Politische Gewalt ausstellen: Nationale Erinnerungsmuseen in Chile und Peru 9783839442333

How can human rights violations be depicted? Current processes of museumization in the post-conflict countries Chile and

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Politische Gewalt ausstellen: Nationale Erinnerungsmuseen in Chile und Peru
 9783839442333

Table of contents :
Inhalt
Dank
Redaktionelle Anmerkungen
Abkürzungsverzeichnis
1 Einleitung: Museale Aufarbeitung der Vergangenheit in Chile und Peru
2 Musealisierung der Erinnerung als interdisziplinäres Forschungsfeld
3 Transition und Aufarbeitung in Lateinamerika
4 Erinnerungspolitische Maßnahmen in Post-Konflikt-Staaten
5 Porträt der Fallbeispiele: Entstehung, Resonanz und Kontroversen
6 Ausstellungsanalyse: Konzepte, Inszenierungen und Narrative
7 Aspekte beider Dauerausstellungen im Vergleich
8 Politische Gewalt ausstellen: Abschließende Überlegungen
9 Abbildungen
10 Quellen- und Literaturverzeichnis

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Fabiola Arellano Cruz Politische Gewalt ausstellen

| Band 10

Fabiola Arellano Cruz promovierte an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Sie ist museale Kunstvermittlerin und Kulturhistorikerin. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der Memory Studies, insbesondere in den ästhetischen Repräsentationen von Erinnerung, Public History sowie der Zeitgeschichte Lateinamerikas. Sie ist Mitgründerin von MemoriAL – Interdisciplinary Latin American Memory Research Network. Sie lebt und forscht in München und Maastricht.

Fabiola Arellano Cruz

Politische Gewalt ausstellen Nationale Erinnerungsmuseen in Chile und Peru

Die vorliegende Studie wurde im Jahr 2016 als Dissertation im Fachbereich Kulturgeschichte Lateianamerikas an der Ludwig-Maximilians-Universität München angenommen und am 10.02.2017 verteidigt. GutachterInnen: Prof. Dr. Ursula Prutsch, Prof. Dr. Enrique Rodrigues-Moura. Die Veröffentlichung der Dissertationsarbeit erfolgt mit freundlicher Unterstützung der Friedrich-Ebert-Stiftung und der Ludwig-Maximilians-Universität München.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2018 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen.

Umschlaggestaltung: Maria Arndt, Bielefeld Umschlagabbildung: Vorderseite: Fabiola Arellano Cruz, Santiago de Chile, 2012. Mit freundlicher Genehmigung des Museo de la Memoria y los Derechos Humanos, Santiago de Chile. Rückseite: Adrián Portugal, Lima, Peru, 2016. Mit freundlicher Genehmigung des LUM, Lima Peru. Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-4233-9 PDF-ISBN 978-3-8394-4233-3 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

Dank | 7 Redaktionelle Anmerkungen | 9 Abkürzungsverzeichnis | 11 1

Einleitung: Museale Aufarbeitung der Vergangenheit in Chile und Peru | 13

1.1 Thema und Fragestellungen | 15 1.2 Methodisches Vorgehen | 17 1.3 Aufbau der Arbeit | 22 2

Musealisierung der Erinnerung als interdisziplinäres Forschungsfeld | 25

2.1 Anmerkungen zum Forschungsstand | 26 2.2 Geschichte, Politik, Memoria: Komplexe Begriffskonstellationen | 40 2.3 Die typologische Einordnung der Museos de la Memoria | 53 3

Transition und Aufarbeitung in Lateinamerika | 67

3.1 3.2 3.3 3.4 4

Verdad | 69 Justicia | 79 Reparación | 84 Fazit: Mehr Wahrheit, weniger Gerechtigkeit | 86

Erinnerungspolitische Maßnahmen in Post-Konflikt-Staaten | 89

4.1 Chile | 90 4.2 Peru | 112 4.3 Die Rolle des Mediums Museum in den Aufarbeitungsprozessen | 133 5

Porträt der Fallbeispiele: Entstehung, Resonanz und Kontroversen | 139

5.1 Museo de la Memoria y los Derechos Humanos, Chile | 140 5.2 Lugar de la Memoria, la Tolerancia y la Inclusión Social, Peru | 161 6

Ausstellungsanalyse: Konzepte, Inszenierungen und Narrative | 185

6.1 Museo de la Memoria y los Derechos Humanos, Chile | 189 6.2 Lugar de la Memoria, la Tolerancia y la Inclusión Social, Peru | 208

7

Aspekte beider Dauerausstellungen im Vergleich | 229

7.1 7.2 7.3 7.4 7.5 7.6 7.7 8

Zeitliche Strukturen | 229 Inszenierungen und Rekonstruktionen als Gestaltungsprinzip | 234 Repräsentationen der Opfer | 238 Umgang mit Objekten | 244 (Volks-)Kunst | 252 Popmusik und Volksmusik | 255 Leerstellen | 256

Politische Gewalt ausstellen: Abschließende Überlegungen | 261

8.1 Das Museum: Ort für ästhetische Erfahrungen oder Ort der historischen Wissensvermittlung? | 261 8.2 Zusammenfassung | 266 8.3 Ausblick | 270 Abbildungen | 275 Quellen- und Literaturverzeichnis | 291

Dank

Initialzündung dieser Studie war der Besuch der Fotoausstellung Yuyanapaq. Para Recordar im Jahr 2003, die von der peruanischen Wahrheitskommission organisiert wurde und die erste Visualisierung des internen bewaffneten Konflikts in Peru darstellt. Als junge und privilegierte Limeña waren für mich diese Bilder damals ein richtiger Schock. Seitdem hat sich bei mir ein starkes Interesse dafür entwickelt, wie meine Heimat mit den Konsequenzen von massiven Menschenrechtsverletzungen umgeht. Dies unter Berücksichtigung der Tatsache, dass ich während des Konflikts geboren bin und Teil der „Transitionsgeneration“ bin. Als ich dann erfuhr, dass ein Museum darüber konstruiert wird, wuchs meine Motivation, mich mit diesem Thema wissenschaftlich zu befassen. Die vorliegende Publikation basiert auf meiner Dissertation, die ich im Februar 2017 an der Ludwig-Maximilians-Universität München eingereicht habe. Auf dem langen Weg von den ersten Gedanken bis zum druckfähigen Manuskript standen mir Menschen bei, die wesentlich zu der erfolgreichen Fertigstellung dieses Buches beigetragen haben. An dieser Stelle möchte ich all denjenigen danken, die mich in vielfacher Hinsicht unterstützt haben. Mein außerordentlicher Dank gilt zunächst meiner Doktormutter Prof. Ursula Prutsch für ihre konstruktiven und professionellen Rückmeldungen sowie für all ihre wertvollen und hilfreichen Vorschläge. Ich danke außerdem Prof. Dr. Rodrigues-Moura (Universität Bamberg), der trotz der Entfernung die Zweitbetreuung der Arbeit übernahm und bereit war, sich auf verschiedenen Wegen mit mir zu treffen, um mein Projekt zu diskutieren. Die Dissertation wäre nicht zustande gekommen ohne die finanzielle Unterstützung der Friedrich-Ebert-Stiftung, bei der ich internationale Stipendiatin der Graduiertenförderung war. Die Stiftung ermöglichte mir darüber hinaus die nötigen Forschungsreisen nach Chile und Peru sowie einen wichtigen Zuschuss für die vorliegende Publikation. Ich bin daher allen Mitarbeitern der Stiftung, insbesondere meiner Koordinatorin Kathrein Hölscher, für ihre moralische Rücken-

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stärkung zu größtem Dank verpflichtet. Außerdem bedanke ich mich bei den Koordinatoren der Promotionsprogramme der Ludwig-Maximilians-Universität München, ProArt (Kunstwissenschaften) und ProAmHist (Amerikanische Kulturgeschichte), die ebenfalls mit finanziellen Ressourcen den einen oder anderen Tagungsbesuch ermöglichten. Allen Mitgliedern der interdisziplinären Forschungsgruppe MemoriAL bin ich ebenfalls sehr dankbar. Unser regelmäßiger und anregender Austausch über theoretische und methodologische Positionen der Memoria-Studien in einer angenehmen und horizontalen Atmosphäre hat mein Wissen über das Thema sehr bereichert. Eine weitere Austauschplattform entstand dank der Initiative vom Prof. Dr. Guido Fackler im Fach Museologie. Für den produktiven Input sowie für sein Engagement im Rahmen unserer „Museumskolloquien“ an der Universität Würzburg danke ich Prof. Fackler sehr. Des Weiteren möchte ich mich ganz herzlich bei Dr. Michael Ruoff und bei Gwendolyn Ruoff für ihre Unterstützung während meiner gesamten Studienzeit bedanken. Für die sprachliche Revision des Manuskripts danke ich Katrin Allgaier. Ihre Professionalität und Bereitschaft, unter Druck zu arbeiten, war für die Fertigstellung der Dissertation unerlässlich. Ich bedanke mich bei all meinen Interviewpartnern (siehe Quellenverzeichnis), bei den Personen, die mir die Kontakte ermöglichten und eine Unterkunft während meiner Forschungsaufenthalte anboten, insbesondere bei Cristina Gallardo und María Florencia González, sowie bei den Mitarbeitern beider Museen. Ein Promotionsvorhaben kostet Zeit und manchmal Nerven. Es ist daher Gold wert, eine geduldige und verständnisvolle Person an seiner Seite zu haben. Dafür danke ich von ganzem Herzen Stephan Dietrich, der mir bei dem Layout des Manuskripts unterstützte und die letzte Revision vornahm. Darüber hinaus gilt mein Dank allen Freunden, die mein Jammern und Klagen in Krisenphasen der Promotion ertragen und mich immer wieder aufgerichtet haben. Diesen Rückhalt habe ich immer sehr geschätzt. Zu guter Letzt danke ich besonders meiner Familie, die mich ermutigt hat, die vorliegende Arbeit zu schreiben. Meine Schwester Sandra Arellano Cruz hat mich stetig über lateinamerikanische Nachrichten informiert und bei der Kontaktaufnahme mit vielen Interviewpartnern aktiv geholfen. Meiner Mutter Lucy Cruz Castro werde ich immer für ihren moralischen Beistand, ihre Aufmunterung und Beistand in allen Belangen dankbar sein. Meinem Vater Norman Arellano Lozano, der nicht mehr unter uns weilt, ist dieses Buch gewidmet.

Redaktionelle Anmerkungen

Die vorliegende Studie verwendet Quellen in drei verschiedenen Sprachen (Deutsch, Englisch und Spanisch). An dieser Stelle möchte ich einige Anmerkungen machen, besonders in Bezug auf die Quellen in spanischer Sprache und zur Verwendung spanischer Begriffe. Alle Interviews in Santiago und Lima wurden auf Spanisch geführt und transkribiert. Im Text übersetze ich sie frei ins Deutsche. Die transkribierte Passage erscheint an der jeweiligen Stelle in einer Fußnote. Auch die ausgewerteten Zeitungsartikel oder weitere schriftliche Quellen auf Spanisch, wie öffentliche Reden, werden sinngemäß ins Deutsche übersetzt, und die Originalfassungen werden in einer Fußnote angegeben. Von spanischsprachigen Autoren stammende Zitate werden ebenfalls frei und sinngemäß übersetzt. Auf eine Wiedergabe des Zitats in der Originalsprache wird verzichtet, da in der Fußnote auf die Veröffentlichungen hingewiesen wird. Das „Verschwindenlassen“ von Oppositionellen war eine sehr verbreitete Maßnahme, die in ganz Lateinamerika angewandt wurde. Aus dieser schrecklichen Maßnahme heraus entstand der Begriff desaparecidos, der die betroffenen Personen bezeichnet. Da er sich schwer ins Deutsche übersetzen lässt, wird die spanische Form beibehalten. Im Falle mehrerer Organisationen, wie z. B. der peruanischen subversiven Organisation Sendero Luminoso (Leuchtender Pfad), wird ebenfalls durchgehend der spanische Name verwendet. Dies betrifft auch den Forschungsgegenstand Museos de la Memoria, bei welchem ich aufgrund der kontext- und raumbezogenen Besonderheit bewusst auf eine deutsche Übersetzung verzichte. Diesbezüglich möchte ich auf Folgendes hinweisen, um Missverstände zu verhindern: Das Wort Museum ist auf Deutsch ein Neutrum, das spanische museo dagegen ist maskulin, dennoch wird hier der Artikel das verwendet. Lugar (Ort) ist in beiden Sprachen maskulin und wird daher mit dem Artikel der versehen.

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In dieser Studie wird der Einfachheit und Lesefreundlichkeit halber auf die maskuline Form für die Angabe bestimmter Personengruppen zurückgegriffen. Dies soll keine Diskriminierung darstellen, sondern wird als allgemeine, neutrale Bezeichnung verwendet, die beide Geschlechter ansprechen soll.

Abkürzungsverzeichnis

AFDD ANFADA ANFASEP APRA CAN CMAN CODEPU CONADEP CONFIEP CVR DIBAM DNI EPAF ExPP FASIC FLACSO LUM MCTSA MIR MOP MRTA PIDEE

Agrupación de Familiares de Detenidos Desaparecidos (Chile) Asociación de Familiares de Detenidos, Desaparecidos, Asesinados por la violencia subversiva en Huancavelica (Peru) Asociación Nacional de Familiares de Secuestrados, Detenidos y Desaparecidos del Perú (Peru) Alianza Popular Revolucionaria Americana (Partido Aprista Peruano) Comisión de Alto Nivel (Peru) Comisión Multisectorial de Alto Nivel (Peru) Corporación de los Derechos del Pueblo (Chile) Comisión Nacional sobre la Desaparición de Personas (Argentinien) Confederación Nacional de Instituciones Empresariales Privadas (Peru) Comisión de la Verdad y Reconciliación (Peru) Dirección de Bibliotecas, Archivos y Museos (Chile) Documento Nacional de Indentidad Equipo Peruano de Antropología Forense (Peru) Agrupación de Ex Presos Políticos (Chile) Fundación de Ayuda Social de las Iglesias Cristianas (Chile) Facultad Latinoamericana de Ciencias Sociales Lugar de la Memoria, la Tolerancia y la Inclusión Social (Peru) Movimiento contra la Tortura Sebastián Acevedo (Chile) Movimiento de Izquierda Revolucionaria (Chile) Ministerio de Obras Públicas (Chile) Movimiento Revolucionario Tupac Amaru (Peru) Fundación para la Protección a la Infancia Dañada por los Estados de Emergencia (Chile)

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PIR REMHI RUV SERPAJ

Plan Integral de Reparaciones (Peru) Recuperación de la Memoria Histórica (Guatemala) Registro Único de Víctimas (Peru) Servicio de Paz y Justicia (Chile)

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Einleitung: Museale Aufarbeitung der Vergangenheit in Chile und Peru

Am 11. September 2013 jährte sich der Militärputsch unter General Augusto Pinochet in Chile zum 40. Mal. An jenem Tag des Jahres 1973 begann eine 17 Jahre andauernde Militärdiktatur, die von Einschränkungen der zivilen und politischen Rechte, von Repression und von Menschenrechtsverletzungen gekennzeichnet war, und deren Folgen in der chilenischen Gesellschaft heute noch spürbar sind. Wie jedes Jahr, aber besonders bei runden Jahrestagen, fanden mehrere offizielle und inoffizielle Gedenkveranstaltungen sowie akademische Tagungen zum Thema statt. Darüber hinaus war 2013 ein Wahljahr: Die ehemalige Präsidentin Michelle Bachelet und die rechtskonservative Kandidatin Evelyn Matthei konkurrierten um die Präsidentschaft. Beide Kandidatinnen kennen sich seit der Kindheit, ihre Väter waren Luftwaffengeneräle unter der Regierung von Präsident Allende. Doch der 11. September 1973 hatte ihre Lebenswege drastisch voneinander getrennt. 40 Jahre später gab es zwei große Gedenkfeiern: Die eine fand im Museo de la Memoria y los Derechos Humanos statt, wo Bachelet die einzige Rednerin war. Die andere Feier wurde von der damaligen Regierung vom Präsidenten Piñera im Präsidentenpalast La Moneda organisiert. Dort, fast gleichzeitig, hielt ihre Kontrahentin Matthei eine Rede zum Tag des Putsches. Die Tatsache, dass es nicht eine, sondern zwei große politische Gedenkveranstaltung gab, spiegelt die Realität des Landes bezüglich der Erinnerungspolitik wider. Einige Tage davor, am 28. August 2013, jährte sich zum zehnten Mal die Übergabe des Berichts der Wahrheitskommission an die peruanische Regierung, welche damit beauftragt war, die Ursachen und Folgen des 20 Jahre andauernden internen bewaffneten Konflikts in Peru zu untersuchen, bei dem ihren Einschätzungen zufolge knapp 70.000 Menschen ihr Leben verloren. Dieses Ereignis hat

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bei weitem nicht die nationale Resonanz, die in Chile der Tag des Putsches hat. Dem Ereignis wird nichtsdestotrotz von vielen Menschenrechtsorganisationen und Familienangehörigen gedacht und es finden zu diesem Anlass zahlreiche akademische Aktivitäten statt. Mit dem Bericht wurde das Ausmaß der Öffentlichkeit präsentiert, aber das Interesse und der Nachklang hielten sich in Grenzen. Die öffentliche Erinnerung an die Zeit der politischen Gewalt, im Gegensatz zu Chile, ist eher marginal. Im Januar 2014 präsentierte das Museo de la Memoria im chilenischen Santiago eine temporäre Fotoausstellung namens Yuyanapaq. Para Recordar (Um zu Erinnern). Die Ausstellung war bereits 2003 von der peruanischen Wahrheitskommission in umfangreicherem Format zusammengestellt und in Lima gezeigt worden – gerade drei Jahre nach dem Ende der repressiven Regierung Alberto Fujimoris. Bei der Ausstellung in Santiago handelte es sich um einige dieser Fotografien, die unter Berücksichtigung der damaligen politischen Lage und der herrschenden Erinnerungsdiskurse ausgewählt wurden. Die Fotoausstellung wurde in Kooperation mit dem peruanischen Auswärtigen Amt und mit dem Büro des Bürgerbeauftragten koordiniert. Die ausgestellten Fotografien im Museum in Santiago hoben eindeutig die Grausamkeit der subversiven marxistisch-leninistischen Gruppierungen Sendero Luminoso (Leuchtender Pfad) und MRTA (Movimiento Revolucionario Tupac Amaru – Revolutionäre Bewegung Tupac Amaru) gegenüber der Zivilbevölkerung hervor. Dass der peruanische Staat ebenfalls für massive Menschenrechtsverletzungen verantwortlich war, wurde durch die Auswahl in Chile relativiert. Die Zusammenstellung der Bilder in Santiago kontrastierte daher mit der ursprünglichen Idee von Yuyanapaq. Para Recordar anhand von Bildern die Komplexität des Konflikts in Peru zu visualisieren. Dieses kurze Beispiel für eine Zusammenarbeit zweier Gedenk-Institutionen und Länder lässt mehrere Aspekte augenscheinlich werden, die Ausgangspunkte dieser Arbeit waren. Die vorliegende Studie setzt sich mit gegenwärtigen Musealisierungsprozessen und der Aufarbeitung der jüngeren Geschichte Südamerikas auseinander. Im Mittelpunkt der Analyse stehen die Formen musealer Präsentation und Inszenierung der Vergangenheit in Chile und in Peru. Die ausgewählten Fallbeispiele umfassen das Museo de la Memoria y los Derechos Humanos1 in Santiago und den Lugar de la Memoria, la Tolerancia y la Inclusión Social 2 in Lima. Unter Berücksichtigung des jeweiligen historisch-politischen Kontextes und der öffentlichen Debatten bezüglich der Museen werden beide Konstellatio1 2

Museum für Erinnerung und Menschenrechte. Ort für Erinnerung, Toleranz und Soziale Inklusion.

Einleitung | 15

nen einander gegenübergestellt. Auf diese Weise werden Unbekanntes und Unerwartetes sowie Allgemeines und Besonderes identifizierbar. 3 Das Erkenntnisinteresse dieser interdisziplinär und komparativ ausgerichteten Studie ist es, anhand politischer, kontextueller und gestalterischer Aspekte des Mediums Museo de la Memoria die Interdependenzen und Wechselbeziehungen mit der Erinnerungspolitik und Erinnerungskultur beider Länder aufzuzeigen.

1.1 THEMA UND FRAGESTELLUNGEN In Lateinamerika wurden im Zuge von Militärdiktaturen, Bürgerkriegen, Staatsterrorismus und zivilgesellschaftlicher Gewalt permanent Menschenrechtsverletzungen begangen. Sie wurden trotz der Implementierung mancher TransitionalJustice-Mechanismen wie Wahrheitskommissionen jahrelang zum Teil verdrängt, von den politischen Diskursen der jeweiligen Länder ignoriert, beschönigt, verzerrt oder sogar legitimiert. Doch direkt Betroffene, Verwandte von Opfern oder Aktivisten versuchten, ihre Geschichte lebendig zu halten: Aus eigener Initiative geschaffene Gedenkstätten, Mahnmale sowie historische Ausstellungen eroberten allmählich die (urbanen) südamerikanischen Landschaften. In diesem Zusammenhang entstand außerdem eine vielschichtige Literatur-, Film-, Musikund Kunstproduktion, die sich dezidiert gegen das Vergessen und für eine Kultur des Gedenkens engagierte. Diese Erinnerungsakteure forderten jedoch zugleich eine aktive offizielle Erinnerungspolitik, die u. a. Wiedergutmachungsmechanismen beinhaltet. Mittlerweile sind diese Forderungen von den Staaten und ihren Regierungen – zumindest teilweise und mit unterschiedlicher Beständigkeit – angenommen. Zu den größten öffentlichen Projekten der Präsentation und Inszenierung der jüngsten Geschichte zählen die sogenannten Museo de la Memoria (Erinnerungsmuseen), welche der Opfer gedenken, diesen Anerkennung zollen und sich als eine Art symbolische Reparation verstehen. Ziele solcher kulturellen Institutionen sind die Aufklärung über die Vergangenheit in visueller Form sowie die Vermittlung eines Bewusstseins für das Postulat des Nunca Más (Nie wieder). Diese Einrichtungen sowie ihre (erinnerungs-)politischen, kulturellen und historischen Implikationen sind der Forschungsgegenstand der vorliegenden Arbeit. Untersucht werden zum einen die Entstehungskontexte, die Debatten und Kont3

Vgl. Lauth, Hans-Joachim/Pickel, Gert/Pickel, Susanne: Methoden der Vergleichenden Politikwissenschaft. Eine Einführung. 1. Auflage. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2009, S. 17.

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roversen, welche die Entstehungsprozesse begleitet haben, sowie die beteiligten Akteure und wie sie zueinander stehen. Zum anderen ist es ein Anliegen dieser Studie, einen Blick in die Institutionen zu werfen, indem die Dauerausstellungen der Museen und ihre postulierten Ziele analysiert werden. Beide Aspekte, die Entstehungsprozesse sowie die gestalterische und diskursive Präsentation von Geschichte in den Museen, sind für diese Studie von gleicher Relevanz, da sie meiner Ansicht nach in enger Beziehung zueinander stehen, materialisieren sie doch die Präsentation und die Inszenierung von Geschichte und zeigen die gefundenen Kompromisslösungen. Museale (Re-)präsentationen des kollektiven Gedächtnisses beschäftigen sich mit Geschichte, Kultur und Gesellschaft und drücken exemplarisch die Erinnerungskultur der jeweiligen Erinnerungsgemeinschaft aus. Sie geben zugleich Hinweise auf gegenwärtige Interpretationen der Vergangenheit und auf politische Dynamiken bezüglich anzutreffender Machtverhältnisse. Ausstellungen in nationalen Erinnerungsmuseen spiegeln das öffentlich-diskursive erinnerungspolitische Handeln und die Relevanz der Memoria-Thematik in der politischen Agenda der jeweiligen amtierenden Regierung wider. „Die Memory Museums sind sowohl Kondensator als auch Generator der nationalen Erinnerungskultur.“4 Die Studie verfolgt die Annahme, dass Museos de la Memoria außerdem auch die Erinnerungspolitik eines Landes kondensiert. Darüber hinaus sind sie ein politisches Instrument und Orte ständiger Auseinandersetzungen und Kompromisse. In diesem Kontext möchte ich überprüfen, wie die Museen die erinnerungspolitischen Diskurse des jeweiligen Lands referieren, wie sie lauten sowie in welcher Form sie museal präsentiert werden. Die vorliegende Arbeit geht von der Prämisse aus, dass Orte, in denen Geschichte – bzw. ihre (Re-)Konstruktion – präsentiert wird, weder bezüglich ihrer politischen Ansichten noch hinsichtlich ihrer dargestellten Inhalte, jemals als neutrale Orte zu betrachten sind. Der Grund dafür ist, dass die Vergangenheit immer unterschiedlichen Deutungsmustern unterliegt.5 Die Errichtung von Museos de la Memoria ist daher nicht selten umstritten, denn die präsentierte Geschichte ist das Resultat komplexer Verhandlungen zwischen unterschiedlichen Akteuren, die einen hegemonialen Erinnerungsdiskurs durchzusetzen versuchen. Die dargestellten Narrative stehen oft im Kontrast zu den Ansichten und Erinnerungen heterogener Interessensgruppen oder auch der4

5

Pieper, Katrin: Die Musealisierung des Holocaust. Das United States Holocaust Memorial Museum in Washington D.C. und das Jüdische Museum Berlin. Köln/ Weimar: Böhlau 2006, S. 12. Vgl. Scholze, Jana: Medium Ausstellung. Lektüren musealer Gestaltung in Oxford, Leipzig, Amsterdam und Berlin. Bielefeld: transcript 2004, S. 35.

Einleitung | 17

jenigen, die lieber vergessen würden. Hinzu kommen die Uneinigkeiten im Hinblick auf die Fragen danach, woran und in welcher Form erinnert werden soll. Daran schließen sich folgende Annahmen an: Die Entstehungsprozesse eines Museo de la Memoria sowie die museale Präsentation der jüngeren Geschichte eines Landes spiegeln wider, wie dessen Erinnerungspolitik funktioniert, welche wiederum von politischen Konjunkturen stark beeinflusst ist. Die Geschichtspräsentation der Museos de la Memoria ist keinesfalls als objektiv zu bewerten, und die Museos sind keine neutralen Bildungsorte. Die Institutionen entstehen vielmehr in einem komplexen Umfeld, in dem viel verhandelt werden muss. Die museale Narrative verfolgt geschichtsdidaktische und pädagogische Absichten, aber auch politische Interessen. Die Auswahl der Themen und der Exponate, deren Arrangement im Raum und deren Kontextualisierung geben die Vorstellungen der Kuratoren, der Ausstellungsgestalter und der Initiatoren wieder. Diese sind aber zugleich von erinnerungspolitischen Diskursen und von den jeweiligen gegenwärtig herrschenden gesellschaftlichen Geschichtsauffassungen beeinflusst. Es entsteht beispielsweise eine Hierarchisierung und Betonung einiger Leitthemen gegenüber anderen, die nur beiläufig erwähnt oder gar ignoriert werden. Es stellt sich die Frage danach, inwiefern die Ausstellungsinhalte und die Form der Präsentation von den Auftrag- und Geldgebern subtil oder sogar direkt beeinflusst werden und mit welchen Zielen. Zusammengefasst lauten meine Leitfragen: Wie wird die Geschichte der politischen Gewalt der beiden Länder in den jeweiligen staatlichen Institutionen inszeniert und zu welchem Zweck? Wo liegen die Themenschwerpunkte, welche Teile der jüngsten Geschichte werden betont, welche Teile werden nicht erwähnt und warum nicht? Wie werden die Opfer gewürdigt und repräsentiert? Und in direkter Beziehung dazu: Welche Rolle spielt das Medium Museum in den erinnerungspolitischen Diskursen des jeweiligen Landes?

1.2 METHODISCHES VORGEHEN Museen können aus dem Blickwinkel unterschiedlicher Disziplinen untersucht werden, etwa aus kultur-, geschichts-, kunst-, medienwissenschaftlicher oder didaktischer Perspektive. Handelt sich um historische Ausstellungen, liegt theoretisch nahe, mit geschichtswissenschaftlichen oder geschichtsdidaktischen Methoden an die Thematik heranzugehen. Doch in der Praxis lässt sich feststellen, dass es weder in der Geschichtsdidaktik noch in der Museologie eine allumfassende, mustergültige Methodik für die Analyse eines Museums oder einer Aus-

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stellung gibt. Und wenn zwei Ausstellungen miteinander verglichen werden, ist die Aufgabe umso komplexer. Deswegen muss man „methodisch kreativ“ sein, wie der Museumswissenschaftler Thomas Thiemeyer vorschlägt. 6 Die Kriterien für die Analyse entwickeln sich aus der Forschungsperspektive und werden von der jeweiligen Forschungsfrage angeregt. Um die hier gestellten Fragen zu beantworten, ist daher eine Methodenkombination vonnöten. Museumsanalyse: Für die Untersuchung der hier behandelten Museen sind vor allem zwei Methoden erforderlich: die Museumsanalyse und der historische Vergleich. Die Museumsanalyse definiert sich zunächst als „Fallanalyse von Museen“. Ihr Erkenntnisziel ist das genaue Verstehen des Museums mit seinen „unterschiedlichen Dimensionen, Implikationen und Bedeutungen.“ Darüber hinaus richtet sich ihr Interesse auf „wissenschaftliche Erkenntnisse über […] übergreifende gesellschaftliche, politische und kulturelle Verhältnisse“7. Um die Wahl der Exponate, ihre Inszenierung und die thematischen Schwerpunkte kritisch hinterfragen zu können, mussten die Museen besichtigt werden. Allerdings kann man eine Ausstellung unter verschiedenen Aspekten durchforschen. Deswegen hielt ich es für sinnvoll, im Einklang mit dem Forschungsinteresse, im Vorfeld zu meinen Forschungsreisen einen Fragenkatalog mit relevanten Gesichtspunkten zu entwickeln. Vor Ort besuchte ich die Ausstellungen, dokumentierte sie anhand von Fotografien und notierte meine Eindrücke. Die Fotodokumentation bildete dann die wichtigste Grundlage für die Ausstellungsanalyse. Vergleich: Für die Methode des Vergleichs orientiere ich mich an der Arbeit der Historiker Heinz-Gerhard Haupt und Jürgen Kocka: Geschichtswissenschaftliche Vergleiche sind dadurch gekennzeichnet, daß sie zwei oder mehrere historische Phänomene systematisch nach Ähnlichkeiten und Unterschieden untersuchen, um auf dieser Grundlage zu ihrer möglichst zuverlässigen Beschreibung und Erklärung wie zu weiterreichenden Aussagen über geschichtliche Handlungen, Erfahrungen, Prozesse und Strukturen zu gelangen. 8

6 7

8

Thiemeyer, Thomas: Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln. Die beiden Weltkriege im Museum. Paderborn u. a.: Ferdinand Schöningh 2010, S. 33. Baur, Joachim (Hrsg.): Museumsanalyse: Zur Einführung. In: Ders.: Museumsanalyse. Methoden und Konturen eines neuen Forschungsfeldes. Bielefeld: transcript 2010, S. 7–14, hier S. 8. Haupt, Heinz-Gerhard/Jürgen Kocka: Historischer Vergleich: Methoden, Aufgaben, Probleme. Eine Einleitung. In: Dies. (Hrsg.): Geschichte und Vergleich. Ansätze und Ergebnisse international vergleichender Geschichtsschreibung. Frankfurt am Main/ New York: Campus Verlag 1996, S. 9–46, hier S. 9.

Einleitung | 19

Die vorliegende Arbeit befasst sich mit den erinnerungspolitischen Dynamiken in den Post-Konflikt-Ländern Chile und Peru, insbesondere im Hinblick auf die staatlichen Entscheidungen für die Gründung von nationalen Erinnerungsmuseen. Der Vergleich dieser beiden Institutionen bzw. deren Dauerausstellungen dient als empirische Grundlage für die Beantwortung umfassenderer Fragen. In diesem Sinne werden nicht nur die Museen einzeln in möglichst all ihren Facetten (Entstehungskontext, Entstehungsprozess, Diskurse, Kontroverse, Akteure und Gestaltung) gründlich untersucht, sondern diese auch miteinander kontrastiert. Durch einen komparativen Ansatz lassen sich die länderspezifischen Charakteristika der jeweiligen Erinnerungskultur und Erinnerungspolitik sowie ihre Differenzen und Gemeinsamkeiten am besten erkennen. So können die Ergebnisse von Vergleichsanalysen zum Beispiel mögliche Fehlstrategien erklären, und es können weitere Schlussfolgerungen erfasst werden. Drei Kriterien bestimmten die Auswahl dieser Fälle: Erstens besteht eine geografische Nähe, es handelt sich um Nachbarländer. Diese Tatsache war für die Entscheidung zentral, da man anhand der ausgewählten Beispiele Schlussfolgerungen über kontinentale Tendenzen in Bezug auf erinnerungspolitische Maßnahmen und Musealisierungsprozesse ziehen kann. Zweitens sind beide Museen Neubauten, die als nationale Projekte mit staatlichen Mitteln finanziert werden. Das macht diese Fälle im Vergleich mit anderen Musealisierungsinitiativen in Südamerika einzigartig. Anders als in Argentinien, Brasilien, Uruguay oder Paraguay, wo historische Orte – etwa ehemalige Folterzentren – zu Museos de la Memoria umfunktioniert wurden, sind die Museen in Santiago und in Lima exklusiv zu diesem Zweck gebaut worden. Die architektonischen und gestalterischen Möglichkeiten unterscheiden sich insofern erheblich voneinander und lassen sich dadurch besonders gut vergleichen. Der dritte Faktor ist die zeitliche Perspektive: Die Gründungsidee für den Bau entstand in beiden Fällen fast zeitgleich und beide Museen wurden zeitnah eröffnet, wobei die Eröffnung des peruanischen Museums sich verzögerte (Santiago: 2010, Lima: 2015). Der letzte Punkt bildet paradoxerweise zugleich den entscheidenden Unterschied zwischen den beiden Fällen, denn die Initiative zur Gründung ergab sich aus zwei völlig unterschiedlichen Motivationen heraus, wie im Verlauf dieser Arbeit deutlich wird. Der Vergleich an sich ist allerdings nicht Selbstzweck der Forschung. Vielmehr sollen dadurch Kontrastelemente herausgefiltert werden, die zu weiteren, genaueren Erkenntnissen über die einzelnen Vergleichsfälle oder Erkenntnisse allgemeiner Gültigkeit führen können. Dies möchte ich hier anhand eines Beispiels kurz erläutern: Die Entstehungsprozesse in beiden Ländern sind von unterschiedlichen Ausgangssituationen und Voraussetzungen gekennzeichnet. Die-

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se Tatsache an sich ist nicht weiterführend, aber konfrontiert man diese miteinander, erkennt man Probleme, Fragen und letztendlich Schlussfolgerungen, die ohne einen Vergleich nicht zu erkennen gewesen wären. So kann durch die vergleichende Betrachtung der Musealisierungsprozesse in unterschiedlichen PostKonflikt-Staaten, in diesem Fall Nachbarländer, der Zusammenhang zwischen einer Institution, die wie in Chile mit staatlichen Mitteln funktioniert und von Anfang an eine staatliche Legitimation genoss, und einer anderen, deren ursprüngliche Finanzierung bzw. Initiative von einer externen Quelle ausging – so geschehen in Peru – beleuchtet werden. Hierbei handelt es sich um einen Kontrastvergleich, bei dem die Unterschiede stärker herausgearbeitet werden als die Gemeinsamkeiten. „[Es] geht […] also nicht darum, gleiche Entwicklungen mit gleichen oder unterschiedlichen Ursachen zu erklären, sondern darum, die Ursachen für unterschiedliche Entwicklungen herauszufinden.“9 Allerdings konzentriert sich der Vergleich hier nicht nur auf die Unterschiede, sondern auch Gemeinsamkeiten werden berücksichtigt, zum Beispiel in Bezug auf die Akteure und auf internationale und transnationale Trends im Bereich gestalterischer Aspekte in den modernen Ausstellungsinszenierungen. Experteninterviews als Erhebungsmethode: Um den Forschungsfragen dieser Studie nachgehen zu können, waren Experteninterviews als Grundlage der Datenerhebung unerlässlich, vor allem aus zwei Gründen: Erstens weil die institutionellen Stellungnahmen bescheiden und nicht ausreichend für diese Analyse waren. Die wissenschaftliche Beschäftigung mit den hier behandelten Institutionen ist ebenfalls eingeschränkt. Besonders über den Lugar de la Memoria in Lima steht sehr wenig Material zur Verfügung. Insofern dienen diese Interviews der Rekonstruktion von Sachverhalten, der Beschaffung von Hintergrundinformationen sowie der Datenerzeugung. Und zweitens sind sie ein Instrument der Annäherung an die Intentionen und Motivationen der in diesen Prozessen involvierten Personen. Denn auch ihre Einschätzungen und Positionen können zum Verstehen von historischen und politischen Zusammenhängen beitragen. Mir ist aber bewusst, dass ihre Auffassungen nicht als „absolute Wahrheit“ betrachtet werden sollten. Sie dienten deswegen der Illustrierung und Kommentierung von Aussagen zum Forschungsgegenstand10, die aber auch mit weiteren Quellen kontrastiert wurden. 9 10

Kaelble, Hartmut: Der historische Vergleich. Eine Einführung zum 19. und 20. Jahrhundert. Frankfurt am Main/New York: Campus Verlag 1999, S. 44 f. Vgl. Meuser, Michael/Nagel, Ulrike: Experteninterviews – vielfach erprobt, wenig bedacht. Ein Beitrag zur qualitativen Methodendiskussion. In: Garz, Detlef/Kraimer, Klaus (Hrsg.): Qualitativ-empirische Sozialforschung: Konzepte, Methoden, Analysen. Opladen: Westdeutscher Verlag 1991, S. 441–471, hier S. 445.

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In Anlehnung an die Studie der Sozialwissenschaftler Michael Meuser und Ulrike Nagel verstehe ich unter Experten Personen, die „Teil des Handlungsfeldes sind, das den Forschungsgegenstand ausmacht“ 11. Der „Expertenstatus“ hängt demzufolge vom Forschungsinteresse ab. Meine Interviewpartner waren zum einen handlungsmächtige und entscheidungsbefugte Personen, die über fundiertes Wissen bezüglich interner Strukturen verfügen und exklusive Erfahrungen mit den Entstehungsprozessen haben, wie etwa die Museumsdirektoren oder die Kuratoren. Zum anderen bezog ich auch Personen mit ein, die sich mit der Memoria-Thematik und ihrer medialen Repräsentation in Lateinamerika beschäftigen. Dazu gehören sowohl Theoretiker als auch Aktivisten. Die Interviews wurden als nicht standardisierte Leitfadeninterviews konzipiert. Auf diese Weise wurde eine gute Balance zwischen gezielter Gesprächsleitung und Offenheit erreicht. Alle Punkte, die vom Interviewpartner beantwortet werden mussten, wurden im Vorfeld erfasst. Nachfragen und eventuelle Abschweifungen auf andere Themen während der Gesprächssituation waren aber ebenfalls möglich und wurden zugelassen. Dies schaffte nicht nur eine offene Atmosphäre, sondern ließ auch unerwartete Informationen zu. Trotzdem behält man durch den Leitfaden eine gewisse Struktur, an der man sich orientieren kann. Als komplementäre Informationsquelle im Rahmen meiner Forschungsaufenthalte fanden auch informelle Gespräche mit Museumsmitarbeitern und Aktivisten statt, allerdings sind die aus dieser „Quelle“ gewonnenen Informationen zwar interessant, um Hintergründe „zwischen den Zeilen“ zu erfahren, aber dennoch nur bedingt verwendbar für eine wissenschaftliche Analyse. Alle von mir geführten Interviews wurden aufgenommen. Die Experteninterviews fanden vor Ort statt, in Santiago und in Lima. Nur ein Interview fand in Deutschland (Leipzig) statt und ein Interview wurde über Telefonkonferenz geführt. Unmittelbar danach folgte ihre Transkription. Qualitative Inhaltsanalyse als Auswertungsmethode: Um die transkribierten Interviews auszuwerten, wurde für diese Arbeit das Instrumentarium der qualitativen Inhaltsanalyse eingesetzt. 12 Die (qualitative und quantitative) Inhaltsanalyse ist klassischerweise eine Methode der Sozialwissenschaften. Gegenstand der qualitativen Inhaltsanalyse sind sowohl schriftliche und gesprochene Texte als 11 12

Ebd., S. 441–471, hier S. 443. Für eine praxisorientierte Einführung in die qualitativen Methoden der empirischen Sozialforschung, Experteninterview und Inhaltsanalyse siehe: Gläser, Jochen/ Laudel, Grit: Experteninterviews und qualitative Inhaltsanalyse als Instrumente rekonstruierender Untersuchungen. 4. Auflage. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften 2010.

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auch andere Informationsträger wie Bilder und Videos. Ziel ist es, anhand der Ursprungstexte oder weiterer Quellen Informationen zu erwerben, die für die Beantwortung der Forschungsfrage von Relevanz sind.13 Insofern bleibt die Inhaltsanalyse „[…] nicht dem Ursprungstext verhaftet, sondern extrahiert Informationen und verarbeitet diese Informationen getrennt vom Text weiter“ 14. Die hermeneutische Methode der Text- und Quelleninterpretation hilft dabei, die vorhandenen Argumentationsmuster herauszufiltern und zu strukturieren, und ermöglicht es somit, die verschiedenen Positionen zu identifizieren sowie eventuell zu weiteren Erkenntnissen und Schlussfolgerungen zu gelangen. Außerdem war eine Auswertung des Pressediskurses zur Erinnerungspolitik anlässlich der Entstehung der Museen vonnöten. Dafür suchte ich Pressearchive (Artikel in Fachmagazinen, Zeitungsartikel, Essays in Tageszeitungen und Fachmagazinen) vor Ort auf, da viele Artikel nicht online verfügbar waren. In Lima besuchte ich das Zeitungsarchiv der Universidad Católica del Perú. In Santiago, während meines ersten Forschungsaufenthaltes, bei dem ich zugleich ein Volontariat absolvierte, wurde mir eine Datei mit dem Archiv der Presseabteilung des Museo de la Memoria ausgehändigt, die das institutionelle Monitoring des Museums dokumentierte. Weitere auszulegende schriftliche Quellen waren zudem institutionelle Stellungnahmen und Verkündigungen der Entscheidungsträger etwa in Katalogen, öffentlichen Reden, Websites der Institutionen oder Interviews in Zeitschriften. In diesem Sinne sei darauf hingewiesen, dass die hier behandelten Institutionen nicht nur den Forschungsgegenstand bilden, sondern ihre Dauerausstellungen fungieren zugleich zu einem gewissen Grad als Quellen.15 Insofern sind auch Ansätze der Inhaltsanalyse hier anwendbar, da ihre Aufmerksamkeit sich auch auf formale Gesichtspunkte wie zum Beispiel ästhetische und stilistische Merkmale richten kann.16

1.3 AUFBAU DER ARBEIT Die Arbeit besteht aus acht Kapiteln: An erster Stelle werden die relevanten Konzepte und Begriffe im Zusammenhang mit den Forschungsfeldern Memoria, Umgang mit historischen Gewaltperioden und Musealisierung definiert. An die13 14 15 16

Vgl. ebd., S. 199 ff. Ebd., S. 46. Zum Gegenstand Museum als Quelle siehe: Thiemeyer, Thomas: Geschichtswissenschaft: Das Museum als Quelle. In: Baur 2010, S. 73–94. Vgl. Diekmann, Andreas: Empirische Sozialforschung. Grundlagen, Methoden, Anwendungen. 4. Auflage. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag 2010, S. 576.

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ser Stelle findet sich auch eine Beschreibung des aktuellen Forschungsstandes. Darauf basierend wird der Forschungsgegenstand Museos de la Memoria im theoretischen Rahmen positioniert und typologisiert. Die Entstehungsgeschichte der Institutionen wird im Kontext politischer Transitionen betrachtet. Die Auseinandersetzung mit Menschenrechtsverletzungen in musealer Form soll also als ein integraler Bestandteil einer zukunftsorientierten Erinnerungspolitik und demokratischer Konsolidierungsprozesse berücksichtigt werden. Um einen historischen Hintergrund zu zeichnen, widmet sich das dritte Kapitel einführend der Transition und Aufarbeitung der jüngsten Geschichte in Lateinamerika. Die Museos de la Memoria sind das Ergebnis langjähriger Verhandlungsprozesse, in welchen verschiedene Erinnerungsakteure ihre – berechtigten – Forderungen nach Wahrheit (verdad), Gerechtigkeit (justicia) und Wiedergutmachung (reparación) erhoben. Insbesondere die letzte Forderung wird in den Museos de la Memoria aufgegriffen, denn sie sind als symbolische Reparationsmaßnahme konzipiert. Ihre Initialkonzeptionen und konkreten Bauten sind allerdings nicht Situationen, die in einem Vakuum entstanden sind. Vielmehr standen sie stets in einem komplizierten gesellschaftlichen und politischen Kontext, in dem jeweils um den eigenen hegemonialen Erinnerungsdiskurs gerungen wird. Inwieweit die offiziellen Umsetzungen dieser Forderungen gelungen sind, ist Thema des folgenden Kapitels. Dort stehen die erinnerungspolitischen Maßnahmen in Chile und in Peru jeweils seit der Rückkehr zur Demokratie bzw. seit dem Ende der systematischen politischen Gewalt bis in die „Gegenwart“ im Fokus. Dass diese Prozesse sehr konjunkturabhängig und dynamisch sind, wurde bereits betont. Aber auch die Dauerausstellungen an sich sind nicht mehr so „dauerhaft“ wie früher, und ihr jeweiliger institutioneller Rahmen bleibt auch nicht unveränderlich.17 Das bedeutet, dass der Analysezeitraum aufgrund des Wesens der hier behandelten Phänomene eingegrenzt werden musste. In diesem Fall schließt er mit der zweiten Amtszeit der chilenischen Präsidentin Michelle Bachelet und der des peruanischen Präsidenten Ollanta Humala, genauer gesagt mit dem Zeitpunkt meiner Rückkehr von meiner letzten Forschungsreise im Januar des Jahres 2016. Diese erfolgte unmittelbar nach der Eröffnung des Lugar de la Memoria in Lima. Zur Ergänzung werden lediglich einige neuere Gesetze oder politische Orientierungen in Fußnoten oder im Ausblick erwähnt. 17

Hierzu nur ein Beispiel: Kurz nachdem ich mit dem Dissertationsmanuskript fertig war, erfuhr ich, dass der Direktor des Museo de la Memoria nicht mehr Ricardo Brodsky ist. Ende Juni 2016 übernahm die Leitung des Museums der Historiker Francisco Estévez. Da die Datenerhebung, insbesondere die Interviews, bereits mit dem alten Direktor durchgeführt worden war, können diese sozusagen alleraktuellsten Informationen nicht mehr berücksichtigt werden.

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Dies vorausgeschickt, konzentrieren sich die folgenden drei Kapitel gänzlich auf die Museen und deren Dauerausstellungen. Im fünften Kapitel werden die Institutionen jeweils portraitiert, wobei das Augenmerk auf den Entstehungsprozessen, Kontroversen und Resonanzen liegt, die sich aus der empirischen Grundlage der Presseauswertung, Interviews und Auslegung anderer Quellen ergaben. Das sechste Kapitel und das siebte Kapitel bilden das Herzstück der Arbeit. Anfangs beschreibt Kapitel 6 die Architektur und Sammlung der Museen, um dann einen Blick in deren Inneres zu werfen. Im Anschluss daran folgt ein Rundgang durch die Dauerausstellungen, zunächst separat, wobei an dieser Stelle bereits der komparative Ansatz zum Tragen kommt, denn dort werden einige wichtige Narrativen beleuchtet, die Ausgangpunkt für die vergleichende Perspektive bilden. Das siebte Kapitel fokussiert sich auf die musealen Narrativen und ihre gestalterische Umsetzung und wählt dafür einige Aspekte aus, die sich besonders gut für einen Vergleich eignen, u. a., um postulierte institutionelle Ziele mit den präsentierten Erinnerungsdiskursen zu kontrastieren. Das achte Kapitel fasst einige bereits thematisierte Facetten zusammen und vertieft zugleich Aspekte der Museumsanalyse bzw. der Institution Museum, besonders in Bezug auf seine Funktionen, Chancen und Grenzen. Schließlich wird ein Ausblick gewagt. Bewusst verwende ich hierbei das Verb „wagen“, da es sich tatsächlich in Anbetracht der Dynamik der thematisierten Forschungsfelder lediglich um Tendenzen, mögliche Szenarien und Herausforderungen handelt.

2

Musealisierung der Erinnerung als interdisziplinäres Forschungsfeld

Die wissenschaftliche Beschäftigung mit der Vergangenheit, mit den Phänomenen des Erinnerns und des Vergessens sowie mit dem kollektiven Gedächtnis ist Forschungsgrundlage unterschiedlicher Disziplinen: Die Neuropsychologie, die Politikwissenschaft, die Sozialwissenschaft, die Geschichtswissenschaft, die Medienwissenschaft und die Kunstwissenschaft, u. a., setzen sich mit diesen Themen auseinander. Doch heutzutage kann kein Fach das Monopol für das Studium der Memoria-Thematik für sich beanspruchen. Dasselbe gilt für den Forschungsgegenstand Museum, der gerade deswegen so spannend ist, denn „er liegt mit seinem Facettenreichtum an der Schnittstelle einer ganzen Brandbreite von Fächern und quer zu klassischen Forschungspfaden“1. Die vorliegende Studie verfolgt in diesem Sinne einen interdisziplinären Ansatz, indem es eine Brücke zwischen cultural memory studies, zwischen der Museumswissenschaft und Aspekten der Politikfeldanalyse (Erinnerungspolitik und Transitionsforschung) schlägt. Dem folgenden Abschnitt liegt der aktuelle wissenschaftliche Stand zum Thema innerhalb der Forschungsfelder der Memoria-Thematik, der Museologie und der Erinnerungspolitik zugrunde. Zunächst werden die wesentlichen theoretischen Bezüge vorgestellt, die diese Studie umrahmen. Im Laufe der gesamten Arbeit werden aber auch weitere wissenschaftliche Positionen jeweils in ihrer unmittelbaren Beziehung zu dem behandelten Gegenstand dargelegt. Ausführlichere Definitionen der Termini bezüglich der Vergangenheitsaufarbeitung, der Erinnerungspolitik und der Erinnerungskultur im deutsch- und iberoamerikanischen Sprachraum sowie ihrer Ausdifferenzierungen folgen im nächsten Abschnitt. Schließlich wird der Forschungsgegenstand Museo de la Memoria als besondere Kategorie innerhalb der kulturhistorischen Museen typologisiert. Da 1

Baur 2010, S. 7.

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diese Arbeit sich mit südamerikanischen Phänomenen befasst, werden hier auch theoretische und empirische Impulse aus der Region mit einbezogen.

2.1 ANMERKUNGEN ZUM FORSCHUNGSSTAND Zu den einflussreichsten Studien zum Thema Memoria zählen die theoretischen Überlegungen des französischen Soziologen Maurice Halbwachs, der den Begriff „kollektives Gedächtnis“ geprägt hat.2 Der Schwerpunkt seiner Überlegungen liegt vor allem in der sozialen Determiniertheit des Gedächtnisses des Individuums. Die Gedächtnisleistung ist ihm zufolge sowohl ein persönlicher als auch ein sozial bedingter, kultureller und kommunikativer Prozess, der kollektiv determiniert ist.3 Darüber hinaus sind Erinnerungen Rekonstruktionen der Vergangenheit, die sich aber aus einer gegenwärtigen Perspektive bilden. 4 Im Zuge dessen werden im Übrigen auch Passagen vergessen. Dies legt offen, dass sich Erinnerungen von externen Faktoren beeinflussen lassen, etwa von Interessengruppen oder Institutionen, und sie von diesen auch kanonisiert werden. Aufbauend auf seiner Grundthese, aber mehr aus einer kulturwissenschaftlichen Perspektive heraus, schlugen Aleida und Jan Assmann in den 1990er Jahren eine Unterteilung des kollektiven Gedächtnisses in die zwei Modi kommunikatives und kulturelles Gedächtnis vor. Unter dem kommunikativen Gedächtnis versteht man die verbale Weitergabe von individuellen Erlebnissen. Das kommunikative Gedächtnis manifestiert sich in Form von (informellen, familiären) Alltagsgesprächen betreffend die unmittelbare bzw. erlebte Vergangenheit, die Menschen mit ihren Zeitgenossen (drei bis vier Generationen) teilen.5 Durch sprachlichen Austausch mit anderen Menschen werden Erinnerungen aufgebaut, denn man erinnert sich an vieles in dem Maße, wie man Anlässe findet, davon zu erzählen. Je öfter man Anlässe zum Erzählen hat, desto mehr fördert man die Erinnerung selbst zutage, die im Gedächtnis zwar gespeichert, jedoch nicht immer abrufbar ist. Das kulturelle Gedächtnis orientiert sich an Fixpunkten in der Vergangenheit, die nicht von den Individuen miterlebt wurden. Es bezieht sich auf vorbiografischen Begebenheiten und bezeichnet die über Generationen übermit2

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Seine Thesen erarbeitete er vor allem in zwei Werken: Halbwachs, Maurice: Das Gedächtnis und seine sozialen Bedingungen. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1985 (orig.: Les cadres sociaux de la mémoire. Paris 1925) und ders.: Das kollektive Gedächtnis. Stuttgart: Enke Verlag 1967 (orig.: La mémoire collective. Paris 1950, nachgelassenes Werk). Vgl. ebd. 1985, S. 121. Vgl. ebd. 1967, S. 45. Vgl. Assmann, Jan: Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen. München: C.H. Beck 1992, S. 50 f.

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telte Tradition in Form von Texten, Bildern, Mythen und rituellen Akten, die das historische Bewusstsein und die Identitätsbildung einer Gesellschaft prägt. Es wird mündlich, schriftlich, normativ sowie narrativ überliefert und durch die Kultur, in Form von „festen Objektivationen“ wie Festen, Riten, Symbolen, Schriften, Monumenten, tradiert.6 Das kulturelle Gedächtnis bildet in der Einheit mit dem kommunikativen Gedächtnis das kollektive Gedächtnis. Während im lateinamerikanischen Kontext sich viele Zeitzeugen aktiv und laufend für eine Aufarbeitung und gegen das Vergessen einsetzen, erlebt Deutschland bzw. Europa in Bezug auf den Holocaust gerade den Übergang vom kommunikativen zum kulturellen Gedächtnis, da die Zeugengenerationen nicht mehr lange von ihren Erfahrungen berichten werden können. Umso wichtiger scheinen die Bemühungen, die Erinnerungen an Gewalttaten der Vergangenheit für die Zukunft lebendig zu halten. Hierbei spielt die mediale Vermittlung von geschichtlichen Ereignissen eine zentrale Rolle, da dadurch die Erinnerungskultur eines Landes nachhaltig bewahrt wird. Alle drei Theoretiker, Halbwachs sowie Aleida und Jan Assmann, betonen den Konstruktionscharakter individueller Erinnerungen, die soziale Bedingtheit des Gedächtnisses und den Gegenwartsbezug sowie die Wandlungsfähigkeit von Erinnerungen. Im Zusammenhang mit dem kulturellen Gedächtnis bemerkt Jan Assmann zudem: „Für das kulturelle Gedächtnis zählt nicht faktische, sondern nur erinnerte Geschichte. Man könnte auch sagen, daß im kulturellen Gedächtnis faktische Geschichte in erinnerte und damit in Mythos transformiert wird.“7 Da Erinnerungen im autobiografischen Gedächtnis nicht einfach automatisch reproduziert oder abgerufen, sondern (re-)konstruiert und mit den gegenwärtigen Perspektiven angepasst werden, braucht man materielle Träger, die sie verfestigen und ihre Inhalte nach außen vermitteln. Der Literaturwissenschaftler Ernst van Alphen bezeichnet diese Träger als vehicles of memory.8 Es handelt sich hierbei um Manifestationen der Vorstellungen und Weltanschauungen bezüglich der Vergangenheit durch verschiedene kulturelle Produkte, wie zum Beispiel Theaterinszenierungen, Filme, Testimonio-Literatur9 oder auch Museen. Mit den Medien des kollektiven Gedächtnisses beschäftigt sich vordergründig der von Astrid Erll und Ansgar Nünning herausgegebene Sammelband und bezieht dabei

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Vgl. ebd., S. 56 f. Assmann 1992, S. 52. Van Alphen, Ernst: Caught by History. Holocaust Effects in Contemporary Art, Literature and Theory. Stanford California: Stanford University Press 1997. Darunter versteht man ein hybrides literarisches Genre, das Zeitzeugnisse (angelehnt an historiografische Studien) und formale Elemente eines postmodernen Romans verbindet. Es handelt sich um eine realistische, aber zugleich subjektive Erzählung, bei der die Grenzen zwischen Fiktion und Realität verschwimmen.

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Positionen aus unterschiedlichen Disziplinen.10 Da das (kulturhistorische) Museum bzw. Nationalmuseum ein Medium der Kommunikation, Exposition und Vermittlung von Vergangenheit sowie ein bedeutender Träger von Erinnerungen ist, zählt diese Institution zu einem wichtigen Instrument der kulturellen Überlieferung. Unter Berücksichtigung des obigen Zitats von Jan Assmann kann man daraus schließen, dass diese Institutionen erinnerte Geschichte vermitteln. In Museen werden daher Geschichtsdeutungen geformt und weitergegeben. Werden dort etwa auch Mythen konstruiert? Wie Geschichte in Museen konstruiert und präsentiert wird, ist Hauptthema dieser Studie, und deswegen wird diese Frage zu einem späteren Zeitpunkt behandelt. Aleida Assmann zufolge laufen individuelle Erinnerungsprozesse spontan, während sie auf kollektiver und institutioneller Ebene durch eine gezielte Erinnerungs- bzw. Vergessenspolitik gesteuert werden. „Da es keine Selbstorganisation eines kulturellen Gedächtnisses gibt, ist es auf Medien und Politik angewiesen.“11 Aufgrund der Künstlichkeit des kulturellen Gedächtnisses problematisiert sie die Tatsache, dass dadurch Erinnerungen verzerrt, simplifiziert und instrumentalisiert werden können. Deswegen sei eine öffentliche Plattform zur Diskussion, Reflexion und Kritik notwendig, die diesen Prozess begleite. Die von Assmann angesprochenen politischen und medialen Abhängigkeitsverhältnisse des kulturellen Gedächtnisses sowie die mögliche (politische) Instrumentalisierung von Erinnerungen sind jedenfalls in den Musealisierungsprozessen der hier untersuchten Fälle zu beobachten. Allerdings darf nicht der Eindruck entstehen, dass Erinnerungen innerhalb einer sozialen Gruppe sowie zwischen Generationen oder Geschlechtern homogen sind. Sie können nicht nur heterogen sein, sondern auch vielschichtig. Dabei können verschiedene Erinnerungen zum selben historischen Bezugspunkt parallel verlaufen. In dieser Tatsache steckt großes Konfliktpotenzial, insbesondere „[…] wenn die Geschichte eines Kollektives mit Verbrechen belastet ist und sich in ihr Opfergruppen und Tätergruppen gegenüberstehen“12. Im Hinblick auf diese Annahme orientiere ich mich an den Überlegungen der argentinischen Soziologin und Memoria-Expertin Elizabeth Jelin. In ihrem Buch 2002 Los trabajos de la memoria analysiert sie Erinnerungen an die Militärdikta-

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Erll, Astrid/Nünning, Ansgar (Hrsg.): Medien des kollektiven Gedächtnisses. Konstruktivität. Historizität. Kulturspezifität. Berlin: De Gruyter 2004. Assmann, Aleida: Erinnerungsräume. Formern und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses. München: C.H. Beck 1999, S. 15. Arenhövel, Mark: Demokratie und Erinnerung. Der Blick zurück auf Diktatur und Menschenrechtsverbrechen. Frankfurt am Main/New York: Campus Verlag 2000, S. 12.

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turen des 20. Jahrhunderts im Cono Sur (Chile, Argentinien, Uruguay und Brasilien), wobei es nicht in Fallanalysen aufgegliedert ist, sondern sich vielmehr mit der Memoria als analytische Kategorie in ihren Wechselbeziehungen mit ‚Identität‘, mit ‚Vergessen‘ und mit ‚Gender‘ beschäftigt. Die Militärdiktaturen geben ihr dabei „nur“ den historischen und soziokulturellen Rahmen vor. 13 Ihre Arbeit stellt das erste Buch der Reihe Memorias de la Represión dar, die zwölf Publikationen zu dem Thema umfasst und zwischen 2002 und 2006 von ihr und anderen Intellektuellen des Kontinents herausgegeben wurde. Diese Initiative leistete Pionierarbeit für die wissenschaftliche Beschäftigung mit der jüngsten Vergangenheit auf dem Kontinent sowie deren Theorieproduktion. Jelin hinterfragt die dichotomische Kategorie ‚Erinnern-Vergessen‘, die in Post-Konflikt-Gesellschaften dominiert, und postuliert dagegen die Existenz von pluralen Erinnerungen, welche jeweils auch eine Art von Vergessen beinhalten. Jelin zufolge ist es unmöglich, eine von einer Gesellschaft geteilte einheitliche Erinnerung an eine (traumatische) Vergangenheit zu finden. Ebenso wenig gebe es nur eine übereinstimmende Interpretation und Vision, deswegen verwendet sie den Begriff in der Pluralform. Vielmehr gibt es verschiedene Erinnerungsakteure („emprendedores de la memoria“), die sich in einer Art Legitimationskampf („luchas por las memorias“) um einen hegemonialen Erinnerungsdiskurs befinden.14 Die vielfältigen Akteure in dem so entstehenden Machtkonflikt versuchen, ihre Interessen zu rechtfertigen und zu etablieren. Es kommt zu einem Konkurrenzverhalten der erarbeiteten Deutungsangebote. Um sie nach außen zu tragen, werden Medien benötigt, die deren Inhalte kommunizieren. Die Verhandlungen beispielsweise zwischen Menschenrechtsorganisationen und staatlichen Entscheidungsträgern sind von stetigen Spannungen geprägt; ein Umstand, der im Rahmen dieser Arbeit beleuchtet werden soll, da er sich in den Musealisierungsprozessen widerspiegelt. Der deutsche Historiker Edgar Wolfrum beschreibt dieses Phänomen als „einen öffentlichen und massenmedial vermittelten Prozess, in dem sichtbar Kräfte und Gegenkräfte am Werk sind und um die Hegemonie von Diskursen und Deutungsmustern ringen“15. Es geht hier um eine öffentliche Konstruktion bzw. Hervorhebung von geschichtlichen Inhalten und Identitätsbildern, ihre pädagogische sowie symbolische Vermittlung und die dazugehörigen

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Jelin, Elizabeth: Los trabajos de la memoria. Madrid/Buenos Aires: Siglo XXI Editores 2002. Ebd., S. 48 f. Wolfrum, Edgar: Geschichtspolitik in der Bundesrepublik Deutschland: Der Weg zur bundesrepublikanischen Erinnerung 1948–1990. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1999, S. 28.

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Inszenierungen und Ritualisierungen.16 Historischer Sinngehalt kann durch unterschiedliche Medien vermittelt werden, zum Beispiel in Schulbüchern, in der Festlegung von Gedenktagen sowie in Denkmälern, Gedenkstätten oder eben auch in Museen. Ein weiterer Band der genannten Reihe, welcher für die vorliegende Studie von Relevanz ist, ist die Publikation Monumentos, memoriales y marcas territoriales, die ganz spezifisch von physischen Markierungen (urbaner) öffentlicher Orte und vom Kampf um die Deutungen der Vergangenheit handelt.17 Der Band behandelt konfliktreiche Prozesse, deren Ursprünge zwar in der Vergangenheit liegen, deren Aushandlung aber ein aktives Engagement der zivilen Akteure in der Gegenwart voraussetzt. Die Politikwissenschaftlerin Katherine Hite thematisiert die Gedenkstättenlandschaft in Südamerika und Spanien sowie ihre (geschichts-)politischen Implikationen. Es handelt sich dabei jedoch nicht um eine komparative Studie, sondern um die Darstellung unterschiedlicher Fallstudien. 18 Die Anthropologin Tamia Portugal befasst sich ebenfalls mit diesem Thema, aber in Bezug auf lokale Gedenkorte in Peru (in der Region Ayacucho), die sie als „Orte des politischen Kampfes um Anerkennung“ charakterisiert. Sie kommt in ihrer Fallanalyse zu dem Schluss, dass dort die Monumentalisierung nicht pädagogische, sondern hauptsächlich politische Zwecke verfolge. Insofern seien die aus privaten Initiativen entstandenen Gedenkorte nicht „nach innen“, sondern „nach außen“ gerichtet. Ihr primäres Anliegen sei nicht moralischer Art im Sinne eines Appells und eines Mahnmals für das Nunca Más (Nie wieder). Vielmehr bietet sich dadurch die Möglichkeit, die Forderung nach Wahrheit, Gerechtigkeit und Anerkennung vonseiten der Gesellschaft und des Staates, nicht nur bezüglich der Konsequenzen des Konflikts, sondern auch bezüglich der seit Langem bestehenden Diskriminierung und sozialen Ausgrenzung, sichtbar zu machen. Gerade lokale Erinnerungsorte bezwecken, eine Reaktion in den widerstreitenden oder gleichgültigen Erinnerungen anderer Gruppen zu bewirken.19

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Vgl. Bock, Petra/Wolfrum, Edgar: Umkämpfte Vergangenheit. Geschichtsbilder, Erinnerung und Vergangenheitspolitik im internationalen Vergleich. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1999, S. 9. Jelin, Elizabeth/Langland, Victoria (Komp.): Monumentos, memoriales y marcas territoriales. Madrid/Buenos Aires: Siglo XXI Editores 2003. Hite, Katherine: Política y Arte de la Conmemoración. Memoriales en América Latina y España. Santiago de Chile: Mandrágora Ediciones 2013. Portugal Teillier, Tamia: Batallas por el reconocimiento: Lugares de memoria en el Perú. In: Degregori, Carlos Iván/Portugal Teillier, Tamia/Salazar Borja, Gabriel/ Aroni Sulca, Renzo: No hay mañana sin ayer. Batallas por la memoria y consolidación democrática en el Perú. Lima: IEP Instituto de Estudios Peruanos 2015, S. 71–214. (Die Fallanalyse über el Centro de la Memoria de Putaca wurde von Renzo Aroni Sulca angefertigt. In: Dies.: S. 139–161).

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Zwei vom Instituto de Estudios Peruanos (Institut für Peruanische Studien) im Jahr 2013 herausgegebene Publikationen sollen hier nicht unerwähnt bleiben. Der erste Sammelband No hay mañana sin ayer. Batallas por la memoria histórica en el Cono Sur konzentriert sich neben einem historiografischen Überblick auf die Aufarbeitung der Vergangenheit in Argentinien, Uruguay und Chile, auf die Entwicklungen und Fortschritte im Bereich der Erinnerungsarbeit im 21. Jahrhundert. Die Erfahrungen mit Militärdiktaturen in den drei Ländern und der jeweilige Umgang mit deren Folgen werden miteinander in Verbindung gesetzt. Die Autoren gehen der Frage nach, inwiefern die gekennzeichneten Fortschritte in der Region zur Konstruktion einer politischen Kultur pro Menschenrechte beigetragen haben.20 Grundlegend für die vorliegende Arbeit ist vor allem die Betonung der dynamischen Wechselbeziehungen zwischen dem Staat und den unterschiedlichen Akteuren der Zivilgesellschaft. Auch wenn das Engagement der „aliados de la memoria“ (Verbündete im Erinnerungskampf) ohne Zweifel eine entscheidende Rolle für die öffentliche Aufarbeitung gespielt hat, sind es oft staatliche Akteure und deren Initiativen (mögen diese auch unzureichend sein), die für die tatsächliche Umsetzung bzw. für die Nachhaltigkeit der Forderungen der zivilen Akteure verantwortlich sind.21 Eine kritische Betrachtung dieser Annahme im Zusammenhang mit Musealisierungsprozessen im Rahmen der Post-Konflikt-Dynamiken der hier untersuchten Länder ist ein Anliegen dieser Studie. Die Relation zwischen ‚Staat‘ und ‚Erinnerung‘ wird in dem vom katalanischen Historiker Ricard Vinyes herausgegebenen Band behandelt. Er bezeichnet die offizielle Erinnerung als buena memoria. Eine „gute Erinnerung“ ist laut ihm diejenige, die vom Staat konstruiert wird und sich als hegemonialer und allgemeingültiger Diskurs durchzusetzen versucht. Meistens geht es darum, die Diskurse über die Vergangenheit zu dekontextualisieren und von der politischen Belastung, die diese möglicherweise verursacht haben, zu befreien.22 Die Intention dahinter ist es, Konflikte innerhalb der Gesellschaft bzw. zwischen den involvierten Akteuren zu vermeiden oder zu minimieren und eher Aspekte eines 20

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Stern, Steve J./Winn, Peter/Lorenz, Federico/Marchesi, Aldo: No hay mañana sin ayer. Batallas por la memoria histórica en el Cono Sur. Lima: IEP Instituto de Estudios Peruanos 2013. Als „aliados de la memoria“ werden in diesem Sammelband diejenigen Akteure bezeichnet, die sich aktiv für eine Kultur des Erinnerns einsetzen, aber teilweise eine misstrauische Haltung gegenüber anderen politischen Themen einnehmen, besonders wenn diese von staatlichen Akteuren behandelt werden. Vgl. ebd., S. 21. Vgl. Vinyes, Ricard (Hrsg.): El Estado y la Memoria: Gobiernos y ciudadanos frente a los traumas de la historia. Barcelona: RBA Libros 2009. Siehe auch: Meyer, Erik: Memory and Politics. In: Erll, Astrid/Nünning, Ansgar (Hrsg.): Cultural Memory Studies. An International and Interdisciplinary Handbook. Berlin/New York: Walter de Gruyter 2008, S. 173–180.

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übergeordneten Kontextes zu akzentuieren, um auf diese Weise nationale Versöhnungsprozesse zu unterstützen bzw. einzuleiten. Problematisch erscheint allerdings, dass selbst bei der (scheinbaren) Etablierung eines solchen offiziellen Erinnerungsdiskurses, die Gruppen, die sich aus diesem Diskurs ausgeschlossen fühlen, weiterehin für ihre Vergangenheitsdeutung stehen werden. Ihre Interessen und Forderungen verschwinden nicht mit einer von oben imponierten Versöhnung. Auch wenn es in der Öffentlichkeit anders oder gar nicht wahrgenommen wird, bleibt das Konfliktpotenzial bestehen. Im Bezug auf die Musealiserung von Geschichte lässt sich der Versuch einer „guten Erinnerung“ zu forcieren, besonders in den lateinamerikanischen Nationalmuseen des 19. Jahrhunderts, beobachten. Sie verfolgten das Ziel, die neu entstandenen Nationalstaaten mit einer einheitlichen historischen Erzählung zu auszustattens, um ein Gefühl der „stolzen“ Zugehörigkeit zu erzeugen. So wurden zum Beispiel die Helden der Nation glorifiziert, oder es wurden unbestreitbare Mythen der Nationalbildung konstruiert, verbreitet und verewigt. Dabei wurde jegliche kritische Auseinandersetzung mit der Geschichte vermieden. Inwiefern der Staat heute nur seine eigene „memoria“ zulässt, diese statisch bleibt oder überhaupt als solche unangefochten akzeptiert wird, wird in dieser Studie überprüft, denn es kommt immer auf zwei Faktoren an: auf den Partizipationsgrad der Menschenrechtsorganisationen sowie Familienangehörigen in den Entstehungsprozessen und auf politische und gesellschaftliche Konjunkturen, die eine (pluralistische und demokratische) Aufarbeitung der Vergangenheit begünstigen oder eben erschweren. Insgesamt lässt sich feststellen, dass die deutschsprachige und englischsprachige Literatur über Aufarbeitungsprozesse in Lateinamerika den regionalen Schwerpunkt auf die Prozesse im Cono Sur setzt.23 Dies wird deutlich durch eine große Anzahl an Publikationen über Vergangenheits- bzw. Erinnerungspolitik in Argentinien und in Chile nach der Diktatur. 24 Eine gründliche Analyse des chilenischen Falles stellt die vom US-amerikanischen Historiker Steve Stern verfasste Trilogie The Memory Box of Pinochet’s Chile dar. Er beschäftigt sich mit offiziellen und nicht offiziellen Erinnerungsdiskursen sowie mit den Aufarbeitungsprozessen in Chile.25 Interessant bei seiner Untersuchung ist die Methodologie. 23

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Mit mehreren Fallstudien in Süd- und Zentralamerika befasst sich dieser Sammelband: Halbmayer, Ernst/Karl, Sylvia (Hrsg.): Die erinnerte Gewalt. Postkonfliktdynamiken in Lateinamerika. Bielefeld: transcript 2012. Über die Fälle in dem Cono Sur gibt es eine sehr umfangreiche Auswahl an Literatur. Hier konzentriere ich mich auf die Arbeiten, welche für die Beantwortung der Forschungsfragen relevant waren, insbesondere diejenigen, die sich mit Chile befassen. Stern, Steve J.: Remembering Pinochet’s Chile: On the Eve of London 1998. Durham: Duke University Press 2004; ders.: Battling for Hearts and Minds: Memory

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Neben den klassischen Methoden der Quellenanalyse und Archivrecherche macht er auch Gebrauch von Oral History. Und so verschafft sich der Leser einen persönlichen Einblick in das Leben vieler Chilenen während der Diktatur. Mit testimonios (Zeugenaussagen) befasst sich auch die Anthropologin Kimberly Theidon in ihrer ethnografischen Studie zu den Folgen des internen bewaffneten Konflikts in Peru.26 Diese Herangehensweise wird gleichfalls für die Museumsnarrative angewandt. Der peruanische Fall hatte vergleichsweise weniger wissenschaftliche Resonanz im deutschsprachigen Raum, wobei durchaus einzelne Beiträge zu finden sind. Hierzu möchte ich auf einen weiteren Sammelband vom Instituto de Estudios Peruanos aufmerksam machen. Er beschäftigt sich ausschließlich mit Peru zehn Jahre nach der Veröffentlichung des Berichts der Wahrheitskommission. 27 Im Gegensatz zu Chile, wo „die Kämpfe um das Erinnern“ auch durch staatliche Aktionen teilweise als Staatspolitik gekennzeichnet waren, sind in Peru diese auf bestimmte historische Momente limitiert, und einer davon ist eben die Ernennung einer Wahrheitskommission. Ihre Gründung und ihre Arbeitsergebnisse bilden einen Meilenstein in Bezug auf den Umgang mit dem internen bewaffneten Konflikt in Peru.28 Die zahlreichen vergangenheitspolitischen Initiativen sowie erinnerungskulturellen Bemühungen, die in der Region über die letzten zwei Dekaden stattgefunden haben, haben auch die Theorieproduktion beeinflusst. Dies hängt mit der Tatsache zusammen, dass in der großen Mehrheit der lateinamerikanischen Ländern – zumindest formell – demokratische Verhältnisse herrschen. Zu beobachten ist, dass in der Praxis eine strenge Unterscheidung zwischen Theorieproduktion und Aktivismus teilweise schwer ist. Es lässt sich außerdem festhalten, dass nach den Veröffentlichungen der Berichte der Wahrheitskommissionen das öffentliche Interesse und infolgedessen die Anzahl der wissenschaftlichen Publikationen über dieses Thema in Lateinamerika gestiegen sind. Es sind inzwischen Fachmagazine, regelmäßige Tagungen und Forschungs-

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Struggles in Pinochet’s Chile, 1973–1988. Durham: University Press 2006; ders.: Reckoning with Pinochet: The Memory Question in Democratic Chile, 1989–2006. Durham: Duke University Press 2010. Theidon, Kimberly: Intimate Enemies. Violence and Reconciliation in Peru. Philadelphia: University of Pennsylvania Press 2013. Degregori, Carlos Iván/Portugal Teillier, Tamia/Salazar Borja, Gabriel/Aroni Sulca, Renzo: No hay mañana sin ayer. Batallas por la memoria y consolidación democrática en el Perú. Lima: IEP Instituto de Estudios Peruanos 2015. Zum Verhältnis zwischen Medien, Erinnerung und Gewalt in Peru siehe: Schäffauer, Markus Klaus u. a.: (Hrsg.): Perú: Medios, Memoria y Violencia. Lima: Fondo Editorial Ruiz Montoya 2014. Siehe auch: Saona, Margarita: Memory Matters in Transitional Peru. London: Palgrave Macmillan 2014.

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institutionen entstanden, die das ganze Spektrum der Memoria-Thematik behandeln.29 Pionierarbeit über die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Thema Wahrheitskommission leistete Priscila Hayner mit ihrer empirischen Studie zu Wahrheitskommissionen auf der ganzen Welt und ihrem potenziellen Beitrag in Transitionsgesellschaften.30 Hayner ist Mitbegründerin des International Center for Transitional Justice (ICTJ) ist. Diese 2001 gegründete Nichtregierungsorganisation unterstützt Länder (Institutionen, Regierungen und organisierte Gruppen der Zivilgesellschaft), welche Massengräueltaten und Menschenrechtsverletzungen aufarbeiten wollen. Sie bietet nicht nur spezialisierte Beratung und artikuliert Vorschläge zu erinnerungspolitischen Maßnahmen, sondern forscht aktiv zu dem Thema auf lokaler, regionaler sowie internationaler Ebene und finanziert Publikationen. Transitional Justice bildet insofern sowohl ein mittlerweile etabliertes Forschungsfeld als auch einen in der Praxis angewandten Mechanismus im Umgang mit massiven Menschenrechtsverletzungen. Über das Instrument Wahrheitskommission ist auch im deutschsprachigen Raum in den letzten Jahren viel veröffentlicht worden.31 Die Soziologin Anika Oettler hat mehrere auf Lateinamerika bezogene Publikationen verfasst. Interessant dabei sind ihre komparativen Ansätze sowie die transnationale Perspektive ihrer Studien, bei denen sie auch ambivalente Aspekte analysiert und problematisiert.32 Darüber hinaus sind mehrere Veröffentlichungen im Bereich der Geschichtspolitik33 über das gesamte Spektrum an vergangenheitspolitischen Maß29

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Es ist nicht möglich, eine vollständige Benennung aller jüngsten wissenschaftlichen Publikationen zu dem Thema in Chile und in Peru aufzulisten. Die Bände und Monografien, die hier Erwähnung finden, sind vor allem diejenigen, dich ich für meine Analyse zitiert oder verwendet habe. Hayner, Priscilla: Unspeakable Truths. Confronting state terror and atrocity. New York/London: Routledge 2001. Zur Beziehung zwischen Aufarbeitung vergangener staatlicher Verbrechens mittels Wahrheitskommissionen und Stabilisierung der Gesellschaft in den betroffenen Nationen siehe auch: Marx, Christoph (Hrsg.): Bilder nach dem Sturm. Wahrheitskommissionen und historische Identitätsstiftung zwischen Staat und Zivilgesellschaft. Münster: LIT Verlag 2007. Oettler, Anika: Der Stachel der Wahrheit. Zur Geschichte und Zukunft der Wahrheitskommissionen in Lateinamerika. In: Lateinamerika Analysen 9, Oktober 2004, Hamburg: IKK, S. 93–126; dies.: Mehrdimensionale Aufarbeitung: Wahrheitskommissionen in Lateinamerika. In: Lateinamerika Analysen 14, Nr. 2, 2006, Hamburg: IIK (Institut für Iberoamerikakunde), S. 113–139; dies.: Politische Kultur und ethnische Inklusion. Zur historiographischen Bedeutung der „Wahrheitskommissionen“ in Guatemala und Peru. In: Büschges, Christian/Pfaff Czarnecka, Joanna (Hrsg.): Die Ethnisierung des Politischen. Identitätspolitiken in Lateinamerika, Asien und den USA. Frankfurt am Main/New York: Campus 2007, S. 248–283. Siehe zum Beispiel: Molden, Berthold/Mayer, David (Hrsg.): Vielstimmige Vergangenheiten – Geschichtspolitik in Lateinamerika. Wien: Lit Verlag 2009.

Musealisierung der Erinnerung als interdisziplinäres Forschungsfeld | 35

nahmen sowie über die verschiedenen Akteure erschienen.34 Ein Forschungsschwerpunkt lag auf dem Einfluss vergangenheitspolitischer Maßnahmen auf den Demokratisierungsprozess im Sinne der Konsolidierungsforschung. 35 Für die Politikwissenschaftler Detlef Nolte und Ruth Fuchs hängen die Variationen im Umgang mit der Vergangenheit in den verschiedenen lateinamerikanischen Ländern „vor allem mit Art und Ausmaß der Verbrechen, der Dauer des autoritären Regimes und dem Modus des Übergangs zur Demokratie“ 36 ab. Diese Faktoren sollte man berücksichtigen, gerade für den internationalen Vergleich von Aufarbeitungsprozessen. Der Politikwissenschaftler Veit Straßner analysiert in seiner komparativen Fallstudie das Verhältnis der Opferorganisationen zur Vergangenheitspolitik in den Cono-Sur-Staaten Chile, Argentinien und Uruguay. Dabei untersucht er, welche Rolle sie als Adressaten, aber auch selbst als Akteure im Politikfeld spielen sowie welche Auswirkungen die Vergangenheitspolitik auf die Opferorganisationen hat.37 Während sich Straßner mit einem internationalen Vergleich innerhalb Lateinamerikas beschäftigt, findet man inzwischen zunehmend Studien mit transnationaler, manchmal sogar transkontinentaler Perspektive, darunter auch Untersuchungen mit interdisziplinären Ansätzen. 38 34

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Siehe zum Beispiel: Nolte, Detlef (Hrsg.): Vergangenheitsbewältigung in Lateinamerika. Schriftenreihe des Instituts für Iberoamerika-Kunde Hamburg. Band 44. Frankfurt am Main: Vervuert Verlag 1996. Siehe zum Beispiel: Höchst, Claudia: Vergangenheitsbewältigung und ihre Rolle im Demokratisierungsprozess postautoritärer Systeme. Der Fall Chile. Münster: Lateinamerika Zentrum 2003; Ruderer, Stephan: Das Erbe Pinochets: Vergangenheitspolitik und Demokratisierung in Chile 1990–2006. Göttingen: Wallstein Verlag 2010. Fuchs, Ruth/Nolte, Detlef: Vergangenheitspolitik in Lateinamerika. Instrumente und Sequenzen. In: Landkammer, Joachim/Noetzel, Thomas/Zimmerli, Walther Ch. (Hrsg.): Erinnerungsmanagement. Systemtransformation und Vergangenheitspolitik im internationalen Vergleich. München: Wilhelm Fink Verlag 2006, S. 133–160, hier: S. 133. Straßner, Veit: Die offenen Wunden Lateinamerikas. Vergangenheitspolitik im postautoritären Argentinien, Uruguay und Chile. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2007. Siehe zum Beispiel: Birle, Peter/Gryglewski, Elke/Schindel, Estela (Hrsg.): Urbane Erinnerungskulturen im Dialog: Berlin und Buenos Aires. Berlin: Metropol Verlag 2009. Hier rücken zwar insbesondere die Hauptstädte in den Vordergrund, die jeweiligen nationalen erinnerungskulturellen und erinnerungspolitischen Hintergründe sind jedoch auch Thema des Bandes; siehe auch: Capdepón, Ulrike: Vom Fall Pinochet zu den Verschwundenen des Spanischen Bürgerkrieges. Die Auseinandersetzung mit Diktatur und Menschenrechtsverletzungen in Spanien und Chile. Bielefeld: transcript 2015. Die Autorin behandelt den diskursiven Einfluss internationaler Menschenrechtsnormen und -paradigmen sowie zivilgesellschaftlicher Organisationen und Menschenrechtsdiskurse auf lokale und staatliche Aufarbeitungsforderungen in transnationalen Transferprozessen. Ihrer These zufolge stehen lokale Erinnerungsprozesse zunehmend in einem transnationalen Austausch- und Wechselverhältnis.

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Im Forschungsfeld der kollektiven Erinnerung an Menschenrechtsverletzungen und ihre Aufarbeitung fokussiert die Fachliteratur klassischerweise auf die gesellschaftlichen, ethnografischen39 und historisch-politischen40 Hintergründe, und eher selten werden diese Felder miteinander verbunden. Allgemein lässt sich feststellen, dass die Forschung bezüglich der (juristischen und politischen) Aufarbeitung von Diktatur und Bürgerkrieg traditionell von der Politik- und Sozialwissenschaft dominiert war. Doch der cultural turn hat zunehmend in den vergangenen Jahren die Geistes- und Sozialwissenschaften stark beeinflusst und ihr Spektrum an Interessengebieten erweitert.41 Zum Beispiel sind heute auch Fragen nach der „Erzähl- und Darstellbarkeit des Geschehenen und nach verschiedenen Sprachen von Erinnerung stärker in dem Blickfeld“ 42. So haben kulturelle Komponenten eines zu untersuchenden Phänomens immer mehr an Bedeutung gewonnen. In Edgar Wolfrums Konzept der Geschichtspolitik (bezogen auf Deutschland) treffen Fundamente der Politik- und der Geschichtswissenschaft aufeinander, wenn er behauptet, Geschichtspolitik richte das Augenmerk auf die politischen Akteure.43 Und auch wenn er dafür plädiert, nicht mit dem cultural turn zu übertreiben, postuliert er trotzdem Ansichten der Kulturwissenschaft, indem er auf die unterschiedlichen kulturellen Träger hinweist, die ungemein wichtig für die Vermittlung und überhaupt die Entstehung geschichtspolitischer Diskurse sind.

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Siehe zum Beispiel: Del Pino Ponciano/Yezer, Caroline (Hrsg.): Las formas del recuerdo. Etnografías de la violencia política en el Perú. Lima: IEP 2013. Siehe zum Beispiel: Stern, Steve J.: Shining and Other Paths. War and Society in Peru, 1980–1995. Durham: Duke University Press 1998; Degregori, Carlos Iván: Qué difícil es ser Dios. El Partido Comunista del Perú – Sendero Luminoso y el conflicto armado. Lima: IEP 2011. Dabei handelt sich um eine Neuausrichtung in den Geistes- und Sozialwissenschaften, die über ein erweitertes Kulturverständnis funktioniert. Kultur wird dabei nicht nur als „Hochkultur“, sondern auch im Sinne von „Alltagskultur“ verstanden. Kultur manifestiert sich demzufolge nicht nur in Objekten, sondern auch in Handlungen und Prozessen. Zum politischen Verständnis von Kultur als ein Feld von Machtbeziehungen, das konstruiert wird, siehe: Marchart, Oliver (Hrsg.): Cultural Studies. Konstanz: UVK-Verlag 2008. Für einen Überblick über die theoretischen und methodologischen Herangehensweisen dieses Feldes siehe: Bachmann-Medick, Doris: Cultural Turns: New Orientations in the Study of Culture. Berlin/Boston: De Gruyter 2016. Mit den Auswirkungen dieses Trends auf die Politikwissenschaft beschäftigt sich der folgende Sammelband: Schwelling, Birgit (Hrsg.): Politikwissenschaft als Kulturwissenschaft. Theorien, Methoden, Problemstellungen. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2004. Huffschmid, Anne/Heidhues, Annette Nana: Editorial: Erinnerung und Gegenwart. In: Huffschmid, Anne (Hrsg.): Erinnerung macht Gegenwart. Münster: Westfälisches Dampfboot 2008, S. 7–17, hier S. 15. Vgl. Wolfrum 1999, S. 19.

Musealisierung der Erinnerung als interdisziplinäres Forschungsfeld | 37

Das Verhältnis zwischen Vergangenheitspolitik und Erinnerungskultur in Lateinamerika wird in dem Band Geschichte wird gemacht anhand von übergreifenden und interdisziplinären Beiträgen sowie Fallstudien analysiert. Das Augenmerk dieser neuen Publikation liegt insbesondere auf aktuellen politischen und gesellschaftlichen Konflikten um die Vergangenheitsdeutungen sowie auf deren gegenwärtigen politischen Auswirkungen.44 Zu den Wechselbeziehungen zwischen Erinnerungskultur und Geschichtspolitik äußert sich Berthold Molden wie folgt: „Die Erinnerungskultur kann von den geschichtspolitischen AkteurInnen ebenso verändert werden, wie sie selbst deren Handlungen wesentlich mitbestimmt; ein Wechselverhältnis gegenseitiger Beeinflussung also.“45 Dabei werden die Dynamik und die Interdependenzen dieser Handlungsfelder betont. Das Ausstellen von Geschichte ist eine der öffentlichkeitswirksamsten Formen des Erinnerns und für die Diffusion, Interpretation und Anschaulichkeit von Geschichtsbildern unverzichtbar. Musealisierungsprozesse hinsichtlich traumatischer Episoden der Zeitgeschichte, wie Kriege, Konflikte, Genozide oder Diktaturen, haben sich in den letzten zwei Dekaden weltweit intensiviert, wobei die Museen und Ausstellungen über den Holocaust und den Zweiten Weltkrieg die Museumslandschaft dominieren. Die Zahl der Neugründungen und die der Besucher ist weltweit stetig gestiegen. In Lateinamerika haben heute fast alle Hauptstädte (sowie auch andere große Städte) ein Museo de la Memoria in den letzten Jahren eröffnet. Mit dem internationalen Museumsboom hat sich auch die Theorieproduktion und die daraus resultierte Theoriedebatte über ästhetische, kulturelle, soziale und politische Funktionen von (kulturhistorischen) Museen verstärkt. Daraufhin ist eine eigenständige Wissenschaft entstanden, die sich mit musealen Sachverhalten und ihren Facetten beschäftigt. Das Forschungsanliegen der Museologie (auch als Museum Studies46 bekannt) ist es, dem Entstehungskontext, in dem ein Museumsphänomen aufgetreten ist, nachzugehen. Ihr Erkenntnisziel ist insofern nicht das Museum an sich, sondern es sind die Phänomene, die zur Entstehung einer Musealisierungsinstitution führen, bzw. die Gründe, die ihre Entstehung motivieren:

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Peters, Stefan/Burchardt, Hans-Jürgen/Öhlschläger, Rainer (Hrsg.): Geschichte wird gemacht. Vergangenheitspolitik und Erinnerungskulturen in Lateinamerika. BadenBaden: Nomos Verlagsgesellschaft 2015. Molden, Berthold: Mnemohegemonics. Geschichtspolitik und Erinnerungskultur im Ringen um Hegemonie. In: Ders./Mayer 2009, S. 31–56, hier S. 35. Für einen umfassenden multidisziplinären Einblick in die Entwicklung der Museumsforschung sowie in die Bedeutung von Museen in der Gegenwart siehe: Macdonald, Sharon (Hrsg.): A Companion to Museum Studies. Malden MA u. a.: Blackwell Publishing 2006.

38 | Politische Gewalt ausstellen

Die Museologie untersucht, weshalb und wie der Einzelmensch und die Gesellschaft Dinge [oder auch Hinterlassenschaften anderer Art] wegen der ihnen zugeschriebene Werte musealisieren, (wissenschaftlich) bearbeiten (‚umsorgen‘) und kommunizieren (zeigen, ausstellen) – oder weshalb sie dies nicht tun.47

Der Museologe Peter van Mensch behauptete in den 1990er Jahren, die Museologie befinde sich auf dem Weg von einer empirisch-deskriptiven zu einer theoretisch-synthetisierenden Ebene.48 War sie früher von den Methoden anderer Disziplinen abhängig, entwickelt sich die Museologie heute zu einem eigenständigen Fach.49 In dem von Joachim Baur herausgegeben Sammelband zur Museumsanalyse wird Fragen bezüglich der eigenen Methodologie und theoretischen Positionierung dieses neuen Forschungsfeldes nachgegangen, indem die Autoren eine Art „analytischen Werkzeugkasten“ zur Verfügung stellen. 50 In diesem Zuge intensiviert sich darüber hinaus die Diskussion über mögliche Präsentationsformen sowie über die Ausstellbarkeit und Erzählbarkeit von Geschichte bzw. Zeitgeschichte, besonders wenn diese von Gewalt geprägt ist.51 Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem spezifischen Forschungsgegenstand Museos de la Memoria im südamerikanischen Kontext steht allerdings noch relativ am Anfang. Hier meine ich Museen, die mit staatlichen Mitteln finanziert werden und zum Zweck des Gedenkens neugebaut wurden. Viele Studien zu den Entstehungsprozessen (kultur-)historischer Museen verwenden komparative Ansätze. Im deutschen Sprachraum gibt es vor allem Studien, die 47 48

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Schärer, Martin R.: Die Ausstellung. Theorie und Exempel. München: Verlag Dr. C. Müller-Straten 2003, S. 47. Ausgehend vom historischen Kontext der Entstehung dieses Manuskripts identifizierte er drei Denkrichtungen innerhalb der Museologie: 1. eine mit marxistischleninistischer Prägung, die das Museum ideologisch instrumentalisiert; 2. eine neue Museologie, die den Fokus auf das kulturelle Erbe und die Identität lenkt; und 3. eine kritische Museologie, die sich mit der Beurteilung und Hinterfragung der eigenen institutionellen und kuratorischen Praxis sowie des gesamten Musealphänomens beschäftigt. Siehe: Van Mensch, Peter: Towards a Methodology of Museology. PhD Thesis, University of Zagreb, 1992. (Nicht veröffentlichtes Manuskript). Online verfügbar unter: http://www.muuseum.ee/et/erialane_areng/museoloo giaalane_ki/ingliskeelne_kirjand/p_van_mensch_towar/ (abgerufen am 02.08.2017). In Deutschland kann man an der Universität Würzburg seit dem Wintersemester 2010/2011 den Bachelor-Studiengang Museologie wählen sowie ab dem Wintersemester 2013/2014 einen Masterabschluss im Fach Musemswissenschaft erlangen. Baur, Joachim (Hrsg.): Museumsanalyse. Methoden und Konturen eines neuen Forschungsfeldes. Bielefeld: transcript 2010. Der Band namens Storyline. Narrationen im Museum beschäftigt sich mit Grenzen und Potenzialen von musealen Erzählstrategien und Präsentationsformen, wobei er auch Widersprüche thematisiert. Dabei stellen sich die Autoren u. a. die Frage danach, inwiefern Museen „eine“ konsensuale Geschichte erzählen müssen. Siehe: Martinz-Turek, Charlotte/Sommer, Monika: Storyline. Narrationen im Museum. Wien: Turia+Kant 2009.

Musealisierung der Erinnerung als interdisziplinäres Forschungsfeld | 39

sich mit dem Holocaust komparativ und zugleich transnational beschäftigen. 52 In seiner Studie zu Memorial Museums53 untersucht der US-amerikanische Museologe Paul Williams 24 Museen bzw. museumsverwandte Institutionen weltweit. Allerdings kommt es durch die sehr umfangreiche und heterogene Darstellung von Fallbeispielen zu keiner differenzierten Definition der neuen Kategorie Memorial Museum. Eine fundierte wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den modernen Konzepten historischer Museen, ihrer Entstehungsgeschichte und ihren (Re-) Präsentationsstrategien war im iberoamerikanischen Raum selten. Bisher wurde den Beziehungen zwischen Museumsanalyse und Erinnerungspolitik weitestgehend keine große Beachtung geschenkt.54 Da die hier behandelte Fallstudien vor nicht allzu langer Zeit entstanden sind – in Santiago im Jahre 2010 und in Lima im Jahr 2015 –, fehlt eine komparative Analyse der Musealisierungsprozesse. Die vorliegende Arbeit versucht, diese Lücke zu schließen. Das Thema dieser Studie, die Musealisierungsprozesse in den Post-Konflikt-Ländern Chile und Peru, umfasst das Forschungsfeld der Erinnerungspolitik aus einer kulturwissenschaftlichen Perspektive. In dieser Linie versucht die vorliegende Studie, mit einem interdisziplinären Ansatz neue Impulse in die Diskussion zu bringen. 52

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Siehe zum Beispiel: Pieper 2006; Köhr, Katja: Die vielen Gesichter des Holocaust. Museale Repräsentationen zwischen Individualisierung, Universalisierung und Nationalisierung. Göttingen: V&R Unipress 2012. Williams, Paul: Memorial Museums. The Global Rush to Commemorate Atrocities. Oxford/New York: Berg 2007. Das Dokumentationszentrum des Museo de la Memoria y los Derechos Humanos in Santiago hat eine Datenbank mit Masterarbeiten über das Museum. Die Anzahl an Arbeiten ist aber sehr gering: Mallea Toledo, Felipe: Museo de la Memoria y los Derechos Humanos de Santiago. El proceso de memorialización de la exhibición permanente bajo el enfoque de „controversias sociales“. Universidad Alberto Hurtado 2010; van Deen Heede, Else: El olvido está lleno de memoria: Writing history on the Pinochet era in Chile: A comparison of discourse between Villa Grimaldi, Parque por la Paz and Museo de la Memoria y los Derechos Humanos. Universidad de Gent 2011; Wolff Rojas, Astrid Tatiana: Exposiciones temporales de arte en el Museo de la Memoria y los Derechos Humanos en Santiago de Chile y el Museo de la Memoria en Rosario de Argentina. Los casos de Lonquén 2012 y Profanaciones. Instituto Nacional de Antropología e Historia 2015. Darüber hinaus sollen hier die Überlegungen von Nelly Richard Erwähnung finden, auch wenn sie sich nicht hauptsächlich mit dem Museum beschäftigt: Dies.: Crítica de la Memoria (1990–2010). Santiago: Ediciones Universidad Diego Portales 2010. Schließlich zwei Aufsätze, die sich kritisch und spezifisch mit dem Museum auseinandersetzen: Lazzara, Michael J.: Dos propuestas de conmemoración pública: Londres 38 y el Museo de la Memoria y los Derechos Humanos (Santiago de Chile). In: A Contracorriente, Vol. 8, Nr. 3, 2011, S. 55–90 und Pérez Silva, Joaquín: El „Museo de la Memoria y los Derechos Humanos“. Hacia la despolitización del recuerdo como estrategia de aceptación y legitimidad. In: Corporación Parque por la Paz Villa Grimaldi, Vol. VII, 2013, S. 69–90.

40 | Politische Gewalt ausstellen

2.2 GESCHICHTE, POLITIK, MEMORIA: KOMPLEXE BEGRIFFSKONSTELLATIONEN Im Zusammenhang mit der jüngsten Geschichte und der kollektiven Erinnerung an eine traumatische Vergangenheit wird eine Vielzahl von Konzepten und Termini sowohl in der Fachsprache als auch im alltäglichen Gebrauch verwendet, die teilweise unpräzise voneinander differenziert sind. Die verschiedenen Begrifflichkeiten werden zum Teil unterschiedlich konnotiert, zum Teil synonym verwendet oder uneinheitlich benutzt. Die Grenzen zwischen den Konzepten sind nicht immer klar, denn in der Praxis differenzieren sich einige davon teilweise nur in Nuancen. Ihre Bedeutungen und Anwendungen variieren zudem im Laufe der Zeit und je nach Kontext. Kontextspezifische Termini bezüglich der deutschen Geschichte werden hier deswegen mit Vorsicht behandelt, um zu vermeiden, dass diese bei einem transnationalen Konzepttransfer als allgemeingültig betrachtet werden. Um den Standpunkt der Arbeit und die vorhandenen theoretischen Verständnisse zu durchleuchten sowie eine terminologische Basis zu schaffen, wird im Folgenden in Form einer Übersicht eine Aufstellung der grundlegenden Begriffe und relevanten Ansätze ausgearbeitet. Der amerikanische Politikwissenschaftler Samuel P. Huntington55, der das Konzept der Demokratisierungswellen prägte, untersucht in seiner Studie The Third Wave das Phänomen des Übergangs von autoritären und totalitären Regimes in demokratische Systeme im späten 20. Jahrhundert in mehr als 30 Ländern weltweit. Als „dritte Demokratisierungswelle“ zählen die Transitionen in Südeuropa, Ostasien und in Lateinamerika sowie in den Ländern des Ostblocks.56 Eine Demokratisierungswelle ist laut Huntington: „[A] group of transitions from nondemocratic to democratic regimes that occur within a specified period of time and that significantly outnumber transitions in the opposite direction during that period of time.“57

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Bei seinen Thesen ist ein cultural turn erkennbar, indem Huntington Identität und kulturellen Unterschieden in der internationalen Politik eine wichtige Rolle zuschreibt. Allerdings sind sein Kulturbegriff und viele seiner konservativen und vom politischen Realismus geprägten Sichtweisen umstritten, insbesondere bezüglich der US-Militärpolitik. Für die vorliegende Studie ist nur seine theoretische und empirische Analyse zu den weltweiten Demokratisierungswellen von Relevanz. Manche Demokratietheoretiker bezeichnen den Zusammenbruch der Sowjetunion als die „vierte Demokratisierungswelle“. Vgl. Von Beyme, Klaus: Systemwechsel in Osteuropa. 1. Auflage. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1994. Siehe auch: Schmidt, Manfred G.: Demokratietheorien. Eine Einführung. 5. Auflage. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2010. Huntington, Samuel P.: The Third Wave. Democratization in the Late 20th Century. Norman: Universitiy of Oklahoma Press 1991, S. 15.

