Staatliche und parastaatliche Gewalt in Lateinamerika 9783964562203

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Staatliche und parastaatliche Gewalt in Lateinamerika
 9783964562203

Table of contents :
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
I. Einleitung
Zu den Themenschwerpunkten dieses Bandes
Staatliche und parastaatliche Gewalt: Ein vernachlässigtes Forschungsthema
II. Einzelfallstudien
The "Dirty War" in Argentina: Was it a war and how dirty was it?
Staatsterrorismus in Chile
Brasilien: Militärherrschaft und Nachrichtendienste (1964-1985)
III. Rechtfertigungen, Ursachen, Probleme der Informationsbeschaffung
"Partisanen kann man nur auf Partisanenart bekämpfen". Über die ideologischen Wurzeln und Rechtfertigungen der "Guerra sucia" in Lateinamerika (insbesondere in Argentinien)
Die ideologischen Wurzeln der "Doktrin der nationalen Sicherheit" in Lateinamerika
Inflation und/oder Repression: Ökonomische Determinanten staatlichen Gewalthandelns
"Depressionsdiktaturen" in Zentralamerika? Einige Bemerkungen zu einem historischen Begriff
Zum Problem der Informationsbeschaffung über staatliche und parastaatliche Gewalt am Beispiel Zentralamerikas
IV. Politische Folgen und moralische Bewertung
Konsequenzen der Demokratisierung für die Streitkräfte in Argentinien, Brasilien und Uruguay
Staatsterrorismus: Legitimation und Illegitimität
Die Autoren des Bandes

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Tobler / Waldmann

Staatliche und parastaatliche Gewalt in Lateinamerika

Editionen der Iberoamericana Reihe HI Monographien und Aufsätze Herausgegeben von Waither L. Bernecker, Frauke Gewecke, Jürgen M. Meisel, Klaus Meyer-Minnemann Band 31

Hans Werner Tobler, Peter Waldmann (Hrsg.)

Staatliche und parastaatliche Gewalt in Lateinamerika

Vervuert Verlag • Frankfurt am Main 1991

CIP-Titelaufhahme der Deutschen Bibliothek Staatliche und parastaatliche Gewalt in Lateinamerika / hg. von H.W. Tobler und P. Waldmann - Frankfurt am Main : Vervuert, 1991 (Editionen der Iberoamericana : Reihe 3, Monographien und Aufsätze ; Bd. 31) ISBN 3-89354-831-9 NE: Tobler, Hans Werner [Hrsg.]; Editionen der Iberoamericana / 03

© Vervuert Verlag, Frankfurt am Main 1991 Alle Rechte vorbehalten Printed in Germany

Inhaltsverzeichnis Seite Vorwort I

II

Einleitung Hans Werner Tobler: Zu den Themenschwerpunkten dieses Bandes

11

Peter Waltfmann: Staatliche und parastaatliche Gewalt: Ein vernachlässigtes Forschungsthema

21

Einzelfallstudien Maria José Moyano: The "Dirty War" in Argentina: Was it a war and how dirty was it?

45

Detlef Nolte: Staatsterrorismus in Chile

75

Christiano German: Brasilien: Militärherrschaft und Nachrichtendienste (1964-1985)

III

7

105

Rechtfertigungen, Ursachen, Probleme der Informationsbeschaffung Arnold Spitta: "Partisanen kann man nur auf Partisanenart bekämpfen". Über die ideologischen Wurzeln und Rechtfertigungen der "Guerra sucia" in Lateinamerika (insbesondere in Argentinien)

133

Nikolaus

Werz: Die ideologischen W u r z e l n der "Doktrin

d e r n a t i o n a l e n Sicherheit" in L a t e i n a m e r i k a Karl-Dieter

Hoffmann:

Inflation u n d / o d e r R e p r e s s i o n :

Ö k o n o m i s c h e D e t e r m i n a n t e n staatlichen G e w a l t h a n d e l n s Hans

163

193

Werner Tobler: "Depressionsdiktaturen" in

Z e n t r a l a m e r i k a ? Einige B e m e r k u n g e n zu e i n e m historischen Begriff

217

Wolfgang Dietrich:

Z u m Problem der Informationsbeschaffung

ü b e r p a r a s t a a t l i c h e G e w a l t a m Beispiel Z e n t r a l a m e r i k a s

IV

227

Politische Folgen und moralische Bewertung Wolfgang S. Heinz: K o n s e q u e n z e n d e r D e m o k r a t i s i e r u n g f ü r die S t r e i t k r ä f t e in Argentinien, Brasilien und Uruguay Ernesto und

Garzón

265 Valdés: Staatsterrorismus: Legitimation

Illegitimität

D i e A u t o r e n des B a n d e s

317

355

Vorwort

Dieser Band ist als ein Versuch zu verstehen, die asymmetrische Forschungslage hinsichtlich Untersuchungen zur Aufstandsgewalt einerseits, zur staatlichen Unterdrückungsgewalt andererseits, im Sinne einer stärkeren Berücksichtigung der letzteren zu korrigieren. Obwohl inzwischen die meisten Militärregime in Lateinamerika zivilen Regierungen Platz gemacht haben, kann angesichts der keineswegs gefestigten D e m o k r a t i e n auf dem Subkontinent eine Rückkehr der Streitkräfte an die politische Macht zumindest mittelfristig nicht ausgeschlossen werden. Allerdings dürften sie bei einem solchen Versuch aufgrund der massiven Menschenrechtsverletzungen, deren sie sich in der jüngsten Vergangenheit schuldig gemacht haben, schwerlich mit einer breiten Unterstützung der Bevölkerung rechnen können. Auch fragt man sich, woher sie nach der offiziellen Beendigung des kalten Krieges ihre Feindbilder und ideologischen Rechtfertigungsmuster beziehen wollen. Ohnedies erweist sich aufgrund der gegenwärtigen Existenzkrise des Realsozialismus die in den 70er und 80er J a h r e n von den Militärs beschworene kommunistische Bedrohung immer m e h r als ein Popanz zur Rechtfertigung des Krieges, den sie gegen die eigene Gesellschaft führten. Der Band ist aus einem wissenschaftlichen Symposium zum gleichen T h e m a im Juli 1988 in der W e r n e r Reimers Stiftung, Bad H o m b u r g , hervorgegangen, der für die finanzielle Unterstützung und ihre bewährte Gastfreundschaft an dieser Stelle herzlich gedankt sei. Weiterhin möchten wir unseren Dank gegenüber H e r r n Lic. phil. Jan Suter, Zürich, zum Ausdruck bringen, d e m das m ü h s a m e Geschäft der redaktionellen Ü b e r a r beitung oblag, sowie Frau Monique Waldmann, Augsburg, die sämtliche Manuskripte geschrieben hat. Eingeschlossen in unserem D a n k sind auch Frau D. Hilbich, Zürich, sowie Frau P. von Gliscynski, H e r r H . Nentwich und Frau L. W e h r m a n n , Augsburg, die durch diverse Korrektur- und Formatierungsarbeiten zum Z u s t a n d e k o m m e n einer reproduktionsfähigen Druckvorlage beigetragen haben.

H.W. Tobler

P. Waldmann

Zürich

Augsburg Nov. 1990

I Einleitung

Zu den Themenschwerpunkten dieses Bandes Hans Werner Tobler

D e r vorliegende Band greift ein stark vernachlässigtes Forschungsthema auf. Im Unterschied zu den eingehend untersuchten revolutionären Erscheinungen in Lateinamerika, also Volkserhebungen "von unten", ist das P h ä n o m e n staatlicher und parastaatlicher Gewalt "von oben" wissenschaftlich bisher kaum systematisch erfaßt worden. Dies ist u m so bedenklicher, als in den letzten Jahrzehnten die Zahl der O p f e r staatlicher Gewaltanwendung zweifellos ein Vielfaches jener revolutionärer Aufstandsgewalt ausmachte. W a r u m ist die von Staatsorganen, bzw. von parastaatlichen T e r r o r g r u p p e n ausgehende Gewalt zwar von Menschenrechtsorganisationen immer wieder gebrandmarkt worden, hat aber bislang in der wissenschaftlichen Literatur so wenig Beachtung g e f u n d e n ? Dieser Problematik wendet sich u.a. die nachfolgende Einleitung von Peter Waldmann zu. Individuelle Vorbehalte vieler Sozialwissenschaftler, die moralische Autorität des Staates prinzipiell in Frage zu stellen, Schwierigkeiten der Finanzierung aufwendiger empirischer Forschung auf diesem G e b i e t und vor allem die außergewöhnlichen Hindernisse bei der D a t e n b e s c h a f f u n g erklären zum Teil das Defizit an wissenschaftlichen Untersuchungen. Überdies erweist sich, daß es keineswegs einfach ist, das P h ä n o m e n staatlicher und parastaatlicher Gewalt konzeptionell in den Griff zu b e k o m m e n . W a l d m a n n erörtert deshalb einige Kategorien zu einer Analyse dieses Phänomens, die - wie im vorliegenden Sammelband - weniger auf die O p f e r als vielmehr auf die A k t e u r e staatlicher Gewaltaten ausgerichtet ist. Welche Funktion k o m m t der Repression unter d e m Gesichtspunkt des Machterhalts der herrschenden Eliten zu? Wie lassen sich die verschiedenen Intensitätsstufen staatlicher Gewaltanwendung voneinander unterscheiden? W o verläuft die G r e n z e zwischen "Repression" und "Staatsterrorismus"? Solche Fragen f ü h r e n zu einer Typologie und (häufigen) Phasenabfolge staatlicher Gewaltaktionen, welche auch eine Unterscheidung ermöglicht zwischen eigentlicher staatlicher Gewalt und parastaatlichen - von rechtsradikalen 'Todesschwadronen" meist in Komplizenschaft mit staatlichen Sicherheitsdiensten begangenen - Gewaltakten. Sie werfen schließlich auch die Frage nach der Rechtssicherheit in j e n e n Staaten auf, wo systematisch Menschenrechtsverlet11

zungen verübt werden und wo die Justiz in der Regel politischem Druck willfährig nachgibt. Wie sich die staatliche Repressionspolitik konkret ausgewirkt hat, wird im zweiten Teil dieses Bandes am Beispiel der jüngsten Militärregimes in Argentinien, Chile und Brasilien näher dargestellt. María José Moyano analysiert eingehend Voraussetzungen, Verlauf und Auswirkungen des "schmutzigen Kriegs" in Argentinien. Die Wurzeln staatlicherund parastaatlicher Repression sind in der Guerrilla-Bekämpfung unter der Militärregierung von 1966-73 und während des anschließenden peronistischen Regimes zu suchen. Unter der Regierung der Präsidentin Isabel Perón taten sich vor allem die rechtsextremen Todesschwadronen der AAA (Alianza Argentina Anticomunista) unter dem Minister für soziale Wohlfahrt (!) López Rega hervor. Ihre personelle Zusammensetzung, ihre innere Organisation, ihre Verflechtung mit den staatlichen Sicherheitsdiensten und ihr besonders brutales Vorgehen werden eindringlich aufgezeigt. Mit dem Militärputsch von 1976 eskalierte der "Kampf gegen den Terrorismus" zu einem "Krieg", der in den Augen der Militärs die Rechtfertigung für die totale, eben kriegsmäßige, Vernichtung der Guerrilla abgab. Die Durchführung dieses Kriegs war den Streitkräften, insbesondere dem Heer, und speziellen, der Armee unterstellten Polizeieinheiten aufgetragen. Zentrale Bedeutung kam dabei den geheimen Internierungslagern (Centros clandestinos de detención) zu, in welchen die Gefangenen verhört, auf vielfältigste Weise gefoltert und einige Wochen oder auch einige Jahre inhaftiert wurden. Nach diesen Torturen wurden die Häftlinge entweder in "normale" Gefängnisse überführt, freigelassen, in vielen Fällen aber auch ermordet, z.B. "auf der Flucht" erschossen. Zwischen 8.000 und 30.000 "Verschwundene" kamen auf diese Weise ums Leben. Moyanos Beitrag ermöglicht einen erschreckenden Einblick in die Struktur des staatlichen Terrorsystems. Zwar wurde versucht, die Unterdrükkungspraktiken möglichst geheim zu halten und den Kreis der unmittelbar an Verhören, Folter und Ermordung von Häftlingen beteiligten Personen zu begrenzen; dennoch dürften mehr als 3.000 Angehörige des Heeres, der Flotte und der Luftwaffe sowie von speziellen Polizeieinheiten im Unterdrückungsapparat tätig gewesen sein. Durch zeitweilige Abkommandierungen in die geheimen Internierungslager sollten schließlich möglichst viele Offiziere, durch eine Art "Blutpakt", in die Verantwortung für die illegale Repression eingebunden werden. 12

War dieser "Krieg" im Sinne der Zielsetzungen der Militärs überhaupt "erfolgreich"? Zwar wurde die Guerrilla vernichtet, aber ganz abgesehen von der Frage seiner ethischen Rechtfertigung war dieser "Krieg" auch unter rein militärischen Effizienzgesichtspunkten ein Fehlschlag. "Der 'Krieg' war nicht gegen die Guerrillas, sondern gegen die argentinische Gesellschaft als ganze gerichtet", als Reaktion auf die gesteigerte politische Mobilisierung der argentinischen Bevölkerung zwischen 1973 und 1976. D e r "schmutzige Krieg" hat Argentinien denn auch ein bitteres E r b e hinterlassen. Selbst innerhalb der Streitkräfte zeitigte er äußerst bedenkliche Auswirkungen, führte er doch nicht nur zu einer verbreiteten Korruption, sondern auch zu einer Beeinträchtigung der rein militärischen Operationsfähigkeit der Armee, wie der Falkland/Malvinas-Krieg von 1982 deutlich machte. Und schließlich bewirkte die Rechtfertigung des "schmutzigen Kriegs" durch die Militärs nach 1983 ein defensives Zusammenrücken unter den Offizieren, das keine hoffnungsvollen Perspektiven für die Rolle der Armee in einem demokratischen Argentinien eröffnet. Neben dem argentinischen Militärregime zeichnete sich vor allem Chile unter General Pinochet nach 1973 durch ein besonders hohes Maß an staatlicher und parastaatlicher Gewaltanwendung aus. Den Staatsterrorismus in Chile untersucht Detlef

Nolle.

Aufschlußreich im Falle Chiles ist der

Wandel sowohl der Formen als auch der Akteure und der Opfer der Repression im zeitlichen Verlauf des Militärregimes. Am intensivsten war die Repression in den drei Jahren nach dem Putsch von 1973. Mehrere Tausend

Regimegegner,

Kommunistischen

hauptsächlich

Angehörige

des

MIR

und

hingerichtet oder blieben "verschwunden". Hinzu kamen gegen Chilenen, flüchteten.

die aus Angst vor der politischen Waren

der

Partei, wurden - mit oder ohne Gerichtsverfahren

es anfänglich

Angehörige

Verfolgung

ins

der Streitkräfte

-

20.000 Ausland

und

der

Carabineros, denen die Ausschaltung und Vernichtung der Regimegegner aufgetragen war, so wurde 1974 mit der Schaffung der D I N A der Repressionsapparat institutionalisiert. Nach 1976 nahm die Intensität staatlicher Repression deutlich ab, verstärkte sich aber in den 80er Jahren als Reaktion auf die nun einsetzenden Massenproteste gegen das Militärregime wiederum deutlich. Politische Demonstrationen wurden mit großer Brutalität aufgelöst, Elendsviertel der Hauptstadt von Militär und Polizei "kriegsmäßig" besetzt. Bei der Unterdrückung

der politischen

Massenopposition

traten

auch

vermehrt parastaatliche Gruppen, Tarnorganisationen der Sicherheitsdienste

13

oder rechtsextreme Todesschwadronen, in Erscheinung. Nach 1987, im Vorfeld der Abstimmung über das Plebiszit vom Oktober 1988, änderte sich die Form der Repression abermals. Nun kam es vor allem zu einer Einschüchterung oppositioneller Politiker, Priester und Richter, die häufig bedroht, entführt und mißhandelt wurden. Wie war es möglich, daß unter dem chilenischen Militärregime systematisch und massiv Menschenrechte verletzt wurden, ein Tatbestand, der durch die Verfassung explizit unter Strafe gestellt wurde? Einerseits beruhte die Herrschaft Pinochets auf der konsequenten Ausnutzung des Notstandsrechts. Andererseits wird am Beispiel Chiles die Problematik eines "Doppelstaats" deutlich, wie ihn Ernst Fraenkel am Beispiel des nationalsozialistischen "Dritten Reichs" beschrieben hat. Von den Sicherheitsdiensten eingeschüchtert und ausmanövriert, versagte die Justiz weitgehend in ihrer Aufgabe, Menschenrechtsverletzungen Einhalt zu gebieten. Der Widerstand gegen die Unterdrückungspolitik ging denn auch vielmehr von kirchlichen Institutionen sowie anderen nationalen und internationalen Menschenrechtsorganisationen, der U N O und einzelnen westeuropäischen Regierungen aus, was eine gewisse Eindämmung der Menschenrechtsverletzungen in Chile in den 80er Jahren bewirkte. Unter den Akteuren staatlicher und parastaatlicher Gewalt kam den Geheimdiensten eine zentrale Bedeutung zu. Am Beispiel Brasiliens lintersucht Christiano German eingehend die Rolle der Nachrichtendienste zwischen 1964 und 1985. Zur Identifizierung potentieller "Staatsfeinde" wurde 1964 durch General Golbery der zentrale Nachrichtendienst SNI aufgebaut, der sich rasch zu einem umfassenden Überwachungsapparat, ja zu einem eigentlichen Staat im Staate entwickelte. Ein ganzes Heer von Spitzeln in den Ministerien und in der staatlichen Verwaltung, in privaten Unternehmen, in der Presse und selbst innerhalb des Militärs hatte den Auftrag, "Subversive" zu entlarven; die politische Polizei forderte alle Brasilianer auf, verdächtige Mitbürger zu denunzieren. Dabei entzog sich der Geheimdienst allerdings zunehmend der Kontrolle durch die staatliche Führungsspitze. Immer neue, miteinander rivalisierende Geheimdienste der einzelnen Waffengattungen entstanden, welche auch den Ausgang interner Machtkämpfe innerhalb der militärisch-politischen Führung zu beeinflussen suchten. Dieser Konkurrenz der Geheimdienste entsprach die Rivalität von Militärpolizei, ziviler Polizei und parastaatlichen Todesschwadronen bei der Bekämpfung der "Subversion". 50.000 Personen wurden während des 14

Militärregimes aus politischen Gründen inhaftiert, 20.000 durchliefen die Folterkammern und 300 fanden den Tod oder blieben "verschwunden". Wie wurden diese Akte staatlicher und parastaatlicher Gewalt von den dafür Verantwortlichen gerechtfertigt? Welche Ursachen lassen sich dafür anführen? Welche Probleme stellen sich bei der Informationsbeschaffung über staatliche und parastaatliche Gewalt? Diese Fragen werden im dritten Teil des vorliegenden Bandes aufgegriffen. Ausgehend vom bekannten Ausspruch des nationalsozialistischen Staatsrechtlers Carl Schmitt, "Partisanen kann man nur auf Partisanenart bekämpfen", wendet sich Arnold Spitta den ideologischen Rechtfertigungen des lateinamerikanischen Staatsterrorismus zu. Die Übernahme staatsterroristischer Praktiken bei der Guerrillabekämpfung, d.h. der Verzicht auf eine rechtsstaatlich eingegrenzte Terrorbekämpfung wie etwa in Deutschland oder Italien in den 70er und 80er Jahren, sowie die Anwendung klandestiner Kampfmethoden, u.a. durch den Einsatz parastaatlicher "Todesschwadronen", waren z.B. in Argentinien tatsächlich durch die Erfahrungen der deutschen Partisanenbekämpfung im 2. Weltkrieg und die französische Doktrin der "guerre révolutionnaire" aus dem Indochina- und Algerienkrieg beeinflußt. Auf die ideologische Rechtfertigung des totalen "Kriegs gegen die Subversion" hatte sodann die unter dem maßgeblichen Einfluß der USA im Kontext des "kalten Kriegs" entwickelte "Doktrin der nationalen Sicherheit" einen entscheidenden Einfluß. Zu Recht rückt Spitta aber auch die innerlateinamerikanischen Ursachen und ideologischen Wurzeln der "guerra sucia" in den Vordergrund. Diese liegen einerseits in den strukturellen Defekten der lateinamerikanischen Gesellschaften und ihrer hochgradig polarisierten Politik, vor allem aber in der messianistischen Weltanschauung vieler lateinamerikanischer Offiziere, die durch einen religiös begründeten, zur Gewalt neigenden Fundamentalismus katholisch-iberischer Prägung gespeist wird. Sendungsbewußtsein, Rassenhaß und Antikommunismus begründen in hohem Maße das Weltbild der lateinamerikanischen Militärs. Die bei der Subversionsbekämpfung von ihnen praktizierte umfassende Repression stellte sich ihnen deshalb nicht als ein Problem ethisch-politischer Legitimation dar, sondern lediglich als eine Frage der Effizienz des Mitteleinsatzes, einer "Effizienz" allerdings, die, wie auch Spitta unterstreicht, sich als Illusion entpuppte. Wie erwähnt, kam der "Doktrin der nationalen Sicherheit" in den südamerikanischen Militärdiktaturen eine besondere Bedeutung zu. Ihren 15

ideologischen Wurzeln im geopolitischen Denken lateinamerikanischer Militärs und ihrer Instrumentalisierung zur Rechtfertigung der Repression widmet sich der Beitrag von Nikolaus Wen. Beeinflußt durch die schon älteren geopolitischen Traditionen und gefördert durch die strategischen Interessen der USA im "kalten Krieg" mit der Sowjetunion, setzte sich in Südamerika die "Doktrin der nationalen Sicherheit" vor allem seit den 60er Jahren im Gleichschritt mit der Etablierung technokratisch orientierter Militärregimes durch. In der Praxis war diese Doktrin allerdings weniger gegen eine Bedrohung von außen als vielmehr gegen die Opposition im eigenen Land gerichtet. Charakteristisch für diese vor allem von den Militärs verfochtene Doktrin war eine Überhöhung und Verabsolutierung des Staates, in dem die Bürger nur noch eine untergeordnete Rolle spielten. Entsprechend wurden oppositionelle Gruppen als Staatsfeinde und Vaterlandsverräter gebrandmarkt, das Feindbild vor allem auf die innergesellschaftlichen Gegner projiziert und der Armee immer umfassendere Kontroll- und Herrschaftsfunktionen übertragen. Die militärische Dimension der "Doktrin der nationalen Sicherheit" rechtfertigte schließlich die zentrale Rolle von Militär und Geheimdiensten bei der Unterdrückung politischer Opposition, ein Sachverhalt, der - was das politische Selbstverständnis des Militärs betrifft - auch nach der anfangs der 80er Jahre einsetzenden Re-Demokratisierung Südamerikas noch keineswegs überwunden ist. Die Frage, ob es ökonomische Determinanten staatlichen Gewalthandelns gebe, wird im Beitrag von Karl-Dieter Hoffmann über "Inflation und/oder Repression" aufgeworfen. Ausgehend von der Annahme, daß die Verschärfung von - möglicherweise systembedrohenden - sozialen Konflikten die Tendenz zur Anwendung staatlicher Gewalt erhöht, wird nach der spezifischen Bedeutung der Inflation für das Anwachsen, bzw. den Abbau gesellschaftlicher Konfliktpotentiale gefragt. Während außer Frage steht, daß die extrem hohen Preissteigerungsraten der 80er Jahre in mehreren lateinamerikanischen Ländern die allgemeine Wirtschaftskrise verschärft und zu teilweise gewaltsamen sozialen Protestaktionen geführt haben, läßt sich ein genereller Zusammenhang von Inflationsentwicklung und Intensität staatlicher Repression keineswegs nachweisen. Stärker als die Inflation selbst sind es die mit der Inflationseindämmung verbundenen Maßnahmen, also die hohen sozialen Kosten von Anpassungsprogrammen, die das gesellschaftliche Konfliktpotential und damit die Bereitschaft von Regierungen zum Einsatz 16

repressiver Mittel erhöhen. Systematisch kann eine solche Stabilisierungspolitik in der Regel aber nur von einem autoritären Regime, am ehesten von einer Militärregierung, durchgesetzt werden. Dieser Umstand verweist auf die Frage, ob im Gegenteil eine inflationäre Entwicklung, zumindest in ihrer Anfangsphase, nicht geradezu konfliktdämpfend wirke. In der Tat können gezielte Erhöhungen der Staatsausgaben für eine gewisse Zeit zu einer Entkrampfung der wirtschaftlich-sozialen Auseinandersetzungen führen. Haushaltsdefizite und die daraus resultierende Inflation erscheinen so als volkswirtschaftlicher Preis für den kurzfristigen Abbau sozialer Konfliktpotentiale, womit eine zentrale politische Ursache der lateinamerikanischen Inflation angesprochen ist. Langfristig erweist sich dieser Weg von Konfliktlösung allerdings als nicht gangbar. Um einen anderen Zusammenhang von wirtschaftlichen Einflußfaktoren und Zunahme staatlicher Gewalt geht es im kurzen Diskussionsbeitrag von Hans Werner Tobler zum historischen Begriff der "Depressionsdiktaturen", in welchem die Frage aufgeworfen wird, ob die politischen und gesellschaftlichen Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise anfangs der 30er Jahre tatsächlich als zentrale Ursache für die gleichzeitige Entstehung der Diktaturen in El Salvador, Guatemala, Nicaragua und Honduras verstanden werden können. Am besten trifft die Charakterisierung als "Depressionsdiktatur" - soweit sie eine kausale Verursachung und nicht nur eine zeitliche Koinzidenz impliziert - zweifellos auf das äußerst repressive Regime von Hernández Martínez in El Salvador zu. Die Diktatur Ubicos in Guatemala entsprang dagegen vornehmlich innenpolitischen Machtrivalitäten, und auch in Honduras und Nicaragua hatten die politischen Auswirkungen der Krise lediglich einen beschleunigenden, keinesfalls aber bestimmenden Einfluß auf die Etablierung von Diktaturen, die übrigens (mit Ausnahme der äußerst blutigen Herrschaft von Martínez in El Salvador) hinsichtlich staatlicher Gewaltanwendung deutlich hinter jener der zentralamerikanischen Regimes der 70er und 80er Jahre zurückblieben. Ebenfalls am Beispiel Zentralamerikas wendet sich der Beitrag von Wolfgang Dietrich den vielfältigen Problemen und Schwierigkeiten der Informationsbschaffung über staatliche und parastaatliche Gewalt zu. Seit die US-Regierung unter Präsident Carter in ihrer Außenpolitik Menschenrechtsfragen einen größeren Stellenwert beimaß, beeinflussen die Kontroversen um die Menschenrechtspolitik der zentralamerikanischen Staaten zunehmend 17

auch die i n t e r n a t i o n a l e Politik, mit d e r Folge, d a ß in d e n M a s s e n m e d i e n o f t sehr verzerrte Berichte ü b e r die M e n s c h e n r e c h t s s i t u a t i o n in Z e n t r a l a m e r i k a verbreitet werden. Ein verläßlicheres Bild d e r tatsächlichen Verhältnisse v e r m ö g e n , wie Dietrich a u f g r u n d seiner minutiösen U n t e r s u c h u n g vor O r t zeigt, lediglich die lokalen M e n s c h e n r e c h t s o r g a n i s a t i o n e n zu vermitteln, die an der Basis, oft u n t e r L e b e n s g e f a h r für die d a r a n Beteiligten, d e n zahllosen Fällen von politischem Mord, Folter, E n t f ü h r u n g u n d B e d r o h u n g n a c h g e h e n und diese d o k u m e n t i e r e n . So viele "technische" P r o b l e m e bei d e r qualitativen und quantitativen Erfassung des staatlichen u n d p a r a s t a a t l i c h e n T e r r o r s auch a u f t r e t e n und so unterschiedlich zum Teil auch die Kriterien bei d e r E i n s t u f u n g und statistischen Erfassung dieser G e w a l t a k t e sind, die z e n t r a l e Schlußfolgerung von Dietrichs U n t e r s u c h u n g steht a u ß e r Z w e i f e l : Z e n t r a l a m e r i k a hat in den 70er und f r ü h e n 80er J a h r e n ein bisher u n b e k a n n t e s Ausmaß

an

staatlicher

und

parastaatlicher

Gewaltanwendung

erlebt.

Insbesondere in G u a t e m a l a und El Salvador geht die Z a h l d e r O p f e r dieses T e r r o r s von o b e n in die Z e h n t a u s e n d e ; in G u a t e m a l a kann m a n f ü r die Z e i t zwischen 1978 und 1986 gar von e i n e m eigentlichen G e n o z i d an der IndioBevölkerung sprechen. Die politischen Folgen und das P r o b l e m d e r moralischen

Bewertung

staatlicher und parastaatlicher G e w a l t w e r d e n schließlich im vierten Teil dieses B a n d e s aufgegriffen. Die K o n s e q u e n z e n der in den 80er J a h r e n e i n s e t z e n d e n R e - D e m o k r a t i s i e rung f ü r die Streitkräfte in Argentinien, Brasilien und U r u g u a y e r ö r t e t Wolfgang S. Heinz

in seinem Beitrag. Wie w u r d e n nach d e m E n d e d e r

Militärregimes die verantwortlichen A r m e e - und Polizeioffiziere für die b e g a n g e n e n Menschenrechtsverletzungen strafrechtlich b e l a n g t ? Welches w a r die R e a k t i o n des Militärs d a r a u f ? Gibt es A n s ä t z e zu

demokratischen

A r m e e r e f o r m e n , welche einer W i e d e r h o l u n g repressiver Militärdiktaturen einen w i r k s a m e n Riegel vorschieben? Am

weitesten

auf

dem

W e g zu einer

politischen

und

rechtlichen

Bewältigung d e r Militärherrschaft ging zweifellos die R e g i e r u n g Alfonsin in Argentinien.

Die

politisch

Verantwortlichen

der

Militärjunta

wurden

abgeurteilt und einige D u t z e n d weiterer A r m e e - und Polizeioffiziere vor G e r i c h t gestellt. A b e r auch in Argentinien w u r d e d e r Druck des Militärs auf die zivile R e g i e r u n g schließlich so stark, d a ß d e r g r o ß e n M e h r z a h l der an der R e p r e s s i o n Beteiligten das Privileg des "Befehlsnotstandes" z u e r k a n n t wurde. I m m e r h i n w u r d e n in Argentinien gewisse A n s t r e n g u n g e n zu e i n e r 18

Militärreform unternommen, welche die Armee der zivilen Regierung unterordnete und ihre innenpolitischen Aufgaben drastisch einschränkte. Die tatsächlichen Auswirkungen dieser Politik waren allerdings begrenzt, wie die drei Militärrebellionen gegen Präsident Alfonsin deutlich zeigten. Noch wesentlich ungünstiger stellt sich das Verhältnis von Militär und ziviler Regierung in Brasilien und Uruguay dar. Anders als in Argentinien vermochte das brasilianische Militär den schrittweisen Übergang zu demokratischen Verhältnissen in den 80er Jahren weitgehend zu steuern und zu kontrollieren. Entsprechend erfolglos blieben die Versuche, die Verantwortlichen des Militärregimes zur Rechenschaft zu ziehen und die Aufgabe der Streitkräfte strikt auf die Verteidigung des Landes gegen außen zu begrenzen. Auch heute besteht in Brasilien ein maßgeblicher Einfluß des Militärs auf die Politik fort. Ahnlich wie in Brasilien waren die Verhältnisse in Uruguay. Auch hier kann von einer eigentlichen politisch-moralischen Bewältigung der Militärherrschaft, die Hoffnungen auf ein neues, demokratisches Armeeverständnis innerhalb der Streitkräfte nähren könnte, keine Rede sein. Auch wenn der vorliegende Band thematisch vornehmlich auf die Tätergruppen und Institutionen ausgerichtet ist, die staatliche und parastaatliche Gewaltakte begangen haben, kann eine Erörterung dieser Problematik nicht auf eine politisch-ethische Bewertung staatlicher und parastaatlicher Gewalt verzichten. Dieser Aufgabe unterzieht sich der abschließende Beitrag von Ernesto Garzón Valdés über "Staatsterrorismus: Legitimation und Illegitimität". Im Zentrum steht dabei eine Auseinandersetzung mit dem Phänomen des Staatsterrorismus, wie er vor allem in Argentinien praktiziert wurde, aus der Sicht der politischen Philosophie und im Vergleich mit entsprechenden Entwicklungen innerhalb des stalinistischen und des nationalsozialistischen Herrschaftssystems. Zwar kann auch staatsterroristischen Regimes eine de facto-Legitimation nicht abgesprochen werden, aber dies verleiht ihnen vom Standpunkt der politischen Ethik aus noch keineswegs auch eine moralisch begründbare Legitimität. Die Argumente, welche die Machthaber und Ideologen staatsterroristischer Regimes zu deren Rechtfertigung angeführt haben, erweisen sich entweder in tatsächlicher Hinsicht als äußerst fragwürdig - z.B. die angebliche Unmöglichkeit einer rechtsstaatlich abgesicherten Guerrillabekämpfung, die behauptete "Effizienz" dieser Form von "innerem Krieg", usw. - oder sie sind aus ethischen Gründen prinzipiell 19

a b z u l e h n e n , so e t w a die U n t e r s c h e i d u n g von p r i v a t e r u n d ö f f e n t l i c h e r M o r a l o d e r d e r E i n s a t z j e g l i c h e n Mittels zur V e r t e i d i g u n g angeblich ü b e r g e o r d n e ter, "absoluter" W e r t e . D e r Staat, d e r z u m " A g e n t e n von w i l l k ü r l i c h e m u n d d i f f u s e m T e r r o r wird", u n t e r g r ä b t letztlich d i e G r u n d l a g e f ü r s e i n e e i g e n e R e c h t f e r t i g u n g , stellt e r d o c h selbst j e n e n r o h e n " N a t u r z u s t a n d " im S i n n e von H o b b e s w i e d e r her, d e n zu v e r h i n d e r n s t a a t s t e r r o r i s t i s c h e R e g i m e s g e r a d e v o r g e b e n . D a r i n liegt a u c h d e r t i e f e r e G r u n d d a f ü r , d a ß die L e b e n s d a u e r s t a a t s t e r r o r i s t i s c h e r H c r r s c h a f t s f o r m e n letztlich i m m e r b e g r e n z t bleibt. D e r v o r l i e g e n d e B a n d e r h e b t keineswegs d e n A n s p r u c h , d a s k o m p l e x e P h ä n o m e n s t a a t l i c h e r u n d p a r a s t a a t l i c h e r G e w a l t in L a t e i n a m e r i k a in all s e i n e n vielfältigen F a c e t t e n zu erfassen. E r v e r s t e h t sich v i e l m e h r als ein e r s t e r V e r s u c h im d e u t s c h s p r a c h i g e n R a u m , sich a u s e i n e r i n t e r d i s z i p l i n ä r e n P e r s p e k t i v e dein schwierigen T h e m a zu n ä h e r n . D i e in d i e s e m S a m m e l b a n d a u f g e g r i f f e n e n P r o b l e m e sollen dazu a n r e g e n , d i e E r h e l l u n g d i e s e s d ü s t e r e n Kapitels der jüngsten lateinamerikanischen Geschichte durch weitergehende u n d v e r t i e f e n d e F o r s c h u n g e n v o r a n z u b r i n g e n . W i r h o f f e n , d a ß d u r c h die teilweise

umfangreichen

Quellen-

und

Literaturverzeichnisse

e i n z e l n e n B e i t r ä g e n ein solches U n t e r f a n g e n e r l e i c h t e r t wird.

20

zu

den

Staatliche und parastaatliche Gewalt: Ein vernachlässigtes Forschungsthema Peter Waldmann

Staatliche Gewalt ist ein weiter Begriff, der sowohl legitime als auch illegitime staatliche Gewaltakte, und unter den letzteren wiederum sowohl politische als auch gegen gewöhnliche Kriminelle gerichtete Gewaltakte umfaßt. Manches deutet darauf hin, daß der lateinamerikanische Staat mit den "normalen" Straftätern nicht weniger rücksichtslos umspringt als mit seinen politischen Gegnern 1 . In diesem Sammelband geht es jedoch ausschließlich um die letzteren; sein Gegenstand ist die politische Unterdrückungsgewalt in Lateinamerika. Wer sich als Wissenschaftler ohne spezielle Vorkenntnisse dem Thema der staatlichen Unterdrückungsgewalt zuwendet, gelangt bald zu dem Schluß, daß es eine auffällige Diskrepanz zwischen der faktischen Relevanz des -y

Phänomens und seiner stiefmütterlichen Behandlung in der Literatur gibt . Dieser Eindruck verstärkt sich noch, wirft man einen vergleichenden Blick auf die analoge Thematik der gegen den Staat gerichteten Aufstandsgewalt. Rebellionen aller Spielarten und Intensitätsstufen zählen im Unterschied zu staatlichen Gewaltstrategien und -praktiken seit jeher zu den bevorzugten Untersuchungsgebieten der Sozialwissenschaften. Und dies, obwohl es schwerlich übertrieben ist zu behaupten, daß die Zahl der Toten, die auf das Konto terroristischer Staatsführungen geht, ein Mehrfaches dessen beträgt, was Aufständische sich an Opfern zurechnen lassen müssen. Lateinamerika bietet ein gutes Beispiel für die Richtigkeit dieser Behauptung. Trotz der durchweg unbefriedigenden Datenlage dürften bereits einige Schätzwerte ausreichen, um die Dringlichkeit der Problematik zu unterstreichen: In Argentinien betrug die Zahl der unter der letzten 1

2

Wie unlängst E.R. Zaffaroni aufgezeigt hat, werden jährlich Tausende und Abertausende "normaler" Krimineller bei Verhören, in Untersuchungshaft oder im Gefängnis von der Polizei gefoltert oder sonstwie zu Tode gebracht. Zaffaroni 1989: S. 57 ff. Vgl. statt aller Schmid 1989: S. 1: "While research into non-state terrorism has become a growth industry, academic enthusiasm for research into the etiology of gross human rights violations by state and state - supported actors is not widespread". Eine Ausnahme von dieser Regel stellt nur die Totalitarismusforschung, insbesondere die Literatur zum Nationalsozialismus, dar. Vgl. etwa Jäger 1982.

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Militärregierung (1976-1983) "Verschwundenen", d.h. nach Entführung und Folter größtenteils umgebrachten Menschen, rund 15.000. In El Salvador sollen allein in den Jahren 1981/82 über 25.000 Menschen dem staatlichen bzw. parastaatlichen Terror zum Opfer gefallen sein. In den zwei kleinen zentralamerikanischen Staaten El Salvador und Guatemala wurden von 1978 bis 1988 insgesamt rund 130.000 Zivilpersonen getötet. Ähnlich erschreckend ist die Bilanz für die beiden Andenstaaten Peru und Kolumbien, in denen seit zehn Jahren (in Kolumbien noch wesentlich länger) bürgerkriegsähnliche Verhältnisse herrschen. Die Zahl der "Verschwundenen" für ganz Lateinamerika erreichte Ende 1988 etwa 90.000, inzwischen dürfte sie die Marke von 100.000 deutlich überschritten haben 3 . Stellen wir diesem bedrückenden Bild die Zahl der Opfer gegenüber, die im Zusammenhang mit Castros Machtergreifung 1959 in Kuba, immerhin eine der wenigen veritablen "Revolutionen" Lateinamerikas, zu Tode kamen 4 : rund 700. Dabei kann man sicher sein, daß allein die kubanische Revolution weit mehr an wissenschaftlichen Veröffentlichungen hervorgebracht hat, als bisher den Exzessen der lateinamerikanischen Staatsgewalt insgesamt gewidmet waren. Lateinamerika ist in der Dritten Welt kein Ausnahmefall. In etwa 40 Staaten, vor allem der südlichen Hemisphäre, wird derzeit regelmäßig gefoltert, in weiteren 80 Staaten macht man gelegentlich von der Folter Gebrauch, um Informationen und Geständnisse zu erpressen. Duvall und Stohl verglichen insoweit zahlreiche Dritte-Welt-Staaten mit den kommunistischen Staaten der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts 5 . Ähnlich wie diese seien sie erst vor kurzem, im Zuge des Dekolonialisierungsschubes der 50er und 60er Jahre, entstanden und müßten noch um die Konsolidierung ihrer

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5

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Vgl. die Beiträge von W. Dietrich, MJ. Moyano und D. Nolle in diesem Band sowie die Angaben in Latin America Weekly Report (London) vom 1.12.1988. So Hugh Thomas in seiner gründlichen Studie zu Castros Machtergreifung: Thomas 1984: S. 241, S. 417, Anm. 18. In der öffentlichen Diskussion kursierende Schätzwerte, zwischen 1952 und 1958 habe es rund 20.000 Bürgerkriegsopfer gegeben, halten nach H. Thomas einer seriösen Überprüfung nicht stand. Ein besonders eindrückliches Beispiel des Mißverhältnisses der Opfer von staatlicher Unterdrückungsgewalt und aufständischer Gewalt hat Thomas Anderson im Zusammenhang mit dem niedergeschlagenen Bauernaufstand in El Salvador 1932 aufgeführt. Während von den Aufständischen maximal 100 Personen getötet wurden, fielen den Vergeltungskommandos der Regierung in den folgenden Wochen wohl 10 000 Bauern zum Opfer, darunter zweifellos viele an der Rebellion unbeteiligte Indios. Vgl. Anderson 1972. Zum folgenden siehe Duvall/Stohl 1988: S. 231 ff.

inneren Strukturen ringen. Während jedoch den kommunistischen Machteliten, die bekanntlich äußerst rücksichtslos und brutal gegen ihre wirklichen und vermeintlichen Gegner vorgingen, bei der Meisterung dieser schwierigen Aufgabe eine Massenbasis und verbindliche ideologische Leitprinzipien zur Verfügung standen, müssen die politischen Führer, die heute an der Spitze von Dritte-Welt-Staaten stehen, meist auf beides verzichten. Sie sehen sich mit kaum überwindbaren wirtschaftlichen Schwierigkeiten konfrontiert, ihr Handlungsspielraum ist nach außen durch die Abhängigkeit von den mächtigen Industrienationen, nach innen durch extreme Spannungen zwischen arm und reich und ethnisch-religiöse Segmentierung ihrer Gesellschaften eingeengt. So greifen sie zu Mitteln der Unterdrückungsgewalt, um wenigstens eine äußerliche politische Konformität zu erzwingen und sich an der Macht zu halten. Ab der zweiten Hälfte der 70er Jahre nahmen Ausmaß und Intensität der von Regierungen rund um den Erdball praktizierten Gewaltausschreitungen in so erschreckender Weise zu, daß die Weltöffentlichkeit zunehmend für diese Form staatlichen Machtmißbrauches sensibilisiert wurde. Zu dieser vermehrten Aufmerksamkeit für die grobe Verletzung von Menschenrechten trugen harte Zusammenstöße in den Industrieländern zwischen der Polizei und jugendlichen Demonstranten, die gegen Atomkraftwerke, Umweltverschmutzung und Rüstungswettlauf protestierten, ebenso bei wie Berichte der UN-Kommission für Menschenrechte oder von Amnesty International über sich häufende Gewaltexzesse staatlicher Sicherheitskräfte in der Dritten Welt. In Bezug auf Lateinamerika hatten periodisch wiederkehrende Nachrichten über das menschenverachtende Vorgehen von Militär und Polizei in Zentralamerika schon früher Empörung und Appelle, die betreffenden Staaten von jeglicher Entwicklungshilfe auszunehmen, ausgelöst. Die Fußballweltmeisterschaft von 1978 in Argentinien - sollte man durch Teilnahme daran zum Prestigegewinn eines Militärregimes beitragen, das einen Teil der eigenen Bevölkerung systematisch ausrottete? - und das kurz zuvor veröffentlichte Buch eines ehemaligen Zeitungsverlegers über die Gefängnisbedingungen 6 in diesem Land machten die westliche Öffentlichkeit dann mit der Tatsache vertraut, daß auch im scheinbar zivilisierteren Süden Lateinamerikas die Entführung, Einsperrung,

6

Gemeint ist das Buch von J. Timerman (Timerman 1982), das in den U S A großes Aufsehen erregte.

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Drangsalierung und Tötung politischer Gegner zu den Alltagspraktiken der dort installierten Militärregime zählte. Nicht weniger als der große zahlenmäßige Umfang der Gewaltopfer schockierte der Umstand, daß die Henker und Folterknechte des modernen Staates es offenbar nur allzu gut verstanden hatten, sich die Fortschritte von Wissenschaft und Technik zunutze zu machen, und zwar sowohl in Hinblick auf die Potenzierung physischer Pein und psychischer Schmerzen, als auch bei der anschließen"7

den Tilgung der Gewaltspuren am Körper . Erst jetzt, zu einem relativ späten Zeitpunkt, griffen auch Wissenschaftler das Thema des Staatsterrorismus und der groben Verletzung von Menschenrechten häufiger auf. Unter den verschiedenen Initiativen in diesem Sinne sind vor allem zwei hervorzuheben: Zum einen die von einer Gruppe um M. Lopez und G.A. Stohl ab 1983 periodisch publizierten Sammelbände, die sich vor allem um die Präzisierung der mit illegitimer Staatsgewalt zusammenhängenden Begriffe als Voraussetzung der Erforschung staatlicher Q Gewaltpraktiken verdient gemacht haben . Eine zweite Projektgruppe, deren Wortführer der bekannte Terrorismus-Forscher A.Schmid ist, ist unter der Sammelbezeichnung PIOOM bekannt geworden 9 . PIOOM umfaßt eine Reihe von empirischen Forschungsvorhaben, die in systematischer Weise die Formen, Ursachen und Folgen von Menschenrechtsverletzungen aufhellen sollen. Eine der am weitesten fortgeschrittenen empirischen Untersuchungen bezieht sich auf die Ursachen von groben Menschenrechtsverletzungen in Lateinamerika. Dank den beiden erwähnten Forschergruppen, um die herum eine breitere wissenschaftliche Debatte zum Thema "staatlicher Gewaltmißbrauch und Menschenrechtsverletzungen" in Gang gekommen ist, stehen wir nicht mehr am wissenschaftlichen Nullpunkt, sondern verfügen mittlerweile über einige brauchbare Konzepte und partielle Erkenntnisse, auf denen

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8 9

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Allgemein zur gesteigerten Gewalteffektivität des modernen Staates dank dem Einsatz neuer technischer soft ware und hard ware vgl. Wright 1977: S. 133-161. Speziell zu neueren Foltermethoden Peters 1985: S. 160 ff. Stohl (Hrsg.)1988; Stohl/L6pez (Hrsg.) 1984; Stohl/Löpez (Hrsg.) 1986; Stohl/Löpez (Hrsg.) 1988. PIOOM ist die Abkürzung eines niederländischen Ausdrucks, dessen englische Übersetzung folgendermaßen lautet: Interdisciplinary Research Project on Root Causes of Human Rights Violations. Neben einem periodisch erscheinenden Newsletter gibt über die an der Universität Leiden/Niederlande arbeitende Projektgruppe der in Fußnote 2 aufgeführte Band von A.P. Schmid Auskunft.

weitere Forschungen aufbauen können 1 0 . Gleichwohl bleibt es ebenso bedauerlich wie bedenklich, daß die Sozialwissenschaften sich einer so wichtigen, für unzählige Menschen mit einschneidenden Leidenserfahrungen verknüpften Problematik erst so spät angenommen haben. Im folgenden sollen zunächst einige Gründe für diese Unfähigkeit der Wissenschaftler, die allgemeine Bewußtseinsbildung voranzutreiben, statt hinter ihr herzuhinken, aufgezeigt werden. Anschließend sollen, zur Erleichterung des Verständnisses der Beiträge des Bandes, einige operationale und theoretische Vorfragen geklärt und wichtige Begriffe sowie Typen der Gewalt kurz erläutert werden.

I. Forschervorbehalte und Probleme der DatenbeschafTung Aus mehreren Gründen haben Wissenschaftler bislang staatlichen Gewaltmißbrauch und Staatsterrorismus als Untersuchungsthema vernachlässigt. Einer liegt vermutlich darin, daß diese Themenwahl eine bewußt kritische Sicht nicht nur bestimmter, durch massive Menschenrechtsverletzungen in Verruf geratener Regierungen, sondern des Staates schlechthin impliziert 11 . Der Staat genießt in westlichen Gesellschaften allgemein einen gewissen Vertrauensvorschuß. Diese Einstellung wird auch von vielen Sozialwissenschaftlern geteilt, selbst jenen, die den gesellschaftlichen und politischen Verhältnissen in ihrem Land keineswegs unkritisch gegenüberstehen. Von klein auf an die Idee eines legitimen Gewaltmonopols staatlicher Behörden gewöhnt, zögert man, dessen konkrete Handhabung mit prinzipiellem Mißtrauen zu beobachten. Obwohl die Erfahrungen mit dem NSRegime, dem Stalinismus und den Kriegen des 20. Jahrhunderts deutlich vor Augen geführt haben, daß Staaten mit dem ungeheuren Gewaltpotential, über das sie verfügen, keineswegs immer rational umgehen, wirkt dennoch im Innenverhältnis zum Bürger die Vertrauenshypothese noch nach, ist die öffentliche Meinung bei der Ausuferung von Konflikten zwischen der Staatsmacht und oppositionellen Gruppen geneigt, die Schuld bei den

10 Das Thema erfährt heute allgemein eine weit größere Beachtung als noch vor wenigen Jahren. Vgl. in Bezug auf Lateinamerika für den deutschsprachigen Raum etwa die Nummer 11/12 von "Lateinamerika. Analysen, Daten, Dokumentation", Hamburg 1989, die speziell der Menschenrechtsproblematik gewidmet ist. 11 Hierzu Nicholson 1986: S. 27-44 sowie Mitchell et al. 1986: S. 1-25.

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letzteren zu suchen. Es bedurfte flagranter und massiver Verletzungen der Normen staatlicher Selbstbeschränkung in Form der weltweit (gleich einer Seuche) sich ausbreitenden Menschenrechtsverletzungen, damit diese Stimmung allgemein, und auch in der Wissenschaft, umschlug, die gefühlsmäßig staatsfreundliche Haltung einer distanzierteren, unvoreingenommene19

ren Einstellung zum staatlichen Gewaltgebrauch wich . Doch auch der Forscher, der keine Bedenken hat, die moralische Autorität des Staates prinzipiell in Frage zu stellen, wird sich überlegen, ob er sich gerade diesem Thema zuwenden sollte. Forschung, zumal empirische Forschung, kostet bekanntlich Geld. Einer der Hauptgeldgeber für Forschungsprojekte in der westlichen Welt ist der Staat. Dies gilt insbesondere für die USA, die Nation mit den größten Forschungsressourcen und den meisten Forschungsinstituten. Als in den 60er Jahren in der schwarzen Bevölkerung der Vereinigten Staaten Unruhen ausbrachen, die teilweise zu Plünderungen und blutigen Auseinandersetzungen mit der Polizei führten, gab der damalige Präsident, L. Johnson, eine umfangreiche Untersuchung in Auftrag, welche die Ursachen des rebellischen Verhaltens der Schwarzen 1^

herausfinden sollte . Die Motive für diese staatliche Initiative, die Hunderte von Sozialwissenschaftlern mobilisierte, liegen auf der Hand. Mit der Klärung der Hintergründe für das Aufbegehren der schwarzen Bevölkerung sollten die Möglichkeiten ihrer sozialen und politischen Befriedung erkundet, d.h. letztlich ein Beitrag zur gesellschaftlichen und politischen Stabilisierung der USA geleistet werden. Welches Interesse kann die Regierung der USA aber daran haben, die schmutzigen Gewaltpraktiken südamerikanischer Machteliten im Detail beschrieben und analysiert zu sehen, mit denen sie z.T. freundschaftliche Beziehungen pflegt und die sie durch "Berater" und waffentechnische Hilfe gegen "linke" Oppositionsbewegungen abzuschirmen 12 Es ist sicher kein Zufall, daß diese realistischere Sicht des Staates in einen Zeitpunkt fällt, in dem Sozialwissenschaftler u. Sozialhistoriker wie M. Foucault, C. Tilly u. K.G. Zinn verstärkt auf die Bedeutung der Waffentechnik, des Zwangs und der Disziplinierung bei der Entstehung und beim Siegeszug des modernen europäischen Staates hingewiesen haben. Vgl. Tilly 1985: S. 169-191; Zinn 1989; Foucault 1976; siehe auch Gurr 1988: S. 45ff. Wie J.F. McCamant ausführt, waren die traditionell in den Sozialwissenschaften vorherrschenden Theoriemodelle wie der strukturelle Funktionalismus, der Marxismus etc. allesamt wenig geeignet, um das Phänomen staatlicher Gewalt und ihrer Exzesse in den Blick zu bekommen und einer eigenständigen Analyse zu unterwerfen. (McCamant 1984: S. 11-42.). 13 National Commission on the Causes and Prevention of Violence, New York 1969. Allgemein zur Gewalt in den USA vgl. Graham/Gurr (Hrsg.) 1969.

26

versucht. Bei westeuropäischen Regierungen mag das Bestreben, Menschenrechtsverletzungen in befreundeten Staaten der Dritten Welt herunterzuspielen, weniger ausgeprägt sein, eine sonderliche Aufgeschlossenheit für Projekte dieser Art und deren bereitwillige Bezuschussung aus öffentlichen Mitteln ist aber auch hier nicht zu erwarten. Neben mangelnder Forschermotivation und finanziellen Engpässen stellt die Schwierigkeit, sich zuverlässiges und erschöpfendes Datenmaterial zu beschaffen, ein Haupthindernis für die systematische Untersuchung staatlicher und parastaatlicher Gewaltexzesse dar. Alle Forscher, die in diesem Bereich gearbeitet haben, betonen stets die außerordentliche Zurückhaltung staatlicher Stellen in den fraglichen Nationen, wenn es um die Erteilung von Auskünften, die Gewährung der Einsichtnahme in entsprechende schriftliche Unterlagen geht 14 . Ungeachtet der Zielstrebigkeit und brutalen Konsequenz, mit der viele Regierungen Gewaltmittel zur Einschüchterung und politischen Kontrolle der Bevölkerung einsetzen, sind sie sich offenbar doch durchweg der Verwerflichkeit und Angreifbarkeit dieser Herrschaftsmethode bewußt und versuchen deshalb, ihr repressives Vorgehen nach außen hin zu verschleiern und zu verharmlosen. Mögen sie damit auch die Weltöffentlichkeit nicht längerfristig täuschen können, so reicht ihre Macht doch aus, um innerhalb des eigenen Territoriums allen Bestrebungen, diesen Schleier zu lüften, wirksam zu begegnen 1 5 . Angesichts der fehlenden Informationsbereitschaft öffentlicher Stellen ist der Wissenschaftler, der in diesem Bereich arbeitet, auf die Angaben gesellschaftlicher bzw. überstaatlicher Organisationen angewiesen. W. Dietrich hat in seinem Beitrag in diesem Band am Beispiel Zentralamerikas aufgezeigt, wie unterschiedlich die Kriterien sind, nach denen die verschiedenen Menschenrechtsorganisationen auf nationaler und regionaler Ebene bei der Informationssammlung vorgehen, welchen enormen Schwierigkeiten und Schikanen aller erdenklicher Art sie dabei begegnen und wie lückenhaft entsprechend die Ergebnisse ihrer Bemühungen sind. Für das von transnationalen Einrichtungen und Kommissionen zusammengestellte Datenmaterial

14 Vgl. etwa Mitchell et al. 1986: S. 2.f 15 Der Wissenschaftler oder Journalist, der, allen Warnzeichen zum Trotz, seine Recherchen über illegale staatliche oder parastaatliche Gewaltpraktiken nicht einstellt, kann unter U m s t ä n d e n selbst zu einem Opfer der Gewalt werden. In Argentinien sind beispielsweise unter der letzten Militärregierung 100 Journalisten "verschwunden", weitere 400 mußten ins Exil gehen.

27

gilt ähnliches, zumal sie sich in ihren Aussagen größtenteils auf die vor Ort gesammelten Informationen verlassen müssen. Ob man die Berichte der Menschenrechtskommission der UN, der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS), der Internationalen Juristenkommission oder die von Amnesty International heranzieht, die Schlußfolgerung ist stets dieselbe: die existierenden Karteien genügen weder von den Kriterien der Informationserhebung her noch im Hinblick auf ihre Zuverlässigkeit und Vollständigkeit den Ansprüchen seriöser wissenschaftlicher Forschung. Von daher ist es verständlich, daß beide oben genannte Forschergruppen die Errichtung einer eigenständigen, sozialwissenschaftlichen Standards ensprechenden Datenbank über staatlichen Gewaltmißbrauch als besonders dringliches Anliegen erachten. Zuverlässige empirische Daten sind eine notwendige, jedoch keine hinreichende Bedingung der wissenschaftlichen Analyse eines Phänomens. Dazu bedarf es außerdem klar definierter Begriffe und präziser Fragestellungen.

II. Prämissen und Vorentscheidungen Bislang war manchmal von staatlichen Gewaltübergriffen, manchmal von groben Menschenrechtsverletzungen die Rede, d.h. zur Bezeichnung desselben Phänomens wurden einmal die Akteure und ihr Verhalten, einmal dessen Auswirkungen und die davon Betroffenen herangezogen. Der Hauptgrund für die intensive öffentliche Aufmerksamkeit, die der Problematik in jüngerer Zeit zuteil wurde, sind zweifellos die verheerenden Effekte staatlicher und parastaatlicher Gewalt, sind jene Zehntausende von Menschen, die jährlich entführt, eingesperrt, gefoltert und umgebracht werden oder einfach verschwinden. Daß das allgemeine Interesse ihnen und nicht den Gewaltakteuren gilt, ist auch aus der Tatsache zu ersehen, daß sich fast alle Berichte und Informationen auf die Opfer staatlichen Gewaltmißbrauches beziehen, während wir über die Gegenseite, jene, die sich mehr oder weniger freiwillig zum Werkzeug repressiver Politik machen, fast nichts wissen 16 . Diesem Sammeiband liegt dagegen die Akteursperspektive zugrunde. In ihm geht es um die Frage, welche Organisationen, Gruppen

16 Vgl. die Begründung eines der PIOOM-Projekte, das sich mit dieser vernachlässigten Teilthematik befassen soll, in Schmid 1989: S. 85 ff.

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oder Individuen, aus welchen eingestandenen oder uneingestandenen politischen Motiven, unter welchen Voraussetzungen und mit welchen Zielen im Namen des Staates oder zumindest mit dessen stillschweigender Duldung in Lateinamerika gegen Bürger ebendieses Staates gewaltsam vorgehen. Bei der Untersuchung dieser Fragen gilt es zunächst nochmals hervorzuheben, daß die Urheber staatlicher Gewalt für den Staat handeln. Ihre Ausführung für einen öffentlichen Zweck durch Vertreter des Staates gibt diesen Gewaltakten von vornherein ein unverwechselbares eigenes Gepräge. E. Peters hat diesen Aspekt zutreffend in einer kleinen Schrift über die 17 Geschichte und den Begriff der Folter herausgearbeitet . Er führt darin aus, daß die Folter zu allen Zeiten und in allen Gesellschaften, die sie praktizierten, die Zufügung von Pein und Schmerzen durch einen Träger der öffentlichen Gewalt um eines öffentlichen Zweckes willen (Geständnis der "Wahrheit") bedeutet habe. Entfalle dieser Zweck und die Verantwortung eines öffentlichen Trägers für die Foltermaßnahme, handle es sich also lediglich um die physische oder psychische Drangsalierung, die Menschen durch andere Menschen erleiden, so sei es nicht mehr sinnvoll, den Begriff Folter zu verwenden. Ähnlich wie bei der Folter ist bei den anderen staatlichen Gewaltpraktiken zu argumentieren, die heute den Gegenstand der Menschenrechtsdebatte bilden. O b man an die Entführung politischer Gegner, ihre Inhaftierung, ihr Verschwindenlassen oder ihre Ermordung denkt, stets gibt es einen "öffentlichen" Zweck - was zusätzliche Privatmotive der Täter nicht ausschließtI Q -, ohne den der betreffende Akt seine Grundstruktur einbüßen würde . Dies gilt unabhängig davon, ob sich die Gewalttäter bei ihrem Vorgehen direkt auf den Staat berufen oder aus eigener Initiative zu handeln vorgeben. Im letzteren Fall, bei den sogenannten Todesschwadronen, kommt das Öffentlichkeitselement in Form des gesuchten Abschrekkungseffektes womöglich noch deutlicher zum Tragen als bei den Gewaltaktionen von Polizei und Militär. Doch auch wenn staatliche Sicherheitsorgane, um keinen Propagandafeldzug gegen ihre Regierung zu entfachen, bei der Beseitigung politischer Gegner noch so vorsichtig und diskret verfahren, werden sie gleichzeitig nicht versäumen, dem von ihnen begangenen Mord den Charakter einer exemplarischen "Hinrichtung" zu geben, damit die

17 Peters 1985. 18 Speziell zum "Verschwinden-lassen" vgl. Berman/Clark 1982: S. 531-577.

29

Opposition eingeschüchtert und in ihren Initiativen gelähmt wird.

Der

repressive Staat unserer Zeit bekennt sich zwar im Regelfall nicht offen zu den unter seiner Regie durchgeführten Gewaltakten, sorgt aber gleichwohl dafür, daß diese nicht als private, der normalen Delinquenz zuzurechnende Aggressionen erscheinen, sondern in für alle Eingeweihte verständlicher Weise das Siegel eines hoheitlichen Machtanspruchs tragen 1 9 . Mit der Interpretation der Gewaltakte als gegen die politische Opposition gerichtete Zwangsmaßnahmen ist eine wichtige theoretische Vorentscheidung getroffen. prinzipiell

Staatliche unter

und

zwei

parastaatliche

Gewaltübergriffe

unterschiedlichen

theoretischen

lassen

sich

Perspektiven

betrachten. Man kann darin Abweichungen von einer konkreten

oder

zumindest als normativer Standard existierenden rechtsstaatlichen Verfassungsordnung sehen; oder man kann sie unter Vernachlässigung normativer Kriterien als Bestandteil einer politischen Strategie der Herrschaftseliten verstehen, die darauf abzielt, die eigene Position zu festigen und die Opposition machtpolitisch in Schach zu halten. E s ist klar, daß es nicht angeht, den Gewaltmißbrauch eines Staates gegenüber

seinen

Bürgern

zu thematisieren,

ohne dabei die

ethische

Dimension zur Sprache zu bringen und darauf hinzuweisen, daß damit der Grundvertrag im Sinne des Naturrechts, den der einzelne mit dem Staat abschließt, in eklatanter Weise verletzt wird. Unter einem sozialwissenschaftlichen

Blickwinkel

birgt

die

normative

Betrachtungsweise

staatlicher

Gewaltübergriffe aber auch Gefahren: Allzu leicht kann der Eindruck entstehen, es gehe hier nur um Ausnahmeerscheinungen, die als solche zwar gravierend und jedenfalls zu verurteilen sind, indes über die vom Normativen her zu bestimmende Grundstruktur eines Staates nichts aussagten. Deshalb verdienten sie keine systematische Untersuchung und Erklärung, j a seien im Grunde einem wissenschaftlich- analytischen Zugriff nur bedingt zugänglich, da es kaum möglich sei, über die Wahrscheinlichkeit der Abweichung von Normen präzise Aussagen zu machen. Dagegen werden durch den alternativen Ansatz, der repressive Praktiken unter dem Gesichtspunkt des Machterhalts der Regierungseliten betrachtet, diese Praktiken sozusagen ernst genommen, was gestattet, sie zum Gegen-

19 D i e Spannung zwischen den entgegengesetzten Polen der Klandestinität und der Publizität zählt offenbar zu den durchgehenden Merkmalen des modernen Staatsterrorismus, wie de Swaan schon 1977 feststellte. Vgl. de Swaan 1977: S. 40ff.

30

71)

stand einer eigenständigen Analyse zu machen . Die gewaltsame Unterdrükkung der Opposition stellt sich aus dieser Warte als eine unter mehreren denkbaren Methoden herrschender Eliten dar, die eigene Position gegenüber Gegenkräften zu verteidigen. Die Fragen, die zu stellen sind, lauten, warum, mit welchem Erfolg und welchen Konsequenzen politische Führungsgruppen gerade dieses Mittel benützen, um sich an der Staatsspitze zu behaupten. Staatliche und parastaatliche Gewalt stehen insoweit im Rahmen einer allgemeinen gesellschaftlichen und politischen Konflikttheorie, wonach Herrschaft eine knappe und begehrte Ressource darstellt, um deren Besitz zwischen den gesellschaftlichen Kräften und Gruppen ständig gerungen wird. Wir haben bereits erkennen lassen, daß in diesem Sammelband der Konfliktperspektive gegenüber alternativen theoretischen Ansätzen der Vorzug gegeben wird; dies schließt indes nicht aus, daß in dem einen oder anderen Beitrag auch ethisch-normativ argumentiert wird (vgl. hierzu insbesondere den Aufsatz von E. Garzón Valdés).

III. Schemata und Definitionen

Sowohl eine ethisch-normative Betrachtungsweise als auch der handlungstheoretisch orientierte Konfliktansatz tun gut daran, sich der These Max Webers zu erinnern, der Staat sei seiner Essenz nach eine Gewaltapparatur. Stellt sich jedoch unter einem normativen Gesichtspunkt die Frage, an welchem Punkt legitime staatliche Gewaltausübung in Unterdrückung der Bürger umschlägt, so interessiert sich der von einer staatlichen Handlungstheorie ausgehende Sozialwissenschaftler mehr für die Akzeptanzbedingungen staatlicher Gewaltanwendung, die von M. Weber mit dem Begriff "Legitimitätsglauben" erfaßt wurden . Diese Problemstellung, die auf ein Kosten-Nutzen-Kalkül der Herrschenden beim Gewaltgebrauch hinausläuft, hängt wiederum eng mit der institutionellen Einbindung und Verankerung von Gewaltakten zusammen. Die meines Erachtens plausibelste Antwort auf die damit gestellte Aufgabe, eine Skala unterschiedlicher Akzeptanzgrade und Stufen institutio-

20 Zu diesem alternativen "Konfliktansatz" vgl. Duvall/Stohl 1988 sowie Gurr 1986: S. 45ff. Siehe auch Schmid 1989: S. 12 ff. 21 Weber 1972: S. 29, 122.

