei über dem Bild der Name der Pflanze in Deutsch und Latein angegeben wird. Unter dem Bild folgt die Wiedergabe einer weiteren Psalmzeile, der als eine Art subscriptio ein Vierzeiler folgt. Der Anweisung entsprechend, die Hohberg am Ende der Vorrede im Hinblick auf die Kupferstiche gibt, sind diese durch den Buchbinder so einzufügen, »daß allezeit das Emblema die erste; das Gewächse aber die letztere Seite einnehme.«17 Das Emblem sollte also im Zusammenhang mit dem Psalm gesehen werden, die zugehörige Heilpflanze erst nach dem Umblättern sichtbar werden. Zum Buch gehört dem Titel der Erstausgabe aus dem Jahr 1675 nach auch ein weiterer Abschnitt, auch wenn er eine eigene Seitenzählung aufweist. Es ist ein 14 Dietmar Peil: The Emblem in the German-Speaking Regions. In: Companion to emblem studies. Hg. von Peter Maurice Daly. New York 2008, S. 187–222, hier S. 197–199. Die Einschätzung Peils, dass das Buch wegen der mehreren Ausgaben ein Erfolg gewesen sei, wird im Folgenden zu problematisieren sein. 15 Volker Meid: Die deutsche Literatur im Zeitalter des Barock. Vom Späthumanismus zur Frühaufklärung. 1570–1740. München 2009 (Geschichte der deutschen Literatur von den Anfängen bis zur Gegenwart, 5), S. 271. 16 Schöne, Hohbergs Psalter-Embleme, S. 656. 17 Hohberg (1675), NB zur unpag. Vorrede.

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Abdruck der Täglichen Übung der Gottseligkeit von Johann Gerhard, die zwar bei einem anderen Drucker (August Hanckwitz) hergestellt wurde, aber offenkundig als Bestandteil des Buches konzipiert ist, zumal dieser Teil auch das Register der Psalmen, Blumen und Gewächse beinhaltet. Die Beschreibung des Gesamtwerkes muss so ausführlich sein, weil die 150 Embleme und 150 Heilpflanzenbilder einschließlich der Psalmzeilen und zugehörigen Gedichte im Lauf der Zeit erneut gedruckt wurden, es dann aber zu anderen Entscheidungen hinsichtlich Umfang und Anordnung kam. Zunächst erlebte die erste Ausgabe 1680 unter verändertem Titel eine Neuauflage durch den Nürnberger Verleger Endter, die allerdings schon auf das Gerhardsche Andachtsbuch verzichtete. Dass in dieser Ausgabe die Widmung und das lateinische Einleitungsgedicht weggefallen sind, die Vorrede mit der Überschrift »Ad Lectorem« durch eine neue mit der Überschrift »Voransprach an den hochgünstigen Leser« ersetzt worden ist, hat die Forschung bislang nicht interessiert. Weitere Drucke, veranlasst von dem Nürnberger Verleger Weigel um 1700 mit dem Titel Davidischer Lust- und Blumengarten und 1707 als Emblematische Psalmen-Lust, bieten dann tatsächlich nur noch die Embleme mit den ihnen zugehörenden Texten, so dass der von Grete Lesky herausgegebene Reprint aus dem Jahr 1969 sich mit einem gewissen Recht auf eine zeitgenössische Praxis berufen kann.18 Auch wenn Albrecht Schöne diese Ausgabe hinsichtlich Auswahlentscheidung und Kommentierung der Embleme durchaus kritisch gesehen hat, ist er ihr insofern gefolgt, als auch er sich ausschließlich mit den Emblemen befasst hat, wobei er die Pflanzendarstellungen unterscheidend »Pflanzen-Embleme« nennt, die Bildpaare als »Sinnbild-Paare« versteht und entsprechend auch Bezüge zwischen den Bildern und ihren begleitenden Texten

18 Wolf Helmhardt von Hohberg: Lust- und Arzeneygarten des königlichen Propheten Davids. Nachdruck der Ausgabe 1675. Hg. von Grete Lesky. Graz 1969 (Instrumentaria artium, 8), S. XII. Schöne setzt sich kritisch mit Leskys Thesen von katholischen Quellen für die Embleme auseinander, folgt ihr aber doch im Hinblick auf die ›Gegenüberstellung‹ von Emblem und Pflanzenbild, weil es zeitgenössisch eine entsprechende Ausgabe gegeben habe. Während Schöne aber die Embleme und die Pflanzenbilder unterschiedlichen Bildgattungen zuweist und den Zusammenhang zwischen beiden offen lassen muss, verkürzt Peter Andr8 Alt, der das Hohbergsche Werk nur über Leskys Nachdruck und Schönes Kommentar dazu kennt, den Sachverhalt und beschreibt das Buch so: Es handele sich um eine »Sammlung von Doppelemblemen, die die 150 Strophen des Psalters kommentieren sollen. Auf der jeweils linken Buchseite finden sich naturkundliche Sinnbilder, auf der rechten Embleme mit allgemeiner gefaßten Motiven. Hohbergs Sammlung erweist durch ihre Illustration der einzelnen Davidspsalmen eindrucksvoll den fruchtbaren Zusammenhang von emblematischer Darstellung und spiritueller Thematik.« Vgl. Peter Andr8 Alt: Begriffsbilder. Studien zur literarischen Allegorie zwischen Opitz und Schiller. Berlin 1995 (Studien zur deutschen Literatur, 131), S. 101. So hat die Ausgabe von Grete Lesky zwar das Werk wieder in Erinnerung gerufen, einer entstellenden Rezeption aber auch Vorschub geleistet.

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herstellt.19 Die Psalmenübertragung, vor allem aber die Kompositionen und damit die Gesamtanlage des Buches bleiben bei ihm jedoch weitgehend ausgeklammert. Dieses Manko behebt in Ansätzen erst eine Untersuchung der Embleme in Hohbergs Buch, die sich ihrem Bildgehalt nach auf Musik beziehen. Sie stammt von Regine Klingsporn, die sich dem Werk aus musikhistorischer Sicht zuwendet und schon in der von ihr vorgenommenen Auswahl aufzeigt, dass alle Bestandteile von der Intention des Verfassers zusammengehalten sind, mit Stimme und Tat in den Lobpreis Gottes einzustimmen, den er in der ›harmonia mundi‹ vernimmt.20 So zeigt das Emblem zum 6. Vers des den Abschluss bildenden 150. Psalms unter der inscriptio »exaltata cano« eine Lerche, die sich über einem wohlbestellten Landgut in die Lüfte schwingt und singt. In der subscriptio heißt es dazu: »was geist und athem hat danckopffer Gott hinbringet, j soll dann der Mensch so gar stumm ohn erkäntniß sein«.21 Klingsporn weist mit Recht auf die doppelte Bedeutung von »erkäntniß« hin: Erkenntnis und sich erkenntlich zeigen, Dank zum Ausdruck bringen liegen im Psalter nebeneinander und werden im Schlusspsalm auch zusammengefügt. Die vollbrachte Aufgabe ist Anlass für den Dank im Lied.22 Die Psalmdichtung Hohbergs ist also in ihrer Plurimedialität durchaus wahrgenommen, allerdings bisher eher in Einzelheiten beschrieben als in ihrer Gesamtheit untersucht worden. Das mag einen Grund gerade in der Singularität des Werkes haben, denn trotz seiner Präsenz auf dem zeitgenössischen Buchmarkt ist es nicht wirklich traditionsbildend oder kanonisch geworden,23 was vielleicht auch daran liegt, dass es in einem spezifischen und regional begrenzten Zusammenhang entstand, so dass schon zeitgenössisch nur eingeschränkt Anschluss- und Wirkungsmöglichkeiten zu zeitgleichen Bestrebungen weiterer 19 Schöne, Hohbergs Psalter-Embleme, S. 659f. Ob diese Begrifflichkeit angemessen ist, lässt sich hier nicht diskutieren. Hohberg selbst unterscheidet in den Paratexten zu seinem Werk zwischen Emblem und Pflanzenbild (vgl. die oben zitierte Anweisung an den Buchbinder). 20 Wichtige Hinweise gibt Regine Klingsporn: »Musikalische ›Sinn-Blumen‹ und ›BildungsGewächse‹«. Der Hohberg-Psalter (1675) als musikhistorische Quelle. In: Gesangbuchillustration. Beiträge zu ihrer Geschichte. Hg. von Ulrike Süß u. Hermann Kurzke. Tübingen, Basel 2005. S. 1–12. Zuletzt hätte eine Tagung zu Musik und Emblematik im Jahr 2011 am Interdisziplinären Institut für Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit einen Rahmen geboten. Hohbergs Werk ist dort allerdings nicht thematisiert worden (vgl. Melanie Wald-Fuhrmann: Tagungsbericht Musik und Emblematik in der Frühen Neuzeit. 01. 12. 2012–03. 12. 2012, Osnabrück, in: H-Soz-u-Kult, 24. 03. 2012, . 21 Hohberg (1680), nach S. 524. 22 Klingsporn, Sinn-Blumen, S. 12. 23 Schöne macht auf Kornelis Zweert: Zede- en zinnebeelden over koning Davids harpzangen: nevens daer op toegepaste zielzuchten. Amsterdam 1707 aufmerksam, das 90 Embleme von Hohberg übernommen habe; vgl. Schöne, Hohbergs Psalter-Embleme, S. 664.

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Übersetzer von Psalmen bestanden.24 Und dort, wo man sein Werk zur Kenntnis nahm, stieß es auch auf Widerstand. Das wird greifbar in der Vorrede des Michael Stechovius zu seiner Psalmenübertragung,25 in der er zwar wie Hohberg als Motivation zur Übersetzung die eigene Glaubenserfahrung herausstellt, dann aber sein Festhalten an der Tradition, die sich in der Wahl überlieferter Kirchenmelodien und im Verzicht auf Kommentierung und bildlichen Schmuck ausdrückt, der Praxis Hohbergs entgegenstellt: So hat auch noch neulich ein Mitglied der Fruchtbringenden Gesellschaft den gantzen Psalter in allerhand ungewöhnlichen Reimarten nach neuen Melodien ins Teutsche übersetzet / und dabey weitleufftig Commentiret / wormit zwar der studirenden Jugend / nicht aber der Christlichen Tauben-Einfalt wird gedienet seyn / ist auch ohne das ein Werck welches weitläufftig / und wegen derer dabey verhandenen Kupffer und Sinnbilder nicht jedermans Kauff ist.26

Es sind aber nicht nur die Ausstattung und der in den Emblemen und Auslegungen deutlich werdende hohe Reflexionsgrad, die Stechovius moniert. In seiner Vorrede wird noch einmal die orthodox-lutherische Position hervorgehoben, dass der Wert des Psalters vor allem in seiner christologischen Lesart liege.27 Dass Stechovius seine im Selbstverlag gedruckte Psalmenübersetzung als Mitglied des Elbschwanenordens an das nach dem Tod des Oberhaupts August von Sachsen-Weißenfels wohl prominenteste Mitglied der Fruchtbringenden Gesellschaft, Fürst Anton Ulrich von Braunschweig-Wolfenbüttel dedizierte, signalisiert auch, dass man um einen angemessenen Umgang mit dem biblischen Text rang. Mit Stechovius positioniert sich eine norddeutsche geistliche Dichtung gegen eine in Nürnberg und Regensburg verfolgte Praxis der Erbauungsliteratur. Wogegen Stechovius so ausdrücklich eintrat, wird aber erst verständlich, wenn man Hohbergs Emblem-Psalter als ein literarisches Ereignis aus der Region und in einem räumlichen Kontext untersucht und daraus Ansätze zu 24 Inka Bach / Helmut Galle: Deutsche Psalmendichtung vom 16. bis zum 20. Jahrhundert. Berlin [u. a.] 1989 (Quellen und Forschungen zur Sprach- und Kulturgeschichte der germanischen Völker 219), S. 188–190 referiert vor allem die Dissertation von Angelika Reich: Übersetzungsprinzipien in den deutschsprachigen liedhaften Gesamtpsaltern des 16. und 17. Jahrhunderts. Diss. Regensburg 1977, in der Hohberg als poetischer Übersetzer in die Nähe von Johann Vogel und Andreas Heinrich Buchholtz gerückt wird (vgl. dort S. 281ff. bzw. S. 292ff.). Wichtiger wären wohl auch hier regionale Einflüsse wie die große Bedeutung des Emblems in den Erbauungs- und Andachtsbüchern Nürnberger Theologen wie Johann Saubert und Johann Michael Dilherr. 25 [Michael Stechovius:] Davids Des Sohns Isai/ CLI. Psalmen. Nach denen in Lutherischen Kirchen üblichen Gesangs-weisen gesetzet / von Ristisandern/ Einem Käyserl. gekröhnten/ und im hochl. Schwanen-Orden also benahmten Po[ten. Im Jahr M.DC.LXXX. 26 Stechovius, zitiert nach Klaus Peter Ewald: Engagierte Dichtung im 17. Jahrhundert. Studie zur Dokumentation und funktionsanalytischen Bestimmung des ›Psalmdichtungsphänomens‹. Stuttgart 1975 (Stuttgarter Arbeiten zur Germanistik, 6), S. 244f. 27 Ewald, Engagierte Dichtung, S. 245f.

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seiner hier nur in Andeutungen zu leistenden Analyse gewinnt. Dazu sind zunächst die Umstände, unter denen das Werk entstanden ist, aufzuzeigen, soweit sie sich rekonstruieren bzw. wenigstens wahrscheinlich machen lassen. In einem zweiten Schritt soll an einigen Beispielen nach dessen ästhetisch-theologischem Programm, genauer nach der Funktion der Multimedialität gefragt werden. Wolf Helmhard Freiherr von Hohberg ist am 20. Oktober 1612 auf Schloss Lengenfeld in Niederösterreich zur Welt gekommen. Während seines Dienstes als Hauptmann im kaiserlichen Heer 1632 bis 1641 holte er die aus familiären Gründen vernachlässigte Schulbildung als Autodidakt nach. Nach dem Krieg erwarb er durch Heirat zunächst Güter in Oberösterreich, die er aber 1664 verkaufte, um sich 1665 in Regensburg niederzulassen, wo er am 28. Juni 1688 starb. Beigesetzt wurde er in der Bartholomäuskirche im Nürnberger Vorort Wöhrd. Obwohl Hohberg mit dem Gesellschaftsnamen ›der Sinnreiche‹ schon 1652 wohl auf Vermittlung Georg Philipp Harsdörffers in die Fruchtbringende Gesellschaft aufgenommen worden war, brachte er erst in seiner Regensburger Zeit seine zahlreichen Publikationsvorhaben zum Abschluss.28 So bekennt er auch in der Vorrede zu seiner Psalmen-Nachdichtung, die Übersetzung habe sich von der Jugend bis ins Alter hingezogen, so dass der Leser »so wol der Männlichen SommerJahr / und früchtigen Herbstes / als auch des abnehmenden / Müden und siechen Alters Fußstapffen zu verspühren« bekomme.29 Die Psalmübersetzung wird so rückgebunden an die eigene Glaubenspraxis und steht damit in einem bemerkenswerten, aber häufig anzutreffenden Kontrast zu den Vorstellungen von Dichtkunst jener Zeit. Inka Bach und Helmut Galle haben in ihrer Untersuchung zur Deutschen Psalmendichtung herausgestellt, welche Probleme die Psalmen als göttlich inspirierter Text den Poeten bereiteten, wie vor allem auch Martin Luthers Auslegung des Psalters und seine eigene Psalmlied-Praxis den Umgang mit dem biblischen Buch bestimmten.30 In einem nicht von der Hand zu weisenden Widerspruch zu seiner tatsächlichen Übersetzungs- und Auslegungspraxis, die eben doch, wie dann Stechovius zu Recht feststellt, »ungewöhnlich«, »neu« und »weitläufftig« ist, beharrt Hohberg in der Vorrede auf dem Ursprung seiner Übersetzung in der eigenen Glaubenserfahrung, betont zugleich aber auch: Ich habe / (so viel möglich) die allerbekanntesten und gebräuchlichsten Wort auffgeführet / die spitzfindige / und mit fleiß gesuchte Dunckelheit (damit theils zuprangen

28 Zur Biographie Otto Brunner: »Hohberg, Wolf Helmhard Freiherr von«, in: Neue Deutsche Biographie 9 (1972), S. 476f. [Onlinefassung]; URL: http://www.deutsche-biographie.de/ pnd118774735.html mit der auch hier wie in Brunners Monographie problematischen Bewertung der literarischen Leistung. 29 Hohberg (1675), Ad Lectorem. 30 Bach/Galle, Psalmendichtung, S. 147–158.

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pflegen) zuvermeiden; und bin auffs genaueste unserer gemainen Teutschen Biblischen übersetzung nachgegangen.31

Damit reiht sich Hohberg zunächst in eine theologisch gerechtfertigte Praxis der Psalterübersetzung ein. Erst darauf folgt die Begründung der musikalischen Ausgestaltung, die allerdings ebenfalls im Zusammenhang mit der theologischen Rechtfertigung von Musik seit Luther zu sehen ist: Daß sie alle in einerley Reim-arten sich zeigen / ist / daß sie von mir anfangs mehr zum lesen und beten / als zum singen verordnet; nachmals erst / durch andere Zufälle / mit gewissen Arien versehen; deren hernach die maisten / vom Herrn Hieronymo Kradenthallern / kunstreichen und vornehmen Musico, auch wolbestelten Organisten in der neuen Pfarr zu Regenspurg […] auffgesetzt und gemacht worden.32

Wenn also Albrecht Schöne aus den verwendeten Motiven der Embleme die Gebundenheit des Dichters an seine Herkunft ablesen will, die geprägt sei von der Jagd, dem bäuerlichen Verrichtungen und dem Erleben der heimischen Natur, so dass die verwendeten exotischen Gegenstände als Besonderheit herausstächen,33 so ist das vielleicht im Hinblick auf die von Hohberg gelebte Distanz zum Hofleben und der höfischen Kultur gerechtfertigt. Die Veröffentlichung des Lust- und Artzney-Garten allerdings zeigt auch, dass Hohberg sich seiner Position in zeitgenössischen Diskursen durchaus bewusst war. So ist die Wahl des Regensburger Komponisten Hieronymus Gradenthaler34 zum Mitarbeiter sicher nicht allein durch die lokalen Gegebenheiten erzwungen gewesen, sondern Hohberg zieht mit ihm einen Musiker heran, der sich in Regensburg in diesen Jahren mit seinem Musikverständnis eindeutig positionierte. Gradenthaler war 1637 geboren und damit eine Generation jünger als Hohberg. Er hatte sich von 1656 bis 1658 in Nürnberg, finanziert durch ein Stipendium seiner Heimatstadt Regensburg, bei dem Organisten David Schädlich im Orgelspiel ausbilden lassen. Die Musikgeschichte sieht ihn als bedeutenden Instrumentalkomponisten seiner Zeit, hebt aber auch seine die Tradition der Nürnberger Liederschule fortsetzende Vokalmusik besonders hervor.35 Gradenthaler war nach seiner Rückkehr nach Regensburg Nachfolger seines Vaters im Amt des Organisten geworden, wirkte aber auch am Gymnasium poeticum 31 32 33 34

Hohberg (1675), Ad Lectorem. Hohberg (1675), Ad Lectorem. Schöne, Hohbergs Psalter-Embleme, S. 668. Die Schreibung des Namens ist äußerst inkonsistent; man findet Kradenthaller, Krotentaler, Gnadenthaler, Gradenthaller und Kradenthaler. Wie bei Hohberg wird hier der Schreibung in modernen Nachschlagewerken gefolgt. Das Bayerische Musiker-Lexikon online und in Folge auch die Deutsche Biographie verwenden Gradenthaler (http://www.bmlo.lmu.de/Q/ PND=128833157). 35 Raimund W. Sterl: Evangelische Kirchenmusik. In: Musikgeschichte Regensburgs. Hg. von Thomas Emmerig. Regensburg 2006, S. 98–130, hier S. 117–119.

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der Reichsstadt,36 das für seine Musikausbildung über die Grenzen der Stadt hinaus bekannt war. So besuchten in dieser Zeit Johann Pachelbel und Johann Beer die Schule.37 Allerdings war die Musikpflege nicht nur in Regensburg Gegenstand theologischer Diskussionen. Die insgesamt musikkritische Einstellung der Reformierten fand auch unter Protestanten Anhänger. Vor allem die Instrumentalmusik wurde abgelehnt, dem Bereich des Weltlichen zugerechnet, als Einfallstor für die Sünde eingeschätzt.38 Auch in Regensburg gab es offenkundig Befürworter und Gegner von geistlicher Instrumentalmusik. Gradenthaler hat hierzu im Jahr nach der Veröffentlichung von Hohbergs Psalmenübersetzung in seiner musikdidaktischen Schrift Horologium musicum39 Stellung bezogen und unter Berufung auf Luthers Tischgenossen und frühen Biographen Johann Mathesius die gleichberechtigte Stellung der Instrumentalmusik neben der Vokalmusik betont. Die mehrstimmige Musik habe zudem eine besondere Würde, die darin liege, dass »nicht allein in derselben die himmlische Freude uns etlicher Massen fürgemahlet / sondern daß auch das grosse Geheimnüß der heiligen Drey-Einigkeit / fast in keinem Exempel / so schön und klar als in einer holdseligen dreystimmigen Music praesentiret und fürgebildet wird.«40 Damit distanziert sich Gradenthaler aber auch von einer theologischen Position, die sich in einer wenig vorher in Regensburg veröffentlichten Anleitung zur Unterweisung in der Musik findet. Die Vorrede dazu stammt aus der Feder des Regensburger Superintendenten und Luther-Herausgeber Erasmus Gruber, der darin dem gesungenen Wort einen deutlichen Vorrang vor der Musik einräumt.41 So heißt es bei Gruber etwa:

36 Raymond Dittrich / August Scharnagel: Art. Kradenthaller, Hiernonymus, in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart, 2. Aufl., Personenteil Bd. 10, Kassel u. a. 2003, Sp. 599–601. 37 Sterl, Evangelische Kirchenmusik, S. 117. 38 Vgl. Gustav A. Krieg: Musik und Religion IV: Von der Renaissance bis zur Gegenwart. In: TRE, Bd. 23. Hg. v. Horst Robert Balz u. a. Berlin, New York 1994, S. 457–495, hier S. 463f. 39 Hieronymus Gradenthaler : Horologium musicum. Treu-wolgemeinter Rath vermittelst welches ein junger Knab von 9 oder 9 1/2 Jahren … den Grund der edlen Music und SingKunst fassen kann. Regenspurg 1676. Hieronymus Gradenthaler : Hyronymi Gradenthallers Horologium musicum. Treu-wolgemeynter Rath vermittelst welches ein junger Knab von neun oder zehenthalb Jahren mit Lust und geringer Mühe in kurtzer Zeit den Grund der edlen Music und Sing-Kunst fassen kann; Gott zu vordersten Ehren … gantz klar und deutlich vorgeschrieben und verfertiget. … zum andernmal übersehen / und in Druck gegeben. Nürnberg, Regenspurg: Endter ; Hofmann 1687. http://www.mdz-nbn-resolving. de/urn/resolver.pl?urn=urn:nbn:de:bvb:12-bsb10598623-4. 40 Gradenthaler (1687), S. 13. 41 Dazu Andreas Pfisterer : »… verständlich pronuncirn, und exprimirn«. Zwei Regensburger Singschulen des 17. Jahrhunderts. In: Mälzels Magazin 7 (2004) H. 2. S. 4–6 und Wolfgang Horn: Musiktheorie. Von 1670 bis 1800. In: Musikgeschichte Regensburgs. Hg. von Thomas Emmerig. Regensburg 2006, S. 230–254, besonders S. 230–234.