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Die Begrifflichkeiten Transition und Transformation werden im deutschsprachigen Raum zum Teil synonym verwendet, um denselben historischen Gegenstand zu beschreiben.58 Im iberoamerikanischen Sprachraum hat sich das Wort transición durchgesetzt, wobei zwischen transición a la democracia und transición democrática differenziert werden kann. Das erste Konzept bezeichnet die Endphase eines autoritären Regimes bis zum Inkrafttreten des neuen demokratischen Systems und kann auch die nachfolgende Konsolidierungsphase umfassen. Das zweite Konzept tritt oft in Bezug auf die spanische Transition auf und betrifft die Zeit zwischen dem Tod vom General Francisco Franco – und somit das Ende seiner Diktatur (1975) – und den demokratischen Wahlen (1977) bis hin zu der Inkraftsetzung einer neuen Verfassung (1978). Allgemein wird unter Transition der Übergang von einem nichtdemokratischen zu einem demokratischen System bzw. der gesamte Demokratisierungsprozess eines Landes nach dem Ende eines autoritären Systems verstanden. Autoren wie O’Donnell und Schmitter gehen allerdings nicht exklusiv von einem Übergang in ein demokratisches System aus, sondern definieren Transition als: [T]he interval between one political regime and another. […] Transitions are delimited, on the one side, by the launching of the process of dissolution of an authoritarian regime and, on the other, by the installation of some form of democracy, the return to some form of authoritarian rule, or the emergence of a revolutionary alternative. 59

Diese Definition bezieht sich auf eine klar festgelegte Zeitspanne. Trotzdem sollte man nicht schlussfolgern, dass es sich dabei um geradlinige Verläufe handelt. Transitionen sind nicht nur endgültige formale Systemwechselprozesse. Vielmehr sind sie von hoher Ungewissheit und von Rückschlägen gekennzeichnet und beinhalten, besonders in Lateinamerika, sowohl Rupturen als auch Kontinuitäten mit den vergangenen Systemen, sodass ein zeitlicher Rahmen oft schwer zu setzen ist. Es ist deswegen schwierig, festzustellen, wann genau eine Transition anfing, wann ein Bürgerkrieg oder eine Diktatur bzw. die dazugehörige Gewalt und Repression endete und/oder ob der Übergang zu einem demokratischen System tatsächlich der Realität entspricht. Im Kontext der übergeordneten Thematik der Transitionsforschung rückte die Problematik des Umgangs mit der autoritären Vergangenheit und der Aufar58

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Autoren wie Wolfgang Merkel bevorzugen den Begriff Transformation, um den besonderen Fall im postkommunistischen Osteuropa zu schildern. Siehe: Merkel, Wolfgang: Systemtransformation: Eine Einführung in die Theorie und Empirie der Transformationsforschung. 2. Auflage. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2010. O’Donnell, Guillermo/Schmitter, Philippe C.: Transitions from Authoritarian Rule. Tentative Conclusions about Uncertain Democracies. 4. Band. Baltimore/London: John Hopkins University Press 1986, S. 6.

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beitung von Menschenrechtsverletzungen in dem Vordergrund. Huntington beschäftigt sich mit dem von ihm als „torturer problem“ genannten Phänomen und kommt auf der Basis empirischer und historischer Untersuchungen im Kapitel Guidelines for Democratizers zu dem Schluss, dass zumindest eine öffentliche Aufklärung erfolgen sollte, auch wenn er nicht der Ansicht ist, dass immer eine Strafverfolgung vonnöten ist.60 In diesem Sinne hat sich seit den 1990er Jahren weltweit sowohl in der Praxis als auch in der Forschung für die Mechanismen und Praktiken der Aufarbeitung von Menschenrechtsverletzungen in vergangenen gewalttätigen Großkrisen die englische Bezeichnung Transitional Justice eingebürgert.61 Das im Jahr 2001 gegründete International Center for Transitional Justice definiert sie wie folgt: Transitional Justice refers to the set of judicial and non-judicial measures that have been implemented by different countries in order to redress the legacies of massive human rights abuses. These measures include criminal prosecutions, truth commissions, reparations programs, and various kinds of institutional reforms.62

Diese Maßnahmen juristischer, politischer und symbolischer Art verfolgen das Ziel, geschehenes Unrecht und die damit verbundene Instabilität wieder gutzumachen sowie erneuten politischen Gewaltzyklen vorzubeugen. Der Fokus liegt dabei auf den Opfern und deren Hinterbliebenen, zum Beispiel durch öffentliche Anerkennung oder die Festlegung von Entschädigungen; es geht allerdings weniger um eine strafrechtliche Verfolgung der Täter. Obwohl sich diese Maßnahmen auf Ereignisse der Vergangenheit beziehen, sind sie „nicht nur vergangenheitsorientiert, sondern verstehen sich auch zunehmend als zukunftsorientiert“63. Im deutschsprachigen Raum ist es genau dieser Umgang mit den Hinterlassenschaften des Vorgängersystems, sei er juristischer, historischer, politischer, sozialer oder kultureller Art, der uns eine Vielzahl an Definitionen und Konzepten beschert, sowohl in Fachkreisen, als auch im öffentlichen Sprachgebrauch. Als „populär“, „umstritten“ und „typisch deutsch“ bezeichnet Peter Reichel das

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Vgl. Huntington 1991, S. 211–231, hier S. 209. Für eine fundierte Studie zur Transitional Justice, welche einen historischen, juristischen und komparativen Ansatz verfolgt, siehe: Teitel, Ruti G.: Transitional Justice. Oxford u. a.: Oxford University Press 2000. Für einen Überblick über eine historische und rechtliche Periodisierung des Konzepts, seine Entwicklung als Begriff und Praxisfeld sowie seine Entstehung als eigenständigen Forschungsgegenstand siehe Artikel von Anne K. Krüger in: Docupedia-Zeitgeschichte. Online verfügbar unter: https://docupedia.de/zg/Transitional_Justice (abgerufen am 02.08.2017). Für einen Überblick im lateinamerikanischen Kontext siehe die Einleitung des Sammelbands: Halbmayer/Karl 2012, S. 7–30. http://ictj.org/about/transitional-justice (abgerufen am 12.10.2017). Vgl. Halbmayer/Karl 2012, S. 15.

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Wort Vergangenheitsbewältigung.64 Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde der Begriff im deutschsprachigen Raum mit der Aufarbeitung des Nationalsozialismus und des Holocausts in Verbindung gebracht; er wurde jedoch nicht direkt als analytische Kategorie, sondern als gängiger Begriff in den Medien und in der Alltagspolitik verwendet. Die deutsche Diskussion um die Bezeichnung „bewältigen“ wurde stark moralisch geführt: Man könne sich an die Vergangenheit erinnern, sie vergessen oder verdrängen, aber man könne sie nicht „bewältigen“ bzw. erledigen, da sie schon geschehen sei.65 Die oft negativ konnotierte Bewältigung spiegele keine ernsthafte bzw. eine unzureichende Auseinandersetzung mit der Vergangenheit wider, lasse gar einen gewollten Schlussstrich erahnen und demzufolge bestehe keine Garantie für die Vermeidung einer potenziellen Wiederholung des Geschehens.66 Mit der Zeit wurde der ursprüngliche Gebrauch von Vergangenheitsbewältigung nicht mehr nur auf den territorialen und temporalen deutschen Kontext limitiert, sondern zu einem allgemeinen Terminus, der sich auf die Abschaffung einer Diktatur und deren Ersatz mit demokratischen Institutionen bezieht.67 Der deutsche Politikwissenschaftler Helmut König versteht unter Vergangenheitsbewältigung: [Die] Gesamtheit jener Handlungen und jenes Wissens […], mit der sich die jeweiligen neuen demokratischen Systeme zu ihren nichtdemokratischen Vorgängerstaaten verhalten. Es geht dabei vor allem um die Frage, wie die neu etablierten Demokratien mit den strukturellen, personellen und mentalen Hinterlassenschaften ihrer Vorgängerstaaten umgehen und wie sie sich in ihrer Selbstdefinition und ihrer politischen Kultur zu ihrer jeweiligen belastenden Geschichte stellen.68 64

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Reichel, Peter: Vergangenheitsbewältigung in Deutschland. Die Auseinandersetzung mit der NS-Diktatur in Politik und Justiz. 2. Auflage. München: C.H. Beck 2007, S. 20. Zu der Diskussion um den Begriff Vergangenheitsbewältigung siehe u. a.: Steinbach, Peter: Vergangenheitsbewältigung in vergleichender Perspektive. Politische Säuberung, Wiedergutmachung, Integration. Öffentlicher Vortrag anlässlich der 34. Jahrestagung der Historischen Kommission zu Berlin am 12. Februar 1993 (Informationen der Historischen Kommission zu Berlin, Beiheft Nr. 18); König, Helmut/ Kohlstruck, Michael/Wöll, Andreas (Hrsg.): Vergangenheitsbewältigung am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts. Opladen: Westdeutscher Verlag 1998; Arenhövel, Mark: Demokratie und Erinnerung. Der Blick zurück auf Diktatur und Menschenrechtsverbrechen. Frankfurt am Main/New York: Campus Verlag 2000. Theodor Adorno kritisiert den bundesrepublikanischen Umgang mit den Hinterlassenschaften der Nazi-Diktatur in seinem berühmten Vortrag Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit? von 1959. Darin vermutet er, man wolle einen Schlussstrich bezüglich der Täterverantwortung ziehen. Siehe: Ders.: Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit? In: Ders.: Kulturkritik und Gesellschaft II. Eingriffe. Stichworte. (Hrsg. von Rolf Tiedemann). Frankfurt am Main: Suhrkamp 1977, S. 555–572. Vgl. Ruderer 2010, S. 28 f. Vgl. Meyer 2008, S.173–180, hier S. 174. König, Helmut: Von der Diktatur zur Demokratie oder Was ist Vergangenheitsbewältigung. In: Ders. u. a. 1998, S. 371–392, hier S. 375.

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Bei dieser Definition wird vorausgesetzt, dass es sich bei dem neuen System um eine etablierte Demokratie handelt. Diese an europäische Erfahrungen angelehnte Sicht geht von einem eindeutigen Neuanfang und einer neuen demokratischen Regierung aus, welche über Handlungsspielräume gegenüber dem vorherigen Regime verfügt.69 Inwiefern diese Annahme auf die hier untersuchten Länder zutrifft, wird Stoff späterer Überlegungen sein. Für Norbert Frei ist der Begriff Vergangenheitspolitik „viel präziser“ als Vergangenheitsbewältigung und bezeichnet „einen politischen Prozeß, der sich ungefähr über eine halbe Dekade erstreckte und durch hohe gesellschaftliche Akzeptanz gekennzeichnet war, ja geradezu kollektiv erwartet wurde“70. Frei, der diesen Begriff geprägt hat, bezieht sich in seiner empirischen Studie allerdings auf den bundesdeutschen Umgang mit den Hinterlassenschaften des Dritten Reichs in den 1950er Jahren. Es ging vor allem um die Amnestierung und Integration ehemaliger Anhänger des Nationalsozialismus. Nicht die Opfer, sondern die Täter waren laut Frei die Adressaten; er sieht hier einen klaren Profit bei den Tätern, denn „den meisten der von den Alliierten bestraften Kriegsverbrechern und vielen der von gewöhnlichen Gerichten verurteilten NS-Tätern kam die Vergangenheitspolitik zugute“71. Er bezieht sich vor allem auf die strafrechtliche und politische Aufarbeitung während der unmittelbaren deutschen Nachkriegszeit. Deswegen kann sie nur bedingt für den lateinamerikanischen Kontext Verwendung finden: Während hier der prozessorientierte Aspekt, der für der Vergangenheitspolitik charakteristisch ist, deutlich wird, ist dagegen die vom Autor vorgeschlagene zeitliche Umrahmung problematisch. Je nach Land und politischem Umstand kann diese – wie bereits angedeutet – stark variieren und deutlich länger dauern, denn die Prozesse sind dynamisch und konjunkturabhängig und lassen sich schwer festlegen. Ein weiterer Aspekt, der eine Übertragung dieser Definition erschwert, betrifft die gesellschaftliche Akzeptanz und die kollektive Erwartung der Bevölkerung: In den lateinamerikanischen Ländern, die mit den Konsequenzen politischer Gewalt und massiver Menschenrechtsverletzungen zu kämpfen haben, ist die Vergangenheitspolitik nicht immer willkommen gewesen, und teilweise hat sie die Gesellschaft stark polarisiert. Die Politikwissenschaftler Ruth Fuchs und Detlef Nolte schlugen einen wissenschaftlich-analytischen Weg für eine Konzeptualisierung im lateinamerikanischen Kontext vor, allerdings auf die Ebene des politischen Systems beschränkt. Fuchs und Nolte betrachten die Vergangenheitspolitik als ein eigenes Politikfeld und verstehen darunter den staatlichen Umgang mit den während einer Diktatur 69 70 71

Vgl. Ruderer 2010, S. 30. Frei, Norbert: Vergangenheitspolitik. Die Anfänge der Bundesrepublik und die NSVergangenheit. München: Deutscher Taschenbuch Verlag 1999, S. 13. Ebd., S. 14.

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oder einem Bürgerkrieg begangenen Menschenrechtsverletzungen und Gewalttaten. Dies umfasst vor allem institutionelle Regelungen, Gesetze und Normen, Initiativen und Aktivitäten der Legislative, der Exekutive und der Justiz. Hierzu gehört außerdem die Tätigkeit der Verwaltung im „Umgang mit den materiellen, personellen und sozialpsychologischen Hinterlassenschaften vorausgegangener Diktaturen und Bürgerkriege“72. Während Fuchs und Nolte sich in ihrer Definition von Vergangenheitspolitik nur auf die politische und rechtliche Aufarbeitung beziehen, erweitert Sandner den Begriff auf die Ebene des kulturellen Umgangs einer Gesellschaft mit solchen Hinterlassenschaften, „ohne dabei symbolische Politikformen oder Diskurspolitik auszuschließen“73. So auch Meyer, der die Aufarbeitung der Vergangenheit noch weiter zuspitzt und folgendermaßen beschreibt: This process of coming to terms with the history […] includes activities, both of a developing civil society and of the political-administrative system, which impact the political public sphere, scholarly research, political education, cultural representation by means of artistic, as well as institutionalized commemoration through monuments, museums, and memorial days.74

Die Vielschichtigkeit dieses Prozesses und seine Wirkung auf mehreren Ebenen werden in Meyers Definition deutlich; dort werden die wichtigsten Handlungsfelder der Aufarbeitung impliziert, nämlich: Vergangenheitspolitik, Geschichtspolitik, Erinnerungspolitik sowie Erinnerungskultur. Um diese Handlungsfelder besser voneinander zu differenzieren, haben deutsche Forscher sich bemüht, eine Art Katalogisierung zu entwickeln, mit der Absicht, systematischer an die Analyse des Problemfelds heranzugehen und dessen Komplexität zu strukturieren. So wird beispielsweise nach Akteuren unterschieden: Für die Vergangenheitspolitik sei der Staat zuständig, während im Bereich der Erinnerungspolitik durchaus andere, gerade nicht-staatliche Akteure rege mitwirken können. Ein weiterer Systematisierungsversuch richtet sich nach den Dimensionen der Aufarbeitung. Die Politikwissenschaftler S. Schmidt, G. Pickel und S. Pickel unterteilen sie in zwei Dimensionen: Zum einen eine juristische Aufarbeitung, die sich mit der Feststellung und Bestrafung der Täter sowie der Entschädigung der Opfer befasst. Zum anderen eine gesellschaftlich-kulturelle Aufarbeitung, 72

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Fuchs, Ruth/Nolte, Detlef: Politikfeld Vergangenheitspolitik: Zur Analyse der Aufarbeitung von Menschenrechtsverletzungen in Lateinamerika. In: Lateinamerika Analysen 9, Oktober 2004, Hamburg: IIK (Institut für Iberoamerikakunde), S. 59– 92, hier S. 66. Sandner, Günther: Hegemonie und Erinnerung. Zur Konzeption von Geschichts- und Vergangenheitspolitik. In: Österreichische Zeitschrift für Politikwissenschaft 30/1, Wien 2001, S. 5–17, hier S. 7. Meyer 2008, S. 174.

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die erinnerungskulturelle Aspekte wie Gedenktage und Gedenkveranstaltungen beinhaltet sowie die wissenschaftliche Analyse und die Thematisierung in Medien, Bildung, Kultur und Kunst miteinbezieht. Beide Dimensionen, so die Autoren, müssen nicht unbedingt gleichzeitig erfolgen.75 Fuchs und Nolte strukturieren den Prozess der Aufarbeitung von Menschenrechtsverletzungen ebenfalls in zwei Dimensionen: einerseits eine rechtliche und anderseits eine politisch-historische Dimension. Die Auseinandersetzungen über die rechtliche Aufarbeitung der Menschenrechtsverletzungen umfassen die Identifizierung der Täter und Opfer sowie den Entwurf von Gesetzen, die über den Umgang mit den jeweiligen Gruppen entscheiden. Es gibt in diesem Bereich sowohl negative Maßnahmen (Bestrafung bestimmter Handlungen) als auch positive Maßnahmen (Mechanismen für eine Entschädigung und Rehabilitation der Opfer).76 Die Dimension der politisch-historischen Aufarbeitung von Regimeverbrechen beschäftigt sich vor allem mit der „Erfassung und Dokumentation der Menschenrechtsverletzungen, die während der Diktatur begangen worden waren, und deren nachfolgende Bewertung im offiziellen politischen Diskurs“77. Dieser könne sich, so die Autoren, unterschiedlich manifestieren und verfestigen, beispielsweise in der Darstellung der Ereignisse in Schulbüchern oder bei der Errichtung von Gedenkstätten. Beide Dimensionen sind nicht scharf voneinander trennbar, da es immer wieder zu Überschneidungen kommen kann: Vergangenheitspolitische Instrumente können gleichzeitig auf beide Dimensionen auswirken, zum Beispiel im Bereich der Rehabilitationsleistungen. Diese haben sowohl eine rechtliche Komponente als auch symbolischen Charakter, der in der historischen Aufarbeitung von Bedeutung ist. Für den politischen Umgang mit Geschichte hat sich allgemein die Bezeichnung Geschichtspolitik durchgesetzt. Ähnlich wie Vergangenheitsbewältigung war der Begriff Geschichtspolitik im deutschsprachigen Raum umstritten, mit einer moralisch-normativen Komponente versehen und seine Verwendung nicht analytisch, sondern eher politisch.78 Eingebettet im Kontext des Historikerstreits in den 1980er Jahren wurde das manipulative Potenzial der Geschichtspolitik kritisch hinterfragt: Wer Geschichtspolitik betreibe, instrumentalisiere dadurch 75

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Vgl. Schmidt, Siegmar/Pickel, Gert/Pickel, Susanne: Einführung: Einige Thesen zur Signifikanz des Umgangs mit der Vergangenheit. In: Dies.: Amnesie, Amnestie oder Aufarbeitung. Zum Umgang mit autoritären Vergangenheiten und Menschenrechtsverletzungen. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2009, S. 7–22, hier S.10. Vgl. Fuchs/Nolte 2004, S. 82. Fuchs/Nolte, in: Landkammer u. a. 2006, S. 134. Zur Entwicklung der Begriffsverwendung Geschichtspolitik siehe: Kohlstruck, Michael: Erinnerungspolitik: Kollektive Identität, Neue Ordnung, Diskurshegemonie. In: Schwelling 2004, S. 173–194, insbesondere S. 178–181.

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die Geschichte, um bestimmte Ziele in der Gegenwart zu erreichen. Heute hat die Bezeichnung zwar nicht mehr per se diese pejorative Geltung, es kann aber gleichzeitig nicht geleugnet werden, dass in der Tat politisches Handeln stetig durch historische Ereignisse und Referenzen in der Gegenwart gerechtfertigt wird. Der Historiker Stephan Ruderer weist auf das diskursive Spannungsverhältnis zwischen Geschichte und Politik hin und sagt in diesem Zusammenhang: „Geschichtspolitik spiegelt die gegenwartsorientierte Dimension der Vergangenheitsaufarbeitung, die immer auch der Legitimierung der aktuellen politischen Situation dient“79 und gleichfalls einen zukunftslegitimierenden Diskurs innehat.80 Laut Peter Steinbach sei es sogar das Ziel der Geschichtspolitik, „politische Entscheidungen historisch zu legitimieren (und auf diese Weise gegen Kritik zu immunisieren)“81. Der Zeithistoriker Berthold Molden sieht Geschichtspolitik als den allgemeinsten der Begriffe bezüglich des Umgangs mit der Vergangenheit und versteht darunter: „[J]edes gesellschaftliche Handeln [und nicht nur politisches; F.A.], das sich wesentlich auf historische Referenzpunkte stützt und/oder die Deutung von Geschichte zu beeinflussen versucht.“82 Deutung wird in diesem Kontext von Christian Lotz als „eine spezifische, strukturierte Erzählung eines Ereignisses oder einer Ereigniskette, ihrer Ursachen und Folgen und/oder die Charakterisierung einer Person, eines Ortes, Raumes oder Sachzusammenhangs in der Geschichte“83 definiert. Da sie eine öffentliche Wirksamkeit beabsichtigt, wird sie sprachlich oder auf einer anderen Art und Weise nach außen ausgerichtet. Die vielfältigen Formen des Umgangs mit der Vergangenheit hat der Politikwissenschaftler Peter Reichel in einer Gesamtdarstellung zusammengefasst. Gewiss auf Deutschland bezogen, entwickelte er einen Katalog, der vier „verschiedene, spannungsreich gegeneinander abgegrenzte und miteinander verknüpfte“84 Handlungsfelder der Vergangenheitsbewältigung beinhaltete. Das erste Handlungsfeld umfasst die politisch-justizielle Auseinandersetzung mit den 79 80 81

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Ruderer 2010, S. 13. Vgl. ebd., S. 39. Steinbach, Peter: Geschichtspolitik als Demokratiepolitik. In: Friedrichs, Werner/ Lange, Dirk (Hrsg.): Demokratiepolitik. Vermessungen – Anwendungen – Probleme – Perspektiven. Wiesbaden: Springer VS 2016, S. 207–228, hier S. 219. Molden, Bethold: Mnemohegemonics. Geschichtspolitik und Erinnerungskultur im Ringen um Hegemonie. In: Ders./Mayer, David (Hrsg.): Vielstimmige Vergangenheiten – Geschichtspolitik in Lateinamerika. Wien/Berlin: Lit Verlag 2009, S. 31– 56, hier S. 45. Lotz, Christian: Die Deutung des Verlusts. Erinnerungspolitische Kontroversen im geteilten Deutschland um Flucht, Vertreibung und die Ostgebiete (1948–1972). Köln u. a.: Böhlau Verlag 2007, S. 6. Reichel 2007, S. 9 f.

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Folgen einer Diktatur und deren Verbrechen. Das zweite betrifft die Geschichte der öffentlichen Erinnerungs- oder Memorialkultur, welches laut Reichel die emotionale Hinwendung zur Vergangenheit und ihren Toten in rituellen Erinnerungsfeiern und Gedenktagen, Gedenkstätten und Denkmälern bedeutet. Drittens geht es um die Geschichte der ästhetischen Kultur, demnach die subjektive Vergegenwärtigung der Vergangenheit in den künstlerischen Medien wie zum Beispiel in Spielfilm, Theater oder Literatur, und schließlich um die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Geschichte und die Deutung der Vergangenheit. Ohne Rücksicht auf den Deutschlandbezug könnte man prinzipiell die Kriterien, auf die sich Reichel bezieht, auch für andere Kontexte verwenden. Trotz Reichels tatsächlichem Schwerpunkt in den Bereichen Politik und Recht wird in seinem Katalog deutlich, dass er die Thematik als gesamtgesellschaftliches Phänomen betrachtet. Da er in seiner Konzeption auch den Bereich der Erinnerungskultur sowie die Repräsentationen des Erinnerns berücksichtigt, sind seine Überlegungen für die vorliegende Studie von besonderer Bedeutung. In erster Linie beschäftigt sich diese Arbeit mit dem zweiten Handlungsfeld, d. h., mit den Aspekten der öffentlichen Erinnerungskultur, wobei ästhetische und subjektive Aspekte sowie ihre Materialisierung in Medien (hier Museen oder ästhetische Repräsentationen) auch essenziell sind. Allerdings kann man das erste Handlungsfeld, das die politisch-justizielle Auseinandersetzung betrifft, nicht außer Acht lassen, da alle Manifestationen des Erinnerns und Vergessens nicht in einem Vakuum, sondern als Resultat oder Reaktion auf politische Entscheidungen stattfinden. „Für die Erinnerungskultur sind die politischen Verhältnisse relevant, insofern sie das kulturelle an das politische Teilsystem anschließt.“ 85 Es wird in der vorliegenden Studie angenommen, dass staatliches Handeln in Bezug auf Geschichte und Erinnerung Rückwirkungen auf die soziale Erinnerungskultur hat, und umgekehrt die Erinnerungskultur die offiziellen politischen Maßnahmen beeinflusst. Daher kann man schlussfolgern, dass Erinnerungspolitik und Erinnerungskultur sich gegenseitig bedingen. In der wissenschaftlichen Forschung sowie in der öffentlichen Diskussion um die Memoria-Thematik wird die Bezeichnung Erinnerungspolitik zwar seit den 1990er Jahren oft verwendet, um die oben genannten Aspekte Geschichte, Politik und Erinnerung miteinander in Verbindung zu setzen. Es fehlt jedoch in der Regel eine klare Konzeptualisierung als eigenständiges Untersuchungsfeld. Der Politikwissenschaftler Mark Arenhövel verwendet beispielsweise den Begriff Erinnerungspolitik für seine Unterscheidung in die drei Ebenen Politik, Recht und Moral, ohne dabei eine trennscharfe Differenzierung zwischen Ver85

Reichel, Peter: Politik mit der Erinnerung. Gedächtnisorte im Streit um die Nationalsozialistische Vergangenheit. München: Carl Hanser Verlag 1995, S. 26.

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gangenheitspolitik und Erinnerungspolitik zu machen. Er nennt beispielsweise das Kapitel, in dem er seinen Katalog vorschlägt, „Drei Ebenen der Vergangenheitspolitik: Politik, Recht und Moral“; den Katalog selbst betitelt er jedoch „Dimensionen der Erinnerungspolitik in jungen Demokratien“86. Er nährt sich also dem Konzept der Erinnerungspolitik durch eine seiner Komponenten, der Begriff als wissenschaftliche analytische Kategorie wird vorher jedoch nicht definiert. Für Berthold Molden befasst sich Erinnerungspolitik mit einem bestimmten Sektor des Geschichtsfeldes: „Ihr geht es um Diskurse der von einer konkreten Vergangenheit direkt Betroffenen, um Erfahrungsgemeinschaften meist traumatischer Ereignisse […] und um ihre Interventionen.“87 Zur Erinnerungspolitik gehören sowohl politisch-kulturelle als auch politisch-institutionelle Maßnahmen, die die Erinnerung an das Vergangene wach halten und die demokratischen Transitionsprozesse begleiten sollen. Hierzu zählen Formen der Repräsentation, Fragen zur nationalen Versöhnung sowie zivilgesellschaftliche Partizipation für eine zukunftsorientierte Erinnerungsarbeit. Die politischen Erinnerungsdiskurse und -praktiken leiten sich aus Machtverhältnissen ab, sodass dabei stetig Macht und Druck ausgeübt wird. Demgemäß kann man Erinnerungspolitik als Kampf um die Meistererzählung der Geschichte definieren, die nicht nur auf staatlicher und/oder institutioneller Seite, sondern durchaus auch durch die Initiativen anderer Erinnerungsakteure mitbestimmt wird. Hierzu wird zwischen einer offiziellen Erinnerungspolitik und einer Erinnerungspolitik von unten differenziert. Bei der ersten geht es um die von Regierungen ergriffenen Maßnahmen, „um das (nationale) Kollektive Gedächtnis fortwährend in ihrem Sinn (neu) zu gestalten“ 88 und somit einen hegemonialen Erinnerungsdiskurs zu etablieren. Die zweite handelt von Erinnerungspraktiken zivilgesellschaftlicher Akteure, die in der Regel – jedoch nicht zwingend – ähnliche Interessen vertreten und eine Gruppenidentität bewahren. 89 Im latein86 87 88

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Arenhövel 2000, S. 26. Molden 2009, S. 43. Hünecke, Silke: Überwindung des Schweigens. Verdrängte Geschichte, politische Repression und Kollektives Trauma als Gegenstand der Arbeit der erinnerungspolitischen Bewegung im spanischen Staat. Freie Universität Berlin 2013, S. 14. Diese Annahme entstammt aus der – noch – ungedruckten Version ihrer Dissertation. Online verfügbar unter: http://www.diss.fu-berlin.de/diss/servlets/MCRFileNo deServlet/FUDISS_derivate_000000014074/Onlineversion_xberwindung_des_Schw eigens.pdf (abgerufen am 12.10.2017). Zur gedruckten Version siehe: Dies.: Überwindung des Schweigens: Erinnerungspolitische Bewegung in Spanien. Münster: Edition Assemblage 2015. Bei diesen Gruppen handelt sich jedoch keinesfalls immer um homogene Gruppen mit identischen Zielen. Ein bekanntes Beispiel dafür ist die Organisation Madres de Plaza de Mayo. Die vielleicht legendärste und einflussreichste Opferbewegung Lateinamerikas zeichnete sich im Laufe ihrer Geschichte durch interne Konflikte aus,

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amerikanischen Kontext vertreten diese Akteure oft eine andere Kultur des Erinnerns – nicht selten konträr zu den nationalstaatlichen Interessen. Vergleicht man die geschilderten Definitionen von Erinnerungspolitik und Geschichtspolitik, fällt schnell auf, dass sie ähnlich konnotiert sind, vor allem, wenn es um die Deutungs- und Legitimationskonflikte geht. In dieser Arbeit wird jedoch der Begriff Erinnerungspolitik bevorzugt, weil er das Akteurspektrum erweitert. Nicht nur das nationalstaatliche Handeln bezüglich des Gedenkens – oder unter Umständen des Vergessens –, sondern auch die Erinnerungsinterventionen seitens zivilgesellschaftlicher und politischer Eliten sowie weiterer Interessengruppen einer Erinnerungssubkultur werden berücksichtigt. Diese Interventionen können eine diskursive, institutionelle und/oder aktivistische Form innehaben90 und sind für die Musealisierungsprozesse von großer Bedeutung. Um sich manifestieren zu können, benötigen die Strategien des Erinnerns Ausdrucksmedien, die sich beständig wahrnehmen lassen. Dazu zählen beispielsweise die Umwidmung und Neudeutung emblematischer historischer Orte sowie die Einrichtung von Gedenkstätten, Mahnmalen und Museen. Alle diese Ausdrucksformen werden zum Bestandteil der Erinnerungskultur eines Landes und prägen es dauerhaft. Das Konzept der Erinnerungskultur lässt sich allgemein definieren als die Form des Umgangs einer Gruppe oder Gesellschaft mit der Geschichte ihres Lebensraumes. Doch die Erinnerungskultur ist kein spontanes Abbild der Erinnerungen der Bewohner eines Landes, sondern das Ergebnis kultureller Wandlung, sozialer Verhandlungen und politischer Entscheidungen.91 Für den Historiker Christoph Cornelißen ist Erinnerungskultur als „formaler Oberbegriff für alle denkbaren Formen der bewussten Erinnerung an historische Ereignisse, Persönlichkeiten und Prozesse zu verstehen, seien sie ästhetischer, politischer oder kognitiver Natur“92. Im Vordergrund stehen dabei die kollektiven wie individuellen Verständnisse historischer Zusammenhänge aus einer gegenwärtigen Perspektive, wobei die Darstellung historisch-objektiver Kenntnisse nebensächlich ist. Der Historiker Habbo Knoch liefert folgende Definition: „Es geht um jenen Bereich der öffentlichen Kommunikation, der symbolischen Verfestigung und

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sodass bereits 1986 eine offizielle Trennung der Organisation in Asociación Madres de Plaza de Mayo und Madres de Plaza de Mayo. Línea Fundadora erfolgte. Vgl. Kastner, Jens: Zeitgenössische Kunst als erinnerungspolitisches Medium in Lateinamerika. In: Molden/Mayer 2009, S. 191–214, hier S. 192. Vgl. Carrerras, Sandra: Die öffentliche Erinnerungskultur in Argentinien. In: Birle/ Gryglewski/Schindel 2009, S. 47–62, hier S. 53. Cornelißen, Christoph: Was heißt Erinnerungskultur? Begriff – Methoden – Perspektiven. In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 54, 2003, S. 548–563, hier S. 555.

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des praktischen Gedenkens von Deutungen historischen Geschehens, in denen sich eine Gesellschaft mit Ereignissen und Traditionen auseinandersetzt, die mit ihr verbunden sind oder verbunden werden.“93 Hinter dieser Formulierung stehen die gegenwärtigen sozialen Bedürfnisse nach Zukunftsorientierung. Es handelt sich sowohl um ein ästhetisches als auch um ein politisches Handlungsfeld, das ein umkämpftes Terrain darstellt.94 Die Erinnerungskultur findet auf institutioneller Ebene Ausdruck in staatlichen und privaten Archiven sowie in Dokumentationszentren, in denen spezielle Thematiken wissenschaftlich aufgezeigt und öffentlich zugänglich gemacht werden. In Form von Denkmälern, Erinnerungsstätten, Gedenktafeln und Gedenktagen werden geschichtliche Ereignisse ins Bewusstsein gerufen. Zu den üblichen Formen der medialen Darstellung gehören museale Ausstellungen sowie andere ästhetische Manifestationen wie (dokumentarische) Filme oder Biografien. Derart wird Geschichtsbewusstsein verbreitet und Erinnerungskultur materialisiert. Reichel formuliert dies wie folgt: Materialisierung und Demokratisierung der Erinnerungskultur haben ihren Niederschlag zunächst in den neuen Medien der Repräsentation des Vergangenen und den erweiterten Speicherkapazitäten gefunden; ferner in der Zunahme und Pluralisierung der Akteure und der Erweiterung des Publikums, das von diesen erinnerungskulturellen Ressourcen Gebrauch macht: den neuen großen nationalen Museen, Kunstsammlungen, Bibliotheken und sonstigen Denkmälern bis zur massenhaften Beteiligung an Erinnerungsfesten.95

Auf diese Weise nimmt die Erinnerungskultur de facto Gestalt an und wird medial vermittelt. Auch geschichtspolitische Kontroversen wirken auf die Ausgestaltung der Erinnerungskultur.96 Sie kann durch gesellschaftlich-politische Auseinandersetzungen und durch die mediale Vermittlung von Geschichte beeinflusst werden. Im Hinblick darauf spielen politische Prozesse, kommunikativer Austausch, rituelle Wiederholungen, kulturelle Praktiken sowie Formen der Geschichtsaneignung eine entscheidende Rolle. In Verbindung mit der Erinnerung an die jüngere Geschichte in Lateinamerika und in Spanien hat sich im iberoamerikanischen Sprachraum der Begriff memoria histórica (historisches Gedächtnis) sowohl in der Alltagssprache als auch in Fachkreisen etabliert. Allerdings ist es wichtig, zu betonen, dass dieses Kon93 94 95 96

Knoch, Habbo: Die Tat als Bild. Fotografien des Holocaust in der deutschen Erinnerungskultur. Hamburg: Hamburger Edition 2001, S. 23 f. Vgl. Reichel 1995, S. 23. Reichel 1995, S. 2. Vgl. Meyer, Erik: Geteilte Erinnerung. Geschichtspolitik und politische Kultur am Beispiel der Gedenkstätte Buchenwald. In: Spiegel der Forschung. Wissenschaftsmagazin der Justus-Liebig-Universität Gießen 18, Nr. 1, 2001, S. 76–83, hier S. 77. Online verfügbar unter: http://geb.uni-giessen.de/geb/volltexte/2007/4037/pdf/SdF 2001_1-S76-83.pdf (abgerufen am 12.10.2017).

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zept nicht einheitlich in den verschiedenen Ländern verwendet wird. Außerdem fehlt es an Präzisierungen bezüglich seiner Reichweite und Anwendung. Manche Wissenschaftler verwenden das Konzept memoria histórica als eigenständige analytische Kategorie, während andere, beispielsweise Aktivisten, es als Gegenpol zu historia oficial (offizielle Geschichtsschreibung) interpretieren. Die Bezeichnung memoria histórica beinhaltet zwei Konzepte, die traditionell voneinander getrennt wurden, mit der Begründung, sie seien ausschließend und inkompatibel miteinander. Geschichte, so die Annahme, sei kritisch und analytisch, während Erinnerung eher subjektiv, emotional, fragmentarisch und empfänglich für Manipulationen sei. Erinnerungen haben einen permanenten Gegenwartsbezug und sind daher flüchtig und anpassungsfähig, während Geschichte sich an zeitlichen Kontinuitäten bindet.97 Geschichte beschäftigt sich mit der Vergangenheit und versucht, eine – möglichst neutrale, jedoch immer unvollständige – Rekonstruktion und Repräsentation der historischen Ereignisse wiederzugeben. Dass diese letzte Annahme de facto nicht partout stimmt, lässt sich immer wieder feststellen. Die Geschichtsschreibung wendet auch – bewusst oder unbewusst – subjektive und selektive Mechanismen an, sodass gegenwärtige Kontexte und Wertvorstellungen auf sie einwirken können.98 Das Konzept memoria histórica wird heutzutage vor allem im Kontext der jüngeren Geschichte des Kontinents (Militärdiktaturen, Konflikte, Menschenrechtsverletzungen) gebraucht, d. h., nachdem die Mehrheit der Länder in der Region politische und juristische Mechanismen der Wiedergutmachung eingeführt haben. Es handelt sich dabei um ein historiografisches Konzept, das sich mit dem Bemühen verschiedener Akteure um die Rekonstruktion, das Gedenken und die Pflege ihrer gemeinsamen historischen Vergangenheit beschäftigt. Dabei hat die Oral History in Form von testimonios große Bedetung. Im iberoamerikanischen Kontext wird der Fokus auf den Kampf der Geschichtsdeutungen gerichtet. Deswegen ist oft von „lucha“ oder „batalla por la memoria“ die Rede (nach Jelin). Wie bereits erwähnt im Abschnitt 2.1, geht es dabei um die bestehende Konkurrenz zwischen offizieller Geschichtsdeutung und die Erinnerungen anderer sozialer Gruppen an die selben historischen Ereignisse, einschließlich dem Kampf innerhalb einer Erinnerungsgemeinschaft. Mit recuperación de la memo-

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Siehe dazu: Nora, Pierre: Between Memory and History: Les Lieux de Memoire. In: Representations, Nr. 26, University of California Press 1989, S. 7–25. 2001 wurde ein interdisziplinäres Lexikon zu den anschlägigen Begriffen der spanischen Transition veröffentlicht. Trotz des Titels Diccionario de memoria histórica wird das Konzept nicht definiert. In der Einleitung wird dennoch das Spannungsverhältnis zwischen Geschichte und Erinnerung ausgearbeitet. Siehe: Escudero Alday, Rafael (Koordinator): Diccionario de memoria histórica. Conceptos contra el olvido. Madrid: Catarata 2001.

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ria histórica (Wiedererlangung) ist die Institutionalisierung anderer, über Jahre vergessener oder unterdrückter Erinnerungen gemeint. Mit dieser kurzen Aufstellung von Definitionen wird deutlich, dass zwischen Geschichte und Politik ein doppeltes Bezugsverhältnis besteht, in Wortern von Wolfrum: „Geschichte konstituiert Politik und Politik konstituiert Geschichte. […] Geschichtlichkeit und historische Erfahrungen wirken immer konstituierend für ein politisches System, für politische Stile und für politische Kultur.“99 Dabei spielen außerdem die kulturellen Formen des Erinnerns eine entscheidende Rolle. Für den lateinamerikanischen Fall scheint eine scharfe Abgrenzung aller oben behandelten Dimensionen schwierig, da, wie schon angedeutet, die wichtigsten Handlungsfelder der Erinnerungspraxis miteinander verknüpft und ineinander verschlungen sind. Die Formen des Erinnerns und des Vergessens bzw. die dazu gehörigen Diskurse beeinflussen und ergänzen sich gegenseitig, distanzieren sich bewusst voneinander oder widersprechen sich, aber dennoch bleiben sie immer zueinander in Bezug. Allen hier behandelten Termini ist gemeinsam, dass sie sich mit dem Verhältnis zwischen Politik und Erinnerung an Geschichte befassen. Die wesentlichsten Begriffen der Memoria-Thematik, ihre kontextspezifischen Verwendungen und Entwicklungen sowie einige Diskussionspunkte wurden bereits dargelegt. Die vorliegende Arbeit setzt sich mit dem Konzept der Erinnerungspolitik sowie mit ihren Formen der Materialisierung, Visualisierung und Kommunikation in musealer Form auseinander. Die Konzepte von Erinnerungsorten sowie die Definition von Museo de la Memoria erfolgen im folgenden Abschnitt dieses Kapitels in separater Form.

2.3 DIE TYPOLOGISCHE EINORDNUNG DER MUSEOS DE LA MEMORIA Memorial, Denkmal, Mahnmal, Gedenkort, Gedenkstätte, Trauerort, Erinnerungsort: Das sind mehrere Begriffe, die Gemeinsamkeiten mit dem Begriff Museo de la Memoria teilen und sich doch voneinander unterscheiden. In Anbetracht dieser Vielfalt stellt sich die Frage danach, wie sich ein Erinnerungsmuseum bzw. Museo de la Memoria definieren lässt. Wo sind die Grenzen zu den oben genannten Bezeichnungen und wo verschwimmen sie? Geht es nur um se99

Wolfrum, Edgar: Geschichtsbilder im politischen Diskurs. Eine Skizze. In: De Benedictis, Angela/Corni, Gustavo/Mazohl, Brigitte/Schorn-Schütte Luise (Hrsg.): Die Sprache des Politischen in actu. Zum Verhältnis von politischem Handeln und politischer Sprache von der Antike bis ins 20. Jahrhundert. Schriften zur politischen Kommunikation. Band 1. Göttingen: V&R Unipress 2009, S. 209–228, hier S. 214.

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mantische Unterschiede oder sind es eher die sinnstiftenden und semiotischen Charakteristika, die den Unterschied ausmachen? Im folgenden Abschnitt wird zunächst eine theoretische Grundlage der Beziehung zwischen Erinnern und Ortsbezogenheit skizziert, indem an Pierre Noras Projekt Lieux de Mémoire angeknüpft wird. In diesem Zusammenhang werden ähnliche Projekte in Chile und in Peru vorgestellt. Im Anschluss daran folgt eine Klassifikation verschiedener ortsbezogener Gedenkmanifestationen. Hierbei sollen historische, soziale und politische Spannungsfelder einbezogen werden. Das Kapitel 2 endet mit einer Einordnung der Museos de la Memoria in die genannten Kategorien, wobei unter Berücksichtigung des lateinamerikanischen Kontextes ihre Besonderheiten herausgefiltert werden, um darauf aufbauend einen Definitionsversuch zu wagen. Sowohl individuelle als auch kollektive Erfahrungen werden oft mit Orten verknüpft. Jan Assmann zufolge gibt es für jegliche Art von Gemeinschaft eine Tendenz zur Lokalisierung: „Jede Gruppe, die sich als solche konsolidieren will, ist bestrebt, sich Orte zu schaffen und zu sichern, die nicht nur Schauplätze ihrer Interaktionsformen abgeben, sondern Symbole ihrer Identität und Anhaltspunkte ihrer Erinnerung.“100 Orte sind also für die Konstruktion kultureller Erinnerungsräume von außerordentlicher Relevanz. Der Neologismus Erinnerungsort geht auf den französischen Historiker Pierre Nora zurück. Das Interesse an der mémoire, so die provokante These Noras, beginne, weil diese vom Verschwinden bedroht sei. Deswegen bestehe die Tendenz in modernen Gesellschaften, Erinnerungen zu archivieren: „Modern memory […] relies entirely on the materiality of the trace, the immediacy of the recording, the visibility of the image.“101 Nora zufolge ist die Entstehung von Erinnerungsorten in der westlichen Welt paradoxerweise das Resultat eines Mangels an Erinnerungen und Pflege von Traditionen, Zugehörigkeitsempfindungen und Identität. Infolgedessen sei die Verbreitung von Erinnerungsorten eine defensive Reaktion auf die Bedrohung des Identitätsverlusts. Vor diesem Hintergrund setzt Nora auf sein Konzept der Lieux de mémoire. Eine seiner bekanntesten Thesen ist, dass sich das kollektive Gedächtnis einer sozialen Gemeinschaft an bestimmten Orten herausbildet. In seiner Studie zu Erinnerungsorten in Frankreich behandelt er aber nicht nur territoriale Gebilden, sondern er erweitert diese Sicht auf Riten, Feste, Bilder, Objekte und Jahrestage.102 Noras Überlegungen gehen von einem Mangel an Erinnerung aus. Im lateinamerikanischen Kontext kommen die Memorialisierungsbemühungen zwar von einer reduzierten 100 Assmann 1992, S. 39. 101 Nora, Pierre: Between Memory and History: Les Lieux de Mémoire. In: Representations, Nr. 26, University of California Press 1989, S. 7–25, hier S. 13. 102 Nora, Pierre (Hrsg.): Erinnerungsorte Frankreichs. München: C.H. Beck 2005.

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Gruppe der Gesellschaft (direkt Involvierte), allerdings sind sie sehr latent und konstant. Nur diese Bemühungen gingen von einer Subkultur aus und mussten jahrelang auf gesellschaftliche und politische Anerkennung warten. Im Bezug auf den von Nora zitierten Identitätsverlust lässt sich außerdem in der Region beobachten, dass ein neues Zusammenhörigkeitsgefühl gerade erst durch diese Prozesse entsteht. Elizabeth Jelin stellt in diesem Sinne fest, dass das Gedächtnis – hier das ortsbezogene Gedächtnis – das Zusammenhörigkeitsgefühl einer Gruppe oder Gemeinschaft verstärkt, als Antwort auf ein Leben ohne feste Bezugspunkte bzw. Wurzeln.103 Insofern fungieren Erinnerungsorte als Identitätsgeneratoren und als Verankerung in einer sich ständig veränderten Welt. Die Historiker Étienne François und Hagen Schulze orientierten sich an Les Lieux de Mémoire von Pierre Nora, um sein Konzept auf den deutschen Fall zu übertragen. Sie verwenden das deutsche Wort „Erinnerungsort“ als Metapher. Für sie sind Erinnerungsorte „[…] langlebige, Generationen überdauernde Kristallisationspunkte kollektiver Erinnerung und Identität, die in gesellschaftliche, kulturelle und politische Üblichkeiten eingebunden sind und die sich in dem Maße verändern, in dem sich die Weise ihrer Wahrnehmung, Aneignung, Anwendung und Übertragung verändert. 104 Sie können materieller wie immaterieller Natur sein; nicht ihre Gegenständlichkeit, sondern ihre symbolische Funktion macht sie aus.105 Laut dieser Definition sind Erinnerungsorte nicht steril, sondern vielmehr dynamisch, wandelbar und bleiben in permanentem Dialog mit den Rezeptoren. Während Nora mit seinen Lieux de Mémoire eine gründliche Analyse der Orte anstrebte, in denen sich das „Gedächtnis der Nation Frankreich“ kristallisiert, rückt für François und Schulze die Rezeptionsgeschichte dieser Orte in den Vordergrund. Weitere Länder wurden vom Projekt Lieux de mémoire inspiriert. So führten auch die hier behandelten Länder Chile und Peru ein solches Unterfangen durch, jedoch mit wesentlichen Unterschieden zu Deutschland. Der erste besteht darin, dass die historische Zeitspanne, die diese Orte abdecken, viel kürzer und spezifischer ist. Wurde für den deutschen Fall zum Beispiel der Schwerpunkt auf das 19. und 20. Jahrhundert gelegt, verbindet man die chilenischen und peruanischen Erinnerungsorte ausschließlich mit den Gewalterfahrungen der jüngsten Geschichte. Auch die Motivation war eine andere: Es ging vor allem darum, ein Kataster der Erinnerungsorte im jeweiligen Land zu erheben und deren Entstehungsgeschichte zu rekonstruieren. Theoretische Überlegungen standen dabei nicht so sehr im Vordergrund. Vielmehr beabsichtigten diese Projekte, die loka103 Vgl. Jelin 2002, S. 9 f. 104 François, Etienne/Schulze, Hagen (Hrsg.): Deutsche Erinnerungsorte. Bd. 1. München: C.H. Beck 2001, S. 18. 105 Vgl. ebd., S. 17 f.

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len Bemühungen um eine Kultur des Gedenkens und gegen das Vergessen zu dokumentieren. Hierzu muss man allerdings zwischen beiden Initiativen unterscheiden. In Chile schlossen das Ministerio de Bienes Nacionales (Ministerium für Nationale Güter) und FLACSO (Facultad Latinoamericana de Ciencias Sociales – Lateinamerikanische Fakultät für Sozialwissenschaften) ein Übereinkommen zur Durchführung eines Katasters aller Memorials zum Gedenken an die Opfer der Militärdiktatur sowie von acht Fallanalysen ab. 106 Die Publikation enthält einen einleitenden Teil, der die politischen und sozialen Hintergründe der Entstehung von Memorials schildert. Es folgen einige Ergebnisse der Untersuchung, zum Beispiel in Verbindung mit Standorten, Nutzung und involvierten Akteuren. Das Ende bildet eine Liste der katastrierten Orte, organisiert nach Region. Es fehlen allerdings Hinweise auf die Initiatoren, ob privat oder staatlich, sowie auf das Entstehungsdatum. Die Informationen beschränken sich auf Namen und Standorte.107 In Peru dagegen war das Projekt eine private Initiative des Kollektivs Movimiento Ciudadano Para Que No Se Repita (MC PQNSR – Bürgerbewegung Damit es sich nicht wiederholt) mit Unterstützung der International Coalition of Sites of Conscience.108 Es handelt sich hierbei um ein Mapping-Projekt, das keine physische Publikation hervorgebracht hat, sondern ausschließlich online funktioniert. Jedes Memorial wird von mehreren Fotos, dem Standort und Kontaktdaten sowie einer kurzen Beschreibung begleitet, die das historische Ereignis kurz schildert. Die Register und ein Mapping solcher Orte stellen im lateinamerikanischen Kontext ein Zeichen für einen noch immer andauernden Kampf um Ge106 FLACSO–Chile: Memoriales de Derechos Humanos en Chile: Homenaje a las víctimas de violaciones a los derechos humanos. Santiago de Chile: FLACSO 2007. Auch im Jahr 2007 erschien: Consejo de Monumentos Nacionales: Memoriales en Chile. Homenaje a las víctimas de violaciones a los derechos humanos. Fotografías de Alejandro Hoppe. Santiago: Ocho Libros Editores 2007. Basierend auf diesen Projekten, aber mit einem analytischen Anspruch und mit dem Fokus auf die Akteure sowie die Rekonstruktion der Entstehungsprozesse in der Hauptstadt Santiago siehe: Piper Shafir, Isabel/Hevia Jordán, Evelyn: Espacio y Recuerdo. Archipiélago de Memorias en Santiago de Chile. Santiago de Chile: Ocho Libros Editores 2012. 107 Starke Kritik übt die Kulturwissenschaftlerin Nelly Richard bezüglich der obengenannten Publikation aus, die sie als „kommerzielle Banalisierung der Erinnerung“ bezeichnet. Angesichts der Tatsache, dass diesem Buch ein Forschungsprojekt von FLACSO zugrunde liegt, vermisst sie eine kritische Reflexion. Die herausragende Stellung der Fotografien des Fotojournalisten Alejandro Hoppe über die Entstehungsgeschichte der Orte sowie die Rolle ihrer Initiatoren sieht sie als problematisch. Auf dieser Weise besitze die Veröffentlichung die Ästhetik eines Kunstbuches oder eines touristischen Guides und sei weniger eine Hommage an die Opfer. Vgl. Richard 2010, S. 240–244. 108 Für mehr Informationen über das Projekt siehe: http://www.espaciosdememoria.pe/ sowie http://www.sitesofconscience.org/ (abgerufen am 12.10.2017).

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rechtigkeit dar. Sie streben eine öffentliche Visualisierung und eine territoriale Markierung der Menschenrechtsverletzungen an. Lokale Gedenkmanifestationen als solche zu identifizieren und sie einem breiteren Sektor der Gesellschaft zu präsentieren, setzt zudem ein Zeichen für eine Anerkennung auf zwei Ebenen: Einerseits die Anerkennung einer konfliktreichen und teilweise blutigen Vergangenheit, die territoriale Spuren hinterlassen hat, und anderseits die Anerkennung des Leidens der einzelnen Opfergruppen. Aus diesen Erfahrungen heraus lassen sich insbesondere vier Formen ortsbezogener Gedenkmanifestationen identifizieren109, die im Folgenden beschrieben und anhand von einzelnen Fallbeispielen erläutert werden. Umbenennungen des öffentlichen Raums Dazu zählen Straßen, Plätze, Auditorien und weitere Einrichtungen, die nach einer Person oder einem historischen Ereignis benannt werden, um diese zu ehren bzw. ihrer zu gedenken. Ein Beispiel hierfür ist die Umbenennung des Sportstadiums Estadio Chile in Estadio Víctor Jara im Jahr 2003 in Gedenken an den Liedermacher und Theaterregisseur Víctor Jara, der aufgrund seiner politischen Überzeugungen dort kurz nach dem Putsch ermordet wurde. Zu dieser Kategorie zählt zudem die Umbenennung von Parks oder Plätzen, wobei an diesen Orten des öffentlichen Lebens das historische Ereignis oft nur symbolisch thematisiert wird, denn die aktive Freizeitbeschäftigung drängt in den Vordergrund. Mausoleen und symbolische Grabstätten Nicht nur Friedhöhe, auf denen ein Opfer beerdigt wurde, gehören zu dieser Kategorie, sondern auch Orte, an denen Verwandte von desaparecidos aufgrund fehlender Überreste ihre Trauerrituale ausüben. Ein besonderes Beispiel ist der Zentralfriedhof von Santiago. Neben der staatlichen Begräbnisstätte für Salvador Allende dient das dort erbaute Memorial für die Verhafteten, desaparecidos und Hingerichteten sowohl als Gedenk- als auch als Bestattungsort, denn dort kann man wiedergefundene bzw. exhumierte Überreste von Personen beisetzen. Familien, die immer noch nicht wissen, wo die Überreste ihrer Angehörigen sind, finden zumindest einen Ort der Trauer. 109 Diese Klassifikation lehnt sich teilweise an das Forschungsprojekt der chilenischen Sozialpsychologin Isabel Piper an, allerdings mit leichten Variationen und eigenen Ergänzungen. Vgl. Piper, Isabel: Proyecto „Usos del espacio, Identidades Sociales y Políticas del Recuerdo“: Análisis Psicosocial de Lugares de Memoria de los Conflictos Violentos de Nuestro Pasado reciente. In: Rodríguez Freire, Raúl u. a. (Hrsg.): Procesos de Memoria, Ciudadanía y Recuperación de Lugares de Conciencia. Encuentro y taller. Corporación Parque por la Paz Villa Grimaldi. Santiago de Chile: Fundación Heinrich Böll 2009, S. 76–85.

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Aus erinnerungspolitischer Perspektive birgt diese Gedenkstätte in sich einen ambivalenten Charakter: Einerseits zeigt der Staat durch sie Respekt für die Angehörigen und deutet seine Verantwortung für begangene Menschenrechtsverletzungen an. Andererseits wird dadurch deutlich, dass nicht einmal der Tod dieser Menschen offiziell überprüft worden ist. Die noch lebenden (ehemaligen) Militärangehörigen müssten eigentlich wissen, wo sich die Überreste der desaparecidos befinden. Doch aufgrund eines Schweigepakts bleibt diese Information der Öffentlichkeit unzugänglich. Und so entpuppt sich gleichzeitig die – teilweise – Widersprüchlichkeit mancher symbolischen Gesten. An dieser Stelle sollen zwei besondere Trauerakte privater Art, die aber im öffentlichen Raum stattfinden, vorgestellt werden: die animita und das velatón. Bei der animita handelt es sich um die Platzierung einer kleinen Kapelle an einem Ort, an dem ein dramatisches Ereignis geschehen ist. Die Kapelle wird oft mit Blumen, Schildern und/oder Fotos der verstorbenen Person ausgestattet. Durch die Huldigung der Angehörigen bekommen die animitas einen symbolischen Bestattungscharakter.110 Bei einem velatón werden vor allem Kerzen angezündet, um die abwesenden Personen zu würdigen. Diese Form des Trauerns findet sein Pendant im Museo de la Memoria in Santiago. Und so werden Formen des privaten Umgangs mit Trauer im musealen Kontext neu interpretiert. Mahnmale oder Memorials Diese plastischen Darstellungen sind eine Sonderform des Denkmals und entstehen im Gedenken an ein negatives Ereignis, bei der meistens eine Person oder eine Gruppe von Personen (Opfer) gewürdigt wird. Im Gegensatz zu den traditionellen (post)kolonialen Denkmälern, bei denen die berühmten „Helden der Nation“ repräsentiert werden, sind Memorials meist nicht einer bekannten Persönlichkeit, sondern einem Kollektiv gewidmet, wobei unter widrigen und gewalttätigen Umständen auch manche „Helden“ entstehen. Wenn Mahnmale dennoch ein Individuum darstellen, dann bezwecken sie zumeist, diese Person aus ihrer Anonymität herauszuholen und eine ganze soziale Gruppe zu repräsentieren. Sie haben eine moralische Funktion, indem sie eine mahnende Botschaft an die Gesellschaft und an zukünftige Generationen übermitteln sollen. Memorials kann man untergliedern in private, staatliche und institutionelle Initiativen, wobei auch hier Verflechtungen zu beobachten sind. Private Initiativen kommen mehrheitlich von Angehörigen und Überlebenden, während institutionelle Gedenkinitiativen zum Beispiel von Nichtregierungsorganisationen oder Gewerkschaften finanziert werden. Oft arbeiten sie logistisch und konzeptionell 110 Vgl. Gallardo Collado, Christina: Els Llocs de Memòria. (Masterarbeit, nicht veröffentlicht). Universidad de Barcelona: 2013, S. 24.

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zusammen mit weiteren Gruppen der Zivilgesellschaft wie Aktivisten, Intellektuellen oder Künstlern. Memorials in situ sind solche, die dort errichtet wurden, wo das historische Ereignis stattfand. Andere, die dagegen im urbanen, „neutralen“ Raum verortet sind, streben aber genauso eine Gedenkfunktion an. Die Breite an Gestaltungsmöglichkeiten variiert von Fall zu Fall sehr stark. Während sie in manchen Fällen naturalistisch gestaltet werden, setzen andere Mahnmale auf Abstraktion, Symbolik und starke Ästhetisierung. In diesem Zusammenhang werden meistens Künstler beauftragt. Dies ist auch der Fall bei dem Mahnmal El ojo que llora (Das weinende Auge) in Lima. Dessen Urheberin ist die holländische Bildhauerin Lika Mutal. Es besteht aus einem Monolithen, der von einem kreisförmigen Labyrinth umgeben ist, bei dem Tausende kleine flache Steine dicht aneinander platziert sind. Auf den Steinen sind die Namen der Opfer des internen bewaffneten Konflikts eingraviert, darunter auch die Namen von Mitgliedern der subversiven Gruppierung Sendero Luminoso, die außergerichtlich von Mitgliedern der staatlichen Streitkräfte ermordet wurden. Diese Tatsache, die ursprünglich als altruistische Geste für Versöhnung und Frieden gedacht war, rief unter Teilen der Bevölkerung so große Empörung hervor, dass das Mahnmal sogar Opfer von Vandalismus wurde. Ein Grund dafür ist, dass die große Mehrheit der peruanischen Eliten, darunter in ersten Linie das Militär, die subversiven Akteure des Konflikts, die während des Konflikts verschwanden oder ermordet wurden, nicht als Opfer anerkennt. Aber auch die politische Partei der ehemaligen Präsidenten Alberto Fujimori wehrt sich vehement gegen eine Gleichsetzung beider bewaffneten Akteure und bezeichnet das Mahnmal als „Monumento al Terrorismo“ (Denkmal für den Terrorismus). Und schließlich sehen die Familien von Opfern von Terrorismus nicht ein, dass der Name ihrer Angehörigen neben dem eines potenziellen „Täters“ steht.111 Die Kontroverse um dieses Memorial verdeutlicht die Schwierigkeiten zwischen künstlerischästhetischen Repräsentationen und politischen Konfrontationen in einer noch sehr gespaltenen Gesellschaft. Ereignisorte Bewusst habe ich hier den Begriff „Ereignisort“ statt „historischer Ort“ gewählt, da es sich in Lateinamerika häufig um Orte handelt, die trotz ihres authentischen Charakters noch nicht historisiert wurden. Im deutschen erinnerungskulturellen Kontext gehören hierzu ehemalige Konzentrationslager, die unmittelbar an das historische Geschehen erinnern und als solche identifiziert und musealisiert wor111 Zu einer ausführlichen Beschreibung und Analyse der Entstehungsprozesse und der Konflikte um dieses Mahnmal siehe: Hite, Katherine: Politics and the art of commemoration. Memorials to struggle in Latin America and Spain. London & New York: Routledge 2012.

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den sind. Vor allem in Bezug zu dem Holocaust ist allgemein von „Gedenkstätte“ die Rede. Im südamerikanischen Kontext geht es generell um Orte, an denen (staatliche) Gewalt stattfand. Dazu zählen geheime und illegale Haft- und Folterzentren und Gefängnisse oder Vernichtungslager, aber auch Massengräber. Aufgrund ihrer historischen Signifikanz weisen die Gräber eine besondere Symbolkraft auf. Viele dieser Orte haben Musealisierungsprozesse durchlaufen, wie zum Beispiel in Chile und in Argentinien; andere dagegen sind trotz Zeugenaussagen vom Vergessen bedroht. Nicht selten wurden sie nach der Rückkehr zur Demokratie zunächst weiterhin in ihrer ursprünglichen Funktion oder für andere Zwecke verwendet. In manchen Fällen wurden sie sogar abgerissen, um Spuren zu verwischen. Überlebende und Menschenrechtsorganisationen in mehreren Ländern haben sich dafür eingesetzt, diese emblematischen Orte als solche zu identifizieren und sie als Gedenkorte umzudeuten. Denn die Ereignisorte lokalisieren und materialisieren Menschenrechtsverletzungen und agieren als Beweis für vergangene Verbrechen. So soll die Öffentlichkeit sensibilisiert werden, um ihre „normale“ Weiterverwendung zu verhindern. Der „Mahn“-Gedanke wird hier im Gegensatz zu neu erbauten Museen an neutralen Orten aufgrund des Authentizitätsfaktors deutlicher unterstrichen. Gedenkstätten sind daher „Orte des Gedenkens und Mahnens, […], des Informierens und Aufklärens, wobei Gedenken jetzt als kontinuierlicher historisch-politischer Lernprozess verstanden wird“112. Und es sind auch Orte, an denen debattiert wird. Einen prominenten Fall stellt der ehemalige Gebäudekomplex der Mechanikerschule der Marine dar, bekannt als ESMA (Escuela Superior Mecánica de la Armada – Mechanikerschule der Marine) in Buenos Aires, der während der Diktatur als geheimes Haft- und Folterzentrum funktionierte. In diesem geheimen Haftzentrum wurden während der Militärdiktatur zwischen 1976 und 1983 schätzungsweise 5.000 Gegner des Regimes gefoltert bzw. ermordet. Viele der Häftlinge ließ die Militärjunta verschwinden, ohne dass ihr Verbleib jemals geklärt werden konnte. Nach der Rückkehr zur Demokratie wurde der Ort weiterhin von der Marine genutzt. Ende der 1990er Jahre plante der damaligen Präsident Carlos Menem, das Grundstück in eine Parkanlage umzugestalten. Eine Klage der Angehörigen der desaparecidos der ESMA verhinderte sein Vorhaben. Am 24. März 2004 erklärte schließlich der ehemalige Präsident Néstor Kirchner die Einrichtungen der ESMA zum „Museum der Erinnerung“ (Museo de la Memoria). Das Grundstück wurde entmilitarisiert und an die Stadt Buenos Aires zurückgegeben. Doch die Musealisierung dieser Einrichtung war und – ist noch immer – von Kontroversen ge112 Neirich, Uwe: Erinnern heißt wachsam bleiben. Pädagogische Arbeit in und mit NSGedenkstätten. Mühlheim an der Ruhr: Verlag an der Ruhr 2000, S. 22.

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prägt.113 Ein weiteres Beispiel in der Region ist das Memorial da Resistência in São Paulo, Brasilien. Dort war von 1940 bis 1983 das Bundesstaatliche Department für Politische und Soziale Ordnung angesiedelt, eine Polizeibehörde, die während der Diktatur mit repressiven Maßnahmen gegen politische Oppositionelle vorging. In Peru, in der Region Ayacucho, kämpfen Menschenrechtsorganisationen dafür, die Kaserne Los Cabitos, die heute immer noch als solche genutzt wird, in eine Gedenkstätte umzuwandeln. Die Leichen, die sich dort befanden, wurden auf ein naheliegendes Areal gebracht und verbrannt. Auf diesem als La Hoyada bekannten Areal hat man bereits erste Schritte unternommen, um es als Gedenkstätte zu deklarieren.114 Die Historiker Ulrich Borsdorf und Heinrich Theodor Grütter nehmen zu diesen Formen ortsbezogener Gedenkmanifestationen Stellung: [Das] Denkmal [stellt] die emotionalste und ästhetischste Form der Erinnerung dar, während die Gedenkstätte einen reflexiven Umgang mit dem Erinnerungsort zumindest zulässt, ohne auf die ästhetische Kraft des authentischen Ortes zu verzichten, während das Museum in der Regel die Vergangenheit durcharbeitet und interpretiert. 115

Sie weisen allerdings unmittelbar danach darauf hin, dass sie damit nur eine Tendenz beschreiben. Es darf nicht außer Acht gelassen werden, dass das Zitat aus dem Jahr 1999 stammt. Heute besteht kein Zweifel daran, dass kulturhistorische Museen und gerade Erinnerungsmuseen mit starken ästhetischen Mitteln arbeiten, um ihren Besuchern neben der sachlichen Vermittlung historischer Informationen auch eine emotionale Annäherung an die Thematik zu ermöglichen. Es wird also deutlich, dass die hier angeführten Konzepte teilweise gemeinsame Charakteristika aufweisen. Die Inspiration für ihre Entstehung, egal ob Gedenkstätte, Mahnmal oder Museum, liegt in der Vergangenheit, aber sie wer113 Über die ESMA und die Schwierigkeiten einer museologischen Umsetzung gibt es eine umfassende Literatur. Hier nur ein paar Hinweise: Brodsky, Marcelo (Hrsg.): Memoria en construcción: el debate sobre la ESMA. Buenos Aires: La Marca Editora 2005; Pastoriza, Lila: Erinnerung als Politik: die Grundlinien der Diskussion. In: Birle/Gryglewski/Schindel 2009, S.134–149. Feld, Claudia: El centro clandestino de detención y sus fronteras. Algunas notas sobre testimonios de la experiencia de cautiverio en la ESMA. In: Medalla, Tania u. a. (Hrsg.): Recordar para Pensar. Memoria para la Democracia. La elaboración del pasado reciente en el Cono Sur de América Latina. Santiago de Chile: Ediciones Böll Cono Sur 2010, S. 23–43; Heidhues, Annette Nana: Umstrittenes Terrain. Über öffentliches Erinnern in Argentinien und den Beitrag von Gedenkstätten zur Friedensförderung. In: Buckley-Zistel, Susanne/Kater, Thomas (Hrsg.): Nach Krieg, Gewalt und Repression. Vom schwierigen Umgang mit der Vergangenheit. Baden-Baden: Nomos 2011, S. 221–242. 114 Detaillierte Informationen über La Hoyada folgen in den Kapiteln 6 und 7. 115 Borsdorf, Ulrich/Grütter, Heinrich Theodor (Hrsg.): Orte der Erinnerung. Denkmal, Gedenkstätte, Museum. Frankfurt am Main: Campus Verlag 1999, S. 6.

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den aus einer gegenwärtigen Perspektive konstruiert und (neu) interpretiert und zeigen gleichzeitig eine klare Zukunftsorientierung. Weder ein Ereignisort noch ein Erinnerungsmuseum wird automatisch zu einem Erinnerungsort. In diesem Sinne stimmt die vorliegende Arbeit den Reflexionen der Sozialpsychologin und Memoria-Expertin Isabel Piper zu, die den konstruktivistischen Charakter von Erinnerungsorten betont. Erinnerungsorte werden zu solchen, indem sie neu bewertet, angeeignet und semantisch umgedeutet werden. 116 Insofern können Museos de la Memoria auch zu Erinnerungsorten werden, wenn sie nicht nur passive und sterile Gebilde im urbanen Raum bleiben, sondern aktiv von der Gesellschaft „aktiviert“ und „konsumiert“ werden. Museos de la Memoria: Eine neue Museumskategorie? Und in welcher der oben genannten Kategorien positioniert sich nun ein Museo de la Memoria?117 Was hat es mit diesen Kategorien gemeinsam und wo grenzt es sich von ihnen ab? Eine erste Annäherung führt über die Definition des Wortes Museum. Nach der Definition des Internationalen Museumsrates (ICOM, International Council of Museums) ist ein Museum: „[A] non-profit, permanent institution in the service of society and its development, open to the public, which acquires, conserves, researches, communicates and exhibits the tangible and intangible heritage of humanity and its environment for the purposes of education, study and enjoyment.“118 Doch es handelt sich hier nur um Richtlinien, da der Begriff Museum nicht weltweit gesetzlich geschützt ist. Die Bezeichnung Museo (de la Memoria) in Lateinamerika ist daher nicht im streng wörtlichen Sinne aufzufassen. Es ist schwierig eine museumsverwandte Institution zu finden, die alle oben genannten Aufgaben erfüllt. Und das Gegenteil kommt auch vor. Das sind zum Beispiel Institutionen, die sich trotz der Erfüllung dieser Kernaufgaben bewusst anders bezeichnen, etwa als „Dokumentationszentrum“ oder als „Memorial“. Der Historiker und Kulturwissenschaftler Joachim Baur beschreibt diesen Vorgang wie folgt:

116 Vgl. Piper 2009, S. 76–86, hier S. 77. 117 Eine andere Kategorie, die ich hier außen vor gelassen habe, die aber eine interessante Annährung an die dialektische Problematik des Gedenkens und Vergessens darstellt, sind die sogenannten Counter-memorials. Dabei geht es um eine künstlerisch-konzeptionelle Positionierung, welche sich den traditionellen Formen des Gedenkens im öffentlichen Raum widersetzt. „Instead of searing memory into public consciousness, they [gemeint sind junge deutsche Künstler; F.A.] fear, conventional memorials seal memory off from awareness altogether.“ Siehe: Young, James: The Counter-Monument: The Memorial against Itself in Germany Today, Critical Inquiry 18, Nr. 2 (Winter 1992), S. 267–296, hier S. 272. 118 http://icom.museum/the-vision/museum-definition/ (abgerufen am 12.10.2017).

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In der Regel drückt sich in der Entscheidung gegen den Begriff Museum ein Selbstverständnis aus, das sich von traditionellen Konnotationen der Institution abzusetzen versucht, etwa durch starke Betonung der Vermittlung (statt Sammlung und Forschung), der Interaktivität (statt andächtiger Betrachtung), der Lebendigkeit (statt antiquierter Verstaubtheit) oder des kulturellen Dialogs (statt autoritativer Setzung von Weltsichten). 119

Neue Tendenzen in der Museologie sehen die Institution Museum nicht mehr in erster Linie als Ort des Sammelns von Dingen, sondern vor allem als Ort, der eine Verbindung zu Gesellschaft herstellen muss. Infolgedessen treten das Ausstellen und das Vermitteln in den Vordergrund, denn die Aspekte der Präsentation und der Kommunikation spielen oft eine wichtigere Rolle. Gerade in diesen Einrichtungen liegen die Schwerpunkte auf der museumspädagogischen und bildungspolitischen Arbeit im Bereich Menschenrechte und Demokratie. Dazu gehören u. a. auch Kooperationen mit Schulen und vielfältige kulturelle Aktivitäten. Auf diese Weise versucht man, die Vermittlung von Geschichte zu dynamisieren. Nichtsdestotrotz sehen viele Museos de la Memoria es als Teil ihrer Aufgaben, das materielle (und immaterielle) Kulturerbe in Bezug auf die jüngere Vergangenheit zu beherbergen. Auch wenn nachhaltige bzw. fachgerechte Sammlungsaktivitäten oft aufgrund geringer Ressourcen, unzureichender Infrastruktur und Personalmangel nicht immer aktiv betrieben werden können, werden trotzdem je nach Möglichkeiten Archive, Dokumentationszentren und Fachbibliotheken gebildet. Nationalmuseen im 19. Jahrhundert waren programmatisch vor allem damit beschäftigt, eine gemeinsame Identität zu stiften, mit der sich die Bürger der jungen Nationen identifizieren konnten. Die „padres de la patria“, Helden, Patrioten, Märtyrer sowie die Gründungsmythen wurden gefeiert, und es wurde eine statische und unbestreitbare Version der Geschichte vermittelt. Im Gegensatz dazu beschäftigen sich die nationalen Museos de la Memoria heute mit der jüngsten Geschichte eines Kontinents, die von Menschenrechtsverletzungen und Gewalttaten gekennzeichnet ist und in der der Staat als Gewaltakteur gegen die eigene Bevölkerung agiert. „Memory Museums“, „Memorial Museums“, „Museums of Remembrance“ oder „Museums of Human Suffering“120? Es wird deutlich, dass auch innerhalb der Kategorie „historische Museum“ keine Einheit herrscht. In ihrer berühmten Publikation Regarding the Pain of Others schlägt Susan Sonntag zum ersten Mal den Begriff Memory Museums vor, indem sie sich auf das Holocaust Memorial Museum in Washington DC, auf Yad Vashem in Jerusalem und auf das Jüdische

119 Baur 2010, S. 17. 120 Duffy, Terence M.: Museums of ‚human suffering‘ and the struggle for human rights. In: Museum International. Vol. 53, Issue 1, January–March 2001, S. 10–16.

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Museum in Berlin bezieht.121 Ohne dabei die Museumskategorie eigenständig zu definieren, treibt sie die Genese eines Terminus an, dessen Inhalt im Laufe der Zeit mit zunehmendem Interesse behandelt worden ist. Im deutschsprachigen Raum übernimmt die Historikerin Katrin Pieper in ihrer komparativen Studie zur Musealisierung des Holocausts denselben Begriff. Sie definiert Memory Museums als Institutionen, die sowohl Gedenkstätten als auch Ausstellungsorte mit gesellschaftspolitischen Zukunftsentwürfen und Zielsetzungen sind. In ihrer Doppelfunktion als Museum und Memorial vergegenwärtigen sie mahnend Krieg, Vernichtung und Vertreibung im Rahmen der jeweiligen thematischen Fixpunkte der nationalen Erinnerungskulturen. Sie gedenken der Opfer und Toten und – mehr oder weniger explizit – den Tätern. Durch die Anerkennung als nationale Einrichtung bekommen sie darüber hinaus besondere politischrepräsentative Funktionen zugeschrieben.122

Der Museologe Paul Williams verwendet für seine Studie den Begriff Memorial Museum. Für Williams sei die strenge Trennung zwischen den Kategorien Mahnmal, Gedenkstätte und Museum nicht mehr aufrechtzuerhalten, denn der neue Museumstypus stehe zwischen diesen Kategorien.123 Die vorliegende Arbeit teilt seine Ansichten bezüglich der verschwommenen Grenzen zwischen den einzelnen Kategorien, wobei hier der spanische Begriff Museos de la Memoria bevorzugt wird. Dies legitimiert sich aus zwei Gründen: Zum einen, weil dadurch der lateinamerikanische Rahmen allein durch die Kategorienbezeichnung deutlicher wird. Zum anderen, weil das Konzept Memoria in den Transitional-Justice-Diskursen gängig ist und zugleich eine eigenständige analytische Kategorie darstellt. Es ist schließlich darauf hingewiesen, dass ich mich bei den folgenden Erläuterungen ausschließlich auf nationale Museen bzw. von staatlicher Seite initiierte, finanzierte oder zumindest verwaltete Projekte und auf für den Zweck der Erinnerung neugebaute Museen beziehen werde. Die Kategorie Museo de la Memoria gehört zur (kultur-)historischen Museumsgattung. Museos de la Memoria werden hier verstanden als gemeinnützige bildungskulturelle Einrichtungen, welche die Erinnerungen an die Gewalttaten und Menschenrechtsverletzungen der jüngeren Vergangenheit rekonstruieren und in visueller, gestalterischer und dokumentarischer Form darstellen. Sie haben eine zukunftsorientierte pädagogische Funktion und begründen ihre Existenz aus dem Nunca-Más-Imperativ (Nie-wieder-Imperativ) heraus. In denjenigen 121 Sontag, Susan: Regarding the Pain of Others. New York: Farrar, Strauss and Giroux 2003. 122 Pieper 2006, S. 23. 123 In seiner Studie untersucht er 24 Memorial Museums weltweit, wobei er bewusst Holocaustmuseen außen vor lässt und sich stattdessen auf andere, teilweise nicht so bekannte Fälle konzentriert. Vgl. Williams 2007, S. 8.

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Ländern, in denen Wahrheitskommissionen eingesetzt wurden, dienen deren Abschlussberichte als wissenschaftliche Basis für die Dauerausstellungen; für manche bilden sie sogar den Rahmen der musealen Narrative. Der Zusammenhang zwischen Wahrheitskommission und Museo de la Memoria besteht darin, dass die Ausarbeitung von Empfehlungen einen Teil des Mandats der Wahrheitskommissionen ausmachte. Diesbezüglich wurden offizielle Maßnahmen zur Verbreitung der Ergebnisse der Kommissionen sowie die Pflege einer Erinnerungskultur in Form von Gedenkorten eingefordert, in der Hoffnung – so zumindest die Intention –, eine künftige Wiederholung der Geschichte zu vermeiden. Museos de la Memoria sind also als symbolische Reparationsmaßnahmen konzipiert, um den Opfern Anerkennung zuteilwerden zu lassen, ihrer zu gedenken sowie die Gewalttaten der Vergangenheit museal aufzuarbeiten. Außerdem: „[M]emorial museums attempt to mobilize visitors as both historical witnesses and agents of present and future political vigilance.“ 124 Sie haben also eine geschichtsdidaktische, eine erinnerungspolitische und gleichzeitig, vor allem im Vergleich zu anderen Museen, eine moralische Funktion. Sie sind aber zugleich Wirkungsfelder für politische Debatten. Sie sind daher nicht nur abstrakte Repräsentationsorte, sondern auch Orte, in denen Erfordernisse, Ansprüche und Erwartungen ausgehandelt werden. Jenseits der typologischen Anordnungen und semantischen Bedeutungen, stellen die Museos de la Memoria im lateinamerikanischen Kontext ein hybrides Konstrukt dar. Einerseits sind sie das Resultat jahrelanger Forderungen seitens der organisierten Opfergruppen und Aktivisten, die ihre Geschichtsdeutung auf der Basis von schmerzhaften Erinnerungen basieren, anderseits haben diese Institutionen einen nationalen Charakter. Das bedeutet, dass die Museen keine rein selbstreferenzielle Prägung haben, auch wenn sie als symbolische Reparation für die Opfer konzipiert sind. Sie müssen ein umfangreiches Bild der Geschichte darstellen und somit die gesamte Bevölkerung erreichen. In diesem Sinne kommt es vor, dass die Forderungen des Menschenrechtssektors sich nicht immer vollständig widerspiegeln, denn aufgrund der staatlichen Finanzierung decken sich die dort präsentierten Geschichtsdeutungen – zumindest indirekt – mit den Vorstellungen der jeweiligen Regierung, in deren Amtszeit das Museum gebaut wurde. So werden die Postulate der Museos de la Memoria dem jeweiligen politischen Interesse und den Zielen der amtierenden Regierung zumindest nicht widersprechen. Einerseits zeigt allein ihre Existenz ein Gestus der Anerkennung seitens des Staates, anderseits ist ihr Dasein die materielle Schilderung dafür, 124 Williams, Paul: Memorial museums and the objectification of suffering. In: Marstine, Janet (Hrsg.): The Routledge Companion to Museum Ethics. Redefining Ethics for the Twenty-First-Century Museum. New York: Routledge 2011, S. 220– 235, hier S. 220.

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dass derselbe Staat auch in der Lage ist, massive Verbrechen gegen einen Teil der Bevölkerung zu verursachen. Aber auch diese Postulate können sich verändern. Da die thematisierte Vergangenheit noch gegenwärtige Implikationen politischer und sozialer Art innehat, sind Museen keine statischen Gebilde, sondern Grundlage für weitere Diskussionen und eine lebendige Erinnerungskultur. Nach diesen Ausführungen wird klar, dass die Verbindung zwischen Erinnerungspolitik und Erinnerungskultur in Bezug auf die Entstehung von Museos de la Memoria sehr eng ist. „Eine Eigenschaft der nationalen Memory Museums ist die Funktionalisierung der Präsentation zur Formulierung gegenwärtiger gesellschaftlicher oder politischer Ziele mit Verweis auf die Vergangenheit.“ Auf die von Katrin Pieper untersuchten Fälle bezogen, aber durchaus passend für viele andere, stellt sie weiterhin fest, dass Museos de la Memoria sich „in einem öffentlichen Spannungsfeld der Geschichtsdebatten und offiziellen Erinnerungskultur“ befinden.125 Wie stark diese Debatten aufgrund des staatlichen Charakters der hier behandelten Institutionen in die politische Arena eindringen, wird im nächsten Kapitel näher thematisiert.

125 Pieper 2006, S. 327.

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Transition und Aufarbeitung in Lateinamerika

Ende der 1970er Jahre begann in Lateinamerika ein Prozess der Demokratisierung, der als die dritte Demokratisierungswelle bekannt wurde. Diese Welle der lateinamerikanischen Transitionen startete 1977 in Ecuador und endete in Chile 1990. Sie umfasst einen langen Zeitraum, deren Ausgangssituationen sowie vorautoritäre Erfahrungen sich teilweise erheblich voneinander unterscheiden.1 Die Transitionen vollzogen sich großteils schleppend und wurden von einem langsam verlaufenden Aushandlungsprozess zwischen den betreffenden politischen Akteuren begleitet. Die Wiederherstellung des Rechtsstaates implizierte eine Auseinandersetzung mit den Verbrechen der vergangenen Regimes. Die Aufarbeitung der Vergangenheit wurde verstärkt als notwendig für eine nachhaltige Demokratie betrachtet. Nur mit einem klaren und dezidierten Bruch mit dem vergangenen System könne man eine neue Regierungsform legitimieren und nationale Aussöhnungsprozesse einleiten. Doch in welcher Form die Vergangenheit aufzuarbeiten sei, bereitete – und bereitet heute noch – große Schwierigkeiten. Denn die sozialen und politischen Folgen von Militärdiktaturen, repressiven Regimes oder bewaffneten Konflikten hinterließen tiefe Spuren: Millionen von desplazados (Vertriebene), Tausende von Exilanten, Gefolterten, Ermordeten und desaparecidos, unzählige zerrissene Familien, Witwen, Waisenkinder und allgemein Gesellschaften, die von sehr schwachen institutionellen Strukturen eingerahmt wurden. Die betroffenen Länder waren mit der Tatsache konfrontiert, dass ihre Gesellschaften nach Perioden politischer Gewalt polarisiert und zum Teil traumatisiert waren. Diese traumatischen Erfahrungen „[…] führen zu Gesellschaften mit geteilten [Herv. i. O.], das 1

Vgl. Nohlen, Dieter/Thibaut, Bernhard: Transitionsforschung zu Lateinamerika: Ansätze, Konzepte, Thesen. In: Merkel, Wolfgang (Hrsg.): Systemwechsel 1. Theorien, Ansätze und Konzepte der Transitionsforschung. 2. Auflage, Opladen: Leske & Budrich 1996, S. 195–228, hier S. 197.

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heißt getrennten Erinnerungen [Herv. i. O.] und Repräsentationen der Gewalt der Vergangenheit“2. Die Erinnerungen an das Geschehene war also von Differenzen gekennzeichnet. Es entstanden Spannungsverhältnisse zwischen den unterschiedlichen Interessensgruppen, die teilweise heute noch bestehen. Den hohen Erwartungen der Opfer konnte man nicht immer entgegenkommen, sodass diese sich zunächst mit Kompromissen abfinden mussten. Außerdem waren die mächtigen Akteure der vergangenen Regimes trotz Systemwechsel keinesfalls von der politischen Arena verschwunden. In manchen Fällen konnten sich die vorherigen Machthaber Mitstimmungsrechte für den Übergang aushandeln und agierten als Vetospieler. Nichtsdestotrotz wurden in der Regel in Transitionsperioden Maßnahmen für Wahrheit, Justiz und Wiedergutmachung in die Wege geleitet, um die Bedürfnisse der Überlebenden und der Opferangehörige zu berücksichtigen sowie die sozialen Strukturen der jeweiligen Länder wiederherstellen zu können. Heute verfügt Lateinamerika über vielfältige Erfahrungen in den Bereichen Aufarbeitung und Erinnerungsarbeit, sodass die Region „[…] zu einem transnationalen Referenzpunkt der Aufarbeitung der Vergangenheit geworden“ 3 ist. Charakteristisch für die Aufarbeitung der Vergangenheit in Lateinamerika war – und ist nach wie vor – eine Erinnerungspolitik von unten. Traditionell waren die Familienangehörigen die Ersten, die trotz massiver Repression und damaliger Einschränkungen sich für die Rechte ihrer Verwandten einsetzten bzw. nach ihren Schicksalen forschten, um die Wahrheit zu erfahren. Demzufolge gelten sie als die signifikantesten erinnerungspolitischen Akteure. Die Initiativen für eine Aufarbeitung und eine Kultur des Gedenkens kamen daher in der Regel aus dem Engagement der Opfervereine, die sich teilweise schon während der Konflikte organisiert und artikuliert hatten. „Aufgrund ihres Opferstatus haben ihre Forderungen die höchste Legitimität.“4 Auch die Menschenrechtsorganisationen waren sehr aktiv, schon damals meist besser vernetzt und verfügten über mehr Ressourcen als die Organisationen der Opfer. Anfangs übernahmen sie deswegen eine beratende Rolle.5 Unter den Anliegen der Opferorganisationen waren zunächst Auskünfte über den Verbleib der verschwundenen Familienangehörigen. 2 3 4 5

Halbmayer/Karl 2012, S. 8. Ebd., S. 9. Straßner 2007, S. 58. Oft werden beide Akteurengruppen sowohl in der Fachliteratur als auch in der Öffentlichkeit als eine Einheit dargestellt. Der Politikwissenschaftler Veit Straßner macht diesbezüglich jedoch eine Differenzierung zwischen Opferorganisationen und Menschenrechtsorganisationen. Erstere setzten in der Mehrheit der Fälle Verwandtschaftsverhältnisse als Kriterium für eine vollwertige Mitgliedschaft voraus. Straßner bezeichnet sie als „One Issue-Organisationen“, die sich auf ganz konkrete Anliegen konzentrieren. Vgl. ebd., S. 58.

Transition und Aufarbeitung in Lateinamerika | 69

Nachdem festgestellt wurde, dass die gesuchten Personen höchstwahrscheinlich ermordet wurden, wurde dann die Forderung nach Aufklärung der Taten und nach Gerechtigkeit laut. Im Laufe der Zeit jedoch haben viele Opferorganisationen, so auch die Menschenrechtsorganisationen, ihr Themenspektrum und passend dazu auch ihre Aktivitäten erweitert. Die Mehrheit der Organisationen von Überlebenden sah nach dem Ende der politischen Gewalt ihre Aufgabe nicht nur im Kampf für Rehabilitation und Gerechtigkeit, sondern auch darin, ihre Erlebnisse an die Öffentlichkeit zu tragen und über aktuelle Missstände zu sensibilisieren. Viele sehen ihre wichtigste Aufgabe heutzutage in einer aktiven Erinnerungsarbeit nach dem Konzept des Nunca Más. Ohne dabei ihre ursprünglichen Anliegen zu vergessen, arbeiten sie vermehrt zukunftsorientiert. Dafür werden neben Demonstrationen oder öffentlichen Verkündigungen auch Seminare organisiert oder Publikationen veröffentlicht. Beide Organisationen arbeiten oft zusammen und erhalten Unterstützung von weiteren zivilgesellschaftlichen Gruppen, Aktivisten, NROs, Intellektuellen, Künstlern sowie progressiven Politikern. Ihre Statements können heutzutage je nach Land die Richtlinien in erinnerungspolitischen Fragen erheblich beeinflussen. Die ersten offiziellen erinnerungspolitischen Maßnahmen wurden im Cono Sur eingeführt, nicht zuletzt aufgrund des Drucks einer gut organisierten Opfer- und Menschenrechtsbewegung.6 Verdad (Wahrheit), Justicia (Gerechtigkeit) y Reparación (Wiedergutmachung) sowie der berühmte Slogan Nunca Más (Nie wieder), der eine Mahnung darstellt und für Memoria plädiert, fassen die zentralen Forderungen der Menschenrechtsaktivisten sowie der Opferorganisationen zusammen und bilden zugleich die Kernelemente einer – zumindest in der Theorie – dezidierten Erinnerungspolitik. Diese Elemente werden im Folgenden näher betrachtet.

3.1 VERDAD Artikel 2 der Interamerikanischen Konvention gegen das gewaltsame Verschwindenlassen von Personen definiert das Verschwindenlassen von Personen wie folgt:

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Üblicherweise sind die Menschenrechtsbewegungen bereit, mit den Regierungen zu kooperieren. Die Forderung der argentinischen Menschenrechtsbewegung nach einer parlamentarischen Untersuchungskommission wurde nicht berücksichtigt, und deswegen verweigerte die Organisation Madres de la Plaza de Mayo die Zusammenarbeit mit der Kommission. Weitere Menschenrechts- und Opferorganisationen kooperierten trotz anfänglicher Weigerung doch mit der Kommission. Vgl. ebd., S. 99.

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[F]orced disappearance is considered to be the act of depriving a person or persons of his or their freedom, in whatever way, perpetrated by agents of the state or by persons or groups of persons acting with the authorization, support, or acquiescence of the state, followed by an absence of information or a refusal to acknowledge that deprivation of freedom or to give information on the whereabouts of that person, thereby impeding his or her recourse to the applicable legal remedies and procedural guarantees.7

In Lateinamerika war das „Verschwindenlassen“ von Menschen eine breit angewandte Unterdrückungsmethode repressiver Regimes gegen die Zivilbevölkerung. Im Cono Sur zählten zu den desaparecidos politische Oppositionelle oder diejenigen, die unter dem Verdacht der Opposition standen (normalerweise Mitglieder einer linksorientierten Opposition oder organisierter Gruppierungen) als typische Opfer. In Ländern wie Peru oder Guatemala waren die meisten Opfer des Verschwindenlassens (desaparición forzada) Indigene, die zum Teil in bewaffneten Gruppen aktiv waren; aber auch andere, die aufgrund ethnischer und rassistischer Vorurteilen als Verdächtige verfolgt und ermordet wurden. Auch wenn diese Methode weltweit eingesetzt wurde, kam es in der Mehrheit der lateinamerikanischen Länder über einen bestimmten Zeitraum und unter ähnlichen Bedingungen zu einer massiven Anwendung, wie sie in diesem Ausmaß in kaum einer anderen Weltregion aufgetreten ist.8 So wird die Bezeichnung desaparecidos zu einer eigenständigen Opferkategorie auf dem Kontinent. Es ist zudem heutzutage bekannt, dass die damaligen Diktaturen keinesfalls isoliert agierten. Vielmehr kooperierten mindestens sechs lateinamerikanische Länder miteinander, um sich gegenseitig bei der Verfolgung politischer Gegner zu unterstützen. 9 In der Regel ging es zunächst um die Entführung und Verhaftung von Personen, die – erwiesenermaßen oder nicht – die politischen oder militärischen Ziele des Staates zu gefährden schienen. Einst inhaftiert, wurden den Gefangenen all ihre Rechte vorenthalten. Meistens wurden sie massiven Foltermaßnahmen un7

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Interamerikanische Konvention gegen das gewaltsame Verschwindenlassen von Personen vom 9. Juni 1994, Artikel 2. Belem do Para, Brasilien. Online verfügbar unter: http://www.oas.org/juridico/english/treaties/a-60.html (abgerufen am 07.08. 2017). Amnesty International und weitere Menschenrechtsorganisationen behaupten, dass in ca. 20 Jahren (1966–1986, Jahre, in denen die Mehrheit der Länder in Lateinamerika von einer Diktatur regiert wurden) 90.000 Menschen Opfer dieser Praxis wurden. Vgl. Molina Theissen, Ana Lucrecia: La desaparición forzada de personas en América Latina. 1998. Online verfügbar unter: http://www.desaparecidos.org/ nuncamas/web/investig/biblio_theissen_01.htm (abgerufen am 07.08.2017). Mit der Bezeichnung Operación Cóndor wurde eine Geheimdienstoperation von mindestens sechs lateinamerikanischen Ländern bekannt, die in den 1970er und 1980er Jahren mit US-Unterstützung das Ziel verfolgte, linke organisierte Gegenkräfte zu eliminieren. Mehr zum Thema Operación Cóndor siehe: López, Fernando: The Feathers of Condor: Transnational State Terrorism, Exiles and Civilian Anticommunism in South America. Newcastle: Cambridge Scholars Publishing 2016.

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terzogen und schließlich ermordet. Die Leichname wurden dann verbrannt, ins Meer geworfen oder in abgelegenen Massengräbern versteckt, sodass jeglicher Nachweis ihrer Existenz sowie ihrer Ermordung verschwand und die Verbrechen dadurch verborgen bleiben konnten. Versuchten Familienangehörige, an Informationen zu gelangen, wurden Fakten verleugnet oder die Angehörigen erhielten lediglich verwirrende und verstellte Versionen des Geschehenen. Folglich konnte in den meisten Fällen der Verbleib der Gefangenen niemals geklärt werden. Damit wurde nicht nur eine gesamtgesellschaftliche Atmosphäre des Terrors geschaffen, sondern es wurde darüber hinaus bewusst verhindert, dass konkrete Orte entstehen konnten, an denen Trauer oder eventuell kollektive Wut mobilisiert werden könnte. Anika Oettler bezeichnet die Täter als „Strategen des Terrors“10, die diese Maßnahme sehr genau durchdachten und gezielt einsetzten, um Trauerarbeit zu verhindern. Da die Justizmechanismen in solchen autoritären Regimes meistens abhängig von deren Mandat waren, wurden die habeas corpus in der Mehrheit der Fälle nicht verfolgt. Diese Situation der Ungewissheit stellte für die Familienangehörigen zudem eine Art der Folter dar: Da der Tod nicht eindeutig erwiesen werden konnte, konnte man einerseits nicht die Hoffnung und die permanente Suche nach den Verwandten aufgeben, anderseits konnte man niemanden dafür verantwortlich machen. In diesem Kontext waren für die Familienangehörigen zuallererst die Suche nach der Wahrheit und die offizielle Klärung der Schicksale der desaparecidos die dringlichsten Forderungen nach der Rückkehr zur Demokratie. Die Familien hofften, dadurch zumindest mehr über die Umstände des Unglücks zu erfahren und außerdem herauszufinden, wo sich die Leichen ihrer Angehörigen befanden, sodass sie Abschied nehmen konnten. Aber die Forderungen nach Aufklärung kamen nicht nur vonseiten der Opfer, sondern auch von der internationalen Gemeinschaft. Die Schutz der Menschenrechte als Staatspolitik hatte sich nach dem Zweiten Weltkrieg vermehrt als normatives Handlungskriterium etabliert: Völkerrechtliche Abkommen, internationale Gerichtshöfe und der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte sind nur einige Beispiele für diesen Trend. Das bedeutet, dass die jungen Demokratien sich mit ihrem Handeln sowohl an die nationale als auch an die internationale Öffentlichkeit richten mussten.11 Um den obengenannten Forderungen nachzukommen, richteten die Mehrheit der Staaten, oft unmittelbar nach dem Systemwechsel, Wahrheitskommissionen ein. Somit versuchten die neugewählten Präsidenten, den berechtigten Ansprüchen der Angehörigen gerecht zu werden, aber auch, den politischen Willen zur

10 11

Oettler, Anika: Erinnerungsarbeit und Vergangenheitspolitik in Guatemala. Frankfurt am Main: Vervuert Verlag 2004, S. 37. Vgl. ebd., S. 40.

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demokratischen Transition international zu beweisen. Diese Bemühungen mussten von der Beschäftigung mit der Menschenrechtsproblematik begleitet werden.12 Wahrheitskommissionen In ihrer umfangreichen komparativen Untersuchung zum Gegenstand Wahrheitskommission definiert Priscilla Hayner sie als „bodies set up to investigate a past history of violations of human rights in a particular country – which can include violations by the military or other government forces or by armed opposition forces“13. Wahrheitskommissionen sind demnach Ausschüsse, die in der Regel von Staaten nach dem Ende eines innenpolitischen Konflikts einberufen werden, um die in autoritären Regimes, Militärdiktaturen oder bewaffneten Konflikten begangenen Menschenrechtsverletzungen durch Aufdeckung der Wahrheit aufzuklären. Sie sollen außerdem je nach Mandat über die möglichen Ursachen von Gewalt berichten, die Zahl der Opfer feststellen und – unter Umständen – die Täter identifizieren. Weiterhin sollen sie Empfehlungen zur nachfolgenden Reparations- und Erinnerungspolitik verfassen. Die aufschlussreichsten Ergebnisse ihrer Recherchen sowie ihre Vorschläge werden schließlich in Abschlussberichten publiziert und der jeweiligen Regierung überreicht. In Lateinamerika gab es aber auch Wahrheitskommissionen, die auf Initiative ziviler bzw. kirchlicher Organisationen gegründet wurden. Beispielsweise wurde 1986 in Brasilien mit Unterstützung der katholischen Kirche der Bericht Brasil: Nunca Mais verfasst, in dem die Foltermethoden der Diktatur dargestellt wurden.14 In Guatemala waren die Bischöfe Juan Gerardi und Rodolfo Quezada die Initiatoren des Projekts Recuperación de la Memoria Histórica (REMHI – Wiederaneignung der historischen Erinnerung), deren Recherchen, bestehend aus Aussagen tausender Zeugen und Opfer, in dem Abschlussbericht Guatemala – Nunca Más (Guatemala – Nie Wieder) zusammengefasst sind. Dieser Bericht bildete einen Referenzpunkt für die 1994 unter Beteiligung der UNO gegründete Comisión para el Esclarecimiento Histórico (Kommission für die historische Aufklärung). Lateinamerika hat sich weitgehend des Instruments der Wahrheitskommission bedient. „Die Idee einer Institution, die vergangene Gräueltaten aufdecken 12 13 14

Vgl. ebd., S. 39 f. Hayner, Priscilla: Fifteen Truth Commissions – 1974 to 1994: A Comparative Study. In: Human Rights Quarterly, Vol. 16, Nr. 4, 1994, S. 597–655, hier S. 600. Zum Bericht siehe: Brasil: Nunca Mais. Rio de Janeiro: Editora Vozes 1985. Im Jahr 2011 wurde von der Präsidentin Dilma Rousseff eine offizielle Wahrheitskommission eingesetzt, die ihre Ergebnisse am 10. Dezember 2014 überreichte.

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und Empfehlungen zur nachfolgenden Politikgestaltung formulieren sollte, entstand im historischen Kontext der demokratischen Transitionen im Cono Sur.“ 15 Beispielsweise in Argentinien und in Chile wurden unmittelbar nach dem Ende der Militärdiktaturen Untersuchungskommissionen einberufen, welche damit beauftragt worden sind, die Wahrheit und die Dimensionen des Geschehens zu dokumentieren. Im chilenischen Fall wurden nicht nur die Menschenrechtsverletzungen seitens der staatlichen Streitkräfte untersucht, sondern auch die Verbrechen seitens der (organisierten und bewaffneten) zivilgesellschaftlichen Akteure, die u. a. im Kontext des Widerstandes stattfanden. Als erste bedeutende16 Wahrheitskommission (auch wenn sie damals nicht diesen Namen trug) gilt die 1893 gegründete argentinische Comisión Nacional sobre la Desaparición de Personas (CONADEP – Nationalkommission über das Verschwinden von Personen,), die vom damaligen Präsidenten Raúl Alfonsín dekretiert wurde. Deren Bericht Nunca Más ist als „Grundstein für eine neue Möglichkeit der institutionalisierten Aufarbeitung“17 zu verstehen. Anders als in Chile „[…] hatte die CONADEP den expliziten Auftrag, der Justiz zuzuarbeiten und somit die Strafverfolgung zu unterstützen“18. Alfonsíns Regierung verordnete außerdem die Verhaftung der Mitglieder der ersten drei Militärjuntas und die Aufhebung des Auto-Amnestie-Gesetzes. Dem argentinischen Weg, eine Wahrheitskommission mit strafrechtlicher Verfolgung zu verbinden, wird häufig Vorbildfunktion zugewiesen.19 Doch die Dynamiken des Erinnerns und Vergessens sowie ihre Umsetzung in erinnerungspolitischen Maßnahmen sind komplex und konjunkturabhängig. So wurden in den 1990er Jahren unter der Regierung Menem die bereits gewonnenen Erfolge in Sachen Justiz durch Begnadigungen rückgängig gemacht. Erst Jahre später mit der Kirchner-Ära wurde die Erinnerungspolitik wieder in der politischen Arena präsent. Heute finden in Argentinien juristische Verfahren statt, und die Memoria-Thematik im Allgemeinen ist sowohl in akademischtheoretischen Kreisen als auch auf politischer und sozialer Ebene Referenz in der Region. Dennoch bleibt die Verfolgung der Täter in Lateinamerika eher eine Seltenheit. 15 16

17 18 19

Oettler, in: Lateinamerika Analysen 14, 2/2006, Hamburg: IIK (Institut für Iberoamerikakunde), S. 113–139, hier S. 115. In Bolivien wurde 1982 eine Kommission eingesetzt, die das Schicksal der Verschwundenen während der Diktatur aufklären sollte. Zwei Jahre danach wurde dennoch kein Bericht erarbeitet. Vgl. Hayner 2001, S. 53 und S. 258. Oettler, in: Lateinamerika Analysen 14, 2/2006, Hamburg: IIK (Institut für Iberoamerikakunde), S. 113–139, hier S. 116. Straßner 2007, S. 97. Vgl. Hahn-Godeffroy, Emily: Die südafrikanische Truth and Reconciliation Commission. 1. Auflage. Baden Baden: Nomos Verlagsgesellschaft 1998, S. 51.