31

neiler Eingebundenheit staatlicher Gewaltakte zu entwickeln, hat bisher A. Schmid gegeben . Er hat ein Schema über das Spektrum möglicher politischer Verhaltensweisen vorgelegt, in dem er sowohl auf staatlicher Seite als auch bei der Opposition drei Typen politischer Aktionen im Spannungsfeld zwischen Regelkonformität und extremer Abweichung unterscheidet. Er nennt sie "Conventional Politics", "Unconventional Politics" und "Violent Politics". Mit konventioneller Politik ist, was die Regierung betrifft, eine mit rechtsstaatlichen Prinzipien in Einklang stehende Vorgehensweise gemeint. Als "unkonventionell" bezeichnet er politische Druckmechanismen und manipulatorische Eingriffe wie Pressezensur, Beeinflussung und Verfälschung der Wahlen bzw. ihrer Ergebnisse, Überwachung und Behinderung der politischen Opposition, mißbräuchliche Handhabung der Vollmachten unter den Bedingungen des Ausnahmezustandes, Aufhebung oder Beeinträchtigung des Grundrechtsschutzes etc. Unter "Violent Politics" versteht er schließlich unverblümte, nackte Gewaltausübung von Seiten der Herrschenden, ohne Rücksicht auf gesetzliche Schranken. Zur Differenzierung zwischen "unkonventioneller Politik" und "Gewaltpolitik" auf Seiten des Staates verwendet Schmid die englischen Ausdrücke "Oppression" und "Repression", von denen der erstere leider nicht ohne weiteres ins Deutsche übertragen werden kann. Gleichwohl verdient die Unterscheidung als solche zwischen einem ersten Stadium gesteigerten Drucks und vermehrter politischer Kontrolle der Opposition, in dem die Regierung im wesentlichen innerhalb des vorgegebenen institutionellen Rahmens bleibt, und einem zweiten Stadium unverblümten Zwangs, in dem sie diesen Rahmen verläßt, auf jeden Fall festgehalten zu werden. Staatsterrorismus schließt zwar unter Umständen die peinliche Beachtung einer legalen Fassade nicht aus, im allgemeinen ist die Opposition gegen willkürliche Gewaltübergriffe der Exekutive aber besser geschützt, solange diese die institutionellen Spielregeln noch leidlich respektiert. Wenn Schmid die Gesamtheit der offen violenten Praktiken staatlicher bzw. parastaatlicher Akteure unter "Repression" (d.h. Unterdrückung) zusammenfaßt, so befindet er sich damit im Einklang mit der gängigen Definition dieses Begriffs. Wie Pion - Berlin anmerkt, bedeutet Repression "the use of governmental coercion to control or elimínate political oppo-

22 Zum folgenden Schmid 1989: S. 14.

32

nents" . Unter Repression fallen also alle auf Zwang und Gewalt rekurrierenden Formen staatlicher Machtausübung, angefangen von der willkürlichen Festnahme und Mißhandlung einzelner Individuen bis hin zum Massenmord. Durch diesen relativ weiten Anwendungsbereich läßt sich Repression insbesondere vom Staatsterrorismus abgrenzen, einer spezifischen Kontrollstrategie staatlicher Führungsgruppen, die in der Literatur besondere Aufmerksamkeit erfahren hat. Der mittlerweile klassische Versuch, die typischen Merkmale des Staatsterrorismus herauszuarbeiten, stammt von R.D. Duvall und M. Stohl, die bei ihrer Definition in starkem Maße auf konzeptuelle Überlegungen zurückgriffen, die von V. Walter bei seiner Untersuchung terroristischer Herrschaftsformen in afrikanischen Stammesgesellschaften angestellt worden waren 2 4 . Duvall und Stohl kommt das Verdienst zu, klar zwischen den eigentlichen Opfern terroristischer Gewalt und einer breiteren Zielgruppe unterschieden zu haben, deren Verhalten mittels der von den terroristischen Praktiken ausgehenden Abschreckungswirkung in einem bestimmten Sinn beeinflußt werden soll. Ihre Definition von Terrorismus lautet: "Terrorismus ist eine gewalttätige, lebensbedrohende Handlung, die beabsichtigt, starke Furcht auszulösen und dadurch den gewünschten Ausgang einer Konfliktsituation herbeizuführen" . Der Vorteil dieser Begriffsbestimmung, auf der die spätere Terrorismusforschung großenteils aufbaute, besteht darin, daß sie sich im Prinzip sowohl auf den Terrorismus von Unterdrückern als auch von Aufständischen anwenden läßt. Terror ist danach keine beiläufige, bei Zeugen und unbeteiligten Dritten aufgrund der Beobachtung und Kenntnisnahme von Gewalttaten auftretende Schreckensreaktion, sondern ein von bestimmten Akteuren, insbesondere Regierungen, bei anvisierten Zielgruppen absichtsvoll herbeigeführter seelisch-mentaler Zustand. Drei Merkmale müssen nach Duvall/Stohl gegeben sein, damit die Bezeichnung Terrorismus angebracht ist: 1) Gegen bestimmte Opfer gerichtete, angewendete oder angedrohte Gewalt. 2) Mittels dieser Gewaltandrohung bzw. -anwendung soll bei einer umfangreicheren Zielgruppe "Terror", d.h. Angst erzeugt werden. 3) Aufgrund der Angstreaktion erwarten die Gewaltakteure Verhaltensveränderungen bei der

23 Pion-Berlin 1986: S. 49 ff; Siehe auch Sloan 1984: S. 83 f. 24 Walter 1969. 25 Duvall/Stohl 1988: S. 234.

33

Zielgruppe, treten diese ein, so ist die Strategie erfolgreich . Die Opfer stellen im Grunde also nur ein Mittel dar, um den eigentlichen Zweck der Verhaltensveränderung zu erreichen. In der Definition wird explizit auf eine Konfliktsituation Bezug genommen, die Autoren gehen also hinsichtlich des systematisch praktizierten Staatsterrorismus davon aus, dieser bezwecke, eine wirkliche oder vermeintliche Opposition einzuschüchtern und politisch zu lähmen. Eine derartige Wirkung ist nur zu erwarten, wenn jeder, der dem Regime kritisch gegenübersteht, den Eindruck gewinnt, falls die Herrschenden etwas von seiner politischen Einstellung erführen, sei er seines Lebens nicht mehr sicher. Terroristische Gewalt muß, mit anderen Worten, um tatsächlich Furcht und Schrecken auszulösen, weitgehend willkürlich und unberechenbar (sowohl im Hinblick auf die Selektion des nächsten Opfers als auch was den Zeitpunkt des Anschlages betrifft) sein. Entsprechend derselben Logik darf terroristische Gewalt jedoch nicht beliebig streuen. Wer trotz politischen Wohlverhaltens nicht mehr auf Schonung rechnen darf, für den erübrigt es sich, den Regierenden Konformitätszugeständnisse zu machen. Massenmord, sei es an bestimmten ethnischen oder religiösen Großgruppen, sei es an den Angehörigen einer politisch-ideologischen Bewegung, fällt nicht unter Terrorismus. Nach B. Harff stellt Ethno- bzw. Genozid eine "...structural and systematic destruction of innocent people by a State 97

bureaucratic apparatus" dar . Machteliten, die sämtliche Mitglieder eines Kollektivs innerhalb ihres Herrschaftsbereichs umbringen wollen, verzichten offenbar darauf, durch die exemplarische Exekution einiger weniger bei dem Rest Verhaltensänderungen hervorrufen zu wollen. Wenn der einem argentinischen General in den Mund gelegte Spruch wahr ist, zunächst gehe es darum, alle Subversiven zu töten, dann ihre Helfershelfer, dann die Sympathisanten, dann die Indifferenten und schließlich alle Lauen, 9Äso ist das, was diesem Offizier vorschwebte, Massenmord, nicht Terrorismus . Insofern hat T. Gurr, selbst wenn seine Feststellung zynisch klingen mag, recht, wenn er sagt, Terrorismus sei, verglichen mit staatlichem Massenmord, eine

26 Ebenda: S. 236. 27 Harff 1986: S. 165-187. 28 E s handelt sich um den General Iberico Saint Jean; vgl. den Beitrag von A . Spitta in diesem Band.

34

"ökonomischere", d.h. mit weniger Gewaltopfern auskommende Herrschaftsstrategie.

IV. Typen und Phasen Auf der Basis der Klärung einiger Grundbegriffe und Intensitätsabstufungen staatlichen Zwangs lassen sich mehrere Typen der von Machteliten praktizierten Gewalt unterscheiden. Diese Typen sind nicht als sich ausschließende Alternativen staatlicher Gewaltstrategie und -taktik zu verstehen, sondern kommen oft nebeneinander, in spezifischen Kombinationen und Vermischungen, zur Anwendung. Eine erste wichtige, auch im Titel dieses Bandes angesprochene Differenzierung ist die zwischen direkt von staatlichen Vertretern und Organen ausgehender Gewalt und parastaatlicher, d.h. von fanatisierten rechtsradikalen Mördergruppen ("Todesschwadronen") geübter Gewalt. Oft verfließen die Grenzen zwischen ihnen, da die parastaatlichen Einheiten aus Angehörigen der Polizei, der Geheimdienste oder des Militärs bestehen, die außerhalb ihrer Dienstzeit, in ziviler Kleidung, auf Menschenjagd gehen. Nicht selten operieren Todesschwadronen auch gemäß den Weisungen aus einem Ministerium oder gar dem Präsidentenamt, die jedoch ihre Verantwortung für diese Form der Bekämpfung des politischen Gegners leugnen. Parastaatliche Gewaltorganisationen gab bzw. gibt es in Lateinamerika u.a. in Argentinien, Brasilien, Chile, Kolumbien, Peru, El Salvador und Guatemala (um nur die wichtigsten Länder zu nennen, die sich hier in trauriger Weise hervorgetan haben). In der Literatur herrscht Übereinstimmung darüber, daß der Staat, der es zuläßt, daß seine Bürger verfolgt, festgenommen, gefoltert und getötet werden, ohne energisch gegen die Täter vorzugehen, sich diese Gewaltakte zurechnen lassen muß, als hätten seine eigenen Organe sie ausgeführt . Gleichwohl gibt es strukturell und von der Vorgehensweise her einige Unterschiede zwischen regulären staatlichen Gewaltakteuren und irregulären Einheiten. Letztere sind in aller Regel wesentlich instabiler als der staatliche Sicherheitsapparat. Je nach politischer Situation können sie binnen kurzem in beträchtlicher Zahl aus dem Boden schießen, dann wieder verschwinden,

29 Statt aller Gurr 1986: S. 48.

35

um J a h r e später plötzlich erneut in Erscheinung zu treten. Parastaatliche Gruppen

setzen

sich

auch

noch

rücksichtsloser

über

rechtsstaatliche

Prinzipien und j e d e Art legalen Scheins hinweg als Polizei oder Militär; sie legen es ganz offensichtlich darauf an, alle Vertreter linker oder ihnen linksverdächtig erscheinender politischer und sozialer Kräfte zu liquidieren oder ins innere bzw. äußere Exil zu treiben. Obwohl sie vorzugsweise nachts aktiv sind, ist der angestrebte Publizitäts- und Abschreckungseffekt ihres Mordtreibens

unübersehbar.

Diesem

Zweck dient sowohl die

häufige

Vorpublikation der Namen künftiger Opfer ( sogenannte schwarze Listen) als auch die gräßliche Verstümmelung der Getöteten und deren ostentative Zurschaustellung. Nicht selten ( w i e etwa in Kolumbien) hat sich eine subtile Funktionsaufteilung zwischen dem Militär und den

Todesschwadronen

herausgebildet: die Streitkräfte übernehmen die Ausrüstung und Ausbildung der Mitglieder rechtsradikaler Gewaltbanden, liefern diesen die Infrastruktur und decken sie, ohne jedoch selbst als Urheber der Morde an Angehörigen der Linksparteien hervorzutreten. Eng mit der Unterscheidung zwischen staatlicher und parastaatlicher Gewalt hängt j e n e zwischen legaler und illegaler Gewaltausübung zusammen

. O b e n wurde bei der Präsentation des Schemas von A. Schmid zwar

betont, die Rücksichtnahme auf institutionelle Vorgaben von Seiten der Regierenden wirke sich prinzipiell zum Vorteil der Bürger aus. Doch muß an

dieser

Stelle

nun hinzugefügt werden,

daß

in Lateinamerika

die

Verformung der Gesetze bis zu dem Punkt, an dem sie massive staatliche Gewaltübergriffe

erlauben,

keineswegs

eine

Seltenheit

ist.

Einerseits

enthalten die lateinamerikanischen Verfassungen ausführliche Kataloge von Grund- und Menschenrechten, die zu schützen und zu verwirklichen zu den wichtigsten staatlichen Aufgaben zählen soll. Andererseits unternehmen jedoch die meisten dieser Regierungen nicht nur keinerlei Anstrengung, dem Verfassungsauftrag zur Durchsetzung zu verhelfen, sondern weichen im Gegenteil durch die Manipulation von Recht und Gesetz den Grundrechtsschutz so weit auf, daß der einzelne ihrem repressiven Zugriff wehrlos preisgegeben ist. Typische, vor allein von Militärregimen verwendete Kunstgriffe, um die Grundrechte

einzuschränken

oder außer

30 Siehe hierzu Mitchell et al. 1986: S. 13 ff. 31 Vgl. hierzu generell Eisenberg 1980: S. 227 ff.

36

Kraft

zu setzen,

sind 3 1 :

die

Ausdehnung der Zuständigkeit der Militärgerichte auf "politische" Delikte (daß den Militärgerichten die Strafverfahren gegen Angehörige der Streitkräfte, und damit gegen zahlreiche der Menschenrechtsverletzungen Beschuldigte vorbehalten bleiben, ist in den meisten dieser Staaten ohnedies selbstverständlich); die Einschränkung der Rechte der Verteidigung bei Strafprozessen sowie, entsprechend, die Verlängerung der Kontaktsperre nach außen bei politischen Untersuchungsgefangenen; der Erlaß restriktiver und repressiver Sondernormen (z.B. betreffend das Demonstrationsrecht) im Rahmen der Notstands- und Ausnahmegesetzgebung. All diese Amputationen an rechtsstaatlichen Prinzipien sind nur möglich, weil in Lateinamerika die staatliche Gewaltenteilung allenfalls mit Einschränkungen funktioniert. In der Tat: Haben die Parlamente schon wenig Chancen, gegen die übermächtige Exekutive aufzukommen, so sind die Gerichte und die Richter durchweg schwach und machtlos, oft darüberhinaus korrupt und nur allzu willfährig gegenüber politischem Druck. Die meisten Staaten weisen eine duale Verfassung im Sinne des klassischen Werkes von E. Fraenkel über den NS-Staat auf , d.h. sie setzen die an westeuropäischen Vorbildern orientierte Rechtsordnung nicht gänzlich außer Kraft, sondern entwickeln daneben ein der politischen Opportunität gehorchendes Ausnahmerecht (nicht selten gibt es außerdem noch einen gänzlich dem Recht entzogenen dritten Sektor, in dem die pure Repression herrscht). Dies wirft die Frage nach dem Umgang mit den Widersprüchen zwischen legaler, halb- oder pseudolegaler und illegaler staatlicher Handlungssphäre auf, eine Frage, die verschiedene -1-1

Regierungen unterschiedlich zu lösen versuchten . Es scheint nahezuliegen, ausgehend von den unmittelbaren Wirkungen der Gewaltakte hier auch eine Typologie der wichtigsten Menschenrechtsverletzungen einzufügen 3 4 . Dagegen spricht jedoch, daß im Rahmen des Sammelbandes primär auf jene Differenzierung von Gewalttypen abgestellt werden

32 Fraenkel 1974. 33 In Peru hält man die Fiktion einer uneingeschränkten Verwirklichung rechtsstaatlicher Grundsätze aufrecht; Pinochet in Chile erkannte dagegen den Doppelcharakter der Verfassung an, indem er sich primär auf seine aus der Ausnahmesituation abgeleiteten Sondervollmachten berief; der kolumbianische Präsident unternahm sogar ernsthafte (wenngleich vergebliche) Schritte, gegen Todesschwadronen und willkürlich mordende Militärs vorzugehen; die argentinische Militärregierung machte geltend, das Land habe sich in einem Kriegszustand befunden, der ungewöhnliche Maßnahmen gegen den politischen Feind erforderlich gemacht habe. 34 Vgl. etwa die Typologien bei Schmid 1989: S. 25 ff. und bei Eisenberg 1980: S. 221 f.

37

soll, die aus einer akteursbezogenen, machtstrategischen Perspektive Sinn machen. Eben dies läßt sich jedoch im Hinblick sowohl auf die Hauptformen und -techniken, wie Menschen geschunden und zu Tode gebracht werden, als auch hinsichtlich der raffinierten Details, die sich die Henker und Folterer zur Steigerung des jeweiligen Effektes einfallen lassen, bezweifeln. Nehmen wir etwa das Beispiel der argentinischen Militärregierung: zweifellos entsprang der Entschluß, ihre politischen und militärischen Gegner "verschwinden zu lassen" anstatt sie offen umzubringen, einem bestimmten Kalkül: nämlich der Vorstellung, man könne auf diese Weise den Vorwürfen der Weltöffentlichkeit ausweichen. Ebenso war die Einrichtung von Folterzentren zur Erpressung von Geständnissen und Informationen von kriegstaktischen Überlegungen diktiert. Andererseits wissen wir heute, daß sich die Militärs hinsichtlich der Einschätzung der Konsequenzen ihrer Politik des "Verschwindenlassens" grundlegend geirrt haben. Die Opfer wurden keineswegs vergessen; vielmehr fand die zunächst von ihren Familienangehörigen mit großer Unerschrockenheit und Hartnäckigkeit gestellte Frage nach ihrem Verbleib eine zunehmende Resonanz und erzeugte schließlich genau jenen internationalen Skandaleffekt, den die Militärs hatten vermeiden wollen. Gefoltert wurden bekanntlich nicht nur Guerilleros, welche die Namen von Waffengefährten verraten konnten, sondern auch unzählige Unschuldige, denen, um sich von weiteren Qualen freizukaufen, nichts anderes übrig blieb, als den Folterknechten andere Unschuldige ans Messer zu liefern. Ähnliche Argumente lassen sich bezüglich der meisten anderen Gewalttechniken anführen, derer sich lateinamerikanische Regierungen und ihre Sicherheitsorgane bedienen, um politische Gegner zu drangsalieren. Zwischen diesen Techniken zu differenzieren, rechtfertigt sich wegen ihrer einschneidenden Auswirkungen für die unmittelbar Betroffenen, nicht aber aufgrund der taktischen oder strategischen Rationalität, die ihrem jeweiligen Einsatz zugrundeliegt. Zumeist handelt es sich nur um eine zu kurz greifende Scheinrationalität, was sich im übrigen auch daraus ersehen läßt, daß politisch Verfolgte ziemlich willkürlich der einen oder anderen Gewaltpraktik bzw. mehreren davon nacheinander in beliebiger Reihenfolge unterworfen werden. Abschließend sei darauf hingewiesen, daß Ausmaß und Intensität illegitimer Gewaltakte während eines Regimes im allgemeinen keine Konstante darstellen, sondern bezeichnende Schwankungen und Entwick38

lungstrends aufweisen. A. Dallin und G.W. Breslauer haben am Beispiel kommunistischer Staaten herausgearbeitet, daß neue Machteliten, welche die Herrschaft gewaltsam usurpiert haben, in der ersten Phase vor keinem Mittel, bis hin zu offenem Terror, zurückschrecken, um rivalisierende Kräfte auszuschalten und ihre politischen Ideen und Wertvorstellungen durchzusetzen. In dem Maße, in dem ihnen dies gelinge, ihre politische Führungsposition nicht mehr unmittelbar bedroht erscheint, weiche die offene, auf der Liquidierung von Gegnern und der Einschüchterung der restlichen Bevölkerung basierende Gewaltpolitik versteckteren, mehr im Einklang mit den -ic

Institutionen stehenden Zwangspraktiken . Dieses Muster läßt sich auch in einigen lateinamerikanischen Ländern beobachten, etwa in Chile und Argentinien während der 70er Jahre, als auf eine erste Phase der Regierungsübernahme durch die Streitkräfte, die durch eine ebenso aggressive wie verlustreiche Gewaltpolitik gekennzeichnet war, eine zweite Phase begrenzter "Normalisierung" folgte, in der die Militärs ersichtlich vorsichtiger und selektiver gegen die Kräfte der Opposition vorgingen. Es gibt jedoch auch Staaten wie Kolumbien oder Guatemala, in denen der von staatlichen und parastaatlichen Organisationen zu verantwortende politische Gewaltpegel über Jahrzehnte hinweg auf einem unverändert hohen Niveau blieb.

35 Dallin/Breslauer 1970; siehe auch Gurr 1986: S. 50.

39

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41

II Einzelfallstudien

The "Dirty War" in Argentina: Was it a war and how dirty was it? Maria José Moyano

"I think what you are saying is that we should investigate the Security Forces, and to that I say no.In this war there are victors, and we were the victors and be absolutly sure that if in the last world war the R e i c h ' s forces had won, the trial would not have taken place at Nuremberg but in Virginia". General R o b e r t o Eduardo Viola interviewed by Clarín, March 1981.

On March 26, 1976 the constitutional government of Isabel Perón was deposed by a coup. During the following seven years, Argentina was governed by three successive military Juntas collectively known as The Process of National Reorganization (Proceso de Reorganización Nacional). The Proceso's avowed aims on seizing power were to reestablish order and put an end to the activities of the guerrilla organizations: to modernize the economy; to eliminate government corruption; and to carry out a vast reform of the educational sytem 1 . By 1983, when the Malvinas fiasco forced the military to call for elections, only the first of these objectives had been achieved. This essay will discuss the means to that end and some of the costs that the victory over terrorism has entailed.

I. Setting the Stage

The first factor that must be considered in an analysis of the "dirty war" is a certain tradition in the use of illegal methods of repression: death squads and the maltreatment of prisoners. Prison conditions, particulary for those subject to law 19.863, which instituted the "Maximum Danger" system (generally confined to captured guerrilla leaders), became quite appalling

1

For an excellent analysis of the Process of National Reorganization's objectives and the disparity between its objectives and actual achievements, see Spitta 1983. See also Rock 1987: ch. 9; Waisman/Peralta Ramos 1987; Corradi 1983; and Cavarozzi 1983.

45

•J

during the 1966-73 military government known as the Argentine Revolution . There was also evidence of the increasing use of torture . A taste of things to come was conveyed by an incident which became popularly known as the Trelew massacre. On August 15 1972, inmates of the Rawson prison in Patagonia belonging to the three most powerful guerrilla organizations carried out an escape attempt. Their idea was to get to Trelew airport, board a plane and divert it to Chile, since Allende was not likely to turn them over to the Argentine military. Due to last minute problems, only six guerrillas made it to the airport in time to board the plane. The remaining nineteen occupied the airport but eventually surrendered and were taken into custody and transported to the Almirante Zar naval base near Trelew. On August 22 sixteen were killed, apparently while attempting to escape. Within the next forty-eight hours, the government produced three different and somewhat contradictory versions of the events, and the federal judge in charge of the case did not order autopsies to be performed. It has been suggested that the Navy made the decision to kill the guerrillas quite independently and that the president, General Lanusse, had no other option but to bow to the fait accompli*. Subtleties aside, the incident was a premeditated murder designed to work as exemplary punishment, and as such it was widely viewed at the time. It was also the first time that what would later be known as the "escape law" was applied. Death squads first became active during the 1966-73 military government and they continued to operate during the 1973-76 Peronist interregnum. With the exception of the Argentine Anti-Communist Alliance, or Triple A, which will be discussed separately, very little is known about these groups.

2 3

4

46

See "Documento unitario de los presos políticos y gremiales de Rawson", La Opinión, May 28 1972, p.20. See "Fueron dados a publicidad testimonios donde se denuncian casos de torturas", La Opinión, January 12 1972, p. 10-11; "Acusado de torturar a presos políticos fue muerto por el ERP un jefe policial", La Opinión, August 7 1973, p. 10; and Author Unknown, Máxima Peligrosidad (1973). The latter is a transcript of the interrogation of psychiatrist Hugo D'Aquila by guerrillas of the Liberation Armed Forces. Dr. D'Aquila had been kidnapped with the sole purpose of exposing conditions at Villa Devoto prison, whose psychiatric service he headed. The book is interesting because it introduces an allegation which was never, to my knowledge, repeated: that certain serious psychological conditions were intentionally induced by prison personnel. Urondo 1976: p. 106; Eloy Martínez 1973; and Constantini 1973. For a description of the Rawson maximum danger prison see "Por primera vez, en Rawson, hay mujeres entre los presos políticos", La Opinión, October 7 1971, p.9.

As table 1 indicates, they s e e m to have appeared and vanished with equal celerity. Some of them took on the names of victims of guerrilla violence, such as the Lieutenant Azua Commando of the Movement for National Defense or the Corporal Leiva Commando of the Argentine Nationalist Action. One of these groups, the Organized National Argentine Movement, had international connections: created by Guatemala's Colonel Carlos Arana Ossorio, it then spread to various Latin American nations 5 .

Table 1 - Death Squads in Operation 1970-75 1970

A p h a 66 x Liberators of America Commando x Organized National Argentine Movement x Argentine Nationalist Action Aiti-Communist Repression Commando Corrientes Anti-Communist Revolutionary Commando June 30 Commando Movement for National Defense National Phalanx Unified Security Service Nokinoto Laundry Police Commando Armed Nationalist Security Organization Argentine Nationalist Organization Argentine Anti-Communist Alliance Lieutenant Colonel Duarte Ardoy Commando for Marxist Repression Anti-Guerrilla Commando God Motherland or Death Morality Junta

1971

1972

1973

1974

1975

x x x x x x x x x x x x x x

x

x

x x x x

My discussion of these groups is based on their communiques to the press following or announcing specific operations. See in particular La Opinión, August 8 1971, p.9; August 24 1971, p. 13; and October 10 1971, p.10.

47

The Triple A deserves special attention. It came into being as a result of a convergence of interests between two individuals: José López Rega and Alberto Villar. López Rega had become Perón's private secretary in 1971 and was appointed Minister of Social Welfare in 1973. Villar, who had organized the Federal Police Anti-Guerrilla Brigade during the Argentine Revolution, was discharged from the force under a cloud but recalled as Chief Commissioner by Perón 6 . Details about the membership and internal structure of the Triple A were n

revealed by two former members . López Rega and Villar created an organization staffed by two distinct groups: active service policemen as well as former police officers dishonourably discharged on allegations such as theft, smuggling and drug trafficking , and personnel attached to the Ministry of Social Welfare as advisers to the Minister, as bodyguards or employed in its administrative divisions 9 . López Rega was the undisputed leader. He stood at the apex of a structure divided into the following sections: coordination with the police, administration, vehicles, medical services, printing. Two sections were accountable to the Minister through "links"10: one dealt with finances and psychological action and the other organized "the executors", the groups of three to five men in charge of the killings 11 . 12

Money was not in short supply, so arms were bought in Paraguay and the magazine El Caudillo was launched. The magazine's offices would

6

On the life of López Rega see Tomás Eloy Martinez, "El ascenso, triunfo, decadencia y derrota de José López Rega", La Opinión, October 22 1975, pp.l, 24; and Gente 1976: pp.131-151. One of Villar's subordinates, incidentally also a member of the Triple A, wrote his biography: Muñoz 1984. 7 Former police inspector Rodolfo Peregrino Fernández testified before the Argentine Commission on Human Rights at Geneva in March 1983. Salvador Horacio Paino, formerly one of López Rega's bodyguards, testified in February 1976 before the Special Congressional Committee on the Ministry of Social Welfare's misuse of public funds. 8 Fernández 1983: p. 10; Verbitsky 1986: p.54 and "Las revelaciones de Paino", La Opinión, February 12 1976, segunda sección, pp. 1-4: 2. 9 "Las revelaciones de Paino", pp.1-2; Fernández 1983: p.59; and González Janzen 1986: p.15. 10 The "links" have been indentified as two of López Rega's most trusted aides, Jorge Conti and Carlos Villone. See "Diéronse detalles sobre la conducción de la Triple A", La Nación, February 2 1976, p. 12. 11 The groups were labelled with the letters A-F. Ibid and Fernández 1983: Annex "Estructura de las AAA". 12 "Las revelaciones de Paino", p.2; and "A Rucci lo mató la Triple A", Gente, 18:946, September 8 1983, pp. 54-63: 60.

48

1^

operate as the Triple A's headquarters . The organization was officialy launched on November 21, 1973 with an assassination attempt on senator Hipolito Solari Yrigoyen 14 . Threatening letters bearing the letter "A" were sent to numerous people in the following week. From then on the Triple A carried out three different tasks. First, it published "death lists" of personalities in the arts and sciences as well as in politics who were suspected of leftwing sympathies and were "invited" to leave the country. Second, it attempted to control labour militancy through repression. Third, it aimed at the physical elimination of the regime's opponents 1 5 . Even in the absence of concrete proof it would be safe to assume that the early death squads were staffed partly or wholly by members of the security forces 16 . In the case of the Triple A the evidence is conclusive. I have 17

assembled a list of 159 alleged members , 66 of whom belonged to the security forces before participating in the AAA's activities. After 1976, 18 of those 159 were denounced as torturers at various clandestine centers, 5 continued their careers in the armed forces, 43 in the police, and 4 went on to work for the intelligence services. The evidence also suggests that qua institution the armed forces were fully aware of the origins and activities of the Triple A. Salvador Paino has admitted to sending a letter to generals

13 González Janzen 1986: pp.15-16. 14 "Varios diputados de la nación amenazados" Crónica, November 28 1973, p.2. Prior to its official launching, however, the AAA had been involved in a couple of incidents. On September 11 it provoked a fire at the newspaper Clarín, which had been forced to publish a paid denunciation of López Rega when guerrillas of the People's Revolutionary Army kidnapped a member of Clarin's editorial staff. The proto-Triple A must also be held partly responsible for the events of June 20 1973, the date of Perón's final return to Argentina. Shooting into the huge crowds gathered to meet him at Ezeiza airport left at least 16 dead and 433 wounded, though official figures were never released. On the Clarín episode see "Las revelaciones de Paino", p. 2 and "A Rucci lo mató la Triple A", p. 60. On the Ezeiza massacre see Verbitsky 1986; "La Policía Federal elevó a dos jueces el sumario sobre los hechos de Ezeiza", La Opinión, July 5 1973, p. 12; and Crónica, June 21 1973, p. 24. 15 For a list of the AAA's victims see Escobar/Velázquez 1975: pp. 164-183; and Poder Ejecutivo Nacional 1980: pp. 141-144. 16 This fact was confirmed by a former police officer interviewed in Buenos Aires on June 26 1987. See also "Se teme que actúen organismos fuera del control del poder político", La Opinión, July 19 1971, p. 12; "Denuncian en Córdoba la existencia de una campaña de terrorismo blanco", La Opinión, August 24 1971, p. 13; and Clive Petersen,"Dealing with terrorism", Buenos Aires Herald, January 25 1974, p. 6. 17 The list includes all the names of those identified by the following sources: Fernández 1983; González Janzen 1986; Verbitsky 1986; Kahn 1979; Paoletti 1987; "Las revelaciones de Paino"; "Diéronse detalles sobre la conducción de la Triple A"; "A Rucci lo mató la Triple A".

49

Videla (then head of the Army High Command) and Anaya (then Comman1 ft

der in Chief of the Army) in 1974 providing that information . Others have stated that after 1974 the Army provided the A A A with weapons 1 9 . The significance of the Triple A is twofold. As table 2 2 0 suggests, it was the first large-scale attempt at illegal repression. Most important, it was the weapon of a constitutionally elected government which set the precedent that the response to guerrilla warfare could combine the Criminal Code with 91 paramilitary units .

Table 2 - Death squad casulaties 1970-75 Kidnappings

Deaths

Total

1970

3

3

6

1971

17

4

21

1972

16

3a

19

1973

-

23b

23

1974

Known Presumed Total

14 10 24

129 35 164

143 45 188

1975

Known Presumed Total

23 14 37

127 420 547

150 434 584

97

744

841

Total

a Does not include Trelew casualties, b Does not include Ezeiza casualties.

18 "Las revelaciones de Paino", p.4. 19 Fernández 1983: p. 16; Paoletti 1987: p. 339. Further proof of the Army's and Navy's knowledge is provided by Kahn 1979: pp. 62-64 and 89-94. 20 Table 2 is based on information reported by the Buenos Aires daily papers for the period 1970-75. See also Marin 1984. 21 On the responsability shared by the governments of Perón and his wife see Feinmann 1987: ch. 2; and Corradi/Kenworthy/Wipfler 1976.

50

The second factor that must be considered in an analysis of the "dirty war" is a certain Argentine proclivity towards conspiracy theories. Three different versions of an international conspiracy directed against the Argentine Republic helped shape the world view advanced by the military circa 1976. The first involves the idea of a "synarchy", an ill-defined supranational entity supposedly governing the world. This version corresponds to the right wing of the Peronist movement and was expounded in the magazine Las Bases. Perón himself described the "synarchy" as an alliance of capitalism, communism, the Catholic church and Zionism . The second theory has its roots in anti-semitism. The Jewish faith is seen as threatening the most cherished Christian values: "Argentina has three main enemies: Karl Marx, because he tried to destroy the Christian concept of society; Sigmund Freud, because he tried to destroy the Christian concept of the family; and Albert Einstein, because he tried to destroy the Christian concept of time and space"23. Beyond this, according to what is taught at the three service academies as the "Andinia Plan", the Jewish people are bent on an invasion of Argentina which would result in the establishment o f a Zionist state in Patagonia 24 . Finally, there is the "doctrine of Ideological Frontiers". This is the only one of the three conspiracy theories formulated by the Argentines which owes something to contemporary developments in other countries.As General Ramón Camps put it, "in Argentina we first received the French influence and then the American influence, we applied each one separately and then together, taking concepts from both, until at one stage the American (influence) predominated ... France and the United States were the great disseminators of antisubversive doctrine. They organized centers, particularly the United States, to teach antisubversive principles. They sent advisors, instructors. They disseminated an extraordinary amount of bibliography 25 .

22 On the synarchy see González Janzen 1986: pp. 87-92. 23 Quoted in Timerman 1982: p. 130. 24 On anti-semitism in the armed forces and the Andinia Plan see Simpson/Bennett 1985: pp. 54-55, 210-212, 225, 263-264; and Timerman 1982: passim, but particularly pp. 72-78. 25 General Ramón Camps, "Derrota de la subversión. Apogeo y declinación de la guerrilla en la Argentina", La Razón, January 4 1981, cited in Comisión Nacional sobre la Desaparición de Personas, 1985: p. 474. The presence of two military missions in Buenos Aires, one American and one made up of former Organisation de l'Armée Secrète officers, well into the 1970s, was confirmed to me by a source connected to the top echelons of the

51

The "doctrine of Ideological Frontiers" was elaborated around 1959 by the brazilian Colonel Golbery do Couto e Silva at the Escola Superior de Guerra (ESG, the War College), becoming the official policy of General Castello Branco's regime and of those who succeeded him. It basically views the international system as dominated by an East-West conflict in which Brazil's only possible course of action is that of automatic alignment behind one of the two superpowers. National security becomes the most important concern, but it is understood in terms of a "holy war" against communism. Unfortunately, since anybody who disagreed with the regime could be labelled a communist, this doctrine gave the military a free hand as far as repression was concerned . Developments at the ESG coincided with the abandonment by the United States of the idea of hemispheric defense in favour of that of internal security. Alfred Stepan has shown how military aid programmes providing training in the United States for Latin American officers and teaching in new counterinsurgency tactics helped promote the "new 97

professionalism". In the Argentine variety of the "doctrine of Ideological Frontiers" the armed forces become the moral reserves of the nation. As General Ongania, leader of the 1966 coup, put it, "obedience is due a government when its power is derived from the people, for the people. This obedience, in the last instance, is due to the constitution and the law ... will have ceased being an absolute requirement if there are abuses in the exercise of legal authority ... when this is done as result of exotic ideologies ... or when constitutional prerogatives are used in such a way that they completely cancel out the rights and freedoms of the citizens ... and since a people cannot, by itself, exercise this right (to resist opression) because it is unarmed, such attributi'JQ

on is taken by the institutions that it has armed ... . Concommitant with this claim is a belief that World War III is already in progress, that it involves a confrontation between Washington and Moscow, 1976-83 administration interviewed in Buenos Aires in April 1987. 26 The enemy can be a Soviet, but he can also be a Brazilian, which accounts for the notions of "ideological frontiers" and "internal warfare". 27 Stepan 1973. See also Klare/Kornbluh (eds.) 1988; and for a discussion of the British and French contributions Faligot 1980. 28 General Juan Carlos Ongania,speech at West Point on August 6 1964, quoted in Nordlinger 1977: pp. 19-20 and Comisión Nacional sobre la Desaparición de Personas 1985a: p. 475. It is because of this speech that Argentines refer to "Ideological Frontiers" as the "Ongania Doctrine" or the "West Point Doctrine".

52

that the struggle is of an ideological nature and that Argentina is the favoured turf 29 .

II. The System Implemented in 1976 I have so far argued that the "dirty war" is in many ways a logical extension of developments beginning in the 1960s. Yet if illegal repression was nothing new to Argentina, its scope, as shown in Table 3, certainly

Table 3 - "Dirty War" Casualties 1976-83 Kidnapped

Presumed Killed

Total

1976 1977 1978 1979 1980 1981 1982 1983

3.827 2.764 960 168 80 20 12 9

3.485 2.544 830 148 75 19 12 9

7.312 5.308 1.790 316 155 39 24 18

Total

7.840

7.122

14.962

What was also new in 1976 was the notion that the fight against terrorism constituted a "war". On this point it becomes interesting to compare official pronouncements with those of the guerrilla organizations. During the

29 Timerman 1982: p. 102; Comisión Nacional sobre la Desaparición de Personas 1985a: ch. 5; Scenna 1980: pp. 247-353; Duhalde 1983: pp. 32-44, 73-75; Rouquié 1983: pp. 65-76. 30 Table 3 is based on the computerized list provided in Comisión Nacional sobre la Desaparición de Personas 1985b. I must point out that the National Commission on the Disappearance of Persons and sill the human rights organizations in Argentina would object to my use of the expression "presumed killed". The official terminology is "detaineddisappeared". Though the adoption of such terminology by human rights activists is certainly understandable, continued reference to "disappeared persons" becomes meaningless at this stage. The Commission's official report, Nunca Más, refers to a total of 8.961 disappearances. This is the figure usually quoted in the literature, which overlooks the fact that a number of those disappearances occured before the 1976 coup.

53

Argentine Revolution and the 1973-76 Peronist government, the guerrillas -i-i

referred to their activity as the "second war of independence . As late as 1975 Mario Firmenich, top leader of the Montoneros, declared that "since October 1975 ... we knew that the coup would occur within the year. We did nothing to stop it ... We made however our calculations, war calculations, and we prepared to undergo, in the first year, human losses not inferior to 1.500 units ... if we managed not to go beyond this level of casualties, we could have the certainty that sooner or later we would win ... this year the dictatorship's offensive will end and finally the conditions favourable for our final counteroffensive will present themselves . After the coup, the guerrillas changed their vocabulary and started talking about a "resistance . With the benefit of hindsight, both former guerrillas and independant analysts have argued that by 1976 guerrilla activity was in decline and that this was merely the excuse, not the reason for the coup 34 . By contrast, though official statements made before 1976 referred to guerrilla combatants as "extremists" or "terrorist delinquents" so as to differentiate them from common criminals, an attempt was made to minimize the impact of guerrilla violence and stress it could be controlled by the police 35 . After 1976, the conflict is characterized as a war. Even though the military never attempted a systematic elaboration of this notion, it is possible to discern the motives behind this characterization.

31 See for example Movimiento, May 2 1974; and Estrella Roja, 63, November 2 1975. A good discussion of this issue appears in Giussani 1986: pp. 77-79, 98-100. 32 Mario Firmenich interviewed by Gabriel García Márquez. The interview, which appeared in L'Espresso (Rome) on April 17 1977, is cited in "Suplemento: Los sueños de la guerrilla", El Porteño, V: 52, April 1986, pp. 35-50: 50. That the Montonero rank and file being massacred in Argentina while Mr. Firmenich cavorted across Europe might not have shared in his enthusiasm is besides the point.The fact is that this was the message that the Argentine military were getting from the tops echelons of an "enemy" military structure. 33 See Walsh 1985. 34 Rouquié 1983: p. 73; Gutiérrez 1985: pp. 26-27; and Cazes Camarero (ed.) 1986: pp. 3031, 38. 35 See for example "Llambí: El terrorismo disminuyó en un 80%", Crónica, November 13 1973, p. 3; "¿Existe una respuesta ideológica del Justicialismo a la guerrilla?", La Opinión, July 1 1973, p. 8; "Importantes detenciones de elementos extremistas", La Nación, January 13 1971, p. 4.

54

In justifying the notion of war, the military made the following arguments: 1) There were 25.000 "subversives" in Argentina organized in a clandestine •V'

2) 3) 4) 5) 6)

cellular structure . These structures were able to stage full-scale attacks against military installations 37 . TO This shows there were two distinct sides in this conflict . Guerrilla operations did not diminish with the advent of a constitutionally elected government 3 9 . Guerrillas had infiltrated all echelons of the Peronist administration 4 0 . Laws sanctioned by Congress and presidential decrees signed by Mrs. Per6n proved unable to contain terrorism 41 .

The adoption of this notion of war became useful because: 1) It allowed for a comparison with conventional wars in which the "silent majority" of the Argentine citizenry constituted the "home front" 42 . 2) It allowed for a comparison with nuclear warfare which "is not inspired in a moral principle" 43 . 3) It allowed for a differentiation between "classical warfare" and "revolutionary warfare". In the latter, given that terrorists had been "the first to violate human rights", they dictated the tactics the armed forces were to employ, forcing the military to adopt "previously unknown procedures" in which it is impossible to determine the exact number of enemy casualties 44 .

36 Documento final de la Junta Militar sobre la guerra contra la subversión y el terrorismo published in La Prensa, Aprii 29 1983, p. 1. 37 Ibid. 38 "Palabra por palabra todo lo que dijo Camps", Siete Dias, XV: 816, February 2 1983, pp.811: 10.

39 40 41 42 43

Documento final de la Junta Militar (cf. note 36). Ibid. Ibid. Ibid. François Mitterrand talking about his country's nuclear programme, quoted in General Ramon Genaro Diaz Bessone, "Una crònica ilustrativa", La Prensa, October 28 1987, p. 9. 44 Documento final de la Junta Militar, "Palabra por palabra todo lo que dijo Camps", p. 10.

55

4) Given a situation of counterrevolutionary warfare, actions by each and every member of the armed forces must be considered as carried out in the line of duty and only subject to the judgement of History 45 . 5) The armed forces were merely following orders emanating from the constitutional government of Mrs. Peron 4 6 . These are post facto public rationalizations by the military even though they constitute the principles on which the "war" was fought. I will come back to this at the end. The organization of the "dirty war" is described in a number of directives issued between 1975 and 1979 - the Defense Council Directive 1/75 (Fight against subversion) and three directives by the Commander in Chief of the Army: 404/75 (Fight against subversion), 504/77 (Continuation of the offensive against subversion in the period 1977-78) and 604/79 (Continuation of the offensive against subversion) 47 . There were also a number of "partial orders" and "rectifications". These documents were obviously classified "secret" and only a limited number of copies was distributed. These directives delineate territorial divisions, establish a chain of command for each division, and detail the manner in which operations should be conducted. The entire country was divided into four Zones (1, 2, 3, 4 and 5) which coincided with the jurisdictions of the different Army Corps 4 8 . Each zone was in turn divided into subzones, areas and subareas. Eventually a Zone 4 was created to the north of the city of Buenos Aires 49 .

45 Documento final de la Junta Militar. 46 Ibid; and "Palabra por palabra todo lo que dijo Camps", p. 11. 47 Directiva del Consejo de Defensa Nro 1/75 (Lucha contra la subversión), Buenos Aires, October 1975; Directiva del Comandante General del Ejército Nro. 404/75 (Lucha contra la subversión), Buenos Aires, October 1975; Directiva del Comandante en Jefe del Ejército, Nro 504/77 (Continuación de la ofensiva contra la subversión en el período 1977-78), Buenos Aires, May 1978; Directiva del Comandante en Jefe del Ejército Nro. 604/79 (Continuación de la ofensiva contra la subversión), Buenos Aires, May 1979. See also Simpson/Bennett 1985: p. 88; Fernández, 1983: pp. 22-24; Duhalde 1983: p. 76; Comisión Nacional sobre la Desaparición de Personas 1985a: pp. 256-259; Gasparini 1988: pp. 95-96. 48 The jurisdictions of the Army Corps are the following: First Corps = Buenos Aires city and parts of the province of Buenos Aires, Second Corps = Santa Fe, Chaco, Formosa, and eastern Argentina, Third Corps = Córdoba, Mendoza, Tucumán and northwestern Argentina, Fifth Corps = southern Buenos Aires and Patagonia. The Fourth Army Corps has no territorial jurisdiction. It is in charge of Logistics. 49 Orden Parcial Nro 405/76 (Reestructuración de jurisdicciones y adecuación orgánica para intensificar las operaciones contra la subversión), Buenos Aires, May 1976, pp. 3-4.

56

Within each zone, primary responsibility fell to the Army "in the conduct of: a) the operations necessary for the prosecution of the offensive in the entire national territory, b) the intelligence effort of the Information Community in the fight against subversion" 50 . The Army also had "operational control over: A) the Argentine Federal Police b) the National Penitentiary Service c) provincial police and penitentiary elements" and exercised "functional control over SIDE" 51 . The Navy had jurisdiction over "1) the naval and aeronaval bases, establishments, barracks and buildings belonging to the Navy and occupied by it and the adjacent zones needed for their defense ..., 2) the national Territory of Tierra del Fuego and South Atlantic islands, 3) the ports in national jurisdiction, 4) the seas adjacent to the Republic's territory ,.."52. The Air Force had jurisdiction over "1) the Argentine air space, 2) the brigades, air bases, materiel areas, airdromes, organisms and their installations and buildings belonging to the Air Force or occupied by it and the r-j

adjacent zones necessary for their defense..." . The Navy and the Air Force were supposed to "operate offensively, after reception of the present Directive, against subversion in the area of its jurisdiction and outside it in support of other Armed Forces, to detect and annihilate its subversive organizations so as to preserve order and the security of property, persons and the State" 54 . But both services were expected to "1) Satisfy with priority the operational requirements formulated by the Army ..., 2) Furnish the intelligence support required by the Army, to make possible the centralized leadership in the intelligence effort in the fight against subversion" 55 . Operations were defined as "establishing procedures to be followed according to whether one is dealing with planned targets or opportunity targets" 56 . A planned target "is the product of the reunion, valorization and processing of available information, which materializes in a concrete 50 Directiva del Comandante en Jefe del Ejército Nro 604/79, p.4. This and following quotes are repeated in most of the directives. 51 Directiva del Consejo de Defensa Nro 1/75, p. 4. SIDE is the Servicio de Inteligencia del Estado, the State Intelligence Service. 52 Anexo 3 (Jurisdicciones) a la Directiva del Comandante en Jefe del Ejército Nro 604/79, pp.1-2. 53 Ibid, p. 2. 54 Directiva del Consejo de Defensa Nro 1/75, p. 5. 55 Ibid. 56 Anexo 4 (Ejecución de blancos) a la Orden de Operaciones Nro. 9/77 (Continuación de la ofensiva contra la subversión durante el período 1977), Buenos Aires, June 1977, p. 1.

57

en

objective" . An opportunity target "is that which is localized after an operation has CO begun, and which has not been previously considered, analysed or planned" . In the case of a planned target, the Zone's Command would "order the corresponding subzone the execution (of the operation) sending to that effect a target form with the necessary data ... once the operaticn is executed results will be reported synthetically and immediatly ,.."59. In the case of an opportunity target "the operation will be executed at the same time as the Zone's Command is being informed" 60 . When the target was to be found in a subzone other than that where the operation originated, the latter was to ask for "free area" describing "the target ... time during which it will operate, vehicles ... persons ... codes" 61 . There is no direct reference to the use of illegal methods in these directives. Nor is there mention of the Task Forces (Grupos de Tareas or GTs). The literature tends to use the term "task forces" to refer to all personnel involved in illegal repression. Yet there were four Grupos de Tareas created shortly after the 1976 coup which operated in the jurisdiction ff)

of the First Army Corps (Zones 1 and 4 in the directives) . G T 1 (Army) obeyed direct orders from the Commander of Zone 1 and operated out of the seat of the First Army Corps. G T 2 (Air Force) obeyed direct orders from the Commander in Chief of the Air Force and operated out of the Air Force intelligence service (Servicio de Inteligencia de la Aeronáutica or SIA). GT3 (Navy) obeyed direct orders from the Commander in Chief of the Navy and operated out of the Navy Mechanics School {Escuela de Mecánica de la Armada or ESMA). GT4 (Federal Police) obeyed direct orders from the Chief of Police (who was in turn under the aegis of the Commander of the First Army Corps) and operated out of the

57 58 59 60 61

Ibid. Ibid. Ibid, pp. 1-2. Ibid, p. 2. Apéndice 1 (Acta de Acuerdo entre Cdo Z4 y Cdo Zl) al Anexo 4 (Ejecución de blincos) a la Orden de Operaciones Nro 9/77, p. 2. The form is provided in Apéndice 2 (Fomulario de requerimiento de "área libre"para operar) al Anexo 4 (Ejecución de blancos) a ¡i Orden de Operaciones Nro 9/77, p. 1. 62 Fernández 1983: pp. 35-36.

58

Superintendence for Federal Security (Superintendencia de Seguridad Federal or SSF). GTs seem to have operated under functional specialization 63 . Illegal repression was organized around the clandestine detention centres (icentros clandestinos de detención or C.C.D.s) 64 . These camps had different origins. Some, like police precints, had been detention centres prior to 1976. Some were military or police installations that were turned into C.C.D.s, like the Military Academy at Campo de Mayo. Others, like the Escuelita de Famaillá in the province of Tucumán, were civilian installations placed under military jurisdiction. Yet others, like the Olimpo, were brand new. C.C.D.s were not evenly distributed among zones. As Table 4 indicates, they were highly concentrated in Zone l 6 5 .

Table 4 - Distribution of Clandestine Detention Centres 1976-83 Centres Zone 1 Zone 2 Zone 3 Zone 4 Zone 5 Undetermined

152 48 75 27 12 39

Total

353

% 43,06 13,6 21,24 7,65 3,4 11,05 100

63 GT 1 dealt with the People's Revolutionary Army, GT 3 with the Montoneros, GT 2 with the smaller guerrilla groups and Gt 4 with the Montoneros and the People's Revolutionary Army. The GTs may have been divided into smaller groups, since the ESMA GT is referred to as GT 3, GT 3.3. and GT 3.3.2. But there is no evidence of this. On the GTs see Duhalde 1983: pp. 91-95; Fernández, 1983: pp. 36-54, 72-3. 64 On the C.C.D.s see Comisión Nacional sobre la Desaparición de Personas 1985a: pp.5459, 80-128; and Comisión Nacional sobre la Desaparición de Personas 1985b: "Listado de Centros Clandestinos de Detención". 65 Table 4 is based on the computerized list provided in Comisión Nacional sobre la Desaparición de Personas 1985b: "Listado de Centros Clandestinos de Detención". The list merely names them, which accounts for the high percentage of C.C.D.s I have not been able to assign to any given zone. Table 4 is slightly deceptive in that it fails to differentiate among C.C.D.s according to which service was running them. Since this is in many cases impossible to discern, I have abandoned this enterprise.

59

A complex argot developped around the operation of these C.C.D.s 66 . A kidnapping or "sucking" began when the task force or "gang" took the victim to a clandestine detention centre or "hole". Chained and hooded ("partitioned") the prisoner remained in the "lion's den" awaiting interrogation. In a few cases the prisoner was held in the "lion's den" for a couple of days and then freed. The vast majority headed for the "operating rooms" for their first torture session. The most popular torture method was the "machine" or electric prod . The prisoner was made to lie down on a metallic board (the "grill") and electric shocks were applied with a metallic prod all over his body 6 8 . The "submarine" was also widely used. There were two varieties. The "dry submarine" involved covering the victim's head with a polyethylene bag until h e / s h e suffocated. The "wet submarine" achieved the same purpose when the victim's head was submerged in a pail of water sometimes mixed with vomit and/or excrement. The "airplane", the "burial" and the "corkscrew" were less common. The "airplane" involved tying the prisoner's hands and feet together behind his/her back. Sometimes the prisoner was then suspended from a metal bar 69 . Victims were "buried" up to their neck in the ground in a vertical position. the anus 70In. the case of the "corkscrew" the victim was eviscerated through

66 This section is based on information provided by Paoletti 1987; Simpson/Bennett 1985, Comisión Nacional sobre la Desaparición de Personas 1985a; Verbitsky (ed.) 1985; Author Unknown, El Libro del Juicio 1985; Bonasso 1984; Méndez 1985. 67 The electric prod is in fact an Argentine invention. Originally used in slaughterhouses to force cattle to move in a desired direction and still used today by jockeys who do not want to resort to doping, the electric prod was first used for political purposes in Argentina in the 1930s. Its main advantage is that used profficiently it will leave no scars. Verbitsky 1985: pp. 27-28. 68 Sometimes the electric prod was applied while the victim was being beaten with rubber truncheons. There are also references to the "double electric prod" with two electrodes and the "automatic electric prod" which shocked the victim every three or four seconds and allowed the torturers to leave the victim alone in the interrogation room. Paoletti 1987: p. 69; Author Unknown, El libro del Juicio 1985: p. 64. 69 Descriptions of the "airplane" are not very clear but the method seems very similar to the "parrot's perch" used in Brazil. See Paoletti 1987: p. 31; Author Unknown, El Libro del Juicio 1985: p. 194; and Author Unknown, "Pau de Arara" 1972. 70 For a description of the "corkscrew" and other methods so abhorrent I have decided to omit them see Bonasso 1984: p. 121; Paoletti 1987: p. 73; Verbitsky (ed.) 1985: p. 28; Méndez 1985: pp. 148-149.

60

After torture the prisoners were moved to the cells, appropiately called "kennels". Still chained and "partitioned", they lived in the most appalling conditions. Aside from subsequent torture sessions, beatings and sexual abuse were de rigueur. Prisoners made to join the "Council" enjoyed certain advantages: they dispensed with chains and "partitions", they were allowed to bathe more frequently and they were not confined to their cells. Two types of prisoners formed the "Council": those in charge of activities related to the upkeep of the camp such as cleaning and cooking, and those who agreed to collaborate with the repressive apparatus. Such collaborators "went boating", driving around with their captors in order to pinpoint former political associates in guerrilla groups or in student or labour organizations 71

who were then seized. They also participated in torture sessions . The time the prisoners spent in the camps ranged from weeks to years. Their departure took place in one of three different manners. The prisoners could be placed "at the disposal of the National Executive Power". This was a mixed blessing since, although prisoners were sent to a "legal" jail, they might remain there for years without formal charges being brought against them. Also, even though "legalization" was supposed to be a first step towards freedom, 177 of the 5.182 persons placed at the disposal of the National Executive Power disappeared after the courts had ordered their release 7 2 . Prisoners were also directly released from the clandestine detention centres. This was done in a gradual way. The prisoner was first allowed to contact his/her family by telephone. This would be followed by visits to the family in the company of his/her captors. Subsequently weekend furloughs would be granted. Finally the prisoner was set free but was subject to "controls". This meant contacting his/her captors weekly, then fortnightly and then monthly 73 . Finally prisoners were "transferred", that is to say eliminated. Sometimes communiques were sent to the press stating that prisoners had been killed

71 Some collaborators ended up as permanent employees of the intelligence services. For a frightening description of the complete conversion of former guerrillas see Méndez 1985: passim, and Bonasso 1984: passim. 72 Comisión Nacional sobre la Desaparición de Personas 1985a: pp. 408-416. 73 Comisión Nacional sobre la Desaparición de Personas 1985a: pp. 77-78; Gasparini 1988: p. 108; Méndez 1987: pp. 201-210, 227-231; Author Unknown, El Libro del Juicio 1985: pp. 75-76, 131.156. 61

while attempting to escape 74 . Guerrillas supposed to have died in battles in which the security forces surprisingly suffered no casualties were seen at 7c

different clandestine detention centres before being summarily shot . Other "transfer" methods involved dropping drugged prisoners from a plane into the sea, incineration, and collective burials . The clandestine detention centre at the ESMA deserves separate mention. It was there that the first "rehabilitation process" was launched in mid 1977 77 . Originally conceived by Captain Jorge Acosta, intelligence chief for the G T 3.3.2., the "rehabiltation process" involved the use of prisoner intellectual manpower in the service of Admiral Massera's political ambitions. Prisoners in the "Staff and the "Ministaff worked in a special area on the camp known as the "Fishbowl". "Minstaff' members collaborated in the repressive activities of the G T 3.3.2. Work in the "Staff' involved translating foreign publications, organizing a library, classifying and filing foreign press releases and writing monographs on geopolitical issues 78 . "Staff and "Ministaff' members had one thing in common: they were all prominent 70

former Montoneros whom Massera called his "left-wing advisors' . When Admiral Lambruschini replaced Massera as the Navy's Commander in Chief in 1978, the "Staff continued to work for the latter both at the "Fishbowl" and at Massera's office in downtown Buenos Aires. And even though "rehabilitation" was not a policy that the Navy as a whole or the other two services approved of General Galtieri embarked on a similar experiment in 1977-1978 during his stint as Commander of the Second Army 74 The application of the "escape law" was widespread. For a few examples see Verbitsky (ed.) 1985: pp. 41, 48, 55-56, 81. 75 Paoletti 1987: p. 96; Comisión Nacional sobre la Desaparición de Personas 1985a: p. 69. 76 Ibid.: pp. 235-246. 77 On the rehabilitation process at the ESMA see Gasparini 1988: pp. 106-109; Bonasso 1984: pp. 94-97, 287-289, 298-300; Méndez 1985: ch. 10; Simpson/Bennet 1985: pp.290-297; Comisión Nacional sobre la Desaparición de Personas 1985a: pp. 134-135. 78 The work of the twenty or so members of the "Staff' could best be described as slave labour. "Staff' members were even resposible for the drafting of a monograph on the history of the Peruvian army which enabled Captain Acosta's brother, an Army major, to pass his War College exam. See Paoletti 1987: p.175; Bonasso 1984: p.353. 79 Bonasso 1984: p. 289. It is impossible to generalize on the motivations of "Staff' members. But it was clear to them that Massera wanted to become "a new Perón" and their advice appears to have been sound. They forged a new public image for the admiral emphasizing civilian sports clothes and a discourse which stressed social issues. Massera, on the other hand, seems to have believed their support was genuine. According to Bonasso 1984: p. 322, the admiral discussed the issue with Panama's strongman Omar Torrijos. Torrijos' response was "Don't be an idiot, Emilio. They tell you they support you in order to survive".

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Corps. Based at the Quinta de Funes, a weekend house in suburban Rosario city, Galtieri's project was geared towards "Operation Mexico": the assassination of members of the Montonero National Leadership living in Mexico City by a commando group composed of Army officers and Montonero turncoats. As soon as the group arrived in Mexico City Montonero Tulio Valenzuela defected and held a press conference. The plan collapsed and the Quinta de Funes experiment was terminated 80 . It is very difficult to provide figures for an estimate of the personnel involved in illegal repression. The National Commission on the Disappearance of Persons, which should be considered the most authoritative source, stated that "conscripts were barred from the activity of the C.C.D. An exception would be the centres in Formosa and the El Palomar Air Force Base, where some of them were forced to participate in the camp's functioning. Nor did the totality of military or security forces personnel participate. The idea was to keep the C.C.D.s isolated, as a secret structure" 81 . In a similar vein, another source estimates that "more than thousand men, all told, took part in the business of interrogating, torturing and murdering" 82 . The Argentine security apparatus involves 80.000 Army, 30.000 Navy, Q-l

18.000 Air Force and 35.000 Federal Police personnel . As was stated earlier, each had its own Grupo de Tareas. To my knowledge, the only published estimate involves the Navy, whose GT 3.3. strength was estimated at 314 men 84 , or roughly 1,05% of all naval forces. If we assume that 1,05% of a service was recruited for its Grupo de Tareas, figures for the Army, the Air Force and the Police would be 840, 189 and 367 respectively, bringing

80 On the Quinta de Funes and Operation Mexico see Paoletti 1987: p. 173 n. 14; and Bonasso 1984: pp. 123-129, 177-210. Paoletti, pp. 118-121 mentions another brief attempt at "rehabilitation" in 1977-1978 by General Ramón Camps, Chief of Buenos Aires Provincial Police, in the city of La Plata. 81 Comisión Nacional sobre la Desaparición de Personas 1985a: p. 65. The National Commission on the Disappearance of Persons was appointed by President Alfonsin in December 1983. Its final report was presented to the president nine months later and provided the basis for the historic "Junta's Trial" in 1985. Four Junta members were acquitted. General Videla and Admiral Massera received life sentences; and Brigadier Agosti, Admiral Lambruschini and General Viola were sentenced to 4, 8 and 17 years' imprisonment. 82 Simpson/Bennett 1985: p.103. 83 Estimates for the Army, Navy and Air Force provided in Verbitsky (ed.) 1985: p. 14. Police estimates provided by a former member interviewed in Buenos Aires on June 26 1987. 84 Verbitsky (ed.) 1985: p. 26.

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total membership in the GTs to 1.710. But GTs were only a part of the repressive apparatus. It was suggested to me that no more than 700 policemen, that is to say 2% of all Federal Police Forces, were involved in oc

the "dirty war" . Again assuming this to be the norm, figures for the Army, Navy and Air Force would be 1.600, 600 and 360, bringing total membership in the repressive apparatus to 3.260. The issue becomes more complicated when we look at the "Blood Pact" according to which officers were personally obligated to participate in the assassination of prisoners at clandestine detention centres. Such practice was initiated by General Luciano Menéndez as Commander of the Third Army Corps, though other jurisdictions eventually adopted it. The idea was to implicate all levels of the chain of command in illegal repression. There is disagreement on the scope of the "Blood Pact". Duhalde admits the GTs had their permanent personnel but states that all active duty officers in the three services were sent to the camps on a rotational basis Q/r and thus included in the pact . Paoletti limits the pact to the Army's officer on

corps . Finally, Fernández includes in the "Blood Pact" all officers in the Armed Forces and the Security Forces directly involved in the so-called 'dirty war', though "also participating in executions ... (were) officers circumstantially or transitorily assigned to the clandestine detention centres, to strengthen the compromise that this implies" 88 . What can be stated with confidence is that awareness must have extended beyond the military and security forces personnel directly involved in the "dirty war". As had been mentioned earlier, some C.C.D.s functioned inside military installations; and even police precincts and military barracks outside the system of terror must have understood what a request for "free area" entailed.

85 Estimate provided by a former GT 4 member interviewed in Buenos Aires on July 1 1987. 86 Duhalde 1983: p. 95. 87 Paoletti 1987: pp. 95, 210. On p. 211 Army Major Ernesto Barreiro is reported to have told a prisoner in late 1977 that "here the only clean ones will be the lieutenants graduating from the Military Academy next year". 88 Fernández 1983: p. 62. Emphasis mine.

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III. A Cursory Evaluation The legacy of the "dirty war" involves between eight and thirty thousand disappeared, including 147 children kidnapped with their parents or born in captivity and around 250 adolescents aged thirteen to eighteen 89 . There are also the psychological injuries suffered by the survivors of the C.C.D.s, by families who have been permanently bereaved, and by an entire society subjected to terror. It might still be too early to assess the extent of this damage, even though some work has already been done 9 0 . These are issues that deserve greater attention than this paper can afford them, which is why I propose to concentrate on an analysis of the notion of "dirty war". I will then speculate on some of the consequences the armed forces might have suffered as a result of waging such a "war". I will assume that the previous pages have amply demonstrated that it is meaningless to talk about human rights "abuses" or "excesses" since this would imply some sort of deviation from the norm, whereas the system implemented in 1976 involved a particular methodology applied on a national scale. It should be strongly emphasized that this was not the holy war it was made out to be. To begin with, top military figures had had no qualms about meeting with Montonero guerrillas when the Peronists were in power 91 . There are reports of a meeting in Paris on April 9 1978 between Admiral Massera and Montonero leaders. Acting on behalf of the ruling Junta, Massera allegedly gave the guerrillas one million dollars in exchange for a compromise that they would not stage operations while the World Cup was

89 Comisión Nacional sobre la Desaparición de Personas 1985a: pp. 299, 324. 90 See Asamblea Permanente por los Derechos Humanos, 1982; Centro de Estudios Legales y Sociales 1982; Gabetta 1984, particularly ch. 1; Amnesty International 1981: ch. 9; and "Dirty war: assessing psychic damage", Buenos Aires Herald, March 26 1987, p. 9. 91 Bonasso 1984: p.96; Gasparini 1988: p.144. It is public knowledge that both authors are former Montoneros. Evidence of periodic meetings between military and guerrilla leaders was also provided to me by a former Montonero officer interviewed in Buenos Aires on December 5 1986.

65

b e i n g h e l d in A r g e n t i n a 9 2 . Finally t h e r e is t h e rather sordid i s s u e o f t h e Q-l r o m a n c e s b e t w e e n t h e torturers and t h e tortured Repression

also

proved

to be

a profitable

. enterprise.

There

were

e c o n o m i c a d v a n t a g e s to b e d e r i v e d f r o m t h e n o r m a l f u n c t i o n i n g o f t h e r e p r e s s i v e a p p a r a t u s in t h e f o r m of t h e "war booty". T h i s t e r m w a s u s e d t o d e n o t e t h e c u s t o m a r y p r a c t i c e of stripping a n a p p a r t m e n t b a r e a f t e r its o c c u p a n t s h a d b e e n k i d n a p p e d 9 4 a n d t h e s a l e o f c h i l d r e n b o r n in c a p t i v i t y 9 5 . In t h e c a s e o f t h e war b o o t y political c o n s i d e r a t i o n s c a m e first a n d profit w a s only

of

marginal

importance,

even

though

it

provided

an

incentive.

E v e n t u a l l y , h o w e v e r , profit c a m e to m o t i v a t e r e p r e s s i o n . T h e r e are w e l l d o c u m e n t e d c a s e s such as that o f M a j o r A d o l f o V a l i s , m a n a g e r o f t h e L a Cantábrica company, w h o was assassinated because he was about to expose irregularities in t h e firm's t a k e o v e r by a g r o u p a s s o c i a t e d w i t h the E c o n o m y Minister, D r . M a r t í n e z d e H o z 9 6 . E v e n if o n e w e r e to a g r e e with t h e n e c e s s i t y o f a "dirty war", it b e c o m e s i m p o s s i b l e to justify t h e h a p h a z a r d way in w h i c h it w a s c o n d u c t e d .

It

b e c o m e s difficult to r a t i o n a l i z e why, if the "gang" arrived to s e i z e t h e p a r e n t s and did not find t h e m at h o m e , it w o u l d "suck" t h e c h i l d r e n i n s t e a d , or

92 "L'Amiral Massera rencontre à Paris des dirigéants peronistes de gauche", Le Monde, April 11 1978, p. 5; "La gorra del policía Fernández hizo tambalear la gorra del almirante Massera", La Semana VI:350, August 25 1983, pp. 6-13; "Los Holmberg no se rinden", Somos, 8:393, March 30 1984, pp. 60-63: "La conexión Massera-Montoneros", Testigo, 1:11, March 14 1984, pp. 4-10. A different version is provided by Paoletti 1987: pp. 153-154. There have also been allegations that Mario Firmenich has been an agent of the intelligence services for some time: "Polémica en torno a Firmenich", Página 12, February 28 1989, p. 2; Martin Andersen, "Nuevas preguntas sobre Firmenich", Página 12, March 3 1989, pp. 6-7; Martin Edwin Andersen, "Dirty secrets of the 'Dirty War", The Nation, March 13 1989, pp. 339-342; "El enigma Aramburu", Somos, 8:401, May 25 1984, pp. 1417; Gasparini 1988: p. 89; Méndez 1987. 93 These stories sometimes acquired fantastic overtones, as when Rear-Admiral Chamorro, former head of the ESMA, was sent to South Africa as naval attache and it became known that he had travelled there with his lover, former Montonera Marta Bazán. They had met at the ESMA's "Fishbowl". Bonasso 1984: pp.244, 298, 402; Author Unknown, El Libro del Juicio 1985: p. 201; "Como Dirk Bogarde en 'Portero de noche' el capitán (sic) Chamorro se enamoró de una de sus prisioneras", Libre, 1:4, February 7 1984, pp. 14-17. 94 Duhalde 1983: pp.107-113; Comisión Nacional sobre la Desaparición de Personas 1985a: pp. 22-23, 281-292; Verbitsky (ed.) 1985: pp. 61-62; Author Unknown, El Libro del Juicio, 1985: pp. 135-183. 95 Simpson/Bennett 1985: pp. 109-110. 96 Verbitsky (ed.) 1985: pp. 43-80. Other examples are provided on pp. 84, 111-112, and also by Paoletti 1987: pp. 75, 169 n. 7; Simpson/Bennett 1985: p. 297; Bonasso 1984: p. 403. Juvenal (1987) describes how such activities were carried out well into the Alfonsin administration. 66

viceversa; or why, when several memers of a family were seized, some were 07

killed and others were freed . It also becomes difficult to explain why some Montoneros with important connections were able to survive while others in the same situation were not 98 . In fact since this was supposed to be a "holy war", it becomes impossible to justify the mere existence of "first and second class" Montoneros. From the viewpoint of military efficiency, repression must be criticized as inordinately expensive. "Operation Mexico" was not an isolated event. Similar attempts were made in Madrid, Rio de Janeiro and Rome. Again assuming one agreed with the principles of the "dirty war" it becomes difficult to rationalize these expenses. The same could be said about the "Pilot Centres" in Paris and Madrid. Originally established to counter the "anti-Argentine human rights campaign" with "adequate information", these centres became nothing more than excuses for officers' paid holidays". The state's largesse even extended to the prisoners at the ESMA's "Fishbowl" who were taken to a weekend house outside Buenos Aires during their "rehabilitation"100. All of the above leads to one inevitable conclusion: This was not, as the military argued, a "dirty war" because "those who made it dirty were the subversives: They chose the forms of struggle and determined our actions"101. In fact, this "war" was "dirty" because it was conducted in a manner contrary

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On the random way in which repression was carried out, see for example Simpson/Bennett 1985: pp. 92-103; and Author Unknown, El Libro del Juicio 1985: pp. 83-92, 123146. A certain degree of random violence is of course vital to the implementation of a system of terror. But since the literature reveals haphazard violence was widespread, one can object to it from the point of view of an adequate military planning and utilisation of resources. General Numa Laplane, for example, rescued his son and daughter-in-law from the ESMA and sent them off to Europe. Brigadier Landaburu unsuccessfully attempted to do the same with his daughter. Admiral Massera's niece was spared while General Labayru's daughter became a "boater" at the ESMA. There are also stories about prisoner swaps involving complex negotiations. See Gasparini 1988: pp. 83,109; Bonasso 1984: pp. 10, 300; Méndez 1985: p. 167 n. 19; Verbitsky (ed.) 1985: p. 33; Paoletti 1987: p. 222 mentions that ransoms were also paid in return for "legalization". The Pilot Centre in Paris is reported to have cost US$ 5.000 a month. See "La conexión Massera-Montoneros", p. 8; Paoletti 1987: p. 165, 173 n. 15; Comisión Nacional sobre la Desaparición de Personas 1985a: pp. 142-143. On assassinations attempts abroad see Bonasso 1984: p. 10, 300. Verbitsky ((ed.) 1985) states that in 1976 repression cost three million dollars per day and "each dead guerrilla costs one million dollars". Centro de Estudios Legales y Sociales 1984: p. 5. "Palabra por palabra todo lo que dijo Camps", p. 10.