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Es ist unlaugbar, daß in der Gemein Gottes am singen weit mehr gelegen ist, als am orgeln, pfeiffen und geigen, und haben die Heiligen bey dem Gottes-Dienst allweg mehr auf die lebendige Menschen-Stimmen gehalten, als auf den Klang der Musicalischen Instrument: Dieselbige sind in der Kirch bey dem Gesang nur ein Accessorium, zieren und dirigiren die Stimmen, und machen Sie desto durchtringender, und dienen also nur ad bene esse.42

Gradenthaler hält dagegen fest, dass die Wirkung des Wortes durch die Musik verstärkt werde: Sie [die Musik] durchsüsset das Wort GOttes / und ist gleichsam der Zucker / dardurch die Göttliche Artzney überzuckert / und unserer Seelen lieblich beygebracht wird.43

Seine Berufung auf Menschen aus dem Umkreis Luthers sowie ausdrücklich auch auf Augustinus, der im 10. Buch seiner Confessiones im 33. Kapitel der Musik die Aufgabe zugeschrieben habe, die Herzen der Menschen für das Wort Gottes zu öffnen, ist Bestandteil einer argumentativen Strategie, mit der der Widerspruch zur Position des Theologen, der ja zugleich auch Dienstaufsicht über den Musiker ausübte, legitimiert werden musste: der von Luther hoch geschätzte Kirchenvater Augustin und weitere Zeugen aus dem Umkreis des Reformators werden gegen die Position des orthodoxen Superintendenten aufgeboten. Dass sich Hohberg und sein Komponist in dieser Sache einig waren, macht der »Vorspruch an den Leser« in Hohbergs Werk deutlich. In ihm wird unter anderem mitgeteilt, dass man umfangreichere Ritornelle zu den Melodien vom Komponisten erhalten könne. Der Kombination von Wort und Musik wird zudem eine besondere Aufgabe zugeschrieben: ihr vornehmster Zweck sei – und hier stützt sich Hohberg ganz auf die Musik-Apologetik Luthers – darin zu sehen, »den bösen Traurengeist zu vertreiben«.44 Man mag diesen Schriften vorwerfen, dass sie die Musiktheorie »in Form eines schematischen und aus diversen oder diffusen Quellen gespeisten Referats« darböten und dabei alles andere als originell daher kämen, wie das der Regensburger Musikwissenschaftler Wolfgang Horn in seinem Beitrag zur Musikgeschichte Regensburgs getan hat.45 Aber das verkennt doch die zentrale Funktion, ja die Notwendigkeit 42 Synopsis Musica Oder Kurtzer Inhalt, Wie die Schul-Jugend kürtzlich und mit geringer Mühe in der Sing-Kunst abzurichten. Mit einem Christlichen Vor-Bericht Herrn Erasmi Gruberi, Pastoris und Superintend. in Regenspurg. [Regensburg] 1673; hier zitiert nach Pfister, S. 6. 43 Gradenthaler (1687), S. 13. 44 Hohberg (1675), Ad Lectorem. Zu Luthers Musikverständnis z. B. Edmund Schlink: Zum theologischen Problem der Musik. In: Ders.: Schriften zu Ökumene und Bekenntnis Bd. 5: Ausgewählte Beiträge. Kirchenkampf – Theologische Grundfragen – Ökumene. Hg. von Ursula Schnell. Göttingen 2010, S. 147–170, hier S. 166f. 45 Wolfgang Horn: Musiktheorie. Von 1670 bis 1800. In: Musikgeschichte Regensburgs. Hg. von Thomas Emmerig. Regensburg 2006, S. 230–254, hier S. 230. Horns Einschätzung, dass es

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solcher Berufung auf Autoritäten, um dann unter ihrem Schutz über die ›imitatio‹ hinaus auch zur ›aemulatio‹ vordringen zu können. Zu dieser Absicherung, die für Hohberg genauso wichtig wie für den Komponisten Gradenthaler war, gehört auch die Beigabe der Gerhardschen Täglichen Übung der Gottseligkeit, die als eine in der lutherischen Orthodoxie akzeptierte Erbauungsschrift einzuschätzen ist.46 War schon die musikalische Ausgestaltung der Psalmenübertragung Hohbergs etwas, das der theologischen Rechtfertigung bedurfte, so ist auch die Kombination der Psalmen mit Emblemen eine bewusste Entscheidung für eine nicht allenthalben akzeptierte Frömmigkeitspraxis.47 Hohberg realisierte sie, indem er auch hier auf einen in der Region tätigen Mitarbeiter zurückgriff, damit eine in der Region etablierte Praxis aufgriff und das Renommee des Künstlers für sich nutzte. Die Stiche stammen – das scheint sicher zu sein – sämtlich von Georg Christoph Eimmart.48 Dieser gebürtige Regensburger hatte in Jena bei Erhard Weigel Mathematik studiert und war Anfang der 60er Jahre des 17. Jahrhunderts seiner Schwester nach Nürnberg gefolgt, die den ebenfalls von Regensburg nach Nürnberg übersiedelten Jacob von Sandrart geheiratet hatte. Mit diesem betrieb Eimmart die Gründung der Nürnberger Maler-Akademie. Sigmund von Birken unterstützte er von 1675 bis 1679 bei der Arbeit an der Teutschen Academie der Edlen Bau-, Bild- und Mahlerey-Künste seines Onkels Joachim von Sandrart. Bedeutung erlangten vor allem aber seine astronomischen Messungen, die er ab

hier um den Dissens zwischen dem akademisch gebildeten Theologen und dem praktizierenden Musiker gehe, wie er in der Diskussion um die Kirchenmusik über die Zeiten hinweg anzutreffen sei, greift insofern zu kurz, als davon ja grundlegende theologische Fragen, insbesondere das Gottesdienstverständnis berührt sind. 46 Johannes Wallmann: Die Nadere Reformatie und der deutsche Pietismus. In: Ders.: Pietismus und Orthodoxie. Gesammelte Aufsätze III. Tübingen 2010, S. 406–426, hier S. 423. 47 Vgl. zu den Verhältnissen in Nürnberg Ernst Rohmer : Literatur und Theologie in Nürnberg. Johann Michael Dilherr und der Pegnesische Blumenorden. In: Aedificatio. Erbauung im interkulturellen Kontext in der Frühen Neuzeit. Hg. v. Andreas Solbach. Tübingen 2005, S. 267–283, bes. S. 275f.; auch Ernst Rohmer : Emblematischer Gebrauchszusammenhang in der Frühen Neuzeit: Bild und Text zwischen Mnemonik und Erbauung bei Nürnberger Theologen. In: Das Emblem im Widerspiel von Intermedialität und Synmedialität. Symposium an der Universität Hildesheim 30.4.-1. 5. 2004. Hg. v. Johannes Köhler und Wolfgang Christian Schneider. Hildesheim, Zürich, New York 2007 (Philosophische Texte und Studien, 89), S. 103–128. 48 Die Urheberschaft Eimmarts wird in der Regel recht vorsichtig vermutet. Sein Nachfolger in der Leitung der Nürnberger Sternwarte, Johann Gabriel Doppelmayer hält in der von ihm veröffentlichten Historische[n] Nachricht von den Nürnbergischen Mathematicis und Künstlern, welche fast von dreyen Seculis her durch ihre Schrifften und Kunst-Bemühungen die Mathematic und mehreste Künste in Nürnberg vor andern trefflich befördert und sich um solche sehr wohl verdient gemacht. Nürnberg 1730 im Eintrag zu Eimmart aber fest, dass er die insgesamt 300 Blätter angefertigt habe.

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dem Herbst 1678 in der von ihm eingerichteten Sternwarte auf einer Bastei der Nürnberger Burg vornahm.49 Es ist interessant, dass angesichts der zweifellos engen Verbindungen zwischen Eimmart und Hohberg, die sich über die Embleme in verschiedenen Stadien ihrer Entstehung austauschen mussten, kein intensiverer Kontakt zu Birken entstand, obwohl dieser sonst mit Angehörigen des österreichischen Adels wie Catharina Regina von Greiffenberg oder Johann Wilhelm von Stubenberg in engerer Beziehung stand.50 Trotzdem sind die wenigen brieflichen Belege ihrer Bekanntschaft, die Martin Bircher schon 1970 ediert hat, für diesen Zusammenhang wichtig. Aus ihnen geht hervor, dass Hohberg zwar einerseits 1666 mit Birken über Fragen der Nachfolge in der Leitung der Fruchtbringenden Gesellschaft korrespondiert hat, sich aber geweigert hat, in diesem Zusammenhang ein Trauergedicht zu liefern, das Birken für zweckdienlich gehalten hätte. Der Tod, so Hohberg, liege so lange zurück, dass ihm ein Gelegenheitsgedicht hierzu lächerlich erscheine.51 Erst 1677 findet sich ein weiterer Brief Hohbergs, der auf die Übersendung von zwei Werken Birkens reagiert und gleichzeitig erkennen lässt, dass Birken sich lobend über Hohbergs Psalter geäußert hat. Vor allem geht es hier dann doch einmal um die Frage der Unterstützung durch Birken: Ich habe Herrn Wolff Moritz Endern wegen des Verlags zugeschriben; und ihn auch Erinnert, daß ich noch von dem Psalterio etliche hundert exemplaria, samt den Kupfferplatten (die noch wol zubrauchen, oder doch mit geringen Unkosten wider aufzufrischen) in handen habe, wan wir uns des Verlags und Verkauffs halber vergleichen konnten, daferne sich aber diß nicht thun ließe bin ich schon entschlossen, das werck hier trucken zulassen und selbst zuverlegen. Were mir aber (manche mühe und verdrus zuerspahren) gleichwol lieber, wan sich ein Verleger darzu funde. Kan mein hochgeehrter Herr Gesellschafft[er] dißfalls etwas cooperiren, werde ichs in keine Vergessenheit stellen.52

Konkret geht es um die Drucklegung der Georgica curiosa, die Hohberg an ein Geschäft koppeln will, das man eigentlich nur so verstehen kann, dass der Absatz des Lust- und Artzeney-Gartens offenbar so schleppend war, dass noch »etliche 49 Doris Gerstl: Georg Christoph Eimmart als Künstler – Die ›camera obscura‹ als Erbe. In: Astronomie in Nürnberg. Hg. von Gudrun Wolfschmidt. Hamburg 2010. S. 235–250. 50 Birkens Vermittlerrolle zwischen Autoren, Kupferstechern und Verlegern untersucht am Beispiel von Sandrarts »Teutscher Academie« Christian Klemm: Sigmund von Birken und Joachim von Sandrart. Zur Entstehung der ›Teutschen Academie‹ und zu anderen Beziehungen von Literat und Maler. In: Der Franken Rom. Nürnbergs Blütezeit in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Hg. von John Roger Paas. Wiesbaden 1995, S. 289–313. 51 Martin Bircher : Wolf Helmhard von Hohberg (1612–1688). Briefe und frühe Gelegenheitsdichtungen. In: Literaturwissenschaftliches Jahrbuch NF 11 (1970), S. 37–66, hier S. 56 (Brief Hohbergs vom 2. 2. 1666). 52 Hohberg, zit. nach Bircher, Hohberg, S. 57.

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hundert exemplaria« in Regensburg lagen und mangels geeigneter Vertriebspartner wohl auch kaum an den Käufer gebracht werden konnten – die beträchtliche Zahl der Auflagen relativiert sich vor diesem Hintergrund etwas und lässt fraglich erscheinen, ob das Buch tatsächlich ein großer Publikumserfolg war. Jedenfalls kam es aber zu dem von Hohberg gewünschten Koppelgeschäft, denn im Verlag von Wolfgang Endter erschien 1680 die neue Ausgabe, bei der es sich unter den gegebenen Umständen um eine Titelauflage handeln muss, die nun als Die mit Teutschen Saiten überzogene, heilige Kron-Harffe, oder Verfassung des gantzen Psalter Davids in Teutsche Reim-Gebäude bezeichnet wurde. Dass Hohberg hierzu eine neue »Voransprach« verfasst hat, die in entscheidenden Punkten von der ersten »Ad Lectorem« abweicht, wird noch zu diskutieren sein. 1682 jedenfalls erschien als zweiter Bestandteil der Vereinbarung die ungleich erfolgreichere Georgica curiosa: das ist: Umständlicher Bericht und klarer Unterricht von dem adelichen Land- und Feldleben. Im Umkehrschluss bedeutet das aber auch, dass Hohberg selbst die Drucklegung seines Psalters finanziert hatte. Wie sonst lässt sich erklären, dass er über die gedruckten Exemplare und die Druckstöcke der Embleme offenbar frei verfügen konnte? Auch auf eine nachträgliche Finanzierung aus der Schatulle eines Mäzens verzichtete er. Als er die der Fruchtbringenden Gesellschaft geschuldeten Pflichtexemplare an deren Oberhaupt, damals Herzog August von Sachsen, übersandte, schreibt er diesem: Eur Durchleucht vergeben mir die Künheit, daß mit disem, zwar geringem doch Geistlichem Opffer, auff dem Altar ihrer Hochfürstl. Gegenwart zuerscheinen, Ich mich unterstanden: Weilen aber, neben andern hochpreislichen Tugenden auch deren Gottesforcht mir gerühmet worden, hoffe ich, werde desto willicher, und billicher die gnadenthür eröffnet; dises mit gnädiger Auffnahm gewürdiget; Ich aber, vor einen zwar unwürdigen doch treuen und unterthänigsten Diener erkennet werden. Die Zuaignungs-Ursach ist nicht (wie maistesthails gebräuchig) einige Nutzenssuchung, oder Interesse, wie mans nennet; sondern allein eine beständige erweisung meiner gebührenden Pflichtschuldigkeit.53

Man mag den Verzicht auf »Nutzenssuchung oder Interesse« formelhaft finden und ihm keinen Glauben schenken. Allerdings spricht ein bemerkenswertes Detail dafür, dass sich Hohberg eine für diese Zeit bemerkenswerte Unabhängigkeit zu bewahren suchte. Das zeigt sich im demonstrativen Verzicht auf Widmungsgedichte sowohl in der Psalter-Übersetzung als auch im Adeligen Land- und Feld-Leben. Hatte noch eine ganze Anzahl von Mitgliedern der Fruchtbringenden Gesellschaft den Habsburgischen Ottobert und seinen Verfasser gerühmt, so stellt Hohberg in der Vorrede zur Ausgabe von 1675 lapidar fest, dass er auf den Abdruck der vorliegenden Widmungsgedichte verzichtet 53 Zit. nach Bircher, Hohberg, S. 64f. Brief in der Sächsischen Landesbibliothek Dresden.

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habe, um den Eindruck der Eitelkeit zu vermeiden.54 In der Georgica geht er auf den auch dort geübten Verzicht überhaupt nicht mehr ein. Das Selbstbewusstsein des Dichters spricht auch aus der Widmung des Lustund Artzeney-Garten an August von Sachsen. Man muss sich noch einmal in Erinnerung rufen, dass das Nachdichten der Psalmen nicht als Übersetzungsleistung zu gelten hat, sondern dass Hohberg in seinem Vorwort auf die Spuren seines eigenen Lebens in diesen Texten aufmerksam macht. Die biographische Situation des Nachdichters, sein eigenes Nachvollziehen der Lieder des Königs David machen sie erst zu dem, was sie sind. Begründet ist dies nicht in modernen Kategorien des Erlebnisses oder der individuellen religiösen Erfahrung, sondern Hohbergs Dichten ist eine Fortsetzung der davidischen Textproduktion, die angeregt ist durch das, was nun auch dem ersten Leser, dem »Wolgerahtenen« und Oberhaupt der Fruchtbringenden Gesellschaft, als Leseerfahrung angekündigt wird. Er wird in diesem »Lust- und Artzeneygarten / der Geruch und Geschmack / mit holdseligen Blumen / Gewächsen und Früchten; die Augen mit unterschiedenen Sinnbildern / und das Gehör mit seiner Sathan-vertreibenden Härpffen / und denen vom Geist Gottes her / entsprossenen Liedern« unterhalten werden.55 Das multimediale Kunstwerk wird also mit Wort, Musik und Bild über alle Körperöffnungen in den Betrachter eingehen und – das ist das Konzept dahinter – über diese Sinne auch den Leser in diese Andacht mit einbeziehen, ihn darauf antworten lassen. Drei Psalm-Embleme seien dazu herausgegriffen, in denen diese Wirkung auch Gegenstand der emblematischen Kunst wird, die sich dabei freilich nicht aus den Grenzen des theologisch Denkbaren heraus bewegt. So zeigt das Emblem zum 104. Psalm eine auf dem Tisch liegende Laute unter der ›inscriptio‹ »harmonia suavis« (süße Harmonie). Unter Bezugnahme auf den Vers 31 des Psalms lautet die Subscriptio dann (hier in der deutschsprachigen Fassung) Von einer maisterhand gerührt fürtrefflich klinget die Laute; wan wol sind die saiten eingestimmt: Von Gottes weisheit so die ganze welt entspringet und der geschöpffe kunst den Schöpffer macht berühmt.56

Die Laute ist Ergebnis der Kunstfertigkeit des Menschen, die eine Gabe Gottes ist, die der Mensch nur dann angemessen einsetzt, wenn seine Tätigkeit wieder zum Gottesdienst wird. Die Überschrift über den 104. Psalm fasst dieses Denken als Gegenstand des Psalms zusammen. Sie lautet »Die Creatur hat Gottes Spur«. Im Emblem zum 81. Psalm wird das, was den Psalter als Kunstwerk ausmacht, 54 Hohberg (1675), Ad Lectorem. 55 Hohberg (1675), fol. iiijr–v. 56 Hohberg (1675), nach S. 372.

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Abb. 1: Hohberg: Lust- und Artzeney-Garten des Königlichen Propheten Davids. Emblem zu Psalm 104.

versinnbildlicht. Das Lob Gottes ist nur dem möglich, der sein Herz für die Botschaft öffnet. Interessanterweise ist es nicht das Ohr, das die Botschaft aufnimmt, sondern das Redeorgan – der Mund – wird mit ihr gefüllt. Es geht um das Wort Gottes als geistige Nahrung. Zum Psalmvers 11 »Thu deinen mund weit auff, laß mich ihn füllen« heißt es Wann man in ein geschirr soll edlen safft eingiessen so muß das mundloch lähr und wolgeöffnet seyn: Wan Gottes wehrter trost in unser herz soll fliessen, so muß es seyn bereit und von der weltlust rain.57

Das Emblem zum 19. Psalm schließlich zeigt vielleicht am deutlichsten die Quelle von Hohbergs Verständnis des Psalters insgesamt. In ihm klingt die ›harmonia mundi‹ des Johannes Kepler von den Tagen der Schöpfung über den Sänger David bis hin zu Hohberg und seinen Lesern weiter. Als Thema des Psalms gibt Hohberg an »Himmel und Erden durch dein Wort erfreuet werden«. Den Inhalt fasst er so zusammen: »David weissaget / wie der herrliche Sonnenglantz des H. Evangelii alle Theile der Welt durchscheine«. Die zweite 57 Hohberg (1675), nach S. 296.

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Abb. 2: Hohberg: Lust- und Artzeney-Garten des Königlichen Propheten Davids. Emblem zu Psalm 81.

Strophe seines Psalmgedichtes, die nicht völlig mit dem 2. Vers der Vulgata korrespondiert, lautet: Es unterrichtet selbst davon ein Tag den andern Ja wo die Flammenschar der Sternen pflegt zu wandern wird’s allenthalben kund / wo war doch eine Sprach da ihre Stimme nicht hindurch gewaltig brach?58

Emblem und subscriptio beinhalten genau diesen Gedanken der durch das Wort Gottes geschaffenen Himmels-Harmonie, die im abschließenden Bibelwort aus dem Brief an die Hebräer noch einmal beschworen wird in »Das Wort Gottes ist lebendig / und kräfftig.« Das abschließende Gebet antwortet darauf und verweist damit letztlich auf das Emblem zum 81. Psalm. Darin heißt es: »laß dir mein Hertzensgespräch allezeit gefallen«.59 Es ist schon angedeutet worden, dass in der Ausgabe von 1680 mit dem neuen Titel auch ein neues Vorwort die Übersetzung samt Kompositionen und Emblemen begleitet hat. Darin verzichtet Hohberg auf einige in der bisherigen 58 Hohberg (1675), S. 62. 59 Hohberg (1675), S. 64.

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Abb. 3: Hohberg: Lust- und Artzeney-Garten des Königlichen Propheten Davids. Emblem zu Psalm 19 (›operis praestantia artificis gloria‹).

Argumentation entscheidende Punkte: Es entfällt jeglicher Hinweis auf den Komponisten und die Möglichkeit, von ihm weiteres Aufführungsmaterial zu erhalten. Damit einher geht der Verzicht auf jegliche Äußerung zu Wirkungen der Musik. Es fehlt aber auch die biographische Anbindung der Übersetzungsleistung. Statt dessen wird Luthers Einschätzung des Psalters, er sei »eine kleine Bibel / darinn alles auf das schönste und kürtzeste / so in der Bibel stehet / verfasset / und zu einem feinen Enchiridio und Handbuch gemachet und bereitet ist«, referiert.60 Mit der Berufung auf Nikolaus Selnecker wird zudem ähnlich wie in Gradenthalers Horologium musicum ein namhafter Theologe aus der Reformationszeit aufgerufen. Das mutet an wie eine Reaktion auf den Einwand des Stechovius, denn mit der Charakterisierung des Psalters als einer kleinen Bibel ist auch sein christologischer Gehalt betont. Mit dem Verzicht auf die ausführliche Beschreibung der Wirkungen von Musik und Bildern auf den Benutzer des Buches wird seine Multimedialität vom Autor nicht mehr thematisiert. Ersetzt wird das in der nun »Voransprach« genannten Vorrede durch eine fast ausschließlich poetologische Argumentation: Hohberg betont die Würde der Poesie und die Tatsache, dass die »scharfsinnige Poeten auf seine Weise von GOtt 60 Hohberg (1680), fol. vv.

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getrieben werden«.61 Woran es liegt, dass der in Regensburg nach wie vor aktive und mit dem Theologen, Schulmann und Dichter Johann Ludwig Prasch musikalisch kooperierende Gradenthaler nun keinerlei Erwähnung mehr erfährt, lässt sich nicht erklären. Immerhin ist denkbar, dass der Rückzug auf allein poetologische Argumente einer Diskussion über die Rolle der Musik aus dem Weg geht. An deren Stelle tritt nun aber ein wesentlich expliziteres Bekenntnis zum Dichter als inspiriertem Sänger. Ein Schlüssel dazu, so kann man vermuten, liegt vielleicht in den zu jener Zeit veröffentlichten poetologischen Schriften von Prasch.62 Es kann hier nur angedeutet werden, dass mit dem Psalter Hohbergs in seiner vollständigen Gestalt ein in vielerlei Hinsicht bemerkenswertes Beispiel der religiösen Literatur des Barock vorliegt, das mit Sicherheit einer systematischen Untersuchung wert wäre, letztlich aber eine kommentierte Ausgabe erfordern würde. Als Grete Lesky sich 1969 für die Wiedergabe nur der Embleme entschied, begründete sie das damit, dass es einerseits schon zeitgenössisch entsprechende Ausgaben gab, andererseits aber auch damit, dass zu einer eingehenden Untersuchung das Zusammenwirken von Theologen, Kunsthistorikern, Musikwissenschaftlern und Philologen notwendig sei. Dass dieser interdisziplinäre Zugriff auf die Gegenstände in der Forschung zur Frühen Neuzeit seither zum viel beschworenen Standard geworden ist, braucht angesichts einer lebendigen Forschungslandschaft nicht eigens betont zu werden. Hohbergs Andachtsbuch wäre hier nach wie vor eine Herausforderung; weil aber keine der genannten Disziplinen den Autor in den Kanon ihrer Gegenstände aufgenommen hat, wird es bei punktuellen Beobachtungen bleiben müssen. Dabei drängen sich Fragen auf: in welchem Verhältnis etwa steht Hohberg zur Physikotheologie; wie lässt sich sein aus Sprache, Bild und Musik gewebter concentus zu älteren oder neueren Vorstellungen von einer harmonia mundi in Beziehung setzen? Undeutlich bleiben auch das theologische Profil seiner Schrift wie die anthropologischen Voraussetzungen seiner beabsichtigten Wirkung. Es ist nicht auszuschließen, dass die Plurimedialität des Werkes nicht nur die zeitgenössischen Adressaten überfordert hat, sondern dass es auch sein Schicksal als Forschungsgegenstand besiegelt.

61 Hohberg (1680), fol. iiiiv. 62 Johann Ludwig Prasch: Gründliche Anzeige von Fürtrefflichkeit und Verbesserung teutscher Poesie. Samt einer poetischen Zugabe. Nachdr. der Ausgabe Regenspurg 1680. Stuttgart 1995 (Rarissima litterarum. Nachdrucke seltener Originalwerke aus dem 16. bis 18. Jahrhundert, 3).

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Regionalität und Literatur. Novellistisches Erzählen bei Grimmelshausen und Christian Weise.

Der Begriff der »Regionalität« ist in der Literaturwissenschaft eine schwierige Kategorie. In den aktuellen Fachlexika taucht er bezeichnenderweise gar nicht erst auf. Dies mag (neben anderen Ursachen) historisch zusammenhängen mit der Durchsetzung des Konzepts von »Weltliteratur« im Kontext der Weimarer Klassik, wodurch Regionalität von Literatur fast automatisch als Provinzialität abgewertet wurde. Auch den autonomieästhetischen Konzepten der Weimarer Klassik laufen Vorstellungen einer lebensweltlichen, regionalen oder lokalen Anbindung literarischer Texte komplett zuwider. Forschungsgeschichtlich dürfte sich für das Themenfeld »Regionalität und Literatur« zudem die »stammesgeschichtliche« Methode Josef Nadlers fatal ausgewirkt haben. Hatten Hugo v. Hofmannsthal, Ernst Robert Curtius, Hermann Bahr oder Rudolf Borchardt dessen Literaturgeschichte der deutschen Stämme und Landschaften bei der Erstpublikation noch gelobt,1 so hatte Nadler spätestens mit der unverhohlenen Anbiederung an die nationalsozialistische Ideologie in der veränderten 4. Auflage des Werks2 sich und den Ansatz so vollständig diskreditiert, daß das Thema nach 1945 in der Germanistik schlechterdings indiskutabel erschien.