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Die Untersuchungskommissionen verfügen für ihre Arbeit über ein zeitlich begrenztes Mandat, deren Zeiträume variieren und im Durchschnitt ca. ein bis zwei Jahren dauern. Zeitliche Vorgaben und zur Verfügung stehende finanzielle, personelle und politische Ressourcen sind erforderlich für eine professionelle Arbeit und umfassende Ergebnisse. „Die Beweisaufnahme stützt sich auf die Erhebung von Zeugenaussagen durch die Mitarbeiter der Kommission und auf die Auswertung von offiziellen und nicht-offiziellen Dokumenten.“20 Beweismaterial ist in der Regel jedoch nicht immer einfach zu bekommen. Zum einen, weil viele Dokumente aufgrund des in vielen Ländern nach wie vor herrschenden „Schweigepakts“ des Militärs unter Verschluss aufbewahrt werden. Zum anderen, weil die Straftaten vor relativ langer Zeit geschehen sind und ihre Rekonstruktion sehr komplex ist. Ein Beispiel hierfür sind sexuelle Delikte, die besonders schwierig zu beweisen sind. Da es sich um Gewalttaten handelt, die oft im Geheimen geschehen sind oder deren Informationen und Dokumentation nicht freigegeben werden, sind Zeugenberichte für die Wahrheitsfindung unabdingbar. So werden in der Regel Überlebende, Familienangehörige oder weitere Zeugen zu Anhörungen (Hearings) eingeladen, um ihre testimonios vorzubringen, und ihre individuellen Erinnerungsgehalte werden dokumentiert. Waren im peruanischen Fall die Anhörungen öffentlich und wurden sogar über den gesamten Zeitraum im Fernsehen übertragen, entschied sich die chilenische Kommission gegen ein solches Vorgehen. Damit Opfer ihre teilweise über Jahre geheim gehaltene persönliche Geschichte Vertretern des Staates preisgeben, muss eine Vertrauenssituation hergestellt werden. Die politische Unabhängigkeit und die moralische sowie professionelle Eignung der Kommissionsmitglieder und Mitarbeiter sind daher wesentlich für die Zeugenvorladung. Auch wenn der Fokus nicht auf einzelnen Ereignissen, sondern auf einer Reihe von über einen längeren Zeitraum hinweg begangenen Menschenrechtsverletzungen liegt, gab es Wahrheitskommissionen, die sich mit individuellen Fällen beschäftigten. So beispielsweise in Peru: Die Wahrheits- und Versöhnungskommission untersuchte emblematische Fälle, die als Paradigma für weitere, vielleicht weniger bekannte Fälle dienen sollten und eine Individualisierung der Opfer ermöglichten. Der Spielraum und die Grenzen solcher Kommissionen sind unterschiedlich je nach Vorgeschichte, Mandat und Auftraggeber, und hängen stark vom politischen Willen zur ernst gemeinten Auseinandersetzung mit der Vergangenheit ab, bzw. davon, ob eine Aufarbeitung in der nationalen politischen Agenda einen wichtigen Platz einnimmt. Die Chancen für eine zukünftige Umsetzung der 20

Oettler 2004, S. 14.

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Empfehlungen erhöhen sich, wenn der Auftrag vom Staat kommt. Doch für ihre tatsächliche Umsetzung sowie ihre Legitimation innerhalb der Bevölkerung sind zudem die politischen Rahmenbedingungen und Handlungsspielräume der neuen Regierung sowie die Interessen der sozialen und politischen Eliten von Bedeutung. In der Mehrheit der Länder in Lateinamerika sorgten die Veröffentlichungen der Berichte für heftige Diskussionen, u. a. aufgrund der schockierenden Enthüllungen. In vielen Ländern wurde das Ausmaß der Gewalt von der Mehrheit der Bürger nicht erahnt oder nicht wahrgenommen. Während der repressiven Regimes wurden bekannterweise die Medien zensiert und informierten daher oft nur zugunsten der Interessen der jeweiligen Regierungen. Außerdem wurden die kriminellen Handlungen und Gewalttaten geheim gehalten. In Argentinien beispielsweise wurde die Dimension des Terrors erst nach der Veröffentlichung des Berichts bekannt. Besonders schockierend war die Praxis der Entführung von Neugeboren, deren Mütter kurz nach der Geburt ermordet worden waren. Diese Kinder wurden dann zur Adoption freigegeben. So wurden ihnen nicht nur ihre Eltern geraubt, sondern auch ihre Identität. Heute ist bekannt, dass viele von ihnen von den Familien von Militärangehörigen oder Sympathisanten der Diktatur aufgenommen wurden. In Ländern wie Peru, El Salvador oder Guatemala fanden die Konflikte vor allem in ländlichen Gebieten statt, und die Mehrheit der Opfer stammt aus unterprivilegierten Schichten. Dort waren den privilegierten Ober- und Mittelschichten sowie Teilen der politischen und ökonomischen Eliten die Dimensionen der Gewalt nicht bewusst. In El Salvador schätzte der Bericht De la Locura a la Esperanza (Vom Wahnsinn zur Hoffnung) die Zahl der Opfer des Bürgerkrieges zwischen 1980 und 1992 auf 70.000, während in Guatemala laut dem Bericht Guatemala: Memoria del Silencio ca. 200.000 Menschen in einem Zeitraum von 36 Jahren dem Konflikt zu Opfer fielen. Noch schockierender wirken diese Zahlen, wenn man erfährt, dass laut der Kommission der guatemaltekische Staat für 93 % der untersuchten Fälle verantwortlich ist.21 Die Berichte erzählen eine Geschichte, von der nicht alle wollen, dass sie an die Öffentlichkeit gelangt. Die Wahrheitskommissionen und ihre Befunde werden oft von den nationalen Sicherheitskräften weder akzeptiert noch anerkannt. Diese Tatsache ist vor allem problematisch, wenn es um die Umsetzung der Empfehlungen und um weitere Staatsreformen geht. Der Argumentation ihrer 21

81 % der verübten Menschenrechtsverletzungen wurden in nur drei Jahren, zwischen 1981 und 1983, begangen. Vgl: Comisión para el Esclarecimiento Histórico (CEH – Kommission zur Historischen Aufklärung, offizielle Wahrheitskommission), Bd. II, S. 320, und der Staat war dafür hauptsächtlich verantwortlich, Vgl. CEH, S. 324, zit. nach Oettler 2004, S. 171 und S. 178.

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Gegner zufolge würden die Enthüllungen der Berichte es nicht zulassen, die Vergangenheit endlich ruhen zu lassen und in die Zukunft zu schauen. Vielmehr würden diese die nationalen Versöhnungsprozesse erschweren. Auch in der Gesellschaft finden sich konträre Resonanzen. Denn die Frage nach einer absoluten Wahrheit ist keineswegs zu beantworten. Der Begriff ist nicht unproblematisch, denn es gibt in solchen Post-Konflikt-Gesellschaften nicht nur eine homogene, für alle geltende „Wahrheit“. Es gibt vielmehr mehrere miteinander konkurrierende Interessen und Erwartungen. Mit dieser einen offiziellen Wahrheit sind daher nicht immer alle Parteien zufrieden. In einigen Fällen verschlechtern die Wahrheitskommissionen durch ihre Enthüllungen die Verhältnisse zwischen den Konfliktparteien.22 Deswegen sorgen sie oft in der Gesellschaft für Kontroverse: Truth commissions tend to construct a popular discourse that presents two distinct groups: victims and perpetrators. In Latin American truth commission reports, there is a regional version of this dualism ‚between two fires‘, ‚between two demons‘ or ‚between two armies‘. These binary identities, however well-intentioned and conditioned by the nature of the political transition, prompt people to locate themselves somewhere within the victim typology, which in turn determines which sort of ‚truths‘ enter the public record and which do not. Truth commissions and their final reports establish the narrative terms of engagement and set the tone for public debate in the post-truth commission period. Final reports have a political and social afterlife.23

Aber nicht nur ein politisches und soziales, sondern auch ein historisches Nachwirken der Berichte ist besonders wichtig, wenn es um die Umsetzung von nachhaltigen Geschichtsinterpretationen geht, die im kollektiven Gedächtnis bleiben und einen historischen Konsens herstellen sollen. Im Sinne dieser Studie spielt das afterlife der Berichte in der musealen Präsentation von Geschichte eine besondere Rolle. Der Zusammenhang zwischen Wahrheitskommissionen und Musealisierungsprozessen kristallisiert sich vor allem in zwei Aspekten heraus: Zum einen in der Empfehlung von Reparationsmaßnahmen durch die Kommissionen, darunter symbolische Reparationen wie Gedenkorte und Museen, und zum anderen darin, dass ihre Berichte in der Regel die wissenschaftliche Basis für die Dauerausstellungen bilden. Anika Oettler verweist zurecht auf den kontextbedingten Charakter von Wahrheitskommissionen: „Wahrheitskommissionen erstellen auf dem Fundament ihrer Ermittlungen und im Kontext des jeweiligen hegemonialen Weltverständnisses ein historisches Narrativ, welches die Vergangenheit interpretiert

22

23

Mehr zu diesem Thema siehe: Ramirez Castillo, Nora: „Wir hatten das Alles schon vergessen…“. Die Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte im peruanischen Andendorf Lucanamarca. In: Halbmayer/Karl 2012, S. 111–137. Theidon 2013, S. 325.

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und zugleich die Zukunft entwirft.“24 Da die Kontexte und die Vergangenheitsinterpretationen variieren können, ist die Konstruktion eines uniformen Gedächtnisses schwierig. Problematisch diesbezüglich ist außerdem die Tatsache, dass ein allgemeingültiges nationales Narrativ unter Umständen die Komplexität individueller und lokaler Erfahrungen in den Gemeinden außer Acht lassen kann. 25 Und schließlich: Was geschieht mit der gesammelten Information? In Argentinien oder in Peru sind die Ergebnisse der Wahrheitskommissionen dem Recht auf Wahrheit folgend öffentlich zugänglich. In Peru sind mehrere Dokumente in den Archiven der Defensoría del Pueblo zur Ansicht verfügbar, und auf der Website der Wahrheitskommission befindet sich die komplette Fassung des Berichts. Dies ist auch in Brasilien der Fall, wobei die Website der Wahrheitskommission (Berichtsübergabe im Jahr 2014) außerdem alle Hearings mit Videomaterial und Fotografien versehen hat.26 In Argentinien wurde das Archivo Nacional de la Memoria (Nationalarchiv der Erinnerung) 2003 errichtet. Nicht alle Dokumente sind zugänglich, da manche Grundlage für laufende juristische Verfahren bilden. Trotzdem kann man mit einer Sondergenehmigung Zugang zu diesen Informationen erhalten. In Guatemala dagegen sind die Unterlagen in Obhut der UNO in New York, während in Chile bei der 2004 gegründeten zweiten Untersuchungskommission für Folter und politische Gefangenschaft die gesammelten Informationen für 50 Jahre unter Verschluss bleiben müssen. Diese letzten Beispiele verdeutlichen die Grenzen der Wahrheit in Post-KonfliktGesellschaften. Nicht nur die öffentliche Zugänglichkeit stellt ein Problem dar. Die Inhalte sind kein einfacher Stoff, weshalb ihre Lektüre zunächst Überwindung kostet. Neben Statistiken, Daten und Fakten sowie historischen und politischen Informationen geht es vor allem um schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen, Gewalt, Terror und Repression. In der Regel werden die von Tod, Folter und Barbarei handelnden Zeugenaussagen publiziert. Da die Berichte meistens sehr umfangreich sind und teilweise in mehreren Bänden verfasst werden, ist die tatsächliche Lektüre und Verbreitung seiner Inhalte schwierig. Es gibt jedoch Ausnahmen: In Argentinien wurde der Bericht „Nunca Más“ zum Bestseller und außerdem in mehrere Sprachen übersetzt. In multilingualen und multiethnischen Ländern, wie Guatemala oder Peru, in denen Spanisch nicht die Muttersprache aller, aber vor allem nicht die der Mehrheit der Opfer ist, ist 24 25

26

Oettler 2004, S. 164. Vgl. Buckley-Zistel, Susanne: Handreichung. Transitional Justice. Berlin: Plattform Zivile Konfliktbearbeitung. Haus der Demokratie und Menschenrechte 2007, S. 4. Online verfügbar unter: http://www.konfliktbearbeitung.net/downloads/file889.pdf (abgerufen am 07.08.2017). http://www.cnv.gov.br/ (abgerufen am 07.08.2017).

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diese Situation noch schwieriger. Der ausführliche Bericht der peruanischen Wahrheitskommission umfasst beispielsweise über 8.000 Seiten, aufgeteilt in zehn Bände. Eine Online-Version ist zwar öffentlich zugängig, sie ist jedoch genauso umfangreich wie der Bericht selbst. In manchen Ländern sind Zusammenfassungen der Ergebnisse in Zusammenarbeit mit Tageszeitungen umsonst als Sonderbeihefte erschienen. Auch Nichtregierungsorganisationen publizierten vereinfacht die Ergebnisse der Berichte. Ob diese Maßnahmen die Mehrheit der Bevölkerung erreichen, bleibt offen. Darum sind andere Medien für die Kommunikation dieser „Wahrheit“ gefragt. Folglich erscheint die Errichtung von Dokumentationszentren oder Museen als eine gute Alternative, um die Inhalte der Berichte verständlicher einem größeren Publikum zu vermitteln. Für die Psychologin und ehemalige Mitglieder der zweiten chilenischen Wahrheitskommission für Folter und politische Haft, Elizabeth Lira, leben die Wahrheit, die Reparation und die verschiedenen Initiativen zugunsten des Ansehens der Opfer in den Erinnerungsorten fort.27 Gewiss stellt Wahrheit eine inhärente Komponente der Gerechtigkeit dar. Dazu gehören die Aufklärung über das Verbrechen, die Aufdeckung der Umstände sowie die Festlegung der Verantwortung. In dem Kontext von Transitionsgesellschaften wird die Wahrheitsfindung teilweise als Kompromiss ausgehandelt: Angesichts der Weigerung militärischer Protagonisten, sich Prozessen zu unterziehen, […] erscheint die Wahl des vergangenheitspolitischen Instruments der Wahrheitskommission als Kompromiss, um ein Mindestmaß an Gerechtigkeit walten zu lassen und eine moralische Verurteilung der Täter zu erreichen.28

Wird in der Öffentlichkeit bekannt, dass ein staatlicher Funktionär ein Verbrechen begangen hat, kann diese Person aus ihrem Amt entlassen werden. Hier handelt es sich um einen Mechanismus, der zumindest eine soziale, politische oder symbolische Gerechtigkeit für die Opfer ermöglichen kann. Im Gegensatz zu einem regulären Strafverfahren, bei dem das Augenmerk auf die Täter gerichtet wird, orientieren sich Wahrheitskommissionen an den Opfern und deren Anerkennung. Trotz eines fehlenden strafrechtlichen Mandats der Kommissionen bedeutet dies nicht, dass gerichtsrelevante Ergebnisse ihrer Recherchen nicht unter Umständen als Grundlage für juristische Angelegenheiten weitergeben werden können. In diesem Fall könnten einzelne Täter zur Verantwortung gezogen 27

28

Lira, Elizabeth: Chile. Verdad, reparación y justicia: el pasado que sigue vivo en el presente. In: Instituto Interamericano de Derechos Humanos. Contribución de las políticas de verdad, justicia y reparación a las democracias en América Latina. San José: IIDH 2011, S. 85–128, hier S. 91 sowie Interview am 12.03.2014 in Santiago. Oettler 2004, S. 44.

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werden, wie in Peru, wo repräsentative Fälle von Menschenrechtsverletzungen gründlich recherchiert, Täter und Opfer namentlich genannt und dies als Grundlage für eine strafrechtliche Verfolgung teilweise verwendet wurde. Doch nicht alle Wahrheitskommissionen nannten Täter namentlich. Zum Beispiel verzichteten die Wahrheitskommissionen in Guatemala und in Chile auf die Benennung der Täter, sodass deren individuelle Identifizierung der breiten Öffentlichkeit erspart wurde. Die Prozesse für Wahrheitsfindung sollten justizielle Prozesse nicht ersetzen, sondern begleiten. Das Instrument der Wahrheitskommissionen erweckt manchmal den Eindruck, dass ihre Einsetzung den normalen, sachgerechten Weg zur Justiz erschwert, oder „sometimes intentionally employed as a way to avoid holding perpetrators responsible for their crimes“29. Es entsteht ein gewisser Verdacht, der in der Tat seine Berechtigung hat. Beispielsweise wurde in Guatemala unmittelbar nach der Übergabe des Berichts der Kommission für historische Aufklärung eine Generalamnestie erlassen. Ein weiteres Beispiel ist Chile, wo aufgrund des noch existierenden Amnestiegesetzes eine grundlegende Strafverfolgung schwer ist. „[T]ruth commissions are typically employed in contexts where judicial systems are barely functioning or very weak, or are corrupt and politically biased, and prospects for serious prosecutions are slim – with or without commission – even if no amnesty is in place.“30 Deswegen bleibt die Forderung nach absoluter Justiz oft unrealisierbar. Nichtsdestotrotz bieten Wahrheitskommissionen den Opfern eine Plattform, um das Widerfahrene vor einer offiziellen Stelle sowie vor der Öffentlichkeit darzustellen. Sie stellen somit, Straßner zufolge, einen ersten Schritt zur Rehabilitierung der Opfer dar.31 Wahrheitskommissionen gehören demnach zu den wichtigsten Mechanismen der Transitional Justice. Dieser Begriff und seine Chancen und Grenzen werden in Folgenden näher betrachtet.

3.2 JUSTICIA Seit den 1990er Jahren hat sich der englische Begriff Transitional Justice etabliert, um staatliche Maßnahmen politischer und juristischer Art zu bezeichnen, die nach dem Ende eines nicht demokratischen Systems eingesetzt wurden. Diese Maßnahmen verfolgen gewöhnlich das Ziel, die „aus Gewaltsituationen resultierenden Bruchlinien und Spaltungen der Gesellschaft durch Wahrheit, Gerech29 30 31

Hayner 2001. S. 86. Ebd., S. 87. Vgl. Straßner 2007, S. 29.

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tigkeit und Wiedergutmachung zu überwinden“32. Transitional Justice bildet somit heutzutage einen festen Bestandteil der Vergangenheits- und Erinnerungspolitik. Unter den unterschiedlichen Instrumenten der Transitional Justice kann man u. a. folgende benennen: Kriegstribunale, Wahrheitskommissionen, Reparationen, institutionelle Reformen in den unterschiedlichen Gewaltapparaten und offizielles Gedenken. Dennoch werden nicht alle der genannten Instrumente gleichzeitig und auch nicht in gleichem Maße eingesetzt. Fuchs und Nolte unterscheiden zwischen negativen und positiven Maßnahmen. Unter negativen Maßnahmen versteht man die Bestrafung bestimmter Handlungen und unter positiven beispielsweise Kompensationen für die Opfer. 33 Die Autoren bezeichnen die Maßnahmen der juristischen Aufarbeitung als redistributiv und bescheinigen ihnen infolgedessen ein hohes Konfliktpotenzial: „Die strafrechtliche Ahndung schwerster Menschenrechtsverbrechen impliziert zwar die Anerkennung des Leids der Opfer, belastet jedoch gleichzeitig die Täter und ihre Komplizen. Amnestien und die Verschleierung der Wahrheit wiederum entlasten die Täter, verletzen aber die Rechte und die Würde der Opfer.“34 Maßnahmen zur finanziellen Entschädigung dagegen, so Fuchs und Nolte, seien weniger konfliktgeladen, da diese keine direkten Nachteile für die Täter implizieren.35 Das Konzept der Transitional Justice an sich wird in Post-KonfliktGesellschaften oft debattiert. Es stellt sich nämlich die Frage danach, warum transitional statt ordinary justice angewandt wird. Es gibt mehrere Faktoren politischer, juristischer, struktureller, soziokultureller und nicht zuletzt konjunktureller Art, die dafür entscheidend sind. Zunächst ist die politische Lage des jeweiligen Landes zu berücksichtigen. Unter welchen Umständen endete der Konflikt und wie verlief der Übergang in das neue System? Es sind mehrere Varianten möglich: Friedensvertrag, politische Verhandlungen, parteiliche Koalitionen, Wahlen, Sturz der Diktatur durch fremde Mächte, Deinstallation durch wirtschaftliche Faktoren etc. Wie stabil ist die junge Demokratie? Und in diesem Zusammenhang: Wie ist der Einfluss der politischen Eliten bzw. des Militärs? Besteht die Gefahr einer neuen Intervention? Die zur Verfügung stehenden Ressourcen und (Infra-)Strukturen sind ebenso maßgebend für die Umsetzung von Transitional Justice: Wie hoch ist das Ausmaß der Menschenrechtsverletzungen? Wie groß ist die Anzahl der Verantwortlichen? Hat das Justizsystem genügend Personal und Ressourcen? Gibt es überhaupt die nötige Infrastruktur, um eine große Anzahl an Verbrechern ins Ge32 33 34 35

Halbmayer/Karl 2012, S. 18. Vgl. Fuchs/Nolte 2004, S. 82. Ebd., S. 83. Vgl. ebd., S. 83.

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fängnis zu bringen und zu versorgen? Umso schwieriger sind diese Fragen zu beantworten, wenn der Staat mit seinem Personal und seinen Sicherheitskräften derjenige war, der die Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung begangen hat. Wer soll in diesem Fall beschuldigt werden? Da die Untaten einen heimlichen Charakter besaßen, ist deren Überprüfung besonders schwer. Vor allem dann, wenn, wie in den meisten Fällen, sich die Regimes ihre impunidad (Straffreiheit) durch Amnestiegesetze gesichert haben. Transitional Justice ist in der Regel opferorientiert. Bei der Einführung dieser Maßnahmen müssen mehrere Einflussfaktoren berücksichtigt werden, die stark von den sozialen Umständen, kulturellen Traditionen, ökonomischen Rahmenbedingungen sowie innen- und außenpolitischen Entwicklungen der jeweiligen Länder abhängen. Wie die Machtstrukturen und die politischen Kräftekonstellationen (Eliten, Ansehen bzw. Prävalenz der alten Machthaber) konstruiert sind, wie die beteiligten Interessengruppen sich positioniert haben, welche Einflussnahme sich die Opferorganisationen erkämpft haben, wie ihre Logistik, (Macht-)Ressourcen und Lobbyarbeit sowie ihre Interdependenzen funktionieren und inwiefern sie ihre Forderungen in der nationalen politischen Agenda durchsetzen konnten, ist ausschlaggebend für rechtliche und erinnerungspolitische Entscheidungen. Soziokulturelle Faktoren sind ebenfalls relevant, besonders dann, wenn es um Legitimation geht. Hier spielen moralische Kriterien eine besondere Rolle. Wie steht die Bevölkerung zu Menschenrechtsfragen, Solidarität und Rechtsstaat? Huntington stellt diesbezüglich fest: „A profoundly antidemocratic culture impedes the spread of democratic norms in the society, denies legitimacy to democratic institutions, and thus greatly complicates, if not prevents, the emergence of an effective functioning of those institutions.“36 Ist die Gesellschaft gewillt, sich mit der Vergangenheit zu beschäftigen, oder bevorzugt die Mehrheit der Bevölkerung, in die Zukunft zu schauen? Transitional-Justice-Maßnahmen, beispielsweise Reparationen, sind nur mit großem Aufwand und finanziellen Ressourcen zu gewährleisten. Es ist insofern wichtig, dass nicht nur der Staat, sondern auch die Gesellschaft die Notwendigkeit der Aufarbeitung anerkennt. Nur so können staatlich finanzierte Maßnahmen eine gewisse Legitimation erhalten. Es stellt sich schließlich die Frage nach der Intention. Warum wird überhaupt Transitional Justice angewandt? Hierfür kann man hauptsächlich zwei Kriterien anführen. Die Aufarbeitung der Vergangenheit begleitet heutzutage weltweit die Transitionsprozesse in neuen demokratischen Systemen. Die Länder, die internationale Menschenrechtskonventionen ratifiziert haben, müssen deren Einhaltung 36

Huntington 1991, S. 298.

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garantieren, und dazu gehören die Verfolgung von schwersten Menschenrechtsverletzungen sowie zumindest außergerichtliche Formen der Entschädigung für die Opfer. Die Integration internationalen Rechts in die nationalen Rechtsprechungen ist in diesen Fällen verpflichtend. Ein neues System muss sich international legitimieren und vom alten System abgrenzen: „Erinnerung dient […] der Delegitimierung der alten Ordnung und der Bekräftigung der Rechtmäßigkeit der neuen Ordnung.“37 Außerdem erhofft man sich somit eine friedliche Zukunft. Aber auch national muss sich die neue Demokratie legitimieren. Es ist zu diesem Punkt erwähnenswert, dass die Implementierung der existierenden Maßnahmen in den meisten lateinamerikanischen Ländern nicht möglich gewesen wäre ohne das Engagement der Familienangehörigen von Opfern, von Überlebendenvereinen und/oder von Menschenrechtsbewegungen. In Lateinamerika kam also der Druck zur Aufarbeitung auf nationaler Ebene von unten in einem Bottom-up-Prozess.38 Barahona de Brito, González-Enríquez und Aguilar stellen diesbezüglich folgende These auf: „The more pressure a new democratizing elite is under from mobilized human rights organizations or other bodies, such as opposition parties and churches and even from public opinion, the more likely it is to adopt some sort of policy to deal with the past.“39 Man kann dementsprechend schlussfolgern: Lokale Besonderheiten, regionale Dynamiken und globale Normativen oder Handlungsmuster beeinflussen die praktischen Anwendungen von Transitional-Justice-Maßnahmen direkt oder indirekt, bewusst oder unbewusst. Dilemmas der Transitional Justice Transitional Justice ist von einer gewissen Ambivalenz gekennzeichnet: Ethik oder Staatsraison? Wahrheit oder Gerechtigkeit? Verfolgung oder Amnestierung? Erinnern oder Vergessen? Diese Dilemmas werden von dem Politologen und Lateinamerika-Experten Detlef Nolte bereits Mitte der 1990er Jahre thematisiert. In seiner Publikation zur Vergangenheitsbewältigung in Lateinamerika weist er auf das moralische Dilemma hin, vor dem sowohl Politiker als auch Menschenrechtsorganisationen stehen, wenn es um die Frage nach der Aufarbeitung geht. Es handelt sich dabei um zwei ethische Werte, die in transitorischen Perioden miteinander konkurrieren: Durchsetzung des Rechts, welches die Bestrafung der Unrechte impliziert, versus Sicherung, Stabilität bzw. Konsolidie37 38 39

Kohlstruck, in: Schwelling 2004, S. 173–194, hier S. 177. Halbmayer/Karl 2012, S. 9. Barahona de Brito, Alexandra/González-Enríquez, Carmen/Aguilar, Paloma: Conclusions. In: Dies. (Hrsg.): The Politics of Memory. Transitional Justice in Democratizing Societies. Oxford u. a.: Oxford University Press 2001, S. 303–314, hier S. 307.

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rung der neugewonnenen Demokratie. Nolte durchleuchtet in Anlehnung an Max Weber (Politik als Beruf, 1919) die grundverschiedenen Maximen „Gesinnungsethik“ versus „Verantwortungsethik“ und kommentiert kritisch die Tendenz in vielen lateinamerikanischen Ländern, „verantwortungsethische Postulate zum Selbstzweck werden zu lassen und ethische Grundfragen auszublenden“40. Sind strategisch gesehen einige politische Entscheidungen im Sinne einer Verantwortungsethik unter den vorherrschenden Umständen durchaus legitim, sollte, so Nolte, unter veränderten Rahmenbedingungen die Menschenrechtsproblematik – nicht auszuschließen eine Strafverfolgung – wieder aufgenommen und diskutiert werden. In einer weiteren, gemeinsam mit der Politologin Ruth Fuchs entstandene Studie greift Nolte das Thema erneut auf: „Der sich an Verantwortungsethik orientierende Politiker sollte […] nicht versuchen, moralische Prinzipien, die er für richtig hält, um jeden Preis und unbeschadet der möglichen negativen Konsequenzen dieses Handelns durchzusetzen.“41 Denn gewiss verfügt die Mehrheit der jungen Demokratien über eingeschränkte Handlungsspielräume. Martin Traine bezeichnet diese Situation als „paradoxer Schritt“: „Um ihrer Legitimität gerecht zu werden, sollten die demokratischen Systeme erstmalig historische Wiedergutmachungen ermöglichen; um ihre politische Nachhaltigkeit zu garantieren, mussten sie jedoch erzwungenes Vergessen und Verzeihen in Kauf nehmen.“42 Der chilenische Soziologe Manuel Antonio Garretón äußert sich zu dieser Problematik wie folgt: If the spectre haunting the ethical logic consists of forgetting and impunity, the spectre haunting the political-state logic is authoritarian regression. Taking the metaphor to its extreme, one can say that there is a hidden reciprocal blackmail between the two competing logics. Some will claim that the radical solution to the human rights problem will invite authoritarian regression. Others will say that if the human rights issue is not resolved, democracy will lack legitimacy.43

Zu den Hauptcharakteristika einer funktionierenden Demokratie gehört die Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit, und dazu gehört desgleichen die Achtung der 40 41 42

43

Nolte, Detlef: Wahrheit und Gerechtigkeit oder Vergessen? Vergangenheitsbewältigung in Lateinamerika. In: Ders. (Hrsg.) 1996, S. 7–28, hier S. 14. Fuchs/Nolte 2004, S. 78. Traine, Martin: Historisches Gedächtnis und politische Strafe – Der demokratische Umgang mit der autoritären Vergangenheit in Lateinamerika. In: Schmidt/ Picke/Pickel 2009, S. 87–100, hier S. 87. Garretón, Manuel Antonio: Human Rights in Processes of Democratisation, Journal of Latin American Studies, Cambridge University, Vol. 26, Nr. 1, Februar 1994, S. 221–234, hier S. 224.

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Menschenrechte und das Recht auf Justiz. Es stellt sich diesbezüglich die Frage danach, inwiefern ein Staat, der nicht in der Lage ist, die (Menschen-)Rechte seiner Bürger, Rechtsstaatlichkeit und Gerechtigkeit zu garantieren, sich als demokratisch bezeichnen lässt, und ob ein demokratisches System auf diese Weise Stabilität und anhaltenden Frieden gewährleisten kann. Transitional Justice wird demnach nicht selten sowohl in der Praxis als auch in der Forschung kritisch hinterfragt. Entsprechend versuchen Opferorganisationen und Menschenrechtsaktivisten nach wie vor, ihre Forderungen nach ordentlicher Justiz durchzusetzen.

3.3 REPARACIÓN Reparationen können als Sach-, Geld- oder Dienstleistungen seitens des Staates definiert werden. Es geht dabei um eine offizielle Anerkennung des Leids der Opfer und seiner Familien, und gleichzeitig um ein staatliches Schuldeingeständnis. Die Inhalte eines Reparationsprogramms müssen erstens eine Opferdefinition, zweitens eine Definition der Begünstigten und drittens eine Definition der Leistungen beinhalten.44 Experten beobachten, dass die Partizipation der Opferangehörigen und Überlebenden in den Entwurfsprozessen eines Reparationsprogramms von großer Relevanz sein kann, wenn sie kompetent, transparent und achtungsvoll durchgeführt wird. Solcherart können die Reparationsprogramme Legitimation und Resonanz gewinnen. Mithilfe dieser Akteure wird aufschlussreiches Informationsmaterial für den Inhalt eines Programms gesammelt, und auf diese Weise können ihre Anliegen besser berücksichtigt werden. Dadurch wird nicht nur unter den Opfern Vertrauen aufgebaut, sondern auch mit dem Rest der Gesellschaft einschließlich des Staates. Außerdem kann ein partizipativer Ansatz in zweierlei Hinsicht einen Entschädigungseffekt an sich haben. Einerseits werden Opfergruppen als Rechteinhaber anerkannt und als Gesprächspartner „auf Augenhöhe“ behandelt: „Reparation programs […] also have a forward-looking goal of helping to rebuild society by affirming the status of victims as equal citizens [Herv. i. O.] in a new order that aspires to be not only more peaceful but also more legitimate, more democratic, more inclusive.“45 Die Partizipation, anderseits, kann ein Garant für die Nicht-Wiederholung der Ereignisse, für ein „Nunca Más“, sein. Allerdings kann die Partizipation unrealistische Erwartungen wecken und 44

45

Vgl. Rubio-Marín, Ruth/Paz y Paz Bailey, Claudia/Guillerot, Julie: Indigenous Peoples and Claims for Reparation: Tentative Steps in Peru and Guatemala. In: Arthur, Paige (Hrsg.): Identities in Transition. Challenges for Transitional Justice in Divided Societies. New York: Cambridge University Press 2011, S. 17–53, hier S. 21. Ebd., S. 18.

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an ihre Grenzen stoßen. Zudem stellt sich die Wahl einer legitimen Repräsentation innerhalb der zahlreichen und sehr heterogenen Opferorganisationen als eine mühsame Aufgabe dar.46 Reparationen können kollektiv, individuell, materiell und/oder symbolisch sein. Materielle Entschädigungen können innerhalb der Opfervereine unter Umständen moralische Konflikte auslösen und zu Problemen bei der Umsetzung führen. Es stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, wie das Leben einer Person repariert werden kann. Wie viel ist es wert? Soll nach der Entschädigung der Anspruch auf Gerechtigkeit aufgegeben werden? In Chile beispielsweise lehnte die Agrupación de Familiares de Detenidos Desaparecidos (AFDD – Zusammenschluss von Familienangehörigen verschwundener Verhafteter)47 eine einmalige Entschädigungszahlung ab. Sie akzeptierten hingegen eine lebenslange Pension und Vergünstigungen im Bereich Gesundheit (körperlich und psychisch), Bildung und integrative Maßnahmen in der Arbeitswelt. In Ländern wie Peru und Guatemala, wo die Opfer aus den ärmsten Regionen des Landes stammen, sind allerdings finanzielle Reparationen lebenswichtig, denn die internen Konflikte bedeuteten für viele die Vernichtung ihrer Existenzgrundlage. Kollektive Entschädigungsmechanismen können ebenfalls problematisch sein, wenn es um die Frage nach der Menge und der Empfänger geht: Welche Opfergruppen werden mit wie viel Geld und weswegen entschädigt? Auch die Frage bezüglich des Opferstatus ist schwierig. Es kann zu Konkurrenzen innerhalb der unterschiedlichen Opfergruppen kommen: Wer wird dadurch privilegiert, wer bleibt außen vor? Und vor allem: Nach welchen Kriterien wird der Opferstatus anerkannt? All diese Fragen sollen die Komplexität der Thematik verdeutlichen, werden aber an dieser Stelle keine konkrete Antwort finden. Jedenfalls sind sie für die Musealisierungsprozesse von Bedeutung, wenn man staatliche Museen auch unter symbolische Reparationsmaßnahmen versteht. Denn um sie herum bilden sich ähnliche Spannungen, beispielsweise in Bezug auf partizipatorische Ansätze oder die Konkurrenz der Narrativen. Da Museen Erinnerungsspeicher sind und dort Geschichte präsentiert, erinnert und vermittelt wird, können sie trotz allem als Mahnmal für die Zukunft zu einem Nunca Más beitragen.

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47

Mehr zu diesem Thema siehe: Correa, Cristián/Guillerot, Julie/Magarrell, Lisa: Reparations and Victim Participation: A look at the Truth Commissions Experience. In: Ferstman, Carla/Goetz, Mariana/Stephens Alan (Hrsg.): Reparations for Victims of Genocide, War Crimes an Crimes against Humanity. Systems in Place and Systems in the Making. Leiden u. a.: Brill Nijhoff Academic Publishers 2009, S. 385–414. Im Folgenden AFDD.

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3.4 FAZIT: MEHR WAHRHEIT, WENIGER GERECHTIGKEIT Es wurde deutlich, wie komplex die Beziehung zwischen Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung ist. Hierzu sind spezifische soziokulturelle und politische Rahmenbedingungen zu berücksichtigen, die diese Umstände entweder erschweren oder begünstigen. In den meisten Ländern waren die ehemaligen Mitglieder des Militärs oder der ehemaligen politischen Eliten aktiv an den Verhandlungen beteiligt und durften bei der Definition von Machtverhältnissen und Grundbedingungen des Übergangsprozesses mitentscheiden. Teilweise sicherten sie sich schon vor der Transition Privilegien. Diese Tatsache lässt also die Nichtbeachtung der Anforderungen für Strafverfolgung erahnen. Das in Lateinamerika verwendete Transitional-Justice-Modell war (ist) von politischem Pragmatismus gekennzeichnet: Die Menschenrechtsverletzungen wurden zwar untersucht, die Mehrheit der Täter wurde jedoch nicht zur Rechenschaft gezogen. Zugunsten einer friedlichen Transition wurde Straflosigkeit (impunidad) bevorzugt. Viele grundlegende vergangenheitspolitische Entscheidungen müssen im Kontext politischer Transition […] getroffen werden, in Situationen also, die ohnehin durch politische Instabilität, noch nicht verfestigte institutionelle und prozedurale Regelungen sowie hohen Erfolgsdruck für die Regierung geprägt sind.48

Man musste also die Stabilität der fragilen Demokratien verteidigen und Prozesse der nationalen – und oft falsch verstandenen – Versöhnung leiten. Auch wenn viele Familienangehörige Gerechtigkeit für die beste und fairste Wiedergutmachung hielten, mussten sie sich de facto mit anderen symbolischen, kollektiven oder materiellen Maßnahmen der Wiedergutmachung und Anerkennung – sozusagen – zufriedenstellen und bittere Kompromisse eingehen. Trotzdem sind ihre Forderungen nach verdad, justicia, reparación y memoria weiterhin laut und werden auf anderen Wege, zum Beispiel mittels kultureller Aktivitäten, Demonstrationen oder auch mittels internationaler Justizinstanzen, manifestiert. Hierzu warnen Huffschmid und Heidhues: Gesellschaftliches und juristisches Erinnern lassen sich nicht gegeneinander ausspielen, sondern bedingen sich vielmehr wechselseitig: Zentral für die kulturelle Verarbeitung von Gewalterfahrungen ist ihre Anerkennung als Straftatbestand durch die entsprechenden – und zwar vor allem: nationalen – Instanzen und die Verurteilung der Verantwortlichen.49

48 49

Straßner 2007, S. 54. Huffschmid/Heidhues 2008, S. 11.

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Nichtsdestotrotz, und als Resultat des jahrelangen Engagements der Opfervereine, musste aber zumindest das Ausmaß des Geschehenen, das bis dato unbekannt war, der Öffentlichkeit gezeigt werden. Auch die Experten sind sich nicht immer einig: Während für Elizabeth Lira die Reparation eine Bestrafung der Täter voraussetzt50, bemerken Fuchs und Nolte: „Die Art und Weise, wie die Vergangenheit aufgearbeitet wird, stellt immer eine historische Kompromißformel zwischen dem moralisch-normativ Wünschenswerten, dem politisch Machbaren und dem politisch Notwendigen dar.“51 Nach diesem einleitenden Überblick über die zentralsten Themenkomplexe der lateinamerikanischen Erinnerungslandschaft sowie über die resultierenden Herausforderungen soll im nächsten Kapitel konkreter auf die in Chile und Peru ergriffenen erinnerungspolitischen Maßnahmen nach den Transitionen eingegangen werden.

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Lira 2011, S. 91. Fuchs/Nolte, in: Landkammer u. a. 2006, S. 136.

4

Erinnerungspolitische Maßnahmen in Post-Konflikt-Staaten

Die Museos de la Memoria sind das Resultat langjähriger, komplexer Verhandlungen zwischen unterschiedlichen politischen und sozialen Akteuren. Mit den Museen soll ein Zeichen für den staatlichen Willen zur Aufarbeitung sowie für eine kulturhistorische Beschäftigung mit der Vergangenheit gesetzt werden. Die Entstehung dieser Institutionen stellt keine isolierte Strategie für eine Kultur des Erinnerns dar, sondern man kann sie in einer Reihe offizieller erinnerungskultureller und erinnerungspolitischer Maßnahmen einrahmen. In den beiden hier behandelten Ländern, in Chile und in Peru, wurden unterschiedliche Instrumente und Mechanismen der Transitional Justice eingesetzt. Allgemein lässt sich feststellen, dass der politische Wille für eine dezidierte Erinnerungspolitik von Amtsperiode zur Amtsperiode unterschiedlich war. Anstatt eine langfristige und zukunftsorientierte Erinnerungspolitik zu entwickeln, setzten diese beiden Länder eher auf konkrete Maßnahmen, die immer von sozialen, wirtschaftlichen und politischen Konjunkturen beeinflusst wurden. Nichtsdestotrotz entschieden sich die jeweiligen Regierungen seit der Transition immer wieder für Strategien der Aufarbeitung in irgendeiner Form. Dies nicht immer freiwillig, sondern einerseits aufgrund des Engagements der Menschenrechtsorganisationen und Verbände, die sich in den letzten Jahren als politische Akteure etabliert haben, anderseits aufgrund internationalen Drucks. Im Folgenden wird ein Überblick über die erinnerungspolitischen Maßnahmen sowie die von staatlicher Seite ausgehende symbolische Geste verschafft, welche beide Länder bezüglich ihrer Post-Konflikt-Dynamiken geprägt haben, und die direkt oder indirekt für die Musealisierungsprozesse von Bedeutung sind. Dieser Überblick ist für die vorliegende Arbeit wichtig, nicht nur, um den historischen Hintergrund aufzuzeigen, sondern auch, um die Komplexität solcher Prozesse und den langen Weg bis zur Entstehung solcher Institutionen, inklusive ihrer Kontroversen, besser nachvollziehen zu können. Der Übersichtlichkeit

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werde ich chronologisch nach Regierungsperioden vorgehen. Die folgenden Zeilen haben nicht die Absicht, eine umfassende Rekonstruktion der Ereignisse seit der Transition darzustellen. Vielmehr werden hier diejenigen Ereignisse und Maßnahmen hervorgehoben, die für die Konstruktion von Narrativen für die museale Repräsentation beigetragen haben.

4.1 CHILE Am 11. September 1973 stürzte die chilenische Militärjunta aus Heer, Marine, Luftwaffe und Polizei Carabineros unter der Leitung des Generals Augusto Pinochet die demokratische Regierung des Sozialisten Salvador Allende. Von da an begann eine beinahe 17 Jahre währende Diktatur, die mit Gewalt jede Art von Opposition verfolgte. Vor allem die politischen Eliten des Landes sowie die organisierte Zivilgesellschaft waren anfangs von der Repression betroffen. Verschwindenlassen, extralegale Exekutionen, Folter oder Arbeitsverbot sind einige der üblichsten Maßnahmen der Militärdiktatur. Im Chile der 1980er Jahre existierten und konkurrierten hauptsächlich zwei Narrative bezüglich des Putsches, der Militärjunta und vor allem seines Hauptprotagonisten Augusto Pinochet. Einerseits hielt ein Teil der Bevölkerung Pinochet für den Retter der Nation, der das Land vom Kommunismus und Chaos erlöste und wieder Ordnung herstellte sowie wirtschaftliche Stabilität und infrastrukturelle Entwicklung ermöglichte. Anderseits wurde er von einem anderen Teil der Bevölkerung als ein Diktator betrachtet, der das Experiment eines demokratisch gewählten Sozialismus mit einem illegitimen Putsch zerstörte, wesentliche zivile und politische Grundrechte missachtete und das Land repressiv und autoritär regierte. Außerhalb Chiles herrschte, nicht zuletzt aufgrund des Engagements der gut vernetzten Exilgemeinde und mehrerer internationaler solidarischer Netzwerke, eine ähnliche Auffassung. International war Chile weitgehend isoliert, und Pinochet wurde zum „Prototyp eines südamerikanischen Diktators“1. Auch wenn heutzutage die Mehrheit der Chilenen der Meinung ist, dass während der Diktatur die Menschenrechte systematisch verletzt wurden, und eine Demokratie als Regierungsform bevorzugt, würde ein Teil der Bevölkerung eventuell, unter

1

Rinke, Stefan/Dufner, Georg: Ein Abgang in drei Akten. Chile und der lange Schatten Augusto Pinochets. In: Großbölting, Thomas/Schmidt, Rüdiger (Hrsg.): Der Tod des Diktators. Ereignis und Erinnerung im 20. Jahrhundert. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2011, S. 277–302, hier S. 279.

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schwierigen Umständen, nach wie vor einen institutionellen Bruch hinnehmen. 2 Die Gesellschaft ist also immer noch entzweit, wenn es um die Aufarbeitung und Erinnerung der Zeit der Militärdiktatur geht. Der chilenische Weg zur Demokratie wurde friedlich in Form einer „paktierten Transition“3 eingeleitet. Der Verfassungsentwurf von 1980, der mittels eines dubiosen Plebiszits4 mit 67 % der Stimmen5 bestätigt wurde, bestätigte zugleich das Amt Pinochets als Präsident der Republik für weitere acht Jahre. Diese Verfassung kündigte allerdings gleichzeitig ein Plebiszit an, bei welchem die Wähler 1988 erneut abstimmen konnten, ob der General Pinochet entweder eine weitere Amtszeit von acht Jahren antreten oder durch eine Zivilregierung im Jahr 1989 abgelöst werden solle. Die Diktatur hatte also – ohne es zu beabsichtigen bzw. vorauszusehen – den Weg zur Demokratie per Verfassung ermöglicht. Anfang der 1980er Jahre war die Opposition noch unkoordiniert und unorganisiert, die Gewerkschaften, Verbände und Zivilorganisationen geschwächt und politisch wenig aktiv. Ende der 1980er Jahre, aufgrund einer relativen Lockerung der repressiven Maßnahmen, die u. a. die Rückkehr vieler Exilanten ermöglichte, fing die Opposition an, sich zu organisieren. 1988 bildeten die Parteien der Opposition – Sozialisten, Sozialdemokraten und Christdemokraten – ein Mitte-Links Bündnis, das den Namen Concertación de Partidos por la Democracia (Vereinigung der Parteien für die Demokratie)6 trug. Die Parteien der Concertación arbeiteten zusammen für einen Sieg des NO und gewannen 1988 das Plebiszit mit 54 % der Stimmen.7 2

3 4

5

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Das sind die Ergebnisse der 2013, 40 Jahre nach dem Militärputsch, durchgeführten Umfrage des Nationalen Institutes für Menschenrechte. Während 80 % der Befragten meinten, während der Diktatur seien die Menschenrechte systematisch verletzt worden, und fast 70 % die Demokratie als Regierungsform bevorzugen, wäre 22 % der Bevölkerung bereit, unter bestimmten Umständen, die Demokratie zu opfern. Online verfügbar unter: http://www.indh.cl/indh-hace-entrega-de-encuesta-nacionalde-dd-hh-valoracion-de-la-democracia-y-percepcion-de-vulneracion-de-derechos-so ciales-marcan-resultados (abgerufen am 07.08.2017). Vgl. Straßner 2007, S. 244. Am 13 November 1973 wurde das Wählerverzeichnis durch das Dekret-Gesetz Nº130 als nichtig deklariert, die Archive wurden verbrannt und weitere Anmeldungen wurden abgelehnt. Die Volksabstimmung fand unter den Bedingungen des Ausnahmezustandes statt. Angesichts der Proskription der Opposition, der Pressezensur, des inexistenten Wählerverzeichnisses und des Verzichts auf eine öffentliche Auszählung der abgegebenen Stimmen fehlten die erforderlichen Voraussetzungen für ein legitimes Wahlergebnis (Quelle: Archiv- und Anschauungsmaterial des Museo de la Memoria y los Derechos Humanos, Santiago). Höchst, Claudia: Vergangenheitsbewältigung und ihre Rolle im Demokratisierungsprozess postautoritärer Systeme. Der Fall Chile. Münster: Westfälische WilhelmsUniversität. Lateinamerika-Zentrum 2003, S. 29. Im Folgenden Concertación. Vgl. Lira 2011, S. 88.

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Patricio Aylwin Am 14. Dezember 1989 fand die Präsidentschaftswahl statt, bei der die Concertación mit dem Christdemokraten Patricio Aylwin gegen Pinochet antrat. Aylwin wurde zum Präsidenten der Republik Chile gewählt, somit endete die 17 Jahre währende Militärdiktatur auf legale und friedliche Art. Dieses Wahlergebnis bedeutete für viele Chilenen einen entscheidenden Schritt hin zu einem bis heute anhaltenden Kampf um Aufklärung, Wahrheit und Gerechtigkeit. Pinochet verlor das Plebiszit von 1988, er bekam aber immerhin 43 % der Stimmen.8 Die chilenische Transition wurde zwar demokratisch eingeleitet, die Schatten der Diktatur waren damals dennoch sehr lang und ihre Handlungsspielräume sehr groß. Die nationalen Sicherheitskräfte akzeptierten das Ergebnis der Wahlen, jedoch nicht ohne Verhandlungen. Die dringlichsten Bedingungen des Militärs, dessen Oberbefehlshaber Pinochet blieb, waren strafrechtliche Unangreifbarkeit und finanzielle Autonomie. Einerseits hatte die Militärjunta für juristische Schutzmechanismen im Falle einer Strafverfolgung gesorgt: Bereits 1978 wurde ein Gesetz zur Selbstamnestie erlassen, das die Straffreiheit für alle kriminellen Handlungen garantierte, welche in der Zeit vom 11. September 1973 bis zum 10. März 1978 von Mitgliedern der Streit- und Sicherheitskräfte begangen worden waren.9 Außerdem durfte das Militär nur vor Militärgerichten verurteilt werden, was in der Praxis zu Freisprüchen führte. Für Militärs und Polizisten, die wegen Menschenrechtsverletzungen verurteilt wurden, und deren Fälle nicht durch das Amnestiegesetz abgedeckt werden konnte, wurde ein Sondergefängnis eingerichtet.10 Andererseits waren laut Verfassung die drei Oberbefehlshaber der Teilstreitkräfte und der Oberkommandierende der gesamten Streitkräfte unabsetzbar. Diese Verfassungsbestimmung führte dazu, dass die JuntaMitglieder trotz Regimewechsel bis 1998 nicht von ihren Posten abgesetzt werden konnten.11 In der Verfassung wurde auch die Figur der Senadores Designados kreiert. Es handelte sich dabei um neun Senatoren, die für eine achtjährige Periode nicht gewählt, sondern institutionell ernannt wurden. Außerdem wurde jeder ExPräsident zum Senator auf Lebenszeit ernannt.12 Somit blieb Augusto Pinochet 8 9 10 11

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Vgl. Stern, Steve J./Winn, Peter: El tortuoso camino chileno a la memorialización (1990–2011). In: Dies. u. a. 2013, S. 261– 410, hier S. 263. Decreto Ley 2.191, zit. nach. Straßner 2007, S. 230. Vgl. Nolte 1996, S. 11 f. Vgl. Krumwiede, Heinrich-W.: Die chilenische Regimetransformation im Rückblick. In: Imbusch, Peter/Messner, Dirk/Nolte, Detlef (Hrsg.): Chile heute. Politik, Wirtschaft, Kultur. Frankfurt am Main: Vervuelt 2004, S. 253–273, hier S. 259. Die Figur des „Senador Designado“ wurde 2005 bei einer Verfassungsreform abgeschafft. http://www.camara.cl/preguntas.aspx (abgerufen am 07.08.2017).

Erinnerungspolitische Maßnahmen in Post-Konflikt-Staaten | 93

als Oberkommandeur der Armee und Senator auf Lebenszeit unantastbar, verfügte also über politische, juristische und militärische Macht und Ressourcen, die unter Umständen eine latente Gefahr für die junge Demokratie darstellten. 13 Auf diesem Wege gelang es „[…] dem chilenischen Militär, die Bedingungen des Übergangs zu diktieren, sich auch in der jungen Demokratie bedeutende Einflußsphären zu sichern“14. Das Programm der Concertación plante, sich für die Aufklärung der Wahrheit in Fällen von Menschenrechtsverletzungen seit dem 11. September 1973 einzusetzen sowie das Amnestiegesetz aufzuheben. Zudem sicherte sie zu, gemäß den geltenden Rechtsvorschriften die strafrechtliche Verfolgung der Verantwortlichen aufzunehmen und die Opfer materiell und moralisch zu entschädigen.15 Im Präsidentschaftswahlkampf versprach Aylwin, das Amnestie-Dekret für ungültig zu erklären, jedoch kam es zu dieser Annullierung nicht. Stattdessen überließ er seine Interpretation den Richtern, die aufgefordert wurden, nach der Doctrina Aylwin zu agieren. Die sogenannte Doctrina Aylwin bestand darin, die Richter, trotz Geltung des Amnestiegesetzes von 1978, zu ermutigen, individuelle Fälle gründlich zu untersuchen sowie strafrechtliche Verantwortung festzustellen und erst in der letzten Prozess-Etappe die Amnestie anzuwenden.16 Zu den ersten vergangenheitspolitischen Maßnahmen des Staates gehörten die Freilassungen von politischen Häftlingen, die teilweise erst nach starken gesetzlichen Modifikationen möglich waren. Darüber hinaus kam es zu Begnadigungen sowie Erleichterungen für die Rückkehr der Exilanten, deren Zahl auf etwa 200.000 Personen geschätzt wurde.17 Als „el primer acto de reinvidicación pública“18 (erster Akt öffentlicher Anerkennung) wurde die Feier der Amtsübernahme am 11. März 1990 von AFDD gekennzeichnet. Zu dieser emotionalen Zeremonie wurden die Angehörigen der Opfer vom Präsidenten Aylwin eingeladen. Die AFDD nahm teil und trat mit ihrem Conjunto Folklórico (Volksmusikgruppe) auf, während auf einer Anzeigetafel die Namen der desaparecidos aufgelistet wurden.19 Als Ort für die Feierlichkeiten der Regierungsübernahme wur13 14 15 16 17 18 19

Kurz vor den Präsidentschaftswahlen drohte Pinochet: „The day they touch any of my men, will be the end of the state of law“, zit. nach Huntington 1991, S. 216. Fuchs/Nolte, in: Landkammer u. a. 2006, S. 136. Vgl. Lira, Elizabeth/Loveman, Brian: Políticas de reparación. Chile 1990–2004. Santiago de Chile: LOM Ediciones 2005, S. 124. Vgl. Winn, Peter: La batalla por la memoria histórica en el Cono Sur: conclusiones comparativas. In: Stern u. a. 2013, S. 411–450, hier S. 417. Vgl. Lira 2011, S. 103. Vgl. Straßner 2007, S. 255. Dieser Auftritt war besonders rührend und symbolisch zugleich: Während eine Gruppe von Frauen – Mütter, Schwester oder Ehefrauen der desaparecidos – mit den Fotos ihrer Verwandten in der Hand im Zentrum des Stadiums standen, spielte eine zweite Gruppe die Akkorde eines Cuecas. Der Nationaltanz Cueca, der traditio-

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de das Estadio Nacional gewählt, jener Ort, der als größtes Internierungslager der Diktatur gilt und in dem Tausende von Chilenen ihrer Freiheit beraubt, gefoltert und häufig exekutiert wurden. Die Tatsache, dass so eine signifikante politische Auftaktveranstaltung an diesem emblematischen Ort stattfand, kann man als eine symbolische Geste zur Entschädigung und Restitution der Opfer betrachten. Aylwins politische Ziele fokussierten das Aushandeln eines Konsenses, um eine „nationale Versöhnung“ und eine „friedliche Koexistenz“ zu ermöglichen. Dafür waren die Anerkennung und die Suche nach Wahrheit die Mindestvoraussetzungen. Die Priorität der Concertación-Regierung lag daher in der Wahrheitssuche bezüglich der vergangenen Menschenrechtsverletzungen und in der Konsolidierung einer Kultur der Achtung vor die Menschenwürde, um somit eventuelle Grausamkeiten in der Zukunft zu verhindern. 20 Die Rettig-Kommission Der Präsident Aylwin im April 1990 rief, nur wenige Wochen nach seinem Amtsantritt, eine Kommission ins Leben, die damit beauftragt wurde, ein möglichst umfassendes Gesamtbild der schweren Menschenrechtsverletzungen im Zeitraum vom 11. September 1973 bis zum 11. März 1990 in Chile zu zeichnen. Darüber hinaus sollte sie die Zahl der Opfer und deren Identität bestimmen. Die Kommission sollte zudem politisch begründete Gewaltakte untersuchen, die von Privatpersonen ausgeübt worden waren. Schließlich war es Aufgabe der Kommission, Empfehlungen hinsichtlich der Rehabilitierung der Opfer auszusprechen sowie Entschädigungs- und Präventionsmaßnahmen zur Verhinderung von Menschenrechtsverletzungen zu ergreifen.21 Die Comisión Nacional de la Verdad y Reconciliación (Nationale Kommission für Wahrheit und Versöhnung) wurde nach ihrem Vorsitzenden, dem früheren Rechtsanwalt, Diplomat und Senator Raúl Rettig, als Rettig-Kommission bekannt. Sie setzte sich aus acht unabhängigen Kommissaren zusammen, die ein breites Spektrum der chilenischen Gesellschaft repräsentieren sollten. Auch wenn Angehörige direkter Opfer nicht als Mitglieder der Kommission eingeladen wurden, war die Partizipation der Opferorganisationen für die Wahrheitssu-

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nell zu zweit getanzt wird, wurde hier allein von einer Frau getanzt. Dieser symbolische Akt, bekannt als „la Cueca Sola“, wurde auch bei anderen Gedenkveranstaltungen und Demonstrationen getanzt. (Quelle: Video- und Archivmaterial des Museo de la Memoria y los Derechos Humanos, Santiago). Vgl. Stern u. a. 2013, S. 272. Decreto Supremo Nr. 355, in: Informe de la Comisión Nacional de Verdad y Reconciliación (Informe Rettig) Band I. Santiago: 1991. Corporación Nacional de Reparación y Reconciliación. Reedición 1996. Online verfügbar unter: http://www. gob.cl/informe-rettig/ (abgerufen am 07.08.2017).

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che von großer Relevanz, da die Mitglieder der Sicherheitskräfte nur in Ausnahmefällen mit der Kommission kollaborierten. Vielmehr hielten sie ihre Archive unter Verschluss. Im Gegensatz dazu stellten die Menschenrechtsorganisationen ihre Dokumentationen und Archive zur Verfügung. Die Kommission war im Grunde abhängig von der Kollaboration mit den Menschenrechtsorganisationen und ihren über Jahre gesammelten Dokumenten. 22 Ein entscheidendes Element für die Rekonstruktion der Vergangenheit waren außerdem Zeugenaussagen von Familienangehörigen oder Überlebenden. Die Rettig-Kommission überreichte dem Präsidenten Aylwin ihren umfangreichen Bericht im Februar 1991. Nach gründlicher Untersuchung wurden 2279 Fälle ermordeter und verschwundener Chilenen erfasst.23 Am 4. März 1991 wandte sich Aylwin anlässlich der Bekanntgabe des von der Wahrheits- und Versöhnungskommission erstellten Abschlussberichts in einer Fernsehansprache an die Bevölkerung, bei der er die Ergebnisse des Berichts mit folgenden Worten zusammenfasste: Der Bericht […] deckt die Wahrheit auf. […] Damit will ich nicht sagen, dass es sich um eine ‚offizielle‘ Wahrheit handelt. Der Staat hat nicht das Recht, eine Wahrheit ‚aufzuzwingen‘. Aber ich bin von ihr überzeugt, und rufe alle meine Landsleute dazu auf, sie anzunehmen und dementsprechend zu handeln. 24

Er appellierte zugleich an das Militär, Informationen über den Verbleib der desaparecidos herauszugeben, und an die Judikative, eine proaktive Menschenrechtsagenda zu übernehmen. Bei dieser Gelegenheit bat Aylwin als Präsident der Republik die Angehörigen der Opfer öffentlich im Namen des Staates um Vergebung.25 Die Regierung der Concertación erkannte somit offiziell die Ergebnisse der Wahrheitskommission an. In der Gesellschaft und innerhalb der politischen Eliten waren die Reaktionen allerdings unterschiedlich. Die rechtskonservativen Parteien äußerten sich negativ zu dem Bericht. Das Militär und die Ordnungskräfte lehnten den Bericht der Rettig-Kommission offiziell ab mit dem Argument, man habe den historischen und politischen Kontext, der zum Eingreifen des Militärs geführt habe, nicht genügend berücksichtigt. Außerdem kritisierten sie den historischen Zeitraum des Mandats: Denn während der Regierung Allende, so die Argumentation, seien auch gravierende Menschenrechtsverletzungen

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Vgl. Stern/Winn 2013, S. 273. http://www.gob.cl/informe-rettig/ (abgerufen am 07.08.2017). Aylwin Azocar, Patricio: La Transición Chilena. Discursos escogidos. Marzo 1990– 1992. Santiago de Chile: Editorial Andrés Bello 1992. S. 126–136, hier S. 131. Vgl. ebd., S. 132–135.

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begangen worden.26 Die Corte Suprema (Oberster Gerichtshof) lehnte den Bericht ebenfalls ab und negierte jegliche Verantwortung der Judikative bezüglich der Schutzlosigkeit der Opfer.27 Ihrerseits schätzten die Opferorganisationen zwar die Bemühungen der Regierung, trotz der schwierigen Umstände auf ihre Forderungen zu reagieren.28 Doch ihre Forderung nach strafrechtlicher Aufarbeitung wurde nicht erfüllt. Für sie waren die Ergebnisse der Kommission einerseits ein Teilsieg im Kampf um eine offizielle Dokumentation der Wahrheit und eine staatliche Anerkennung dessen, was über Jahre hinweg verleugnet worden war. Diese Wahrheit war andererseits unvollständig: Die individuellen Schicksale der desaparecidos wurden nicht geklärt. Die Opfer wurden zwar namentlich genannt, die Verantwortlichen jedoch nicht. Demzufolge gab es keine Strafverfolgung für die begangenen Taten, denn das Dekret schloss explizit aus, „dass sich die Kommission über Fragen der individuellen Verantwortlichkeit äußere, da dies in den Kompetenzbereich der Justiz falle“29. Auch wenn die Weitergabe der Informationen an die Gerichtshöfe durchaus möglich war, waren diese Maßnahmen aus der Sicht der AFDD nicht ausreichend. Die Tatsache, dass ausschließlich schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen wie Hinrichtungen oder das Verschwinden von Personen untersucht wurden und dass die Täter nicht zur Verantwortung gezogen werden konnten, wurde von den Menschenrechtsorganisationen scharf kritisiert. Folter, eine generalisierte Maßnahme nach einer Festnahme, konnte damals zum Beispiel nicht unter dem Mandat der Kommission berücksichtigt werden. 1992 wurde die Corporación Nacional de Reparación y Reconciliación (Behörde für Reparationen und Versöhnung) gegründet. Die Corporación verfolgte zum einen das Ziel, die Empfehlungen der Wahrheitskommission zu implementieren und die Reparationen für die moralischen Schäden der Opfer zu fördern. Zum anderen sollte sie die Aufklärung des Schicksals der desaparecidos und der politisch Hingerichteten unterstützen sowie die Umstände des Verschwindenlassens untersuchen. Die Corporación befasste sich darüber hinaus mit den Fällen,

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Zu den Erwiderungen der Sicherheitskräfte bezüglich des Berichts der Rettig-Kommission siehe: http://www.archivochile.com/Derechos_humanos/Com_Rettig/hhddr ettig0016.pdf (abgerufen am 07.08.2017). Zu den Erwiderungen der Corte Suprema bezüglich des Berichts der Rettig-Kommission siehe: https://www.cepchile.cl/cep/site/artic/20160303/asocfile/2016030318 3805/rev42_documento.pdf (abgerufen am 07.08.2017). Vgl. Straßner 2007, S. 254. Ebd., S. 246.

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die auf der Grundlage des Mandats der Wahrheitskommission nicht vollständig bearbeitet werden konnten.30 Die Wiedergutmachungsvorschläge der Rettig-Kommission umfassten symbolische, rechtlich-administrative und materielle Maßnahmen, die zum größten Teil umgesetzt wurden. Die Entschädigungspolitik Aylwins bestand nicht nur in ökonomischen Auszahlungen an die Opfer und ihre Familien. Sie befasste sich auch mit Gesundheit und Bildung: Direkte Angehörige von Opfern der Diktatur erhielten eine lebenslängliche monatliche Pension sowie besondere Zuwendungen für Ausbildung und medizinische Versorgung, die u. a. auch psychologische Hilfe beinhaltete. Die Kinder der Opfer konnten fakultativ vom Militärdienst befreit werden.31 Eine konkrete Empfehlung der Kommission betraf die Errichtung von Gedenkstätten. In diesem Sinne setzte Aylwin im Bereich der Erinnerungspolitik moralische und symbolische Akzente. Im September 1990 wurden die Überreste des geputschten Präsidenten Salvador Allende in einem Staatsbegräbnis auf dem Zentralfriedhof in Santiago würdig beigesetzt. 32 An der Zeremonie nahmen Tausende von Menschen und eine Delegation internationaler Staatsgäste teil. So sollte die demokratische Tradition des Landes, verbunden mit der Erinnerung an Allende, betont werden und das Begräbnis als „symbolischer, zukunftsorientierter Akt der Versöhnung“ fungieren.33 Die Agrupación de Familiares de Ejecutados Políticos (Zusammenschluss von Angehörigen von aus politischen Gründen hingerichteten Personen) und die AFDD äußerten gegenüber Präsident Aylwin die Notwendigkeit, ein Mausoleum für die bereits gefundenen Überreste der Opfer der Militärdiktatur zu errichten. Dies sollte den Familien der Opfer eine würdige Beisetzung ihrer Angehörigen ermöglichen, aber es sollte zugleich auch ein Gedenkort sein, an dem die Gesellschaft für die Praxis des Verschwindenlassens sensibilisiert werde.34 Aufgrund 30

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Die Corporación wurde durch das Gesetz 19.123 geschaffen und existierte rechtlich als solche bis Ende des Jahres 1996. 1997 wurde das Programm Continuación Ley 19.123 ins Leben gerufen, das sich im Grunde weiterhin mit den Recherchen über den Verbleib von Verschwundenen und den Ursachen des Verschwindens sowie mit der Unterstützung bei Gerichtsverfahren beschäftigte. Heute ist es als Programa de Derechos Humanos del Ministerio del Interior (Menschenrechtsprogramm des Innenministeriums) bekannt. Außerdem gehört zu seinen Aufgabenbereichen die Förderung und Unterstützung kultureller und pädagogischer Aktivitäten in Bezug auf symbolische Reparationen und eine Kultur des Erinnerns. http://www.ddhh. gov.cl/quienes_somos.html (abgerufen am 01.04.2016, Server nicht mehr existent). Zu einer ausführlichen Darstellung der Entschädigungspolitik in Chile seit der Transition bis zum Jahr 2004 siehe: Lira/Loveman 2005. Salvador Allendes Leichnam wurde gleich nach seinem Tod auf einem Friedhof in Viña del Mar beerdigt, wo seine Überreste 17 Jahre lang blieben. Vgl. Ruderer 2010, S. 91. Vgl. Straßner 2007, S. 248.

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finanzieller Schwierigkeiten zögerte sich die Fertigstellung des Mahnmals hinaus und war letztendlich nur durch zusätzliche private Investitionen möglich. 1994 wurde schließlich auf dem Zentralfriedhof Santiagos das Memorial por los Detenidos, Desaparecidos y Ejecutados Políticos (Denkmal für die aus politischen Gründen Verhafteten, Verschwundenen und Hingerichteten) eingeweiht. Dieses besteht aus einer Mauer aus Marmor, auf der die Namen der desaparecidos und der Ermordete eingetragen sind. Neben der Wand befinden sich Nischen mit den Überresten der Opfer, aber auch einige, die leer sind. Dies soll symbolisch darauf hindeuten, dass es noch einen Mangel an Informationen über den Verbleib vieler Opfer gibt. Die rein opferzentrierte Perspektive, welche die gesamtgesellschaftspolitische Relevanz der Thematik etwas außer Acht ließ, die geringe Teilnahme der politischen Eliten an der Einweihungszeremonie sowie die minimale Resonanz in den Medien erweckten den Eindruck eines staatlich „gewünschten Abschluss[es] der vergangenheitspolitischen Erinnerungsarbeit“35. In der aktuellen Forschung gehen die Meinungen auseinander, wenn es um die Vergangenheits- und Erinnerungspolitik der ersten Regierung der Concertación geht. Der deutsche Politikwissenschaftler Veit Straßner behauptet in seiner Studie zur Vergangenheitspolitik im Cono Sur Folgendes: „Bei weniger heiklen und kontroversen Themen wie der Entschädigungs- und Erinnerungspolitik oder bei den symbolischen Maßnahmen nutzte Aylwin den ihm zur Verfügung stehenden vergangenheitspolitischen Handlungsspielraum voll aus.“36 Die Historiker und Lateinamerikaexperte Steve Stern und Peter Winn hinterfragen, inwiefern die Transitionsregierung sich mit den damaligen Handlungsspielräumen hätte zufriedengeben sollen, oder ob es vielmehr darum hätte gehen sollen, genau diese Rahmenbedingungen und ihre Grenzen zu verändern. Sie stellen fest, dass Aylwin diese Frage offenließ.37 Eduardo Frei Die Vergangenheits- und Erinnerungspolitik des Christdemokraten Eduardo Frei beschränkte sich zu Anfang seiner Regierungszeit ausschließlich auf den Fortbestand der Maßnahmen, die dessen Vorgängerregierung bereits eingeleitet hatte. Als Ingenieur und Geschäftsmann lagen seine Prioritäten eher im Bereich der wirtschaftlichen Entwicklung und Bekämpfung der Armut.38 War das Handeln der Exekutive anfangs eher als zurückhaltend zu bezeichnen, setzten sich in der

35 36 37 38

Vgl. Ruderer 2010, S. 133 f. Straßner 2007, S. 302. Vgl. Stern/Winn 2013, S. 272. Vgl. Straßner 2007, S. 260.

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Judikative neue Tendenzen durch, die einen positiven Schritt im Bereich der strafrechtlichen Aufarbeitung bedeuteten. Nach einer Verfassungsmodifikation im Jahr 1997 und einer darauf folgenden Justizreform im Jahr 1998 wurde das Höchstalter der Richter auf 75 Jahre herabgesetzt. Das bedeutete, dass Ende der 1990er Jahre die mit Pinochet sympathisierenden Richter keine Mehrheit in dem Corte Suprema mehr bildeten. Eine neue Generation von progressiven Richtern, hier sei als Vorreiter der Richter Juan Guzmán genannt, fing also an, das Amnestiedekret für manche Fälle neu zu interpretieren, besonders in Fällen, die mit dem Verschwindenlassen von Personen zu tun hatten. Die alternative Interpretation des Tatbestandes war die einer „andauernden Entführung“: Solange die Leiche des Opfers nicht gefunden wurde, handelt es sich um ein Verbrechen, das noch besteht. Es fällt daher nicht in den zeitlichen Rahmen des Amnestiedekrets, dessen Wirkung sich nur bis 1978 erstreckte. Eine Verjährung des Delikts blieb zudem wegen seines permanenten Charakters ausgeschlossen. In spezifischen Fällen wurde sogar auf die Behauptungen der Militärjunta selbst zurückgegriffen, in Chile habe ein „interner Krieg“ stattgefunden. Laut dieser Annahme hatten die Kriegsgefangenen das Recht, nach den Richtlinien der Genfer Konvention behandelt zu werden. 39 Mesa de Diálogo Im August 1999, während der Regierung Frei, wurde ein runder Tisch für den Dialog eingesetzt, um mit relevanten politischen und gesellschaftlichen Akteuren das Schicksal der desaparecidos aufzuklären. Darüber hinaus zielte der sogenannte Mesa de Diálogo darauf ab, einen Grundkonsens über die junge Vergangenheit zu finden. Es saßen Vertreter der Zivilgesellschaft wie Akademiker oder Delegierte verschiedener Konfessionen, Rechtsanwälte für Menschenrechte, politische Repräsentanten der Regierung sowie Repräsentanten der nationalen Sicherheitskräfte an einem Tisch. Die Partido Comunista äußerte sich allerdings energisch gegen diese Initiative. Die AFDD nahm gleichfalls nicht an dem Dialog teil. Ihrer Position nach repräsentierte diese Initiative einen neuen Versuch, eine außergerichtliche und somit straffreie Lösung des Problems zu finden.40 Der Mesa de Diálogo, so Straßner, war aus der Sicht der Opferorganisationen „eine Inszenierung, um der internationalen Gemeinschaft vorzugaukeln, dass in Chile Täter und Opfer an einem runden Tisch in Dialog treten“41. Es ist anzumerken, dass die Verhandlungen im Rahmen dieses Dialogs während der Inhaftierung Pinochets in London begannen. 1998 reiste Pinochet aus 39 40 41

Vgl. Winn 2013, S. 420. Interview mit Pamela Pereira, Menschenrechtsanwältin und Teilnehmerin an den Verhandlungen Mesa de Diálogo, am 10.03.2014 in Santiago. Straßner 2007, S. 273.

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gesundheitlichen Gründen nach Großbritannien, wo er während seines Klinikaufenthalts verhaftet wurde. Der spanische Richter Baltasar Garzón hatte Anklage wegen Völkermord, Terrorismus und Folter an chilenischen und spanischen Bürgern gegen ihn eingereicht. Aus humanitären Gründen, angeblich aufgrund seines Gesundheitszustands, wurde Pinochet nicht an Spanien ausgeliefert, sondern flog nach 504 Tagen Hausarrest in London nach Chile zurück. 42 Diese Situation brachte das Menschenrechtsthema und vor allem dessen diskursive Aufarbeitung erneut auf die politische Tagesordnung. Die Regierung Frei vertrat den Standpunkt, das chilenische Souveränitätsrecht solle gewahrt bleiben, und versuchte daher, mit allen ihr zur Verfügung stehenden juristischen und diplomatischen Mitteln Pinochet nach Chile ausliefern zu lassen. „Sie betonte, dass es ihr um die Verteidigung der Institution des Senators, nicht um die Person Pinochets gehe, und dass diplomatische Immunität nicht mit Straflosigkeit gleichzusetzen sei.“43 Bei den Menschenrechtsanwälten wuchs den Eindruck, die Regierung habe eine ambivalente Haltung und nehme die grundlegenden Ziele des Dialogs nicht ernst.44 Auch wenn Pinochet nach langen und komplizierten Verhandlungen nach Chile ausgeliefert werden konnte, wurde klar, dass die Anwendung internationaler Gesetze bezüglich der Menschenrechte die chilenische Jurisprudenz beeinflussen kann und dass in diesem Sinne sogar Pinochet nicht mehr verschont werden konnte. Gleichzeitig wurde erneut deutlich, wie tief gespalten die chilenische Gesellschaft nach wie vor war. Während die Menschenrechtsorganisationen die Auslieferung ablehnten, empfingen die Streit-kräfte, Parlamentarier der rechten Opposition sowie Regimesympathisanten ihren „General“ bei seiner Rückkehr am Flughafen ehrenvoll und feierlich. Diese Tatsache steigerte die Spannungen in den Beziehungen zwischen den Gesprächspartnern noch einmal beträchtlich: Die Menschenrechtsanwälte traten zum Beispiel skeptisch gegenüber dem Militär auf und stellten dessen Glaubwürdigkeit erneut infrage.45 Aufgrund der besonderen Ereignisse nach der Verhaftung und Rückkehr Pinochets sowie des widersprüchlichen Verhaltens des Militärs mussten die Versammlungen verschoben werden, sodass es während der Regierung Frei zu Verzögerungen bei der Unterzeichnung eines Abschlussdokuments kam. Erst zu Be-

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43 44 45

Mehr zu dem „Fall Pinochet“ siehe: Elsemann, Nina: Umkämpfte Erinnerungen. Die Bedeutung lateinamerikanischer Erfahrungen für die spanische Geschichtspolitik nach Franco. Frankfurt am Main/New York: Campus 2010, S. 107–113. Rinke/Dufner 2011, S. 290 Interview Pereira. Ebd.

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ginn der folgenden Regierung fanden erneut Gespräche statt, die schließlich zu einem Kompromiss führten.46 Ricardo Lagos Mit Ricardo Lagos wurde zum ersten Mal nach Salvador Allende ein Sozialist für das Präsidentenamt gewählt. In der ersten Hälfte der Legislaturperiode beschränkte sich Lagos’ Menschenrechtspolitik hauptsächlich auf die Aufklärung des Schicksals der desaparecidos.47 In diesem Sinne wurde der Mesa de Diálogo weitergeführt. Im Juni 2000 unterzeichneten die Dialogparteien ein Abschlussdokument, in dem sich die Sicherheitskräfte verpflichteten, Auskunft über die Umstände des Verschwindenlassens zu erteilen sowie alle nötigen Dokumente zur Verfügung zu stellen. 2001 erhielt der Präsident das Abschlussdokument, mit dem anerkannt wurde, dass 1180 Chilenen als desaparecidos gelten und viele von ihnen ins Meer geworfen oder an verschiedenen Orten illegal begraben worden sind. Für die weitere Untersuchung solcher Fälle ernannte die Judikative Adhoc-Richter.48 Auch wenn die Ergebnisse des Mesa de Diálogo im Grunde keine substanziellen Fortschritte in der Erforschung des Verbleibs der desaparecidos mit sich brachten, erreichte die Maßnahme zumindest eine erhöhte Kooperationsbereitschaft seitens der Streitkräfte.49 Die besondere Bedeutung des Abschlussdokuments des Mesa de Diálogo lag darin, dass sich hier Vertreter antagonistischer Sichtweisen erstmals auf einen Minimalkonsens verständigen konnten. Weitaus bedeutender aber ist, dass die Streitkräfte, die zuvor stets von supuestos desaparecidos gesprochen hatten, nun die Faktizität dieser Menschenrechtsverletzungen anerkannten.50 Im Rahmen des 30. Jahrestages des Putsches erlebte die Memoria-Thematik wieder Hochkonjunktur in den Medien, in der akademischen Diskussion sowie in der politischen Regierungsagenda. In diesem Zusammenhang überreichte Ricardo Lagos am 12. August 2003, beinahe einen Monat vor dem 30. Jahrestag 46

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Der Jurist und Menschenrechtsexperte José Zalaquett, ein Mitglied der RettigKommission, schrieb einen Essay mit einer Analyse der Entwicklungen sowie eigenen Reflexionen über die Mesa de Diálogo, der vom CEP veröffentlicht wurde. Vgl. Zalaquett, José: La Mesa de Diálogo sobre Derechos Humanos y el Proceso de Transición Política en Chile. In: Estudios Públicos, 79, Winter 2000. Online verfügbar unter: https://www.cepchile.cl/cep/site/artic/20160303/asocfile/20160303 183708/rev79_zalaquett.pdf (abgerufen am 07.08.2017). Vgl. Wehr 2009, S. 113. Vgl. Lira 2011, S. 96. Vgl. Rinke/Dufner 2011, S. 292. Vgl. Straßner 2007, S. 276.

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des Militärputsches, den anderen Staatsorganen einen Vorschlag auf dem Gebiet der Menschenrechte. Dieser offizielle Vorschlag umfasste drei wesentliche Aspekte: Zum einen sollten Maßnahmen bezüglich der Wahrheitssuche und Gerechtigkeit ergriffen werden. Die Effizienz der juristischen Aufarbeitung sollte durch den Einsatz zusätzlicher Richter und die Bereitstellung zusätzlicher Mittel gefördert werden. Zum anderen sollten die Entschädigungsleistungen verbessert und neue Opfergruppen integriert werden. Und schließlich sollten weitere präventive Maßnahmen zur Verbesserung des Menschenrechtsschutzes, u. a. die Errichtung eines Menschenrechtsinstituts, ergriffen werden.51 Währenddessen wurde immer noch über den Fall Pinochet verhandelt und weitere Vorwürfe gegen ihn wurden öffentlich. Der Prozess gegen Pinochet hatte Spuren in der chilenischen Gesellschaft hinterlassen und vor allem die Hoffnung bei manchen Aktivisten erweckt, dass möglicherweise die Zeit für eine strafrechtliche Auseinandersetzung mit dem Fall Pinochet gekommen war. Vor diesem Hintergrund entstand 1999 die Agrupación de Ex Presos Políticos (AExPP – Zusammenschluss ehemaliger politischer Gefangener). Dieser erste Zusammenschluss ehemaliger Häftlinge, der vor allem aus Mitgliedern der Sozialistischen Partei, der Kommunistischen Partei und des Movimiento de Izquierda Revolucionaria (MIR – Bewegung der Revolutionären Linken) bestand, organisierte sich, um gemeinsame Forderungen zu artikulieren. Die zentralen Forderungen waren eine historisch-politische Aufarbeitung der systematischen Anwendung von Folter und der politischen Haft während der chilenischen Militärdiktatur sowie die strafrechtliche Verfolgung der Verantwortlichen. Ihre Aufgaben bestanden in der Lobbyarbeit und der Kooperation mit anderen Menschenrechtsorganisationen. Neben Demonstrationen setzten sie zudem auf Straf- und Zivilanklagen, um Druck auf die Regierung auszuüben. Auch wenn die Thematik der Folter und politischen Haft während der Diktatur aufgrund des Engagements der AExPP immer präsenter in der Öffentlichkeit wurde, nahmen die Forderungen der Gruppierung erst 2003 im Rahmen des 30. Jahrestages des Putsches konkretere Formen an.52 Die Valech-Kommission Am 11. November 2003 wurde von Präsident Ricardo Lagos erneut eine Kommission einberufen; dieses Mal, um die systematische Anwendung von Folter durch Angehörige von Militär und Polizei während der Diktatur zu untersuchen. Die Comisión Nacional sobre Prisión Política y Tortura (Nationale Kommission 51

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Zu dem vollständigen Menschenrechtsvorschlag des Präsidenten Lagos siehe: http:// bibliotecadigital.indh.cl/bitstream/handle/123456789/183/no-haymanana.pdf?sequen ce=1 (abgerufen am 07.08.2017). Vgl. Straßner 2007, S. 279 ff.

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zur Untersuchung von politischer Haft und Folter) wurde damit beauftragt, eine Liste jener Personen zu erstellen, die aus politischen Gründen von Vertretern des Staates oder Personen in Ausübung einer amtlichen Funktion im Zeitraum vom 11. September 1973 bis zum 10. März 1990 ihrer Freiheit beraubt und gefoltert worden waren. Darüber hinaus musste die Kommission dem Präsidenten Vorschläge zu Reparationsleistungen für diese Opfergruppe unterbreiten. Sie wurde nach ihrem Vorsitzenden, dem letzten Vikar der Vicaría de la Solidaridad, Sergio Valech, als Valech-Kommission bekannt. Das Mandat der Kommission, das per Dekret 1040 geregelt wurde, dauerte sechs Monate, wobei diese Frist später bis zum 30. November 2004 verlängert wurde.53 Die größte Schwierigkeit der Kommissionsmitglieder 54 bestand darin, den Tatbestand der Folterung nach 30 Jahren glaubhaft zu beweisen. Eine Folterung nach so vielen Jahren nachzuweisen, war keine einfache Aufgabe, weder für die Kommission noch für die Opfer. Daher musste die Kommission mit bestimmten Parametern arbeiten. Zunächst wurden Personen zu Anhörungen eingeladen, die überzeugend belegen konnten, dass sie Opfer von Menschenrechtsverletzungen waren. Es wurden mehr als 30.000 Personen im ganzen Land angehört.55 Man ging von der Annahme aus, dass die Mehrheit der Personen, die verhaftet worden waren, unterschiedliche Foltermethoden erlitten hatten: „Ungefähr 94 Prozent der Betroffenen, bei denen die Kommission zu der moralischen Überzeugung gelangte, dass sie aus politischen Gründen inhaftiert worden waren, gaben an, gefoltert worden zu sein.“56 Aus diesem Grund musste man zunächst eine Inhaftierung nachweisen. In einem zweiten Schritt wurden diese Angaben in einem Feststellungsverfahren überprüft. Nach deren Überprüfung sowie weiteren Nachforschungen in verfügbaren Datenbanken, oder gegebenenfalls durch eine zweite Anhörung des Opfers bzw. der Zeugen, kam es schließlich zu einer offiziellen Anerkennung als Opfer von politisch motivierter Haft oder Folter. 57 Die Gesamtzahl der von der Kommission beurteilten Fälle lag bei 27.255.58 Die Kommission schlug Maßnahmen vor, die sich in drei Kategorien gliedern lassen: individuelle Wiedergutmachungsmaßnahmen, symbolische und kollektive Maßnahmen sowie institutionelle Maßnahmen. Die Regierung ging auf ihre Empfehlungen ein und verabschiedete ein Entschädigungsgesetz, das u. a. 53

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Vgl. Nationale Kommission zur Untersuchung von politischer Haft und Folter (Hrsg.): „Es gibt kein Morgen ohne Gestern“. Vergangenheitbewältigung in Chile. Hamburg: Hamburger Edition 2008, S. 15. Die Kommissionsmitglieder wurden alle vom Präsidenten ernannt. Vgl. Nationale Kommission zur Untersuchung von politischer Haft und Folter 2008, S. 12. Ebd., S. 99. Vgl. ebd., S. 97. Vgl. ebd., S. 342.

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eine lebenslange Pension, Rehabilitationsmaßnahmen sowie Maßnahmen auf dem Gebiet der Bildung für diejenigen umfasste, die als politische Gefangenen und Folteropfer anerkannt worden waren. Den Bericht kann man als Entschädigungsmaßnahme für die Opfer betrachten, da mit diesem Dokument seitens des chilenischen Staats die systematische Anwendung von Folter offiziell anerkannt wurde. Zum ersten Mal wurde deutlich belegt, dass Folter und politische Haft keine Übergriffe bzw. Exzesse Einzelner waren, wie es über Jahre der offizielle Diskurs und auch teilweise die öffentliche Wahrnehmung war, sondern dass die Repression systematisch ablief und der Auftrag dazu aus den obersten Reihen der Militärjunta kam. Präsident Lagos präsentierte die Zusammenfassung der Ergebnisse der chilenischen Bevölkerung. Die Sicherheitskräfte akzeptierten die Ergebnisse des Berichts. Auch die Richterschaft und die Corte Suprema erkannten den Abschlussbericht an, sie äußerten sich jedoch gleichzeitig gegen die generalisierte Behauptung, manche Richter hätten nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft, um die Opfer zu unterstützen. Man solle zudem den Kontext und die legalen und politischen Rahmenbedingungen der damaligen Zeit berücksichtigen. 59 „Der ‚Valechbericht‘ diente der Regierung Lagos als Grundlage, um in der öffentlichen Debatte den Eindruck zu vermitteln, dass die Konstruktion einer versöhnten demokratischen Gesellschaft nur über die Anerkennung der vergangenen Konflikte erfolgen könne.“60 Doch seitens der Opferorganisationen dominierte nach der Veröffentlichung des Berichts, dessen Zusammenfassung in der Presse abgedruckt wurde, erneut Kritik. Auch wenn einerseits die Forderungen nach Wahrheit und Anerkennung teilweise erreicht wurden, ließen die Fortschritte in puncto Gerechtigkeit zu wünschen übrig. Die Namen der Folternden sowie die Zeugenaussagen mussten, so die Vorschriften, auch 50 Jahre nach Übergabe des Berichts unter Verschluss gehalten werden, und folglich blieben sie der Öffentlichkeit unbekannt.61 Im Bereich der Erinnerungspolitik beschäftigt sich Lagos damit, die Figur Salvador Allendes und die Geschichte der Unidad Popular zu revidieren. Beispielsweise wurde auf der Plaza de la Constitución gegenüber dem Regierungspalast, bekannt als La Moneda, eine Statue Allendes aufgestellt, und im Rahmen der Feierlichkeiten des 30. Putschtages wurde die Tür der Straße Morandé wieder eröffnet. Von dieser Tür aus soll Allende jeden Tag den Regierungspalast betreten haben, und nach dessen Bombardierung soll seine Leiche durch diese Tür 59

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Zu den institutionellen Reaktionen seitens der Sicherheitskräfte und der Richterschaft siehe: https://www.cepchile.cl/informe-de-la-comision-nacional-sobre-prision -politica-y-tortura-y/cep/2016-03-04/093533.html (abgerufen am 07.08.2017). Ruderer 2010, S. 309. Vgl. ebd., S. 311.

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getragen worden sein. Seitdem war sie von der Diktatur geschlossen worden. Die Schließung dieser Tür stellt eine Metapher für die Verschleierung und Verheimlichung dar, die während der Diktatur geherrscht hatte. Ihre Wiederöffnung gilt als Symbol für Transparenz und Demokratie. Das Nationalstadion wurde zum nationalen Monument deklariert und eine Gedenktafel mit der Inschrift: „Folterund Vernichtungsort“ wurde eingeweiht. Dort fand das Festival Sueño Existe statt, bei dem 80.000 Chilenen den Putsch, aber vor allem dem Ende der Diktatur gedachten.62 Die erste Regierung Michelle Bachelets63 Am 15. Januar 2006 wurde zum ersten Mal in Südamerika eine Frau in das Präsidentenamt demokratisch gewählt. Die Sozialistin Michelle Bachelet setzte sich von Anfang an und veranlasst durch ihre eigene Erfahrung als Opfer der Militärdiktatur für eine Menschenrechts- und Erinnerungspolitik im Land ein. Ihr Vater, der General der Luftwaffe Alberto Bachelet, blieb nach dem Putsch dem ehemaligen Präsidenten Allende treu, wurde aus diesem Grund wegen Landesverrats inhaftiert und starb infolge der Folter an einem Herzinfarkt. Michelle Bachelet studierte damals Medizin und engagierte sich für die Sozialistische Partei. Ein Jahr nach dem Tod ihres Vaters wurden sie und ihre Mutter festgenommen, ins geheime Haft- und Folterzentrum Villa Grimaldi in Santiago gebracht und gefoltert. Nach deren Freilassung emigrierten beide ins Exil, zuerst nach Australien und später in die DDR. Nach ihrer Rückkehr nach Chile arbeitete sie als Kinderärztin für die Nichtregierungsorganisation PIDEE (Protección a la Infancia Dañada por los Estados de Emergencia – Stiftung zum Schutz von durch Belagerungszustände geschädigten Kindern), bei der sie Kinder von Gefolterten und Ermordeten betreute.64 Aufgrund ihrer biografischen und beruflichen Erfahrungen sowie ihrer politischen Einstellungen war Bachelet eine Präsidentin, die Empathie und persönliche Nähe zu den Opfergruppen und dem Menschenrechtssektor zeigte. Diese Nähe zeigte sich beispielsweise in der Teilnahme an verschiedenen Einweihungen von Mahnmalen oder bei erinnerungspolitischen Zeremonien unterschiedlicher Art. 2006 besuchte die Präsidentin zum ersten Mal nach ihrer eigenen Inhaftierung und überhaupt als erstes Regierungsoberhaupt das ehemalige geheime 62 63

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Vgl. Stern/Winn 2013, S. 299–301. Am 11. März 2014 trat Michelle Bachelet das Amt für die Präsidentschaft Chiles erneut an. Die zweite Regierung Bachelets (2014–2018) wird in dieser Arbeit nicht mehr berücksichtigt, da eine komplette Bilanz der erinnerungspolitischen Maßnahmen den Rahmen sprengen würde. http://www.gob.cl/presidenta/ (abgerufen am 07.08.2017).

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Haft- und Folterzentrum Villa Grimaldi.65 2008 eröffnete Bachelet eine Gedenkstätte für die 70 Opfer des Landkreises Paine bei Santiago.66 Weitere symbolische Gesten waren die offizielle Benennung des 30. Augusts als Día Nacional de los Detenidos Desaparecidos (Nationaler Tag der verschwundenen Inhaftierten) sowie die Neueinrichtung des ehemaligen Büros von Salvador Allende in La Moneda. Doch ihr größtes Projekt bezüglich der offiziellen Erinnerungspolitik und Erinnerungskultur war zweifelsohne die Gründung des Museo de la Memoria y los Derechos Humanos (Museum für Erinnerung und Menschenrechte). Heutzutage ist in Chile die Errichtung von Gedenkstätten nicht mehr nur den privaten Initiativen überlassen, sondern ist Teil des Aufgabenbereiches der Exekutive. Das Programm für Menschenrechte des Bundesinnenministeriums ist die zuständige Hauptstelle für den Bau von Gedenkstätten in Chile. Dieses Programm arbeitet zusammen mit den Kommunen und anderen öffentlichen Institutionen, um Gedenkstätten zu errichten. Darüber hinaus organisiert das Programm mithilfe des Ministeriums für öffentliche Bauten (Kunst-)Wettbewerbe für Entwürfe von Gedenkstätten, die anschließend vom Rat für nationale Denkmäler genehmigt werden müssen. Das Ministerium für Volksvermögen legte zusammen mit FLACSO (Facultad Latinoamericana de Ciencias Sociales – Lateinamerikanische Fakultät für Sozialwissenschaften) 2007 ein Register aller Gedenkstätten Chiles an. Demzufolge wurden rund 60 Mahnmale und Denkmäler mit staatlicher Unterstützung errichtet. Laut einer komparativen Studie der Universidad de Chile über offizielle erinnerungspolitische Maßnahmen in sieben südamerikanischen Ländern stellt die Regierungszeit von Michelle Bachelet die Zeitspanne dar, in welche ca. die Hälfte aller Initiativen fallen. Die offizielle Unterstützung für Gedenkstätten war Bachelets bedeutendster Beitrag zur chilenischen Erinnerungskultur.67 Während ihrer ersten Regierung wurde außerdem das Institut für Menschenrechte errichtet; ein Projekt, das bereits 1991 von der Rettig-Kommission empfohlen wurde. 2005, während der Regierung Lagos, gab es bereits einen diesbezüglichen Gesetzesentwurf, doch erst 2009 wurde das Gesetzt Nr. 20.405 verab65

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Villa Grimaldi war eine alte Villa im italienischen Still, die nach dem Putsch von den Militärs als Brigade eingenommen wurde und später von dem Geheimdienst DINA (Dirección de Inteligencia Nacional) als Haft- und Folterzentrum benutzt wurde. Heute, nach langjährigen Konflikten bezüglich der Enteignung, ist sie eine aktive Gedenkstätte, in der eine Reihe von pädagogischen, politischen und kulturellen Bildungsaktivitäten organisiert wird. Zur Geschichte des Projekts Villa Grimaldi und zu den aktuellen Veranstaltungen siehe: http://villagrimaldi.cl/ (abgerufen am 07.08.2017). Paine verzeichnete während der Diktatur die höchste Mordrate pro Kopf der Bevölkerung. Vgl. Wright Thomas C.: Impunity, Human Rights, and Democracy: Chile und Argentina, 1990–2005. Austin: University of Texas Press 2014, S. 123. Vgl. Stern/Winn 2013, S. 315.

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schiedet, woraufhin 2010 das Nationale Institut für Menschenrechte gegründet wurde. Es handelt sich dabei um eine autonome Institution zur Überwachung und Förderung der Menschenrechte in Übereinstimmung mit der Verfassung und mit internationalen Abkommen. Das Ziel der Institution ist es, die Rechte aller Menschen in Chile zu fördern und zu schützen. Zu ihren Aufgaben zählen ein Jahresbericht über die Situation der Menschenrechte in Chile sowie Empfehlungen zum Schutz vor Menschenrechtsverletzungen zu veröffentlichen.68 Auch im Bereich der Wahrheitssuche und der Entschädigungspolitik wurden, wie bereits bei den Vorgängerregierungen, unter dem ersten Mandat Bachelets Maßnahmen ergriffen. Zwischen 2010 und 2011 wurden erneut Personen angehört. Die sogenannte Zweite Valech-Kommission addierte 11.000 Personen zur Liste der Folterüberlebenden. Der Abschlussbericht betonte, dass diese Zahl ausschließlich die Opfer umfasst, die in der Lage waren, genügend Beweismaterial zu präsentieren. Es gab jedoch eine große Zahl an Personen, die ihrer Freiheit beraubt und mit höchster Wahrscheinlichkeit gefoltert wurden, dies jedoch nicht unter Beweis stellen konnten.69 Am 10. Dezember 2006, ausgerechnet am Tag der Menschenrechte, starb Pinochet im Alter von 91 Jahren. Präsidentin Bachelet entschied sich gegen ein Verhängen der Staatstrauer und gegen ein Staatsbegräbnis. Trotzdem fand eine Ehrenzeremonie in der Militärakademie aufgrund seiner Eigenschaft als Oberbefehlshaber statt, bei der die Verteidigungsministerin Vivianne Blanlot als einzige Regierungsvertreterin anwesend war.70 Während etwa 60.000 Menschen, unter ihnen mehrere hohe Persönlichkeiten, Abschied von General Pinochet nehmen wollten, versammelten sich mehrere Tausend Chilenen, Mitglieder von Menschenrechtsorganisationen, Überlebende und Angehörige von Opfern in der Innenstadt von Santiago, um zusammen den Tod Pinochets zu feiern. Erneut wurde die Spaltung der Gesellschaft und der Politik sichtbar.71

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http://www.indh.cl/resena-institucional/historia (abgerufen am 07.08.2017). In den 1980er Jahren, beispielsweise, im Kontext von Protesten in ärmlichen Vierteln, gingen die nationalen Sicherheitskräfte brutal gegen Demonstranten vor. Diese Gruppe von Menschen konnte schlecht beweisen, dass sie damals gefoltert wurde. Vgl. Winn 2013, S. 418. Dieses Ereignis fand international große Resonanz. Zum Beispiel: N.N.: Muere el dictador chileno Augusto Pinochet. In: El País (online) vom 10.12.2006. http:// internacional.elpais.com/internacional/2006/12/10/actualidad/1165705205_850215.h tml (abgerufen am 07.08.2017). Vgl. Rinke/Dufner 2011, S. 277.

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Sebastián Piñera Mit Sebastián Piñeras Sieg bekleidete zum ersten Mal seit der Transition ein konservativer Politiker das Präsidentenamt. Piñeras Haltung gegenüber Pinochet zeichnet sich durch Ambivalenz aus. Ende der 1990er Jahre, im Züge der Inhaftierung des Diktators in London, äußerte er sich öffentlich gegen den Rechtanwalt Garzón. Sein Argument basierte auf der Souveranität und Unabhängigkeit Chiles. Die Inhaftierung eines Senators würde außerdem gegen die diplomatische Inmunität und die Dignität des Landes vertoßen. Als Kandidat und später als Präsident mäßigt er aber seine Position und gab sogar bekannt, damals für den NO gewählt zu haben. Im Bereich der Vergangenheits- und Erinnerungspolitik kam es zu keinerlei bedeutenden Schritten, aber auch nicht zu großen Veränderungen der bereits eingeführten Maßnahmen. Seine Regierung konzentrierte sich stattdessen auf andere Politikfelder. Im September 2013 jährte sich der Militärputsch zum 40. Mal. Um die Erinnerung an diesen Tag wachzuhalten, organisierten mehrere Institutionen fachliche Tagungen, Symposien und Lesungen, bei denen u. a. neue Literatur zum Thema veröffentlicht wurde und Ausstellungen, Dokumentationen und Filme präsentiert wurden. Generell fand eine sehr große Medienresonanz statt.72 Dieses Ereignis stellt nach wie vor in Chile ein Klima politischer Spannungen dar. Piñera musste in dieser Konjunktur auch Stellung beziehen. Eine Woche vor dem Jahrestag kritisierte er in einem öffentlichen Auftritt in Anwesenheit internationaler Presse das Verhalten der Richterschaft und die Corte Suprema während der Diktatur. Die Judikative, so Piñera, sei ihren Verpflichtungen und Herausforderungen nicht gewachsen gewesen und hätte viel aktiver sein sollen. Das Nationale Gremium der Justizbeamten entschuldigte sich für die „unsachgemäßen Unterlassungen seiner Rolle“, während der Militärregierung und bezeichnete diese als ihre „dunkle Vergangenheit“73. Im Zuge dessen baten mehrere prominente Politiker der Opposition und der Regierung sowie Richter öffentlich um Vergebung für ihr Vorgehen vor und nach dem Putsch. In seiner öffentlichen Rede anlässlich des 40. Jahrestags des Putsches unterstrich Piñera, dass der Putsch ein „vorhersehbarer Ausgang, wenn auch nicht unvermeidlich“ im Kontext des Kalten Krieges gewesen sei. In seiner Rede vemied er die Bezeichnung „Diktatur“ und verwendete stattdessen „Mili72 73

Das konnte ich während eines Forschungsaufenthalts in Santiago im September 2013 feststellen. Dort nahm ich an mehreren Aktivitäten teil. Cea, Rodrigo: Piñera critica la actuación de la Justicia durante la dictadura de Pinochet. In: El País (online) vom 06.09.2013. http://internacional.elpais.com/ internacional/2013/09/06/actualidad/1378425652_913978.html (abgerufen am 12. 10.2017).

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tärregierung“. Zugleich betonte er die Verantwortung der Unidad Nacional und der Gesellschaft, die mehr für die Verteidigung der Menschenrechte hätte machen können. Er ging auf unterschiedliche Arten von Verantwortung (strafrechtlich, politisch und moralisch) ein und betonte schießlich die wichtige Rolle des Erinnerns für die Zukunft, für die Stärkung der Demokratie und für die nationale Versöhnung Chiles.74 Zusammenfassung Bezüglich der sensiblen Thematik der Menschenrechtsverletzungen und im Einklang mit meiner wiederholten Behauptung, dass das moralische Gewissen der Nation die Aufklärung der Wahrheit fordert, soll so weit wie möglich Gerechtigkeit herbeigeführt werden, indem man die Tugend der Gerechtigkeit mit der Tugend der Klugheit verbindet – und dann kommt die Zeit der Versöhnung […].75

Diese Auffassung Aylwins bestimmte die Vergangenheitspolitik nach dem Ende der Diktatur: mehr Wahrheit und Versöhnung, weniger Justiz im Sinne von Strafverfolgung. Es ist anzumerken, dass – entgegen dem Wahlversprechen – das Amnestie-Dekret bis zur Verhaftung Pinochets in London 1998 praktisch unangetastet blieb. Es gab jedoch eine bekannte Ausnahme. 1976 wurde der ehemalige Außen-, Innen-, und Verteidigungsminister der Regierung Allendes, Orlando Letelier, zusammen mit seiner Sekretärin, der US-Bürgerin Ronnie Moffitt, in Washington D.C. durch eine Autobombe ermordet. Als Autoren des Attentats wurden 1995 der ehemaligen General Manuel Contreras, Chef des Geheimdienstes DINA, und sein Mitarbeiter Pedro Espinoza verurteilt. Unter dem Druck der Vereinigten Staaten musste dieser Fall von dem Amnestiegesetz explizit ausgeschlossen werden.76 Allerdings durfte Contreras seine Haftstrafe in einem bequemen Gefängnis in Punta Peuco verbüßen, speziell gebaut für hohe Funktionäre, die wegen Menschenrechtsverletzungen verurteilt wurden.77 Trotz 74

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76 77

Piñera, Sebastián: Discurso 40 años del Golpe Militar. In: La Nación (online) vom 09.09.2013. http://www.lanacion.cl/discurso-completo-del-presidente-pinera-en-ani versario-del-golpe/noticias/2013-09-09/161451.html (abgerufen am 07.08.2017). Rede des chilenischen Staatspräsidenten Patricio Aylwin am 21. Mai 1990 anlässlich des Beginns der Legislaturperiode in Valparaíso. Siehe: Aylwin Azocar, Patricio: La Transición Chilena. Discursos escogidos. Marzo 1990–1992. Santiago de Chile: Editorial Andrés Bello 1992, S. 25–78, hier S. 32 f. Vgl. Rinke/Dufner 2011, S. 288. 2008 verurteilte ein chilenisches Gericht Contreras zu lebenslanger Haft wegen Mordes an General Prats, Befehlshaber der Streitkräfte während der AllendeRegierung, und seiner Frau in Buenos Aires. Siehe: N.N.: Chile condena a cadena perpetua al ex jefe de la DINA. In: El País (online) vom 30.06.2008. http://inter nacional.elpais.com/internacional/2008/06/30/actualidad/1214776813_850215.html (abgerufen am 07.08.2017).