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to the principles that the military claimed were animating it, and became an unending stream of corruption. But was it a "war"? Contrary to general wisdom, I would argue the guerrillas were not in retreat by the time of the 1976 coup. In 1975 they had staged 723 operations 1 0 2 . This was also the year in which the Montoneros netted sixty million dollars for the kidnapping of the brothers Juan and Jorge Born, the highest ransom ever paid for a political kidnapping. But it is true that guerrilla operations during 1975, increasingly directed against military installations, resulted in heavy losses for the insurgents and in their gradual isolation. By the time of the coup the guerrillas had suffered a political, not a military defeat. This could have been exploited by the military through an active propaganda campaign aimed at the general population and through infiltration of the guerrilla movement, thus making "dirty war" unnecessary. This issue could be approached from another angle, namely by asking the question: against whom was the "dirty war" directed? It is interesting to observe that 30,2% of disappeared persons are classified as "workers" 103 . This in no way represents the social composition of guerrilla groups 1 0 4 . The Argentine military and security forces euphemistically refer to torture as "strategic interrogation". There is an obsession with "knowing where the bomb is and defusing it" and "saving lives" 105 . And yet 62% of all disappeared persons were seized at their homes, in full view of their neighbours 1 0 6 and clearly unable to provide any information on bombs about to explode. The "war" was directed not against the guerrillas but against society at large. The guerrillas did their utmost to provoke this reaction. As an officer

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The figure is based on information reported in the Buenos Aires daily papers during 1975: One analysis which seems to agree with my estimate of guerrilla capabilities in early 1976 is Peter Waldmann "Anomia Social y Violencia" in Rouquié (ed.) 1982: pp. 206-248, 211-213. Comisión Nacional sobre la Desaparición de Personas 1985a: p. 298. My study of information on captured and fallen guerrillas reported by the Buenos Aires dailies for the period 1969-79 reveals a 3% working class membership. Unfortunately, until 1976, 30-50% of all captured or fallen guerrillas are mentioned while their occupations are not, which is why 3% is a deceptive figure. My interviews with former guerrillas lead me to believe 10-15% would be a more appropiate figure. See also Gillespie 1982: pp. 387-447; and "El Calerazo y las guerrillas", Confirmado, VI:264, July 8 1970, pp. 16-17. This is an impressionistic observation derived from the interviews mentioned in earlier footnotes. See also Bonasso 1984: p. 57; "Palabra por palabra todo lo que dijo Camps"; "Una crónica ilustrativa"; Méndez 1985: ch. 9-10. Comisión Nacional sobre la Desaparición de Personas 1985a: p. 17.

explained to his Montonero prisoner at the Quinta de Funes, "If you attempt to deprive me of my professional role ... I have to kill you. An army in operations is an overwhelming machine. You underestimated it. You made a mistake, nobody can destroy the Army"107. But the guerrillas' behaviour alone cannot account for the ferocity unleashed in 1976. A glaring explanation is provided if one looks at the "tree of subversion", a graph used by instructors at the Air Force Academy 108 . The tree has three roots, Marxism, Zionism and Freemasonry: and it branches off into, among others, varieties of communist and socialist parties, guerrilla organizations, varieties of liberal democracy, progressive Catholicism, Protestantism, the media and all artistic manifestations. Even the Rotary Club and the Women's Movement are included. The roots of Argentine subversion (and its ramifications) were to be found not in the guerrilla movement but in 1 no society . The "dirty war" was waged as a reaction to the levels of politicization and mobilization displayed by Argentine society in the 1973-76 period. The slums dwellers' movement, the Agrarian Leagues, the student organizations, and the left-wing unions constituted the "bomb" that the top brass wanted to defuse. The gears in that "overwhelming machine" were the junior officers imbued with messianic ideas 110 . The armed forces have paid a high price for the "dirty war". To begin with, there is the complete distorsion of the values that constitute the military ethos. The self-appointed "moral reserves of the nation" became ridden with corruption. No military institution could emerge unscathed when the implicit message sent down the chain of command is "go, kidnap and torture, and we will overlook the looting"; or when the senior officers move from denying human rights being violated 111 to invoking a pedigree which involves Hiroshima and Nagasaki, the French in Algeria and Nazi war crimes 112 . 107 108 109 110

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Bonasso 1984: p. 148. The tree is described in Simpson/Bennett 1985: pp. 225, 263. On this see O'Donnell 1984. The military have staged three rebellions since April 1987 in an attempt to put an end to the trials of officers implicated in illegal repression and to obtain an official vindication of the "dirty war". The fact that these rebels are mostly junior officers who were cadets while the "war" was being waged testifies to the power of the world view imparted at the service academies. See "Videla: no existen presos políticos ni campos de concentración", La Razón, May 19 1978, p. 1. See "Una crónica ilustrativa"; Giussani 1986: p. 97.

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There is also the damage to military professionalism, as evidenced by the war with Britain in 1982. That the Argentine invasion of the Malvinas/Falklands was a mistake and that an army of eighteen year old conscripts never stood a chance against a NATO-trained enemy is besides the point. The fact is that Captain Alfredo Astiz who displayed such prowess when it came to throwing two French nuns into the sea after torturing them surrendered to the British in South Georgias without even attempting to fight; and that the only airplane developped by the Argentine Air Force, the Pucara, was designed with a rural anti-guerrilla war in mind and is totally unfit for conventional warfare. One of the tragic ironies of the "dirty war" is that the victims and the victimizers might have ended up sharing the same problems: one can only speculate about the psychological traumas that some of these men, turned into professional torturers for years, could be suffering from. If this is the case, the armed forces have so far been quite adept at keeping the problem hidden. But it is known that already in late 1976 some sixty officers from the ESMA G T were brought before a Medical Board because of their behaviour. Eight of those men were immediatly discharged when it became known that ill

they had started physically abusing their wives and children . Captain Ernesto Facundo Urien understands better than most what selfinflicted price the armed forces are paying for their dirty war. Discharged from the Army in 1980 because he was opposed to illegal repression, Captain Urien was called as a witness for the prosecution during the Junta's trial in 1985. While most of the accused wore civilian clothes, Urien chose to appear in uniform. The symbolism of this gesture was obvious. Since the trial, Urien has unsuccessfully tried to be re-admitted into active service. There is no place for him in the Army, for the vindication of the "dirty war" continues to be a rallying point for the military. Unless this changes, Captain Urien's career prospects are grim. So is the future of Argentine democracy.

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Verbitsky (ed.) 1985: p. 35. See also Fanon 1974: ch. 5.

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73

Staatsterrorismus in Chile Detlef Nolle

Am 11. September 1973 stürzte das chilenische Militär in einem blutigen Putsch die sozialistische Regierung der Unidad Populär. Präsident Allende fand in den T r ü m m e r n des Regierungssitzes den Tod. Trotz der langen demokratischen Tradition Chiles, und obgleich die wichtigsten politischen Kräfte der Zeit vor 1973 in Opposition zum Regime standen, hielten sich die Militärs 16 Jahre an der Macht. Zur Kontrolle und Unterdrückung der Opposition hat sich das Militärregime legaler und illegaler Mittel bedient. Vor allem die illegale bzw. extralegale Repression, die im autoritären Chile betrieben wurde, hat internationales Aufsehen erregt. So gehört Chile zu den lateinamerikanischen Ländern, deren Machthabern politisch begründeter Massenmord an Anhängern der vorherigen Regierung und staatsterroristische Praktiken vorgeworfen werden 1 .

I.

Quantitative und qualitative Aspekte staatlicher Repression in Chile 1973-1978

1.

Opfer und Formen der Repression

a.

Die Hauptphase der Repression

Es ist heute nicht mehr möglich, die genaue Zahl der Opfer staatlicher Repression und staatlichen Terrors in Chile festzustellen. Während seit der Mitte der 70er Jahre Opfer und Formen staatlicher Unterdrückungsmaßnahmen von den chilenischen Menschenrechtsorganisationen umfassend erfaßt und dokumentiert werden, sind die Informationen für die Wochen und Monate unmittelbar nach dem Putsch lückenhaft und widersprüchlich. Nach Angaben der chilenischen Regierung waren bis Anfang 1976 insgesamt

1

H a r f f / G u r r 1988.

75

42.486 Verhaftungen vorgenommen worden, chilenische MenschenrechtsOrganisationen gehen allerdings von mindestens der doppelten Zahl aus . Noch schwieriger gestaltet sich eine genaue Bestimmung der Zahl der Todesopfer, die die chilenische Konterrevolution forderte. Um dem Leser eine eigene Einschätzung zu erleichtern, werden nachfolgend verschiedene Angaben gegenübergestellt: CIA-Direktor Colby sprach im Oktober 1973 in einer Anhörung im amerikanischen Kongreß von 2.000 bis 3.000 Toten. Im September 1974 nannte Amnesty International in einem Bericht über Chile eine Spannbreite von 5.000-30.000 Toten. Dinges/Landau berufen sich auf Informationen der amerikanischen Botschaft in Santiago und des amerikanischen Geheimdienstes, wonach während des Putsches und in der Folgezeit ca. 5.000 Menschen ums Leben kamen. 1984 wird in einem unveröffentlichten Bericht der Vicaría de la Solidaridad ein Schätzwert von 1.200 Toten für die Jahre 1973 bis 1975 genannt. Dazu kommen ca. 600 für diesen Zeitraum registrierte "Verschwundene" (siehe Tab. 1). In einem Sonderbericht zu Chile nennt Amnesty International im Jahre 1986 eine dokumentierte Zahl von mindestens 1.000 Hingerichteten und mindestens 700 "Verschwundenen" für die Jahre 1973-19773. Die Agrupación de Familiares de Ejecutados soll ca. 2.500 Fälle von Hinrichtungen dokumentiert haben 4 . Die Interamerikanische Menschenrechtskommission zitiert rückblickend erste eigene Schätzungen aus dem Jahre 1974. Demnach kamen in den Tagen nach dem Putsch ca. 1.500 Personen (darunter 80 Angehörige der Streitkräfte) ums Leben. Ungefähr 220 Personen sollen nach konservativen Schätzungen ohne Militärgerichtsverfahren hingerichtet worden sein 5 . Weitere Funktionäre der Unidad Popular wurden nach Militärgerichtsverfahren standrechtlich erschossen. In den ersten Monaten nach dem Putsch wurden außerdem häufig Gefangene "auf der Flucht erschossen". Zudem wurden einige Fälle von Massenexekutionen (vor allem von gewerkschaftlich aktiven Land- und Industriearbeitern)

2

3 4

5

76

Das Solidaritätsvikariat der Katholischen Kirche und seine Vorläuferorganisationen haben von 1973 bis 1984 in ca. 25.000 Fällen Rechtsbeistand geleistet (Inter-American Commission 1985: S.113). Zu den angegebenen Zahlen siehe Schoultz 1981: S.12; Dinges/Landau 1980: S.71; Amnesty International 1986: S.52. APSI259,1988: S.16f. In einem Brief der Agrupación de Familiares de Ejecutados Políticos an den Papst von November 1986 ist eine vorläufige Liste mit 91 Namen von im Estadio Nacional und im Estadio de Chile nach dem Putsch hingerichteten Gefangenen enthalten (abgedruckt in: Servicio de Información Confidencial 106 (1986), S. C 3). Insgesamt 72 Personen wurden nach der Reise einer Militärkommission in den Norden Chiles im Oktober 1973 ohne Gerichtsverfahren erschossen.

bekannt, bei denen Angehörige der Sicherheitsorgane aktiv von Großgrundbesitzern und Unternehmern unterstützt wurden6. Nimmt man eine kritische Auswertung der Quellen vor, so scheint eine Zahl von mindestens 1.800 Toten für die Hauptphase der Repression 19731976 dokumentiert. Die Dunkelziffer ist unbekannt. Schätzwerte, die über 5.000 Tote (einschließlich der "Verschwundenen"; siehe Anmerkung 8) hinausreichen, sollten allerdings, solange nicht mehr Beweismaterial vorgelegt wird, mit größter Skepsis betrachtet werden. Die besondere Aufmerksamkeit der internationalen Öffentlichkeit und der Menschenrechtsorganisationen7 erregte nicht nur mit Blick auf Chile die Politik des "Verschwindenlassens" von Gefangenen durch staatliche oder parastaatliche Repressionsorgane. Die genaue Zahl der "Verschwundenen" in Chile zu bestimmen, stößt auf Schwierigkeiten, da gerade in ländlichen Gebieten aus Furcht vor Repressalien oder aus mangelnder Kenntnis von Stellen, an die man sich wenden konnte, häufig keine Meldung gemacht wurde8. Nach Angaben der Vicaría de la Solidaridad sind für den Zeitraum 1973-1987 insgesamt 734 Fälle des "Verschwindenlassens" von Personen dokumentiert9; in 52 dieser Fälle ist das Schicksal der Opfer bereits aufgeklärt worden10. Nach 1977 gab es nur noch vereinzelte Fälle, in denen politische Gegner auf diese Weise aus dem Wege geräumt wurden; zuletzt im September 1987, als fünf Aktivisten der Kommunistischen Partei "verschwanden".

6 7 8

Inter-American Commission 1985: S.55. Vgl. Amnesty International 1982. Inter-American Commission 1985: S. 73. Es gibt Schätzwerte, z.B. der chilenischen Menschenrechtskommission und der Agrupación de Familiares de Detenidos - Desaparecidos, die sich zwischen 1.200 und 2.500 Fällen bewegen (Browne 1985: S. 54, 249 Anm.12; Qué Pasa, 30.4. - 6.5. 1987, S.3; APSI 259, 4.-10.7.1988, S. 16). 9 Die chilenische Menschenrechtskommission nennt für den gleichen Zeitraum 743 "Verschwundene" (CCHDH 1987c: S.8) und die Agrupación de Detenidos-Desaparecidos in einem Brief an den Innenminister vom 16. Mai 1986 758 Fälle. Beide Quellen schließen die in Argentinien während des "schmutzigen" Krieges verschwundenen Chilenen mit ein. Das Solidaritätsvikariat hat 119 derartige Fälle registriert (Qué Pasa 926, 5.-11.1. 1989, S.36), die in Tabelle 1 nicht enthalten sind. In den anderen Quellen werden gewöhnlich niedrigere Zahlen für die in Argentinien vermißten Chilenen - weniger als 50 Personen genannt. 10 Bekannt geworden sind die Fälle von Lonquén, Mulchen und Yumbel, wo in den Jahren 1979 und 1980 Massengräber mit 52 Leichen von im Jahre 1973 von Carabineros und Militärs erschossenen Arbeitern gefunden wurden.

77

Tabelle 1: "Verschwundene" in Chile 1973-1987 1973

309 (davon sind 5 2 Fälle aufgeklärt)

1974

222

1975

75

1976

109

1977

12

1978 1984

1 1

1987

5

insgesamt davon

734 52 aufgeklärte Fälle 682 unaufgeklärte Fälle

Quelle:

Solidaritätsvikariat der katholischen Kirche; die D a t e n sind abgedruckt in:

Q u é Pasa, No.926, 5.-11.1.1989, S.36.

Es ist heute vermutlich nicht mehr zu ermitteln, wie viele der "Verschwundenen" unter der Folter starben und wie viele bewußt liquidiert wurden. Zu den Hinrichtungsmethoden gehörte der Abwurf der betäubten Opfer aus Hubschraubern über dem offenen Meer 11 . Bei der Politik des "Verschwindenlassens" zeigt sich ein klares Muster: von Mai bis Februar 1975 waren die "Verschwundenen" in ihrer Mehrzahl Angehörige des linksrevolutionären MIR (= Movimiento de Izquierda Revolucionario), ab Oktober 1975 bis zum Jahresende 1976 waren die Mitglieder der Kommunistischen Partei die Hauptopfer dieser Form der Repression (vgl. die in Hoy No. 449 (1986) abgedruckte Liste der Verschwundenen, mit Festnahmedatum und Parteizugehörigkeit). Von 222 "Verschwundenen" des Jahres 1974 waren 128 Mitglieder des MIR; von 109 im Jahre 1976 "Verschwundenen" waren 78 17 Kommunisten . Im Jahre 1976 wurde zweimal die Inlandsführung der KP

11 Vgl. Inter-American Commission 1985: S.76; Valenzuela 1985: S.42; Figueroa 1986: S.17. 12 Inter-American Commission 1985: S.74,315 Anm.49. Gleichfalls auf den Informationen des Solidaritätsvikariats basierende Berechnungen von Huneeus (1988: S.186) zeigen, daß nahezu die Hälfte aller "Verschwundenen" der KP und dem MIR angehörten, möglicherweise sogar mehr; bei 30% der "Verschwundenen" war nachträglich keine Parteizugehörigkeit feststellbar.

78

zerschlagen, d.h. die Parteifunktionäre "verschwanden". Einer der damals Überlebenden wurde im März 1985 ermordet. Viele Chilenen entzogen sich der Verfolgung durch die Flucht ins Ausland (bzw. zunächst in ausländische Botschaften), andere zogen das Zwangsexil einer Gefängnisstrafe vor. Schätzungen gehen von ca. 20.000 Chilenen aus, die in den beiden ersten Jahren nach dem Putsch das Land aus Angst vor politischer Verfolgung verließen 1 3 . b. Die Phase der Institutionalisierung des Regimes und des Widererstarkens der Opposition Während es 1973-1976 vor allem um die Niederwerfung und Ausmerzung jeglichen Widerstands gegen das Militärregime ging, gab es Ende der 70er Jahre verschiedene Bestrebungen, die Herrschaft Pinochets institutionell abzusichern und ihr eine größere formale Legitimität zu verleihen. Diese Bestrebungen mündeten schließlich in der in einem fragwürdigen Plebiszit im September 1980 angenommenen Verfassung, mit der einerseits ab 1990 eine eingeschränkte "Demokratie" eingeführt und andererseits die Machtposition Pinochets bis Ende der 80er Jahre zementiert werden sollte. Danach wollte Pinochet in einer weiteren Volksbefragung seine Herrschaft um noch einmal 8 Jahre verlängern lassen. Die Opposition war zu diesem Zeitpunkt durch die vorausgegangene Repression sowie innere Querelen geschwächt und nur begrenzt in der Lage, den Plänen Pinochets Widerstand entgegenzusetzen. Erst nach dem wirtschaftlichen Einbruch der Jahre 1982/1983 - damals war ein Rückgang des BIP um 15% und ein Anstieg der Arbeitslosenquote auf über 30% zu verzeichnen - erstarkte die Opposition gegen das PinochetRegime und versuchte, durch eine breite politische Mobilisierung und Akte zivilen Ungehorsams das Regime zum Abdanken zu zwingen 14 . Pinochet und seine Anhänger waren bemüht, den Institutionalisierungsprozeß abzusichern und den politischen Protest niederzuhalten. Dabei bediente sich das Regime

13 Inter-American Commission 1985: S. 133. Das Comité Intergubernamental de Migraciones (CIM) hat zwischen Oktober 1973 und Mai 1979 19.200 Personen bei der Ausreise geholfen (Qué Pasa 824,22.-28.1.1987, S.37). Das UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge registrierte insgesamt 30.000 Exilierte (Angell/Carstairs 1987: S.150), die Menschenrechtskommission 37.000 (Brown 1985: S.54, 249 A n m . l l ) . 14 Zur politischen Entwicklung während der 80er Jahre siehe Krumwiede/Nolte 1988.

79

sowohl legaler als auch illegaler Mittel, insgesamt blieb das A u s m a ß der Repression deutlich hinter j e n e m in der Anfangsphase der Militärherrschaft zurück. Auch die F o r m e n der Repression änderten sich. So "verschwanden" während der 80er J a h r e nur noch 6 Personen. Die chilenischen Sicherheitskräfte praktizierten stattdessen nach Aussagen von Menschenrechtsorganisationen eine Politik der Liquidierung von Regimegegnern "bei bewaffneten Auseinandersetzungen". Nach Angaben der chilenischen Menschenrechtskommission sollen zwischen 1980 und O k t o b e r 1988 94 Personen in gestellten "Gefechten" ihr Leben verloren haben 1 5 . Die Gesamtzahl der Opfer politischer Gewalt in der Spätphase des Militärregimes variiert in Abhängigkeit vom Definitionskriterium und der Berücksichtigung von O p f e r n unter den Sicherheitskräften. Das Solidaritätsvikariat kommt für den Z e i t r a u m 1980 bis zum August 1988 auf eine Gesamtzahl von 415 O p f e r n politischer Gewaltakte (siehe Tab.2) 1 6 . Tabelle 2: Opfer politischer Gewaltakte 1980

12

1981

23

1982

5

1983

81

1984

85

1985

72

1986

65

1987

51

1988*

21

* Januar - August Quelle: D a t e n des Solidaritätsvikariats der katholischen Kirche; abgedruckt in: Q u é Pasa, N o . 926, 5.-11.1.1989, S.36.

Die Folterung politischer G e g n e r blieb auch während der 80er Jahre ein verbreitetes P h ä n o m e n . Nachfolgend wird die Zahl der Folterungen

15 CCHDH 1987b: S.44; 1987c: S . l l ; 1988a: S.10. 16 Die chilenische Menschenrechtskommission kommt für den Zeitraum vom 11. März 1981 bis zum Oktober 1988 auf eine Zahl von 426 Toten (CCHDH 1987a; 1988a).

80

wiedergegeben, die das Solidaritätsvikariat Jahr für Jahr den Gerichten meldete. Für den Zeitraum von 1980, dem Jahr, in dem die geltende chilenische Verfassung in Kraft trat, bis zum August 1988 registrierte das Solidaritätsvikariat 669 Fälle von Folterungen. Diese Zahl kann als unterer Grenzwert angesehen werden. Viele Folteropfer verschwiegen vermutlich ihre Mißhandlung aus Angst vor Repressalien. Zum Vergleich werden deshalb daneben die höheren Schätzwerte der chilenischen Menschenrechtskommission abgedruckt. Tabelle 3: Fälle von Folterungen in Chile 1979-1988 Solidaritätsvikariat Menschenrechtskommission 1979 1980 1981 1982 1983 1984 1985 1986 1987 1988 a keine Angaben

143 91 68 57 77 100 84 132 105 46c b Jan.- Nov.

a a a 123 434 294 168 291b 123b 132 c Jan. - Aug.

Quelle: Inter-American Commission (1985: S.90); CCHDH (1987c: S.15; 1988a: S.10); Qué Pasa, No.926, 5. - 11.1.1989, S.36; Justicia y Pax (1989: S. 12a). Regierungsstellen und Gerichte haben nichts gegen die Folterpraxis unternommen. In keinem der 536 Fälle von Folterung, die das Solidaritätsvikariat zwischen 1979 und 1984 den Gerichten vortrug, wurden die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen 17 . Da es in Chile nach offizieller Leseart keine Folter gab, akzeptierten die Gerichte häufig die unter Folter erzwungenen Geständnisse von Angeklagten als Beweismittel, selbst wenn diese ihre Aussage vor Gericht widerriefen. Ebenfalls erzwungene schriftliche Erklärungen über eine gute Behandlung

17 Inter-American Commission 1985: S. 101.

81

wurden von den Richtern zur Zurückweisung von Foltervorwürfen benutzt. Wurden solche Vorwürfe in der Presse erhoben, so war nicht auszuschließen, daß Anklage wegen Verunglimpfung der Staatsgewalt erhoben wurde. Gegen den zunehmenden politischen Unmut seit Mai 1983, der sich in insgesamt 11 Protesttagen (bis November 1984) entlud, ging das Militärregime massiv und mit großer Brutalität vor. Häufig wurden Demonstranten, aber auch Unbeteiligte getötet. Nach Angaben der Interamerikanischen Menschenrechtskommission wurden während der 11 Protesttage 55 Personen von den Sicherheitskräften (Militär, Carabineros, Geheimpolizei) erschossen. Bei den Protesten vom 4. und 5. September 1985 kamen weitere 10 Personen ums Leben. Weltweites Aufsehen erregte 1986 der Fall der beiden Jugendlichen Rodrigo Rojas und Carmen Gloria Quintana, die während des Protestes vom 2. Juli von einer Militärpatrouille festgenommen, mit Benzin übergössen und angezündet wurden. Rodrigo erlag seinen Verletzungen, während Carmen Gloria mit schweren Verbrennungen - über 60% der Haut waren verbrannt - überlebte . Um weiteren Protestaktionen zuvorzukommen, wurden 1986 überdies massive Durchsuchungen in Elendsvierteln der Hauptstadt Santiago von der Polizei, der Geheimpolizei und dem Militär - letzteres in kriegsmäßiger Ausrüstung - durchgeführt. Die erwachsenen männlichen Bewohner dieser Viertel wurden häufig auf Sportplätzen zusammengepfercht, wo ihre Personalien oft mehrere Stunden lang überprüft wurden. So berichtete beispielweise das Solidaritätsvikariat über 1.322 Verhaftungen und 12.755 zwangsweise registrierte Personen bei Durchsuchungen in 38 Armensiedlungen zwischen April und Juli 1986 19 . Insgesamt verzeichnete die chilenische Menschenrechtskommission in den Jahren 1983 bis 1987 fast 100.000 Festnahmen aus politischen Gründen, davon ca. 40.000 bei Demonstrationen. Die Festgenommenen wurden in der Regel schnell wieder freigelassen. 1.155 Personen wurden nach Angaben der chilenischen Menschenrechtskommission zwischen 1981 und 1985 aufgrund präsidentieller Dekrete in abgelegene Landesteile verbannt .

18 Ebenda S.68; zum Fall der beiden "quemados" siehe Verdugo 1986. 19 Vicaría de la Solidaridad 1987: S. E 2. 20 C C H D H 1987a: S. D 4.

82

Laut dem Solidaritätsvikariat gab es 1984 267 und 1985 280 politische Gefangene 21 . Die Ereignisse des Jahres 1986 - der erneute Anstieg der Protestwelle und das Attentat auf Pinochet - führten zu einer deutlichen Zunahme der Zahl politischer Gefangener: 1986 waren es nach Angaben einer chilenischen Gefangenenhilfsorganisation 454, 1987 430 und 1988 436 99

(jeweils am Jahresende) . Die gestiegene Repression, mit der das Regime auf das Attentat gegen Pinochet im September 1986 antwortete, hatte eine Umorientierung der Opposition zur Folge. Anstatt Pinochets Sturz durch Protestmobilisierungen erzwingen zu wollen, bereitete sie sich schrittweise auf das nach der Verfassung vorgesehene Plebiszit über eine Verlängerung der Amtzeit Pinochets vor. Dieses wurde am 5. Oktober 1988 durchgeführt und endete mit der Niederlage des Generals 23 . Während andere Formen der Repression ab 1987 zurückgingen, stieg die Zahl der bekannt gewordenen Einschüchterungsversuche von Oppositionspolitikern und -aktivisten drastisch an: 1985 registrierte die chilenische Menschenrechtskommission 385, 1986 881, 1987 1164 (jeweils Jan. - Nov.) und 1988 1550 Fälle 24 . Oppositionelle wurden auf unterschiedliche Weise und in unterschiedlichem Ausmaß bedroht (das Repertoire reichte von Drohbriefen oder -anrufen bis hin zu Anschlägen gegen Eigentum und Leben), beschattet, entführt und mißhandelt. Diese Maßnahmen richteten sich insbesondere gegen Mitarbeiter und Priester der katholischen Kirche, in Einzelfällen auch gegen Richter. Die Einschüchterungsaktionen staatlicher und parastaatlicher Repressionskommandos hatten in den Jahren 1987 und 1988 ein solches Ausmaß angenommen, daß Amnesty International zwei Monate vor dem Plebiszit, im August 1988, einen Sonderbericht zu diesem Thema erstellte. Von Januar 1987 bis Juni 1988 registrierte Amnesty International mehr als 100 zumeist kurzzeitige Entführungen von Oppositionellen durch Geheimorganisationen.

21 22 23 24

Allendes/Garretön 1987: S.82. FASIC 1989: S. 25. Zu Vorgeschichte und Ausgang des Plebiszits siehe Krumwiede/Nolte 1989. CCHDH 1987c: S. 16; Justicia y Pax 1989: S.12a. Das Solidaritätsvikariat der katholischen Kirche hat 1982 101, 1983 186, 1984 402, 1985 564 und 1986 668 Fälle von Einschüchterungsversuchen (amedrantamientos) registriert (Ruiz-Tagle 1985, S. 10; Allendes/Garretön 1987: S. 82).

83

Nach dem Plebiszit vom 5. Oktober 1988 war zunächst ein erneuter Anstieg des staatlichen und parastaatlichen Terrors zu verzeichnen 25 . Danach gingen die Menschenrechtsverletzungen deutlich zurück. Mit Blick auf das Plebiszit wurde kurz vor Beginn der Wahlkampagne eine weitere Form der Repression, die Verbannung bzw. die Verweigerung der Einreise für im Ausland lebende Chilenen, abgeschafft. Schätzungen der chilenischen Menschenrechtsorganisationen über die Gesamtzahl der aus politischen Gründen im Ausland lebenden Chilenen lagen Anfang der 80er Jahre - wenn man die Familienangehörigen mitzählt - bei ca. 165.000 . Bis in die jüngste Vergangenheit griff die Regierung immer wieder auf das Mittel der Zwangsausweisung von Chilenen und mißliebigen, teilweise bereits viele Jahre in Chile lebenden Ausländern (insbesondere Priester) zurück. Während der 80er Jahre entwickelte sich die Forderung nach der Rückkehr der Exilierten, die von der katholischen Kirche massiv unterstützt wurde, zu einer politischen Streitfrage. Im September 1984 war noch ca. 5.000 Personen die Einreise untersagt. Anfang 1987 waren es noch ca. 3.100 Chilenen, denen das Regime die Rückkehr verweigerte. Am Jahresende hatte sich diese Zahl auf 644 Personen reduziert . Im Verlauf des Jahres 1988 ging diese Zahl weiter zurück, bis schließlich wegen des bevorstehenden Plebiszits am 1. September 1988 alle noch bestehenden Einreiseverbote aufgehoben wurden. 2. Der Repressionsapparat An der politischen Unterdrückung waren in Chile verschiedene Organisationen beteiligt. Unmittelbar nach dem Putsch waren es die Teilstreitkräfte, einschließlich der bewaffneten Polizei (Carabineros), und ihre Geheimdienste, die legale und illegale repressive Maßnahmen durchführten. Später wurde die DINA, die chilenische Geheimpolizei, gegründet, die mehr und mehr die "schmutzige Arbeit" übernahm und auf deren Konto die Mehrzahl der staatsterroristischen Akte ging.

25 Amnesty International 1988a: S. 10; Parrini 1988. 26 Angell/Carstairs 1987: S. 153. Andere Schätzungen reichen von 180.000 (Alcalde 1984: S. XII) bis 250.000 (Angell/Castairs 1987: S. 153). 27 Inter-American Commission 1985: S.142; CCHDH 1987c: S. 17.

84

Die Gründung der DINA (Dirección de Inteligencia Nacional) geht auf ein am 18. Juni 1974 im chilenischen Staatsanzeiger veröffentlichtes Dekret (Nr.521) zurück. Sie sollte der Vielzahl konkurrierender Sicherheits- und Informationsdienste, die seit dem Putsch existierten, ein Ende bereiten bzw. deren Arbeit koordinieren. Eine Vorläuferorganisation der DINA, das Departamento de Inteligencia, nahm bereits Ende November 1974 im Rahmen des Servicio Nacional de Detenidos (SENDET), dem die Gefangenenlager unterstanden, seine Arbeit auf. Diejenigen Artikel des Gründungsdekrets, die der DINA die Befugnisse zu Verhaftungen und Durchsuchungen einräumten und ihr die anderen Geheimdienste unterstellten, blieben allerdings geheim . Auch die Ernennung des Obersten Manuel Contreras zum Leiter der Geheimpolizei wurde nicht öffentlich bekanntgegeben. Nachdem sich die DINA zunächst aus Angehörigen aller Teilstreitkräfte zusammengesetzt hatte, dominierte allmählich immer klarer das Heer. Zugleich entwickelte sich die DINA von einem Machtorgan der Miltärjunta 9Q

zunehmend zu einem persönlichen Herrschaftsinstrument Pinochets . Dies hatte u.a. die Konsequenz, daß die Luftwaffe ihr Personal schrittweise aus -JA der DINA zurückzog . Die DINA erfüllte drei Funktionen: Sie war das Hauptinstrument zur Unterdrückung der Opposition. Sie diente Pinochet zur Konsolidierung seiner Machtposition gegenüber Gegenspielern im Militär; und sie wurde von ihrem Leiter, Oberst Contreras, für seinen Aufstieg und die Befriedigung persönlicher Machtgelüste benutzt. Bereits Mitte 1974 verfügte die DINA über ca. 600 militärische und zivile Agenten. Vor seiner Auflösung sollen dem Geheimdienst mehr als 9.300 Agenten und ein Netz von 20.000 bis 30.000 Informanten angehört haben . In der Phase besonders intensiver Repression (1973-1976) waren auch im Exil lebende Chilenen vor dem Geheimdienst nicht sicher. Durch die Ermordung prominenter und einflußreicher Gegner sollte die Opposition im Ausland geschwächt und eingeschüchtert werden. Den von der DINA in Auftrag gegebenen Anschlägen fielen u.a. folgende Personen zum Opfer: 1974 in Buenos Aires der ehemalige Oberbefehlshaber des chilenischen o 1

28 Vgl. Dinges/Landau 1980: S. 125f.,133; Hoy No. 444 (1986): S.33; Inter-American Commission 1985: S.116f. 29 Arriagada 1988: S. 17-19. 30 Varas 1979: S. 78. 31 Dinges/Landau 1980: S. 132, 134.

85

Heeres, General Carlos Prats; 1975 in Rom der Mitbegründer der Christdemokratischen Partei und ehemalige Innenminister unter der Regierung Frei, Bernardo Leighton (Leighton und seine Frau wurden schwer verletzt); 1976 in Washington der ehemalige Botschafter in den USA und zeitweise Außen-, Innen- und Verteidigungsminister der Regierung Allende, Orlando Letelier 32 . Der letztgenannte Anschlag war einer der Gründe, die im August 1977 zur Auflösung der DINA führten, an deren Stelle die CNI (Central Nacional de Informaciones) trat. Im November des gleichen Jahres mußte Oberst Contreras, der kurz darauf zum General befördert wurde, die Führung des Geheimdienstes abgeben. Von seinem Nachfolger wurde nur ein Teil des Personals der Ex-DINA weiter beschäftigt. Zur Auflösung der DINA und zur Ablösung von Contreras trugen neben dem Druck der amerikanischen Regierung nach dem Mord an Orlando Letelier Widerstände im Offizierskorps und in der Geschäftswelt gegen die Machtposition, die politischen Ziele und die Vorgehensweise des Chefs der Geheimpolizei bei. In diesem Zusammenhang muß erwähnt werden, daß Contreras wirtschaftspolitisch den Anhängern eines nationalistischen bis rechtspopulistischen Kurses näher stand als den ultraliberalen Wirtschaftstechnokraten der Chicago-Schule, die sich letztlich durchsetzten 34 . Es waren allerdings nicht allein die DINA bzw. ihre Nachfolgeorganisation, die CNI, die in massiver Weise die Menschenrechte verletzten und staatsterroristische Akte, einschließlich des "Verschwindenlassens", begingen. Wenn in den ersten Monaten nach dem Putsch zahlreiche Personen "verschwanden", so waren dafür großenteils reguläre Armeeeinheiten und Einheiten der Carabineros verantwortlich. Neben der DINA (später CNI) und teilweise in Konkurrenz zu ihr "arbeitete" zunächst vor allem der Geheimdienst der Luftwaffe, SIFA (Servicio de Informaciones de la Fuerza Aerea). Allerdings gelang es der DINA mit der Zeit, ihre Konkurrenten mehr und mehr zu verdrängen. Die

32 Zur Ermordung Orlando Leteliers siehe u.a. V a r a s / O r r e g o 1979; D i n g e s / L a n d a u 1980; 1987. 33 Bis zum Amtsantritt der Regierung Carter unterhielt die D I N A gute Kontakte zum amerikanischen Geheimdienst CIA, der bei ihrem Aufbau logistische Unterstützung geleistet haben soll ( D i n g e s / L a n d a u 1980: S.126). Im August 1975 wurde beispielsweise Oberst Contreras vom damaligen stellvertretenden Direktor der CIA, General V e r n o n Walters, in Washington empfangen (ebenda). 34 Ebenda S.137.

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Konflikte zwischen den verschiedenen Geheimdiensten wurden zuweilen auch gewaltsam ausgetragen, bis hin zur Liquidierung von Agenten des rivalisierenden Geheimdienstes. Mitte der 80er Jahre wurde nachträglich die Existenz eines Comando Unido bekannt, das sich aus Mitarbeitern von drei Teilstreitkräften (Luftwaffe, Marine, Carabineros) zusammensetzte und gewissermaßen als Konkurrenzorganisation zur DINA fungierte. Auf das Konto des Comando Unido ging u.a. der Mord an zehn Spitzenfunktionären der Kommunistischen Partei im Jahre 197635. Seit 1983, d.h. seit dem Erstarken der Opposition gegen das Militärregime, traten vermehrt parastaatliche Organisationen, wie z.B. die Acción Chilena Anticomunista, der Frente Nacionalista de Combate und das Comando 11 de Septiembre auf den Plan, die Oppositionelle einzuschüchT í

tern versuchten . In ihrer Mehrzahl dürfte es sich dabei um Tarnorganisationen der Sicherheitsdienste gehandelt haben; im Einzelfall um aus rechtsextremen Gruppen sich bildende Todesschwadronen, die mit Duldung der Behörden agierten 37 . Das "Comando 11 de Septiembre" war u.a. für die Ermordung von vier Linksoppositionellen verantwortlich, die innerhalb von 48 Stunden nach dem gescheiterten Attentat auf Pinochet im September 1986 im Morgengrauen aus ihren Wohnungen entführt und wenig später erschossen wurden. Viele Indizien sprechen dafür, daß sich das Comando mehrheitlich aus Angehörigen des Heeres zusammensetzte 38 . Bereits im Jahr zuvor (1985) war das Sonderkommando der Carabineros, DICOMCAR (Dirección de Comunicaciones de Carabineros), das direkt dem damaligen Oberbefehlshaber der Carabineros und Mitglied der Junta, General César Mendoza, unterstand, in die Schlagzeilen geraten. Der Organisation, die seit 1983 verstärkt gegen Mitglieder des MIR und der Kommunistischen Partei vorging, wurde der Mord an drei Kommunisten zugeschrieben, deren Leichen mit durchgeschnittenen Kehlen aufgefunden

35 Wichtige Informationen lieferte der ehemalige Gefreite der Luftwaffe und Mitarbeiter des "Comando Unido", Andrés Valenzuela, der 1984 desertierte und ins Exil ging. Seine vor der Vicaría de la Solidaridad abgegebene, auf den 28. August 1984 datierte eidesstattliche Erklärung ist abgedruckt in: Mensaje 336 (1985), S. 38-45. Siehe auch die Interviews mit Valenzuela in: Cauce 32, 23.-29.7.1985, S. 1-16 (separata); Hoy 475 (1986), S. 15-17; sowie Verdugo 1985; Martínez 1985. 36 Amnesty International 1986: S. 21-30; 1988b: S. 199f.; Müller 1987. 37 Amnesty International 1988a: S. 1. 38 Collyer/Luque 1987: S.162-166.

87

-JQ

worden waren . Der Vorfall führte zur Auflösung der Sondereinheit und zum Rücktritt des Oberbefehlshabers der Carabineros 4 0 . 3. Bewertung Inwieweit griff die chilenische Regierung auf staatsterroristische Praktiken zurück? Staatliche Gewaltakte können nur dann als terroristisch bezeichnet werden, wenn mit ihnen über den Anschlag auf das Opfer hinaus das Verhalten Dritter beeinflußt werden soll 41 : d.h. der Mord an einem Oppositionellen oder seine Folterung ist zwar ein verabscheuungswürdiges Verbrechen, die Tat kann jedoch nur dann als terroristisch bezeichnet werden, wenn damit andere, d.h. in der Regel die Mitglieder einer mehr oder weniger deutlich abgegrenzten Zielgruppe in Angst versetzt und in ihrem Verhalten gegenüber dem Regime beeinflußt werden sollen. Die Angstwirkung geht darauf zurück, daß Terrorakte besonders abscheulich und in ihrem Eintreten unberechenbar sind. Bei staatlichem Terror handelt es sich nicht um vereinzelte Aktionen, sondern um "nach einem gegebenen Muster ablaufende Handlungen, bei denen instrumentelle Gewalt so häufig eingesetzt wird, daß die Drohung mit dieser Gewalt - zum selben oder zu einem späteren Zeitpunkt erfolgt - den beabsichtigten Effekt auf den Ausgang von Konflikten zeitigt" 42 . Dabei ist es nebensächlich, ob staatliche Organe den Terror selbst ausüben, oder die terroristischen Aktivitäten anderer G r u p p e n (Todesschwadronen, etc.) dulden 4 3 . Es ist fraglich, ob das "Verschwindenlassen" von politischen Gefangenen in Chile als Akt staatlichen Terrors im Sinne der vorgetragenen Definition bezeichnet werden kann. Das Nichtwissen über den Verbleib der Repressionsopfer hat sicherlich deren Angehörige und politische Freunde verunsichert. Hauptgrund der Entscheidung für diese Form der Repression war jedoch, die Ermordung politischer Gegner vor der Öffentlichkeit und vor

39 Dieser Mordfall erinnert in einigen Aspekten, wie der Tötungsart und dem Fundort der Leiche, an den unaufgeklärten Mord an dem prominenten Gewerkschaftsführer Tucapel Jiménez im Jahre 1982. 40 Einen guten Überblick über die politischen Implikationen der Ereignisse um DICOMCAR vermittelt Huneeus (1986: S. 34-40). Zu den drei Mordfällen insgesamt siehe Monckeberg et al. 1986. Dort sind auch wichtige Dokumente abgedruckt. 41 Einen Einstieg in die Literatur zum Thema Staatsterrorismus vermittelt Nolte 1989c. 42 Gurr 1986: S.46. 43 Vgl. ebenda S. 48.

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dem Ausland geheim zu halten. Auch bei den drei Anschlägen auf prominente, im Exil lebende Gegner des Regimes in den Jahren 1974 bis 1976 dürfte die Beseitigung der Opfer das Hauptmotiv gewesen sein; als Nebeneffekt sollten natürlich auch andere im Ausland lebende Oppositionelle eingeschüchtert werden. Eindeutig dem Terrorismus zuzuordnen sind die massiven Folterungen, denen politische Gefangene häufig unterworfen wurden. Durch die Folter sollten nicht nur Geständnisse und Informationen erpreßt, sondern Freunde und Sympathisanten eingeschüchtert werden. Als staatsterroristische Praktiken sind auch die willkürlichen Erschießungen von Demonstranten oder Unbeteiligten aus fahrenden Autos heraus während der Protesttage anzusprechen. Auf diese Weise sollten potentielle Demonstranten, aber auch sympathisierende Beobachter von zukünftigen Protesten abgeschreckt werden. Als Staatsterrorismus sind auch die Einschüchterungsversuche und Entführungen durch parastaatliche Kommandos sowie die militärische Besetzung und Durchsuchung von Armenvierteln zu qualifizieren. Eine doppelte Funktion erfüllten die gestellten "Gefechte", bei denen Regimegegner liquidiert wurden. Sie dienten einerseits der Abschreckung von Regimegegnern, andererseits sollte bei den Anhängern Pinochets und den politisch Indifferenten eine Furcht vor dem angeblichen subversiven Terrorismus erzeugt werden, damit diese enger an das Regime rücken und einer härteren Repression ihre Zustimmung geben würden. Warum wandte das chilenische Militärregime terroristische Praktiken an? Es ist zunächst zwischen dem Terror der Anfangsphase nach dem Putsch, der im Sinne Gurrs als "situationsbedingter Terror" bezeichnet werden kann 44 , und der späteren Institutionalisierung der staatlichen Terrorpraxis zu unterscheiden. Die durch den Putsch heraufbeschworene bürgerkriegsartige Situation, und der anhaltende Widerstand einzelner Anhänger der Unidad Populär erleichterten es den Militärs, ihre anfänglichen Gewaltexzesse als Kriegsakte hinzustellen. Später trug die Doktrin der Nationalen Sicherheit, die einen dauerhaften "inneren Feind" als Werkzeug einer von außen gesteuerten Subversion suggeriert, zur Perpetuierung dieser "Kriegsmentalität" bei. Die Existenz einer linken Stadtguerrilla, des MIR, hat die martialische Situationsdeutung durch die Militärs zusätzlich abgestützt. Es ist darüberhinaus nicht auszuschließen, daß Teile des Militärs in der Anfangs-

44 Ebenda.

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phase durch eine "Politik der verbrannten Erde" eine schnelle Rückkehr zu ziviler Herrschaft zielstrebig zu verhindern suchten. Spätestens mit der Gründung der DINA im Juni 1974 wurde der staatliche Terror institutionalisiert. Zwischen der realen Bedrohung der Militärherrschaft und dem Ausmaß der Repression entstand ein wachsendes Mißverhältnis. Es mag sein, daß die zutreffende Auffassung der Sicherheitsorgane, drei Viertel der chilenischen Bevölkerung seien gegen das Regime, den Rückgriff auf eine Strategie des Staatsterrors begünstigte. Nicht nur die Anhänger der gestürzten Regierung standen dem Regime feindlich gegenüber. Auch die größte chilenische Partei, die Christdemokratische Partei, war gegen eine dauerhafte Militärherrschaft eingestellt. Beide Oppositionsgruppen waren in der Bevölkerung fest verwurzelt und sie verfügten traditionell über eine gute organisatorische Infrastruktur. Den Gegnern des Militärregimes schlössen sich im Zeitverlauf außerdem Teile der katholischen Amtskirche an. Dem Ziel, diese breite Oppositionsfront zu schwächen und, wenn möglich, aufzulösen, diente der Aufbau einer Geheimpolizei, die terroristisch agierte. Es wäre jedoch ein Fehler, im Staatsterror allein das Ergebnis einer nüchternen Kosten-Nutzen-Kalkulation zu sehen. Der Sicherheitsapparat entwickelt ein Eigeninteresse an seinem Fortbestand und den eingespielten Praktiken. Einmal übernommene Bedrohungsvorstellungen gewinnen ein von der Realität mehr und mehr losgelöstes Eigenleben 4 5 . Der Reduzierung des Einflusses der Repressionsorgane gehen - dies zeigt die Erfahrung gewöhnlich Machtkämpfe im Staatsapparat voraus. Im chilenischen Fall diente die DINA, wie aufgezeigt wurde, nicht allein der Unterdrückung der Regimeopposition, sondern war zugleich ein persönliches Herrschaftsinstrument Pinochets im Machtkampf gegen seine Gegenspieler. Die Tatsache, daß in vielen lateinamerikanischen Staaten während der 60er und 70er Jahre eine neoliberale Wirtschaftspolitik mit einem hohen Maß an politischer Repression einherging, hat dazu geführt, daß man zwischen beiden einen Zusammenhang herstellte. Man nahm an 46 , die von der Bevölkerungsmehrheit zu tragenden sozialen Kosten dieser Wirtschaftspolitik ließen sich nur durch eine Politik der Unterdrückung und gesteigerter sozialer Kontrolle durchsetzen. Im Falle Chiles trifft diese Annahme weitgehend zu. Der neoliberale Kurs der "Chicago-Boys" mußte mit dem

45 Vgl. Piön-Berlin 1988: S. 45. 46 Vgl. Sheahan 1980; Piön-Berlin 1983; 1986.

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Widerstand der chilenischen Arbeiter und Gewerkschaften rechnen, die traditionell zu den stärksten Lateinamerikas zählen. Ob es zur Überwindung dieses Widerstandes terroristischer Maßnahmen bedurfte, ist allerdings eine offene, eher negativ zu beantwortende Frage. Auch gegen den seit 1983 anwachsenden politischen Protest ging das Regime mit verstärkten Repressionsmaßnahmen vor. Hier mag sich ein positiver Verstärkungseffekt ausgewirkt haben 4 7 : Frühere Erfolgserlebnisse beim Einsatz von Gewalt dürften den erneuten Rückgriff auf diese Kontrollstrategie begünstigt haben.

II. Rechtssystem und politische Repression 1. Der chilenische "Doppelstaat"

Die Dokumente der interamerikanischen und der chilenischen Menschenrechtsorganisationen bestätigen einmal mehr die schon von Ernst Fraenkel in seiner klassischen Studie über den nationalsozialistischen "Doppelstaat" gewonnene Erkenntnis, daß sich aus der Rechtspraxis von Diktaturen wesentliche Aufschlüsse über ihr Herrschaftssystem gewinnen lassen 48 . Gewisse Aspekte der chilenischen Rechtswirklichkeit erinnern an die von Fraenkel vorgenommene Unterscheidung zwischen dem Normen- und dem Maßnahmestaat. Auf dem Papier standen dem chilenischen Bürger eine Reihe von Rechten zu, die allerdings in bestimmten Bereichen begrenzt waren. Zu ihrer Wahrung sollte er sich an die Justiz wenden können. Weite Bereiche des Rechtslebens unterlagen den Regeln des Normenstaates, beispielsweise fast der gesamte wirtschaftliche Bereich. Menschenrechtsverletzungen, wie die Mißhandlung von Gefangenen, wurden explizit unter Strafe gestellt 49 . In der Praxis setzte sich der Staat allerdings über diese rechtlichen Schranken hinweg: Menschenrechtsverletzungen gehörten zur Alltagspraxis der staatlichen Sicherheitsorgane. Darüber hinaus ließ sich die Exekutive weitreichende Ausnahmevollmachten einräumen, die es ihr ermöglichten, die bürgerlichen Freiheitsrechte auch legal einzuschränken.

47 Vgl. hierzu Gurr 1988. 48 Fraenkel 1984. 49 Vgl. Amnesty International 1983a: S. 23f.; Inter-American Commission 1985: S. 85f.

91

Die Herrschaft Pinochets basierte im Kern auf dem Ausbau und der konsequenten Ausnutzung des Notstandsrechts. In der Verfassung verankerte Bürgerrechte wurden durch die Notstandsgesetzgebung und die illegale Repression in Frage gestellt. Pinochet hatte sich von Anfang an die rechtliche Möglichkeit offengehalten, die auch in die 1980 verabschiedete Verfassung einging, auf verschiedene Notstandsermächtigungen zurückgreifen zu können. Der Ausnahmezustand (estado de emergencia) herrschte vom 11. September 1973 bis zum August 1988, der Belagerungszustand (estado de sitio) vom Putsch bis März 1978. Der Belagerungszustand wurde danach noch weitere zwei Male - von November 1984 bis Juni 1985, und von September 1986 bis zum Jahresende - verhängt. Das präsidentielle Ausnahmerecht nach Übergangsartikel 24 der geltenden chilenischen Verfassung galt von März 1981 bis zum März 1989. Auf dem Notstandsrecht basierende Maßnahmen waren der rechtlichen Überprüfung (hinsichtlich ihrer inhaltlichen Begründung) entzogen. Jede Begrenzung des Notstandsrechts bedeutet tendenziell einen Schritt in Richtung Rechtsstaat. Der bürgerliche Rechtsschutz nimmt im gleichen Umfang zu, wie sich der Normenstaat gegenüber dem Maßnahmestaat durchsetzt. Hauptträger des Normenstaates sind die Gerichte. Wer sich für den Schutz der Menschenrechte einsetzen und die Auswüchse staatlicher Repression eindämmen will, muß auf eine Stärkung des Normenstaates hinwirken. Entsprechende Entscheidungen der Gerichte sind dabei von zentraler Bedeutung. Einen guten Ansatzpunkt bieten beispielweise Tatbestände, bei denen der Normen- und der Maßnahmestaat miteinander offensichtlich kollidieren. In der Praxis wird, wie nicht nur die Erfahrung in Chile zeigt, damit ein mühsamer Weg beschritten. Viele menschenverachtende Gerichtsentscheide müssen hingenommen werden, bis sich ein mutiger Richter findet, der für den Schutz der Menschenrechte als Grundnorm jedes Gemeinwesens einzutreten bereit ist 50 . Das Regime scheint sich des beschriebenen Konflikts zwischen Normen- und Maßnahmestaat bewußt gewesen zu sein. So erklärt sich der ständige Ausbau der Kompetenzen der Militärgerichtsbarkeit, die viel stärker der politischen Kontrolle unterlag als die ordentlichen Gerichte.

50 Esponda 1986: S. 115f., 122f, 133.

92

2. Die Rolle der Justiz Noch 1985 kam die Interamerikanische Menschenrechtskommission zu dem Ergebnis, Chile sei kein Rechtsstaat, was die schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen erkläre 51 . Die Menschenrechtskommission erhob den Vorwurf, die chilenische (Zivil-) Justiz hätte bei einem entschlosseneren Auftreten möglicherweise einen Teil der massiven Menschenrechtsverletzungen, die begangen wurden, verhindern können. Dieser Tadel bezieht sich insbesondere auf das Schicksal der "Verschwundenen" . Die Gerichte hätten sich in der Regel mit der Behauptung der Behörden zufrieden gegeben, die Vermißten befänden sich nicht in ihrem Gewahrsam, selbst wenn gegenteilige Zeugenaussagen vorlagen. Aus Opportunismus und übertriebenem Rechtspositivismus hätten große Teile der chilenischen Justiz dem Regime eine legale Fassade für seine Untaten verschafft. Dieses negative Urteil über die chilenische Justiz, das insbesondere für den Obersten Gerichtshof gilt, spiegelt sich auch in der öffentlichen Meinung wider: Umfragen offenbaren ein niedriges Prestige der Justiz 53 . Soweit sich einzelne Richter zum Schutz der Rechte von Regimegegnern oder bei der Verfolgung von Straftaten der Sicherheitsorgane zu weit vorwagten 54 , wurden ihre Urteile häufig vom Obersten Gerichtshof aufgehoben oder das Verfahren an Militärgerichte überwiesen. Richter, die mit der Untersuchung von Verbrechen an Mitgliedern der Opposition befaßt waren, beklagten sich immer wieder über die mangelnde Kooperation der Sicherheitsbehörden 55 . Die Verhaftung von Regimegegnern erfolgte in Chile in der Regel ohne richterlichen Haftbefehl, häufig auf der Grundlage von Ausnahmedekreten der Exekutive. Das chilenische Ausnahmerecht ermöglichte es, Personen auch ohne Anklageerhebung mehrere Tage lang festzuhalten, bei Berufung auf die präsidentiellen Übergangsvollmachten nach Art.24 bis zu 20 Tagen, während des Belagerungszustandes sogar unbefristet. Die sog. habeas corpus-

51 52 53 54

Inter-American Commission 1985: S. 193. Ebenda S. 80. Vgl. Huneeus 1987: S.114. Einen Überblick über die kleine Zahl der von der Regierung unabhängig agierenden Richter gibt der Artikel "Pocos, sumamente pocos", in: APSI 325, 9.-15.1989, S. 17-19. 55 Vgl. u.a. Amnesty International 1988a: S. 8. Darüber beklagte sich rückblickend auch der Präsident des Appellationsgerichtes von Santiago, Enrique Paillas, in einem Interview in der Zeitschrift APSI 330, 13.-19.11.1989, S. 13-15.

93

Rechte (in Chile "recurso de amparo" genannt), nach denen der Festgenommene alsbald die Vorführung vor einen Richter verlangen kann, wurden ausgehöhlt, was eine Erleichterung der Folter und des "Verschwindenlassens" bedeutete. Von den 5.400 recursos de amparo, bei denen das Solidaritätsvikariat (und seine Vorgängerorganisation) von September 1973 bis Dezember 1983 Rechtsbeistand

leistete, wurden von den Gerichten

nur insgesamt

10

stattgegeben . Die Regierung ließ die Öffentlichkeit bewußt über den 56

Aufentshaltsort der Gesuchten im Unklaren und kam ihrer Informationspflicht gegenüber den Gerichten nur mit zeitlicher Verzögerung nach. Die Gerichte duldeten diese Politik, trugen sie teilweise sogar mit. So akzeptierte beispielsweise der Oberste Gerichtshof, daß Anfragen über den Verbleib von Gefangenen nicht direkt an den Geheimdienst gerichtet werden konnten, sondern - mit der entsprechenden zeitlichen Verzögerung - über

das

Innenministerium

Verzögerungstaktik

des

Entscheidungsfindung

der

Innenministeriums

laufen

mußten.

als auch

die

Sowohl

die

langwierige

Gerichte führte zu einer mehrwöchigen Hinausschiebung von Entscheidungen über "recursos de amparo", wodurch der Zweck dieses Rechtsmittels ad absurdum geführt wurde. Während des Belagerungszustandes

war der

"recurso de amparo" sowieso außer Kraft gesetzt. Während das die Rechtsposition des Verhafteten stärkende Rechtsmittel der Haftprüfung ausgehöhlt wurde, wurde die seine Position schwächende Maßnahme der Kontaktsperre (incomunicado) erweitert. Ein Gefangener, der "incomunicado" gehalten wird, hat keine Kontakte zur Außenwelt - auch nicht zu seinem Anwalt. Neben der Erweiterung der legalen Anwendung der Kontaktsperre, die auch ohne richterliche Genehmigung verhängt werden konnte, scheuten die Repressionsorgane nicht davor zurück, auch ohne rechtliche Grundlage auf diese Haftart zurückzugreifen. Sie dehnten sie willkürlich aus und unterbanden das Recht des Angeklagten, über seinen Anwalt Einspruch gegen seine Isolierung einzulegen. E s muß nicht weiter erläutert werden, daß damit eine Erleichterung von Mißhandlungen und Folterung einherging. Gravierend für die Bürger wirkte sich auch die kontinuierliche Ausdehnung der Kompetenzen der Militärgerichtsbarkeit nach 1973 aus. Einige der relevanten Gesetze waren zwar schon vor 1973 verabschiedet worden. Sie

56 Inter-American Commission 1985: S. 165.

94

wurden aber nach dem Putsch besonders extensiv ausgelegt und das in ihnen vorgesehene Strafmaß deutlich erhöht (beispielsweise bei "Beleidigungen" der Streitkräfte oder der Polizei). Vor Militärgerichten sind die Verteidigungsmöglichkeiten eingeschränkt. Die Mehrheit der Richter sind Offiziere im aktiven Dienst. Ihre Unabhängigkeit und Unparteilichkeit muß bezweifelt werden. Weder sind sie ausreichend fachlich qualifiziert, noch verfügen sie über eine lange Praxiserfahrung 57 . Die Übertragung zusätzlicher Kompetenzen auf die Militärjustiz diente zwei Zielen: 1. der intensivierten Verfolgung der Opposition - dies wurde dadurch erreicht, daß eine Vielzahl harmloser politischer Straftaten unter die Befugnisse der Militärjustiz gestellt wurde; 2. dem Schutz der Angehörigen der Sicherheitsorgane vor strafrechtlicher Verfolgung, indem diese sich fast ausschließlich vor Militärgerichten verantworten mußten. Es verwundert deshalb nicht, daß es zu keiner Ahndung von Menschenrechtsverletzungen kam. Überdies stellten die Militärs im März 1978 durch ein Amnestiegesetz alle bis zu diesem Zeitpunkt begangenen Menschenrechtsverletzungen unter Staffreiheit. Nach Meinung der Interamerikanischen Menschenrechtskommission diente die Praxis der Militärgerichte dazu, über die skandalöse Straflosigkeit der chilenischen Sicherheitskräfte, die in Menschenrechtsverletzungen verwickelt waren, einen Schleier formaler Legalität zu legen 58 .

III. Widerstand gegen den Staatsterrorismus Welche Reaktionen riefen die geschilderten Verletzungen der Menschenrechte in Chile hervor, d.h., wer setzte sich für ihren Schutz und ihre Verteidigung ein? Die Justiz, der beim Schutz der Menschenrechte Bedeutung hätte zukommen können, versagte weitgehend. Demgegenüber hat die katholische Kirche von Anfang an staatsterroristische Praktiken angeprangert 5 9 . Bereits im Oktober 1973 wurde auf eine Initiative des Erzbischofs von Santiago hin das ökumenische Comité Pro Paz gegründet,

57 Vgl. ebenda S.183. 58 Ebenda, S.189. 59 Zur Politik der katholischen Kirche von 1973 bis 1980 siehe Smith 1982.

95

das u.a. den Angehörigen von politischen Gefangenen half und Rechtsbeistand leistete. Die katholische Kirche hat immer wieder in Erklärungen gegen die Menschenrechtsverletzungen

Stellung bezogen. In einzelnen

Diözesen wurden Anfang der 80er Jahre Folterer und ihre Auftraggeber automatisch exkommuniziert 6 0 . Auf Druck der Regierung mußte das Comité Pro Paz zum Jahresende 1975 seine Arbeit einstellen. Bereits im Januar 1976 nahm jedoch das Solidaritätsvikariat der katholischen Kirche (Vicarfa de la Solidaridad) seine Arbeit auf. Im Dezember

1978 konstituierte sich als weitere wichtige

Menschenrechtsorganistion

die

chilenische

Menschenrechtskommission.

Neben diesen und anderen Menschenrechtsorganisationen haben sich im Falle Chiles sehr früh auch internationale Organisationen für den Schutz der Menschenrechte eingestzt. Erwähnt seien nur Amnesty International, die Interamerikanische Menschenrechtskommission und die Vereinten Nationen; letztere setzten einen Sonderberichterstatter zur Lage der Menschenrechte in Chile ein 6 1 , erhoben seit 1974 Jahr für Jahr Anklage gegen das chilenisehe Regime und verurteilten es mit gleichbleibender Mehrheit fiX

im Dezember 1988

ff)

- zuletzt

. Auch andere Regierungen, insbesondere die westeuro-

päischen, aber unter Präsident Carter auch die USA, mahnten die Respektierung der Menschenrechte an. E s mag sein, daß diese erhöhte Aufmerk-

60 Siehe das gemeinsame Dekret der Bischöfe von Talca und Linares, abgedruckt in: Mensaje 296 (1981), S. 68. 61 Die Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen setzte zunächst 1975 ad hoc einen Ausschuß zur Untersuchung der Menschenrechtssituation in Chile ein, der bis 1979 tätig war. In diesem J a h r benannte die Menschenrechtskommission einen Sonderberichterstatter für die "Frage des Schicksals vermißter und verschwundener Personen in Chile" (Amnesty International 1982: S. 129f.). Neben den beiden anderen wegen ihrer Menschenrechtspolitik immer wieder kritisierten Regimes Israel und Südafrika wurde außerdem nur das chilenische Regime als gesonderter Tagesordnungspunkt auf den Sitzungen der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen im Zeitraum 1975 bis 1985 geführt (Tolley 1987: S. 111; Donnelly 1988: S. 292). 62 Die Abstimmungergebnisse von 1974 bis 1986 sind bei Krumwiede/Nolte (1988: S.160) abgedruckt. 63 Das Abstimmungsergebnis lautete: 97 Prostimmen, 1 Gegenstimme (Chile) und 55 Enthaltungen ( C C H D H 1988b: S. 7). Im Bericht des Wirtschafts- und Sozialrats an die Vollversammlung vom 25.11.1988 heißt es u.a.: "...der institutionell juristische Rahmen, der die Menschenrechtsverletzungen ermöglicht, hat keine Veränderungen erfahren ... (Die Vollversammlung; D.N.) drückt einmal mehr ihre Besorgnis wegen der Fortdauer schwerer Verletzungen der Menschenrechte und der Grundfreiheiten in Chile aus, ..." (Abgedruckt in: C C D H 1988a; Übersetzung D.N.).

96

samkeit von seiten der internationalen Öffentlichkeit 64 dazu beitrug, daß das Ausmaß der Menschenrechtsverletzungen in Chile in den 70er Jahren nicht an argentinische Dimensionen heranreichte und in den 80er Jahren unter dem vieler lateinamerikanischer Staaten blieb. Ungeachtet des internationalen Drucks ging die chilenische Regierung von Anfang an mit großer Härte gegen die Menschenrechtsorganisationen vor: ihre Mitarbeiter wurden bedroht, verhaftet, mißhandelt oder des Landes verwiesen. Von der zuletzt genannten Maßnahme waren sowohl der Leiter des Solidaritätsvikariats (1983/84), ein spanischer Priester, als auch der Leiter der chilenischen Menschenrechtskommission, ein prominenter Christdemokrat, betroffen.

IV. Die Bewältigung der Vergangenheit Eine Belastung für die zukünftige Demokratie könnte darin bestehen, daß die Verantwortlichen für die geschilderten massiven Menschenrechtsverletzungen vermutlich nicht zur Rechenschaft gezogen werden. Ähnlich wie in Brasilien und Uruguay werden die chilenischen Militärs geschlossen in die Kasernen zurückkehren. Selbst in Argentinien, wo sich die Militärs nach der Niederlage im Falklandkrieg demoralisiert und innerlich zerstritten aus der Politik zurückziehen mußten, stieß die strafrechtliche Verfolgung von Verbrechen des Militärregimes bald an Grenzen. Die weitgehende Straflosigkeit der Menschenrechtsverletzungen während der chilenischen Militärherrschaft wird vermutlich der Preis für die Rückkehr zur Demokratie sein. Gerade nach den jüngsten Entwicklungen in den Nachbarländern erscheint es unwahrscheinlich, daß die chilenischen Militärs nach der Regierungsübernahme durch eine Zivilregierung bestraft werden könnten. In Uruguay scheiterte bekanntlich der Versuch, durch ein Plebiszit die Aufhebung des Amnestiegesetzes für Verbrechen während der Militärherrschaft zu erreichen; in Argentinien hat Präsident Menem die wegen Menschenrechtsverletzungen verurteilten Militärs begnadigt. Wie steht die Öffentlichkeit zum Problem der außerlegalen staatlichen Repression? In neueren Umfragen warfen knapp über 70% der Befragten

64 Zur besonderen Wahrnehmung der Menschenrechtsverletzungen in Chile in der bundesrepublikanischen und europäischen Öffentlichkeit siehe Nolte 1989; Saul 1989.