1 Josef Nadler : Literaturgeschichte der deutschen Stämme und Landschaften. Bd. 1: Die Altstämme 800–1600. Regensburg 1912 [Bd. 2 1913, Bd. 3 in zwei Teilen 1918/1927, Bd. 4 1928]. Vgl. Martha Kob: Josef Nadler im Urteil der Dichter. Diss. Innsbruck 1977; Ulrich Wyss: Literaturlandschaft und Literaturgeschichte. Am Beispiel Rudolf Borchardts und Josef Nadlers. In: Hartmut Kugler (Hg.): Interregionalität der deutschen Literatur im europäischen Mittelalter. Berlin 1995, S. 45–63; Christoph König: Hofmannsthal. Ein moderner Dichter unter den Philologen. Göttingen 2001, S. 242–268. 2 Josef Nadler : Literaturgeschichte des deutschen Volkes. Dichtung und Schrifttum der deutschen Stämme und Landschaften. 4 Bde. Berlin 1938–1941. Wilhelm Voskamp bezeichnete diese Ausgabe als Höhepunkt der »Selbstindienstnahme der Literaturgeschichte für das Dritte Reich […]« (Wilhelm Voßkamp: Kontinuität und Diskontinuität. Zur deutschen Literaturwissenschaft im Dritten Reich. In: Peter Lundgreen (Hg.): Wissenschaft im Dritten Reich. Frankfurt a. M. 1985, S. 140–162, hier S. 151); vgl. jetzt differenzierend Elias H. Füllenbach: Ein Außenseiter als Sündenbock? Der Fall Josef Nadler. In: Kritische Ausgabe. Zeitschrift für Germanistik & Literatur 2 (2004), S. 25–30 (online verfügbar unter http://www.kritische-

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Trotz dieser schwierigen Forschungsgeschichte scheint mir die Kategorie der Regionalität3 grundsätzlich ein sinnvoller und leistungsfähiger Begriff gerade für literaturwissenschaftliche Fragestellungen zur Frühen Neuzeit zu sein. Denn für die Literatur der Frühen Neuzeit ist von einer konkreteren Verbindung zwischen Autoren und Lesepublikum auszugehen als später nach der Durchsetzung der Autonomie-Ästhetik. Diese Verbindung kann überregionale Züge haben (etwa in den gelehrten Netzwerken oder den Sprachgesellschaften), aber sie ist in bestimmten Gattungen eben oft auch regional geprägt, was ich im folgenden an einem Beispiel zeigen möchte.

I. Nach 1670 konstituiert sich bekanntlich in Mitteldeutschland ein neues Erzählmuster : der sog. »Politische Roman«. Er etabliert sich im Feld des unterhaltenden Erzählens neben anderen aktuellen Formen wie dem simplicianischen und satirischen Erzählen. In der Forschung wurde der »Politische Roman« seit der großen Studie von Arnold Hirsch4 lange als »Verbürgerlichung« des PicaroRomans eingestuft, doch ist diese Einschätzung inzwischen als viel zu grob erkannt. Dennoch ist in der Forschung (trotz der magistralen Studie von Andrea Wicke)5 bis heute eigentlich unklar, was man von diesem Erzählmuster genau halten soll – ist es eine Nachfolge- bzw. Ablöseform des pikarischen Erzählens, das gegen Ende des 17. Jahrhunderts seine Kraft in Deutschland spürbar verliert? Ist es eine bloße Transformation oder sogar ein Gegenmodell zum pikarischen Muster? Ist es ein didaktisches Instrument oder eher der bloße Versuch, ausgabe.de/hefte/reich/fuellenbach.pdf, Aufruf vom 27. 05. 2013). – Die völkische Wendung Nadlers zeigt sich in seinen Texten bereits ab 1918, spätestens aber 1925. 3 Allgemein zum Thema »Regionalität«: Hans Peter Ecker : Region und Regionalismus. Bezugspunkte für Literatur oder Kategorien der Literaturwissenschaft? In: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 63 (1989), S. 295–314; Anselm Maler (Hg.): Literatur und Regionalität. Frankfurt a. M. 1997; Regina Hartmann: ›Regionalität‹ – ›Provinzialität‹? Zu theoretischen Aspekten der regionalliterarischen Untersuchungsperspektive. In: Zeitschrift für Germanistik NF 3 (1997), S. 585–598; Klaus Garber : Stadt und Literatur im deutschen Sprachraum. In: Ders. (Hg.): Stadt und Literatur im deutschen Sprachraum der frühen Neuzeit. 2 Bde. Tübingen 1998, Bd. 1, S. 3–89; Renate von Heydebrand: Erforschung regionaler Literatur – heute? Überlegungen zu Rechtfertigung und Methodik. In: Gunter Schandera / Michael Schilling (Hg.): Prolegomena zur Kultur- und Literaturgeschichte des Magdeburger Raumes. Magdeburg 2000, S. 13–31; Martina WagnerEngelhaaf: Region – Literatur – Kultur. Regionalliteraturforschung heute. Bielefeld 2001. 4 Arnold Hirsch: Bürgertum und Barock im deutschen Roman. Ein Beitrag zur Entstehungsgeschichte des bürgerlichen Weltbildes. [Habil.schr.] Frankfurt a. M. 1934; 2Köln, Graz 1957 (hg. v. H. Singer). 5 Andrea Wicke: Die Politischen Romane, eine populäre Gattung des 17. Jahrhunderts. »Was die Politica ist / das wollen itzt auch die Kinder wissen«. Diss. Frankfurt a. M. 2005.

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auf einer Modewelle6 mitzuschwimmen, d. h. ein durch die simplicianischen Erfolge entstandenes Leserinteresse an unterhaltener Literatur zu bedienen, auch mit kommerziellen Absichten? Wesentlich zur Beantwortung solcher Fragen scheint mir nun der bislang meist übersehene regionale Aspekt dieser Erzählform. Wie Andrea Wicke gezeigt hat, stammen nahezu sämtliche Texte, die der Gattung des »Politischen Romans« zugeordnet werden können, aus der Region Leipzig. Die Verfasser der Texte stehen zudem fast ausschließlich der Universität Leipzig nahe – überwiegend Studenten, aber auch Dozenten der Universität haben diese Texte geschrieben, und es ist anzunehmen, daß auch die Leserschaft dieser Texte sich ähnlich zusammensetzte. Als gattungsgenerisch konstitutive Mustertexte des Genres »Politischer Roman« gelten die drei anonym bzw. pseudonym in den Jahren 1671 bis 1678 erschienenen Romane Christian Weises,7 dessen Romanproduktion bezeichnenderweise schlagartig mit seiner Ernennung zum Zittauer Rektor endete – und das heißt: mit seiner endgültigen Abkehr vom Leipziger Universitätsmilieu, mit dem er ja nach seinem Examen auch noch in seinen Jahren als Hofmeister und als Lehrer in Weißenfels verbunden geblieben war. Der letzte dieser drei Muster-Romane, der Politische Näscher8 (erschienen1678, aber wohl zumindest in Teilen bereits deutlich früher entstanden9) nimmt dabei eine Sonderstellung 6 Für den Modecharakter des »Politischen« nach 1680 spricht, daß nun auch ältere Texte anderer Gattungen in Neuauflagen unter diesen Begriff gestellt werden. So erscheint etwa Hieronymus Dürers »Lauf der Welt« (ursprünglich Hamburg 1668) 1685 neu als »Politischer Lauff der Welt« (vgl. Wicke 2005, S. 8 Anm. 8). – zum Thema Mode vgl. Andrea Wicke: Literarische Moden um 1700. Zum historischen Wandel populärer Lesestoffe. In: Franz M. Eybl / Irmgard M. Wirtz (Hg.): Delectatio. Unterhaltung und Vergnügen zwischen Grimmelshausen und Schnabel. Bern 2009 (Beihefte zu Simpliciana, 4), S. 27–50. 7 »Die drey ärgsten Ertz-Narren […]« (1671), »Die drey Klügsten Leute […]« (1675), »Der Politische Näscher […]« (1678). – Andrea Wicke (2009, S. 30f.) hat darauf hingewiesen, daß die eigentliche Modewelle der politischen Romane erst nach 1680 beginnt und nicht von den Texten Weises, sondern von der Satire »Der Politische Maul-Affe« von Johannes Riemer ausgelöst wurde. Dennoch bilden die Romane Weises die Pionierwerke der Gattung. 8 Der Politische Näscher / Auß Unterschiedenen Gedancken her gesucht/ und Allen Liebhabern zur Lust/ allen Interessenten zu Nutz/ nunmehro in Druck befördert/ von R.I.O. Leipzig o. J. [1678]. Alle folgenden Zitate nach der Neuausgabe in Christian Weise: Sämtliche Werke, hg. v. Hans-Gert Roloff. Bd. 19: Romane III. Berlin, New York 2004. (Die Werkausgabe wird im folgenden abgekürzt als Weise SW.) – Relevante Forschungsbeiträge: Gotthardt Frühsorge: Der politische Körper. Zum Begriff des Politischen im 17. Jahrhundert und in den Romanen Christian Weises. Stuttgart 1974; Gordon J. A. Burgess: ›Die Wahrheit mit lachendem Munde‹. Comedy and Humour in the Novels of Christian Weise. Bern u. a. 1990, S. 183–215; Friedrich Vollhardt: Selbstliebe und Geselligkeit. Untersuchungen zum Verhältnis von naturrechtlichem Denken und moraldidaktischer Literatur im 17. und 18. Jahrhundert. Tübingen 2001, S. 116–134; Wicke 2005. Vgl. jetzt auch Verf.: »Per piam fraudem«? Zur Erzähltechnik in Christian Weises Politischem Näscher (1678) (im Druck). 9 Äußerungen in der Vorrede an den Leser deuten auf eine frühe Entstehung des Textes hin;

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ein. Denn Weise publizierte bekanntlich 1680, nun nicht mehr pseudonym, am Beispiel dieses Romans eine theoretische Schrift über das ›politische‹ Schrifttum: den Kurtzen Bericht vom Politischen Näscher / wie nehmlich Dergleichen Bücher sollen gelesen und von andern aus gewissen Kunst-Regeln nachgemachet werden.10 In dieser Schrift betont Weise schon im Vorwort, daß er selbst nun zwar keine Politischen Romane mehr schreiben werde,11 daß er hier aber ausdrücklich eine Art Bauanleitung vorlege, mit deren Hilfe jeder aus dem akademischen Milieu derartige Texte verfertigen könne.12 Weise konzipiert hier das Erzählmodell des Politischen Romans »einerseits als praktische Schreibübung für angehende Politici, andererseits als Unterhaltungsliteratur für ein breites Publikum«.13 Zugleich geht es Weise in dieser Schrift um die Anerkennung der neuen Erzählform und um ihre Abgrenzung gegen »ärgerliche und verderbliche Schrifften« wie etwa den »Großen Klunkermutz«,14 mit deren Verfassern der Herr Rektor nicht in einen Topf geworfen werden möchte, auch nicht mit seinem Weißenfelser Amtsnachfolger Johannes Riemer, dessen Politischer Maul-Affe kurz zuvor einen Skandal ausgelöst hatte.15 Weise hat das Genre des »politischen Romans« also auf doppelte Art zu inaugurieren versucht: Indem er einerseits Mustertexte der Gattung vorlegte, indem er andererseits für die theoretische Grundlagen, die Rechtfertigung und die praktische Anleitung zur weiteren Textproduktion sorgte. Sein Impuls generierte immerhin eine zusammenhängende, wenngleich kurze und regional gebundene Gattungsgeschichte – auch wenn man insgesamt den Versuch einer Institutionalisierung dieser Gattung wohl als mißlungen bewerten muß. »Mit ihrem dauernden Changieren zwischen anspielungsreicher Satire, kurzweiligem Schwank, aggressiver Polemik und prudentistischem Ratgeber erlangen die kleinformativen, pseudonym publizierten politischen Bücher für einige Jahre eine weit über die Region hinausgehende Wirkung. Die Frequenz Politischer

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auch wird bereits in den »Drey klügsten Leuten« ein »Politischer Näscher« angekündigt (vgl. Weise SW 18, S. 6). Dennoch kann zumindest die Fertigstellung des »Näschers« nicht vor den anderen Romanen erfolgt sein, wie das Zitat aus den »Drey Ertz-Narren« im 36. Kapitel des »Näschers« zeigt (Weise SW 19, S. 225ff.). Zum »Kurtzen Bericht« vgl. Vollhardt 2001, S. 116–134 und v. a. Wicke 2005, S. 167–248. Zum Begriff des »Politicus« vgl. Wolfgang E. J. Weber : Die Erfindung des Politikers. Bemerkungen zu einem gescheiterten Professionalisierungskonzept des 17. Jahrhunderts. In: Luise Schorn-Schütte (Hg.): Aspekte der politischen Kommunikation im Europa des 16. und 17. Jahrhunderts. Politische Theologie – Res Publica-Verständnis – konsensgestützte Herrschaft. München 2004 (Historische Zeitschrift, Beihefte, N. F. 39), S. 347–370. »wegen anderer Verrichtungen«, d. h. seiner neuen Stellung als Rektor in Zittau. Weise SW 19, S. 260. Wicke 2005, S. 5. Der große Klunkermuz. Im Jahr 1671 [o.O.] Wicke 2005, S. 168ff.

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Romane verringert sich indes nach 1684 deutlich, und um 1700 scheint die Gattung bei Lesern wie Autoren völlig unpopulär geworden zu sein.«16

II. Der »Politische Roman« ist also ein regionales Phänomen, und wie diese Komponente die Textgestalt prägt, möchte ich nun am Beispiel einer Episode aus dem Politischen Näscher untersuchen. Es handelt sich um die Binnenerzählung einer Nebenfigur, eines alten Soldaten, in Kap. 20 und 21. Diese Binnenerzählung fällt insgesamt etwas aus dem sonstigen Romantext etwas heraus. Innerhalb des Romantextes steht diese homodiegetische Erzählung pikaresken Traditionen am nächsten: Hier spricht ein echter Pikaro als rückblickender Ich-Erzähler von seinem Leben. Die Erzählung des alten Soldaten wird in eine für den Roman sonst untypische historische Distanz gerückt, da schon der Binnen-Erzähler selbst als jemand eingeführt wird, der aussah »als hätte er vor viertzig Jahren Profession vom Kriege gemacht«.17 Zudem wird nur in dieser Binnengeschichte der große 30jährige Krieg mit seinen z. T. detailliert beschriebenen Greueln, Folter und Gewalt thematisiert.18 Zugleich werden in dieser Binnenerzählung aber auch neue, aktuelle ökonomische Themen wie die Versicherungswirtschaft oder der Handel (mit Schanklizenzen) angeschnitten. Vor allem ist diese Lebenserzählung aber aufschlußreich, weil sie eine Episode enthält, die auch in Grimmelshausens wenige Jahre zuvor erschienenem Wunderbarlichen Vogel-Nest erzählt wird.19 Angesichts der bekannten Invektiven Weises gegen Grimmelshausens Simplicissimus ist diese Rekurrenz auffällig. Der anonym publizierte II. Band des Vogelnests wurde 1675 im Leipziger Ostermeß-Katalog angekündigt, und grundsätzlich kann man von einer guten Kenntnis der aktuell publizierten deutschsprachigen Literatur bei Weise ausgehen. Sollte sich Weise hier, trotz seiner bekannten despektierlichen Äußerungen, bei dem verachteten Verfasser »lederner Saalbader«20 bedient haben? Hat er möglicherweise den anonym erschienen Vogelnest-Roman nicht als Text des Simplicissimus-Autors erkannt? Oder griff Weise gar nicht auf Grimmelshausen zurück, sondern unabhängig von diesem auf eine gemeinsame Vorlage? 16 17 18 19

Ebd. S. 5. Weise SW 19, S. 97. Es fallen z. B. konkrete Ortsnamen wie die Eroberung von Mantua 1630. Band II, 1675; Kap. 4–8. Alle Zitate aus diesem Text folgen der Ausgabe: H. J. Chr. v. Grimmelshausen: Werke in drei Bänden. Bd. I/2. Hg. v. Dieter Breuer. Frankfurt a. M. 1992, S. 449–650. 20 Ch. Weise: Die drey ärgsten Ertz-Narren. In: SW 17, S. 57–296, hier S. 61.

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Ich möchte im folgenden sowohl das Verhältnis der beiden Texte zueinander klären als auch insbesondere die Erzähltechnik Weises genauer profilieren und damit zugleich der Frage nach der regionalen Komponente von Literatur in der Frühen Neuzeit nachgehen.

III. Zunächst: Worum geht es in dieser Episode, die einen in der RenaissanceNovellistik seit Matteo Bandello und Margarete von Navarra21 bekannten Stoff variiert? Ich bleibe zunächst bei der Fassung Weises: Ein alter Soldat, der früher im 30jährigen Krieg mitkämpfte, erzählt, wie ihn einst seine Ehefrau mit einem jungen Arzt betrügen wollte. Da er jedoch zufällig ihre brieflichen Anbandelungs-Versuche in die Hände bekommt, kann der Erzähler mithilfe eines befreundeten Barbiers durch eine »Comödie« (S. 118) den Ehebruch verhindern, ohne daß sein Ruf leidet. Er fängt die Liebesbriefe seiner Frau mit Hilfe ihrer Magd ab, läßt sie vom Barbier beantworten und erscheint schließlich – nach einer fingierten Abreise – nachts selbst an Stelle des Doktors zum vereinbarten Stelldichein im eigenen Hause, um sich unerkannt drastisch an seiner Frau zu rächen. Damit nicht genug: anschließend lädt er den von allem unwissenden Arzt zum Essen ein, wobei dieser sich von der Frau übel beschimpfen lassen muß, was der Erzähler ihm dann als krankhafte Eigenart seiner Frau erklärt, um sich vom Doktor für sein »Hauß-Creutze« noch bemitleiden zu lassen. Dieses Verhalten des Ich-Erzählers erscheint in Weises Text als kluge Reaktion – seine Ehe ist seitdem perfekt, seine Frau ›kuriert‹. Auch wenn es schwer vorstellbar erscheint, dass Weise den gerade kurz zuvor publizierten Vogelnest-Roman nicht gekannt haben sollte, ist natürlich möglich, dass er unabhängig von Grimmelshausen auf eine gemeinsame Quelle zurückgegriffen hat. Fragt man konkret, wie Weise und Grimmelshausen zu diesem Stoff kamen, so gibt die Weise-Forschung bislang gar keine Antwort. In der Grimmelshausen-Forschung verweist Dieter Breuer, gestützt auf Hans Heinrich Borcherdt,22 auf eine anonym erschienene französische Novellensammlung als Vorlage Grimmelshausens: Les Faveurs et les Disgr.ces de l’amour, ou les Amants heureux, trompez, et malheureux. Dieser Hinweis führt jedoch in die Irre, denn dort findet sich zwar eine Variante der Episode,23 doch ist der älteste nach-

21 Margarete von Navarra: Das Heptameron [1559]. München 1960, S. 427–437 (35. Geschichte). 22 Grimmelshausen 1992, S. 970. 23 Les Faveurs et les Disgr.ces de l’amour, ou les Amants heureux, trompez, et malheureux. Paris 1696, S. 159–177 (Seconde Partie, Premiere Histoire Galante). Im Internet verfügbar

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weisbare Druck erst 1696 erschienen, scheidet somit als Quelle für Grimmelshausen wohl aus. Zudem ist der französische Text eindeutig von galanten Elementen geprägt24 und unterscheidet sich darin und in vielen Details deutlich von Grimmelshausens und Weises Text. In der übrigen Grimmelshausen-Forschung wird als stoffgeschichtliche Vorlage gelegentlich eine anonyme, erweiterte deutsche Boccaccio-Übersetzung genannt:25 Ducento Novella. Zwey Hundert newer Historien […], erschienen 1646 in Frankfurt.26 Hier kommen wir der Sache schon näher, wenngleich noch nicht ans Ziel. Sieht man nämlich genau hin, so ist die dort in der Erweiterung enthaltene Episode ihrerseits aus einem Text übernommen, der zu den unterschätzten Texten des pikarischen Genres in Deutschland gehören dürfte, nämlich aus der Landstörtzerin Iustina Dietzin.27 Dieser Text, die Übertragung eines ursprünglich spanischen Schelmenromans nach dessen (erweiterter) italienischen Übersetzung von Barezzo Barezzi (1624/ 25), ist zwar in der Grimmelshausen-Forschung immer wieder im Kontext der Courasche herangezogen worden, doch ist bislang wenig beachtet worden, daß er auch für andere Teile des simplicianischen Zyklusses wichtig gewesen sein könnte.28 Daß Grimmelshausen diesen Text gut gekannt haben muß, steht außer Frage. Denn gerade bei der Ehebruchs-Novelle gibt es eine Fülle wörtlicher Übereinstimmungen zwischen der Version der Landstörtzerin und des Vogelnests. Der anonyme Boccaccio-Erweiterer folgt zwar auch bis in die Details der Version aus der Landstörtzerin Iustina Dietzin, tilgt dabei jedoch nicht nur sämtliche Wertungen der Vorlage, sondern läßt häufig auch direkte Figurenreden aus. Dadurch kann man belegen, daß Grimmelshausen nicht auf den Pseudo-Boccaccio, sondern tatsächlich direkt auf die Landstörtzerin Iustina Dietzin zurückgriff.29 Ein Beispiel mag dies illustrieren: Am Ende der Episode

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unter http://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb10091149_00200.html [Abruf vom 30. 11. 2012]. Die Novelle eröffnet dort die »Histoires Galantes« des zweiten Teils der Sammlung. Ducento Novella. Zwey Hundert newer Historien, welche von dreyen Männern und sieben Weibern, so zu Florentz ein groß Sterben geflohen, zusammen geredt, ihr trübselige Zeit in lustigen grünen Gärten damit zu vertreiben. Frankfurt a. M. 1646; 5. Erzählung des 15. Tages. Benutztes Exemplar: UB München 8 P. ital. 35. Die Landstörtzerin / Iustina Dietzin Picara genandt / In deren wunderbarlichen Le= / ben und Wandel/alle List vnd Betrug/so / in jtzigen zeit verübt und getrieben werden/und / wie denselbigen zubegegnen/artig / beschrieben. […] Franckfurt am Mayn/ Gedruckt bey Johann Friderichen Weissen/ M.DC.XXVI bzw. MDCXXVII (Reprint beider Teile in einem Band Hildesheim, New York 1975). Die Episode findet sich im II. Teil, I. Buch, Kapitel 14 und 15 (S. 223–251). Das spanische Original erschien erstmals 1605 in Medina del Campo, die italienische Übersetzung in zwei Bänden 1624/1625. Ausnahmen bilden Ulrich Stadler : Parodistisches in der Justina Dietzin Picara. Über die Entstehungsbedingungen und zur Wirkungsgeschichte von 5bedas Schelmenroman in Deutschland. In: Arcadia 7 (1972), S. 158–170, bes. S. 159f., sowie Karl A. Zaenker : Grimmelshausen und die P&cara Justina. In: Daphnis 27 (1998), S. 631–653. Vgl. ähnlich Stadler 1972, S. 160.

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gibt es in der Landstörtzerin eine drastische Schimpfrede der geprügelten Frau gegenüber dem Arzt, die beim Boccaccio-Erweiterer fehlt, bei Grimmelshausen dagegen nahezu wörtlich wiederkehrt. Ich stelle als Beleg kurz die drei Textstellen gegenüber : Landstörtzerin Iustina Dietzin: Er war aber kaum hinauß kommen / da hub das mit Zorn beseßne Weib jhre grimmige Augen gegen den Medicum auff zugleich auch die aller bitterste Wort / die sie biß daher mit großer Müh bey sich behalten können/ auß jhrem Mundt herauß und sagt. O du aller vndanckbarste/ garstigste und vnflätigste Saw / wie hastu dich dörffen vnterstehen vor mir zu erscheinen? vnnd/ O du verschiessener Bub vnnd TeufelsCloac / wie hastu dörffen in dieses Hauß kommen / dessen Mauren du nicht würdig bist anzuschawen? Wie ist es müglich / daß du als ein Hefen vnd Vnflat der Welt / dich deines begangenen Schelmenstücks nicht soltest schämen? Hastu dich stinckendt Gefäß alles vnraths / du Berg alles Laimens vnnd Drecks / vnnd du Sarck oder Behalter alles Gestancks / nicht geschewet in meine Gegenwart zukommen. Heb dich du garstig Scheißhauß / von dieser Tafel / in dein stinckendt Nest oder Hauß / vnnd komm mir nur nit mehr vnter meine Augen. Auff diese Rede wardt der gute Medicus also verstürtzt / als ein Mensch auff der gantzen Welt je gewesen / in seinem Angesicht gantz beschämpt vnd erröthet / stundt wie ein Stock […].30 Ducento novella: Er war aber kaum hinauß kommen / da hub das mit Zorn beseßne Weib jhre grimmige Augen gegen den Medicum auff / zugleich auch die allerbitterste Wort / die sie biß daher mit grosser Müh bey sich behalten können/ auß jhrem Mund gegen jhn herauß zusagen. Auff diese Rede ward der gute Medicus also verstürtzt / als ein Mensch auff der gantzen Welt je gewesen / in seinem Angesicht gantz beschämpt vnd erröthet / stundt wie ein Stock […].31 Grimmelshausen, Vogelnest II: […] da fiele sie ihm in die Rede / und sagte. O du allerundanckbarste Bestia / du garstige vnflätige Sau / wie darffstu dich erkühnen / nur ein Wort mit mir zu reden? Du verschissener Lotterbub und Teuffels-Cloac / kans auch wol müglich seyn / daß du Drecks-Wangst dich deines begangenen Schelmenstücks nicht schämest? wie kans immer seyn/ daß du garstig Scheiß-Hauß dich nicht gescheuet hast / deinen stinckenden Dreck-Sack / und Auffenthaltung alles Unflats in meine Gegenwart zu bringen; Ich schwere dir Sau-Rüssel / wann ich diß Orts nicht schohnete / und nicht was andres besorgte/ daß ich dir diß Messer im Leib umbkehren wollte: aber gedenck/ daß du mir die Tag deines Lebens nimmermehr vor mein Angesicht kommest / und schaue / daß du dich bald von hinnen in dein stinckend Withopffen-Nest packst.