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weniger Ausnahmen blieb das Amnestiegesetz bestehen und erschwerte so die strafrechtliche Aufarbeitung der Verbrechen in Chile in großem Maße. Die Regierungen der Concertación bemühten sich stattdessen um eine Konsenspolitik im Umgang mit den Hinterlassenschaften der Militärdiktatur. Die Initiativen von Aylwin konzentrierten sich auf die Aufarbeitung der Vergangenheit im Sinne einer Dokumentation der Geschehnisse, der Suche nach Wahrheit sowie Maßnahmen zur Entschädigung der Opfer. „Insgesamt nutzte Aylwin sein ,symbolisches Kapital‘ […], um durch expressive Gesten die Vergangenheit symbolisch aufzuarbeiten, die Demokratie moralisch über die Diktatur zu positionieren und Erinnerungspolitik zu gestalten.“78 Zudem war es wichtig für ihn, der Bevölkerung zu vermitteln, dass die Transition nach seiner Regierung beendet war und dass die Zeit für eine nationale Versöhnung und das Zusammenhalten der Nation gekommen sei. In einer öffentlichen Rede behauptete er: „Viele Landsleute glauben, es ist nun Zeit für einen Schlussstrich mit diesem Thema. Zugunsten Chiles sollen wir in die Zukunft schauen, die uns mehr verbindet als die Vergangenheit, die uns trennt.“79 Die ersten zwei Regierungen der Concertación unterschieden sich maßgeblich in ihrem Umgang mit der Menschenrechtsproblematik und der symbolischen Aufarbeitung. Freis’ Vergangenheitspolitik war eher „von Nüchternheit und persönlicher Kühle geprägt“80. In Folge der Inhaftierung Pinochets wurde die internationale Aufmerksamkeit auf Chile gelenkt, während im Lande selbst der Fall Pinochet politische und gesellschaftliche Divisionen akzentuierte. Deswegen musste Frei sich mit der Thematik auseinandersetzen und Stellung beziehen. Doch der Bereich der Erinnerungspolitik blieb von Frei beinahe unberücksichtigt. Da das Amnestiegesetz Hauptbedingung für die Transition war, wurde es während der ersten zwei demokratischen Regierungen kaum angetastet, um die junge Demokratie nicht zu gefährden. Obwohl die Amnestie von einer Gruppe von Juristen mit Affinität zum Menschenrechtssektor im Laufe der Zeit verstärkt uminterpretiert wurde, stellte die Strafverfolgung für die Regierungen keine Priorität dar. Große Fortschritte in Sachen Menschenrechtspolitik wurden während der Regierung Lagos erreicht. Die sogenannte Valech-Kommission stellte fest, dass während der Diktatur Folter systematisch angewandt wurde. So wurde der Op-

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Ruderer 2010 (in Anlehnung an Bourdieu), S. 92. Rede des chilenischen Staatspräsidenten Patricio Aylwin an die Nation am 4. März 1991 anlässlich der Bekanntgabe des von der Wahrheits- und Versöhnungskommission erstellten Abschlussberichts. Siehe: Aylwin Azocar, Patricio: La Transición Chilena. Discursos escogidos. Marzo 1990–1992. Santiago de Chile: Editorial Andrés Bello 1992, S. 126–136, hier S. 132. Straßner 2007, S. 269.

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ferbegriff erweitert, wodurch Leistungen für weitere Opfergruppen ermöglicht wurden. In seinem Regierungsprogramm No hay mañana sin ayer (Es gibt kein Morgen ohne Gestern) wurden Maßnahmen definiert, die zu einer effizienteren Justiz führen sollten. Der Bericht der Valech-Kommission hatte allerdings eine entscheidende Einschränkung: Die Namen der Verantwortlichen mussten 50 Jahre unter Verschluss bleiben. De facto bedeutete dies: Wenn der Zeitpunkt der Abrechnung kommt, wird die Mehrheit der Involvierten nicht mehr verhandlungsfähig sein. Die Wahl der Sozialistin Bachelet stellte für den Menschenrechtssektor aufgrund ihres Opferstatus eine große Hoffnung dar. Und in der Tat engagierte sie sich im Bereich der Erinnerungspolitik stark für eine öffentliche Anteilnahme. Bachelet, Tochter eines Generals und unter der Regierung Lagos Verteidigungsministerin, hatte zudem auch Kenntnisse über die Bedürfnisse der Sicherheitskräfte. Diese besondere Stellung erlaubte es ihr, eine Brücke zwischen beiden Sektoren der Gesellschaft zu schlagen. Sie setzte sich dezidiert für eine Kultur des Erinnerns und gleichzeitig für die nationale Versöhnung ein. Doch eine langfristige Versöhnung zwischen den Chilenen erfordert Justiz. Für eine strafrechtliche Aufarbeitung dagegen setzte Bachelet die vergangenheitspolitische Strategie ihrer Vorgänger fort: Nicht die Exekutive, sondern die Judikative solle die Fälle für Menschenrechtsverletzungen in die Hand nehmen. In diesem Sinne wurde das Amnestiegesetz während ihrer ersten Regierung nicht aufgehoben. 81 Auf diese Weise wurden viele Angehörige von Opfern in ihren Hoffnungen auf Strafverfolgung enttäuscht. Piñera, der der ersten konservativen Regierung seit der Transition vorstand, stellte sich den Fortschritten nicht in den Weg. Auch wenn seine Prioritäten nicht in der Erinnerungspolitik lagen, setzte er das Institut für Menschenrechte fort. In seiner Rede zum 40. Jahrestag des Putsches zeigte er sich gegenüber dieser Thematik empathisch. Es wurde deutlich, dass die Umsetzung vergangenheits- und erinnerungspolitischer Maßnahmen immer kontrovers, ambivalent und konjunkturbedingt war. Auch wenn es teilweise zu Widersprüchlichkeiten kam und in manchen Bereichen eine dezidiertere Haltung der Regierungen bezüglich der strafrechtlichen Aufarbeitung erwünscht gewesen wäre, ist die Bilanz in Chile angesichts der bestehenden Rahmenbedingungen, vor allem die Entschädigungspolitik und der Bereich der Wahrheitssuche, zusammenfassend als positiv zu bewerten.82 Vergangenheitspolitische Mechanismen sowie erinnerungspolitische Maßnahmen

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Auch in ihrer zweiten Amtsperiode (2014–2018) ist das Amnestigesetz noch rechtskräftig, wird aber in der Tat nicht angewandt. Vgl. Ruderer 2010, S. 324.

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wurden als Teil der politischen Agenda in Chile seit der Transition fortlaufend ergriffen.

4.2 PERU Zwischen den 1960er und 1980er Jahren wurde die Mehrheit der Länder Lateinamerikas unter einer Diktatur regiert. Im Cono Sur war die politische Situation vor den Militärputschen von Gewalt zwischen dem rechten und dem linken Spektrum gekennzeichnet. Danach war es hauptsächlich der Staat, der das Gewalt- und Repressionsmonopol beherrschte. In Zentralamerika waren die Guerilla-Gruppierungen im Kontext interner Konflikte zwar bewaffnet, gut strukturiert und organisiert, jedoch waren auch dort der Staat und paramilitärische Gruppen Hauptprotagonisten blutiger Konfrontationen und verantwortlich für die große Mehrheit der Opfer. Im Gegensatz zu anderen Ländern in Süd- und Mittelamerika, wo der Staat die Hauptverantwortung für schwere Menschenrechtsverletzungen trug, zeichnete sich Peru durch eine Kombination aus aufständischer und staatlicher Gewalt aus, d. h. durch einen doppelten Angriff auf die Zivilgesellschaft, welcher deren materielle und moralische Grundlagen sowie ihre kollektive Identität zerstörte.83 In diesem Abschnitt sollen die vergangenheits- und erinnerungspolitischen Strategien in Peru erörtert werden. Da der Fall Peru sich stark von anderen südamerikanischen Ländern unterscheidet und weniger untersucht worden ist als der Fall Chile, ist es sinnvoll, zuvor einen kurzen Überblick über die Akteure und den Verlauf des Konflikts zu geben. Peru bildete in mehrerlei Hinsicht eine Ausnahme. Im Gegensatz zu den damaligen lateinamerikanischen Militärregimen, die durch gewalttätige Repression jeglichen Protest seitens der Arbeiterbewegungen und jede Form des organisierten Widerstandes niederschlug, förderte die Diktatur von General Juan Velasco Alvarado (1968–1975) ein staatliches Projekt der sozialen Eingliederung, dessen Hauptziel es war, die Legitimität des peruanischen Staates zu festigen. Er versuchte hiermit, eine Verbindung zu den traditionell ausgeschlossenen Sektoren der Gesellschaft wie Bauern, Fabrikarbeitern oder Slumbewohnern herzustellen. Doch Velascos Experiment scheiterte, u. a. aufgrund seines großen Staatsapparats, der sich nur durch Auslandsverschuldung finanzieren ließ. Die wenigen Privatinvestitionen führten zu einer schweren Rezession, die die Konflikte mit dem Arbeits- und Wirtschaftssektor verschärften. Seine progressiv ausgelegte 83

Vgl. Burt, Marie-Jo: Violencia y Autoritarismo en el Perú: bajo la sombra de Sendero y la dictadura de Fujimori. Segunda Edición ampliada. Lima: IEP 2011, S. 44.

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Führung stieß außerdem nicht bei allen Sektoren des Militärs auf eine positive Resonanz. Dies führte zu einer Krise innerhalb der Militärinstitution, die mit einem Putsch durch den konservativen General Francisco Morales Bermúdez endete.84 Ein bedeutender Teil der peruanischen Gesellschaft, vor allem ihre organisierten Sektoren, war sich jedoch zu diesem Zeitpunkt seiner zivilen und politischen Rechte verstärkt bewusst, sodass angesichts der sich daraus ergebenden sozialen Unruhen General Morales Bermúdez Ende 1977 allgemeine Wahlen zur Bildung einer verfassungsgebenden Versammlung ausrief. Nach insgesamt 12 Jahren Militärdiktatur wagte Peru einen demokratischen Weg. Doch das Land befand sich in den 1980er Jahren in einer anhaltenden wirtschaftlichen und politischen Krise. Die Kluft zwischen Arm und Reich wurde zunehmend größer, und die geringen Aussichten auf Entwicklungsmöglichkeiten machten die Unzufriedenheit der Bevölkerung spürbar. Vor allem in den ärmsten Provinzen Perus, in den Andenregionen und im Amazonasgebiet, waren viele Menschen von gesellschaftlicher und politischer Ausgrenzung betroffen. Diese Situation wurde durch fehlende staatliche Präsenz zusätzlich verschlimmert. In Ayacucho, einer der ärmsten Andenprovinzen Perus, wurde an der Universität der Provinzhauptstadt Huamanga unter der Führung des Philosophieprofessors Abimael Guzmán Reynoso eine maoistische Gruppierung gegründet die sich Partido Comunista del Perú – Sendero Luminoso (Kommunistische Partei Perus – Leuchtender Pfad) nannte. Bekannt wurde die Gruppe als Sendero Luminoso, ihre Mitglieder gingen als Senderistas85 in die Geschichte ein. Auch wenn sie anfangs für eine Verbesserung der sozialen Lage der Kleinbauern und der indigenen Bevölkerung warb, war ihr tatsächliches politisches Ziel der Umsturz der bestehenden Gesellschaftsordnung durch einen Bürgerkrieg („guerra popular“). Um dieses Ziel zu erreichen, bediente sich Sendero Luminoso programmatisch und massiv terroristischer Praktiken und extremer Gewalt unter Missachtung aller völker- und menschenrechtlichen Konventionen. Der peruanische Soziologe Carlos Basombrío Iglesías beschreibt die Gruppierung wie folgt:

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Vgl. ebd., S. 63–65. Dieser Begriff wird hier aus dem Spanischen übernommen. Sendero Luminoso gilt in Peru grundsätzlich als eine Terrororganisation. Die Senderistas werden in der Umgangssprache als terrucos bezeichnet. Zu der Zuordnung vom Sendero Luminoso als Terrororganisation bzw. als Guerilla siehe: Bürger, Alexandra: Terrorismus oder Guerilla? Der Sendero Luminoso in Peru. In: Straßner, Alexander (Hrsg.): Sozialrevolutionärer Terrorismus. Theorie, Ideologie, Fallbeispiele, Zukunftsszenarien. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2008, S. 365–386.

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Shining Path openly repudiated human rights in both doctrine and practice. To achieve its goals, Shining Path would not hesitate to attack the civilian population and to use varied methods of terror against persons uninvolved in the conflict. In the point of departure for this approach, we find, once again, an ‚ideological justification‘: Shining Path insisted that human rights originated in a bourgeois conception of the world and were opposed to ‚the rights of the people‘ […].86

Sendero Luminoso begann seine „Revolution“, als die Diktatur zu Ende war und die Transition zu einem demokratischen System gerade eingeleitet wurde.87 Nach der offenen Kriegserklärung musste die peruanische Regierung handeln. Doch der Staat reagierte unerfahren auf diese Situation: Das Militär als Sicherheitsorgan wurde relativ zügig und ohne eine überlegte Strategie aktiviert und zielte auf „die Wiederherstellung der inneren Ordnung um jeden Preis“ 88 ab. Dafür wurden dem Militär Kompetenzen übertragen, die sich nicht mehr mit einem demokratischen System vereinbaren ließen. Zugunsten der Subversionsbekämpfung bediente sich der Staat der Verhängung des Ausnahmezustandes in mehreren Städten. Gravierend war bei dieser Maßnahme, dass es zu Menschenrechtenverletzungen kam, die von willkürlichen Hinrichtungen hin zum Verschwindenlassen von Verdächtigen reichten. Die zunehmende Militarisierung des Konflikts führte zudem zu einer Pauschalisierung des Täterprofils. Die Verteidigung des Landes wurde in den Vordergrund gestellt, während die Grundrechte systematisch verletzt wurden. Im Gegensatz zu den anderen Ländern der Region fanden in Peru die schwersten Menschenrechtsverletzungen nicht während der Militärdiktatur statt, „sondern unter den nachfolgenden Zivilregierungen, die über demokratische Wahlen an die Macht gelangt waren“89. Peru stellt somit das einzige Land des Kontinents dar, das sich neben staatlicher Repression auch mit den massenhaften Anschlägen einer terroristischen Bewegung auseinandersetzen musste. Die wichtigsten bewaffneten Akteure des Konflikts waren die nationalen Sicherheitskräfte und Sendero Luminoso, der laut den von der Comisión de la Verdad y Reconciliación (CVR – Wahrheitskommission und Versöhnung)90 gesam86

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Basombrío Iglesias, Carlos: Sendero Luminoso and Human Rights: A Perverse Logic that Captured the Country. In: Stern, Steve J. (Hrsg.): Shinings and other Paths. War and Society in Peru. 1980 –1995. Durham/London: Duke University Press 1998, S. 425–446, hier S. 431. Am 17. Mai 1980, einen Tag vor den ersten Wahlen nach 12 Jahren Militärdiktatur, wurde ein Wahllokal in einer kleinen Andengemeinde zum Szenario eines subversiven Angriffs. Dieses Datum gilt als der Beginn des Konflikts. Lerner, Salomón/Sayer, Josef (Hrsg.): Wider das Vergessen. Yuyanapaq. Bericht der Wahrheits- und Versöhnungskommission Peru. Ostfildern: Matthias Grünewald Verlag 2008, S. 15. Nolte 1996, S. 9. Im Folgenden CVR.

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melten Zeugenaussagen für 54 Prozent der Todesopfer verantwortlich ist. 91 Beide Seiten operierten mit großer Grausamkeit. Sendero Luminoso versuchte zunächst in ruralen Gebieten für den bewaffnetten Kampf zu werben, notfalls mit brutaler Gewalt, und um an Waffen zu gelangen, zögerten sie nicht, beispielsweise massenhaft Polizisten zu ermorden. Die nationalen Streitkräfte ihrerseits waren für zahlreiche extralegale Hinrichtungen, für das „Verschwinden“ von Tausenden von Personen und für sexuelle Angriffe verantwortlich. Mitte der 1980er Jahre bildete sich eine weitere Gruppierung namens Movimiento Revolucionario Tupac Amaru (MRTA – Revolutionäre Bewegung Tupac Amaru), die vom Stil der lateinamerikanischen Guerillas inspiriert worden war. Im Gegensatz zu Sendero Luminoso, der streng dogmatische politische Ansichten verfolgte und die Demokratie als System stürzen wollte, forderten die Anhänger der MRTA eine „echte“ Demokratie, in der die Verbesserung der Lebensbedingungen der unterprivilegierten Bevölkerungsmehrheiten sowie die soziale und politische Partizipation der indigenen Landbevölkerung im Vordergrund stehen sollte. Um diese Ziele zu erreichen, bediente sich die MRTA auch terroristischer Methoden. Das Ziel ihrer Anschläge waren allerdings vor allem politische und militärische Persönlichkeiten, die teilweise ermordet wurden. Ein weiterer Akteur, der im Laufe des Konflikts mehr Gewicht bekam, waren die Comités de Autodefensa, bekannt als CAD. Diese Bürgerwehren wurden von der Regierung García legitimiert und unter der Regierung Fujimori als paramilitärische Organisationen von den staatlichen Sicherheitsorganen ausgerüstet und unterstützt. Sie hatten die Aufgabe, sich gegen mutmaßliche Terroristen zu wehren. Es ist bekannt, dass die CADs beträchtlich zur Niederlage von Sendero Luminoso beitrugen. Allerdings zeigt die Wahrheitskommission in ihren Untersuchungen, dass auch die CADs außergerichtliche Exekutionen durchführten und andere kriminelle Handlungen begingen.92 Wie bei jedem Konflikt dieser Art waren auch nicht bewaffnete Akteure – gewollt oder ungewollt – involviert. Dazu zählen beispielsweise die Kirche, die Medien und die politischen Parteien. Anders als in anderen Ländern der Region, gestaltet sich in Peru eine deutliche Klassifizierung der Täter- und Opfergruppen als schwierig, da die Grenzen oft sehr schwammig sind. Ein Grund dafür ist die Vielzahl an Akteuren und deren unterschiedliche Beteiligung und Mitwirkung am Konflikt, oder in einigen Fällen sogar ihr Rollenwechsel im Konfliktverlauf. 91

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Hatun Willakuy. Versión abreviada del Informe Final de la Comisión de la Verdad y Reconciliación. Lima: Comisión de Entrega de la Comisión de la Verdad y Reconciliación 2008, S. 18. Sie sind von den sogenannten rondas campesinas abzugrenzen. Diese stellen autonome Verteidigungsorganisationen dar, die zu diesem Zeitpunkt schon eine lange Tradition in vielen Provinzen Perus hatten und auch in Friedenszeiten tätig sind.

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Anfangs hatte Sendero Luminoso Unterstützung von jungen Kleinbauern und Studenten in Ayacucho, weil sie an eine bessere Zukunft, die sie mitgestalten durften, glaubten. Doch viele Zivilakteure, meistens quechuasprachige Kleinbauern, litten unter politischer Gewalt staatlicher und subversiver Art. In diesem Kontext mussten sie sich als Überlebensstrategie für eine Seite entscheiden oder waren gezwungen, mit verschiedenen Konfliktparteien zusammenzuarbeiten. Dies machte die Beziehungen innerhalb der Gemeinden brüchig und Schuldzuweisungen schwierig. Die Medizinanthropologin Kimberly Theidon beschreibt die Situation innerhalb der Gemeinden wie folgt: „The violence in Peru frequently involved people who lived in the same social worlds and knew each other well – or at least thought they did. In many communities, these same people find themselves forced to share spaces that were recently scenes of intimate, lethal violence.“93

Um seine totalitäre Ideologie durchzusetzen, zerstörte der Sendero Luminoso die sozialen und kulturellen Organisationsformen der Dorfgemeinschaften in den Anden und am Amazonas. Die Partei wertete viele ihrer Bräuche und Rituale als „archaisch“ ab. Außerdem tolerierte sie Teile ihrer Traditionen nicht. So wurden zum Beispiel zum Teil die ferias (Wochenmärkte) und viele traditionellen fiestas von der Partei abgeschafft, weil diese zu teuer gewesen seien.94 Sendero Luminoso wollte die „neue Ordnung“ sein und die absolute Macht haben. Mit der systematischen Ermordung von führenden Gemeinschaftsvertretern und der Anwendung verschiedener Formen der Sklaverei und Knechtschaft unterdrückte Sendero Luminoso ihre gesellschaftlichen, kulturellen und religiösen Ausdrucksformen.95 Diese Zerschlagung führte nicht zuletzt dazu, dass die wirtschaftliche Lage dieser Gemeinschaften noch prekärer wurde.96 Sendero Luminoso konnte sein Versprechen nicht halten. Im Gegenteil: Die Situation nach dem Konflikt war für das ganze Land und vor allem für die campesinos desaströs: „Die Gewalt konzentrierte sich vornehmlich auf die marginalisierten, indigenen, armen, ländlichen Gesellschaftsgruppen in den Konfliktgebieten.“97 Die ethnische, soziale und kulturelle Kluft während des Konflikts verdeutlicht eine Situation von Rassismus und Diskriminierung, die vor dem Konflikt bereits existierte und bis heute die peruanische Gesellschaft prägt.

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Theidon, Kimberly 2013, S. 25. Vgl. Degregori 2011, S. 189–195. Vgl. Lerner/Sayer 2008, S. 100. Zu den Konsequenzen des Konflikts für das Gemeindeleben siehe: Theidon 2013. Lerner/Sayer 2008, S. 99 f.

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Allgemein lässt sich der Konflikt in vier Phasen98 untergliedern: Während der ersten Phase 1980 bis 1986 konzentrierten sich die Gewaltaktionen des Sendero Luminoso und die Gegenschläge des Militärs vor allem auf die ländlichen Gebiete des Departements Ayacucho99 und in geringerem Maße auf andere Andenprovinzen, die zu den ärmsten Perus zählen. Als bemerkbare terroristische Aktivitäten sind Bombenanschläge auf die Stromversorgungssysteme und Attentate auf öffentliche Gebäude, die u. a. auch die Hauptstadt Lima betrafen, zu nennen. Zwischen 1986 und 1989 wurden die zerstörerischen Aktivitäten auf andere Regionen ausgeweitet, vor allem auf die Urwaldgebiete, andere Zentralregionen, die südlichen Anden und den Großraum Lima. Zudem wurden die subversiven Gruppierungen von da an finanziell durch den Drogenhandel unterstützt. In den Jahren zwischen 1989 und 1992 kam es zu einer Eskalation der Gewalt sowohl in den Urwald- und Andengebieten als auch in den Städten, sodass der Konflikt sich landesweit ausbreitete. Von den Gewalttaten in Form von bewaffneten Streiks und Anschlägen war die ganze Zivilbevölkerung betroffen. Diese Phase bildet den Höhepunkt der Krise, denn sowohl die Zahl der aufständischen Angriffe als auch die der staatlichen Gegenangriffe nahm nun zu. In mehreren Provinzen Perus wurde der Ausnahmezustand ausgerufen. 100 Die Endphase des bewaffneten Konflikts beginnt mit der Festnahme von Abimael Guzmán durch eine Sondereinheit der peruanischen Geheimpolizei am 12. September 1992. Eine Reihe einflussreicher Kader und mehrere Mitglieder der Organisation wurden ebenfalls festgenommen. Es kam zu einem Entwaffnungsprozess, der u. a. aufgrund eines „Reuegesetzes“101 möglich wurde. Es gab Die geschilderten Phasen sind an dem Buch Wider das Vergessen. Yuyanapaq. Bericht der Wahrheits- und Versöhnungskommission Peru angelehnt. Vgl. Lerner/ Sayer 2008, S. 25–30. Die Politikwissenschaftlerin Katherine Hite untergliedert die Zeit der politischen Gewalt in zwei Perioden: die Zeit zwischen 1980 und 1993 „Internal armed conflict“ und die Zeit zwischen 1993 und 2000 „Fujimori’s abuse of power after militarily defeating the guerrilla movement“ siehe: Hite, Katherine: Voice and Visibility in Latin American Memory Politics. In: Ders./Ungar, Mark (Hrsg.): Sustaining Human Rights in the Twenty-First Century. Strategies from Latin America. Washington D.C.: Woodrow Wilson Center Press; Baltimore, Maryland: The John Hopkins University Press 2013, S. 341–367. 99 Ayacucho registriert 40 % aller Todesopfer, während der Anteil dieser Provinz an der Gesamtbevölkerung lediglich 2 % beträgt. Vgl. Hatun Willakuy 2008, S. 25. 100 1984 ist das Jahr mit der höchsten Opferzahl. Doch zwischen 1989 und 1992 zeichnete sich eine Ausweitung des Konflikts auf mehrere Provinzen aus. 1989 ist das Jahr mit der höchsten Mordrate unter politischen Autoritäten und gewählten Repräsentanten. Vgl. Hatun Willakuy 2008, S. 25. 101 Mit dem sogenannten „Reuegesetz“ wurde die Möglichkeit der Strafminderung, Straferleichterung und des Straferlasses für des Terrorismus beschuldigte Personen eingeführt, die dazu beitrugen, diesen zu bekämpfen. 98

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immer noch vereinzelte Attentate102; insbesondere war die Urwaldregion betroffen. Die politische Gewalt endete jedoch nicht mit der militärischen Niederlage von Sendero Luminoso. Diese letzte, von Autoritarismus und Korruption geprägte Phase erstreckt sich bis zur Amtsniederlegung Fujimoris im November 2000. Das Jahr 1992 markiert eine Wende in der politischen Geschichte Perus und im Verlauf des Konflikts. Am 5. April 1992 informierte Alberto Fujimori via Fernsehansprache die peruanische Bevölkerung über von der Regierung zu ergreifende erforderliche Notmaßnahmen, um die subversive Gewalt zu bekämpfen. Dazu gehörten die Auflösung des Kongresses, die Aussetzung der Verfassung von 1979 und eine umfassende Justizreform. Der sogenannte, mit Unterstützung der Streitkräfte stattfindende, autogolpe (Selbstputsch) war der Anfang einer 10 Jahre andauernden autoritären und korrupten Regierung unter Alberto Fujimori. Ab dieser Nacht war die Unabhängigkeit der Judikative sowie der Legislative nicht mehr garantiert. Es folgten Einschränkungen für alle unabhängigen Medien, die Neutralisierung und teilweise Verfolgung oppositioneller Journalisten, Politiker und Gewerkschaftler sowie die Einführung einer Todesschwadron, die als Grupo Colina bekannt wurde.103 Die geheimdienstliche Arbeit – hier sei vor allem der Chef des Geheimdienstes, Vladimiro Montesinos, zu nennen – sowie die politische Macht des Militärs gewannen deutlich an Bedeutung. „Da die Gewalteinteilung bereits aufgehoben war und auch das Justizsystem unter der Kontrolle der Regierung stand, konnte der peruanische Staat […] nicht mehr als rechtsstaatlich bezeichnet werden.“104 Die Literatur, die linksliberalen Medien sowie die öffentlichen Stellungnahmen mancher Nichtregierungsorganisationen verwenden uneinheitlich zur Beschreibung der Fujimori-Regime die Wörter „pseudo-demokratisch“, „autoritär“ oder gar „diktatorisch“. Ich bevorzuge für diese Untersuchung die Bezeichnung „autoritäres Regime“ für die Zeit, in der Alberto Fujimori Präsident war, vor allem nach dem autogolpe. Dies vor allem aus zwei Gründen: Zum einen, weil 102 Im Dezember 1996 drang ein bewaffnetes Kommando des MRTA während eines Empfangs in die Residenz des japanischen Botschafters ein und nahm ca. 600 Personen als Geiseln. Die Geiselnahme, bei der am Ende 70 Geiseln verblieben, dauerte länger als vier Monate und wurde schließlich durch eine Militäraktion blutig beendet. Alle 14 guerrilleros, eine Geisel und zwei Soldaten kamen dabei ums Leben. 103 Diese paramilitärische Einheit, der schwere Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen werden, wurde von Fujimoris engstem Mitarbeiter Vladimiro Montesinos geleitet. 104 Gering Sibylle/Chumbiray Méndez, Jaime: Straffreiheit durch „Autoamnestie“: Gesetzliche Billigung schwerer Menschenrechtsverletzungen in Peru. In: Humanitäres Völkerrecht. Journal of International Law of Peace and Armed Conflict. Vol. 19, Nr. 3, 2006, S. 204–212, hier S. 206.

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damals trotz teilweiser Einschüchterungsmanövern ein Mehrparteiensystem bestand, und zum anderen, weil 1995 Wahlen stattfanden, bei der Fujimori mit über 60 % der Stimmen gewann. Dies bedeutet, dass es einen begrenzten, aber bestehen politischen Pluralismus und die politische Mobilisierung einer großen Bevölkerungsgruppe gab, wenn auch meist nur zur Wahlzeiten.105 Am 12. September 1992 wurde der Gründer von Sendero Luminoso, Abimael Guzmán, festgenommen. Die erfolgreiche Operation war ausschließlich die Leistung der Geheimpolizei GEIN (Grupo Especial de Inteligencia) und weder mit dem Präsidenten noch mit dem Geheimdienst koordiniert worden.106 Trotzdem instrumentalisierte Fujimori die Inhaftierung Guzmáns, um seine autoritäre und repressive Linie und den autogolpe zu rechtfertigen. Zwar ging die Zahl der Terroranschläge Anfang 1993 tatsächlich drastisch zurück, doch dauerte der Ausnahmezustand an, was u. a. bedeutete, dass die militärische Autorität über der zivilen stand. Anstatt sich um eine Stabilisierung des Landes zu bemühen, nutzten Fujimori und Montesinos die Unsicherheit und das Chaos innerhalb der Gesellschaft, um ihr Machtmonopol und ihre politischen Bestrebungen weiter zu verfolgen.107 Die Subversionsbekämpfung wurde somit zum Propagandamittel der Regierung. In den mehrheitlich von der Regierung kontrollierten Medien wurde das Thema „Terrorismus“ ausgenutzt. Der Geheimdienst wurde in der Tat zu einem Organ, das sich hauptsächlich damit beschäftigte, die Opposition in Form von Spionage, Schikane, Androhungen und Korrumpierung einzuschüchtern. Im Laufe der 1990er Jahre herrschte der Diskurs, dass Alberto Fujimori der Hauptverantwortliche für die Wiederherstellung der Ordnung, die Erholung der Wirtschaft und vor allem die Niederlage der Subversion und die Einleitung der 105 Der Politikwissenschaftler Juan José Linz nennt zusammengefasst folgende Merkmale eines autoritären Regimes: begrenzter Pluralismus, fehlende Ideologie, geringe politische Mobilisierung (abgesehen von einigen Momenten) und ein Führer bzw. eine mit ihm sympathisierende Partei, Institution oder Interessengruppe, die sich mit ihm die Macht teilt. Siehe: Linz, Juan José: Totalitäre und autoritäre Regime. 2. überarbeitete und ergänzte Auflage. Berlin: Berliner Debatte Wiss.-Verlag 2003. Im Peru der 1990er Jahren begann aufgrund der Schwächung der politischen Parteien und als Folge des Konflikts eine Phase der Entpolitisierung in der Gesellschaft, die bis heute andauert. Doch die Partei von Fujimori hat es immer geschafft, während des Wahlkampfes ihre Sympathisanten zu mobilisieren. 106 Diese Tatsache hatte Konsequenzen: Die Mehrheit der Involvierten musste danach in anderen Einheiten tätig werden, und schon 1993 wurde das GEIN (Grupo Especial de Inteligencia) deaktiviert. Vgl. Hatun Willakuy 2008, S. 318 f. Zur Frage danach, unter welchen Umständen Sendero Luminoso dezimiert wurde, siehe: McClintock, Cynthia: The Decimation of Peru’s Sendero Luminoso. In: Arnson, Cynthia (Hrsg.): Comparative Peace Processes in Latin America. Washington, D.C.: Stanford University Press 1999, S. 223–250. 107 Vgl. Burt 2011, S. 29.

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Friedensprozesse war. Dass dabei viele Menschenrechtsverletzungen begangen wurden und der ganze Staatsapparat korrumpiert war, wurde von einem Großteil der Bevölkerung, die die Strategie Fujimoris im „Kampf gegen den Terrorismus“ legitimierte, in Kauf genommen.108 Durch die Manipulation der Presse, eine Mehrheit im Parlament und im Gerichtshof sowie eine große Zustimmung in der Bevölkerung hatte Fujimori die besten Voraussetzungen, seinen Erinnerungsdiskurs in der Öffentlichkeit zu verbreitern und bei den Wahlen 1995 ein erfolgreiches Ergebnis zu erzielen. Kurz vor den Wahlen im Jahr 1995 kam es zwischen Peru und Ecuador zu einem bewaffneten Grenzkonflikt, der 1998 durch ein Abkommen beendet wurde. Auch dieser Konflikt wurde von Fujimori instrumentalisiert, um sich erneut als Pazifist zu inszenieren. Doch nicht von allen Seiten wurde dieses Image geteilt, sodass sich trotz Einschüchterungen parallel Widerstand bildete. Nichtregierungsorganisationen, unabhängige Journalisten und einige parlamentarische Kommissionen fingen an, bestimmte Fälle zu recherchieren und aufzudecken. Auf der Seite der Familienverbände entstand beispielsweise schon 1983 in Ayacucho die Asociación Nacional de Familiares de Secuestrados, Detenidos y Desaparecidos del Perú (ANFASEP – Nationale Vereinigung der Familien der Entführten, Verhafteten und Verschwundenen), eine von Müttern der desaparecidos gegründete Organisation. Zur damaligen Zeit fanden ihre Forderungen nach Aufklärung und Gerechtigkeit jedoch meistens nur in internationalen Gerichtshöfen Resonanz.109 Zum Zwecke eines strafrechtlichen Schutzes verabschiedete das Parlament kurz nach den Wahlen 1995 ein Amnestiegesetz, das exklusiv Mitglieder des Militärs und der Polizeikräfte begünstigte, die im Kampf gegen den Terrorismus Menschenrechtsverletzungen – wie Hinrichtungen, Folter oder Verschwindenlassen – begangen hatten. Da eine Richterin, die bereits gegen Angehörige der Sicherheitskräfte ermittelt hatte, die Unanwendbarkeit des Gesetzes aufgrund Verfassungswidrigkeiten feststellte, wurde ein zweites Amnestiegesetz verabschiedet. Das zweite Amnestiegesetz ordnete an, dass weder die Rechtmäßigkeit noch die Anwendbarkeit des ersten Gesetzes gerichtlich überprüfbar seien und dieses von allen Gerichtsorganen berücksichtigt werden müsse. 110 In Peru wurden auch bereits verurteilte Fälle amnestiert, im Gegensatz zu Chile, das diesbezüglich Ausnahmen machte. Amnestiegesetze verhindern die strafrechtliche Ver-

108 Laut Recherchen der CVR stimmten 71 % der Bevölkerung der Auflösung des Parlaments zu, und 89 % äußerten sich zugunsten der Umstrukturierung der Judikative. Trotz des Putsches behaupteten 51 % der Bevölkerung, die Regierung Fujimori sei eine demokratische Regierung. Vgl. Hatun Willakuy 2008, S. 316. 109 Zur ANFASEP siehe: Ders.: ¿Hasta cuándo tu silencio? Testimonios de dolor y coraje. Ayacucho: ANFASEP 2007. 110 Gering/Chumbiray Méndez 2006, S. 210.

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folgung von Personen, die ein Delikt begangen haben. In den meisten Fällen werden diese durch das Argument gerechtfertigt, sie unterstützten die Friedensprozesse und die nationale Versöhnung eines Landes. Auf diese Weise begründete auch Alberto Fujimori diese Gesetze. De facto dienen Amnestierungen in der Regel der Straflosigkeit: „In Peru belegten die Amnestiegesetze […] ganz allgemein die begangenen Menschenrechtsverletzungen im ‚Kampf gegen den Terrorismus‘ zwischen Mai 1980 und Juni 1995 mit Straffreiheit.“111 Diese Gesetze stellten einen schweren Verstoß sowohl gegen die peruanische Verfassung von 1993, die in ihrem Artikel 1 den Schutz des Menschen und seine Würde zum obersten Staatsziel erklärt, als auch gegen internationales Recht, welches der peruanische Staat selbst ratifiziert hatte.112 Während seiner zweiten Amtszeit kündigte Fujimori an, erneut bei den Präsidentschaftswahlen zu kandidieren, obwohl die Verfassung, die er selbst 1993 verabschiedet hatte, eine dritte Kandidatur verbot.113 In der Stichwahl mit dem Kandidaten und Oppositionsführer Alejandro Toledo gewann Fujimori. Die Legitimität dieser Wahl wurde jedoch sowohl national als auch international angezweifelt. Eine Welle von Protesten begann, die ihren Höhepunkt am 27. Juli 2000 erreichte, einen Tag vor seiner Vereidigung. Hunderttausende Menschen versammelten sich und demonstrierten an diesem Tag im Zentrum von Lima. Obwohl Fujimori sein Amt antreten durfte, wurde zumindest die Unzufriedenheit der Bevölkerung sichtbar. Wenige Wochen später wurde von Abgeordneten der Opposition in einer Pressekonferenz ein Video präsentiert, bei dem der Geheimdienstdirektor und Fujimoris einflussreichster Berater, Vladimiro Montesinos, einem Oppositionspolitiker in einem Büro des SIN (Servicio Nacional de Inteligencia) Bargeld übergab. Dieser Korruptionsskandal war im Grunde nur die Bestätigung der bereits existierenden Vorwürfe. Einige Monate nach diesem Skandal flog Fujimori, der sowohl die peruanische als auch die japanische Staatsbürgerschaft besaß, nach Japan. Von dort aus erklärte er per Fax offiziell seinen Rücktritt. 114 Die bewaffneten Auseinandersetzungen waren bereits im Jahr 1992 stark gesunken, 111 Ebd., S. 209. 112 2001 besagte der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte in seiner Entscheidung zum Fall Barrios Altos, dass das Amnestiegesetz gegen die Menschenrechtskonvention verstoße. Die Übergangsregierung unter Paniagua hob die Amnestiegesetze schließlich auf. Siehe: http://www.corteidh.or.cr/docs/casos/articulos/se riec_87_ing.pdf (abgerufen am 07.08.2017). 113 Seine Kandidatur wurde mit dem Gesetz Ley de Interpretación Auténtica (Gesetz der authentischen Auslegung) gerechfertigt: Bei seinem ersten Mandat, das 1990 begann, war die neue Verfassung noch nicht gültig. Demzufolge sei die dritte Kandidatur, so das Argument, eigentlich erst die zweite. 114 Vgl. Burt 2011, S. 351 f.

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doch politische Repression und Gewalt blieben erhalten. Daher wird das Ende des peruanischen Konflikts erst mit dem Rücktritt Fujimoris vollzogen. Übergangsregierung und Wahrheitskommission (CVR) Nach dem Amtsabtritt Alberto Fujimoris aufgrund schwerer Korruptionsvorwürfe wurde während der Übergangsregierung115 unter dem damaligen Präsidenten Valentín Paniagua eine Untersuchungskommission eingesetzt. Ihr Auftrag war es, die politischen, sozialen und kulturellen Ursachen und Faktoren der politischen Gewalt in Peru zu analysieren. Die Kommission wurde anfangs „Wahrheitskommission“ genannt. Der nachfolgende Präsident Alejandro Toledo ergänzte diese Bezeichnung zu „Wahrheits- und Versöhnungskommission“ (Comisión de la Verdad y la Reconciliación – CVR) und somit erweiterte er ihre Bedeutung und ihr Aufgabespektrum. Die wichtigsten Aufgaben der Wahrheitskommission waren zum einen, die von den Gewaltakteuren begangenen Verbrechen und Menschenrechtsverletzungen während der Jahre des internen bewaffneten Konflikts (1980–2000) zu untersuchen, zum anderen mit ihren Nachforschungen die Justiz darin zu unterstützen, die Verantwortlichen vor Gericht zu stellen. Zudem sollte sie Vorschläge für Opferentschädigungen und für institutionelle Reformen zur Vorbeugung erneuter Gewaltausbrüche erarbeiten, um schließlich einen Prozess der Versöhnung einzuleiten. Die CVR brauchte etwas länger als zwei Jahre, um ihren Abschlussbericht fertigzustellen. Dieser wurde dem Präsidenten Alejandro Toledo am 28. August 2003 überreicht.116 Die CVR war Gegenstand von Kritik unterschiedlicher Art, und ihre Ergebnisse wurden sehr kontrovers diskutiert. Es lässt sich allgemein festhalten, dass die Ergebnisse der Wahrheitskommission die Opfer und ihre Angehörigen in ihren Forderungen bestärkten. Für einen Teil der Bevölkerung jedoch waren und sind die Ergebnisse ein Hemmnis für die nationale Versöhnung, ein Rückblick in die Vergangenheit und ein Hindernis für die Zukunft. Auf diese Kontroverse und die zugehörigen Debatten soll in Kapitel 5 eingegangen werden, da sie die Diskurse um den Lugar de la Memoria stark beeinflussen.

115 Die Übergangsregierung begann am 22. November 2000 und endete am 28. Juli 2001 mit der Vereidigung des neu gewählten Präsidenten Alejandro Toledo. 116 Vgl. Lerner/Sayer 2008, S. 16 f. (Decreto Supremo N° 065-2001-PCM).

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Alejandro Toledo Am 28. Juli 2001 betonte Toledo in seiner ersten offiziellen Rede als Präsident seine Absicht, die Arbeit der CVR mit Entschlossenheit zu fördern.117 Drei Monate nach der Übergabe des Berichts würdigte er in einer Ansprache an die Nation ihre Leistung und bat die Opfer im Namen des Staates bei dieser Gelegenheit um Vergebung. Toledo gab die Implementierung des Plan Paz y Desarrolo (Plan für Frieden und Fortschritt) bekannt; ein Plan, der sich Verbesserungen in den Bereichen Infrastruktur, Gesundheit, Bildung und Produktivität in den ärmsten Regionen Perus zum Ziel gesetzt hatte. Auch wenn Toledo ankündigte, sich um die Umsetzung der Empfehlungen der CVR zu bemühen, wurden in keiner Weise ökonomische Reparationen erwähnt. Genauso unerwähnt blieb die Handlungsweise des Staates und des Militärs bei den Menschenrechtsverletzungen, stattdessen sprach Toledo in seiner Rede von „schmerzhaften Exzessen einiger Mitglieder der Ordnungskräfte“.118 Dieser Diskurs prägt bis heute die staatliche Erinnerungspolitik. Nach dem autoritären Regime von Fujimori und Montesinos waren die staatlichen Institutionen aufgrund der massiven politischen Korruption sehr schwach. Aufgrund dessen empfahl die CVR dem peruanischen Staat zunächst eine grundlegende institutionelle Reform der Streitkräfte und der Polizei, des Justizapparates sowie des Bildungswesens. Diese Maßnahmen sollten ein präventives Ziel verfolgen, welches einen erneuten Ausbruch der Gewalt verhindern sollte.119 Grundlegende Reformen des Staatsapparates blieben jedoch aus. Im Bereich der Wiedergutmachung wurden 2004 zwei Gesetze verabschiedet. Zum einen ein Hilfsprogramm und Register der desplazados (Vertriebenen) und zum anderen ein Gesetz, das die Rechtsfigur der ausencia por desaparición forzada (Abwesenheit wegen Verschwindenlassens) nach argentinischem Vorbild schuf. Diese Maßnahme ermöglichte es den Angehörigen von Verschwundenen, von deren Nachlassrechten und weiteren Zivilrechten Gebrauch zu machen.120 2004 wurde zudem ein spezieller Gerichtshof für Menschenrechtspro117 Rede anlässlich der Amtsübergabe online verfügbar unter: http://www4.congreso. gob.pe/museo/mensajes/Mensaje-2001-2.asp (abgerufen am 07.08.2017). 118 Der Arbeitskreis Justicia Viva (Lebendige Justiz) des Instituto de Defensa Legal (Institut für Rechtshilfe) veröffentlichte auf seiner Website in der Rubrik Entrevistas, discursos, pronunciaminetos (Interviews, Reden, Erklärungen) die Rede des Präsidenten Alejandro Toledo vom 22. November 2003 zum Bericht der CVR. Siehe: http://www.justiciaviva.org.pe/entrevis.htm (abgerufen am 07.08.2017). 119 Zu Empfehlungen der CVR im Bereich institutionelle Reformen siehe: CVR. Informe Final: Recomendaciones. Band IX, Kap. 2, S. 109–138. 120 Vgl. Correa, Cristián: Reparaciones en Perú. El largo camino entre las recomendaciones y la implementación. Centro Internacional para la Justicia Transicional, Juni 2013, S. 5 f. Siehe auch Gesetz 28223, online verfügbar unter: http://www.

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zesse eingeführt. Eine Reform der Justizverwaltung ist bis heute noch unvollständig. Zudem gründete Toledo 2004 die Comisión Multisectorial de Alto Nivel (CMAN – Hochrangige Multisektorielle Kommission). Diese für die staatlichen Maßnahmen in den Bereichen Entschädigungspolitik sowie Frieden und nationale Versöhnung zuständige Kommission entwickelte ein erstes Entschädigungsprogramm, das allerdings mangels zugesicherter finanzieller und logistischer Mittel zunächst nicht weiter implementiert wurde. Im Juli 2005 wurde mit dem Gesetz 28592 der Plan Integral de Reparaciones (PIR – Integraler Reparationsplan) kreiert, welcher von den Vorschlägen der CVR inspiriert wurde, gefolgt von den dazugehörigen Bestimmungen und Verordnungen ein Jahr später.121 In diesem Rahmen wurde auch der Consejo de Reparaciones (Reparationsrat) gebildet, der für das Registro Único de Víctimas (RUV – Einheitliches Opferregister) zuständig ist. Die CMAN wurde zum zuständigen Organ für die Ausarbeitung der Reparationsprogramme und für die Koordination und Überwachung der Entschädigungspolitik ernannt. Der PIR122 ist das technische Instrument, das die Grundsätze, Konzepte, Ziele, Strategien und Maßnahmen festlegt, die das staatliche Handeln im Bereich Entschädigungspolitik bestimmen. In seinen Grundsätzen sind die für den Zugang zu den unterschiedlichen Programmen notwendigen Mechanismen, Modalitäten und Verfahren enthalten. Die Programme des PIR umfassen folgende Schwerpunkte: • (Wieder-)Herstellung der Bürgerrechte: Dieses Programm befasst sich mit der

Registrierung von Personen sowie der Ausstellung von Personalausweisen, zum Beispiel im Falle eines Verlustes. Oft handelt es sich jedoch nicht um eine Wiederherstellung, sondern um die erstmalige Herstellung eines Rechtes, da in vielen Fällen, besonders in abgelegenen Gebieten, diese Personen noch nie ein Identitätsdokument besessen haben. • Reparationen im Bildungsbereich: Sie richten sich an die Personen, die aufgrund des Konflikts ihre Ausbildung abbrechen mussten und dadurch die Chancen auf Bildung verloren haben, an die Kinder von Opfern und an Minderjährige, die zwangsweise von den CADs rekrutiert worden waren. Vor almimp.gob.pe/files/direcciones/dgpd/ddcp/normas/Ley_28223.pdf und Gesetz 28413, online verfügbar unter: http://spij.minjus.gob.pe/Normas/textos/111204T.pdf (abgerufen am 12.10.2017). 121 Zum Gesetz siehe: http://www.ruv.gob.pe/archivos/ley28592.pdf; und zu den Umsetzungsbestimmungen siehe: http://www.ruv.gob.pe/archivos/Reglamento_de_la_ Ley__28592.pdf (abgerufen am 12.10.2017). 122 Die folgende Beschreibung des Programms basiert auf der Umsetzungsbestimmung. Online verfügbar unter: http://www.ruv.gob.pe/archivos/Reglamento_de_la_Ley__ 28592.pdf (abgerufen am 12.10.2017).

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lem handelt es sich dabei um Stipendien und zusätzlich um Programme zur Alphabetisierung. Reparationen im Bereich Behausung: Dieses Programm soll all die Opfer unterstützen, deren Wohnsitze durch den Konflikt zerstört worden waren. Reparationen im Bereich Gesundheit: Sie richten sich an Opfer, die aufgrund der Auswirkungen von Gewalt psychisch und physisch eingeschränkt sind. Sie sollen ins SIS (Sistema Integral de Salud, Integrales Gesundheitssystem) aufgenommen werden und kostenlose Behandlungen und Medikamente erhalten. Kollektive Reparationen: Sie richten sich an Familien, Landarbeiter und indigene Gemeinden, die vom Konflikt am meisten betroffen waren, sowie an Personengruppen, die aufgrund des Konflikts vertrieben wurden. Hierzu gehören u. a. auch Schulungen zu Themen wie Menschenrechte, Friedenskultur und Konfliktlösung, sowie Verbesserung wirtschaftlicher Chancen. Besonders wichtig sind die Entwicklungsprojekte zur Verbesserung von Infrastruktur und Grundversorgung, wobei ein partizipativer Ansatz verfolgt werden soll. Individuelle wirtschaftliche Reparationen: Zu den Begünstigten dieses Programms zählen Angehörige von Opfern von außergerichtlichen Hinrichtungen und Verschwindenlassen, Personen, die eine vom Konflikt verursachte Behinderung nachweisen können, sowie Opfer von Folter und sexueller Gewalt. Der PIR erwähnt jedoch keine explizite Summe für die Entschädigung der Opfer. Symbolische Reparationen: Darunter versteht man Gesten der Anerkennung und Würdigung vonseiten des Staates wie beispielsweise individuelle Briefe mit der Bitte um Vergebung, die Verbreitung des Abschlussberichts der CVR oder die (Um-)Benennung von Straßen oder Plätzen. Die Reparationen sollten unter Beteiligung der Gemeindemitglieder implementiert werden. Hierzu gehört zum Beispiel die Einführung von Gedenktagen und Gedenkorten zur Erinnerung an die Opfer.

Mit diesem Plan wurden zum ersten Mal sowohl die Opfer als auch die individuellen und kollektiven Entschädigungsberechtigten definiert. Ausgeschlossen davon blieben die Mitglieder subversiver Organisationen. Diese Ausnahme ist delikat, wenn man in Betracht zieht, dass die Menschenrechte ein unveräußerliches Recht darstellen und auf dem Prinzip der Gleichheit vor dem Gesetz und dem Diskriminierungsverbot basieren. All diese Prinzipien sollten die Grundlage eines Reparationsprogramms bilden. Sie stehen in der peruanischen Verfassung, in der „die uneingeschränkte Geltung der Menschenrechte“ garantiert wird. 123

123 Art. 44 der peruanischen Verfassung vom 1993. Online verfügbar unter: http:// www4.congreso.gob.pe/ntley/Imagenes/Constitu/Cons1993.pdf (abgerufen am 07. 08.2017).

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Die CVR betrachtete als Opfer „alle Personen oder Personengruppen, die anlässlich oder wegen des internen bewaffneten Konflikts zwischen Mai 1980 und November 2000 Handlungen oder Unterlassungen, die die Normen der internationalen Menschenrechte verletzen, durchlitten haben.“124 Als Teil ihrer Empfehlungen betont sie, dass die Regeln und internationalen Praktiken, basierend auf dem Leitprinzip der Nichtdiskriminierung und der Gleichheit vor dem Gesetz, nicht die Rechtmäßigkeit oder die Sittlichkeit der individuellen Handlungen vor einem Verstoß berücksichtigen.125 In diesem Sinne würden zur Kategorie „Opfer“ Personen zählen, die beispielsweise willkürlich oder ohne ein ordnungsgemäßes Verfahren verhaftet, gefoltert oder exekutiert wurden, unabhängig von ihrer Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation, und dementsprechend hätten sie Anspruch auf Reparationen. Angesichts der Besonderheit des peruanischen Konflikts betrachtet die CVR jedoch diejenigen Personen nicht als Opfer – und schließt sie dementsprechend aus dem PIR aus –, die in bewaffneten Auseinandersetzungen verwundet, verletzt oder getötet wurden. Mitglieder einer Terrororganisation gehören demnach nicht zur Opferkategorie. Dennoch stellt die CVR fest, dass dieser Ausschluss nicht wirksam sei, sobald die angerichteten Schäden ihre Menschenrechte verletzen würden.126 Das RUV war (und ist) sich dieser Problematik bewusst und versuchte daher, eine Richtlinie zu definieren. Der PIR besagt zwar, dass die Mitglieder einer subversiven Organisation ausgeschlossen sind, definiert aber keine Mitgliedschaft an sich. Man muss diesbezüglich berücksichtigen, dass die Beschuldigung als Terrorist damals auch willkürlichen Charakter annehmen konnte. Von daher wurden nur diejenigen vom Programm ausgeschlossen, welche für das Delikt „Terrorismus“ verurteilt worden waren. Zudem müssen viele Fälle individuell überprüft werden.127 Der PIR schließt außerdem den gerichtlichen Weg nicht aus. Unter der Regierung Toledo wurden vor allem die gesetzlichen Rahmenbedingungen für eine Entschädigungspolitik geschaffen. Eine tatsächliche – wenn auch nur teilweise – Implementierung des PIR kam erst mit der folgenden Regierung. Einen symbolischen Akzent wollte Toledo trotzdem setzen. Er erklärte 2003 den 10. Dezember zum „Tag der Versöhnung“. Angesichts der Tatsache, dass dieses Datum international als der „Tag der Menschenrechte“ bekannt ist, 124 Hatun Willakuy 2008, S. 418. 125 Vgl. CVR. Informe Final: Recomendaciones. Programa Integral de Reparaciones. Band IX, S. 149 f. Online verfügbar unter: http://www.cverdad.org.pe/ifinal/pdf/ TOMO%20IX/2.2.%20PIR.pdf (abgerufen am 12.10.2017). 126 Vgl. Ebd., S. 150 ff. 127 Vgl. Rivas Belloso, Jairo/Cori Ascona, Susana: Todos los Nombres. Memoria Institucional del Consejo de Reparaciones 2006–2013. Registro Único de Víctimas. Ministerio de Justicia, Consejo de Reparaciones: Lima 2013, S. 81 f.

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war seine Entscheidung aus zwei Gründen nicht angemessen. Zum einen, weil dieser Tag international genau dem gedenkt, mit dem sich der peruanische Staat bis heute nicht konfrontiert, nämlich mit der Tatsache, dass in Peru die Menschenrechte vieler Bürger während des Konflikts verletzt wurden und dass diese Situation eine offizielle Anerkennung verdient. Zum anderen, weil eine nationale Versöhnung schwierig ist, wenn es bis dato nicht einmal eine solche Anerkennung gab. In Peru sind die Versöhnungsprozesse noch nicht abgeschlossen, die Gesellschaft ist nach wie vor gespalten. De facto gedenkt kaum eine Institution am 10. Dezember dem „Tag der Versöhnung“. Vielmehr wird der 28. August, den Empfehlungen der CVR folgend, als „Tag der Erinnerung an alle Opfer der Gewalt“ verstanden.128 An diesem Tag fand die Übergabe des Berichts statt. Wirtschaftliche Reparationen scheinen keine Priorität der Regierung Toledo gewesen zu sein. Im November 2003 reiste der ehemalige Präsident der CVR, Salomón Lerner Febres, nach Europa, um u. a. vor dem Europäischen Parlament die Ergebnisse des Abschlussberichts der CVR vorzustellen, und um nach Unterstützung im Bereich Reparationen zu suchen. Dieses Anliegen war erfolgreich. Man genehmigte, dass ein Teil der peruanischen Schulden erlassen wurde, unter der Bedingung, diesen Teil in die Reparationsprogramme zu investieren. Dieses Angebot wurde jedoch vom Präsidenten Toledo, ohne Angabe von Gründen, nicht wahrgenommen.129 Der PIR verfolgt zumindest auf dem Papier das Ziel, die humanen, sozialen, moralischen, materiellen und ökonomischen Schäden der politischen Gewalt zu regulieren (Art. 10). Der PIR basiert auf einer Reihe von Prinzipien, Ansätzen und Kriterien (Art. 6–8), die seine Arbeit definieren sollen. Diese wurden nicht immer berücksichtigt, was eine Diskrepanz zwischen Theorie und praktischer Umsetzung darstellt. Die Umsetzung der Wiedergutmachungsmechanismen stellt einen dynamischen Prozess dar, der von politischen Konjunkturen abhängig ist. Es ist daher eine große Herausforderung, im Rahmen dieser Studie auf dem aktuellen Stand zu bleiben; zum einen, weil die Institutionen selbst ihre Daten nicht permanent aktualisieren, zum anderen, weil der Zugang zu manchen Informationen nicht immer verfügbar ist. Hatte z. B. die CMAN früher eine Website, bei der ihre Aktionen dokumentiert wurden, werden sie nun nur noch auf Facebook veröffentlicht. Aber die größte Schwierigkeit für diese Studie sind vor allem die ständig wechselnden politischen Entscheidungen, die diese Prozesse stark prägen. Aus diesem Grund werde ich mich im Verlauf der Arbeit vor allem auf in128 Vgl. Guillerot, Julie/Magarrell, Lisa: Reparaciones en la Transición Peruana. Memorias de un proceso inacabado. Lima: Asociación Pro Derechos Humanos – APRODEH/International Center for Transitional Justice – ICTJ 2006, S. 59. 129 Interview mit Salomón Lerner Febres, ehemaliger Präsident der peruanischen Wahrheitskommission, am 19.03.2014 in Lima.

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stitutionelle Studien von der Defensoría del Pueblo (Ombudsbehörde), vom Centro Internacional para la Justicia Transicional (ICTJ – Internationales Zentrum für Transitional Justice) sowie vom Consejo de Reparaciones (Reparationsrat) konzentrieren, die zwar im Jahr 2013 verfasst wurden, jedoch eine umfassende Dokumentation der Fortschritte, Auswirkungen und Probleme der bereits implementierten Maßnahmen enthalten.130 Diese Daten werden zudem durch aktuellere Zeitungsartikel und öffentliche Stellungnahmen ergänzt. Im Folgenden werden einige Maßnahmen erläutert, die bis dato implementiert wurden, und einige der erwähnten Diskrepanzen. Es ist zu erwähnen, dass die CMAN seit ihrer Gründung mehrere institutionelle und strukturelle Veränderungen durchlaufen hat. Zunächst fiel sie in den Zuständigkeitsbereich der Presidencia del Consejo de Ministros (PCM – Präsident des Ministerrates), danach in den des Justizministeriums. Ein Jahr später, im Jahr 2006, kam sie zur PCM zurück, bei der sie bis 2011 blieb. Seit 2012 ist die Kommission in das Ministerium für Justiz und Menschenrechte eingegliedert. Diese ständigen Veränderungen belegen eine institutionelle Schwächung, durch die ihre Effizienz und ihren Handlungsspielraum infrage gestellt wird. Alan García Da sowohl die kollektiven Reparationen als auch die individuellen Reparationen ein Verzeichnis aller Opfer voraussetzten, wurde 2006 der Consejo de Reparaciones (Ausschuss für Reparationszahlungen) gegründet, der für das Register von Opfern (RUV – Registro Único de Víctimas) zuständig ist. 131 Für die Registrierung von Opfern, auch für diejenigen, die nicht von der CVR erfasst wurden, war eine Feldforschung erforderlich. So wurden mit der Unterstützung von Kirchen, Stadt- und Gemeindeverwaltungen und Organisationen der Zivilgesellschaft Büros eingerichtet, um dort zunächst Workshops und Versammlungen mit den Opferorganisationen und Meinungsführern der Gemeinden zu veranstalten. 2007 begann die Implementierung des PIR, nicht zuletzt aufgrund des Drucks 130 Defensoría del Pueblo: A diez años de verdad, justicia y reparación. Avances, retrocesos y desafíos de un proceso inconcluso. Informe Defensorial N° 162, Lima 2013.; Correa, Cristián: Reparaciones en Perú. El largo camino entre las recomendaciones y la implementación. Centro Internacional para la Justicia Transicional (ICTJ), 2013; Rivas Belloso, Jairo/Cori Ascona, Susana: Todos los Nombres. Memoria Institucional del Consejo de Reparaciones 2006–2013. Minsiterio de Justicia. Lima: Consejo de Reparaciones/Registro único de Víctimas 2013. 131 Der Consejo de Reparaciones, der seit 2011 dem Justiz- und Menschenrechtsministerium angeschlossen ist, veröffentlichte 2013 einen Bericht, den man als sein institutionelles Gedächtnis bezeichnen könnte. Dieses Dokument enthält die aktuellsten Informationen der Institution. Online verfügbar unter: http://www.ruv.gob. pe/archivos/Todos_Los_Nombres_MINJUS.pdf (abgerufen am 12.10.2017).

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von Angehörigenverbänden und weiterer ziviler Organisationen. Bevor die Arbeit des RUV endete, begann die Regierung García mit der Abwicklung der kollektiven Reparationen für die am stärksten betroffenen Gebiete. Teilweise wurde dabei der partizipative Ansatz verfolgt, indem eigene Vorschläge für Projekte vorgelegt werden konnten, in welche die Reparationen fließen sollten. Für die Umsetzung eines Projekts standen je 100.000 Soles (ca. 26.000 Euro) zur Verfügung.132 Das Programm für kollektive Reparationen ist das einzige Programm, das über ein eigenständiges Budget verfügt. Bei den umgesetzten Projekten handelt es sich in der Regel um kleine Entwicklungsprojekte, welche die Infrastruktur und Grundversorgung in den am stärksten von der politischen Gewalt betroffenen Gebieten verbessern sollten. Die Priorisierung der kollektiven Reparationen kann man zum einen damit begründen, dass die Einwohner dieser Gebiete historisch schon immer von den staatlichen Institutionen vernachlässigt wurden und in dieser Form ein Zeichen für die Verbesserung der Beziehungen zwischen Staat und Zivilbevölkerung gesetzt werden soll. Zum anderen ist diese Art von Reparationen weniger konfliktbeladen als beispielsweise die individuellen Reparationen. Gerade in den armen Provinzen, wo staatliche Unterstützung schon immer unzureichend war, erfreuen sich diese Projekte großer Beliebtheit. Problematisch ist das zum Teil fehlende Bewusstsein der Bevölkerung darüber, dass diese Projekte eine Komponente eines Reparationsprogramms darstellen.133 Es ist schließlich zu betonen, dass der Staat im Grunde genommen dazu verpflichtet ist, diese Gemeinden und ihre Einwohner mit Infrastruktur und Grundgütern zu versorgen, und dass Wiedergutmachungsmechanismen, die ein Recht der Opfer und eine Pflicht des Staates darstellen, klar von sozialen Leistungen zu unterscheiden sind. Die von der Defensoría del Pueblo (Ombudsbehörde) durchgeführte Studie aus dem Jahr 2013 weist auf erhebliche Probleme im Zusammenhang mit den Projekten hin, zum Beispiel im Hinblick auf deren Nachhaltigkeit und Auswirkungen sowie die Wahrnehmung der Gemeindemitglieder, aber auch im Bereich des tatsächlichen Betriebs von durch Reparationen finanzierten Anlagen.134 Es ist problematisch, wenn Mittel bereits ausgegeben wurden und 132 Vgl. Ramirez Castillo 2012, S. 156 f. 133 In einem Monitoringprojekt des ICTJ und der NGO APRODEH (Asociación por los Derechos Humanos, Verein für Menschenrechte) gaben 58 % der Befragten an, die implementierten Projekte als Reparationsmaßnahmen anzuerkennen. Bei manchen Zeremonien wird oft die von den terroristischen Gruppen verursachte Gewalt betont, das Verhalten des Staates in dem Konflikt bleibt dagegen unerwähnt. Vgl. Correa 2013, S. 14. 134 Siehe: Defensoría del Pueblo: A diez años de verdad, justicia y repración. Avances, retrocesos y desafíos de un proceso inconcluso, Informe Defensorial N° 162, Lima 2013.

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das Projekt als abgeschlossen gilt, die Gemeinde im Endeffekt aber nicht davon profitieren kann. Dies würde dem Reparationsgedanken widersprechen. 2010 kündigte die Regierung García den Beginn der Auszahlung individueller finanzieller Reparationen an. Da im entsprechenden Gesetz noch nicht explizit erläutert wurde, wie diese umzusetzen seien, wurde zunächst eine Kommission gebildet, die diese Umsetzung konzipieren sollte. Die Debatten konzentrierten sich insbesondere auf drei Punkte: Erstens die Festlegung einer einmaligen Auszahlung für die Opfer, zweitens die Frage danach, welche Opfergruppen angesichts des begrenzten Budgets zu priorisieren seien, und drittens die Frist für die Registrierung der Opfer im RUV. 2011 wurden schließlich folgende Maßnahmen getroffen: a) Jedem Opfer wurden 10.000 Soles (ca. 2.900 EUR) zugesprochen, b) Senioren wurden priorisiert und c) eine Frist für die Opferregistrierung wurde festgelegt.135 Nach dieser Registrierung erfolgt eine Überprüfung der angegebenen Daten. Wird ein Opfer als berechtigt eingestuft, enthält es ein Dokument, in dem eine entsprechende finanzielle Reparation zugesichert wird.136 Das Dekret N° 051-2011-PCM begrenzt den Zeitraum für die Registrierung auf Dezember 2011. Dies bedeutet, dass viele Betroffene, die in der Regel in sehr abgelegenen Ortschaften leben und deswegen oft nicht über die aktuellen Nachrichten informiert sind, keine Chance hatten, die nötigen Dokumente rechtzeitig vorzulegen. Ein weiteres Problem ist, dass die Opfer nur einmalig entschädigt werden dürfen. Anders ausgedrückt: Eine Mutter, die zwei Söhne während des Konflikts verloren hat, hat nur Anspruch auf eine finanzielle Entschädigung in Höhe von 10.000 Soles (ca. 2.900 EUR). Da es sich hier um gravierende Menschenrechtsverletzungen handelt, lässt sich das Prinzip restitutio in integrum nicht anwenden, und deswegen ist die Festlegung einer passenden Summe nicht einfach. Nichtsdestotrotz sind 10.000 Soles eine Summe, die in keiner Weise auf einer technischen Einschätzung basiert oder vergleichbar mit anderen ökonomischen Reparationen in anderen Nachbarländern ist. Die Art und Weise, wie diese Reparationen bemessen wurden, erfuhr Kritik von mehreren Menschenrechtsorganisationen und Opferverbänden, u. a., da Letztere nicht in den Entscheidungsprozessen ernsthaft involviert und ihre Forderungen nicht berücksichtigt wurden. 137 Diese Bestimmungen 135 Am 04. September 2016, nachdem die Schreibphase dieser Studie abgeschlossen worden war, kündigte die neu amtierende Justizministerin an, das Register neu zu öffnen. Siehe: http://www.elperuano.com.pe/noticia-perez-tello-se-reabrira-registrounico-victimas-de-violencia-45304.aspx (abgerufen am 12.10.2017). 136 http://www.ruv.gob.pe/ruv_procedimientos.html (abgerufen am 12.10.2017). 137 In dem Eintrag von Anthropologen und ehemaligem Mitarbeiter des Reparationsrats Jairo Rivas in LaMula.pe wurden die Stellungnahmen der Defensoría del Pueblo sowie des CONAVIP wiedergegeben. Vgl. Rivas Belloso, Jairo: Reparaciones dignas sí, limosnas no. In: La Mula.pe vom 02.04.2011. https://palabrasyviolencias.

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wurden auf die Schnelle, nur wenige Wochen vor Amtsantritt der neuen Regierung von Ollanta Humala, eingeführt, denn García wollte das Reparationsprogramm noch während seiner Regierungszeit auf den Weg bringen. Einen besonderen Aspekt im Bereich der strafrechtlichen Aufarbeitung stellen die Verhaftung, der Prozess und die anschließende Inhaftierung Alberto Fujimoris dar. Am 7. April 2009 wurde der Expräsident zu 25 Jahren Haft wegen schwerer Menschenrechtsverletzungen verurteilt. Dies war ein historisches Ereignis, denn Fujimori war der erste demokratisch gewählte Präsident in Lateinamerika, der ausgeliefert und im eigenen Land verurteilt wurde. Die Geschehnisse rund um seine Verhaftung setzten erneut die Auseinandersetzungen zwischen Anhängern und Gegnern Fujimoris auf die Tagesordnung. Es fanden Demonstrationen und Gegendemonstrationen mit großer Medienpräsenz statt. Trotz der juristischen Beweise, dass es unter seiner Regierung zu Menschenrechtsverletzungen gekommen war, und obwohl der Staatsapparat korrumpiert war und Fujimori die Verantwortung dafür trug, zeigten sich dennoch die Treue und die Sympathie eines bedeutenden Teils der Gesellschaft für Fujimori und seine Partei. Ollanta Humala Im Juni 2011 wurde der ehemalige Oberstleutnant der peruanischen Armee, Ollanta Humala Tasso, als Präsident gewählt. Zu seinen Kreisen gehörten zu Beginn seiner Regierungszeit Menschenrechtsaktivisten und Politiker des linken Spektrums. So erhoffte man sich eine Revision der von der vorherigen Regierung eingeführten gesetzlichen Rahmenbedingungen für die Reparationsprogramme. In diesem Sinne wurden die Höhe der einmaligen Zahlungen und der permanente Charakter des Registers erneut diskutiert. Nach einem schwierigen partizipativen Prozess mit den Opferverbänden und anderen Zivilorganisationen erhöhte die CMAN die Summe der individuellen finanziellen Reparationen von 10.000 Soles auf 36.000 Soles (ca. 9.400 Euro) pro Opfer. Bezüglich der Frist für die Registrierung gab die CMAN dem Register einen permanenten Charakter. Doch Ende des Jahres 2011 dankte der liberale Premier Salomón Lerner Ghitis ab und an seiner Stelle wurde ein ehemaliger Angehöriger der Streitkräfte, Óscar Valdés, ernannt, der alle Bestimmungen wieder rückgängig machte. 138 Diese Tatsache deckt eine bedauerliche Praxis im Bereich der Reparationen auf: die Vergabe von Wiedergutmachungen nicht zugunsten der Opfer, sondern zulamula.pe/2011/04/02/reparaciones-dignas-si-limosnas-no/jairorivas/ (abgerufen am 12.10.2017). 138 Vgl. Correa 2013, S. 16 f.

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gunsten politischer Interessen. Der neue Justizminister kündigte im Juni 2015 die Zahlung einer Reparation pro Familienangehörigen, die erneute Öffnung der Registrierungsfrist für finanzielle Entschädigungen sowie die Ergreifung neuer Maßnahmen zur Suche und Identifizierung von Verschwundenen an.139 Wann und ob diese Ankündigungen sich konkretisieren werden, bleibt bislang noch offen. Zusammenfassung Die CVR empfahl dem peruanischen Staat im Rahmen ihres Mandats eine Reihe von Reparationsmaßnahmen, denen ein ganzheitliches Gesamtkonzept zugrunde lag. Diese Maßnahmen sahen Förderungen im Gesundheits-, Bildungs- und Entwicklungssektor vor, vor allem in Form von kollektiven, individuellen und finanziellen Reparationen. Da sich die CVR durchaus der Begrenztheit der Mittel für die Wiedergutmachung bewusst war, konzipierte sie die Reparationen in einer Form, die nicht nur von materiellen Vergünstigungen gekennzeichnet war, sondern eine ganzheitliche Perspektive verfolgte. Hierbei spielten symbolische Maßnahmen eine besondere Rolle. Denn der Zweck von symbolischen Reparationen besteht darin, die Wiederherstellung der durch den Gewaltprozess zerstörten Bindung zwischen Staat und Bevölkerung und zwischen den Menschen selbst zu unterstützen. Dazu gehörte zunächst eine öffentliche Anerkennung vonseiten des Staates, die den politischen Willen zu einer nationalen Aussöhnung voraussetzt. Außerdem muss man betonen, dass der Staat die Möglichkeit gehabt hätte, einen Teil der Bevölkerung zu entschädigen, der schon immer vernachlässigt wurde. Stattdessen scheint es wohl so zu sein, dass der Staat diese Chance nicht vollständig genutzt hat. Seit der Transition gab es zwar dahin gehende Bemühungen einzelner Akteure, aber ein fehlender politischer Wille und ein immer noch stark ausgeprägter Einfluss des Militärs erschweren eine konsequente und effiziente Entschädigungspolitik. Dieser langwierige Prozess und die konstanten Hürden für die Opfer führen zu einer sogenannten „doble victimatización“ (oder: doppelte Zuweisung der Opferrolle). Die Opfer wurden schon vor dem Konflikt diskriminiert und vernachlässigt. Die derzeitige Situation stellt eine Demütigung für die Opfer und ihre Familien dar. Seit der Transition gab es eine anfängliche Phase der Einführung einzelner Programme, von denen viele aber mit der Zeit im Sand verliefen. So wurde wäh139 Vgl. Rivas Belloso, Jairo: El ministro y las reparaciones. In: LaMula.pe vom 11.07. 2015. https://blognoticiasser.lamula.pe/2015/07/11/el-ministro-adrianzen-y-lasrepara ciones/noticiasser/ (abgerufen am 12.10.2017). Bis zum Ende seiner Amtsperiode geschieht dies jedoch nicht.

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rend der Regierung Paniagua bzw. Toledo eine Wahrheitskommission einberufen und nach deren Empfehlungen erste Gesetze verabschiedet. Die Regierung García konzentrierte sich zunächst auf kollektive Reparationen, um dann nur wenige Wochen vor dem Ende seines Mandats mit den finanziellen Reparationen zu beginnen. Das Gesetz, das dieses Verfahren regelt, weist Widersprüche zu den internationalen Praktiken der Menschenrechtspolitik sowie faktische Hindernisse für die Opfer auf. Die Regierung Humala zeichnete sich zu Beginn ihres Mandats durch eine progressive Linie aus, doch aufgrund vermehrter innenpolitischer Krisen wurden ihre Vorschläge wieder rückgängig gemacht. Der Justizminister der Regierung Humala machte mehrere Ankündigungen im Bereich Entschädigungspolitik, detaillierte Pläne wurden jedoch nicht konkretisiert. Die von der CVR formulierten Empfehlungen zu Reparationsmaßnahmen als ein integrales Konzept wurden in Peru nicht auf die vorgesehene Weise implementiert. Man kann festhalten, dass seit der Transition zwar einzelne Maßnahmen ergriffen wurden, diese jedoch nicht in ein Gesamtkonzept integriert waren. Generell wird der Dialog mit den Opfergruppen nicht gesucht, ihre Forderungen werden nicht zur Kenntnis genommen. Anders als in Chile oder in Argentinien verfügen die Opfergruppen eher über bescheidene Ressourcen und sehr geringen politischen Einfluss. Angesichts des herrschenden Rassismus und der Diskriminierung indigener Bürger, die die Mehrheit der Opfer bilden, ist das Thema Reparationen in der Öffentlichkeit und in den Medien nebensächlich.140

4.3 DIE ROLLE DES MEDIUMS MUSEUM IN DEN AUFARBEITUNGSPROZESSEN Die Entstehung von Museos de la Memoria stellt eine der oben genannten erinnerungspolitischen Maßnahmen dar, denn ihre Genese ist auf die Empfehlungen der Wahrheitskommissionen zurückzuführen. Symbolische Reparationen versuchen, die einst gebrochenen sozialen Verbindungen wieder zu rekonstruieren. Diese Museen sind aber nicht nur eine symbolische Geste für Anerkennung und Wiedergutmachung seitens des Staates, sondern auch die Materialisierung einer langjährigen Forderung von Familienangehörigen und Überlebenden. Sie kor140 Am 22. Juni 2016 wurde vom Präsident Ollanta Humala das Gesetz Nr. 30470 zur Suche von verschwundenen Personen verkündet. Dies geschah praktisch ein Monat vor der Beendigung seines Mandats. Diese Maßnahme konnte in der vorliegenden Arbeit nicht mehr berücksichtigt werden, weil die Datenerhebung bereits beendet war. Konkrete Aktionen zur Implementierung des Gesetzes sind ein Jahr nach der Amtsübernahme der neuen Regierung vom Präsidenten Kuczynski (28.07.2017) noch nicht unternommen worden.

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respondieren außerdem mit den kontinentalen Bemühungen um die recuperación de la memoria histórica (das Wiedererlangen des historischen Gedächtnisses). Die museale Aufarbeitung der nationalen historischen Vergangenheit in Südamerika ist wiederum in einen globalen Kontext eingebettet. Die Museos de la Memoria sind also eine Antwort auf internationale Trends im Zusammenhang mit dem universalen ethischen Imperativ für eine Kultur des Gedenkens. Als Verkörperung der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit kann man daher dem Museum im Bereich der Erinnerungspolitik eine wichtige Rolle zuweisen. Erinnerungen manifestieren sich auf sehr unterschiedliche Weise. Allgemein lassen sie sich über Kommunikation ausdrücken, aber um ihnen einen dauerhaften Charakter zu verleihen, benötigt man Medien, die diese materialisieren, und hierbei ist das Medium Museum besonders relevant. Soziale Gruppen errichten Orte wie Geschichtsmuseen oder Gedenkstätten, um das Vergangene zu vergegenwärtigen oder gar zu verewigen. Man geht von der Annahme aus, dass diese Institutionen die öffentliche Erinnerung an die Vergangenheit konservieren können und dass diese Erinnerung wiederum das soziale Verständnis der Gegenwart beeinflussen kann. Doch „Vergangenheit [ist] unwiederbringlich verloren; sie ist weder vollständig zu wissen noch jemals rekonstruierbar, noch musealisierbar. Geschichte ist deshalb nur in der und durch die Gegenwart konstituierbar.“ 141 Das Zitat des Museologen Martin Schärer bringt einleitend die Hauptproblematik der Musealisierung von Vergangenem auf dem Punkt. Historische Ereignisse werden im Museum aus heutiger Sicht erzählt; sie werden auf der Grundlage gegenwärtiger Forschungserkenntnisse und Reflexionen konzipiert. Dabei wird nicht Vergangenheit im engsten Sinne rekonstruiert. Vielmehr werden Diskurse darüber museal erzeugt, und zwar diejenigen Erinnerungsdiskurse, die mit dem Standpunkt der Kuratoren und der Verantwortlichen übereinstimmen sowie mit den politisch-konjunkturellen lokalen Umständen. Diesbezüglich stellt sich die Frage danach, wessen Erinnerungen denn „verewigt“ werden sollen. Ein Großteil der musealen Aktivität besteht im stetigen Sammeln von Dingen und Dokumenten, was wiederum eine notwendige Selektion impliziert. Daraus ergibt sich eine Werteinschätzung darüber, was konservierungs- und ausstellungswürdig ist und was nicht. Es handelt sich um Entscheidungen, die von Menschen getroffen werden und infolgedessen von subjektivem Charakter sind. Hierzu äußert sich Tereza Scheiner, einstmals Präsidentin des ICOM (The International Council of Museums) und heute Mitglied des Vorstands folgendermaßen:

141 Schärer 2003, S. 15.

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The ‚museologic‘ discourse, which results from interpretive/narrative operations specifically built for museums, will always be […], elaborated as image and resemblance of the narrator. Hence, museums have the special responsibility to make sure that the narratives they enunciate are shaped in the frontier between reason and emotion, looking for a point of balance that can be considered ethical, without running the risk of erasing the facts, or silencing […] them. It is imperative that museums define who speaks, and clearly establish the ‚speaking places‘ from where such discourses operate – aiming to reach a balance, without silencing the voice of those who build interpretations. 142

Es liegt also immer eine subjektive Meinung hinter der Präsentation verborgen, eine institutionalisierte Botschaft, mit der bestimmte Ziele erreicht und bestimmte Aspekte des Dargestellten aufgegriffen werden sollen. Es ist daher nicht vermeidbar, dass eine Institution sich im Einklang mit ihrem jeweiligen Diskurs positioniert. Doch wenn der Staat – in Form seiner Delegierten – derjenige ist, der diesen Diskurs bildet, ist die Verantwortung hinsichtlich der Transparenz bei der Vermittlung der jeweiligen Position höher.143 Im Normalfall tendiert der durchschnittliche Besucher dazu, zu glauben, dass Museen in einer korrekten, objektiven und neutralen Form historische Ereignisse dokumentieren. Selten werden Tabus, Unstimmigkeiten und Kontroversen darin thematisiert. Draußen dagegen spielen sich ständig Streitigkeiten ab. Denn Musealisierungsprozesse gehen nicht reibungslos vonstatten. Post-Konflikt-Gesellschaften zeichnen sich durch Polarisierung aus, und so ist auch die Situation in Chile und in Peru. Die Diskussionen über das Vergangene, für eine Kultur des Erinnerns oder für eine des Vergessens, verlaufen kontrovers. Offizielle Maßnahmen wie zum Beispiel der Bau eines nationalen Erinnerungsmuseums, das mit staatlichen Mitteln finanziert werden soll, können daher sehr umstritten sein. Als nationales Projekt richten sie sich an die gesamte Gesellschaft, und wenn ein Teil davon eine andere Position vertritt oder nicht mit der präsentierte Geschichtsinterpretation einverstanden ist, dann können leicht Konflikte entstehen. In diesen Fällen wird das Museum zum Ort der Auseinandersetzung. Elizabeth Jelin behauptet diesbezüglich:

142 Scheiner, Tereza: Museology and the interpretation of reality: The discourse of history. In: Vieregg, Hildegard K. u. a. (Hrsg.): Museology – A Field of Knowledge. Museology and History. International Symposium ICOM/ICOFOM (International Committee for Museology). Munich/Córdoba: ICOFOM Study Series 2006, S. 68– 75, hier S. 74. 143 Vgl. Arellano Cruz, Fabiola: Musealización del conflicto armado interno: „El Lugar de la Memoria, la Tolerancia y la Inclusión Social“ en Lima. Reflexiones sobre un polémico proyecto. In: Contreras Saiz, Mónika/Louis, Tatjana/Rinke, Stefan: Memoria y Conflicto. Memorias en Conflicto. Intercambios metódicos y teóricos de experiencias locales latinoamericanas. S. 187–220, hier S. 194.

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They [Gedenkstätten und Museen] are political in at least two senses: their installation is always the result of political struggles and conflicts, and their existence is a physical reminder of a conflictive political past, which may spark new rounds of conflict over meaning in each new historical period or generation. 144

Von diesem Standpunkt ausgehend werden weitere Fragen aufgeworfen: Warum ist es für Staaten überhaupt von Bedeutung, ein Museum zum Gedenken an vergangenen Terror und vergangene Gewalt – oder besser gesagt an das eigene Versagen – zu bauen? Welche Rolle spielen diese Institutionen in der erinnerungspolitischen Agenda nicht nur des Staates, sondern auch anderer Erinnerungsakteure? Und schließlich: An was wird hier eigentlich erinnert? Junge Demokratien wie Chile und Peru legen darauf wert, sich zunächst vom vergangenen Regime abzugrenzen und somit das demokratische System und seine Werte deutlich davon abzuheben. Auf diese Weise versucht man, sich national und international zu profilieren. Die Errichtung eines öffentlich zugänglichen physischen Raums, in dem Geschichte (re-)präsentiert und visualisiert wird, scheint fast unerlässlich, um offizielle Stellungnahmen zu verbreiten. Die Sozialwissenschaftler Siegmar Schmidt und Gert und Susanne Pickel sprechen die Paradoxie der offiziellen Bemühungen in Post-Konflikt-Staaten an. Einerseits könne der Staat in einer pluralistischen Gesellschaft keine „offizielle“ Geschichtspolitik verordnen, weil es ja bekanntermaßen unterschiedliche Vergangenheitsdeutungen gebe, die teilweise miteinander konkurrieren. „Auf der anderen Seite kann kein demokratischer Verfassungsstaat ohne einen Grundkonsens über die grundsätzlichen Regeln der Entscheidungsfindung und wesentliche Grundwerte auskommen.“145 Dieser Umstand verdeutlicht die Komplexität des Arbeitsfeldes der Erinnerungspolitik und ist für den weiteren Verlauf dieser Arbeit zu berücksichtigen. Im Gegensatz zu Ausstellungen haben Museen den Anspruch, permanent zu sein. Daher soll sich die dort erzählte „erinnerte Geschichte“ (nach J. Assmann) auch etablieren. Staaten haben ein Interesse am Aufbau offizieller und hegemonialer Diskurse über vergangene Ereignisse und Episoden der Geschichte, die erinnerungswürdig scheinen, insbesondere zur politischen und historischen Aufklärung der Bürger eines Landes. Man kann daraus schließen, dass historische Museen eine wichtige Komponente bei der Konstruktion erinnerungspolitischer Mechanismen sind. Auf diese Weise wird ein historischer Konsens geschaffen, um potenzielle soziale Konflikte und politische Unruhen zu minimieren. Diese buena memoria (gute Erinnerung), eine offizielle Erinnerung, die am besten von 144 Jelin, Elizabeth: Public memorialization in perspective: Truth, justice and memory of past repression in the Southern Cone of South America. International Journal of Transitional Justice. Vol. 1, März 2007, S. 138–156, hier S. 147. 145 Wehr 2009, S. 101–128, hier S. 121.

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Konflikten befreit sein soll146, hängt allerdings stark vom Zeitpunkt ab, zu dem ein Museum konzipiert wird, sowie von den partizipierenden Akteuren. Im peruanischen Fall zum Beispiel gab es eine Zeit, in der politische und militärische Eliten sehr daran interessiert waren, ein historisches Bewusstsein zu erzeugen, das die politische Gewalt oder Gegengewalt zu rechtfertigen versuchte.147 Heute ist diese Ansicht nicht so einfach in einem Museum durchzusetzen. Insofern stützt sich der dominante Diskurs an diesen Orten in der Regel auf eine kritische Ansicht sowie gleichzeitig auf eine mahnende Geste gegenüber dem repressiven Vorgängerregime, die Verteidigung der Menschenrechte und eine Hommage an die Opfer politischer Gewalt. Dies spricht für einen Wandel im gesellschaftspolitischen Kontext basierend auf dem Fortschritt der Kultur und der beteiligten Akteure der Menschenrechtsbewegung sowie eine weitverbreitete gesellschaftliche Ablehnung gegenüber Formen staatlicher Gewalt. Ebenfalls von politischem Interesse ist es, eine gemeinsame Kultur des Erinnerns und Formens der Zusammengehörigkeit zu konstruieren. Aus diesem Grund gibt es von staatlicher Seite in der Regel finanzielle Unterstützung und/oder die Legitimierung von Projekten, die der Förderung einer nationalen Erinnerungskultur dienen. Man erhofft sich damit auch, Versöhnungsprozesse in der Gesellschaft einzuleiten. Wie bereits erwähnt, sind solche Projekte aber meistens eher Grundlage für Auseinandersetzungen. Es sei allerdings darauf hingewiesen, dass die verschiedenen Strategien des Erinnerns dann häufig parallel verlaufen und sich in einem einzigen Raum treffen, unabhängig von ihrer Form, ihrem Inhalt oder ihrem Vorsprung. Museen haben zudem drei Vorteile gegenüber anderen Medien zur Vermittlung von Geschichte wie beispielsweise Schulbüchern: Dreidimensionalität, Anschaulichkeit und Begehbarkeit. Dies ermöglicht emotionale und sinnlichästhetische Zugänge, die für kognitive Vermittlungsprozesse ergiebig sein können.148 Das Potenzial des Mediums Museo de la Memoria im Bereich der politischen Bildung und der Geschichtsdidaktik ist den staatlichen Vertretern nicht unbekannt. In diesem Kontext stellt sich die Frage nach dem narrativen Diskurs. Wenn die Ziele der Institution die Aufklärung, Reflexion und Bildung sind, dann ist darüber zu entscheiden, welche Episoden der Geschichte den künftigen Generationen und potenziellen Besuchern eines Museums zur Reflexion präsentiert

146 Vgl. Vinyes 2009. 147 Buchenhorst, Ralph: Erinnerung als Konstruktion. Offene Prozesse der Aufarbeitung von Vergangenheiten. In: Luther, Inga u. a.: Erinnerung schreibt Geschichte. Lateinamerika und Europa im Kontext transnationaler Verflechtungen. Stuttgart: Heinz Verlag 2011, S. 109–147, S. 116. 148 Vgl. Köhr 2012, S. 33.

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werden sollen. Doch schließlich stellt sich die folgende Frage: Wer entscheidet darüber, was erinnert werden und was in Vergessenheit geraten soll? Alle Gedenkformen, die im öffentlichen Raum präsentiert werden sollen, erfordern die Erlaubnis des Staates oder des zuständigen Stadtrates, eventuell auch Ressourcen, aber vor allem die Legitimation in der Gemeinde. Die öffentliche Beteiligung an der Finanzierung von Memorials sollte allerdings mit Vorsicht betrachtet werden, selbst wenn diese nicht offensichtlich zu Instrumentalisierungszwecken missbraucht werden. Einerseits ist eine solche Partizipation zweifelsohne eine bemerkbare Geste seitens des Staates und zeigt die Übernahme von Verantwortung gegenüber den Opfern. Man sollte jedoch anderseits die Errichtung von Gedenkstätten nicht mit Justiz verwechseln. Schließlich sei darauf hinzuweisen, dass der Versuch, konfliktive Themen zu entpolitisieren, auszublenden oder zu harmonisieren, anstatt genau diese Konflikte zu thematisieren, keine optimale Lösung für eine Museumsnarrative darstellt. Wie die hier behandelten Institutionen diesbezüglich vorgehen, ist Stoff der Kapitel 5, 6 und 7 dieser Studie.

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Porträt der Fallbeispiele: Entstehung, Resonanz und Kontroversen

Kapitel 5 widmet sich den zwei zentralen Fallbeispielen: dem Museo de la Memoria y los Derechos Humanos in Santiago und der Lugar de la Memoria, Tolerancia e Inclusión Social in Lima. Es werden zunächst allgemeine Informationen zu den jeweiligen Institutionen, Aspekte bezüglich der Finanzierung und Trägerschaft sowie ihre verfolgten Ziele dargelegt. Ein besonderes Augenmerk liegt danach auf der Vorgeschichte und der Entstehungsprozesse der Institutionen. Danach werden die Kontroversen, die diese Prozesse begleitet haben, thematisiert. Die Analyse der Dauerausstellungen der jeweiligen Einrichtungen erfolgt im Kapitel 6. In Chile und in Peru gab es unmittelbar nach der Rückkehr zur Demokratie Wahrheitskommissionen, die u. a. n die Errichtung von Gedenkstätten zur Erinnerung an die Opfer empfahlen. Die konkreten Initiativen für die Errichtung eines Erinnerungsmuseums entstanden in beiden Ländern zu einem ähnlichen Zeitpunkt: In Chile im Jahr 2007 und in Peru ein Jahr später. Zu diesem Zeitpunkt war die chilenische Diktatur bereits seit fast zwei Dekaden beendet und Pinochet war tot, hatte aber bereits zu Lebzeiten an Glaubwürdigkeit verloren. In Peru dagegen waren nicht einmal zehn Jahre seit der Transition vergangen. Die Tochter von Alberto Fujimori führt eine politische Partei an, die die sogenannte Ideologie des „Fujimorismo“ vertritt, und wurde 2006 zur Kongressabgeordneten mit den meisten Stimmen gewählt.1 Der Anstoß für die tatsächliche Gründung dieser Museen hatte in den beiden Ländern jeweils einen ganz unterschiedlichen Ursprung. In Chile kam die Initiative direkt von der Präsidentin Bachelet als Antwort auf eine zivilgesellschaftliche Idee, in Peru dagegen war es die deutsche Regierung, die dem peruanischen 1

Keiko Fujimori kandiderte für die Präsidentschaft in den Wahlen von 2016 und verlor die Stichwahl nur sehr knapp wegen 41.000 Stimmen. Ihre Partei bildet die Mehrheit im Parlament für die Periode 20162021.

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Staat den Vorschlag machte, ein Museum zur Erinnerung an den internen bewaffneten Konflikt zu errichten, und finanzielle Unterstützung dafür zusicherte. So wichen die Musealisierungsprozesse deutlich voneinander ab. Das Museum in Chile wurde knapp zwei Jahre nach seiner Ankündigung eröffnet; in Peru mussten fast sieben Jahre vergehen, bevor es eröffnet werden konnte. Die Analyse der Entstehungsprozesse, die Kontroversen und begleitenden Diskurse sowie die Untersuchung der Dauerausstellungen verhelfen dazu, die erinnerungskulturellen, aber auch die erinnerungspolitischen Neigungen des jeweiligen Landes zu interpretieren. Hierzu bezeichnet die Historikerin Katrin Pieper Museen als „Resonanzräume“ und fügt hinzu: „Museen sind – neben anderen Medien – Gradmesser für die Signifikanz bestimmter historischer Ereignisse und geben Auskunft über den aktuellen Zustand einer Gesellschaft, über ihre Vorstellungen, Wahrheiten, Tabus, ihre Agenda, ihr Erinnern und Vergessen.“2

5.1 MUSEO DE LA MEMORIA Y LOS DERECHOS HUMANOS, CHILE Seit dem Ende der Militärdiktatur gab es in Chile verschiedene private Initiativen für die Würdigung und Anerkennung der Opfer der Militärdiktatur, sowohl symbolisch als auch materiell. Dennoch mussten immerhin 20 Jahre vergehen, bevor man öffentlich die Diktatur museal aufarbeiten konnte. Denn als lebenslanger Senator und Vorsitzender des Militärs blieb Pinochet lange Zeit nach der Rückkehr zur Demokratie weiterhin eine sehr einflussreiche politische Figur in Chile. Dieser Umstand und weitere soziale, politische und juristische Wirkungsfaktoren, wie zum Beispiel das Amnestiegesetz, erschwerten die staatliche Aufarbeitung der Vergangenheit. Doch nach den Ereignissen um die Festnahme Pinochets in London 1998 lebte verstärkt die öffentliche Diskussion über die Menschenrechtsverletzungen während seines Regimes wieder auf. Auch in dieser Zeit wurden Pinochet Korruptionsskandale vorgeworfen, die sein Image als „Retter der Nation vor dem kommunistischen Krebs“ auch innerhalb konservativer Kreisen dauerhaft schädigten. Dessen ungeachtet wurde zu jener Zeit gleichzeitig deutlich, dass die chilenische Gesellschaft mit Themen der Vergangenheit und mit der Einstellung zu Pinochet als Diktator nach wie vor uneins ist. Nichtsdestotrotz haben im Laufe der Zeit immer wieder mehr Repräsentanten der unterschiedlichen Staatsorgane offiziell Schuldgeständnisse für Fehlverhalten oder Unterlassung abgelegt. In diesem Sinne kann man das Museo de la Memoria 2

Pieper, Katrin: Resonanzräume. Das Museum im Forschungsfeld Erinnerungskultur. In: Baur 2010, S. 187–212, hier S. 203.

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auch als ein Zeichen von Verantwortungsbewusstsein seitens des Staates, zumindest im Hinblick auf die Zeit der Diktatur, deuten. Trotz unzureichender strafrechtlicher Aufarbeitung zeigt die Tatsache, dass der Ort, in dem die Verbrechen der Diktatur präsentiert werden, nicht nur „Museo de la Memoria“, sondern auch „y de los Derechos Humanos“ (und für die Menschenrechte) heißt, dass der chilenische Staat diese Vergangenheit, in der schwere Menschenrechtsverletzungen begangen wurden, bewusst anerkennt. Diese Institution stellt insofern zweifelsohne eine der bedeutungsvollsten offiziellen symbolischen Maßnahmen dar, die zugleich reparatorischen Charakter besitzt. Die Professoren für Lateinamerikanische Geschichte Steve Stern und Peter Winn nennen dies sogar „die Krönung der Memorialisierung“ 3. Entstehungsprozesse: Eine präsidiale Initiative Schon 2003 im Rahmen seiner Menschenrechtsprogrammatik und in Übereinstimmung mit den Empfehlungen der Wahrheitskommission erwähnte der damaligen Präsident Ricardo Lagos die Gründung eines Erinnerungsmuseums. Allerdings geht die ursprüngliche Idee für ein solches Museum auf das Anliegen des Verbandes Casa de la Memoria zurück. Dieser Zusammenschluss mehrerer Menschenrechtsorganisationen4 verfügte über eine große Sammlung an Dokumenten, die Zeugnis von der Diktatur geben und aufgrund ihrer Relevanz 2003 in dem Programm Memory of the World – MOW der UNESCO aufgenommen wurden. Dieser Dachverband führte Verhandlungen mit staatlichen Vertretern der Regierung Lagos für die Finanzierung eines Ortes, an dem sie ihre über die Jahre gesammelten und aufbewahrten Fotografien, Presseausschnitte, audiovisuelles Material und Dokumente deponieren, archivieren sowie ausstellen und somit eine Weitergabe der Geschichte garantieren konnten. Laut der Politikwissenschaftlerin Catherine Hite und der Professorin für Transitional Justice Cath Collins sollte dieser Ort von Vertretern der genannten Organisationen entworfen und verwaltet werden. Doch dazu kam es nicht: „Believing they had basically reached an accord with the Lagos government, the groups were astounded when

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Stern/Winn, in: Stern u. a. 2013, S. 261– 410, hier S. 346. Die Casa de la Memoria besteht aus folgenden Organisationen: Fundación de Ayuda Social de las Iglesias Cristianas (FASIC – Stiftung für soziale Hilfe der Christlichen Kirche), Corporación de Promoción y Defensa de los Derechos del Pueblo (CODEPU – Gesellschaft für Förderung und Schutz der Rechte des Volkes), Funda-ción de la Protección a la Infancia Dañada por los Estados de Sitio (PIDEE – Stiftung zum Schutz von durch Belagerungszustände geschädigte Kinder) und Teleanálisis, ein unabhängiges Berichterstattungsprojekt gegründet während der Diktatur.

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the incoming administration announced independently, through the press, plans for a government Memory Museum with the same objectives.“5 Die tatsächliche Realisierung des Museumsprojekts ist also direkt auf die Präsidentin Michelle Bachelet zurückzuführen, diesich seit Beginn ihres Mandats besonders für die Aufarbeitung der Vergangenheit und für die Errichtung dieses Museums einsetzte. Ihr biografischer Bezug als Tochter eines Opfers und selbst Opfer von Folter mag hierbei eine entscheidende Rolle gespielt haben. Auch wenn die Konstruktion einer Gedenkstätte als Reaktion auf die Forderungen und Bedürfnisse der Casa de la Memoria zu verstehen ist, nahm Bachelet selbst das Projekt in die Hand und gab ihm ihr persönliches Gesicht. Schon am 21. Mai 2007 kündigte die Präsidentin Michelle Bachelet in ihrer Rede zum Día de las Glorias Navales (Tag der Ruhmestaten der Marine) an, ein Institut für Menschenrechte und ein nationales Erinnerungsmuseum zu errichten.6 Das Museo de la Memoria y los Derechos Humanos sollte demnach von Anfang an nationalen Charakter besitzen. Hier sollten die Opfer der 17 Jahre andauernden Militärdiktatur gewürdigt werden; aber aus diesen individuellen Erfahrungen heraus sollte das ganze Land die schmerzhaften Ereignisse der Vergangenheit als Teil der eigenen Geschichte anerkennen und sich für eine Kultur des Erinnerns, für die Achtung der Menschenwürde und für die Demokratie einsetzen.7 Für den Bau eines nationalen Erinnerungsmuseums dieser Größenordnung waren erhebliche finanzielle und infrastrukturelle Ressourcen sowie ein gezielter politischer Wille notwendig. Die Comisión Asesora Presidencial para Políticas de Derechos Humanos (Präsidiale Beratungskommission für Menschenrechtspolitik) war für die Leitung des Projekts zuständig. Sie arbeitete zusammen mit der Dirección de Arquitectura del Ministerio de Obras Públicas (MOP – Abteilung für Architektur des Ministeriums für Öffentliche Bauten), der Dirección de Bibliotecas, Archivos y Museos (DIBAM – Abteilung für Bibliotheken, Archive und Museen) und das Ministerio de Bienes Nacionales (Ministerium für Nationale

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Hite, Katherine/Collins, Cath: Memorial Fragments, Monumental Silences and Reawakenings in 21st-Century Chile. In: Millennium: Journal of International Studies, Vol. 38, Nr. 2, 2009, S. 379– 400, hier S. 399. „Haremos realidad la creación del Instituto de Derechos Humanos y fundaremos el primer Museo Nacional de la Memoria.“ (Wir werden das Institut für Menschrechte Wirklichkeit werden lassen und werden das erste nationale Gedenkmuseum gründen). Aus ihrer Rede vom 21.05.2007 vor dem National Kongress in Valparaíso. Online verfügbar unter: http://www.camara.cl/camara/media/docs/discursos/21 mayo_2007.pdf (abgerufen am 12.10.2017). Vgl. Sepúlveda, María Luisa: Museo de la Memoria y los Derechos Humanos. In: Museo de la Memoria y los Derechos Humanos (erster Museumskatalog über die Institution). Santiago: Editorial Midia 2011, S. 16.