97

dem Militärregime Menschenrechtsverletzungen vor 65 . Jeder sechste erklärte in einer Umfrage vom April 1989, daß er oder ein Familienangehöriger Opfer von Menschenrechtsverletzungen gewesen seien 66 . Bei sich nicht ausschließenden Alternativen waren im Juni/Juli 1988 70% der Befragten für eine drastische Bestrafung der Schuldigen, 50% für eine Aufklärung der Verbrechen und eine anschließende Amnestie und 24% für ein Vergessen der Menschenrechtsverletzungen, um Konflikte mit den Streitkräften zu vermeiden 6 7 . In einer anderen Umfrage sprachen sich 67% für eine strafrechtliche Ahndung der Menschenrechtsverletzungen und 23% für eine Amnestie aus 68 . Dieses Meinungsbild muß eine zukünftige demokratische Regierung in Rechnung stellen. Von den Menschenrechtsorganisationen und den Angehörigen von Ermordeten und Verschwundenen wird eine Aufklärung der Verbrechen, eine Bestrafung der Schuldigen und die Freilassung aller politischen Gefangenen gefordert. Im Programm des Oppositionsbündnisses, Concertación de los Partidos por la Democracia, haben diese Forderungen Widerhall gefunden 6 9 , obgleich sich in konkreten Fragen, wie der nach der Durchsetzbarkeit der Forderungen gegenüber dem Militär und der Frage der Freilassung von politischen Gewalttätern, Differenzen zwischen den 17 70

Bündnisparteien zeigen . Der in weiten Sektoren der Bevölkerung geäußerte Wunsch nach einer Ahndung oder mindestens einer Aufklärung der Menschenrechtsverletzungen widerspricht der Haltung der Streitkräfte. Soweit die Menschenrechtsverlet65 66 67 68 69

CERC 1988: S. 21; FLACSO 1988: S. 13. CERC 1989: S.16. FLACSO 1988: S.13. CERC 1989: S. 17. Im Kapitel Menschenrechte der "Bases Programáticas Politico-Institucionales" des Oppositionsbündnisses wird die Aufklärung und die strafrechtliche Verfolgung aller nach dem 11. September 1973 begangenen Menschenrechtsverletzungen gefordert. Es wird der Wille bekundet, daß eine zukünftige demokratische Regierung das von den Militärs 1978 verabschiedete Amnestiegesetz widerrufen wird. Die politischen Gefangenen sollen freigelassen und die Verfahren gegen politische Gewalttäter neu aufgerollt werden. Beim Strafmaß sollen die harten Haftbedingungen während der Militärherrschaft in Rechnung gestellt werden. 70 Einen Einblick in die Diskussionen Mitte 1989 geben die Artikel "Derechos Humanos: Herencia Maldita", in: Qué Pasa 949, 15.6.1989, S. 38-39; "Derechos Humanos: un trabajo que ya comenzó", in: Hoy 628,31.7.-6.8.1989, S. 22-24. Kompromißbereitschaft in der Frage der Aufhebung des Amnestiegesetzes ließ beispielsweise der sozialistische Spitzenpolitiker Ricardo Lagos erkennen. Siehe das Interview mit Lagos in: El Mercurio. Internationale Ausgabe, 31.8.-6.9.1989, S. 6.

98

zungen in den Zeitraum vom 11. September 1973 bis zum März 1978 fallen (dies ist die Mehrzahl der Fälle) verweisen die Streitkräfte auf das 1978 verabschiedete

Amnestiegesetz.

Sowohl

von

geltenden Luftwaffenchefs, General Matthei 72

Pinochets

71

seiten

des als

gemäßigt

, als auch von seiten General

wurden ernsthafte Ermahnungen an die Opposition gerichtet, das

Amnestiegesetz unangetastet zu lassen. Eine flexiblere Haltung nehmen die Streitkräfte gegenüber der Verfolgung von Menschenrechtsverletzungen ein, die in die Zeit nach März 1978 fallen, obgleich Pinochet auch hier Vorsorge treffen will. So soll der Geheimdienst C N I vor der Regierungsübergabe an eine Zivilregierung aufgelöst, Teile seiner Akten und Archive vernichtet, und sein Personal in den Geheimdienst des Heeres, D I Ñ E (Dirección de Inteligencia del Ejército), eingegliedert werden.

71 Siehe das Interview mit dem Mitglied der Junta, General Fernando Matthei, in: El Mercurio. Internationale Ausgabe, 2.8.1989, S. 6. 72 Während einer Feier, die am 23.8.1989 aus Anlaß des 16. Jahrestages der Übernahme des Oberbefehls über das Heer stattfand, nannte General Pinochet acht Punkte, die eine zukünftige zivile Regierung in den Beziehungen mit den Streitkräften zu respektieren habe. Dazu gehöre die völlige Gültigkeit des Amnestiegesetzes von 1978 (El Mercurio. Internationale Ausgabe, 24.-30.8.1989, S. lf.) Während einer Reise in den Süden Chiles bezog Pinochet am 14. Oktober eine noch härtere Position, als er erklärte: "Niemand rühre mir irgend jemanden an: A m Tage, an dem man mir einen meiner Männer anrührt, wird der Rechtsstaat aufgehört haben zu existieren!" (El Mercurio. Internationale Ausgabe, 12.-18.10.1989, S. 2).

99

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103

Brasilien: Militärherrschaft und Nachrichtendienste (1964-1985) Christiano German

I. Einleitung In der Literatur zur politischen Geschichte Brasiliens ist oft der Hinweis auf die traditionell "unblutigen" Machtwechsel zu finden. Als klassische Beispiele werden die rasche Abdankung des Kaisers im Jahre 1889, die Machtübernahme und der Sturz von Getúlio Vargas 1930 und 1945, die Krisen bei der Amtsübernahme des Präsidenten Kubitschek (1955) und Goulart (1961) und schließlich die Machtergreifung durch das Militär im April 1964 genannt. Zutreffend ist hierbei nur, daß die politischen Eliten es seit dem Kaiserreich vorgezogen haben, ihre Rivalitäten möglichst ohne eigenen Schaden zu regeln. Auch das Militär neigte eher zu einem "legalismo", d.h. zu Lösungsmodellen von Konflikten, die sich einigermaßen glaubwürdig als (Gesetzes-) Notstände darstellen ließen und rasch durch neue Verfassungsbestimmungen sanktioniert werden konnten. Der teilweise entstandene "Mythos der Gewaltlosigkeit" wird in der brasilianischen Gewaltdiskussion der 80er J a h r e 1 entschieden zurückgewiesen. Nicht nur das Militärregime seit 1964 hat eine besondere Qualität der "violencia institucional" in Brasilien entwickelt. Auch in der Geschichte des Landes kann ein konstanter Rückgriff des Staates auf repressive Maßnahmen gegen die Bevölkerung festgestellt werden. Hinzu kommt eine extreme und vielschichtige Gewalttätigkeit innerhalb der brasilianischen Gesellschaft. Während der Militärherrschaft von 1964 bis 1985 war jedoch eine Steigerung staatlicher, parastaatlicher und terroristischer Gewalt sowie armutsbedingter Kriminalität zu beobachten, die in diesem Ausmaß bis dahin unbekannt war. Der vorliegende Beitrag über die Nachrichtendienste in Brasilien befaßt sich mit staatlichen Akteuren, die auf eindeutige Weise die politisch motivierte, repressive Gewalt eines Militärregimes belegen. In drei Abschnitten werden im folgenden ausgewählte Aspekte der Funktionen,

1

Oliven 1982: S. 13f.; Pinheiro 1982: S. 8.

105

Organisationsstrukturen und Vorgehensweisen während der Militärherrschaft untersucht.

der

Nachrichtendienste

II. Funktionen des zentralen Nachrichtendienstes SNI 1. Die politischen Grundvorstellungen

des Militärregimes

Die Schaffung eines zentralen Nachrichtendienstes, des "Servigo de Seguranza Nacional" (SNI), ist im Gesamtkonzept der "Doutrina de Seguranza Nacional e Desenvolvimento" (DSN) zu sehen. Die Doktrin der Nationalen Sicherheit und Entwicklung wurde in der 1949 gegründeten Obersten Kriegsschule, "Escola Superior de Guerra" (ESG) entwickelt und bildete die "ideologische" Grundlage für die Ausübung der Militärherrschaft von 1964 bis 1985 in Brasilien 2 . Die DSN ist eng mit dem N a m e n eines einflußreichen Vordenkers der Militärherrschaft, General Golbery do Couto e Silva, verbunden. Von sieben veröffentlichten und meist vergriffenen Büchern hat vor allem sein 1967 erschienener Band "Geopolítica do Brasil" (Neuauflage 1981) die Ausgestaltung des Militärregimes entscheidend mitbestimmt. Seine umfangreiche Schrift "Planejamento Estratégico" von 1955 galt als "Bibel" der Militärelite, die 1964 die Macht ergriff. Schließlich war es der General selbst, der den Nachrichtendienst SNI ab 1964 als dessen erster Leiter drei Jahre lang aufbaute. Welch große Bedeutung für die nationale Sicherheit er dieser Institution beimaß, kommt in den genannten Werken, aber auch in einem einschlägigen Lehrbuch der ESG, dem "Manual Básico da Escola Superior de Guerra" (1976) zum Ausdruck. Entscheidende Anregungen für das Manual sollen aus der Publikation des Amerikaners Washington Platt "The Production of Strategie Informations" (1962) stammen. O h n e im einzelnen auf die Inhalte der Doktrin in diesem Beitrag eingehen zu können, bleibt festzuhalten, daß der Wahrung "interner Sicherheit" höchste Priorität eingeräumt wurde 3 . Der SNI sollte auf dem ganzen Staatsgebiet zum Zwecke der nationalen Sicherheit die Nachrichten-

2 3

Alves 1984: S. 35. Manual 1976: S. 431.

106

beschaffung übernehmen und Gegenspionage betreiben 4 . Faktisch kam ihm vor allem die Funktion zu, über die Formel "Sicherheit und Entwicklung" (Seguran§a e Desenvolvimento) ein bestimmtes Wirtschaftsmodell autoritär abzusichern. Dementsprechend war der SNI vorwiegend als Inlandsnachrichtendienst konzipiert, der daneben auch die Aufgaben eines Auslandsnachrichtendienstes wahrnahm. Das brasilianische Militär hatte folgendes Weltbild: Auf der Seite des freien Westens stand Brasilien in Konfrontation mit einem expansionistischen Sowjetblock. Die von Moskau aus gelenkte, kommunistische Offensive, die sich seit der kubanischen Revolution von 1959 verstärkt hatte, nahm in den Zielländern der Dritten Welt die Form eines nicht erklärten "revolutionären Krieges" an: langsame, aber beständige Indoktrination der Bevölkerung, Infiltration, interne kriegerische Konflikte, etc. Als Sammelbegriff für diese Aktionen wurde die Bezeichnung "subversäo interna", interne Subversion, von der ESG verwandt 5 . Als Subversive gelten demnach "nationale und internationale Agenten des Kommunismus oder ähnlicher Ideologien, deren Gemeinsamkeit in der strikten Ablehnung der Privatinitiative, des Privatseigentums und Gewinns und des politischen Pluralismus besteht. Dagegen befürworten sie die Verstaatlichung, die Bürokratisierung, eine monolithische Politik und die utopische soziale Gleichheit, so oft propagiert, so vielversprechend, immer zurückgestellt, niemals erreicht. Es ist darum wesentlich, ... die unleugbare Tatsache zu akzeptieren, daß die Kommunisten danach drängen, die Macht in Brasilien zu übernehmen." Die Rolle des Volkes, bzw. des "Proletariats", wird bei dieser Darstellung des Kommunismus nicht weiter problematisiert. Es erscheint als eine Größe, über welche die politischen Akteure beliebig verfügen können. Im Gesamtkonzept der Nationalen Sicherheit tritt die Behebung materieller Notstände ohnehin hinter dem Kampf gegen die Subversion zurück. Die Masse des Volkes blieb z.B. für den Vordenker des brasilianischen Staatsmodells, General Golbery, eine weit entfernte, wenig greifbare Realität, die Lösung seiner Probleme eine Sache der Verwaltung 6 . Die beschriebene Perzeption von Kommunismus und Subversion führte in der Praxis dazu, daß die Grenzen zwischen innerer und äußerer

4 5 6

Gods 1978: S. 51. Alves 1984: S. 35ff. FSP, 19.9.87.

107

Sicherheit, Subversion und Kritik an der Regierung, der Guerrilla und politischer Opposition, dem Terrorismus und "Abweichlertum" verschwammen. Jeder Bürger konnte ein potentieller Staatsfeind, ein "subversivo", "infiltrado", oder aber der Spitzel eines Nachrichtendienstes sein. In einem Flugblatt, das 1969/70 verteilt wurde, stand auf der einen Seite der Text der Nationalhymne und auf der anderen ein "Decälogo de Seguran^a" mit 10 n

Hinweisen zur Denunziation auffälliger Mitbürger . 2. Der SNI: Seine

Aufgabenbereiche

Der SNI wurde durch das Decreto-Lei No. 4.341 vom 13.6.1964 geschaffen. Der frühere "Servi§o de Informa$öes e Contra-Informa^öes" (SFICI) ging in der neuen Organisation auf. Neben weiteren Gesetzen (siehe Literaturverzeichnis) bestimmte das Dekret die einzelnen Aufgabenbereiche des SNI, die in allgemeinerer Form bereits in dem Manual der ESG dargestellt worden waren. So hieß es u.a. in dem Lehrbuch, daß Informationen zur inneren Sicherheit notwendig seien, um "den Gegner zunächst zu identifizieren und ihn dann zu neutralisieren bzw. zu beseitigen" . Die Nachrichtenbeschaffung sei eine wesentliche Voraussetzung für die Planung und Verwirklichung der inneren Sicherheit. In diesem Sinne erklärte Präsident Castelo Branco (1964-1967), der SNI dürfe nicht als terroristischer Spionageapparat oder Propagandaorgan verstanden werden, sondern sei ein Hilfsmittel zur effizienteren Ausübung der exekutiven Gewalt. Der Präsident wolle durch ihn gut über die Geschehnisse im Lande unterrichtet werden, um gezielt und zum richtigen Zeitpunkt seine Entscheidungen treffen zu können 9 . Nach dem Wortlaut des Gesetzes, das seine Gründung festlegte, war der SNI dem Präsidenten direkt unterstellt und zur Mitarbeit im nationalen Sicherheitsrat bei allen Fragen der nationalen Sicherheit verpflichtet. Der Geheimdienst hatte sich nur gegenüber dem Präsidenten und dem genannten "Conselho de Seguran^a Nacional" zu verantworten, nicht gegenüber dem Nationalkongreß.

7 8 9

Deckes 1985: S. 83ff.; Istod 27.9.78: S. 32. Der Spiegel 19.7.1970: S. 91. Manual 1976: S.438. Filho 1976: S. 72.

108

Seine Hauptaufgaben bestanden im Sammeln und Auswerten von Informationen aus allen Bereichen der inneren und äußeren Sicherheit, insbes. in der Spionageabwehr, der Aufdeckung interner Subversion sowie der Übermittlung der gewonnenen Daten und Erkenntnisse. Auch Fragen, die nicht direkt mit der nationalen Sicherheit zusammenhingen, konnten ihm übertragen werden 1 0 . Wie diese Aufgaben von den einzelnen Präsidenten konkretisiert wurden, soll am Beispiel von Ernesto Geisel (1974-1979) dargestellt werden 1 1 : Täglich traf sich General Geisel zwischen 9 und 10 Uhr sowie zwischen 15 und 16 Uhr in dem Regierungspalast mit seinem "brain trust". Dieser Beraterkreis, auch "ministros da casa" genannt, bestand aus dem Ökonomen und Planungsminister Reis Veloso, den Generälen Golbery do Couto e Silva der Casa Civil, Joäo Batista Figueiredo vom SNI und Hugo Abreu von der Casa Militär. Bei diesen Gesprächen wurden dem SNI Aufträge für Ermittlungen oder zur Lageanalyse für bevorstehende Entscheidungen erteilt. Grundlage vieler Entscheidungen bildete die tägliche Synopse des SNI, die für den Präsidenten, die "ministros da casa" und einige wenige Mitarbeiter angefertigt wurde. Die anderen Minister erhielten ebensowenig Einblick in diese Akten wie die Öffentlichkeit. Ein größerer Personenkreis der oberen politischen Führungsebene erhielt täglich einen Pressespiegel der Agencia Nacional von durchschnittlich 10 Seiten. Allerdings wurde in diese Übersicht deutliche Kritik an der Regierung nicht aufgenommen. Der Präsident las die Synopse des SNI jeden Vormittag vor seinem Gang zum Palast der Morgenröte aufmerksam durch. Sie umfaßte etwa 20 Seiten, die in mehrere "Blöcke" unterteilt waren. Jeder "Block" hatte eine andere Farbe, um den Vertraulichkeitsgrad der Dokumente zu kennzeichnen. Diese setzten sich zusammen aus nationalen und internationalen Pressemitteilungen, Ergebnissen von Forschungsinstituten, Reden und Tagungsberichten. Diese Informationen wurden durch Kommentare und Motivationsanalysen ergänzt, wobei der Eigenteil des SNI überwog. Man kann davon ausgehen, daß diese Nachrichten einen starken Einfluß auf den Präsidenten ausgeübt haben. Zusätzlich zu diesen Synopsen fertigte der SNI auf Anweisung des Präsidenten oder aus eigener Initiative zahlreiche spezielle Studien an. Beispielsweise wurden die möglichen Reaktionen der öffentlichen Meinung auf bestimmte Maßnahmen untersucht. Die Informationen und Analysen des

10 Hierzu auch Stepan 1988: S. 16. 11 Go6s 1978, S. 48ff.

109

Dienstes erstreckten sich auf alle Bereiche: auf Politik, Militär, Wirtschaft, Finanzen bis hin zur Staatsverwaltung. Das folgende Organigramm zur Exekutivgewalt unter der Militärherrschaft zeigt anschaulich auf, daß dem Nationalen Sicherheitsrat und d e m zentralen 12 Nachrichtendienst höchster politischer Stellenwert eingeräumt wurde .

12 German 1983: S. 96ff.

110

Schaubild: Organisationsstruktur der Exekutiven Gewalt in Brasilien. Präsidentschaft von Ernesto Geisel (Quelle: Perfil 1977, 15). Presidencia da República

III. Organisationsstruktur der Nachrichtendienste 1. Der Außau

des

Kontrollapparates

D e r SNI war nach den gesetzlichen Vorschriften nicht dazu verpflichtet, Informationen zu veröffentlichen, seine Organisationsstruktur zu erläutern oder über die Arbeit seiner Abteilungen zu berichten. D e n n o c h ist vieles über seinen A u f b a u und seine Vorgehensweisen durch Publikationen von Menschenrechtsorganisationen, Bücher persönlich Betroffener, sozialwissenschaftliche Studien und nicht zuletzt eine periodisch unzensiert und ab 1980 frei arbeitenden Presse bekannt geworden. D e r Hauptsitz des SNI befindet sich in Brasilia. Sein Leiter wurde vom Präsidenten der Republik mit Zustimmung des Kongresses ernannt und stand im R a n g eines Ministers. Von den fünf Präsidenten des Militärregimes bis 1985 hatten zwei, die G e n e r ä l e Medici und Figueiredo, unmittelbar zuvor den Nachrichtendienst geleitet. Dessen einflußreicher Gründungsvater, G e n e r a l Golbery, hatte während der Amtszeit von drei Präsidenten Schlüsselpositionen inne: er war SNI-Chef unter Castelo Branco und Leiter des G a b i n e t e Civil unter Geisel und Figueiredo. Auch das Budget des SNI unterlag der Geheimhaltung, eine parlamentarische Kontrolle der Ausgaben war somit ausgeschlossen. D e r gesamte Sicherheitsapparat zerfiel in den 70er J a h r e n in fünf 1

organisatorische Komplexe : 1. den SNI selbst mit d e m Ministro-Chefe, der Agencia Central und Unterabteilungen in 13 Staaten; d e m SNI zugeordnet waren 2. jeweils ein "Staatssekretariat für öffentliche Sicherheit" (SESP) in den einzelnen Landespolizeidienststellen. Funktion: die Koordination von Tätigkeiten der "Abteilung für politische und soziale Ordnung" (DOPS, später D E O P S ) . Dieser zivilen politischen Polizei unterstand auch die Gemeindepolizei; 3. die "Sicherheits- und Informationsabteilungen" aller Ministerien (DSI), die über Unterabteilungen (ASI) auch alle Staatsunternehmen und mit d e m Staatsapparat z u s a m m e n h ä n g e n d e n Institutionen kontrollierten. Funktion: u.a. Überwachung des internen Verwaltungsbetriebes und der Mitarbeiter. 13 Hierzu Alves 1984: S. 172ff.

112

4. die Nachrichtendienste des Heeres (CIEX), der Marine (CENIMAR) und der Luftwaffe (CISA). Funktion: u.a. die Überwachung der Streitkräfte und die Informationsbeschaffung über "Subversive". Diese militärischpolitische Polizei wurde durch die weiter unten beschriebenen DOICODIs unter Befehl der II. Heeresleitung ergänzt. 5. Zum Sicherheitsapparat gehörte ferner die Bundespolizei (DPF), die dem Justizminister unterstellt war. Funktion: u.a. die Ausübung von Zensurmaßnahmen. 2. Zwei

Einzelaspekie

Anstelle weiterer Ausführungen zur Organisationsstruktur 14 soll noch auf zwei Aspekte im Zusammenhang mit der Koordination der Nachrichtendienste hingewiesen werden. Zunächst fehlte bis Ende der 60er Jahre eine Koordination der zahlreichen Dienststellen, die mit Sicherheitsfragen befaßt waren. Jede operierte für sich, legte eigene Personen- und Sachakten an; sie befehdeten sich untereinander, waren schlecht ausgebildet und ausgerüstet. Diese Defizite traten besonders hervor, als ab 1968 die politische Gewalt zu eskalieren begann. Auf das rasche Anwachsen der bürgerlichen Opposition wurde von seiten der Regierung mit dem unbefristeten "Ato Institucional No.5" geantwortet, der staatlicher Willkür Tür und Tor öffnete. Die Ausweitung des bewaffneten Untergrundkampfes führte zu einem Ausbau der Sicherheitsdienste und erheblichen Veränderungen in der Gesetzgebung: Nach der spektakulären Entführung des amerikanischen Botschafters Elbrick am 4. September 1969 wurde das nationale Sicherheitsgesetz von 1967 verschärft (Decreto-Lei No. 314). Ein neues Sicherheitsgesetz (Decreto-Lei No. 898) setzte de facto der Versammlungs- und Pressefreiheit ein Ende. Ferner ermöglichten die am 5. September 1969 erlassenen "Atos Institucionais No. 13/14" u.a. die Zwangsexilierung unerwünschter Personen und gaben die Todesstrafe frei. Schließlich erhielt die Exekutive am 11. September 1971 die Vollmacht, geheime Gesetze ("decretos-lei secretos") zu erlassen (Decreto-Lei No. 69.534). Somit konnten Inhaftierungen vorgenommen werden, ohne daß der Betroffene erfuhr, gegen welche gesetzliche Bestimmung er verstoßen hatte.

14 Ebenda S. 173, Fußnoten; Stepan 1988: S. 13ff.

113

Von den vermutlich 10 Geheimgesetzen wurden drei während der Regierungszeit von Mèdici (1970-74) und sieben während der Präsidentschaft Figueiredos (1979-85) erlassen 15 . Im Jahre 1969, zu Beginn der Ära Mèdici und mitten im sog. brasilianischen Wirtschaftswunder, wurde die "Operagäo Bandeirantes" (OBAN) gegründet. Die Bandeirantes von Säo Paulo hatten sich im 17. Jh. als erfolgreiche Sklavenjäger und Sklavenhändler betätigt. Die neue Organisation sollte zur Koordination der Sicherheitsdienste dienen. Ihre Finanzierung erfolgte teils aus nationalen, teils aus internationalen Quellen (z.B. durch die Unternehmen Ford und General Motors) 1 6 . In der eigenständig und ohne gesetzliche Grundlage operierenden OBAN waren Mitglieder aus allen Militär- und Polizeiabteilungen integriert. Ihre Erfolge im Kampf gegen die Subversion führten dazu, daß ein Jahr später nach diesem Vorbild bundesweit die berüchtigten DOI-CODI geschaffen wurden. Offiziell der Heeresabteilung unterstellt und gesetzlich abgedeckt, koordinierte ein CODI (Zentrum der internen Verteidigungsoperationen) die Tätigkeiten der drei Militärgeheimdienste und hielt Verbindungen zu allen weiteren Militär- und Polizeidienststellen. Sein ausführender Arm war 17 der DOI, das Sonderkommando für interne Operationen . Zweitens gilt es hervorzuheben, daß ungeachtet der Koordinationsbemühungen die Abteilungen der DOPS, DOI-CODI und D P F weiterhin eigenständig und unkontrollierbar aktiv waren: sie ermittelten, verhafteten und verhörten jeweils auf eigene Faust. In ausländischen und brasilianischen Berichten über Folter und "desaparecidos" wurden immer wieder die DOICODI, DOPS und CENIMAR der Marine dafür verantwortlich gemacht 18 .In Säo Paulo wetteiferten in repressivem Vorgehen die militärisch geprägten DOI-CODI und die zivile Polizei DOPS, wobei letztere auch Mitglieder des "Esquadräo da Morte" (E.M.) stellte. Die zivile Polizei wollte gegenüber der Militärpolizei nicht an Ansehen verlieren 19 . Todesschwadronen waren in Brasilien bereits seit 1958 als "parallele Justiz" bekannt, eine Form der radikalen Verbrechensbekämpfung, die von

15 16 17 18 19

Alves 1984: S. 157ff. Vgl. Arquidiocese de Säo Paulo 1985: S. 73. Isto6 27.9.78: S. 32. Für viele Arquidiocese de Säo Paulo 1985: S. 74; Alves 1984: S. 166 Fußnoten. Hierzu Pinheiro 1982: S. 70; Flynn 1978: S. 434f.

114

20

der Bevölkerung nicht grundsätzlich abgelehnt wurde . Von 1969 an vermischten sich allerdings die Grenzen zwischen verfolgten "marginais" und "subversivos". Hinzu kamen rechtsradikale Untergrundorganisationen, wie das "Kommando zur J a g d auf Kommunisten" ( C C C ) und ab 1975 die "Antikommunistische Allianz" (A.A.B.) 2 1 . Während der ersten Hälfte der 70er Jahre und unter der Präsidentschaft Geisels entzogen sich zahlreiche Geheimdienste weitgehend der Kontrolle durch die staatliche Führungsspitze 2 2 . D a s politische Wochenmagazin "Veja" zählte zu Beginn der 70er Jahre 72 Organisationen der Geheimpolizei . Hier tobten sich "die Reaktionäre, die Mißtrauischen, die Sadisten" aus 2 4 . Mitte 1976 konstatierte Heitor Ferreira, der persönliche Sekretär von Präsident Geisel, in einem Schreiben über das Militär und dessen Geheimdienste: "Ich verfolge die Mitteilungen des SNI, die Zusammenfassungen und Schlussfolgerungen etc. und sehe, daß ein guter Teil unserer Kameraden, ohne es zu wissen, Faschisten sind (...), ausländerfeindlich (Nativistas), rechtsnationalistisch (nacionalistas), Vertreter der harten Linie (duros), Opportunisten (pára-quedistas), Radikale (radicais), Rechtsextremisten (ultras)". Der Präsident schrieb an den Rand des Berichts: "Einverstanden", und General Golbery vermerkte: "Richtig . Doch Geisel und Golbery, beide Vertreter der "linha branda" (weichen Linie) im Militär, hatten kurzfristig keine Möglichkeit, sich gegen diese Gruppen der "Parallelgewalt" durchzusetzen. Hohe Offiziere und Generäle blockten Vorstöße zur Disziplinierung der DOI-CODI ab, die mit ihren eigenmächtigen Folterpraktiken die hierarchische Ordnung des Militärs Jfk

untergruben . Kardinal Arns war öfters in Menschenrechtsfragen bei General Golbery. Einmal fragte er ihn: 'Habt ihr die Macht, dies zu stoppen oder nicht?' Golbery sagte nur: 'Ich habe sie nicht' 27 . Auch zwischen den militärischen Geheimdiensten der drei Waffengattungen C I E X , C E N I M A R und C I S A herrschten Rivalitäten. Sie traten 20 21 22 23 24 25 26 27

Le Monde 27.4.71: S. 2; Bicudo 1976. Le Monde, 5.11.76: S.5; Deckes 1985: S. 99ff. Stepan 1988: S. 27; Skidmore 1988: S. 328f. Der Spiegel, 23.8.71: S. 82. Die Zeit, 29.11.74. Veja 23.9.87: S. 28. Skidmore 1988: S. 329. Die Zeit 29.11.74. 115

besonders hervor, wenn ein Wechsel im Präsidentenamt bevorstand. Die Militärminister waren potentielle Präsidentschaftskandidaten und generell wichtige Entscheidungsträger. Sie nutzten die eigenen Geheimdienste, um sich einen Informationsvorsprung zu verschaffen und politische Unterstützung zu mobilisieren. Ein Beispiel hierfür liefert General Sylvio Frota, der als Heeresminister und Anführer der harten Linie im Militär den Geheimdienst des Heeres C I E X einschaltete, um seine Nachfolge von General Geisel im Präsidentenamt vorzubereiten. Dies hatte seine Demission zur Folge, da Geisel durch den SNI stets bestens über die Schritte seiner •JQ

Gegenspieler informiert war . Der SNI verfügte gegenüber dem Präsidenten und dem Nationalen Sicherheitsrat über ein hohes Maß an Autonomie. Er kontrollierte alle Informationen, die für die Staatsführung bestimmt waren und entschied über deren Weitergabe. Somit konnte er durch eine gezielte Auswahl bzw. "Aufbereitung" der Informationen die Regierungsentscheidungen beeinflussen und ebenfalls zu einer Art "Parallelgewalt" werden . Sein Einfluß war um so größer, als Präsidenten wie z.B. Ernesto Geisel sich in ihren Entscheidungen in erster Linie auf die Berichte des SNI stützten und im übrigen weitgehend von der Umwelt isoliert lebten.

IV. Vorgehensweisen der Nachrichtendienste 1. Akteure und Opfer Zur Bekämpfung des "inimigo interno", des internen Feindes, war eine außerordentlich große Zahl von Agenten in den bereits erwähnten militärischen und zivilen Institutionen beschäftigt, wo sie ihren Auftrag teils offen, teils "verdeckt" wahrnahmen. Daneben gab es auch Agenten im Kongreß, den Ministerien, der Presse, den Universitäten, in privaten Firmen und den Goldminen, um nur einige Bereiche zu nennen. Im Jahre 1980 wurden mindestens 35.000 in Staatsunternehmen tätige pensionierte Armeeoffiziere dem SNI zugerechnet; die gesamte Bundesverwaltung war von 60.000 Agenten allein aus dem Heer durchsetzt. Diese Militärs im Ruhestand

28 Skidmore 1988: S. 385ff. 29 Alves 1984: S. 172f.

116

bezogen gleichzeitig Einkommen von der Armee, den Staatsunternehmen und dem SNI, weshalb sie sich eines sehr hohen Lebensstandards erfreuten . Nach Angaben eines Leiters der Agencia Central des SNI waren in den 70er Jahren ca. 400 Personen in der Zentrale beschäftigt, in den •71

größeren Landesabteilungen 200 und in der kleinsten weniger als 60 . Insgesamt wurde die Zahl der Mitarbeiter in diesen Bereichen auf nicht mehr als 2.000 geschätzt, die Gesamtzahl aller Agenten und Beschäftigten im In- und Ausland jedoch auf über 300.000 32 . Dieser Apparat sollte einen "inimigo interno" bekämpfen, der überall vermutet wurde. In der Ausbildungsstätte des SNI, dem EsNI, wurden die "Drahtzieher" der kommunistischen Unterwanderung auf drei Ebenen lokalisiert 33 : 1. "Instrumente der internationalen Aktion", z.B. die I.-IV. Internationale; infiltrierte "Frontorganisationen", wie der Internationale Gewerkschaftsbund; von der Sozialistischen Internationale beeinflußte Institutionen, wie die Friedrich-Ebert-Stiftung und ihr Forschungsinstitut ILDES; "Agenten" mit internationalem Einfluß, wie Schriftsteller, Filmregisseure, Komponisten, Wissenschaftler, Nobelpreisträger, die zwar nicht öffentlich für den Kommunismus eintreten, jedoch mit typisch kommunistischen, zumindest aber antikapitalistischen Schlagworten ("für den Weltfrieden" oder "für Abrüstung") die Massen beeinflussen wollen. 2. "Instrumente der nationalen Aktion", z.B. nationale, subversive Organisationen, wie namentlich aufgeführte kommunistische (PCB) und sozialistische (PSB) Reformparteien, vier trotzkistische und acht revolutionäre Gruppen sowie deren Sympathisantenkreise. 3. "Unterstützende Organe", z.B. die sozialistischen und kommunistischen Staaten über ihre diplomatischen und kulturellen Vertretungen und Handelsniederlassungen; ferner deren Radiopropaganda. Wie groß der kommunistische Einfluß tatsächlich war, ist schwer festzustellen. Die Bedingungen für linke, revolutionäre Massenbewegungen waren aus allen möglichen Gründen (u.a. der kulturellen und regionalen Zersplitterung der Unterschichten und ihrer geringen ideologischen 30 31 32 33

RB, 6.7.84: S. 4. Deckes 1985: S. 78. FSP, 16.12.84. Giordani 1986: S. 157ff.

117

Schulung) denkbar schlecht 34 . Hinzu kam die Zerstrittenheit innerhalb der linken sowie linksradikalen Bewegung und die allgemeine Beschwerlichkeit eines Lebens im Untergrund. Eine kurze Phase der Legalität war dem moskauorientierten "Partido Comunista Brasileiro" (PCB) in der Geschichte Brasiliens nur zwischen Ende 1945 und Mitte 1947 vergönnt. Aus den Kongreß- und Präsidentschaftswahlen im Dezember 1945 ging der PCB sogar als viertstärkste Partei hervor, mit 5% der Abgeordnetensitze im Kongreß und über einer halben Million Stimmen (9,7%) für seinen Präsidentschaftskandidaten. Sein Mitgliederstand lag in jener Zeit zwischen 180.000 und 200.000, was •ac

bedeutet, daß er die stärkste kommunistische Partei in Lateinamerika war . Die ungefähre Zahl der im Untergrund aktiven radikalen Organisationen zwischen 1964 und 1978 ist aus dem Buch "Brasil: Nunca Mais zu ersehen. Dort werden in den Tabellen 41 Gruppierungen aufgeführt. Aus einer Studie des brasilianischen Historikers und Marxisten Gorender 3 7 geht zudem hervor, daß eine Vielzahl von brasilianischen Politikern und Organisationsführern in Kuba und China ideologisch geschult und militärisch ausgebildet wurden und später auch Unterstützung aus diesen Länder erhielten. Gorender selbst war als PCB-Parteimitglied zwei Jahre lang zur Schulung in der Sowjetunion. In den Jahren "voll Blei und Feuer" von 1964 bis 1979 hat die militante Linke nach Angaben eines ehemaligen Chefs des DOI-CODI in Säo Paulo, Oberst Brilhante Ulstra, 104 Menschen, darunter 45 Militärs umgebracht. Sein Kollege Polio Giordani führt als Antwort auf "Brasil: Nunca Mais" die Namen von 98 Opfern des Linksterrorismus zwischen 1965 und 1974 auf. Hinzu kamen die Entführung von vier ausländischen 70 Diplomaten und rund 300 Uberfälle auf Banken, Wohnungen und Läden . Nach Schätzungen Gorenders wurden in diesem wohl gewalttätigsten Abschnitt der republikanischen Geschichte Brasiliens 50.000 Personen aus politischen Gründen inhaftiert. 20.000 durchliefen die Folterkammern und über 300 fanden den Tod (zu den Toten werden auch 144 Verschwundene gerechnet). In 800 Prozessen wurden 8.000 Männer und Frauen angeklagt,

34 35 36 37 38

Vgl. Wöhlcke 1983: S. 54 für die Mitte der 80er Jahre. German 1983: S. 55, 69, 73. Arquidiocese de Säo Paulo 1985: S. 114ff. Gorender 1987. Veja 18.3.87: S.28.

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die Nationale Sicherheit gefährdet oder verletzt zu haben; 11.000 wurden dieses Delikts verdächtigt. 130 Personen mußten ins Exil gehen. Der Autor hatte Zugang zur Dokumentation, auf die sich "Brasil: Nunca -IQ

Mais" stützt, das 125 Verschwundene namentlich aufzählt . Mit Ausnahme von drei Fällen sind alle zwischen 1970 und 1975 verschwunden. Zudem sind gerichtliche Aussagen von 1.843 Brasilianern über Folterungen dokumentarisch festgehalten 40 . Zur Verletzung von Menschenrechten in Brasilien gibt es eine Vielzahl von Publikationen, die eine traurige Bilanz ziehen 41 . Im Januar 1976 erschienen in Brasilien erstmals Presseberichte über Folterungen von Regimegegnern. Es war die Zeit der vorsichtigen Öffnungspolitik von Ernesto Geisel und seines Mentors General Golbery, der nun als Vordenker der "abertura" hervortrat. Der konservative "O Estado de Säo Paulo", die auflagenstärkste Tageszeitung Brasiliens, berichtete ausführlich über die Ablösung des Kommandanten der Zweiten Heeresleitung 42 , weil in den Zellen der ihm unterstehenden politischen Polizei DOI-CODI innerhalb kurzer Zeit zwei Gefangene auf ungeklärte Weise ums Leben gekommen waren. Die Öffentlichkeit sah in der Absetzung des Kommandanten, der ein bekannter Vertreter eines "harten Kurses" im Militär war, trotz der Dementis der Regierung eine Reaktion auf die Gewalttaten der politischen Polizei. Der "Estado de Säo Paulo" informierte detailliert über Foltermethoden bei den Verhören. Unter anderen zitierte er Passagen aus einem Bericht von 36 politischen Häftlingen aus Säo Paulo, der über die brasilianische Anwaltskammer (AOB) den Autoritäten des Landes zugeleitet worden war. In einigen Quellen wird berichtet, daß ein Teil der Führungsspitze, darunter der Präsident, nur von dritter Seite Kenntnis von den Folterpraktiken der politischen Polizei erhielt. Der SNI betätigte sich in diesem Bereich entgegen seinen Pflichten eher als ein Organ der Desinformation 4 3 . "Die Regierung billigt solche Methoden auf keinen Fall", hatte Minister Golbery im ersten Regierungsjahr von Ernesto Geisel erklärt. "In den Ländern von der Ausdehnung Brasiliens sind derlei Exzesse möglich", fügte er dann hinzu, "aber wo sie der Regierung zur Kenntnis kommen, wird

39 40 41 42 43

Arquidiocese de Säo Paulo 1985: S. 291ff. FSP, 11.8.85: S. 13. Arquidiocese de Säo Paulo 1985; Amnesty International 1972; Brune 1971. ESP, 20.1.76: S. 22. Veja, 25.11.87: S.6f.

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scharf durchgegriffen. Heute ist die Wachsamkeit wesentlich größer geworden - nicht nur aus Sorge um unser Bild im Ausland, sondern aus Prinzip, aus Respekt vor der Menschenwürde. Dazu kommt, daß die Folter nur die Polarisierung im Lande verschärft. Sie ist untauglich als Mittel der "decompressäo", der Entspannung." 44 General Golbery selbst war bemüht, Folterungen nachzugehen und sie zu verfolgen. Im August 1974 traf er sich ohne Begleitung im Sitz der Nationalen Bischofskonferenz in Brasilia mit Kardinal Paulo Evaristo Arns. In Gegenwart des nordamerikanischen Evangelisten Reverend James Wright, dessen Bruder zu den "desaparecidos" zählte, hörte er sich die Berichte von sieben Familienmitgliedern von Verschwundenen an. Ihm wurde eine Liste mit den Namen von 22 Verschwundenen ausgehändigt. Reverend Wright beobachtete während der Ausführungen der Angehörigen eine erkennbare emotionale Betroffenheit des Generals. An anderer Stelle wird berichtet, Präsident Geisel sei bei der Lektüre der gegenüber dem Oppositionellen Cid Silveira angewandten Torturen unwohl geworden 45 . Den Geheimdiensten wurden auch zahlreiche "verdeckte" Aktivitäten zugerechnet, z.B. Brandstiftung in der U-Bahn von Säo Paulo, aber auch Anstiftung zur Rebellion bei der Militärpolizei von Rio de Janeiro, um deren finanzielle Gleichstellung mit den Streitkräften durchzusetzen. Diese Aktionen Anfang der 80er Jahre sollten, wie ähnliche "covert Operations" unter der vorangegangenen Regierung Geisel, Unruhe in den Städten auslösen, um mit dem Argument, es werde "von unten" agitiert, die Demokratisierungspolitik bremsen zu können 4 6 . Andere "weichere" Varianten der Säuberungsaktionen waren die Kassierung von politischen Mandaten, die Absprechung der politischen Rechte, die örtliche Versetzung, die (vorzeitige) Versetzung in den Ruhestand bzw. die Reserve, Disziplinarverfahren oder Amtsenthebung. Diese Maßnahmen sollen zwischen 1964 und 1974 insgesamt 4.841 Personen betroffen haben 4 7 . Nach anderen Quellen liegt die Anzahl der Betroffenen von 1964 bis 1977 bei 4.6S2 48 . Die Politiker, denen meist für 10 Jahre die politischen Rechte entzogen wurden, bildeten mit rund 500 Fällen nur eine

44 45 46 47 48

Die Zeit 29.11.74. Isto6, 27.9.78: S 26; Veja, 23.11.87: S. 28. WR, 10.2.84. Klein/Figueiredo 1978: S. 150. Soares 1979: S. 69.

120

Minderheit der Opfer. Die Maßnahmen richteten sich in erster Linie gegen die Bürokratie, nicht zuletzt gegen die Streitkräfte selbst, die mit einem Drittel betroffen waren. Nach Alves wurden von 1964 bis 1980 insgesamt 6.592 Mitglieder der Streitkräfte wegen ihrer politischen Gesinnung belangt 49 . Man kann davon ausgehen, daß die Beschuldigungen in der Regel auf nachrichtendienstlichen "Erkenntnissen" basierten. Auch Agenten der Sicherheitsdienste selbst wurden zu Opfern antisubversiver Aktivitäten. Besonders bekannt wurde ein fehlgeschlagener Bombenanschlag auf das RIOCENTRO, südlich von Rio de Janeiro am 30. April 1981. Hier hatten Veranstalter, die der verbotenen kommunistischen PCB nahestanden, eine Musikshow organisiert, zu der 20.000 Zuhörer gekommen waren. Kurz nach Beginn der "Show 1Q de Maio" explodierte auf dem Parkplatz vor dem Zentrum in einem Personenwagen eine Bombe 5 0 . Einer der Insassen starb sofort, ein anderer wurde schwer verletzt. Beide gehörten dem DOI, der zivilen politischen Polizei von Rio de Janeiro, an. In den 16 Monaten zuvor waren bereits 40 Bombenanschläge gegen die linksextreme, aber auch gegen die gemäßigte Opposition verübt worden. Das in der Presse und Öffentlichkeit breit kommentierte Ereignis wurde als mißglückter Attentatsversuch eines der Geheimdienste interpretiert. Untersuchungen, die dazu eingeleitet wurden, brachten keine befriedigenden Ergebnisse, die Frage der möglichen Hintermänner konnte nie geklärt werden 5 1 . Sechs Jahre später wurde ein handschriftliches Schreiben von General Golbery an General Figueiredo bekannt . Darin forderte Golbery eindringlich die Auflösung der "sogenannten DOI-CODIs". Diese Institution sei durch eine radikale, verantwortungslose Minderheit mit terroristischen Praktiken infiltriert, wenn nicht sogar ganz übernommen worden. Da das fehlgeschlagene Attentat von der Öffentlichkeit dem DOI-CODI zugerechnet werde, stehe der Präsident vor einem Dilemma. Entweder nähme man an, er könne die Sicherheitsdienste nicht kontrollieren oder aber er würde selber in irgend einer Weise mit dem Anschlag in Verbindung gebracht werden. Deshalb empfahl Golbery die sofortige Auflösung der DOI-CODI durch den

49 50 51 52

Alves 1984: S. 135. Im Detail Grael 1985: S. 79ff. Veja, 23.9.87: S. 40ff. Wortlaut in Veja, 23.9.87: S. 20f.; JB, 20.9.87: S. 3.

121

Präsidenten, um das Ansehen und die Autorität des höchsten Amtes zu wahren. Präsident Figueiredo wollte oder konnte diesen Rat jedoch nicht befolgen. Politische Beobachter gehen davon aus, daß sich damals die "linha dura", die harte Linie, mit Geheimdienstchef General Octävio Medeiros durchsetzte, dem Golbery bekanntlich sehr kritisch gegenüberstand. Am 6. August 1981, einen Monat später, reichte General Golbery seinen Rücktritt ein. 2. Methoden der Nachrichtenbeschaffung Von den vielfältigen Methoden der Nachrichtenbeschaffung sollen hier nur einige herausgegriffen werden: Vernehmung, "Dragöes" (Telefonüberwachung), "Fichas" (Personenakten) sowie die Beobachtung bestimmter Institutionen und Zielpersonen. a) Vernehmung und "Dragöes" Durch den Journalisten Ayrton Baffa, den Chefredakteur der Zeitung "O Estado de Säo Paulo" in Rio de Janeiro, gelangte im November 1987 eine Fülle von Dokumenten über die Aktivitäten des SNI zwischen 1970 und 1976 an die Öffentlichkeit. Hierzu zählt auch ein Katalog mit 78 Fragen, der in der Ausbildungsstätte EsNI im Jahre 1973 entwickelt worden war. Er sollte dazu dienen, das "philosophische, doktrinäre und politische" Profil eines Verdächtigen zu ergründen. Die Telefonüberwachung und das Aufzeichnen von Telefongesprächen war zwar ein offiziell dementiertes, aber stets praktiziertes Mittel zur Nachrichtenbeschaffung seit der Gründung des SNI. Nach der Verfassung war das Fernmeldegeheimnis unverletzlich, ein 82 Seiten umfassendes Lehrheft des SNI mit dem Titel "Controles" zeigt jedoch, daß das Erlernen solcher Praktiken zum Lehrplan gehörte. Den angehenden Agenten wurde zudem lange die Legalität dieser Lauschaktionen aufgrund eines entsprechenden Dekrets des Präsidenten vorgetäuscht. Mitschnitte betrafen einen unbegrenzten Personenkreis, von Ministern und hohen Militärs bis hin zu C-J

potentiellen Subversiven und den Angehörigen von "desaparecidos" . So wurde 1969 während der Regierung Costa e Silva (1967-69) der VizePräsident Pedro Aleixo bei einem Telefongespräch mit dem Ex-Vize José 53 WR, 10.2.84. 122

Maria Alkmim abgehört. Das persönliche Gespräch eines hohen Offiziers mit seiner Freundin interessierte ebenso wie im Jahre 1975 der Gedankenaustausch zwischen dem Historiker Nelson Werneck Sodre und dem Dramatiker Dias Gomes. Dessen neueste "novela" wurde nach der Auswertung der Aufzeichnung sofort verboten und konnte erst 1985 in veränderter Version unter dem Titel "Roque Santeiro" gesendet werden. Da die Überwachung der Telefone von Angehörigen der "desaparecidos" ergab, daß Hilfegesuche fast stets an General Golbery , die "graue Eminenz" der Regierung, und an Professor Cändido Mendes gerichtet wurden, kursierten in Geheimdienstkreisen bald Rundschreiben, in denen der General als "Verräter" und der Professor als "Kommunist" bezeichnet wurden 54 . Der Ruf von Golbery war bei nationalistisch gesinnten Kreisen wie auch in der Armee und den Sicherheitsdiensten besonders schlecht 55 . Er galt als "besta" (Schwachkopf), weil er viel las und dadurch anfällig für neue Ideen schien, als "politiqueiro" (abwertend für Politiker), weil er den SNI geleitet hatte und politisch tätig war, und als "corrupto" (korrupt), wegen einer früheren Tätigkeit als Präsident der Dow Quimica, einer Tochtergesellschaft des gleichnamigen US-Multis in Brasilien. Andere bezeichneten diesen mächtigen und gefürchteten Mann, der stets im Hintergrund seine Fäden zog, als "bruxo" (Hexer) oder "Satänico Doutor Go". Seine Ablehnung der Folter brachte ihm schließlich bei Geheimdiensten den Vorwurf eines "Verräters" ein 56 . Neben Telefongesprächen wurden auch die Post- und Telexverbindungen kontrolliert und "Wanzen" in den Wänden der Arbeitsräume u.a. von Ministern angebracht. Der ehemalige Minister für soziale Kommunikation (Communica§äo Social), Said Farhat, mag als Beispiel für viele dienen. Allein in seinem Büro im Paläcio do Planalto sitzend, ließ er ein Kraftwort beim Aktenstudium fallen. Am Tag darauf erhielt er eine Kopie des Aktenvermerks über seinen verbalen Ausrutscher mit der Hauptpost 57 zugesandt .

54 55 56 57

Veja 25.11.87: S. 8. Skidmore 1988: S. 319. Veja, 23.9.87: S. 28. FSP, 16.12.84.

123

b) "Fichas" Aufgabe des SNI sollte von Anfang an die Erfassung möglichst vieler personenbezogener Daten sein. Mitte der 80er Jahre waren allein in den Archiven der Zentrale des SNI in Brasilia über 300.000 Personenakten CO

angelegt . Eine "ficha" sollte Aufschluß über acht Persönlichkeitsmerkmale geben: Ideologische Position des Erfaßten, Einstellung gegenüber der Revolution von 1964, subversive Tätigkeiten, Pflichtbewußtsein, Effizienz, staatsbürgerliches Verhalten; hinzu kamen sonstige Bemerkungen und ein abschließendes Urteil 5 9 . Die Personenakte wurde ohne Kenntnis des Betroffenen angelegt, fortlaufend aktualisiert und über den Tod hinaus archiviert. Tausende von Bewerbern um eine Stelle im Staatsdienst wurden in den Jahren der Militärherrschaft aufgrund ihrer negativen "ficha" nicht eingestellt, andere verloren ihren Posten und selbst Minister mußten sich bisweilen nach anderen als den gewünschten Mitarbeitern umsehen. Die jeweilige DSI (Abteilung für Sicherheit und Information) beanspruchte und erlangte eine Machtposition in den Ministerien, die nicht selten zum offenen Dissens mit dem Minister führte 6 0 . So hätten angesehene Politiker, wie Tancredo Neves, wohl keine Chance auf eine Stelle in der öffentlichen Verwaltung oder in einem der Staatsbetriebe gehabt. Der im Jahre 1985 zum Präsidenten gewählte, dann aber verstorbene Ex-Gouverneur, Ex-Senator und Ex-Minister hatte wegen seiner Ablehnung der militärischen Machtübernahme von 1964 und seiner bekannt regimekritischen Haltung negative Eintragungen in seiner Akte. Die Dateien wurden ergänzt durch andere Angaben, die möglichst von Jugend an alle wichtigen Informationen berücksichtigen sollten. In einer der umfangreichsten "fichas", der des Kommunistenführers Luis Carlos Prestes, wurde u.a. festgehalten, was Stalin im Kreml privat zu Prestes gesagt haben soll 61 .

58 59 60 61

RB, 13.9.85; FSP, 16.12.84. Deckes 1985: S.77f. Go6s 1978: S. 52f.; FSP, 16.12.84. FSP, 16.12.84.

124

c) Überwachung besonderer Institutionen und Zielpersonen Zu den zahlreichen Beobachtungsobjekten zählten die bedeutendsten Universitäten, die Presse, die Gewerkschaften, die katholische Kirche und Mitglieder der Exekutive. In den wichtigsten Universitäten des Landes nahmen zwei Mitarbeiter des Geheimdienstes, die voneinander keine Kenntnis hatten, an den Lehrveranstaltungen teil. So konnte die Zuverlässigkeit ihrer Berichte überprüft und Druck ausgeübt werden 6 3 . Der SNI zählte auch die Zahl der Arbeiterstreiks, z.B. in den Jahren 1985 und 1986, um dem Präsidenten Informationen aus diesem Bereich zu vermitteln (wobei er allerdings übertrieben hohe Zahlen angab). In bezug auf die Presse stellte ein Lagebericht des SNI z.B. für den Monat Mai des Jahres 1981 eine tendenziöse Berichterstattung und eine Diskreditierung der Sicherheitsdienste bei der Bevölkerung fest. Hauptgegenstand der Berichterstattung war zu jener Zeit das fehlgeschlagene Bombenattentat auf das RIOCENTRO. Aus der Auswertung von neun Tageszeitungen und weiterer Quellen zog der SNI bezeichnenderweise Schlußfolgerungen über "die Strategien, Taktiken und angewandten Techniken der Internationalen Kommunistischen Bewegung", die dem Präsidenten zugeleitet wurden 6 4 . Bekannt wurde ferner im Jahre 1983 ein Dossier des SNI über die katholische Kirche im Staate Säo Paulo. Eingeteilt nach Regionen wurden darin die Tätigkeiten der einzelnen Geistlichen, ihre Kontakte zu anderen "padres", örtliche Besonderheiten und politische Positionen dokumentiert 6 5 . Zudem mußten in den folgenden Jahren Personen, die im Bereich der kirchlich unterstützten Agrarreform tätig waren, mit einer Überprüfung durch den Geheimdienst rechnen 66 . Prinzipiell galt jeder als verdächtig, selbst Minister. So lobte Präsident Figueiredo in einem Fernsehinterview Anfang 1985, der SNI arbeite derart effizient, daß ihm manchmal bereits zwei Wochen zuvor bekannt sei, mit welchem Anliegen ein Minister an ihn herantreten werde. Er könne dann f n mit gezielten Fragen den Minister "demontieren .

62 63 64 65 66 67

CEDI 1979. FSP, 16.12.84. FSP, 5.8.85: S.4. CB, 24.12.83: S. 5; CB, 27.12.83: S.5. RB, 13.9.85. FSP, 10.2.85.

125

V. Schlußbemerkung "Criei um monstro - ich habe ein Monstrum geschaffen", lautete die rückblickende Beurteilung des nationalen Informationsdienstes SNI durch seinen Mitbegründer und ersten Leiter, General Golbery do Couto e Silva 68 . Im August 1979 erließ die neue Regierung des vorangegangenen SNI-Chefs General Joäo Baptista Figueiredo ein Amnestiegesetz, das neben einem Straferlaß für politische Gefangene und exilierte Brasilianer auch die Mitarbeiter des "Monstrums" und der anderen Geheimdienste von ihren Vergehen freisprach. Präsident José Sarney, der erste zivile Präsident Brasiliens seit über 20 Jahren, hat 1985 die Nachrichtendienste in strukturell wenig veränderter, nur geschwächter Form von General Figueiredo übernommen. Während der Amtszeit Sarneys hat eine vom Volk gewählte Verfassunggebende Versammlung eine demokratische neue Staatsordnung ausgearbeitet und verabschiedet. Die am 5. Oktober 1988 verkündete achte Verfassung des Landes hat einen für Lateinamerika exemplarischen Charakter. Zu den zahlreichen politischen Bestimmungen zählt auch die "habeas data". Jeder Bürger erhält aufgrund von Art. 5, LXXII ff. das Recht auf kostenlose Einsicht in die über ihn von staatlichen Stellen angelegten Akten, z.B. beim Nachrichtendienst SNI 69 . Der SNI wurde schließlich Anfang 1990 von dem frei gewählten Staatspräsidenten Fernando Collor de Mello aufgelöst und durch eine ihm direkt unterstellte Organisation unter Leitung eines Zivilisten ersetzt. Die neue institutionelle Ordnung kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Machtstellung des Militärs de facto unangetastet blieb und das Militär mit seinen eigenen Nachrichtendiensten als Staat im Staate zu betrachten ist.

68 JB, 19.9.87: S. 5. 69 Constitu?äo 1988.

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C o n s t i t u y o . República Federativa do Brasil. Promulgada cm 5 de Outubro de 1988, Serie Legisläo Brasileira. Säo Paulo. 1988 Die folgenden Gesetzestexte sind unter den angegebenen Daten im "Diário Oficial da Uniäo", Brasilia, zu finden. Decreto-Lei No. 69.534 vom 11.11.1971 (verlieh der Exekutive die Vollmacht, geheime Gesetze zu erlassen).

128

DEC.N. 68.448 vom 31.3.1971 (schafft die Ausbildungsstätte EsNI des SNI). Decreto-Lei No. 898 vom 29.9.1969 (Nationales Sicherheitsgesetz) Decreto-Lei No. 314 vom 13.3.1967, neu geregelt durch Decreto-Lei No. 510 vom 20.3.1969 (Nationale Sicherheitsgesetze). DEL. N. 200 vom 25.2.1967 und 27.2.1967 (Art. 44 bestimmt die Zielsetzungen des SNI). DEC.N. 60.182 vom 3.2.1967 und 8.2.1967 (Geheimgesetz über internen Vorschriften des SNI). Decreto-Lei No. 55.194 vom 10.12.1964 und 11.12.1964 (bestimmt die Organisationsstruktur, das Budget und die Aufgaben des SNI). Decreto-Lei No. 4.341 vom 13.6.1964 und 15.6.1964 (Gründungsgesetz des SNI). Ausgewählte Reportagen zu den Nachrichtendiensten CB - Correio Braziliense 24.12.1983: Exército Tem Dossiè Contra a Igreja. O Cruzeiro 9.11.1968: CCC ou o Comando do Terror, von Pedro Medeiros, S. 12-24. ESP - O Estado de Säo Paulo 20.1.1976: O Exército Anuncia Morte de Preso; Geisel Afasta Ednardo e Nomeia Dilermando. FSP - Folha de Sào Paulo 19.9.1987: Golbery Pensava a Política como se fosse urna Engenharia, von Walder de Goés. FSP - 5.8.1985: "Noticiário Adverso" ao Governo Beneficiava Comunistas, Dizia SNI, von Emerson de Souza. FSP - 16.12.1984: Radiografia do Servilo Secreto, von Rubem de Azevedo Lima. Istoé 27.9.1978: Dossiè da Repressäo, S. 24-32. JB - Jornal do Brasil 20.9.1987: Golbery Cobrou de Figueiredo Extingáo do DOICODI.

129

JB - 19.9.87: Morre o Conspirador da Ditadura e da Abertura; Para cada Intelcctual, uma Imagem Diferente. Le Monde 5.11.1976: Le Terrorisme de la Droite se Développe en toute Impunité, von Charles Vanhecke. Le Monde 27.4.1971: Le Procès de l'"Escadron de la Mort" est Celui du Régime, von Charles Antoine. R B - Latin American Regional Reports Brazil 13.9.85: T h e SNI Opens its Doors. R B - 6.7.1984: The Long Arm of the SNI. Der Spiegel 23.8.1971. Veja 25.11.1987: SNI: o Retrato do Monstro de Cabeça Oca, S. 4-12. Veja 23.9.1987: O Bruxo Fez sua Ultima Arte, von Elio Gaspari, S. 20-31. W R - Latin America Weekly Report 10.2.1984: SNI "Dirty Tricks" Alleged by Media. Die Zeit 29.11.1974: Wenn Brasilien Glück hat. "Dekompression" - eine Chance für Wohlstand und Demokratie.

130

III Rechtfertigungen, Ursachen, Probleme der Informationsbeschaffung

"Partisanen kann man nur auf Partisanenart bekämpfen" Über die ideologischen Wurzeln und Rechtfertigungen der "Guerra sucia" in Lateinamerika (insbesondere in Argentinien) Arnold Spitta

Ausgangspunkt meines Beitrages ist der Ausspruch Carl Schmitts, daß man Partisanen nur auf Partisanenart, also mit den gleichen Kampfmitteln, bekämpfen könne 1 . Einleitend werden zwei wichtige Aspekte des Themas genauer definiert (Teil I): 1. Der Begriff des Partisanen und die damit verbundene besondere Form des Kampfes. "Partisan" wird hier als Synonym für den Guerrillakämpfer verwandt. In den letzten Jahren bezeichneten Staaten, die von den Guerrillaaktivitäten betroffen waren, diese immer häufiger als Gewaltakte des (internationalen) Terrorismus oder als terroristische Gewalttaten, aus dem Partisanen und Guerrillakämpfer wurde im Jargon der betroffenen Staaten der Terrorist. 2. Die Bekämpfung des Partisanen auf Partisanenarf, d.h. daß der Staat mit den gleichen Kampfmethoden zurückschlägt (oder gar angreift) mit der Begründung, es sei die beste, wenn nicht die allein erfolgversprechende Form, die Guerrilla zu besiegen. Da Guerrillakämpfer zunehmend als Terroristen definiert wurden, entwickelte sich aus der Bekämpfung nach Partisanenart bald die Bekämpfung des Terrors durch staatlichen (Gegen-)

1

Schmitt 1963: S. 20. Schmitt beruft sich auf einen älteren, einem der Generale Napoleons zugeschriebenen Ausspruch. Ende der fünfziger, Anfang der sechziger Jahre - noch in der Blütezeit des Kalten Krieges - war die Beschäftigung mit den Partisanen, mit Guerrillas und (kommunistischen) Untergrundkämpfern geradezu ein Modethema geworden. In diesen größeren Zusammenhang reiht sich Carl Schmitts Arbeit ein. Vgl. auch Dixon 1956; Redelis 1958; Rentsch 1961; Schroers 1961. Für Lateinamerika gilt Ähnliches. Vgl. z.B. die einflußreiche, von der argentinischen Offiziersvereinigung Círculo Militar herausgegebene Revista Militar. Praktisch jede Nummer in den späten fünfziger und frühen sechziger Jahren wies auf die angebliche kommunistische Wühl- und Untergrundarbeit überall auf der Welt hin. In der Buchreihe Biblioteca del Oficial des Círculo Militar erschien ein fünfbändiges Werk zur gleichen Thematik (Granillo Fernández 1962-1964).

133

Terror. Anders ausgedrückt hieß es, daß man einen "schmutzigen Krieg" nur mit "schmutzigen" - d.h. illegalen - Methoden führen könne. Implizit erwuchs so aus der Theorie der Partisanenbekämpfung die Praxis des Staatsterrorismus . Im Teil II werden einige Variablen der internationalen wie der lateinamerikanischen Wirklichkeit beleuchtet, um den Kontext, in dem die Fragestellung dieses Beitrags steht, aufzuzeigen. Der Hauptteil ist der Frage gewidmet, mit welchen Begründungen die Verfechter der eingangs zitierten Sentenz diese zu rechtfertigen trachten, d.h., aus welchen ideologischen bzw. ideengeschichtlichen Wurzeln sie ihre Legitimation bezieht (Teil III). Zum Schluß (Teil IV) wird die Frage aufgeworfen, ob die Behauptung stichhaltig ist, daß ein Staat Guerrillas nur mit den Methoden der Guerrilla erfolgreich bekämpfen könne und von daher legitimiert sei, sich dieser Kampfmethoden zu bedienen. Teil V enthält einige Schlußbemerkungen, zum Teil in Thesenform.

I. Zu den verwendeten Begriffen: Der Partisan ist ein Guerrillakämpfer. Kennzeichnend für Guerrillaaktivitäten ist: - daß es sich um eine subversive, d.h., auf die Zerstörung des herrschenden Staats- und Gesellschaftssystems gerichtete Tätigkeit handelt; - daß diese Aktivitäten aus dem Untergrund (klandestin) erfolgen und in der Regel mit Gewaltmethoden verbunden sind; - daß sie unvorhersehbar sind, da sie das Moment der Überraschung ausnützen; - daß auch Terrorakte (Attentate, Geiselnahmen usw.) zu den Methoden gehören können; - daß die Guerrillakämpfer in der Regel getarnt agieren und nicht als Teil regulärer Truppen; nach außen hin erscheinen sie als normale Staatsbürger (Mimetismus in der Bevölkerung) - außer wenn das Ziel eines

2

Die in meinem Beitrag angeführten Beispiele stammen überwiegend aus Argentinien, haben jedoch auch in anderen Ländern Lateinamerikas Parallelen, zum Beispiel in Guatemala.

134

"befreiten Gebiets" erreicht ist, wo die Guerrilla sich ihrerseits in die staatliche Ordnung verwandelt; - daß eine Tendenz der Guerrillakämpfer zur Infiltration in bestehende Einrichtungen besteht, um von innen heraus das System kampfunfähig zu machen 3 . Johan Galtung weist daraufhin, daß Guerrillaaktivitäten in der Regel Kennzeichen eines asymmetrischen Kräfteverhältnisses zwischen den sich bekämpfenden Parteien sind: es ist die Waffe des Schwachen gegen den Stärkeren, da er diesen in offener Schlacht nicht zu besiegen vermöchte 4 . Der Herausforderung durch Guerrillaaktivitäten kann der Staat auf zwei Arten begegnen: 1. Mit den gesetzlich vorgesehenen Möglichkeiten und den entsprechenden (in der Regel uniformierten, mithin identifizierbaren) Ordnungskräften, die auf gesetzlicher Grundlage handeln und über ihre Aktionen der Öffentlichkeit gegenüber rechenschaftspflichtig sind; 2. mit geheimen, paramilitärischen oder parapolizeilichen Gruppen und illegalen Methoden, für die der Staat in der Öffentlichkeit jede Verantwortung bestreitet und deren Existenz er nicht selten sogar rundweg leugnet. Im ersten Fall handelt der Staat als Rechtsstaat. Die Militärregimes Lateinamerikas waren keine Rechtsstaaten, mehrere von ihnen handelten in der an zweiter Stelle geschilderten Weise, weshalb man bei ihnen von Staatsterrorismus sprechen kann. Wenn Galtung die oben beschriebenen Kampfformen der Guerrilla als typisch für ein asymmetrisches Kräfteverhältnis bezeichnet, so gilt der Umkehrschluß nicht in gleicher Weise, wenn der Staat sich der Guerrillamethoden bedient. Die Schlußfolgerung, daß der Staat sich als schwach zeige, wenn er staatsterroristische Methoden anwendet, ist logisch nicht zwingend, im Gegenteil, sie ist in der Regel

3

4

Als Beispiele seien zwei Bombenattentate erwähnt, die die argentinische Guerrilla in den Jahren 1976 und 1977 verübte. Eine Angehörige der Montoneros nutzte ihre freundschaftliche Beziehung zur Tochter eines hohen Militärs, um in seinem Schlafzimmer eine Zeitbombe zu verstecken. Im zweiten Fall war es ein in der "Seguridad Federal" - eine der Zentralen der Subversionsbekämpfung - arbeitendes Mitglied der Guerrilla, das am 2.7.1976 ein Bombenattentat ausführte. Vgl. die Chronologie der Guerrillaaktivitäten in: Círculo Militar (Hrsg.) 1980: Anhang (Diese Chronologie zählt aber auch staatsterroristische Morde auf, die auf diese Weise der Guerrilla in die Schuhe geschoben wurden). Galtung 1988: S. 32f. Für Galtung ist umgekehrt der Staatsterrorismus die Reaktion des starken Staats auf die Gewalt einer schwachen Guerrilla (S. 33).

135

falsch. Staatsterrorismus ist nicht ein Kennzeichen des schwachen - oder sich selbst als schwach begreifenden - Staats gegenüber einer starken Guerrilla, sondern entspringt dem strategischen Kalkül der militärischen oder politischmilitärischen Führung des Staates, daß diese M e t h o d e die angemessenste, d.h. die wirksamste F o r m des Kampfes sei. D e r Staat verzichtet dabei in keiner W e i s e

auf die ihm gesetzlich zustehenden Machtprärogativen und

-mittel, sondern "reichert" diese - zugunsten vermeintlich g r ö ß e r e r Effizienz durch illegale, klandestine T e r r o r m e t h o d e n an. E s ist für ihn lediglich eine strategische oder taktische Frage. F ü r die Militärregime, die sich dieser M e t h o d e n bedienten, definiert sich Effizienz vom Ergebnis, nämlich der Vernichtung der Guerrilla, her und nicht von den angewandten Mitteln und ihrer rechtsstaatlichen Angemessenheit 5 . D e n Militärregimes k a m es nicht in erster Linie darauf an, das V e r t r a u e n der Bürger in den Staat als Rechtsstaat zu gewinnen, sondern sie gingen davon aus, daß Einschüchterung durch T e r r o r im K a m p f gegen einen von T e i l e n der Bevölkerung protegierten Feind schnellere Ergebnisse zeitigt. E s genügte ihnen daher, wenn die Bevölkerung aus Furcht gehorchte und kollaborierte, was im übrigen dem militärischen Ideal von B e f e h l und G e h o r s a m , hier auf Regierung und U n t e r t a n e n angewandt, entspricht. Carl Schmitts Ausspruch "Partisanen kann man nur auf Partisanenart bekämpfen"

liegt

die

Überzeugung

zugrunde,

daß

man

einen

in

der

Bevölkerung getarnten, wendigen, Überraschungserfolge suchenden G e g n e r , der zudem hoch motiviert ist, nicht erfolgreich mit rechtsstaatlichen Mitteln bekämpfen

Guerrilla

von

fanatischem Vernichtungswillen erfüllt ist, muß der Staat ihr mit

dem

gleichen

kann.