30 Landstörtzerin 1627, S. 246. 31 Ducento novella 1646, S. 964f.

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[…] der Doctor wurde hierüber so bestürtzt / daß er ohne alle Bewegung dort sasse wie ein Klotz: […].32

Der Textvergleich belegt sowohl die Abhängigkeit des Pseudo-Boccacio von der Landstörtzerin Iustina Dietzin als auch, daß Grimmelshausen direkt auf die Landstörtzerin zugegriffen haben muß. Bei Weise wiederum lautet die analoge Stelle nun: Aber ich war kaum hinaus / da hörete ich einen poßirlichen Discurs. Denn die Frau fuhr den unschuldigen Mann mit dem [sic] häßlichsten Worten von der Welt an/ ›du Schandbock kömmestu mir wieder vor meine Augen/ siehestu/ wie ich armes Weib von dir bin zugerichtet worden/ du Hencker/ du Mörder/ du Saumagen/ du Pißpothstürmer/ packe dich von meinem Tische/ wilstu mir den Kopf noch einmahl begießen/ hinaus/ hinaus/ auf den Mist mit solchen Bestien. Oder wilstu etwan deine Briefe wiederhohlen/ ja du solst sie haben/ doch zuvor einen Nacht-Scherbel auf deinen Kopf.‹ Die Rede wollte etwas zu teutsch heraus kommen/ daß ich allbereit an des Doctors Gedult gezweifelt hätte /drum platzte ich geschwind hinein/ und machte ein Loch durch den garstigen Discurs.33

Weise führt also ebenfalls eine wörtliche Schimpfrede der Frau auf; diese Rede ist aber so gekürzt und umformuliert, daß man keinen direkten Quellenbezug mehr erkennen kann. Damit ist nun sowohl denkbar, daß Weise auf den Vogelnest-Roman zurückgriff, als auch, daß er unabhängig von Grimmelshausen eine der älteren Versionen benutzte. Letztlich ist dies aber für meine Fragestellung nicht entscheidend. Wichtiger scheinen mir die Unterschiede im der erzählerischen Gestaltung der Episode. Weise mildert die Verbalinjurien deutlich ab und lenkt zugleich das Augenmerk auf die Gestaltung des »Discurses«, indem dieser vom Erzähler vorher und nachher bewertet wird: Die Rede der Frau wird ironisch als »poßirlich«, aber zugleich als »häßlichst« »garstig« und »zu teutsch« abqualifiziert. In den älteren Fassungen wird die Rede lediglich als »bitter« bezeichnet, also keine so klare Abwertung vorgenommen wird. Vergleicht man nun die vier Gestaltungen der Episode genauer, so unterscheiden sich Grimmelshausens und Weises Fassungen primär erzähltechnisch von den beiden anderen Versionen. Grimmelshausen und Weise legen nämlich die Erzählung dem Ehemann als rückblickendem Ich-Erzähler in den Mund, also (in Genettes Terminologie) einem autodiegetischen Erzähler. In der Landstörtzerin Iustina Dietzin wird die Geschichte dagegen zwar auch in Ich-Perspektive erzählt, aber von einer heterodiegetischen Erzählerin, die mit dem Erzählten selbst nicht das Geringste zu tun hat, sondern nur eine Geschichte weitergibt, die sie anderswo gehört hat. Der Kompilator der Ducento novella wiederum tilgt alle 32 Grimmelshausen 1992, S. 513. 33 Weise SW 19, S. 122.

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Ich-Perspektivierungen und gibt die Geschichte als klassische heterodiegetische Erzählung in Er-Perspektive wieder.34 Grimmelshausen und Weise integrieren den Stoff also in das grundlegende Erzählmuster des pikarischen und simplicianischen Erzählens. Freilich machen sie dies auf denkbar unterschiedliche Art. Während die Episode bei Weise nur ein Schwank unter vielen ist, legt Grimmelshausen sie breit an – sie nimmt fast ein Fünftel des gesamten Vogelnest-Romans ein und ist zudem dadurch herausgehoben, daß sie die erste Erfahrung des Ich-Erzählers mit seiner Unsichtbarkeit bildet, also den ersten großen Handlungsstrang des Textes markiert. (Mit dem Motiv der Unsichtbarkeit unterscheidet sich Grimmelshausen grundlegend von allen anderen Varianten der Episode, die diese übernatürliche Fähigkeit des Erzählers nicht kennen. Die Unsichtbarkeit des Erzählers bewirkt Änderungen in der Handlungsführung, obwohl sie eigentlich für den Handlungsverlauf der Novelle gar nicht nötig wäre.) Weise erzählt im Vergleich mit Grimmelshausen sehr viel knapper, direkter und zielstrebiger. Zugleich sind bei ihm die drastischen Züge der Landstörtzerin- und der Grimmelshausen-Fassung stark reduziert und abgedämpft. Die direkten sexuellen Aktivitäten des IchErzählers werden bei Weise ebenso konsequent ausgespart wie die skatologische Lust, die Grimmelshausens Erzähler (ebenso wie die älteren Varianten) am körperlichen Besudeln seiner Frau empfindet. Weises Erzähler bleibt im Rahmen bürgerlicher Conduite und beläßt es bei der Abwendung des Seitensprungs und der Bestrafung seiner Frau, während sich Grimmelshausens Erzähler zusätzlich noch rächt, indem er ihre Dienerin defloriert und schwängert – also den Ehebruch, den seine Frau nur intendiert hatte, vorsätzlich selbst vollzieht. Grimmelshausen geht in diesem Punkt auch drastisch über die Fassung des Landstörtzerin-Romans hinaus; dort lockt der Erzähler zwar ebenfalls die Magd seiner Frau in sein Bett, doch geschieht dies in gegenseitigem Einvernehmen, da sich die »verschlagen[e]« Magd davon Vorteile erhofft (S. 228). Grimmelshausen macht aus der Magd jedoch nicht nur eine Verwandte der Frau (Base), sondern auch noch eine Jungfrau, die sich zunächst gegen die Avancen des Ich-Erzählers wehrt.35 Zudem wird sie später, anders als die Magd in den anderen Versionen, tatsächlich vom Erzähler schwanger, was dieser dann ziemlich skrupellos löst, indem er sie einem Diener aufhängt. Darauf weist die Erzählinstanz durch eine entsprechende Kapitelüberschrift deutlich distanzierend hin: »Ein Huren-Bub betreugt den andern / und der unschuldigst muß das Bad außtragen«.36 Grimmelshausen erzählt insgesamt weitaus drastischer, härter, zugleich de34 Während die beiden älteren Varianten die Episode in Venedig ansiedeln, die Frau Helena nennen und das Alter des Arztes identisch mit 33 bis 36 Jahren anführen, fehlen bei Grimmelshausen und Weise entsprechend konkrete Angaben. 35 Grimmelshausen 1992, S. 497f. 36 Überschrift des Kap. IX, DKV S. 515.

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tailreicher als Weise. Während Weise die Geschichte ganz deutlich zu entschärfen versucht und alle möglicherweise anstößigen Elemente tilgt, folgt Grimmelshausen dem harten spanischen Modell des Landstörtzerin-Romans weit enger – allerdings mit der ihm eigenen Souveränität: Er strafft die Handlung einerseits, indem er z. B. Nebenfiguren zusammenzieht und Wiederholungen streicht.37 Anderes aber breitet er genüßlich aus und fügt charakteristische Details ein (etwa den Ring, den die Frau dem Medicus schickt); Grimmelshausen nimmt sich auch den Raum, eine Stilparodie unterzubringen,38 einen LutherChoral zu zitieren39 oder erst ein wunderbares Garten-Idyll als Kontrastfolie auszubreiten, bevor das böse Mittagessen mit dem Doktor geschildert wird.40 Der wichtigste Unterschied liegt freilich in der Bewertung der Figur des jeweiligen Erzählers. Im Landstörtzerin-Roman endet die Geschichte positiv – in mehreren eingeschobenen Kommentaren der Ich-Erzählerin wird immer wieder betont, wie klug sich doch der Ehemann verhalten habe. Am Ende heißt es dann zusammenfassend: »Vnd ich selbsten kan den Verstandt vnnd geschwinden Einfall dieses fürnemen Manns nicht gnugsam rühmen / dieweil er nemblich die Wurtzel der Schmach so fein herauß zu graben vnnd abzuschneiden / vnnd die große Bekümmernuß seines Hertzens so artig zu verschmertzen gewust.«41 Die zuhörenden Figuren reagieren auf die Geschichte mit unmäßigem Gelächter (»Als wir nun vber dieser Historien gnug vnnd vns dermaßen zerlacht / daß wir anderst nicht vermeynten / denn die Bäuche würden vns zerspringen / gieng die alte Frau von vns hinweg.«42). Ohne direktes Moralisieren dient die Episode hier zur guten Unterhaltung. Auch Weises Erzähler wird als grundsätzlich am Geschehen schuldlos vorgeführt, er verhindert lediglich den drohenden Ehebruch, der durch die vergleichsweise milde Bestrafung der Frau gesühnt wird, und der Erzähler betont mehrfach die positive Wirkung dieser Episode: Er habe »von der Zeit an die frömmste Frau der Welt« gehabt (S. 123), die »nach der ersten Thorheit nicht zu verbessern gewesen war« (S: 125). Nirgends gibt es Zweifel am Handeln des Erzählers, das zwar grob, aber gerechtfertigt, ja sogar klug erscheint und durch das Ergebnis narrativ bestätigt wird. Es handelt sich also auch bei Weise um eine 37 Grimmelshausen zieht etwa die Helferfiguren von Barbier und Apotheker zu einer Figur zusammen. Vgl. Zaenker 1998, S. 638f. – Weise wiederum vollzieht diese Straffungen nicht mit und bleibt hier enger an der Fassung der »Landstörtzerin«; das könnte ein Indiz dafür sein, daß er nicht auf Grimmelshausens Fassung zurückgriff. 38 Vgl. den gefälschten Brief Grimmelshausen 1992, S. 503f., was durch die Reaktion des Apothekers noch unterstrichen wird. 39 Grimmelshausen 1992, S. 498 (2. Strophe von »Nu frewt euch lieben Christen gmeyn«) – das Zitat hat innerhalb der Reflexion des rückblickenden Erzählers einen präzisen Platz. 40 Grimmelshausen 1992, S. 510. 41 Landstörtzerin 1627, S. 250. 42 Ebd., S. 251.

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positive Exempelgeschichte, die das Schema der betrogenen Betrügerin für ein komödienhaft befreiendes Lachen, aber auch zur Demonstration klugen Verhaltens nutzt. Damit ist ihre Funktion erfüllt, und es kann zum nächsten Schwank bzw. zum nächsten Binnenerzähler übergegangen werden. Ganz anders bei Grimmelshausen, bei dem einem das Lachen durchaus im Halse stecken bleiben kann. Da der Erzähler hier keine Randfigur ist wie bei Weise, sondern die Hauptperson, nutzt Grimmelshausen die Episode zur indirekten Charakterisierung seines Kaufmanns – das erklärt auch die breite Anlage und prominente Plazierung dieser Episode zu Beginn des Romans. Von Anfang an charakterisiert sich der Erzähler dabei indirekt negativ.43 Zudem stellt Grimmelshausen unmißverständlich klar, dass der Seitensprung-Plan der Frau aus der völligen Vernachlässigung durch ihren Mann resultiert.44 Das ist in der Stoffgeschichte neu: Während sich die Frau in den älteren Versionen und auch bei Weise stets ohne weitere Erklärung in den jungen und körperlich attraktiven Arzt verliebt (und sich schon damit natürlich schuldig macht), wird die Frau bei Grimmelshausen wenigstens teilweise entschuldigt, der Erzähler dagegen belastet. Der Erzähler kennzeichnet sich weiter negativ durch sein skrupelloses Verhalten gegenüber der »Beschliesserin«, immerhin einer minderjährigen Verwandten seiner Frau, die er erst vorsätzlich schwängert und dann einem seiner Diener anhängt. Und schließlich verhält er sich seiner Ehefrau gegenüber weitaus brutaler und hinterhältiger als der Erzähler bei Weise. Hier wird nicht mehr von Verfehlung, gerechter Strafe und Besserung erzählt, sondern die ganze Episode dient zu einer ersten großen, indirekten Selbstcharakterisierung eines Ich-Erzählers,45 dessen zweifelhaften Charakter sich der Leser selbst erschließen muß. Während wir bei Weise keinerlei Distanz des Erzählers zu seinem Verhalten finden, nutzt Grimmelshausen dafür die Spannung von erzählendem und erzähltem Ich gleich zweimal zu großen Reflexionen. Der rückblickende IchErzähler beklagt in zwei Unterbrechungen (S. 498f., S. 515f.) sein Fehlverhalten und seine Dummheit, die »Betöberung und Niderlag meiner rechten Vernunfft und siebenzehen Sinnen« (S. 516), während sich das erzählte Ich gleichzeitig noch über seine zynische Strafaktion freut. Damit bleibt die ganze Episode ohne ein positives Ende wie bei Weise, sondern gerät ebenso ins Zwielicht wie der Ich43 Er nutzt die neuen Möglichkeiten, die ihm das unsichtbar machende »Naßtüchel« gibt, zu allererst zur mißtrauischen Kontrolle seines Haushalts und seiner Dienerschaft. Er belauscht Liebes-Seufzer seiner Frau, die er geckenhaft auf sich bezieht, ist aber nicht bereit, ihr zu helfen, sondern möchte erst im allerletzten Moment eingreifen: »es wäre noch Zeit genug / wann sie das Messer oder einen Strick in die Hand nehme / ihr das Leben zu kürtzen« (Grimmelshausen 1992, S. 483) – erst dann würde er ihr aus ihrer Liebesnot helfen. 44 Grimmelshausen 1992, S. 489f. 45 Die Episode ist das erste wichtige (und eigentlich unübersehbare) Signal an den Leser, daß dem Ich-Erzähler nicht zu trauen ist. Grimmelshausen verstärkt das z. B. auch durch die Kapitel-Überschriften, die eine weitere Stimme der Distanz zum Erzähler einbringen.

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Erzähler selbst. Zugleich wird die Episode damit zu einem tragenden Bestandteil der Textstruktur, die ihre Spannung aus der simplicianischen Metanoia des Erzählers und aus der Einsicht in sein früheres Fehlverhalten bezieht.

IV. In der Forschung werden gerne zwei Erklärungsmuster herangezogen, wenn es um den Unterschied zwischen Weise und Grimmelshausen geht. In der älteren Forschung wird Weise gerne schlicht ästhetisch als schwächerer Schriftsteller bewertet, in der neueren zieht man meist einen Stilwandel hin zu einem ›Galanten Stil‹ oder gar in Richtung Frühaufklärung heran. Beides halte ich für deutlich zu kurz gegriffen. Weise erzählt anders, weil er ein anderes Ziel hat als Grimmelshausen. Verglichen mit Grimmelshausen erzählt Weise schnörkelloser, direkter, eindimensionaler und zielgerichteter. Er tilgt konsequent alles möglicherweise Anstößige, das Sexuelle, das Skatologische wie die Brutalismen, und zähmt die saftige Renaissance-Novelle damit insgesamt. Primäres Ziel scheint es, die Leser nicht explizit, sondern durch Unterhaltung quasi unterschwellig über kluges, situationsadäquates Verhalten zu belehren.46 Bei Weise gibt es daher keine ›Störung‹ der Geschichte durch reflektierende Brechungen. Da die Episode nur einen Teil des Binnenlebenslaufs des alten Soldaten bildet, geht sie im ständigen Wechsel dieses Lebens ohnehin fast unter. Dem Soldaten verhilft sein kluges Verhalten zwar zu einer kurzen Phase häuslichen Glücks, die dann aber durch die Erfahrung der Kontingenz abgelöst und überlagert wird: Die Frau stirbt im Kindbett. Am Ende bleibt dem Soldaten nur, wieder in den Krieg zu ziehen, wo er jedoch weitgehend erfolglos bleibt. In der Fügung der autobiographischen Erzählung wird somit indirekt auch die Grenze des weltklugen Verhaltens thematisiert, das der harten Kontingenz des Lebens untergeordnet bleibt. Die Möglichkeiten des einzelnen Individuums, sein Leben zu bestimmen, bleiben äußerst begrenzt – das führen in dieser mittleren Sequenz von Weises Roman alle drei autobiographischen Binnenerzähler vor. (Früh-)aufklärerisch wird man diese Position wohl nicht nennen können. Der übergeordneten Kontingenzthematik entspricht, daß auch die Position der besprochenen Episode beliebig wirkt. Weises Binnenerzählung könnte genauso gut an nahezu jeder anderen Stelle des Romans stehen. Zudem ist der Binnenlebenslauf des Soldaten eigentlich nur am Rande mit dem didaktischen 46 Vgl. dazu allg. Verf.: Pflaumen und Kerne, Schleckwerck und Pillen? Funktionen unterhaltenden Erzählens bei Harsdörffer, Grimmelshausen und Beer. In: Franz M. Eybl / Irmgard M. Wirtz (Hg.): Delectatio (wie Anm. 6), S. 65–84.

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Hauptthema des Romans, dem »Näscher«-Thema,47 verbunden. Denn der Soldat ist kein »Näscher« – er versucht sich nur mit wechselndem Erfolg in einer offenbar von Fortuna regierten Welt zu behaupten. Insofern könnte diese Geschichte auch gegen beliebige andere Lebenslauferzählungen oder Schwänke ausgetauscht werden; an der Gestalt des Romans würde das kaum etwas ändern. Die einzelne Erzählung erscheint nicht nur syntagmatisch innerhalb des Textes, sondern sogar textextern austauschbar, und Ähnliches könnte bei vielen anderen Episoden des Politischen Näschers gezeigt werden.48 Die Gestalt des Romans erscheint, zugespitzt formuliert, fast so kontingent wie das Leben. Anders dagegen bei Grimmelshausen: Hier hat die Episode eine präzise Funktion innerhalb der Struktur des Romans. Sie bildet den Ausgangspunkt für den folgenden Auszug des Erzählers in die Welt, steht also auch fiktionsintern notwendig an der Anfangsposition und ist in ihrer syntagmatischen Stellung schwer austauschbar. Zweifellos ist Grimmelshausens Erzählkonzept ästhetisch komplexer als dasjenige Weises. Doch scheint mir diese Feststellung nur sinnvoll, wenn man zugleich nach der Funktionalität des gewählten Erzählkonzepts fragt. Denn die Differenz zwischen Weises und Grimmelshausens Erzähltechnik ist eben auch von dem neuen, regional geprägten Erzählmodell Weises bestimmt. Weise schreibt seine »Politischen Romane« primär für eine Leserschaft, die sich aus jungen Akademikern zusammensetzte. Diese Leserschaft soll unterhalten, aber damit zugleich auch in Conduite und Lebensklugheit unterrichtet werden.49 In Weises Erzählstrategie mag man Züge eines ›galanten‹ Literaturkonzepts50 erkennen, doch scheint mir die Wahl dieses Stils durchaus im alten rhetorischen Sinne von der angestrebten Funktion des Textes abzuhängen. Dem Blick auf sein Zielpublikum und dem betonten didaktischen Interesse des Genres »Politischer Roman«, als dessen Mustertext Weise seinen Roman intendierte, verdankt sich die benutzte Erzähltechnik der Abmilderung und Aussparung in erster Linie – keinem Stilwandel, keiner frühaufklärerischen Position und auch keiner ästhe47 Vgl. das Titelkupfer mit seiner gereimten Erklärung (Weise SW 19, S. 4). – Dazu auch Verf. (wie Anm. 8). 48 Insofern wundert es nicht, dass noch 1986 eine Auswahlausgabe erscheinen konnte, die lediglich einzelne Episoden aus dem Roman enthält (Christian Weise: Trauer-Spiel von dem Neapolitanischen Haupt-Rebellen Masaniello und andere Dichtungen. Hg. v. Klaus Schaefer. Leipzig 1986, hier S. 5–81). 49 »Es scheint als müste man Tugend auch per piam fraudem, der kützlichten und neubegierigen Welt auf eine solche Manier beybringen/ drum wünsche ich nichts mehr/ als die Welt wolle sich zu ihrem Besten allhier betriegen lassen. Sie bilde sich lauter lustige und zeitvertreibende Sachen bey diesen Narren ein: wenn sie nur unvermerckt die klugen LebensRegeln mit lesen und erwegen will.« (Weise, Vorrede zu Die Drey Ertz-Narren, Sämtliche Werke Bd. 17: Romane I. Berlin, New York 2006, hier S. 61). 50 Vgl. dazu allg. Ruth Florack (Hg.): Die Kunst der Galanterie. Facetten eines Verhaltensmodells in der Literatur der Frühen Neuzeit. Berlin u. a. 2012.

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tischen Schwäche. Das neue Roman-Modell Weises war in seiner spezifischen Erscheinungsform um 1680 wohl tatsächlich regional gebunden, d. h. nicht einfach austauschbar : In Nürnberg oder Straßburg hätte diese Gattung des unterhaltenden Erzählens um 1680 so wohl nicht entstehen können. Das Modell des »Politischen« aber bedingt die Erzähltechnik: Deshalb finden sich etwa in der Ehebruchs-Episode gleich fünf ausführlich wiedergegebene Briefe, die in den anderen Varianten der Erzählung meist nur kurz summarisch erwähnt werden, hier aber fast im Sinne eines Briefstellers wörtlich ausgebreitet werden; deshalb auch die viele direkt wiedergegebene wörtliche Rede – der Roman vom Politischen Näscher kann fast als Lehrbuch des Komplimentierstils verwendet werden; deshalb auch der Versuch, die physische Gewalt gegen die Frau einerseits abzumildern, andererseits zu begründen;51 deshalb auch der Umbau der deftigen Novelle zu einer fast jugendfrei unterhaltenden Demonstration weltklugen Verhaltens mit positivem Ausgang. Im Hintergrund steht die grundsätzliche Absicht Weises, mittels unterhaltender Erzählungen ›politisch‹ relevantes Wissen zu vermitteln – ohne didaktischen Zeigefinger, dafür umso wirkungsvoller. Aus der intendierten Funktion des Erzählmodells »Politischer Roman« bestimmt sich also Weises Erzähltechnik mit ihrem »Changieren zwischen anspielungsreicher Satire, aggressiver Polemik, kurzweiligem Schwank und prudentistischem Ratgeber«.52 Grimmelshausen dagegen, in der relativen Internationalität der Rheinebene, schrieb weder in derart konkreten regionalen Bezügen noch mit einem so klaren Zielpublikum vor Augen. Danken wir ihm dafür, daß er diese Freiheit für die ästhetische Komplexität seiner Texte nutzte.

51 Vgl. Weise SW 19, S. 120: »Endlich spatzierte ich die Treppe hinauf in die Kammer hinein/ da stolperte ich wieder meinen Willen/ daß ich die länge auf dem Boden lag. […] ›du Bestie/ hastu mir darum so viele verdammte Briefe zugeschickt/ daß du mir eine Falle bauen willst / und daß ich über deiner Schwelle den Halß brechen soll.‹ Damit fuhr ich ihr auf den Kopf loß/ und schmieß ihr das Gesichte mit trockenen Fäusten so weidlich ab/ daß sie kein weißes Plätzgen unter den Augen behielt.« 52 Wicke 2009, S. 31.