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Güter). Für den Bau und die Implementierung des Museums war eine staatliche Investition von ca. 20 Millionen US-Dollar vonnöten.8 Da das Museum nicht nur ein kulturelles Projekt war, sondern auch kurz nach seiner Ankündigung zu einem Politikum wurde, waren Mechanismen unerlässlich, die seine Weiterführung und seinen Betrieb garantierten. In den lateinamerikanischen Jungdemokratien ist ein Wechsel zwischen links- und rechtsorientierten Regierungen üblich. Diese Tatsache wäre nicht besonders problematisch, wenn die Regierungen statt Mandatspolitik Staatspolitik betreiben würden. D. h. konkret, dass Projekte oder Initiativen einer Regierung nach einem Regierungswechsel stagnieren oder sogar rückgängig gemacht werden können. Seit dem Ende der Diktatur wurden in Chile immer Kandidaten der Concertación für die Präsidentschaft gewählt. Doch 2010 sah das politische Szenario anders aus und man konnte voraussehen, dass der konservative Kandidat Sebastián Piñera die besten Chancen hatte, zum Präsidenten gewählt zu werden. Um die Finanzierung des Museums sicherzustellen, sollte es zu den Zuständigkeiten der DIBAM gehören und daher mit staatlichen Mitteln finanziert und gefördert werden. Trotzdem sollte die Verwaltung des Museums in den Händen einer gemeinnützigen privaten Stiftung liegen, bei der die Präsidentin nach dem Ende ihres ersten Mandats Mitglied wurde. Die Privatstiftung besteht aus insgesamt 15 Personen, darunter Repräsentanten des Menschenrechtssektors und der Forschung sowie renommierte Journalisten und Intellektuelle. Einige dieser Personen wurden von Präsidentin Bachelet persönlich ausgewählt. Das Direktorium der Stiftung entscheidet über die Richtlinien und die Organisation der Institution. Das Museum verfügt zwar über einen Jahresetat, der über das Haushaltsgesetz zugeteilt wird, und das Direktorium muss sich vor der DIBAM finanziell verantworten; die Einrichtung an sich ist jedoch nicht staatlich. Dies war eine Strategie, um dem Museum einen dauerhaften Charakter zu verleihen, unabhängig von der potenziellen politischen Willkür zukünftiger Regierungen. 9 Am 11. Juni 2007 rief das für offizielle Bauarbeiten zuständige Ministerium einen nationalen und internationalen Wettbewerb aus, welchen das brasilianische Architektenbüro Estúdio América gewann. Im September 2007 begann die zuständige Arbeitsgruppe für das museografische Projekt unter der Leitung der Journalistin Marcia Scantlebury ihre Arbeit. Nach einem von der DIBAM aufgerufenen Wettbewerb erfolgte ein Jahr später die Auswahl des Unternehmens, das die Inszenierung der Dauerausstellung umsetzen sollte. Das Unternehmen Árbol Color beriet über die Organisation von Inhalten, Museumsobjekten und Doku8 9

Ortiz A., Miguel: Las „pobrezas“ de los museos de la Quinta Normal… ahora que llega un monumental vecino. In: La Segunda vom 03.07.2009, S. 54. Interview mit María Luisa Ortiz, Leiterin des Bereichs Sammlungen und Forschung des Museo de la Memoria y los Derechos Humanos, am 14.03.2014 in Santiago.

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menten aus den Archiven. Die Einschätzungen und Meinungen von Experten in den Bereichen Museografie und Menschenrechte waren für den Konzeptentwurf wichtig. Deswegen wurden ca. 70 ausführliche Interviews mit Experten durchgeführt. Es fanden außerdem Fokusgruppen mit Teilnehmern außerhalb des Menschenrechtsspektrums statt, u. a. mit Schülern und Lehrern, um den Zugang zu Wissen über die Zeit der Militärdiktatur zu untersuchen. Für die Recherche weiterer Informationen wurden Museen und Archive aufgesucht. 10 Gleichzeitig trat man in Kontakt mit Menschenrechts- und Opferorganisationen. Gerade diese Akteure sind Mitgestalter einer Kultur des Erinnerns. Während der Diktatur dokumentierten sie die Verbrechen, wie die obengenannte Korporation Casa de la Memoria, und danach setzten sie sich aktiv für die Aufklärung und Bekanntmachung der Menschenrechtsverletzungen ein, beispielsweise in Form von Umwidmungen ehemaliger Gefängnisse zu Gedenkorten. Das Verhältnis zwischen dem Menschenrechtssektor und dem Staat ist historisch gesehen komplex. Hierzu muss man vorweg betonen, dass weder die Menschenrechtsorganisationen noch die Opfervereine eine homogene Einheit bilden; es sind auch innerhalb dieser Gruppen verschiedene Geschichtsdeutungen, Erwartungen und Forderungen gegenüber dem Staat anzutreffen. Auch unter den Familien von Opfern gibt es unterschiedliche Vorstellungen davon, wie mit der individuellen Tragödie auf nationaler Ebene umzugehen ist. Trotzdem lassen sich grundsätzlich zwei Positionen in Bezug auf das Museumsprojekt beobachten: Zum einen gibt es Organisationen, die sich mehr Partizipation in den Entstehungsprozessen gewünscht hätten. Und obschon die Museumskommission die Nähe zum Menschenrechtssektor suchte, entsprach sie dessen Erwartungen teilweise nicht. Die Menschenrechtsgruppen wollten in die Entscheidungsverläufe involviert werden. Das Museum, das ihnen gewidmet sein würde, sollte auch als ihres wahrgenommen werden und ihre Interessen vertreten. 11 Das war dennoch nicht immer der Fall. Zum anderen gab es Organisationen und Familienangehörige, die dem Staat eher skeptisch gegenüber standen und jegliche Zusammenarbeit ablehnten.

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Die hier dargestellten Informationen stammen aus dem institutionellen Museumskatalog, S. 16–18 sowie aus den von mir geführten Interviews mit Jimena Bravo, Museografin des Museo de la Memoria, am 9.10.2012 in Santiago, bzw. mit María Luisa Ortiz am 14.03.2014, ebenfalls in Santiago. Die anfänglichen Spannungen zwischen einer Gruppe von Menschenrechtsorganisationen und dem Museumskomitee werden in der Studie von Katherine Hite und Cath Collins aufgezeichnet. Allerdings wurde diese Studie 2009 veröffentlicht, also noch vor der Museumseröffnung. Der Ereignisverlauf zeigt, dass die NROs letztendlich mit dem Museum zusammenarbeiteten. Vgl. Hite/Collins 2009, S. 398 f.

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Für María Luisa Ortiz, Leiterin des Bereichs Sammlungen und Forschung des Museums sowie selbst Tochter eines desaparecido12, ist diese Haltung verständlich. Viele Angehörige und Opfer seien sehr misstrauisch gegenüber dem Staat gewesen und wollten lieber ihre Unabhängigkeit bewahren, dies vor allem, da ihr Kampf um Gerechtigkeit und juristische Aufarbeitung trotz musealer Aufklärung weitergeht.13 Die Kooperation wurde allerdings nicht nur von politischen Positionen, sondern auch von emotionalen Zugängen bestimmt. Zum Beispiel als die Museumskommission um Objekte und Dokumente für die Sammlung bat: Sich von ihren privaten Erinnerungsstücken zu trennen, um sie einer staatlichen Institution zu übergeben, war sicherlich eine heikle Sache. Die Tatsache, dass im Museumsteam Menschen gearbeitet haben, die selbst Angehörige von Opfern oder sogar Opfer waren, wie beispielsweise die Präsidentin, ermöglichte jedoch eine gewisse Vertrauenssituation. Bachelet versuchte bewusst, diese Nähe zu pflegen. Sie lud nicht nur Mitglieder der AFDD zu sich in den Regierungspalast ein, sondern besuchte als erster Regierungschef selbst deren Hauptsitz, um dort Gespräche zu führen. Außerdem versuchte die Museumskommission, immer im Dialog mit diesem Sektor zu stehen, um dessen Meinungen zu sammeln und ihn über vollzogene Schritte zu informieren. Allerdings wurden die Entscheidungen selbst vom Kuratorenteam in Koordination mit dem Direktorium der Stiftung getroffen und selten nach außen getragen bzw. mit Externen diskutiert. Ortiz behauptet, diese Strategie sei wesentlich für die zügige Fertigstellung des Projekts gewesen. Hätten die internen Entscheidungen bezüglich der Museumsinhalte immer öffentlich zur Debatte gestanden, wäre das Ziel, das Museum in zwei Jahren zu errichten und einzuweihen, nicht zu erreichen: „Ich bin überzeugt, dass dieses Museum bis heute nie eröffnet worden wäre, hätten wir nicht diese Strategie verfolgt“, meint Ortiz rückblickend.14 Um die Beteiligung der Menschenrechtsorganisationen nicht nur auf die Bereitstellung ihrer Dokumente zu beschränken, versuchte die Museumskommission von Anfang an, sie in manchen Bereichen zu integrieren. So waren sie im Beratungsausschuss für das architektonische Projekt und in der Jury für die Auswahl der Museografie vertreten. Zudem wurde die Präsidentin der Korporation 12

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Der Vater von María Luisa Ortiz, Fernando Ortiz Letelier, war Dozent für Geschichte und Geografie der Universidad de Chile und Generalsekretär der Partido Comunista. 1976 wurde er festgenommen, seither gilt er als desaparecido. 2001 wurde im Rahmen der Gespräche der Mesa de Diálogo festgestellt, dass seine Überreste in einem geheimen Massengrab lagen. Erst 2012 wurde seine Identität vollständig bestätigt und seine Überreste wurden begraben. Interview Ortiz 2014. „Estoy convencida de que si no se hubiera usado esta estrategia este museo no se hubiera inuagurado nunca.“ Ebd.

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Casa de la Memoria ins Direktorium der Stiftung Museo de la Memoria einberufen. Und nachdem die Mitglieder unterschiedlicher Menschenrechtsorganisationen und Opfer oder Angehörige schließlich die Gelegenheit hatten, das Museum persönlich zu besuchen, war die Resonanz, so Ortiz, als positiv zu bewerten. 15 Ziel der Einrichtung ist es, das materielle und immaterielle Kulturerbe bezogen auf die Thematik Menschenrechte und Erinnerungskultur zu sammeln, aufzubewahren, zu restaurieren, zu archivieren und öffentlich zugänglich zu machen. Mit der Dauerausstellung sollen die Menschenrechtsverletzungen während der Diktatur in Chile bekanntgemacht werden. Die Museumssammlung wächst jährlich, und die im Depot gelagerten Artefakte, Gegenstände, (audio-)visuellen Materialien und Dokumente werden stetig für temporäre Ausstellungen verwendet. Außerdem werden mit den Sammlungsbeständen regelmäßig Wanderausstellungen in anderen Regionen des Landes organisiert, bei denen u. a. die lokalen Besonderheiten thematisiert werden. Das Museum soll zum einen der Opfer und deren Angehörigen gedacht und somit eine Kultur des Erinnerns gefördert werden. Zum anderen, so sein Direktor, soll es einen Bildungsauftrag erfüllen und zur Reflexion über die Wichtigkeit der Achtung vor der Menschenwürde anregen.16 Durch die Aufarbeitung der Vergangenheit werden die künftigen Generationen in Chile sowie die internationale Gemeinschaft über das, was zwischen dem 11. September 1973 und 11. März 1990 geschehen ist, aufgeklärt. Auf diese Weise sollen eine konstruktive Diskussion über die jüngere Vergangenheit in der Gesellschaft sowie der Imperativ Nunca Más (Nie wieder) gefördert werden. Diese Ziele zu erreichen, bleibt eine große Herausforderung. Resonanz und Kontroversen Die Errichtung von Gedenkstätten hängt direkt mit den institutionellen und politischen Rahmenbedingungen und mit der jeweiligen Regierungshaltung zu bestimmten Geschichtsdeutungen zusammen. Als das Museumsprojekt angekündigt wurde, hatte Chile sich beinahe 20 Jahre lang mit den Konsequenzen der 17 Jahre anhaltenden Militärdiktatur – zeitweise intensiver, zeitweise gelassener – auseinandergesetzt. Vor allem unter Bachelet schienen die idealen Voraussetzungen vorzuliegen, ein solches Vorhaben zu verwirklichen. Aber die Schaffung dieses Museums stieß zugleich auf Widerstand in Teilen der Gesellschaft und löste eine emotionsgeladene Debatte aus. Die Museumseröffnung fand nur we15 16

Ebd. Interview mit Ricardo Brodsky, Direktor des Museo de la Memoria y los Derechos Humanos, am 13.03.14 in Santiago.

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nige Tage vor der Stichwahl zwischen dem Rechtskonservativen Sebastián Piñera und dem Kandidaten der Concertación Eduardo Frei statt und fiel daher mit einer stark polarisierten politischen Konjunktur zusammen. Zu diesem Zeitpunkt konnte man schon erahnen, dass das Wahlergebnis für die Concertación negativ ausfallen würde. Es waren demnach die letzten Tage von Präsidentin Bachelet an der Macht und somit auch die letzten Tage des Mitte-links-Bündnisses, das Chile 20 Jahre lang regiert hatte. In diesem Zusammenhang ziehen Autoren wie Steve Stern und Peter Winn sogar eine harte Schlussfolgerung: Das Museumsprojekt sei ein „verzweifeltes Manöver“ eines Wahlkampfs gewesen, der ohnehin schon verloren gewesen sei.17 Wie im Laufe dieses Kapitels gezeigt wird, basiert das Museumsnarrativ, und so auch die Grundwerte der Concertación, auf grundsätzlichen vermeintlichen Übereinstimmungen. Die Haltung, die sich an diesem Ort materialisieren und verweilen sollte, war jedenfalls antidiktatorisch und pro Menschenrechte und drückte sich in einer Politik der Versöhnung und des Konsenses aus.18 Abgesehen davon war die Errichtung des Museums zweifelsohne vielmehr ein persönliches Anliegen der Präsidentin und sollte dazu beitragen, dass die Geschehnisse während der Militärdiktatur im nationalen Gedächtnis haften blieben. Die Tatsache, dass das Museum in so kurzer Zeit gebaut und mit allen erforderlichen Ressourcen ausgestattet wurde und die Eröffnung kurz vor Ende ihres Mandats stattfand, verdeutlicht dennoch nicht nur ein persönliches, sondern auch ganz klar ein politisches Projekt von Präsidentin Bachelet. Diese starke Verbindung zwischen dem Museum und der Präsidentin bzw. ihrer Regierung rief in der Öffentlichkeit positive, aber auch negative Reaktionen hervor. Manche Skeptiker behaupteten, die Präsidentin würde die Menschenrechtsthematik zu politischen Zwecken instrumentalisieren. Schon vor der Eröffnung wurde das Museumsvorhaben scharf kritisiert, besonders von Vertretern des konservativen Spektrums sowie des Militärs. Aber nicht nur Menschen aus dem rechtspolitischen Spektrum hinterfragten das Projekt, sondern auch Aktivisten aus dem Menschenrechtssektor. So kritisierte etwa die Präsidentin der Agrupación de Familiares de Ejecutados Políticos (Vereinigung politisch Hingerichteter), Alicia Lira, die Aufnahme von Óscar Godoy und Arturo Fontaine in das Museumsdirektorium, da beide der liberalen Rechten zuzuordnen seien. 19 Lorena Pizarro, Präsidentin der AFDD sowie Héctor Cataldo, Präsident der Agrupación Nacio17 18 19

Stern/Winn 2013, S. 350. Vgl. Lazzara, in: A Contracorriente 2011, S. 55–90, hier S. 63. Scheuch, Macarena/Lavín, Vivian: Museo de la Memoria se inaugura esta tarde. In: Diario y Radio UChile, Online Portal der Universidad de Chile, vom 11.01.2010. http://radio.uchile.cl/2010/01/11/museo-de-la-memoria-se-inaugura-esta-tarde (abgerufen am 12.10.2017).

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nal de ex Prisioneros Políticos (Nationale Vereinigung ehemaliger politischer Gefangener), waren ebenfalls mit der Zusammensetzung des Direktoriums nicht einverstanden. Cataldo kündigte damals zudem an, dass seine Organisation nicht an der Eröffnungszeremonie teilnehmen werde.20 Dabei sollte gerade diese Zusammensetzung verschiedener Persönlichkeiten von unterschiedlicher (akademischer und politischer) Herkunft den Pluralismus der Gesellschaft repräsentieren. Aber bei solchen Angelegenheiten ist es unmöglich, jeden zufriedenzustellen. Die Polemik wurde intensiver je näher die Eröffnung rückte, und vor allem unmittelbar danach, als das Thema in den Medien präsenter wurde. Während eines Forschungsaufenthaltes in Santiago erhielt ich Zugang zum MedienMonitoring des Museums. So konnte ich Presseausschnitte aus den Tageszeitungen El Mercurio, La Segunda, La Tercera und La Nación sowie El Mostrador, einer ausschließlich online veröffentlichten Zeitung, analysieren. Diese Daten aus den Printformaten wurden mir eingescannt ausgehändigt, wobei viele dieser Veröffentlichungen auch im Internet verfügbar sind. Hierbei erscheint die Kommentarfunktion der Online-Ausgaben dieser Tageszeitungen, bei der die Leser die Zeitungsartikel diskutieren bzw. ihre Meinungen äußern können, besonders interessant. Eine qualitative Inhaltsanalyse der Pressemitteilungen, Leserbriefe und redaktionellen Stellungnahmen der meistverbreiteten Tageszeitungen in Chile geben ein Spiegelbild der in der Gesellschaft herrschenden und teilweise sehr gegensätzlichen Haltungen. Auf institutioneller Seite wurden einerseits veröffentlichte Stellungnahmen in Form von offiziellen Reden, Internetpräsenz und Artikeln im Museumskatalog ausgewertet und anderseits Interviews mit Personen geführt, die direkt in der Einrichtung arbeiten bzw. Schlüsselpositionen innehaben. Im Folgenden werden die thematischen Schwerpunkte der Diskussion herausgefiltert, die wichtigsten Kritikpunkte und Kontroversen zusammengefasst und auf diese Weise die unterschiedlichen Argumentationsstränge dargelegt und erläutert. Die zitierten Textstellen sollen exemplarisch die verschiedenen Positionen zum Museo de la Memoria abbilden bzw. einen Überblick über dieses Spektrum verschaffen. „Memorias plurales“? Erinnerungen sind flexibel, sehr subjektiv und werden immer wieder aktualisiert. Dies bedeutet, dass ein gleiches Ereignis unterschiedlich bzw. ganz individuell erinnert werden kann. Umso größer ist die Spannung, wenn man sie museal und als Teil eines nationalen Projekts präsentieren möchte. Präsidentin Bachelet

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Vergara, Eva: Chile: Inauguran Museo en homenaje a víctimas de dictadura. In: La Nación Costa Rica vom 11.01.2011. http://wvw.nacion.com/ln_ee/2010/enero/11/ mundo2221613.html (abgerufen am 12.10.2017).

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scheint sich dieser Tatsache bewusst gewesen zu sein. So betonte sie in ihrer Eröffnungsrede am 11. Januar 2010 die Vielfalt der Erinnerungen: „Und es gibt nicht eine einheitliche Erinnerung der Vergangenheit. Menschen erinnern sich unterschiedlich, individuell und kollektiv. Die Erinnerung verbindet sich mit Gefühlen. Man kann nicht eine einheitliche Erinnerung anstreben, eine statische, eine steinerne Erinnerung.“21 Auch die damalige Direktorin des Projekts, die Journalistin Marcia Scantlebury, behauptete: „Die memoria ist nicht nur eine, sie ist dynamisch und nicht monolithisch.“22 Trotzdem, wie es im Laufe dieses Kapitels deutlicher wird, scheint in diesem Museum ein Erinnerungsdiskurs vorzuherrschen, der in einen bestimmten zeitlichen Rahmen eingebettet ist. Es scheint fast unmöglich in einem Museum dieser Art der Vielfalt aller Erinnerungen gerecht zu werden. Die Perspektive eines Militärangehörigen kann sich von den Erinnerungen anderer Akteure stark unterscheiden, und so können sie auch unterschiedliche Erwartungen an das Museum hegen. Hierzu ein Beispiel: Laut einem in der Tageszeitung El Mercurio veröffentlichten Brief zeigte sich der pensionierte General Raúl Retamal Fuentes bei seinem Museumsbesuch sehr enttäuscht, als er in der Dauerausstellung keinerlei Repräsentationen der durch bewaffnete linksextremistische Gruppen ermordeten Polizisten sah. 23 Diese Enttäuschung, hervorgerufen durch das Fehlen einer Opfergruppe oder eines bestimmten Themas, brachten mehrere Besucher zum Ausdruck, und nicht nur diejenigen, die den nationalen Sicherheitskräften direkt nahestanden. Außerdem sollte man die öffentliche Finanzierung und den nationalen Charakter der Institution berücksichtigen, was die Erwartung weckt, dass mehrere Positionen im Museum vertreten sind. Wenn man die Leserbriefe von Museumsbesuchern liest, die ihre Eindrücke über die Dauerausstellung aufzeichnen, wird sofort klar, dass es keineswegs eine einheitliche Haltung gibt, sondern eine sehr polarisierende Sicht der Vergangenheit.

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„Y no hay una sola memoria sobre el pasado. Las personas recuerdan de manera diferente, individual y colectivamente. La memoria se conecta con la emoción. No se puede pretender tener una sola memoria. Una memoria estática, una memoria pétrea.“ Textstelle aus ihrer Rede anlässlich der Museumseröffnung. Online verfügbar unter: http://www.museodelamemoria.cl/wp-content/uploads/2011/11/discursopresidenta.pdf (abgerufen am 12.10.2017). „La memoria no es una sola, es dinámica, no es monolítica.“ Pérez, Libio: La Memoria tiene dónde estar. In: La Nación, Domingo Magazine, vom 23.08.2009– 29.08.2009, S. 38. Retamal Fuentes, Raúl: Museo de la Memoria. In: El Mercurio vom 24.01.10, S. 2.

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„Chile Unido“? In ihrer Rede anlässlich der Eröffnung des Museo de la Memoria betont die Präsidentin: „Die Eröffnung dieses Museum ist ein mächtiges Zeichen für die Kraft eines geschlossenen Landes“, und diese Geschlossenheit, so Bachelet, basiere auf dem Nunca Más.24 Aber was genau nie wieder geschehen soll, darum wird noch heute gestritten. Für einen Teil der Chilenen sollte es nie wieder eine sozialistische Regierung à la Allende geben. Allende sei mitverantwortlich für den Bruch der Demokratie und die folgende Repression.25 Viele Menschen in Chile vertreten heute noch die Meinung, dass die Umstände während der Regierung der Unidad Popular den Putsch vorbereitet oder sogar legitimiert hatten. Bachelet dagegen sieht in dem Museum das Sinnbild eines „Chile Unido“, das sich einstimmig und engagiert für die Achtung der Menschenrechte einsetzt. Doch im Hinblick auf die Meinungen bezüglich der Institution, ihren Sinn und die Art und Weise, wie dort Geschichte inszeniert wird, und vor allem welches Kapitel der Geschichte, gibt es alles andere als eine einheitliche Position. Historische Zeitspanne: Das Problem der Kontextualisierung und Legitimation Das Museo de la Memoria beschränkt seine Narrative auf den Zeitraum vom 11. September 1973, Tag des Putsches, bis zum 11. März 1990, dem Amtsantritt des demokratisch gewählten Präsidenten Patricio Aylwin. Just als bekannt wurde, dass das Museum nur den genannten Zeitraum behandeln wird, begannen die Gegner der Institution, stark dagegen zu argumentieren. Für den Direktor des Eisenbahnmuseums der Stadt Santiago, Rafael Barriga, ist der Bau eines so teuren Gebäudes, das sich nur mit der Zeit der Diktatur beschäftigt, schlichtweg „absurd“. Als „Museum der Zwietracht“ wertet er in einem Interview für die Abendzeitung La Segunda das Museo de la Memoria ab.26 In dem zitierten Zeitungsartikel wurden die Direktoren der anderen in dem Viertel Quinta Normal gelegenen Museen zu ihren Stellungnahmen bezüglich des monumentalen und prächtigen Baus des neuen „Nachbarn“ gebeten. Es wird vor allem auf die großzügige staatliche Finanzierung hingewiesen, die das Museo de la Memoria im Gegen24

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„La inauguración de este Museo es una poderosa señal del vigor de un país unido. Unión que se funda en el compromiso compartido de nunca más volver a sufrir una tragedia como la que en este lugar siempre recordaremos […].“ Textstelle aus ihrer Rede anlässlich der Museumseröffnung. Online verfügbar unter: http://www.museo delamemoria.cl/wp-content/uploads/2011/11/discurso-presidenta.pdf (abgerufen am 12.10.2017). Vgl. Ugarte Vial, Jorge: Museo de la Memoria. In: El Mercurio vom 31.01.2010, S. 2. Ortiz A., Miguel: Las „pobrezas“ de los museos de la Quinta Normal… ahora que llega un monumental vecino. In: La Segunda vom 03.07.2009, S. 55.

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satz zu den anderen Museen genießt. Unter Berücksichtigung der rechtskonservativen und wirtschaftsliberalen Richtlinien des Blattes lässt sich ein gewisser Trotz bei der Ausrichtung des Artikels erahnen. Die Gruppe Mercurio S.A.P., zu denen 20 regionale Zeitungen, u. a. auch die Abendzeitung La Segunda, sowie mehrere Rundfunk -und Fernsehsender gehören, ist eines der größten und einflussreichsten Medienunternehmen des Landes. Ihre Rolle vor und während der Militärdiktatur ist umstritten. Quellen basierend auf von der US-Regierung freigegebenen Dokumenten von einer Kooperation des Inhabers, Agustín Edwards, mit der CIA mit dem Ziel, die Regierung Allendes zu destabilisieren und somit den Weg für den Putsch vorzubereiten. Während der Diktatur verschleierte die Zeitung außerdem Menschenrechtsverletzungen und manipulierte, verfälschte und zensierte Informationen.27 Nichtsdestotrotz gehört El Mercurio zu den meistgelesenen Medien Chiles. Der Schriftsteller Roberto Ampuero, der regelmäßig für die Tageszeitung El Mercurio schreibt, weist in seiner Kolumne auf die staatlichen Mittel hin, mit denen das Museum gebaut wurde, und fordert ein Geschichtsnarrativ, das der nationalen Vielfalt gerecht wird, ohne „Sektierertum und Entgleisungen“, in deutlichem Bezug auf den zeitlichen Rahmen der Museumsnarrative. Er plädiert für eine umfassende Darstellung der Geschichte, damit keine hegemoniale Erinnerung konstruiert werde. Dies sei genauso wenig zu rechtfertigen wie die Repression der Diktatur. Schließlich fragt er sich, ob das Museum eine nationale oder eher eine partielle Erinnerung beherbergen wird.28 Auch die Redaktion der Tageszeitung La Tercera, ein generell eher linksorientiertes Konkurrenzblatt des El Mercurio, bewertet die Entscheidung der Regierung, das Museum ausschließlich den Ereignissen ab dem 11. September zu widmen, schlechthin als „falsch“. Der Beitrag der Institution zur Förderung der nationalen Versöhnung, Demokratie und Menschenrechte sei mit dieser Ent27

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Aus diesen Gründen wurde Edwards aus dem Journalistenverband ausgeschlossen. Eine Ethikkommission kam zu der Schlussfolgerung, dass er den Prinzipien des Gremiums – Wahrheitsverteidigung, Menschenrechte und Demokratie – widerspreche. Siehe: N.N.: El fin de un intocable: Colegio de Periodistas decide expulsar a Augustín Edwards. In: El Mostrador vom 21.04.2015. http://www.elmostrador.cl/noti cias/pais/2015/04/21/el-fin-de-un-intocable-colegio-de-periodistas-decide-expulsar-a -agustin-edwards/ (abgerufen am 12.10.2017). Die Rolle der Zeitung El Mercurio und besonders seines Besitzers Agustín Edwards vor und während der Diktatur wird in dem Dokumentar-film El diario de Agustín thematisiert. Siehe: Agüero, Ignacio: El diario de Agustín, 80 Min., Ignacio Agüero y Asociados/Amazonía films, Chile, 2008. Diesem Film folgte ein Buch, siehe: Lagos, Claudia (Hrsg.): El diario de Agustín: Cinco estudios de casos sobre El Mercurio y los derechos humanos (1973– 1990), Santiago: Lom Ediciones, 2009. Ampuero, Roberto: Una memoria dememoriada. Opinión. In: El Mercurio vom 05. 11.09, S. 3.

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scheidung eingeschränkt. Für die Redaktion der La Tercera sei unerlässlich, dass die staatliche Erinnerung auch die vorhergehenden Umstände erfasst, da eben diese Umstände die Voraussetzung für den Militärputsch schufen. Nur so könnten vor allem die neuen Generationen eine umfassende Vision entwickeln und Kenntnisse darüber gewinnen, welches Vorgehen zu vermeiden sei, um ein solches Konfrontationsklima erneut entstehen zu lassen.29 Auch Politiker reagierten darauf. Kurz nach der Eröffnung besuchte der Mitte-rechts-Abgeordnete Cristián Monckeberg Bruner die Dauerausstellung und veröffentlichte anschließend seine Impressionen in der Tageszeitung El Mercurio. Anders als erwartet war seine Meinung vom Museum positiv. Dennoch bemängelt auch er die Tatsache, dass die dargestellte Zeit nicht in einen Kontext gesetzt wird.30 Die Mitglieder der Museumsstiftung reagierten auf die Kritik und verteidigten ihre Entscheidung. Arturo Fontaine, Direktor des Centro de Estudios Públicos (CEP – Zentrum für Öffentliche Studien) und eines der 15 Mitglieder des Direktoriums, äußerte in einem Interview wenige Wochen vor der Eröffnung in der Tageszeitung El Mercurio, der Fokus des Museums solle auf die Visualisierung der verheimlichten, ausgelassenen und vergessenen Fakten gerichtet werden und weniger auf die möglichen Interpretationen der Ursachen. Die Präsentation dieser Fakten solle unvoreingenommen und gleichzeitig dramatisch sein, damit sie eine emotionale Wirkung habe.31 Währenddessen sagte der Philosophieprofessor Óscar Godoy, ein weiteres Mitglied des Museumsdirektoriums und wie Fontaine aus dem moderaten rechten politischen Spektrum, zu diesem Thema: „Ursachen und Gründe sind nicht Teil der Berufung des Museums. Es werden ausschließlich Fakten gezeigt und die Besucher sollen ihre eigenen Schlussfolgerungen ziehen.“32 Doch die Frage danach, ob eine umfassende geschichtliche Aufklärung nicht für ein besseres Verständnis dieser tragischen Episode der Geschichte sorgen würde, das die Besucher zu ihren eigenen Schlussfolgerungen anregen kann, bleibt weiterhin unbeantwortet. 29 30 31

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N.N.: Sólo la memoria compartida permite lograr la reconciliación. In: La Tercera vom 19.12.09, S. 3. Monckeberg Bruner, Cristián: Museo de la Memoria. In: El Mercurio vom 26.01.2010, S. 2. Santa María, José Luis: Arturo Fontaine explica su nuevo rol y su visión sobre las violaciones a los derechos humanos: „Me arrepiento hasta el día de hoy de haberme demorado tanto en comprender lo que estaba ocurriendo“. In: El Mercurio, Domingo, vom 06.12.2009, S. 4. „Las causas y el porqué no forman parte de la vocación del museo. Va a mostrar hechos solamente y que las personas saquen sus propias conclusiones.“ Herrera, Mariela: Presidenta Bachelet asumirá como miembro del directorio del Museo de la Memoria. In: El Mercurio (online) vom 04.12.2009. http://diario.elmercurio.com/de talle/index.asp?id={0d944b95-9d5c-4adb-b28d-c89052984087} (abgerufen am 12. 10.2017).

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In ihrer Eröffnungsrede positioniert sich Bachelet diesbezüglich klar: Keiner kann sagen, dass die Krise [damit meint sie die kritische politische Lage vor dem Putsch] die schwerwiegenden und systematischen Menschenrechtsverletzungen rechtfertigen könnte. Denn egal unter welchen Umständen, auch unter schwierigsten Bedingungen, sind wir Menschen dazu verpflichtet, ethisch zu urteilen.33

Indem sie sich auf ein ethisches Postulat bezieht, will sie noch einmal klarstellen, dass es keine Rechtfertigung für die Menschenrechtsverletzungen nach dem Putsch gibt. Und diese Annahme ist zweifelsohne richtig. Nichtsdestotrotz sollte die Aufgabe einer Institution, die sich ihrer pädagogischen Aufgabe bewusst ist, darin bestehen, die Komplexität dieser Periode zu erläutern. Für den Juristen Carlos Peña, ein weiteres Mitglied des Museumsdirektoriums, fordern dennoch Folter und Mord eine dezidierte Verurteilung und keine Erläuterung. Die Kausalität sei immer eine Ausrede, um sich der Verantwortung zu entziehen.34 Und auch diese Annahme ist im chilenischen Kontext nachvollziehbar. Die chronologische Einschränkung bot noch lange Zeit nach der Museumseröffnung Zündstoff für weitere Diskussionen. Im Juni 2012 veröffentlichte El Mercurio einen Brief, in dem der Historiker Sergio Villalobos dem Museum vorwarf, die Geschichte fälschen zu wollen. Es beziehe sich auf ein „singuläres, vom Rest der Geschichte abgetrenntes Ereignis“ und erscheine deswegen so als „unverständlich“, weil es auf die Erklärung von Ursachen verzichte. Er schlug schließlich abwertend vor, das Museum in „Museo del Fracaso, el de la Unidad Popular y el de ahora“ (Museum des Scheiterns, der Unidad Popular und der Gegenwart) umzubenennen.35 Die damalige Direktorin der DIBAM, die Architektin Magdalena Krebs36, kritisierte kurz danach in derselben Zeitung die Entscheidung des Museums, die 33

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„Por ningún motivo se puede decir que la crisis pudiera justificar las graves y sistemáticas violaciones a los derechos humanos. Porque en cualquer circunstancia, incluso la más crítica, los seres humanos estamos obligados al discernimiento ético.“ Textstelle aus ihrer Rede anlässlich der Museumseröffnung. Online verfügbar unter: http://www.museodelamemoria.cl/wp-content/uploads/2011/11/discurso-presidenta. pdf (abgerufen am 12.10.2017). Peña, Carlos: Habla, Memoria. In: El Mercurio (online), Reportajes, vom 06.12.09. http://diario.elmercurio.com/detalle/index.asp?id={5b8cc2eb-fd42-424a-8e99-88db8 365b191} (abgerufen am 12.10.2017). Villalobos, Sergio: Museo de la Memoria. In: El Mercurio, Cartas, vom 22.06.2012. http://www.elmercurio.com/blogs/2012/06/22/4570/museo_de_la_memoria_1.aspx (abgerufen am 12.10.2017). Es ist bekannt, dass sie und ihre Familie gleich nach der Amtsübernahme Allendes nach Deutschland auswanderten und erst ein Jahr nach dem Putsch nach Chile zurückkehrten. Das Leben unter dem „Marxismus“ soll der Familie Krebs ferngelegen haben. Vgl. Urquieta, Claudia: La histórica irritación de Magadalena Krebs con el museo de la memoria. In: El Mostrador vom 29.06.12. http://www.elmos

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Menschenrechtsverletzungen nicht in einem historischen Kontext darzustellen, was die pädagogische Funktion der Institution einschränke. 37 Der Brief von Magdalena Krebs war vor allem kontrovers, weil sie in ihrer Position als Direktorin der Institution, bei der das Museum abrechnen muss, die Existenz des Museums hinterfragte. Krebs wurde daraufhin von der Menschenrechtskommission der Abgeordnetenkammer vorgeladen. Bei dieser Gelegenheit milderte bzw. korrigierte sie ihre Aussagen und entschuldigte sich. 38 Ihre Aussagen lösten jedoch erneut eine große Welle an Kommentaren mit Argumenten für und gegen das Museum, seinen Sinn und seine Aufgaben aus. Die chilenische Historikerin Nancy Nicholls beispielsweise macht auf den Namen der Institution aufmerksam: Museum der Erinnerung, dennoch nicht der Geschichte. Für sie setze das museale Gedenken an die Menschenrechtsverletzungen während der chilenischen Diktatur nicht zwingend eine ausführliche Erklärung der dazu führenden historischen Hintergründe voraus. Laut Nicholls solle sich das Museum auf die ethische Reflexion und nicht auf die historische Analyse konzentrieren.39 In ähnlicher Weise argumentiert die Institution. Als Antwort auf die Vorwürfe bzw. Missverständnisse veröffentlichte das Museumsdirektorium auf seiner Website eine Stellungnahme. Das Direktorium erklärte, die Aufgabe des Museums sei die Förderung eines öffentlichen Bewusstseins über die systematischen Menschenrechtsverletzungen zwischen dem 11. September 1973 und dem 11. März 1990 gemäß der sogenannten Rettig-Kommission. Dieser Vorsatz sei nicht historiografischer oder juristischer Natur und auch nicht politisch, sondern moralisch zu verstehen. Zweck des Museums sei zudem weder, über die Ursachen, die zu den Verletzungen geführt hatten, zu informieren oder diese zu kontextualisieren, noch, individuelle Beschuldigungen zu formulieren.40 In einem Interview erklärt der Museumsdirektor Ricardo Brodsky, Krebs beharre darauf, die Kontextualisierung könne helfen, den Putsch und die Menschenrechtsverletzungen zu verstehen. Das Problem sei jedoch, dass es in Chile nur eine sehr feine Trennlinie zwischen „verstehen“ und „rechtfertigen“ gebe. Eine

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38 39

40

trador.cl/noticias/pais/2012/06/29/la-historica-irritacion-de-magdalena-krebs-con-elmuseo-de-la-memoria/ (abgerufen am 12.10.2017). Krebs, Magdalena: Museo de la Memoria. In: El Mercurio, Cartas, vom 23.06.2012. http://www.elmercurio.com/blogs/2012/06/23/4588/museo_de_la_memoria_2.aspx (abgerufen am 12.10.2017). Astudillo, D./García, J.: Magdalena Krebs: „El Museo de la Memoria puede mejorar su calidad pedagógica“. In: La Tercera vom 12.07.2012, S. 37. Nicholls, Nancy: Museo de la Memoria y los Derechos Humanos. In: El Mostrador vom 22.01.2010. http://www.elmostrador.cl/noticias/opinion/2010/01/22/museo-dela-memoria-y-los-derechos-humanos/ (abgerufen am 12.10.2017). http://www.museodelamemoria.cl/declaracion-publica-del-directorio-del-museo-dela-memoria-y-los-derechos-humanos/ (abgerufen am 20.09.2016, Server nicht mehr existent).

Porträt der Fallbeispiele: Entstehung, Resonanz und Kontroversen | 155

Kontextualisierung, so Brodsky, könne zu einer Relativierung des Putsches führen.41 Wahrheit Das Museumsdirektorium begründet die Entscheidung für die genannte Zeitspanne mit der zeitlichen Limitierung der Berichte der Wahrheitskommission. Die Wahrheitskommission, so die Annahme, ist das Resultat der Arbeit von mehreren Akteuren eines breiten sozialen und politischen Spektrums, und ihre Ergebnisse stellen, laut Museumsdirektor Brodsky, einen „gesellschaftlichen Konsens“ dar.42 In ihrer Eröffnungsrede definiert Bachelet das Museum als einen Ort, an dem die Wahrheit und die Gerechtigkeit bewahrt werden.43 In ähnlicher Weise bemerkt Brodsky im Museumskatalog, die Einrichtung sei der „privilegierte Ort der Wahrheit über die Menschenrechtsverletzungen“ 44. Auch für die Direktoriumsleiterin des Museums, María Luisa Sepúlveda, treibe Präsidentin Bachelet ein Museum voran, in dem alle Chilenen und Chileninnen sich in der Wahrheit und der Anerkennung der eigenen Geschichte wiedertreffen.45 Ihre Äußerungen könnte man als programmatischen Diskurs des Museumsteams deuten. Bei dieser Annahme allerdings scheint es zwei diametral gegensätzliche Auffassungen zu geben. Einerseits behaupten die Befürworter des Museums, dort würde die Wahrheit gezeigt. Sie behaupten, im Museum würden endlich die verborgenen Verbrechen der Diktatur offengelegt und visualisiert. Laut Scantlebury ist das Museum „eine Einladung zu zeigen, was in den Jahren der Diktatur unsichtbar gemacht wurde“. Sie verzichtet, anders als Bachelet oder Brodsky, auf das Wort Wahrheit, sie erinnert vielmehr daran, dass die Verbrechen der Diktatur hinter geschlossenen Türen stattgefunden haben.46 Die Gegner andererseits sehen dort eher eine „falsche Version der Geschichte“ oder eine „verdad a medias“ (halbe Wahrheit).47 Indem die Geschichte auf die Ereignisse nach dem Putsch reduziert wird, wird nur ein Fragment, ein Bruchteil der Geschichte erzählt, und dadurch werden bestimmte Opfergruppen begünstigt und andere vernachlässigt. Laut dem Professor für lateinamerikani41 42 43 44 45 46 47

Interview Brodsky 2014. Ebd. http://www.museodelamemoria.cl/wp-content/uploads/2011/11/discurso-presidenta. pdf (abgerufen am 12.10.2017). Brodsky, Ricardo: Un Museo Vivo para la Memoria de Chile. In: Museumskatalog 2011, S. 9. Vgl. Sepúlveda 2011, S. 16. N.N.: Inauguración del Museo de la Memoria será „en grande“, con invitados internacionales. In: La Segunda, Política y Sociedad, vom 10.10.2009, S. 26. Williamson Benaprés, Carlos: Museo de la Memoria. In: El Mercurio, Opinión, vom 02.11.09, S. 2.

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sche Literatur und Kultur der University of California, Michael Lazzara, werden aufgrund der starken Anlehnung an die Wahrheitskommissionen die Grauzonen der Geschichte nicht berücksichtigt. Dies und eine eindeutige pädagogische Mission mit moralischem Urteil, so Lazzara, verhindere eine umfassendere Historisierung der Prozesse.48 Er bezeichnet das Museum in dieser Hinsicht als „triunfalismo oficialista y deshistorización de lo histórico“ (offizialistischer Triumphalismus und Dehistorisierung des Geschichtlichen).49 Schließlich fällt unter den Kritikern, im klaren Gegensatz zu den Ansichten seiner Initiatoren, sogar die Bezeichnung „museo de la mentira“ (Museum der Lüge). 50 Zwischenfazit Es wurden hier nur einige Zitate ausgewählt, die die Argumentationslinie der entgegengesetzten Richtungen gut verdeutlichen. Viele Vorschläge für mögliche Umbenennungen wurden von den Gegnern des Museums unterbreitet: „museo de la discordia“ (Museum der Zwietracht), „museo de la izquierda“ (Museum der Linken), „museo de las víctimas del gobierno militar“ (Museum der Opfer der Militärregierung), oder „museo del fracaso“ (Museum des Scheiterns) sind nur einige Beispiele. Als „mausoleo propagandístico“ (propagandistisches Mausoleum) wurde die Institution vom chilenischen Philosophen und Germanisten Víctor Farías bezeichnet. Die Opfer würden dort instrumentalisiert, um den Hass aufrechtzuerhalten.51 Nichtsdestotrotz lässt sich allgemein sagen, dass die Mehrheit der publizierten Erläuterungen (Leserbriefe, redaktionelle Stellungnahmen, Autorenkolumnen) die Menschenrechtsverletzungen während der Militärdiktatur verurteilt, auch wenn manche sie nicht als solche bezeichnen, sondern das Wort „Militärregierung“ bevorzugen. Viele davon wenden sich nicht prinzipiell gegen die Konstruktion eines Erinnerungsmuseums. Die Kontroverse beginnt mit der Art und Weise, wie dieses Kapitel der Geschichte erzählt werden soll. Die Versetzung eines Phänomens, Ereignisses oder Objekts in ein bestimmtes Umfeld kann die48 49 50

51

Lazzara, in: A Contracorriente 2011, S. 55–90, hier S. 60. Ebd., S. 62. So der Direktor des Instituts für Philosophie der Universität Gabriela Mistral, Fernando Moreno, in einem kurzen Brief an die Tageszeitung La Tercera. http://dia rio.latercera.com/2012/07/13/01/contenido/opinion/11-113690-9-museo-de-la-memo ria.shtml (abgerufen 12.10.17). Farías, Víctor: Museo de la Memoria. In: El Mercurio (online), Editorial y Cartas, vom 12.01.14. http://www.elmercurio.com/blogs/2014/01/12/18568/Museo-de-laMemoria.aspx (abgerufen am 12.10.2017). Víctor Farías ist für seine kontroversen und polarisierenden Haltungen bekannt, seine Äußerungen sollten immer mit Vorsicht betrachtet werden.

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ses greifbarer machen. Mit Kenntnissen über Elemente, Situationen oder die Umstände, in dem das Ereignis stattfand, kann man Zusammenhänge besser nachvollziehen. Die Berücksichtigung des historischen Kontextes eines bestimmten Ereignisses macht es schwieriger, Letzteres für eigene Belange zu verformen, zu minimieren oder gegebenenfalls zu übertreiben. Der fehlende Einbezug des historischen Kontexts innerhalb der musealen Präsentation des Militärputsches und der folgenden Menschenrechtsverletzungen erschwert das Begreifen der Komplexität jener Vergangenheit. Die Abhandlung der umstrittenen Situation vor dem Putsch könnte ein besseres Verständnis für den Ursprung der Gewalt ermöglichen. Es steht also außer Frage, dass die Kontextualisierung eines historischen Ereignisses wichtig ist. Aber so einfach ist dies leider nicht. Es bleiben bezüglich dieser Debatte einige Fragen offen, die an dieser Stelle aufgeworfen werden, um mögliche Antworten bzw. Erklärungen zu finden: 1. Durch welches Medium wird in diesem Fall die Geschichte getragen? Und

was macht dieses Medium aus? 2. Warum und nach welchen Kriterien werden bestimmte Kapitel der Geschichte

betont und manche nur am Rande erwähnt oder gar ignoriert? 3. Wer ist der Erzähler des Diskurses, und an wen richtet er sich? Die Antworten auf diese Fragen lassen sich selbstverständlich nicht strikt voneinander trennen und zusammenhanglos beantworten, aber in Folgenden werde ich der Struktur der Fragestellungen zuliebe nacheinander auf sie eingehen. 1. Das Museum als Speichermedium zielt auf Dauerhaftigkeit und eine Öffent-

lichkeit ab, an die Inhalte vermittelt werden können. Gerade ein Museo de la Memoria strebt außerdem danach, historische Erinnerungen aufzubewahren und sie somit vor dem Vergessen zu schützen. Als Ausdrucks-, Signifikationsund Kommunikationsmedium hat das Museum seine eigene – teilweise dingliche – Semantik, d. h., seine eigenen Symbole und formalen Repräsentationen. Im Museum werden Geschichtsdeutungen und Erinnerungsdiskurse mithilfe von Objekten, Dokumenten sowie weiteren ästhetischen Mitteln und Anreizen konstruiert und inszeniert. Dies unterliegt allerdings einem Selektionsmechanismus. Es entsteht daher permanent ein Dilemma zwischen dem, was erinnert wird, und dem, was nicht erinnert wird. Museen sind demnach „Orte […] der Inklusion und Exklusion“52. Durch die notwendige Selektion von Thematiken

52

Baur 2010, S. 7.

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ist die zu erzählende Geschichte von „Verstümmelungen“ und Leerstellen gekennzeichnet. Das Erinnerungsmuseum, diese Sondergattung innerhalb der kulturhistorischen Museen, hat darüber hinaus eine politische, ethische und pädagogische Komponente, die Teil seiner Natur sind. Seine Ziele haben einen erklärenden Wert, der für Empathie mit den Opfern Bewusstsein ausbilden möchte. Diese Museen verstehen sich als eine symbolische Antwort auf ein vergangenes Unrecht. Erinnerungsmuseen sind schließlich Orte für die Konstruktion politischer Diskurse. 2. Im chilenischen Fall ist es richtig, die Zeit der Diktatur aus einer politischen

Perspektive heraus zu betonen, da diese einen Bruch in der demokratischen Tradition Chiles darstellt. Das politische System des Landes zeichnete sich bis zum Putsch trotz gesellschaftlicher und politischer Spaltungen durch eine relative Stabilität, den Respekt vor der Verfassung und eine zentrale Rolle der politischen Parteien bei der Interessens- und Forderungsartikulation aus.53 Mit den Geschehnissen nach dem 11. September begann ein Kapitel der chilenischen Geschichte, das eine Ausnahme und einen deutlichen Zerfall markierte. An diesem Tag begann eine neue Periode, ein neues System mit seinen eigenen Regeln. Trotz der Tatsache, dass es während der Allende-Regierung auch zu Eskalationen und politischer Gewalt gekommen war, kann man die Zeit der Unidad Popular nicht mit der Zeit der Militärdiktatur gleichstellen. Der Unterschied liegt in der systematischen Anwendung von Repression, Einschüchterung, Folter und Mord. Die gewalttätigen Attentate einzelner Gruppen kann man nicht mit den Menschenrechtsverletzungen der Militärjunta vergleichen, der alle (infra-)strukturellen und institutionellen Mechanismen zur Verfügung standen, und die diese oft sogar eigens zu diesem Zweck kreierte. Insofern ist es einleuchtend, dass diese Zeitspanne als eigenständig und singulär in der Dauerausstellung behandelt wird. Das Museo de la Memoria beabsichtigt eben nicht, die komplette Geschichte der politischen und sozialen Umstände seit der Übernahme der Regierung Allende zu rekonstruieren, sondern setzt sich als Aufgabe, die Menschenrechtsverletzungen nach dem demokratischen Bruch darzustellen. Dafür gibt es mehrere Gründe: Indem man den Fokus auf die Menschenrechtverletzungen der Militärdiktatur lenkt, grenzt man sich gleichzeitig von den Verbrechen der 53

„Only once before, in 1924, and then for less than five months, hast the country been governed by a strictly military junta. […] The overwhelming majority of chilean presidents were replaced by their constitutionally designated succesors.“ Valenzuela, J. Samuel/Valenzuela, Arturo: Chile and the Breakdown of Democracy. In: Wiarda/ Kline 1979, S. 233–261, hier S. 233, zit. nach Straßner 2007, S. 227.

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Täter ab. Daraus entsteht eine klare Dichotomie zwischen Täter und Opfer, die ohne diese Auslassung nicht so eindeutig wäre. Zudem waren viele der Opfer der Militärdiktatur entweder Sympathisanten oder Parteimitglieder der Unidad Popular oder (aktive) Angehörige einer anderen Partei oder Organisation des linken Spektrums. Die chaotischen und strittigen Umstände der Zeit vor dem Putsch mögen unterschiedliche Ursachen haben. Entscheidend in diesem Kontext ist jedoch, dass sowohl die organisierte Zivilgesellschaft in Form von Parteien, Gremien oder Gewerkschaften als auch die Medien, die gesellschaftlichen Eliten und sogar einfache Zivilisten potenziell zumindest einen gewissen Grad an Verantwortung für die Eskalation der Gewalt trugen und keiner davon diese Verantwortung wirklich auf sich nehmen möchte. Es gibt hierzu weder eine vorherrschende, definierte und homogene historische Version noch den politischen Willen für eine museale Beschäftigung mit dem Thema, weil dies extrem konfliktreich ist: „Die Beschränkung auf eine begrenzte Zeitspanne wich einem politischen Problem aus, aber auf Kosten einer historischen Interpretation, die den Staatsstreich und die Menschenrechtsverletzungen als unerklärliche Verirrung darstellen könnte.“54 Die Entscheidungsträger suchten also eine pragmatische Lösung. Weniger relevant erschien es, sich darüber Gedanken zu machen, wie man diese Ereignisse erklären könnte, sondern viel wichtiger war eine Betonung der Dimension der Gewalt danach. Dies gelingt besser, wenn man darauf verzichtet, die Unruhen davor zu erwähnen. Als Begründung für diese Entscheidung orientiert sich das Museum an den Daten und Fakten der Berichte der Wahrheitskommissionen, bei denen der zeitliche Rahmen klar festgelegt ist. Heutzutage besteht in Chile ein sozialer Minimalkonsens darüber, dass es während der Militärdiktatur zu Menschenrechtsverletzungen kam, und diese werden von der Mehrheit der Chilenen verurteilt.55 Die Zeit vor dem Putsch sowie ihre geschichtliche Deutung sind trotzdem nach wie vor Stoff für Polemik zwischen links und rechts, auch zwischen den Parteien der Concertación. Denn diese waren bekannterweise vor dem Putsch alles andere als einer Meinung. Ein weiterer Grund für die zeitliche Einschränkung liegt in der Natur der Museumssammlung, welche das Kulturgut der Institution darstellt. Diese wurde größtenteils von Menschenrechtsorganisationen und Angehörigenverbänden gestiftet, manche davon unter Vorbehalt. Die dargestellten Fakten und Dokumente sind aus der Perspektive der Menschenrechte zu verstehen und beinhalten eine starke moralische Komponente. 54

55

„La periodización evadió un problema político, pero a costa de falta de interpretación histórica, lo que podría convertir al golpe y las violaciones de los derechos humanos en una aberración inexplicable […]“. Stern/Winn 2013, S. 349. Vgl. Lazzara, in: A Contracorriente 2011, S. 55–90, hier S. 58.

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Demnach stehen die Opfer von Repression, Verfolgung, Folter und Mord im Zentrum der Museumsnarrative. 3. Auf der ersten Textseite des ersten Museumskatalogs fasst Museumsdirektor

Ricardo Brodsky das Fundament des Museums mit folgenden Worten zusammen: „Das Museum der Erinnerung und der Menschenrechte ist zunächst einmal ein Akt der moralischen Entschädigung, der sich an die Opfer der von Vertretern des Staates zwischen dem 11. September 1973 und dem 11. März 1990 begangenen Menschenrechtsverletzungen richtet.“56 Mit diesen Zeilen zeichnet er einen deutlichen Rahmen für die Institution, die er in der Transitional Justice verortet und als eine symbolische Reparationsmaßnahme auffasst. Ihm zufolge hat das Museum den Opfern gegenüber eine moralische Funktion. Doch die Entscheidung für bestimmte Themen bzw. für eine bestimmtes zeitliches Narrativ ist nicht nur moralischer Art, sondern sie entspricht dem Profil seiner Initiatoren und Sponsoren sowie einem erinnerungspolitischen Diskurs, den man zu etablieren versucht. Die Auswahl der Inhalte, des historischen Zeitraums, der Exponate sowie deren Inszenierung im Raum weisen auf die akademischen, historiografischen, sozialen, pädagogischen, museologischen, politischen und individuellen Vorstellungen und Intentionen der Ausstellungsgestalter, aber auch der Auftraggeber hin. In diesem Zusammenhang ist es unerlässlich, zu betonen, wer der Erzähler dieses Diskurses war. Das Museum ging auf eine Initiative von Präsidentin Bachelet zurück, die für die Ausstellungskonzeption eine Personengruppe ihres Vertrauens einberief, welche mehrheitlich Sympathisanten von Allende und seines politischen Projektes sind. So wird klar, dass eine Kontextualisierung der Zeit der Unidad Popular, welche seit ihrem Mandatsbeginn durch eine starke soziale und politische Polarisierung des Landes gekennzeichnet war, als ungünstig erschien.57 Außerdem waren die Präsidentin selbst und ihre Familie Opfer der Militärdiktatur. Ferner sollte man nicht außer Acht lassen, dass viele potenzielle Museumsbesucher möglicherweise Protagonisten waren oder zumindest persönlich die erzählte Zeit erlebt und direkte Erinnerungen an die Ereignisse haben. Viel intensiver als bei anderen Museen sind hier die Vorerfahrungen, Vorkenntnisse, Verurteilungen und Erwartungen der Besucher relevant. Und damit sind auch die individuellen Biografien gemeint, die zu Sympathien bzw. Abneigungen führen können. Schließlich sind Museen Orte des Lernens und der Wissensvermittlung und haben einen Bildungsauftrag. Das Museo de la Me56 57

Brodsky 2011, S. 9. Stern/Winn 2013, S. 348.

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moria richtet sich daher auch an die neuen Generationen, die diese Zeit eben nicht erlebt haben, und beabsichtigt, ihnen die Botschaft zu vermitteln, dass Menschenrechtsverletzungen, egal unter welchen Umständen, nicht zu legitimieren sind und die Erinnerung an jene Zeit lebendig bleiben soll. Aus diesen Gründen scheint der von der Museumskomission gewählte Horizont ein folgerichtiger Kompromiss, um den Forderungen der dort repräsentierten Opfer gerecht zu werden.

5.2 LUGAR DE LA MEMORIA, LA TOLERANCIA Y LA INCLUSIÓN SOCIAL, PERU In Peru hat der Bau eines Museums, in dem der interne bewaffnete Konflikt dokumentiert werden soll, eine lange und komplizierte Entstehungsgeschichte, die sich über zwei Regierungen erstreckte; insgesamt vergingen fast sieben Jahre zwischen der Ankündigung und der Eröffnung. Der Lugar de la Memoria hat seine Ursprünge in der Entscheidung des deutschen Ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, dem peruanischen Staat finanzielle Unterstützung für die Errichtung einer Gedenkstätte für die Opfer des internen bewaffneten Konflikts (1980–2000) zu gewähren.58 Diese Idee kam zustande, nachdem eine deutsche Delegation die Fotoausstellung Yuyanapaq. Para Recordar59 in Lima besucht hatte. Im nächsten Abschnitt werden die Ausstellung und der Kontext ihrer Entstehung erläutert, um

58

59

Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit mit Peru konzentriert sich laut Angaben des Ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung auf drei Schwerpunkte: 1. Demokratie, Zivilgesellschaft und öffentliche Verwaltung, 2. Trinkwasser und Abwasser, und 3. Management der natürlichen Ressourcen und Klimawandel. Der Bau einer nationalen Gedenkstätte für die Opfer des internen bewaffneten Konflikts kann dem ersten Schwerpunkt zugeordnet werden. http://www. bmz.de/de/laender_regionen/lateinamerika/peru/zusammenarbeit/index.html (abgerufen am 12.10.2017). Yuyanapaq. Para Recordar spielte eine wichtige Rolle in den Post-KonfliktDynamiken und erinnerungspolitischen Diskursen in Peru. Um einen tieferen Einblick in die unterschiedlichen Aspekten dieser Fotoausstellung zu bekommen, siehe: Milton, Cynthia/Ulfe, María Eugenia: Promoting Peru: Tourism and Post-Conflict Memory. In: Bilbija, Ksenija/Payne A., Leigh (Hrsg.): Accounting for Violence. Marketing Memory in Latin America. Durham/London: Duke University Press 2011, S. 207–234; Saona, Margarita: Memory Matters in Transitional Peru. London/ New York: Palgrave Macmillan 2014, S. 37–74; Murphy, Kaitlin M.: What the Past Will Be: Curating Memory in Peru’s Yuyanapaq: Para Recordar. In: Human Rights Review, Vol. 16, März 2015, S. 23–38 sowie in dem Essay von: Poole, Deborah/ Rojas-Pérez, Isaías: Memories of Reconciliation: Photography and Memory in Postwar Peru. In: E-Misférica, 7/2, 2010.

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ihren Zusammenhang mit dem Lugar de la Memoria zu verdeutlichen. Im Anschluss darauf werde ich den Fokus auf die Entstehungsprozesse des Museums selbst und die damit verbundenen Kontroversen richten. Dafür wurden Beiträge in Tageszeitungen und politische Blogs ausgewertet. Diese werden durch öffentliche Stellungnahmen, durch von mir geführte (Experten-)Interviews und durch eigene Überlegungen ergänzt. Vorgeschichte des geplanten Museums: Yuyanapaq. Para Recordar Die Fotoausstellung Yuyanapaq. Para Recordar wurde von der peruanischen Wahrheits- und Versöhnungskommission (Comisión de la Verdad y Reconciliación – CVR) organisiert und drei Wochen vor der offiziellen Veröffentlichung ihres Abschlussberichts am 9. August 2003 in Lima eröffnet. Auf visuelle Weise wurden die 20 Jahre der politischen Gewalt dokumentiert. Die Ausstellung bestand aus einer Auswahl von knapp 200 Fotografien, die aus Zeitungsarchiven, Zeitschriften, Nachrichtenagenturen, militärischen Institutionen, Fotoalben aus Privatbesitz, fotografischen Dokumentationen von Menschenrechtsorganisationen und freiberuflichen Fotografen stammten. Die Ausstellung wurde auf Quechua benannt und auf Spanisch ergänzt: Yuyanapaq. Para Recordar. (Um zu erinnern). Die explizite Betitelung auf Quechua hängt mit dem Umstand zusammen, dass die quechuasprachige Bevölkerung am meisten von der Gewalt betroffen war und daher die höchste Zahl an Opfern zu beklagen hat. Die Entscheidung kann als eine Geste der Achtung für diese Bevölkerungsgruppe verstanden werden. Doch die Wahrscheinlichkeit, dass diese Opfergruppe die Ausstellung tatsächlich besuchen könnte, war sehr gering. Der ursprüngliche Ort der Ausstellung war ein altes Haus im postkolonialen Stil, das als Casa Riva Agüero bekannt ist und Eigentum der Pontificia Universidad Católica del Perú ist, das sich in dem traditionsreichen Viertel Chorrillos in Lima befindet. Dieser Ort eignete sich dafür in mehrerlei Hinsicht: Zum einen vereint das Viertel Chorrillos, einst Sommerresidenz der Oberschicht, sowohl eine breite Mittelschicht als auch Angehörige der unteren Arbeiterschichten. Dies entsprach die Absichten der Kuratorinnen, Mayu Mohanna und Nancy Chappell, eine breite Öffentlichkeit zu erreichen.60 Zum anderen fanden dort damals Restaurierungs- und Sanierungsarbeiten statt, und das Haus war teilweise zerfallen. Die Sanierungsarbeiten wurden gestoppt und die Inszenierung der temporären Ausstellung begann unter diesen Umständen. Der Architekt Luis Longui arbeite60

Chapell, Nancy/Mohanna, Mayu: Yuyanapaq: In Order to Remember. In: Aperture, Nr. 183, Sommer 2006, S. 54–63, hier S. 59.

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te bewusst mit diesen Elementen und deutete eine Analogie zwischen dem Haus und dem Land an: Beide zwar zerstört, doch auf dem Weg der Genesung.61 Diese Lage entsprach dem Ausstellungskonzept hervorragend, denn es vermittelte einerseits symbolisch ein Gefühl der Zerstörung, anderseits aber auch ein optimistisches Gefühl der „Wiederherstellung“. Die Kuratorinnen beschrieben dies wie folgt: „The destroyed parts of the house became a metaphorical backdrop to the photographs, creating parallels between the past and the present, destruction and healing“.62 Sogar in der Museografie machte sich dieser Gedanke bemerkbar. Da man mit abmontierbaren Elementen arbeiten musste, wurden manche Wände mit weißen Stoffen bezogen. „Die Stoffe sind eine Anspielung an Binden; sie bedecken verletzte Teile des Hauses. […] Sie verwischen zwar die Tat, aber sie löschen sie nicht. So wie die Zeit es mit schmerzhaften Erinnerungen tut.“63 Die Ausstellung wurde also auf mehreren Ebenen symbolisch und metaphorisch konzipiert. Die Ausstellung war in 27 nach Themen geordneten Räumen untergebracht, die zum Großteil in Anlehnung an die Struktur des Berichts der Wahrheitskommission chronologisch gegliedert waren. Hierzu gehörten auch exemplarisch die von der Kommission untersuchten emblematischen Fälle. Die Formate der Fotografien waren unterschiedlich groß, viele davon schwarz-weiß. Zudem kam es in dieser Ausstellung zum Einsatz neuer Medien, um auch eine mediale, auditive sowie narrative Ebene zu eröffnen. Eine Filmprojektion und eine Tonstation wurden zur Vermittlung von Zeugenaussagen genutzt. Durch die Visualisierung bekamen Opfer ein Gesicht: Waisenkinder, Witwen, Polizisten, Studenten, Mütter von Verschwundenen, also letztendlich Gesellschaftsmitglieder und Akteure des Konflikts, die mit den Ursachen und Konsequenzen der Gewalt in unterschiedlichen Ausmaßen und Formen in Zusammenhang standen. Durch das Zuhören konnten die Besucher Teile ihrer dramatischen Geschichte erfahren. All diese Aspekte zielten darauf ab, dass der Besucher sich mit den Schicksalen der Opfer identifizieren und Assoziationen herstellen können und somit durch Empathie sensibilisiert werden. Im Hinblick darauf bemerkten die Kuratorinnen: „Peru did not need a photographic chamber of horrors, but a sanctuary of truth. Paradoxically, such a place would have to be both. […] [A]esthethics and history would be combined to evoke a response of compassion, solidarity, and reconstruction.“64 61

62 63 64

Vgl. Longhi, Luis/Trivelli, Carlo/Solano, Juan: Yuyanapac. Lima, Perú. In: Revista ARQ, Journal der Fakultät für Architektur der Pontificia Universidad Católica de Chile, Santiago, Nr. 61, Dez. 2005, S. 74–77, hier S. 74. Chapell/Mohanna 2006, S. 60. Longhi/Trivelli/Solano 2005, S. 74. Chapell/Mohanna 2006, S. 54.

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Es ist essenziell zu unterstreichen, dass Yuyanapaq eindeutig eine Opferperspektive intendierte. Die Opfer der politischen Gewalt wurden als solche gewürdigt, was in die Linie der Transitional Justice einzuordnen ist. Die CVR und so auch die Kuratorinnen hatten mit dieser Absicht gewiss die besten Intentionen. Die Auswahl der Fotos und der Themen sowie die Art der Inszenierung lagen dennoch allein in ihren Händen und entsprachen ihre ästhetischen Vorlieben. Obwohl die Ausstellung opferzentriert konzipiert worden war und für die CVR Yuyanapaq eine Reparationsmaßnahme symbolischer Art repräsentierte, wurden die Opfer nicht nach ihren Vorstellungen gefragt bzw. diese nicht berücksichtigt. Hierzu ein Beispiel: Um ihre Reaktionen zu verstehen, wurden – wenn möglich – die Familienangehörige eingeladen, die Fotografien vor der Hängung zu sehen. Der Vater eines Opfers hätte bevorzugt, dass ein Bild seines Sohnes mit noch mehr Blut in der Ausstellung zu sehen ist. Für ihn sei es fundamental, dass Leute diese Art von Bildern sehen. Die Kuratorinnen entschieden sich jedoch dagegen.65 Nichtsdestotrotz war diese Ausstellung ein starkes Signal für Anerkennung. So gelangte der Präsident der CVR Salomón Lerner diesbezüglich zu Recht zu folgendem Schluss: „In einem Land wie unserem ist die Bekämpfung des Vergessens eine wirkungsvolle Art und Weise, Gerechtigkeit auszuüben.“ 66 Durch die Visualisierung der Zeit des Terrors sollte der Besucher bewegt werden, aber gleichzeitig sollte die Aussicht auf einen Wiederaufbau des nationalen Zusammenhalts angedeutet werden. Die Fotos sollen zudem als Beweis für die Wahrheit des Geschehenen dienen. Und diese Botschaft erreichte tatsächlich viele Limeños. Die Besucherzahl betrug über 200.000.67 Während des Konflikts zirkulierten unzählige Bilder des Terrors in den Medien, und einige davon waren auch in Yuyanapaq zu sehen. Trotzdem war für viele Peruaner der Besuch dieser Ausstellung die erste bewusste Auseinandersetzung bzw. eine erste Begegnung mit dieser Episode der jüngeren Vergangenheit. Denn es herrschte in Lima und anderen Großstädten Perus große Ignoranz bzw. Indifferenz den Geschehnissen im Landesinneren ge65

66 67

Vgl. Hoecker, Robin: Making Yuyanapaq: Reconstructing Peru’s Armeed Internal Conflict through Photographs. Paper präsentiert auf der Association for Education in Journalism and Mass Communication Conference, Marriott Downtown, Chicago, 06.08.2008, S. 20 f. http://citation.allacademic.com/meta/p_mla_apa_research_citati on/2/7/1/5/5/pages271551/p271551-1.php (abgerufen am 12.10.2017). Hatun Willakuy 2008, S. 12. Vgl. Saona, Margarita: The Knowledge that Comes from Seeing: Yuyanapaq and the Peruvian Truth and Reconciliation Commission. In: Forcinito, Ana/Ordóñez, Fernando (Hrsg.): Human Rights and Latin American Cultural Studies, Hispanic Issues On Line, 4.1, 2009, S. 210–227, hier S. 212. Online verfügbar unter: https://cla.umn. edu/sites/cla.umn.edu/files/hiol_04_10_saona_the_knowledge_that_comes_from_se eing.pdf (abgerufen am 12.10.2017).

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genüber. In den Kommentaren des Gästebuches der Ausstellung wird dies deutlich: „Ich fragte meinen Sohn, wo wir uns damals befanden. Er antwortete: Hier, aber wir kümmerten uns nicht darum, da es sowieso nur serranos [F.A.] waren“.68 Angesichts der hohen Resonanz wurde die Ausstellung von geplanten drei Monaten auf fast zwei Jahre verlängert. Nicht zuletzt aufgrund des großen Erfolgs wurde ihr der Titel „Beste Ausstellung des Jahres 2003“ verliehen. 69 Auch wenn die Besucherzahl normalerweise als einer der aussagekräftigsten Indikatoren für den Erfolg einer Ausstellung gilt, spielt in diesem Hinblick die Konjunktur de facto eine besondere Rolle. Die unmittelbare Verbindung mit der anstehenden Veröffentlichung des Berichts der CVR war sicherlich für den Erfolg förderlich. Das Thema war also sehr aktuell und von außerordentlich hoher Anziehungskraft, auch wenn es teilweise umstritten war. Die Botschaft sollte nicht nur ein großstädtisches Publikum erreichen, sondern auch Peruaner im Landesinneren. Um die Inhalte der Ausstellung in anderen Provinzen Perus zu verbreiten, wurde die Wanderausstellung Yuyanapaq: Tiempo de Memoria organisiert. Es handelte sich dabei um eine enge Auswahl von 37 Fotografien aus der ursprünglichen Ausstellung, die in den Provinzen Ayacucho, Huánuco, Huancayo und Abancay gezeigt wurde. Diese Andenprovinzen, die zu den ärmsten Provinzen Perus zählen, haben während des Konflikts am meisten gelitten. Insofern waren die präsentierten Bilder nicht neu für die Anwohner. Und auch hier haben gut gemeinte Intentionen einen ambivalenten Charakter. Gewiss war es angebracht, dass zumindest ein Teil der ursprünglichen Ausstellung, andere Bürger außerhalb von Lima erreichte. Trotzdem sollte 68

69

„Le pregunté a mi hijo dónde estábamos. Me contestó: Aquí, pero no nos importaba porque eran serranos. No olvidemos.“ Die Tageszeitung La República veröffentlichte am 13. Dezember 2009 eine Beilage mit dem Titel Yuyanapaq. Para Recordar. Relato Visual del conflicto armado interno 1980–2000. Dort wurden neben den emblematischsten Bildern auch einige Kommentare aus dem Gästebuch der ursprünglichen Ausstellung gezeigt. Zu dem oben zitierten Kommentar vgl. S. 10. Ein weiterer Kommentar: „Todos fuimos, en una u otra forma, culpables de esto. Desde la tranquilidad de Lima, no quisimos enterarnos de lo que pasaba. A todas las víctimas, perdón.“ (Enrique Espinoza), S. 13. (Wir alle waren in irgendeiner Form schuld daran. Hier in Lima war alles ruhig, und wir wollten nicht erfahren, was anderswo passierte. An alle Opfer: Verzeiht uns.) Anmerkung: Das Wort serrano (Hochlandbewohner) wird im peruanischen Kontext nicht nur bezüglich der geografischen Herkunft einer Person verwendet, sondern auch im Bezug auf ihre sozialen Lage; es wird oft pejorativ verwendet. Eine mögliche Übersetzung ist vielleicht „Hinterwäldler“, wobei in Peru eine rassistische Komponente überwiegt. Borea, Giuliana: Yuyanapaq. Activando la memoria en una puesta en escena para recordar. In: Illapa: Revista del Instituto de Investigaciones Museológicas y Artísticas de la Universidad Ricardo Palma, Jahr 1, Nr. 1, Dez. 2004, S. 56–67, hier S. 60.

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nicht per se vorausgesetzt werden, dass dies auch gut ankommt. In einem Essay von Poole und Rojas-Pérez wird klar, dass für manche Besucher in Ayacucho eine Wiederbegegnung mit diesen Bildern eine traurige Angelegenheit war. Der Sinn, diese Fotos dort zu zeigen, wo die Menschen am eigenen Leib erfahren mussten, was sie darstellen, war für manche Einwohner nicht nachvollziehbar und sehr schmerzhaft. Für sie waren diese Fotos nichts Neues, sondern vielmehr eine Bestätigung ihrer Erlebnisse.70 Der Ausstellungsort von Yuyanapaq wurde 2005 gewechselt. Dank des Engagements der damaligen Ombudsfrau Beatriz Merino ist die Ausstellung nun im sechsten Stockwerk des Museo de La Nación in Lima zu sehen. Dass diese Fotoausstellung als Bestandteil der peruanischen Geschichte ihren festen Platz in einem nationalen Museum gefunden hat, auch wenn sie ein dunkles Kapitel derselben darstellt, kann man als eine Geste der Anerkennung interpretieren. Doch die Ausstellung hat theoretisch keinen festen Platz. Ihr Verbleib im Museum ist nicht definitiv und hängt stark vom Willen und Einsatz der künftigen Kulturminister ab. Außerdem sind die ursprünglichen metaphorischen Ebenen und die symbolischen Überlegungen nicht mehr begreiflich. Vielmehr wirken die Ausstellungsräume dort ein wenig improvisiert, steril und provisorisch, fast so, als ob sie im Museum nur „geduldet“ wären. Das Kulturministerium, dessen Sitz sich im selben Gebäude befindet, hat bis dato das Potenzial einer solchen Ausstellung für die politische und interkulturelle Bildung oder Geschichtsdidaktik nicht ausgeschöpft.71 Es war eigentlich geplant, diesen Umstand zu ändern, denn der Ausstellung sollte ein neuer, eigenständiger und dauerhafter Rahmen zugewiesen werden: Sie sollte Hauptbestandteil des Lugar de la Memoria werden. Doch entgegen den Plänen blieb die Fotoausstellung nach langem Hin und Her letztendlich im Museo de la Nación. Entstehungsprozesse: Eine Initiative von außen Der Lugar de la Memoria ist ein Projekt, das vom deutschen Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (mit-)finanziert wurde. 2008 fand der EU-Lateinamerika-Gipfel in Lima in den Räumlichkeiten des Museo de la Nación statt. Bei dieser Gelegenheit besuchte die deutsche Kanzlerin Angela Merkel die Fotoausstellung Yuyanapaq. Para Recordar. Die damalige Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul bot danach dem peruanischen Staat

70 71

Poole/Rojas-Pérez 2010. Dies sind meine Eindrücke nach meinem letzten Besuch (Oktober 2014). Die Ungewissheit bezüglich Yuyanapaq. Para Recordar konnte ich außerdem durch mehrere Interviews bestätigen.

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eine finanzielle Unterstützung von zwei Millionen Euro für die Errichtung eines Museums an, das dieser Ausstellung einen endgültigen und permanenten Ort bieten sollte. Die peruanische Regierung unter Präsident Alan García Pérez lehnte dieses Angebot anfangs ab. Im Zusammenhang mit dieser Entscheidung muss erwähnt werden, dass während der ersten Regierung Garcías (1985–1990) gravierende Menschenrechtsverletzungen begangen worden sind, die mit der Ausrede erklärt wurden, dass sie im Rahmen eines antisubversiven Kampfes unvermeidbar gewesen waren. Die CVR stellte eine schwere ethische und politische Verantwortung der damals amtierenden Regierung der Partido Aprista Peruano (APRA) fest.72 Infolgedessen überraschte das anfängliche Desinteresse der Regierung nicht. Aber nicht nur die Regierung sprach sich gegen das deutsche Angebot aus. Auch Anhänger des sogenannten „Fujimorismo“ und Mitglieder des Militärs waren aus ähnlichen Gründen nicht gerade begeistert von der Museumsidee, denn auch sie und ihre Mitverantwortung wurden von der CVR unter der Lupe genommen. Es entstand eine Pro- und Kontra-Diskussion, die kurzzeitig die Medien stark dominierte.73 Darauf wird im Verlauf dieses Kapitels detaillierter eingegangen. Es gilt jetzt schon anzumerken, dass dank einer Gruppe von Intellektuellen und Aktivisten, die sich öffentlich für das Museum einsetzten, die Regierung unter solch starken Druck gesetzt wurde, dass ihr praktisch keine andere Wahl blieb, als das Angebot Deutschlands anzunehmen und das Projekt zu genehmigen. Hierbei war der peruanischen Schriftsteller und Nobelpreisträger Mario Vargas Llosa eine Zentralfigur. García bat ihm daraufhin an, die Leitung des Projekts zu übernehmen. Die Museumskommissionen Nachdem die Regierung schließlich die deutsche finanzielle Unterstützung angenommen hatte, wurde im April 2009 ein hochrangiger Ausschuss ernannt, genannt Comisión de Alto Nivel (CAN), der ad honorem für die Organisation, Erstellung und Verwaltung des Museumsprojekts zuständig sein sollte. Seine Hauptaufgabe war es, über inhaltliche und konzeptionelle Fragen zu beraten.74 72 73

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Vgl. Hatun Willakuy 2008, S. 242. Eine detaillierte Analyse der Positionen und Gegenpositionen in peruanischen Tageszeitungen findet man in: Markus Weissert: ¿La casa de todas las víctimas? Der Diskurs über das „Lugar de la Memoria“ in Lima in der peruanischen Presse. In: Halbmayer/Karl 2012, S. 77–109. Vgl. N.N.: Museo de la Memoria será una realidad, Vargas Llosa presidirá comisión. In: El Comercio (online) vom 31.03.09. http://elcomercio.pe/noticia/266970/mariovargas-llosa-presidira-comision-alto-nivel-proyecto-museo-memoria (abgerufen am 12.10.17).

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Darüber hinaus sollten das Bildungsministerium, das Außenministerium und das damalige Nationale Kulturinstitut (heute Kulturministerium) bei der Erfüllung dieser Aufgaben mitwirken und die Kommission dabei unterstützen. Allerdings ist diese Kommission im Laufe der Jahre nicht konstant geblieben, sondern es gab insgesamt drei Kommissionen. Diese Tatsache zeigt nicht nur auf, wie instabil die Arbeit dieser Kommissionen war, sondern verweist auch auf die Unbeständigkeit ihrer konzeptionellen Leitlinien und politischen Richtlinien. Die erste Museumskommission wurde von Mario Vargas Llosa geleitet und der ehemalige Präsident der CVR, Salomón Lerner, wurde zum Vizepräsidenten ernannt. Weitere Mitglieder waren der renommierte Maler Fernando de Szyszlo, der emeritierte Bischof Luis Bambarén, der Jurist Enrique Bernales Ballesteros, der Architekt Frederick Cooper Llosa, der Anthropologe Juan Ossio Acuña und der Publizist Bernardo Roca Rey. Danach kam als einzige Frau Mariella Pinto hinzu. Alle Kommissionsmitglieder gehörten der hauptstädtischen Elite an; kein Vertreter einer Menschenrechtsorganisation und kein Angehöriger eines Opfers wurde eingeladen, Teil der Arbeitsgruppe zu werden. Das Museumsprojekt hat in seiner komplizierten Entstehungsgeschichte schon mehrere Namen getragen. Unter der Leitung von Mario Vargas Llosa erhielt die Institution den Namen „Lugar de la Memoria“ („Ort“ oder „Raum der Erinnerung“), anstatt „Museo“, wie anfangs geplant. Vargas Llosa begründete diese Entscheidung mit der Behauptung, die Bezeichnung „Museum“ würde mit einer Institution assoziiert, welche die Vergangenheit beherberge.75 Da dieser Ort eine zukunftsorientierte Intention verfolgt und sich an neue Generationen richte, schien die Umbenennung zu „Ort“ (Lugar) geeigneter. Diese Begründung geht allerdings von einem veralteten Bild der Institution Museum aus. Die neuen Tendenzen sehen die Museen als Orte im konstanten Wandel, mit einem dynamischen Fokus. Nichtsdestotrotz kann man mit der Bezeichnung „Museum“ missinterpretieren, dass das Gezeigte sich um Taten, die ausschließlich in der Vergangenheit liegen, handele. Dies, so die Kommission, könne gefährlich sein, da nach wie vor die Gefahr bestehe, dass die tragischen Ereignisse der Vergangenheit sich wiederholen, wenn man nicht aktiv dagegen angehe. Es sollte den Peruanern bewusst werden, dass Gewalt und Terror immer noch imminente Probleme seien. Und so sollte der Lugar de la Memoria zudem eine mahnende Funktion haben. Abgesehen davon gab es einen institutionellen bzw. politischen Grund für die Namensgebung, welche der Schriftsteller nicht erwähnte: Normalerweise un75

Vgl. N.N.: Mario Vargas Llosa: Museo de la Memoria se llamará Lugar de la Memoria. In: La República (online) vom 27.01.2010. http://www.larepublica.pe/2701-2010/vargas-llosa-museo-de-la-memoria-se-llamara-lugar-de-la-memoria (abgerufen am 12.10.2017).

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terstehen alle Museen in Peru dem Kulturministerium, damals Instituto Nacional de Cultura (INC). Da das Projekt von der internationalen Gemeinschaft, darunter vor allem Deutschland, getragen wurde, wurde das Museumsprojekt – als sei es ein weiteres Projekt der internationalen Entwicklungszusammenarbeit – dem Außenministerium zugewiesen. Auf diese Weise versuchte die Kommission, so unabhängig wie möglich zu bleiben.76 Überhaupt musste die Kommission immer Strategien entwickeln, welche die Realisierung bzw. Nachhaltigkeit der Einrichtung schützten. Da die Bedingungen, unter denen sie arbeitete, nicht einfach waren, musste sie eine Grundlage schaffen, die das Projekt, unabhängig von politischen Konjunkturen, möglichst unumkehrbar machte. Sofort begann deswegen die Suche nach einem geeigneten Ort für das Museum. Eine ursprüngliche Überlegung war es, das Museo de la Memoria unterirdisch unter einem der größten Parks von Lima, dem Campo de Marte, im Stadtviertel Jesús María zu bauen.77 Dort befindet sich das Mahnmal der niederländischen Bildhauerin Lika Mutal El Ojo que llora, welches den Opfern des internen bewaffneten Konflikts gewidmet ist. Doch schließlich fiel die Auswahl auf das Angebot des Bürgermeisters von Miraflores, der ein Grundstück an der Pazifikküste stiftete. Erwähnenswert zu diesem Punkt ist die Tatsache, dass dieses Grundstück ursprünglich als Mülldeponie verwendet worden war, was Raum für symbolische Interpretationen lässt. Dieses Stadtviertel ist sicher, zentral und nicht zuletzt touristisch erschlossen; alles Eigenschaften, die für eine kulturelle Institution optimal sind. Miraflores ist aber zugleich ein wohlhabender Stadtbezirk, einer der reichsten Limas. Die Entscheidung, den Lugar de la Memoria dort zu bauen, sorgte jedenfalls für Aufregung. Zunächst wurde argumentiert, dies würde die extreme Zentralisierung des Landes noch intensivieren. Wenn das Museum eine Gedenkstätte für die Opfer sein solle, dann müsse es eher in Ayacucho errichtet werden, der Provinz, die die meisten Opfer zu verzeichnen hatte. Miraflores dagegen sei ein Viertel, in dem nur die Elite wohne und in dem viele Peruaner sich ausgegrenzt fühlten. Ein Ort der Toleranz solle woanders liegen. Die genannten Argumente haben durchaus ihre Berechtigung. Vargas Llosa unterstützte trotzdem diese Entscheidung, denn auch Miraflores wäre von terroristischer Gewalt betroffen, vor allem im Fall „Tarata“ 78.

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Interview mit Fernando Carvallo, Direktor des Museumsprojekts der 2. Kommission, am 14.04.2014 in Lima. Vaisman, Rebeca: Museo de la Discordia. In: Caretas vom 12.03.2009, S. 48–53. Vgl. Romero, César: Museo de la Memoria se construirá en Miraflores. In: La República vom 29.10.2009. Tarata ist der Name einer Straße im Herzen von Miraflores, an der am 16. Juli 1992 einen von Sendero Luminoso verübten Terroranschlag (Autobombe) 25 Tote und 200 Verletzte zu Opfer fielen.

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Da Vargas Llosa nicht ständig in Peru lebt, war Lerner de facto zuständig für die Konzeption des Projekts. Brelangvoll für Lerner, als ehemaliger Präsident der Wahrheitskommission, war immer, dass die Fotoausstellung Yuyanapaq. Para Recordar Bestandteil des Museums würde. Die Kommission veranstaltete einen öffentlichen Architektenwettbewerb für das Projekt, den die peruanischen Architekten Sandra Barclay und Pierre Crousse im April 2010 gewannen. Doch die Auswahl fiel auf ein Projekt, das allein aufgrund seiner Größe Yuyanapaq. Para Recordar nicht hätte beherbergen können, zumindest nicht in der kompletten Fassung. Lerner vermutete, dass diese Entscheidung kein Zufall gewesen war, und beschloss ein paar Monate später, die Kommission „aus persönlichen Gründen“ zu verlassen.79 Auch Vargas Llosa trat im September 2010 von seinem Amt zurück. Er begründete seine Entscheidung mit der umstrittenen Gesetzesverordnung 1097, welche eine Einstellung von Verfahren wegen Menschenrechtsverletzungen auf der Grundlage von formalen Fristen zuließ. Doch bekannterweise sind Verbrechen gegen die Menschlichkeit unverjährbar. Es handelte sich dabei eigentlich um ein Gesetz, das Angeklagte und sogar wegen Menschenrechtsverletzungen verurteilte Polizisten und Militärs begünstigte. Im Grunde war diese Maßnahme nicht nur ein Verstoß gegen internationale Vereinbarungen, sondern auch, wie Vargas Llosa selbst betonte, eine „getarnte Amnestie“80. Aufgrund seines verfassungswidrigen Charakters, des Drucks nationaler und internationaler Menschenrechtsorganisationen sowie der politischen Parteien der Opposition wurde das Dekret schließlich aufgehoben. Diese Tatsache hinterließ jedoch tiefe Spuren und legte die widersprüchliche Handlungsweise der Regierung García offen: einerseits die Förderung eines Gedenkorts für die Opfer des internen bewaffneten Konflikts und anderseits der politische Wille, über legale Kanäle Straflosigkeit zu ermöglichen. Die zweite Museumskommission wurde vom peruanischen Künstler Fernando de Szyszlo geleitet. Als Projektleiter wurde Fernando Carvallo eingesetzt. Am 4. November 2010 fand die Zeremonie der Grundsteinlegung in Anwesenheit verschiedener Politiker, u. a. des damaligen deutschen Außenministers, statt. Bei dieser Gelegenheit äußerte García in seiner Rede den Wunsch, das Museum noch bis Ende seines Mandats eröffnen zu können. Allerdings vergingen bis zur

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Interview Lerner 2014. N.N.: Mario Vargas Llosa renunció a la presidencia de la Comisión del Lugar de la Memoria. In: El Comercio (online) vom 13.09.2010. http://elcomercio.pe/politi ca/638568/noticia-mario-vargas-llosa-renuncio-presidencia-comision-lugar-memoria (abgerufen am 14.07.2017). Die Rücktrittserklärung von Mario Vargas Llosa wurde in den wichtigsten peruanischen und in einigen internationalen Medien abgedruckt.

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Eröffnung mehrere Jahre, vor allem deshalb, weil die Konzeption einer solchen Einrichtung, und besonders ihrer Inhalte, eine schwierige Angelegenheit war. Ein erster Entwurf des Museumsskripts wurde in dieser zweiten Phase in Auftrag gegeben. Er basierte auf den historischen Meilensteinen der CVR, denselben, die auch für Yuyanapaq Para Recordar verwendet worden waren. Diese sollte ihren Platz im zweiten Stock finden. Außerdem wurde im ersten Skript Terminologie aus dem Abschlussbericht wie beispielsweise „interner bewaffneter Konflikt“ verwendet.81 Um über die konzeptionellen Grundlagen der Dauerausstellung zu beraten, wurde in Zusammenarbeit mit der Konrad-AdenauerStiftung ein Workshop organisiert, zu dem die Experten Olga Onyszkiewicz, Direktorin der Internationalen Jugendbegegnungsstätte Auschwitz/Oswiecim, Hubertus Knabe, Direktor der Gedenkstätte Hohenschönhausen, und Rainer Eckert, Direktor des Zeitgeschichtlichen Forums Leipzig, eingeladen wurden. Eckert schrieb einen Bericht, in dem er seine Eindrücke und Empfehlungen zusammenfasste. Auch wenn er die Initiative zunächst begrüßte, bedauerte er gleichzeitig, dass das architektonische Projekt keine Räumlichkeiten für Workshops vorsehe. Zwar sei ein großes Auditorium für ca. 300 Personen geplant, erklärte er, dieses würde sich aber dafür nicht eignen. Einen weiteren Kritikpunkt sah er in der Finanzierung. Der peruanische Staat solle die Relevanz eines solchen Projekts anerkennen, indem er darauf abziele, die komplette Finanzierung zu übernehmen.82 Ein wichtiges Ziel solcher Einrichtungen ist es, die erinnerungspolitische Arbeit im Rahmen von Seminaren, Workshops oder ähnlichen Aktivitäten zu fördern. Der (erinnerungs-)politische Bildungsauftrag und pädagogische Zwecke stehen im Vordergrund. Ein Auditorium ist zwar sinnvoll, da kulturelle Aktivitäten Bestandteil eines Erinnerungsmuseums sind. Ein konzeptioneller Kritikpunkt allerdings bleibt, dass der Aufbau eines großen Auditoriums eine hierarchische Stufenordnung unterstützt, eine Situation von passiven Zuhörern oder Zuschauen, und erschwert somit eine dialogische Konstellation. Jetzt, da die Dauerausstellung fertig ist, wurde dieses Defizit auf kreative, jedoch nicht ideale Weise aufgehoben. Im zweiten Stockwerk befinden sich kleine Sitzgelegenheiten in halbrunder Anordnung, auf denen man durchaus in kleinen Gruppen pädagogische Aktivitäten durchführen kann. Es bleibt trotzdem die Frage danach unbeantwortet, warum die damalige Kommission sich für ein architektonisches Pro81

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Verschiedene Tageszeitungsartikel kündigten an, dass Yuyanapaq wichtiger Bestandteil der Dauerausstellung des Lugar de la Memoria sein werde. Hier nur ein Beispiel: N.N.: Esta será la disposición de los espacios en el Lugar de la Memoria. In: El Comercio (online) vom 27.12.2011. http://elcomercio.pe/politica/1353533/ noticia-esta-disposicion-espacios-lugar-memoria. (abgerufen am 12.10.2017). In dieser Ausgabe wurde das damals gültige Museumsskript im PDF-Format angehängt. Interview mit Rainer Eckert, damaliger Direktor des Zeitgeschichtlichen Forums Leipzig, am 14.07.2013 in Leipzig.

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jekt entschieden hat, das solch einen wichtigen Aspekt nicht berücksichtigt. Der zweite Punkt in Eckerts Gutachten betreffend der Finanzierung bleibt noch abzuwarten. Für die Fertigstellung des Gebäudes sowie der Dauerausstellung war die Finanzierung durch die internationale Gemeinschaft vonnöten. Hauptsächlicher Kooperationspartner war die Bundesrepublik Deutschland über die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GIZ (40,60 %), gefolgt von der Europäischen Union (20,04 %), das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen, PNUD (6,3 %) und Schweden über die die Stelle für internationale Entwicklungszusammenarbeit (1,10 %). Auch der peruanische Staat musste sich finanziell beteiligen. Sein Anteil betrug schließlich ca. 30 %.83 Mit dem Bau der Einrichtung und der Implementierung der Dauerausstellung endet die finanzielle Unterstützung aus Deutschland. Der peruanische Staat hat sich theoretisch dazu verpflichtet, das Fortbestehen des Lugar de la Memoria zu garantieren. Doch sechs Monate nach der Eröffnung ist eine sehr reduzierte Zahl an Personen (ca. fünf Vertragsangestellte) für das Museum tätig, und es gibt kein Budget für museumspädagogisches Personal. Aber nicht nur die entsprechenden finanziellen Zuteilungen sind wichtig, das Projekt muss auch vor politischen Konjunkturen, die seine Kontinuität gefährden, geschützt werden. Dafür hat man momentan noch keine Strategie.84 Da de Szyszlo kurz nach der Grundsteinlegung von seinem Amt zurücktrat, wurde im Dezember 2011 Diego García Sayán, ehemaliger Außenminister und damaliger Präsident des Interamerikanischen Gerichtshofs, zum Präsident der Museumskommission ernannt. Die neuen Mitglieder der Museumskommission waren: die Abgeordnete und Menschenrechtsaktivistin Hilaria Supa, der Kulturmanager Pedro Pablo Alayza, der ehemalige Rektor der Universidad Nacional de Ingeniería Javier Sota Nadal sowie der Architekt und ehemalige Vorsitzende des Unternehmerverbandes CONFIEP Leopoldo Scheelje. Bischof Luis Bambarén war das einzige Mitglied der vorherigen Kommission, das auch dem neuen Ausschuss angehörte. Diese Zusammensetzung war etwas heterogener als die anderen, aber Familienangehörige von Opfern des Konflikts wurden trotzdem nicht eingeladen. Mit der neuen Regierung des ehemaligen Oberstleutnants der peruanischen Armee Ollanta Humala kam es zu mehreren Veränderungen im Projekt Lugar de la Memoria. Unter der inzwischen dritten Kommission erhielt der Institutionsname eine Ergänzung. Ihm wurden die Begriffe Tolerancia und Inclusión Social 83 84

Memoria LUM 2009–2015. Lugar de la Memoria, la Tolerancia y la Inclusión Social. Lima 2015 (erster Museumskatalog über die Institution), S. 46 f. Diese Annahmen basieren auf meinen letzten Forschungsaufenthalt im Januar 2016 und auf einem Besuch des LUM im September 2016.

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(Toleranz und soziale Inklusion) hinzugefügt. Über diese Änderung wurde argumentiert, sie sei angemessen, „[…] um den nationalen Schwerpunkt auf Toleranz und soziale Inklusion als Grundwerte und als anstehende Aufgaben sowie als wesentlichen Teil des nationalen Versöhnungsprozesses zu betonen, der unverzichtbar ist, um die Bedingungen zunichte zu machen, die Gewalt erleichterten […]“85. Es gibt zweifelsohne eine Verbindung zwischen diesen zwei Komponenten und den Ursachen des Konflikts und den immer noch bestehenden Ungleichheiten im Land. Doch es besteht die Gefahr, dass man nicht allen Themen gerecht werden kann und zu einem gewissen Grad das eigentliche Ziel entkräftet wird. Dies könnte dazu führen, dass die jeweiligen Themen nicht ausreichend oder gar oberflächlich behandelt werden. Man kann behaupten, es werde versucht, den ursprünglichen Fokus auf den internen bewaffneten Konflikt zu verschieben, um die Einrichtung zu entpolitisieren. Folglich waren die „Nachnamen“ Toleranz und soziale Inklusion ein Grund für Verwirrung unter den organisierten Angehörigen der Opfer. Zum Beispiel kritisierte die Geschäftsführerin des Equipo Peruano de Antropología Forense (EPAF – Peruanische Arbeitsgruppe für Forensische Anthropologie) Gisela Ortiz, deren Bruder von Agenten der paramilitärischen Gruppe Colina ermordet worden war, die neue Bezeichnung der Institution: „Was bedeutet das? Etwa, dass wir nun tolerant mit den Tätern und ihren Komplizen sein sollen? Dass wir im Namen der Toleranz unsere Erinnerung aushandeln? Soziale Inklusion: Für wen?“86. In diesem Zusammenhang muss schließlich erwähnt werden, dass die „soziale Inklusion“ ein beliebter Slogan der politischen Kampagne des damals noch Präsidentschaftskandidaten Humala war. Unter der Leitung der Juristin Denise Ledgard, der neuen Projektleiterin, wurden Änderungen sowohl auf institutioneller als auch auf diskursiver Ebene und im Hinblick auf den Inhalt, die Konzeption und nicht zuletzt die Außenwirkung der Einrichtung vorgenommen. Hierzu gab es Veränderungen im Bereich

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„[…] para enfatizar la prioridad nacional de la tolerancia y la inclusión social como valores fundamentales y tareas pendientes, consustanciales al proceso de reconciliación nacional e indispensables para erradicar las condiciones que facilitaron la violencia […]“. Resolución Suprema N° 405-2011-PCM (Entscheidung höchster Instanz). „¿Qué significa [esa palabra]?, ¿Que seremos tolerantes con los victimarios y sus complices?, ¿Que seremos tolerantes con las responsabilidades políticas?, ¿Que en nombre de la tolerancia negociaremos nuestra memoria?, inclusión social: ¿para quiénes?“ Siehe Blog von Heeder Soto, Mitglieder des Vereins ANFASEP und Menschenrechtsaktivist: http//:heedersoto.wordpress.com/2013/08/19/el-lugar-de-lamemoria-y-las-preguntas-irresueltas/ (abgerufen am 12.10.2017).

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Marketing und öffentliche Präsenz. Mit einer neuen Website 87, deren grafische Gestaltung moderner und auffälliger (mit Videos, Pressemitteilungen, weiteren Informationen und einem neuen Logo) als die alte war, zeigte sich der Lugar de la Memoria erneuert und zielte darauf ab, mehr Sektoren der Bevölkerung zu erreichen. Um nur ein Beispiel zu nennen, verwendet nun die Institution offiziell das Akronym LUM, das den etwas mühsamen und langen Namen „Ort für Erinnerung, Toleranz und soziale Inklusion“ ersetzen soll.88 Im Juni 2014 wurde das Auditorium feierlich eingeweiht. Unter dem Namen iLUMina fand ein dreitägiges Kulturfestival mit Konzerten und Performances statt. Tage vor dem Festival trat die Direktorin in mehreren Medien auf, bei denen sie die Ziele der Institution definierte und bekräftigte, dass die neue Kommission mehr als nur ein Museum bauen wolle und sich vom Rückforderungsprinzip der Transitional Justice distanzierte. Stattdessen solle der LUM ein Ort sein, der über kulturelle Angebote Begegnungen und Reflexion ermögliche.89 Miguel Rubio, Direktor der renommierten Theatergruppe Yuyachkani, wurde zusammen mit der visuellen Anthropologin Karen Bernedo beauftragt, ein inzwischen zweites Museumsskript zu konzipieren. Der Vorschlag von Rubio und Bernedo war generell sensorisch ausgerichtet und appellierte an die Gefühle der Besucher durch komplexe Inszenierungen und den Einsatz neuer Medien. Doch manche Aspekte ihres Konzepts waren für die Museumskommission problematisch. Zum Beispiel sah ihr Emfehlung vor, die Akteure des Konflikts in „Täter-“ und „Opfer“-Zuordnungen zu präsentieren. Es wurden außerdem mehrere emblematische Fälle benannt, bei denen Mitglieder des Militärs Verantwortung trugen.90 Aus diesem Grund wurde evaluiert, inwiefern man diesen Entwurf verwenden konnte. Partizipations- und Konsultationsprozesse Das Team unter der Leitung von Denise Ledgard fokussierte ihre Arbeit auf die Diskussion und Konzeption der konkreteren Inhalte. Dafür wurde ein partizipativer Prozess mit verschiedenen Akteuren der Gesellschaft in drei Städten der drei verschiedenen Regionen des Landes organisiert: Lima (Küste), Ayacucho 87

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Am 15. May 2014 wurde eine neue Website veröffentlicht, die allerdings heute nicht mehr existiert. Die aktuelle Seite ist: http://lum.cultura.pe/ (abgerufen am 12.10. 2017). Im Folgenden wird dieses Akronym bevorzugt. Interview im RPP (Radio Programas del Perú) am 23.5.2014. Online verfügbar unter: http://lugardelamemoria.org/ (abgerufen am 02.06.2015, Server nicht mehr existent). Schlussfolgerungen nach den Interviews mit Karen Bernedo und Miguel Rubio am 01.04.2014 und am 07.04.2014 in Lima. Bei dieser Gelegenheit wurde mir der Entwurf ausgehändigt.

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(Anden und die Region mit der höchsten Opferzahl) und Satipo (Urwald). Vom Oktober 2013 bis Februar 2014 fand ein Partizipations- und Konsultationsprozess statt, durch den das von Miguel Rubio konzipierte museografische Skript kommentiert und diskutiert wurde. Es wurden Vertreter der Sicherheits- und Streitkräfte und der Opferverbände (von beiden Seiten) sowie Journalisten, Intellektuelle, Künstler, Vertreter der Industrie sowie Menschenrechtsorganisationen eingeladen. Die partizipativen Prozesse wurden logistisch unterstützt vom Instituto de Estudios Peruanos (IEP) bzw. dessen Grupo Memoria, eine interdisziplinäre Gruppe von Experten in der Memoria-Thematik in Peru. Die Dynamik hatte Workshop-Charakter. Alle Teilnehmer bekamen im Voraus das Skript zum Lesen. Dieses wurde dann zu Beginn jeder Sitzung präsentiert, und anschließend wurden Fragen beantwortet, Eindrücke darüber gesammelt und Meinungen ausgetauscht; außerdem wurde intensiv diskutiert. Insgesamt fanden 16 Treffen in Lima, Ayacucho und Satipo statt, welche entsprechend protokolliert und dokumentiert wurden.91 Der gesamte Konsultations- und Partizipationsprozess sowie alle Protokolle wurden in einem vom LUM herausgegebenen Buch veröffentlicht.92 Zusätzlich wurde eine Firma in Lima damit beauftragt, Fokusgruppen mit verschiedenen Sektoren der Gesellschaft, z. B. Schüler oder Lehrer, zu organisieren.93 Auf diese Weise versuchte man, verschiedene Interessen und Erwartungen bezüglich des Lugar de la Memoria zu sammeln und – soweit möglich – in die Präsentation zu integrieren. Diese Maßnahme war zweifelsohne der wertvollste und zugleich der strategischste Beitrag der letzten Kommission. Die Strategie der neuen Projektleitung war im Grunde darauf ausgerichtet, einerseits bei denjenigen Sektoren Legitimität zu suchen, die in verschiedener Weise in den Konflikt involviert waren (zum Beispiel Streitkräfte, Opferverbände), aber andererseits auch bei der Gesellschaft im Allgemeinen. Doch das letzte Wort hatten immer die Mitglieder der Museumskommission (Comisión de Alto Nivel, CAN). 2015 war das Kuratorenteam damit beschäftigt, die Erkenntnisse der Konsultationsprozesse konzeptuell und gestalterisch im Raum umzusetzen. Währenddessen ging die Direktorin des Projekts erneut an die Öffentlichkeit. Sie erklärte in einem Interview für die Internet-Plattform LaMula, dass der LUM nicht auf

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Interview mit José Carlos Agüero, Historiker und Co-Autor der Publikation, die diese Prozesse dokumentierte, am 13.01.2016 in Lima. Del Pino, Ponciano/Agüero, José Carlos: Cada uno, un Lugar de la Memoria. Fundamentos conceptuales del Lugar de la Memoria, la Tolerancia y la Inclusión Social, Lima: LUM 2014. Interview mit Denise Ledgard, Direktorin des Museumsprojekts der 3. Kommission für Projekt Lugar de la Memoria, am 07.04.14 in Lima.