Da

für

Schmitt

Vernichtungswillen

Rechtsstaates

abstreifen

und

die

begegnen,

kommunistische er

muß

den verborgenen

sich Feind

die mit

Fesseln

des

subversiven

M e t h o d e n wie Infiltration oder F o l t e r aufspüren. D i e G r ö ß e der Bedrohung des Staates macht die Aufhebung der gesetzlichen Beschränkungen nötig. Z u r Rechtfertigung von Hitlers Massenmorden vom 30. J u n i 1934 benutzte Carl Schmitt den Begriff der "Staatsnotwehr". Mit der Sentenz, Partisanen nur auf Partisanenart bekämpfen zu können, legitimierte Schmitt, dem gleichen Denkmuster verhaftet, nach dem zweiten Weltkrieg die Notwendig-

5

Vgl. das sog. Documenta Final der Junta Militär Argentiniens vom 28. April 1983.

136

keit des ungesetzlichen Terrors des Staates im Kampf gegen die (angeblich kommunistischen) Guerrillakämpfer 6 . "Partisanen kann man nur auf Partisanenart bekämpfen" heißt konkret, daß der Staat sich ähnlicher Guerrillamethoden bedient, d.h., - daß neben den regulären Sicherheitskräften (Armee, Polizei, Sicherheitsdienste) sich klandestine parastaatliche Formationen bilden 7 , die sich zum Teil oder überwiegend aus Angehörigen der Sicherheitskräfte zusammensetzen und direkt oder indirekt deren Befehlstrukturen unterliegen; - daß diese parastaatlichen Geheimkommandos im Auftrag des Staates, mindestens aber mit seiner stillschweigenden Duldung und mit der logistischen Unterstützung des Staatsapparats unter Anwendung terroristischer Methoden die Guerrillakämpfer (oder die, die als solche angesehen werden) zu vernichten trachten; - daß diese Gruppen genau wie die Guerrilla im Untergrund arbeiten, d.h., der Staat erklärt sich - obwohl insgeheim Komplize - als nicht verantwortlich für ihre Taten und lehnt in der Öffentlichkeit jede Verantwortung für die Terrorakte dieser Gruppen ab; - daß der Staat die Unschuldsvermutung des Rechtsstaates preisgibt zugunsten einer diffusen Schuldvermutung, die jeden Bürger treffen kann. Der Rechtsstaat grenzt die Zahl der möglichen Täter ein, indem er den oder die Beschuldigten vor ein Gericht stellt. Der Staatsterrorismus grenzt die Zahl der Verdächtigen aus; auch ein Freispruch vor Gericht ist keine Garantie gegen anschließende Gewaltmaßnahmen parastaatlicher Terrorgruppen; - daß der Staat systematischen Terror, inklusive Folter, anwendet. Zum einen, um die im Rechtsstaat gegebene Kalkulierbarkeit der Konsequenzen, die sich für den Einzelnen aus seinem Tun ergeben, durch die bedrohlichere Unvorhersehbarkeit und Unberechenbarkeit der Folgen zu ersetzen und damit ein allgemeines Klima der Einschüchterung zu erzeugen. (In einem Rechtsstaat kann ein gewerkschaftlich engagierter Arbeiter

6

7

Ausführlich hierzu in Teil IV. Die Rechtfertigungsversuche des Oberstleutnants Oliver North vor dem Untersuchungsausschuß des nordamerikanischen Kongresses zur Aufklärung der Hintergründe der Iran-Contra-Affäre zeigen eine gewisse Parallele auf. Die angebliche Größe der Gefahr von Seiten des sandinistischen Nicaraguas - das zum Begriff des Bösen hochstilisiert wird - rechtfertigte in seinen Augen die illegalen Aktionen der USRegierungsstellen. Vgl. z.B. für Guatemala die Auflistung solcher parastaatlichen Terrorgruppen in Aguilera Peralta et al. 1981: S. 143f.; vgl. auch Premo 1981.

137

kalkulieren, daß er schlimmstenfalls seinen Job riskiert. Unter einem Regime des Staatsterrorismus kann er nie sicher sein, daß er nicht von parastaatlichen Geheimgruppen entführt bzw. ermordet wird, selbst wenn sein Engagement sich im Rahmen der Legalität bewegte.). Die Unvorhersehbarkeit, die ein Zeichen von Guerrillaaktivitäten ist, wird so vom Staat übernommen. Zum anderen foltert der terroristische Staat aus Gründen vermeintlicher "Effizienz", um die als harmlose Durchschnittsbürger getarnten Guerrillakämpfer zu "entlarven". Er hofft, unter hundert willkürlich Verhafteten mit Hilfe der Folter den einen realen Guerrillero herauszufinden, der mit ins Netz gegangen sein könnte, und lehnt die Unschuldsvermutung aus früherer, rechtstaatlicher Zeit ab, da sie die Gefahr in sich birgt, den einen Verdächtigen zusammen mit den neunundneunzig Unschuldigen entkommen zu lassen. Warum bedienten sich Militärregime, wie beispielweise in Argentinien, Guatemala, El Salvador und Honduras, klandestiner Terrormethoden? Weil sie auf diese Weise jene mehr oder weniger große Zahl von angeblichen Staatsfeinden, mochte es sich in Wirklichkeit um Sozialisten, Sozialdemokraten, Liberale, unabhängig denkende Konservative oder einfach Andersdenkende handeln, nach Belieben einschüchtern oder ermorden lassen konnten, ohne dafür Verantwortung übernehmen zu müssen. Nach einem solchen Attentat wurde offiziell eine strenge amtliche Untersuchung angeordnet. Man werde die Schuldigen suchen, egal ob es sich um Links- oder Rechtsextremisten handle, verkündet das Regime, um die Fiktion seiner Rechtsstaatlichkeit aufrechtzuerhalten und damit gleichzeitig internationaler Kritik zu entgehen. Mit parastaatlichem Terror, vor allem in seinen extremsten Varianten, Folter und Mord, konnte das Regime sich mißliebiger oder national anerkannter Dialogbefürworter bzw. potentieller Führungsalternativen entledigen, ohne dafür sogleich international geächtet zu werden, weil es ja eine umfassende Untersuchung des Anschlags ankündigte und für sich Q

selbst die Unschuldsvermutung des Rechtsstaats in Anspruch nahm .

8

Ein Musterbeispiel für parastaatlichen Terror und regierungsamtlich zur Schau gestellte Ahnungslosigkeit und Entrüstung ist die Folterung und Ermordung von sechs Jesuiten der Universidad Centroamericana von El Salvador, unter ihnen der Rektor Ignacio EUacuria, im November 1989. Parastaatlicher Terror ist also auch unter einer durch Wahlen demokratisch legitimierten Regierung möglich (Die Morde ereigneten sich nach Fertigstellung des Manuskripts, weshalb sie hier nur noch als Beispiel erwähnt werden können).

138

II. Der internationale und der lateinamerikanische Kontext 1. Variable der internationalen

Realität

Vom internationalen Gesichtspunkt aus waren die vergangenen Jahrzehnte eine Zeit permanenter Aufrüstung und konfrontativer Tendenzen, mit langen Jahren des kalten Krieges und kürzeren Perioden der Entspannungspolitik. Rechtfertigungstheorien für die Verständigung mit diktatorischen, aber antikommunistischen Staaten wurden entwickelt 9 , kurz, in der westlichen Welt herrschten starke antikommunistische Tendenzen vor. In Lateinamerika verstanden die führenden Schichten sich als dieser westlichen Welt zugehörig, d.h., man sah sich als einen Teil des christlich geprägten Abendlands (mundo occidental y cristiano) an. Im Rahmen des kalten Krieges bildete sich ein Freund-Feind-Schema heraus, das den Gegner, vom Westen aus betrachtet das kommunistische Lager, in manichäisch verkürzter Sicht für alle aus ungelösten gesellschaftlichen Problemen resultierenden Konflikte veranwortlich machte. Die Theorie der zwei Lager, in die man die gesamte Welt gespalten sah, besagt weiter, daß es das kommunistische Lager ist, das überall in der Welt versucht, die etablierte Ordnung zu zerstören 10 , ganz im Sinne einer kommunistischen Weltverschwörung. Soziale und politische Unruhen und Probleme wurden primär unter dem Blickwinkel des Ost-West-Konflikts gesehen, andere Ursachen wurden negiert. Der Kampf zweier Lager im Weltmaßstab zwingt so lautet die Schlußfolgerung - zu entsprechenden kriegerischen Anstrengungen, wobei auch die Wahl der Mittel zur Verteidigung der Freien Welt bestimmt ist von den "subversiven" Methoden der Gegenseite. Zu den internationalen Fakten gehört ferner die Nichtanerkennung der Guerrillas als kämpfende Truppen - dies blieb eine ihrer vergeblichen Forderungen 1 1 .

9

Vgl. Jeanne Kirkpatricks Unterscheidung zwischen autoritären und totalitären Staaten als Rechtfertigung dafür, Allianzen mit den "autoritären" Rechtsdiktaturen gegen die "totalitären" (Links-) Diktaturen einzugehen, weil erstere das kleinere Übel seien. 10 Interessant ist in unserem Zusammenhang die starke Resonanz, die diese wechselseitige Ost-West-Propagandaschlacht in der Dritten Welt fand. Auf einschlägige Beispiele wurde bereits in Anm. 1 hingewiesen. Vgl. auch Sidicaro 1988. 11 Inwieweit die Annerkennung (und Finanzierung) der antisandinistischen Contras durch die USA hier eine Ausnahme bildet, muß offen bleiben.

139

2. Variable der lateinamerikanischen

Wirklichkeit (strukturelle und ideologische

Faktoren) Zu den strukturellen Faktoren -

gehören u.a.

die Tradition der Gewalt in den lateinamerikanischen Gesellschaften, die dazu führte, daß der Staat nie in demselben Maße wie in den westeuropäischen

Gesellschaften

das Gewaltmonopol

inne

hatte,

ebensowenig aber selber den rechtsstaatlichen Restriktionen unterlag, die dieses Gewaltmonopol eingrenzen und damit staatliche Willkür 12 verhindern ; -

soziale Spannungen und Polarisierungen in der Gesellschaft; Undurchlässigkeit der sozialen Schichten, mangelnde oder fehlende Partizipationschancen der unteren Schichten. Dadurch verhinderten die traditionellen Eliten die Entstehung einer modernen Gesellschaft, zu deren Kennzeichen soziale Mobilität gehört. In permanentem Abwehrkampf gegenüber dem Druck der unteren Volksschichten, kannten die herrschenden Eliten kaum einen anderen Ausweg zur Erhaltung ihrer Privilegien als zunehmende Unterdrückung der unteren Klassen;

-

unglaubwürdig

gewordene

formaldemokratische

Fassaden,

die

zu

Polarisierungen in der Gesellschaft führten. Die Guerrillakämpfer in Lateinamerika in den sechziger und siebziger Jahren rekrutierten sich überwiegend aus Teilen der Jugend, die nicht mehr an die Demokratie und an durch Konsens und Kompromiß mögliche Reformen glaubten, sondern auf gewaltsame Veränderungen setzten. Beachtliche Teile der Jugend waren, was die Möglichkeit ihrer Partizipation an den Entscheidungen des Gemeinwesens anbelangt, frustriert. Verschärft hatte sich dieses Phänomen durch die zahlreichen Militärregierungen,

die

sich

in den

letzten

Dekaden

in vielen

Ländern

Lateinamerikas an die Macht putschten und die - selber ihre Legitimation fast ausschließlich aus der Macht ihrer Bajonette beziehend durch ihre repressiven Methoden die Polarisierung der Gesellschaft beschleunigten und die Ausbreitung der Theorie von der befreienden

12 Das Problem der lateinamerikanischen Staatenbildung und des staatlichen Gewaltmonopols (und seiner begrenzten Durchsetzung) kann hier nicht behandelt werden. Für Guatemala und die Problematik seiner Staatsbildung vgl. die knappe Übersicht bei Aguilera Peralta et al. 1981.

140

Gewalt von unten als der Gegengewalt zur unterdrückenden staatlichen Gewalt von oben begünstigten; - mangelndes Vertrauen der Eliten in demokratische Prinzipien und in die Demokratie als Regierungsform, da sie davon ausgehen, daß diese mit ihren Privilegien kollidieren und Machteinbußen zur Folge hätten; - eine tiefe Strukturkrise der Wirtschaft, die neben dem schnellen Bevölkerungswachstum die soziale Spannungen vergrößert (fehlende Arbeitsplätze für die auf den Arbeitsmarkt drängenden Nachwuchsjahrgänge). Zu den ideologischen Variablen gehören: - der latente oder offene Rassenhaß der Eliten und die daraus folgende Diskriminierung der indianischen oder afroamerikanischen Bevölkerung; - der Einfluß der katholischen Kirche traditioneller Prägung auf das Denken der konservativen Eliten, insbesondere der Militärs; - die zunehmende Militarisierung des Denkens und als Folge davon die Vorstellung vom Militär als Retter der Nation vor dem Untergang; - die Vorstellung, daß Verdienste im antikommunistischen Kampf eine Form seien, sich das Wohlwollen der Hegemonialmacht zu sichern und 1^ dadurch zu ihrem privilegierten Juniorpartner zu avancieren .

III.

Die ideologischen Wurzeln und Rechtfertigungsformen der "Guerra sucia"

In der Debatte über die ideologischen Wurzeln des Staatsterrorismus ist das Hauptaugenmerk heute oft auf die sogenannte Doktrin der nationalen Sicherheit gerichtet, deren Grundstein in den USA nach dem zweiten Weltkrieg gelegt und die in der Konfrontation des kalten Kriegs der

13 Zu den gravierenden Fehleinschätzungen des argentinischen Juntachefs und de factoPräsidenten Galtieri, als er am 2. April 1982 die Malvinas/Falkland Inseln besetzte und dabei mit US-amerikanischer Duldung rechnete, gehörte die Vorstellung, daß Argentinien aufgrund seines antikommunistischen Engagements (u.a. hatte es militärische "Berater" nach Zentralamerika entsandt) zu einem privilegierten Verbündeten der USA avanciert sei.

141

fünfziger und sechziger Jahre ausgeformt wurde 1 4 . Im Fall von Lateinamerika sind neben dieser "Doktrin", die zweifellos in den sechziger und siebziger Jahren zunehmend an Einfluß gewann, eine Reihe von ideologischen Wurzeln zu nennen, die erheblich älter sind und teilweise noch aus der spanischen Kolonialzeit stammen. Im Folgenden sollen wichtige Elemente des Weltbildes, der spezifischen Erziehung und Ausbildung des lateinamerikanischen Militärs beschrieben werden. Dabei wird von der These ausgegangen, daß diese Elemente, die durchaus heterogenen Ursprungs sein können, sich im Laufe der Zeit zu einem einheitlichen Ganzen verschränkten und zu einer geschlossenen Weltanschauung verdichteten, aus der heraus staatsterroristisches Handeln plausibel und legitimierbar wurde. Zu den Elementen dieses Weltbilds gehören: 1) Der katholische Traditionalismus spanischen Ursprungs 2) Der Nationalismus 3) Der Kult des Militärischen als Erziehungsideal - Sendungsbewußtsein und Messianismus 4) Der Rassismus 5) Der Antikommunismus 1. Der katholische Traditionalismus spanischen

Ursprungs

Als Reaktion auf die Ideen der französischen Aufklärung entstand in Spanien ein katholischer Traditionalismus, dessen Ziel die Bekämpfung der neuen heterodoxen Ideen war, und der von Anfang an eine Haltung dezidierter Intoleranz einnahm. Es handelte sich nicht nur um eine theoretische Unduldsamkeit gegenüber aufklärerischen Ideen, sondern diese Intoleranz sah oft genug die Anwendung von Gewalt gegen Andersdenkende vor. Zur Apologie des Traditionalismus gehörte die explizite Einbeziehung von physischer Gewalt, von Folter, Krieg und Diktatur 1 5 als Mittel zur Durchsetzung der eigenen Vorstellungen.

14 Vgl. hierzu u. a. Comblin 1977; López 1987; Fernández Baeza 1981; auch Waisman 1987; Arriagada/Garretön 1978. Vgl. auch den Beitrag von Nikolaus Werz zur Doktrin der nationalen Sicherheit in diesem Band. 15 Zum Folgenden vgl. López Pérez 1979.

142

Zum Gedankengut der Traditionalisten gehörte neben der Befürwortung der Monarchie, der Ablehnung der Volkssouveränität und revolutionärer Bewegungen jeglicher Art die Bewahrung der ererbten katholischen Religion und des spanischen Lebensstils und seines besonderen Ordnungsverständnisses 16 . Für die spanischen Traditionalisten war dem Menschen Wahrheit nur zugänglich als die von Gott geäußerte Wahrheit; Erkenntnis konnte nur aus der Heiligen Schrift und der Tradition geschöpft werden. In den Aufklärern sahen sie daher eine "Verschwörung der Kräfte des Bösen gegen die von Gott gewollte hierarchische Ordnung" 17 , mit anderen Worten, es handelte sich um nichts Geringeres als um den Kampf des Bösen mit dem Guten. Mit dieser metaphysisch begründeten Abqualifizierung des Gegners ließ es sich leicht rechtfertigen, das Objekt der Kritik - gegebenenfalls auch physisch zu vernichten. Zu den Vorkämpfern dieses Traditionalismus gehört José Donoso Cortés. In seinem Ausspruch, daß die Wahrheit in sich souverän sei und keine 1Ä Erlaubnis benötige um sich durchzusetzen , klingt die Vorstellung an, daß der Besitz der Wahrheit dazu berechtige, diese mit Gewalt durchzusetzen. Jegliche Neuerung, politische Reform oder gesellschaftliche Veränderung war Traditionalisten wie Donoso Cortés ein Greuel: "Alles, was neu ist, ist in der Politik und der Moral falsch und gefährlich, und in der Religion falsch, gefährlich und absurd" 19 . Da ein großer Teil der europäischen Intelligenz des ausgehenden 18. Jahrhunderts aufklärerischen Ideen huldigte, appellierte der antiaufklärerische Traditionalismus nicht an den Verstand, sondern an das Gefühl, indem er an die Stelle des rationalen Arguments den Mythos setzte, insbesondere den Mythos von der Verschwörung der Kräfte des Bösen und der Finsternis gegen die gottgewollte hierarchische Ordnung, von Donoso Cortés "wahre Ordnung" genannt. Die Aufklärung hingegen zerstöre "die Prinzipien der Moral, des allgemeinen Rechts, die öffentliche Sicherheit, die legitime Unterordnung und die ganze Ordnung, die im Universum herrschen muß" 20 .

16 Ebenda, S. 146. 17 Javier Herreros, Los orígenes del pensamiento reaccionario español, Madrid 1971, S. 33 (zit. nach López Pérez 1979: S. 147). 18 José Donoso Cortés, Ensayo sobre el Catolicismo, el Liberalismo y el Socialismo, S 955 (zit. nach López Pérez 1979: S. 143). 19 Zitiert nach López Pérez 1979: S. 147. 20 Zitiert nach López Pérez 1979: S. 148.

143

Besonderen Eifer entwickelten die Traditionalisten gegen jegliche Art von religiöser Toleranz, die als der Weg zum ewigen Verderben galt . Toleranz wird dem Atheismus gleichgesetzt - gegen beide hilft nur die kämpferische Intoleranz: "Der Fanatismus, auch wenn er blutrünstig und grausam ist, ist eine große und starke Leidenschaft, die das Herz des Menschen erhöht" 2 2 . Die Verbreitung aufklärerischer Ideen sei ein Freibrief für universale Toleranz, die unweigerlich den Abfall vom Glauben und den Verfall der Sitten nach sich ziehe. Die Zerstörung der Tugenden zugunsten von Libertinage und Laster sei die Folge . Gegen einen solchen Religions- und Sittenverfall hilft nur Gewalt 2 4 , und für diesen Zweck sind alle Mittel erlaubt, selbst die Folter 2 5 . Der Griff zum Schwert sei Gott wohlgefällig 2 6 . Donoso Cortés entwickelte die Theorie von der Legitimität und Gottgefällig11 keit der Diktatur, wenn sie die Hüterin des rechten Glaubens ist . Kämpferische Intoleranz und Bewahrung des rechten Glaubens - von diesen Maximen war es nur ein Schritt, um in der katholischen Kirche und in der Armee die zwei wichtigsten Bollwerke der gottgewollten Ordnung zu sehen: "Die Kirche und das Militär sind die einzigen, die die Idee des Gehorsams (...) uneingeschränkt aufrechterhalten 9Ä (...); daher sind sie heute

die zwei Vertreter der europäischen Zivilisation . Der katholische Traditionalismus spanischen Ursprungs blieb auch nach den Unabhängigkeitskriegen in wichtigen Bevölkerungsteilen der sich formierenden Nationen lebendig, insbesondere im Militär. Für Argentinien läßt sich eine gerade Linie von den spanischen Traditionalisten des 19. Jahrhunderts hin zu den Verfechtern eines autoritären, traditionalistischkatholisch geprägten Staates, ziehen. Prominente Schriftsteller wie Leopoldo Lugones setzten sich ebenso dafür ein wie wesentliche Gruppen im Militär, die in den dreißiger und vierziger Jahren versuchten, ihr Weltbild im Staate zur Geltung zu bringen. Auf die ideologische Affinität der argentinischen Militärs der sechziger und siebziger Jahre wird weiter unten eingegangen, hier sei nur an jenen berühmt-berüchtigten Spruch des argentinischen 21 22 23 24 25 26 27 28

Zitiert nach López Pérez 1979: S. 149. Ebenda Vgl. López Pérez 1979: S. 149 López Pérez 1979: S. 149f. Ebenda, S. 150. Ebenda, S. 150f. Ebenda, S. 152ff. Ebenda, S. 157.

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Generals Iberico Saint Jean aus dem Jahre 1976 erinnert: "Zuerst werden wir alle Subversiven töten; dann ihre Helfershelfer; dann die Sympathisanten; dann die Indifferenten und zuletzt die Lauen" 29 . Die erstaunliche Ähnlichkeit der Ideologie des spanischen Traditionalismus der Gegenaufklärung mit den Vorstellungen und Zielen, mit denen die lateinamerikanischen Militärs den Einsatz jeglichen erfolgversprechenden Mittels, also auch staatlichen bzw. parastaatlichen Terrors, öffentlich rechtfertigten, ist nicht zu übersehen. Die Erhaltung der bestehenden Ordnung, der Schutz des "Nationalen Seins", die Verteidigung der Religion und die zur Gewalt neigende Intoleranz gegenüber Dissidenten - alle diese zentralen Postulate der Traditionalisten finden sich bei den Militärs der Guerra sucia wieder. Eine der wichtigsten ideologischen Wurzeln zur Legitimation der Guerra sucia liegt also in diesem katholischen Traditionalismus , der, vermittelt durch die katholische Kirche, in Lateinamerika lebendig blieb 31 . Einer der Hauptstreitpunkte zwischen dem schismatischen Traditionalistenbischof Lefebvre und dem Vatikan ist das von der katholischen Kirche nach dem zweiten Vatikanischen Konzil verkündete Prinzip der religiösen Toleranz, das Lefebvre strikt ablehnt, weil der Irrtum nicht gleichberechtigt neben der Wahrheit stehen könne. Lefebvre genießt z.B. in Argentinien starken Rückhalt. Ein beträchtlicher Teil des traditionellen Katholizismus insbesondere in den Streitkräften - sympathisiert mit ihm . Die katholische Kirche konservativer Prägung, wie sie noch in den ersten Jahrzehnten dieses Jahrhunderts in Lateinamerika vorherrschend war, verurteilte jegliches Aufbegehren gegen die bestehende Gesellschaftsordnung als schwere Sünde und Verstoß gegen Gottes Gebote. Die Bekämpfung von

29 Zitiert in: Comisión Argentina por los Derechos Humanos (Hrsg.) 1976: Deckblatt. 30 Vgl. etwa das Ideengut eines Emilio Bolón Varela in seinem Werk Fundamentos de Etica Militar. (Bolón Varela 1980: S. 36ff.) Das Werk darf den Anspruch erheben, repräsentativ für die Denkstrukturen vieler argentinischer Offiziere zu sein. Vgl. auch zahlreiche Artikel in der Revista Militar, die traditionalistisches katholisches Denken widerspiegeln. 31 Ein Beispiel für die Schwierigkeiten der kirchlichen Hierarchie im Umgang mit religiöser Toleranz ist der - vergebliche, doch hart geführte - Kampf der argentinischen Bischöfe gegen die geplante Einführung des Scheidungsgesetzes 1986 und 1987. Der Artikel von Mansilla (Mansilla 1989) gelangte erst nach Abschluß des vorliegenden Beitrags in meine Hand. Mansillas Schlußfolgerungen stützen im wesentlichen meine These von der Bedeutung der endogenen Faktoren parastaatlichen Terrors in Lateinamerika. 32 Zur Rolle der katholischen Kirche Argentiniens in der Zeit der Militärdiktatur vgl. Mignone 1986.

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politischen Einrichtungen wurde so aus der Ebene profan-weltlichen politischen Kampfes in die Sphäre absoluter, überirdischer Werte gehoben. Gewaltaktionen mit politischem Hintergrund, also politisch motivierte Straftaten, verwandelten sich in Todsünden. Demgegenüber waren Fragen sozialen Fortschritts sekundär. Entsprechend groß war der Haß auf den gottlosen Kommunismus und sein Bestreben, die gottgewollte Ordnung umzustürzen. Unter das über den Kommunismus verhängte Verdikt fielen bald auch unbotmäßige linksbürgerliche Reformer, kurz, jegliches Erneuerungsstreben wurde, ganz im Geiste des spanischen Traditionalismus, als unchristlich verdammt. In einem Hirtenbrief vom 4. April 1954 wetterte der Erzbischof von Guatemala gegen die kommunistische Gefahr, die nach seiner Ansicht das Land bedrohte: "(...) den Geboten der Kirche folgend (...) müssen wir einmal mehr warnend unsere Stimme erheben in diesem Augenblick, in dem die schlimmste der atheistischen Doktrinen aller Zeiten, der antichristliche Kommunismus, in unserem Vaterland ihren frechen Vormarsch fortsetzt und versucht, sich hinter dem Mäntelchen sozialer Forderungen der bedürftigen Schichten zu verbergen (...). D a s Volk von Guatemala muß sich wie ein einziger Mann gegen den Feind Gottes und des Vaterlands erheben. Unser Kampf um die Verbannung des Kommunismus muß daher eine nationale katholische Haltung sein. Die G n a d e Gottes, die alles vermag, hat in Guatemala einen ehrlichen Kreuzzug gegen den Kommunismus erweckt, an dessen Spitze gerade die Arbeiter und Campesinos stehen, die, als sie die antichristlichen Predigten der Anführer hörten, den heuchlerischen, den kriminellen Eindringling im sozialen Leben Guatemalas entdeckten: den Kommunismus" 3 3 .

33 Zitiert nach Aguilera Peralta et al., S. 82f. (Übersetzung von A. S.). Bekannt für ihre militanten Äußerungen wurden in Argentinien insbesondere Msgr. Plaza, bis von wenigen Jahren Erzbischof von La Plata und zur Zeit der Miltärregierung geistlicher "Comisario General" der Provinzpolizei von Buenos Aires (mit allen Privilegien, inkl. Dienstwagen, die zu dem hohen Rang gehören), und Msgr. Bonomin, bis vor einigen Jahren Militärbischof Argentiniens. Interesse verdient in diesem Zusammenhang die Danksagung des schwerer Menschenrechtsverbrechen wegen angeklagten General Ramón J. Camps an Msgr. Plaza in seinem Rechtfertigungsbuch Caso Timmermann (Camps 1982: S. 11). Über die Bedeutung der Militärseelsorger als Berater und Stabilisatoren von verunsicherten und unter psychischen Druck geratenen Mitgliedern der mordenden und folternden parastaatlichen Terrorgruppen fehlen bisher einschlägige Untersuchungen. E s gibt Hinweise, die die Vermutung zulassen, daß die von den Seelsorgern dargebotenen religiösen Rechtfertigungen für das "bei-der-Stange-Halten" der Gruppenmitglieder eine nicht unerhebliche Rolle gespielt haben.

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Die von den traditionalistischen Strömungen im Katholizismus beeinflußten Streitkräfte halten diesen Wahrheits- und Herrschaftsanspruch der Kirche aufrecht. Es geht wiederum um die letzten Dinge, um Sein oder Nichtsein, um das Überleben des Vaterlands in Christo oder Untergang und ewige Verdammnis. Wo solche Werte auf dem Spiele stehen, ist jedes Mittel recht, es wird durch die hehre Zielsetzung gereinigt. Die argentinischen Militärs haben zur Rechtfertigung der Guerra sucia immer wieder darauf hingewiesen, daß es einen Kampf um Sein oder Nichtsein gab, bei dem die Existenz der Nation selbst auf dem Spiele gestanden habe. In einer im März 1979 gehaltenen Rede des argentinischen Juntachefs General Videia anläßlich des dritten Jahrestags seines Amtsantritts als Präsident heißt es zur Situation des Jahres 1976: "Dieser Prozeß (der nationalen Reorganisation) begann (...) unter dramatischen Umständen. (...) Es war jene eine Stunde des Chaos, die zum Zusammenbruch der Institutionen und zu einem totalen Verlust der Glaubwürdigkeit führte. Das Schicksal der Nation selbst war in Gefahr. Die Streitkräfte mußten - ohne sie zu suchen - die geschichtliche Verantwortung übernehmen, die Republik zu retten vor der sich ankündigenden buchstäblichen Auflösung. Sie interpretierten so das Beängstigende einer kritischen Situation, die keine verfassungsmäßigen Lösungen fand" 34 . 2. Nationales Sein (Ser nacional) Eng verknüpft mit dem katholischen Nationalismus ist die Vorstellung von einer homogenen argentinischen Nation mit einer Bevölkerung, die sich zu den gleichen Idealen, Grundwerten und ganz überwiegend auch zur selben (Staats-) Religion bekennt. Für die traditionalistischen Militärs ist der Staat nicht zur weltanschaulichen Pluralität, sondern zur Durchsetzung des "nationalen Wesens" bzw. "nationalen Seins" verpflichtet, wobei dieses nationale Sein im Sinne des Traditionalismus und seines Wertesystems definiert wird. Wer gegen dieses Wertesystem opponierte, übte daher nicht das legitime Recht des Staatsbürgers auf Dissens aus, sondern verstieß gegen die "Essenz" des Argentinischen, versündigte sich gegen die Nation. General Videia drückte dies so aus:"(...) es ist notwendig zu unterscheiden zwischen

34 Videia 1979: S. 32.

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dem, was Dissens, Kontroverse auf der Ebene der Gedanken sein kann, und dem, was die terroristische Subversion ist. (...) Das heißt, daß niemand allein deswegen, weil er innerhalb unseres Lebensstiles (Hervorhebung von A. S.) anders denkt, seiner Freiheit beraubt wird, aber wir halten es für ein schweres Vergehen, gegen den abendländisch-christlichen Lebensstil zu verstoßen und ihn durch einen fremden Lebensstil ersetzen zu wollen, und in dieser Art Kampf wird nicht nur derjenige als Agressor betrachtet, der mit einer Bombe, mit einem Schuß oder mittels einer Entführung angreift, sondern auch der, der auf der Ebene der Ideen unser Lebenssystem wechseln will durch Ideen, die eben subversiv sind; das heißt, daß sie die Werte unterhöhlen, Werte verändern, verbiegen" 35 . Den lateinamerikanischen Militärs ging es also nicht nur um eine negative Abgrenzung, um die Verhinderung des Vordringens von kommunistischem Gedankengut. Sie hatten sich auch klare "positive" Ziele gesteckt: es ging darum, die Nation, den Staat und die Gesellschaft zurückzuführen zu den traditionellen Idealen und Werten, die den Begründern der Republik Anfang des 19. Jahrhunderts zum Sieg im Unabhängigkeitskampf verholfen hatten 3 6 . Aus der Lehre einer spezifisch nationalen Identität erwuchs der daraus abgeleitete normative Anspruch eines religiös und national begründeten Staates, seinen Bürgern die (christliche) Wahrheit notfalls mit Gewalt beizubringen. Setzt man in die Aufrufe der spanischen Traditionalisten an die Stelle der Aufklärer, die es zu bekämpfen gilt, die Subversion, die Guerrilla oder den internationalen Terrorismus - wobei alle diese Worte wiederum nur Synonyme für das eine Erzübel, den einen Erzfeind, nämlich den atheistischen Kommunismus sind -, so ergeben sich frappante Ähnlichkeiten zu den I T Erklärungen führender argentinischer Militärs aus heutiger Zeit .

35 Videla 1977: S. 105. 36 Das Element des Anachronistischen bzw. des gesellschaftlichen Immobilismus, das diesen Versuchen anhaftet, braucht wohl nicht besonders hervorgehoben zu werden. 37 Vgl. u. a. das sog. Documento Final der Junta Militär Argentiniens vom 28. April 1983.

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3. Der Kult des Militärischen als Erziehungsideal - Sendungsbewußtsein und Messianismus Liest man die für das argentinische Offizierskorps repräsentative Zeitschrift, Revista Militar, der ausgehenden fünfziger und beginnenden sechziger Jahre, findet man eine Fülle von Beispielen, in denen das militärische Ideal als das höchste Ideal überhaupt bezeichnet wird. Die militärischen Tugenden sind die Tugenden schlechthin; die Streitkräfte, die als einzige Institution sich ganz und ausschließlich in den Dienst des Vaterlands gestellt haben, sind dazu berufen, in Krisenzeiten oder wenn die Schwäche und Unfähigkeit der zivilen Politiker das Land ins Chaos zu stürzen drohen, die Macht zu übernehmen. Das Militär ist Elite und Retter der Nation 38 . Der argentinische Schriftsteller Marcos Aguinis, von Beruf Arzt und Psychiater, hat der Ausbildung und dem Erziehungsideal des argentinischen Militärs einen lesenswerten Essay gewidmet, den er Carta esperanzada a un general nennt: Ausgehend von den Studien über die autoritäre Persönlichkeit der in den vierziger Jahren im amerikanischen Exil lebenden Sozialwissenschaftler Theodor W. Adorno und Max Horkheimer, zeichnet er ein Psychogramm des argentinischen Durchschnittsoffiziers und seiner durch die militärische Ausbildung bedingten, berufsspezifischen Deformationen. Aguinis gibt eine Reihe plausibler Erklärungen dafür, wie die Ausbildung im Militär Menschen heranbildet, deren eigene innere Persönlichkeitsstruktur zerstört oder deformiert wurde, und die daher abhängig von äußeren Werten -IQ

und Leitbildern sind . Es war das Bewußtsein, im Besitze der Wahrheit zu sein, und zwar nicht nur der irdischen, fehlbaren, sondern auch der göttlichen und unfehlbaren, die dem Militär Sicherheit verlieh, mit missionarischem Eifer die modernen Ketzer, die Subversiven, zu bekämpfen und sie womöglich auszurotten. Es ging aber auch darum, die Unschlüssigen, die Wankelmütigen für sich zu gewinnen, wenn nötig, mit Gewalt. Wieder war das Ziel nicht nur die Abwehr einer von außen kommenden Gefahr, sondern es ging um mehr, es ging auch um die Rettung der Seele der den Militärs als den Hütern der

38 Aus den zahlreichen Artikeln in der Revista Militar, Buenos Aires, vgl. z.B. López 1959, S. 65-68; vgl. auch Bolón Varela 1980. 39 Aguinis 1983.

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Nation anvertrauten Bevölkerung. In Anbetracht der großen Gefahr, in der das Militär die Nation wähnte, zumindest aber solches behauptete, wäre der alleinige Gebrauch rechtstaatlicher Mittel ein Zeichen unverantwortlicher Schwäche, nachgerade ziviles Verhalten, gewesen. 4. Der Rassismus Im lateinamerikanischen Militär gibt es - ebenso wie in den lateinamerikanischen Gesellschaften (aber keineswegs nur dort) - eine lange Tradition des Rassenhasses bzw. der Verachtung der unteren, ethnisch häufig unterschiedlichen Volksschichten (Indios, Afroamerikaner oder der sogenannten Mischlingsbevölkerung). Dieser Rassismus trug dazu bei, den Staatsterrorismus zu legitimieren. Einige Beispiele: Guatemala im 16. Jahrhundert - Gines de Sepülveda gibt seine Meinung über die Indios wieder: "Da dies so ist, kannst du gut verstehen... sofern dir die Gepflogenheiten und die Natur der einen und der anderen bekannt sind, daß die Spanier mit vollem Recht über diese Barbaren der Neuen Welt (...) herrschen, die an Klugheit, Verstand, Tugend und Menschlichkeit den Spaniern so sehr unterlegen sind wie die Kinder den Erwachsenen und die Frauen den Männern, so daß der Unterschied zwischen ihnen so groß ist wie der zwischen grausamen Wilden und den äußerst Sanftmütigen, zwischen überaus zügellosen und, ich möchte fast sagen, wie zwischen Affen und Menschen" 40 . Guatemala im 20. Jahrhundert - Blütenlese pejorativer Ausdrücke und Sentenzen:"... dieses Gesindel, Hurensöhne, Faulenzerbande, krummbeinige Schurken, störrisch sind diese Unverschämten, dieser Pöbel ist schlimmer als Vieh, diese Leute haben keine Gefühle, Mist-Indio, feiger Indio; sie übertragen Krankheiten, und mit der Faulheit und dem Dreck werden sie schlimmer..."; "'Sexuell Abartige', 'sie sind wie Hunde', 'man muß sie kastrieren', (...) 'sie sind für Guatemala nicht mal als Dünger zu gebrauchen', 'sie sind falsch',

40 Zit. nach Garzön Vald6s 1988: S. 123.

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'Lügner', 'sie sagen immer ja', 'mit dieser verfluchten Rasse kann sich Guatemala nicht entwickeln'..." 41 Die Zitate zeigen erst in ihrer Akkumulation ihre ganze Lächerlichkeit. Jedes für sich ist in Guatemala und anderen lateinamerikanischen Ländern mit hohem Anteil indianischer Bevölkerung ein besonders in den Eliten gängiges Klischee. Daß in diesen Ländern die Indiobevölkerung unterdrückt wird, hat nicht zuletzt mit dem Rassismus als Erbe des europäischen Kolonialismus zu tun 4 2 . Argentinien - In den argentinischen Streitkräften gibt es antisemitische Tendenzen, die, wie das Beispiel des früheren Bonaerenser Polizeichefs General Ramón Camps zeigt, als Legitimation für parastaatlichen Terror dienten 43 . 5. Antikommunismus Was den spanischen Traditionalisten des 19. Jahrhunderts die Aufklärer waren - nämlich der Antichrist schlechthin -, sind für die lateinamerikanischen Militärs der Kommunismus und die Subversiven. Wieder geht es um mehr als um die rein militärische Niederwerfung des Gegners. Es geht um den Kampf der Weltanschauungen und konträren Lebensformen. Aufgrund des mangelnden Unterscheidungsvermögens vieler Militärs galt alles, was nicht direkt zum eigenen Weltbild gehörte und von der Norm abwich, als subversiv. Die Kommunistenfurcht ist wesentlich älter als die Doktrin der nationalen Sicherheit. In Argentinien kam es unter der Militärregierung von General Uriburu (1930-32) und unter seinem Nachfolger General Justo zu repressiven Maßnahmen gegen Kommunisten (oder Personen, die als solche

41 Zit. nach Garzón Valdés 1988: S. 145. 42 Vgl. auch Aguilera Peralta 1981b; Black 1985; Bowen 1984; Mc Climtock Bd. 1 + 2 1985 (insbesondere Bd. 2, Kapitel 9: Counter-Insurgency: A Fina! Solution)-, Taussig 1983. Taussig zieht - ausgehend von Jacobo Timmermans Erlebnisbericht über seine Haftzeit in Argentinien - einen Vergleich zwischen dem argentinischen Militärregime und den Repressions- und Folterpraktiken ausländischer Konsortien im Amazonasbecken um die Jahrhundertwende. 43 Vgl. Timmerman 1981; vgl. auch den Bericht der Menschenrechtskommission der Organisation der Amerikanischen Staaten, O E A (Hg.) 1980: S. 280ff. Frühere Beispiele aus Argentinien sind die Feldzüge gegen die Indios Patagoniens (1879ff.) und die Unterjochung und Dezimierung der letzten noch frei lebenden Indiostämme im argentinischen Chaco im Namen der Zivilisation und des Fortschritts. Vgl. zum letzteren Iñigo Carreras 1979.

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angesehen wurden) 4 4 . Der kalte Krieg verstärkte den vorhandenen Antikommunismus in den Streitkräften erheblich. Das Weltbild, das in manchem lateinamerikanischen Offizierskorps vorherrscht, ist geprägt von einem religiös begründeten, d.h. abendländischchristlichen Fundamentalismus, der dazu neigt, seine Maximen mit Gewalt durchzusetzen. Das Beispiel des argentinischen Militärregimes, in dem krasse Korruption und ungenierter Bereicherungswille der ausführenden, aber auch der höheren Befehlsorgane sichtbar wurden, steht nur auf den ersten Blick im Widerspruch zur Fundamentalismus-These. Daß die Mitglieder der paramilitärischen Gruppen sich mit stillschweigender Duldung der kommandierenden Offiziere durch Plünderung, Diebstahl usw. bereicherten, heißt nicht, daß die Ideologen der Guerra sucia nicht vor allem ihre Weltanschauung durchzusetzen trachteten. General Videla, ohne Zweifel eine der treibenden Kräfte der Militärregierung, verkörpert diesen Typus, in dem sich militanter Katholizismus traditionalistischer Prägung, Neigung zur Askese und ein messianisch wirkendes Sendungsbewußtsein vereinen (ein Beispiel dafür war seine Weigerung, einen Verteidiger zu benennen. Lediglich Gott und die Geschichte seien befugt, ein Urteil über ihn zu fällen, verkündete er und lehnte es ab, sich vor diesem Gericht zu verteidigen). Ist die Frage der Legitimation der Gewalt positiv beantwortet, d.h., die Gewaltanwendung zur Durchsetzung der eigenen Ziele bejaht worden, so stellt sich als nächstes das Problem der Umsetzung in die Praxis. Warum klandestine, mit parastaatlichen Mitteln ausgeübte Gewalt anstelle offener staatlicher Strafandrohung und in öffentlichen Verfahren verhängter Strafen? Es gibt eine Reihe von Gründen, die das Militär dazu bewegten, dem klandestin organisierten Terror den Vorzug zu geben: - Im Zeitalter der internationalen Verflechtung und der Massenkommunikationsmittel wäre offener Terror - also zum Beispiel systematische öffentliche Erschießungen der Führer von unbotmäßigen Bevölkerungsgruppen - wegen des zu erwartenden internationalen Drucks kaum durchzuhalten gewesen. Öffentliche Strafmaßnhmen bedürften immer eines Minimums an gerichtlicher Beweisführung - eine lästige und mühselige Formalität, die bei diffusen klandestinen Terrorakten entfällt.

44 Vgl. hierzu u.a. Potash 1969.

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- Es gab ideologische Rechtfertigungsmuster, auf die man zurückgreifen konnte. Zu ihnen gehört Carl Schmitts in den 30er Jahren formulierter "Begriff des Politischen", nach dem der politische Gegner wesentlich Feind ist, der vernichtet werden muß, und die in den fünfziger Jahren entwickelte These vom Partisanen, den man nur auf Partisanenart bekämpfen könne. Carl Schmitts Rechtfertigung der Hitlerischen Massenmorde vom 30. Juni 1934 als Staatsnotwehr entspricht im Argumentationsmuster ziemlich genau den Rechtfertigungsversuchen etwa der argentinischen Militärjunta für ihre Repressionsmethoden. Zieht man den nicht unerheblichen Einfluß in Betracht, den deutsche Militärinstrukteure in Lateinamerika bis zum Zweiten Weltkrieg ausübten, ist es nicht von der Hand zu weisen, daß Carl Schmitts Ideen, solcherart vermittelt, Eingang in das militärische Denken lateinamerikanischer Offiziere finden konnten. - Elemente einer parastaatlichen Terrorpraxis zur Bekämpfung von Guerrillas waren bereits mit gewissen Erfolgsmomenten im zweiten Weltkrieg, im Indochina- und Algerienkrieg ausprobiert worden. Die von der deutschen Wehrmacht gemachten Erfahrungen in der "Banden bzw. Partisanenbekämpfung" wurden nach dem Kriege aufmerksam studiert45. Willkürlicher, methodischer Terror gegen die Zivilbevökerung in den besetzten Gebieten wurde hier bereits angewandt, insbesondere Repressalien als Antwort auf Partisanenanschläge gegen die Besatzungsmacht, Repressalien, die darin bestanden, bei Nacht und Nebel unschuldige Bürger als Geiseln zu verschleppen oder zu erschießen mit dem expliziten Ziel, Furcht, Ungewißheit und Sorge um die Angehörigen zu verbreiten; Maßnahmen, die als Vorläufer des Terrorsystems des Verschwindenlassens gelten dürfen. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Lehren, die die französische Armee aus dem Indochina- und Algerienkrieg zog, eine wichtige Quelle. In der Theorie der "Guerre révolutionnaire" und ihrer Bekämpfung sind eine Reihe von Folgerungen aus dem Algerienkrieg gezogen, die im Kern die Vorstellung enthalten, daß man Guerrillas effizient nur mit ihren

45 Vgl. die in Anm. 1 aufgeführte Literatur. Siehe auch den Hinweis in Aguilera Peralta et al. 1981: S. 50; vgl. auch Hehn 1979. Der mehrfach erwähnte argentinische Offiziersclub Circulo Militär beschäftigte sich sowohl in seiner Zeitschrift Revista Militär wie auch in einzelnen Veröffentlichungen in der Biblioteca del Oficial mit der "Partisanenbekämpfung" im Zweiten Weltkrieg.

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eigenen Methoden, unter systematischer Verletzung bzw. Preisgabe rechtstaatlicher Normen, bekämpfen könne. Ende der fünfziger Jahre kamen französische Militärinstrukteure nach Argentinien und trugen zur Verbreitung der Doktrin der "Guerre révolutionnaire" bei 4 6 . Weitere Argumente zur Rechtfertigung des staatlich gesteuerten, klandestinen Terrors waren: - Für die Militärregime waren die Bekämpfung der Guerrilla und die Ausrottung des Kommunismus (was immer man auch darunter verstehen mochte) eine der wichtigsten Grundlagen der eigenen Legitimation. - Für die beteiligten Offiziere - aber auch für die sie unterstützenden Gruppen im zivilen Establishment - ging es darum, aktiv an dem sogenannten Dritten Weltkrieg teilzunehmen, der in ihrer Vorstellung längst begonnen hatte. Man sprach vom Krieg der Ideologien und entwickelte die Vorstellung der "fronteras ideológicas", der "ideologischen Grenzen", die quer durch die Nation gehen 4 7 . - Die Guerrillakämpfer waren für die Militärs Subversive, die vom (kommunistischen) Ausland ferngesteuert waren. Damit hatten sie das Recht auf den Schutz des Staates verwirkt und wurden zu Fremdkörpern, zu Infektionsherden im Staatskörper, die man vernichten mußte. Ihr Menschsein ist durch ihren Vaterlandsverrat, durch ihren Kampf gegen die heiligsten Werte der Nation, aufgehoben, es sind Krankheitsträger, die man mit Stumpf unf Stiel ausrotten muß - und vorsichtshalber auch jeden, der in dem Verdacht steht, sich infiziert zu haben durch allzu nahen Umgang mit ihnen. Der argentinische Konteradmiral und Außenminister der Militärregierung, César Augusto Guzzetti, hat ein gutes Beispiel für diese biologistische Betrachtungsweise geliefert, wenn er den parastaatlichen Terror gegen die Subversion folgendermaßen legitimiert: "Die Subversion oder der Terrorismus von rechts ist keiner. Der soziale Körper ist infiziert durch eine Krankheit, die seine Eingeweide zerstört und bildet daher Antikörper. Diese Antikörper können nicht

46 Die französischen "Klassiker" der Doktrin wurden übersetzt und in der Reihe "Biblioteca del Oficial" veröffentlicht. 47 Vgl. für Guatemala u. a. Edelberto Torres Rivas, Prölogo, in: Aguilera Peralta et al. 1981: S. 10-33, insbes. S. 14ff.; vgl. auch Mc Climtock 1985, Bd. 2; für El Salvador Mc Climtock 1985, Bd. 1; für Argentinien vgl. die Reden des Juntachefs und Präsidenten Jorge Rafael Videla (Videla 1977, 1979).

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in der selben Weise bewertet werden wie die Mikroben. In dem Maße, in dem die Regierung die Guerrilla unter Kontrolle bekommt und vernichtet, wird das Wirken des Antikörpers verschwinden. Ich bin sicher, daß in den kommenden Monaten es keine Aktionen der Rechten mehr geben wird (...). Es handelt sich nur um die Reaktion eines kranken Körpers" 48 . - Terror wurde als Herrschaftsinstrument gerechtfertigt, weil er allein in der Lage sei, die große Gefahr, in der die Nation sich befinde, zu bannen. Der diffuse Terror, der jeden treffen kann, wird legitimiert. Niemand kann sicher sein, daß er nicht darunter fällt, weil nur so die bereits von fremden Viren ( = Ideologien) geschwächte Nation gesunden und sich von Ansteckungsträgern befreien kann. Daß diffuser Terror bewußt die Gesellschaft in ihrer Gesamtheit bedrohen will, zeigt der zitierte Ausspruch des argentinischen Generals Iberico Saint Jean, daß nach den Subversiven, ihren Helfern und Sympathisanten auch die Indifferenten und die Lauen bekämpft würden.

IV. Die "Effizienz" und Legitimation der "Guerra sucia" Ist die Bekämpfung der Guerrillas mit den Guerrillamethoden die erfolgversprechendste und effizienteste Methode zur Wiederherstellung von Ruhe und Ordnung, wie ihre Verfechter behaupten? Zunächst stellt sich die Frage, ob die Behauptung, daß man Partisanen nur auf Partisanenart bekämpfen könne, aufrechterhalten werden kann. Nimmt man die Beispiele Italiens und Spaniens, die mit den Roten Brigaden bzw. der E T A ein erhebliches Guerrillapotential zu verzeichnen hatten, muß man die Frage verneinen. Beide - das gleiche gilt auch für weitere Länder Europas - bekämpften ihre Guerrilla ohne Intervention der Streitkräfte, mit Hilfe der verfassungsmäßig dafür vorgesehenen Organe, d.h. Polizei,

48 Zit. nach Troncoso Bd. 1: S. 141. Vgl., vor allem für das chilenische Militärregime unter General Pinochet, Larsen (Hg.) 1983, darin: René Jara: Arqueología de un Paradigma de Negación: el Discurso del Jefe de Estado (S. 25-42); Hernán Vidal, La Declaración de Principios de la Junta Militar Chilena como Sistema Literario: La Lucha Antifascista y el Cuerpo Humano (S. 43-66); Giselle Munizaga u. Carlos Ochsenius, El Discurso Público de Pinochet (1973-1976) (S. 67-112).

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Grenzschutz bzw. anderer Sicherheitskräfte, und blieben in der Regel im Rahmen des Rechtstaats. Da unsere Antwort verneinend ist, stellt sich die Präferenz für den Kampf gegen die Guerrilla mit Guerrillamitteln unter dem Kriterium seiner angeblich besonderen Effizienz. Für den Einsatz paramilitärischer Terrormethoden dürften letztlich militärische Erwägungen maßgebend gewesen sein, besser gesagt, Gründe kriegerischer Effizienz. Jedoch bedeutet die Annahme, daß Guerrillagruppen nur mit Guerrillamethoden bekämpft werden können, im Kern nichts anderes, als daß man Diebe mit Diebstahl und Mörder mit Mord bekämpfen muß. Läßt man einmal die ethische Problematik beiseite, muß man zunächst klären, was unter dem Begriff "effizient" zu verstehen ist. Versteht man darunter die Methode, die Guerrilleros dadurch zu bekämpfen, daß man angebliche Guerrilleros umbringt, dann die Freunde der angeblichen Guerrilleros folgen läßt, sodann die angeblichen Freunde der Freunde der angeblichen Guerrilleros, (zeitweilig konnte es in Argentinien eine tödliche Gefahr sein, im Adreßbuch eines Verdächtigen verzeichnet zu stehen), ist die Methode ohne Zweifel effizient. Versteht man jedoch unter Effizienz die Fähigkeit, ein Problem einzugrenzen und die wirklichen Guerrilleros zu isolieren und unschädlich zu machen, so ist das System hochgradig ungenau und daher ineffizient, wie die hohe Zahl der Opfer dieser "Effizienz" zeigt. Eine um das Zehn- bis Zwanzigfache höhere Zahl der Opfer der parastaatlichen Repression gegenüber der Zahl der Opfer der Subversion läßt einen Staatsterrorismus sichtbar werden, der undiskriminiert mutmaßliche Subversive, wie auch die mutmaßlichen Freunde mutmaßlicher Subversiver liquidiert. Ein besonderes Problem ist die Frage, wie die parastaatlichen Gruppen sich die Informationen beschaffen, die die Grundlage ihres staatsterroristischen Handelns bilden. In Argentinien ist bekannt, wie groß der Einfluß der Geheimdienste auf die "Arbeit" der Repressionsinstrumente war. Setzt man in Rechnung, daß diese Geheimdienste - u.a. wegen der nur geringen Bildung ihrer Mitarbeiter (man denke im Falle Argentiniens etwa an kriminelle Gestalten wie Raúl Guglialminetti oder Aníbal Gordon, die plötzlich einen staatlichen Freibrief für ihre bis dahin bereits ausgedehnten kriminellen Aktivitäten bekamen) - selten gut informiert sind, so ist das Maß ihrer Zielgenauigkeit gering - ihr Erfolg ist tödliche Breitenwirkung, aber mangelnde Effizienz.

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Die Effizienz parastaatlicher Gewalt ist die Effizienz staatlicher Verantwortungslosigkeit. Die Militärregierungen haben Vertrauen in den Abschreckungseffekt diffusen, undiskriminierten Terrors. Der Unterschied zwischen dem VorGericht-Stellen eines mutmaßlichen Guerrillero, den man verhaften konnte, und der heimlichen Ermordung eines der Subversion Verdächtigen durch illegale parastaatliche Gruppen, ist, daß jedes Gerichtsverfahren den Einzelfall isoliert und dadurch verhindert, daß allgemeine Maßnahmen getroffen werden, die sich gegen ganze Personengruppen richten, die pauschal der Subversion verdächtigt werden. Der parastaatliche, heimlich ausgeübte Terror erlaubt es zudem den Verantwortlichen in der Regierung zu behaupten, die Guerrilleros liquidierten sich untereinander, oder seien von "nicht identifizierten" Gruppen ermordet worden, für deren Handeln der Staat keine Verantwortung trage und auch nicht zur Rechenschaft gezogen werden könne. Die solchermaßen entwickelte Theorie staatlicher Verantwortungslosigkeit steht im krassen Widerspruch zur Idee des Rechtsstaates, der sein besonderes Augenmerk auf die Verantwortungskette legt. Die Ausrede staatlicher Unkenntnis auf der einen, vage Hinweise auf Exzesse, wie sie leider in jedem Krieg vorkämen 49 , auf der anderen Seite, dienten beide demselben Ziel: der Verschleierung der Verantwortung für den entfesselten Staatsterrorismus. Der Praxis der Geiselnahme durch die Guerrillas (Geiselnahme als Gewaltmittel des militärisch Unterlegenen, der damit bestimmte Ziele durchsetzen will) setzen die Ideologen der Guerra sucia die Theorie der potentiellen Geiselnahme der Gesamtbevölkerung durch die parastaatlichen Antiguerrillagruppen entgegen, der zugrunde liegt, daß die Zivilbevölkerung insgesamt für das Wohlverhalten jedes einzelnen ihrer Mitglieder mitverantwortlich ist (mit einem mutmaßlichen Guerrillero bekannt zu sein, konnte tödliche Folgen haben). So schuf man eine Atmosphäre der Einschüchterung und des Terrors. Die Aufstellung von parastaatlichen Terrorgruppen und die ausgeübte willkürliche Repression haben allergrößte Schwierigkeiten für die Konsolidie-

49 Vgl. Documento Final der argentinischen Militärjunta vom 28. April 1983, und vgl. auch die Argumentation der Verteidiger der angeklagten Juntamitglieder in dem vor dem Kammergericht in Buenos Aires 1985 geführten Prozeß, s. El Diario del Juicio, Buenos Aires 1986.

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rung der Demokratie geschaffen, wie auch immer die Lösung aussehen mag, die man in Argentinien den Prozessen gegen die Miltärs gibt. Ohne Zweifel wird die Nichtbestrafung aus politischer Vorsicht oder aus mangelnder politischer Durchsetzbarkeit in der Gesellschaft tiefgreifende Wunden und Ressentiments hinterlassen, deren Spätfolgen noch nicht zu überblicken sind. Aus der gewählten Art der Guerrillabekämpfung erwächst eine Hypothek, die die Zukunft der argentinischen Gesellschaft belastet 5 0 . Das genannte Kriterium der Effizienz der Guerrillabekämpfung erweist sich als grotesk und grausam. Die zehnfache Zahl an Toten entlarvt die vorgegebene Effizienz als die todsichere Effizienz der dem Gesunden heraus operierten linken Lunge zum definitiven Schutz vor linkem Lungenkrebs.

V. Schlußbetrachtung 1. In der Debatte über die ideologischen Wurzeln parastaatlichen Terrors steht heute oft die Doctrina de Seguridad Nacional im Vordergrund, die in den USA nach dem Zweiten Weltkrieg entstand und die in der Konfrontation des Kalten Krieges entwickelt wurde. Wichtige ideologische Wurzeln stammen jedoch aus der spanisch-lateinamerikanischen Tradition. Sie bestimmten das Weltbild der lateinamerikanischen Offizierskorps in entscheidendem Maße. Die USA boten zwar die neue Doktrin an, daß in Lateinamerika die entsprechende Bereitschaft zu ihrer Übernahme bestand, hängt aber mit lateinamerikanischen Faktoren zusammen. Die endogenen Wurzeln des parastaatlichen Terrors und seiner Rechtfertigung in Lateinamerika dürften mindestens so wichtig sein wie die exogenen Faktoren. Die Betonung des nordamerikanischen Ursprungs entspricht zwar dem Imperialismus-Vorwurf der lateinamerikanischen Linken, gibt aber der lateinamerikanischen Rechten eine bequeme Möglichkeit der Exkulpation an die Hand, nämlich ebenfalls die Schuld auf die USA abzuwälzen. Eine Debatte über die innerlateinamerikanischen Ursachen des parastaatlichen

50 Die Frage der "Bewältigung" der Vergangenheit spielt in der politischen Auseinandersetzung in der Bundesrepublik u.a. auch deshalb bis heute eine so wichtige Rolle, weil man es in den Nachkriegsjahren bei einer sehr oberflächlichen Bereinigung belassen hatte. Die Studentenrevolte von 1968 und Jahre später die blutigen Anschläge der "Roten ArmeeFraktion" RAF haben zum Teil ihre Wurzeln in einer ungenügend aufgearbeiteten Vergangenheit.

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Terrors scheint demgegenüber fruchtbarer, da sie bisher vernachläßigt wurde. 2. Aus der Verschränkung und gegenseitigen Verstärkung des eigenen, katholisch-traditionalistisch bzw. integralistisch geprägten Weltbilds mit der französischen Doktrin der "Guerre révolutionnaire" und der US-amerikanischen Doktrin der Nationalen Sicherheit bildete sich jener eigentümliche abendländisch-christliche Fundamentalismus heraus, der sich in permanentem Kampf mit dem Erzübel der Welt, der kommunistischen Weltverschwörung, wähnt. Erst die methaphysische Erhöhung dieser politischen und militärischen Auseinandersetzung rechtfertigt den Einsatz aller Mittel im Kampf. Aus dieser Haltung agressiven Sendungsbewußtseins heraus war die Frage der Anwendung von illegaler Gewalt bzw. illegalem Terror kein Problem ihrer ethisch-politischen Legitimation mehr, sondern nur noch die Frage nach der Effizienz der gewählten Mittel. 3. Neben die metaphysische Erhöhung der Ziele der Auseinandersetzung gesellte sich die starke Übertreibung der realen Dimensionen des Kampfes mit der Guerrilla; der Fortbestand der Nation habe auf dem Spiel gestanden, verkündeten die argentinischen Militärs immer wieder. 4. Staatliche und parastaatliche Gewalt gegen die von den Herrschaftseliten unterdrückten Ethnien gehören zu den jahrhundertelangen Kontinuitäten der lateinamerikanischen Geschichte. 5. Ist der parastaatliche Terror wirklich etwas qualitativ Neues oder ist nur die Information im Zeitalter der Massenkommunikation und des Satellitenfernsehens genauer und die Sensibilität der (Welt-)Öffentlichkeit gegenüber diesen Menschenrechtsverletzungen größer geworden? (Unterscheiden sich die Indianermassaker in El Salvador zu Beginn der dreißiger und vierziger Jahre 5 1 qualitativ von denen in Guatemala in den siebziger und achtziger Jahren?). Es stellt sich die Frage, ob das eigentlich Neue nicht eher die gewandelte Einstellung der internationalen Öffentlichkeit gegenüber diesen Verbrechen ist .

51 Vgl. hierzu Anderson 1982; vgl. auch Mc Climtock 1985, Bd. 1. 52 Damit wird nicht in Zweifel gezogen, daß die Intensität des parastaatlichen Terrors in den siebziger Jahren sich unerhört gesteigert hat, wie die Beispiele Argentinien, El Salvador und Guatemala zeigen.

159

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Die ideologischen Wurzeln der "Doktrin der nationalen Sicherheit" in Lateinamerika 1 Nikolaus Werz

I. Zur Problematik geopolitischen Denkens Während in Europa und besonders in Deutschland die Geopolitik nach dem Ende der nationalsozialistischen Herrschaft in Verruf geriet , haben in Lateinamerika geopolitische Überlegungen nach dem Zweiten Weltkrieg an Einfluß gewonnen. In den vergangenen zwei Jahrzehnten konnte der amerikanische Halbkontinent geradezu als letztes Refugium der Geopolitik gelten. Als Gründe dafür wurden die weiten geographischen Räume und die noch nicht so modernisierten Waffensysteme genannt, weshalb die Grenzen und die grenznahen Gebiete noch ihre traditionelle Bedeutung behalten hätten 3 . Geopolitische Annahmen sind keineswegs auf den militärischen Bereich beschränkt, vielmehr tauchen solche Interpretationsmuster in den Arbeiten von Autoren ganz unterschiedlicher Provenienz auf. Schon Haya de la Torre, Gründer der auf gesamtlateinamerikanischer Ebene bedeutsamen APRA, sah 1945 eine entfernte Verwandtschaft seiner "Raum-Zeit-Theorie" mit der Geopolitik; diese habe aber das Einzelindividuum zu wenig beachtet. Sie müsse im übrigen umformuliert werden, da sie bislang nur den Interessen imperialistischer Mächte gedient habe 4 . Jahrzehnte später griff u.a. der Argentinier Enrique Dussel, ein bekannter Vertreter der Philosophie und Theologie der Befreiung, den Gedanken der Geopolitik unter dem Vorzeichen der Dependencia-Ansätze wieder auf und bezeichnete Lateinamerika als Teil "des Weltvolkes der abhängigen und

1

2

3 4

Die Beschäftigung mit dem Thema erfolgte im Rahmen eines Forschungsvorhabens zum "Neueren politischen Denken in Lateinamerika", das am Arnold-Bergstraesser-Institut mit finanzieller Unterstützung der Fritz-Thyssen-Stiftung durchgeführt wird. Der Verfasser dankt Gerald Braun und Bruno Speck für ihre Anmerkungen. "Die Geopolitik wird heute weder als eigenes Fach noch als Wissenschaft anerkannt". Schöller: 1959. Ende der 80er Jahre zeichnet sich jedoch die Wiederverwendung des Begriffs Geopolitik immer deutlicher ab. Vgl. Boesler 1988: S. 461. Fernandez Baeza 1983: S. 180. Haya de la Torre 1961: S. 54-56.

163

beherrschten Peripherie" 5 . In der nördlichen Hemisphäre sei die gesamte politische Macht vereinigt, die ozeanische südliche Hemisphäre dagegen durch Armut und Unterentwicklung gekennzeichnet. Das geographische Panorama des Hungers auf der Welt hatte schon im Jahre Brasilianer Josué de Castro in seinem

Buch "Geopolítica

1952 der da

Fome"

eindrucksvoll beschrieben, die deutsche Übersetzung trägt den Namen: "Weltgeißel Hunger" 6 . Berührungsängste mit dem Begriff Geopolitk gibt es vor allem in den südamerikanischen Großstaaten nicht. "Das geopolitische Kalkül gehört zum Wesen der praktischen Erfordernisse der Politik ..." , heißt es in einer in der Bundesrepublik Deutschland von einem Brasilianer verfaßten Dissertation. Die Texte zur Geopolitik lateinamerikanischer Länder, die bis hin zu Lexika o

reichen, gehören zur Pflichtlektüre an den Militärakademien . Dabei liegt dem Begriff ein anderes Verständnis zugrunde als im europäischen und besonders im deutschen Kontext. So sind die Übergänge zwischen Politik, politischer Geographie 9 , Futurologie und Entwicklungsplanung fließend. Geopolitische Annahmen dienen einmal dazu, die Situation der lateinamerikanischen Groß- und Mittelstaaten im internationalen System zu bestimmen. Überschneidungen und partielle Ergänzungen mit den nationalistischen Ansätzen der Dependencia-Schule und den Forderungen nach einer neuen Weltwirtschaftsordnung oder einem veränderten internationalen Seerecht

5

6

7

Dussel 1975: S.61. Ähnlich Trias, der einer konservativen eine progressiv-nationalistische Geopolitik gegenüberstellte. Es bestünde lediglich die Alternative zwischen einer "Integration für die Befreiung oder eine Integration für die Knechtschaft" (1967: S. 396). de Castro 1959. Auf den ersten Seiten des Werkes stehen Sätze, die auch für das hier behandelte T h e m a Gültigkeit besitzen: "Auf eine jede Untersuchung des Hungerproblems fallen über tausend Veröffentlichungen über das Problem des Krieges. Ein Verhältnis von mehr als tausend zu eins! Ja, wie dieses Buch in überwältigender Weise zeigen wird, sind die Verwüstungen, die der Hunger über die Menschheit bringt, beträchtlich größer, als die durch Kriege und Epidemien zusammengenommen." (S. 19). Castelo Branco 1983: S. 103. Der Verfasser legt eingangs sein Erkenntnisinteresse dar: "im Gegensatz zu einer zahllosen Menge von Arbeiten, ... geht es mir darum, die politischmilitärische 'Doktrin der nationalen Sicherheit' als geopolitische 'Infrastruktur' des nationalen Integrations- und Entwicklungsprozesses Brasiliens verständlich zu machen." (S.

20).

8

9

Siehe: Matos Quesada 1985. Der Verfasser ist Bolivianer und war nach eigenen Angaben geopolitischer Berater des "Consejo Nacional de Seguridad" ( C O N A S E ) in seinem Land. Ferner: Aquiles Quirös Esquivel de Alcalä 1983. Zu den Unterschieden zwischen Geopolitik und politischer Geographie vgl. Boesler 1983: S. 36-47. Einen guten Überblick unter Berücksichtigung der neueren Ansätze zur Imperialismustheorie und der Länder in der Peripherie vermittelt Taylor 1985.