Wolfgang Hirschmann

Musikalische Stilregister in den Arien Johann Pachelbels

Eine Textsorte der barocken Dichtung, die durch Regionalität funktional und oft auch strukturell besonders geprägt ist, stellt die Casuallyrik dar, also die von Martin Opitz 1624 als »Sylven«1 bezeichnete und von Albrecht Christian Rotth 1688 als »insgemein übliche Gedichte«2 bestimmte poetische Kategorie. Rotths weitere definitorische Ausführung zu dieser Kategorie zeigt, dass derartige Texte eng mit Musik verbunden sind konnten: Ich nenne aber insgemein übliche Gedichte / die jenigen / die fast täglich vorkommen. Als da man einem zu Hochzeiten / Kindtauffen / Namens-Tagen etc. Glückwünschet / oder auch zu Ehren-Staffeln und Ehren-Aemptern / alswenn iemand Magister, Doctor, Cantzler etc. wird; Wozu denn auch die Nacht-Musicke mitgehöret / die man in dergleichen Fällen einem bringet; desgleichen auch solche Gedichte / wodurch man einem andern sein Beyleid an den Tag leget / als Leich-Verse oder Klagen über eines Landes Unglück und Weh. Und was dergleichen mehr seyn mag.3

Rotth spricht die Nachtmusik als einen wesentlichen und weit verbreiteten poetisch-musikalischen Funktionstypus der Casualcarmina eigens an;4 aber der Einsatz musikalischer Dichtungen, also mit Opitz gesprochen von »Lyrica«, beschränkt sich in diesem Zusammenhang nicht auf das abends oder nachts, in der Regel im Freien und stets musikalisch dargebotene Gelegenheitsgedicht mit seiner Primärfunktion des Glückwunsches. Auch beispielsweise Begräbnisze1 Vgl. Martin Opitz: Buch von der Deutschen Poeterey (1624). Hg. von Cornelius Sommer. Stuttgart 1970, S. 23–32. 2 Albrecht Christian Rotth, Vollständige deutsche Poesie. Leipzig 1688, Titelblatt. Rotth unterscheidet zwischen den stets anlassgebundenen »insgemein üblichen Gedichten« und den nicht anlassgebundenen »vor andern so beniemten Poetischen Gedichten«. 3 Rotth, Poesie, 2. Teil: Kunstmäßige und deutliche Anleitung zu allerhand Materien / welche sowohl sonst in der Rede-Kunst / als insonderheit in der Poesie nützlich zu gebrauchen seyn wird, Vorrede, S. 1f. 4 Vgl. dazu genauer Wolfgang Hirschmann: Glückwünschendes Freuden=Gedicht – die deutschsprachige Serenata im Kontext der barocken Casualpoesie. In: Barockes Musiktheater im mitteldeutschen Raum im 17. und 18. Jahrhundert. Hg. von Friedhelm Brusniak. Köln 1994 (Arolser Beiträge zur Musikwissenschaft, 2), S. 75–113.

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Wolfgang Hirschmann

remonien, bei denen es zweifelsohne um anderes ging als um eine Gratulation, wurden mit großer Selbstverständlichkeit musikalisch ausgestaltet. Regional geprägt sind diese Gelegenheitsmusiken insofern, als sie sich auf konkrete lokale und situative Kontexte beziehen. Diese Kontexte werden dann greifbar, wenn die Texte solcher Musiken in gedruckter Form vorliegen, da die Titelblätter der Drucke stets detailliert über den Anlass informieren. Etwas anders liegen die Dinge, wenn sich die Überlieferung auf die musikalischen Texte beschränkt. Das konkrete Ereignis ist dann oft nur noch umrisshaft zu fassen. Die Tradierung der Arien Johann Pachelbels5 kann diese Differenz nachdrücklich illustrieren (vgl. dazu die Übersicht auf S. 371–373). Von den 22 überlieferten Stücken gehören fünf zu zwei Erbhuldigungen, die im Jahr 1679 in Erfurt stattfanden, wo Pachelbel seit 1678 als Organist der Predigerkirche und als Ratsorganist wirkte. Erfurt war kurmainzische Enklave, und die Huldigungsakte des Jahres 1679 galten gleich zwei neu gewählten Mainzer Kurfürsten, denn der erste war gut ein dreiviertel Jahr nach Amtsantritt verstorben. Die Überlieferung dieser Huldigungsmusiken kann als nachgerade optimal angesehen werden: Drei Gedenkbücher sind erhalten, die sowohl den Verlauf der Huldigungsakte genau beschreiben und sogar durch Bilder illustrieren als auch alle diesbezüglichen Dokumente mitteilen, darunter auch die Textdrucke der Musiken sowie teils autographe, teils abschriftliche Aufzeichnungen der Kompositionen Pachelbels.6 Komplizierter liegen die Dinge bei den anderen erhaltenen 17 Arien. Nur in einem Fall, der Aria »Hör, großer Maecenat«, lassen sich bislang die musikalischen Quellen mit einem erhaltenen Textdruck und damit mit einem konkret fassbaren Ereignis in Verbindung bringen: Es handelt sich hier um eine glückwünschende Nachtmusik, welche die Nürnberger Stadtmusiker am 24. November 1695 – Pachelbel hatte im Jahr zuvor die hoch dotierte Organistenstelle an St. Sebald angenommen – dem Ratsmitglied, Kirchpfleger und musikalischen Mäzen Carl Welser von Neunhof darbrachten, »nach der Composition Johann Bachelbels«, wie das Titelblatt hervorhebt:

5 Vgl. Johann Pachelbel: Arien. Hg. von Wolfgang Hirschmann. Kassel u. a. 2008 (= Johann Pachelbel. Sämtliche Vokalwerke, 11) sowie die dort gegebene Einführung in die Werkgruppe (S. VII–XI). Zwei sehr hörenswerte CD-Einspielungen mit Arien Pachelbels liegen bislang vor: Johann Pachelbel. Arien & Duette, M#ria Z#dori, Judit N8meth, G#bor K#llay, Istv#n Kov#cs, Affetti Musicali, J#nos Malina, Hungaroton 1998 (HCD 31736) (Einführungstext: J#nos Malina); Johann Pachelbel. Arien & Concerti, Emma Kirkby, Kai Wessel, Jan Kobow, Klaus Mertens, London Baroque, Cavalli Records 2007 (CCD 332) (Einführungstext: Wolfgang Hirschmann). 6 Vgl. Pachelbel, Arien, S. VII–X (Einführung), XVII–XXVII (Abbildungen) und 1–43 (Notentexte).

Musikalische Stilregister in den Arien Johann Pachelbels

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Den Schluß j des j Kyrchen – Jahrs j beglückwünschen j Dem j Hoch-Edelgebornen / Fürsichtig-j und Hochweisen j Herrn j Herrn Carl Welsern j von und zu Neunhof / j Des Aeltern Geheimen Raths / dritten j Obristen Haubtmann / vordersten Scholarchae j und Kyrchen-Pflegern / j als j der Kyrchen / Schulen und Music j eifrigstem MAECENATI, j aus unterthäniger Pflicht j in einer ergebensten j Nacht – Music j den 24. Nov. 1695. j Der Director und die übrigen Mitglieder j der Stadt- Musicorum j nach der Composition j Johann Bachelbels.7

Ansonsten freilich lassen sich anhand der Texte der Stücke nur allgemeine Einordnungen vornehmen (vgl. die Übersicht auf S. XXX): Wir finden drei Hochzeitsmusiken, drei Begräbnismusiken, fünf Nachtmusiken, zwei Musiken zu Namenstagen und vier Arien, die offenbar einem (vielleicht unvollendeten) Zyklus von Gesängen über die Monate des Jahres entstammen, die Pachelbel wohl für eine bürgerliche Musikgesellschaft oder eine Brüderschaft komponierte. Es liegt nahe, hier an eines der Nürnberger Musikkränzlein zu denken; belegen lässt sich das freilich nicht, weil keine Dokumente nachweisbar sind, die eine genauere lokale Kontextualisierung ermöglichen. Erschwerend kommt noch hinzu, dass eine Reihe von Arien nur in Abschriften aus dem 19. Jahrhundert erhalten ist, welche die Textwiedergabe auf die erste Strophe beschränkten, da man damals nur an der musikalischen Substanz und nicht an Texten und Kontexten interessiert war. Ich möchte im Folgenden versuchen, anhand einiger ausgewählter Beispiele die Spanne an verschiedenen musikalischen Stilregistern auszuloten, die Pachelbel bei der Umsetzung der Texte aktivierte.8 Wir werden gleich sehen, dass die aus der Rhetorik überlieferte Dreiteilung in einen hohen, mittleren und niedrigen Stil nur bedingt geeignet ist, die stilistische Komplexität der TextMusik-Verbindungen adäquat zu beschreiben. Daher auch die Rede von Registern, die einen reicheren und flexibleren Gebrauch von Gestaltungsmitteln erfassen kann als die rhetorische Dreiteilung. Aus dem gerade Gesagten lässt sich darüber hinaus schließen, dass dieser Versuch mit einigen Unwägbarkeiten behaftet ist. Denn dass die textliche musikalische Ausgestaltung einer Gelegenheitsmusik gemäß der rhetorischen Aptum-Doktrin auf die lokale Bedeutsamkeit und den regionalen Rang eines Ereignisses Rücksicht nahm, liegt auf der Hand. So erklärt sich etwa der instrumentale Aufwand der Huldigungsmusik »So ist denn dieß der Tag«9 mit ihrem jeweils fünfstimmigen Trompeten-, Streicher- und Vokalensemble aus der Wichtigkeit des Ereignisses, und auch die Dichtung bewegt sich mit ihrer Faktur in paarig gereimten heroischen Alexandrinern im Bereich eines emphatisch 7 Vgl. a.a.O., S. X (Einführung), XXXII (Abbildung), S. 64–67 (Notentext). 8 Ich folge hier einem Ansatz, den ich näher erläutert habe in: Musikalische Stilregister im Neuen Helicon des Christian Knorr von Rosenroth. In: Morgen-Glantz 14 (2004), S. 275–304. 9 Vgl. Pachelbel, Arien, S. XIX (Abbildung), S. 3–9 (Notentext).

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gestimmten stylus sublimis (zitiert ist im Folgenden die erste von acht Strophen): So ist denn diß der Tag, der alles Trauren stillet, Und unsers Hertzens Wundsch auffs neue nun erfüllet Mit höchst beliebter Lust? Ach freylich ists die Stund, Die unsern Ohren bringt den rechten FreudenGrund, Die angenehme Post, von denen GnadenStrahlen, Womit des Fürsten Huld uns künfftig will bemahlen. O Theurer LandesHerr! schau doch wie groß die Freud In deinem Erffurd ist! wie groß die Munterkeit Der Unterthanen, die bereit Dir Treu zu schwehren, Die Dich und dein Gebot sind willigst zu verehren. Ein jeder rufft und wünscht, wie er ja billich soll: Carl Henrich lebe lang! Carl Henrich lebe wohl!

Pachelbel komponiert ein langes, aufwändiges Instrumentalritornell und beschließt jede der solistischen vorgetragenen Strophen mit einer vollstimmigen Akklamation der glückwünschenden Refrainzeile »Carl Henrich lebe lang! Carl Henrich lebe wohl!« Wenn nun aber die Anlässe weniger deutlich fassbar sind, dann lassen sich auch Erklärungen für bestimmte Stilhaltungen nur eher vage formulieren. Die Fälle freilich sind umso interessanter, weil weniger eindeutig fassbar ; es bleiben Verständnislücken, auf die im Folgenden hinzuweisen sein wird. Betrachten wir in diesem Zusammenhang zwei der erhaltenen Begräbnismusiken etwas genauer : Die erste, »Augen, streuet Perlenthränen«,10 wurde offenbar über dem Sarg einer verstorbenen Adligen gesungen; zumindest legt dies die Rede von der »blasse[n] Adels-Krone« in der ersten Strophe nahe. Wen der musikalische Duktus dieser Aria für zwei Singstimmen11 an ein Kirchenlied erinnert, dem will ich nicht widersprechen. Die Nähe zum Kirchenlied prägt sich im Vokalteil nicht nur in der Anlage mit wiederholtem erstem Teil (T. 1–4) und abschließendem zweiten Teil (T. 5–12), also in einer AAB-Form, aus, sondern auch in der schlichten Periodik (drei jeweils viertaktige Abschnitte, jeder kadenziell geschlossen), der gleichmäßigen Deklamation in Vierteln, die an einigen Stellen durch Punktierungen aufgelockert wird, sowie im aufgelockert homorhythmischen Satz und der einfachen Harmonik aus. Die Musik in der Art eines frommen Gemeindegesangs wechselt mit einem fünfstimmigen Ritornell (T. 13–20), das klangvoller und sicherlich artifizieller durchgebildet ist als der 10 Vgl. Pachelbel, Arien, S. 54–56. 11 Alle Notenbeispiele stammen aus der genannten Edition der Arien in der Gesamtausgabe der Vokalwerke Pachelbels. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Bärenreiter-Verlags Kassel.

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Vokalteil, aber an dessen schlichten Duktus durchaus anschließt und partizipiert.

Notenbeispiel 1a: Johann Pachelbel, »Augen, streuet Perlenthränen«, T. 1–9.

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Notenbeispiel 1b: Johann Pachelbel, »Augen, streuet Perlenthränen«, T. 10–20.

Der zugrundeliegende Text bestätigt in seiner formalen Organisation zunächst den Eindruck eines dominierenden stylus humilis:

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1. Augen, streuet Perlenthränen Um die blasse Adels-Krone, Gehe, treuer Liebe Sehnen, Mit dem Geist vor Gottes Throne, Dann der Tod kan nur zerschneiden Bund und Band der Sterblichkeit In der abgezirckten Zeit, Aber nicht die Liebe scheiden. 2. Kommet, die ihr Tugend liebet, Seht, was dieser Sarg verhüllet, Ach! ein Hertz im Creutz geübet, Mit Gedult und Lieb erfüllet. Keuscher Wittwen ihr Exempel Nimmt hie weg der Tage Flucht, Eine Hanna, die gesucht Freud und Trost in Gottes Tempel. 3. Hie, hie liegen milde Hände, Die der Armuth offen stunden, Und nun schlägt ihr sanfftes Ende Vielen Hertzen harte Wunden. Fliesset dann, ihr Zähren-Röhren, Reicht hiemit den Abschiedskuß Diesem Sarg, den man noch muß Wegen seines Kleinods ehren. 4. Ach! die Stunde rufft zum Scheiden, Gute Nacht! ihr kalten Glieder, Schlafft im Fried’, erwacht in Freuden; Wann der Geist euch reget wieder, Führt euch der bethränte Wagen Von uns in ein ander Land, So wird auff der Engeln Hand Gott uns einst zusammen tragen.

Die Strophen sind aus acht Versen geformt in vierhebigen Trochäen und dem Reimschema abab cddc, wobei nur die Endungen der d-Reime betont, alle anderen unbetont sind. Ob man nun freilich auch die Sprache und Metaphorik der Dichtung dem niedrigen Stil zuordnen kann, scheint mir eher fraglich: Sind nicht schon die ersten beiden Verse, in denen das trauernde Weinen am Sarg in eine direkt an die Augen gerichtete Anrede mit metaphorischer Kopplung von Perlentränen und blasser Adelskrone gefasst wird, eher einer arguten Sprach-

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verwendung verpflichtet, wie sie dem hohen Stil entspricht? Sicherlich wird das Pathos des Beginns im weiteren Verlauf eher gemildert, aber die komplizierte Syntax bleibt ebenso erhalten wie die Gleichnis- und Metapherntechnik, so vor allem in der dritten Strophe mit der antithetischen Kontrastierung von sanftem Ende und harten Wunden, dem Bild der Zähren-Röhren und dem Wiederaufgreifen der Preziosen-Metaphorik des Beginns in der Charakterisierung der Toten als Kleinod. Es besteht also meines Erachtens eine gewisse Diskrepanz zwischen der elaborierten Stillage des Textes und dem schlichten Duktus seiner Vertonung. Das zweite Beispiel ist die Tenorarie »Wie nichtig? ach! wie flüchtig!«,12 das Begleitinstrumentarium ist diesmal ein vierstimmiger Streichersatz mit einer skordierten Viola (also einer Bratsche mit umgestimmten Saiten) als Oberstimme. Ich möchte Sie zunächst für den eigentümlichen Text sensibilisieren: 1. Wie nichtig? ach! wie flüchtig sind die Freuden, Die unser Brust (wie wir vermeynen) weiden? So leicht, so schnell wird keine Blum zunicht Alß selbsten uns das Hertz im Leibe bricht. Was ist es dann, daß wir so froh uns wissen, Daß Gönner uns und treue Freund erspriessen, Wan sie die Augen schließen zu, eh wir sie recht geniesen? 2. Was ist es, ach! daß ich mich so vergnüget, Da dieser Mann, der hier im Sarge lieget, Der Ehren Mann, mein liebster Vatter hieß? Und mir sich stets auch vätterlich erwieß? Ists nicht also: je mehr ich ihn geliebet, Je mehr bin ich nun traurig und betrübet, Daß man mir sein getreues Hertz dem Tod schon übergiebet? 3. Ich weine, ach! wie könt ich mich enthalten? Ich sehe den für meinem Aug erkalten, Bey dem es hies: die alte Stirn füllt Witz, Der mir so offt mit seinem Rath war nütz! Fremd in der Fremd durft ich mich ihm vertrauen, Auff seine Gunst mit Zuversicht schon bauen, Drüm ließ er mir sie so vermehrt, alß ich sein Sohn ward, schauen. 4. Nun liegt er, ach! und mit ihm meine Freude, An derer statt ich Trauerschmertzen leide 12 Pachelbel, Arien, S. 60–63.

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Und redlich spühr, wie aller unsrer Lust Viel Nichtigkeit und Flüchtigkeit bewust. Doch nicht der Lust, die seine Seel erhalten! Sie freut sich dort im Chor der selgen Alten, Die vor des theursten Conigs Kron die besten Dienst verwalten. 5. Noch manches Ach! werd gleichwohl ich erthönen Und mich nach Dir mit tausend Thränen sehnen, Ob Dich gleich labt, Du werthster Vatter Du! Der Himmel selbst mit seiner stoltzen Ruh: Dann ob mir gleich behaget Dein Behagen, Kan ich Dich doch aus meinen Sinn nicht schlagen, Will auch von Deiner Ehren Werth, so lang ich athme, sagen.

Die fünf Strophen sind in jeweils sieben jambischen Versen ausgeformt, die ersten sechs sind fünfhebig, der letzte ist ein siebenhebiger Langvers. Die Reimordnung bindet den letzten Vers an die vorangehenden beiden Verse: aa bb ccc; nur das zweite Reimpaar endet betont. Die Redesituation nun ist eine andere als im vorangehenden Text, denn hier besingt ein Sohn unmittelbar und in der Ich-Form seine Trauer über den Tod des geliebten Vaters. Der Text nähert sich also einem dramatischen Monolog; die subjektiv gefärbte musikalische Trauerrede steckt voller exklamatorischem Pathos; die allgemeine Vanitas-Deixis der ersten Strophe (»Wie nichtig? ach! wie flüchtig sind die Freuden, j Die unser Brust (wie wir vermeynen) weiden?«) wird mit Beginn der zweiten Strophe auf die konkrete familiäre Situation und die individuelle Perspektive des Sohnes (»Was ist es, ach! daß ich mich so vergnüget, j Da dieser Mann, der hier im Sarge lieget, j Der Ehren Mann, mein liebster Vatter hieß?«) gelenkt. Von seiner sprachlich-metaphorischen Komplexität her fällt der Text indes hinter dem vorherigen zurück: Es sind eher schlichte Worte, die der trauernde Sohn findet, die aber in Verbindung mit der besonderen persönlichen Redesituation umso mehr zu Herzen gehen (sollen). Sie haben sicherlich schon bemerkt, dass jede Strophe mit einem Vers beginnt, der den schmerzlichen Ausruf »Ach!« an derselben metrischen Position gebraucht. Dies ermöglicht es dem Komponisten, dieses »Ach!« musikalisch besonders auszuformen, also eine Einzelausdeutung als musikalisch-rhetorische Figur anzubringen, die sich ansonsten wegen der strophischen Organisation der Arientexte verbietet. Und ein Blick auf den Notentext zeigt, dass Pachelbel diese Chance auch weidlich nutzt. Ja, er wiederholt sogar die Seufzerfigur in T. 2, mit der er das »Ach!« auskomponiert, am Ende des Taktes steigernd auf höherer Stufe. Der ganze Beginn, so wie ihn Pachelbel komponiert, ist ein hoch pathetisches Gebilde, wie es einer Opernszene alle Ehre machen würde. Und wenn wir auf die

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Notenbeispiel 2a: Johann Pachelbel, »Wie nichtig? ach! wie flüchtig«, T. 1–9.

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Notenbeispiel 2b: Johann Pachelbel, »Wie nichtig? ach! wie flüchtig«, T. 10–19.

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Notenbeispiel 2c: Johann Pachelbel, »Wie nichtig? ach! wie flüchtig«, T. 20–29.

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gesamte musikalische Faktur schauen, dann können wir feststellen, dass eine opernhaft-dramatische Durchformung den gesamten Vokalsatz durchzieht. Deutlichstes Kennzeichen dafür sind die Koloraturen im ersten Vers (die »nichtig« mit »flüchtig« verbinden, T. 1–4), am Ende des zweiten Verses (hier »weiden?«, T. 6f.), gegen Ende des fünften Verses (hier »froh«, T. 13), in der Mitte des sechsten (»treue«, T. 15) und besonders weit ausgreifend gegen Ende des abschließenden Langverses (T. 17–19). Ergebnis ist ein sehr viel freierer Umgang mit der Metrik des Textes mit der Konsequenz, dass die einzelnen Verse unterschiedlich lang vertont werden (1. Vers: vier Takte, 2. Vers: drei Takte; 3. und 4. Vers jeweils eineinhalb Takte etc.). Die Rhythmik der Singstimme entfaltet sich gleichsam frei über dem Bassfundament; auch die Harmonik ist komplizierter als im ersten Beispiel, was sich etwa besonders deutlich in der aufsteigenden Chromatik im letzten Vers (T. 17f.) zeigt. Und auch das Ritornell (T. 20–29) bildet mit seinen Imitationen zwischen Oberstimme und Bass und seinem Aufgreifen des Seufzermotivs gegen Ende (T. 26f.) sowie seiner schieren Länge eine spannungsgeladene instrumentale Fortsetzung der Klage des Vokalteils. Mit diesen beiden Beispielen glaube ich die Spannweite der Stilregister in Pachelbels Arien erfassen zu können: auf der einen Seite das schlichte, dem Gemeindegesang nahestehende homorhythmische Liedregister, auf der anderen Seite das dramatische, opernhafte heterorhythmische Arienregister mit seinen Einzelausdeutungen und Koloraturen. Für die Ausprägung dieser Register scheint dabei weniger die allgemeine formale oder metaphorische Stillage eines Textes ausschlaggebend zu sein, sondern eher die spezifische Redesituation und die je verschiedenen Formulierungsdetails; und im Übrigen verhält sich die Musik auch durchaus autonom gegenüber dem Text: In den Koloraturen etwa schafft sich ein rein musikalisches Element Bahn, das eine schöne Stimme jenseits aller (auch greifbaren) Textbezüge ins Szene setzt.13 Dieser Befund ist freilich ein vager, denn genauso könnten eben nicht genauer fassbare Eigenarten der beiden Traueranlässe die beiden so unterschiedlichen musikalischen Umsetzungen veranlasst haben. Man könnte etwa beim zweiten Beispiel erwägen, ob es sich nicht um ein Stück aus einem größeren theatralischen Zusammenhang handelt, und eine Bestätigung für diese Annahme in der großen Tradition Nürnberger Musikdramatik des 17. Jahrhunderts suchen, die Markus Paul prägnant herausgearbeitet hat.14 Es gibt allerdings bisher keinen Hinweis darauf, dass Pachelbel in Nürnberg als Komponist für theatralische

13 Vgl. dazu Wolfgang Hirschmann: »Rufst du, süße Hirtenstimme?« Analytischer Versuch über eine Arie aus Telemanns Arienjahrgang von 1727. In: Aria. Eine Festschrift für Wolfgang Ruf. Hildesheim 2011 (Studien und Materialien zur Musikwissenschaft, 65), S. 373–387. 14 Markus Paul: Reichsstadt und Schauspiel. Theatrale Kunst im Nürnberg des 17. Jahrhunderts. Tübingen 2002 (Frühe Neuzeit, 69).

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Aufführungen hervorgetreten wäre. Hier bleibt also eine beträchtliche Unschärfe bestehen. Ein Beispiel aus den Abendmusiken soll diese kleine Betrachtung als Probe aufs Exempel und weitere Differenzierung abschließen, die Sopranarie »Die freuderfüllte Abendstunden«.15 Sie ist, wenn wir hier zunächst die Musik betrachten (siehe Notenbeispiel 3a-b), mit ihren Koloraturen und der freien Führung der Singstimme wieder dem Arienregister verpflichtet, ohne dass freilich die dramatischen Akzente und Einzelausdeutungen des vorangehenden Beispiels (wie gesagt ein Extremfall) zu beobachten wären. Ich habe an anderer Stelle ein gehobenes ›madrigalisches‹ Arienregister von einem ›mittleren‹ Arienregister unterschieden,16 und diese Unterscheidung könnte man auch auf »Wie nichtig? ach! wie flüchtig!« und »Die freuderfüllte Abendstunden« anwenden. Der Anlass ist denn auch ein ganz anderer als in der expressiven Trauermusik: Wir haben es hier mit einer Gratulation für einen (wahrscheinlich akademischen) Lehrer zu tun in einer Nachtmusik am Ende eines »edle[n] Fest[es]« (Strophe 1), möglicherweise seiner Geburtstagsfeier. Der Text bedient sich im Fundus der Topoi der Nachtmusik, die Poetiker der Casuallyrik wie Kindermann und Rotth ausführlich beschrieben haben:17 1. Die freuderfüllte Abendstunden, So mancher treuer Sinn gewünschet und verlangt, Die haben sich nunmehr zu unserm Trost gefunden, Und wie das Stern-Gewölb mit tausend Lichter prangt, So mahnt die tieffe Pflicht uns an, nicht still zu schweigen, Da sich ein edles Fest will zu dem Abschied neigen. 2. Das Licht, an dem Dich uns geschencket Des Himmels milde Gunst, so für die Frommen wacht, Verdient, Ehrwürdigster, wol, daß man sein gedencket Und rühme nach Gebühr, was Dich so schätzbar macht, Worbey die Kierche selbst, die Deinen Eifer kennet, Diß, was wir izo tun, höchst recht und billig nennet. 3. Wer ehrt nicht Deine hohe Gaben Und seltne Lehrers-Treu, du geisterfüllter Mann, Sie stehen beyde tieff in vieler Herz gegraben, Daß keiner Zeiten Grimm sie leicht vertilgen kan,

15 Pachelbel, Arien, S. 68f. 16 Musikalische Stilregister im Neuen Helicon, S. 284–292. 17 Vgl. Hirschmann, Glückwünschendes Freuden=Gedicht, S. 78f.