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der Suche nach der Wahrheit sei. Vielmehr sei der Sinn des LUM das Gedenken, außerdem verfolge er einen pädagogischen und staatsbürgerlichen Sinn. Bei dieser Gelegenheit machte sie außerdem kritische Äußerungen bezüglich des Status quo und der Herausforderungen, mit der sie und ihr Team konfrontiert gewesen seien. Sie bemerkte, dass die heutige Demokratie eine prekäre sei. Die Regierung interessiere sich im Grunde nicht für das Projekt, es sei nicht relevant für das Außenministerium. Und schließlich betonte sie, dass der Staat sich weder öffentlich entschuldigt habe, noch seine Rolle im Konflikt (gemeint sind die Menschenrechtsverbrechen) offiziell anerkannt habe. 94 Zwei Tage später wurde sie per Ministerialbeschluss ohne Angabe von Gründen aus ihrer Position entlassen. Die Ministerin für Kultur, Diana Alvarez Calderón, erklärte ihre Entscheidung mit der Überführung der Institution in den Zuständigkeitsbereich des Ministeriums für Kultur. Dieses Argument überzeugte jedoch nicht. Vielmehr kann ihre Entscheidung als Zeichen dafür interpretiert werden, dass man in diesen Angelegenheiten sehr diplomatisch agieren muss und dieses Thema immer noch sehr sensibel ist. Das Kuratorenteam und die wenigen Vertragsangestellten arbeiteten weiter. Die Tatsache, dass es keine Leitung gab, die beispielsweise bereits angefangene Prozedere ordnungsgemäß unterzeichnete und beendete, verzögerte ihre Arbeit erheblich, sodass sie unter Stress und viel Druck arbeiten mussten. Nichtsdestotrotz konnte der LUM am 17. Dezember 2015 seine Türen öffnen, auch wenn noch einige Details in der Inszenierung und in der Museografie fehlten. Aber nicht nur Details, sondern auch finanzielle und institutionelle Aspekte, die für ein effizientes und vor allem nachhaltiges Fortbestehen vonnöten sind, blieben bis zum Wahlergebnis am 10. April 2016 noch unklar. Resonanz und Kontroversen Die letzte Museumskommission und ihre Arbeitsgruppe distanzierten sich von der ursprünglichen Idee, Yuyanapaq. Para Recordar zum Hauptbestandteil der Dauerausstellung zu machen. Sie argumentieren, die Ausstellung solle zwar erwähnt werden, aber eher als Meilenstein im Rahmen des Post-Konflikts als erste erinnerungspolitische Maßnahme, und nicht in voller Länge, sondern, wenn überhaupt, nur in digitaler Form. Der LUM sollte nicht eine „Nachbildung“ der Fotoausstellung sein, sondern vielmehr auf ihre führende Rolle in den damaligen 94

Komplettes Interview siehe: Lescano Méndez, Raúl: Denise Ledgard: „El LUM no busca darle a la gente una verdad absoluta, sino generar preguntas“. In: La Mula.Pe vom 28.06.2015. https://redaccion.lamula.pe/2015/06/28/denis-ledgard-mantenemos -los-mismos-riesgos-que-desencadenaron-la-violencia/rlescanomendez/ (abgerufen am 12.10.2017).

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Transitional-Justice-Prozessen verweisen.95 Man kann vermuten, dass die Distanzierung von der CVR eine Strategie war, um Probleme mit den Streitkräften oder anderen einflussreichen politischen und/oder sozialen Eliten zu vermeiden. Yuyanapaq. Para Recordar zeigt nämlich deutlich durch ihre Bilder und ihre Themenaufstellung die Verwicklung des peruanischen Staates in Verbrechen gegen die Menschheit. Dasselbe gilt für den Bericht der CVR, der kurz nach der Ausstellungseröffnung dem Präsidenten Toledo überreicht wurde. Im Bericht steht, dass Mitglieder der nationalen Sicherheits- und Streitkräfte „an manchen Orten und in manchen Momenten des Konflikts“ systematische Menschenrechtsverletzungen begangen hätten.96 Dies ist eine Aussage, die das Militär bis dato ausdrücklich ablehnt. Die direkte Verbindung zwischen der von der CVR organisierten Fotoausstellung und dem geplanten Erinnerungsmuseum machten Letzteres daher zum Ziel starker Kritik. Die gegen die CVR verwendeten Argumentationslinien wurden jetzt im Hinblick auf das Museum wiederholt und warfen ihre Schatten auf das Projekt. Aus diesem Grund ist es angebracht, diese Kritikpunkte an dieser Stelle kurz zu skizzieren, um in Erfahrung zu bringen, welcher Art von Schwierigkeiten das Projekt gegenüberstand und möglicherweise stehen wird. In den folgenden Zeilen werde ich mich zunächst auf die wichtigsten Kritikpunkte der CVR fokussieren und auf die damals entstandene öffentliche Diskussion bezüglich des deutschen Angebots für den Bau eines Erinnerungsmuseums eingehen. Dafür habe ich Zeitungsbeiträge analysiert, die unmittelbar nach der Ablehnung seitens des peruanischen Staates erschienen sind, da diese die verschiedenen Positionen am besten darstellen. Das Museumsprojekt musste aber nicht nur mit Kritik aus der Öffentlichkeit umgehen, es musste sich außerdem mit Schwierigkeiten institutioneller, politischer und museografischer Art beschäftigen, auf die ich ebenfalls Bezug nehmen werde. Der Bericht der CVR enthält eine ausführliche und sorgfältige Analyse der Gründe und Folgen des Konflikts, nennt dessen Akteure und Verantwortlichen, die Zahl der Opfer, die Methoden der Gewalt sowie eine Reihe von untersuchten Einzelfällen. Ein Teil der Öffentlichkeit schätzte die Arbeit der Kommission als wertvoll ein. Jedoch wurden ihre Schlussfolgerungen von mehreren Politikern und Militärs scharf angegriffen, zurückgewiesen und teilweise abgestritten. Zunächst bemängelten einige Vertreter konservativer Kreise und des Militärs die von der CVR verwendete Methode für die Einschätzung der Opferzahlen und warfen ihr vor, die Zahlen überschätzt zu haben, um das Militär zu diskreditie-

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Interview mit Denise Ledgard, Direktorin des Museumsprojekts der 3. Kommission für das Projekt Lugar de la Memoria, am 13.09.13 in Lima. CVR. Informe Final: Conclusión Nr. 55. In: Hatun Willakuy 2008, S. 442.

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ren.97 Da die CVR-Kommissionäre politisch eher linksgerichtet seien, seien auch ihre Schlussfolgerungen „voreingenommen“. Der Bericht und so auch die Fotoausstellung Yuyanapaq. Para Recordar böten keine neutrale Darstellung der jüngeren Geschichte und wollten daher ein verzerrtes Geschichtsbild präsentieren.98 Für manche Kritiker waren die Formulierungen der CVR zu nachgiebig gegenüber den subversiven Gruppierungen, und zugleich honorierten sie die Bemühungen und den Mut der peruanischen Streitkräfte nicht genug. Der interne bewaffnete Konflikt werde aus einer Perspektive geschildert, die die Taten der Terroristen abmildere.99 Es wurde sogar behauptet, die Kommission sei „pro terrorista“. Hierzu muss jedoch erwähnt werden, dass die CVR in ihrem Bericht Sendero Luminoso zwar nicht ständig als „Terroristen“ deklariert werden, aber klar und deutlich die fundamentalistische, totalitäre, fanatische, extrem gewalttätige und grausame Natur dieser subversiven Gruppe betont. Außerdem erwähnt der Abschlussbericht ihre Bereitschaft und Fähigkeit, terroristische und völkermörderische Verbrechen zu begehen.100 Sie signalisiert außerdem, dass der Sendero Luminoso den Gewaltzyklus einleitete und die Verantwortung für 54 % der gesamten Opferzahl trägt.101 Deshalb sind diese Behauptungen oder gar Anschuldigungen oft unbegründet und entsprechen bestimmten politischen Interessen sowie dem Versuch, andere erinnerungspolitische Diskurse zu etablieren. Schließlich wird heute noch stark kritisiert, dass es der CVR nicht einmal annähernd gelungen sei, einen Versöhnungsprozess zu fördern, was u. a. Teil ihres Auftrags gewesen sei. Im Gegenteil hätten ihre Ergebnisse die Bevölkerung stärker polarisiert.102 Es wäre sinnvoller gewesen, die Wunden der Vergangen97

Die CVR arbeitete mit der statistischen Methode des Soziologen Patrick Ball, der mit mehreren Wahrheitskommissionen, mit NGOs und als Experte in internationalen Gerichtshöfen kollaboriert hat. Für einen tieferen Einblick in die Kritiken bezüglich der statistischen Methoden siehe den Beitrag des Ökonomen Silvio Rendón in seinem Blog Gran Combo Club: http://grancomboclub.com/2010/08/la-cvr-cronicade-una-cifra-anunciada sowie http://grancomboclub.com/2013/06/documentos-inter nos-de-la-cvr-numeros-vs-personas.html (abgerufen am 12.10.2017). 98 Dargent Bocanegra, Eduardo: El informe de la CVR y sus críticos. In: La República (online) vom 06. 04. 2005. http://larepublica.pe/politica/305945-el-informe-de-lacvr-y-sus-criticos (abgerufen am 12.10.2017). 99 Der Verteidigungsminister Rafael Rey äußerte mehrfach seine Kritiken gegen die CVR, da seiner Meinung nach der Abschlussbericht keine Objektivität aufgezeichnet habe. Gleichfalls zeigte er sich gegen den Museo de la Memoria. Hier nur ein Beispiel: Castro, Carlos: Rey, Putis, CVR y Chungui. In: La República vom 30.08.2009, S 40. 100 Vgl. Hatun Willakuy 2008, S. 435 f. 101 Vgl. Hatun Willakuy 2008, S. 97. 102 2013 wurde vom El Comercio-Ipsos eine nationale Umfrage (in urbanen Gebieten) über die CVR und andere politischen Themen durchgeführt. Nur 34 % gaben an, die Arbeit der CVR zu kennen, und davon sind 65 % der Meinung, dass die CVR zu

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heit heilen zu lassen. Zwar wurde diese Behauptung vor allem von konservativen politischen Gruppen vertreten, aber auch manche Opfergruppen äußerten teilweise ihren Wunsch nach Vergessen. Für sie sei dies ein Versuch, in Frieden zu leben.103 „El Perú no necesita museos“104 Kaum wurde das deutsche Angebot bzw. deren Ablehnung vonseiten des peruanischen Staates bekannt, begann eine hitzige Diskussion über die effektive Verwendung des Geldes und über den eigentlichen Sinn eines solchen Projekts. Der damalige Verteidigungsminister Ántero Flores Aráoz ließ verlautbaren, dass Peru keine Museen brauche, solange es Armut und soziale Missstände gebe. Das Land müsse sich auf andere Bereiche konzentrieren, anstatt seine Ressourcen mit der Schaffung kultureller Einrichtungen zu vergeuden. Das Geld solle vielmehr für Entwicklungsprojekte bzw. für Reparationsprogramme für die Familien der Opfer verwendet werden.105 Eine weitere Kritik richtete sich auf den konditionierten Charakter der deutschen Zuwendung. Peru habe das souveräne Recht, ein Angebot, das ohne vorherige Absprache aufgezwungen worden und konditioniert sei, abzulehnen. Außerdem könne und solle das Land selbst entscheiden, wie es mit seiner Vergangenheit umgehe und ob der richtige Zeitpunkt für eine museale Aufarbeitung vorliege. Ein Abgeordneter der APRA, Edgar Nuñez, deutete völlig unbegründet an, eine Million Euro seien dazu bestimmt, „die goldene Bürokratie“ der NRO’s oder der Ombudsbehörde aufrechtzuerhalten. Aber nicht nur Regierungsvertreter sprachen sich gegen ein Gedenkmuseum aus, sondern auch Abgeordnete des „Fujimorismo“. Cecilia Chacón beispielsweise erklärte sich in einer Parlamentsdebatte mit dem Vorschlag nicht einverstanden: „Wir brauchen weder Museen „sanft“ mit Sendero Luminoso war. 61 % gab an, die CVR habe nicht zur nationalen Versöhnung beigetragen. Mehr als die Hälfte der Befragten (56 %) stimmte trotzdem ihrer Arbeit zu. Online verfügbar unter: http://cde.elcomercio.pe/66/doc/0/ 0/6/9/6/696262.pdf (abgerufen am 12.10.2017). 103 Diese Umstände werden in der ethnographische Studie von Kimberly Theidon deutlich. In verschiedenen ländlichen Gemeinden in Peru wurde durch Zeugenaussagen über den damaligen ständigen Zustand der Unsicherheit, des Misstrauens und der Angst berichtet sowie über Strategien zum Wiederaufbau des Alltags nach dem Konflikt. Siehe: Theidon 2013. Für eine Annährung an die Thematik des „Vergessens“ in den Dorfgemeinschaften in den Anden, deren komplexen Opfer-Täterrollen sowie die Rolle der CVR siehe: Ramirez Castillo 2012, S. 111–137. 104 „Peru braucht keine Museen“. So betitelte Mario Vargas Llosa seinen Artikel in der spanischen Tageszeitung el País, in dem er die Haltung der peruanischen Regierung kritisiert. Siehe: Vargas Llosa. Mario: „El Perú no necesita museos“. In: El País vom 08.03.2009. Online-Archiv der gedruckten Ausgabe, verfügbar unter: elpais.com/ diario/2009/03/08/opinion/1236466813_850215.html (abgerufen am 12.10.2017). 105 Castro, Carlos: El Museo de la Memoria. In: La República vom 01.03.2009, S. 40.

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noch anderen Quatsch, damit unser Gedächtnis aufgefrischt wird. Wir erinnern uns!“106 Intellektuelle, einige Oppositionspolitiker und Teile der Zivilgesellschaft sprachen sich jedoch für das Projekt aus und erreichten zusammen mit unterschiedlichen Menschenrechts- und Nichtregierungsorganisationen die Öffentlichkeit. In den Verhandlungen setzte sich der peruanische Schriftsteller Mario Vargas Llosa, der in Peru eine sehr einflussreiche Persönlichkeit ist, für das Projekt ein, traf sich persönlich mit dem Präsidenten García und überzeugte ihn zu einer Zusage.107 Das erste Quartal des Jahres 2009 wurde von mehreren relevanten Ereignissen im Zusammenhang mit erinnerungspolitischen und -kulturellen Themen dominiert. Im März 2009 wurde beispielsweise zum ersten Mal überhaupt ein peruanischer Film auf der Berlinale mit einem Goldenen Bären ausgezeichnet. Der Film der peruanischen Regisseurin Claudia Llosa, Nichte des Schriftstellers Mario Vargas Llosa, thematisiert die Nachwirkungen sexueller Gewalt bei Frauen in den Anden. La teta asustada (wörtlich: Die erschrockene Brust), so der Name des Films, wird die „Krankheit“ genannt, bei der traumatisierte Frauen nach einer Vergewaltigung – eine häufige Praxis während des Konflikts – ihre Angst, ihre Traurigkeit oder auch ihr Ressentiment durch die Muttermilch an ihre Babys weitergeben.108 Das Thema sexuelle Gewalt und Reparationen für die Opfer war so wieder in der öffentlichen Diskussion präsent. Und im April 2009 wurde Alberto Fujimori wegen Menschenrechtsverletzungen zu 25 Jahren Haft verurteilt, ein Thema, das die Öffentlichkeit ebenfalls stark beschäftigte. Dies ist der Hintergrund, vor dem die hier beschriebene Debatte zum Museo de la Memoria stattfand. Die oben genannten Vorwürfe begleiteten die Arbeit der zuständigen Kommissionen während all dieser Jahre. Der Verlauf des Projekts wurde zwar im Laufe der Zeit nicht ständig von den Medien verfolgt, aber obwohl es durchaus positive Meldungen und Unterstützung für den Lugar de la Memoria gab, wurde immer wieder infrage gestellt, ob so ein Ort für die nationalen Versöhnungsprozesse hilfreich sei. Außerdem wurde immer wieder angezweifelt, ob dort überhaupt die „Wahrheit“ über den Konflikt erzählt werde, oder besser gesagt: Es 106 „No necesitamos museos ni tonteras para que nos refresquen la memoria.“ In: N.N.: Gobierno de Alemania defiende proyecto de Museo de la Memoria. In: La República vom 05.03.2009. S. 2. 107 Vgl. Escribano, Pedro: Vargas Llosa convenció a García de aceptar Museo de la Memoria. In: La República vom 27.03.2009. http://larepublica.pe/cultural/389077vargas-llosa-convencio-a-garcia-de-aceptar-museo-de-la-memoria (abgerufen am 12.10.2017). 108 Der Film, dessen deutscher Titel „Eine Perle Ewigkeit“ lautet, wurde von den Erkenntnissen der Anthropologin Kimberly Theidon inspiriert. Siehe: Theidon 2013.

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wurde dem Museum immer wieder vorgeworfen, die Taten der Terroristen zu dulden und die des Militärs zu übertreiben. Zu dieser Erkenntnis gelangt man nach einer Sondierung der Online-Plattformen bzw. der Kommentarfunktionen der einflussreichsten Medien Perus bezüglich des Lugar de la Memoria. Da es sich um eine anonyme Plattform handelt, äußern die Leser ihre Meinungen ohne Filter und Hemmungen. Im Zuge der Präsidentschaftswahlen 2011, die Keiko Fujimori nur sehr knapp verlor, war die offizielle Haltung ihrer Partei dem Lugar de la Memoria gegenüber positiv. Trotzdem zeigten sich einige Mitglieder ihrer Partei immer noch öffentlich dagegen. Auch im Jahr 2015, ad portas der Eröffnung, behauptete Martha Chávez, Abgeordnete der Partei Fujimoris: „Damit [mit dem Lugar de la Memoria] will er [Salomón Lerner] dem Terrorismus das Gesicht reinwaschen und der Gesellschaft und unserer Jugend, das Gehirn.“109 Es bleibt nun, da die Dauerausstellung fertig und der Öffentlichkeit zugänglich ist, abzuwarten, ob sich die Befürchtungen der Gegner bestätigen oder ob sich ihre Meinung möglicherweise ändert. Zwischenfazit Die CVR gelangte zu dem Schluss, dass individuelle, kollektive sowie materielle und symbolische Reparationen für die Einleitung eines Versöhnungsprozesses vonnöten sind. In diesem Rahmen organisierte sie eine Fotoausstellung, die sowohl als visueller Beleg für das Geschehene als auch als Anerkennung und Würdigung der Opfer dienen sollte. Sie sollte aber auch diejenigen erreichen, die die Grausamkeiten des Konflikts nicht wahrgenommen oder gar ignoriert haben. Hierzu gehören jüngere Generationen, die nach dem Konflikt geboren wurden. Die Initiative, der Fotoausstellung Yuyanapaq. Para Recordar gemeinsam mit einem Dokumentationszentrum als kulturelle und bildungspolitische Einrichtung einen eigenen und permanenten Platz zu geben, kam von außen und war nicht in eine offizielle Erinnerungspolitik eingebettet. Das deutsche Angebot wurde sogar anfangs abgelehnt. Wie ein Land mit seiner Geschichte umgeht und seinen Opfern gedenkt, kann nur schlecht von außen verordnet werden. Umso schwieriger ist es, wenn ein Teil der Gesellschaft das Vergessen bevorzugt und Erinnerungsansätzen offensiv gegenüber steht. Diese Diskussion spiegelt mehrere komplexe ethische, politische, soziokulturelle und historische Themen wider, die an dieser Stelle nicht bis ins Detail ausgeführt werden können. Es ist aber trotz109 „Con esto le quiere lavar la cara al terrorismo y el cerebro a la sociedad y a nuestros jóvenes“. Cornetero, Óscar: Con Museo de la Memoria lavan la cara al terrorismo. In: La Razón vom 06.04.2015.

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dem angebracht, hier drei Faktoren zu benennen, die diese Problematik verdeutlichen können. 1. Eine der wichtigsten Schlussfolgerungen der Wahrheitskommission war, dass

der Konflikt nicht alle Bevölkerungsschichten gleich betraf, sondern eine deutliche Korrelation bestand zwischen ethnischer Zugehörigkeit und sozialem Milieu sowie der Wahrscheinlichkeit, Opfer des Konflikts zu werden. Traditionell wurde die indigene Bevölkerung vom Staat und den Eliten diskriminiert und marginalisiert, eine Situation, die den herrschenden Rassismus in Peru verdeutlicht.110 Der Staat bzw. seine Institutionen waren vor und während dem Konflikt in den ärmsten und abgelegensten Regionen des Landes praktisch nicht präsent. Die Zahl der Opfer hätte auch viel höher ausfallen können, aber da die Mehrheit der blutigen Ereignissen nicht in der Stadt, sondern in den Anden stattfanden, waren sich die Menschen in den Städten nicht bewusst, welchen Ausmaß der Konflikt angenommen hatte, bis die terroristische Aktionen Lima erreichten. Auch der Staat reagierte zögerlich und träge auf die Ernsthaftigkeit und Komplexität der Situation. Folglich blieben viele Todesfälle während der ersten Jahre des Konflikts unbemerkt. 2. Viele Opfer hatten nicht einmal einen Personalausweis. Sie waren also nicht

registriert als peruanische Bürger und deswegen auch nicht in Datenbanken zu finden. Deshalb sind Melde- und Zählungsverfahren sehr schwierig durchzuführen, was die Arbeit des Registro Único de Víctimas (RUV – Opferregister) erschwert. Ohne eine fristgerechte Registrierung besteht kein Zugang zu (finanziellen) Reparationen, die wiederum so essenziell für Anerkennung, Gerechtigkeit und Versöhnung sind. 3. Man kann nicht davon ausgehen, dass alle Familienangehörigen von Opfern

deren Verhaftung, Verschwinden oder Tod gemeldet haben. In Peru besteht ein hoher Grad an Misstrauen zwischen Staat und Bürgern und zwischen den Bürgern untereinander. Dies wird sich wahrscheinlich nicht ändern, solange der Staat nicht seine Verantwortung akzeptiert und alle Ressourcen mobilisiert, um die Vergangenheit medial, juristisch und politisch aufzuarbeiten. Umso wichtiger ist es, dass der Staat zumindest auf symbolischer Ebene die Arbeit des LUM mit Ressourcen und seiner Legitimation als Brücke für eine Annäherung zwischen den Peruanern unterstützt.

110 Hatun Willakuy 2008, S. 433 f.

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In diesem Kapitel wurde aufgezeichnet, wie kontrovers und komplex die museale Aufarbeitung der Vergangenheit in Peru (Lima) war. Abschließend möchte ich in den letzten Zeilen die herrschenden Erinnerungsdiskurse zum internen bewaffneten Konflikt in Peru schildern. Im peruanischen Kontext kann man vor allem zwei Erinnerungsdiskurse unterscheiden. Der erste lautet: In Peru gab es einen terroristischen Angriff auf die neue Demokratie. Die nationalen Sicherheits- und Streitkräften kämpften heroisch gegen den Feind, der scheinbar „aus dem Nichts“ kam. Auch die Zivilbevölkerung und die politischen Eliten kämpften mit, etwa die ronderos, die Gewerkschaften, die politischen Parteien sowie Unternehmer, und so konnte die nationale Einheit den Terrorismus besiegen. Nur in Ausnahmefällen wurden Fehler und Exzesse begangen, die als unvermeidbare Kollateralschäden für die Befriedung des Landes zu betrachten sind und ins Verhältnis gesetzt werden müssen. Dieser Diskurs wird vor allem von den politischen Parteien, die während des Konflikts an der Macht waren, dem Militär und den Streitkräften sowie von den konservativsten Sektoren der Gesellschaft vertreten. Als „negacionismo“ (das Verleugnen der Menschenrechtsverletzungen) und „memoria salvadora“ (Instrumentalisierung des Niedergangs des Sendero Luminoso, um Fujimori als Pazifisten zu inszenieren) bezeichnet der Historiker Ponciano del Pino diese Positionen, die jeweils in den 1980er bzw. 1990er Jahren entstanden sind und sich bis heute in einem breiten Sektor der Gesellschaft etabliert haben.111 Der zweite Diskurs berücksichtigt andere Faktoren im Konfliktverlauf und ordnet ihn in einem erweiterten Zeitraum ein. Beispielsweise sucht er nach Erklärungen für die Bildung subversiver Gruppierungen. Geringe Aussichten auf Entwicklungsmöglichkeiten der Bevölkerung in den ärmsten Provinzen Perus, in den Andenregionen und in den Amazonasgebieten hatten zu einer wachsenden Unzufriedenheit geführt, die von den radikalisierten Gruppen instrumentalisiert wurde. Diese Vision impliziert eine gewisse Mitverantwortung des Staates aufgrund der jahrelangen Vernachlässigung bestimmter Bevölkerungsschichten. Im Gegensatz zum ersten Erinnerungsdiskurs wird hier festgestellt, dass es in Peru einen schmutzigen Krieg gab, in dem der Staat und seine Streitkräfte im Kampf gegen den Terrorismus den Rechtsstaat außer Acht ließen und teilweise systematisch Menschenrechtsverletzungen begingen. Nachdem Abimael Guzmán gefasst worden war, nahmen die Terroranschläge deutlich ab, was einerseits in der Wahrnehmung vieler Peruaner als „das Ende des Terrorismus“ galt und gleichzeitig Alberto Fujimori zur Hauptfigur in der Niederlage des Terrors machte. Dass Fujimori mit der Rechtfertigung der Sub111 Vgl. Del Pino, Ponciano: Presentación. Memorias para el reconocimiento. In: Degregori u. a. 2015, S. 15.

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versionsbekämpfung das Parlament 1992 aufgelöst hat, erhob ihn andererseits beinahe in die Kategorie eines Diktators. Diese Haltung wird vor allem von Menschenrechtsorganisationen, Opfervereinen und den linksorientierten Eliten vertreten. Diese werden aufgrund dessen oft von den Vertretern anderer Positionen als „pro terroristas“ bezeichnet. Diese komplexen und gegensätzlichen Diskurse sowie die Tatsache, dass Sympathisanten des „Fujimorismo“ eine starke politische Macht im Parlament für die Periode 2016–2021, im politischen Leben sowie in der Gesellschaft generell bilden, war eine problematische Angelegenheit für die Verantwortlichen der Implementierung und Konzeption der Dauerausstellung. Die schwere Kritik, der sowohl die Fotoausstellung, die CVR und schließlich auch der Lugar de la Memoria ausgesetzt waren, erschwerte die Arbeit der Museumskommissionen und ist ein Zeichen der Intoleranz und der Gleichgültigkeit gegenüber den Opfern. Das gilt auch für das mangelnde Interesse seitens des Staates, den LUM mit einem adäquaten Budget und mit Ressourcen zu versehen. Wie schwierig es war, mit solchen Voraussetzungen umzugehen, wurde in Kapitel 5 bereits erwähnt. Dennoch ist der Lugar de la Memoria trotz aller Hindernisse heute Realität.

6

Ausstellungsanalyse: Konzepte, Inszenierungen und Narrative

In Kapitel 6 untersuche ich die Museen bzw. ihre Dauerausstellungen genauer. Zunächst konzentriere ich mich auf die Architektur und die Sammlung, um dann den Fokus „nach innen“ zu richten. Allgemein lassen sich Ausstellungen als Präsentation von Objekten einer bestimmten Thematik definieren, die in der Regel aufgrund eines konkreten Anlasses organisiert werden.1 Ziel jeder Ausstellung ist es, mittels ausgewählter Exponate und einer Reihe von Anreizen Verständnis und Aufklärung über bestimmte Zusammenhänge zu ermöglichen. Durch die Auswahl an Exponaten und Themen entsteht allerdings ein gewisser „manipulativer“ Charakter. Werden Objekte musealisiert, verlieren sie ihre ursprüngliche Funktion. Sie stehen mit einer neuen Bedeutung in einem anderen Kontext und werden dadurch verfremdet, um eine neue Signifikanz darzustellen.2 Auf diese Weise rufen Dinge auch Wertzuschreibungen hervor. Insofern sind „Ausstellungen nie objektiv-neutral, sondern es werden ganz bestimmte (Geschichts-)Bilder vermittelt“3, die mit den jeweiligen soziokulturellen und politischen Vorstellungen der Ausstellungsmacher, Initiatoren oder Sponsoren zusammenhängen. Museale Dauerausstellungen sind begehbare Orte für die Veranschaulichung einer konstruierten Welt. Die Konstruktion dieser Welt setzt eine fachliche Beschäftigung mit dem zu behandelnden Thema voraus. Eine Ausstellung bedarf außerdem künstlerisch-ästhetischer Mittel, um die darzustellenden Inhalte und Zusammenhänge für den Betrachter verständlich in Szene zu setzen. Die Räumlichkeiten, die Einordnung eines Objektes in den Raum, das Verhältnis zwischen Beleuchtung und Farben sowie zwischen Ton und Bild, die daraus erzeugte At1 2 3

Vgl. Flügel, Katharina: Einführung in die Museologie. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2005, S.103. Vgl. Schärer 2003, S. 27. Ebd., S. 28.

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mosphäre und nicht zuletzt die Beziehung zwischen Gegenstand, Mensch und Umgebung sind einige der Elemente, die eine Ausstellung ausmachen. David Dean fasst dies wie folgt zusammen: „Designing museum exhibitions is the art and science of arranging the visual, spatial, and material elements of an environment into a composition that visitors move through.“4 Insofern bestehen Ausstellungen aus ästhetischen, didaktischen und theatralischen Elementen, die Gefühle und Assoziationen hervorrufen, aber gleichzeitig Denkprozesse auslösen können. Die künstlerisch-gestalterischen Elemente einer Ausstellung bedienen sich der Fähigkeit der visuellen Künste, Wahrnehmung zu fördern, persönliche Reflexionen in Gang zu setzen, Neugier zu wecken und Emotionen freizulassen.5 Die Konzeption und Gestaltung einer Ausstellung bildet einen umfassenden Themenbereich, deren detaillierte Wiedergabe den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde. Anhand welcher Mittel Inhalte vermittelt werden und wie diese inszeniert sind, sind für diese Studie relevante Fragen, auf die ich in diesem Kapitel eingehen werde. Deswegen sollen die wichtigsten Gestaltungselemente einer Ausstellung – Raum, (Wand-)Text, Licht und Beleuchtung und zusätzliche Elemente – nicht unerwähnt bleiben, da sie für eine umfassende Wirkung der zu vermittelnden Botschaften zuständig sind. Raum: Eine Ausstellung beginnt bereits im Empfangsraum. Dort befinden sich üblicherweise keine Originale, jedoch soll schon dieser Raum für eine angenehme und einladende Atmosphäre sorgen. Denn bereits dort gewinnt der Besucher die ersten Eindrücke der Ausstellung. Um eine Ausstellungsdramaturgie zu erzeugen, sollte der Raumrundgang Höhepunkte aufweisen. Nicht nur durch das Objektarrangement, sondern auch durch die Auswahl der Räumlichkeiten, in denen die Objekte präsentiert werden, können dramaturgische Höhepunkte gesetzt werden, sodass die Spannung und das Interesse während des Museumsbesuchs nicht nachlassen. „Die Raumgestaltung deutet die thematisierte Situation abstrahiert an und entwickelt visuell, sensuell, auditiv und in ihrer Symbolik einen eindringlichen Vorstellungs- und Assoziationskontext.“6 Text: Schriftliches Informationsmaterial, Wandtexte und jegliche Art von Beschriftungen haben großen Einfluss auf die Qualität von Ausstellungen. Ausstellungstexte sind Äußerungen mit spezifischen Aussagen und Deutungen sowie Ausdruck individueller und/oder institutioneller Präsentation in einem bestimm4 5 6

Dean, David: Museum Exhibition. Theory and Practice. London and New York: Routledge 1994, S. 32. Vgl. Flügel 2005, S.106. Scholze 2004, S. 100.

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ten Kontext. In Erinnerungsmuseen werden sie gewiss mit einer bildungspolitischen Botschaft konzipiert. Die Wortwahl spielt bei der Weitergabe dieser Botschaften eine entscheidende Rolle. Nicht nur die inhaltlichen Aspekte spielen bei der Textgestaltung eine Rolle, sondern auch ihre Ästhetik, so Scholze: „Die ästhetischen Anteile von Schrift und Text wirken grundlegend bei der Entscheidung zum Lesen eines Textes mit, denn Ausstellungstexte werden zuerst als Bild wahrgenommen.“7 Das Layout der Wand- und Ausstellungstexte soll daher ansprechend gestaltet werden. Letztendlich entscheiden aber die Ausstellungsdesigner nach ihrem Geschmacksurteil darüber. „Im Idealfall bilden Besucher, Objekte und Beschriftungen eine dreifache Beziehung, die für ein erfolgreiches Museumserlebnis zusammenwirkt.“8 Licht und Beleuchtung: Jeder Raum besitzt eine bestimmte Atmosphäre, die mit seiner Ausstattung, seinen Maßen und seinen Lichtverhältnissen überreinstimmt. Wie die inhaltlichen Schwerpunkte unterstützt auch die Lichtführung die Dramaturgie der Ausstellung in den Räumlichkeiten. Akzente in der Lichtausstattung verleihen Abwechslung, verlängern die Bereitschaft zur Konzentration und fördern das Interesse. Farbe: Die Berücksichtigung von Erkenntnissen der Farbtheorie in Bezug auf die Wirkung der Farben hilft dabei, bestimmte Stimmungen zu erzeugen. Auf diese Weise kann man bestimmen, welche Farben harmonisch miteinander wirken, welche kontrastieren und welche je nach Thema und gewünschtem Effekt besser zueinander passen. Durch eine geeignete Farbgebung und kombination werden beim Betrachter entsprechende Reaktionen und Empfindungen ausgelöst. Gewiss sind diese sozial und kulturell geprägt und mit individuellen Erfahrungen, Assoziationen und Gefühlen verbunden. Ergänzende Ausstellungsmittel: Die ergänzenden Ausstellungsmittel liefern dem Betrachter zusätzliche schriftliche, illustrative und multimediale Informationen. Sie können die Interaktion zwischen Objekt und Betrachter begünstigen und somit die Vermittlung der Objektaussagen und Inhalte unterstützen. Die häufigsten ergänzenden Ausstellungsmittel hat der Museologe Friedrich Waidacher bereits 1996 erfasst.9 Heutzutage haben sich die technischen Möglichkeiten erweitert, aber seine Überlegungen zu ergänzenden Ausstellungsmitteln bilden noch immer 7 8 9

Ebd., S. 134. Vgl. Waidacher: Handbuch der allgemeinen Museologie. 3. unveränderte Auflage. Wien u. a.: Böhlau Verlag 1999, S. 484. Vgl. ebd., S. 474 – 479.

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eine Grundlage für die Museumsarbeit. Dazu zählen zum Beispiel Substitute, die in Form von Maquetten, Reproduktionen, Kopien, Vergrößerungen und Verkleinerungen eingesetzt werden. Wenn aufgrund von Empfindlichkeit oder Zerbrechlichkeit ein originales Exponat nicht ausstellungsfähig, jedoch aussagekräftig ist, werden Substitute als Vertreter für die Originale eingesetzt. Ihre Funktionen sind Erinnerung, Ergänzung, Verbreitung und Ersatz des Originals. Als weitere ergänzende Ausstellungsmittel kann man Bilder nennen, die keine Originale oder künstlerischen Abbildungen sind. Sie dienen als Erklärung, Verstärkung, Ausarbeitung, zum Vergleich sowie als Schmuck. Hierzu zählen beispielsweise Diagramme und grafische Mittel, Pläne, Karten, schematische Zeichnungen, Tabellen und Skalen. Diese Abbildungen befähigen den Besucher zur Orientierung und bieten Anschaulichkeit. Schließlich hat sich die Anwendung von Neuen Medien in den heutigen Museen massiv verbreitet. Diese Formen der Darstellung ermöglichen dem Besucher eine multisensorische Erfahrung (Touch Screen, 3D Präsentationen) und Interaktion. Darüber hinaus zählen audiovisuelle Medien wie Film und Ton mittlerweile zum Standard. Die Ausstellungsgestaltung und ihre Palette an Elementen sind zwar wichtig für die Vermittlung von Botschaften, die konzeptionellen und fachwissenschaftlichen Inhalte sollen dabei allerdings nicht vernachlässigt werden. Kulturhistorische Ausstellungen sind räumliche Entwürfe, die sich mit Geschichte, Kultur und Gesellschaft auseinandersetzen10 und langfristig ausgelegt sind. Für die vorliegende Analyse ist es allerdings erforderlich, sich bewusst zu machen, dass sie nicht nur die aktuellen fachlichen Erkenntnisse über die behandelten Schwerpunkte zu vermitteln versuchen, sondern auch die grundlegenden Richtlinien der Institution möglichst vielen Gesellschaftsmitgliedern zeigen wollen.11 Dauerausstellungen in Museen (oder in einer ähnlichen Kultureinrichtung) beabsichtigen demnach einerseits die Vermittlung von (historischen, politischen, ästhetischen) Inhalten, anderseits die Verbreitung ihrer institutionellen Botschaften, um gewisse Ziele zu erreichen. Dabei werden die aktuellen Diskurse nicht außer Acht gelassen: Als kulturelle Produktionen und Manifestationen der jeweiligen Erinnerungskultur reflektieren Museen exemplarisch die jeweiligen öffentlichen Diskurse über die Vergangenheit und werden infolge geschichtspolitischer, öffentlicher Bedeutungszuschreibungen in einem erinnerungskulturellen Bezugsrahmen verortet. 12 10

11 12

Vgl. Kaiser, Brigitte: Inszenierung und Erlebnis in kulturhistorischen Ausstellungen. Museale Kommunikation in kunstpädagogischer Perspektive. Bielefeld: transcript 2006, S. 183. Vgl. Waidacher 1996, S. 240. Pieper 2010, S. 203.

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Ausstellungen sind in diesem Sinne Orte, „wo Signifikations- und Kommunikationsprozesse stattfinden“13. Die Mischung aus Dreidimensionalität, multisensorischen Erlebnissen und Informationsfluss verfügt über ihr ganz eigenes Zeichen-Bedeutungssystem und stellt daher ein vielschichtiges Kommunikationsmedium dar. Eine Ausstellungsanalyse ist eine Methode, um den Zeichencharakter und den damit verbunden (symbolischen, intendierten, gar versteckten) Gehalt von Ausstellungen herauszuarbeiten. Gerade bei kulturhistorischen Ausstellungen, die Zeitgeschichte behandeln, ist es notwendig, den Bereich der Metakommunikation nicht außer Acht zu lassen. Darunter versteht man, „alle Kommunikationsphänomene, die sich […] auf die der Präsentation zugrunde liegenden akademischen, museologischen, politischen und individuellen Standpunkte“14 beziehen. Hierbei spielen subtile Botschaften und das Instrumentalisierungspotenzial eine wichtige Rolle. In diesem Sinne erlaubt es eine Ausstellungsanalyse außerdem, einen Blick auf die Intentionen der Kuratoren und deren Auftraggeber zu werfen, und hilft dabei, diesen Blick zu schärfen. So wird die Narrative des Subjekts (z. B. des Kurators, der Institution, aber auch der Initiatoren und/oder Sponsoren) begreifbar und unter Umständen kritisch hinterfragbar. Für die Analyse dieser Art von Ausstellungen halte ich eine scharfe Trennung zwischen inhaltlich-diskursiven und gestalterisch-formalen Aspekte für kontraproduktiv. Denn gerade in der Zusammensetzung beider Ebenen kann man die Wechselbeziehungen zwischen diskursiven Absichten und inszenierten Geschichtsdeutungen am besten beobachten. Deswegen richten sich meine Beschreibungen, Darlegungen und Auswertungen auf beide Aspekte. Im Folgenden werden die jeweiligen Dauerausstellungen in Chile und in Peru beschrieben und kommentiert. Ein Rundgang stellt ihre thematischen Schwerpunkte dar und erleichtert zugleich den Lesern eine räumliche Vorstellung. Im Anschluss darauf folgt der Vergleich einzelner Aspekte.

6.1 MUSEO DE LA MEMORIA Y LOS DERECHOS HUMANOS, CHILE Im Januar 2010 wurde das Museo de la Memoria y los Derechos Humanos in der Hauptstadt Santiago eröffnet, welches die Menschenrechtsverletzungen der Militärdiktatur (1973–1990) thematisiert. Es handelt sich um ein monumentales, modernes und speziell zu diesem Zweck errichtetes Gebäude von rund 5600 Quad13 14

Scholze, Jana: Kultursemiotik: Zeichenlesen in Ausstellungen. In: Baur 2010, S. 121–148, hier S. 129. Kaiser 2006, S. 183.

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ratmetern auf drei Ebenen, situiert in einem historischen Viertel im Westen von Santiago. Quinta Normal ist ein kleiner und zentraler Stadtteil der Hauptstadt Santiago, in dem sich viele andere Museen und Kulturzentren befinden, zum Beispiel das Museum für zeitgenössische Kunst oder das Naturgeschichtliche Museum. Das Museo de la Memoria y los Derechos Humanos verfügt über einen eigenen Zugang zur U-Bahn-Station Quinta Normal. Dies bedeutet, dass das Museum sehr gut mit den öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar ist und in die kulturellen und touristischen Rundgänge von Anfang an sehr günstig zu integrieren war. Über 730.000 Menschen haben bislang das Museum besucht, was es zu einem der erfolgreichsten von Chile macht.15 Die Architektur Das Museo de la Memoria wurde von den brasilianischen Architekten Mario Figueroa, Lucas Fehr und Carlos Dias entworfen. Laut den Auswahlkriterien der Jury handelt es sich dabei um ein Projekt, dessen konzeptionelle Grundlage stimmig ist und mit der institutionellen Vision und der Thematik der Menschenrechte im Einklange steht. Außerdem erfülle es am besten die Richtlinien des Wettbewerbs.16 Die Struktur des Baus ist in zwei Lagen unterteilt: Der quer liegende „Barren“ aus Glas und Kupfer, in dem die Dauerausstellung untergebracht ist, und der Unterbau, auf dem diese Konstruktion ruht. Im Untergeschoss befinden sich die Räumlichkeiten für Verwaltungs- und pädagogische Aufgaben, zwei Räume für (erinnerungspolitische) Bildungsarbeit, die Archive, die Fachbibliothek und das Dokumentationszentrum. Der Gegensatz zwischen dem massiven und schweren Sockelkörper und dem luftigen Barren unterstütze, so die Architekten, einen der Ansätze der Einrichtung: Durch das Museumsprogramm generiere ein produktiver Untergrund Kenntnisse und Beziehungen, die dann in den darüber schwebenden Block integriert würden. Dort entstehe dann eine aus Fragmenten bestehende Erinnerung.17 Die Monumentalität des Gebäudes bekräftigt die Intention der Institution, einen dauerhaften Charakter zu enthalten. Der Zentralbau aus durchscheinenden Materialien besteht aus einer großen Metallstruktur (80 Meter lang und 18 Meter 15

16 17

Montes, Rocío: El recuerdo del horror en Chile. In: El País (online) vom 19.01.2015. http://cultura.elpais.com/cultura/2015/01/19/actualidad/1421682236_835610.html (abgerufen am 12.10.2017). Vgl. Museumskatalog des Museo de la Memoria, S. 34. Vgl. Figueroa, Mario/Fehr, Lucas/Dias, Carlos: Museo de la Memoria Santiago, 2010. In: Revista ARQ, Journal der Fakultät für Architektur der Pontificia Universidad Católica de Chile, Santiago, Nr. 81, August 2012, S. 28–35, hier S. 32.

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breit), die das natürliche Licht in den Innenraum dringen lässt. Das Material Glas deutet einerseits Klarheit und Transparenz an. Die Enthüllung der „Wahrheit“ und das „Ende des Finsternis“ sollen durch dieses Material symbolisiert werden. Für Michael Lazzara, Professor für Lateinamerikanische Kultur und Literatur der University of California, soll auf diese Weise die Zeit der Verleugnung beendet und die Verbrechen der Diktatur der Öffentlichkeit gezeigt werden.18 Andererseits interpretiere ich das Material Glas als Sinnbild für die Zerbrechlichkeit der Erinnerungen. Diese Zerbrechlichkeit zeigte sich leider nicht nur symbolisch, sondern in der Tat musste das Museum aufgrund des starken Erdbebens vom 27. Februar 2010 seine Türen für einige Monate schließen, um die Schäden zu reparieren. In einem Land wie Chile, wo Erdbeben keine Seltenheit sind, ist die Wahl von Glas als Hauptmaterial des Museums sehr gewagt. Aber es war sicherlich weder ein Zufall noch Dilettantismus, denn in dieser Art von Museen sind symbolische Andeutungen Teil der Programmatik. Um durch den Lichteinfall verursachte Schäden an den Ausstellungsobjekten zu vermeiden, wurde der Zentralbau mit smaragdgrünen Kupferfolien überzogen. Die Kupfergewinnung ist in Chile die wichtigste Quelle des Nationaleinkommens und stellt in der chilenischen Gesellschaft ein Identitätsmerkmal dar. Die Verwendung dieses Rohstoffes als Baumaterial steht für Integration und nationale Identität. Es soll ein Symbol der Vereinigung repräsentieren, unabhängig von ideologischen oder politischen Spaltungen.19 Material und Baustoff werden somit zu Symbolträgern. Paradoxerweise sind die Metallstrukturen der Glasfassade in asymmetrischen, diagonalen Bruchstücken komponiert, was den Eindruck von Spaltungen und Fragmentierungen vermittelt – beides Eigenschaften, die sich beim Thema memoria auch mit der chilenischen Gesellschaft in Verbindung bringen lassen. Die Sammlung Das wesentlichste Kulturgut des Museo de la Memoria ist seine Sammlung. Der Großteil der Museumssammlung besteht aus Dokumenten, die von Menschenrechtsorganisationen und kirchlichen Vereinen aufbewahrt und nun zu diesem Zweck gespendet wurden: von Gerichtsakten bis hin zu Berichten internationaler Organisationen, privaten Objekten und Beweisstücken, die während der Diktatur und nach ihrem Ende gesammelt wurden. Im Untergeschoss des Gebäudes werden diese Dokumente aufbewahrt. Die Archive bestehen aus mündlichen und schriftlichen Quellen, aus juristischen Dokumenten, Plakaten, literarischen und 18 19

Vgl. Lazzara, in: A Contracorriente 2011, S. 55–90, hier S. 65. Vgl. Richard 2010, S. 265.

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künstlerischen Produktionen, schriftlichen und audiovisuellen Medien aus Presse und Radio, dokumentarischen Filmen und Fotografien sowie Fiktionsfilmen. Außerdem zählt zum Ausstellungsfundus des Museums Material aus privater Herkunft, etwa Erinnerungsstücke und Briefe von ehemaligen Gefangenen oder Angehörigen von Ermordeten und von Verschwundenen. Die Dauerausstellung des Museums besteht aus mehr als 40.000 Ausstellungsstücken und Dokumenten auf verschiedenen Medien und in verschiedenen Formaten, die über einen innovativen Film- und Tonansatz von der Handlungsweise des repressiven Staatsapparats Zeugnis geben. Das Museo de la Memoria sieht sich selbst als einen dynamischen und interaktiven Ort, der eine Dezentralisierung durch eine Verbreitung seiner Aktivitäten im ganzen Land anstrebt. Deswegen werden regelmäßig Wanderausstellungen im Landesinneren gezeigt, für deren Zwecke Stücke aus der Sammlung verwendet und Teile der Dauerausstellung in zusammengefasster Form modifiziert werden.20 Ein Großteil des aufbewahrten Materials ist über das Dokumentationszentrum des Museums im Untergeschoss verfügbar. Das CEDOC (Centro de Documentación – Dokumentationszentrum) hat eine große Menge an Dokumenten digitalisiert, die ständig erweitert wird und online zur Verfügung steht. Die Fachbibliothek, die über Arbeitsplätze, Computer und Internet für interessierte Besucher verfügt, bietet Zugang zu digitalen Quellen, Büchern und Ausstellungskatalogen. Außer den Mitarbeiterbüros befinden sich in diesem Bereich zwei weitere Räume für Workshops sowie eine Fläche, die für kleinere temporäre Ausstellungen genutzt wird. An dieser Stelle möchte ich einen Überblick über die vielfältigen Stiftungen und Projekte, die repräsentativ für den Widerstand in Chile waren. Sie sind nur ein Teil des großen Spektrums an gesellschaftlichen Initiativen, die damals innerhalb und außerhalb Chiles entstanden, um die Opfer zu unterstützen und die Rückkehr zur Demokratie zu fördern. Diese Organisationen zeugen von dem Engagement vieler Chilenen und Sympathisanten trotz der schwierigen Umstände.21 Ihre Dokumente sind Hauptbestandteil der Sammlung des Museo de la Memoria.

20

21

Interview mit María Luisa Ortiz, Leiterin des Bereichs „Sammlungen und Forschung“ des Museo de la Memoria y los Derechos Humanos am 14.03.2014 in Santiago. Die folgenden Informationen über die hier beschriebenen Organisationen entstammen aus einem internen – nicht veröffentlichten – Dokument, das mir während meines Forschungsaufenthaltes in Chile von der Leiterin des museumspädagogischen Bereichs ausgehändigt wurde. Vgl. Dávila, Míreya: Relato. Museo de la Memoria y los Derechos Humanos (1973–1990). Construyendo Puentes. Santiago 2008, S. 52– 58.

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Vicaría de la Solidaridad: Die katholische Kirche erfüllte in Chile eine besondere Funktion während der Diktatur, auch wenn teilweise ihre Einstellung ambivalent war. Viele katholischen Chilenen waren von dem Putsch und den repressiven Maßnahmen der Militärdiktatur zunächst überzeugt. Die offizielle Haltung der Kirche war anfangs eher zurückhaltend, manche Geistliche waren zunächst konform, manche sogar willfährig. Doch kurze Zeit nach dem Putsch gründete Kardinal Silva Henríquez das Comité de Cooperación para la Paz (Kooperationsausschuss für den Frieden). Das Komitee bot Hilfe in juristischen Angelegenheiten sowie psychologische und moralische Unterstützung an. Nicht nur Gläubige, sondern all diejenigen, die Hilfe brauchten, trafen dort zusammen. Es stand zum einen den Verwandten der Opfer als moralische Instanz bei, zum anderen beriet sie diese in juristischen Fragen. Angesichts der hohen Anzahl an Katholiken im Land genoss diese Institution großen Respekt, und ihre Arbeit wurde meistens von der Diktatur toleriert. Als das Comité aufgrund angespannter Verhältnisse mit der Junta schließen musste, gründete der Kardinal am 1. Januar 1976 die Vicaría de la Solidaridad (Vikariat der Solidarität). Mit der Unterstützung der katholischen Kirche – die Institution hatte sogar ihren Sitz gleich neben der Kathedrale – konnte sich die Vicaría in gewissem Maße der Diktatur widersetzen bzw. ihre Arbeit einigermaßen ungestört weiterführen. Nichtsdestotrotz kam es immer wieder zu Konfrontationen. FASIC: Die Fundación de Ayuda Social de las Iglesias Cristianas (Stiftung für soziale Hilfe der Christlichen Kirchen) wurde 1975 gegründet. Sie war eine ökumenische Organisation, deren Ziel es war, (politischen) Gefangenen und ihren Familien Beistand zu leisten. SERPAJ: Der Servicio de Paz y Justicia (Dienst für Frieden und Gerechtigkeit) konstituierte sich im November 1977 und ist heute in elf lateinamerikanischen Ländern aktiv. Seine Aufgabe bestand darin, die Menschenrechte zu schützen und die gewaltfreie Konfliktlösung anhand von Bildungsprogrammen und Solidaritätskampagnen zu fördern. Comisión Chilena de Derechos Humanos: Ende 1978 wurde die Chilenische Kommission für Menschenrechte von Rechtsanwälten gegründet. Der Hauptzweck der Kommission war es, die Menschenrechtssituation in Chile zu dokumentieren. Diese Kommission arbeitete in Santiago und kooperierte auch mit anderen nationalen und internationalen Organisationen.

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PIDEE: Die 1979 gegründete Fundación para la Protección a la Infancia Dañada por los Estados de Emergencia (Stiftung zum Schutz von durch Belagerungszustände geschädigten Kindern) richtete ihre Aufgaben auf die von der Repression betroffenen Kinder und Jugendlichen sowie auf ihre Familien und leistete soziale, pädagogische und psychologische Betreuung. CODEPU: Die Corporación de los Derechos del Pueblo (Gesellschaft für Förderung und Schutz der Rechte des Volkes) wurde 1980 von Persönlichkeiten des politischen Linksspektrums mit dem Ziel gegründet, für Menschenrechte und Demokratie zu kämpfen. Ihre Aktivitäten richteten sich vor allem auf die politischen Gefangenen und Folteropfer, welche sie mit Rechtsberatung und medizinischer Versorgung unterstützten. Nach dem Ende der Diktatur konzentriere sie ihre Aufgaben auf Aktivitäten, die die Wahrheitssuche und die Gerechtigkeit garantieren sollten. Teleanálisis: Dieses unabhängige und damals illegale Berichterstattungsprojekt wurde während der Diktatur in den 1980er Jahren gegründet. Hauptaufgabe von Teleanálisis war es, relevante Ereignisse sowie Zeugenaussagen auf Video zu dokumentieren. Der Vorplatz Rund um das Gebäude liegt die sogenannte Plaza de la Memoria, die mit ihren Zuschauerrängen ideal für verschiedene Aktivitäten ist. Das Museum hat ein reichhaltiges kulturelles Angebot: Auf dem großen Vorplatz und im Auditorium finden Konzerte, Theaterinszenierungen, Filmvorführungen, Konferenzen, Buchpräsentationen, temporäre Ausstellungen und andere Veranstaltungen statt. In diesen Bereich wurden außerdem weitere kleine „Gedenkstätten“ und Gedenkinschriften integriert. Dazu gehört die Arbeit des chilenischen Künstlers Jorge Tacla. Seine Wandinstallation namens Al mismo tiempo, en el mismo lugar soll eine Hommage an den Musiker und Theaterregisseur Víctor Jara sein, der 1973 im Estadio Chile (heute Estadio Víctor Jara) ermordet wurde. Er schrieb während seiner Gefangenschaft im September 1973 ein letztes Gedicht, das stückweise von seinen Haftkollegen nach außen getragen wurde. Danach erhielt es seine Witwe, Joan Jara. Tacla ließ Zitate dieses Gedichts auf Metallplatten mit Reproduktionen des Stadions fragmentarisch an der Wand verschweißen. An dieser

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Arbeit nahmen sowohl Künstler als auch Schweißer teil, um, so der Künstler, eine Querbeziehung zwischen den Berufen herzustellen.22 Alfredo Jaar: La Geometría de la Conciencia In der Mitte des Platzes befindet sich unterirdisch die Arbeit des Künstlers Alfredo Jaar23, La Geometría de la Conciencia (Die Geometrie des Gewissens). Es handelt sich um eine Lichtinstallation, die mit der räumlichen Erhebung und der Transparenz des Museumsgebäudes architektonisch kontrastiert. Nach einem sechs Meter tiefen Abstieg betritt der Besucher (bzw. eine begrenzte Anzahl an Besuchern) ein geschlossenes Gehäuse, in dem er zunächst 60 Sekunden lang in absoluter Dunkelheit und Stille gelassen wird. Am Anfang kann der Besucher das Werk also nicht betrachten, sondern nur begehen. Das anfängliche Fehlen von visuellen Impulsen regt den Besucher dazu an, zunächst eine anderweitige sinnliche Wahrnehmung im Raum zu erproben. Eine Minute später beginnt sich der Raum langsam aufzuhellen. Zu sehen sind dann 500 Silhouetten im Stil von Passbildern, die nebeneinander angeordnet sind und intensiv weiß vor einem schwarzen Hintergrund leuchten. Ein Museumsbegleiter erklärt, bevor man die Installation betritt, dass die Porträt-Silhouetten sowohl von Opfern der Diktatur als auch von zeitgenössischen Chilenen vom Künstler selbst aufgenommen wurden. Da es auf beiden Seiten des Raumes Spiegel gibt, wirken diese Porträts endlos, und gleichzeitig wird der Besucher mit seinem eigenen Spiegelbild Teil der Inszenierung. In diesem Sinne betont der Künstler, dass diese Gedenkstätte sich im Gegensatz zu den meisten anderen nicht exklusiv an die Opfer, sondern an die ganze chilenische Gesellschaft richtet: „This is a monument for 17 million Chileans alive and dead.“24 Bevor die Türen wieder geöffnet werden, bleibt der Besucher eine weitere Minute im Dunkeln. Die Porträt-Silhouetten bleiben noch auf der Retina, 22 23

24

Vgl. http://ww3.museodelamemoria.cl/exposiciones/al-mismo-tiempo-en-el-mismolugar/ (abgerufen am 12.10.2017). Alfredo Jaar (Jahrgang 1956) ist einer der berühmtesten chilenischen Künstler mit internationaler Anerkennung. Die renommiertesten Ausstellungen und Museen weltweit haben seine Arbeiten gezeigt. Beispielsweise stellte er auf der Documenta 8 und 11 in Kassel aus und hat Chile auf der Biennale in Venedig zweimal vertreten (2007 und 2013). Er widmet sich in seinen künstlerischen Auseinandersetzungen oft politischen Themen. Diesbezüglich äußert er sich wie folgt: „El arte que no es político, es decoración.“ („Kunst, die nicht politisch ist, ist nur Deko.“). La Geometría de la Conciencia war das erste ortsbezogene Projekt des Künstlers für Chile, seitdem er das Land 1980 verlassen hatte. Er lebt und arbeitet in New York. Jaar, Alfredo: Models of Thinking. Alfredo Jaar interviewed by Kathy Battista. In: Art Monthly 342, Dez.–Jan. 10–11. Online verfügbar unter: http://www.artmonthly. co.uk/magazine/site/article/alfredo-jaar-interviewed-by-kathy-battista-dec-jan-10-11 (abgerufen am 12.10.2017).

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auch wenn sie eigentlich schon in der Dunkelheit verschwunden sind; zumindest der Abglanz dauert für eine kurze Zeit an, bis auch er vergeht. Dadurch besitzt die Installation eine performative Komponente. Doch es bleibt nicht nur auf der körperlichen Ebene, auch an die Gefühle der Besucher wird appelliert. Mit der Zusammensetzung von Dunkelheit und Licht, welche physische und auch emotionale Anreize hervorrufen, thematisiert der Künstler das Verschwindenlassen sowie die An- und Abwesenheit. Die Zeit des Verweilens in der unterirdischen Gedenkstätte ist im Gegensatz zum Museum an sich begrenzt, wo die Verweildauer nur durch die Öffnungszeiten bestimmt wird. Das macht diese räumliche Erfahrung zeitlich kurzlebig, aber die Eindrücke sind durch die ästhetische Erfahrung womöglich nachhaltig. Die Assoziation mit den desaparecidos ist gegeben: zum einen aufgrund der unmittelbaren Verbindung zwischen der Gedenkstätten-Installation und dem Museo de la Memoria und zum anderen, weil Bilder in ähnlichem Format oft von den Menschenrechtsbewegungen und Angehörigen von Opfern in Chile und darüber hinaus in ganz Lateinamerika bei unterschiedlichen Aktivitäten eingesetzt werden. Silhouetten sind zudem ein Sinnbild für die Verschwundenen auf dem Kontinent.25 Der Künstler selbst behauptet: „Ich präsentiere weder die Diktatur, noch ihre Opfer, sondern ich stelle mir eine neue Beziehung zwischen Chilenen vor.“26 Auf der anderen Seite des Vorplatzes, die auf die Straße Catedral hin ausgerichtet ist, sind in eine Wand alle 30 Artikel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte eingraviert. Der Weg von dieser Straße zum Museumseingang führt daran vorbei. Menschenrechte sind Grundrechte, die unabhängig von Staatsangehörigkeit, Religion, Abstammung und Geschlecht allen Menschen weltweit zustehen. Staaten, die der UNO beigetreten sind, sind verpflichtet, deren umfassende Anerkennung zu garantieren. Es besteht daher ein universaler Konsens über ihre Legitimität. Das Museum gründet seine Reflexion und die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit auf diese Allgemeingültigkeit und versteht die Achtung der Menschenrechte als eine universale Verantwortung. 25

26

Zu den historischen Hintergründen dieses Sinnbildes siehe: Longoni, Ana: El Siluetazo. Künstlerisch-politische Praktiken der städtischen Intervention in der argentinischen Menschenrechtsbewegung. In: Birle/Gryglewski/Schindel 2009, S.169–180. Auch in Chile wurden während der Diktatur Silhouetten bei Demonstrationen verwendet. „No presento la dictadura ni sus víctimas, sino que imagino una nueva relación entre chilenos“. Originalzitat des Künstlers aus der Zeitschrift La Tercera: Marín, Graciela: Museo de la Memoria: las obras de arte del proyecto estrella del Bicentenario. In: La Tercera (online) vom 27.12.2009. http://www.latercera.com/noticia/museo-de-lamemoria-las-obras-de-arte-del-proyecto-estrella-del-bicentenario/# (abgerufen am 12.10.2017).

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Der universale Charakter der Menschenrechte wird von der Institution im Eingangsbereich noch einmal betont. Der Besucher wird mit mehreren kleinen Fotos konfrontiert, auf denen Abbildungen von verschiedenen bewaffneten Konflikten und deren Opfern aus aller Welt zu sehen sind. Zusammengesetzt bilden sie eine Weltkarte. Darunter sind 30 Infotafeln platziert, die über Wahrheitskommissionen in anderen Ländern Auskunft geben. Gegenüber werden drei Exemplare der Berichte der chilenischen Wahrheitskommissionen in einer Vitrine präsentiert. Auf diese Art und Weise will das Museum die internationale Erinnerungsarbeit der Völkergemeinschaft würdigen. Gleich danach wird das eigene nationale Bemühen präsentiert: Man sieht auf dem Boden eine Darstellung der chilenischen Landkarte aus Stein, auf der Plakate mit Abbildungen der lokalen Gedenkstätten platziert wurden. Auf einem interaktiven Bildschirm kann man ausführlichere Informationen über die nationalen Gedenkstätten abrufen. Somit macht das Museum deutlich, wo sein Ursprung liegt. Im Eingangsbereich sind zudem zwei Tafeln angebracht. Auf der ersten findet sich ein Zitat aus der Rede der Präsidentin Bachelet anlässlich der Museumseröffnung: „No podemos cambiar nuestro pasado. Solo podemos aprender de lo vivido. Eso es nuestra responsabilidad y nuestro desafío“ (Wir können unsere Vergangenheit nicht ändern. Wir können nur aus dem Erlebten lernen. Das ist unsere Verantwortung und unsere Herausforderung). Die zweite Tafel ist ein Hinweis darauf, dass das Museum auf den drei Berichten der chilenischen Wahrheitskommissionen basiert. Die obengenannten aufgeschlagenen Exemplare begleiten den Text. Dieses Thema wurde bereits im Kapitel 5 behandelt. Es ist aber an dieser Stelle trotzdem noch einmal erwähnenswert. Die Institution verdeutlicht hiermit ihre diskursiven Rahmenbedingungen und legt dar, wie fest diese Konturen umrissen sind. Die Lateinamerika-Historiker Steve Stern und Peter Winn behaupten diesbezüglich, dass beide Tafeln „die Mutterschaft [gemeint ist die Impulsgeberin Bachelet] des Museums, seine Legitimität und seine Beschränkungen“27 unterstreichen. An der Treppenwand, die vom Erdgeschoss in die erste Etage führt, sieht man eine Collage mit Fotos von Demonstrationen aus der Zeit der Unidad Popular (Abbildung 1). Zu betonen ist, dass eine Collage eine bewusste Komposition von Fragmenten unterschiedlicher Herkunft ist, die dann ein neues Ganzes, eine neue Einheit bilden. Dies bedeutet, dass die Kuratoren sich mit Absicht genau diese Bilder ausgesucht haben, um einen bestimmten Eindruck zu vermitteln. Unter den Demonstranten erkennt man die Figur von Víctor Jara, der nicht nur ein beliebter Musiker und Theaterregisseur ist, sondern auch Mitglied der Kom27

„Juntos, subrayan la maternidad del museo y su legitimidad y limitaciones“. In: Stern/Winn 2013, S. 352.

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munistischen Partei Chiles war und deswegen unmittelbar nach dem Putsch von der Militärjunta ermordet wurde. Er stellt also eine Identifikationsfigur für viele Chilenen dar. Aus einem Lautsprecher hört man Stimmen mit Parolen für und gegen die Regierung. Die Bilder zeigen jedoch hauptsächlich Sympathisanten der Regierung Allende, die auf der Straße jubeln, darunter lachende Kinder. Diese Collage ist praktisch die einzige bildliche Darstellung der Zeit vor dem Putsch in der gesamten Dauerausstellung. Im Gegensatz dazu wird der Tag des Putsches sehr ausführlich dargestellt und gleich am Ende der Treppe im ersten Stockwerk thematisiert. Geht man die Treppe in Richtung Dauerausstellung hinauf, vermischen sich Lärm und Trubel der Proteste mit den Tonaufnahmen von den Flugzeugen, welche den Regierungspalast bombardierten. Zu den Geräuschen kommen die Bilder des Terrors gleich hinzu. All diese Sinneseindrücke bilden einen emotionalen Einstieg in das Museo de la Memoria. Ein Rundgang durch die Dauerausstellung In der Dauerausstellung werden die Entwicklungen vom Tag des Putsches bis hin zur Institutionalisierung der Diktatur durch eine neue Verfassung, die Geschichte des nationalen und internationalen Widerstands und des erzwungenen Exils sowie der Kampf um Gerechtigkeit und die Rückkehr zur Demokratie behandelt. Once de Septiembre Die Dramaturgie des Museo de la Memoria in Santiago fängt mit dem Saal Once de Septiembre an. An diesem Tag des Jahres 1973 puschte das chilenische Militär unter der Leitung von General Augusto Pinochet gegen die demokratisch gewählte sozialistische Regierung Salvador Allendes. Das Militär bombardierte mittags den im Zentrum Santiagos stehenden Regierungspalast, bekannt als La Moneda. Seitdem stellt La Moneda nicht nur das politische Zentrum Santiagos, sondern zugleich den symbolischsten Ort für den Staatsstreich vom 11. September 1973 dar. Die Bilder des bombardierten Regierungspalastes wurden zu Sinnbildern der zerstörten Demokratie und sind als solche im kollektiven Gedächtnis Tausender Chilenen geblieben. Auf einem Video-Triptychon aus Archivmaterial sind die Ereignisse des Putschtages gezeigt. Darüber befindet sich ein Zeitstrahl, welcher die Chronologie des Putsches aufzeichnet (Abbildung 12). Zusätzlich sind zwei Objekte links und rechts unter dem Video-Triptychon positioniert. Sie sind die einzigen Originalobjekte in diesem Saal. Es handelt sich um die Überreste einer verbrannten

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Schreibmaschine und eines Schildes des damaligen Innenministeriums. Diese Artefakte sollen vom Ausmaß der Zerstörung zeugen: Museumsobjekte [werden] in chronologischen Präsentationen an der Stelle eingefügt […], wo sie die Erzählungen als Quelle oder Zeugnis legitimieren, die Art der Interpretation begründen oder als dreidimensionales Zeichen in einer meist symbolisch definierten Weise für das Thematisierte stehen.28

Aufgrund des geheimen Charakters vieler Verbrechen und aufgrund des systematischen Versuchs, diese zu vertuschen oder zu minimieren, sind diese Objekte besonders relevant; sie dienen als Beweismittel, als „Reliquien“, als Zeugnisse und als Dokumente einer Zeit. An der gegenüberliegenden Wand sieht man eine auf Glas gedruckte Straßenszene, an der die ersten Repressionsmaßnahmen dargestellt werden, die nach dem 11. September durchgeführt wurden: die Massenverhaftung politischer Oppositioneller (Abbildung 2). Zu sehen sind schwer bewaffnete Militärs bei der Durchsuchung einer Gruppe an eine Wand gestellter junger Männer. In der Mitte des Saals befinden sich sechs auf Podesten freistehende Bildschirme, die relevante Aspekte dieses Tages anhand kurzer Videos aufzeigen. Allerdings sind die audiovisuellen Aufnahmen ohne Erklärung und werden stattdessen von klassischer Musik begleitet, sodass sie für den Besucher eher undefiniert bleiben. Nur ein Video enthält den passenden Ton. Es handelt sich um die über Radio Magallanes gesendete letzte und sehr emotionale Rede des Präsidenten Allende an die chilenische Bevölkerung aus dem Regierungspalast, bevor er Selbstmord beging. Die Wahrnehmung des 11. Septembers hat sich im Laufe der Zeit immer wieder verändert. Da nach Ansicht der Militärjunta das Land an jenem Tag von der subversiven kommunistischen Bedrohung befreit wurde, wurde er zunächst als „Tag des nationalen Neubeginns und eine zweite Unabhängigkeitserklärung“ dementsprechend inszeniert und gefeiert.29 1980 erklärte Pinochet den 11. September offiziell zum Nationalfeiertag mit dem Beinamen „Feiertag der nationalen Befreiung“30. Doch für die Regimegegner war dieses Datum schon immer mit Trauer verbunden; sie organisierten Gegenveranstaltungen und Massendemonstrationen. Für den Menschenrechtssektor blieb der 11. September Symbol einer politischen und menschlichen Katastrophe. Immer wieder kam und kommt es an diesem Tag zu Eskalationen, jedes Jahr wird die politische Polarisierung 28 29

30

Scholze 2004, S. 106. Rinke, Stefan: Der 11. September als komplexer Erinnerungsort. In: Krämer, Michael u. a. (Hrsg.): Erinnerung macht Gegenwart. Jahrbuch Lateinamerika. Analysen und Berichte, Bd. 32, Münster: Westfälisches Dampfboot 2008, S.76–87, hier S. 79. „Día de la Liberación Nacional“. Vgl. ebd., S. 80. 1998 hob ein Parlamentsbeschluss den Feiertag offiziell auf.

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des Landes deutlich. Deswegen bezeichnet der Historiker Stefan Rinke den 11. September des Jahres 1973 als „komplexen Erinnerungsort“. Dazu betont er: „Immer wieder wurde vergeblich versucht, eine dieser Versionen als unanfechtbar wahre Erinnerung im öffentlichen Bewusstsein zu installieren.“ 31 Die Version des Museo de la Memoria unterstreicht die fatalen Konsequenzen, die dieser Tag für Chile mit sich brachte. Aber nicht nur für Chile, sondern auch international sorgte der 11. September für Aufregung, und das soll auch im Saal Once de Setiembre seinen Platz finden, denn über die Ereignisse in Chile wurden Nachrichten in aller Welt ausgestrahlt und veröffentlicht. In einem „digitalen Kiosk“ in diesem Saal berichten nationale und internationale Zeitungsartikel und audiovisuelles Material über den Putsch. Dies bekräftigt seine historische Bedeutung. Schließlich sieht man in der Mitte des Saals eine Leinwand mit einer liveÜbertragung (in Echtzeit) von La Moneda (Abbildung 2). Mit den Bildern des restaurierten Regierungspalasts werden die institutionelle Normalität und die aktuelle Demokratie im Land gezeigt. Dadurch erkennt man umso besser den starken Kontrast zwischen dem Leben in der Diktatur damals (Zerstörung, Repression) und dem Leben in einer Demokratie heute (Wiederherstellung der Moneda und ruhige Straßenaufnahmen). Es wird durch die ausgestellten Medien deutlich, dass der Tag des Putsches von Gewalt, Repression, Zerstörung und Ungewissheit geprägt war. Der Museumsdiskurs stellt jedoch nicht infrage, inwiefern die Vermächtnisse der Diktatur die heutige Gesellschaft, das politische und wirtschaftliche System sowie die Justiz möglicherweise geprägt haben. Vielmehr merkt man, dass es eine klare Trennlinie zwischen damals und heute bzw. zwischen Diktatur und Demokratie konstruiert wird. Diese sind ganz klar als Gegenpole dargestellt, und dadurch werden ihre möglichen Verknüpfungen komplett ausgeblendet. Neben dem Saal Once de Setiembre, auf der linken Seite, werden das Ende der Demokratie und die Institutionalisierung der neuen Ordnung anhand von informativen Touchscreens und Fotografien u. a. von Exilanten sowie Verordnungen, wie die Ausgangssperre, und durch Presseausschnitte thematisiert. Die Mehrheit davon wird in Form von Kopien präsentiert; ein Teil wird als Gestaltungsform – zum Beispiel als Druck auf den verglasten Wänden – inszeniert. Von den ersten Maßnahmen der Verfolgung, Überwachung, Manipulation und Zensur wird ebenfalls berichtet. Es folgt die Antwort der internationalen Gemeinschaft, die sich mehrheitlich gegen das Vorgehen der Diktatur manifestiert. Farbenfreudige Plakate von Konzerten oder Kundgebungen in verschiedenen

31

Ebd., S. 86.

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Sprachen, viele davon von im Exil lebende Chilenen organisiert, zeugen von der weltweiten Solidarität mit Chile und vom Engagement der Exilgemeinschaft. Represión y Tortura Schmerz und Trauma sind wesentliche Bestandteile der musealen Narrative, wobei das Opfer im Mittelpunkt steht. Der Saal, der Folter und Repression thematisiert, legt am eindrucksvollsten den Horror der Diktatur offen. Dieser Raum zeigt Informationen über die Opfer, die Foltermethoden, die Folter- und Haftzentren sowie die Orte, an denen Überreste ermordeter desaparecidos gefunden wurde. Einen Höhepunkt dieses Saales bildet die Installation aus einem metallenen Bettgestell und einer Videoinstallation, in der Filmausschnitte mit Überlebenden gezeigt werden (Abbildung 3). Das Bettgestell (Reproduktion) ist eine Andeutung an eine in Lateinamerika verbreitete Foltermethode, die als parrilla (Grill) bekannt ist. Darauf wurden Inhaftierte an Händen und Füßen festgeschnallt und an den sensibelsten Körperteilen durch Elektroschocks gequält, meistens bis zur Ohnmacht. Daraus entstanden lebenslange physische und seelische Folgen. Die Videoaufnahmen berichten von diesen traumatischen, schmerzhaften und brutalen Erlebnissen sowie von den vielfältigen Foltermethoden. Zwölf Monitore sind dafür neben- und aufeinander an einer Wand über dem Bettgestell angebracht. Der dramatische Inhalt der Aussagen („Yo sangraba por el ombligo“ – „Ich blutete aus dem Bauchnabel“/„Sentía que me estaba muriendo“ – „Ich spürte, dass ich am Sterben war“) werden in einer beklemmenden Atmosphäre inszeniert, welche aufgrund der gedämpften Beleuchtung das Gefühl des Entsetzens und der Empörung noch verstärkt. Der Schnitt der Videoinstallation ist dynamisch: Die Zeugenaussagen laufen teilweise parallel, teilweise werden sie ausgeblendet, sodass es ein verwirrter Eindruck entsteht. Die Opfergruppen, die in der Dauerausstellung im Zentrum der Narrative stehen, entsprechen den von den Kommissionen anerkannten Opfergruppen: Ermordete, Gefolterte und Verschwundene. Darüber hinaus wird das Opfer als passives, vom repressiven Staatsapparat geschädigtes Subjekt dargestellt. Die Mehrheit der Opfer, vor allem am Anfang der Diktatur, war Mitglied linker Organisationen. Wenig Beachtung finden ihre politischen und ideologischen Hintergründe, die im Prinzip der Grund dafür waren, warum sie zu Opfern wurden. Nicht erwähnt wird außerdem die Motivation der Täter: Warum war es so wichtig, die Linke zu vernichten? Welche ideologischen, politischen, sozialen und wirtschaftlichen Intentionen standen hinter dieser Strategie? Diese Fragen haben in der Dauerausstellung wenig Beachtung. So auch die persönlichen Erfahrungen anderer Opfergruppen, wie Opfer von Verbannung und Exil aus politischen

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Gründen (mehr als 250.000 Chilenen), die in der ganzen Dauerausstellung weniger präsent sind. Im nächsten Raum trifft man auf eine Landkarte Chiles mit Lichtern, die die mehr als 1132 im ganzen Land verteilten Haftzentren anzeigen. Man muss die Lichter allerdings nicht erst zählen, um sich einen Eindruck vom Ausmaß der Gewalt zu verschaffen. Auffallend in Bezug auf die Ausstellungsgestaltung ist, dass dieses Zimmer besonders gedämpft beleuchtet, eigentlich fast dunkel, ist. Passend zum Schwerpunkt dieses Bereichs wird eine bedrückte Atmosphäre erzeugt. Ein weiterer Raum auf dieser Ebene, welcher den Namen El dolor de los niños (der Schmerz der Kinder) trägt, ist den minderjährigen Opfern gewidmet. Nach offiziellen Angaben wurden 153 Minderjährige getötet, 40 verschwanden und 2200 wurden Opfer politischer Haft oder Folter. 32 Briefe und bunte Kinderzeichnungen an die verhafteten Eltern werden in diesem Saal gezeigt. Auch das Schicksal des jüngsten Opfers der Diktatur, des 13-jährigen Carlitos Fariña, wird anhand einer Kopie eines Zeitungsartikels abgebildet. Ein Video behandelt die Rückkehr eines Kindes aus dem Exil in Schweden und seine Schwierigkeiten, sich in der Heimat der Eltern, seiner neuen Heimat, zu integrieren. Museumsdirektor Ricardo Brodsky meinte in einem von mir geführten Interview, man wolle nicht ausschließlich die Gewalt der Diktatur zeigen und auf diese Weise mehr Publikum anlocken. Das Museum wolle nicht mit „Horrorpädagogik“ agieren. Vielmehr setze das Museum den Akzent auf die Erfahrungen der Opfer und auf diejenigen, die für die Menschenrechte kämpften. 33 Da diese Erfahrungen dennoch sehr traumatisch sind und auch in ihrer ganzen Bandbreite erzählt werden, entsteht trotzdem der tiefe Eindruck, dass die Grausamkeit der Diktatur sich in den Vordergrund drängt. In einem Seitengang sind in einer Vitrine Briefe und Kunsthandwerk von politischen Gefangenen aufgestellt, darunter Zeichnungen über die Geschehnisse, Schmuck, Holzarbeiten sowie die sogenannten soporopos. Diese Puppen aus Stoffresten wurden von Frauen in Haftzentren angefertigt. Im Inneren der Stoffpuppen versteckten sie verschiedene Botschaften, wie die Namen von desaparecidos oder die Namen von zuständigen Offizieren, um diese nach außen zu senden. Alle dort gezeigten Erinnerungsstücke wurden von Opfern und Angehörigen dem Museum gestiftet (Abbildung 4). Im Übrigen spendete Präsidentin Bachelet auch ein privates Stück, das von ihrem Vater während seiner Haft angefer32

33

Die neue Website des Museo de la Memoria bietet einen Rundgang (nicht virtuell) durch die Dauerausstellung, bei dem einige Daten und Informationen anhand von Fotografien über die wichtigsten Themen gezeigt werden. http://ww3.museodelame moria.cl/exposicion-permanente/ (abgerufen am 12.10.2017). Interview Brodsky 2014.

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tigt worden war. Auf der Reliefarbeit aus Kupfer sieht man zwei Hände hinter Gittern, in die er folgende Worte eingravierte: „Estas manos son dolor, son poesía, y amor. De Pa para Ma. Diciembre 1973“ (Diese Hände sind Schmerz, Poesie und Liebe. Vom Pa für Ma. Dezember 1973). Außerdem stiftete Präsidentin Bachelet dem Museum die von ihrem Vater im Gefängnis verfassten Briefe. Demanda de Verdad y Justicia Wegen Repression und Zensur hatten die Angehörigen der Opfer nur sehr eingeschränkte Möglichkeiten, um Wahrheit und Justiz zu fordern. Nichtsdestotrotz stellten Tausende von Familienangehörigen Habeas-Corpus-Anträge, die fast in ihrer Gesamtheit von den damaligen Justizbehörden abgelehnt wurden. Die katholische Kirche, vor allem das Comité Pro Paz (Komitee für den Frieden) und die Vicaría de la Solidaridad (Vikariat der Solidarität), unterstützte die Familien in diesen und in anderen Angelegenheiten. Im Laufe der Zeit wurden immer mehr zivilgesellschaftliche Organisationen gegründet, die sich diesem Kampf anschlossen. In diesem Zusammenhang spielten Frauen eine wichtige Rolle. Die Bewegung Mujeres por la Vida (Frauen für das Leben – eine Frauenbewegung aus Angehörigen von desaparecidos oder Ermordeten) protestierte auf den Straßen mit schwarzen, lebensgroßen flachen Holzfiguren, auf die jeweils der Name eines desaparecido und die Frage Me olvidaste? SÍ o NO (Hast du mich vergessen? JA oder NEIN) geschrieben war. Eine Nachbildung einer solchen Silhouette ist im Museum ausgestellt. Die Agrupación de Familiares de Detenidos Desaparecidos (AFDD – Zusammenschluss von Familienangehörigen verschwundener Verhafteter), in diesem Fall die Frauen unter ihnen, manifestierten ihre Trauer auf eine sehr ausdrucksstarke Art. Ein Video und eine Fotografie weisen auf die sogenannte cueca sola hin. Der Nationaltanz Cueca wird traditionell zu zweit getanzt. Obwohl ihre Begleiter verhaftet oder verschwunden waren, tanzten diese Frauen alleine, aus Protest gegen die Diktatur. Diese symbolische Geste macht die Abwesenheit der (Tanz)Partner umso deutlicher. Während der Feierlichkeiten anlässlich der Amtsübernahme vom Präsidenten Aylwin am 11. März 1990 wurde von der AFDD die Cueca Sola getanzt. Aber auch individuelle Aktionen fanden statt: Mit Hungerstreiks und Aktionen im öffentlichen Raum versuchten einige Familienangehörige, Aufmerksamkeit zu erregen, so zum Beispiel Sebastián Acevedo, dessen Kinder von der Geheimpolizei verhaftet worden waren. Als Zeichen der Verzweiflung und des Protests übergoss er sich mit Benzin und setzte sich in Brand in der Öffentlichkeit. Von diesem Ereignis inspiriert und im Gedenken an dieses Opfer wurde das Movimiento contra la Tortura Sebastián Acevedo (MCTSA – Bewegung gegen Fol-

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ter Sebastián Acevedo) gegründet. Die Dauerausstellung informiert über diese und andere Fälle auf der Grundlage von Foto- und Videomaterialien, Zeitungsartikeln und Wandtexten. Da die Mehrheit der genannten Organisationen ihre Dokumente dem Museum für dessen Sammlung überließen, hat es hierzu an Ausstellungsmaterial nicht gemangelt. Ausencia y Memoria: el Velatón An einem auffälligen Platz des Museums hängen über zwei Stockwerke verteilt Tausende von Schwarz-Weiß-Fotografien der Ermordeten und Verschwundenen – derjenigen, die von der Rettig-Kommission als solche anerkannt wurden – und sind praktisch von allen Seiten des Museums sichtbar (Abbildung 5). Die Opferporträts sind unregelmäßig über die Wand verteilt, an manchen Stellen sind nur schwarze oder weiße Bilderrahmen zu sehen. Das Museum ist sich bewusst, dass die Wahrheitskommissionen, u. a. aufgrund von zeitlichen Fristen oder fehlenden Dokumenten, nicht alle Opfer auflisten konnten. Deswegen bleiben diese Bilderrahmen als Symbol für die Menschen, die nicht in den offiziellen Listen zu finden sind, oder für all diejenigen, die auch indirekt zu Opfern der Diktatur wurden, leer. Auf einem verglasten Balkon, der von elektrischen Kerzen umgeben ist, kann man diese Bilder frontal betrachten. Die Museumspädagogen bezeichnen diesen Raum als „Herz des Museums“. Dort gibt es auch ein Podium mit einem eingebauten Sensormonitor, über den man aus der Datenbank genauere Informationen über das Schicksal der Personen erfahren kann (Abbildung 5). Die Installation mit Kerzen verleiht dem Raum einen Sakralcharakter und zitiert gleichzeitig die sogenannten velatones (Acronym von „vela“: Kerze und „maratón“: Marathon). Bei den velatones handelt sich um einen Gedenkakt für einen oder mehrere tote Menschen, bei dem Kerzen angezündet werden und für die Toten gebetet wird. In Chile wird dieser Akt besonders häufig vollzogen. Lucha por la Libertad Im Laufe der 1980er Jahre organisierten sich immer größere Gruppen der Zivilgesellschaft gegen die Militärdiktatur. Gewerkschafter riefen zu Streiks auf; Studentenbewegungen bildeten sich. Teile der Gesellschaft fingen an, sich zu erheben und ihre Forderungen laut zu äußern. Auch die politischen Parteien formierten sich erneut, um ihre Forderungen nach einer Rückkehr zur Demokratie zu artikulieren. Unabhängige Medien trotzten der herrschenden Zensur. In der Dauerausstellung sind originale Ausgaben der damaligen oppositionellen Flugblätter und Zeitschriften zu sehen. Daneben steht ein Originalexemplar eines Vervielfältigungsapparats, mit dem diese Magazine ihre Ausgaben druck-

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ten. Dazu kommt Filmmaterial von Teleanálisis, in dem die Massendemonstrationen gegen das Regime dokumentiert wurden. Die Repressionen dauerten trotzdem an, doch eine Instabilität der Militärjunta war spürbar. Wenig beachtet bleiben in diesem Kontext die politischen Parteien oder Organisationen, die im Untergrund bewaffneten Widerstand leisteten, wie der linksgerichtete Frente Patriótico Manuel Rodríguez (FPMR – Patriotische Front Manuel Rodríguez). Mitglieder dieser Organisation verübten 1986 ein Attentat auf Augusto Pinochet, das er unverletzt überlebte. Der Fall wird zwar in der Dauerausstellung erwähnt, aber lediglich mit dem Fokus auf die daraus resultierenden harten Repressionsmaßnahmen. Die Tatsache, dass der bewaffnete Widerstand auch andere Attentate verübte, wie Autobomben oder Attentate auf Hochspannungsleitungen, wird nicht genannt. Der FPMR war auch nach dem Ende der Diktatur tätig. 1991 wurde der rechtskonservative Senator Jaime Guzmán von Mitgliedern des FPMR erschossen. Dieser Fall hatte gravierende Konsequenzen für die nachfolgende Erinnerungskultur in Chile, indem er sehr stark instrumentalisiert wurde. Im Museum wird aber nicht darüber berichtet, weil der von den Berichten der Wahrheitskommissionen begrenzte zeitliche Rahmen eine derartige Debatte nicht zulässt. Fin de la Dictadura Bevor man den Bereich über das Ende der Diktatur betritt, findet man kulturelle und künstlerische Ausdrucksformen, von Rockmusik bis hin zu Theaterinszenierungen, die sich auf unterschiedliche Art und Weise mit der Diktatur auseinandersetzen. An einer Wand hängen poppige Plakate von Musikfestivals, Ausstellungen und Filmen. An der Seitenwand sind Originalexemplare von kulturellen Zeitschriften ausgestellt, eine Gedichtsammlung und die Schallplatte von der Cantata de los Derechos Humanos. Die Kantate fand im Jahr 1978 im Rahmen eines von der Vicaría de la Solidaridad organisierten Symposiums in der Kathedrale von Santiago statt. Diese Aktivitäten wurden aber auch Ziel von einschüchternden Maßnahmen wie öffentlichen Bücherverbrennungen, Ausstellungsschließungen oder Beschlagnahmungen von Filmmaterial. Hierzu werden Dokumente der Junta zusammen mit Presseausschnitten gezeigt. Aufgrund der Repression und Zensur mussten viele Aktivitäten im Untergrund stattfinden, oder sie wurden mithilfe der internationalen Gemeinschaft im Ausland durchgeführt. Außerdem findet man auf einem Tisch drei Bildschirme mit Touchscreens und Kopfhörern, welche die Vielfalt der Musikproduktion der damaligen Zeit, u. a. Protestmusik, repräsentieren. Dieser Bereich besteht aus viel buntem und schrillem Material, jedoch gibt es nur wenig Information. Die Mehrheit der Plakate bzw. die darin annoncierten Veranstaltungen bleiben unkommentiert. Die

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Besucher erfahren wenig über die Situation der Künstler oder über die Hintergründe, Resonanz und Folgen solcher Aktivitäten. Im Gegensatz zur ansonsten stark dokument- und textgeprägten Ausstellung fehlt es dort an Auskunft. Im Gespräch gab die Museografin Jimena Bravo zu, dass der Ort mit der Überschrift Cultura überarbeitet werden müsse und dass es dazu Pläne gebe.34 Schließlich wird das Ende der Diktatur thematisiert. In diesem Zusammenhang sind das Plebiszit des Jahres 1988, der Erfolg des NO und der anschließende Sieg der Concertación ein Jahr später zentrale Themen. Mit dem Plebiszit konnte das chilenische Volk entscheiden, ob Pinochet weiter regieren soll oder ob neue demokratische Wahlen durchgeführt werden sollten. Für die Repräsentation des Plebiszits werden mehrere museografische Elemente angewandt. Vor allem aber wird audiovisuelles Archivmaterial wie die TV-Spots beider Kampagnen gezeigt. Die schrille und bunte Kampagne des NO kontrastiert sehr stark mit der traditionellen und patriotischen – fast langweiligen – Kampagne des SÍ. Die Lieder beider Kampagnen begleiten den Besucher in diesem Raum. In einer Vitrine befinden sich zudem die Pin-Buttons für das SÍ und das NO, Originalausschnitte von damaligen Presseartikeln sowie eine Karikatur, die sich gegen die NO-Kampagne richtet. Am Ende der Dauerausstellung sieht man eine Videoaufnahme der emotionalen Rede des neugewählten Präsidenten Patricio Aylwin im Estadio Nacional am Tag nach seiner Amtsübernahme. Hinter dem Flachbildschirm befindet sich an der Wand eine Abbildung des damals anwesenden Publikums mit einer riesigen chilenischen Flagge. Das kann man als Symbol für die Wiederbegegnung der Menschen des Landes in einer neuen demokratischen Ära interpretieren. Mit diesem Ton und mit diesem Bild werden zum einen die Überwindung der Diktatur und das Ende der Menschenrechtsverletzungen deklariert, zum anderen wird der Beginn der Demokratie angekündigt. Das Ganze ist von einem stark triumphierenden Ton geprägt nach dem Motto: „Wir haben zusammengehalten, wir haben zusammen gesiegt.“ Fazit Die Dauerausstellung ist von einer Reihe historischer Meilensteine und Ereignisse geprägt, wobei der Saal zum Thema Folter, die Velatón für die Opfer und der Saal, der das Ende der Diktatur thematisiert, die Höhepunkte der Dramaturgie bilden. Die Narrative sind derart konstruiert, dass die Reihenfolge der Ereignisse fast als natürlich und unvermeidbar erscheint. Wenn man das Museum verlässt, hat man den Eindruck, Chile sei mit den Konsequenzen dieses dramatischen Ka34

Interview Bravo 2012.

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pitels seiner Geschichte erfolgreich umgegangen, sodass das Bild eines, wie Bachelet sagte, „Chile Unido“ entsteht. Doch dieses Bild entspricht leider nicht der Realität. Das Museum konzentriert sich auf emotionale Momente, sowohl auf individueller, als auch auf kollektiver Ebene. Das kann man aufgrund der Themenauswahl (Folter, Schmerz der Kinder) und der gestalterischen Aspekte erschließen. Viele Dokumente, die in den Räumlichkeiten gekonnt arrangiert wurden, zeugen von den repressiven Mechanismen der Diktatur. Museumsdirektor Ricardo Brodsky sagt dazu: „[D]as Museum entschied sich in der Dauerausstellung für eine Balance zwischen Szenen und Objekten, die das Grauen der Erfahrungen greifbar machen und von der Wahrheit des Geschehenen zeugen […].“35 Das Museum fördert dennoch nicht unbedingt ein besseres Verständnis für die möglichen Gründe dieses Grauens. Durch den zeitlichen Rahmen entstehen, wie bereits erwähnt, einige Probleme, die nach der Ausstellungsanalyse noch deutlicher auftreten. Die Nuancen und Grauzonen der Diktatur, aber auch des Widerstandes, werden vermieden. Themen, die durchaus behandelt hätten werden können, selbst wenn man die Zeit vor dem Putsch bleiben außen vor. Denn „[e]ine moderne visuelle Rhetorik des Historischen versucht, die Bilder und Zeichen der Vergangenheit bewusst mit der Gegenwart zu konfrontieren, um damit auf Kontinuitäten wie Diskontinuitäten hinzuweisen“36. Die kreativen und mutigen Aktionen für die Aufdeckung der Wahrheit, für das Erreichen von Gerechtigkeit, Freiheit und Demokratie sind zweifelsohne ein maßgeblicher Teil eines jeden Erinnerungsmuseums. Interessant wäre aber auch gewesen, sich mit der großen Unterstützung der Militärjunta damals seitens eines großen Teils der Zivilgesellschaft auseinanderzusetzen. Die Gründe dafür und das Erbe der Diktatur heute (zum Beispiel die aktuelle Verfassung) wären Themen für die Reflexion gewesen, man hätte somit eine Brücke in die Gegenwart geschlagen. Der Diskurs vermeidet dennoch gesellschaftliche, politische und historische Tabus in Bezug auf den Putsch und seine Folgen. Nicht nur die Zeit vor dem Putsch bleibt unerwähnt, sondern aufgrund der zeitlichen Limitierung (1973–1990) wird auch die Gegenwart nicht hinterfragt. Dabei ist genau das eine der wichtigsten gesellschaftlichen Funktionen eines Erinnerungsmuseums. Es geht „[…] nicht nur um die Entwicklung von Verständnis und Wertschätzung, sondern auch um die Fähigkeit zu Kritik an Erscheinungen der eigenen Epoche und Kultur“37. Dies würde aber bedeuten, dass das Museum sich zum Beispiel 35

36 37

„[E]l Museo optó por equilibrar la exhibición de escenas y objetos que recuperan de manera palpable la experiencia del horror y dan cuenta de la veracidad de lo acontecido […].“ Brodsky 2011, S. 11. Kaiser 2006, S. 68. Ebd., S. 94.

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mit dem Amnestiegesetz und der andauernden Straflosigkeit beschäftigen müsste und somit auch mit der politischen Rolle von Präsidentin Bachelet. Im Museo de la Memoria richtet sich der Diskurs vielmehr auf ein gemeinsames Bewusstsein für die kollektive Verurteilung der Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die in Chile während der Diktatur begangen worden sind. Und auf diese Weise soll das Nunca-Más-Postulat konsolidiert werden.

6.2 LUGAR DE LA MEMORIA, LA TOLERANCIA Y LA INCLUSIÓN SOCIAL, PERU Der Lugar de la Memoria, Tolerancia e Inclusión Social, heute als LUM bekannt, wurde am 17. Dezember 2015 in Lima eröffnet. Diese museumsverwandte Institution thematisiert die 20 Jahre der politischen Gewalt (1980–2000) in Peru. Das Gebäude befindet sich im Viertel Miraflores an der Pazifikküste und hat eine Fläche von 3100 Quadratmeter. Informationen über Resonanz bzw. über Besucherzahlen liegen noch nicht vor. Die Architektur Die Gewinner des Wettbewerbs für das architektonische Projekt für das Lugar de la Memoria sind die peruanischen Architekten Sandra Barclay und Pierre Crousse. Ihr Konzept sah vor, „natürliche mit architektonischen Elementen“ 38 zu verbinden. Das Gebäude ist in die Steilküste Limas eingebettet und ragt dort zwischen den Felsvorsprüngen hervor. Der Lugar de la Memoria, so die Architekten, solle die letzte Klippe in der Reihe bilden und sich so natürlich in die Pazifikküste integrieren.39 Der Entwurf solle außerdem symbolisch eine „Verknüpfung von Trauer und Elend mit dem Motiv der Versöhnung“ 40 darstellen. Nach dem Projektentwurf führt die Ausstellung die Besucher von unten, wo der Schwerpunkt auf der Tragik des Konflikts liegen soll und man von innen nur die nächste Klippe sieht, zu einer höher gelegenen Ebene, die sich zum Himmel und zum Meer hin öffnet. Die Architektur soll dabei durch die Erweiterung des Blickfelds „die Idee von Versöhnung und Befreiung“41 betonen. Doch diese Idee überzeugte das Kuratorenteam nicht. Auch wenn die Museumsarchitektur oft ei38 39 40 41

Aus dem Konzept des Architekturbüros Barclay & Crousse. Das Dokument wurde mir nach Anfrage von dem Architekturbüro ausgehändigt. Interview mit Natalia Iguiñez, Künstlerin und Mitglied des Kuratorenteams des Lugar de la Memoria am 18.01.2016 in Lima. Konzept des Architekturbüros Barclay & Crousse. Ebd.

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ne Vermittlungsfunktion übernimmt42, kontrastierte die von der Architektur vorgegebene Botschaft im Fall des Lugar de la Memoria mit den Ansichten der Kuratoren sehr stark. Wie im Kapitel 5 beschrieben, wurde zunächst das architektonische Projekt fertig gebaut, ohne dabei parallel die Ausstellungskonzeption zu erwägen. Die Ausstellungskonzeption wurde erst danach und mit vielen Variationen und Schwierigkeiten formuliert und schließlich umgesetzt. Anliegen der Kuratoren war, dass der Ausstellungsrundgang nicht als ein abgeschlossener Versöhnungsprozess, beginnend mit einer „dunklen“ Vergangenheit und gefolgt von einer „hellen“ und fast zu optimistischen Zukunft, dargestellt wird. Vielmehr sollte die Dauerausstellung mit offenen Fragen und noch bestehenden Problemen, beispielsweise der Straflosigkeit und Indolenz, enden und so die Besucher zur Reflexion anregen. Im Übrigen stellte die Tatsache, dass das Gebäude so stark von natürlichen Quellen beleuchtet wird, ein großes Erschwernis dar. Das Licht kommt durch die zum Teil offenen Außenwände. Auf der gegenüberliegenden Seite sind die Wände zwar geschlossen, doch dort befinden sich die Treppen, und daher wäre jene Stelle ebenfalls keine ideale Ausstellungsfläche. Innerhalb des Gebäudes gibt es kaum Wände, an die man etwas hängen könnte, was die Arbeit der Museografen besonders erschwert hat. Einer der Kuratoren beschreibt die Architektur deswegen ironischerweise als „arquitectura de playa“ 43 (Architektur eines Strandhauses) und verdeutlicht somit nicht nur die Schwierigkeiten, die so ein Gebäude mit sich bringt, sondern indirekt auch, wie komplex es ist, wenn Architektur und Konzeption so weit auseinanderliegen. Die Sammlung Der Lugar de la Memoria ist eine museumsverwandte Einrichtung, die allerdings keine ausgeprägte Sammlungsaktivität betreibt. Ein schlichter Grund dafür, ist, dass das Gebäude keine Infrastruktur, also keine Räumlichkeiten für die Lagerung von Objekten und Dokumenten besitzt. Außerdem muss man die Lage des Gebäudes berücksichtigen, nämlich die Küste Limas, wo die Luftfeuchtigkeit extrem hoch ist. Den Aufwand sowie die dazugehörigen Kosten und Ressourcen, welche die ordentliche Pflege einer Sammlung erfordert, kann sich die Institution nicht leisten.

42 43

Vgl. Vieregg, Hildegard: Museumswissenschaften. Eine Einführung. Paderborn: Wilhelm Fink Verlag 2006, S. 274. Interview mit dem Historiker Ponciano del Pino, Mitglied des Kuratorenteams des Lugar de la Memoria, am 25.01.16 in Lima.

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Anders als in Chile, wo die Sammlung hauptsächlich aus von Menschenrechtsorganisationen aufbewahrten Dokumenten besteht, fand in Peru keine Kooperation mit den Menschenrechtsorganisationen statt. Die Asociación Nacional de Familiares de Secuestrados, Detenidos y Desaparecidos del Perú (ANFASEP – Nationale Vereinigung der Familien von Entführten, Verhafteten und Verschwundenen), gegründet am 2. September 1983, ist die älteste und vielleicht die prominenteste Organisation von Opferangehörigen. Im Gegensatz zu Chile wurde ihre Arbeit nicht von Anfang an strikt dokumentiert. Nichtsdestotrotz besitzt sie eine große Sammlung an Erinnerungsstücken, Fotografien, schriftlichen Dokumenten wie Briefen und Tagebüchern sowie Kunsthandwerk. Um diese Sammlung der Öffentlichkeit zu präsentieren, gründete ANFASEP 2005 mithilfe des Deutschen Entwicklungsdienstes DED ihr eigenes Museo de la Memoria in Ayacucho.44 Das Museo de la Memoria in Ayacucho behandelt die Zeit der politischen Gewalt aus einer persönlichen und lokalen Perspektive. Die Präsentation des Leids und des Terrors dominiert die Narrative und deren Inszenierung; Trauer und Gedenken stehen im Vordergrund. Außerdem wird die Verantwortung des Staates während des Konflikts deutlich genannt und anhand mehrerer Beispiele dargelegt. Die Einrichtung in Ayacucho befindet sich im zweiten Stockwerk des ANFASEP-Lokals, in dem aktiv erinnerungspolitische Arbeit geleistet wird. Dort finden die legitimen Forderungen nach „verdad, justicia y reparación“ eine geeignete Plattform; dort werden sie gehört. Da es sich bei dem Lugar de la Memoria um ein nationales, mit staatlichen Mitteln finanziertes Projekt handelt, waren die Mitglieder von ANFASEP zunächst erwartungsvoll, jedoch reserviert. Anders als in Chile gab es nicht immer Bezugspersonen innerhalb der Museumskommission, mit denen eine vertrauensvolle Beziehung aufgebaut werden konnte. Da ANFASEP ohnehin über ihr eigenes Museum verfügt, gab es keine Notwendigkeit, mit dem Museum in Lima zusammenzuarbeiten, auch wenn es während des Konsultationsprozesses durchaus Austausch gab. Nichtsdestotrotz hat der LUM ein digitales Archiv über den internen bewaffneten Konflikt vorgesehen. Ziel des Centro de Documentación e Investigación (CDI – Dokumentations- und Forschungszentrum) ist es, eine zentrale Plattform zu bilden, um die große Anzahl an zerstreuten (schriftlichen, audiovisuellen, fotografischen) Dokumenten und Archiven im ganzen Land aufzubewahren, zu systematisieren und öffentlich zugänglich zu machen. Darüber hinaus soll das Publikum für die Relevanz dieses historischen und dokumentarischen Kulturer-

44

Vgl. ANFASEP 2007. Das Buch erzählt die Geschichte der Organisation und sammelt eindrucksvolle Zeugenaussagen der Gewalt.