164

haben hier ihren Ursprung. Auffallend sind zum anderen die Berührungspunkte zwischen der Debatte über Entwicklung/Unterentwicklung, dem Raumdenken und Zukunftsprojektionen für die lateinamerikanischen Länder. Gerade in den südamerikanischen Großstaaten scheinen Anleihen aus dem geopolitischen Arsenal eine adäquate Erklärung für die künftige Entfaltung dieser Nationen zu geben. Aus den noch ungenutzten natürlichen Ressourcen, den weiten Räumen sowie einer im Vergleich zur dichten Besiedlung in Europa und verschiedenen anderen Regionen der Dritten Welt geringen Bevölkerung wird eine optimistische Prognose abgeleitet und mit der Vorstellung verbunden, die Zukunft der südamerikanischen Staaten lasse sich mit Hilfe von geopolitischen Überlegungen planen und steuern. Darin liegt ein Unterschied zur deutschen geopolitischen Schule. Denn während diese eine nach außen gerichtete Komponente aufwies und eine Erweiterung des Lebensraumes auf Kosten anderer Territorien implizierte, bezieht sich das geopolitische Denken in Lateinamerika stärker, aber nicht ausschließlich, auf die noch unerschlossenen Räume im eigenen Staatsgebiet. Nachdem durch eine bessere Nutzung brachliegender Regionen und eine Industrialisierung das Land erschlossen worden sei, könne ein Entwicklungsprozeß eingeleitet werden, der wiederum die Voraussetzung für ein höheres Ausmaß an nationaler Sicherheit bilden soll. Trotz der unterschiedlichen Voraussetzungen des geopolitischen Denkens in Lateinamerika sind ihre fatalen Konsequenzen jedoch unübersehbar. Die Geopolitik war ein Wegbereiter der "Doktrin der nationalen Sicherheit" südamerikanischer Militärdiktaturen in den 60er und 70er Jahren. Die in geopolitischer Hinsicht geschulten Generäle hatten damit den Versuch unternommen, ihrer Ausnahmeherrschaft und dem repressiven Vorgehen gegenüber der internen Opposition den Anschein einer Rechtfertigung zu verleihen. Bei einem großen Teil der seit den 70er Jahren erschienenen Schriften zum Thema Geopolitik und nationale Sicherheit in Südamerika standen daher die militärischen und sicherheitspolitischen Aspekte 1 0 im Vordergrund.

10 Comblin 1977 stellt die erste grundsätzliche Abrechnung mit der sog. "DNS" dar. Eine polemische Auseinandersetzung mit der Arbeit von Comblin bei Methol Ferre 1977. Ferre, wie Comblin Priester, wirft Comblin vor, die Unterschiede zwischen den Geopolitiken der einzelnen Länder zu unterschätzen, integrationistische Tendenzen in den geopolitischen Schriften auszulassen und die Verbindung zwischen geopolitischen Fragen und nationaler Identität nicht zu berücksichtigen.

165

Dem nordamerikanischen Einfluß auf die lateinamerikanischen Armeen und Militärakademien wurde von verschiedenen Autoren die entscheidende Rolle bei der Entstehung der "Doktrin der nationalen Sicherheit" beigemessen 11 . Die Vorgeschichte geopolitischen Denkens in Lateinamerika, die Entstehung von Schulen in den einzelnen Ländern und die Ausdehnung solcher Annahmen über den militärischen Bereich hinaus wurden nur am Rande berücksichtigt. Studien zum politischen Denken der Miltärs und zur Geopolitik ausgewählter südamerikanischer Länder zeigen indessen, daß die Staatsvorstellungen der Generäle nicht erst mit der Machtübernahme in den 60er Jahren begannen, sondern eine gewisse Tradition bereits vor dem wachsenden Einfluß der USA auf die lateinamerikanischen Streitkräfte nach 1 -y

dem Zweiten Weltkrieg vorhanden war . Im folgenden geht es zunächst um geopolitische Ansätze und "Schulen" in Südamerika und deren Inhalte, die nicht ausschließlich dem rein militärisch-sicherheitspolitischen Bereich zugeordnet werden können. Anschließend wird die in den 60er Jahren aufgekommene, als "Doktrin der nationalen Sicherheit" bezeichnete Ideologie der Militärdiktaturen dargestellt und einer Kritik unterzogen.

II. Geopolitische Ansätze und Schriften in südamerikanischen Ländern Vor allem in Argentinien, Brasilien und Chile hat geopolitisches Denken in den 60er und 70er Jahren einen wichtigen Einfluß ausgeübt. Die Beschäftigung mit der Geopolitik begann jedoch bereits in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

11 So gelangt Comblin zu dem Ergebnis, daß die gesamte Doktrin aus den U S A stammt (1977: S. 188). Er empfiehlt den lateinamerikanischen Armeen, sich wieder auf Bolivar, San Martin u.a. zu besinnen, um sich dadurch vom US-Einfluß zu befreien (S. 190). Ähnlich Tapia Valdis 1980. 12 Vgl. dazu die Arbeiten von Genaro Arriagada Herrera (1983?). Umfassende Analysen zu den geopolitischen Schriften in Argentinien, Brasilien und Chile enthält die vierbändige 1725seitige Dissertation von Howard Taylor Pittman (Pittman 1981). Jack Child, der selbst der Gutachterkommission angehörte, bezweifelt, ob alle Mitglieder die Arbeit ganz gelesen haben (Child 1985: Anm. 10, S. 31). Pittman geht selbst von einem geopolitischen Ansatz aus oder steht ihm zumindest positiv gegenüber. Es fehlt daher auch jede Kritik am geopolitischen Denken sowie eine profunde Auseinandersetzung mit der "Doktrin der nationalen Sicherheit". Zu den geopolitischen Doktrinen in verschiedenen Staaten Lateinamerikas vgl. ferner: Wesson (Hrsg.) 1986: S. 125-156.

166

1. Brasilien Die wichtigste geopolitische Schule besteht in Brasilien. Brasilianische Militärstrategen haben nicht nur die umfangreichste geopolitische Literatur in Südamerika hervorgebracht, geopolitische Annahmen liegen auch der nationalen Entwicklungs- und Außenpolitik zugrunde. Zentrale Punkte der brasilianischen Geopolitik sind u.a. 13 : Die Verbindung der Konzepte von Sicherheit und Entwicklung durch das Militär (so heißt die offizielle Publikation der brasilianischen Kriegsakademie Escola Superior de Guerra "Seguranga e Desenvolvimiento"); die Integration des nationalen Territoriums; die Erschließung der Amazonasgebiete; die Sicherheit im Südatlantik und ein außenpolitisches Interesse an der Entwicklung in Westafrika und der Antarktis, Zugang zu Energieträgern und natürlichen Ressourcen angesichts der Energieknappheit Brasiliens; die Rivalität mit Argentinien um das La Plata Becken sowie das Streben nach einer regionalen Vormachtstellung und nationaler Größe. Geopolitische Überlegungen knüpfen an den Positivismus des 19. Jahrhunderts an. Das positivistische Binom "Ordnung und Fortschritt" wurde zum Wahrzeichen der Nationalflagge. Um 1870 begann die Ideologie des technisch-wissenschaftlichen Fortschritts das Geistesleben zu beeinflussen, so in den Zentren der mathematischen Ausbildung und der Militärakademie 14 . Wichtig für die weitere Entwicklung geopolitischer Gedanken war die Gründung der Escola Superior de Guerra (abgekürzt ESG) im Jahre 1949. Es handelte sich um eine militärische Hochschule, die "im Laufe der Zeit anmaßend 'die Sorbonne' genannt" 15 wurde und an der bis auf Präsident Medici (1979-1984) alle nach 1964 amtierenden Militärpräsidenten tätig waren. Von den Gründern der ESG wurde darauf hingewiesen, daß die Teilnahme des brasilianischen Expeditionskorps an der amerikanischen Invasion in Italien im Jahre 1944 eine Rolle gespielt habe, da man in der Folgezeit die dabei kennengelernten Formen von Planung und Ordnung in

13 Child 1985: S. 35 f. 14 Castelo Branco 1983: S. 188. 15 Fernández Baeza 1981: S. 47. 167

die Praxis umsetzen wollte 16 . Sowohl Präsident Castelo Branco (1964-1966) als auch Präsident Geisel (1974-1978) hatten an der Ausarbeitung der Doktrin der ESG mitgewirkt. Geopolitik wurde in der ESG seit dem Gründungsjahr unterrichtet. Die Lehre von der Geopolitik bezog sich in den 50er und 60er Jahren allgemein auf Themen der Zukunft Brasiliens und stellte Überlegungen an, wie die nationale Größe erlangt werden könne. Zu den Forschungsgebieten gehörten innenpolitische, außenpolitische und militärpolitische Fragen. Die Grundsätze der ESG lauten folgendermaßen 1 7 : 1. Die nationale Sicherheit beruht auf dem gesamten Potential der Nation, auf das sich die militärische Macht stützt. Voraussetzung der nationalen Sicherheit ist somit die umfassende Entwicklung des Landes. 2. Brasilien ist aufgrund seiner Größe, seiner Bodenschätze und einer schnellwachsenden Bevölkerung dazu bestimmt, eine Großmacht zu werden. 3. Rückständigkeit und Unterentwicklung des Landes wurden durch Hindernisse erzeugt, die durch ein umfassendes Konzept überwunden werden können. 4. Eine führende Rolle in diesem Prozeß fällt einer neuen zivil-militärischen Elite zu, die im Team arbeitet und sich an den Prinzipien und Techniken rationaler Planung orientiert 1 8 . 5. Die ESG soll eine nationale Institution für wissenschaftliche Studien und Forschung sein, um eine Methodologie und Doktrin der nationalen Sicherheit auszuarbeiten. Über 3.000 Militärs und Zivilisten ESG hervorgegangen 19 . Geopolitische nicht nur auf die Absolventen der aufgrund von Größe und Potential

sind bis Ende der 70er Jahre aus der Vorstellungen beschränken sich jedoch ESG, sondern sind - wahrscheinlich des Landes - in der Öffentlichkeit

16 Ebenda S. 48. Das 1946 in den USA geschaffene National War College besaß eine Vorbildfunktion für das brasilianische Militär. So Amaral Gurgel 1975: S. 29. Ferner: de Meira Mattos 1975: S. 60 f. 17 Vgl. dazu Castelo Branco 1983: S. 288-289. 18 Die Absichtserklärung der ESG-Gründer - "ein Klima zu schaffen, in dem es zur 'Gewohnheit' wird zusammenzuarbeiten" - ging vor allem auf die Teilnehmer am ItalienFeldzug zurück. Sie zeigten sich vom Funktionieren des US-Heeres tief beindruckt. Vgl. dazu: Fernández Baeza 1981: S. 50. 19 Pittman 1981: S. 434.

168

verbreitet. Die vergleichsweise frühe Beschäftigung mit solchen Themen und der aus geopolitischer

Sicht als erfolgreich empfundene Verlauf

der

Landesgeschichte lassen es zu, von einer eigenen geopolitischen Schule Brasiliens zu sprechen. Die Militärs haben nach der sog. "brasilianischen Revolution" von

1964 solche Überlegungen

im Transportsystem,

den

Grenzregionen und beim Aufbau einer eigenen Rüstungsindustrie zielstrebig umgesetzt. (Zu

den innenpolitischen

Auswirkungen

der "Doktrin

der

nationalen Sicherheit" in Brasilien vgl. Abschnitt I V ) . 2. Argentinien Im Mittelpunkt der argentinischen Geopolitik steht die Auseinandersetzung mit Brasilien und der mittlerweile eindeutig gescheiterte Versuch, eine Vorherrschaft im Südkegel zu etablieren. Themen in den geopolitischen Schriften - vor allem der seit 1969 erscheinenden Zeitschrift "Estrategia" argentinischer Autoren sind: Die Beschäftigung mit vermeintlichen und tatsächlichen brasilianischen Expansions- und Analyse

der Allianz

zwischen

den U S A

Hegemoniebestrebungen;

und Brasilien;

Argentiniens

ehemalige und potentielle Rolle als Führungsmacht im Cono Sur; eine Betonung maritimer Interessen (im Gegensatz zu der eher kontinentalen Ausrichtung der brasilianischen Politik) im Südatlantik, wozu auch die Rückgewinnung der unter britischer Kontrolle stehenden Falkland/Malwinen-Inseln fällt, sowie die Verteidigung argentinischer Ansprüche auf die Antarktis;

Atomenergie und die eventuelle Entwicklung von Kernwaffen,

um Brasilien zuvorzukommen. Eine wichtige Rolle spielen schließlich politische Erwägungen angesichts der Unfähigkeit sämtlicher Regierungen der vergangenen Jahrzehnte, die Stabilität des Landes zu erreichen Die

Suche nach einer

Erklärung der

Krise und des

.

Niedergangs

Argentiniens im Vergleich zu den "goldenen Jahren" vor dem Ersten Weltkrieg und kurz nach 1918 dürfte eine Ursache für das starke Interesse an geopolitischen Fragen in den 70er Jahren sein. Dieses Interesse wurde von der Militärregierung propagandistisch ausgenutzt, indem sie immer wieder auf das enorme geographische, wirtschaftliche und menschliche Potential Argentiniens hinwies. Hinzu traten zum damaligen Zeitpunkt die Grenzprobleme und die vor allem von der argentinischen Militärdiktatur

20 Vgl. dazu Child 1979.

169

angeheizten Konflikte mit Chile, die 1978 beinahe zu einer kriegerischen Auseinandersetzung geführt hätten. Die Beschäftigung mit geopolitischen T h e m e n beschränkte sich nicht auf 21 Zeitschriften, zahlreiche Bücher und Seminare auf nationaler E b e n e . 1979 wurde die Geopolitik sogar vorübergehend als Unterrichtsfach an der Mittelschule eingeführt. In der Öffentlichkeit und in Zeitschriften wurden geopolitische T h e m e n - wiederum mit Blick auf die Grenzstreitigkeiten mit Chile - aufgegriffen und popularisiert. Im Unterschied zu Brasilien, wo sich die geopolitische "Erziehung" auf eine zivil-militärische Funktionselite beschränkt, wurde in Argentinien unter der Militärdiktatur der Versuch unternommen, geopolitische Annahmen auch in größeren Bevölkerungskreisen zu verbreiten. Nach dem verlorenen Krieg um die Falklands/Malwinen (1982) haben geopolitische T h e m e n zunächst in der Öffentlichkeit an Bedeutung verloren. In verschiedenen Publikationen wurde auf die Notwendigkeit der Entwicklung des Landes und eines politischen Konsenses im Unterschied zu einem rein militärischen Sicherheitsdenken hingewiesen . Es kann nicht von einer einheitlichen geopolitischen Schule Argentiniens gesprochen werden. Ein Teil der Publikationen setzt sich mit der Frage nach den G r ü n d e n für die Stagnation des Landes auseinander; ansonsten ist ein Schwanken zwischen nationalistischen und integrationistischen Ansätzen feststellbar. Wenn überhaupt Lösungsvorschläge gemacht werden, sind sie wenig konkret und zeichnen sich durch eine Überschätzung der eigenen außenpolitischen Möglichkeiten aus. Die argentinische Geopolitik kann somit als ein Spiegelbild der politischen und wirtschaftlichen Krise gelten, die das Land seit einigen Jahrzehnten durchlebt. 3. Chile In Chile gibt es, wie Augusto Pinochet bedauernd feststellte 2 3 , keine Schule, wohl aber eine zunehmende Beschäftigung mit geopolitischen Ideen. Eine wichtige Rolle spielt dabei die Verteidigung der im Pazifikkrieg von

21 Im November 1975 wurde an der Universidad de Cuyo das "Erste nationale Symposium zur Geopolitik" abgehalten. Das zweite nationale Symposium fand 1982 in Mendoza statt. Die Schlußdokumente sind abgedruckt in: Geopoh'tica (1983), Nr. 26, S. 69-78. 22 Kovadloff 1982. 23 Child 1979: S. 102.

170

Peru und Bolivien (1879-1883) eroberten Territorien; der Einflußgewinn im Südpazifik; die Kontrolle über die Magellanstraße und Kap Horn sowie ein wachsendes Interesse an der Antarktis. Als Resultat des preußischen Einflusses dominiert in Chile die deutsche geopolitische Schule 24 . 1943 wurde die Geopolitik als offizielles Fach an der chilenischen Kriegsakademie eingeführt. Die Geopolitik hat in Chile erst in den 60er Jahren durch die Publikation der Bücher von Augusto Pinochet und Julio von Chrismar ein gewisses theoretisches Fundament erhalten . Später kam die direkte Förderung durch den 1973 zum Diktator aufgestiegenen Geopolitiker Pinochet hinzu. 1975 entstand die "Academia Superior de Seguridad Nacional", die an die Stelle der Academia Nacional de Defensa trat. 1981 wurde das Instituto Geopolitico de Chile gegründet, wo die Zeitschrift "Seguridad Nacional" erscheint . Die neueren geopolitischen Ansätze in Chile sind praktisch mit der Doktrin der nationalen Sicherheit identisch. Dagegen ist ein geopolitischer Einfluß auf die Regierungspraxis - abgesehen von dem zentralen Aspekt der inneren Sicherheit - kaum nachweisbar. Die liberale Außenwirtschaft des Pinochet-Regimes widerspricht sogar dem Gedanken nationaler Autarkie, der in den traditionellen geopolitischen Schriften immer wieder auftaucht . Allgemein ist darauf hinzuweisen, daß lediglich die ABC-Staaten (Argentinien, Brasilien, Chile) geopolitische Schulen besitzen. Aber auch in anderen lateinamerikanischen Ländern gibt es geopolitische Ansätze und Institute, auch wenn sie nicht den Einfluß erlangt haben wie in den hier behandelten Fällen.

24 Werz 1986: S. 71 f. 25 Pinochet Ugarte 1978. Die erste Version erschien 1968 in Chile, herausgegeben vom Instituto Geogräfico Militär. Ferner: von Chrismar 1968. 26 In September 1975 fand an der Universidad Austral de Valdivia eine Konferenz über nationale Sicherheit statt, deren Beiträge in dem Buch "Nuestro Camino" gesammelt wurden. Die Aufsätze in der Zeitschrift "Seguridad Nacional" enthalten eine extrem konservative Kritik am Parlamentarismus und aufklärerischen Denken. Vgl. etwa Montagna Bargetto u.a. 1977. 27 Chateau 1978: S. 222.

171

4. Peru, Venezuela In Peru besteht das "Instituto Peruano de Estudios Geopolíticos y Estratégicos" (IPEGE) mit General Edgardo Mercado Jarrin als Direktor und der Zeitschrift "Estudios Geopolíticos y Estratégicos". Der verlorene Pazifikkrieg mit Chile steht nach wie vor im Mittelpunkt des geopolitischen Denkens in dem Andenstaat . Als wichtigstes innenpolitisches Thema kann die Erschließung des Amazonas-Gebietes gelten. Nach der sog. "peruanischen Revolution" (1968) propagierten Offiziere innerhalb des Militärs die Idee einer "integralen Sicherheit", die ganz andere Inhalte besaß als die Definition des Chilenen von Chrismar. Ausschlaggebend sollten die menschlichen und ökonomischen Faktoren sein; die physischen und die staatspolitischen Aspekte folgen erst an zweiter Stelle 29 . Auch wenn diese Vorstellungen in der "peruanischen Revolution" nicht umgesetzt werden konnten, belegen sie doch einmal mehr, daß die Geopolitik in Südamerika nicht einheitlich ist und teilweise Übereinstimmungen mit den allgemeinen Entwicklungszielen der jeweiligen Länder bestehen. Dies zeigt sich am Beispiel Venezuelas. In dem seit 1958 demokratisch regierten Land begann Ende der siebziger Jahre eine Debatte über die Notwendigkeit einer demokratischen Sicherheitsdoktrin, die eine Reaktion auf die Militärdiktaturen in den Nachbarstaaten und die dort dominierenden "Doktrinen der nationalen Sicherheit" darstellen sollte. Das 1976 verabschiedete "venezolanische Sicherheits- und Verteidigungsgesetz" enthält allerdings eine Reihe antidemokratischer Elemente. So fehlt in dem Gesetz jeder Hinweis auf die Bürgerrechte i n . demokratische Ordnung sowie die politischen und sozialen

28 Mercado Jarrin 1979. 29 Comblin 1977: S. 354. Para Maza (1979) betont den möglichen Beitrag geopolitischen Denkens zur lateinamerikanischen Integration und definiert Geopolitik als "eine wissenschaftliche Disziplin im Dienst der Politik aber in einem universalistischen Sinne zugunsten des Gemeinwohls" (S. 66). 30 Romero/Gabaldön 1980. Ferner Rangel 1980.

172

5. Allgemeine Aspekte Geopolitische Überlegungen aus anderen lateinamerikanischen Ländern können hier keine Berücksichtigung finden. Es sind jedoch in allen Staaten zahlreiche Bücher und Aufsätze zu diesem Thema erschienen. Meistens handelt es sich um Einführungen, die nach einer Darstellung der Grundgedanken europäischer und nordamerikanischer geopolitischer Autoren ein Kapitel zu den geopolitischen Merkmalen des betreffenden Landes enthalten. Die Mehrheit der Bücher sind von Militärs verfaßt und mit Mitteln der Streitkräfte publiziert worden. Sie sind für den Unterricht an I i

Militärschulen oder zivilen Bildungseinrichtungen gedacht . Die Größe und reale internationale Bedeutung eines Landes ist kein verläßlicher Indikator für die Anzahl geopolitischer Publikationen. So wurden in Bolivien viele geopolitische Texte veröffentlicht, in denen es zum einen um die aus bolivianischer Sicht unvorteilhaft verlaufene Landesgeschichte geht, zum anderen wird aus der Mittellage des vom Meer abgeschnittenen Landes eine besondere Prädispositon des Andenlandes bei einem eventuellen lateinamerikanischen Zusammenschluß abgeleitet . Nur in wenigen lateinamerikanischen Ländern spielt geopolitisches Denken kaum eine Rolle. Dazu gehören Costa Rica und Mexiko, die auch zu den Staaten mit den niedrigsten Pro-Kopf-Ausgaben für das Militär in Lateinamerika zählen. Im Falle Mexikos läßt die unmittelbare Nachbarschaft zu den mächtigen USA mit ihrem universalen Sicherheitskonzept wenig Raum für eigene geopolitische Erwägungen. Hinzu kommt die untergeordnete Bedeutung der Streitkräfte im von der mexikanischen Revolutionspartei PRI dominierten Herrschaftssystem . Stattdessen ist in der Außenpolitik beider Länder eine Orientierung auf regionale und internationale Zusammenarbeit vorhanden. Wichtig ist der Hinweis darauf, daß das geopolitische Denken in Südamerika nicht nur gegen die Nachbarländer ausgerichtete Züge aufweist, sondern auch - wie bereits erwähnt wurde - entwicklungsorientierte und integrationistische Ansätze. In der durch die "Asociación Sudamericana de Estudios Geopolíticos e Internacionales" herausgegebenen Zeitschrift

31 Vgl. etwa einen für den Unterricht an Mittelschulen vorgesehenen Text (Ayala Z. 1980). 32 Vgl. etwa Gumucio 1978. Ferner Posso Medina 1984: S. 197. Valencia Vega 1978. 33 Lehr 1987: S. 43 f.

173

"Geosur" in Montevideo kam das Bemühen zum Ausdruck, die verschiedenen Institute in einer Vereinigung zusammenzubringen. Dort ist von der Notwendigkeit eines "eigenen und authentischen kontinentalen Projekts" die Rede 3 4 . Der Nationalismus einzelner Länder soll in einer späteren Phase in ein "geopolitisches iberoamerikanisches Projekt" mit einer kontinentalen ir

"Ökonomie" übergehen . Uber die Auswirkungen dieses Zusammenschlusses läßt sich nichts genaues sagen. Allerdings zeigt die Durchführung regionaler Großprojekte im Grenzgebiet zwischen Argentinien, Brasilien, Uruguay und Paraguay, daß die wirklichen Gegensätze geringer sind als man nach den Gegnerschaften in einzelnen geopolitischen Schriften vermuten müßte. Die Geopolitik besitzt eher eine Funktion als nationale Integrationsideologie und spielt eine geringere Rolle bei außenpolitischen Entscheidungen 3 6 . Die Lektüre geopolitischer Schriften aus Südamerika zeigt, daß in den Ländern unterschiedliche geopolitische Ansätze vorhanden sind, die wiederum in sich keineswegs einheitlich sind. Obwohl der Begriff Geopolitk vage und unpräzise bleibt, kann die Kenntnis geopolitischer Annahmen Einblicke in Denken und Handeln vor allem südamerikanischer Militärregime und von Mitgliedern der Streitkräfte eröffnen: - Liegen geopolitische Annahmen zugrunde, lassen sich nationale Entwicklungspläne, innen- und außenpolitisches Verhalten südamerikanischer Militärregime besser verstehen; - Besonders im Cono Sur kann die Kenntnis der jeweiligen Geopolitiken Aufschluß über regionale Rivalitäten geben, bzw. mögliche Konfliktfelder prognostiziern helfen 3 7 . Aus dem bloßen Vorhandensein geopolitischer Ansätze kann jedoch nicht zwingend auf außenpolitische Konflikte oder die Vorherrschaft rechter Militärdiktaturen geschlossen werden. Die geopolitischen Interpretationen fallen je nach Land unterschiedlich aus und beinhalten zum Teil auch Aussagen zu Nord-Süd-Fragen sowie zur Problematik von Entwicklung und Unterentwicklung, ohne den Rang einer wissenschaftlichen Theorie beanspruchen zu können, den ihre Vertreter stets für sie reklamieren. Die wirtschaftliche Annäherung zwischen Argentinien und Brasilien in den

34 35 36 37

Editorial: Querer ser - Poder ser, in Geosur (1982), Nr. 29, S. 3. Quagliotti de Bellis 1979. Ähnlich: Ders. 1981. Vgl. dazu am Beispiel Brasilien und Argentinien: Caubet 1986. Ein solcher Ansatz liegt etwa dem Buch von Child (1985) zugrunde.

174

letzten Jahren zeigt, daß vermeintliche geopolitische Rivalitäten unter zivilen Regierungen an Bedeutung verlieren.

III.

Die "Doktrin nationaler Sicherheit" als Ideologie südamerikanischer Militärdiktaturen

Eine genaue Unterscheidung zwischen dem geopolitischen Denken und der "Doktrin der nationalen Sicherheit" ist schwierig. Der Begriff "nationale Sicherheit" fand erst nach dem Zweiten Weltkrieg in den USA und Europa Eingang in das politische Vokabular 3 8 . Ähnlich war es in Lateinamerika. Eine Ausnahme bildet Brasilien: So nahm die Verfassung von 1937 in zwei Artikeln (Art. 162, 165) auf einen Rat der nationalen Sicherheit (Conselho de Segurança Nacional) bezug. Zu seinen Aufgaben gehörte u. a. eine Kontrolle über die Grenzgebiete auszuüben, sowie den Aufbau einer nationalen Schwerindustrie zu fördern. Über die Jahrzehnte hinweg hat sich der Einfluß des Sicherheitsrates beständig ausgedehnt. Gemeinsam mit dem "Conselho Nacional de Pesquisas" (CNPqu) und dem "Estado Maior das Forças Armadas" (EMFA) hat er in den 50er Jahren die Atompolitik vorangetrieben. 1956 verkündete Präsident Juscelino Kubitschek vor dem Kongress, zu den Aufgaben des Sicherheitsrates gehöre es, das Land vor "extremistischen Ideologien" zu verteidigen. Nach der Machtübernahme der Militärs am 31. März 1964 kam die Gründung eines nationalen Informationsdienstes (SNI) hinzu, gleichzeitig wurde der nationale Sicherheitsrat vergrößert und seine Kompetenzen 39

ausgeweitet . In den südamerikanischen Staaten ist ein verstärktes Auftreten des Begriffes seit den 50er Jahren feststellbar. In Chile erschienen 1950 erstmals zwei Artikel zu diesem Thema. 1954 wurde dann auf Betreiben der Streitkräfte ein "Gesetz der nationalen Sicherheit" und ein "Gesetz für die nationale Mobilisierung" im Kongreß eingebracht. Aufgrund starker Gegenreaktionen in der Öffentlichkeit sowie der Opposition von Parteien und Gewerkschaften mußte die Regierung beide Gesetzentwürfe zurückzie-

38 Allgemein dazu: Smoke 1975. 39 Vgl. Lexikonartikel "Conselho de Segurança Nacional" (CSN) in: Beloch/Alves de Abreu (Hrsg.) 1984.

175

hen. Erst 1960 gelang den Militärs die Gründung des Consejo Superior de Seguridad Nacional (Consupsena) mit dem Gesetz Nr. 181 4 0 . Ähnlich verlief die Entwicklung in Argentinien: Dort wurde im Zeitraum zwischen 1955 und 1962 die Doctrina de la Defensa Nacional ( D D N ) durch die "Doctrina de la Seguridad Nacional" ( D S N ) abgelöst 4 1 . Insgesamt setzte bei den Streitkräften lateinamerikanischer Länder nach der Kubanischen Revolution (1959) eine Verbreitung der Idee der nationalen Sicherheit ein. In den Veröffentlichungen und Dekreten der Militärjuntas über die nationale Sicherheit wird zunächst meist auf ihre Gefährdung hingewiesen; als Faktor nationaler Unsicherheit gelten zunächst einmal die Parteien und Zivilisten, die die "Ineffizienz, eine allgemeine administrative Korruption und Demagogie" 4 2 gefördert hätten. Nachdem die Militärs in einem "revolutionären Prozeß" 4 3 die Macht übernommen hätten, müsse die "Einheit" 4 4 wiederhergestellt werden, um die "großen nationalen Ziele zu erreichen" 4 5 . In den Erklärungen der Militärjuntas können dabei graduelle Unterschiede in der Analyse der Ursachen für den Staatsstreich, das Ausmaß "marxistischer" oder "kollektivistischer" Bedrohung und in der Entwicklungsstrategie bestehen, die Begründung für die Machtergreifung fällt ähnlich aus: Nach einer Periode des Niederganges und der Mißwirtschaft müsse die Einheit der Nation wiederhergestellt werden, um die nationalen Ziele zu erreichen. "Revolution" bedeutet - unabhängig von der urspünglichen politischen Ausrichtung der Militärjunta - nicht grundsätzlich Umbruch, sondern rasche nationale und wirtschaftliche Entwicklung 4 6 . In einzelnen Ländern (Peru, Ecuador) wurde eine Transformation bestehender sozio-ökonomischer Strukturen angekündigt. Wichtig ist, daß die sog. "Doktrin der nationalen Sicherheit" erst in den 60er Jahren aufkam, als technokratisch ausgerichtete Militärregime in vielen südamerikanischen Staaten die Macht ergriffen. Man kann also zwischen den älteren geopolitischen Überlegungen und der neueren "Doktrin der

40 Espinoza 1983: S. 328 f. 41 López 1987: bes. S. 171 f. 42 General Jorge Rafael Videla, A Time for Fundamental Reorganization of the Nation (5. April 1976), abgedruckt in: Loveman/Davies (Hrsg.) 1978: S. 179. 43 Speech by President Juan Carlos Ongania (7. Juli 1966), abgedruckt in: Ebenda, S. 175. 44 Ebenda. 45 Akte der Argentinischen Revolution vom 28. Juni 1966, abgedruckt in: Evers 1972: S. 243. 46 Vgl. dazu für Peru: Klein 1983: S. 119.

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nationalen Sicherheit" unterscheiden 4 7 , auch wenn die Übergänge teilweise fließend sind. Von verschiedenen Autoren ist darauf hingewiesen worden, daß erst in den 60er Jahren in Dokumenten und der politischen Sprache der Begriff "nationale Sicherheit" auftauchte 4 8 . In vielen lateinamerikanischen Ländern wurden in den 60er Jahren "Gesetze der nationalen Sicherheit" verabschiedet. Als Beispiel soll hier das "Gesetz der nationalen Sicherheit" von Dezember 1964 aus Ecuador dienen, das das alte Verteidigungsgesetz ablöste. Nationale Sicherheit wird definiert als der "Schutz, den der Staat der Gemeinschaft und dem nationalen Erbe durch politische, ökonomische, soziale und militärische Aktionen gegen interne und/oder externe Faktoren gewährt, die sich der Durchführung und/oder Erhaltung der nationalen Ziele widersetzen" 49 .

IV. Einige Merkmale der "Doktrin der nationalen Sicherheit" Ein grundlegendes Konzept der "Doktrin der nationalen Sicherheit" ist das der Bipolarität. Bipolarität steht bei den Militärs für die Spaltung der Welt in einen Ost- und einen Westblock. Diese Trennung findet auch innerhalb der nationalen Gesellschaften ihre Fortsetzung. Hinzu kommt eine Überhöhung und Verabsolutierung des Staates. Von einer geopolitischen Sichtweise aus hat der als lebendiger Organismus angesehene Staat Interessen und Ziele, die über denen seiner Bürger stehen. Bei seiner konstanten, eigenen Gesetzen folgenden Suche nach nationaler Entfaltung leiten den Staat geographische Bedingungen, natürliche Ressourcen und infrastrukturelle Gegebenheiten. Im Rahmen dieser Theorie unterliegt der Staat also lediglich geopolitischen Bedingungen und nicht ideologischen oder klassenspezifischen Interessen. Unberücksichtigt bleiben daher auch bei der "Wissenschaft" von der Geopolitik strukturelle Faktoren, wie wirtschaftliche, soziale oder politische Abhängigkeiten und konfligierende Interessenlagen zwischen verschiedenen sozialen Gruppen. Für den argentinischen Offizier Augusto B. Rattenbach, der zahlreiche Publikationen

47 So ist die Quellensammlung von Cavalla Rojas (1979) in drei Abschnitte unterteilt, wobei die Quellen jeweils nach den Themenbereichen Geopolitik, Interamerikanisches Verteidigungssystem und der Doktrin der nationalen Sicherheit geordnet wurden. 48 Fernández Baeza 1983: S. 46. Ferner Medina Lois 1979: S. 311. 49 Zitiert nach Barberis Romero 1979: Bd. 2, S. 315.

177

zu dem Thema veröffentlicht hat, ist "die Geopolitik eine Interdisziplin, die räumliche Komponenten (Geographie, Wirtschaft, Anthropologie) und Machtressourcen (nationale Ressourcen, Wissenschaft und Technologie) berücksichtigt, da diese Faktoren zusammenwirken und die zeitliche und räumliche Einheit eines Staates oder einer Region ausmachen. Aber dies geschieht stets in Übereinstimmung mit einem gewissen politischen Konzept, woraus folgt, daß es nicht eine, sondern viele Geopolitiken gibt ,.." 50 . General Pinochet, vormaliger Dozent für Geopolitik an der chilenischen Militärakademie, sieht sie "als zentrales Instrument politischen Denkens und Handelns, als geographisches Bewußtsein und als Quelle der Inspiration für verschiedene innere und äußere Ziele." Seiner Meinung nach "definiert die Geopolitik den Staat als supra-individuellen Organismus, der als solcher lebendig ist und sich in einem ständigen Überlebenskampf befindet" 5 1 . Der Zusammenhang zwischen Geopolitik, nationaler Doktrin und der Führungsrolle einer kleinen Gruppe ist aus einer solchen Argumentation unschwer abzuleiten. Zur Verdeutlichung sei eine Passage aus der argentinischen Zeitschrift "Geopolitica" von 1977 zitiert: "Die Menschen und die Gesellschaften werden zu gleichen Teilen von geographischen Realitäten, von ihrer Zusammensetzung ... sowie von ihrer Geschichte und Kultur bestimmt. Und nur eine denkende, erleuchtete, weitsichtige Elite, getragen von der Größe eines unbestechlichen Patriotismus und festgewurzelt in der eigenen Gemeinschaft, kann die Vergangenheit für künftige Entwürfe wiederbeleben, um so die erneuernde Konzeption des Lebensstils eines Volkes zu gestalten, das sich auf dem Weg in die Zukunft befindet . Obwohl unterschiedliche Ausgangslagen und Formen der nationalen Sicherheit in den letzten Jahren in Südamerika auftraten, gibt es Gemeinsamkeiten. 1. Ein Bündel abstrakter Konzepte und Annahmen geopolitischen Ursprunges. Wichtige Begriffe sind Nation, Staat und - eng damit verbunden nationale Einheit und Macht. Staat und Nation, die im Sprachgebrauch der Militärdiktaturen zu austauschbaren Begriffen wurden, erscheinen als Organismen mit einem Eigenleben, in denen die Bürger nur eine untergeordnete Rolle spielen. Nationale Einheit ist in einer solchen Gesellschaft

50 Rattenbach 1975: S. 5-9. 51 Pinochet 1978. 52 O. N., Doctrina nacional y doctrina política, in: Geopolítica (1977), Nr. 7/8, S. 4.

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nicht Resultat eines sozialen oder politischen Konsenses, sondern eine "natürliche", "übersoziale" oder in der Tradition verwurzelte Gegebenheit. In einem so absoluten Denken ist kein Platz für Konflikte oder divergierende Meinungen. Da der Staat als Inkarnation nationalen Wirkens und Wollens gilt, werden oppositionelle Stimmen als Staatsfeinde und Vaterlandsverräter gebrandmarkt. Wichtig für das Wachstum der Nation ist nationale Macht, unter der man natürliche Ressourcen sowie wirtschaftliche und militärische Stärke begreift. Ausgeschlossen bleibt bei dieser Vorstellung die Innenpolitik und die Frage über den gesellschaftlichen Zugang und die Verteilung von Machtressourcen. Das Buch von Golbery do Couto e Silva (1917-1987), Geopolitica do Brazil, kann als Beispiel dienen. Es beginnt mit einer Diskussion von Hobbes und dessen "Leviathan". Der Autor bezeichnet sich zwar selbst als Demokraten, postuliert aber angesichts einer verbreiteten Unsicherheit und wachsender außenpolitischer Bedrohungen eine Art Staat der nationalen Sicherheit. Die Nationen Westeuropas seien erschlafft und kaum in der Lage, dem Vormarsch des Kommunismus etwas entgegenzusetzen. Das unten abgedruckte Schema zur "nationalen Sicherheit" zeigt eine hierarchisch strukturierte Regierungskonzeption, deren Durchführung einer kleinen Elite obliegt. Die Strategie ist nach den Worten des Autors "im Grunde - wie der Krieg - unteilbar und allumfassend" .

53 Golbery do Couto e Silva, zit. nach Cavalla Rojas 1979: S. 115. Der General war auch politisch sehr einflußreich. Als Chef des nationalen Informationsdienstes nach der Machtübernahme durch die Militärs 1964 und als Leiter des Zivilkabinettes unter den Generalpräsidenten Geisel (1974-1979) und Figueiredo (1979-1984) wirkte er unmittelbar auf die Politik ein.

179

NATIONALE SICHERHEIT

Strategie oder Politik der Nationalen Sicherheit

Nationales strategisches Konzept

Regierungsentscheidungen

Politische Strategie

Ökonomische Strategie

Psychosoziale Strategie

Militärische Strategie

Quelle: Cavalla Rojas 1979: S. 115.

2. Der zentrale Aspekt ist die Definition nationaler Sicherheit. Für die Anhänger der Doktrin ist die gegenwärtige Weltlage durch zwei fundamentale Gegensätze gekennzeichnet: Einmal durch die Opposition zwischen Ost und West, zum anderen durch den Interessengegensatz zwischen entwickelten und unterentwickelten Ländern. Beide Aspekte spielen eine Rolle in der "Doktrin der nationalen Sicherheit", je nach Land hat allerdings die eine oder andere Komponente eine stärkere Ausprägung erhalten. In Brasilien stand die Parole "Seguranza e desenvolvimiento" (Sicherheit und Entwicklung) im Vordergrund. Die Unterordnung des Entwicklungsaspektes unter den der Sicherheit ist kein Zufall: So ist in der Akte der "Argentinischen Revolution" vom Juni 1966 von einer "Umformung und Modernisierung" die Rede, die "ein historisches Gebot ist... wenn wir ... die wesentlichen Werte unserer Lebensweise bewahren wollen"54. Es handelt sich um

54 Anhang 1 zur Akte der Argentinischen Revolution vom 28. Juni 1966, abgedruckt in Evers 1972: S. 243-247.

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eine Umformung um zu bewahren - also eine Art präventiver Entwicklungsstrategie. Sicherheit wird dabei als von innen und außen gleichermaßen bedroht angesehen. In einem Aufsatz mit dem Titel "Die Sicherheit und die nationale Verteidigung" konstatiert ein argentinischer Militär 55 , daß die nationale Sicherheit in den Ländern der Dritten Welt gerade für Friedenszeiten gelten müsse, da die Merkmale der Unterentwicklung und die Präsenz von starken Oppositionsgruppen einen Störfaktor bei der nationalen Verteidigung konstituieren. Hierin liegt aber auch die Begründung für eine Erweiterung des Feindbildes auf innergesellschaftliche Bereiche und die sukzessive Übernahme von Herrschafts- und Kontrollfunktionen durch das Militär. Getreu dem vereinfachenden Konzept der Bipolarität stehen sich im Inneren der Länder nationale Interessen und vom internationalen Marxismus gestützte Unruhestifter gegenüber. Wo das Hauptproblem der Militärs der Kampf gegen Guerillagruppen (Argentinien und Uruguay) oder starke sozialistische und kommunistische Parteien und Gewerkschaften (Chile) war, tritt dieser Aspekt gegenüber der Problematik von Entwicklung und Unterentwicklung in den Vordergrund. Wer alles zur Gruppe der antinationalen Kräfte zu zählen ist, bestimmt das Militär. Unter die Bezeichnung - und damit gleichbedeutend politischer Verfolgung - "corruptos" fielen etwa in Argentinien neben den Mitgliedern der gestürzten peronistischen Regierung auch andere oppositionelle Politiker. Die Bezeichnung "subversivos" wurde rasch von den Guerillabewegungen (Montoneros und ERP) auf nahezu alle oppositionellen Gruppen, darunter Universitäten, Gewerkschaften und Kirchen, ausgedehnt. Die argentinischen Militärs sahen sich selbst in einem globalen Konflikt mit der internationalen kommunistischen "Subversion". In ihren öffentlichen Erklärungen und verschiedenen Veröffentlichungen - darunter die auf zehn Bände angelegte Reihe "Humanismo y Terror" - versuchten sie die Machtübernahme sowohl aus der internationalen als auch der nationalen Konjunktur heraus zu begründen 5 6 .

55 Moreno 1975: S. 9-11. 56 Vgl. aus dieser Reihe etwa den Band von Goyret (1980), in dem die Sowjetunion als Zentrum einer weltweiten Expansionsstrategie dargestellt wird. Andere Bände der Reihe setzen sich mit dem "Niedergang des Parlamentes", der "Gewalt an den Universitäten", den "Zerstörern der Wirtschaft" etc. auseinander. Gemeint ist damit die Lage vor der Machtübernahme des Militärs 1976.

181

In Brasilien und Peru hat dagegen die kapitalistische Modernisierung, begleitet von einzelnen Reformen, im Vordergrund gestanden. Daß in Peru die Militärs die Gewichtung lediglich umkehrten und nun erklärten, daß Entwicklung eine Voraussetzung für Sicherheit sei, zeigt die Ambivalenz der verwendeten Begriffe. Gleichzeitig verweist sie aber auch auf den Einflu.3, den länderspezifische Faktoren - Großgrundbesitz und rückständige Agrarstrukturen im Falle Perus - auf die Politik der Militärs nehmen können. Nach der Vorstellung von sog. progressiven Militärregimen wie Peru unter Velasco Alvarado (1968-1975), Bolivien während der Regierungszeit von General Torres (1971) und die ersten zwei Amtsjahre unter Rodriguez Lara (1972-1976) in Ecuador nationaler

Einheit

sollte nationale Sicherheit auf dem Fundament

basieren,

die

wiederum

in

sozialer

Gerechtigkeit,

Einkommensverteilung und ökonomischem Wachstum wurzeln sollte. 3. Unklar bleibt die Umsetzung der "Doktrin der nationalen Sicherheit" in die Praxis. In Chile sollte dieser Prozeß nach offiziellen Verlautbarungen CO

folgendermaßen verlaufen

: Es gibt gewisse Prinzipien, die aus der natio-

nalen Geschichte und der offiziellen Doktrin des Regimes resultieren. Aus diesen Leitlinien ergeben sich nationale Ziele, von denen einige immerwährenden Charakter haben, andere dagegen als kurzfristige und veränderbare Vorhaben gelten. D i e Ausführung der Z i e l e obliegt der nationalen Strategie, die eine innere und eine äußere Seite aufweist. Faßt man all diese Elemente zusammen, hat man das sog. nationale Projekt, das die staatlichen Autoritäten über Dokumente bekannt geben. Die offiziellen Äußerungen sollen damit Gesetzeskraft erhalten. Jede A r t von Kritik gilt als Verrat an höchsten Zielen, weil sie die nationale Einheit zu zerstören droht. In den Verlautbarungen der Militärregime schimmert an einigen Stellen die Idee einer diffusen dritten Position durch. So wird in der "Prinzipienerklärung" der Regierung Chiles von März 1974 nicht nur die "Befreiung v o m Marxismus" gefeiert, sondern auch ein "erstickender Materialismus" 59 in den entwickelten westlichen Gesellschaften konstatiert. D i e "autoritäre, gerechte Regierung" 6 0

57 Acuña Labrana 1985: S. 150-155. 58 Garretön 1978: S. 109 f. und Ruz F. 1977. Für Argentinien vgl. etwa den von zwei Militärs verfaßten Aufsatz: Sanz/Auel 1978. Aufschlußreich ist die in dem Aufsatz gemachte Definition von "großer Politik": Während sich die - offensichtlich Zivilisten vorbehaltene - pequeña política mit Wahlkampf und Parteipolitik beschränkt, sind bei der sog. großen Politik die nationalen Ziele und die geohistorischen Gegebenheiten wichtig. 59 Die Regierung von Chile 1974: S. 71. 60 Ebenda S. 80.

182

erklärt zwar die individuellen Rechte für eingeschränkt, garantiert aber die freie Marktwirtschaft. "Zweifellos setzt das Prinzip der beschränkten Überwachung gleichzeitig das Recht auf uneingeschränkte Initiative auf wirtschaftlichem Gebiet voraus. Abgesehen von der Tatsache, daß dies ein Recht darstellt, bedeutet die Teilnahme privater Unternehmen an der Produktion den einzig gangbaren Weg zur wirtschaftlichen Entwicklung und der Staat soll oder kann, im Einklang mit diesen Prinzipien, eine solche Teilnahme weder verhindern noch übernehmen" 6 1 .

V. Abschließende Bemerkungen Zu den Kritikern des "Staates der nationalen Sicherheit" gehörten in Lateinamerika die Kirche und die Sozialwissenschaftler. Die III. Vollversammlung des Lateinamerikanischen Episkopats in Puebla (1978) nannte neben dem "kapitalistischen Liberalismus" und dem "marxistischen Kollektivismus" die sog. "Doktrin der nationalen Sicherheit" als dritte Ideologie, die es in Lateinamerika zu analysieren und kritisieren gelte: "Die Doktrin der nationalen Sicherheit, als absolute Ideologie verstanden, läßt sich weder in Einklang bringen mit der christlichen Sicht des Menschen in seiner Verantwortlichkeit für die Verwirklichung eines zeitlichen Vorhabens noch mit der Verantwortung des Staates als Verwalter des Gemeinwohls. Sie stellt in Wirklichkeit das Volk unter die Vormundschaft von Machteliten sowie militärischen und politischen Elitegruppen und führt zu verschärfter Ungleichheit bei der Beteiligung an den Ergebnissen der Entwicklung". 62 Ähnlich argumentieren Politikwissenschaftler: "Wir vertreten die These, daß ... die sog. Doktrin der nationalen Sicherheit totalitären Charakter hat und als absolutistisch bezeichnet worden wäre, wenn es sie schon vor ein paar Jahrhunderten gegeben hätte" 63 . Drei Merkmale der "Doktrin der nationalen Sicheheit" in Lateinamerika seien abschließend festgehalten: 1. Trotz einer gewissen Tradition geopolitischen Denkens in südamerikanischen Großstaaten - vor allem Brasilien - ist der theoretische Wert der

61 Ebenda S. 76. 62 Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hrsg.) 1979: S. 110. 63 Fernández Baeza 1983: S. 88.

183

Beiträge gering 64 . In den meisten Werken werden die Begriffe europäischer und nordamerikanischer Autoren übernommen. Die Ausführungen zu den südamerikanischen Ländern machen einen kleineren Teil in den Büchern aus. Präzise lateinamerikanische Definitionen des Begriffes fehlen, wenn man einmal von dem keineswegs überall verbreiteten Gedanken von der Notwendigkeit einer lateinamerikanischen Integration unter geopolitischen Vorzeichen absieht. Auffallend ist , daß Begriffe wie Raum, Macht und Grenzen, die im Atomzeitalter und der heutigen Weltgesellschaft eine ganz andere Bedeutung besitzen als in den Entstehungsjahren der Geopolitik, im südamerikanischen Kontext nicht hinterfragt werden 6 5 . Auch enthalten die geopolitischen Texte mit ihrer scheinbaren Genauigkeit aus Kräftekoordinaten, Pfeilen und Raumdiagrammen im Grunde nur vage Angaben über die tatsächlichen Möglichkeiten der südamerikanischen Großstaaten. Die Gleichung, daß aus der territorialen Ausdehnung, den vorhandenen natürlichen Ressourcen und einer im Vergleich zu Europa geringen Bevölkerung in naher Zukunft eine rasche Entfaltung dieser Nationen folgen müsse, entspricht der Wirklichkeit des internationalen Systems in keiner Weise. Allenfalls Brasilien ist es in den letzten Jahren gelungen, seine Großmachtpläne in Ansätzen zu verwirklichen. Die Absicht der meisten geopolitischen Autoren, eine Art Theorie für ihr Heimatland zu entwerfen und dafür auch "eigene" Begriffe zu finden, wird nicht eingelöst. Ein weiterer Grund tritt hinzu: Trotz nationalistischer Töne und einer unabhängigeren Außenpolitik gegenüber den USA, die mehrere südamerikanische Militärregime zur Absetzung von der Carter'schen Menschenrechtspolitik in den 70er Jahren betrieben, sind bei der "Doktrin der nationalen Sicherheit" externe Einflüsse unverkennbar. Auf die in spanischer und portugiesischer Übersetzung erschienen Schriften der französischen Generäle André Beaufre und Gabriel Bonnet, die das Anti-Guerilla-Konzept der französischen Streitkräfte im Algerien-Krieg beinhalten, kann hier nur hingewiesen werden. Zumindestens im argentinischen Heer war ihre

64 Ebenda, S.180. Gegen einige Autoren - darunter General Pinochet - wird Plagiatvorwurf erhoben. Vgl. dazu: Rangel 1980: S. 34. 65 Zur Problematik der Geopolitik im Nuklearzeitalter vgl. die Beiträge in: Zoppo/Zorglibe (Hrsg.) 1985: S. 293 f.

184

Wirkung erheblich 6 6 . Wesentlich wichtiger war jedoch der nordamerikanische Einfluß auf die lateinamerikanischen Streitkräfte seit dem Zweiten Weltkrieg, ihre Einbindung in ein kontinentales militärisches Bündnissystem sowie die Ausbildung vieler lateinamerikanischer Offiziere in der Panamakanalzone. Nach Schätzungen haben ca. 5 0 % aller mittleren und oberen militärischen Ränge diese Ausbildung durchlaufen

. Sie erwiesen sich als ein

Mittel, um E l e m e n t e einer in den U S A formulierten strategischen Sicher/-Q

heitsdoktrin auf die Armeen des Subkontinents zu übertragen

. So wurde

nach nordamerikanischem Vorbild in vielen Staaten ein nationaler Sicherheitsrat eingerichtet 6 9 . Während dieser in den U S A unter ziviler Kontrolle verblieb und sich vorwiegend auf außenpolitische Sicherheitsfragen konzentrierte, diente er in Südamerika zur Ausweitung der innergesellschaftlichen Funktionen der Streitkräfte. In den U S A erlangte die interne Komponente nationaler Sicherheit nur während der antikommunistischen Hysterie der Mc Carthy-Periode eine größere Bedeutung. Im Unterschied zu den lateinamerikanischen Ländern, wo sich fast nur Militärs mit diesem T h e m e n beschäftigen und die meisten Verteidigungsminister auch ziviler Regime G e n e r ä l e sind, sind in den U S A auch viele Nicht-Militärs an der Diskussion zu Fragen nationaler Sicherheit beteiligt. 2. Aus den militärischen Ursprüngen der Doktrin resultieren tiefgreifende Konsequenzen: Einerseits der wachsende Einfluß militärischer Wertvorstellungen in der Gesellschaft, andererseits die Ablehnung von pluralistischen und alternativen Denkmodellen und damit der Ausschluß von Konsensbil-

66 Beaufre 1971. ( E i n e portugiesische Ausgabe erschien 1963 in R i o de Janeiro). Bonnet 1976. Von argentinischen Autoren wird der französische Einfluß unter dem Eindruck der Menschenrechtsverletzungen der jüngsten Militärdiktatur kritisiert: "Das argentinische Volk wurde mit dem algerischen Volk verwechselt und die nationale A r m e e mit einem Besatzungsheer". So Druetta 1985: S. 109. Allgemein zum französischen Einfluß: López 1987: S. 144 f. 67 Schlagenhauf 1988: S. 362. 68 Allerdings wären die amerikanischen Einflüsse ohne gewisse Voraussetzungen in den lateinamerikanischen Ländern nicht in diesem M a ß e zur Geltung gekommen. Die von lateinamerikanischen Offizieren an den U S A geäußerte Kritik bedeutet im übrigen nicht, daß diese Militärs ihrerseits überzeugte Demokraten sind. So wird von nationalistischen Offizieren im Ruhestand, die sich in der "Organización de Militares por la Democracia, la Integración y la Liberación de América Latina y el Caribe" ( O M I D E L A C ) zusammengeschlossen haben, die "Doktrin der nationalen Sicherheit" vor allem deshalb abgelehnt, weil sie die lateinamerikanischen Armeen den US-Interessen unterwirft. Vgl. O M I D E L A C , Lima 1986: S. 2 0 / 3 2 und S. 85 f. 69 Vgl. dazu Comblin 1977 und Child 1985: S. 69-70.

185

dung in der Politik. Mit der Ausdehnung der sog. "Doktrin der nationalen Sicherheit" auf alle Bereiche des sozialen Lebens wird die in den meisten lateinamerikanischen Systemen ohnehin nur schwach ausgeprägte Gewaltenteilung aufgehoben und die gesamte Gesellschaft dem staatlichen Zugriff ausgesetzt. Als Folge militärischer Hierarchie- und Ordnungsvorstellungen wird die nationale Sicherheit zudem als rein technisches Problem angesehen, deren Einlösung nach vermeintlich technokratischen Gesichtspunkten möglich ist und nicht über einen Prozeß der Interessenaggregation und Konsensbildung. Hier liegt auch einer der Gründe für die rücksichtslose Repression Andersdenkender und die mangelnde Berücksichtigung sozialer und ökologischer Folgekosten bei der von den Militärs betriebenen Industrialisierungspolitik. 3. Ein letzter Aspekt ist schließlich die Frage, warum gerade dieses und nicht ein anderes Begründungsmuster eine so wichtige Rolle im Selbstverständnis und bei den Legitimationsversuchen der neueren Militärregime spielte. D i e "Doktrin der nationalen Sicherheit" verschaffte den Streitkräften eine vermeintliche Legitimation als letztgültige Hüter und Retter der Nation angesichts einer Krise, die - in den 60er und 70er Jahren - den von den Militärs aufrechterhaltenen gesellschaftlichen Status quo in Frage zu stellen begann. Darüber hinaus vermochte sie die Illusion eines politischen Entwurfes zu vermitteln, auch wenn die Regierungspolitik meist weit von den geopolitischen Zielen entfernt war und ist. So hat etwa die neoliberale Wirtschaftspolitik der chilenischen Militärdiktatur -im Gegensatz zu autarkistischen Annahmen im geopolitischen Denken - die Abhängigkeit vom 70

Ausland noch verstärkt . E s wäre allerdings falsch, die "Doktrin der nationalen Sicherheit" zu überschätzen. Denn während sie theoretisch die Funktion eines umfassenden Erklärungsmodells beansprucht, dient sie in der Praxis lediglich dazu, das Fehlen einer politischen Konzeption zu verdecken. Die Unfähigkeit, die Beziehungen zwischen Staat und Gesellschaft auf eine allseitig anerkannte und von der Bevölkerung getragene Basis zu stellen, bedingte in den 60er und 70er Jahren die Einführung des Ausnahmezustands, für den das Konzept der "nationalen Sicherheit" mit seiner Rechtfertigung autoritärer Herrschaft im Dienste vermeintlich hoher nationaler Ziele eine Erklärung bieten sollte.

70 Chateau 1978: S. 222.

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Der instrumentelle Charakter dieser Ideologie und die Tatsache, daß sich verschiedene Militärregimes "von der nationalen Sicherheit zu einem 71

pragmatischen Autoritarismus" und später zu einer demokratischen Öffnung hinbewegt haben, zeigt jedoch, daß es nicht sinnvoll ist, von einem "Staat der nationalen Sicherheit" zu sprechen. Offensichtlich wird vielmehr der Zweckcharakter dieses Argumentationsganges, der bei einer veränderten politischen Lage zu neuen ideologischen Begründungsversuchen führen kann. Auch nachdem die Militärs Ende der 80er Jahre die Regierung gewählten Präsidenten übergeben haben, hat die "Doktrin der nationalen Sicherheit" wenig an Bedeutung verloren. Als sich im November 1987 im argentinischen Seebad Mar del Plata höchstrangige Delegierte aus 15 Ländern zur XVII. Konferenz der Amerikanischen Heere (CEA) versammelten, wurden drei "Geißeln" Lateinamerikas ausgemacht: "Subversive, Terroristen und Rauschgifthändler". Drahtzieher sei die "Internationale Kommunistische Bewegung" (MCI) mit Sitz in Moskau. Die "Theologie der Befreiung" und die "Option für die Armen" wurden in Zusammenhang mit Subversion und Terror ge79

bracht . Nach wie vor dominieren an den Militärakademien antidemokratische Vorstellungen und Ausbildungsinhalte. Das Scheitern der meisten Versuche, in den "neuen Demokratien" auch neue Sicherheitsgesetze im Kongreß zu verabschieden, die die Aufgaben der Militärs auf außenpolitische Funktionen festschreiben, werfen ein Licht auf die Schwierigkeiten, die Streitkräfte in die zivile Gesellschaft zu integrieren. So bleibt der "Bürger in Uniform" eine in der Ferne liegende Zukunftsvorstellung, von der die Wirklichkeit der meisten lateinamerikanischen Gesellschaften weit entfernt ist.

71 So der Titel eines Kommentars von Fernández 1978 zur Rede von General Pinochet am 11. September 1978 anläßlich des fünften Jahrestages des Militärputsches von 1973. 72 Hübener 1989.

187

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191

Inflation und/oder Repression: Ökonomische Determinanten staatlichen Gewalthandelns Karl-Dieter

Hoffmann

Die Instabilität der politischen Systeme Lateinamerikas und die dort immer wieder aufflackernde politische Gewalt sind von den in Gesellschaften dieser Region anzutreffenden krassen sozioökonomischen Ungleichheiten nicht zu trennen. Staatliche und parastaatliche Gewalt wurde in verschiedenen Formen und unterschiedlicher Intensität immer wieder angewandt, um die sozial ungerechten und entwicklungspolitisch dysfunktionalen Machtstrukturen aufrechtzuerhalten und gegen politische Gruppierungen, die auf eine

tiefgreifende

Umgestaltung

der

sozioökonomischen

Verhältnisse

drängten, zu verteidigen. A u f der Basis der generellen Erkenntnis, daß es sich beim Phänomen der politischen Gewalt um eine Konstante der politischen Entwicklung und ein integrales Element der politischen Kultur Lateinamerikas handelt, können Fortschritte bei der wissenschaftlichen Durchdringung des Problemkomplexes in dem M a ß e erreicht werden, wie es gelingt, die Faktoren näher zu bestimmen,

die für die

Veränderung

der Erscheinungsweise

und

der

Intensität der politischen Gewalt verantwortlich sind. Ausgehend von der Prämisse, daß politische Gewalt in ihrem Kern zielgerichtet eingesetzt wird, d.h. von

ihrer

machtpolitischen

Intention Kalkül

und

Zweckbestimmung

verpflichtet

ist, und

her einem

gestützt

auf

gewissen allgemeine

Erkenntnisse der Konflikt- und Gewaltforschung kann angenommen werden, daß die Wahrscheinlichkeit der Anwendung politischer Gewalt von oben dort zunimmt, wo - zumindest in der Perzeption der ökonomisch und politisch dominierenden Gruppen - soziale Konflikte eine solche Virulenz erreichen, daß eine Veränderung des politischen Status quo möglich erscheint. Deshalb muß beim Versuch, die Konjunkturen politischer Gewalt, d.h. die im Zeitverlauf zu beobachtenden Schwankungen in A u s m a ß und Härte politisch motivierter Gewalthandlungen (von oben), zu erklären, jenen Faktoren eine besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden, die (gesamt-) gesellschaftliche Spannungen und Konflikte entweder zu fördern oder zu dämpfen vermögen.

193

I.