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Notenbeispiel 3a: Johann Pachelbel, »Die freuderfüllte Abendstunden«, T. 1–16.

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Notenbeispiel 3b: Johann Pachelbel, »Die freuderfüllte Abendstunden«, T. 17–28.

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Nie hastu Deinen Mund zum Lehren , So hat der Hörer Brust Krafft, Trost und Rath genossen. 4. Allein, es sind die schwachen Saiten, So unser Faust bewegt, von keiner solchen Krafft, Dein höchst verdientes Lob geziemend auszubreiten, Wiewol es noch so fest in unser Seelen hafft, Und unser Kehlen Ton weiß immer hell zu klingen, Wann er zu Deinem Ruhm will etwas Würdigs singen. 5. Wiewol die wunderbahre Gütte, So Dein erleuchtet Hertz zur Wohnung hat erkiest, Versichert, daß du mehr das willige Gemüthe Als auf der Wörter Pracht an unser Freude siehst, Die Sternen können nicht so heiß in Flammen stehen, Als unser Wünsche jezt nach jener Höhe gehen. 6. Laß, Höchster! diese Abendstunden, Zusamt dem frohen Liecht, das nächstens bricht heran, Das theure Lehrer-Hertz, dem wir so hoch verbunden, Unzählichmal vergnügt noch ferner schauen an, Daß Leid und Ungemach sich weit von hinnen mache, Dagegen Heil und Fried umb seiner Schläffe wache.

Zu beobachten ist hier, wie die topische Bezugnahme auf den nächtlichen Himmel, das »Stern-Gewölb mit tausend Lichter« (Strophe 1), durch die weiteren Strophen (vgl. Strophe 2, 5 und 6) geführt wird und mit dem religiösen grundierten Glückwunsch (»Die Sternen können nicht so heiß in Flammen stehen, j Als unser Wünsche jezt nach jener Höhe gehen«, Strophe 5) wie auch dem speziellen Wunsch für ein weiteres Wohlergehen des Geehrten (siehe das abschließende Bild um das anbrechende »frohe Liecht« in der 6. Strophe) verbunden wird. Besonders das Ritornell (T. 17–28) macht deutlich, dass es dabei auch darum geht, schlicht gute Laune mit Musik zu erzeugen, denn eine wesentliche Funktion dieser Abendmusiken bestand in der geistreichen Unterhaltung der Festgesellschaft;18 dazu dient hier wie in vielen anderen Fällen die musikalische Anlehnung an den Tanz. 18 Zum Funktionskomplex der Abendmusiken im 17. Jahrhundert – Glückwunsch, Verherrlichung, Freudenbezeugung, Demuts- und Treuebekundung, Lob, Dank und Bitte, Unterhaltung der Gäste – vgl. Hirschmann, Glückwünschendes Freuden=Gedicht, S. 89f. Bei dieser Differenzierung habe ich mich auf die grundlegenden Untersuchungen zur barocken Panegyrik von Theodor Verweyen (vgl. Barockes Herrscherlob. Rhetorische, Tradition,

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Die mangelnde Dokumentation des Ereignisses hat den Nachteil, dass wir weder wissen, um welchen Lehrer es sich handelte noch wo und wann diese Glückwunschmusik aufgeführt wurde. Die Unschärfe erleichtert nun freilich eine aktualisierende Adaption, die dem Verfasser dieses Beitrags – und vielleicht nicht nur ihm – aus dem Herzen spricht. Denn dass die Strophen dieser Aria auf den mit diesem Tagungsband gefeierten Jubilar sehr gut passen, wenngleich nicht zu jeder Tageszeit, steht außer Zweifel: Wer ehrt nicht Deine hohe Gaben Und seltne Lehrers-Treu, du geisterfüllter Mann, Sie stehen beyde tieff in vieler Herz gegraben […].

sozialgeschichtliche Aspekte, Gattungsprobleme. In: Der Deutschunterricht 28 [1976], Heft 2, S. 25–45) und die leider unveröffentlichte Studie von Uwe Spörl (Barocke Herrscherlobgedichte. Ein gattungspoetologischer Versuch. Magisterarbeit Universität ErlangenNürnberg o. J.) gestützt.

Voller Wunder, voller Kunst

Wohl Euch, die ihr in Gott verliebt

Hochzeitsmusik (Text: Paul Gerhardt), gleicher Anlass wie Wohl Euch

siehe oben; Abschiedsode für die Mainzer Textdruck, autographe Partitur und Gesandten Franz Emmerich Wilhelm von Partiturabschrift Bubenheim und Johann Lukas von Ingelheim (18. Dezember 1679?) Hochzeitsmusik autographer Stimmensatz, Partiturabschrift 19. Jh. autographer Stimmensatz, Partiturabschrift 19. Jh.

Textdruck (Textdichter siehe oben), autographe Partitur und Partiturabschrift

Nachdem die Treue Pflicht

Bleibt es denn nun also

Textdruck (Textdichter : Johann Christoph Dommrich), autographe Partitur und Partiturabschrift

Erbhuldigung für den Mainzer Kurfürsten Anselm Franz Friedrich von Ingelheim in Erfurt am 5. Dezember 1679; Freiluftmusik zum Huldigungsakt auf dem Domplatz siehe oben; Gratulationsmusik für den neuen Statthalter Jakob Walbott von Bassenheim (Strophenakrostichon)

Anlass Quellen Erbhuldigung für den Mainzer Kurfürs- Textdruck und autographe Partitur ten Karl Heinrich von Metternich-Winneberg in Erfurt am 30. Januar 1679; Musik zum Huldigungsakt siehe oben; Abschiedsode für die Mainzer Textdruck und Partiturabschrift Delegation (3. oder 4. Februar 1679)

Wohl Erffurd! wohl, wohl dir

So ist denn nun die Treu

Titel So ist denn diß der Tag

Die überlieferten Arien von Johann Pachelbel (vgl. Sämtliche Vokalwerke, Band 11, Kassel 2008)

Canto, Alto, Tenore, Basso, Continuo

Canto, Alto, Tenore, Basso, Continuo

Canto, Alto, Tenore, Basso, Violino I, II, Viola I, II, Fagotto, Tromba I–IV, Timpani, Cembalo

Canto I, II, Alto, Tenore, Basso, Violino I, II, Viola I, II, Violone, Cembalo

Canto, Alto, Tenore, Basso, Violino I, II, Viola I, II, Fagotto, Tromba I–IV, Timpani, Continuo

Canto I, II, Alto, Tenore, Basso, Violino I, II, Viola I, II, Violone, Flauto I, II, Continuo

Besetzung Canto I, II, Alto, Tenore, Basso, Violino I, II, Viola I, II, Violone, Tromba I–IV, Timpani, Continuo

Musikalische Stilregister in den Arien Johann Pachelbels

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Musik zum Namenstag eines »liebsten Wolfgang«

Es muß die Sinnen ja erfreuen

O großes Musenliecht

autographer Stimmensatz und eine abschriftliche Stimme

Partiturabschrift 19. Jh., nur 1. Strophe erhalten

autographer Stimmensatz

Nachtmusik für einen Mäzen (gleicher Anlass wie Hör, großer Maecenat in anderem Jahr?) Musik zu einem Namenstag

Nachtmusik für einen Vater

Moecenas lebet noch

Guter Walther unsers Raths Geliebtes Vaterhertz

Partiturabschrift 19. Jh., nur 1. Strophe erhalten Partiturabschrift 19. Jh., nur 1. Strophe erhalten

Tenore, Violino I, II, Cembalo

Tenore, Violino I, II, Viola da gamba I, II, Continuo

Alto, Tromba, Violino I, II, Viola I, II, Continuo

Basso, Violino I, II, Viola I, II, Continuo o Violone

Tenore, Violino I, II, Viola I, II, Basso

Canto, Violino I, II, Viola I, II, Continuo

abschriftlicher Stimmensatz

Nachtmusik für einen Bürgermeister

Alto, Violino I, II, Viola I, II, Continuo

Tenore, Viola I (in Skordatur), Viola II, III, Continuo

Textdruck, autographer Stimmensatz

autographer Stimmensatz

Begräbnismusik eines Sohnes für seinen verstorbenen Vater

Tenore, Viola I–IV, Viola pro Basso, Organo

Alto, Tenore, Viola I–IV, Viola pro Basso, Organo

autographer Stimmensatz, Partiturabschrift 19. Jh. autographer Stimmensatz, Partiturabschrift 19. Jh.

Besetzung Soprano, Violino I, II, Continuo

Quellen Partiturabschrift 19. Jh., nur 1. Strophe erhalten

Begräbnismusik (gleicher Anlass wie Augen, streuet?)

Nachtmusik der Nürnberger Stadtmusiker für Carl Welser von Neunhof, 24. November 1695 Die freuderfüllte Nachtmusik für einen (akademischen) Abendstunden Lehrer

Hör, großer Maecenat

Mein Leben, dessen Creutz für mich Wie nichtig? ach! wie flüchtig

Titel Anlass Auf werthe Gäst’ Hochzeitsmusik, gleicher Anlass wie Wohl Euch und Voller Wunder (?); Tafelmusik (im Auftrag) eines Geistlichen Augen, streuet Begräbnismusik für eine verstorbene Perlenthränen Adlige

(Fortsetzung)

372 Wolfgang Hirschmann

autographer Stimmensatz, Text fragmentarisch autographer Stimmensatz, Continuostimme fehlt

Anlass Quellen Arie über den Monat April für ein Muautographer Stimmensatz sikkollegium Arie über die Fastenzeit vor Ostern für ein autographer Stimmensatz Musikkollegium

Das Jahr fängt Arie über den Jahresanfang an Das angenehms- Arie über den Monat Mai für ein Musikte Wetter kollegium

Titel Das Gewitter im Aprilen Der Widder Abrahams

(Fortsetzung)

Alto, Violino I, II, Viola I, II, Viola pro Basso, Cembalo Tenore, Violino I, II, [Continuo]

Alto, Tenore, Violino I, II (in Skordatur), Cembalo

Besetzung Tenore, Violino I, II, Cembalo

Musikalische Stilregister in den Arien Johann Pachelbels

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Personenregister (erstellt von Werner Wilhelm Schnabel) Könige, Fürsten und Bischöfe sind unter ihrem Territorium bzw. Amtsbezirk eingeordnet, Kaiser und Päpste unter ihrem Vornamen. Frauen werden in der Regel unter ihrem Geburtsnamen geführt. Verfasser von Sekundärliteratur sind nur erfasst, sofern sie im Haupttext erwähnt sind. Die Namensansetzung wurde normalisiert. Angegeben sind nach Möglichkeit die Lebensdaten (nicht Regierungs- oder Amtszeiten).

Acontius, Melchior (um 1515–1569) 96, 113f., 192 –, Michael (1. H. 16. Jh.) 183 Adam, Melchior (um 1575–1622) 86, 148 Aelianus, Claudius (um 170–nach 221) 156 Aemilius, Georg (1517–1569) 151, 183, 192 Agricola, Georg (1530–1575) 112 Alba, Fernando ]lvarez de Toledo, Hzg. von (1507–1582) 147 Albert, Christoph (1586–1646) 74 Albertus Magnus (um 1200–1280) 34 Albinus, Johannes (um 1540–1602) 159 Albrecht, Michael (* 1940) 314 Albret, Johanna von => Navarra Aleander, Hieronymus (1480–1542) 113, 184 AlenÅon, Anna von, verh. Mgfin. von Montferrat (1492–1562) 175 Alexander VI., Papst (Rodrigo Borgia, 1431–1503) 157 Alstedt, Johann Heinrich (1588–1638) 161 Altermann, Georg (1. H. 17. Jh.) 126 Altilio, Gabriele (1436–1501) 109–110 Alviano, Bartolomeo d’ (1455–1515) 127, 128 Amaseo, Romolo (1489–1552) 178 Amling, Wolfgang (1542–1606) 146, 153 Ammon, Johannes (Mitte 17. Jh.) 73 Amyot, Jacques (1513–1593) 84, 85

Anakreon (um 575/70–495 v. Chr.) 184 Andreae, Johann Valentin (1586–1654) 303, 306 Angelius Bargaeus, Petrus (1517–1596) 178–180 Angelo von Cremona, Fra (2. H. 15. Jh.) 101 Angelocrator, Daniel (1569–1635) 104–105 AngoulÞme, Margarete von => Berry, s. Navarra Anhalt-Bernburg, Christian I. Fst. von (1568–1630) 127 Anhalt-Dessau, Agnes Hedwig von, verh. Kfstin. von Sachsen, verh. Hzgin. von Schleswig-Holstein-Sonderburg-Plön (1573–1616) 118–119 –, Agnes Magdalena Fstin. von, verh. Lgfin. von Hessen-Kassel (1590–1626) 136 –, Joachim Ernst I. Fst. von (1536–1586) 118, 154, 174 –, Johann Georg I. Fst. von (1567–1618) 136 –, Sibylla Fstin. von, verh. Hzgin. von Württemberg (1564–1614) 174 Anhalt-Zerbst, Elisabeth Przin. von, verh. Kfstin. von Brandenburg (1563–1607) 173 –, Joachim Ernst Fst. von (1536–1585) 173 Antonius, Wilhelm († 1611) 72, 73

376 Aragjn, Eleonora von, verh. Hzgin. von Ferrara (1450–1493) 157 –, Isabella von, verh. Hzgin. von Mailand (1470–1524) 110 –, Katharina von, verh. Kgin. von England (1485–1536) 120 Aretino, Pietro (1492–1556) 178 Ariosto, Ludovico (1474–1533) 156–158 –, Niccolk (1433–1500) 156 Aristoteles (384–322 v. Chr.) 307 Arminius, Jacob (1560–1609) 103 Artomedes, Sebastian (1544–1602) 93, 95, 109, 160, 185–187 Assendelft, Anna van, verh. von Schagen (1647–1630) 107 –, Dirk van (1498–1553) 107 Augurelli, Giovanni Aurelio (1456–1524) 143–145 Augustinus, Aurelius (354–430) 42, 43, 45, 47, 327 Aurifaber, Johann (um 1519–1575) 34 Avenarius, Joseph († 1632) 145 Axonius, Joachim († 1605) 137 Bach, Inka (* 1956) 324 Bachtin, Michail Michailowitsch (1895–1975) 62, 63 Bacon, Francis (1561–1626) 282, 304 Baden-Baden, Maria Anna Mgfin. von, verh. von Rosenberg (1562–1583) 164 Baden-Durlach, Dorothea Ursula Mgfin. von, verh. Hzgin. von Württemberg (1559–1583) 168, 186 –, Georg Friedrich, Mgf. von (1573–1638) 136 –, Karl II. Mgf. von (1529–1577) 168, 186 –, Katharina Ursula, Mgfin. von, verh. Lgfin. von Hessen-Kassel (1593–1615) 136 Bahr, Hermann (1863–1934) 337 Ba"f, Jean-Antoine de (1532–1589) 139, 142, 184 –, Lazare de (1496–1547) 142 Bandello, Matteo (um 1485–1561) 162, 342 Ban8r, Johan (1596–1641) 281

Personenregister

Barezzi, Barezzo (1560?–1644) 343 Barth, Caspar von (1587–1658) 110 Baudius, Dominicus (1561–1613) 105–107, 147 Bayern, Albrecht V. der Großmütige Hzg. von (1550–1579) 172, 173 –, Ernst Hzg. von => Köln –, Maximilian I. Hzg. von (1573–1651) 173 –, Wilhelm V. der Fromme Hzg. von (1548–1626) 172f. Beer, Friedrich († 1599) 33 –, Johann (1655–1700) 326 Bembo, Bernardo (1433–1519) 144 –, Pietro, Kardinal (1470–1547) 113, 157 Benucci, Alessandra, verh. Strozzi, verh. Ariosto (um 1480–1552) 157 Bergmann, Jacob (1527–1595) 187 Berlicomius, Balduinus († um 1609) 94, 102 Bernegger, Matthias (1582–1640) 64 Bernutz, Magdalena, verh. Thunius (Ende 16. Jh.) 192 Berry, Margarete Hzgin. von (1523–1574) 165 Bersmann, Gregor (1538–1611) 90, 92, 116–119, 146, 148, 159 Beza, Theodor (1519–1605) 71, 95, 105, 130, 154, 177, 184, 188–189 Bidembach, Eberhard d.Ä. (1528–1597) 104 Bircher, Martin (1938–2006) 329 Birken, Sigmund von (1626–1681) 9, 18, 20, 48, 234, 287, 290, 291, 292, 328, 329 Bitterer, Thomas (2. H. 16. Jh.) 187 Blittershagen, Heinrich (um 1600) 121 Boccaccio, Giovanni (1313–1375) 157, 343, 344, 345 Bocer, Johannes (1523–1565) 187 Böckler, Georg Andreas (um 1617–1687) 306 Bohier, Antoine => Bourges Böhmen, Friedrich I., Kg. von => Pfalz, Friedrich V. Böhmen und Ungarn, Anna Jagiello von, verh. Ksin. (1503–1547) 115

Personenregister

–, Wladislaus II., Kg. von (1456–1516) 115 Bonhomme, Mac8 (16. Jh.) 176 Borchardt, Rudolf (1877–1945) 337 –, Hans Heinrich (1887–1964) 342 Borgia, Girolamo (1475–1550?) 127–128 –, H. 128 –, Lucrezia, verh. Sforza, verh. Hzgin. von Bisceglie, verh. Hzgin. von Ferrara (1480–1519) 157, 191 Borner, Caspar (1492–1547) 112 Bouillon, Gottfried von (um 1060–1100) 179 –, Henry de La Tour d’Auvergne, Hzg. von (1555–1623) 135 Bourbon, Antoine de => Vendime Bourbon-Montpensier, Charlotte von, verh. Przin. von Oranien-Nassau (1546/47–1582) 135, 159 Bourdieu, Pierre (1930–2002) 19, 20 Bourges, Antoine Bohier du Prat, Ebf. von (1460–1519) 184 Boursault, Guillonne (* um 1510) 184 Brandenburg, Elisabeth Przin. von, verh. Hzgin. von Braunschweig-LüneburgCalenberg, verh. Gfin. von Henneberg (1510–1558) 124 –, Georg Wilhelm Mgf. von (1595–1640) 127 –, Hedwig Mgfin. von, verh. Hzgin. von Braunschweig-Lüneburg (1540–1602) 149, 150 –, Joachim I. Nestor, Kfst. von (1484–1535) 124 –, Joachim II. Hektor Kfst. von (1505–1571) 149, 150 –, Johann Georg der Oeconomicus, Kfst. von (1525–1598) 101, 130, 173, 192 –, Magdalene Przin. von, verh. Lgfin. von Hessen-Darmstadt (1582–1616) 130 –, Sophie Mgfin. von, verh. von Rosenberg (1541–1564) 164 –, Sophie Przin. von, verh. Kfstin. von Sachsen (1568–1622) 100, 159

377 Brandenburg-Ansbach, Anna Maria Mgfin. von, verh. Hzgin. von Württemberg (1526–1589) 168, 172 Brandenburg-Ansbach-Kulmbach, Friedrich II. Mgf. von (1460–1536) 115 –, Georg Friedrich I. Mgf. von (1539–1603) 168, 185, 187 Brandt, Moritz (2. H. 16. Jh.) 90, 132, 162 Braun, NN 48 Braunschweig, Katharina Hzgin. von, verh. von Rosenberg († 1559) 164 Braunschweig-Calenberg-Göttingen, Anna Maria von, verh. Hzgin. in Preußen (1532–1568) 116 –, Erich I. Hzg. von (1470–1540) 123 –, Erich I. Hzg. von (1470–1540) 116, 124 –, Erich II. Hzg. von (1528–1584) 124 Braunschweig-Wolfenbüttel, Anton Ulrich Hzg. von (1633–1714) 323 –, Christian von (1599–1626) 137 –, Heinrich II. Hzg. von (1489–1568) 150 –, Heinrich Julius Hzg. von (1564–1613) 123, 149 –, Julius Hzg. von (1528–1589) 149, 150 Breuer, Dieter (* 1938) 342 Brockes, Barthold Heinrich (1680–1747) 297 Brunner, Otto (1898–1982) 317, 318 Bubenheim, Franz Emmerich Wilhelm von († 1709) 371 Bucer, Martin (1491–1551) 101, 155 Buchanan, George (1506–1582) 88, 89, 91, 92, 110–112, 120, 216–219 Bucher, Kaspar (1554–1617) 103–104 Buchholtz, Andreas Heinrich (1607–1671) 323 Buchner, August (1591–1661) 280, 284 Bugenhagen, Johannes (1485–1558) 99 Burckhardt, Franz (1. H. 16. Jh.) 151 Bütner, Wolfgang (1522–1596) 35 Caesar, Gaius Iulius (100–44 v. Chr.) 78, 166 Callot, Jacques (1592–1635) 224 Calvin, Johannes (1509–1564) 92, 95, 101, 129, 137, 155, 188, 189

378 Camerarius, Joachim d.Ä. (1500–1574) 112, 116, 123, 183 –, Joachim d.J. (1534–1598) 123 Campanella, Tommaso (1568–1639) 304 Canter, Willem (1542–1575) 142 Capello, Bianca, verh. Ghzgin. der Toskana (1548–1587) 180 Carbone, Girolamo († 1528) 128 Castro, Horatio Farnese, Hzg. von (1532–1553) 140 Cato Uticensis, Marcus Porcius (95–46 v. Chr.) 78 Cattanei, Vanozza de’ (1442–1518) 157 Catullus, Gaius Valerius († 54 v. Chr.) 184 Cerrato, Benedetto († 1517) 174 –, Paolo (um 1585–1541) 174–176 Chastel, Pierre de => Duch.tel Christian, Anna Dorothea, verh. Avenarius 145 Christlich Meynende, Der (1. H. 18. Jh.) 31, 49, 50 Chytraeus, David (1530–1600) 112, 131 –, Nathan (1543–1598) 126 Cicero, Marcus Tullius (106–43 v. Chr.) 117, 166, 178 Clemens VIII., Papst (Ippolito Aldobrandini, 1536–1605) 107 Codicius, Lactantius Johannes (1536–nach 1560) 187 Coligny, Gaspard II. de (1519–1572) 118 Colli, Hippolyt von (1561–1612) 86 Corneille, Pierre (1606–1684) 277 Costalius (Costus), Petrus (erw. 1550/50) 176 Cotto, Giovanni (Anf. 16. Jh.) 128 Coustau, Pierre => Costalius Cracow, Georg (1525–1575) 118 Croy, Margaretha von, verh. Gfin. von Lalaing (1508–1549) 138 –, Philippe de, Duc d’Aerschot (1526–1595) 138 Cruciger, Caspar d.Ä. (1504–1548) 99 Crusius, Balthasar (1550–1630) 159 –, Martin (1525–1607) 166 Cujas, Jacques (1522–1590) 158 Curtius, Ernst Robert (1886–1956) 337

Personenregister

Daly, Peter M. 320 Damman, Hadrian (1540–nach 1604) 120–121 Dänemark, Anna Przin. von, verh. Kfstin. von Sachsen (1532–1585) 100, 118 –, Anna Przin. von, verh. Kgin. von Schottland (1574–1619) 88, 89, 120 –, Christian III., Kg. von (1503–1559) 118 –, Christian IV., Kg. von (1577–1648) 119 –, Christina Przin. von, verh. Hzgin. von Mailand, verh. Hzgin. von Lothringen (1521–1590) 124, 173 –, Dorothea Przin. von, verh. Hzgin. in Preußen (1504–1547) 116 –, Friedrich I., Kg. von (1471–1533) 116 –, Friedrich II., Kg. von (1534–1588) 88, 120, 172 Demokritos von Abdera (460/59–wohl 371 v. Chr.) 83 Denaisius, Petrus (1560–1610) 58, 59, 60, 67, 86 Dilherr, Johann Michael (1604–1669) 323 Dinemandi, Jean => Dorat Diodorus Siculus (1. H. 1. Jh. v. Chr.) 191 Diogenes von Sinope (um 410–wohl 323 v. Chr.) 83 Distelmeier, Christian (1552/56–1612) 98 –, Lambert (1522–1589) 98 Dommrich, Johann Christoph (2. H. 17. Jh.) 371 Donellus, Hugo (1527–1591) 133 Dorat, Jean (1508–1588) 139, 142–143, 177, 184 Dornfeld, Christoph Martin (Mitte 17. Jh.) 133 Dosset, Claudine, verh. Beza (Mitte 16. Jh.) 189 Dostojewski, Fjodor Michailowitsch (1821–1881) 63 Dousa, Janus (1545–1604) 105, 133 Drabitius, Lorenz (1557–1602) 159 Du Bellay, Jean, Kardinal (1492/98–1560) 139 –, Joachim (um 1522–1560) 139, 142, 184 –, Ren8 (1500–1546) 139 Duch.tel, Pierre (um 1480–1552) 184