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bes sensibilisiert werden. Seine Implementierung ist im Gange, und es ist eine permanente Erweiterung vorgesehen.45 Die Dauerausstellung enthält wenige Originalobjekte. Nur an zentraler Position im ersten Stockwerk befindet sich eine Installation mit einzelnen Erinnerungsstücken. Es handelt sich um ein großes, weißes, würfelförmiges Konstrukt, bestehend aus kleinen Kästchen auf allen vier Seiten. Dort können Angehörige von Opfern ein Erinnerungsstück ihrer Wahl der Obhut des LUM als Teil der Dauerausstellung übergeben. Wie lange diese Objekte präsentiert werden dürfen, bleibt den Familienangehörigen überlassen. Ein Rundgang durch die Dauerausstellung Die Dauerausstellung ist auf drei Ebenen verteilt, ebenso wie ihre Narrationsachsen. Die Ausstellung beginnt mit dem Bild einer Bäuerin, die gerade dabei ist, ihre Wahlstimme abzugeben. Das Wahlrecht für Frauen wurde bereits 1955 in der peruanischen Verfassung eingeführt, allerdings nur für Frauen, die lesen und schreiben konnten. Da damals – und nach wie vor – überwiegend arme Frauen aus ländlichen Gebieten von Analphabetismus betroffen waren, konnten nur wenige Landbewohnerinnen dieses Recht in Anspruch nehmen. Erst die neue Verfassung von 1979 sah das Analphabetenrecht vor. 1980 fanden in Peru nach 12 Jahren Militärdiktatur demokratische Wahlen statt. Doch genau einen Tag vor den Wahlen begann Sendero Luminoso seine subversiven Aktivitäten, indem Senderistas Wahlurnen im Dorf Chuschi (Ayacucho) verbrannten. In die Geschichte ist dieser Akt als der Beginn des Konflikts eingegangen. Trotzdem wird in der Dauerausstellung zunächst kein Bild der Zerstörung gezeigt, sondern eine Frau als Staatsbürgerin in der Ausübung ihres politischen Rechts. Allerdings gleich danach, auf der gegenüberliegenden Wand, ist, u. a., die Abbildung einer der ersten Aktionen von Sendero Luminoso in Lima zu sehen. Am 26. Dezember 1980 wurden mehrere tote Hunde hängend an Straßenlampen im Zentrum Limas aufgefunden. Auf dem Bild sieht man, wie ein Polizist auf die Straßenlaterne klettert und versucht, einen dort oben hängenden Hund herunterzuholen. Um diese Ereignisse in einen Kontext einzuordnen, befindet sich gleich zu Beginn der Ausstellung eine chronologische Darstellung des Konflikts mit wichtigen Daten, Fakten und bildlichen Ergänzungen (Abbildung 6). Porträts der Präsidenten Fernando Belaúnde, Alan García und Alberto Fujimori sind zu sehen und darunter Fotos von Terroranschlägen, Fotokopien von Zeitungsartikeln sowie Nachrichten über antisubversive Regierungsmaßnahmen. Auch ohne eine

45

Für mehr Information siehe: http://lum.cultura.pe/cdi/ (abgerufen am 12.10.2017).

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konkrete Erläuterung lässt sich dadurch eine gewisse, zumindest politische, Verantwortung seitens der damaligen Präsidenten ablesen. Die Dramaturgie widmet sich zunächst dem Konflikt und seinen Konsequenzen auf kollektiver Ebene. Im Verlauf wird die Perspektive jedoch immer persönlicher, je näher das Ende des Saals rückt. Sie nimmt dann die Form von individuellen Erzählungen an. Auf diese Strategie gehe ich im Kapitel 7 ausführlicher ein. Im ersten Obergeschoss werden dann anhand freistehender Wandpaneele, Vitrinen, Installationen und Rekonstruktionen sowie audiovisuellen Materials Antworten auf die Gewalt sowohl seitens der Zivilbevölkerung als auch seitens des Staates gezeigt. Am Ende des Saals wird auf die heutige Problematik bezüglich (rechts-)hängiger Angelegenheiten und der Demokratiekonsolidierung eingegangen. Daneben befindet sich ein offener Raum mit Sitzgelegenheiten in halbrunder Anordnung. Dieser Bereich bietet die Möglichkeit für informellen Austausch oder für museumspädagogische bzw. erinnerungspolitische Arbeit. Auf dem Zwischengeschoss, das die erste und zweite Etage verbindet, gibt es eine Fläche für Wechselausstellungen. Die erste dort arrangierte Wechselausstellung war auf vier kleine Räumlichkeiten aufgeteilt. Die ersten drei handelten von verschiedenen Erinnerungsorten in Peru: Das Museo de la Memoria von ANFASEP in Ayacucho, die Casa de la Memoria in Huancavelica und das Museo de la Memoria in Junín. Im letzten Raum wurden von der Comisión de Historia Permanente del Ejército (Ständige Geschichtskommission des Heers) zur Verfügung gestellte Informationen und Objekte gezeigt. Das zweite Obergeschoss soll schließlich den Opfern gewidmet sein. Als Ofrenda (Darbringen, Gabe, Präsent) bezeichnen die Kuratoren diese Ebene. Dort sieht man drei Wandmalereien, die für die drei Regionen des Landes stehen: ein Wandbild vom Taller gráfico shipibo-conibo46 (Urwald, Amazonien) und eine von Josue Sánchez gestaltete Wand (Bergland, Andengebiete), einer der renommiertesten Künstler des zentralen Hochlandes. Das dritte Wandgemälde wurde vom Street-Art-Künstler Decertor aus Lima (Künstlername von Daniel Cortez Torres) konzipiert und ist eine symbolische Repräsentation des gesamten Konflikts. Die Wandbilder umschließen einen runden Raum, in dem ein Film mit diversen Schnitten über verschiedene Festlichkeiten und kollektive Arbeit läuft. Im Inneren des Raumes werden auf schwarzen Wänden die Namen aller bis dato offiziell registrierten Opfer projiziert. Am Ende der Dauerausstellung wird den

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Dabei handelt es sich um ein auf Forschung und zeitgenössische Kunstproduktion orientiertes Projekt über die Ästhetik und Ausdrucksformen der Kené und generell über die Kultur der Ethnie Shipibo-Konibo. Die Künstlerinnen, die an dem Wandgemälde mitgearbeitet haben, sind: Olinda Silvano, Wilma Maynas, Silvia Ricopa und Alejandra Ballón.

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Blick auf den kollektiven Wiederaufbau sowie auf Respekt und Anerkennung für die Opfer gelenkt. Um der Narrative der Dauerausstellung auf den Grund zu gehen, konzentriere ich mich auf punktuelle Themen. Die Auswahl erfolgt aufgrund ihrer historischen sowie erinnerungspolitischen Relevanz. Dabei berücksichtige ich gleichzeitig die Strategien und deren Präsentation. Den internen bewaffneten Konflikt in seiner ganzen Komplexität und Vielschichtigkeit zu präsentieren, ist eine sehr schwierige Aufgabe. Der LUM zeigt daher zunächst exemplarisch drei emblematische Fälle. Der Fall Uchuracchay, der Fall Putis und die Geschichte der Asháninka-Bevölkerung werden anhand von Kopien von (audiovisuellem) Archivmaterial, Presseausschnitten, einigen wenigen Objekten und Videos mit aktuellen Interviews erläutert. An dieser Stelle werde ich die genannten drei Fälle skizzieren und ihre museografische Präsentation durchleuchten. Uchuraccay Die kleine Gemeinde Uchuraccay liegt in der Provinz Huanta, Ayacucho. Am 26. Januar 1983 begab sich eine Gruppe von acht Journalisten auf eine Dienstreise in diese Gegend, um über die Hinrichtungen von sieben mutmaßlichen Senderistas durch Kleinbauern aus einer benachbarten Siedlung zu recherchieren. Den acht Journalisten, ihren Begleitern und einem Siedlungsbewohner ereilte dasselbe Schicksal: Sie wurden von den dort angesiedelten Kleinbauern, so die offizielle Version, mit Terroristen verwechselt und deswegen grausam umgebracht. Da es sich um Journalisten – unter den Opfern waren auch Journalisten aus Lima – handelte, erhielt dieser Fall große Resonanz, sodass der damalige Präsident Fernando Belaúnde eine Untersuchungskommission einsetzte, welche den Hinrichtungen nachgehen sollte. Die vom Schriftsteller Mario Vargas Llosa geleitete Kommission begründete die Tat mit der „Rückständigkeit“ der Bauern. Eine andere Version sieht dagegen eine (indirekte) Intervention der Sinchis (Sondereinheit der Polizei) als möglichen Grund. Wenige Tage vor dem tragischen Vorfall hätten sie den Bauern als Selbstverteidigungsstrategie empfohlen, zu Fuß kommende Fremde zu töten. Denn nur Senderistas kämen zu Fuß, Militärs dagegen mit dem Hubschrauber. Die genauen Umstände sind allerdings immer noch unklar. Nichtsdestotrotz wurden drei Bewohner zu langen Haftstrafen verurteilt.47

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Vgl. CVR. Informe Final: Historias representativas de la violencia. El caso Uchuraccay. Band V, Kap. 2. Online verfügbar unter: http://cverdad.org.pe/ifinal/pdf/TO MO%20V/SECCION%20TERCERA-Los%20Escenarios%20de%20la%20violencia %20%28continuacion%29/2.%20HISTORIAS%20REPRESENTATIVAS%20DE% 20LA%20VIOLENCIA/2.4%20UCHURACCAY.pdf (abgerufen am 14.08.2017).

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Diese grauenvolle Begebenheit hat eine Vorgeschichte, die für ihre Beurteilung von Bedeutung ist. Anfang der 1980er Jahre versuchte Sendero Luminoso, im Hochland neue Anhänger für die Partei zu gewinnen. Aufgrund der Nähe zum Urwald war Uchuraccay strategisch gut gelegen. Die Dorfbewohner jedoch verweigerten die Zusammenarbeit mit der Terrororganisation; Entscheidung, die Monate später zur Ermordung des Dorfvorstehers führte. Als Racheakt und als eine Form der Selbstverteidigung ermordeten daraufhin die Dorfbewohner fünf Senderistas. Der damalige Präsident Belaúnde und Mitglieder der staatlichen Sicherheitskräfte begrüßten das Verhalten der Dorfbewohner und bezeichneten es als „patriotisch“. So wurde der Gewaltzyklus noch beschleunigt. In den folgenden Monaten wurden zahlreiche Bewohner Uchuraccays von Mitgliedern des Sendero Luminoso massakriert, als Rache dafür, dass sie mit dem Militär kollaborierten. Die angerichteten Massaker seitens des Sendero sowie Ausschreitungen und Überfälle der Militärs hatten zur Folge, dass ein Jahr nach der Hinrichtung der Journalisten die Gemeinde verschwand; fast ein Drittel davon war von Senderistas ermordet worden. Die Überlebenden mussten abwandern und ihre Heimat und ihren Besitz verlassen. Ein Gruppenbild sowie die letzten Minuten der Journalisten wurden mit der Kamera von Willy Retto, einem der Journalisten, festgehalten. Dabei ging es um die Bilddokumentation der gescheiterten Verhandlungen zwischen den Journalisten, dem quechuasprachigen Begleiter und den Kleinbauern. Monate nach dem Vorfall wurde Willy Rettos Kamera in der Nähe des Tatortes gefunden, und so kam die Bildreihe ans Licht. Die letzten Aufnahmen, die immer wackeliger, schräger und unschärfer werden, sind Teil der Präsentation im LUM. Die Hintergründe der Aufnahmen machen diese umso besonderer. Sie zeigen einen zeitlichen Verlauf, der dem Betrachter ein Gefühl der Nähe, Glaubwürdigkeit und Authentizität vermittelt. Auf einer Fotografie kann man erkennen, dass ein Kleinbauer ein Seil in der Hand hält, während auf einer anderen man einen Journalisten die Hände hochhaltend sieht, derweil ein weiterer Bauer sich der Szene nähert. Auf einem weiteren Bild sieht man nur die Beine der kleinen Gruppe, wobei ein Mann auf die Knie gegangen ist. Bei einer anderen Momentaufnahme sind alle aufgestanden. Ihre Taschen und Utensilien liegen auf dem Boden. Die Bildreihe wird mit nationalen und internationalen Presseausschnitten begleitet, um die große Resonanz des Falles damals zu verdeutlichen. Außerdem sieht man audiovisuelles Archivmaterial eines Gesprächs zwischen Vargas Llosa, seinem Übersetzer und den Mitgliedern der Gemeinde. Nicht nur die Sprache bildete eine Verständnisbarriere. Ein Beispiel: Man hört einen überforderten Vargas Llosa, der erfolglos versucht, bei der teilweise durcheinander und laut verlaufenden Versammlung um Ruhe zu bitten. Es trafen einfach zwei – oder

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vielleicht sogar mehr – Welten aufeinander. Eine Untersuchungskommission aus Lima einerseits betrachtet die quechuasprachigen „indios“ als unzivilisiert, gewaltsam und unfähig, eine Fotokamera von einer Waffe zu unterscheiden. Ihre Version teilte Peru in: „el Perú profundo“ y „el Perú oficial“. Anders ausgedrückt: In den entlegenden Gebieten Perus wohnen Menschen, die noch sehr primitiv denken und teilweise gewaltätig handeln und komplett von der modernen Welt abgrenzt leben. Die Vision bzw. Erklärung der Kommission für die tragischen „Missverständnisse“ in dem Fall Uchuraccay gilt heute allerdings als überholt. Die Angehörigen der Journalisten anderseits machen vor allem das Militär verantwortlich: Hätte es das Letztere den Kleinbauern nicht den Befehl erteilt, fremde Besucher zu töten, hätten die Bauern dies auch nicht getan. Bei dieser Version wird dennoch angedeutet, dass die Kleinbauern urteilsunfähig und nicht für ihre eigenen Taten verantwortlich sind, sondern nur auf Kommando agieren. Dass die Hintergründe viel komplexer sind, haben einige (anthropologische) Studien gezeigt, die erst Jahre nach dem Ereignis veröffentlicht wurden.48 Der Fall Uchuraccay birgt in sich exemplarisch die komplexen Verhältnisse zwischen den Akteuren unter sich und zwischen ihnen und der Gesellschaft im Allgemeinen. Er entpuppt die Schwierigkeiten für das Verständnis der Konfliktdynamiken auf kommunaler und regionaler Ebene sowie die verborgene rassistische Idiosynkrasie der peruanischen Eliten. Vargas Llosa, der außerdem Präsident der ersten Museumskommission für den Lugar de la Memoria war, sieht man bei der Präsentation dieses Falles ebenso an anderer Stelle: In einem Videointerview erklärt, was damals geschah aus heutiger Sicht, aus einer persönlichen Perspektive. Neben ihm berichtet ein Bewohner über seine traurigen Erfahrungen während der Zeit des Terrors (Abbildung 7). So kann der Besucher selbst die verschiedenen Versionen kontrastieren. Schließlich werden visuelle Eindrücke des heutigen Lebens in Uchuraccay gezeigt, zum Beispiel Bilder von Hochzeiten oder anderen Feierlichkeiten. Dass die Gemeinde Uchuraccay verschwand, erzeugte nicht dieselbe öffentliche Resonanz wie die Hinrichtung der Journalisten. Die Situation der Vertriebenen blieb eher jahrelang unbeachtet. Umso wichtiger war es für die Kuratoren, den Fall als Referenzfall zu schildern, denn er drückt nicht nur den komplexen Konfliktverlauf sehr gut aus, sondern er schildert auch die Folgen für eine ganze Gemeinde und macht sie überhaupt erst öffentlich bekannt. Im Jahr 1992 kehrten nach und nach die Bewohner von Uchuraccay zurück. 2014 wurde die Siedlung 48

Die Hintergründe dieses Falles sowie die diverse Versionen wurden von dem aus Ayacucho stammenden Historiker und Anthropologen Ponciano del Pino untersucht. Siehe: Del Pino, Ponciano: Uchuraccay: Memoria y Representación de la Violencia Política en los Andes. In: Degregori, Carlos Iván (Hrsg.): Jamás tan cerca arremetió lo lejos. Memoria y violencia política en el Perú. Lima: IEP 2003, S. 49–94.

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als Verwaltungsbezirk anerkannt und ein Jahr später wurde der erste Bürgermeister gewählt. Dies bedeutet, dass von nun an dem Bezirk mehr finanzielle Ressourcen zustehen. Die heutigen Bewohner von Uchuraccay wollen nicht nur als die „Grausamen“ und „Rückständigen“, die acht Journalisten massakrierten, im kollenktiven Gedächtnis bleiben Die Besucher sollen auch erfahren, wie sie gelitten haben, dass aufgrund des Gewaltzyklus sie aus ihrem Dorf flüchten mussten, aber gleichzeitig, dass sie in der Lage waren, zurückzukehren und die Gemeinde wiederaufzubauen. Putis In Putis, eine kleine Gemeinde ebenfalls in Ayacucho, kam es im Dezember 1984 zu einem Massaker, bei dem mindestens 123 Männer, Frauen und Kinder ihr Leben verloren. Sie wurden von Soldaten gezwungen, eine große Grube in der Erde auszuheben, mit dem Vorwand, sie sei für den Bau eines Beckens zur Forellenzucht vorgesehen. Zu diesem Zeitpunkt ahnten sie nicht, dass jene Grube ihr eigenes Grab werden würde.49 Den Militärs war bekannt, dass viele Gemeindebewohner auf der Seite von Sendero Luminoso standen. Deswegen beschuldigten Militärs die Gemeindemitglieder, Terroristen zu sein. Im Gegensatz zu den Ereignissen in Uchuraccay erreichte dieser Vorfall erst Jahre später die Öffentlichkeit. Vielmehr wurde er jahrelang verleugnet. Außerdem hatten die Überlebenden anfangs Angst, darüber zu erzählen. Erst 2001, ausgehend von einer journalistischen Recherche der Tageszeitung La República, wurde der Fall von der Staatsanwaltschaft zur Untersuchung angenommen. 2003 konnte die CVR den Fall aufgrund ihrer eigenen Recherchen bestätigen und zwei Gräber lokalisieren. Mithilfe von Zeugenaussagen identifizierte die CVR drei Verantwortliche, allerdings nur unter ihren Pseudonymen; doch das Verteidigungsministerium kollaborierte nicht. Die Akten seien verbrannt worden, sodass man diese Personen nicht den Pseudonymen zuordnen könne. 2008 wurde ein Massengrab exhumiert, aber nicht der Staat, sondern die NRO Equipo Peruano de Antropología Forense (EPAF – Peruanische Gruppe für Forensische Anthropologie) kümmerte sich hauptsächlich um den Fall. Ein Jahr später konnten endlich die Leichen angemessen begraben werden. An einer Wand im LUM sieht man Bilder vom Tag des Massenbegräbnisses. Man sieht den Leichenzug mit mehreren Einwohnern von Putis, welche die Särge ihrer Angehörigen tragen, sowie Aufnahmen der knapp hundert Grabstätten.

49

Vgl. CVR. Informe Final: Los casos investigados por la CVR. Ejecuciones extrajuduciales en Putis (1984). Band VII, Kap. 2. Online verfügbar unter: http:// cverdad.org.pe/ifinal/pdf/TOMO%20VII/Casos%20Ilustrativos-UIE/2.14.%20putis. pdf (abgerufen am 14.08.2017).

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Auch die Bewohner von Putis und der umliegenden Gemeinden mussten ihre Dörfer aufgrund des Terrors und der Gewalt verlassen. 1997 kehrten einige Familien zurück. Die Gemeinde feiert seitdem jährlich das Ereignis. Ein selbstgebasteltes Plakat über die Jubiläumsaktivitäten (Fußballmeisterschaft, Speisekarte, Stierkampf) zeugt von der Relevanz jenes Tages. Als die Bewohner damals zurückkehrten, war die Gemeinde in einem Zustand bitterer Armut und Vernachlässigung, ohne Schule oder Gesundheitsstation. Heute haben sich die Umstände diesbezüglich ein wenig verbessert. Man erkennt auf einem Bild, dass die Gemeinde inzwischen mit Strom versorgt ist. Ein anderes Bild zeigt ein Gebäude, das einer Schule ähnelt.50 Die Bewohner sind jetzt besser organisiert und versuchen, ihre Rechte, zum Beispiel Reparationen, einzufordern. Als kleines Zeichen der Normalität – und fast Freude – sieht man schließlich ein Bild von Fußball spielenden Kindern und Frauen. Es sind mehr als 15 Jahre vergangen, seit diese Geschichte ans Licht kam. D.h., es sind bereits drei demokratischen Regierungen an der Macht gewesen, die nicht genug für die Aufklärung der Ereignisse getan haben, um die Verantwortlichen justiziell zu verfolgen. Für die Angehörigen der Opfer stellt das eine andauernde Qual dar. Der Fall Putis ist nicht der einzige dieser Art ist. Die Verschleierung, die Verdunkelung und die noch immer herrschende Straflosigkeit müssen ein Ende finden, um die Rechtsstaatlichkeit des Landes wiederherzustellen. Umso wichtiger ist, dass der LUM den Fall exemplarisch an einer prominenten Stelle präsentiert. Im Wandtext stehen keine Anschuldigungen, Vorwürfe oder Bewertungen, stattdessen bleibt die Formulierung sachlich. Der Wandtext verkündet „nur“ die bekannten Informationen, einige Zahlen und die bisherigen Erkenntnisse über den Fall. Aber in einer Vitrine sieht man Kleidungsstücke aus der Exhumierung, darunter einen kleinen Pullover, offensichtlich von einem Kind (Abbildung 8). Die dort ausgestellten Gegenstände sind nicht nur als Musealien zu verstehen. Sie fungieren in diesem Kontext vielmehr als Beweise dafür, was über Jahre verschleiert wurde. Diesbezüglich betont Paul Williams in seiner Studie zu Memorial Museums: „Memorial museums […] are acutely aware of the role of primary artifacts, not only because they give displays a powerful appeal, but also because in many cases they exist as tangible proof in the face of debate about, and even denial of, what transpired.“51

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51

Nicht alle Bilder enthielten eine Legende, als ich den LUM kurz nach der Museumseröffnung besuchte. Bei einem meiner Besuche stellte ich fest, dass das Museumspersonal sogar einen Monat nach der Eröffnung noch mit dem Befestigen weiterer Legenden und Hinweise beschäftigt war. Williams 2007, S. 25.

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Auf subtile Weise bringen die Ausstellungsmacher dem Betrachter appellativ ihre persönlichen Haltungen nahe. Die Asháninka-Gemeinschaft Die Asháninka sind ein indigenes Volk im Urwaldgebiet im Osten Perus. Sie wurden während der Zeit des Konflikts Opfer von Zwangsrekrutierungen, Zwangsarbeit, Zwangsumsiedlungen, sexueller Gewalt und Massakern. Schätzungen zufolge kamen aufgrund des Konflikts von den damals 55.000 Asháninkas ca. 6.000 ums Leben.52 Sie waren dem Terror sowohl von Sendero Luminoso als auch, in geringerem Maße, vom MRTA ausgesetzt. Beide Gruppierungen flüchteten unabhängig voneinander vor den militärischen Offensiven von den Andengebieten in die Urwaldgebiete. Zunächst dienten sie nur als Transitzonen für Proviantbesorgung und als Zufluchtsorte. Danach sahen die Terrororganisationen auch dort Potenzial für Rekrutierungs- und Indoktrinierungsmaßnahmen und blieben dort. Vor allem der Sendero Luminoso konnte sich mittels Terror und Angst durchsetzen. Anfangs fand die Gruppierung eine gewisse Zustimmung innerhalb der Asháninkas aufgrund utopischer Versprechungen, doch kurze Zeit danach bemerkten sie die Grausamkeit der Ideologie des Sendero. Denjenigen, die nicht folgten, drohten Bestrafungen, Folter oder Mord. Den „Anhängern“ wurden jegliche individuellen Freiheitsrechte entzogen. Somit wurde eine Kultur der Angst verbreitet: Angst vor der „Partei“, aber auch vor Polizei und Sicherheitskräften, die nach Aussagen der „Partei“ alle töten wollten. Der Sendero isolierte die Gemeinden, indem er Flughäfen schloss und den Flussverkehr kontrollierte. Zudem reglementierte er das kulturelle Leben der Asháninka, indem er ihnen die Ausübung ihrer Sitten verbot, einschließlich ihres Familienlebens: Der Sendero Luminoso trennte Kinder im Alter von 10 bis 15 Jahren von ihren Familien, um sie militärisch zu trainieren.53 Im Lugar de la Memoria erzählt ein Mann von seiner Geschichte, als er als Kind rekrutiert wurde. Dabei wird klar, dass die TäterOpfer-Verhältnisse sehr konfus sind: Ist ein zwölfjähriges Kind, das gegen seinen Willen indoktriniert wird, aber einige Zeit später eine unschuldige Person, womöglich einen Bekannten oder sogar ein Familienmitglied, grausam ermordet, Täter oder Opfer? Der Lugar de la Memoria gibt keine Antworten auf diese Fra-

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Vgl. CVR. Informe Final: Historias representativas de la violencia. Los pueblos indígenas y el caso de los Asháninkas. Band V, Kap. 2. Online verfügbar unter: http://www.cverdad.org.pe/ifinal/pdf/TOMO%20V/SECCION%20TERCERALos% 20Escenarios%20de%20la%20violencia%20(continuacion)/2.%20HISTORIAS%20 REPRESENTATIVAS%20DE%20LA%20VIOLENCIA/2.8%20LOS%20PUEBLO S%20INDIGENAS%20Y%20ASHANINKAS.pdf (abgerufen am 14.08.2017). Vgl. Ebd.

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ge, aber die Tatsache, dass die Geschichte der Ascháninkas gezeigt wird, verdeutlicht seine Intention: Auch Grauzonen, ungelöste Angelegenheiten und ambivalente Positionen sollen thematisiert werden. Dieser Fall ist ein gutes Beispiel für die Widersprüchlichkeiten des Konflikts. Das anfängliche Versagen der staatlichen antisubversiven Strategien in der selva central54 (zentraler Regenwald) führte dazu, dass die Asháninkas Selbstverteidigungsstrategien entwickelten und koordinierten. Sie organisierten sich in CADs (Comités de Autodefensa – Selbstverteidigungskomitees) oder in rondas (Selbstorganisierte Patrouillen). Mangels – zumindest am Anfang – staatlicher Hilfe jeglicher Art nahmen sie die Justiz in ihre eigenen Hände und gründeten in mehreren Gegenden ihre eigene Armee: „el Ejército Asháninka“.55 Eine Fotografie aus der Zeitschrift Caretas stellt diese Armee dar: Junge bewaffnete Männer, barfuß und in traditionellen Gewändern; auch kleine Kinder tragen schwere Waffen. Man sieht außerdem in einer Vitrine Kampfgegenstände der Asháninka sowie ein typisches Gewand. Weiterhin erzählt eine alte Asháninka-Frau über die Zwangsrekrutierungen, die Reaktionen darauf und die Umstände ihrer Befreiung. Dramatisch bei ihren Erzählungen ist, dass sie nicht zusammen mit ihrem Sohn befreit wurde und daher immer noch nicht weiß, wo er ist. Neben dem Bildschirm hängen zwei von Kindern gemalte Bilder (gedruckte Kopien), welche die Gefechte zwischen Asháninkas und Senderistas darstellen. Ab den 1990er Jahren erkannte der Staat die Effizienz der rondas und unterstützte sie dann als kontrasubversive Strategie systematisch, beispielsweise indem der damalige Präsident Alberto Fujimori selbst Waffen an die ronderos verteilte. In einem Video berichtet ein Mann aus der Region über die Strapazen des „Ejército Asháninka“ und verteidigt die Idee, dass ihr Kampf legitim gewesen sei. Zwar war ihre Maßnahme erfolgreich für die Subversionsbekämpfung, es kam aber in diesen Rahmen vielerorts und mehrfach zum Machtmissbrauch sowie zu Menschenrechtsverletzungen. Nicht selten wurden somit interfamiliäre Probleme „gelöst“. Allgemein herrschte innerhalb der Gemeinden ein Klima des Misstrauens, das Langzeitfolgen mit sich brachte. 54

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Diese Region umfasst die Provinzen Satipo und Chanchamayo im Departamento Junín, die Provinz Oxapampa im Departamento Pasco sowie das Departamento Ucayali. Asháninkas aus mehreren Regionen organisierten sich auf diese Weise. Ein konkretes Beispiel: Nachdem der MRTA den Asháninka-Anführer Alejandro Calderón ermordet hatte, organisierte sein Sohn und Nachfolger ein „Ejército Asháninka“. Dies war jedoch nicht das erste Mal, das die Asháninkas sich derart organisierten, sondern es handelt sich um eine Praxis, die sie mehrmals in ihrer Geschichte angewandt haben, um ihr Territorium oder ihr Leben zu verteidigen. Vgl. Espinoza, Oscar: Rondas Campesinas y Nativas en la Amazonía Peruana. Lima: CAAAP 1993, zit. nach CVR. Ascháninkas. 2003, S. 259.

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Heute ist eine Region der selva central, bekannt als VRAEM (Valle de los Ríos Apurímac, Ene y Mantaro – Tal der Flüsse Apurímac, Ene und Mantaro), eine der ärmsten Gegenden Perus, in welcher der Drogenhandel (Kokain) und Drogenterrorismus blühen. Über Jahre konnte sich dort der Sendero Luminoso ungestört ausbreiten. Zwar hat die Gewalt nicht die Dimensionen der 1980er und 1990er Jahre erreicht. Wenn aber der Staat nicht jetzt eine effiziente Strategie entwickelt, ist es nur eine Frage der Zeit, bis die Situation eskaliert. Sich auf die drei genannten Referenzfälle zu einigen, war das Ergebnis regelmäßiger Treffen zwischen Vertretern des Militärs und Vertretern der Museumskommission. Besonders der Fall Putis bot Stoff für Diskussionen. Der Vorschlag des Militärs war stattdessen, den Fall Accomarca zu behandeln. 56 Und es lässt sich erahnen, warum: Der Fall Accomarca hat bereits seinen Sündenbock, der nach langem Hin und Her im Haft ist. Telmo Hurtado wurde in der Öffentlichkeit als der „wilde Verrückte“ dargestellt, der die Kontrolle verlor und deswegen Männer, Kinder und (schwangere) Frauen massakrierte. Die Befehls- und Gehorsamskette ist noch nicht identifiziert. Eine Person wurde als schuldig deklariert, und das war das Ende der Diskussion.57 Der Fall Putis ist aber nach so vielen Jahren immer noch ein Beispiel der Ineffizienz der militärischen Institutionen, der Politik und der Judikative. Gerade beim letzten Fall (Asháninka) handelt sich um ein Problem, das nach wie vor die Demokratie und den Frieden latent belastet. Daraus schließt man, dass die Intentionen der Ausstellungsmacher sich nicht darauf richteten, vollendete Taten zu präsentieren, die schon ein „Happy End“ haben und bei dem „Gut und Böse“ sofort identifiziert werden können. Man hat gerade die Fälle ausgesucht, welche die Komplexität des Konflikts ausdrücken, ohne dabei anklagende Strategien, eindringliche Deutungen oder Verurteilungen in den Vordergrund zu drängen. Una persona, todas las personas Dieser Saal bildet den Höhepunkt der musealen Narrative, nicht nur aufgrund seiner ausdrucksstarken und emotionalen Komponente, sondern auch aufgrund der Qualität der Inszenierung. Aus einer individuellen Perspektive heraus erzählen 18 Personen ihre Erfahrungen in Bezug auf die Zeit der Gewalt. Dort findet man zum Beispiel die Erzählungen von Angélica Mendoza, Gründerin von ANFASEP, die Geschichte des Bruders von Saúl Cantoral, einem Gewerkschaftsak56 57

Interview mit Eliana Otta, Künstlerin und Koordinatorin des Kuratorenteams des Lugar de la Memoria am 26.01.2016 in Lima. Mehr zu diesem Fall, siehe: CVR. Informe Final: Los casos investigados por la CVR. Las ejecuciones extrajudiciales en Accomarca (1985). Band VII, Kap. 2. Online verfügbar unter: http://www.cverdad.org.pe/ifinal/pdf/TOMO%20VII/Casos %20Ilustrativos-UIE/2.15.%20ACCOMARCA.pdf (abgerufen am 14.08.2017).

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tivisten, der vom paramilitärischen Todesschwadron Rodrigo Franco hingerichtet wurde und der Tochter des Bürgermeisters von Huanta (Ayacucho), der vom Sendero Luminoso ermordet wurde. Aber Überlebende erzählen von ihren eigenen Erfahrungen. Eine von ihnen ist Georgina Gamboa, eine Frau, die als 15Jährige von Mitgliedern der Polizeikräfte vergewaltigt wurde und infolgedessen schwanger wurde. Eine weitere Frau, Gladys Canales, wurde ohne Beweise als Senderista beschuldigt und musste über sieben Jahre ohne Urteil in Haft bleiben. Ein anderes Beispiel ist der Soldat Pascual Romaina, der aufgrund eines Attentats des MRTA ein Bein verlor. Diese und weitere Fälle zeugen von dramatischen Schicksalen und gleichzeitig von der Vielschichtigkeit des Konflikts. Die Betroffenen schildern aber auch ihr Leben vor dem Konflikt, indem sie beispielsweise auf den Charakter, auf die Hobbies oder auf das besondere Engagement der verstorbenen Personen hinweisen. Ihre Erzählungen beziehen sich jedoch nicht nur auf die Vergangenheit. Sie erzählen auch von aktuellen Umständen: Manche berichten von positiven und hoffnungsvollen Entwicklungen, während andere, Forderungen aussprechen. Die moderne Raumgestaltung besteht aus wenigen Elementen, ist aber trotzdem besonders gut gelungen. 18 hängende Flachbildschirme zeigen jeweils eine Person mit unterschiedlichem Hintergrund, die dem Besucher ihre individuellen Erlebnisse erzählt (Abbildung 9). Der Besucher steht der lebensgroß abgebildeten Person auf Augenhöhe gegenüber und erfährt über Kopfhörer von deren Lebensgeschichte. Der Besucher kann sich im Raum bewegen und mit mehreren Personen „interagieren“. Die Flachbildschirme sind doppelseitig besetzt, es hängen also jeweils zwei zusammen, aber voneinander abgewandt, sodass im Gesamtarrangement der Eindruck entsteht, dass sie, die Opfer, ebenfalls miteinander kommunizieren. Die Installation repräsentiert am besten die wichtigsten Anliegen der Kuratoren, keine Konstruktion einer offiziellen Wahrheit über den Konflikt vorzunehmen und sicherzutellen, dass keine offizielle Narrative konstruiert wird, die eine andere ersetzt.58 Der Historiker José Carlos Agüero, der für die partizipativen Prozesse mitverantwortlich war und selbst in diesem Raum seine Erfahrung mit dem Konflikt mitteilt59, fasst die Vision des Kuratorenteams wie folgt zusammen:

58 59

Diese sind zusammengefasst die Hauptanliegen der von mir interviewten Kuratoren (Natalia Iguiñez, Ponciano del Pino und Eliana Otta) gewesen. José Carlos Agüero ist der Sohn von Senderistas. Sein Vater starb bei einem Aufstand in einem Gefängnis, bekannt als El Frontón, der von dem Militär grausam niedergeschlagen wurde, und seine Mutter wurde tot an einem Strand aufgefunden. Beide wurden Opfer von außergerichtlichen Hinrichtungen. Seine Reflexionen darüber, als „Sohn von Terroristen“ zu leben, fasst er in dem Buch: Los Rendidos.

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Wir interessieren uns nicht für Narrativen. Vielmehr wollen wir Lebenserfahrungen darstellen. […] Das Publikum erwartet Narrativen, Positionen: das Gute, das Schlechte, das Richtige. Man kann ethische Urteile nicht vermeiden. Aber was wir im Endeffekt beabsichtigen ist, dass der Besucher sich selbst ein Urteil bildet. Wir stellen dem Besucher die Elemente dafür zur Verfügung. […] Meine Vision ist, dass der LUM ein Ort sein sollte, an dem die unterschiedlichen Erfahrungen nebeneinander existieren können. 60

Im ersten Obergeschoss befinden sich die Antworten und Reaktionen auf die Gewalt, sowohl seitens der Zivilgesellschaft als auch seitens des Staates. Dazu zählen: die Bildung von Menschenrechts- und Angehörigenorganisationen, Basisorganisationen in verschiedenen Ortsbezirken und Stadtteilen, Friedensdemonstrationen sowie militärische Interventionen, antisubversive Maßnahmen und die Gründung von Selbstverteidigungskomitees. Außerdem findet man dort Beispiele für die Auseinandersetzung mit dem Konflikt in der Kultur, Musik, Theater und Literatur. Auch die Rolle der Medien wird skizziert. Man muss allerdings erwähnen, dass dieser Bereich qualitativ und inhaltlich weniger gelungen ist als das vorher beschriebene Erdgeschoss. Die große Anzahl an Themen macht eine gründliche Ausdifferenzierung schwierig. Hinzu kommt, dass – bis auf wenige Ausnahmen – die gestalterischen Möglichkeiten und der Gebrauch von neuen Medien eher konventionell eingesetzt wurden. im Folgenden konzentriere ich mich auf die Kernelemente dieser Ebene. Desaparecidos Schon auf dem Weg zum ersten Stockwerk hört man die Stimmen der Mütter von ANFASEP. Sie singen ein Lied über ihre Kinder, Ehemänner und Brüder, die nicht mehr da sind. Danach kommt eine Großfotografie (Kopie auf der Wand) der Frauen von ANFASEP zusammen mit dem Friedensnobelpreisträger Adolfo Pérez Esquivel, einem argentinischen Menschenrechtsaktivisten, als er Ayacucho besuchte. Er ermunterte diese Frauen dazu, für ihr Recht auf Wahrheit zu kämpfen. Es folgen die Paneele über die oben genannten Themen (Reaktionen auf den Terror) und dann, in der Mitte des Raumes, stößt der Besucher auf eine Art weißen Kubus (Abbildung 10). Es handelt sich um eine Toninstallation in einem

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Sobre el don de perdonar zusammen. Siehe: Agüero, José Carlos: Los Rendidos. Sobre el don de perdonar. Lima: IEP 2015. „La gente está esperando narrativas, posiciones: bueno, malo, correcto. No se puede evitar emitir juicios éticos. Pero lo que nosotros al final pensamos es que ese juicio ético lo pudieras emitir tú. Te ponemos los instrumentos para que tú lo hagas. […] Mi visión es que debería ser un espacio para que las experiencias convivan.“ Interview mit José Carlos Agüero, Historiker und Co-Autor der Publikation, die diese Prozesse dokumentierte, am 13.01.2016 in Lima.

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dunklen Raum. Man hört Stimmen, die über die Umstände der desaparición forzada ihrer Angehörigen berichten und über die jeweiligen Personen Auskunft geben. Eine einzige Lichtquelle beleuchtet eine in der Mitte des Raumes befindliche Kiste, die mit kleinen bunten Heftchen gefüllt ist (Abbildung 11). Darin wird anhand von Fotografien über das Leben der Personen erzählt. Die Fotos zeigen schöne Momentaufnahmen mit den Angehörigen, Taufen oder Geburtstagsfeiern mit Freunden sowie Hobbies (Abbildung 16). Nur auf der letzten Seite des Heftchens werden die Eckdaten der desaparición schriftlich wiedergegeben (Abbildung 17). Der Fokus soll auf das Leben der Opfer und nicht auf deren Tod gerichtet werden. Da der Raum fast komplett dunkel ist und sonst wenige Sinnesreize bietet, kann sich der Besucher theoretisch auf seinen Hörsinn konzentrieren und die Erzählung aufmerksam verfolgen. Das war zumindest die Hoffnung der Kuratoren. Durch die Betrachtung der Bilder und das Hören der Schicksalsgeschichte kann der Besucher sich möglicherweise in die Lage der Angehörigen versetzen. Es war nicht einfach für das Kuratorenteam, die Idee eines Raumes zum Gedenken an die verschwundenen Opfer durchzusetzen. Es gab bei den Treffen mit den Militärs immer wieder Diskussionen und Meinungsverschiedenheiten. Trotz der Befunde der CVR, die Tausende von Massengräbern identifizieren konnte, gibt es in Peru keine aktive staatliche Politik zur Identifizierung von verschwundenen Personen.61 Die Politik und Justiz haben, 16 Jahre nach dem Ende des Konflikts, bis dato versagt. La Hoyada Gleich neben der Installation Desaparecidos wird die Thematik des Verschwindenlassens weitergeführt. Der als La Hoyada bekannte Ort ist ein sieben Hektar großes Stück Land, das an das geheime Haft- und Folterzentrum Los Cabitos angrenzt, in dem viele Menschen in Ayacucho „verschwanden“. In La Hoyada wurden die Leichen aus Los Cabitos begraben oder verbrannt. Auf dem Boden, etwas in den Untergrund eingelassen, sieht man eine riesige Abbildung dieser Gegend zusammen mit Bildern von den dort bereits stattgefundenen Exhumierungen. Die Abbildungen sind umrahmt von Erde. Die Inszenierung deutet eine Art „Rekonstruktion“ bzw. ein Zitat vom Grundstück an. Inwiefern die Anwendung dieses gestalterischen Elements angebracht war, bleibt Geschmackssache.62 Sicher ist, dass die Inszenierung mit der sonst eher konservativen räumlichen Gestaltung dieses Stockwerkes bricht und auf diese Weise Abwechslung in den Rundgang bringt. 61 62

Zu diesem Thema siehe Ausblick. Ausführlichere Erläuterungen folgen im Kapitel 7.

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Die Initiative von ANFASEP, in La Hoyada eine Gedenkstätte und ein Informations- und Dokumentationszentrum zu implementieren, ist zwar in Gange, der Weg dahin war aber sehr lang und schwierig. Allein die Exhumierungen auf einem Teil des riesigen Grundstücks dauerten über fünf Jahre. Dabei konnten die Überreste von 109 Menschen ausgegraben und viele abgebrannte Überreste gefunden werden. Schätzungen zufolge sollen sich dort aber mindestens 500 Leichen befinden. Angaben der Initiatoren zufolge handelt es sich bei La Hoyada um die weltweit größte archäologische Ausgrabung für die Suche nach desaparecidos.63 Am Ende des Stockwerkes werden mehrere Themen angesprochen, mit denen sich der Staat, die Justiz, aber auch die Gesellschaft im Allgemeinen befassen sollten. Dazu zählen zum Bespiel die Fälle über sexuelle Gewalt gegenüber Frauen während des Konflikts. Diese Themen werden allerdings nur flüchtig dargestellt. Fazit Die Ergebnisse der Konsultations- und Partizipationsprozesse zeigen sich im Lugar de la Memoria deutlich. Vielleicht die aufschlussreichste Erkenntnis des Prozesses für die Konzeption und Implementierung der Dauerausstellung war, dass die Opfergruppen (egal auf welcher Seite) nicht nur als Opfer dargestellt werden wollen. Denn die Gruppe der Überlebenden sieht sich vielmehr als Bürger, die mit Mut und Mühe die Zeit der Gewalt durchstanden und heute weiter mit Zivilcourage für eine bessere Zukunft kämpfen. Und genau dieser Ansatz ist allgemein untypisch in den Museos de la Memoria. Oft werden die Opfer eher als passive Akteure präsentiert, an denen Schaden angerichtet wurde. Nachdem die Opfergruppen dennoch selbst die Chance hatten, ihre eigene Wünsche darüber zu äußern, wie sie von den Besuchern wahrgenommen werden wollen und wie sie sich heute selbst sehen, musste das Kuratorenteam ihre Wünsche kanalisieren, auch wenn klar war, dass man nicht jedem gerecht werden konnte. Nichtsdestotrotz versucht die Dauerausstellung infolgedessen, in ihrer Repräsentation deren Forderungen zu integrieren. An dieser Stelle möchte ich abschließend zwei konzeptionelle Strategien detaillierter erläutern: 1. Sachlichkeit und Taktik in den Formulierungen: Die Informationstafeln sollen die bekannten Erkenntnisse so sachlich wie möglich beschreiben, ohne dabei 63

Mehr Informationen über diese Initiative und ihre Fortschritte siehe: http:// santuario.lahoyada.info/ (abgerufen am 14.08.2017).

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in Spekulationen und spezifischen Anschuldigungen zu verfallen. Anders, als ursprünglich vermutet, werden Fälle dargestellt, welche die damalige Verantwortung des Staates deutlich zeigen und von der noch bestehenden Inkohärenz und teilweisen Versagen des Staates Zeugnis ablegen. Bei meinen Besuchen in dem Lugar de la Memoria konnte ich das Gästebuch untersuchen und die darin geschriebenen Kommentare auswerten. Die Mehrheit der Kommentare ist positiv zu beurteilen. Sie zollen allein der Existenz der Institution Anerkennung, loben ihre Präsentation und äußern ihre Hoffnung für ein Nunca Más und eine nationale Versöhnung. Trotzdem behaupten manche Kritiker aus dem Menschenrechtssektor, der LUM sei zu „mild“ mit der Verantwortung des Staates und seinen Akteuren. Diese und weitere Kritiken findet man zum Teil in dem Gästebuch, zum Teil konnte ich sie außerdem in individuellen Gesprächen mit Aktivisten bestätigen.64 Die Künstlerin und Koordinatorin der kuratorischen Arbeit, Eliana Otta, behauptet diesbezüglich: Das Problem mit einem Sektor des Menschenrechtsaktivismus ist, dass er das Publikum unterschätzt. Manche wollen, dass wir beispielsweise ‚diese verurteilungswürdigen Verbrechen…‘ sagen, aber man kann darauf verzichten und stattdessen sagen, dass dort über 120 Personen, darunter Kinder, ermordet wurden, und daneben das kleine Kleidungsstück eines Babys hängen, das im Massengrab aufgefunden wurde [in Bezug auf den Fall Putis]. Und dann merkt man sofort, dass es sich um ein ‚verurteilungswürdiges Verbrechen‘ handelt.65

Sie erklärt, dass das Kuratorenteam „nur an wenigen Stellen sehr vorsichtig“ sein musste. Es handelt sich um den Fall Los Cabitos und La Hoyada. Hierzu erläutert sie eine Passage, die ebenfalls von Repräsentanten des Menschenrechtssektors kritisiert wurde:

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Das Gästebuch des LUM beinhaltete innerhalb weniger Wochen nach der Eröffnung (17.12.2015) bereits sehr viele Anträge. Ich habe alle Seiten dokumentiert und ausgewertet, als ich zwei Wochen nach der Eröffnung dort war. Die Mehrheit der Kommentare äußert sich positiv über die Institution. Es gibt aber auch einige kritische Äußerungen, die meisten davon von Menschen, die eine stärkere Betonung der Rolle des Staates als Gewaltakteur erwartet hätten. „Creo que hay un montón de cosas que lo importante es que estén ahí y que puedan ser discutidas y el problema con un sector grande como el del activismo de derechos humanos es que muchas veces subestima al público. Creo que hay algunos que quisieran que diga ‚estos condenables crímenes‘, pero puede que no pongas ‚condenable‘, pero puedes poner que en tal lugar mataron a más de 120 personas, incluyendo niños, y tienes al costado la ropita de un bebé que fue encontrado en ese lugar e inmediatamente te das cuenta que son crímenes condenables.“ Interview mit Eliana Otta, Künstlerin und Koordinatorin des Kuratorenteams des Lugar de la Memoria, am 26.01.2016 in Lima.

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Der Text sagt: ‚Laut Augenzeugen gab es dort Entführungen, und Leute verschwanden…‘. Ich weiß, dass manche Aktivisten sagen werden: ‚Wie jetzt? Das klingt doch, als ob die Leute es erfunden hätten. Es ist doch klar, dass es geschehen ist!‘. Aber es ist komplex, da viele Fälle noch nicht vor Gericht gebracht wurden. […] Es ist etwas, das noch nicht vollends erwiesen ist. Alle wissen zwar, dass es geschah, aber in diesen Fällen mussten wir diese Art von Formulierungen verwenden, damit es nicht so aussieht, als ob wir eine Wahrheit über einen Ort erzählen, worüber es rechtlich gesehen noch keine Wahrheit gibt.66

Die Koordinatorin betont, dass sie außer der Comisión de Alto Nivel (CAN – Museumskommission) keine weiteren „Filter“ bei der Umsetzung ihrer Ideen hatte. Die Verantwortung gegenüber dem Staat trage die Museumskommission, und nachdem das Museumsskript von ihr abgesegnet worden sei, habe sie ohne Weiteres mit der Implementierung beginnen können. Nichtsdestotrotz ist erkennbar, dass die Kuratoren Kompromisse im Hinblick auf die Formulierungen eingehen mussten. Dazu ein konkretes Beispiel: Die CVR benennt die Zeit der (politischen) Gewalt zwischen 1980 und 2000 als „internen bewaffneten Konflikt“. So bezeichnen ihn auch viele Menschenrechtsorganisationen und ein größter Teil der Wissenschaft. Doch es gibt auch einen Sektor der Gesellschaft, der mit der Bezeichnung „internen bewaffneten Konflikt“ nicht zufrieden ist. Dazu gehören ein wichtiger Teil des Militärs und Anhänger des „Fujimorismo“. Sie argumentieren, mit „Konflikt“ würde man beide Akteure, die Terrorgruppierungen und das Militär, als gleichberechtigt nach den Genfer Konventionen deklarieren. Die Gegner bevorzugen daher den Begriff „Terrorismo“ und lehnen die Bezeichnung „conflicto armado interno“ ab. So sei deutlich, dass eine Gruppe von Terroristen den Staat in Schach gesetzt habe und er in legitimer Anwendung seines Verteidigungsrechts angemessen reagiert habe. Diese Argumentation stimmt so nicht, denn beide Begriffe, „conflicto armado interno“ und „terrorismo“, schließen sich nicht gegenseitig aus. Das humanitäre Völkerrecht unterscheidet in Bezug auf den Verstoß gegen die öffentliche Ordnung nach Intensitätsgrad. Somit wird zwischen internen Spannungen, einer internen Störung oder einem bewaffneten Konflikt unterschieden, wobei sie entweder im Land eintreten oder sich international vollziehen. Während sich also der erste Begriff auf die Art des Konflikts 66

„Por ejemplo en el caso de los Cabitos, La Hoyada, el texto dice: ‚Según testigos, ahí han habido secuestros y desaparecidos‘. Entonces yo sé que si llega un activista de izquierda, critica eso: ‚¿cómo que según testigos?, eso suena a que se lo ha inventado la gente, es obvio que eso ha habido ahí!‘, pero entonces ahí es complicado porque como un montón de todos estos casos no han sido judicializados, y sí, ahí hay una poza. […] Eso es algo que no es claro todavía. Todo el mundo sabe que ha pasado eso, pero en ese tipo de casos usábamos ese tipo de modalidad para que no parezca que nosotros estamos diciendo una verdad sobre un lugar donde todavía no existe una verdad judicializada.“ Ebd.

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bezieht, beschreibt der zweite die verübten Gewaltakte. Das bedeutet: In Peru fand ein interner bewaffneter Konflikt statt, bei dem terroristische Taten verübt wurden. Doch der Lugar de la Memoria bevorzugte es, auf die Bezeichnung „conflicto“ ganz zu verzichten. Die Kuratoren wussten, dass es Stoff für weitere Kontroversen bieten könnte, und deswegen sucht man auf den Informationstafeln vergeblich nach den Worten „conflicto armado interno“. 2. Gegenwartsbezug: Die drei Fälle Uchuraccay, Putis und Asháninka folgen einem ähnlichen Leitfaden. Die Fälle werden skizziert und mit Archivmaterial oder anderen Objekten ergänzt bzw. belegt. Aktuelle Interviews begleiten aber immer die historischen Ereignisse, um eine Brücke zur Gegenwart zu schlagen. Auf individueller Ebene werden außerdem die Situation der Protagonisten (Überlebende, Angehörige) sowie ihre Perspektive aus aktueller Sicht erläutert. Diese Strategie wird auch in den Installationen Una persona, todas las personas und im Raum zu den desaparecidos verwendet. Hierzu sagt Eliana Otta: Für uns war es politisch betrachtet sehr wichtig, die Erfolge und Leistungen der Personen, die früher nur als Opfer angesehen wurden, zu präsentieren. […] Für mich ist das einer der großen politischen Erfolge dieses Ortes: Sie nicht ausschließlich als Opfer zu präsentieren, sondern dass ihr Leben über diese Kategorie hinausgeht. 67

Nicht nur bei den individuellen Fällen, sondern auch auf kollektiver Ebene werden heutige Bezüge dargelegt, zum Beispiel beim Thema Bildung. Vor, während und auch nach dem Konflikt spielte dieses Thema eine große Rolle. Der Gründer des Sendero Luminoso war Philosophieprofessor an der Universität in Huamanga, der Hauptstadt von Ayacucho; die ersten Sympathisanten der Organisation waren Studenten. Im Erdgeschoss wird dem Aspekt Bildung eine große Bedeutung geschenkt. Auch dort werden Bezüge zur Gegenwart deutlich. Zum Beispiel werden Interviews mit Lehrern präsentiert, die auf unterschiedliche Art und Weise versuchen, ihren Schülern den Konflikt heute nahezubringen. Am Ende der Dauerausstellung wird schließlich der Akzent auf die bestehenden Probleme, die anhängigen Prozesse und die Sachverhalte gesetzt, die in der Öffentlichkeit und vor allem auf strafrechtlicher Ebene so gut wie keine Beachtung gefunden haben. Noch heute sind viele Täter auf freiem Fuß, heute warten viele Opfer immer noch auf Gerechtigkeit.

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„Para nosotros era bien importante políticamente mostrar la agencia de las personas que antes solo fueron vistas como víctimas. para mí esos son uno de los logros políticos grandes de ese lugar. Dejar de presentar a esas personas exclusivamente como víctimas y que su vida se muestre más allá de esa categoría.“ Interview Otta 2016.

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Aspekte beider Dauerausstellungen im Vergleich

In den vorherigen Kapiteln wurden die Dauerausstellungen des Museo de la Memoria in Santiago und des Lugar de la Memoria in Lima jeweils für sich analysiert und erläutert. In den folgenden Ausführungen werde ich einige zentrale Aspekte beider Ausstellungen miteinander vergleichen. Ich werde mich hierbei auf zentrale Inszenierungen in Bezug auf ihre Raumwirkung und Zielsetzung sowie einzelne Ausstellungsinhalte konzentrieren. Dazu musste eine Auswahl getroffen werden, die unter Berücksichtigung der jeweiligen historischen und politischen Hintergründe auf folgenden Fragen basiert: Wie werden die Menschenrechtsverletzungen in diesen zwei verschiedenen erinnerungskulturellen und erinnerungspolitischen Kontexten museal vermittelt? Welcher Platz werden individuelle Erinnerungen in der Präsentation eingeräumt? Inwiefern ermöglichen Konzeption und Gestaltung das Verständnis komplexer Zusammenhänge? Und schließlich in Bezug auf die postulierten Ziele der Institutionen: Wie orientieren sich Konzeption und Gestaltung an den jeweiligen Zielen? Durch den Vergleich beider Repräsentationsformen und Darstellungsprinzipien werden Gemeinsamkeiten und Unterschiede identifiziert. Dadurch lassen sich die Spezifika beider Institutionen und deren erinnerungspolitische Strategien am besten feststellen und bewerten. Aber vor allem kann man durch die Methode des Vergleichs Besonderheiten entdecken, die ohne einen komparativen Ansatz höchstwahrscheinlich nicht erkennbar wären.

7.1 ZEITLICHE STRUKTUREN Zu den üblichen Präsentationsformen historischer Ausstellungen zählt die chronologische Präsentation. Dies ist eine zeitbezogene Gliederung und Strukturierung der konzeptuellen Darstellung eines Themas in einer räumlichen Ordnung.

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Dabei werden zeitlich und/oder thematisch getrennte Abschnitte sowie deren Reihenfolge als räumliche Einheiten und Abfolgen definiert. 1 Das chronologische Erzählen ermöglicht es durch die Konstruktion historischer Kontexte, eine Vielfalt von Informationen übersichtlich zu komponieren und somit „[…] den Zusammenhang zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft als zeitliche Verortung von Menschen und Dingen bewusst und vorstellbar zu machen.“2 Das Anliegen chronologischer Ausstellungen hat sowohl einen pädagogischdidaktischen Ursprung als auch erinnerungspolitische Absichten. Man muss sich jedoch klar machen: Einerseits begünstigt der chronologische Rundgang eine gewisse Struktur bei der Informations- und Geschichtsvermittlung. Anderseits werden aufgrund der begrenzten Selektion von thematischen Schwerpunkten und Ausstellungsinhalten, die durch eine dargestellte Chronologie gerechtfertigt wird, andere Inhalte reduziert oder gar ignoriert. Der narrative Charakter chronologischer Ausstellungen weist zudem zeitliche Verflechtungen sowie Höhepunkte auf. Dies begünstigt die Konstruktion von Geschichtsdeutungen, die üblicherweise – zumindest museal – nicht hinterfragt werden. Auf diese Weise werden Ausstellungseinheiten als lineare Raumfolge angelegt. Doch konfliktreiche historische Ereignisse lassen sich aufgrund ihrer Komplexität nicht nur einfach der Reihe nach erzählen. Nicht immer sind Phänomene kausal nacheinander erklärbar. Es gibt zum Beispiel Themen, die transversal verlaufen. Ein rein chronologischer Ansatz würde die gesamte museale Geschichtsdarstellung limitieren. Deswegen entschieden sich beide Einrichtungen für eine Kombination zwischen Chronologie und thematischen Schwerpunkten. In beiden Museen findet eine räumliche Chronologie statt, die aber immer wieder durch relevante Querschnittsthemen ergänzt oder auch bewusst durchbrochen wird. Gewiss kann man in einem Museum unmöglich alle Aspekte eines historischen Ereignisses erzählen, gerade wenn es so komplex und langwierig war. Eine Auswahl an Themen und Schwerpunkten ist daher vonnöten. Es ist diesbezüglich zu betonen, dass die Auswahlentscheidung den Diskurs bestimmt. In welchem Zeitraum werden welche Themen den Erinnerungsdiskurs ausmachen? Und warum genau diese Themen? Interessant sind in diesem Zusammenhang zwei Aspekte, die in den hier untersuchten Fällen unterschiedlich behandelt werden: die historische zeitliche Perspektive und der Gegenwartsbezug. Beide Museen behandeln aufgrund ihres Mandats einen bestimmten Zeitraum, wie schon im Kapitel 6 thematisiert wurde. Wie sie ihr jeweiliges Mandat interpretieren, inwiefern sie es ausdehnen oder strikt auf ihm beharren, wird im Folgenden erörtert.

1 2

Vgl. Scholze 2004, S. 122. Ebd., S. 138.

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In den Grundrissen des architektonischen Projekts zum Lugar de la Memoria ist im Flur in erster Etage bereits eine chronologische Entwicklung des Terrors eingezeichnet.3 Sie wird im Grundriss Línea de tiempo (Zeitlinie) genannt und verweist auf einen linearen Zeitverlauf, welchem die Ausstellung folgen sollte. In der Umsetzung und in der Museografie kam es jedoch zu einer anderen Konzeption. Nichtsdestotrotz empfängt den Besucher in dem LUM zu Beginn der Ausstellung eine Anschauungstafel mit einem Diagramm der zeitlichen Abfolge des 20 Jahre andauernden Konflikts, aufgeteilt nach den drei damals amtierenden Regierungen. Anhand von jeweils drei Bildschirmen, Fotografien und Zeitungsausschnitten (Reproduktionen) werden die Höhepunkte, Schlüsselsituationen, Terroranschläge und Massaker zur Schau gestellt (Abbildung 6). Aber auch die Zeit vor dem Konflikt wird kurz erwähnt. Auf der Tafel eingezeichnet sind die zwölf Jahre Militärdiktatur, wenn auch nur am Rande und in sehr allgemein gehaltener Weise. Die chronologische Anschauungstafel hat drei Achsen: eine politische (eje político), eine auf Gewaltaktionen bezogene (eje violencia) und eine, die sich auf die Kampf gegen die Gewalt bezieht (eje lucha contra la violencia). Die didaktische Systematisierung und die Differenzierung ermöglichen eine bessere Einordnung der umfangreichen Informationen und eine einfachere Orientierung zu Beginn des Ausstellungsbesuchs. Das Museo de la Memoria y los Derechos Humanos in Santiago beginnt seine Dauerausstellung auch mit einem chronologischen Ansatz. Ein roter Zeitstrahl an einer Wand beschreibt „nur“ einen Tag und seine detaillierte Entwicklung, sodass der Besucher den Ereignissen jenes Tages (11. September 1973) im Minutentakt folgen kann. Darunter hängen zusätzlich drei Bildschirme, welche die oben beschriebenen Ereignisse mit Originalmaterial visualisieren (Abbildung 12). Hierbei handelt es sich um – vielleicht – den entscheidenden Tag in der jüngeren Geschichte Chiles; ein Tag, der eine dramatische Wende herbeiführte. Somit wird die historische Bedeutung des 11. Septembers 1973 herausgehoben, was in der Dramaturgie mehr als gerechtfertigt ist. Anders als in Chile thematisiert das Museum einleitend die Ursprünge der Gewalt sowie ihre möglichen Gründe. Hinter der Zeitlinie im LUM in Lima steht eine große Stellwand, die mit Orígenes de la Violencia (Ursprünge der Gewalt) betitelt ist (Abbildung 6). Auf der Informationstafel wird auf die Rolle der subversiven Organisationen Sendero Luminoso und MRTA im internen bewaffneten Konflikt hingewiesen. Der Akzent liegt auf der Tatsache, dass sie verantwortlich für den Beginn des Gewaltzyklus waren. Deswegen werden sie als „Ursachen“ der Gewalt genannt. Die Rolle der Staat bei der Entstehung extrem linksextremer bewaffneter Gruppierungen und die möglichen Gründen, weshalb deren Diskurs 3

Konzept des Architekturbüros Barclay & Crousse.

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– zumindest anfangs – teilweise Unterstützung in der bäuerlichen Bevölkerung in den Anden fand, wird nur sehr kurz erwähnt. Trotzdem gibt es ein Versuch, den Konflikt in einen größeren historischen Kontext zu integrieren und ihn nicht als ein isoliertes Ereignis zu behandeln. Auf seiner Facebook-Seite geht der LUM noch weiter zurück in die Vergangenheit. Der LUM versucht auf innovative Weise, den internen bewaffneten Konflikt in einer erweiterten Perspektive zu zeigen und bedient sich dabei der technischen Möglichkeiten von Social-Media-Plattformen. Auf der „Facebook-Chronik“ hat das Team für Öffentlichkeitsarbeit des LUM seine Narrative mit dem Datum 17. Juni 1956 gestartet; dem Tag, an dem Frauen in Peru zum ersten Mal wählen durften. So geht es weiter mit erinnerungspolitischen und erinnerungskulturellen Schlüsselmomenten der Vergangenheit bis in die Gegenwart. Eine kurze Beschreibung des Ereignisses zusammen mit einem Bild sowie die Möglichkeit, das Ereigniss zu kommentieren, ist eine übliche Kommunikationsstrategie der heutigen jüngeren Generationen, und genau sie sollen damit angesprochen werden. Die Institution möchte sich somit als ein lebendiger Ort präsentieren und in einen stetigen Dialog mit der Gesellschaft treten. Da im LUM nicht alle Aspekte des Konflikts ausführlich behandelt werden können, versucht man auf diese Art und Weise, seine Chronologie zu erweitern. Ganz anders sieht die Strategie des Museo de la Memoria in Santiago aus. Die zeitliche Limitierung der Situation vor dem Putsch wurde bereits thematisiert. In verschiedenen Gesprächen mit Museumsmitarbeitern erfuhr ich, dass diese Tatsache im Rahmen von museumspädagogischen Aktivitäten ständig von den Besuchern infrage gestellt werde. Als ich dort im Bereich der Museumspädagogik ein Volontariat absolvierte (September bis November 2012), wurde mir gesagt, es sei vorgesehen, die Zeit vor dem Putsch in künftigen Wechselausstellungen zu thematisieren. Doch bis dato gibt es keine solche Ausstellung. Trotzdem bemüht sich die Institution, zumindest eine Brücke in die Gegenwart zu schlagen und somit ihr Mandat nach „vorne“ auszudehnen. Dies geschieht einerseits in museumspädagogischen Aktivitäten, zum Beispiel in Workshops oder während der Führungen. Die Mehrheit der Besucher besteht aus Schulklassen, die nach Terminvereinbarung von einem Museumsbegleiter (meist Historiker) kostenlos durch die Ausstellung geführt werden. Die Museumspädagogen beschäftigen sich sowohl mit den Themen der Dauerausstellung als auch mit den aktuellen Herausforderungen im Bereich der Menschenrechte in Chile. Anderseits kristallisiert sich deren Bemühen zum Teil auch in der Auswahl der Wechselausstellungen. Hierzu möchte ich ein Beispiel erläutern: 2012 wurde temporär die Ausstellung Lonquén vom chilenischen Künstler Gonzalo Díaz präsentiert. Es handelte sich dabei um die Wieder-Inszenierung seiner ursprünglich

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Lonquén 10 años genannten Installation, die 1989 in Santiago gezeigt wurde. Lonquén ist ein Ort, in dem 1973, kurz nach dem Putsch, 15 Bauern von Mitgliedern der Militärpolizei ermordet und danach verbrannt wurden. Der Fall wurde 1978 öffentlich denunziert und legte zum ersten Mal die Beteiligung der Diktatur am Verschwindenlassen von Personen offen. Die Intention des Künstlers war nicht eine historische Rekonstruktion des Falles bzw. seiner eigenen Ausstellung. Díaz’ konzeptionelle Perspektive für eine Neu-Inszenierung war vielmehr appellativ, indem er die Aufmerksamkeit auf die heutige Situation der desaparecidos lenkte, die (wegen des „Schweigepakts“ des Militärs) immer noch von ihren Angehörigen gesucht werden.4 Darüber hinaus wird auch in der Museografie der Dauerausstellung im Museo de la Memoria eine Verbindung zur Gegenwart hergestellt. Interessant ist allerdings, wie dies geschieht. Im Saal Once de Setiembre treffen Besucher auf eine Live-Stream-Übertragung des restaurierten Regierungspalasts La Moneda (Abbildung 2). Die ruhigen Bilder dieser Aufnahme kontrastieren sehr stark mit den anderen im selben Saal ausgestellten (audiovisuellen) Bildern und Reliquien der Zerstörung und Repression. Durch die Gegenüberstellung werden die „Vorteile“ der heutigen Demokratie hervorgehoben, und gleichzeitig wird ein Schlussstrich unter die Diktatur gezogen. Es wird eine geschlossene Geschichte präsentiert, die einen scharfen Bruch zwischen einer diktatorischen Vergangenheit und der aktuellen, konsolidierten Demokratie markieren will. Der universelle ethische Imperativ der Achtung und des Respekts für das Leben und die körperliche Unversehrtheit stehen somit im Vordergrund. Im Gegensatz dazu beginnt die Museografie in Lima vor dem Konflikt und endet mit denjenigen Themen, welche die Gegenwart und die Zukunft der Rechtsstaatlichkeit und des respektvollen gesellschaftlichen Zusammenlebens gefährden. Der vollständige Name des LUMs ist Lugar de la Memoria, Tolerancia e Inclusión Social, und gerade in den letzten Räumlichkeiten findet dieser lange Name seine Rechtfertigung. So wird in der Dauerausstellung deutlich, dass angebliche Probleme der Vergangenheit wie Indifferenz, Intoleranz und Diskriminierung heute noch das soziale und politische Leben bestimmen. Das bedeutet, dass dort kein rundes und abgeschlossenes Bild der Geschichte angeboten wird, sondern eher eines mit open end.

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Für mehr Informationen über diese Ausstellung siehe: http://ww3.museodelame moria.cl/exposiciones/lonquen/ (abgerufen am 14.08.2017).

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7.2 INSZENIERUNGEN UND REKONSTRUKTIONEN ALS GESTALTUNGSPRINZIP Der Begriff Inszenierung hat seinen Ursprung in der Theaterwelt. Die szenische Durchführung eines Romans oder einer Dichtung spielt sich im klassischen Sinne auf einer Bühne vor einem Publikum ab. Im Museum sind die Besucher das Publikum und die Ausstellungsräumlichkeiten dienen dazu, die darzustellenden historischen Inhalte dreidimensional „in Szene zu setzen“. Dabei werden Montagen oder Objektarrangements entworfen, bei denen Aspekte wie Ton, Beleuchtung, Farbe und audiovisuelles Material eine besondere Rolle spielen. Dieses Gestaltungsprinzip zielt darauf ab, die Wirkung des Erzählten zu intensivieren. Oft, aber nicht zwingend, wird in den Rauminstallationen Gelegenheit zur Interaktion und Begehung geboten. Der Trend zu Inszenierungen5 in den Präsentationsformen kulturhistorischer Museen basiert auf besucherorientierten Konzepten, die einer konstruktivistischen Herangehensweise zugrunde liegen. Der Begriff Inszenierung wird seit einigen Jahren mit mehreren Bedeutungen und (sogar pejorativen) Konnotationen versehen. Die Literaturwissenschaftlerin Aleida Assmann differenziert beispielsweise zwischen medialen (Film, Video oder digitale Medien) und räumlichen (an einem historischen Schauplatz) Inszenierungen.6 Im deutschsprachigen Raum wird der Begriff Inszenierung aber auch im Sinne von „Stilisierung“ oder „Selbstinszenierung“ verwendet. Auf den ersten Blick wird der Ausschlusspunkt zum museografischen Sinn von Inszenierungen vielleicht nicht deutlich. Doch man kann durchaus Parallelen feststellen: Heutzutage kann jeder, der Aufmerksamkeit erzeugen will, sein Privatleben präsentieren und Resonanz erwarten. Aber nicht nur das Privatleben ist sofort visualisierbar, auch (historische, politische, kulturelle) Ereignisse ungeachtet zeitlicher und örtlicher Faktoren sind sofort öffentlich zugänglich. Sind sie nicht in den Massenmedien präsent bzw. werden sie nicht „gepostet“, werden sie gar nicht wahrgenommen. Dieses Phänomen spiegelt sich in der musealen Präsentation von Geschichte wider.7 Deswegen sind aufwendige Inszenierungen in kul5

6 7

Eine übertriebene Verwendung dieser Darstellungsmethode kann möglicherweise von den historischen Inhalten ablenken und wäre gerade in Museen dieser Art nicht angemessen. Mit dem Stichwort Disneyfizierung der Museen wird diese Kritik zugespitzt. Damit wird befürchtet, dass die Wissensvermittlung, das historische Bewusstsein und die kulturelle Bildung zugunsten der Unterhaltung und des Konsums zugrunde gehen. Eine ausführlichere Darlegung der Vor- und Nachteile dieses umstrittenen Gestaltungsprinzips wird im Kapitel 8 behandelt. Assmann, Aleida: Geschichte im Gedächtnis. Von der individuellen Erfahrung zur öffentlichen Inszenierung. München: C.H. Beck 2007, S. 152 f. Die Museumstheoretikerin Rosmarie Beier-de Haan thematisiert dieses Phänomen, indem sie zunächst auf Markus Schroer hinweist. (Schroer, Markus: Das Individuum

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turhistorischen Museen beliebte Präsentationsstrategien. Als besonderes Medium der Geschichtsvermittlung versucht das Museum, seine Möglichkeiten zu nutzen und dadurch Besucher zu begeistern. In der vorliegenden Studie wird Inszenierung allgemein als eine Präsentationsstrategie verstanden, in der mithilfe von multimedialen Methoden, Handlungsangeboten sowie interaktiven und multisensorischen Anreizen thematische Schwerpunkte einem breiten Publikum vermittelt werden, und die darauf abzielt, Aufmerksamkeit und Interesse zu erwecken. Sowohl im Museo de la Memoria als auch im LUM wird dieses Gestaltungsprinzip an mehreren Stationen eingesetzt. Die wirkungsvollste Inszenierung im Museo de la Memoria stellt der Raum Ausencia y Memoria (Abwesenheit und Gedenken) dar und im LUM der Bereich für die desaparecidos; beide werden im Verlauf dieses Kapitels ausführlich erörtern. Rekonstruktionen folgen ebenfalls einem inszenatorischen Prinzip, doch eher in einem „bühnenhaften“ Sinne, indem sie eine Situation räumlich wiedergeben oder zumindest andeuten, um auf diese Weise Informationen zu vermitteln. In vielen Erinnerungsmuseen, gerade in denen, die nicht in oder an historischen Orten gebaut sind, wird mit Rekonstruktionen gearbeitet, damit sich der Besucher eine räumliche Vorstellung damaliger Umstände machen kann. Die Palette an Möglichkeiten kennt keine Grenzen: Es können einfache Maquetten bis hin zu lebensgroßen Figuren an naturgetreuen Schauplätzen gezeigt werden. Die Raumgestaltungen werden oft von Bildern oder Filmen, weiteren Objekten oder Informationstafeln begleitet, um den Besucherinnen und Besuchern nicht nur ein Raumerlebnis zu ermöglichen, sondern auch komplexe historische Hintergründe verständlich zu machen. Im Gegensatz zu anderen Sammlungen, in denen Originalobjekte fast inhärent zu Inszenierungen und Rekonstruktionen gehören, steht die dreidimensionale und kontextbezogene Präsentation von Originalobjekten als Authentizität stiftende Funktion in den hier zu vergleichenden Ausstellungen nicht an erster Stelle. Originale Exponate, wenn vorhanden, werden eher als Zitat, Illustration oder Beleg einer anderen Zeit verwendet, und immer, um den Plot und die Argumentation zu unterstützen. Bei Rekonstruktionen wird der Authentizitätsfaktor zwar relevanter, er wird aber auch nicht immer durch authentische Exponate erreicht. Der Aurabegriff scheint an diesen nichthistorischen Orten keine vordergründige

der Gesellschaft: Synchrone und diachrone Theorieperspektiven. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2001, S. 424, zit. nach Beier-de Haan S. 42. Sie zeigt in ihrer Studie, wie sich dieses Phänomen auch in den Ausstellungskonzepten verdeutlicht. Siehe: Beier-de Haan, Rosmarie: Erinnerte Geschichte – Inszenierte Geschichte. Ausstellungen und Museen in der Zweiten Moderne, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2005.

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Rolle zu spielen, denn die Authentizität wird durch andere Kanäle gesucht, wie es an den nachfolgenden Ausführungen deutlich wird. Sowohl in Santiago als auch in Lima bedienen sich die Museen des Mittels der Rekonstruktionen. Der Bereich, der im Museo de la Memoria Folter thematisiert, versucht, durch zwei Objekte in einem mit gedämpftem Licht ausgestatteten Raum eine Art Folterkammer wiederzugeben. Es handelt sich um Objekte ‒ ein Bettgestell und ein Elektroschockgerät ‒ die an die fürchterlichen Schmerzen und Demütigungen erinnern, denen Folteropfer ausgesetzt waren (Abbildung 3). Die Zurschaustellung von derartigen Artefakten ist vor allem in ehemaligen Haft- und Folterzentren üblich. Der Unterschied besteht im hier untersuchten Fall darin, dass das Museo de la Memoria eben kein historischer Ort ist und dass es sich bei den Folterinstrumenten, die dort arrangiert sind, nicht um Originalobjekte handelt, sondern um Reproduktionen. Im Übrigen sei darauf hingewiesen, dass sie nicht als solche gekennzeichnet sind. Durch die fehlenden Hinweise wird versucht, eine „echte“ Folterkammer zu zitieren. An mehreren musealisierten Gedenkorten, an denen Folterinstrumente als Teil der Inszenierung dargestellt werden, sind sie mit Aussagen von Überlebenden ergänzt.8 Da Rekonstruktionen per se künstliche Wiedergaben sind, benötigen sie, um glaubwürdig zu wirken, einen „Authentizitätsfaktor“. Im Fall von Chile waren daher Aussagen von Überlebenden umso wichtiger für die Raumgestaltung, denn deren Wirkungskraft entfaltet sich erst durch die Interviewausschnitte über die eigenen Foltererfahrungen. Autobiografische Erzählungen, gerade wenn sie traumatische Erlebnisse schildern, besitzen außerdem eine moralische Autorität.9 Überlebende und ihre dramatischen Berichte bilden eine unangefochtene Wahrheit, die schwer zu hinterfragen ist. Allerdings bleibt dann wenig Raum für umfassende Diskussionen bzw. für eine kritische Auseinandersetzung. „Die Raumgestaltung deutet die thematisierte Situation abstrahiert an und entwickelt visuell, sensuell, auditiv und in ihrer Symbolik einen eindringlichen Vorstellungsund Assoziationskontext.“10 Die thematische Abstraktion der Raumgestaltung wird im chilenischen Fall von autobiografischen Erzählungen begleitet, sodass Assoziationen nicht nur auf der historisch-aufklärerischen Ebene bleiben, sondern auch darüber hinaus eine emotionale Identifikation intendieren. Allerdings ist emotionales Nachempfinden für fremde Gewalterfahrung schwierig zu erwarten, denn es ist zu vermuten, dass die Mehrheit der Besucher keine direkten Erfahrungen mit Folter gemacht hat. Sich so ein grauenvolles Schicksal vorzustel-

8 9 10

Vgl. Williams 2007, S. 27. Vgl. Köhr 2012, S. 113. Scholze 2004, S. 100.

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len, ist daher sehr unwahrscheinlich. Nichtsdestotrotz stellt dieser Raum in seiner Gesamtwirkung einen der einprägsamsten des Museums dar. Im LUM, im Bereich, der den Exhumierungen gewidmet ist (La Hoyada und Los Cabitos), wird ein ähnlicher Themenbereich behandelt, aber mit unterschiedlichen Ansätzen. Das Hauptquartier Los Cabitos war das größte geheime Haftund Folterzentrum von Ayacucho. 1985 wurde auf Befehl von General Wilfredo Mori Orzo ein Ofen auf dem als La Hoyada bekannten Gelände für die Verbrennung von den seit 1983 in Los Cabitos begrabenen Leichen gebaut.11 Nach Jahren des Kampfes um Wahrheit und Gerechtigkeit wurden dort mehrere Überreste von Menschen exhumiert. Trotz der Schlagkraft von verfügbaren Informationen bezüglich der Täterschaft von Militärangehörigen im Fall Los Cabitos und La Hoyada sind die Umstände immer noch nicht vollständig aufgeklärt. Im Gegensatz zu Chile oder Argentinien, wo viele Folterzentren zu Gedenkorten umgewandelt wurden, wird in Peru die Kaserne noch heute als solche genutzt. Doch auf diese Situation nimmt der LUM keinen Bezug. Es wird also nicht versucht, das Quartier wie in Santiago in Verbindung mit „Folter“ zu thematisieren und räumlich zu zitieren bzw. zu rekonstruieren, sondern man konzentriert sich auf La Hoyada. In der Dauerausstellung stellt diese Inszenierung einen Bruch mit den vorherigen Präsentationsformen dar. Ein aus der Vogelperspektive aufgenommener großformatiger Farbdruck des Geländes ist auf dem Boden platziert, zusammen mit acht Aufnahmen von den dort stattgefundenen Exhumierungen (Abbildung 13). Die ungewöhnliche Platzierung der Abbildung ermöglicht es den Besuchern, sich die Dimensionen des Geländes (7 Hektar) vorzustellen. Sie ist etwas in den Boden abgesenkt und von echter Erde umgeben, als symbolisches Zitat für den authentischen Ort. Das großformatige Foto wird von zwei Informationstexten begleitet, auf denen eine allgemeine Definition des Begriffes „Exhumierung“ gegeben sowie auf die noch nicht gelöste Frage der Identifikation und Überstellung der exhumierten Überreste an die Familienangehörigen hingewiesen wird. Die konkreten Probleme und Hindernisse, die seit Jahren mit dem Ort verbunden sind, werden nicht thematisiert. Der zweite Text befasst sich mit der Übergabe des Areals La Hoyada vonseiten des Justizministeriums für die Errichtung eines Gedenkortes, der bisher jedoch noch nicht gebaut wurde, sowie mit dem Engagement des Vereins ANFASEP. Schließlich wird darauf hingewiesen, dass „según muchos testigos“ („laut vielen Zeugen“) Folter, außergerichtliche Hinrichtungen und das Verschwindenlassen von Personen praktiziert wurden. Anders als im Museo de la Memoria 11

http://santuario.lahoyada.info/el-santuario-la-hoyada/historia-de-la-hoyada (abgerufen am 14.08.2017).

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verzichtet der LUM jedoch auf persönliche Perspektiven zu dem Thema. In einem Interview mit einem Mitglied des Kuratorenteams wurde diesbezüglich argumentiert, dass der LUM sich nicht über einen noch nicht über gerichtliche Instanzen abgewickelten Fall positionieren könne.12 Man hätte aber gerade deswegen an dieser Stelle mit Zeugenaussagen argumentieren können. So wäre es nicht die Stimme der Institution, sondern die der direkten Akteure, die laut würde. Außerdem hätte der Besucher mehr über die „vielen Zeugen“ erfahren. Die Aufmerksamkeit der Besucher wird stattdessen vor allem durch die ungewöhnliche Präsentation und die Abweichung von der sonst in dieser Etage eher traditionellen Form der Raumgestaltung geweckt, und weniger durch den Inhalt, der hauptsächlich durch die Texttafel vermittelt wird. Auch die emotionale Ebene wird aufgrund des fehlenden Einsatzes von Zeugenaussagen nicht angeregt. Diese Art „Reproduktion“ bleibt daher eine verfremdete und abstrakte Repräsentation, die nur bedingt zu rechtfertigen ist.

7.3 REPRÄSENTATIONEN DER OPFER Das Gedenken und die Würdigung der Opfer ist eines der Hauptanliegen jedes Erinnerungsmuseums, sei es nun ein Museum einer privaten Initiative oder eine staatlich errichtete und getragene Institution. Im Museo de la Memoria und im Lugar de la Memoria nehmen die Opfer sowohl inhaltlich-diskursiv als auch gestalterisch eine vorrangige Stellung ein. Die Bereiche, die den Opfern gewidmet sind, stellen die Höhepunkte der Narrative und der Museografie dar. In beiden Museen herrscht außerdem eine opferzentrierte Perspektive. Die Täterperspektive wird dagegen meistens nicht ausgeführt, und wenn, dann nur, um die Täterrolle zu akzentuieren. Um die Repräsentation der Opfer in den hier behandelten Einrichtungen gründlich zu untersuchen, werde ich drei Dimensionen berücksichtigen: die ästhetische, die museografische und die (erinnerungs-)politische Dimension, wobei diese nicht in separater Form betrachtet werden, sondern alle drei in die Ausführungen einfließen. Opferporträts Fotografien verdichten politische, historische und kulturelle Ereignisse. 13 Deswegen gehört die Anwendung von fotografischem Material (oder seine Reproduktion) weltweit zu den meistverbreiteten Methoden der Visualisierung von 12 13

Interview Otta 2016. Vgl. Wolfrum 2009, S. 217.

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Geschichte in Museen und Gedenkstätten. Porträtfotografien der Opfer haben sich international als ein zentrales Gestaltungs- und Erzählprinzip in Erinnerungsmuseen etabliert. Sie empfangen als Prolog die Besucher, sie befinden sich an Schlüsselstellen einer Dauerausstellung in Form von aufwendigen Inszenierungen oder an ihrem Ende als Epilog. Um nur ein paar Beispiele zu nennen: Das Staatliche Museum Auschwitz-Birkenau in Oświęcim, die Internationale Holocaust Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem und das United States Holocaust Memorial Museum in Washington D.C. verwenden alle Porträtfotografien von Opfern. Es ist kein Zufall, dass alle drei Beispiele Museen sind, die sich dem Holocaust widmen. Denn viele ästhetische Ausdrucksformen und Repräsentationsweisen über den Holocaust haben Referenzcharakter nicht nur für Museos de la Memoria in Europa, Nordamerika und Israel, sondern auch in Afrika, Asien und natürlich Lateinamerika. 14 Anhand der drei genannten Beispiele merkt man außerdem, dass dieses Prinzip nicht exklusiv von Gedenkstätten an historischen Orten eingesetzt wird, sondern sich auch in anderen Ausstellungen an nichtauthentischen Orten durchgesetzt hat, so wie im Museo de la Memoria in Santiago. Die ausführliche Beschreibung der den Opfern gewidmeten Fotoinstallation erfolgte bereits im Kapitel 6. Nun liegt der Fokus auf den von einem solchen Gestaltungsprinzip verfolgten Zielen, um schließlich herauszufinden, inwiefern sie tatsächlich erfüllt werden. Erinnerungspolitisch und diskursiv betrachtet, ist es wünschenswert, die Opfer – buchstäblich − im Zentrum der musealen Narrative zu positionieren. Die Personen, die heute aufgrund von Menschenrechtsverletzungen nicht mehr anwesend sind, sind zumindest im Museo de la Memoria allgegenwärtig, besonders in der imposanten Fotoinstallation mit Opferporträts, die sich über zwei Stockwerke erstreckt und von allen Seiten zu sehen ist. Anhand von Porträtfotografien oder Ausweisbildern soll der Aspekt der Individualisierung der Opfer hervorgehoben werden. Somit werden gleichzeitig drei Zwecke erfüllt: Erstens sind die Dokumente Beweismaterial für die Existenz einer Person. Im Falle der Verschwundenen, deren Tod nicht immer nachweisbar ist, belegen Fotografien wenigstens das Leben der betroffenen Person. In direktem Bezug dazu sind Bilder 14

So weist beispielsweise die Fotoinstallation im Museo de la Memoria in Santiago gewisse Ähnlichkeiten mit der Installation im Yad Vashem in Jerusalem auf. Auch im Lugar de la Memoria in Lima wurden Elemente aus dem U.S. Holocaust Memorial Museum zitiert, beispielsweise im Raum, der den desaparecidos gewidmet ist. Hier kann der Besucher ein Heftchen mitnehmen, das sich konzeptionell sich das Konzept der Identification-Cards ähneln. Mehr zu ID-Cards: https://www. ushmm.org/remember/id-cards (abgerufen am 14.08.2017). Allerdings ist es trotz aller Ähnlichkeit nicht immer klar, ob die Ausstellungsgestalter die HolocaustRepräsentationen für die eigenen zitiert bzw. uminterpretiert haben. Um dies herauszuarbeiten, bedarf es allerdings einer eigenen Studie.

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außerdem ein Zeugnis für Identität, gerade die Kategorie Ausweisfotos, die für das Documento Nacional de Identidad (DNI, Personalausweis) benötigt werden. Im peruanischen Fall haben die Ausweisfotos eine besondere Bedeutung: Einerseits war der Besitz von Personalausweisen in manchen abgelegenen, ländlichen Gebieten nicht immer üblich. Das bedeutet: Viele Landbewohner waren nirgends registriert; sie konnten weder ihre Identität offiziell nachweisen, noch waren ihnen ihre politischen und zivilen Rechte bewusst. Durch ein solches Dokument entsteht zugleich die formelle Zugehörigkeit zur Zivilgesellschaft, wie der Museologe Paul Williams bemerkt: „Despite the minimalism, the frontal photograph is credited with being able both to describe an individual and to inscribe them with certain social identity.“15 Nichtsdestotrotz gab es in diesen Gebieten durchaus Menschen, die über einen Personalausweis verfügten. Ihre Ausweisfotos waren in vielen Fällen die einzige Abbildung, die man von der Person besaß. Im Fall des Verschwindenlassens blieb nur das Andenken in Form von (Ausweis-)Bildern übrig. So verwandelten sich (Ausweis-)Bilder zu persönlichen Erinnerungen sowie Sinnbilder der Menschenrechtsbewegung auf dem gesamten lateinamerikanischen Kontinent. Den wohl bekanntesten Fall stellt die Organisation Madres de la Plaza de Mayo (Mütterbewegung in Argentinien) dar, die jede Woche mit ihren weißen Kopftüchern und den Fotografien ihrer Kinder oder Partner auf der Plaza de Mayo vor dem Präsidentenpalast in Buenos Aires demonstrieren. In der ersten Wechselausstellung des LUM, welche u. a. weitere Museos de la Memoria in Peru zeigt, sieht man eine Großfotografie der Frauen von ANFADA (Asociación de Familiares de Detenidos, Desaparecidos, Asesinados por la violencia subversiva en Huancavelica– Vereinigung der Familien der Verhafteten, Verschwundenen und Ermordeten aufgrund der subversivem Gewalt in Huancavelica) bei einer Demonstration. Die Abbildung, die sich über eine ganze Wand erstreckt, zeigt Frauen dieser Organisation mit den vergrößerten Bildern ihrer Kinder, Männer oder Brüder als wohl einziges Beweismittel und als Erinnerungssymbol. Zweitens sind Porträts ein Ausdruck von Individualität. Im musealen Kontext besteht der Hintergedanke darin, den größtenteils anonymen Opfern ein Gesicht zu geben. Gerade im Fall von Folter erfährt das Opfer autobiografischen Rekonstruktionen zufolge durch seinen Folterknecht eine Form der Entmenschlichung. Umso wichtiger ist es für die Ausstellungskonzeption, die Individualität der betroffenen Personen hervorzuheben. Durch die Individualisierung der Opfer werden ihre Würde und ihre Menschlichkeit restituiert; ihre Identität wird wiederhergestellt. Deswegen werden Opferfotografien oft von Biografien begleitet. So kann der Besucher vom Lebensweg der abgebildeten Person erfahren. Und 15

Williams 2007, S. 63 f.

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im direkten Bezug dazu ist es schließlich der dritte Zweck dieses Gestaltungsprinzips, Identifikation und Empathie zu erzeugen.16 Im Museo de la Memoria in Santiago sollen die einzelnen Bilder der oben genannten Installation Individuen und nicht nur eine Zahl zeigen. In seiner Studie über verschiedene Memorial Museums weltweit gelangt der Museologe Paul Williams diesbezüglich allerdings zu folgender Feststellung: „Although memorial museums typically aim to put a ‚human face‘ on tragedy, the end result can be depersonalization, insofar as the person or people depicted are often received as little more than representative sacrificial victims of a historical narrative.“17 Seine Beobachtung trifft in gewisser Weise auf den chilenischen Fall zu. Die Installation aus Schwarz-Weiß-Fotos im Museo de la Memoria ist zwar von allen Seiten sichtbar, doch die einzelnen Porträts kann man aus der Ferne nicht identifizieren (Abbildung 14). Sie wird von den Mitarbeitern als la nube (die Wolke) genannt. Eine Wolke ist eine Ansammlung winziger, in der Atmosphäre suspendierter Wassertröpfchen oder Eispartikel, die eine (mehr oder weniger) dichte Masse bilden. Wenn man metaphorisch an eine Wolke denkt, assoziiert man sie außerdem mit Ferne, mit Weite, mit Vergänglichkeit. Diese Konnotationen widerspricht aber gewissermaßen dem Ziel, den Opfern ihre Identität und Individualität zurückzugeben, denn es entsteht der Eindruck einer Einheit aus kleinen Porträts, die im Endeffekt eine große Masse bilden. Beabsichtigte man aber nicht genau das Gegenteil? Oder soll die Wolke etwa als ein Mahnmal interpretiert werden, das den Besuchern „Quantität“ zeigt und dadurch das Ausmaß der militärischen Gewalt zum Ausdruck bringt? Die Fotoinstallation alleine hätte keine ästhetische, erinnerungspolitische und geschichtsdidaktische Bedeutung, wenn sie nicht durch weitere Hintergrundinformationen begleitet würde. Deswegen haben die Kuratoren die Porträtfotos mit biografischen Angaben (Name, Alter, Militanz18, Beruf, Datum des Todes oder des Verschwindens) und Informationen über die Schicksale der abgebildeten Personen in Form eines interaktiven Touchscreen-Displays ergänzt, das sich gegenüber der Fotowand in einem hervorstehenden Glasbalkon befindet. Die Informationen (basierend auf den Berichten der Wahrheitskommissionen) helfen den Besuchern, sich intensiver mit den Opfern auseinanderzusetzen und diese 16

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Zum Verhältnis von historischen Inhalten zu emotionalisierenden Präsentationsstrategien in Museumsausstellungen siehe: Arnold-de Simine, Silke: Mediating Memory in the Museum. Trauma, Empathy, Nostalgia. Basingstoke: Palgrave Macmillan 2013. Williams 2007, S. 73. Die knappen Informationen erwähnen u. a. die Militanz (oder gegebenenfalls eben keine) der Personen. Anliegen der Kuratoren scheint gewesen zu sein, Stereotype aufzulösen und gleichzeitig zu zeigen, dass die Brutalität der Diktatur nicht nur die Militanten, sondern eine breitere Gesellschaftsgruppe erreichte.

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mit den Fotografien in Verbindung zu setzen. Die Fotografien bleiben also nicht unkommentiert, sondern der Besucher enthält die Gelegenheit, mehr über jedes dargestellte Opfer zu erfahren. Im Glasbalkon ist zudem eine Sitzbank, die zum Verweilen animiert und übrigens eine der wenigen Sitzgelegenheiten im Museum ist. Vom Glasbalkon aus können die Besucher die Fotoinstallation frontal betrachten, was ein kontemplatives Erlebnis erzeugt. Dadurch, dass der Balkon außerdem von künstlichen Kerzen umgeben ist, entsteht ein sakrales Ambiente. Aufgrund seiner Inszenierung und der daraus erzeugten Förmlichkeit erinnert dieser Bereich an einen Sakralraum und einen Trauerort zugleich, gerade für diejenigen, die einen direkten Bezug zu den Opfern haben.19 Als zentrale Ort des Gedenkens und der Andacht erzeugt er eine respektvolle Förmlichkeit. Betritt man den Raum, wird man von selbst leise oder gar stumm, und tut man dies nicht von sich aus, wird man darauf hingewiesen. In Anbetracht der obigen Ausführungen stellt sich schlussendlich die Frage danach, ob die „Wolke“ nun Nähe oder Distanz erzeugt. Einerseits werden die Besucher durch die biografischen Angaben den Schicksalen der Opfer nähergebracht, und somit wird versucht, eine emotionale Nähe zu erzeugen. Anderseits vergrößert die Architektur den Abstand zwischen (Fotografien der) Opfer und Besucher, denn es besteht eine große physische Distanz zwischen Balkon und Wand. Schließlich soll die sakrale Atmosphäre nicht unterschätzt werden. In diesem Zusammenhang nimmt das Sinnbild „Wolke“ eine weitere, aus der christlichen Ikonografie stammende Konnotation an, nämlich die „Nähe Gottes“. In einem kurz vor der Eröffnung des Museums verfassten Artikel stellten die Politologinnen Katherine Hite and Cath Collins fest, dass die Gedenkstättenkonzeptionen in Chile eine Grabmahl-Funktion bzw. Assoziation haben: „[F]unerary memorials keep the focus on the absence of victims – the dead or disappeared – rather than on the presence of survivors or even perpetrators.“ 20 Diese Feststellung setzt sich, bis zu einen gewissen Grad, im Museo de la Memoria fort. Die Art der Präsentation hebt besonders die Opferrolle der Personen hervor und distanziert sie gleichzeitig umso deutlicher von ihrem früheren Leben. Aus erinnerungspolitischer Sicht fungiert das Museum als eine symbolische Reparation, die den Opfern „einer vergangenen Zeit“ gedenkt und sie wür-

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Während meines Forschungsaufenthalts (September bis November 2012) konnte ich besonders an diesem Ort Zeichen der Trauer bei mehreren Besuchern beobachten. Auch die Kollegen im Bereich der Museumspädagogik haben davon aus ihren Erfahrungen berichtet. Hite, Katherine/Collins, Cath: Memorial Fragments, Monumental Silences and Reawakenings in 21st Century Chile. In: Millenium: Journal of International Studies. Vol. 38, Nr. 2, S. 379–400, hier: S. 382.

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digt. Damit geht der Staat seinen Pflichten nach. Doch gleichzeitig wird durch die Sakralisierung der Opfer und die Betonung ihres damaligen Leidens der Abstand zwischen gegenwärtigen Verpflichtungen, beispielsweise gegenüber anderen Opfergruppen bzw. Überlebenden oder im Hinblick auf Menschenrechtsverletzungen in der heutigen Demokratie größer. Bei den Entstehungsprozessen beider Museen lässt sich ein gewisses Maß an Partizipation der Opfergruppen bzw. deren Familien feststellen. In Chile übergaben sie ihre Sammlungen der Obhut des Museums. Sie wurden als Juroren für das architektonische Projekt eingeladen und wurden im Laufe des Implementierungsprozesses mehrmals konsultiert. Zudem ist die Präsidentin der Korporation Casa de la Memoria im Direktorium der Museumsstiftung gewesen. In Peru fand, nach jahrelanger Missachtung der Relevanz einer solchen Zusammenarbeit, schließlich ein Partizipations- und Konsultationsprozess während der konzeptionellen Phase statt, welche für die Ausarbeitung des Museumsskripts von großer Bedeutung war. Eine der wichtigsten Erkenntnisse des Prozesses war, dass die Opfergruppen (egal auf welcher Seite) nicht nur als Opfer dargestellt, sondern als Bürger wahrgenommen werden wollen, die heute Gerechtigkeit fordern. Auf die Anregungen und Anliegen der Teilnehmer wurde teilweise eingegangen, aber natürlich mussten Kompromisse gefunden werden. Letztendlich wurden die Entscheidungen für die Implementierung an sich eher in internen Kreisen getroffen. Wie die Wünsche der verschiedenen Opfergruppen museal umgesetzt wurden, wurde teilweise bereits im Kapitel 6 kommentiert. Nun sollen durch einen komparativen Blick weitere Aspekte reflektiert werden. Der LUM hat auf Fotografien von Opfern als Teil einer aufwendigen Inszenierung verzichtet. Stattdessen wurden Familienangehörige und Überlebende anhand von videografierten Interviews in übertragener Bedeutung porträtiert. Über das Medium Video werden Zeugnisse aufgenommen, aufbewahrt und dadurch den Nachfolgegenerationen zugänglich gemacht. Hierbei wird der Besucher wiederum Zeuge des Moments, in dem die Person ihre eigenen Erinnerungen rekonstruiert. Das Erlebte wird in Sprache umgewandelt, die Erinnerungen werden sprachlich ausgedrückt und medial verewigt. Genauso wie in Santiago, wird die Autorität dieser Aussagen museal nicht dekonstruiert, womöglich aus moralischen Gründen.21 So wie in Santiago wird der Besucher über biografische Daten und das Schicksal der betroffenen Personen informiert. 21

In Bezug auf den Holocaust zitiert Katja Köhr: „Der Verzicht auf diese Dekonstruktion wird sogar als moralisch notwendig befürwortet, da jede Analyse und Deutung die Gefahr der Schmälerung der emotionalen und moralischen Überzeugungskraft mit sich brächte.“ Krankenhagen, Stefan: Auschwitz darstellen – ästhetische Positionen zwischen Adorno, Spielberg und Walser. Köln u. a.: Böhlau 2001, S. 182, zit. nach Köhr 2012, S. 153.

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Diese meist sehr dramatischen Gegebenheiten sind jedoch im Gegensatz zu Santiago in der ersten Person von den direkten Protagonisten erzählt und nicht in der dritten Person in knapper Textform. Ein entscheidender Unterschied zwischen den biografischen Angaben in Santiago und in Lima liegt außerdem darin, dass sie in Lima nicht nur vom Tod der Personen handeln, sondern man erfährt auch viele weitere persönlichen Details über deren Leben. In Lima wurden die videografierten Interviews zu einer Videoinstallation mit neun von beiden Seiten betrachtbaren Flachbildschirmmonitoren arrangiert (Abbildung 9). Jeder Monitor ist mit einer Hörstation und einem Touchscreen ausgestattet und zeigt die erzählende Person in Lebensgröße. Der Besucher kann so der Person auf Augenhöhe und aus nächster Nähe gegenüberstehen und jeder der insgesamt 18 Lebensgeschichten aufmerksam zuhören. Durch die Doppelseitigkeit der Monitore entsteht wiederum die Wirkung, als ob die Personen miteinander kommunizieren würden. Es wird noch einmal deutlich, wie unterschiedlich ein gemeinsames Thema, nämlich die Porträtierung und Präsentation der Opfer, in den beiden Ausstellungen umgesetzt wird. Während in Santiago durch die Inszenierung Distanz und Kontemplation entsteht, wird in Lima gerade aufgrund der Inszenierung eine sowohl physische als auch emotionale Nähe zwischen Besucher und „Opfer“ erzeugt. In beiden Ausstellungen wird mit einem biografischen Ansatz gearbeitet, um somit die vielfältigen Hintergründe der Opfergruppen zu zeigen. In Santiago zeigt die „Wolke“ die Anzahl der im Bericht der Wahrheitskommission anerkannten Opfer und beeindruckt durch Quantität und Gestaltung. In Lima dagegen wird die Vielfalt der Opfergruppen exemplarisch dargestellt. Einzigartigkeiten werden vor Stereotypen bevorzugt. Nicht die Quantität, sondern die Vielschichtigkeit wird dadurch betont, und auf diese Weise ist der Besucher in der Lage, die Komplexität des Opferspektrums wahrzunehmen.