Zum Zusammenhang von Inflation, Sozialprotest und staatlicher Repression

Zu den konfliktträchtigen Tendenzen der zeitgenössischen gesellschaftlichen Entwicklung gehören zweifellos die schwerwiegenden Wirtschaftsprobleme und die damit aufs engste gekoppelte Verschuldungsmisere, die in den letzten Jahren die fragilen Grundlagen der lateinamerikanischen Staatsgebilde starken Erschütterungen ausgesetzt haben. Unter den Bedingungen der tiefgreifenden Wirtschafts- und Finanzkrise nahmen die ökonomischen Verteilungskämpfe und sozialen Auseinandersetzungen an Schärfe zu, während der politische Handlungsspielraum der Regierungen gegenüber den Ansprüchen und Forderungen der diversen gesellschaftlichen Gruppen zusehends kleiner wurde. Die prekäre Stabilität der erst vor wenigen Jahren zu demokratischen Regierungsformen zurückgekehrten politischen Systeme erscheint insbesondere dann ernsthaft bedroht, wenn politisch relevante gesellschaftliche Gruppen nicht bereit sind, die negativen Auswirkungen der ökonomischen Krise bzw. die ihnen - im Rahmen der auf die Lösung der Wirtschaftsprobleme hin konzipierten Programme - auferlegten Anpassungslasten ohne Widerstand hinzunehmen. Auch wenn zunehmend größere Segmente der Mittelschichten infolge der langanhaltenden Wirtschaftsmisere beträchtliche Minderungen ihres Lebensstandards hinnehmen mußten, sind es vor allem die breiten Unterschichten, die unter den ökonomischen Krisenerscheinungen zu leiden haben. Dabei zeitigt vor allem die rapide Geldentwertung fatale Folgen, weil die Realeinkommen dieser Bevölkerungsgruppen auch vor dem Höhepunkt der Wirtschafts- und Verschuldungskrise zumeist kaum ausgereicht haben, um die dringendsten Lebensbedürfnisse zu befriedigen. Die Inflation senkt die Kaufkraft auf breiter Front, schränkt die Konsummöglichkeiten und sozialen Standards großer Teile der Mittelschichten ein, drückt - über den bereits vorhandenen breiten gesellschaftlichen Armutssockel hinaus - die Lebensverhältnisse von Millionen Familien in die Nähe oder unter das Existenzminimum, erzeugt oder verstärkt dadurch die Unzufriedenheit mit der Regierungspolitik und erhöht schließlich das soziale Konfliktpotential. Nun stellt eine relativ hohe Inflationsrate keine neue Erscheinung der lateinamerikanischen Wirtschaftsentwicklung dar; neu ist jedoch das Ausmaß der regionalen Verbreitung und die Persistenz des Problems sowie die mittlerweile in mehreren Ländern erreichte dreistellige Rate der Geldent194

wertung. Während im Zeitraum 1960-1970 vier von neunzehn lateinamerikanischen Staaten (ohne Kuba) durchschnittliche jährliche Inflationsraten von über 1 0 % verzeichneten, waren es in der folgenden Dekade umgekehrt nur vier Länder, deren Inflationsprozeß im Durchsschnitt unter 1 0 % blieb. In den Jahren 1980-1984 überstieg die mittlere Geldentwertungsrate in sieben der neunzehn Volkswirtschaften die 3 0 % - M a r k e ; darunter befanden sich Brasilien, Bolivien und Argentinien mit jeweils dreistelligen Ziffern. Von 1980 bis 1985 erhöhte sich die durchschnittliche Inflationsrate der Region von 5 6 % auf 2 7 5 % ; 1988 betrug sie im lateinamerikanischen Mittel 4 7 0 % , was einer Verdoppelung gegenüber dem Vorjahr entsprach. Die spektakulärsten Inflationsbekämpfungsprogramme der Region in F o r m des Cruzadound Austral-Plans in Brasilien bzw. Argentinien brachten nur eine kurzfristige Erholung - 1988 lag die Inflationsrate in beiden Ländern deutlich über dem Stand zu Beginn der sogenannten heterodoxen Stabilisierungskonzepte. In 13 der 19 Republiken kam es 1988 zu einer starken Beschleunigung im Geldentwertungsprozeß; in Brasilien, Peru, Nicaragua, Ecuador und der Dominikanischen

Republik

erreichte

die

Inflation

einen

historischen

Höchststand. Eine hohe Inflation ist im Hinblick auf die letzten Jahrzehnte nicht nur ein vertrautes Element im Wirtschaftsprozeß der meisten lateinamerikanischen Staaten, zahlreiche Ökonomen und Politiker der Region sind auch davon überzeugt, daß ohne die Tolerierung einer gewissen Teuerungsrate die Gewährleistung eines befriedigenden Wirtschaftswachstums nicht möglich sei. Besonders ausgeprägt ist diese Position in Brasilien, wo seit zwei Dekaden ein nur von kurzen Stagnationsphasen unterbrochener rasanter Wirtschaftsaufschwung stattfindet, der durchgängig von einer relativ hohen Inflationsrate begleitet worden ist. Aus einer solchen wirtschaftspolitischen Einstellung resultiert eine Skepsis gegenüber dem orthodoxen Stabilisierungsansatz des I W F , in dessen Mittelpunkt fast immer die Eliminierung der Inflation steht. Die beschleunigte Geldentwertung und die zu ihrer Eindämmung bzw. zur Verringerung der inflationstreibenden Defizite im Staatshaushalt eingeleiteten Maßnahmen haben in den letzten J a h r e n zur Verschlechterung der sozialen Situation in den meisten lateinamerikanischen Staaten

massiv

beigetragen. Ausschlaggebend ist dabei nicht so sehr die absolute Höhe der Teuerungsrate

als in erster

Linie

die effektive Abnahme

des

realen

Einkommensniveaus, deren Ausmaß im Einzelfall von der Höhe und der zeitlichen Sequenz der Nominallohnanpassungen, der Beschäftigungsentwick195

lung und anderen Faktoren (relative Bedeutung von Importnahrungsmitteln, Erhöhung oder Verminderung von Subventionszahlungen u.a.) abhängt. So konnten in Brasilien die Realeinkommen der abhängig Beschäftigten durch die in der ersten Hälfte der siebziger Jahre eingeführte Lohnindexierung bis zur scharfen Rezession der Jahre 1982-83 weitgehend vor den Erosionseffekten der hohen Inflationsraten geschützt werden. Um die Mitte der achtziger Jahre hat Brasilien dann in auffälliger Weise demonstrieren können, daß sich eine galoppierende Geldentwertung und ein kräftiges Wirtschaftswachstum mit positiven sozialen Auswirkungen keineswegs ausschließen. Laut Berechnungen der ILO hat sich die Beschäftigungsquote der brasilianischen Bevölkerung im Zeitraum 1980-1986 um 6 Punkte auf 42% erhöht, was einem Zuwachs von 13 Mio. Erwerbstätigen entspricht. Gemäß den Statistiken der C E P A L lag im regionalen Vergleich die Arbeitslosenquote 1986 einzig in Brasilien unter dem zu Beginn des Jahrzehnts registrierten Stand. Die Ausnahmesituation Brasiliens, die in der ungewöhnlichen Verbindung einer hohen und weiter wachsenden Auslandsverschuldung und einer enormen Inflationsrate mit einer außerordentlich dynamischen Wirtschafts- und Industrieentfaltung zum Ausdruck kam, hat nach dem Mißerfolg des Cruzado-Plans allmählich an Profil verloren. Vor dem Hintergrund einer fast tausendprozentigen Teuerung und infolge modifizierter Indexierungsbestimmungen mußte die Mehrheit der Arbeitnehmer seit der zweiten Hälfte des Jahres 1988 spürbare Reallohneinbußen hinnehmen. In den ersten Monaten des Jahres 1989 löste das Verlangen der Arbeitnehmer nach einer Kompensierung der starken Reallohnverluste eine Streikwelle bisher nicht gekannten Ausmaßes aus. In Mexiko, das im Hinblick auf die krisenhafte sozioökonomische Entwicklung der letzten Dekade eher dem lateinamerikanischen Regelfall entspricht, verringerte sich die Lohnquote am Nationaleinkommen in den Jahren 1977-1988 von 45 auf 32%, während der Anteil, der auf Einkünfte aus Unternehmertätigkeit und Vermögen entfiel, um 13 Punkte auf 68% anstieg. Die Verarmung der mexikanischen Bevölkerung zeigt sich besonders deutlich an der rapiden Abnahme des Verbrauchs von Grundnahrungsmitteln, wobei die im letzten Rechenschaftsbericht des scheidenden Präsidenten de la Madrid (September 1988) genannten Pro-Kopf-Werte aufgrund der relativ größeren Bedeutung der Basislebensmittel im Speiseplan der Unterschichten die Situation wohl noch beschönigen. Innerhalb von sechs Jahren verringerte sich laut diesen offiziellen Angaben der durchschnittliche 196

Jahreskonsum bei Mais (Tortillas) von 245 auf 142 Kg, bei Brotgetreide von 60 auf 49 K g und bei Bohnen von 25 auf 14 Kg. Im Zusammenhang mit der rasanten Geldentwertung kam es in vielen Ländern der Region zu zahlreichen Streiks und Protestaktionen. Der argentinische Präsident Alfonsin hatte bis zum Ende seines vierten Amtsjahres schon mehr als ein Dutzend Generalstreiks erlebt. In Peru ging im Jahre 1988 durch 87 Streiktage rund ein Viertel der Kupferproduktion verloren, was den Bergbausektor fast 500 Mio. U S $ Exporteinnahmen kostete und dem krisengeschüttelten Fiskus ca. 38 Mio. U S $ Steuereinnahmen vorenthielt. Die meisten Ausstände und Protestdemonstrationen entzündeten sich an der Tarif- oder Lohnfrage, wobei sich die Forderungen in der Regel auf einen angemessenen Teuerungsausgleich konzentrierten. D. h., es geht im Unterschied zur Mehrheit der Arbeitskämpfe in den westlichen Industrienationen fast nie um eine absolute finanzielle Besserstellung der Beschäftigten, sondern im besten Fall um eine annähernde Wiederherstellung eines vorher schon einmal erreichten Einkommensniveaus. In Ländern mit einer einigermaßen gefestigten Parteienstruktur und/oder gut organisierten Gewerkschaftsverbänden besitzen die öffentlichen Proteste häufig von Anfang an eine politische Komponente, während in anderen Staaten die Dynamik der Sozialkonflikte längere Zeit nur nachgeordnet von politischen Motiven bestimmt wird, deren Bedeutung mit der Dauer und Schärfe der Wirtschaftskrise jedoch rasch zunehmen kann. So konnten die Peronisten in Argentinien ihre Anhängerschaft auch während der Erfolgsphase des Austral-Plans gegen die Regierung mobilisieren; hingegen scheint die Haltung der brasilianischen Wählerschaft zur amtierenden Regierung seit 1985 viel stärker von der Einschätzung der aktuellen Wirtschaftslage bzw. der persönlichen Einkommenssituation geprägt worden zu sein. Der durch zahlreiche Fälle belegbare empirische Zusammenhang zwischen einem spürbaren Kaufkraftverlust größerer Bevölkerungsteile und einem Anstieg sozialer Konflikte verweist auf die breitenwirksame Bedeutung und den Signalcharakter der Inflation. Die Inflation stellt ohne Zweifel das auffälligste Kennzeichen der anhaltenden schwersten Wirtschaftskrise in der lateinamerikanischen Geschichte dar. Ihre Auswirkungen sind unmittelbar erfahrbar für jeden, der in die Geldwirtschaft integriert und von deren Zustand mehr oder weniger stark abhängig ist. Während von den Effekten anderer Krisenerscheinungen, die häufig zusammen mit der Inflation auftreten (steigende Arbeitslosigkeit,

197

Haushaltskürzungen, Importrestriktionen) nur einzelne Gruppen direkt betroffen sind, ist die Geldentwertung tendenziell gesamtgesellschaftlich spürbar. In hochverschuldeten Ländern leidet die Bevölkerungsmehrheit in der Regel weitaus stärker unter einer raschen Teuerung als unter Kürzungen der Staatsausgaben im Sozialbereich, deren Vergünstigungen auch in besseren Zeiten nur einem Teil der wirklich Bedürftigen zugute kommen. Mit steigender Höhe wird die Geldentwertung für die wirtschaftlichen Akteure und vor allem für die breite Bevölkerung zum dominierenden Alltagsproblem und wichtigsten Maßstab für die Beurteilung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit einer Regierung. Wie kaum eine andere Kenngröße beeinflussen so die Höhe der Geldentwertung und deren sozioökonomische Konsequenzen die allgemeine politische Stimmung und die Haltung gegenüber der amtierenden Staatsführung und deren (Wirtschafts-) Politik. Eine wachsende Unzufriedenheit über ständige Preissteigerungen und erfolglose Gegenmaßnahmen fördern Protest- und Streiktendenzen, schmälern die Legitimationsbasis der Exekutive und verringern die Siegeschancen der Regierungspartei(en) beim nächsten Urnengang. Dabei erhielten demokratisch gewählte Regierungen, die das schwere wirtschaftliche Erbe von Militärdiktaturen antraten, in den meisten Fällen eine gewisse Schonfrist bzw. einen befristeten Vertrauensvorschuß, ehe sie den Unmut der frustrierten Bevölkerung und/oder die Pressionen der organisierten Interessengruppen zu spüren bekamen. Welche eminente Bedeutung dem Inflationsproblem im Alltag der Bevölkerung eingeräumt wird, ist insbesondere im Zusammenhang mit der kurzen Blütezeit des Cruzado-Plans in Brasilien sichtbar geworden. Die Regierung Sarney war wohl selbst am meisten überrascht von dem Enthusiasmus, mit dem die Brasilianer den Preisstopp begrüßten und der amtlichen Aufforderung nachkamen, daß jedermann über die Einhaltung der administrativen Preise wachen und entsprechende Verstöße anzeigen solle. Ebenso wie die beispiellose Polpularität, welche die Regierung durch dieses Programm eine Zeitlang gewann, den fulminanten Erfolg der Koalitionsparteien bei der Legislativwahl vom Oktober 1986 erklärt, läßt sich der rasche Autoritäts- und Sympathieverlust Präsident Sarneys im Verlauf des folgenden Jahres hauptsächlich auf den schnellen Wiederanstieg der Inflationsrate zurückführen. Vor dem Hintergrund wachsender Wirtschaftsprobleme gerieten die Munizipalwahlen vom November 1988 zu einem Plebiszit gegen

198

die Staatsführung und bescherten den Regierungsparteien eine vernichtende Niederlage. Auch in Argentinien folgten Aufstieg und Niedergang der Popularitätskurve der Regierung Alfonsin der maßgeblich von der Inflationshöhe gekennzeichneten Wirtschaftsentwicklung. Anläßlich der Eröffnung der sechsten und letzten Sitzungsperiode des Parlaments unter seiner Ägide klagte Präsident Alfonsin, daß ihm wegen der Wirtschaftskrise eine Welle des Hasses aus der Bevölkerung entgegenschlage, wie sie sonst nur Tyrannen zu spüren bekämen. Die binnen zweier Jahre von regional führenden realen Wachstumsraten in absolute Negativrekorde stürzende Wirtschaftskonjunktur Perus (Rückgang der Industrieproduktion im ersten Jahresdrittel 1989 um 42%) findet im rasanten Sympathieverlust des einst so populären Präsidenten Garcia ihre politische Parallele. Mit dem unaufhaltsam erscheinenden Weg des Landes in Hyperinflation, zunehmende Gewalttätigkeit (der Guerillaverbände) und politische Anomie erlischt aber auch die Hoffnung auf die Erfolgschancen einer nationalistischen Alternative bei der Bekämpfung der Schuldenkrise, die Garcia durch die drastische Reduzierung des externen Schuldendienstes in der Region geweckt hatte. Ausgehend von der vielfach anzutreffenden kausalen Verbindung zwischen breitenwirksamen Realeinkommensverlusten und öffentlichen Protesten läßt sich auch für den weitergehenden Zusammenhang dieser Phänomene mit steigender politischer Gewalt von oben in Lateinamerika eine Reihe von Beispielen finden. So führten in der Dominikanischen Republik Proteste gegen die Wirtschaftspolitik der sozialdemokratischen Regierung Blanco Ende April 1984 zu öffentlichen Unruhen, wie sie das Land seit den Tagen der Invasion durch US-Truppen (1965) nicht mehr erlebt hatte. Der sich seit geraumer Zeit parallel zur ständigen Verschlechterung der Lebensbedingungen aufstauende Zorn der Bevölkerung kam in der Hauptstadt Santo Domingo zum Ausdruck, nachdem die Regierung im Zusammenhang mit einem kurz zuvor unterzeichneten IWF-Programm zur Bekämpfung der Wirtschaftskrise eine drastische Anhebung der Preise einer Reihe von Grundnahrungsmitteln verkündet hatte. Das von der Regierung eingesetzte Militär ging mit großer Härte gegen die Demonstranten vor, die ihrer Empörung durch Streiks, Protestmärsche und zahlreiche Plünderungen Ausdruck verliehen. Im Verlauf der Auseinandersetzungen kam es zu regelrechten Straßenschlachten, in 199

deren Verlauf die Ordnungskräfte scharfe Munition gegen die Protestierenden einsetzten. Die Bilanz der dreitägigen Konfrontationen bestand aus über 70 Toten, mehreren Hundert Verletzten und mehr als 4.000 Inhaftierten, von denen viele von den Sicherheitskräften mißhandelt wurden. Diese Ereignisse galten in Lateinamerika als spektakulärster Fall eines unmittelbar auf einen drastischen Teuerungsschub zurückzuführenden Gewaltausbruchs, bis sie durch die Anfang März 1989 in der venezolanischen Hauptstadt Caracas beobachtbaren Geschehnisse relativiert wurden. Dort kam es nach einer Serie von (in Verbindung mit einem IWF-Austeritätsprogramm beschlossenen) Preiserhöhungen, in deren Mittelpunkt eine 90%-ige Steigerung des Benzinpreises stand (die sich sofort in höheren Bustarifen auswirkte), zu öffentlichen Protesten, die in Form von Plünderungen und Straßenschlachten mit Polizei und Militäreinheiten eskalierten und mit über 300 Todesopfern und mehreren Hundert Verletzten endeten. Zum Abflauen der Unruhen trugen u. a. die unter dem Druck der Ereignisse von der Regierung Pérez verkündeten Korrekturen am ursprünglichen Anpassungsprogramm und bei den Mindestlöhnen bei 1 . Dies genügte aber nicht, um die Enttäuschung der Betroffenen abzubauen, so daß Caracas Mitte Mai 1989 den ersten Generalstreik seit ca. 30 Jahren erlebte, dessen Initiatoren vor allem jenen Organisationen und Schichten angehören, die zum traditionellen Wählerpotential der regierenden sozialdemokratischen Partei zählen. Auch wenn aus der Region eine ganze Reihe von weniger spektakulären Beispielen (im Hinblick auf das Ausmaß der Gewaltanwendung) bekannt sind, die eine empirische Verkettung von Inflation, öffentlichem Protest und Repression zu illustrieren vermögen, läßt sich doch keineswegs behaupten, daß zwischen den genannten Phänomenen ein eindeutiger und regelmäßiger Zusammenhang besteht: Weder nehmen Ausmaß und Heftigkeit staatlicher Gewaltmaßnahmen in Zeiten hoher Inflationsraten generell zu, noch besteht beim Vorliegen beider Trends zwischen diesen zwangsläufig eine kausale Verbindung. Folgende Beobachtungen mögen diese Aussage untermauern:

1

Es ist kaum zu übersehen, daß die blutigen Unruhen in Venezuela, das lange Zeit als stabilste Demokratie des Subkontinents angesehen wurde, in Regierungskreisen der USA große Besorgnis auslösten und der Diskussion um neue Ansätze in der internationalen Schuldenproblematik (im Zusammenhang mit dem Brady-Plan) neue Schubkraft verliehen.

200

1)

2)

3)

Die lateinamerikanischen Länder mit den höchsten Inflationsraten sind nicht identisch mit jenen, welche die höchste Intensität staatlicher Repression aufweisen. Es gibt sowohl Länder mit hohen Inflationsraten und einem relativ niedrigen Grad staatlicher Repression (z.B. Bolivien bis 1985, Ecuador, Mexiko, Brasilien, Nicaragua) als auch Länder mit geringen Geldentwertungsraten und einem großen Ausmaß staatlicher Gewaltausübung (z.B. El Salvador, Guatemala, Kolumbien). Auch für einzelne Länder deckt sich der Inflationsverlauf nicht mit den Schwankungen im Gebrauch repressiver Staatsgewalt. Das Phänomen hoher Teuerungsraten taucht in sehr verschiedenen sozioökonomischen Kontexten auf: in Zeiten starken Wirtschaftswachstums, steigender Realeinkommen und Beschäftigungszahlen und (häufiger) in Phasen der ökonomischen Stagnation und Rezession mit sinkenden Reallöhnen und wachsenden Arbeitslosenzahlen - mithin in wirtschaftlichen Gesamtlagen, deren Charakteristika sich sehr unterschiedlich auf das gesellschaftliche Konfliktpotential auswirken können.

Während somit eine eindeutige positive Korrelation und eine regelmäßige kausale Verknüpfung von Inflation und staatlicher Repression ausgeschlossen werden kann, ist im Hinblick auf die Fälle, in denen eine empirische Koinzidenz beider Phänomene vorliegt, eine sorgfältige Analyse der jeweiligen Rahmenbedingungen und des konkreten Ablaufs der in Gewalttätigkeiten und Repressionsakten mündenden Ereignisse vonnöten, um die Art des Zusammenhangs genauer zu bestimmen. Streiks und öffentliche Protestaktionen als kollektive Reaktionen auf eine Verschlechterung der Lebensbedingungen und Druckmittel zur Artikulation ökonomischer Forderungen sind als solche noch keine gewaltsamen Vorgänge. Abgesehen von den Fällen, in denen Polizei oder Militär die Order erhalten, die Manifestationen durch hartes Vorgehen rasch aufzulösen, sind es zumeist spontane Handlungen oder aber gezielte Provokationen kleiner Gruppen auf der Seite der Demonstranten oder der Sicherheitskräfte, die in einer angespannten Situation als Zündfunke wirken, der einen rasch eskalierenden Prozeß von Gewalt und Gegengewalt in Gang setzt. Intensität, Dauer und Opferbilanz der Gewalttätigkeiten ergeben sich sodann primär aus der chaotischen Eigendynamik, welche die Auseinandersetzungen 201

nach ihrer Entfachung schnell annehmen . Von den erwähnten blutigen Unruhen in Venezuela ist bekannt, daß radikalen Studentengruppen und auch gewöhnlichen Kriminellen die Schlüsselrolle bei der Verschärfung der Konfrontationen (Angriffe auf Polizisten, Sachbeschädigungen, Plünderungen) zufiel, während dem Großteil der Demonstranten zu Beginn der Manifestationen wohl keine gewalttätigen Absichten unterstellt werden können. Andererseits handelt es sich bei den Protesten in Venezuela (und dem Beispiel aus der Dominikanischen Republik) um eine mehr oder weniger spontane kollektive Aktion, deren ungeordneter Ablauf eher die Gefahr abrupter Zusammenstöße und gewaltsamer Ausbrüche birgt als dies bei längerfristig vorbereiteten und in mehr oder weniger geregelter Form durchgeführten Protestveranstaltungen von Gewerkschaften, Interessenverbänden oder Parteien der Fall ist. Hohe Geldentwertungsraten bzw. starke Kaufkraftverluste vergrößern die Gefahr eines Gewalteinsatzes von oben, wenn und in dem Maße, wie sie Sozialkonflikte und öffentliche Proteste auslösen. Nach dem Abebben eines Gewaltausbruchs geht die direkte politische Repression ebenfalls stark zurück, verharrt aber zumeist noch eine gewisse Zeit auf einem höheren Niveau (Ausnahmezustand, Beschränkung politischer Grundrechte, Inhaftierung von Oppositionellen) als vor den Unruhen, um ähnliche Aktionen zu verhindern. Bei der Untersuchung eines konkreten Konfliktund Gewaltszenarios dürfte es methodisch recht schwierig sein, die relative Bedeutung des Faktors "Inflation/Kaufkraftverlust" statistisch exakt zu gewichten. Im Hinblick auf parastaatliche Gewalt ist hervorzuheben, daß diese noch um einiges erratischer angewendet wird als staatliche Gewalt. Zwar ist auch sie keineswegs losgelöst von sozioökonomischen Konjunkturen, doch wäre es unsinnig, statistische Regelmäßigkeiten zwischen dem Treiben von Todesschwadronen und irgendwelchen wirtschaftlichen Indikatoren herstellen zu wollen. Die Frage nach dem Verhältnis von Inflation und staatlicher Gewalt kann auch dahingehend formuliert werden, ob nicht die zunehmende Verschlech-

2

Genese und Ablauf dieser Unruhen wie auch die "reaktiven" Motive der Beteiligten (Ausgleich für erlittene Einkommensverluste) erinnern in gewisser Weise an die spontanen kollektiven Protestaktionen (vor allem Brotunruhen, Steuerrebellionen), wie sie in Europa bis zum Ende des 19. Jahrhunderts vorherrschten. Vgl. Tilly/Tilly/Tilly 1975: S. 249 ff.

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terung der ökonomischen Lage - in Verbindung mit dem wachsenden Schuldendienstdruck - die Gefahr eines Rückfalls in autoritäre Regierungsformen, d.h. Militärdiktaturen, erhöht, deren Herrschaftspraxis in der Regel deutlich repressiver ausfällt als die demokratischer Systeme. Diese Wahrscheinlichkeit ist zur Zeit eher gering zu veranschlagen, da es in den meisten Fällen gerade die wirtschaftliche Misere war, die den Militärs zu Beginn der achtziger Jahre den Rückzug aus den formellen Machtpositionen nahegelegt bzw. erleichtert hat 3 . Der desolate Zustand, in dem sich die regionalen Staatsapparate an der Schwelle der neunziger Jahre präsentieren, macht den Offizieren eine Regierungsübcrnahme unattraktiver denn je. Allenfalls solche Kräfte innerhalb des Militärs könnten Herrschaftsambitionen hegen, die darauf drängen, die ausgetretenen Pfade in der Wirtschafts-, Entwicklungsund Schuldendienstpolitik zu verlassen.

II. Politische Determinanten des Inflationsprozesses Wie weiter oben dargelegt wurde, läßt sich eine eindeutige positive Korrelation zwischen der Inflation und dem Ausmaß staatlicher Repression nicht herstellen; eine breitenwirksame Verschlechterung der sozialen Situation durch Kaufkraftverluste erhöht zwar regelmäßig die politischen Spannungen, deren Transformation in Gewalthandlungen jedoch von zusätzlichen und zumeist unwägbaren Faktoren abhängt. Bei der Thematisierung des Verhältnisses von Inflation und Repression rücken aufvorwissenschaftlichen Erfahrungen basierende Plausibilitätskriterien wie auch allgemeine Erkenntnisse der Konfliktforschung die Frage nach möglichen gewaltfördernden Folgen der Geldentwertung wie selbstverständlich in den Vordergrund. Von größerer Bedeutung für den politischen Prozeß im allgemeinen und den Verlauf sozialer Konflikte im besonderen scheint indes ein Zusammenhang zu sein, der sich dann erschließt, wenn

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Ausgehend von der in der demokratietheoretischen Diskussion populären These einer engen Verbindung zwischen demokratischen Regierungsformen und sozioökonomischem Fortschritt konstatiert A. Hirschman hinsichtlich der vor dem Hintergrund einer sich verschärfenden Wirtschaftskrise platz greifenden lateinamerikanischen Redemokratisierungswelle der achtziger Jahre eine "disjunction between political and economic conditions that were thought of as being indissolubly linked" (1986: S. 177). Freilich darf hier auch die Qualität der "neuen" Demokratien nicht außer acht gelassen werden.

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man die Perspektive wechselt und die Aufmerksamkeit von den sozialen Folgen auf die politischen Ursachen der Inflationsentwicklung in Lateinamerika lenkt. Es geht um Situationen, in denen die Inflation - geradezu in Umkehrung der oben thematisierten Wirkungsrichtung - Ausdruck und Konsequenz konfliktdämpfenden Regierungshandelns darstellt, wobei die entsprechenden Maßnahmen in einigen Fällen eine Alternative zu repressiven Aktionen bilden. Dabei ist an Konstellationen zu denken, in denen sich die Staatsführung mit monetären Forderungen einer oder mehrerer für die Stabilität der gegebenen politischen Ordnung relevanten sozialen Gruppen konfrontiert sieht, deren Ausmaß die begrenzten finanziellen Möglichkeiten des Staatshaushalts übersteigt. Wenn angesichts eines forcierten Drucks von Seiten der fordernden Interessengruppen - etwa durch Streiks, Demonstrationen, einen Investitionsrückgang oder eine Exportverweigerung - die Gefahr wächst, daß die bislang einigermaßen funktionierenden Mechanismen der Konfliktaustragung versagen und die Wahrscheinlichkeit zunimmt, daß die soziale Unzufriedenheit in öffentliche Unruhen umschlägt, wird die Regierung kaum eine andere Option besitzen, als der Erhöhung der staatlichen Ausgaben zuzustimmen, um den monetären Forderungen Genüge zu tun und die politische Ruhe zu gewährleisten bzw. wiederherzustellen. Während Militärregime vermittels ihres einzigartigen Gewalt- und Drohpotentials über die Mittel und Möglichkeiten verfügen, den aufkommenden politischen Protest schon früh einzudämmen und durch Ausnahmebestimmungen zu unterdrücken, sind die konstitutionellen Regierungen, die vor ungleich größeren sozioökonomischen Problemen stehen als ihre uniformierten Vorgänger, angesichts expandierender sozialer Konflikte und politischer Opposition leichter zu Zugeständnissen zu bewegen. Die Regierungen sehen sich bei diesen Konflikten zumeist mit organisierten Interessengruppen konfrontiert, deren Führer sich gegenüber ihren Mitgliedern in einem permanenten Legitimationszwang befinden, was insbesondere in Zeiten wirtschaftlicher Stagnation oder Rezession in dem Bemühen zum Ausdruck kommt, den sozialen und ökonomischen Besitzstand der eigenen Klientel nicht unter das einmal erreichte Niveau sinken zu lassen. Der Nachdruck und die Militanz, mit der die einzelnen Organisationen (Gewerkschaften, Unternehmerverbände) unter konsequenter Mißachtung konkurrierender Belange ihre partikularen Ziele verfolgen und traditionelle Privilegien verteidigen, resultieren aus einer in einer jahrzehntelangen Tradition von Verteilungskämpfen gefestigten Nullsummenspiel-Mentalität, 204

die gerade in wirtschaftlichen Krisenzeiten einen intersektoralen Ausgleich kaum möglich macht und die ersten Erfolge von Stabilisierungsprogrammen ständig gefährdet. Dieser gruppenegoistische Geist läßt sich grundsätzlich in allen lateinamerikanischen Staaten beobachten, wenn er auch nicht überall so stark ausgeprägt ist wie in Argentinien. Während es bei den Forderungen der Arbeitnehmerorganisationen häufig um die Sicherung existentieller Mindeststandards geht, ist gerade in der jüngsten Vergangenheit offenbar geworden, daß die Mehrheit der Unternehmergruppen auch um den Preis einer weiteren Verschärfung der Wirtschaftsmisere nicht bereit ist, auf ihre Vorrechte zu verzichten; Investitionsstopp, Umgehung von Ausfuhr- und Devisenbestimmungen und Kapitalflucht heißen ihre Reaktionen auf einschränkende Regierungsmaßnahmen. Von kurzfristigen Erholungsphasen abgesehen, ist es in den letzten Jahren keiner demokratisch gewählten Regierung Lateinamerikas gelungen, die (häufig durch unrealistische Versprechungen im Wahlkampf geförderten) Erwartungen der Wählerschaft auf eine baldige Besserung der sozioökonomischen Verhältnisse zu erfüllen. Die Fortdauer oder Vertiefung der Wirtschaftsprobleme hat eine rasche Erosion des politischen Rückhalts der Regierenden in der Bevölkerung und bei wichtigen Interessengruppen zur Folge, der in tendenziell spiegelbildlicher Weise eine wachsende Zustimmung zu den Forderungen der Oppositionsparteien entspricht. Stehen wichtige nationale Wahlentscheidungen an, erhöht die desolate Wirtschaftslage die Chancen der Opposition, die ihr Stimmenpotential durch kühne Versprechungen zu optimieren trachtet. Der Vorwurf, die amtierende Staatsführung diene weniger dem eigenen Volk als ausländischen Finanzkreise 4 gehört zu den zugkräftigsten oppositionellen Parolen im Wahlkampf. In den Wahlen der achtziger Jahre sprechen sich die lateinamerikanischen Stimmbürger eher gegen als fiir bestimmte Politiker und Parteien aus - gehen die markanten Stimmenverschiebungen zwischen Regierungs- und Oppositonsparteien in aufeinanderfolgenden Urnengängen doch weniger auf das Programm und die Anziehungkraft der Herausforderer als auf die große Enttäuschung über das glücklose Agieren der amtierenden Regierungsequipe zurück.

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Nach der Aussage des bekannten Harvard-Ökonomen Jeffrey Sachs, der mehrere Schuldnerländer der Region beraten hat, ist die Auslandsverschuldung "an unbelievable political burden. You can't take a step without being criticized for doing it for the sake of New York banks." (Int. Herald Trib. 05.04.1989).

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Unter den Bedingungen der wirtschaftlichen Dauerkrise wird der Kurs der Wirtschaftspolitik mehr und mehr von politisch motivierten Entscheidungen beeinflußt. So können wachsende Kritik aus den Reihen der eigenen Partei und Klientel, Boykottmanöver mächtiger Wirtschaftsgruppen, der Wechsel bislang loyaler Gruppen ins Lager der Regierungsgegner und die zunehmende Politisierung anfangs primär ökonomisch definierter Proteste als Alarmzeichen wirken, die eine Korrektur der wirtschaftspolitischen Linie nahelegen. Insbesondere im Vorfeld von Wahlen obsiegen taktische Überlegungen regelmäßig über ökonomisch-finanzielle Rationalitätskriterien. Durch die Lockerung von Sparbeschlüssen, gezielte politisch motivierte Sonderausgaben oder das Hinauszögern von dringend gebotenen Maßnahmen zur Haushaltssanierung wird versucht, die Aussichten der eigenen Partei zu verbessern oder den absehbaren Erfolg der Opposition zu begrenzen. Politisches Kalkül bewog den peruanischen Präsidenten Garcia, das öffentliche Beschäftigungsprogramm in den Monaten vor den Kommunalwahlen im November 1986 auf 150.000 Stellen auszuweiten; nach dem Wahlerfolg der APRA wurde der Umfang dieser Maßnahme wieder auf 40.000 Stellen reduziert. In Brasilien blockierte der Kongreß im Hinblick auf die Ende 1989 anstehenden Wahlen die Sparpläne der Exekutive für den Personalbereich der öffentlichen Verwaltung, die die Entlassung von 50.000 Angestellten vorsahen. Politisch motiviert war auch die vom mexikanischen Präsidenten Lopez Portillo (ohne größeren öffentlichen Druck) initiierte 30%-tige generelle Lohnerhöhung, mit der er einerseits den eigenen Popularitätsverlust, die ihm die entgegen früheren Beteuerungen im Februar 1982 doch vorgenommene Peso-Abwertung eingebracht hatte, rückgängig machen und gleichzeitig die Chancen der Regierungspartei bei den bevorstehenden Wahlen erhöhen wollte. Die brasilianische Regierung hielt im Verlauf des Jahres 1986 an den ursprünglichen Konditionen des CruzadoPlans fest, obwohl diverse ökonomische Warnsignale (rascher Anstieg des Defizits einiger staatlicher Unternehmen, Stagnation der Exporte infolge des durch den offiziellen Wechselkurs überbewerteten Cruzado, Angebotsverknappung und Schwarzmarktbildung bei mehreren Basisprodukten) längst die Notwendigkeit einer Kursberichtigung anzeigten. Präsident Sarney ging es darum, den in der Öffentlichkeit als Symbol der populären Antiinflationspolitik betrachteten Preisstopp über den Termin der Legislativwahlen (November) hinüberzuretten: nur wenige Tage nach ihrem großen Wahlerfolg verfügte die Regierung drastische wirtschaftspolitische Korrekturen, die 206

den Anfang vom Ende der kurzen Blütezeit des heterodoxen Stabilisierungsprogramms bedeuteten. Die hier dargelegte Interpretation lenkt die Aufmerksamkeit auf den Umstand, daß lateinamerikanische Regierungen unter den Bedingungen der drückenden Wirtschafts- und Verschuldungsprobleme in steigendem Maße dazu neigen, sich der Notwendigkeit der Legitimationsbeschaffung und -Sicherung über politisch motivierte Staatsausgaben zu entledigen, deren ökonomischer Wert nachrangige Bedeutung besitzt. Demnach sind große Teile des Haushaltsdefizits Ausdruck und Folge von staatlichen Ressourcenzuteilungen, die dem Abbau sozialer Konflikte, der Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung oder der gezielten Beeinflussung bestimmter Interessengruppen oder Bevölkerungsteile dienen; Inflation ist der mittel- bis langfristige volkswirtschaftliche Preis für die schnelle Erreichung politischer Ziele. Eine solche Praxis ist politisch um so effektiver und ökonomisch um so weniger nachteilig, je geringer die aktuelle Inflationsrate ist. Gegenüber den alsbald sichtbaren politischen Effekten der monetären Zugeständnisse (bzw. Unterlassungen) erscheint die erst mit einer gewissen Zeitverzögerung eintretende inflationäre Wirkung der getätigten Ausgaben tolerierbar, vor allem wenn es voraussichtlich erst die folgende Regierungsequipe sein wird, die die negativen Konsequenzen der eigenen Defizitpolitik zu spüren bekommt. Regierungen, die zwecks Erlangung dringend benötigter Devisenkredite ein Anpassungsprogramm des IWF akzeptieren müssen, befinden sich alsbald im Zwiespalt zwischen den extern definierten Auflagen und den Forderungen wichtiger interner Interessengruppen. Fast regelmäßig machen sie die Erfahrung, daß die in Teilbereichen realisierten Anpassungsmaßnahmen auf starke innenpolitische Widerstände stoßen, ohne die internationalen Gläubiger zufriedenzustellen, und regelmäßig erhält auch die innenpolitische Stabilität Vorrang vor den rezessiven und sozial bedenklichen Effekten der IWF-Programme. Deren Scheitern geht daher primär auf politische und nur indirekt auf ökonomische Faktoren zurück. Die finanziellen Ressourcen, die bis Anfang der achtziger Jahre als Auslandskredite nach Lateinamerika flössen, wirkten quasi als Palliativ, mit dem das Ausmaß der politisch begründeten Budgetdefizite begrenzt werden konnte. Deshalb verwundert es kaum, daß sich die Haushaltsdefizite und Inflationsraten nach der abrupten Verminderung der externen Finanzierungsmöglichkeiten im Gefolge des Mexiko-Schocks (September 1982) in fast allen Staaten der Region beträchtlich erhöht haben. Seit der Umkehrung des 207

Ressourcenflusses sind die angespannte Finanzlage und die steigenden Haushaltsdefizite in starkem Maße darauf zurückzuführen, daß ein großer Teil der staatlichen Einnahmen für den Schuldendienst aufgebracht werden muß und dadurch Mittel für die Bewältigung der öffentlichen Aufgaben fehlen. Die lateinamerikanischen Regierungen sehen sich außerstande, die öffentlichen Ausgaben und Programme so weit zu beschneiden, daß sie die nach dem Abzug der für den externen Schuldendienst erforderlichen Beträge verbleibenden Finanzmittel nicht übersteigen. Weil neue Auslandskredite (außer im Rahmen von Umschuldungsvereinbarungen zur Gewährleistung der Zinszahlungen) praktisch nicht mehr zur Verfügung stehen, haben die Regierungen in den letzten Jahren die zur Deckung der schnell steigenden Budgetdefizite benötigten Mittel auf dem internen Geldmarkt besorgt. Denkbare Maßnahmen, durch die das Mißverhältnis zwischen staatlichen Einnahmen und Ausgaben korrigiert werden könnte, wären die Einführung neuer oder die Erhöhung bestehender Steuern und die Verbesserung des Steuereinzugsverfahrens. Wenn die Regierungen auf die Realisierung dieser Möglichkeit verzichten, dann primär aus politischen Gründen - weil sie die eigene Klientel nicht verschrecken wollen oder den Widerstand mächtiger Wirtschaftsgruppen bzw. deren potentielle Reaktionen (Kapitalflucht) fürchten. In gewisser Weise ist die relativ niedrige fiskalische Belastung der Privatwirtschaft und deren schlechte Steuermoral ein prägnanter Ausdruck der gesellschaftlichen Machtverhältnisse und Indikator für die weitgehende Kontrolle und Instrumentalisierung des Staatsapparats durch oligarchische Interessen. Einkommens- und Vermögenssteuern spielen im lateinamerikanischen Regelfall im Vergleich zu Verbrauchssteuern nur eine marginale Rolle. In Brasilien gibt es weder eine Vermögenssteuer noch eine progressiv wirkende Kapitalertragssteuer 5 . Außerdem ist in der gesamten Region Steuerhinterziehung der Normalfall. Seriöse Schätzungen für Argentinien besagen, daß der seit Jahrzehnten mit zunehmender Finanznot ringende Staat nur ca. 40% der Steuereinnahmen verbuchen kann, die ihm nach

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Wirtschaftspolitische Stabilisierungsbemühungen sind nicht zuletzt an der Haltung der brasilianischen Industriellen gescheitert. Versuche Finanzminister Bressers, die steuerlichen Privilegien dieser Gruppe ein Stück weit abzubauen, stießen auf erbitterten Widerstand, dem sich Präsident Sarney, der selbst über keine tragfähige politische Basis verfügte und daher verletzlich gegenüber lobbystischen Pressionen in Partei und Parlament war, beugen mußte.

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Recht und Gesetz zustehen. In Zeiten hoher Teuerungsraten wird die Zahlung der Abgaben häufig so lange wie möglich verzögert, um die reale Steuerbelastung zu vermindern. In einigen Ländern lagen die Realrenditen am Geldmarkt zeitweise deutlich höher als die Verzugszinsen für die Steuerschuld. Eine Möglichkeit zur Reduzierung der öffentlichen Ausgaben böte auch die Anhebung der Preise und Tarife für die Erzeugnisse und Dienstleistungen der nicht kostendeckend wirtschaftenden staatlichen Unternehmen, deren Fehlbeträge in der Regel über den Regierungshaushalt ausgeglichen werden. So belief sich z.B. in Argentinien 1988 allein das kumulierte Defizit der staatlichen Eisenbahnen sowie der hauptstädtischen Elektrizitätsversorgung und Telefongesellschaft auf ca. 1,1 Mrd. US$; von den in Mexiko gezahlten Subventionen, deren Anteil am Staatshaushalt 1988 insgesamt 15% betrug, entfielen über zwei Drittel auf ineffiziente Staatsfirmen; in Peru belasteten die subventionierten Treibstoffpreise Anfang 1988 die Staatskasse mit einem täglichen Manko von einer halben Mio. US$. Während eine Preisberichtigung aufgrund der desolaten Finanzlage des Staates dringend geboten erscheint, unterbleibt sie zumeist aus politischen Gründen. Die politisch Verantwortlichen ziehen steigende Budgetdefizite dem Risiko sozialer Konflikte und politischer Unruhen vor, das mit der Erhöhung der Preise von Basisgütern und -dienstleistungen unweigerlich verbunden ist. Paradoxerweise steigt in Zeiten hoher Inflationsraten die ökonomische Notwendigkeit in gleichem Maß wie die politische Hemmschwelle zur Anhebung der öffentlichen Tarife. Während in Brasilien die Einfrierung stark unterbewerteter (und daher defizitträchtiger) Preise für die Güter staatlicher Unternehmen einen Gutteil des vorübergehenden Erfolgs des Cruzado-Plans erklärt, verfügten diverse Regierungen hochinflationärer Länder Preisanpassungen für öffentliche Dienstleistungen unterhalb der Teuerungsrate, um die rapide Geldentwertung nicht weiter zu beschleunigen - höhere staatliche Defizite mit verzögertem Inflationseffekt ermöglichten hier eine kurzzeitige Entlastung an der Preisfront. Während man in einigen Staaten der Region (Mexiko, Bolivien) versuchte, mittels eines Personalabbaus in der öffentlichen Verwaltung einen Beitrag zur Konsolidierung der Staatsfinanzen zu leisten, wurde im Zeitraum 1984-87 die Regierungsbürokratie Brasiliens um 550.000 Stellen vergrößert. Auch wenn Generalspräsident Figueiredo kurz vor seiner Ablösung die Einrichtung von ca. 20.000 neuen Regierungsposten (davon über 15.000 209

Verwaltungsangestellte der Armee) dekretierte, haben Korruption, Vetternwirtschaft und Verschwendung im öffentlichen Sektor unter der 1985 begonnenen "neuen Republik" eine neue Dimension erreicht. Politische Mandatsträger auf nationaler, bundesstaatlicher und regionaler Ebene haben ihre Position genutzt, um Gefolgsleuten, Freunden und Verwandten Stellen in der öffentlichen Verwaltung zu verschaffen. Zehntausende von Personen stehen auf den Gehaltslisten der Regierungsbehörden, ohne jemals an ihrer Arbeitsstelle zu erscheinen; eine große Zahl von Angestellten bekleidet bis zu vier Posten gleichzeitig und bezieht entsprechende Gehälter 6 . Der einzige positive Effekt dieses sachlich nicht zu rechtfertigenden Ausbaus des Verwaltungsapparats besteht in einer Entlastung des Arbeitsmarktes, hingegen werden die Funktionsmängel der Bürokratie eher verstärkt und das staatliche Budget stark belastet. Die zur Deckung der staatlichen Finanzlücke auf dem Geldmarkt aufgenommenen Anleihen haben die öffentliche Binnenverschuldung in den letzten Jahren stark in die Höhe getrieben. Unternehmen und Privatpersonen zeichnen die Staatsanleihen mit vorwiegend kurzen Laufzeiten, weil diese aufgrund ihrer Realrenditen einen Schutz vor dem Geldwertverfall bieten. Potentielles Investitionskapital wird so nicht selten eher für sichere Staatspapiere als für risikoreiche produktive Zwecke verwendet, während die Aufnahme von Produktionskrediten aus finanziellen und konjunkturellen Gründen rasch zurückgeht. Wegen der rapide steigenden Inflation und dem starken Vertrauensverlust in die politische Führung mußten die Realzinsen in einigen Ländern in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre und besonders seit 1988 drastisch erhöht werden, um Käufer für die Staatstitel zu finden. Damit wurde z.T. aber auch Spekulationskapital aus Industrieländern angelockt. Folge der hohen Zinsen war eine rasante Ausweitung der Binnenschuld, deren Bedienung heute vor allem in Mexiko, Brasilien, Argentinien und Peru ein größeres Problem darstellt als die externen Zinsverpflichtungen. Die brasilianische Binnenschuld kostete den Fiskus

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Die Tochter von Präsident Sarney fungierte offiziell als hochbezahlte Assessorin im Präsidentenpalast in Brasilia, lebt aber im über 1.000 Km entfernten Rio de Janeiro. Besonders privilegiert sind die sogenannten Vertrauensfunktionäre, von denen der Senat 300, das Abgeordnetenhaus ca. 3.100 beschäftigt. Nach einem Bericht der Neuen Zürcher Zeitung (06.04.89) "hatten (Recherchen) zweifelsfrei ergeben, daß mindestens 197 der 495 Abgeordneten und 22 der 75 Senatoren insgesamt 325 Familienangehörige und Verwandte auf Vertrauensposten gehievt hatten. Deren Saläre übersteigenden Durchschnittslohn eines brasilianischen Arbeiters um das Dreißigfache ...".

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Anfang 1989 pro Monat ca. 7 Mrd. US$; weniger als das Doppelte dieser Summe muß das Land im ganzen Jahr für die Außenschuld aufbringen. In Mexiko mußten 1987 mehr als die Hälfte der gesamten Staatsausgaben für den Schuldendienst aufgewendet werden, davon entfiel nur knapp ein Viertel auf die Auslandsverbindlichkeiten, während die hochverzinste Binnenschuld drei Viertel beanspruchte. Weil die Staatsanleihen nicht eigentlich zurückgezahlt, sondern stets über neue Geldmarktpapiere "refinanziert" werden, stehen mit hohen Inflationsraten konfrontierte Regierungen bald vor einem schier unlösbaren Dilemma; wenn es ihnen nur mittels hoher realer Zinssätze gelingt, die Nachfrage nach neuen Staatstiteln zu gewährleisten und der Kapitalflucht oder dem Ausweichen auf Hartwährungen entgegenzuwirken, droht ein unkontrollierbares Hochschnellen der Binnenschuld; werden, um letzteres zu vermeiden, die Zinsen reduziert, dürfte es kaum noch gelingen, die durch die Haushaltsdefizite laufend geschaffene Liquidität durch staatliche Schuldtitel aus dem Markt abzuziehen, was eine drastische Beschleunigung der Geldentwertung erwarten läßt. In der hier skizzierten Interpretation wird die Inflation als das Ergebnis der Auseinandersetzungen rivalisierender Interessengruppen um Einkommensanteile in Zeiten wirtschaftlicher Stagnation oder Rezession und einer die finanziellen Ressourcen übersteigenden politisch motivierten Ausgabenpolitik der Regierenden verstanden. Die in den Mittelpunkt der volkswirtschaftlichen Krisendiagnose gestellte Vergrößerung der Geldmenge ist nicht die Ursache, sondern die Folge bzw. Begleiterscheinung eines vorwiegend politisch determinierten deficit-spending. Budgetdefizite, die aus wirtschaftswissenschaftlicher Sicht regelmäßig als der ökonomischen Rationalität zuwiderlaufende Praktiken bewertet werden, erhalten unter politischen bzw. legitimationstaktischen Gesichtspunkten durchaus eine rationale Stringenz. Der angestrebte politische Effekt des deficit-spending wird, wenn sich die Wirtschaftslage nicht radikal verbessert, immer nur eine zeitlich begrenzte Wirkung haben und früher oder später über eine Beschleunigung der Inflation der Regierung eine ähnliche Konfliktkonstellation bescheren wie vordem. Je stärker politisches Kalkül an der Entscheidung über eine Ressourcenzuteilung beteiligt war und je weniger diese zum Abbau der eigentlichen Ursachen der Wirtschaftskrise beiträgt, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, daß in absehbarer Zeit erneut monetäre Zugeständnisse im gleichen Bereich notwendig werden. Interessengruppen, die über 211

öffentliche Proteste oder andere Druckmittel ihre Forderungen ganz oder teilweise durchsetzen konnten, werden zu gegebener Zeit ihre bewährte Vorgehensweise zu wiederholen trachten. Mit der Verstärkung des Teuerungsprozesses verkürzt sich die Wirkungsdauer politischer Gewinne oder Entlastungen, die sich durch eine Fortführung dieser Praxis erzielen lassen. Damit verliert ein zu Beginn höchst effektives Instrument durch die Kumulation seiner ökonomischen Kosten sukzessive seine Wirkungskraft, so daß sich in der Höhe der Inflationsrate bald auch der Abnutzungsgrad des politisch begründeten deficit-spending spiegelt. Unter den gegebenen Bedingungen erscheinen Inflation bzw. die diversen inflationsträchtigen, nicht durch Einnahmen gedeckten und politisch motivierten Staatsausgaben als eine von mehreren Konfliktlösungsmechanismen. Kommerzielle Auslandskredite oder die durch kräftiges Wirtschaftswachstum offerierten neuen Verteilungsspielräume bilden weitere, in der jüngsten Zeit aber nur wenigen Ländern zur Verfügung stehende Optionen. Eine vierte Alternative zur Lösung bzw. Eindämmung der sozialen Konflikte besteht in der Repression der monetäre Forderungen erhebenden Gruppen durch eine Beschränkung der politischen Rechte und Freiheiten (Ausnahmezustand) und/oder den direkten Einsatz von Polizei- oder Militäreinheiten gegen die Protestierenden. Welche dieser Möglichkeiten angewandt oder ob eine Kombination diverser Mechanismen gewählt wird, hängt im Einzelfall von der Schärfe der sozialen Auseinandersetzungen, der politischen Stärke und Einigkeit der Regierung, dem Organisationsgrad, der Tiefe des politischen Konsenses und dem Drohpotential der opponierenden Gruppe(n) sowie der konkreten Bandbreite realer politischer Optionen der Regierung ab. In der Praxis hat sich allerdings gezeigt, daß der Einsatz repressiver Mittel (auch von Militärregierungen) in der Regel solange wie möglich vermieden und stattdessen der ökonomische Nachteil einer absehbaren Inflationsbeschleunigung in Kauf genommen wird. Ein Anhalten und eher noch eine Verschärfung der sozialen Spannungen und eine Fortsetzung des permanenten politischen Krisenmanagements steht zu erwarten, solange dem Entwicklungsprozeß der lateinamerikanischen Länder riesige Kapitalmengen entzogen werden und die konfliktaufschiebende Kapazität der defizitären Budgetpolitik angesichts galoppierender Inflationsraten erschöpft ist. Da in den meisten Staaten der Region die Anzeichen auf eine weitere Verschlimmerung der Wirtschafts- und Verschuldungssituation hindeuten, ist

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anzunehmen, daß sich der Zusammenhang zwischen Inflation und staatlicher Repression in Zukunft eher verdichten wird. Naheliegend erscheint, daß die bedrängten Regierungen dem starken sozialen und politischen Druck vor allem durch die Reduzierung der Schuldendienstbelastung entgegenzuwirken versuchen. Ob dies mittels mehr oder weniger großer Zugeständnisse der Gläubigerseite (im Rahmen des Brady-Plans) geschieht oder durch eine einseitige Aktion einzelner Staaten bzw. eines immer noch möglichen regionalen Schuldnerkartells erreicht wird, bleibt abzuwarten. Freilich würde der eigentliche Kern der Misere dadurch - wie der Fall Peru unter Garcia gezeigt hat - nicht ohne weiteres berührt. Eine spürbare Entlastung beim Schuldendienst schafft eine gute Grundlage für die Überwindung der sozioökonomischen Mißstände, kann diese ohne weitere Maßnahmen aber nicht gewährleisten. Soll den tieferen Ursachen der lateinamerikanischen Wirtschafts- und Finanzkrise, ihrer wahren Natur als verschleppte Krise des Entwicklungsmodells Rechnung getragen werden, täten die Gläubiger gut daran, partielle Schuldenstreichungen oder Erleichterungen beim Schuldendienst mit sozial und ökologisch verantwortlichen Anpassungsprogrammen und ökonomischen Strukturreformauflagen zu verknüpfen. Dies ist vielleicht die letzte und einzige Chance, der mit großen menschlichen Leid befrachteten Schuldenmisere eine konstruktive Wende zu geben, nachdem die konventionellen Rezepte von Weltbank, IWF und Pariser Club versagt und die lateinamerikanischen Regierungen von sich aus den immensen sozioökonomischen Problemdruck nicht zu innovativen strukturellen Reformläufen genutzt haben. Nur Strukturveränderungen mit dem Ziel einer sukzessiven Erschließung des ökonomischen und sozialen Potentials können die VoraussetzungeneinerGesellschaftsordnungetablieren, deren Aufrechterhaltung immer weniger des Einsatzes politischer Gewalt von oben bedarf.

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"Depressionsdiktaturen" in Zentralamerika? Einige Bemerkungen zu einem historischen Begriff Hans Werner Tobler

Die folgenden, sehr skizzenhaften Ausführungen gehen von der Frage aus, ob die Effekte der großen Depression der 30er Jahre in Zentralamerika tatsächlich als zentrale Ursache für die Entstehung der Diktaturen in El Salvador, Guatemala, Nicaragua und Honduras in den frühen 30er Jahren verstanden werden können, wie dies die in der Literatur häufig anzutreffende Charakterisierung dieser Regimes als "depression dictatorships" nahelegt 1 . Insbesondere stellt sich die Frage, ob unter den Anfang der 30er Jahre existierenden gesellschaftlichen und politischen Bedingungen die durch die Weltwirtschaftskrise allenfalls ausgelösten sozialen und politischen Mobilisierungseffekte auf die Unter- bzw. Mittelschicht so bedeutend waren, daß die bedrängten Oligarchien aus diesem Grunde nur noch im Übergang zur Diktatur die Möglichkeit ihrer Machterhaltung sahen. Während für die Industrieländer, besonders etwa für Deutschland und die USA, nicht nur die Tiefe der wirtschaftlichen Einbrüche und der Umfang der sozialen Effekte der Krise, sondern auch ihre unmittelbaren Auswirkungen auf den politischen Bereich recht gut erforscht sind, gilt dies für Lateinamerika, wie für die "Dritte Welt" allgemein, keineswegs. Rothermunds Band über die "Peripherie in der Weltwirtschaftskrise" konzentriert sich auf die wirtschaftlichen, z.T. auf die gesellschaftlichen, aber nur am Rand auf die politischen Auswirkungen der Krise2. Auch für Lateinamerika sind vor allem die wirtschaftlichen Folgen der Depression genauer untersucht worden, insbesondere hinsichtlich ihrer strukturverändernden Effekte in jenen größeren lateinamerikanischen Ländern, wo sie eine verstärkte Entwicklung "nach innen", im Sinne einer Import-Substitutions-Industrialisierung eingeleitet haben. Die politischen Folgen der Weltwirtschaftskrise sind dagegen wesentlich schwieriger zu erfassen. Immerhin fällt etwa im Falle Brasiliens die zeitliche Koinzidenz der Machtergreifung von Vargas mit dem Beginn der Weltwirtschaftskrise auf, oder es wurde - im Falle Mexikos - das

1 2

Vgl. Anderson 1967: S. 215. Rothermund 1983.

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Reformregime unter Lázaro Cárdenas unmittelbar mit den Auswirkungen der Krise in Zusammenhang gebracht, eine auch mir anfänglich durchaus einleuchtende, durch empirische Untersuchungen allerdings keineswegs erhärtete Hypothese . Für Zentralamerika liegen zwar einige statistische Angaben über die Entwicklung des Sozialproduktes oder die Preisfluktuationen wichtiger Exportgüter vor, ihre tatsächliche gesellschaftliche und noch mehr ihre politische Bedeutung sind m.E. aber schwer abzuschätzen 4 . Es stellt sich deshalb die Frage, ob tatsächlich eine allgemeine Kausalität von Weltwirtschaftskrise und Etablierung zentralamerikanischen Diktaturen in den 30er Jahren besteht, wie Anderson sie für die Entstehung der "depression dictatorships" in Zentralamerika diagnostiziert hat. "Hier suchte man das Heilmittel für die Krise in autoritären Regimes (strong government), welche gegen die Bedrohung der etablierten, nun aber heftig umkämpften Ordnung die notwendigen Maßnahmen zur Erhaltung dieser Ordnung ergreifen würden."5. Die Prototypen dieser Regimes sieht Anderson in den Diktaturen Ubicos in Guatemala und Hernández Martínez' in El Salvador; aber auch die Herrschaft Carias' in Honduras und - mit einigen Einschränkungen selbst jene Somozas in Nicaragua werden diesem Typus zugerordnet. Es scheint, daß sich diese Einschätzung weitgehend durchgesetzt hat; so wird z.B. in einer jüngeren deutschen Publikation auch die "Heraufkunft und Konsolidierung einer harten Militärdiktatur" in Nicaragua u.a. als "Antwort auf die tiefe Krise von 1929 und den folgenden Jahren und die damit verbundenen sozialen Bewegungen" gedeutet 6 . U m die Tauglichkeit des Konzeptes der "depression dictatorship" für Zentralamerika allgemein abzuschätzen, ist es zunächst unerläßlich, für jedes einzelne Land den Einfluß der Krise auf die politische und soziale Mobilisierung der Unter- und Mittelschichten abzuklären. Auf der Basis dieser Voraussetzung läßt sich die Errichtung der Diktatur allenfalls als gewaltsame Demobilisierung von oben interpretieren. Für ein solches Vorhaben ist es nicht nur notwendig, das Ausmaß der sozialen Binneneffekte der Krise und ihrer politischen Auswirkungen einigermaßen exakt zu

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Vgl. Tobler 1984: S. 416ff. Bulmer-Thomas 1983; ausführlich zur zentralamerikanischen Wirtschaftsentwicklung jetzt: Bulmer-Thomas 1987. Anderson 1967: S. 215ff. Ähnlich argumentiert Woodward 1976: S. 215. Boris/Rausch 1983: S. 254.

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bestimmen, sondern ebenso den Grad der politischen Liberalisierung in den 20er Jahren, das Auftauchen neuer Machtkonkurrenten zur alten Oligarchie, die Entstehung von Gewerkschaften und neuen Parteien, das Ausmaß politischer und sozialer Organisationsfreiheit - alles Faktoren, ohne deren Vorhandensein eine starke politisch-gesellschaftliche Bewegung von unten schwer vorstellbar ist.

I. Die politisch-gesellschaftliche Entwicklung in den 20er Jahren Allgemein scheinen die 20er Jahre in Zentralamerika ein Jahrzehnt relativer politischer Liberalisierung gewesen zu sein, konnten sich doch - im Gleichschritt mit dem Aufschwung der Exportlandwirtschaft und einer zumindest selektiven ökonomischen Prosperität - neue politische Gruppierungen außerhalb der oligarchischen Zirkel bilden. Vor allem machte damals die gewerkschaftliche Organisation Fortschritte und gelangte über ihr anfängliches handwerklich-mutualistisches Stadium hinaus. Einen tiefergreifenden Einfluß auf die politischen Verhältnisse hat diese neue Form politisch-gesellschaftlicher Mobilisierung aber lediglich in El Salvador gezeitigt, und die Entwicklung El Salvadors in den frühen 30er Jahren scheint mir denn auch am ehesten dem Konzept der "depression dictatorship" zu entsprechen 7 . Hier ist es tatsächlich bereits unter der Präsidentschaft von Alonso Quiñones Molina (1923-27), vor allem dann aber unter jener seines Nachfolgers Romero Bosque (1927-31), zu einer beschleunigten Syndikalisierung (auch unter Landarbeitern), zur Enstehung neuer Presseorgane, und vor allem auch zur Gründung neuer politischer Parteien - darunter einer Kommunistischen Partei - gekommen, die als Interessenvertreter der Unterund Mittelschichten auftraten. Die vorangegangene wirtschaftlich-gesellschaftliche Differenzierung des Landes, das Aufkommen bürgerlicher Gruppen neben der alten Oligarchie, das Bemühen des Bürgertums, seinen wirtschaftlichen Aufstieg mit Unterstützung der Volksmassen auch politisch abzusichern, führten unter Romero Bosque zu einer Auflösung der traditionellen oligarchischen Herrschaft. Die Aufhebung des Belagerungszu-

7

Zur Entwicklung El Salvadors vgl. vor allem Gonzalez 1978; Guidos Vejar 1980; Anderson 1971.

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standes und die Abhaltung freier Wahlen erhöhten die Organisationsmöglichkeiten der Opposition, wobei erstmals die Kommunistische Partei als politischer Faktor in Erscheinung trat. Die Wahl des Kandidaten der Arbeiterpartei, Arturo Araujo, 1931, bildete schließlich, nach den Worten des salvadorianischen Historikers Rafael Guidos V6jar, "die Artikulation eines neuen 'historischen Bündnisses' mit vielen Möglichkeiten, sich in einen neuen 'historischen Block' zu verwandeln", der durchaus das Ende der alten Herrschaftsform hätte bedeuten können 8 . Im Falle El Salvadors bestanden also zum Zeitpunkt des Einsetzens der Weltwirtschaftskrise die politischgesellschaftlichen Voraussetzungen für einen gewaltsamen Restaurationsversuch der alten Ordnung, einen reaktionären Putsch, in hohem Maße. Wie stand es in dieser Hinsicht in Guatemala 9 ? Auch hier sind in den 20er Jahren die allgemeinen regionalen Trends einer stärkeren gewerkschaftlichen Organisation und einer gewissen politischen Liberalisierung sowie einer weniger eingeschränkten Pressefreiheit zu beobachten. Ein der salvadorianischen Entwicklung vergleichbares Ausmaß scheint die politischgesellschaftliche Mobilisierung in Guatemala in diesen Jahren aber nicht angenommen zu haben. Insbesondere blieben die Protestbewegungen der ländlichen Unterschicht eng begrenzt. Ungeachtet häufiger konservativer Presseklagen über den "bolshevikismo rural" im Guatemala der 20er Jahre, waren die "Aufstände" auf den Kaffeeplantagen der Südküste, wie David McCreery betont, "selten mehr als eine oder zwei Versammlungen (von Landarbeitern), auf denen die üblichen Beschwerden vorgetragen wurden" 10 . Nach McCreery war dies keineswegs erstaunlich: "Die guatemaltekischen Landarbeiter befanden sich in einer Situation, in der die institutionelle Gewalt fest in den Händen des Staates war und wo deren offene Infragestellung oder gar eine Rebellion ganz einfach ihre Liquidierung bedeutet hätte." 11 . Gewiß kam es unter Chacön Ende der Zwanzigerjahre auch zu einem Anwachsen der sozialen Unrast städtischer Arbeiter, aber von einer systembedrohenden Bewegung von unten wird man hier keinesfalls sprechen dürfen.

8 9 10 11

Guidos V6jar 1980: S. 149. Allgemein zu Guatemala vgl. Grieb 1979, sowie Karlen 1987. McCreery 1983: S. 756. Ebenda S. 756.

220

Was Honduras und Nicaragua betrifft, so werden gewerkschaftliche Organisationen und Streiks zwar in beiden Ländern vor allem in den USbeherrschten Enklavensektoren vermerkt, konnten aber vermutlich gerade aus diesem Grund kaum nationale Auswirkungen zeitigen. Für Honduras spricht Vinicio González den Arbeiterorganisationen den Charakter einer Massenbewegung ab, während in Nicaragua soziale Konflikte von der wohl viel unmittelbareren Problematik der amerikanischen Besatzung und des 19 Bürgerkrieges überlagert werden .

II. Die politisch-gesellschaftlichen Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise in den 30er Jahren Vor diesem in den einzelnen Ländern wohl doch recht verschiedenartigen politisch-gesellschaftlichen Hintergrund brachen die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise über Zentralamerika herein. Erstaunlicherweise war der rein statistische Effekt der Weltwirtschaftskrise auf die Entwicklung des Bruttosozialproduktes in Zentralamerika vergleichsweise gering. Obwohl bekanntlich die Preise für agrarische Exportgüter in der Krise wesentlich stärker fielen als jene für Industrieprodukte, war der Einfluß der Weltwirtschaftskrise auf den Rückgang des Sozialproduktes der zentralamerikanischen Länder viel geringer als auf jenen der Industriestaaten. So hielt sich der jährliche Rückgang des Bruttoinlandproduktes in Zentralamerika zwischen 1929 und 1934 mit durchschnittlich 1,4% in engen Grenzen; lediglich in Honduras mit 2,4% und in Nicaragua mit 4,9% lag er deutlich 11 über dem regionalen Mittel . Trotz dieser relativ geringen statistischen Auswirkungen auf die Volkswirtschaft bedeutete natürlich der Fall etwa der Kaffeepreise um rund die Hälfte einen schweren Schlag für die Kaffeepflanzer, und gleichermaßen wurde der ganze interne und internationale Wirtschafts- und Kreditkreislauf durch die Krise stark in Mitleidenschaft gezogen, mit allen Folgen, die dies für Pflanzer, Kaufleute, Kreditgeber, staatliche Zoll- und Steuereinnahmen usw. haben sollte. Daß die Krise damit 12 Gonzalez 1978: S. 580; Torres Rivas 1979: S. 89-112. 13 Bulmer-Thomas 1983: S. 272, Tab. 1. - Im gleichen Zeitraum verzeichnete Deutschland einen Rückgang der Industrieproduktion um 34%; in den U S A ging der Index der Industrieproduktion zwischen 1929 und 1932 von 100 auf 54, jener des Bruttosozialproduktes gar von 100 auf 43,5 zurück.

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auch die traditionellen Beziehungen zwischen diesen und dem Staat nachhaltig beeinflußte, ist klar; sie hat ja dann auch das Kräfte- und Beziehungsgeflecht zwischen diesen Akteuren entscheidend geprägt. Diesen Problemen soll aber hier nicht nachgegangen werden, geht es bei der vorliegenden Fragestellung doch primär um die politisch-gesellschaftlichen Auswirkungen der Krise auf die Unter-, allenfalls Mittelschichten. In dieser Beziehung waren die Auswirkungen der Krise in El Salvador besonders spürbar. Obwohl auch hier dem Rückzug der Landarbeiter in die Subsistenzwirtschaft eine gewisse Ventilwirkung zukam, hatte diese angesichts des großen Gewichts, das in diesem Land die Lohnarbeit erlangt hatte - nicht dieselbe Bedeutung wie in anderen zentralamerikanischen Staaten. Die soziale Brisanz der drastischen Lohnkürzungen und der Massenentlassung von Landarbeitern "ohne jegliche Unterstützung" wurde hier noch dadurch verschärft, daß diese Maßnahmen der Kaffeepflanzer auf eine "gut organisierte und kämpferische Arbeiterschaft" stießen 14 . Gewiß waren die sozialen Unruhen, die auch in wiederholten Streiks ihren Ausdruck fanden, nur ein Faktor, der die administrativ schwache Regierung Araujo in die Defensive zwangen und schließlich dem Militärputsch vom Dezember 1931 den Boden bereiteten. Aber für die Rebellionsbereitschaft der Bauern und Landarbeiter, die im Januar 1932 den kommunistisch inspirierten Aufstand auslösten, spielten die Kriseneffekte sicher eine nicht zu unterschätzende Rolle, auch wenn der Aufstand selber einer komplizierten Dynamik entsprang, in der kommunistische Indoktrination von außen mit den traditionellen Defensivmechanismen ethnisch-traditional strukturierter Indiogemeinschaften zusammenspielten 15 . Der nach wenigen Tagen gescheiterte Aufstand gab dem neuen Machthaber, General Martinez, die Gelegenheit, durch ein Bauernmassaker ohnegleichen die Voraussetzungen für seine dauerhafte Etablierung als Diktator zu schaffen. Waren - wie Thomas Anderson in seiner Darstellung der matanza aufgezeigt hat höchstens einhundert Personen von den Aufständischen getötet worden, so fielen den Vergeltungskommandos der Regierung in den folgenden Wochen wohl 10.000 Bauern zum Opfer, darunter zweifellos viele an der Rebellion unbeteiligte Indios 16 .

14 Gonzalez 1978: S. 595. 15 Anderson 1971: S. 1-21. 16 Anderson 1971: S. 136.

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War allein schon durch dieses Blutbad die Möglichkeit einer wirksamen Opposition von unten für lange Jahre im Keim erstickt worden, so taten die von Martinez zwischen 1932 und 1935 erlassenen repressiven Maßnahmen ein übriges, um jeden Widerstand im Ansatz zu unterbinden. Guidos V6jar nennt nicht weniger als zehn neue Gesetze und Dekrete, welche jede Form der Opposition strafrechtlich verfolgten, die Bewegungsfreiheit des größten Teils der Bevölkerung drastisch einschränkten, die Pressefreiheit aufhoben, 17

usw. . So gesehen bedeutete die Errichtung des Martinez-Regimes tatsächlich eine äußerst gewaltsame Rückgängigmachung der bis 1931 errungenen politisch-gesellschaftlichen Demokratisierungsansätze und die Etablierung eines überaus repressiven Regimes, das die uneingeschränkte Herrschaft der alten Oberschicht mit Hilfe der Militärdiktatur wiederherstellte. Die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise waren dabei zwar nur ein beschleunigender - Faktor in der dialektischen Entwicklung von Massenmobilisierung und gewaltsamer Reaktion von oben, aber insgesamt dürfte das Konzept der "depression dictatorship" die Entwicklung in El Salvador doch angemessen charakterisieren. Auch das Ubico-Regime in Guatemala hat bekanntlich einen ausgeklügelten Repressionsapparat aufgebaut, in welchem der Geheimpolizei eine 1Ä zentrale Rolle zukam . 1932 wurde die Kommunistische Partei aufgelöst und ihre führenden Funktionäre hingerichtet oder eingekerkert; gleichzeitig wurden die Gewerkschaften verboten; "26 Arbeiterführer wurden verhaftet, zehn zum Tode und der Rest zu langjährigen Haftstrafen verurteilt". Fortan war sogar die Bezeichnung "Arbeiterschaft" verboten: "Durch Gesetz wurde der Gebrauch des Wortes 'Arbeiter' verboten und durch 'Angestellter' ersetzt." 19 . Die Verbreitung der Folter in guatemaltekischen Gefängnissen nach dem Umsturzversuch von 1934, die immer umfassendere Überwachung der Bevölkerung durch die Geheimpolizei, die Zensurmaßnahmen, die Einschränkung der Universitätsautonomie und die Zwangsauflösung der Studentenschaft machten das Ubico-Regime zu einer Diktatur, deren faschistoide Züge 1937 selbst dem amerikanischen Gesandten Des Portes nicht verborgen blieben: "Man gewinnt zunehmend den Eindruck, daß 17 Guidos V6jar 1980: S. 16f. 18 Karlen 1987: S. 108ff. 19 Karlen 1987: S. 120.

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Präsident Ubico ... mehr und mehr einer Diktatur wie jener Mussolinis und Hitlers zuneigt, ein Eindruck, der sich wohl auf unzweifelhafte Beweise abstützt" 20 . Daß Ubicos Regime also eine markante Verschärfung staatlicher Gewaltanwendung brachte, ist unbestreitbar. O b die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise dafür aber tatsächlich die zentrale Ursache darstellen, scheint mir weit weniger sicher. Zwar lagen Ubicos harter Kurs gegen die Gewerkschaften wie auch die Abschaffung der Schuldknechtschaft und deren Ersetzung durch eine staatliche Zwangsarbeitsverpflichtung im Jahre 1934 ganz im Interesse der Oligarchie und unterstützten deren Bemühen, die Kosten der Krise möglichst weitgehend auf die Unterschichten abzuwälzen, aber diese Faktoren reichen m. E. kaum aus, seine Diktatur primär als Reaktion auf eine durch die Depression angeblich hervorgerufene Systemkrise zu deuten. Diese Zweifel gelten m. E. in noch stärkerem Maße für die innenpolitische Entwicklung in Honduras und Nicaragua in den 30er Jahren; hier scheint die Errichtung der Diktatur unter Carias Andino und Somoza mehr zeitlich als kausal mit der Weltwirtschaftskrise zu koinzidieren. In beiden Ländern bildete die spezifische Art der Abhängigkeit von nordamerikanischen Wirtschaftsinteressen (Honduras) bzw. nordamerikanischer Besatzung und ihrer Hinterlassenschaft (Nicaragua) die entscheidende Konstellation für die innenpolitische Entwicklung. In Honduras hat die Weltwirtschaftskrise zwar insofern und in indirekter Weise diese Abhängigkeitsbeziehungen verändert, als mit dem krisenbedingten Verkauf der Cuyamel Fruit Company an die United Fruit Company die innenpolitischen Voraussetzungen für die Errichtung der Carias-Herrschaft gelegt wurden 2 1 ; in Nicaragua dagegen war die durch den Abzug der Nordamerikaner und den Bürgerkrieg geschaffene spezifische machtpolitische Konstellation für den Aufstieg Somozas wohl viel 99

entscheidender als die gleichzeitigen Auswirkungen der Depression . Insgesamt wird man in Zentralamerika die Entstehung von Diktaturen in den 30er Jahren kaum durchgängig und unmittelbar auf die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise zurückführen können, selbst wenn im Kontext der großen Depression Tendenzen zu autoritären Regimes zweifellos gefördert wurden. Auch der Versuch, politische Regimewechsel in Zentralamerika von

20 Zit. b. Karlen 1987: S. 111. 21 Vgl. Torres Rivas 1974: S. 48; Morris 1984: S. 5ff. 22 Torres Rivas 1979: S. 89-112.

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der Fluktuation der Kaffeepreise abzuleiten, wie er etwa von Enrique Baloyra unternommen wurde, bringt bestenfalls Teilerklärungen . Kurzfristig wirkende Wirtschaftseinflüsse, selbst so heftige Preisschwankungen, wie sie die Weltwirtschaftskrise bewirkte, sind als wirtschaftliche Ursachen staatlichen Gewalthandelns zu relativieren. Die politischen Auswirkungen wirtschaftlicher Veränderungen in Zentralamerika erschließen sich wohl eher einer Analyse der langfristigen wirtschaftlichen Strukturentwicklung, wie Bulmer-Thomas in seinem Aufsatz "Economic Development over the Long Run: Central America since 1920" ausführt: "Legt man allerdings eine langfristige Perspektive an, so kann man beobachten, wie das gewählte Modell wirtschaftlicher Entwicklung Ressourcen-Verlagerungen bewirkt, die die alten politischen Systeme unhaltbar werden lassen; diese Verlagerungen, die kurzfristig als "marginal" vernachlässigt werden können, gewinnen erst langfristig an Gewicht, weil es viele Jahre dauert, bis ihr Einfluß spürbar wird." 24 Im Rahmen der Thematik dieses Bandes interessiert schließlich die Frage, wie sehr unter den zentralamerikanischen Diktaturen der 30er Jahre die Intensität staatlicher Gewaltanwendung zugenommen hat. Auch in dieser Beziehung sticht El Salvador mit dem Bauernmassaker von 1932 deutlich heraus; das Regime Ubicos hat ebenfalls einen umfassenden Repressionsapparat aufgebaut, und auch die Diktaturen in Honduras und Nicaragua zeichneten sich bekanntlich durch eine harte Unterdrückungspolitik gegenüber politischen oder gesellschaftlichen Oppositonsgruppen aus. Vergleicht man unter dem Gesichtswinkel der staatlichen Gewaltanwendung allerdings etwa die Diktaturen Ubicos und Somozas in den 30er Jahren mit dem gewaltigen Ausmaß staatlicher Gewaltanwendung in diesen Ländern in den 70er Jahren, so erscheint auch in dieser Hinsicht der Zusammenhang von Wirtschaftskrise und staatlicher Repressionsintensität als ein keineswegs a priori feststehendes, sondern durchaus zu problematisierendes Phänomen.