Personenregister

Duci, Filippa (1520–1586) 140 Dürer, Albrecht (1471–1528) 183 –, Hieronymus (1641–1704) 339 Duvenvoorde, Arnold van (1528–vor 1600) 107 –, Theodora, verh. von Schagen => Wassenaer Egenolff, Christian d.Ä. (1502–1555) 104 –, Christian d.J. (1519–1598) 92, 104, 148 –, Lorenz († 1574) 104 –, Margarethe († 1572?) 104 Ehinger, Johannes (1575–1616) 159 Eimmart, Georg Christoph (1638–1705) 328, 329 Eisenmenger, Jeremias († 1625) 104 Endter (Familie) 47, 312, 321 –, Wolf Moritz (1653–1723) 329 –, Wolfgang (1593–1659) 330 Engel von Wagrain, Simon 189 Engelberger, Franz Ferdinand († 1642) 46, 47 Engelbrecht, Martin (1684–1756) 271 Engelhardt, Daniel => Angelocrator –, Justus (Mitte 16. Jh.) 104 England, Elisabeth I., Kgin. von (1533–1603) 120, 134, 154, 177, 178 –, Elisabeth von, verh. Kfstin. von der Pfalz (1596–1662) 89, 121, 135 –, Heinrich VIII., Kg. von (1491–1547) 89, 120, 151, 152 –, Jakob I., Kg. von (1566–1625) 88, 89, 120, 135 (s.a. Schottland, Jakob VI.) –, Maria I. Tudor, Kgin. von, verh. Kgin. von Spanien 120 Eobanus Hessus, Helius (1488–1540) 96, 151 Epiktetos (um 50–um 138) 83 Epikur (um 341–271/70 v. Chr.) 307 Erasmus von Rotterdam, Desiderius (1466/ 69–1536) 101, 119, 188 Escalin des Aimars, Antoine => Polin Este, Alfonso I. d’ => Ferrara –, Borso d’ => Ferrara –, Ercole I. d’ => Ferrara

379 –, Ippolito II. d’, Kardinal (1509–1572) 157 –, Leonello d’ => Ferrara –, Niccolk III. d’ => Ferrara Estienne, Henri (1528–1598) 177 Faber, Georg (1582–1646) 74 Fabricius, Georg (1516–1571) 96, 99, 112–113, 116, 151, 192 Farnese, Alessandro, Kardinal (1520–1589) 128 –, Horatio => Castro Faust, (Johann) Georg (um 1480–um 1541) 31, 34 Feinaug, Johannes (Ende 16. Jh.) 31 Felsecker, Johann Jonathan (1655–1693) 312 Ferdinand I., Ks. (1503–1564) 114, 115, 118, 177, 180 Ferdinand II., Ks. (1578–1637) 129 Ferrara, Modena und Reggio, Alfonso I. d’Este, Hzg. von (1476–1534) 157, 190 –, Borso d’Este, Mgf. von (1413–1471) 190 –, Ercole I. d’Este, Hzg. von (1431–1505) 156f., 190 –, Leonello d’Este, Mgf. von (1407–1450) 190 –, Niccolk III. d’Este, Mgf. von (1383/ 84–1441) 190 Ferrier, Arnoud du (um 1508–1585) 188 Feurelius, Johannes (2. H. 16. Jh.) 186 Fichard, Johann (1512–1580) 123 Ficino, Marsilio (1433–1499) 144 Fincelius, Job (um 1530–1589) 90, 131–132, 151, 162 Firx, Christoph (Ende 16. Jh.) 98 Flacius Illyricus, Matthias (1520–1575) 92, 123, 146, 151, 153 Fleckenstein, Ursula von, verh. Gfin. von Leiningen-Dagsburg-Falkenburg (1553–1595) 65 Fleming, Paul (1609–1640) 229 Folz, Hans (um 1435/40–1513) 36 Forcadel, Ptienne (um 1518–1578) 187–188

380 Forster, Michael (Ende 16. Jh.) 72 Fracastoro, Girolamo (um 1476/ 78–1553) 128 Franck, Hans Ulrich (1603–1680) 224 Franco, Nicolk (1515–1570) 144 Frankreich, Elisabeth von, verh. Kgin von Spanien (1602–1644) 107 –, Franz I., Kg. von (1494–1547) 85, 184 –, Franz II., Kg. von (1544–1560) 91, 111, 165 –, Heinrich II., Kg. von (1519–1559) 111, 140, 143, 165 –, Heinrich III., Kg. von (1551–1589) 105, 179 –, Heinrich IV., Kg. von (1553–1610) 100, 105, 106, 107, 140, 143, 154, 180 –, Karl IX., Kg. von (1550–1574) 118, 140, 142, 143, 165, 182, 188 –, Karl VIII., Kg. von (1470–1498) 109 –, Ludwig XIII. der Gerechte, Kg. von (1601–1643) 107 Freher, Marquard d.Ä. (1542–1601) 158 –, Marquard d.J. (1565–1614) 86, 90, 158–159 Frischlin, Jacob (1522–1566) 166 –, Nicodemus (1547–1590) 98, 166, 168 Furck, Sebastian (um 1589/98–1655/66) 278 Furmann (Fuhrmann), Jakob (1550–1619) 90, 108f., 159–160 Galle, Helmut (* 1954) 324 Genette, G8rard (* 1930) 266, 345 Gerhard, Johann (1582–1637) 145, 321, 328 Gerhardt, Paul (1607–1676) 371 Gesner, Conrad (1516–1565) 112 Gewold, Christoph (1556–1621) 158 Gigas (Heune), Johannes (1582–1637) 146, 192 –, Werner (Ende 16. Jh.) 91, 191–193 Gleichen, Ursula Gfin. von, verh. Gfin. von Isenburg-Büdingen, verh. Gfin. von Solms-Braunfels († 1625) 193

Personenregister

Gleichen-Remda, Anna Gfin. von, verh. Gfin von Isenburg-Büdingen (1565–1598) 81 –, Katharina von, verh. Gfin. von Isenburg-Büdingen (um 1565–1598) 136 Gonzaga, Giovanni Vincezo, Kardinal (1540–1591) 179 Gosky, Martin (um 1586–1656) 52 Goulard, Simon d.Ä. (1543–1628) 71, 84, 85, 86 Gradenthaler, Hieronymus (1637–1700) 325–328, 334, 335 Greflinger, Georg (um 1620–1677) 25, 265, 267, 275–287, 292, 293 Greiffenberg, Catharina Regina von (1633–1694) 25, 48, 265, 267, 287–292, 329 Grimm, Gunter E. (* 1945) 267 Grimmelshausen, Hans Jakob Christoffel von (um 1622–1676) 28, 227, 285, 337–351 Grotius, Hugo (1583–1645) 105 Gruber, Erasmus (1609–1684) 326 Grünrade, Otto von (1545–1613) 79 Gruter, Janus (1560–1627) 52, 74, 90, 107, 133–135, 148, 154, 175, 184 Gryphius, Andreas (1616–1664) 25, 225, 229, 265, 267, 268–275, 292 –, Anna Rosina (2. H. 17. Jh.) 25, 274, 275, 292, 293 –, Christian (1649–1706) 274, 275 Guadagni, Giovanni (16. Jh.) 180 Guardini, Romano (1885–1968) 92 Guarini da Verona, Guarino (1374–1460) 190 Guise (Familie) 140 –, Heinrich von (1550–1588) 105 –, Maria von, verh. Kgin. von Schottland (1515–1560) 111, 166 Gutsche, Victoria 27 Hagendorn, Georg Albrecht (1654–1695) 288 Haller, Johannes (1573–1622) 117, 189

Personenregister

Hanau-Lichtenberg, Johanna Sibylle von, verh. Gfin. von Wied-Runkel (1564–1636) 122 Hanau-Münzenberg, Amalie Elisabeth Gfin. von, verh. Lgfin. von HessenKassel (1602–1651) 129 –, Johann II. Gf. von (Ende 16. Jh.) 81 –, Katharina Elisabeth Gfin. von, verh. Gfin. von Isenburg-Birstein (1607–1647) 81 –, Philipp Ludwig I. Gf. von (1553–1580) 80, 113 –, Philipp Ludwig II. Gf. von (1576–1612) 71, 76, 80, 81, 129 –, Philipp Moritz Gf. von (1605–1638) 80 Hanau-Schwarzenfels, Albert Gf. von (1579–1635) 80, 81 Hanckwitz, August († 1707) 321 Hardegg, Magdalena Gfin. von, verh. Gfin. von Wied (1577–1657) 122 Harsdörffer, Georg Philipp (1607–1658) 33, 45, 46, 47, 48, 49, 234, 291, 324 Hartmann, Friedrich (1563–nach 1631) 72 Haslob, Michael (1540–1589) 98, 163–164 Haxthausen, August Frh. von (1792–1866) 299 Heinsius, Daniel (1580–1655) 105 –, Nikolaus († 1615/16) 169–170 Hempfer, Klaus W. (* 1942) 60 Henneberg, Maximilian Gf. von 34 –, Poppo XII. Gf. von (1513–1574) 124 Hennenberger, Hans († 1601) 187 –, Kaspar (1529–1600) 187 Henning, Hans (* 1928) 32 Heraklit von Ephesos (um 520–460 v. Chr.) 83 Hermeling, Heinrich Carlhack (1571–1614) 189 Herricius, Johannes Alfonsus (Anf. 16. Jh.) 128 Hesch, Jacob (um 1563–1607) 98 Hessen, Agnes Lgfin. von, verh. Kfstin. von Sachsen, verh. Hzgin. von Sachsen (1527–1555) 131, 141, 151, 152, 153

381 –, Anna Lgfin. von, verh. Pfgfin. von Zweibrücken (1529–1591) 171 –, Elisabeth Przin. von, verh. Kfstin. von der Pfalz (1539–1582) 167 –, Philipp I. der Großmütige Lgf. von (1504–1567) 153, 156, 167 Hessen-Butzbach, Philipp III. Lgf. von (1581–1643) 129 Hessen-Darmstadt, Anna Lgfin. von, verh. Gfin. von Solms-Laubach (1583–1631) 126, 127, 173 –, Georg I. Lgf. von (1547–1596) 126, 127, 129 –, Ludwig V. der Getreue Lgf. von (1577–1626) 129 Hessen-Homburg, Friedrich I. Lgf. von (1585–1638) 129 Hessen-Kassel, Anna Maria Lgfin. von, verh. Gfin. von Nassau-Saarbrücken (1567–1626) 168, 169 –, Christine Lgfin. von (1578–1658) 193 –, Moritz der Gelehrte Lgf. von (1572–1632) 105, 126, 127, 129, 130,136, 173 –, Otto von, Erblgf. von (1594–1617) 136 –, Wilhelm IV. der Weise Lgf. von (1532–1592) 156, 168, 169, 171, 193 –, Wilhelm V. der Beständige Lgf. von (1602–1637) 129 Heune, Johannes => Gigas, Johannes Heupel, Georg (um 1600) 73 –, Johannes († 1624) 71, 72, 73 Himmelius, Enoch (um 1600) 145 –, Johannes (1581–1642) 145–146 Hirsch, Arnold (1901–1954) 338 Hirschmann, Wolfgang (* 1960) 23 Hobbes, Thomas (1588–1679) 282 Hofmannsthal, Hugo von (1874–1929) 337 Hohberg, Wolf Helmhard von (1612–1688) 28, 317–335 Hohenlohe-Neuenstein, Philipp Ernst Gf. von (1584–1628) 109 Hohenlohe-Waldenburg, Eberhard Gf. von († 1570) 103

382 –, Georg Friedrich I. Gf. von (1562–1600) 103 Höllerer, Walter (1922–2003) 51, 54 Holstein-Gottorp, Adolf I. Hzg. von (1526–1586) 167 –, Christine Przin. von, verh. Kgin. von Schweden (1573–1625) 167 Holstein-Sonderburg-Plön, Margaretha Przin. von, verh. Gfin. von NassauSiegen (1583–1638) 113 Hondorff, Andreas († 1572) 35 Hipital, Michel de l’ (um 1506–1573) 164–166, 184 Horatius Flaccus, Quintus (65–8 v. Chr.) 112, 117, 142, 166, 184 Horn, Wolfgang 327 Hospitalis, Michael => Hipital, Michel de l’ Huizinga, Johan (1872–1945) 60, 61, 62, 63 Ingelheim, Anselm Franz Friedrich von => Mainz –, Johann Lukas von (1650–1720) 371 Isenburg-Büdingen, Ehrengard Gfin. von, verh. Gfin. von Hanau-Schwarzenfels (1577–1637) 80, 81 –, Margarete Elisabeth Gfin. von, verh. Gfin. von Leiningen-Westerburg-Schadeck (1542–1613) 122 –, Philipp Ludwig I. Gf. von (* 1593) 136 –, Wolfgang Ernst I. Gf. von (1560–1633) 81, 136 –, Wolfgang Gf. von (1533–1597) 193 Isenburg-Büdingen-Birstein, Margaretha Gfin. von, verh. Gfin. von LeiningenWesterburg (um 1542–1613) 122 –, Wilhelm Otto Gf. von (1597–1667) 81 –, Wolfgang Heinrich I. Gf. von (1588–1635) 81, 136, 137 Jacomotus, Johannes (1543–1615) 94, 130–131 Jaquemot, Jean => Jacomotus Johnston, Johann (1603–1675) 274 Jonas, Justus (1493–1555) 99

Personenregister

Jonghe, Adriaen de => Junius, Hadrianus Jülich-Kleve-Berg, Anna Hzgin. von, verh. Kgin. von England (1515–1557) 89, 151, 152 –, Johann III. der Friedfertige Hzg. von (1490–1539) 89, 152, 153 –, Sibylle Hzgin. von, verh. Kfstin. von Sachsen (1512–1554) 153 Junius, Hadrianus (1511–1575) 119–120 Jürgensen, Christoph 22 Kaiser, Gerhard 22 Kalabrien, Alfons Hzg. von => Neapel –, Ferdinand Hzg. von => Neapel Kant, Immanuel (1724–1804) 297 Karl V., Ks. (1500–1558) 119, 120, 151, 165, 173, 243 Kaufmann, Klara, verh. Hennenberger (16. Jh.) 187 Kepler, Johannes (1571–1630) 332 Kesenberg, Anna Maria, verh. Vigelius (Mitte 17. Jh.) 160 –, Johann Reinhard († 1648) 160 Kilian, Philipp (1628–1693) 268–273 –, Philipp Andreas (1714–1759) 271 Kindermann, Balthasar (1636–1706) 366 Kirchner, Hermann (1562–1620) 126–127 –, Joachim (16. Jh.) 126 –, Kaspar (1592–1627) 161 Klaj, Johann (1616–1656) 132, 230, 291 Klingsporn, Regine 322 Knorr von Rosenroth, Christian (1636–1689) 144, 304 Köln, Ernst von Bayern, Kur-Ebf. von (1554–1612) 173 –, Gebhard II. Truchseß von Waldburg, Kur-Ebf. von (1577–1601) 73, 173 Konrad III., Ks. (1093/94–1152) 149 Kradenthaller, Hieronymus => Gradenthaler Kraiger von Kraigk, Barbara, verh. von Zierotin († 1591) 154 –, Elisabeth, verh. von Zierotin († 1600) 155

Personenregister

Kraigirˇ auf Jungbunzlau => Kraiger von Kraigk Krämer, Jörg 28 Krell, Nikolaus (um 1550–1601) 100 –, Wolfgang (um 1535–1593) 79 Kreß von Kressenstein, Johann Hieronymus (1580–1607) 170 Kunheim, Georg d.Ä. von (1480–1543) 187 Künzel, Christine 266 Lactantius (Lucius Caecilius Firmianus) (um 250–um 320) 42, 43, 45, 47 Lalaing, Karl II. Gf. von (1506–1558) 138 –, Philipp Gf. von (1537–1582) 137, 138, 174 Lasso, Orlando di (1532–1594) 173 Lauterbach, Sophie, verh. Kirchner (um 1600) 126 Lautmayr, Andreas (16. Jh.) 168 Lautter, Hans Engelbert von (1559–1615) 72, 80, 81 LefHvre d’Ptaples, Jacques (1450/55–1536) 184 Leibniz, Gottfried Wilhelm (1646–1716) 303, 304, 309 Leiningen-Dagsburg-Falkenburg, Elisabeth Gfin. von, verh. Gfin. von Leiningen-Dagsburg-Falkenburg (1586–1623) 55, 56, 65, 66, 155 –, Emich XI. Gf. von (1540–1593) 65, 66 Leiningen-Dagsburg-Hardenburg, Emich XII. postumus (1562–1607) 65, 66 –, Engelhard Gf. von (1499–1553) 66 –, Georg Adolf Gf. von (1597–1624) 67 –, Hans Heinrich Gf. von († 1575) 66 –, Johann Philipp I. Gf. von (1539–1562) 65, 66 –, Johann Philipp II. Gf. von (1588–1643) 55, 56, 64, 65, 66, 155 Leiningen-Westerburg, Georg I. Gf. von (1533–1586) 122 Leiningen-Westerburg-Schadeck, Christoph Gf. von (1575–1635) 122 Lemnius, Simon (um 1511–1550) 151

383 Leo X., Papst (Giovanni de’Medici, 1475–1521) 144 Lesky, Grete (1898–1982) 319, 321, 335 Lessing, Gotthold Ephraim (1729–1781) 265, 275, 276 Leuchtenberg, Elisabeth Lgfin. von, verh. Gfin. von Nassau-Dillenburg 80, 113 Lichtenthaler, Georg Abraham (1711–1780) 303 Ligne, Jean de (um 1525–1568) 138 –, Marguerite de, verh. Gfin. von Lalaing (1552–1611) 138 Lingelsheim, Friedrich (um 1597–1616) 53, 107–108, 169 –, Georg Michael (1556–1636) 58, 79, 107, 148, 169 –, Salome, verh. Heinsius († 1639) 169 Lippe, Magdalene Gfin. zur, verh. Lgfin. von Hessen-Darmstadt (1552–1587) 127 Lipsius, Justus (1547–1606) 105, 119, 133 Lobwasser, Ambrosius (1515–1586) 93 Locke, John (1632–1704) 282 Loefen, Agnes, verh. Lingelsheim (1. H. 17. Jh.) 169 Logau, Friedrich von (1605–1655) 53, 265 Lohenstein, Daniel Casper von (1635–1683) 268 Lothringen, Dorothea von, verh. Hzgin. von Braunschweig-Lüneburg-Calenberg (1545–1612) 124 –, Franz I. Hzg. von (1517–1545) 124, 173 –, Maria von, verh. Kgin. von Schottland (1515–1560) 111, 166 –, Renata Hzgin. von, verh. Hzgin. von Bayern (1544–1602) 173 Lotichius Secundus, Petrus (1528–1560) 74, 91, 144, 147, 163, 180–182 Lotichius, Christian (1530/31–1568) 74 –, Johannes Petrus (1598–1669) 74, 83, 98 Lotze, Johannes (Anf. 16. Jh.) 180 Lucanus, Marcus Annaeus (39–65) 117, 190 Lucius, Ludwig (1577–1642) 72 Lukian von Samosata (um 120–vor 180) 166

384 Luther, Margarete, verh. von Kunheim (1534–1570) 187 –, Martin (1483–1546) 34, 35, 94, 95, 99, 101, 116, 137, 156, 163, 182, 184, 187, 248, 324, 325, 326, 327, 347 Macrin, Jean Salmon (1490–1557) 95, 175, 183–185 Mailand, Galeazzo Maria Sforza, Hzg. von (1444–1476) 157 –, Giangaleazzo Sforza, Hzg. von (1469–1494) 110, 111 Mainz, Anselm Franz Friedrich von Ingelheim, Kur-Ebf. von (1634–1695) 371 –, Carl Heinrich von Metternich-Winneberg, Kur-Ebf. von (1622–1679) 356, 371 Maior, Johann (1564–1654) 145 Major, Johannes (1533–1600) 146–147, 151 Mansfeld, Peter Ernst II. Gf. von (1580–1626) 132 Mansfeld-Eisleben, Anna Gfin. von, verh. Gfin. von Leiningen-Dagsburg-Hardenburg (1550–1621) 65, 66 –, Johann Georg I. Gf. von (1515–1579) 65 Marck-Arenberg, Margareta von der, verh. de Ligne (1527–1599) 138 Marinus, Nicolaus (um 1600) 102 Marot, Cl8ment (1496–1544) 177, 184, 189 Martini, Jonas (2. H. 16. Jh.) 161 –, Matthias (1572–1630) 93, 102, 160–161 Marullus, Michael Tarchaniota (1458–1500) 184 Masan, Gaspard Simon de (1602–1655) 77 Mathesius, Johannes (1504–1565) 146, 326 Matthäus, Klaus (* 1940) 28 Matthias, Ks. (1557–1619) 154 Maximilian II., Ks. (1527–1576) 112, 118, 143, 164, 170, 174, 177, 180 Mecklenburg, Katharina Hzgin. von, verh. Hzgin. von Sachsen (1487–1561) 118

Personenregister

–, Sophia von, verh. Kgin. von Dänemark (1557–1631) 120 Medici, Cosimo I. de’ => Toskana –, Katharina von, verh. Kgin. von Frankreich (1519–1589) 140, 143, 165, 179 –, Maria von, verh. Kgin. von Frankreich (1575–1642) 106, 107, 180 Meid, Volker (* 1940) 320 Melanchthon, Anna, verh. Schuler (1522–1547) 96, 113 –, Philipp (1497–1560) 93, 99, 100, 101, 112, 113, 118, 146, 149, 151, 155, 156, 163, 180, 182–183 Mellemann, Albert Friedrich (1558–um 1593) 98–99, 163 –, Simon (1520–1588) 98 Mendoza, Aloisia, verh. Marinus (um 1600) 102 Menning von Wyle und Schönbach, Helena, verh. Rhumelius (um 1600) 132 –, Johann Conrad (2. H. 16. Jh.) 132 Mertens, Volker (* 1937) 33 Metternich-Winneberg, Carl Heinrich von => Mainz Meurer, Christoph (1558–1616) 192 Meyer aus Speyer, Wilhelm (1845–1917) 35 Micyllus, Jacob (1503–1558) 96 Monferrat, Wilhelm XI. Palaiologos Mgf. von (1486–1518) 175 Montaigne, Michel de (1533–1592) 110, 165 Montanus, Martin (nach 1539–nach 1566) 35 Montmorency, FranÅois Hzg. von (1530–1579) 140 Montpellier, Guillaume Pellicier II., Bf. von (1490–1568) 178 Mühlpfort, Heinrich (1639–1681) 273 Müller, Günther 67 Münkler, Marina (* 1960) 31, 32, 33, 35 Musuros, Markos (um 1470–1517) 128 Myconius, Oswald (1488–1552) 155 Nadler, Josef (1884–1963)

337

385

Personenregister

Nahum, Jodocus (1551–1597) 71, 72, 73, 76, 79, 80, 81 Nassau, Adriana von, verh. van Asseldelft (1512–1558) 107 Nassau-Beilstein-Dillenburg, Georg Gf. von (1562–1623) 80 Nassau-Dillenberg, Anna Amalia Gfin. von, verh. Gfin. von Isenburg-Birstein (1599–1667) 81 –, Anna Amalia von, verh. Gfin. von WiedNeuwied (1616–1649) 122 –, Anna Gfin. von, verh. Gfin. von NassauWeilburg-Ottweiler (1541–1616) 168 –, Elisabeth Gfin. von, verh. Gfin. von Solms-Braunfels (1542–1603) 193 –, Johann VI. d.Ä. Gf. von (1536–1606) 71, 76, 79, 80, 113 –, Johann VI. d.Ä. Gf. von (1536–1606) 81 –, Juliane Gfin. von, verh. Lgfin. von Hessen-Kassel (1587–1643) 173 Nassau-Oranien => Oranien-Nassau Nassau-Saarbrücken, Ludwig II. Gf. von (1565–1627) 168–169 Nassau-Siegen, Johann VII. der Mittelste Gf. von (1561–1623) 80, 113 Nassau-Weilburg-Ottweiler, Albrecht Gf. von (1537–1593) 168, 169 Nassau-Wiesbaden-Idstein, Johann Ludwig I. Gf. von (1567–1596) 137 –, Maria Magdalena Gfin. von, verh. Gfin. von Isenburg-Büdingen (1592–1654) 81, 137 Navagero, Andrea (1483–1529) 128 Navarra, Heinrich III., Kg. von => Frankreich, Heinrich IV. –, Johanna III. von Albret, Kgin. von, verh. Hzgin. von Vendime (1528–1572) 140 –, Margarete Kgin. von, geb. von AngoulÞme (1492–1549) 140, 342 Neander, Michael (1525–1595) 112 Neapel, Alfons II. von, Kg. von (1448–1495) 109, 110 –, Ferdinand I., Kg. von (1424–1494) 157 –, Ferdinand II. von, Kg. von (1469–1496) 109 Niefanger, Dirk (* 1960) 25