7.4 UMGANG MIT OBJEKTEN Für die Museumsarbeit ist das Sammeln und Ausstellen von Objekten wesentlich, denn es wird angenommen, dass sie als Erinnerungsträger und -speicher fungieren. Die Erinnerung wiederum bedarf der Verdinglichung, schrieb Hannah Arendt in den 1960er Jahren, also viele Jahre vor dem sogenannten Museumsboom und trotzdem so passend zu dem stetig wachsenden Interesse (und den dazugehörigen Diskussionen) der Geistes- und Kulturwissenschaften über den material turn. „Ohne Erinnerung und die Verdinglichung […] würde das lebendig

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gehandelte, das gesprochen Wort, der gedachte Gedanke spurlos verschwinden […].“22 Die Objektauswahl für eine Sammlung ergibt sich normalerweise aus folgenden Kriterien: insbesondere ungewöhnliche oder aufschlussreiche Objekte, repräsentative Objekte für eine bestimmte Erfahrung (hier könnte man als Beispiel Folterinstrumente nennen) und Objekte, die einer (bemerkenswerten oder bekannten) Person oder Gruppe gehörten. 23 Darüber hinaus muss die Sammlung mit den Richtlinien und Eignungskriterien des Hauses übereinstimmen. Die große Palette an Möglichkeiten kann für die Ausstellungsmacher eine komplizierte Angelegenheit bedeuten. Denn als persönliche Gegenstände allein haben diese Objekte keine historische oder ästhetische Bedeutung per se. Erst durch den Musealisierungsvorgang werden Alltagsgegenstände oder persönliche Dinge mit Historizität und Emotionalität beladen. „Any item exhibited in a museum is never allowed to remain the thing itself, but instead invokes meanings greater than the world of objects from which it has been picked out.“24 Ausstellungsobjekte sind ihrer ursprünglichen Funktionalität und ihres Gebrauchswertes entzogen und in einem neuen zeitlichen und räumlichen Kontext im musealen Display deponiert. Aufgrund ihrer Erzählkraft agieren sie als Träger von Informationen. Als Semiophoren wurden sie vom Philosoph und Historiker Krzysztof Pomian bezeichnet. Dabei handelt es sich um überlieferte Bedeutungsträger für etwas, das selbst nicht sichtbar ist. Ihre Aufgabe ist es, eine Kommunikation zwischen dem Sichtbaren und dem Unsichtbaren zu ermöglichen. Sie werden mit einer neuen Bedeutung versehen, die erst durch den Museumskontext entsteht.25 Die neue Bedeutung bzw. die neue Botschaft muss allerdings zunächst bestimmt werden und mit den Zielen der Institution, in der die Gegenstände ausgestellt sind, korrespondieren. Ihre Musealität wird aber nicht von ihrer Materialität oder ihrem Wert bestimmt, sondern davon, inwieweit sie Beweis und Dokumentation eines vergangenen Lebens sind. Ihr „ästhetischer Reiz“ beruht daher nicht auf ihrer formalen Schönheit, sondern darauf, dass sie Spuren menschlichen Lebens darstellen.26 Insofern haben derartige Exponate, so22 23 24 25 26

Arendt, Hannah: Vita activa oder Vom tätigen Leben. 3. Auflage. München: Piper 1981, S. 87. Vgl. Williams 2007, S. 29. Ebd., S. 30. Vgl. Pomian, Krzysztof: Der Ursprung des Museums. Vom Sammeln. Berlin: Wagenbach 1988, S. 49 f. Vgl. Korff, Gottfried: Zielpunkt: Neue Prächtigkeit? Notizen zur Geschichte kulturhistorischer Ausstellungen in der „alten“ Bundesrepublik (1996). In: Eberspächer, Martina, König/Gudrun Marlene/Tschofen, Bernhard (Hrsg.): Gottfried Korff. Museumsdinge. Deponieren – Exponieren. 2. ergänzte Auflage. Köln u. a.: Böhlau Verlag 2007, S. 24–48, hier S. 38.

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lange sie einzigartig sind, wie beispielsweise persönliche Relikte und Erinnerungsstücke, zugleich eine immaterielle Facette. In Anlehnung an Benjamins Aurabegriff27, jedoch nicht zwingend bezogen auf ein Kunstwerk, sondern auf jede historische Hinterlassenschaft, entfalten Ausstellungsobjekte „als Erinnerungsträger und Verkörperung historischer Substanz eine besondere Aura“28. Der Kulturwissenschaftler Gottfried Korff stellt den Begriff Authentizität mit dem Aurabegriff in Verbindung: „Was Benjamin für die Aura konstatiert hat, gilt auch für die Authentizität. Authentizität bezeichnet die gleiche Reizwirkung der Objekte, wie sie für die Aura beschrieben worden ist.“ Das Museum, so Korff, „lebt von der Konträrfaszination des Authentischen: vom historisch Fremden, das uns räumlich nah ist“29. Ergänzend zu diesem Gedanken kann man sagen, dass das Museum (nicht nur die Ausstellungsobjekte, sondern auch die Institution) u. a. davon lebt, dass ihm Authentizität, Sachlichkeit und Wahrheitswert zugeschrieben werden. Museumstheoretiker und Ausstellungsgestalter haben versucht, Ausstellungen zu klassifizieren, um sie besser methodisch untersuchen zu können. Die niederländischen Ausstellungsgestalter Jan Verhaar und Han Meeter differenzieren zwischen objektorientierten und konzeptorientierten Ausstellungen. 30 Bei Ersteren, wie der Name schon andeutet, bilden Objekte das zentrale Element, während im zweiten Fall die Narrative im Vordergrund steht und die Objekte eine untergeordnete Rolle spielen. Eine pauschale und absolute Kategorienzuordnung erscheint schwierig, denn Ausstellungskonzeptionen kombinieren meistens mehrere Elemente miteinander, und das eine schließt das andere nicht aus. Nichtsdestotrotz existieren Tendenzen. In den hier untersuchten Fällen stehen generell Originalobjekte in Form aufwendiger Inszenierungen oder Rekonstruktionen nicht im Zentrum der Ausstellungsgestaltung, sondern ihr Einsatz hat eher eine illustrierende oder erläuternde Funktion. Doch auch wenn sie nicht im Vordergrund stehen, würden kulturelle Institutionen dieser Art nicht gänzlich ohne Originalobjekte auskommen.

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28 29

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Für Benjamin ist die Aura ein Merkmal des Gegenstandes und materialistisch konzipiert. Zum Aurabegriff siehe: Benjamin, Walter: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit. Drei Studien zur Kunstsoziologie. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1963. Assmann: 2007, S. 136. Korff, Gottfried: Bildwelt Ausstellung. Die Darstellung von Geschichte im Museum. In: Borsdorf, Ulrich/Grütter, Heinrich Theodor (Hrsg.): Orte der Erinnerung. Denkmal, Gedenkstätte, Museum. Frankfurt am Main/New York: Campus Verlag 1999, S. 319–335, hier 322 f. Vgl. Verhaar, Jan/Meeter, Han: Project Model Exhibitions. Leiden: Reinwardt Academie 1988, S. 5, zit. nach: Scholze 2004, S. 26.

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In beiden Ausstellungen werden Originalobjekte, wenn sie eigenständig präsentiert werden, vor allem biografisch kontextualisiert. Biografischer Ansatz: Persönliche Relikte und Erinnerungsstücke Biografien sind schon seit Jahrzehnten fester Bestandteil musealer Präsentationen, zumindest im Falle renommierter und berühmter Menschen: Könige, Helden oder prominente Persönlichkeiten und ihre Taten waren und sind beliebte Themen in Museen. In Museos de la Memoria und Gedenkstätten weltweit werden vor allem die Biografien „normaler namenloser“ Menschen dargestellt, die aufgrund ihres Leidens den Weg ins Museum fanden. So ist der biografische Ansatz in beiden Einrichtungen, sowohl in Santiago als auch in Lima, Teil der Sammeltätigkeit und Präsentation. Hierzu sind zwei Erzählebenen zu erkennen: eine subjektive Ebene und eine historisch-abstrakte Ebene. Durch die Verbindung beider Ebenen wird die Narration umfangreicherer historischer Zusammenhänge konzipiert. Dies bedeutet, dass die nationale Geschichte auf der Grundlage individueller Lebenserfahrungen konstruiert wird. Die Biografieproduktion ist die Aufzeichnung eines Erinnerungs- und Erfahrungsbestandes, um in gegenwärtigen Situationen auf diesem Fundament das eigene Leben (Autobiografie) oder das Leben einer anderen Person zu rekonstruieren. Doch: „Das Leben drückt sich nicht ab. Ein solcher Vorgang ist ästhetisch, wird dadurch wahrnehmbar.“31 Um das eigene Leben oder das einer anderen Person zu kommunizieren, muss man es medial ausdrücken. Zwei Medien wurden bereits geschildert: biografische Angaben in Schriftform auf Touchscreenmonitoren und in Form videografierter Interviews. Der LUM macht stärker Gebrauch von letzterem Mittel als das Museo de la Memoria. An mehreren Stationen findet man zum Beispiel Videoausschnitte von unterschiedlichen Akteuren, die aus einer aktuellen Perspektive von ihren unmittelbaren Erfahrungen berichten. In diesem Abschnitt werde ich mich aber auf ein besonderes Medium für die Konzeption und Präsentation des biografischen Ansatzes konzentrieren: persönliche Relikte und Erinnerungsstücke. Darunter verstehe ich Gegenstände, die individuelle Lebenswege aufzeichnen und als „authentische Zeugnisse mit historischem Zeugniswert“32 fungieren und aufgrund ihrer historischen sowie politischen Bedeutung Symbolträger und Träger (kollektiver) Erinnerungen geworden sind. 31

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Vgl. Pazzini, Karl Josef: Bio muss erst grafiert werden. In: Blohm, Manfred (Hrsg.): Berührungen & Verflechtungen. Biografische Spuren in ästhetischen Prozessen. Köln: Salon Verlag 2002, S. 307–320, hier S. 309. Assmann 2007, S. 155.

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Im Museo de la Memoria bleibt die Präsentationsform die der klassischen Objektschau: eine Aufreihung von Exponaten unterschiedlicher Form, Größe, Materialien, Funktionalität und Herkunft in einer Vitrine. Trotz ihrer vermeintlichen formellen Unterschiede haben sie alle etwas gemeinsam: Sie wurden alle in verschiedenen Haftzentren des Landes angefertigt und sind daher Zeugen von Leidensgeschichten. Man findet Briefe an Angehörige oder Freunde, Zeichnungen und eine große Auswahl an handwerklichen Arbeiten (Abbildung 4). Aufgrund dessen heißt dieser Bereich artesanía carcelaria (in der Haft angefertigtes Kunsthandwerk). Viele der dort ausgestellten Werke visualisieren die damaligen Umstände oder bebildern symbolisch die Sehnsüchte der Inhaftierten. Dazu nur ein Beispiel: Das Symbol der Friedenstaube taucht in mehreren Schmuckteilen auf. Eine große Zahl der Werke blieben allerdings nicht nur „stumme Zeugen“, sondern fanden schon damals ihren Weg in die Außenwelt. Viele Häftlinge fanden in der Anfertigung kunsthandwerklicher Arbeiten (Holzgravuren, Kupferstiche, Schmuck, etc.) eine Subsistenzalternative bzw. eine Möglichkeit, ihre Angehörigen finanziell zu unterstützen, denn sie wurden als Solidaritätsmaßnahme im Ausland verkauft. Objekte sind Zeugen ihrer Zeit. Möchte man ein historisches Ereignis minimieren, ignorieren, verdrängen oder verleugnen, können Objekte dafür Zeugnis ablegen. Einige Artefakte und ihre Hintergründe wurden im Kapitel 6 bereits erwähnt: die Stoffpuppen, bekannt als soporopos, und die Handarbeit des Vaters von Präsidentin Bachelet. Gerade diese zwei Beispiele zeigen, welche erinnerungspolitischen und museumspädagogischen Funktionen solche Relikte haben. Die soporopos wurden keinesfalls nur zu spielerischen oder dekorativen Zwecken genäht, sondern sie waren ein Instrument der Kommunikation mit der Außenwelt. In ihrem Inneren versteckten Insassen Botschaften für ihre Familien oder für ihre Widerstandsgenossen. Ein weiteres Exponat derselber Kategorie ist der sogenannten Negro José (der schwarze José). Es handelt sich um eine Wollpuppe, die, inspiriert vom Lied Candombe para José des argentinischen Liedermachers Roberto Ternán, von gefangenen Frauen im Haftzentrum Tres Álamos kreiert wurde. Viele Überlebende berichten davon, das Lied zu verschiedenen Anlässen gesungen zu haben: Zum einen dann, wenn ein Häftling zum Verhör (meistens samt Folter) gerufen wurde oder in Isolationshaft verbleiben musste, um diese Person Solidarität und Kraft zu vermitteln, zum anderen, wenn jemand entlassen wurde, als freudiges „Abschiedslied“. Die Wollpuppe, die in einer Ausnahmesituation angefertigt wurde, materialisiert ihre Erfahrungen. Ein kleiner Erläuterungstext berichtet von den Gebräuchen rund um die Puppe und das Lied, das dann zum Symbollied der politischen Gefangenen in Chile wurde. Anhand dieser Beispiele wird die Wichtigkeit der Kontextualisierung des Objekts

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für das Verständnis der damaligen (historischen, politischen, individuellen) Umstände deutlich. Die Massenhaftigkeit speziell der zeithistorischen (Sach-)Zeugnisse und die von ihnen ausgehende, meist auch individuelle lebensgeschichtliche Erfahrungen ansprechende Erinnerungsmacht verringern die jedem Exponat eigene Spannung zwischen Vergangenheit des Objekts und Gegenwart der Präsentation, mithin zwischen Nähe und Distanz – dadurch erhalten zeithistorische Ausstellungen eine größere Emotionalität.33

So entsteht eine spannende Mischung zwischen Emotionalität und Aufklärung. Ohne eine historische Kontextualisierung würden Objekte letztlich in ihrer Bedeutung offen oder gar bedeutungslos bleiben. Bleibt der Kontext aus, sind die Rezipienten bei der Interpretation sich selbst überlassen. Die ästhetische Wahrnehmung ermöglicht es den Besuchern, eine Verbindung zwischen Funktion, Bedeutung und Historizität zu erkennen. Es ist allerdings zu betonen, dass nicht alle Gegenstände der Vitrinen im Museo de la Memoria detaillierte Hinweise auf Herkunftsgeschichte oder auf spezifische biografische Angaben enthalten. Die Ursache dafür ist, dass die Sammlung des Museums aufgrund stetiger Schenkungen zahlreiche Gegenstände dieser Art umfasst. Deshalb müssen die Objekte regelmäßig ausgetauscht werden. Aus museologischer Sicht ist es daher eine große Herausforderung, die Artefakte ständig mit den passenden schriftlichen Erläuterungen zu versehen. Dies trifft nicht auf den Kupferstich von Alberto Bachelet zu, denn auf ihn wird natürlich extra hingewiesen (Abbildung 4). Dieses Museumsstück, wie viele andere dort materialisiert eine persönliche traumatische Erfahrung und erhält im musealen Kontext historische Relevanz. Aber aufgrund seines bekannten Urhebers erhält der Kupferstich außerdem eine besondere (erinnerungs-)politische Bedeutung für die Gegenwart. Seine Geschichte reicht in die Privatsphäre der Präsidentin hinein, die wiederum auf diese Weise nicht nur Hauptinitiatorin des Museumsprojektes, sondern auch integrativer Bestandteil der Narrative wird. Im LUM gibt es in dem Raum, der die desaparición forzada (Verschwindenlassen) thematisiert, eine kubusartige Konstruktion, deren Außenwände mit weißen, würfelförmigen transparenten Kästchen bestückt sind, welche der Ausstellung von Erinnerungsstücken dienen (Abbildung 15). Kurz nach der Eröffnung des LUM waren die Kästchen nur sehr sparsam belegt. Aber der Grundgedanke war, sie vollständig mit persönlichen Relikten zu füllen. Da es im LUM im Gegensatz zum Museo de la Memoria keine aktive Sammeltätigkeit und auch keine 33

Thamer, Hans-Ulrich: Sonderfall Zeitgeschichte? Die Geschichte des 20. Jahrhunderts in historischen Ausstellungen und Museen. In: Zeithistorische Forschungen/ Studies in Contemporary History. 4 (2007), Heft 1–2. Online verfügbar unter: http:// www.zeithistorische-forschungen.de/1-2-2007/id=4728 (abgerufen am 14.08.2017).

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Infrastruktur dafür gibt, ist dieser Ausstellungsraum der Ort, an dem solche Exponate aufbewahrt werden. Ihre Dimensionen dürfen allerdings die fest vorgegebenen Maße der Kästchen nicht überschreiten. Es gibt also gewisse Einschränkungen, zumindest in Bezug auf die Proportionen der Stücke. Der Verbleib von den mitgebrachten Erinnerungsstücken hängt von dem Willen der Familienangehörige ab und kann jederzeit entfernt werden, falls es sich die Familie so wünscht. Es ist daher schwer, einzuschätzen, wie sich dieses Konzept entwickeln wird. Bei meinem letzten Forschungsaufenthalt waren nur wenige Exponate in den Kästchen zu finden. Die ausgestellten Stücke waren nur mit einem kleinen Schildchen mit knappen Informationen versehen. Doch auch nutzt der LUM die Möglichkeiten der Social-Media-Plattformen sehr gekonnt. Auf der Facebookseite des LUM postet ein Spender (Martín, 29 Jahre, gepostet am 17.02.2016) ein aktuelles Bild von ihm vor dem weißen Kubus mit dem eigenen Erinnerungsstück, das von nun an im Museum verbleiben wird. Dazu kommentiert er die Geschichte hinter dem Objekt, das Tagebuch seines Vaters, eines ehemaligen Militärangehörigen, der während des Konflikts gestorben ist. Außerdem erzählt er davon, wie es war, ohne Vater aufwachsen zu müssen und keinerlei Reparation erhalten zu haben. Und schließlich bringt er seine Meinung über den LUM aus der Perspektive des Kindes eines Militärangehörigen zum Ausdruck: Er hätte mehr Geschichten über die Sichtweise des Militärs erwartet.34 14-mal wurde seinen Post geteilt, 165-mal „geliked“ und viermal kommentiert. Der Besucher erfährt in der musealen Präsentation nur sehr wenig über die Hintergründe der Semiophoren in den Vitrinen der Intallation für die desaparecidos. Sie sind aber zweifelsohne ein Erinnerungsspeicher und haben einen authentischen Charakter. Hier entsteht ein interessantes Spannungsverhältnis zwischen Aura und Kontext. Es stellt sich die Frage danach, inwiefern diese einzigartigen Objekte aufgrund ihrer auratischen Qualitäten für sich alleine wirken können. Sind sie etwa autark? Oder sind Originalobjekte nur in Verbidung mit ihren innewohnenden Geschichten museumsrelevant? Und schließlich: Ist es etwa die Tatsache, dass die Besucher Wahrheit und Authentizität erwarten, was diesen Objekten ihre Aura gibt? Aus museologischer Sicht lassen sich daraus mehrere interessante Aspekte sowie weiterführende Fragestellungen ableiten. Eine vollständige Antwort auf diese Fragen würde den Rahmen dieser Studie sprengen. Im Folgenden werde ich sie aber trotzdem kurz erörtern. Erinnerungsstücke benötigen – meistens – einen Kontext und eine schriftliche Bestimmung, damit ihre Signifikanz entschlüsselt werden kann. Man kann 34

https://www.facebook.com/LUMoficial/photos/a.526554067505445.1073741867.11 5879151906274/537247336436118/?type=3&theater (abgerufen am 15.08.2017).

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diesbezüglich hinterfragen, ob sich die museale Präsentation und Kommunikation etwa in der digitalen Welt fortsetzt. Findet man dann dort weitere Austauschmöglichkeiten, die im Museum selbst nicht möglich sind? Der Spender versieht sein Erinnerungsstück mit (auto-)biografischen Informationen, die – jenseits eines reinen Informationsgehalts – eine emotionale Ebene erreichen. Das Problem ist, dass man dies nur erfährt, wenn man die Facebook-Seite besucht. Und anders betrachtet: Besucht man nur die Facebook-Seite, dann verpasst man die ästhetische Erfahrung. Und trotzdem: Durch die Vitrinisierung der Präsentation und die unzureichenden Informationen bleiben diese Erinnerungsstücke für den Besucher nur schwer zu entziffern. Hierzu ist zu betonen, dass die in den kleinen Vitrinen ausgestellten Erinnerungsstücke nicht sachgemäß katalogisiert bzw. aufbewahrt werden. Das ist für die Nachhaltigkeit der Gegenstände, aber darüber hinaus auch für die Nachhaltigkeit der materiellen Erinnerungskultur kritisch zu betrachten. Doch was geschieht, wenn die Digitalisierung ohnehin eine immer größere Rolle spielt, gerade für jüngere Generationen? Im Inneren des oben beschriebenen Kubus erreicht der biografische Ansatz im LUM seinen Höhepunkt. In einem dunklen Raum erzählen Stimmen in einer Soundinstallation über die Schicksale ihrer Familienmitglieder und über die Umstände ihres Verschwindens. Außerdem befindet sich in der Mitte des Raumes eine Box mit kleinen Heftchen, in denen einige (Lebens-)Geschichten von Opfern anhand von Fotografien (ähnlich wie aus einem Familienalbum) und kleinen biografischen Texten rekonstruiert sind (Abbildungen 11, 16 und 17). Interessant in diesem Zusammenhang ist, dass während in Santiago die Fotoinstallation über die Opfer großflächig, offen und von allen Seiten sichtbar ist, sich der Raum für die desaparecidos im LUM in einem kleinen, man könnte fast sagen „intimen“, Ort befindet. Ganz anders als in Chile kann man aufgrund der Dunkelheit keine Inszenierung „bestaunen“, man konzentriert sich dagegen akustisch auf die persönlichen Geschichten der Opfer. Trotzdem bleibt der Besucher nicht passiv und distanziert. Vielmehr wird er aufgefordert, die kleinen Heftchen in die Hand zu nehmen. Da es im dunklen Raum nur eine einzige Lichtquelle gibt, die Richtung Box leuchtet, muss der Besucher sie sich geradezu aus der Nähe anschauen. Es entsteht daher, zusammen mit der auditiven, eine haptische und eine perfomative Erfahrung. Und um die Nähe zu verstärken, kann der Besucher sich schließlich ein Heftchen, in dem das Leben einer Person in wenigen Bildern zusammengefasst ist, mit nach Hause nehmen. Der biografische Ansatz wird auf der Basis einer empathischen Vermittlungsstrategie begründet. Im Musealisierungsvorgang können die ausgestellten Dinge Erinnerungen hervorrufen. Die Betrachtung biografischer Objekte evoziert innere Bilder und versetzt den Besucher in die Geschichte hinter den per-

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sönlichen Relikten hinein. So entsteht ein Kommunikationsprozess zwischen den Gegenständen und den Assoziationen des Besuchers. Um diesen Dialog zu unterstützen, werden die Objekte normalerweise mit schriftlichen Daten bzw. zusätzlichen Erläuterungen beschildert. So werden die Hauptaufgaben von Erinnerungsmuseen umgesetzt: Gedenken und Aufklärung. Zusätzlich wird mit einer Biografieorientierung versucht, durch subjektive und plurale Interpretationen keinen einheitlichen hegemonialen Erinnerungsdiskurs zu erzwingen oder eine nationale Geschichtsdeutung aufzudrängen, sondern verschiedene Perspektiven der Vergangenheit zu präsentieren, sodass der Besucher selbst zu eigenen Schlussfolgerungen gelangt. Die Museumswissenschaftlerin Rosmarie Beier-de Haan stellt diesbezüglich fest: „Autobiographical documents and personal testimonies (for example, on video) have become a staple of modern exhibitions, and are also an important part of allowing for multiple interpretations rather than a single authoritative account of the past.“ 35 Dies ist vor allem im LUM der Fall sowie in anderen Institutionen, in denen es keinen minimalen historischen und politischen Konsens über die Vergangenheit gibt.

7.5 (VOLKS-)KUNST Arpilleras Im dritten Stockwerk des Museo de la Memoria sind an einer Wand mehrere arpilleras zu sehen. Bei den arpilleras handelt es sich um eine alte und universale Textiltechnik, bei der Stoffreste auf einen bereits vorhandenen Untergrund aufgenäht werden und/oder mit Garn oder Wolle bestickt wird. Daraus entstehen dann farbenprächtige, narrative Stoffbilder, die ein bestimmtes Ereignis darstellen (Abbildung 18). Während der Allende-Regierung wurden alle Formen der Volkskunst im Rahmen der staatlichen Kulturpolitik unterstützt, und zwar nicht als „folklorische Kuriositäten“, sondern als etablierte und anerkannte Kunstformen und Ausdruck der nationalen Kunst. 36 Die während der Zeit der Militärdiktatur entstandenen arpilleras sind aber nicht nur als Kunstform zu betrachten. Sie erfüllten nicht primär eine ornamentalische oder dekorative Funktion, sondern waren vielmehr eine Form des Dokumentierens, des Beweisens und des Anklagens in 35

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Beier-de Haan: Rosmarie: Re-stating Histories and Identities. In: MacDonald, Sharon (Hrsg.): A Companion to Museum Studies. Malden, u. a.: Blackwell Publishing 2006, S. 186–197, hier S. 187. Vgl. Voionmaa Tanner, Liisa: Arpillera chilena: Compromiso y neutralidad. Mirada sobre un fenómeno artístico en el período 1973–1987. (Thesis der Fakultät für Philosophie) Santiago: Pontificia Universidad Católica de Chile 1987, S. 7.

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Zeiten, in denen starke Zensur herrschte37 Arbeitslosigkeit, Armut, Repression und Protest waren beliebte Themen der damals entstandenen arpilleras. Die Vicaría de la Solidaridad trieb die Entstehung von Näh- und Bastelworkshops unter der Leitung von Künstlerinnen – zum Beispiel der Künstlerin Valentina Bonne – voran, um Frauen aus sozial schwachen Verhältnissen mit möglichen Einnahmequellen zu unterstützen. Sie waren vor allem an Frauen gerichtet, denn oft waren deren Männer entweder arbeitslos, verhaftet oder ermordet worden oder verschwunden. In den Workshops entstand die Idee, arpilleras zu gestalten. Machtlosigkeit und Trauer fanden auf diesem Weg ihren Ausdruck. Die arpilleras wurden dann mithilfe der Vicaría vor allem ins Ausland zum Verkauf geschickt. Sie waren aber nicht nur eine Einnahmequelle, sondern einige Frauen schrieben dieser Erfahrung sogar einen therapeutischen Charakter zu. Und schließlich waren die arpilleras ein Ausdruck des politischen Widerstands, denn damit wurden einerseits die Verbrechen der Diktatur denunziert, und gleichzeitig wurde gezeigt, wie die damals entstandenen Basisorganisationen sich gegen das Regime behaupteten. Retablos ayacuchanos und Keramik Eine der charakteristischsten Kunstformen der Region Ayacucho in Peru sind die retablos ayacuchanos. Dabei handelt es sich um kleine Holzkästchen mit Türen, in welchen traditionell landwirtschaftliche, festliche und vor allem christliche Szenen durch kleine dreidimensionale Figuren und Malerei repräsentiert werden. In den 1980er Jahren begannen einige retablistas stattdessen, die Ungerechtigkeiten und die Barbarei des internen bewaffneten Konflikts darzustellen.38 So entstand eine ganz besondere Art und Weise, wie sie ihre traumatischen Erlebnisse festhielten und gleichzeitig weitergeben konnten. Der Künstler und Anthropologe Edilberto Jiménez39 ist einer der renommiertesten Vertreter dieser 37

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Für einen umfassenderen Überblick über die politische Funktion der arpilleras damals und ihre erinnerungspolitische Relevanz heute siehe: Agosín, Marjorie: Tapestries of Hope, Threads of Love. The Arpillera Movement in Chile. 2. Edition, Lanham: Rowman & Littlefield Publishers 2008; Adams, Jacqueline: Art Against Dictatorship. Making and Exporting Arpilleras Under Pinochet. Austin: University of Texas Press 2013. Zu dem Verhältnis zwischen Volkskunst und politische Gewalt in Peru siehe: Huhle, Rainer: Arte popular tradicional ayacuchano y violencia política. In: Schäffauer 2014, S. 139–155. Edilberto Jiménez ist Autor des Buchs Chungui. Darin stellt er zeichnerisch dar, wie der Konflikt von den Menschen aus Chungui erlebt wurde. Über Jahre hinweg hat er die Bewohner dieser kleinen und sehr entlegenen Dorfgemeinschaft in den Anden besucht und ihre von Angst und Schmerz geprägten Erinnerungen gesammelt. Siehe: Jiménez Quispe, Edilberto: Chungui. Violencia y trazos de memoria. Lima: IEP/ COMISEDH/DED-ZFD 2009.

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Kunstform. Als bekanntester retablista des Landes war er auch der erste, der mit der Tradition brach und die retablos, ähnlich wie die arpilleras, als Träger von Anklagen und zugleich als Zeugnisse umgestaltete. Im LUM ist ein Werk von ihm ausgestellt (Abbildung 19). Üblicherweise stellen seine Werke die Brutalität der Gewalttaten plakativ und ohne Zensur dar. Für den LUM dagegen wählten die Kuratoren ein Werk, dessen Botschaft auf subtilere Art und Weise vermittelt wird. Das Kästchen ist in zwei Teile gegliedert. Auf der linken Seite sieht man kleine, zusammen an einem Tisch sitzende Figuren, die jeweils den ‚Staat‘, die ‚Kirche‘, die ‚Judikative‘, die ‚Legislative‘, die ‚Streitkräfte‘ und die ‚Medien‘ repräsentieren. Im Hintergrund sind Gebäude zu erkennen, welche für die Stadt Lima stehen sollen. Neben den „urbanen Akteuren“ des internen bewaffneten Konflikts sind auf der rechten Seite die „ländlichen Akteure“, Kleinbauern, musizierende Männer und Frauen mit ihren Babys dargestellt. Dieser retablo, so der Historiker und Kurator des LUM, Ponciano del Pino, wurde von einem Volkslied namens Picaflorcito (kleiner Kolibri) inspiriert, dessen Inhalt sich wie folgt übersetzen lässt: „Picaflorcito, leihe mir deine kleinen Flügel, um nach Lima zu fliegen und der Regierung meine Forderungen vorzulegen. Sie besitzen Flugzeuge und Hubschrauber; wir aber haben unsere Libellen und Schmetterlinge.“ 40 Diese Repräsentation ist also eine poetische Form des Protestes gegen die Gleichgültigkeit der urbanen Eliten. Gleichzeitig zeigt sie die Subtilität der Kuratoren bei der Werkauswahl. Die ayacuchanische Keramikmeisterin Rosalía Tineo ist in dem LUM mit vier kleinen Werken vertreten. Auch sie thematisiert in ihrer Arbeit den Konflikt. Ihre kleinen abstrahierten Figuren sind im Gegensatz zu den farbenfrohen Figuren von Edilberto Jiménez in Erdfarben gehalten und stellen den Schmerz und die Trauer der Kleinbauern dar. In Santiago sind die arpilleras an einem prominenten Ort ausgestellt. Die Sammlung ist so groß, dass die Stücke immer wieder ausgetauscht werden müssen. Außerdem finden im Rahmen von kulturellen Aktivitäten regelmäßig Workshops statt, bei denen man die Geschichte der arpilleras erfahren und deren Herstellung erlernen kann. Insofern werden die Teilnehmer mit einer Praxis bekannt gemacht, die für die Konstruktion der chilenischen Erinnerungskultur besondere Bedeutung hatte und hat. In Lima dagegen hängen nur zwei „Repräsentanten“ der Volkskunst in der Dauerausstellung. Angesichts der Tatsache, dass die (volks-)künstlerische Produktion über den internen bewaffneten Konflikt sehr 40

„Picaflorcito, préstame tus alitas para volar hasta Lima y presentarle al gobierno mis reclamos. A veces ellos piensan que ellos tienen avión y helicóptero; nosotros tenemos nuestra libélula y nuestras mariposas“. Interview mit Ponciano del Pino, Historiker und Mitglied des Kuratorenteams des Lugar de la Memoria, am 25.01.2016 in Lima.

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groß war (und ist), ist es etwas enttäuschend, dass dieser bemerkenswerten ästhetischen und politischen Ausdrucksform nicht der gebührende Raum gewährt wird. In einem Interview gab Ponciano del Pino zusammenfassend schlicht und auch selbst enttäuscht zu: „Es gab einfach keinen Platz!“ 41

7.6 POPMUSIK UND VOLKSMUSIK Sowohl in Santiago als auch in Lima wurde der Popkultur, vor allem in Form von Musik, ein eigener Platz in den Dauerausstellungen eingeräumt. Im Museo de la Memoria in Santiago kann man wichtige Vertreter der subkulturellen Rockszene der 1980er Jahre auf Archivvideos sehen und über Kopfhörer ihre Lieder hören. Der Putsch 1973 in Chile beeinflusste das Wachstum des Genres stark. Ein Beispiel hierfür ist die Band Los Prisioneros. Die dreiköpfige Rockband aus Santiago komponierte Protestlieder während der Diktatur, in Zeiten strenger Zensur, welche große gesellschaftliche und politische Resonanz vor allem bei den jüngeren Generationen fanden. Viele Mitglieder von Musikbands, die in ihren Texten ihre Kritik oder ihren Frust über das Regime äußerten, mussten ins Ausland emigrieren, so zum Beispiel die Mitglieder der Gruppen Inti-Illimani und Quilapayún. Sie waren Vertreter der sogenannten Nueva Música Chilena, einer großen revolutionären Bewegung in Südamerika, die in den 1960er Jahren sehr populär wurde und an der viele politisch links orientierte Künstler beteiligt waren. Es handelte sich um eine Mischung aus Volksmusik, Folklore, Afro- und Andenmusik, die mit neuen sozialkritischen Elementen versehen wurden und so eine neue Form des politischen Lieds konstituierte. Die Militärregierung unter Pinochet verbot traditionelle andine Musikinstrumente, um die Nueva-Canción-Bewegung zu unterdrücken. Einer der bekanntesten Vertreter der Bewegung war Víctor Jara, der wenige Tage nach dem Putsch gefoltert und ermordet wurde. Während in Santiago der Saal, welcher der populären Musik gewidmet ist, mit Touchscreens mit audiovisuellem Material, Kopfhörern sowie Sitzgelegenheiten ausgestattet ist, gibt es im entsprechenden Bereich in Lima nur akustische Reize, und der Raum ist generell schlichter gestaltet als in Santiago. Auf einer Stellwand befindet sich ein Touchscreen mit unterschiedlichen Namen von Bands und deren Liedern (von Folklore über Cumbia bis hin zu Rock and Roll), auf die man drücken kann. Die Texte der Songs befassen sich alle mit dem damaligen Zustand von Gewalt, mal poetischer, mal konkreter. Dort fehlen visuelle

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Ebd.

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Reize, wobei man sich vielleicht gerade deswegen besser auf die Texte konzentrieren kann. Der interaktive Charakter dieser Bereiche bringt Abwechslung in die sonst sehr textlastigen Dauerausstellungen. Nicht nur Fakten und Daten und traurige visuelle Repräsentationen der dramatischen Vergangenheit können Teil der Ausstellungskonzeption sein. Künstlerische Ausdrucksformen jeder Art gehören genauso dazu. Aufgrund ihrer inhärenten Freiheit sind sie autark und teilweise kompromisslos. Deswegen sind sie für die Ausstellungsgestaltung eine gute Möglichkeit, beispielsweise tabuisierte Positionen zu thematisieren. Diese Formen der Auseinandersetzung mit der Geschichte spielen für das kulturelle Gedächtnis eine sehr wichtige Rolle. Nach Angaben einer Museumspädagogin im Museo de la Memoria ist der der Popkultur gewidmete Saal bei Jugendlichen sehr beliebt. Den Ausstellungsgestaltern sind die Interessen der neuen Generationen bewusst und deswegen wurden diese Themen in der Dauerausstellung berücksichtigt.

7.7 LEERSTELLEN Eine gründliche Ausstellungsanalyse sollte nicht nur nach den Artefakten und Präsentationsstrategien, sondern auch nach Leerstellen in der Präsentation fragen. Es wurden im vorherigen Kapitel sowie im Laufe dieses Kapitels bereits einzelne Themen genannt, die im jeweiligen Land nicht thematisiert oder ausdiskutiert werden, weil darüber kein Konsens herrscht oder sie tabu sind. Beispiele sind die Zeit vor dem Putsch in Chile und die Bezeichnung „interner bewaffneter Konflikt“ in Peru. Einerseits kann eine museale Ausstellung nicht alle Aspekte eines historischen Ereignisses abdecken. Anderseits sollte man hinterfragen, welche Aspekte im Plot des Museums nicht berücksichtigt wurden und welche sehr wohl ihren Weg in die Ausstellung fanden. Nun werden – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – einige gemeinsame Aspekte thematisiert, die in beiden Dauerausstellungen ohne Erwähnung bleiben oder nur am Rande behandelt werden. Welche Themen, Akteure bzw. Opfergruppen werden ignoriert? Generell werden tabuisierte Themen in beiden Institutionen vermieden. Auch hier lässt sich fragen, ob nicht gerade solche Themen, die nicht in den Geschichtsbüchern bzw. in den offiziellen Erinnerungsdiskursen zu finden sind, einen Platz in einem Museum hätten finden können. Das Kuratorenteam des LUM, damals unter der Leitung von Denise Ledgard, war sich dieser Situation bewusst. In verschiedenen Versammlungen mit Angehörigen von Opfern gaben die Kuratoren immer wieder an, dass Themen, die aus unterschiedlichen Gründen nicht in

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der Dauerausstellung behandelt werden konnten, einen Platz in den Wechselausstellungen oder in Workshops haben würden.42 Wie dies tatsächlich umgesetzt wird, bleibt offen. In Santiago bieten Wechselausstellungen ebenfalls den Themenbereichen Raum, die in der Dauerausstellung nicht gezeigt werden konnten. Besonders viel Platz wird künstlerischen Positionen eingeräumt. Dafür hat das Museo de la Memoria mehrere Räumlichkeiten reserviert: das komplette zweite Stockwerk, eine eigene Galerie neben der Metrostation sowie den Museumsvorplatz. Doch ein brisantes Thema blieb in der Dauerausstellung außen vor: das indigene Volk der Mapuche.43 Die Wahrheitskommission untersuchte die Mapuche-Opfer der Diktatur wie alle anderen Opfer aus einer individuellen Perspektive und ohne Rücksicht auf ihre kulturellen Besonderheiten. Im Jahr 2001, unter der Regierung des Präsidenten Lagos, wurde eine Kommission gegründet, welche die historische Beziehung der Mapuche (unter Berücksichtigung ihrer Kosmovision) zum chilenischen Staat analysieren und Empfehlungen für eine neue Staatspolitik in Bezug auf indigene Volksgruppen aussprechen sollte.44 Zwei Jahre dauerte die Arbeit der Kommission, die ihre Ergebnisse in einem Bericht zusammenfasste. 2008 wurde Präsidentin Bachelet eine neue Auflage vorgelegt. Das bedeutet, dass das Thema bereits vor der Eröffnung des Museums offiziell behandelt wurde. Es wäre wichtig gewesen, angesichts der Menschenrechtsproblematik um die Mapuche in Chile, es in den Plot des Museo de la Memoria zu integrieren. Doch das würde 42 43

44

Interview mit Eliana Otta, Künstlerin und Koordinatorin des Kuratorenteams des Lugar de la Memoria am 26.01.2016 in Lima. Die ethnische Gruppe der Mapuche macht ca. 10 % (Volkszählung 2012) der Gesamtbevölkerung Chiles aus und lebt mehrheitlich in Süden des Landes, in der Region Araucanía, der ärmsten Region des Landes. Ein Großteil lebt heute im urbanen Raum in einfachen Verhältnissen, vor allem in Santiago. Die konfliktgeladene Beziehung zwischen dem Staat und den Mapuche lässt sich aufgrund der Besetzung ihrer Gebiete mindestens bis zum Ende des 19. Jahrhunderts zurückverfolgen. Unter der Regierung von Salvador Allende ergaben sich für die Mapuche Verbesserungen durch die Enteignung von Landwirtschaftsbetrieben in ihren ursprünglichen Gebieten, die sie auf diese Weise wieder erlangten. Während der Militärdiktatur wurde diese Maßnahme rückgängig gemacht und viele der Rechte der Mapuche wurden missachtet. Mit der Rückkehr zur Demokratie blieben die alten Konflikte bestehen und neue entstanden, die immer noch nicht gelöst sind. Die Forderungen der organisierten Mapuche-Gruppen lassen sich folgendermaßen zusammenfassen: Landrückgabe, gerichtliche Autonomie, ökonomische Entschädigungen und Anerkennung ihrer kulturellen Identität. Für einen historischen Überblick siehe: Bengoa, José: Historia del pueblo mapuche. Siglo XIX y XX. 6. Auflage. Santiago: LOM Ediciones 2000. Siehe: Informe de la Comisión Verdad Histórica y Nuevo Trato con los Pueblos Indígenas, Primera Edición, Santiago de Chile: Comisionado Presidencial para Asuntos Indígenas 2008. Online verfügbar unter: http://www.memoriachilena.cl/60 articles-122901_recurso_2.pdf (abgerufen am 14.08.2017).

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die Tür für eine Neubewertung der Diskussionen um die Landrechte der Mapuche öffnen, ein andauernder und ungelöster Konflikt in Chile. Es ist interessant zu beobachten, welche Opfergruppen im Museumsplot berücksichtigt wurden und welche nicht. In Museo de la Memoria in Santiago ist beispielsweise den Kindern einen eigener Saal (el dolor de los niños – das Leid der Kinder) gewidmet. Frauen dagegen werden nicht als eine eigenständige Opfergruppe präsentiert. Die Problematik der Frauen wird zwar thematisiert, aber eher als ein Thema, das sich vereinzelt durch die ganze Ausstellung zieht. Die sexuelle Gewalt gegen Frauen und die Rolle der Frauen in der Widerstandsbewegung, um nur zwei Beispiele zu nennen, werden nicht separat dargestellt. In Peru behandelt die Wahrheitskommission in einem Kapitel die sexuelle Gewalt gegen Frauen und Mädchen. Die CVR kommt zu dem Schluss, dass die Anwendung sexueller Gewalt keinesfalls nur in Einzelfällen geschah, sondern vielmehr eine generalisierte und tolerierte Praktik innerhalb der Sicherheits- und Polizeikräfte darstellte.45 Und genau dies war ein Streitpunkt bei den Versammlungen mit Militärangehörigen.46 Deswegen fand das Thema nur – buchstäblich – „am Rande“ seinen Weg in die Ausstellung, und zwar in Form persönlicher testimonios. In der Dauerausstellung des LUM werden Zitate von Frauen, die sexueller Gewalt ausgesetzt waren, an einer Wand reproduziert. In beiden Ausstellungen werden der Aspekt der Individualisierung sowie der biografische Ansatz für verschiedene Opfergruppen mehrmals angewandt, jedoch nie in Bezug auf die Täter. Beweggründe oder politische Motivationen der Täter werden jedenfalls nie erwähnt. Auf den Informationstafeln werden zwar einige Namen genannt, sind aber kein Bestandteil der Narrative. Ursprünglich sah das Museumsskript des LUM eine räumliche Aufteilung in „Täter“ (perpetradores) und Opfer (víctimas) vor. Doch dieser Vorschlag musste aufgrund vom Druck seitens des Militärs abgelehnt werden. In Santiago bestimmen die Berichte der Wahrheitskommission das Museumsskript, und da dort die Täter nicht namentlich genannt werden dürfen, finden zum Beispiel die Namen von Folterern keine Erwähnung in der Dauerausstellung. Zu dieser Problematik ist anzumerken, dass ein nationales Museum auch die politische und soziale Realität im eigenen Land berücksichtigen muss: In beiden Ländern sind viele Täter nach wie vor nicht vollständig identifiziert und viele derjenigen, die es sind, genießen im

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Vgl. CVR. Informe Final: Los crímenes y violaciones de los derechos humanos. La violencia sexual contra la mujer. Online verfügbar unter: http://www.cverdad.org. pe/ifinal/pdf/TOMO%20VI/SECCION%20CUARTA-Crimenes%20y%20violacion es%20DDHH/FINAL-AGOSTO/1.5.VIOLENCIA%20SEXUAL%20CONTRA%20 LA%20MUJER.pdf (abgerufen am 12.10.2017). Interview mit Natalia Iguiñez, Künstlerin und Mitglied des Kuratorenteams des Lugar de la Memoria, am 18.01.2016 in Lima.

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Falle von Chile die Vorteile des Amnestiegesetzes. In Peru gibt es keine Amnestie mehr, doch allgemein herrscht in beiden Ländern impunidad (Straflosigkeit). Ein weiterer Aspekt, der gar nicht oder nur am Rande in beiden Ausstellungen thematisiert wird, betrifft die Internationalisierung des Diskurses. Insgesamt ist der Internationalisierungsfaktor im Museo de la Memoria präsenter als im LUM. In Santiago sind alle Artikel der allgemeinen Menschenrechtserklärung in eine Mauer eingraviert, die zum Vorplatz führt, und im Eingangsbereich findet sich eine Auflistung von Wahrheitskommissionen aus der ganzen Welt. Ohnehin hat der chilenische Fall mehr internationale Bezugspunkte. Die Präsidentschaft von Salvador Allende als Sozialist in einer lateinamerikanischen Demokratie fand weltweit große Resonanz, ebenso wie die Tatsache, dass gegen seine Regierung geputscht wurde. Danach folgte eine Zeit, in der viele Chilenen ins Exil gehen mussten und im Ausland Asyl erhielten. Ihr Engagement in den Gastländern wirkte sich auch auf die internationale Empörung über den Putsch und auf den Widerstand aus. Die Präsentation in Lima konzentriert sich dagegen auf Peru und die nationale Trauer und integriert internationale Faktoren weder in den Diskurs noch in die Präsentation. Dennoch sind internationale Aspekte für beide Länder relevant, um breitere Zusammenhänge zu verstehen. Die historischen Ereignisse, die den Inhalt der musealen Präsentation bilden, kann man sowohl in Chile als auch in Peru in den Kontext des Kalten Krieges stellen. Beide damaligen Supermächte, die Sowjetunion und die Vereinigten Staaten, griffen aktiv in das politische Leben der verschiedenen lateinamerikanischen Länder ein. Hinzu kam die große Resonanz der kubanischen Revolution auf dem Kontinent. Bewaffnete, extrem links orientierte Gruppierungen in beiden Ländern wurden davon inspiriert. Vor diesem Hintergrund fanden die Gründung von Sendero Luminoso und MRTA in Peru sowie die großen Erfolge der kommunistischen und sozialistischen Parteien in Chile statt. Die von Kuba inspirierten Aufstände und die Aufstandsbekämpfung vonseiten der USA polarisierten die politische sowie die ideologische Lage. So bildeten bzw. intensivierten sich die widerstreitenden ideologischen Positionen „links“ und „rechts“. Die Polarisierung ist heute noch präsent, und im Kontext von Memoria spielt sie eine wichtige Rolle. Die transnationale Beeinflussung Lateinamerikas durch die Vereinigten Staaten wird dennoch nicht oder nur unzureichend in den Museumsdiskurs einbezogen. Die Tatsache, dass der Militärputsch in Chile vom Geheimdienst CIA logistisch, politisch und finanziell unterstützt und gelenkt wurde, hat keine große Be-

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deutung in der Narrative.47 Der sogenannte Plan Cóndor oder die Operación Cóndor wird in Santiago nur am Rande in einem kleinen Tafeltext erwähnt, während er in Peru kaum thematisiert wird. Dabei handelt es sich um eine internationale Geheimdienstoperation, die das Ziel verfolgte, politische Oppositionelle aus dem linken Spektrum weltweit zu überwachen und zu eliminieren. Im Rahmen einer grenzüberschreitenden Zusammenarbeit lateinamerikanischer Länder, vor allem im Cono Sur, und mit Unterstützung der Vereinigten Staaten wurden (geheime) Informationen ausgetauscht, um Mordanschläge und kriminelle Aktionen zu koordinieren. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass beide Dauerausstellungen den Akzent auf die jeweiligen nationalen politischen Konflikte setzen. Internationale Dimensionen spielen dabei keine besondere Rolle. Im chilenischen Fall wird der Fokus auf die Menschenrechtsverletzungen während der Diktatur gelegt. Die Menschenrechte als universale Verantwortung bilden das moralische Gerüst des Museums. Die interne Menschenrechtsproblematik verblasst dabei ein wenig im Hintergrund. In Peru dagegen hat der Staat noch nicht einmal die Ereignisse (Massaker, Verschwindenlassen, Hinrichtungen und Verhaftungen…) während des Konflikts als Menschenrechtsverletzungen offiziell anerkannt bzw. eingestuft. Würde man internationale Standards wahrnehmen, müsste man eine andere politische Einstellung zum Konflikt erkennen lassen und auch dementsprechend handeln.

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Zur ausführlicheren Informationen über die Rolle der Central Intelligence Agency während des Kalten Krieges in Lateinamerika siehe: Weiner, Tim: Legacy of Ashes: The History of the CIA. New York: Doubleday 2007.

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Politische Gewalt ausstellen: Abschließende Überlegungen

Viele Gemeinsamkeiten und Unterschiede der zwei untersuchten Dauerausstellungen wurden bereits reflektiert. Ich werde nun nur zusammenfassend darauf eingehen. Ebenfalls erwähnt wurden Aspekte der ambivalenten Beziehung zwischen Nähe und Distanz, des biografischen Ansatzes sowie der Dichotomie von Emotionalität und Rationalität. In den folgenden abschließenden Überlegungen sollen diese Aspekte vertieft werden.

8.1 DAS MUSEUM: ORT FÜR ÄSTHETISCHE ERFAHRUNGEN ODER ORT DER HISTORISCHEN WISSENSVERMITTLUNG? Beide Institutionen beabsichtigen, Empathie mit den Opfern und Sensibilisierung durch Konzepte wie Individualisierung und Identifizierung der Opfer mittels biografischer Angaben oder testimonios herzustellen, über die das Abstrakte eindeutiger illustriert werden kann. Durch Anschaulichkeit und Aufklärung wird versucht, ein Nachempfinden zu ermöglichen. In beiden Institutionen werden daher anhand von Lebensgeschichten Aspekte der gewaltsamen Vergangenheit rekonstruiert. Ein biografischer Ansatz, der sich in Opferbiografien (eventuell auch Täterbiografien), in welchen Zeitzeugen porträtiert werden, sowie in biografisch kontextualisierten Relikten widerspiegelt, macht für die Rezipienten die Gefühle und Absichten der präsentierten Individuen besser nachvollziehbar. Besonders im peruanischen Fall, in dem die Opfer der Gewalt teilweise noch immer unsichtbare Akteure im politischen und gesellschaftlichen Geschehen sind, spielt der Faktor Empathie eine zentrale Rolle für die soziale Anerkennung und Würdigung der Opfer. Gleichzeitig sollte nicht vergessen werden, dass Erinnerungen

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auch unzuverlässig und sehr subjektiv sind. Man sollte auf einer Metaebene, durch die Historisierung der eigenen Ausstellungspraxis und deren Dekonstruktion, genau darauf hinzuweisen. Doch keines der Museen tut das. Ein Medium, das beide Museen verwenden, sind videografierte Interviews von Opfern. Bei der (ästhetischen und diskursiven) Präsentation von Opfern lassen sich aber starke konzeptionelle und gestalterische Unterschiede erkennen. Während in Santiago die Opfer in ihren Opferrollen bestärkt werden, sind sie in Lima vielmehr als Individuen dargestellt, die ein Leben vor dem Konflikt hatten und im Fall von Überlebenden aktiv für Gerechtigkeit und eine bessere Zukunft kämpfen. Dies war eine Forderung, die in den Partizipationsprozessen in Peru gestellt wurde, welche in Chile nicht in der gleichen Form stattfanden. Aufgrund der Inszenierung wird in Santiago eine räumliche Distanz zwischen „Opfern“ und „Besuchern“ erzeugt, während in Lima (räumliche und emotionale) Nähe geschaffen wird. Die Präsentation der Opferporträts im Museo de la Memoria wird von der Kunst- und Kulturtheoretikerin Nelly Richard in Bezug auf die Intention der Nähe durch „übertriebene“ Emotionalisierung kritisch hinterfragt. Zunächst einmal postuliert sie, dass aufgrund der übermäßigen architektonischen Distanz die Porträts als eine Art „Spektakel“ erscheinen und dadurch ihre Aura verlieren. Hinzu trete die Künstlichkeit der Kerzen (im Gegensatz zur Authentizität, die den Aurabegriff ausmacht), welche die „übertriebene Inszenierung“ und den dekorativen Charakter des Designs akzentuiert.1 Im Grunde kritisiert Richard mit ihren Äußerungen zunächst die Art der Präsentation, was mehrere Überlegungen auslöst. Eine historische Ausstellung soll den Besucher zum Betrachten statt zum Lesen motivieren. Dies geschieht insbesondere, wenn der Besucher auf sinnliche Reize trifft, die seine Aufmerksamkeit erwecken. Durch den Einsatz von multisensorischen und multimedialen Mitteln wird eine ästhetische Erfahrung ermöglicht. Im Bereich der persönlichen Vermittlung kann durch partizipatorische Ansätze in Form von interaktiven Gesprächen oder im Workshop-Format zusätzlich eine intensivere Auseinandersetzung mit den Museumsinhalten erreicht werden, um bei den Besuchern Interesse und zugleich Emotionen zu wecken. Dabei sollte aber gleichzeitig die Vermittlung historischer Ausstellungsinhalte nicht außer Acht gelassen werden. Diesbezüglich stellt sich die Frage danach, ob die sinnliche Wahrnehmung der ästhetischen Zusammenstellungen zu einer Vernachlässigung der objektiven Informationsvermittlung führt. Dazu antizipiert Gottfried Korff: „Wo Unterhaltung im Spiel ist, so wird befürchtet, da kommen Aufklä-

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Vgl. Richard 2010, S. 268.

Politische Gewalt ausstellen: Abschießende Überlegungen | 263

rung, Information und Belehrung zu kurz.“2 Im Sinne von Korff möchte ich diese Annahme relativieren. Zunächst muss sich die Institution Museum darüber im Klaren sein, dass sie als kulturelle Einrichtung mit anderen Freizeitangeboten konkurriert. Deswegen sind besucherorientierte Maßnahmen unentbehrlich, um überhaupt ihre Gründung und Existenz rechtfertigen zu können. Dies bedeutet nicht, dass sie ihren kulturhistorischen, geschichtsdidaktischen und erinnerungspolitischen Auftrag vernachlässigen muss. Ganz im Gegenteil. Innovative Vermittlungsangebote und Präsentationsformen können dabei förderlich wirken. Gewiss lässt sich Geschichte im Museum nicht reproduzieren, stattdessen wird eine Begegnung mit Geschichte ermöglicht, die durch das Herstellen von Kontextbezügen und Interaktion zur geschichtlichen Reflexion anregen kann. Somit kann das historische Bewusstsein in materieller und formaler Hinsicht befruchtet und erweitert3 sowie als Medium kultureller Identitätsvergewisserung verankert werden.4 Außerdem zeigen Untersuchungen zur Entstehung von historischem Bewusstsein „[…] dass dieses in erster Linie über die Rezeption von Bildern und Filmen und erst in zweiter Linie über Texte gebildet wird“5. Dies bedeutet, dass Visualisierungen besonders wichtig sind. In Bezug auf das Medium Fotografie nimmt der Kulturpädagoge und Fotohistoriker Diethart Kerbs Stellung. Er vertritt die Meinung, dass die Betrachtung von Fotografien, die einen Willen zu einem beliebigen und emotionalen ästhetischen Genuss bedingen, die „Entrückung der Realität“ bedeutet. Man solle sich entscheiden zwischen einer historischen Erfahrung, die Erkenntnis und Auseinandersetzung mit der „wirklichen Welt und ihren realen Lebenssituationen“ zulässt, oder einem ästhetischen Vergnügen, in dem alle Zusammenhänge und Entstehungsprozesse dem Medium Fotografie entzogen werden. 6 Diesen Thesen zufolge müsste man die historischen und ästhetischen Erfahrungen voneinander trennen. Oder kann man im Museum beide Erfahrungen machen? Anders ge2

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Korff, Gottfried: Die Popularisierung des Musealen. In: Fliedl, Gottfried (Hrsg.): Museum als soziales Gedächtnis? Kritische Beiträge zu Museumswissenschaft und Museumspädagogik. Klagenfurt: Kärntner Dr.- und Verl.-Ges. 1988, S. 9–23, hier S. 14 f. Vgl. Hasberg, Wolfgang: Erinnerungs- oder Geschichtskultur? Überlegungen zu zwei (un-)vereinbaren Konzeptionen zum Umgang mit Gedächtnis und Geschichte. In: Hartung, Olaf (Hrsg.): Museum und Geschichtskultur. Ästhetik – Politik – Wissenschaft. Bielefeld: Verlag für Regionalgeschichte 2006, S. 32–59, hier S. 59. Lübbe, Hermann: Zeit-Verhältnisse. Über die veränderte Gegenwart von Zukunft und Vergangenheit. In: Zacharias, Wolfgang (Hrsg.): Zeitphänomen Musealisierung. Das Verschwinden der Gegenwart und die Konstruktion der Erinnerung. Essen: Klartext Verlag 1990, S. 40–49, hier S. 43. Wolfrum 2009, S. 216. Vgl. Kerbs, Diethart: Fotografie und Geschichte. In: Wick, Rainer K. (Hrsg.): Fotografie und ästhetische Erziehung. München: Klinkhardt & Biermann: 1992, S. 97– 108, hier S.102 f.

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fragt: Kann man die beiden Aspekte überhaupt voneinander trennen, oder bedingen sie sich nicht vielmehr gegenseitig? Kann man objektive Sachverhalte ohne subjektive Erinnerungen, individuelle Vorerfahrungen und sinnliche Wahrnehmungsvorgänge überhaupt erfassen? Diese Studie vertritt die Ansicht, dass das Museum als Ort sinnlicher Wissensvermittlung sowohl eine ästhetische als auch eine historische Erfahrung ermöglicht und somit ein besseres Verständnis historischer Ereignisse fördern kann.7 Eine gegenseitige Bereicherung stellt eine optimale Lösung dar: Durch ästhetische Herangehensweisen wird die historische Wissensvermittlung unterstützt und ergänzt. Die Herausforderung besteht darin, eine „Balance zwischen epistemischer und affektiver Wirkung zu finden“, gerade bei einem emotionalen Thema.8 Nelly Richard weist auf die Herangehensweise von Erinnerungsmuseen und Gedenkstätten in Bezug auf die Empfindlichkeit und die Reflexivität hin. Sie kritisiert museale Rekonstruktionen – damit meint sie vor allem den Bereich für Folter im Museo de la Memoria – als „dramatización del horror“ (Dramatisierung des Horrors) und befürchtet, dass dadurch die Besucher, anstatt zum Nachdenken und Reflektieren, animiert werden, völlig bestürzt und geschockt zu sein.9 Die aktuellen Tendenzen in der Gedenkstättenpädagogik bevorzugen, so Richard, eine Distanzierung anstatt der Empathie, sowie eine soziale und historische Kontextualisierung anstatt der Kompromisslosigkeit der persönlichen Erlebnisse. Dadurch werde die kritische Entschlüsselung der Geschichtlichkeit gefördert, damit die memoria sich nicht in privaten Erinnerungen erschöpft. Somit werde zudem das gestern Erlebte von der heutigen Introspektion verdrängt. Richard macht zum einen deutlich, dass moderne Konzeptionen musealer Narrativen sich durch die Verbindung zwischen Vergangenheit und Gegenwart auszeichnen. Sie suggeriert dennoch zum anderen eine Dichotomie zwischen der emotionalen und der reflexiven Ebene. Ihren Ansichten kann man entgegenhalten, dass eine scharfe Trennlinie zwischen beiden Ebenen sich nur schwer ziehen lässt. Vielmehr können beide Ebenen gut korrespondieren und sich ergänzen. Die Empathie, die durch das Wahrnehmen der individuellen Schicksale entsteht, kann durchaus das Verständnis von Zusammenhängen ermöglichen. In einer Studie zu musealen Präsentationen des Holocausts, in der mehrere Ausstellungen verglichen werden, beschreibt die Geschichtsdidaktikerin Katja Köhr die Entstehung eines Projekts mit ID-Cards im United States Holocaust Memorial Museum. Dabei handelt es sich um Heftchen in Passformat, in denen 7

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Mehr zu dieser Thematik: Brauer, Juliane/Lücke, Martin (Hrsg.): Emotionen, Geschichte und historisches Lernen. Geschichtsdidaktische und geschichtskulturelle Perspektiven. Göttingen: V&R unipress 2013. Köhr 2012, S. 165. Vgl. Richard 2010, S. 267.

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jeweils die biografischen Angaben eines Überlebenden oder Opfers sowie dessen Erfahrungen während des Holocausts und kurz nach seinem Ende geschildert werden. Ziel dieses Projekts sei: „[…] help personalize the historical events of the time“10. Köhr kommt zu dem Schluss, dass „bei ausreichender Zeit und eingehender Beschäftigung […] die authentischen Kurzbiografien durchaus didaktisches Potenzial“ besitzen, und dass dieses Medium dazu geeignet sei, die Distanz zwischen Gegenwart und Vergangenheit zu überbrücken. 11 Man soll sich aber bewusst machen, dass bei Präsentationsarten, die einen emotionalen Zugang bevorzugen, die Gefahr besteht, nur auf der emotionalen Ebene zu bleiben. Wichtig wäre dabei kognitive Wege zur Verständigung von Sachverhalten nicht außer Acht zu lassen. Diesbezüglich stimme ich den Gedanken der Kultur- und Kunsthistorikerin Mieke Bal zu: „The primary task of exhibitions should be to encourage visitors to stop, suspend action, let affect invade us, and then, quietly [Herv. i. O.], in temporary respite, think [Herv. i. O.].“12 In selben Sinne appelliert der Historiker und Kulturwissenschaftler Jörn Rüsen an Wissenschaft und Politik „im deutenden Umgang mit der historischen Erfahrung [sich] so [zu] verhalten, dass deren ästhetische Dimension in ihrem Eigengewicht anerkannt, dass also Raum geschaffen wird für das Deutungspotenzial der sinnlichen Anschauung“13. Schließlich soll hier auch an den Bereich der Museumspädagogik angeknüpft werden. Museumspädagogische Aktivitäten in Museen dieser Art sind fundamental, um die Ausstellungsinhalte zu vermitteln. Im Rahmen der persönlichen Vermittlung ist nämlich eine interaktive Begegnung mit Geschichte vonnöten, bei der sowohl inhaltliche als auch ästhetische Aspekte betrachtet und analysiert werden, sodass bei den Rezipienten Erinnerungsprozesse, Assoziationen und möglicherweise Geschichtsbewusstsein forciert werden.14 Diesbezüglich schreibt der Kunstpädagoge Gunter Otto: „Sinnliche Wahrnehmungen sind nicht abzu10 11

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https://www.ushmm.org/remember/id-cards (abgerufen: 14.08.2017). Ihre Aussage belegt Katja Köhr u. a. mit einem vom Wexner Learning Center erfassten Bericht, bei dem Lehrer das United States Holocaust Memorial Museum anfragen, ID-Cards für den Unterricht zu verwenden. Köhr beschreibt das Konzept der ID-Cards, hebt ihre positiven Aspekten hervor, stellt aber zugleich die Kritikpunkte dar. Vgl. Köhr 2012, S. 134–143. Bal, Mieke: Exhibition as Film. In: Robin, Ostow (Hrsg.): (Re)visualizing National History – Museums and National Identities in Europe in the New Millennium. Toronto: University of Toronto Press 2008, S. 15–43, hier S. 40. Rüsen, Jörn: Für eine Didaktik historischer Museen. In: Rüsen, Jörn/Ernst, Wolfgang/Grütter, Heinrich Theodor (Hrsg.): Geschichte sehen – Beiträge zur Ästhetik historischer Museen. Pfaffenweiler: Centaururs 1988, S. 9–20, hier S. 14. Vgl. Arellano Cruz, Fabiola: „Lugar de la Memoria“ (Lima): Fotografie der Erinnerung als museumspädagogisches Projekt. Magisterarbeit vorgelegt an der LudwigMaximilians-Universität, München: 2010 (nicht veröffentlicht), S. 17.

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trennen von affektiver Bewegtheit. Mehr Sinnlichkeit verspricht mehr Erlebnischancen und eine affektive Zuwendung zum Lerngegenstand.“15

8.2 ZUSAMMENFASSUNG Die historischen Ereignisse und die Charakteristika der politischen Gewalt in den hier behandelten Ländern Chile und Peru unterscheiden sich wesentlich voneinander. Zum einem wurde in Chile eine demokratische Regierung vom Militär gestürzt, während in Peru der interne bewaffnete Konflikt in einer zumindest formal bestehenden Demokratie erfolgte. Zum anderen unterscheiden sich die Zahl der Opfer und das Opferprofil in beiden Ländern sehr stark: In Chile gehörte die Mehrheit der Opfer zur politischen Elite des Landes. Unmittelbar nach dem Putsch wurden zunächst Beamte und Mitglieder der gestürzten Regierungspartei Unidad Popular sowie weitere aktive Parteimitglieder des linken politischen Spektrums verhaftet und viele davon ermordet. Auch Repräsentanten der organisierten Zivilgesellschaft wie lokale Gemeindeführer, führende Gewerkschaftsmitglieder, politisch engagierte Studenten sowie Oppositionelle aus intellektuellen und künstlerischen Kreisen waren in bedeutender Zahl unter den Todesopfern aus dieser Zeit zu finden.16 Den Ergebnissen der Comisión Nacional de Prisión Política y Tortura (Nationale Kommission für Politische Haft und Folter) zufolge verfügte die Mehrheit der Folteropfer bei der Festnahme über eine Berufsausbildung und eine Arbeit. Dazu zählten qualifizierte Arbeitnehmer, Akademiker und Studierende.17 In Peru dagegen gehörte die Mehrheit der Opfer der quechuasprachigen indigenen Bevölkerung an. Die meisten davon waren am Existenzminimum lebende Bauern, viele davon Analphabeten. Eine Bevölkerungsgruppe also, die traditionell zu den unterprivilegierten Schichten gehört. Trotz der Ausbreitung der politischen Gewalt Anfang der 1990er Jahre in Lima und in anderen Städten Perus, spielten sich die grausamsten Episoden des Konflikts meistens in ländlichen Gebieten ab, vor allem in den Anden. Demgegenüber trat die Repression in Chile eher im urbanen Bereich auf. Die genannten Unterschiede sind aussagekräftig, wenn man nach Geldmitteln, politischen Einflüssen und letztendlich der Macht 15 16

17

Otto, Gunter: Visuell argumentieren lernen – visuelle Argumente verstehen lernen. In: Kunst und Unterricht, Heft 68, 1981, S. 31. Vgl. Informe de la Comisión Nacional de Verdad y Reconciliación (Informe Rettig). Vol. I, Band I. Santiago: Corporación Nacional de Reparación y Reconciliación. Reedición 1996, S. 101. Zu dem Opferprofil siehe auch: Informe de la Comisión Nacional sobre Prisión Política y Tortura. (Informe Valech 1). Santiago de Chile: 2005, S. 559–575.

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zur Durchsetzung von Forderungen der Lobbygruppen in Bezug auf die erfolgreiche Errichtung nationaler Gedenkgesten fragt. Doch die vorliegende Studie beschäftigte sich mit der nachfolgenden Erinnerungspolitik und den damit verbundenen Musealisierungsprozessen in Chile und in Peru. In diesem Zusammenhang kann man durchaus mehrere Gemeinsamkeiten zwischen den untersuchten Ländern feststellen. Chile und Peru mussten beide mit den Konsequenzen langjähriger andauernder Repression und politischer Gewalt umgehen. Bei den erinnerungspolitischen Maßnahmen nach der Transition zeichnen sich einige Übereinstimmungen ab: Die Bildung von Wahrheitskommissionen erfolgte in beiden Ländern unmittelbar nach der Rückkehr zur Demokratie und es folgten weitere Transitional-Justice-Mechanismen. In beiden Ländern wurden die ehemaligen Machthaber zur Rechenschaft gezogen. Mithilfe internationaler Zusammenarbeit wurden sie von der Innenjustiz gerichtlich verfolgt (so der Fall von Pinochet und Fujimori). Die Wahrheitskommissionen in beiden Ländern forderten als symbolische Reparationsmaßnahmen Orte zum Gedenken an die Opfer der Gewalt und für ihre Würdigung. In ihrem Rückschluss 167 erwähnt die CVR den Reparationsplan, der an erster Stelle auf die „symbolischen Reparationen, die Wiedererlangung der Erinnerung und die Würdigung der Opfer“18 verweist. Eine ihrer Empfehlungen im Rahmen des Reparationsprogramms sieht Gedenkorte vor.19 Demzufolge kann man den Lugar de la Memoria als eine Form der symbolischen Entschädigung betrachten. Auch der chilenischen Wahrheitskommission empfiehlt dem Staat, die nötigen Ressourcen für kulturelle und symbolische Projekte zu gewähren, darunter Orte, die den Opfern gedenkt.20 So setzten folglich sowohl Chile als auch Peru die Empfehlungen um, indem beide Länder spezifisch für diesen Zweck zwei Erinnerungsmuseen neu bauten. Die Ergebnisse der Recherchen der Wahrheitskommissionen waren in beiden Ländern kontrovers; die nationalen Sicherheitskräfte und ein Teil der politischen Eliten und der Gesellschaft akzeptierten die Abschlussberichte zumindest anfänglich nicht. Beide Länder sind heute noch von einer gesellschaftlichen Polarisierung im Umgangs mit der jüngsten Vergangenheit und vor allem mit ihrer Deutungen gekennzeichnet. In Chile ist ein größerer politischer, historischer und sozialer Konsens über die verübten Menschenrechtsverletzungen als in Peru festzustel-

18

19 20

CVR. Informe Final: Conclusiones generales. Band VIII, S. 344. Online verfügbar unter: http://cverdad.org.pe/ifinal/pdf/TOMO%20VIII/CONCLUSIONES%20GEN ERALES.pdf (abgerufen am 14.08.2017). Vgl. ebd., Recomendaciones. Band IX, S. 166. Online verfügbar unter: http://cver dad.org.pe/ifinal/pdf/TOMO%20IX/2.2.%20PIR.pdf (abgerufen am 14.08.2017). Vgl. Informe de la Comisión Nacional de Verdad y Reconciliación. (Informe Rettig). Band II. Santiago de Chile: 1991, S. 1254 ff.

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len, die auch von staatlicher Seite als solche anerkannt wurden. In Peru dagegen fehlt nach wie vor der politische Wille zur Anerkennung. Die Initiativen für den Bau solcher Gedenkorte waren (und sind teilweise), wie in dieser Studie anschaulich wurde, umstritten. Die Kontroversen, die im Rahmen der Musealisierungsprozesse entstanden sind, legen drei wichtige Tatsachen dar: Die erste mag zunächst überflüssig erscheinen, es ist aber zu betonen, dass durch die Musealisierungen erst deutlich wurde, dass es ein sozial geteiltes Verständnis über die jüngste Vergangenheit besteht. Der fehlende Konsens in der Gesellschaft erzeugt heftige Konflikte zwischen rivalisierenden Erinnerungsgemeinschaften um die Hegemonie der verschiedenen Vergangenheitsdeutungen, die sich im Rahmen der Museumsinitiativen erst öffentlich artikulieren. Zweitens schaffen diese Institutionen das Medium für die Vermittlung und Verbreitung herrschender Diskurse, oft zulasten anderer. Drittens bilden die Musealisierungsprozesse für die marginalisierten Erinnerungsakteure Plattformen für Auseinandersetzungen mit den Vertretern des dominanten Erinnerungsdiskurses und eine hervorragende Gelegenheit, ihre Forderungen erneut in einem öffentlichen Raum zu präsentieren. Gewiss reichen symbolische Gesten dafür nicht aus. Überlebende und Angehörige von Opfern fordern nicht nur moralische Maßnahmen, sondern die reale Umsetzung erinnerungspolitischer Mechanismen wie würdige Reparationen und Gerechtigkeit, sowohl in Chile als auch in Peru. Es lässt sich schlussfolgern, dass die Entstehungsprozesse von Erinnerungsmuseen sowie ihre Dauerausstellungen (diskursive und ästhetische Präsentation) akademische, soziale und politische Spaltungen aufdecken. Aber ihre Existenz verhilft zu einer öffentlichen Debatte und Diskussion über Themen, die sonst oft verdrängt werden. Die museale Aufarbeitung einer gewaltsamen Vergangenheit ist sehr komplex. Umso schwieriger erscheint dies, wenn die historischen Ereignisse noch sehr präsent sind und es keinen allgemeingültigen Konsens gibt. Trotz unterschiedlicher historischer Hintergründe und erinnerungspolitischer Kontexte hat der Vergleich beider Ausstellungen gezeigt, dass diese doch viele gemeinsame thematische Schwerpunkte, Präsentationsformen und Ansätze aufweisen. Der Vergleich beider Institutionen ermöglichte es, jene Facetten der Musealisierungsprozesse und der Ausstellungskonzeptionen ins Blickfeld zu rücken, die andernfalls übersehen würden. Es? Diesbezüglich lässt sich in beiden Fällen erkennen, dass manche postulierte Ziele und Intentionen nicht immer mit der Ausstellungsgestaltung übereinstimmen. Es kommt durchaus vor, dass die dargestellte Erzählung nicht immer mit der der vermeintlich angesprochenen Subjekte korrespondiert. In manchen Fällen bleiben sie sogar unbemerkt. Im Laufe der vorliegenden Studie wurde mehrmals der Konkurrenzcharakter der Erinnerungsdiskurse betont. Doch nach einer genaueren Beobachtung der zu

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vergleichenden Fälle wurden einige A-priori-Annahmen relativiert. Es lässt sich zumindest im peruanischen Fall nicht bestätigen, dass man einen hegemonialen Erinnerungsdiskurs im Lugar de la Memoria durchsetzen will. Die Dichotomie zwischen „offiziellen“ und „inoffiziellen“ Erinnerungsdiskursen lässt sich in der Ausstellung nicht immer klar erkennen. Die Gründe dafür haben mit der Suigeneris-Natur des peruanischen Prozesses zu tun. Damit meine ich nicht nur die Musealisierungsprozesse, sondern auch die historischen und gesellschaftlichen Hintergründe, die diesen Fall sehr kompliziert machen. Die peruanische Wahrheitskommission, zum Beispiel, war ein Mechanismus, der die Konstruktion einer „offiziellen“ Wahrheit intendierte. Doch deren Ergebnisse wurden teilweise stark von den politischen und sozialen Eliten dekreditiert und nicht als die Stimme des Staates anerkannt. Deswegen waren die Partizipationsprozesse so aufschlussreich für die Kuratoren und für die Implementierung der Dauerausstellung. Nur so konnten sie sich ein besseres Bild über die Vorstellungen und Erwartungen der Hauptadressaten machen. Da die Anliegen der unterschiedlichen Akteure, wie schon erwähnt, alles andere als homogen sind, kann man daraus schließen, dass je größer die Partizipation der Opferorganisationen, der Familienangehörigen und der Überlebenden in den Entstehungsprozessen der Museen, desto pluraler die dort präsentierten Erinnerungsdiskurse sind. In Chile, wo eine direkte Partizipation, um das „Drehbuch“ des Museums zu diskutieren, nicht in einer solchen Form stattfand, sind die Dichotomien Opfer/Täter oder Gut/Böse viel augenfälliger und der offizielle Erinnerungsdiskurs erkennbarer. In dieser Hinsicht ist noch einmal zu betonen, dass die Interpretationen und Botschaften aktiver Förderer solcher Orte ideologisch eingerahmt sind. Darüber hinaus sei darauf hingewiesen, dass die verschiedenen Strategien des Erinnerns – in dem Museum oder außerhalb – häufig parallel verlaufen und sich in einer einzigen Spanne treffen, unabhängig von ihrer Form, ihrem Inhalt, ihrem Vorsatz oder ihrem Vorsprung. Gleichzeitig sind sie nicht immer eindeutig und auch nicht immer dauerhaft, sondern können im Laufe der Zeit variieren, wenn sich andere Szenarien und Konstellationen bilden. In diesem Sinne, und um für alle Eventualitäten gerüstet zu sein, bediente sich die Hauptinitiatorin des Museo de la Memoria in Santiago, die Präsidentin Michelle Bachelet, rechtlicher Rahmen, damit die Institution unabhängig von aufkommenden politischen Konjunkturen stabil bleibt. In dem peruanischen Fall waren vor allem Improvisation und Ungewissheit die dauernden Charakteristika des Projekts. Der Impuls kam seitens der Bundesrepublik Deutschland und löste anfänglich keine Begeisterung weder in der Gesellschaft, noch in offiziellen Kreisen auf. Daraus leitet sich eine weitere Schlussfolgerung ab: Kommen die Initialzündung sowie die Unterstützung und

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Finanzdeckung seitens des jeweiligen Staates, ist die Nachhaltigkeit der Institution wahrscheinlicher und ihr Funktionieren effizienter. Hierzu ist die Legitimation und Akzeptanz seitens der Bevölkerung ein wesentlicher Aspekt. Darüber hinaus sind Fragen bezüglich der Rezeption und Perzeption (Wie kommen die präsentierten Inhalte an? Wie kristallisiert sich der Lerneffekt, falls denn einer entsteht?) sowie der Besucherforschung (Wer besucht eigentlich die Museen?) sehr wichtig, gerade wenn es um die Nachhaltigkeit solcher symbolischen Maßnahmen geht. Die Antworten auf diese Fragen könnten Aufschluss auf die Wirkung von Erinnerungsmuseen geben. Zukünftige Forschung sollte sich daher mit deartigen Problemfelder auseinandersetzen. Post-Konflikt-Gesellschaften wie die chilenische und die peruanische müssen heute noch mit den Folgen der politischen Gewalt in ihren Ländern leben. Ob die Zeit die Wunden heilen wird, wird sich zeigen. Aber eine sensible und zugleich ernsthafte und verantwortungsbewusste Auseinandersetzung mit dem Thema kann auf jeden Fall ein erster Schritt sein. In diesem Sinne sollen die Museos de la Memoria nicht als reines Instrument des Memory booms verstanden werden, sondern als Teil einer Reihe von Präventionsmaßnahmen im Zusammenhang mit dem Postulat des Nunca Más. Nichtsdestotrotz sollen Staaten nicht in dem Irrtum geraten, dass damit die Sache vom Tisch ist. Die Museos de la Memoria sollen in keinem Fall juristische und politische Maßnahmen ersetzen. Eine junge und funktionierende Demokratie ohne institutionelle Veränderungen ist im Grunde nicht möglich. Deswegen kann ein Wechsel zu einem demokratischen System nicht nur mit einer dezidierten Erinnerungspolitik erfolgen, sondern es bedarf umfassender Reformen zum Beispiel des Militärs, des Justizsystems und eventuell auch der Medienlandschaft. Aber vor allem bedarf es des politischen Willens der amtierenden Regierung.

8.3 AUSBLICK „Bekräftigen wir heute unsere Verpflichtung zur konsequenten Verteidigung der Menschenrechte, jederzeit und überall“21, waren die Worte der Präsidentin Bachelet während der Grundsteinlegung des Museo de la Memoria y los Derechos Humanos in Santiago. Doch zwei Jahre später, bei den Feierlichkeiten anlässlich

21

„Reafirmemos hoy nuestro compromiso con la defensa consecuente de los derechos humanos en todo tiempo, en todo lugar.“ Textstelle aus Bachelets Rede anlässlich der Grundsteinlegung des Museo de la Memoria. http://www.lanacion.cl/noticias/ pais/nunca-mas-el-imperio-de-la-crueldad/2008-12-11/013844.html (abgerufen am 03.08.2016, Server nicht mehr existent).

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der Museumseröffnung, wurde deutlich, dass es nicht so einfach ist, ihre Aussage einzuhalten. Während ihrer Eröffnungsrede, bei der eine Reihe nationaler und internationaler Persönlichkeiten anwesend waren, weshalb die Opferorganisationen nur einige wenige Sitzplätze erhielten, wurde Bachelet abrupt unterbrochen. Zwei junge Frauen waren auf einen Beleuchtungsmast geklettert und prangerten schreiend an, dass in Chile die Menschenrechte verletzt würden. Eine der Frauen war die Schwester eines Mapuche-Aktivisten, der im Jahr 2008 von der Polizei erschossen wurde. Die Brüder der anderen Frau wurden während der Diktatur 1985 ermordet. Sie forderten Gerechtigkeit und die Freilassung der politischen Gefangenen. Die Präsidentin reagierte anfangs gefasst, sicherte den Frauen Gerechtigkeit zu, bat aber auch um Respekt für die anwesenden Opfer und deren Angehörige. Die Frauen blieben jedoch hartnäckig, sodass das Wachpersonal sie vom Lichtmast herunterholen musste, und schließlich wurden sie von der Polizei festgenommen.22 Diese Situation trübte den feierlichen Charakter der Zeremonie und verdeutlichte gleichzeitig die Menschenrechtsproblematik in Chile: Nach wie vor, heute und jetzt, werden die Menschenrechte von Chilenen, vor allem die der ethnischen Gruppe der Mapuche, verletzt. Die Dauerausstellung bezieht sich aber nur auf die während der Diktatur von den nationalen Streit- und Sicherheitskräften begangenen Verbrechen. Am 11. März 2014 begann Bachelets zweite Amtszeit. Im September 2015 äußerte sich die Präsidentin der Agrupación de Familiares de Ejecutados Políticos (Vereinigung politisch Hingerichteter), Alicia Lira, öffentlich zu der Situation der Straflosigkeit in Chile. Michelle Bachelet habe in dieser Hinsicht ihre Versprechungen, die auch Teil ihres Regierungsprogramms sind, nicht eingehalten. Die aktuellen Forderungen des Vereins sind: das Außerkraftsetzen des Amnestiegesetzes und die Schließung des Haftzentrums Punta Peuco, ein Sondergefängnis ausschließlich für Angehörige der Sicherheitskräfte, die wegen Menschenrechtsverletzungen verurteilt sind. Dies sei, so Lira, eine Notwendigkeit für das Land in Bezug auf Wahrheit, Gerechtigkeit und Erinnerung. 23 In der Tat hat sich die Regierung Bachelets bemüht, die Reichweite des Amnestiegesetzes zu limitieren bzw. es nicht anzuwenden, auch wenn das Gesetz an sich noch gültig ist. Was Punta Peuco betrifft, hängt seine Schließung von dem politischen Wil22

23

Morales, Karina: Incidentes empañan inauguración del Museo de la Memoria. In: Emol vom 11.01.2010. http://www.emol.com/noticias/nacional/2010/01/11/393405/ incidentes-empanan-inauguracion-del-museo-de-la-memoria.html (abgerufen am 12. 10.2017). N.N.: Organizaciones de DD.HH. rechazan la impunidad en los casos de tortura en Chile. In: Agencia EFE vom 03.09.2015. http://www.efe.com/efe/america/politica/ organizaciones-de-dd-hh-rechazan-la-impunidad-en-los-casos-tortura-chile/2000003 5-2703515 (abgerufen am 12.10.2017).

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len der amtierenden Regierung ab. Traditionell werden am 11. September jedes Jahres (Jahrestags des Putsches) verschiedene öffentliche Ankündigungen bezüglich der Menschenrechtssituation veröffentlicht. Ob die Forderungen der Agrupación de Familiares de Ejecutados Políticos programmatisch aufgenommen werden, bleibt unbeantwortet. Trotz seiner Leerstellen und Beschränkungen ist das Museo de la Memoria zweifelsohne ein bedeutender Meilenstein auf dem Weg zur Konstruktion einer tragfähigen Erinnerungskultur in Chile. Es ist auch ein Zeichen der Anerkennung und Würdigung der Opfer der Militärdiktatur. Das Einlösen der Versprechungen der Präsidentin Bachelet, die sie bei der Grundsteinlegung und später im Wahlkampf äußerte, lässt allerdings bis dato auf sich warten. Währenddessen bleibt die Gesellschaft in Chile, trotz einiger konsensfähiger Punkte, gespalten, wenn es um die „korrekte“ Aufarbeitung der Vergangenheit geht. Auch die museale Aufarbeitung wird nicht von allen Chilenen begrüßt. Nichtsdestotrotz bildet das Museo de la Memoria heute einen lebendigen Ort der Begegnung, in dem man sich über historische, politische und soziale Themen austauschen kann. Der peruanische Fall ist komplizierter. Legte die erste Kommission des Lugar de la Memoria besonders wert darauf, Konsense zu erreichen, kam die letzte Arbeitsgruppe dank der Partizipationsprozesse zu der Schlussfolgerung, dass die gewünschten Konsense im peruanischen Kontext nicht möglich sind. Natürlich musste man sich in manchen Themen einigen und kompromissbereit sein, sonst wäre die Ausstellung nicht zustande gekommen. Zwar wurden Anhaltspunkte gefunden, aber es werden weiterhin brisanten Themen bleiben, über die man sich nicht in der Mitte treffen kann bzw. will. In Peru, anders als in den Ländern des Cono Sur, bei denen so etwas realistischer erscheint, war der Konflikt so komplex, dass allein der Versuch, eine für alle gültige und homogene Version der Vergangenheit zu etablieren, zum Scheitern prädestiniert ist. Vielmehr versuchten die letzte Arbeitsgruppe und das Kuratorenteam aus den unterschiedlichen individuellen Erfahrungen heraus jene traurige Periode der peruanischen Geschichte den Besuchern nahezubringen und sie zum Nachdenken anzuregen. Doch die große Mehrheit des Teams um Denise Ledgard (die vorletzte Direktorin des Projekts), die Kuratoren und die Experten, die während der letzten Museumskommission intensiv und mit großem Engagement arbeiteten, ist nicht mehr Teil der Institution. Nachdem Denise Ledgard allerdings von ihrem Amt als Direktorin des Projekts LUM zurücktreten musste, weil sie sich dem Staat gegenüber öffentlich kritisch geäußert hatte, wurde Owan Lay Gonzáles kurz vor der Eröffnung im Dezember 2015 als Direktor berufen. Er ist Experte für Internationale Beziehungen und Menschenrechte und hatte bis zur seiner Ernennung am Tag der Eröffnung für das Kulturministerium als Leiter der Abteilung für Politik

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für die afroperuanische Bevölkerung gearbeitet. Mit ihm übernahm eine Person die Führung, die sich mit der Staatsverwaltung und deren Regeln bestens auskennt und gleichzeitig politisch neutral ist. Beide Eigenschaften gefielen der damaligen Kulturministerin Diana Alvarez Calderón, als sie ihn zum Direktor designierte. Der LUM und seine Richtlinien hängen also stark vom Kulturministerium ab. Am 10. April 2016 fanden in Peru allgemeine Wahlen statt. Keiko Fujimori, die Tochter des ehemaligen Präsidenten Alberto Fujimori, führte das Feld der Kandidaten im ersten Wahlgang in den Umfragen an. Im Kampf um die Präsidentschaft gewann der wirtschaftsliberalen Kandidat Pedro Pablo Kuczynski Godard sehr knapp in einer Stichwahl. Wenn eine neue Regierung ihr Mandat antritt (am 28. Juli, Tag der Unabhängigkeit), wird üblicherweise das ganze Kabinett erneuert. Auch viele Mitarbeiter werden ausgewechselt. Im Oktober 2016 wurde der Soziologe Guillermo Nugent Herrera zum Direktor designiert, doch nicht einmal ein Jahr später wurde er von seinem Amt entlassen. Die Gründe dafür sind nicht eindeutig. Allerdings besteht der starke Verdacht, dass seine Entlassung mit der aktuellen (16.08.2017– 01.10.2017) Wechselausstellung Resistencia Visual 1992 im LUM in Verbindung steht. Der Schwerpunkt der Ausstellung ist das Jahr 1992, das Jahr des autogolpe, der Festnahme von Abimael Guzmán und das Verschwindenlassen von Studenten der Universität Cantuta, u. a. Das Letztere ist einer der Gründe, warum Fujimori heute im Gefängnis sitzt. Es wird erahnt, dass auf Druck der Partei Fujimoris, welche die Ausstellung als zu „antifujimorista“ beurteilen, das Ministerium für Kultur intervenieren musste, indem es der Direktor entlässt. Die Richtlinien des LUM hätten sich noch drastischer ändern können, falls Keiko Fujimori die Wahlen gewonnen hätte. Aber der politische Einfluss ihrer Partei ist trotzdem enorm, wie die obengenannte Maßnahme verdeutlicht. Deshalb wäre es vorteilhaft gewesen, Strategien für eine unabhängige Verwaltung der Institution noch während der Regierung von Ollanta Humala zu entwickeln. Doch dazu kam es nicht. Kurz bevor er sein Mandat beendete, sandte die Regierung Humala allerdings ein positives Signal bezüglich der Erinnerungspolitik. Am 22 Juni des Jahres 2016 trat das Gesetz 30470 zur Suche von verschwundenen Menschen während des internen bewaffneten Konflikts in Kraft. Da die Datenerhebung zu dem Zeitpunkt beendet war, ist diese staatliche Maßnahme nicht in der Analyse einbezogen. Nichtsdestotrotz soll das Gesetz hier nicht unerwähnt bleiben. Die jahrelange Forderung der Familienangehörigen und Menschenrechtsverbände besitzt nun rechtlicher Rang, und das ist zweifelsohne zu begrüßen. Die Tatsache, dass der Präsident Ollanta Humala erst ein Monat vor dem Ende seines Mandats

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darauf reagiert hat, lässt allerdings einige Fragen offen. Die augenscheinlichste davon ist: Warum erst jetzt? Es ist klar, dass die Umsetzung des Gesetzes Aufgabe der aktuellen Regierung (2016–2021) sein wird, und es ist gleichzeitig eindeutig, dass eine derartige erinnerungspolitische Maßnahme keine Priorität seiner Regierung war. Das Gesetz sieht vor, eine Gendatenbank zur Identifizierung der exhumierten Personen anzulegen. Ein solches Verfahren ist teuer und benötigt daher den politischen Willen der amtierenden Regierung und des Parlaments, in welchem Keiko Fujimoris Fraktion mit 73 der 130 Sitze die Mehrheit ausmacht. Eine Parlamentarierin des „Fujimorismo“ ist sogar Präsidentin der Haushaltskommission. Ob sie und ihre politische Partei die Suche von Verschwundenen für besonders relevant finden, bleibt – und mir ist hierbei bewusst, dass ich mich im spekulativen Bereich bewege – unwahrscheinlich. Es ist nicht absehbar, wie der LUM in Zukunft funktionieren wird und wie seine Ziele in Taten umgesetzt werden. Die Konditionen, unter denen das Museumsteam und die Kuratoren arbeiten mussten, waren sehr prekär, und ihre Arbeit wurde nicht mit angemessenen Mitteln honoriert. Man musste mit wenig Geld auskommen und in der letzten Phase sogar ohne Leitung, sodass die Eröffnung stattfand, obwohl die Dauerausstellung noch nicht vollständig fertig war. Der LUM musste aber trotzdem eröffnet werden, bevor sich die politische Konjunktur wieder veränderte. Die Konflikte und Kontroversen um Gedenkstätten, Denkmäler oder Museenen beenden nicht unbedingt, sobald sie fertig gebaut werden. Es gibt, wie Elizabeth Jelin behauptet, immer Potenzial für Revisionen, Veränderungen in den Narrativen oder sogar für die Entstehung neuer Konflikte.24 Die Forderungen für Wahrheit, Gerechtigkeit und Reparation enden auch nicht mit der Fertigstellung dieser Projekte. Die Museos de la Memoria stellen eine Plattform für die Visualisierung ihrer Forderungen dar; die Entstehung eines Ortes zum Gedenken an ihrer Angehörigen ist nur ein materielles Zeichen für den partiellen Gewinn eines Kampfes, der noch besteht.

24

Vgl. Jelin 2008, S. 241.

Abbildungen Abbildung 1: Treppe zur Dauerausstellung. An der Wand: Fotocollage von Demonstrationen aus der Zeit der Unidad Popular. Links im Bild: Volksmusiker Víctor Jara, Museo de la Memoria y los Derechos Humanos, Santiago de Chile.

Quelle: Fabiola Arellano. Mit freundlicher Genehmigung des Museo de la Memoria.

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Abbildung 2: Saal Once de Setiembre. Videoprojektion mit Audiostationen. Im Hintergrund: Live-Übertragung des Regierungspalasts, bekannt als La Moneda. An der rechten Wand: Fotografie von den ersten repressiven Maßnahmen nach dem Putsch, Museo de Memoria y los Derechos Humanos, Santiago de Chile.

Quelle: Fabiola Arellano. Mit freundlicher Genehmigung des Museo de la Memoria.

Abbildungen | 277

Abbildung 3: Saal Tortura (Folter). Videoinstallation mit Aussagen von Überlebenden. Darunter: Repräsentation der Foltermethode, bekannt als „la parrilla“ (Grill), Museo de la Memoria y los Derechos Humanos, Santiago de Chile.

Quelle: Archiv des Museo de la Memoria y los Derechos Humanos.

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Abbildung 4: Artesanía Carcelaria (in der Haft angefertigtes Kunsthandwerk). Links: Reliefarbeit aus Kupfer, angefertigt vom Vater der Präsidentin Michelle Bachelet, Museo de Memoria y los Derechos Humanos, Santiago de Chile.

Quelle: Fabiola Arellano. Mit freundlicher Genehmigung des Museo de la Memoria.

Abbildungen | 279

Abbildung 5: Ausencia y Memoria (Abwesenheit und Erinnerung). Monitor mit Informationen über die Opfer. Im Hintergrund: Fotoinstallation der Opfer der Militärdiktatur, Museo de Memoria y los Derechos Humanos, Santiago de Chile.

Quelle: Fabiola Arellano. Mit freundlicher Genehmigung des Museo de la Memoria.

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Abbildung 6: Chronologische Darstellung des Konflikts, aufgeteilt nach den jeweiligen Präsidenten. Im Hintergrund: Informationen über die Ursprünge der Gewalt, Lugar de la Memoria (LUM), Lima.

Quelle: Fabiola Arellano. Mit freundlicher Genehmigung des LUM.

Abbildungen | 281

Abbildung 7: Fall Uchuraccay. Gegenüberstellung der Ansichten von Vargas Llosa (damals Präsident der Untersuchungskommission) und von einem Gemeindebewohner über die Ereignisse an dem Tag, an welchem acht Journalisten ermordet wurden, Lugar de la Memoria (LUM), Lima.

Quelle: Fabiola Arellano. Mit freundlicher Genehmigung des LUM.

Abbildung 8: Fall Putis. Kleidungsstücke, gefunden bei den Exhumierungen. Das Oberteil gehörte einem Kind, das unter den Opfern der von Mitgliedern der Staatskräfte verübten Massaker in Putis fiel, Lugar de la Memoria (LUM), Lima.

Quelle: Stephan Dietrich. Mit freundlicher Genehmigung des LUM.

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Abbildung 9: Saal Una Persona, todas las personas (eine Person, alle Personen). Videografierte Interviews von Überlebenden und Opfer-Angehörigen des internen bewaffneten Konflikts in Peru. Im Bild: Besucher bei der Videoinstallation mit Hörstationen. Lugar de la Memoria (LUM), Lima.

Quelle: Fabiola Arellano. Mit freundlicher Genehmigung des LUM.

Abbildungen | 283

Abbildung 10: Installation Desaparecidos. Kubus mit persönlichen Reliquien (Fotografien, Kleidungsstücke, Briefe) eines desaparecidos während des internen bewaffneten Konflikts, Lugar de la Memoria (LUM), Lima.

Quelle: Adrián Portugal. Mit freundlicher Genehmigung des LUM.

Abbildung 11: Interieur der Installation Desaparecidos. Auf dem Bild: Heftchen, auf denen anhand von Bildern die Lebensgeschichte eines desaparecido erzählt wird, Lugar de la Memoria (LUM), Lima.

Quelle: Fabiola Arellano. Mit freundlicher Genehmigung des LUM.

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Abbildung 12: Triptychon im Saal Once de Setiembre. Oben: Zeitlinie über den 11. September mit Aufnahmen aus einem der letzten Auftritte des Präsidenten Salvador Allende, bevor er Selbstmord beging, Museo de la Memoria y los Derechos Humanos, Santiago de Chile.

Quelle: Fabiola Arellano. Mit freundlicher Genehmigung des Museo de la Memoria.

Abbildungen | 285

Abbildung 13: Inszenierung über die Exhumierungen in La Hoyada (Ayacucho). Lugar de la Memoria (LUM), Lima.

Quelle: Fabiola Arellano. Mit freundlicher Genehmigung des LUM.

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Abbildung 14: Ausencia y Memoria (Abwesenheit und Erinnerung). Fotoinstallation der Opfer der Militärdiktatur, auch als „nube“ (Wolke) bekannt. Rechts im Bild: Balkon mit Monitor und „Kerzen“ („velatón“), Museo de Memoria y los Derechos Humanos, Santiago de Chile.

Quelle: Fabiola Arellano. Mit freundlicher Genehmigung des Museo de la Memoria.

Abbildungen | 287

Abbildung 15: Installation Desaparecidos (Detail). Persönliche Relikte (Ausweisbild, Taschenrechner, Armuhr) eines Opfers von „Verschwindenlassen“ während des internen bewaffneten Konflikts, Lugar de la Memoria (LUM), Lima.

Quelle: Adrián Portugal. Mit freundlicher Genehmigung des LUM.

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Abbildung 16: Heftchen mit Fotografien über das Leben (Hobbies) eines Opfers des internen bewaffneten Konflikts, Lugar de la Memoria (LUM), Lima.

Quelle: Fabiola Arellano. Mit freundlicher Genehmigung des LUM.

Abbildung 17: Biografische Informationen über die Studentin Dora Oyague Fierro, Opfer von „Verschwindenlassen“, Lugar de la Memoria (LUM), Lima.

Quelle: Fabiola Arellano. Mit freundlicher Genehmigung des LUM.

Abbildungen | 289

Abbildung 18: Volkskunst. Arpilleras inspiriert durch die Militärdiktatur, Museo de Memoria y los Derechos Humanos, Santiago de Chile.

Quelle: Archiv des Museo de la Memoria y los Derechos Humanos.

Abbildung 19: Volkskunst. Retablo ayacuchano von Edilberto Jiménez inspiriert durch die Aufarbeitung der politischen Gewalt, Lugar de la Memoria (LUM), Lima.

Quelle: Fabiola Arellano. Mit freundlicher Genehmigung des LUM.

10 Quellen- und Literaturverzeichnis

Interviews in Chile Bravo, Jimena, Museografin des Museo de la Memoria y los Derechos Humanos, am 09.10.2012 in Santiago. Brodsky, Ricardo, Direktor des Museo de la Memoria y los Derechos Humanos, am 13.03.2014 in Santiago. Lira, Elizabeth, Psychologin und ehemalige Mitglieder der zweiten chilenischen Wahrheitskommission für Folter und politische Haft, am 12.03.2014 in Santiago. Ortiz, María Luisa, Leiterin des Bereichs Sammlungen und Forschung des Museo de la Memoria y los Derechos Humanos, am 14.03.2014 in Santiago. Pereira, Pamela, Menschenrechtsanwältin und Teilnehmerin an den Verhandlungen Mesa de Diálogo, am 10.03.2014 in Santiago. Interviews in Peru Agüero, José Carlos, Historiker und mitverantwortlich für die Organisation und Leitung der Partizipationsprozesse bezüglich des Museumsskripts des Lugar de la Memoria, am 13.01.2016 in Lima. Bernedo, Karen, Anthropologin und Mitautorin des Entwurfs eines Museumsskripts für den Lugar de la Memoria, am 01.04.2014 in Lima. Carvallo, Fernando, Direktor des Museumsprojekts der 2. Kommission für den Lugar de la Memoria, am 14.04.2014 in Lima. Iguiñez, Natalia, Künstlerin und Mitglied des Kuratorenteams des Lugar de la Memoria, am 18.01.2016 in Lima. Ledgard, Denise, Direktorin des Museumsprojekts der 3. Kommission für den Lugar de la Memoria, am 13.09.13 in Lima und am 07.04.14 in Lima. Lerner Febres, Salomón, ehemaliger Präsident der peruanischen Wahrheitskommission, am 19.03.2014 in Lima.

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314 | Politische Gewalt ausstellen

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Museum Ann Davis, Kerstin Smeds (eds.)

Visiting the Visitor An Enquiry Into the Visitor Business in Museums 2016, 250 p., pb., numerous ill. 39,99 € (DE), 978-3-8376-3289-7 E-Book: 39,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3289-1

Andrea Kramper

Storytelling für Museen Herausforderungen und Chancen September 2017, 140 S., kart., zahlr. Abb. 19,99 € (DE), 978-3-8376-4017-5 E-Book PDF: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4017-9 EPUB: 17,99€ (DE), ISBN 978-3-7328-4017-5

NÖKU-Gruppe, Susanne Wolfram (Hg.)

Kulturvermittlung heute Internationale Perspektiven Januar 2017, 222 S., kart. 29,99 € (DE), 978-3-8376-3875-2 E-Book: 26,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3875-6

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de

Museum Carmen Mörsch, Angeli Sachs, Thomas Sieber (Hg.)

Ausstellen und Vermitteln im Museum der Gegenwart 2016, 344 S., kart., zahlr. Abb. 34,99 € (DE), 978-3-8376-3081-7 E-Book: 34,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3081-1

Robert Gander, Andreas Rudigier, Bruno Winkler (Hg.)

Museum und Gegenwart Verhandlungsorte und Aktionsfelder für soziale Verantwortung und gesellschaftlichen Wandel 2015, 176 S., kart., zahlr. z.T. farb. Abb. 29,99 € (DE), 978-3-8376-3335-1 E-Book: 26,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3335-5

Anja Piontek

Museum und Partizipation Theorie und Praxis kooperativer Ausstellungsprojekte und Beteiligungsangebote September 2017, 534 S., kart. 34,99 € (DE), 978-3-8376-3961-2 E-Book: 34,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3961-6

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de