Nusch, NN (Schwarzkünstler)

43, 45, 47

Oettingen, Gfen. von 295 Olevian, Caspar (1536–1587) 71 Olivier, FranÅois (1497–1560) 165 Omma, Gilles († 1567/69?) 142 Opitz, Martin (1597–1639) 11, 26, 53, 58, 87, 225, 230, 231, 271, 353 Oporinus, Johannes (1507–1568) 191 Opsopoeus, Vincentius († 1539) 191 Oraeus, Heinrich (1584–1646) 75, 83 Oranien, Friedrich Heinrich Prz. von (1584–1647) 127 –, Moritz Prz. von (1567–1625) 127 Oranien-Nassau, Catharina Belgica Przin. von, verh. Gfin. von Hanau-Münzenberg (1578–1648) 80, 129 –, Luisa Juliana Urania Przin. von, verh. Kfstin. von der Pfalz (1576–1644) 108, 135, 147, 159, 170, 172, 178 –, Wilhelm I. der Schweiger, Fst. von (1533–1584) 80, 135, 147, 159 Osiander, Andreas (1498–1552) 114, 116 –, Lucas d.Ä. (1534–1604) 92, 93, 94 Ostenius (Ostein), Leonhard (1538–1593) 123 Österreich, Elisabeth Ehzgin. von, verh. Kgin. von Frankreich (1554–1592) 143 –, Elisabeth Ehzgin. von, verh. Kgin. von Polen (1526–1545) 115, 116 –, Johanna Ehzgin. von, verh. Ghzgin. der Toskana (1547–1578) 180 –, Katharina Ehzgin. von, verh. Kgin. von Polen (1533–1572) 115 Ovidius Naso, Publius (43 v. Chr.–17 n. Chr.) 78, 96, 117 Pachelbel, Johann (1653–1706) 24, 326, 353–373 Paglia, Antonio della (1503–1570) 101, 161 Palearius, Anonius => Paglia Pappius, Margarete, verh. Bergmann (16. Jh.) 187

386 Paul III., Papst (Alessandro Farnese, 1468–1549) 128 Paul, Markus 365 Paulus von Tarsus († nach 60) 93 Peil, Dietmar (* 1943) 320 Pelargus, Christoph (1565–1633) 163 Peletier, Jacques (1517–1582) 139 Pellicier, Guillaume => Montpellier Periander, Aegidius († 1567/69?) 142 Pernstein, Polyxena von, verh. von Rosenberg, verh. von Lobkowicz (1566–1642) 164 Petraeus, Heinrich (1546–1615) 122–125, 148 Petrarca, Francesco (1304–1374) 157, 184 Peucer, Caspar (1525–1602) 112, 118 Pfalz, Anna Maria von der, verh. Kgin. von Schweden (1561–1589) 167, 172 –, Friedrich II. der Weise, Kfst. von der (1482–1556) 147 –, Friedrich III. Kfst. von der (1515–1576) 153, 177, 182, 192 –, Friedrich IV. der Aufrichtige, Kfst. von der (1574–1610) 66, 71, 72, 79, 90, 108, 134, 135, 147, 148, 158, 159, 170, 172, 178 –, Friedrich V., Kfst. von der, Kg. von Böhmen (1596–1632) 89, 108, 134, 135, 215 –, Louise Juliane, Kurprzin. von der, verh. Pfgfin. von Pfalz-Zweibrücken-Veldenz (1594–1640) 108, 135, 169, 170 –, Ludwig VI., Kfst. von der (1539–1583) 66, 71, 79, 90, 167, 171 –, Maria Elisabeth Pfgfin. bei Rhein, verh. Gfin. von Leiningen-Dagsburg (1561–1629) 65 –, Ottheinrich Kfst. von der (1502–1559) 181 –, Susanna-Dorothea Przin. von der, verh. Hzgin. von Sachsen-Weimar (1544–1592) 182 Pfalz-Neuburg, Johann Friedrich Pfgf. von (1587–1644) 295 –, Philipp Ludwig Pfgf. von (1547–1614) 171

Personenregister

–, Wolfgang Wilhelm Pfgf. von (1578–1653) 127, 295 Pfalz-Simmern, Elisabeth von, verh. Hzgin. von Sachsen-Eisenach (1540–1594) 152, 153, 192 –, Johann Casimir von, Kuradministrator (1543–1592) 66, 135, 177, 192 Pfalz-Sulzbach, Christian August Hzg. von (1622–1708) 304 –, Ottheinrich II. Pfgf. von (1556–1604) 90, 170, 171 Pfalz-Veldenz, Anna Pfgfin. von, verh. Mgfin. von Baden-Durlach (1540–1586) 168 Pfalz-Veldenz-Lützelstein, Georg Johann I. Pfgf. von (1543–1592) 168, 186 –, Ursula Pfgfin. von, verh. Hzgin. von Württemberg (1572–1635) 168, 186 Pfalz-Zweibrücken, Johann I. Pfgf. von (1550–1604) 171, 172 –, Wolfgang Pfgf. von (1526–1569) 168, 171 Pfalz-Zweibrücken-Veldenz, Johann II. Pfgf. von (1584–1635) 108, 135, 169, 170 Pfitzer, Johann Nikolaus (1634–1674) 31, 32, 33, 37, 43, 45, 46, 47, 48, 49, 50 Piscator, Johannes (1564–1625) 161 Pistoris, Modestinus (1516–1565) 123 Pithan, Thomas (um 1600) 73 Pius V., Papst (Antonio Michele Ghislieri, 1504–1572) 101 Planudes, Maximos (um 1260–1330) 137 Platon (428/27–348/47 v. Chr.) 117, 208 Plesse, Katharina Gfin. von, verh. Frfr. von Ungnad (1533–1606) 122 Plutarch (um 45–um 125) 76, 77, 81, 83, 84 Poitiers, Diane de, verh. Farnese, verh. Montmorency (1538–1619) 140 Polen, Hedwig Jagiellonica Przin. von, verh. Kfstin. von Brandenburg (1513–1573) 150 –, Kasimir IV. Andreas der Jagiellone, Kg. von (1427–1492) 116 –, Sigismund I., Kg. von (1467–1548) 115

Personenregister

–, Sigismund II. August, Kg. von (1520–1572) 90, 114, 115, 181 –, Sophia Jagiellonica Przin. von, verh. Mgfin. von Brandenburg-AnsbachKulmbach (1464–1512) 115 Policastro, Gabriele Altilio, Bf. von (1436–1501) => Altilio Polin, Antoine Escalin des Aimars, gen. (1498?–1578) 178 Poliziano, Angelo (1454–1494) 144 Polyaenus (* um 100) 156 Pontano, Giovanni (1426–1503) 109, 127, 184 Pontanus, Jacob (1542–1626) 96 Porsch, Heinrich => Porsius Porsius, Heinrich (1556–1610) 125–126 Portugal, Isabella von, verh. Ksin. (1503–1539) 119 –, Maria Manuela Przin. von, verh. Kgin. von Spanien (1527–1545) 119 Posthius, Erasmus († 1618) 148 –, Johannes (1537–1597) 77, 90, 116, 123, 123, 134, 142, 147–148, 165, 177, 181, 220 –, Maria (1578–1578) 124, 177 Prasch, Johann Ludwig (1637–1690) 335 Preußen, Albert Friedrich Hzg. von (1553–1618) 185 –, Albrecht d.Ä. Hzg. in (1490–1568) 114, 115–116 Propertius, Sextus Aurelius (um 48–15 v. Chr.) 96 Prudentius Clemens, Aurelius (348–nach 405) 175 Publilius Syrus (1. Jh. v. Chr.) 117 Rabelais, FranÅois (um 1494–1553) 184 Radziwill, Barbara, verh. Kgin. von Polen (1520–1551) 115 Ramler, Karl Wilhelm (1725–1798) 265 Renieri, Antonio (* 1535) 180 Reuchlin, Johannes (1455–1522) 182 Reusner, Jeremias (1590–1652) 170 –, Nikolaus (1545–1602) 90, 95, 103, 125, 145, 170–174

387 Reuß von Plauen, Dorothea, verh. Gfin. von Hohenlohe-Waldenburg, verh. Schenk von Limpurg (1570–1631) 104 Reutter, Ulrich (1563–1619/21) 125 Rhumelius, Johann Conrad d.Ä. (1574–1630) 108, 132–133 –, Maria Elisabetha, verh. Klaj (Mitte 17. Jh.) 132 Riemer, Johannes (1648–1714) 340 Rist, Johann (1607–1667) 17, 18, 230, 279, 284, 287 Rittershausen, Nicolaus (1597–1670) 132 Rivius, Johannes (1500–1553) 99, 112, 118 Robortello, Francesco (1516–1567) 178 Röder, NN 48 Rodscheid, H. (1. H. 17. Jh.) 129 Rohmer, Ernst (* 1958) 28 Romul, Johann => Rummel Ronsard, Pierre de (1524–1585) 139, 142, 177, 188 Rosenbach, Johann Wilhelm (1589–1626) 83 Rosenberg, Wilhelm von (1535–1592) 164 Roßhirt, Christoph (16. Jh.) 31, 34, 35, 37, 40, 43, 45, 50 Roth, Stephan (1492–1546) 99 Rotth, Albrecht Christian (1651–1701) 353, 366 Röttinger, Christoph (* 1596) 108 Rudolf II., Ks. (1552–1612) 108, 126, 129, 154, 164, 166 Rummel, Johann (1526–1606) 132 –, Johann Conrad d.Ä. => Rhumelius –, Johann Conrad d.J. (1597–1661) 132 Sabinus, Georg (1508–1560) 96, 113–116, 149, 151, 163, 181, 192 Sachs, Hans (1494–1576) 29, 33, 241–256, 259–263 Sachsen, August, Kfst. von (1526–1586) 100, 118, 159, 182, 192 –, Christian I., Kfst. von (1560–1591) 99, 100, 146, 159

388 –, Heinrich der Fromme, Hzg. von (1473–1541) 118 –, Johann Friedrich I. der Großmütige, Hzg., dann Kfst. von (1503–1554) 151, 153, 181 –, Moritz, Kfst. von (1521–1553) 65, 118, 153, 243 Sachsen-Coburg, Johann Casimir Hzg. von (1564–1633) 193 Sachsen-Eisenach, Johann Ernst Hzg. von (1566–1638) 156, 192, 193 –, Johann Friedrich II. der Mittlere, Hzg. von (1529–1595) 131, 132, 141, 152, 153, 162, 182, 192 Sachsen-Lauenburg, Dorothea Hzgin. von, verh. Kgin. von Dänemark (1511–1571) 118 –, Franz Albrecht Hzg. von (1598–1642) 133 Sachsen-Weimar, Johann Wilhelm I. Hzg. von (1530–1573) 181–182 Sachsen-Weißenfels, August Hzg. von (1614–1680) 323, 331 Sadoleto, Jacopo (1477–1547) 101 Sallustius Crispus, Gaius (86–34 v. Chr.) 166 Sandrart, Jacob von (1630–1708) 328 –, Joachim von (1605–1688) 328 Sannazaro, Jacobo (1458–1530) 109, 184 Saubert, Johannes (1592–1646) 323 Savoyen-Tende-Sommerive, Claude Hzg. von (1507–1569) 184 –, Honor8 II. Hzg. von (1511–1580) 184 Savoyen-Villars-Tende, Ren8 Hzg. von, gen. Der große Bastard (1473–1525) 184 Scaliger, Joseph Justus (1540–1609) 103 –, Julius Caesar (1484–1558) 102, 109, 144, 151, 155, 175, 183, 190 Schagen, Albrecht II. van (1577–1638) 106, 107 –, Johann III. van (um 1544–1618) 107 Schärf, Christian 267 Schauenburg, Philipp Hannibal von (1624–1678) 265

Personenregister

Schede Melissus, Paul (1539–1602) 90, 98, 108, 134, 147, 148, 177–178, 179 Scheffer, Martin (um 1600) 161–162 Schenk von Limpurg-Speckfeld, Wilhelm (1568–1633) 104 Scherpenzeel, Theodora van, verh. van Duvenvoorde (um 1550–1622) 107 Scheuchzer, Johann Jakob (1672–1733) 297 Schiefer, Wolfgang (1. H. 16. Jh.) 174 Schleder, Johann Georg (Mitte 17. Jh.) 279 Schleswig-Holstein-Sonderburg, Johann d.J. Hzg. von (1545–1622) 119 Schnabel, Johann Gottfried (1692–1758) 303 –, Werner Wilhelm (* 1960) 29 Schönburg-Glauchau, Margareta von, verh. Gfin. von Solms-Laubach (1554–1606) 127 Schöne, Albrecht (* 1925) 318, 319, 320, 321 Schöner, Johann (1477–1547) 300 Schönert, Jörg (* 1941) 265 Schösser, Friedrich († 1563) 149 Schosser Aemilianus, Johannes (1534–1585) 98, 149–150, 163 Schosser, Johannes d.J. (um 1600) 163, 187 –, Maria, verh. Haslob (2. H. 16. Jh.) 98, 163 Schottel, Justus Georg (1612–1676) 229 Schottland, Jakob V., Kg. von (1512–1542) 111 –, Jakob VI., Kg. von (1566–1625) 88, 89, 91, 110, 120, 166 (s.a. England, Jakob I.) –, Maria I. Stuart, Kgin. von (1542–1587) 91, 110, 111, 120, 166 Schröter, Johann Heinrich (um 1600) 136–137 Schütz, Christian (1526–1592) 100 Schweden, Erik XIV., Kg. von (1533–1577) 167 –, Gustav I. Wasa, Kg. von (1496–1560) 167

Personenregister

–, Gustav II. Adolf, Kg. von (1594–1632) 129, 137, 226 –, Johann III., Kg. von (1537–1592) 167 –, Karl IX., Kg. von (1550–1611) 167, 172 Schwendi, Anders († um 1646) 70, 189 Sedan, Heinrich Fst. von => Bouillon, Henry de La Tour Selnecker, Nikolaus (1530–1592) 159, 334 Seneca, Lucius Annaeus (um 1–65) 83 Servet, Michel (1509/11–1553) 189 Sforza => Mailand –, Anna, verh. Hzgin. von Ferrara (1473–1497) 157 –, Bona, verh. Kgin. von Polen (1494–1557) 115 –, Galeazzo Maria => Mailand –, Giangaleazzo => Mailand –, Ippolita Maria, verh. Kgin. von Neapel (1445–1484) 110 Shakespeare, William (1564–1616) 38 Siber, Adam (1516–1584) 90, 96, 99–101, 151, 159 –, Adam Theodor (1563–1616) 109 –, Blandina, verh. Furmann (1561–1611) 159 –, Stephan (1. H. 16. Jh.) 99 Sidney, Philip (1554–1586) 105 Sixtus X., Papst (Felice Peretti di Montalto, 1521–1590) 179 Smetius, Henricus (1535/37–1614) 134 –, Johanna, verh. Gruter (1570–1594) 134, 154 Sokrates (469–399 v. Chr.) 307 Solms-Braunfels, Konrad Gf. von (1540–1592) 193 –, Otto Gf. von (1572–1610) 193 Solms-Laubach, Agnes Gfin. von, verh. Lgfin. von Hessen-Kassel (1578–1602) 126, 129, 136, 173 –, Albert Otto I. Gf. von (1576–1610) 127, 173 –, Friedrich Magnus I. Gf. von (1521–1561) 127 –, Johann Georg Gf. von (1546–1600) 127, 136

389 Solms-Sonnenwalde, Anna Maria von, verh. Gfin. von Hohenlohe-Langenburg (1585–1634) 109 Sophokles (497/96–406/05 v. Chr.) 178 Spanien, Don Carlos, Infant von (1545–1568) 119 –, Philipp II., Kg. von (1527–1598) 90, 119, 124, 138, 164 –, Philipp IV., Kg. von (1605–1665) 107 Speroni, Sperone (1500–1588) 179 Spies, Johann (um 1540–1623) 31, 32 Srb, Wolfgang 22 Stechovius, Michael (um 1630–nach 1681) 323, 324, 334 Stephanus, Henricus => Estienne Stieff, Christian (1675–1751) 270, 275 Stigel, Johannes (1515–1562) 90, 96, 113, 131, 132, 145, 146, 150–153, 162, 183, 184, 192 Stöver, Wilhelm (1. H. 17. Jh.) 77 Streun zu Schwarzenau, Reichard Frh. von (1583–1600) 174 Strozzi (Strozza), Cyriacus (1504–1565) 178 –, Tito Vespasiano (1424–1505) 157, 189–191 –, Giovanni (1377–1427) 190 Stuart, Maria => Schottland Stubenberg, Johann Wilhelm von (1619–1663) 329 Sturm, Johann Christoph (1635–1703) 28, 295–315 –, Johannes (1507–1589) 112, 156 Süderitz, Katharina von, verh. Distelmeier (2. H. 16. Jh.) 98 Taffin, Jean (1529–1602) 103 Taigeto, Giovanni Angelo => Taygetus Tasso, Torquato (1544–1595) 179 Taubmann, Friedrich (1565–1613) 94, 108–109, 132 Taygetus, Johannes Angelus (Mitte 16. Jh.) 141–142 –, Johannes Antonius (Mitte 16. Jh.) 141 Teigeto, Giovanni Antonio => Taygetus Textor, Bernhard (um 1560–1602) 161

390 Theokrit (um 270 v. Chr.) 209 Theopold, Abraham (1592–1657) 154 –, Johannes (1563–1626) 153–155 –, Konrad (1600–1651) 154 Thomas, Anna Katharina, verh. Vigelius (um 1600) 71 Thomasius, Christian (1655–1728) 303 Thou, Jacques Auguste de (1553–1617) 105 Thunius, Laurentius (Ende 16. Jh.) 192 Tibullus, Albius (um 55–19/18 v. Chr.) 96 Tilenius, Daniel (1563–1633) 135 Tilly, Johann Tserclaes Gf. von (1559–1632) 105 Tizian (Tiziano Vecellio, 1488/90–1576) 157 Töbing, Georg († 1620) 192 –, Heinrich (* 1589?) 192 Toskana, Cosimo I. de’Medici, Hzg. der (1519–1574) 178, 179, 180 –, Ferdinando I. de’Medici, Kardinal, Ghzg. der (1549–1609) 178 –, Francesco I. de’Medici, Ghzg. der (1541–1587) 179, 180 Tournemain, Mathieu (1. H. 17. Jh.) 75, 84, 85 Trew, Abdias (1597–1669) 295, 299 Truchseß von Waldburg, Gebhard II. => Köln Trunz, Erich (1905–2001) 53, 79 Tschernembl, Georg Erasmus von (1567–1626) 177 Tscherning, Paul (1627–1666) 276 Tübingen, Agathe Gfin. von, verh. Gfin. von Hohenlohe-Waldenburg (1533–1609) 103 Turnemainnus, Matthäus => Tournemain Tuszien, Welf VI. Mgf. von (1115–1191) 149 Tyard, Pontus de (1521–1605) 184 Ulrich, Abraham (1526–1577) 112, 117, 146, 151 –, David (1561–1626) 112, 117, 146, 151

Personenregister

Ungnad von Sonnegg, Anna Maria Freiin, verh. Gfin. von Leiningen-WesterburgSchadeck (1573–1605) 122 Ungnad von Weißenwolf und Sonnegg, Simon (um 1530–1607) 122 Valois, Diana von (1538–1619) 149 –, Franz von => Frankreich, Franz II., Kg. von –, Margarete von, verh. Kgin. von Frankreich (1553–1615) 107, 140, 143 Veirasse (Veiras), Denis (163x–169x) 303 Vendime, Antoine de Bourbon, Hzg. von (1518–1562) 140 Vergilius Maro, Publius (70–19 v. Chr.) 34, 96, 117, 166, 190, 215, 318, 319 Vernazza, Giuseppe (1745–1822) 175 Verweyen, Theodor (* 1937) 22, 30 Vespasianus, Titus Flavius (39–81) 189 Vigelius, Artus (um 1573–1627) 23, 51–195, 202–216 –, Johann Heinrich (1597–1661) 71, 160 –, Philipp († 1637?) 71 Virot, Claudine, verh. Lingelsheim († 1595) 169 Vives, Juan Luis (1492–1540) 121 Vogel, Johann (1589–1663) 323 –, Paul (um 1527–1589) 100 Vogtherr, Georg (1556–1623) 146 Volmar, Melchior => Wolmar Voltzius, Nicolaus († 1619) 98 Vulcanius, Bonaventura (1538–1614) 103 Vultejus, Hermann (1555–1634) 126, 156 –, Justus (1529–1575) 155–156 Wagenseil, Johann Christoph (1633–1705) 234 Waldbott von Bassenheim, Johann Jakob († 1697) 371 Waldeck-Wildungen, Magdalena Gfin. von, verh. Gfin. von Hanau-Münzenberg, verh. Gfin. von Nassau-Siegen (1558–1599) 80, 113 –, Philipp IV. Gf. von (1493–1574) 113 Waldstein, Katharina von, verh. von Zierotin (1568–1637) 155

Personenregister

–, Katharina Anna, verh. von Zierotin (1584–1605) 155 –, Wilhelm IV. von (um 1547–1595) 155 Wassenaer, Theodora van, verh. von Schagen (1577–1660) 106, 107 Wasserhun, Reinhold (1586–1652) 162 Weber, Andreas (1. H. 17. Jh.) 112 –, Hans († 1623) 232 –, Veit († 1483) 225 –, Wilhelm (1602–1661) 29, 228–259 Weckherlin, Georg Rodulf (1584–1653) 226 Weidner, Johann Leonhard (1588–1655) 53, 86, 169 Weigel, Erhard (1625–1699) 295, 328 –, Johann Christoph (1661–1726) 321 –, Valentin (1533–1588) 144 Weinrich, Johann (1645/51–1717) 299 Weisbach, Joachim von 91, 132, 141, 162 Weise, Christian (1642–1708) 28, 234, 337–351 Welser von Neunhof, Carl (1635–1697) 354, 355, 372 Werdenstein, Johann Georg von (1542–1608) 176 Werthern, Wolfgang von (1519–1583) 112 Wicke, Andrea 338, 339 Wicken, Nicolaus von (erw. 1582–1623) 170 Widmann, Georg Rudolf (1550/60–1600) 31, 32, 33, 41, 43, 44, 45, 47, 48, 50 Wiedemann, Conrad (* 1937) 52 Wied-Neuwied, Hermann II. Gf. von (um 1580–1631) 122 –, Johann Wilhelm Gf. von (um 1580–1633) 121–122 –, Philipp Ludwig II. Gf. von († 1638) 122 Wied-Runkel, Philippine Catherine Walpurgis Gfin. von, verh. Gfin. von Leiningen-Westerburg-Schadeck († 1647) 122 –, Wilhelm IV. Gf. von (1560–1612) 122

391 Wild- und Rheingraf zu Dhaun, Adolf Heinrich (1557–1606) 136 –, Elisabeth, verh. Gfin. von IsenburgBüdingen (1593–1656) 136 Wild- und Rheingräfin von Salm-Neufville, Juliana Ursula (1572–1614) 136 Will, Georg Andreas (1727–1798) 243, 298 Winter, Robert (um 1500–um 1554) 191 Wittgenstein, Grafen von 161 Wolf, Johannes (1537–1600) 183 Wolff, Christian (1679–1754) 296, 297 Wolmar, Melchior, gen. Roth (1497–1560) 189 Wülfer, Daniel (1617–1685) 295 Württemberg, Christine Hzgin. von, verh. Hzgin. von Sachsen-Eisenach (1578–1658) 156 –, Christoph Hzg. von (1515–1568) 156, 168, 169, 172, 193 –, Dorothea Maria Hzgin. von, verh. Pfgfin. zu Sulzbach (1559–1639) 90, 172 –, Eleonore von, verh. Fstin. von AnhaltDessau (1552–1618) 118 –, Friedrich I. Hzg. von (1557–1608) 174 –, Ludwig III. der Fromme, Hzg. von (1554–1593) 92, 166, 168, 186 –, Sabine Hzgin. von, verh. Lgfin. von Hessen-Kassel (1549–1581) 156, 169, 193 Württemberg-Weiltingen, Julius Friedrich Hzg. von (1588–1635) 127 Zeel, Martin (1567–1611) 153 Zenon von Elea (490–430 v. Chr.) 307 Zepper, Wilhelm (1550–1607) 161 Zetter, Jacobus de († um 1617?) 74 Zierotin, Karl von (1564–1636) 154–155 Zincgref, Julius Wilhelm (1591–1635) 23, 51–68, 71, 86, 98, 107, 148, 155, 169, 220–221, 277 –, Laurentius (1541–1610) 86 Zodicius, Johannes (um 1600) 186 Zwingli, Huldrych (1484–1531) 92