23 Baloyra-Herp 1983: S. 304. Abb. 1. 24 Bulmer-Thomas 1983: S. 269.

225

Literaturverzeichnis

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226

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Zum Problem der Informationsbeschaffung über staatliche und parastaatliche Gewalt am Beispiel Zentralamerikas Wolfgang

Dietrich

I. Die Perspektive des Informationsempfangers Mehr als vierzig J a h r e nach der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte durch die Vereinten Nationen läßt sich nicht behaupten, daß der Inhalt dieser Deklaration heute überall ins Bewußtsein gedrungen und gelebte Praxis ist. Dagegen sprechen nicht zuletzt die Schreckensmeldungen, die die Medien in ihren Nachrichten aus den verschiedensten L ä n d e r n übermitteln. Gleichwohl ist fraglich, ob sich die Situation in d e m M a ß verschlimmert hat, wie es die sprunghaft angestiegene Flut einschlägiger Meldungen aus aller Welt erscheinen läßt. Im Mittelpunkt dieser Betrachtung soll aber nicht die gewiß hochinteressante Frage stehen, ob und wie sich die praktische Menschenrechtspolitik von Staaten seit der und durch die UN-Menschenrechtsdeklaration verändert hat, sondern es soll am Beispiel Zentralamerikas die Qualität des Informationsflusses über staatliche und parastaatliche Gewalt hinterfragt werden. Das ist insbesondere deshalb von Bedeutung, weil in bezug auf Menschenrechtsverletzungen nicht nur durch Filterung, Unterlassung und Entstellung von Nachrichten - wie in allen anderen Bereichen auch - in der öffentliche Meinung tagespolitische Stimmung für oder gegen eine Sache gemacht werden kann, sondern weil spätestens seit der Präsidentschaft Carters die offizielle Einschätzung der Menschenrechtslage in einem Land zu einer D e t e r m i n a n t e seiner außenpolitischen Akzeptanz zumindest in der westlichen Welt wurde. D a aber auch im Westen außenpolitisches H a n d e l n de facto nur im geringen M a ß wirklich durch die Lage der Menschenrechte in einem anderen Land bestimmt wird und vielmehr Funktion eigener Interessen irgendeiner Art ist, werden die Menschenrechte zur Imagefrage. D e r entscheidende P a r a m e t e r außenpolitischen Handelns in Z u s a m m e n h a n g mit den Menschenrechten wird somit vor allem in den U S A und E u r o p a nicht in objektivierbaren F a k t e n gesucht, sondern in Zerrbildern der Wirklichkeit, die sich mittels der Herrschaft über die Medien im Sinne der eigenen Interessen a m besten verkaufen lassen. 227

Aus den Beispielen dafür, die sich in großer Zahl anbieten, sei etwa die Behauptung des früheren US-Außenministers Shultz herausgegriffen, der für 1982 von einer "Verbesserung der Menschenrechtslage in El Salvador " sprach 1 . In diesem Jahr registrierte die regierungsunabhängige Menschenrechtskommission C D H E S 12.547 politische Morde in dem fünf Millionen Einwohner zählenden Land abseits von Kampfhandlungen 2 . Sollte Shultz wirklich diese Zahl als qualitative Verbesserung gegenüber den 16.537 Morden in El Salvador 1981 verstanden haben, so wäre das zumindest ein unfaßbarer Zynismus. An bewußte Irreführung grenzt das ganze aber darin, wenn im selben Atemzug von einer Verschlechterung der Menschenrechtslage in Nicaragua gesprochen wird, was im Hinblick auf die dortige Ausrufung des Ausnahmezustandes in März 1982 faktisch zwar auch nicht vollkommen falsch ist, aber - wenn überhaupt - höchstens mit dreißig Tötungen von Seiten der sandinistischen Regierung bei einem einzelnen Zwischenfall in Leimus/Zelaya begründet werden kann 4 . Wenn die US-Regierung also die "Verbesserung" der Lage in El Salvador von 16.500 politischen Morden 1981 auf 12.500 1982 als Argument für eine Steigerung der Wirtschafts- und Militärhilfe von 219 Millionen Dollars auf 269 Millionen 5 just für diejenigen, die diese Morde zu verantworten haben, die Verschlechterung in Nicaragua von null auf maximal dreißig aber als Argument für eine gesteigerte Aggressionshaltung verwenden, so wird einsichtig, daß sich nicht die Außenpolitik an der Menschenrechtslage orientiert, sondern umgekehrt lediglich Termini aus dem Gebiet der Menschenrechtsarbeit für die Rechtfertigung einer nach anderen Kriterien orientierten Politik mißbraucht werden. Das trifft jedenfalls dann zu, wenn man akzeptiert, daß es eine Hierarchie der Menschenrechte gibt, bei der das Recht auf Leben an oberster Stelle steht. Welche Bedeutung diese Verzerrung von Nachrichten und gezielte Desinformation über die Massenmedien der Welt in der kaum spürbaren

1

2 3 4 5

Keesing's Archiv der Gegenwart (AdG) 26 190. Mit diesem Problem setzte sich auch wiederholt A W auseinander. So etwa in der Studie "Guatemala revised - How the Reagan Administration Finds Improvements in Human Rights in Guatemala" (1985) oder "Human Rights in Nicaragua - Reagan, Rhetoric and Reality" (1985). CDHES 1983. Eine Liste mit der vollständigen Bezeichnung der verschiedenen Organisationen findet sich im Anhang. CDHES 1982. ai 1986b: S. 26. C O D E H U C A 1986: S. 15.

228

und doch allgegenwärtigen Kriegsführung moderner Art auf psychologischer Ebene haben, läßt sich einem Artikel des ehemaligen CIA-Agenten Ralph Mc Gehee entnehmen: "Wo es an den nötigen Umständen oder Beweisen für die Unterstützung einer US-Intervention mangelt, schafft der CIA die geeignete Situation oder erfindet sie und verbreitet sie in verzerrter Form weltweit mit Hilfe seiner Medienoperationen ..."6.

Man wird also gut daran tun, Informationen, die durch politische Organe, Agenturen und Massenmedien gefiltert werden, zu mißtrauen, umso mehr als sie sehr oft schon in sich einer Prüfung nach härteren Kriterien kaum standhalten. Was fängt man beispielsweise mit einer Information an, nach der politische Konflikte in einem Land 30.000 Opfer gefordert haben? Sind es Tote, Verletzte, "Verschwundene", Gefangene, Vertriebene, Flüchtlinge, Enteignete ,„? Aber selbst wenn das geklärt ist: Woher kommt die Information, nach welchen Kriterien wurde die Zahl gefunden, welchen Zugang hat der Informationsträger selbst zum Geschehen, welche politischen Interessen ...? Wie ist so eine Information im größeren Kontext eines Konfliktes zu bewerten? Dieses Problem betrifft nicht nur die Information aus den Massenmedien. Seit 1948 wurden zahlreiche Organisationen und Einrichtungen auf Regierungsebene und als nichtstaatliche Organisationen geschaffen, die sich mit dem Schutz der Menschenrechte befassen und Dokumentation sowie Informationstransfer als selbstverständlichen Teilbereich ihrer Arbeit sehen. Americas Watch (AW), amnesty international (ai) oder die interamerikanische Menschenrechtskommission der OAS (IACHR) seien als Beispiele genannt. Doch auch diese Organisationen fungieren eher als Zwischenträger denn als Quellen von Informationen, ai etwa versucht dabei mittels eines professionellen Researcherteams und einer überaus vorsichtigen Wortwahl in seinen Berichten recht erfolgreich, mögliche Fehlerquellen auszuschalten. Doch diese Exaktheit im Einzelfall bedingt zwangsläufig einen Verzicht auf Universalität, dem auch mit fact finding missions, wie sie alle genannten Organisationen regelmäßig ausschicken, nicht beizukommen ist. Selbst bei größter fachlicher Kompetenz der Kommissionsmitglieder oder Sonderbeauftragten, wie sie die Vereinten Nationen einsetzen, ist es unmöglich, im Rahmen der üblichen Aufenthaltsdauer von 5 bis 20 Tagen in dem

6

Zil. in: Neuberger/Opperskalski 1983: S. 48.

229

betreffenden Land selbständig und von Grund auf ein generelles, verläßliches Gesamtbild zu erstellen. Somit sind letztlich alle internationalen Organisationen auf die Vor- und Aufbereitung der Information durch nationale und regionale Gruppen angewiesen, die direkt an der Basis arbeiten (nationalen Sektionen, Regionen und Lokalgruppen von ai ist es aus Gründen der persönlichen Sicherheit und der Seriosität bedingenden Unabhängigkeit untersagt, an Fällen aus dem eigenen Land zu arbeiten). In der Praxis ist die Hauptfunktion dieser internationalen Einrichtungen also weniger die eines Sammlers und Empfängers von Primärinformation als die einer faktischen und moralischen Kontrollinstanz für die nationalen Gruppen, eines Systematisierers und eben vor allem eines Transporteurs dieser Information.

II. Menschenrechtsgruppen in Zentralamerika Um nun den weltweit verbreiteten Zahlen und Berichten über staatliche und parastaatliche Gewalt in Form von Menschenrechtsverletzungen am Beispiel Zentralamerikas bis an ihre Quellen zu folgen, wurden in den Jahren 1986 und 1987 vom Autor insgesamt 25 Einrichtungen, Gruppen oder Organisationen mit einem selbst erteilten Mandat für den Menschenrechtsschutz in Einzelstaaten oder in der ganzen Region besucht. Die nachfolgende Aufstellung gibt einen Überblick über diese Gruppen. Die Aufschlüsselung der abgekürzten Namen findet sich am Ende des Beitrages. Nationale oder regionale Einrichtungen und Organisationen zum Menschenrechtsschutz in Zentralamerika 1. Quantitative Übersicht

Costa Rica El Salvador Guatemala Honduras Nicaragua Zentralamerika 230

Staatlich 1 (Prokurator) 1 (CDH) 1 (Prokurator) 1 (CNPPDH)

nicht staatlich 5 7 2 2 2 + 1 2

Die wichtigsten nicht-staatlichen Einrichtungen und Organisationen Costa Rica:

Drei Organisationen, ACDEGAC, CODELIDE, CODELI, arbeiten ausschließlich im Präventivbereich.

El Salvador:

Die unabhängigen SJC, FECMAFAM und C D H E S sind offiziell nicht anerkannt; T L ist eine Einrichtung der katholischen Kirche; I D H U C A und A L sind Abteilungen der katholischen Universität UCA. A S P R O D E R H steht der Christdemokratischen Partei nahe und arbeitet als parastaatliche Einrichtung.

Guatemala:

G A M existiert als einzige einschlägige Organisation innerhalb des Landes und hat keine Rechtspersönlichkeit; C D H G sitzt im Exil in Mexiko. Seit einiger Zeit publiziert auch ein "Centro de Investigación, Estudio y Promoción de los Derechos Humanos" Berichte über die Lage in Guatemala. Diese Einrichtung wurde aber nicht besucht und findet im folgenden keine Berücksichtigung in dieser Studie.

Honduras:

C O D E H und C O F A D D E H jeweils ohne Anerkennung.

Nicaragua:

CPDH und M 22, beide ohne rechtliche Anerkennung und mit enger Beziehung zur oppositionellen ChristlichSozialen Partei (PSC).

Zentralamerika:

rechtliche

C O D E H U C A und A C A F A D E haben ihren Sitz in Costa Rica, wo C O D E H U C A Rechtspersönlichkeit besitzt.

Läßt man nun einmal die staatlichen Einrichtungen, die sich in erster Linie als Propagandainstrumente (CDH, CNPPDH) oder als ineffizient (Prokurator in Guatemala) erwiesen haben, beiseite, so erlauben die Charakteristika der meisten nichtstaatlichen Organisationen die Unterscheidung von zwei Grundtypen:

231

1. Die "Selbsthilfegruppen in

Menschenrechtssachen"

Diese Gruppen (z. B. FAPREP, FECMAFAM, C O F A D D E H oder ACAFADE) enstehen regelmäßig aus der Initiative der Betroffenen oder Hinterbliebenen. An ihrer Spitze stehen meist Vetreter des intellektuellen Mittelstandes, die Masse bilden aber Arbeiter, Campesinos, Indígenas und andere. Da die bevorzugten Opfer von politischen Morden, Folterungen, Verschleppungen und Verhaftungen Männer sind, bestehen diese Gruppen überwiegend aus Frauen, wie etwa schon aus dem Namen der Co-Madres, der wichtigsten Untergruppe FECMAFAMS, hervorgeht. Die Ziele dieser Gruppen sind klar umschrieben und lassen sich in folgenden Punkten zusammenfassen: - Freilassung politischer Gefangener; - Aufklärung der Fälle von "Verschwindenlassen"; - Bestrafung der Schuldigen für politischen Mord und andere Verbrechen staatlicher bzw. parastaatlicher Täter. Diese Ziele zu erreichen, wird regelmäßig in einem sehr aktionistischen Stil versucht. Durch Demonstrationszüge, Kirchen- und Parlamentsbesetzungen, Mahnwachen, Sitzstreiks, bezahlte Anzeigen in Zeitungen und ähnliches sucht man die Aufmerksamkeit der nationalen und internationalen Öffentlichkeit auf sich zu ziehen, um seine Anliegen vortragen zu können. Die Erfolgsraten in Zentralamerika sind dabei gering, aber nicht gleich null. Insbesonders im Hinblick auf die politischen Gefangenen können diese spontanen Pressure-groups durchaus Teilerfolge aufweisen. Der spektakulärste war vielleicht die Amnestie von März 1986, die C O F A D D E H gemeinsam mit C O D E H in Honduras erkämpfte. Durch Ausnutzung der rechtlichen Möglichkeiten von Habeas CorpusAnträgen kompromittieren diese Gruppen auch immer wieder die Justiz. In einem Zusammenspiel von nichtstaatlichen Pressure-groups und Gerichten könnte natürlich eine große Chance für eine Besserung der Menschenrechtssituation in den Ländern und für die Aufklärung der "Verschwundenenfälle" liegen, doch das funktioniert aus verschiedenen Gründen nicht. In El Salvador etwa ist die Judikative seit Jahren durch die Angst und Korruptheit der Richter lahmgelegt, was verständlich wird, wenn man etwa an die Ermordung des Militärrichters Jorge Serrano am 22. 5. 1988 denkt - zwei Tage nachdem er in einem Entführungsfall ein für Offiziere und Geschäftsleute ungünstiges Urteil gefällt hatte. In Guatemala wiederum ist die 232

Gewaltentrennung de facto noch stärker als nach dem Gesetz, sodaß die Gerichte im Bereich der Exekutive buchstäblich nichts erfahren können und völlig ohnmächtig sind, was den Richtern im Hinblick auf ihre persönliche Sicherheit vielleicht gar nicht so ungelegen kommt. In Nicaragua schließlich wurden die politisch brisanten Fälle durch Jahre hindurch gar nicht von den ordentlichen, sondern von Sondergerichten abgehandelt. Die Selbsthilfegruppen sind als primäre Informationsquelle nicht ganz unproblematisch. Das Prinzip, daß man durch seine bloße Eigenschaft als Angehöriger, Freund oder Hinterbliebener von Opfern die Mitgliedschaft in diesen Gruppen erwirbt, bewirkt, daß alle Mitglieder gleichzeitig Zeugen der staatlichen oder parastaatlichen Gewaltanwendung sind. Deshalb läßt sich nirgends in so konzentriertem Maß einschlägige Information finden wie in diesen Gruppen. Gerade darin liegt aber das Problem. Das selbstverständliche Wissen der Aktivisten um ihre Zeugenschaft und die eindeutige Zielrichtung ihrer Bemühungen, wie oben beschrieben, bewirken einen eher sorglosen Umgang mit den Informationen. Jeder von ihnen hat seine Geschichte und seine Motivation. Das bedeutet nun nicht, daß diese Gruppen keine Archive oder Dokumentationen anlegen. Im Gegenteil, die gibt es überall. Wenn man aber einmal den Schock überwunden hat, den beispielweise die mit vielen Fotos versehenen Archive FECMAFAMs zwangsläufig auslösen, so stellt man fest, daß sie - aller Sorgfalt zum Trotz einer trockenen wissenschaftlichen Überprüfung nicht standhalten. Sie sind wenig systematisch und beschränken sich auf das Belegen von Hunderten von Einzelfällen. Damit genügen sie dem Zweck der Organisation, die sich durch sie legitimiert, und sie ziehen auch die Grenzen für die Fragestellung einer wissenschaftlichen Nachforschung. Im Angesicht einer Mutter, die fein säuberlich mit allen Daten versehene Fotos des durch Folterspuren entstellten Leichnams ihres von Todesschwadronen ermordeten Sohnes präsentiert, verbietet die Pietät jene Fragen, die die Exaktheit der Wissenschaft verlangen würde, um letzte Zweifel auszuräumen, ob die Täter nicht vielleicht doch Guerrilleros oder gewöhnliche Kriminelle waren. An dieser Stelle wird man auf eine tausendfach belegte Kette von Indizien verwiesen, die deutlich machen, wie Militärs, Polizei oder Todesschwadrone morden, wie dies die Guerilla tut und wie gewöhnliche Kriminelle. So akzeptiert man eben beispielsweise die Daumenfessel als typisches Zeichen der Todesschwadronen, schreibt bestimmte Foltermethoden den Militärs oder der Polizei zu und wertet den Genickschuß als Zeichen einer "Hinrichtung" durch die 233

Guerilla. Wenn diese Fälle auch noch irgendwie durch Aussagen von Zeugen der Verschleppung oder der Tat abgedeckt sind, muß man sie zwangsläufig als "gelöst" werten. Umsomehr als Eigenrecherchen, soweit sie nur die geringste Aussicht auf Erfolg hätten, besonders in El Salvador auch für Ausländer lebensgefährlich sind. Daraus ergibt sich also, daß die "Selbsthilfegruppen in Menschenrechtsfragen" - neben dem bewußt gewollten Effekt ihrer Tätigkeit - höchst wertvolle Informationsquellen für Einzelfallstudien sind und auch guten Zugang zur Untersuchung der Methode staatlicher und parastaatlicher Gewaltausübung in den jeweiligen Ländern bieten. Was man aber von ihnen nicht erwarten darf, ist einerseits ein Gesamtbild über die Menschenrechtslage in ihrem Land, weil viele Bereiche von ihren sehr spezifischen Aktivitäten ausgespart bleiben, und selbst im Kernbereich ihrer Arbeit, der auf den politischen Mord, die Folter, "das Verschwindenlassen", die Gefangenschaft ausgerichtet ist, dokumentieren sie nur jenes quantitative Segment,das durch das Zeugnis ihrer Mitglieder belegt wird. Mitgliedschaft ist dabei so zu verstehen, daß ein meist etwa zwanzig Personen zählender Zirkel von "Funktionären" die Organisation wirklich betreibt, ein weiterer Kreis beteiligt sich an öffentlichen Aktionen wie Demonstrationen und die Mehrzahl der Mitglieder gibt überhaupt nur ihren Fall bekannt und nimmt höchstens an punktuellen Großveranstaltungen teil. 2. "Menschenrechtsgruppen im allgemeinen Sinn" Einen weiteren Arbeitskreis haben die "Menschenrechtsgruppen im allgemeinen Sinn", zu denen C D H G , C D H E S , SJC, C O D E H , C O D E H U und C O D E H U C A zu rechnen sind. Ihr gemeinsames Merkmal ist (eigentlich nicht zwingend) eine Entstehungsgeschichte im Umfeld der katholischen Kirche und eine eher begrenzte Zahl aktiver Mitglieder, die fast ausschließlich dem gebildeten Mittelstand entstammen. Die Lehrer, Ärzte, Rechtsanwälte, Journalisten und Studenten, aus denen sich diese G r u p p e n rekrutieren, beziehen ihre Motivation aus ideologischer, religiöser oder humanitärer Überzeugung und sind in der Regel am Beginn ihrer Arbeit noch nicht selbst verfolgt worden oder Angehörige von Opfern. Ihr Ansatz ist wie gesagt weiter als jener der Selbsthilfegruppen und umfaßt das gesamte Feld der Menschenrechte, und zwar nicht nur der bürgerlichen und politischen, sondern auch die wirtschaftlichen, sozialen und 234

kulturellen sowie die Solidaritätsrechte. Aus dem Anspruch auf dieses universelle Mandat resultiert zwangsläufig der Versuch, die Gesamtlage der Menschenrechte in ihren Ländern zu erfassen, zu belegen und zu dokumentieren. Darüber hinaus unterstützen diese Gruppen auch Opfer und Hinterbliebene bei der Verfolgung ihrer rechtlichen Ansprüche. Nun sind die meisten dieser Gruppen bei geringer oder völlig fehlender logistischer Hilfe von außen frühestens in den späten siebziger Jahren entstanden und die ersten Jahre ihrer Tätigkeit sind noch deutlich von der Suche nach geeigneten Methoden zur Erfüllung dieses Anspruches gekennzeichnet. Insofern ist die Gründung C O D E H U C A s als eine Art Dachverband der Gruppen, in dem man sich unter anderem auch um Entwicklung und Vereinheitlichung der Arbeitsmethoden über die Landesgrenzen hinweg bemüht, von besonderer Bedeutung. Der Wildwuchs an Methoden bildet eine erhebliche Quelle für Fehlinterpretationen der Informationen, die aus diesen Gruppen kommen. Bevor nun aber auf die spezifischen Probleme dieser "Menschenrechtsgruppen im allgemeinen Sinn" eingegangen wird, sind noch einige Bemerkungen über jene Gruppen und Einrichtungen anzubringen, die nicht in das hier gezeichnete Schema passen. TL ist eine Einrichtung der Erzdiözese San Salvador und untersteht direkt als solche dem Erzbischof. Diese Abhängigkeit beeinträchtigt jedoch die Qualität der Arbeit nicht. Man kann, ganz im Gegenteil, TL zu den am besten organisierten und seriösesten Gruppen der Region rechnen. Thematisch beschränkt sich TL auf ähnliche Felder wie die Selbsthilfegruppen, arbeitet methodisch jedoch wie eine "Menschenrechtsgruppe im allgemeinen Sinn". Im Zusammenhang mit Zählweise und Statistik wird auf diese Organisation noch zurückzukommen sein. A S P R O D E R H (El Salvador) und C P D H (Nicaragua) entsprechen im äußeren Erscheinungsbild "Menschenrechtsgruppen im allgemeinen Sinn", unterscheiden sich von ihnen durch das Akzeptieren von Geldern politischer Einrichtungen im Ausland - so etwa von der durch die US-Regierung eingerichteten Stiftung P R O D E M C A oder durch die Konrad Adenauer Stiftung - und durch ihre bis zur Personalunion von Funktionären reichende Bindung an politische Parteien im Inland. Im einen Fall ist das die Christdemokratische Partei El Salvadors, im anderen die (bis 1990) außerparlamentarische Oppositionspartei PSC in Nicaragua. Dasselbe gilt für die M 22 Nicaraguas, die im äußeren Erscheinungsbild einer Selbsthilfe235

gruppe ähnelt, aber von der PSC dirigiert wird. Im Gegensatz zu TL schlägt sich hier diese Bindung sehr deutlich in der Qualität der Arbeit nieder, die vor allem durch geringe Eigenrecherche bei hohem Informationsoutput gekennzeichnet ist. Diese Fälle bestätigen die Befürchtungen von amnesty international hinsichtlich des Mißbrauchs der Menschenrechtsarbeit im eigenen Land für politische Zwecke, worauf noch näher einzugehen sein wird. Die praktisch bedeutungslosen Präventivgruppen Costa Ricas, CODELIDE, CODELI und A C D E G A C und die von den USA für Propagandazwecke eingerichtete A N P D H können von den weiteren Betrachtungen ausgespart bleiben. Von großer Bedeutung sind hingegen I D H U C A und AL, beide Einrichtungen der Universidad Centroamericana in El Salvador, die sich schon durch ihre von der Universitätsautonomie geschützte Stellung von den anderen Gruppen unterscheiden. Das von Prof. Segundo Montes geleitete Institut leistet dabei hervorragende Arbeit im theoretischen Bereich - hinsichtlich aller drei Gruppen von Menschenrechten - und in der Dokumentation, während A L seit 1987 auch aktiven Rechtsschutz anbietet.

III. Die Perspektive des InformationsbeschafTers Wurde das Problem der Informationsbeschaffung über staatliche und parastaatliche Gewalt in Zentralamerika am Beginn dieses Beitrages aus der Sicht des europäischen "Endverbrauchers" betrachtet, der auf mindestens einen Informationszwischenträger angewiesen ist, so soll der folgende Abriß dieselbe Frage aus der Perspektive des zentralamerikanischen Menschenrechtsaktivisten stellen und damit den besonders heikein Punkt des Informationsflusses vom Opfer oder seinen Angehörigen zur ersten Sammelstelle für solche Mitteilungen ausleuchten. Aus den vorangegangenen Ausführungen wird dabei klar, daß im Mittelpunkt einer solchen Betrachtung die "Menschenrechtsgruppen im eigentlichen Sinn" stehen werden, wobei allerdings viele der nun aufzuzeigenden Punkte auch für die Selbsthilfegruppen, insbesonders aber auch für TL und I D H U C A und zum Teil auch für C P D H und M 22 gelten. Wurde bereits die Lebensgefahr angesprochen, die in einigen Ländern für zu neugierige Ausländer herrscht, so stellt sich natürlich ganz vordringlich die Frage, welche Risiken für die persönliche Sicherheit der inländischen 236

Aktivisten bei der Informationsbeschaffung über staatliche und parastaatliche Gewalt in ihren Ländern existieren. Eine einheitliche Antwort darauf gibt es nicht. Es ist zu unterscheiden zwischen - Costa Rica, wo Menschenrechtsaktivisten, von gelegentlichen Belästigungen abgesehen, Verhältnisse vorfinden, die denen westeuropäischer Demokratien (wo es für solche Leute ja auch nicht immer ganz leicht ist) nahekommen; - Nicaragua, wo die PSC-nahen, oppositionellen C P D H und M 22 zwar nicht gern gesehen und ihre Mitglieder mit Hausdurchsuchungen und Kurzzeitinhaftierungen schikaniert, grundsätzlich in ihrer persönlichen Sicherheit aber nicht bedroht werden; - El Salvador, Guatemala und Honduras, wo in den achtziger Jahren von den Systemen offen institutionalisierter Gewalt in Form von Militärdiktaturen auf Formaldemokratien umgestellt wurde, was im wesentlichen aber nur zur Tarnung der Gewaltherrschaft diente und jedenfalls eine Perpetuierung der tradierten Systeme struktureller Gewalt bedeutete, selbst wenn da und dort kleine Verbesserungen erzielt wurden. Verwendet man die Angaben aller lokalen Gruppen über jene aktiven Funktionäre, die sie zwischen 1979 und 1988 durch Mord verloren haben, als Indikatoren für die persönliche Sicherheit der Aktivisten in ihrem Land, so ergibt sich folgendes Bild: Costa Rica El Salvador Guatemala Honduras Nicaragua

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Die relativ niedrige Zahl für Guatemala dürfte vor allem damit zu begründen sein, daß sich G A M als einzige innerhalb der Landesgrenzen aktive Gruppe erst 1984 formiert hat. Aufgeschlüsselt nach Gruppen zeigt sich, daß die CDHES, von der kein Gründungsmitglied mehr lebt, mit elf

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Die folgenden Angaben beruhen auf der Basis von 45 Interviews, die der Autor zwischen April 1986 und September 1987 mit verschiedenen Funktionären aller in diesem Beitrag zitierten Gruppen durchgeführt hat.

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Mordopfern den mit Abstand größten Aderlaß zu erdulden hatte, gefolgt von FECMAFAM/Co-Madres und GAM. Was den Zeitraum betrifft, ;o erweisen sich die Jahre 1980 bis 1983 - nicht nur für die Menschenrechtsak ivisten - als schlimmste Periode, doch das Andauern der Morde beweist, diß die Errichtung der Formaldemokratien keine qualitative Änderung brach.e. So verlor etwa G A M im guatemaltekischen Wahljahr 1985 die Spitzenfun86; Handelman 1987; Ames 1988.

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- Der politische Wille, auch über längere Zeit ohne Kooperation oder in Koalition mit zivilen Kreisen zu regieren; - Die Rücksichtslosigkeit bei der Bekämpfung nicht nur der Guerilla, sondern großer Teile der Gesellschaft, die tatsächlich oder vermeintlich in Opposition zu der Militärdiktatur standen. Schwere Menschenrechtsverletzungen schlössen Massenfestnahmen, Folter "Verschwindenlassen" 1 0 und Ermordung von Festgenommenen/Entführten (Argentinien) ein 11 . Wichtigster historischer Ausgangspunkt war die Revolution in Kuba 1959, die Entstehung von Guerillagruppen in fast allen Ländern des Subkontinents und die zunehmende Veränderung in den Bedrohungsvorstellungen der USA und der konservativen Regierungen der Region der sechziger Jahre: Nicht mehr in der konventionellen Bedrohung durch die UdSSR lag jetzt die Gefahr, sondern in der Subversion von innen, seitens der politischen Linken, ihrer Organisationen und anderer gesellschaftlicher Sektoren, die in dieser Sicht durch ihre Kritik die Legitimität des politischen Systems zu untergraben versuchten, wie z.B. Gewerkschafter, Studenten, Priester, Journalisten und linke Parteien. Die Gefahr von innen erzwang nach Auffassung führender Militärs in Lateinamerika und der USA unter Präsident Kennedy eine Umorientierung in der Mission der Streitkräfte. Die nationale Verteidigung stand nicht mehr im Mittelpunkt, denn schließlich gab es kaum Spannungen, die zu einem zwischenstaatlichen Krieg hätten führen können. Dagegen wurde die Bekämpfung der Subversion zur neuen Doktrin, die vor allem im Cono Sur mit dem Begriff der nationalen Sicherheit verbunden ist. Die Doktrin der nationalen Sicherheit hatte als ideologische Waffe der Militärs erheblichen Erfolg. Die Bedrohung der zivilen Gesellschaft konnte nur das Militär hinreichend erkennen und bekämpfen, womit sein Eingreifen in der Politik berechtigt zu sein schien. Durch einen völlig unklaren und grenzenlosen Begriff von "Sicherheit" und "Subversion" konnte darüberhinaus eine langfristige Herrschaft der Streitkräfte begründet werden. Nur diese schienen die politische Stabilität sichern zu können, deren Mangel in der

10 "Verschwundene" ist in Anführungszeichen gesetzt, weil es sich juristisch nicht um Verschwundene, sondern um illegal Festgenommene und später oft Ermordete handelt. 11 Zu Menschenrechtsverletzungen in Lateinamerika siehe Farer 1983, zur Rolle der USA Schoultz 1981; Arnson/Klare 1981. Fallstudien zu Chile, Guatemala und Uruguay finden sich bei Heinz 1986.

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politischen Wissenschaft und von Politikern als Hauptproblem Lateinamerikas angesehen wird. Kommunismus- und Subversionsverdacht rechtfertigten in großen Teilen von Ober- und Mittelschichten ein Ausmaß und eine Systematik von Menschenrechtsverletzungen, wie sie historisch eine Ausnahme darstellen. International rechtfertigte die Doktrin eine zentrale Rolle des Militärs in der Politik, vor allem für die Regierungen in den USA (mit Ausnahme Jimmy Carters), die für Wirtschafts- und Militärhilfe an 10

Lateinamerika eine wichtige Rolle spielten . In den neueren Untersuchungen über die Voraussetzungen für Demokratie in Lateinamerika wird als ein zentraler Faktor immer wieder die Rolle des Militärs in der Politik angesprochen. Gemeint sind hiermit nicht nur der Einfluß auf Verteidigungshaushalt, die Beibehaltung einer autonomen Organisation und vor allem Konzepte zur äußeren und inneren Sicherheit, sondern vor allem die Rolle des Militärs bzw. seine Möglichkeiten, Druck auf zivile Regierungen auszuüben, politische Positionen des Militärs zu berücksichtigen. Insoweit stellt sich gegenwärtig weniger die Frage neuer Militärputsche, als das Problem, wieviel politisches Gewicht unterhalb der Putschschwelle für die Streitkräfte wünschenswert und politisch durchsetzbar ist. Für die neuen demokratischen Regierungen in Argentinien und Uruguay wurden Untersuchung und Strafverfolgung von Menschenrechtsverletzungen zu einem politisch äußerst brisanten Thema. Welche Alternativen stellten sich Gesellschaft und gewählter Regierung nach einer Periode von zwischen 6 und 21 Jahren Militärdiktatur? Die Katholische Kirche in Argentinien und einige Politiker sprachen sich für eine Politik des Vergessens und der Versöhnung aus, die auf eine gleichzeitige 1^ Amnestierung der politischen Gefangenen und der Militärs abzielt . Andere Politiker, vor allem aber die Menschenrechtsorganisationen und die Angehörigen der Opfer, forderten die restlose Aufklärung der Menschenrechtsverletzungen durch den Staat und die Bestrafung der Schuldigen bzw. die Rückkehr der noch am Leben geglaubten "Verschwundenen".

12 Für eine Diskussion der Doktrin der nationalen Sicherheit vgl. den Beitrag von Nikolaus Werz in diesem Band. 13 Diese Option wurde von den Regierungen El Salvadors, Guatemalas und Uruguays verfolgt. Grundsätzlich zum Thema siehe Aspen Institute 1989.

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Ausgegangen wird im ersten Fall von einer merkwürdigen Symmetrie zwischen der ersten Gruppe, die in Tausenden von Fällen Opfer von Folterungen, Haft und Mord geworden sind und der zweiten Gruppe, deren Angehörige für schwere Verbrechen wie die-genannten Straftaten (darüberhinaus Vergewaltigungen, Entführungen, Diebstahl u.a.) nicht einen Tag Haft erlitten haben. Es müßte jeweils am Einzelfall, dem Land, untersucht werden, ob und wie eine solche Lösung wirklich eine Antwort auf Forderungen nach Gerechtigkeit darstellt oder eher reale Machtverhältnisse zwischen Streitkräften und ziviler Gesellschaft widerspiegelt. Entscheidender noch als die Bestrafung der Schuldigen ist ein Nebeneffekt von Amnestien: Die Untersuchung von Menschenrechtsverletzungen einschließlich der Frage, wie ein solches System errichtet, aufrechterhalten und in der Öffentlichkeit verteidigt wurde (z.B. die Rolle von Diplomaten), wird als Folge der Amnestie - mit seltenen Ausnahmen wie z.B. die Entführung von Kindern in Argentinien - eingestellt. In schwierigen Diskussionen in Politik und Öffentlichkeit in Argentinien und Uruguay suchte man in den letzten Jahren eine Antwort darauf, was nationale Versöhnung für das eigene Land bedeutet. Andererseits mußte es den Politikern um die Entwicklung neuer Beziehungen zu den Streitkräften gehen, ohne die eine zivile Regierung mittelfristig nicht handlungsfähig ist. Untersuchungen und Gerichtsverfahren gegen Militärs im aktiven Dienst, möglicherweise über Jahre hinweg, würden, so fürchtete man, zu einer erheblichen Belastung des Verhältnisses zwischen Regierung und der Institution führen. In dieser Untersuchung wird nicht eine allgemeine Bestimmung der gegenwärtigen politischen Rolle der Streitkräfte versucht, sondern nach den Konsequenzen des Demokratisierungsprozesses für das Militär 14 in Argentinien, Brasilien und Uruguay gefragt:

14 Wenn im folgenden von "Militär" und "Streitkräften" gesprochen wird, handelt es sich vor allem um die Armee, die in allen drei Ländern das stärkste politische Gewicht hat und die Hauptverantwortung für den Kampf gegen die Guerilla trug. Weiterhin muß betont werden, daß innerhalb der Streitkräfte verschiedene politische Strömungen existierten, z.B. eher am peruanischen Modell bzw. an der Doktrin der Nationalen Sicherheit orientierte Offiziere. Wir können hier diesen Tendenzen nicht weiter nachgehen.

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Wie haben zivile Politiker und Gesellschaft das Problem der strafrech lichen Verantwortung von Militärs für die Menschenrechtsverletzungjn unter der Diktatur in den Griff zu bekommen versucht? 1 5 - Wie haben das Militär und dessen führende Vertreter auf Versuche v)n Zivilisten reagiert, es strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen? - Wurde angesichts der unmittelbaren Vergangenheit eine Neuformulierung der militärischen Aufgaben und Doktrinen von den zivilen Regierungen in Angriff genommen?

Besonders die zweite Frage kann hier aufgrund unzureichender Q u e l e n nur ansatzweise beantwortet werden. D a die militärische Institution von cer Gesellschaft äußerst abgeschlossen ist, den aktiven Militärs Interviews verboten sind (z.B. in Brasilien) und der hermetische Charakter cer Institution nach der vielfachen Kritik aus dem In- und Ausland nur ntch stärker geworden ist, sind die Schlußfolgerungen im vierten Abschnitt lls vorläufig anzusehen. In den Fallstudien wird nach einer kurzen Skizze cer Militärdiktaturen der Schwerpunkt auf den Zeitraum nach dem A m t s a n f i t t der zivilen Regierung gelegt 1 6 . 1. Argentinien Das Militär in Argentinien interveniert seit Jahrzehnten regelmäßig in der 17

Politik . In den dreißig Jahren vor dem Militärputsch 1976 hat nur ;in Präsident seine Amtszeit ohne Militärintervention beenden können (Peron 1951). Ziel des Eingreifens war es durchweg, politisch für die Streitkräfte nicht tragbare Präsidenten abzusetzen und nach einer meist kurzen Übergangsperiode einen neuen Präsidenten wählen zu lassen, allerdings

15 Von den zahlreichen Studien über Gewalttaten im Nationalsozialismus fand ich die Arbeit von Jäger über Verbrechen totalitärer Herrschaft hilfreich, besonders seine Konzepte Iber die Typologie der Beteiligung an Straftaten und den Befehlsnotstand (Jäger 1982). Zur kriminologischen Sicht der Rolle von Staatsführungen als Täter vgl. Eisenberg 1980. 16 Die Phase der Diktatur kann hier nur skizziert werden. Innergesellschaftliche jnd ausländische Verursachungsfaktoren für Diktatur und Menschenrechtsverletzungen werden in zahlreichen neuen Arbeiten in den Ländern selbst diskutiert. Vgl. auch Anmerk. 11. 17 Zu Geschichte und politischem System siehe Waldmann 1974; Sidicaro 1984; Rock 1985; Waismann 1987, zum Recht extrem ismus Diaz/Zucco 1987, zur Einführung Stausberg 1982; Waldmann 1982a. Die politische Rolle des Militärs analysieren Potash 1969, 1980; Bayer 1981 Rouquid 1982; Waldmann/Garzön Valdds 1982, die Rüstungsproduktion Milenky 1980; Waisman 1986.

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unter Ausschluß mißliebiger Kandidaten oder Parteien (z.B. des Peronismus). Kernproblem des politischen Systems ist daher seine mangelnde Stabilität und die daraus folgenden Spannungen in den Beziehungen zwischen ziviler Politik und den Streitkräften. Es ist daran zu erinnern, daß auch zivile politische Kreise an dem Eingreifen des Militärs Interesse hatten und entsprechend führende Offiziere zu beeinflussen suchten, a. Die Diktatur In den siebziger Jahren verschärfte sich die wirtschaftliche und soziale Krise, die in zunehmenden Streiks und Demonstrationen ihren Ausdruck fand. A b 1970 entstanden Guerillagruppen, die linksperonistischen Montoneros und das marxistische Revolutionäre Volksheer (Ejército Revolucionario del P u e b l o / E R P ) 1 8 . Die Regierung Isabel Martínez de Perón sah sich immer größeren Schwierigkeiten bei der Guerillabekämpfung gegenüber. Im November 1974 rief sie den Notstand aus. Durch das Dekret 261/75 wurde das Oberkommando der Armee zur Unterstützung der Polizei beim Kampf gegen die Guerilla in der Provinz Tucumán aufgefordert (Operativo Independencia) 1 9 . Im weiteren Verlauf übertrug die Regierung den Streitkräften, vor allem der Armee, die Verantwortung für die Vernichtung der Subversion, wie es hieß. Aus dieser Anordnung der Präsidentin leitet die Führung der Streitkräfte bis heute die Legitimität ihres Vorgehens ab, obwohl selbst für den Fall eines Krieges sowohl völkerrechtliche Normen (bei internationalen bewaffneten Konflikten die Genfer Konventionen von 1949 und das I. Zusatzprotokoll zu den Genfer Konventionen, bei innerstaatlichen bewaffneten Konflikten das II. Zusatzprotokoll zu den Genfer Konventionen) wie die Menschenrechtsnormen in Verfassung und Gesetzen gelten, soweit sie nicht ausdrücklich außer Kraft gesetzt wurden. D a s Militär erhielt durch das Dekret für den Zeitraum der Operationen die Kontrolle über die Bundespolizei, den nationalen Gefängnisdienst und die Polizei in den Provinzen. Nach Militärangaben im Jahr 1979 wurden 680 Menschen

18 Zur Guerilla siehe Waldmann 1982b. 19 Zur Entwicklung in den siebziger bis zum A n f a n g der achtziger J a h r e vgl. Smith 1980; Spitta 1982; Frontalani/Caiati 1984; Makin 1985; Cavarozzi 1986, zur Sozialpolitik Nohl e n / S t u r m / W a c h e n d o r f e r 1984.

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Opfer des Terrorismus . Zahlreiche politische Gegner auf der Linken wurden durch die "Alianza Anticomunista Argentina" (A.A.A.) ermordet, die mit den Sicherheitskräften zusammenarbeitete. Im März 1976 putschte das Militär und setzte die Präsidentin ab. Es kündigte einen "Prozeß der Nationalen Reorganisation" an . Hauptinstrumente waren die Konzentration der exekutiven und legislativen Befugnisse in der Militärjunta, die Ernennung neuer Mitglieder des Obersten Gerichtshofes und eine Verschärfung und Systematisierung der Guerillabekämpfung, die nun auch zunehmend vermeintliche Sympathisanten und Unbeteiligte traf. Die Führung der Streitkräfte war davon überzeugt, daß sie sich im Krieg mit der Subversion befand, einem "schmutzigen Krieg . General Viola beschrieb 1979, dem Jahr, in dem die Streitkräfte ihren Sieg über die Guerilla verkündeten, den Krieg gegen die Subversion: "Dieser Krieg hat, wie alle Kriege, eine Dimension, die der Wertschätzung des Lebens zuwiderläuft. Deswegen ist es ein Krieg. Dämme und Sperren sind gebrochen. Leben und Tod werden im Streben nach dem Sieg verspielt. Das Schlimmste ist nicht der Verlust des Lebens, das Schlimmste ist es, den Krieg zu verlieren. Deswegen kann die Armee, die heute den Wert des Lebens wiederhergestellt hat, dem Lande sagen, daß wir unseren Auftrag ausgeführt haben. Dies ist die einzige und, wie wir glauben, eine ausreichende Erklärung" . Und auch Wissenschaftler rechtfertigten das Vorgehen der Streitkräfte. Mariano Grondona schrieb 1978 in einem Aufsatz für die Zeitschrift "International Security": "Argentinien glitt von einer Lockeschen in eine Hobbessche Situation und litt daraufhin unter dem Dilemma, das so charakteristisch für die zu wenig sicheren Länder ist: Der fundamentalen Entscheidung zwischen der

20 Nach Angaben des stellvertretenden Anklägers im Prozeß gegen die Generäle der Militärjuntas, Moreno Ocampo (1986: S. 42). Wolf nennt für 1970-1980 800 Opfer (Wolf 1981: S. 170). Er beziffert die Stärke der Montoneros mit 7.000 Mann, jene des ERP mit 5.000 Mann. 21 Für einen guten Überblick der Maßnahmen, die die erste Junta ergriff, vgl. Spitta 1982. 22 Die Streitkräfte begründeten diese Position in einem Dokument (Comando en Jefe del Ejército 1977). Ihre Behauptung, es hätte sich 1976-1983 um einen Krieg gehandelt, wurde in den Verfahren gegen die Generäle sowohl vom Bundesberufungsgericht in Buenos Aires wie vom Obersten Gerichtshof zurückgewiesen. 23 Zit. in OAS 1980: S. 120.

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Notwendigkeit der Sicherheit und dem Wert rechtmäßiger Verfahren auf der Basis des Menschenrechtsstatuts. Argentinien folgte einem relativ liberalen Ansatz mit weitgehend unbeschränkten persönlichen Freiheiten von 1969 bis 1975. Aber die Vernichtung der Guerillaorganisationen und die Rückkehr zu einem normalen Leben machten die Anwendung der Doktrin des inneren Krieges notwendig. Die Geschichte zeigt, daß die Methode 1969-75 erfolglos war. Viele, die in dieser Zeit in Argentinien lebten, sind davon überzeugt, daß es keine andere Möglichkeit gab, gegen das Chaos zu kämpfen, das durch die Vorherrschaft der terroristischen Organisationen hervorgerufen wurde, wenn auch viele bedauern, daß es notwendig war, so weit zu gehen" 24 . Die Auffassung Grondonas, der die sozialen Kosten der Repression 1978 wahrscheinlich nur unvollständig kannte - wenn auch die Grundeinstellung sehr deutlich wird -, wurde nach allen vorliegenden Informationen in Teilen der argentinischen Gesellschaft und auch unter Politikern geteilt. Die Wirklichkeit war auch für viele Argentinier ein Schock. Nach den Untersuchungen der Nationalen Kommission über das Verschwinden von Personen und internationalen Menschenrechtsorganisationen hatte das Unterdrückungssystem folgende Kennzeichen : - Die Militärs hatten ca. 340 geheime Internierungszentren im ganzen Land errichtet. - Zeugen beschuldigten 1.300 Personen, vor allem Polizei- und Militärangehörige, vor der Säbato-Kommission der Beteiligung an Menschenrechtsverletzungen. - Die Folter wurde systematisch bei Verhören angewandt.

24 Grondona 1978: S.14 (Übers, aus dem Engl, durch den Vf.). Auf S. 8 seines Aufsatzes fragt dann Grondona noch: "Ist es manchmal notwendiger 'weniger menschlich' zu sein um 'menschlicher' zu werden?". 25 Zu Menschenrechtsverletzungen vgl. U.S. Congress 1977-88; Amnesty International 1975a88a; Organización de los Estados Americanos 1980, 1982; Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika/Ökumenisch-Missionarisches Institut Berlin 1983; Wolf 1984; C O N A D E P 1984; Seoane/Ruiz Nuñez 1986; Prelle 1987; Oyhanarte 1987; Mármora 1987; Labrunne 1988. Zu"Verschwundenen" siehe auch Amnesty International 1984b, 1985b, 1985c. Zu wirtschaftlichen und sozialen Menschenrechten und den Beziehungen Argentiniens zum IWF vgl. Conklin/Davidson 1985. Die Beziehungen zu den USA untersucht Francis 1988, zur Bundesrepublik mit besonderer Betonung auf deren Einsatz für die Menschenrechte in Argentinien Thun 1985.

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- Tausende von Menschen "verschwanden", d.h. sie wurden illegal von den "Arbeitsgruppen" (grupos de tarea) 2 6 festgenommen, in geheime Konzen97

trationslager gebracht, oft gefoltert und ermordet . - Die Gerichte, die zahlreiche Habeas-Corpus-Eingaben erhielten, versagten ganz überwiegend . Die Richter gaben sich mit den offiziellen Antworten, der angeblich Festgenommene befände sich nicht in der Hand der Sicherheitskräfte, fast immer zufrieden und unternahmen in der Regel keinerlei Anstrengungen, eine ernsthafte Untersuchung durchzuführen, wo die Person sich befand. Dies, obwohl der Oberste Gerichtshof die Richter nach wiederholtem Ausbleiben von Antworten seitens der Regierung zu einer intensiveren Untersuchung aufforderte. Zur Zeit der Diktatur wurden über 196 Menschen in Konzentrationslagern von Zeugen lebend gesehen, deren Internierung die Regierung gegenüber den Gerichten geleugnet hatte. - Der Unterschied zu früheren Militärdiktaturen bestand in der klaren Politik des Militärs, nicht nur selektiv vermeintliche und echte "Subversive" dingfest zu machen, sondern in der für das Land bis dahin unbekannten Politik der massenhaften Ermordung von vermeintlichen und echten Guerillaangehörigen, deren Sympathisanten, Unbeteiligten, liberalen und linken Kräften, mit anderen Worten der systematischen Liquidierung eines ganzen Sektors der Gesellschaft. Die Säbato-Kommission nennt die Namen von 8.960 "Verschwundenen", während nationale Menschenrechtsorganisationen von bis zu 30.000 Opfern ausgehen. Ab 1979 nahm der Druck innerhalb Argentiniens und im Ausland zu, das Schicksal der Tausenden von "Verschwundenen" aufzuklären. Besonders Gewerkschaften und politische Parteien wurden zunehmend aktiv. Nach der Niederlage im Krieg um die Malvinen gegen England mußten die Generäle die Rückkehr zur Demokratie vorbereiten. Drei Instrumente sollten die Militärs vor einer Strafverfolgung unter der zivilen Regierung schützen. In einem "Abschließenden Dokument zum Krieg

26 Grupos de tarea bestanden aus Angehörigen der Teilstreitkräfte und der Bundespolizei. 27 Argentinische Menschenrechtsorganisationen wie die Mütter von der Plaza de Mayo haben immer noch die Hoffnung, daß ihre Angehörigen zurückkehren werden. Sie sagen immer wieder "Lebend wurden sie verschleppt, lebend wollen wir sie zurück". Aber es kann kein Zweifel bestehen, daß die große Mehrheit der Festgenommenen ermordet wurde. 28 Zur enttäuschenden Rolle der Richter unter der Diktatur vgl. Garro 1983.

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gegen die Subversion und den Terrorismus" vom 28. April 1983 räumte die Militärjunta zwar ein, daß Irrtümer wie in allen Kriegen vorgekommen seien, machte aber deutlich, daß es sich um Handlungen von Angehörigen der Streitkräfte handelte, die Befehlen gehorchten. Alle diejenigen, die nicht im Exil oder untergetaucht seien, müßten aus allen "rechtlichen und administrativen Gründen" als tot angesehen werden. Damit sollte jede weitere Untersuchung verhindert werden. Tatsächlich führte diese Erklärung zu einer großen Empörung innerhalb und außerhalb des Landes. In dem Gesetz Nr. 22.924/83 über nationale Pazifizierung wurde mutmaßlichen Terroristen und Angehörigen der Streitkräfte Immunität für alle Straftaten gewährt, die zwischen dem 25. Mai 1973 und 17. Juni 1982 begangen worden sind. Dekret Nr. 2.726/83 ordnete schließlich die Zerstörung aller Dokumente an, die im Zusammenhang mit der Militärrepression angelegt worden waren. b. Die Regierung Alfonsin Nach den Wahlen trat die Regierung von Präsident Alfonsin im JQ

Dezember 1983 ihr Amt an . Das Gesetz über nationale Pazifizierung wurde auf Vorschlag des Präsidenten vom Kongreß als ungültig aufgehoben (Gesetz 23.040). 1A In Dekreten ordnete die Regierung u.a. an : - Die Gründung der Nationalen Kommission über das Verschwinden von Personen (Comisión Nacional Sobre la Desaparición de Personas/CONADEP) unter Leitung von Ernesto Sábato. Ihr Bericht wurde 1984 vorgelegt 31 . Damit wurde der Forderung argentinischer Menschenrechtsorganisationen nach einer parlamentarischen Untersuchungskommission mit entsprechenden Befugnissen (Vorladung von Zeugen, etc.) nicht entsprochen. - Die Verhaftung der neun Mitglieder der drei ersten Militäijuntas. 29 Den Übergang zur Demokratie und die Entwicklung in den letzten vier Jahren analysieren Philip 1984; Ehrke 1984; Mármora 1985; Zalaquett 1985; Sarlo 1985; Pion Berlin 1985; Nun/Portantiero 1987; Verbitski 1987; Garzón Valdés 1988; Garzón Valdés/Mols/Spitta 1988; zur Wirtschaftspolitik vgl. Lavergne 1984 und zur Militärpolitik Fontana 1987, 1988; Varas 1988b. 30 Für einen guten Überblick siehe Nino 1988: S. 202ff. 31 Vgl. CONADEP 1985, in deutscher Übersetzung veröffentlicht vom Hamburger Institut für Sozialforschung.

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- Die Eröffnung von Gerichtsverfahren gegen die Angehörigen der Militärjunta als direkte bzw. indirekte Täter oder Komplizen \on Straftaten, wie illegale Festnahmen, Folter u.a. vor dem Obersten Militärgericht. Die Regierung unterschied bei den Tätern zwischen cen politisch Verantwortlichen für den Aufbau des Repressionssystems, einer zweiten Personengruppe, die bei der Ausführung von Befehlen Exzesse begangen hatte und einer dritten Gruppe, die lediglich Befehle ausgeführt hatte. Sie hoffte auf eine "Selbstreinigung" des Militärs durch das Oberste Militärgericht. - Die Festnahme und Aburteilung von zwei Montonero-Führern 3 2 . Es hat in der Folge schwierige Diskussionen bei der Vorbereitung und Durchführung des Verfahrens gegen die Generäle gegeben. Angehörige der Streitkräfte unterstehen der Militärgerichtsbarkeit bei allen militärischen Straftaten (Disziplinarfragen, Desertion, Rebellion), aber auch in anderen Fällen, wenn diese in Ausübung der Pflicht begangen wurden. Ihre Verteidiger lehnten die Zuständigkeit der zivilen Gerichte ab. Die Regierung setzte ein Gesetz durch, daß das Oberste Militärgericht die Generäle aburteilt; im parlamentarischen Verfahren wurde dann die Änderung beschlossen, daß, falls das Militärgericht das Verfahren nicht in einem angemessenen Zeitraum beendet, der Fall an das Bundesberufungsgericht in Buenos Aires verwiesen wird . Tatsächlich konnte sich das Oberste Militärgericht lange Zeit nicht zu einer Anklageerhebung durchringen und das Verfahren fand vor dem Berufungsgericht statt. Es ist nicht möglich, die interessanten juristischen Probleme hier weiter zu verfolgen. Rechtlich und politisch war entscheidend, ob Angehörige der Streitkräfte überhaupt zur Verantwortung gezogen werden sollten, ab welchem Dienstgrad dies geschehen sollte und ob Militär- oder Zivilgerichte •l-l für die Verfahren zuständig sind . Anfang 1985 waren ca. 1.700 Anklagen

32 Der Guerillaführer Mario Firmenich wurde im Mai 1987 wegen der Beteiligung an einer Entführung mit zwei Todesfällen zu 30 Jahren Haft verurteilt, der frühere Gouverneur von Córdoba, Ricardo Obregón Cano zu sechs Jahre Gefängnis wegen illegaler Assoziation mit den Montoneros (International Herald Tribüne, 21. Mai 1987). Darüberhinaus forderten Menschenrechtsorganisationen in einer Reihe von Fällen, in denen politische Gefangene verurteilt worden waren, ein neues Gerichtsverfahren (Siehe z.B. Amnesty International 1987b). 33 Zur Analyse der juristischen und politischen Probleme der Prozesse gegen die Militärs siehe Amnesty International 1987c, 1987d; Garro/Dahl 1987; Müller 1988. Für eine völkerrechtliche Beurteilung vgl. Kokott 1987.

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gegen rund 500 Angehörige der Streitkräfte formuliert worden. Etwa 1.000 Fälle von "Verschwundenen" übergab die Sábato-Kommission den zivilen Gerichten 3 4 . In den Verfahren gegen die Comandantes wurden General Videla (lebenslänglich), General Viola (17 Jahre Gefängnis), Admiral Massera (lebenslänglich), Admiral Lambruschini (8 Jahre Gefängnis) und Brigadier Agosti (4 1 / 2 Jahre Gefängnis) verurteilt. Frei gesprochen wurden Brigadier Graffigna, General Galtieri, Brigadier Barsilio Lami Dozo und Admiral Anaya. Die Verurteilten verloren ihren militärischen Rang, ihre Pension und das passive und aktive Wahlrecht. Im Berufungsverfahren vor dem Obersten Gerichtshof verringerte dieser die Strafe von General Viola um sechs Monate und Brigadier Agostis Gefängnisurteil auf 45 Monate. Die politische Bedeutung des Verfahrens für Argentinien wie für ganz Lateinamerika war außergewöhnlich groß. Es ist das erste Mal in der jüngeren Geschichte, daß hochrangige Militärs einschließlich dreier Präsidenten für ihre Beteiligung an klar umrissenen Straftaten gerichtlich zur Verantwortung gezogen wurden. Das gilt unabhängig davon, wie man die späteren Schritte der Regierung Alfonsin beurteilt. Für die Regierung stellte sich danach politisch die Frage, wieweit sie in der Strafverfolgung gehen wollte. Sie traf vor allem auch unter Druck des Militärs die Entscheidung, diese auf Fälle bis zu einem bestimmten Zeitpunkt zu begrenzen, und eine Reihe von Maßnahmen führte dann zu einer de facto Amnestie für den ganz überwiegenden Teil der Angeklagten. In Instruktionen des Verteidigungsministeriums an den Militärstaatsanwalt beim Obersten Militärgericht wurde dieser im April 1986 u.a. dazu aufgefordert, Fälle zusammenzulegen und keine Anklage in Fällen zu erheben, in denen die Kommandanten bereits freigesprochen worden waren. Die Instruktionen wurden in der Öffentlichkeit als Versuch der Regierung verstanden, die Prozesse zu beschleunigen, aber auch möglichst viele Fälle einzustellen. Das Gesetz 23.492 über das Ende der Strafverfolgung (Punto Final) vom Dezember 1986 schrieb eine 60tägige Frist für die Erhebung neuer Anklagen zu Straftaten vor dem 10. Dezember 1983 vor. Ausgenommen waren die Straftaten "sustitución de estado civil" und "sustracción y ocultación de menores", m.a.W. die Entführung von Kindern von Festgenommenen, die

34 Alle Zahlenangaben, soweit nicht anders ausgewiesen, nach Garro/Dahl 1987.

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von Offiziersfamilien erzogen wurden, ohne ihre tatsächlichen Eltern zu kennen. Bis zum März 1987 waren 51 Militär- und Polizeioffiziere im Zusammenhang mit Menschenrechtsverletzungen festgenommen worden, weitere 200450 Verfahren waren anhängig, ein Drittel davon gegen Offiziere im aktiven Dienst. Nachdem die Offiziere der mittleren Dienstgrade durch einen Putschversuch zu Ostern 1987 ein Ende der Gerichtsverfahren gefordert hatten und die Streitkräfte sich weigerten, gegen die Rebellen vorzugehen, akzeptierte Präsident Alfonsin deren Hauptforderung, die Amnestie. Das Gesetz Nr. 23.521 über Gehorsamspflicht (obediencia debida) nahm alle Angehörigen der Streitkräfte, Sicherheitsdienste, der Polizei und des Gefängnisdienstes bis hin zum Brigadegeneral von jeder Strafverfolgung wegen Handlungen zwischen 1976 und 1983 aus, weil sie nur Befehle ausgeführt hätten (Befehlsnotstand). Wichtigstes Kriterium war jetzt nicht der Dienstgrad, sondern die Position im Unterdrückungssystem, soweit sie erhebliche Entscheidungsautonomie bedeutete: Kommandanten der Zonen und Subzonen, in die das Land eingeteilt war, sowie Polizeichefs sollten auch weiterhin zur Verantwortung gezogen werden können. Nicht ausgenommen waren sog. "grausame und amoralische Verbrechen" wie Folter und Mord, während Vergewaltigung, Diebstahl durch Erpressung und Entführung von Kindern und Fälschung ihrer Identität vom Gesetz nicht erfaßt wurden. Die Rechtsfigur war der "error invencible" ("unvermeidlicher Irrtum"). Gemeint ist, daß die den Befehl ausführende Person davon ausgehen mußte, daß der Befehl gesetzmäßig war. Die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes wurde von dem Berufungsgericht Bahia Bianca in Frage gestellt, aber dann vom Obersten Gerichtshof bestätigt. Im Dezember 1987 empfahl der Generalstaatsanwalt dem Obersten Gericht die Einstellung der Verfahren gegen hohe Offiziere, während die Verfahren gegen die Vizeadmiräle Vanek und Torti wegen Entführung, Folter und Ermordung von Regimegegnern fortgesetzt werden sollten. Rund 270 Offiziere wurden entlassen, gegen weitere 20 hohe Offiziere wurde ermittelt 35 . Die neue Regierung unter Alfonsin hat ernsthaft versucht, die Verantwortlichen für die schweren Menschenrechtsverletzungen vor Gericht zu bringen. Der erste Schritt, die Aburteilung der politisch Verantwortlichen,

35 Der Tagesspiegel, 30.12.1987.

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gelang und stellt einen wesentlichen Fortschritt auf dem Weg zu einer zivilen politischen Kontrolle über das Militär dar. Jedoch ist es den Streitkräften durch massiven politischen Druck gelungen, die Regierung zur Verabschiedung von neuen Gesetzen zu zwingen, die praktisch auf eine Amnestierung von mehr als 90% der Beschuldigten hinauslief (wobei das Problem des konkreten Schuldnachweises im Einzelfall zu berücksichtigen ist). Jedoch muß daran erinnert werden, daß die Regierung bereits frühzeitig an eine Amnestierung der großen Personengruppe dachte, die in ihren Augen nur Befehle ausgeführt hatte. Gerichte können nun nicht mehr selbständig prüfen, inwieweit in konkreten Fällen der betreffende Militär oder Polizist gar nicht anders handeln konnte oder selbständig für grausame Verbrechen wie Folter und Mord verantwortlich war. Dies sendet sowohl politisch wie menschenrechtlich entscheidende Signale an die Streitkräfte Argentiniens wie Lateinamerikas: Politischer Druck zum richtigen Zeitpunkt und in vollem Umfang angewandt, sichert der Institution die Straflosigkeit. Es wirft darüberhinaus ein besorgniserregendes Licht auf die zivil-militärischen Beziehungen im Land, daß es bereits zwei Jahre nach der Rückkehr zur Demokratie den Streitkräften möglich war, die zivile Regierung mit Erfolg zu erpressen. Damit wird die junge argentinische Demokratie in ihrem Handlungsspielraum erheblich eingeschränkt, wenn es nicht den politischen Kräften und eventuellen demokratischen Sektoren innerhalb des Militärs gelingt,über eine neue Militärpolitik endgültig die zivile Kontrolle des Militärs festzuschreiben und auch auszuüben. Die erheblichen Stimmenverluste der UCR und die zunehmende Unterstützung für den Peronismus lassen jedoch eine solche Entwicklung auf absehbare Zeit nicht erkennen. Daß die Notwendigkeit einer demokratischen Militärpolitik im Land erkannt worden ist, zeigt eine Publikation der UCR-nahestehenden Fundación Arturo Illia para la Democracia y la Paz, in der es heißt: "... in Argentinien ist eine grundlegende Militärreform notwendig .... Die vollständige Integration der Angehörigen der Streitkräfte in das demokratische System ist eine Voraussetzung von grundlegender Bedeutung für die vorgeschlagene Reform. Bis in die Gegenwart hinein hat sich das Militär selbst von der Gesellschaft abgeschottet. Die Integration seiner Angehörigen

36 Es ist unsicher, ob es zur Zeit nennenswerte demokratische Sektoren in den Streitkräften und ihrer Führung gibt.

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stellt einen essentiellen Schritt dar auf dem Weg zu neuen Beziehungen zwischen Streitkräften und Gesellschaft" 37 . Vorgeschlagen wird darin eine Berufsarmee mit starker Betonung auf der Erziehung zur Demokratie und eine radikale Einschränkung der Militärgerichtsbarkeit auf Disziplinfragen, weiterhin eine erhebliche Verringerung der Mannschaftsstärke und des Verteidigungshaushaltes. Die Regierung Alfonsin unternahm einige wichtige Schritte in Richting auf eine effektive Kontrolle der Streitkräfte, z.B. die erneute Errichtung des Verteidigungsministeriums mit einem Zivilisten als Verteidigungsminis er, die Neustrukturierung des Nachrichtendienstes SIDE, der jetzt genauso durch einen Zivilisten geführt wird wie die Escuela Nacional de Defensa, die Hochschule der Streitkräfte. Ein Team mit starker ziviler Beteiligung TO

arbeitet an einer Reform der Militärdoktrin und der Curricula . Das Parlament hat ein Gesetz verabschiedet, das als neuen Straftatbestand die Gefährdung der verfassungsmäßigen Ordnung schafft, "Rebellion" und "Verrat" neu definiert und die Zusammenarbeit von Regierungsfunktionären mit einer de facto Regierung als Straftat definiert (Gesetz 23.077 über die Verteidigung der demokratischen Ordnung). Militärs werden zum ers:en Mal seit 1823 bei normalen Straftaten von zivilen Gerichten abgeurteilt 39 . Im April 1988 nahm das Parlament ein neues Gesetz an, das die äußere Verteidigung des Landes als Aufgabe der Streitkräfte festlegt und keine innenpolitische Intervention aus Gründen der nationalen Sicherheit zuläßt. Auch die Nachrichtenbeschaffung (inteligencia militar) über innenpolitische Vorgänge bleibt ausgeschlossen. Die Streitkräfte werden einem zivilen Nationalen Verteidigungsrat unterstellt 40 . Es ist aber unsicher, welche konkreten Auswirkungen das Gesetz haben wird. Insgesamt haben diese Schritte zusammen mit den erheblichen Kürzungen des Militärhaushaltes zu Widerstand und Ressentiments sowohl in der Militärführung, wie bei jungen Offizieren geführt 4 1 . Eine Militärreform im umfassenden Sinne ist bisher noch nicht sichtbar, aber Anfänge wurden gemacht. Drei Militärrebellionen

37 Fundación Arturo Illia para la Democracia y la Paz 1988a: S. 24. (Übersetzung fremdsprachiger Zitate durch den Vf.). 38 Stepan 1988: S. 89. 39 Nino 1988: S.203f. 40 Latin American Weekly Report, 28.4.1988. 41 Zur Meuterei der Offiziere in der Osterwoche 1987 siehe Werz 1987.

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gegen Präsident Alfonsin - die letzte im Dezember 1988 - belegen die geringe Wirksamkeit der bisher unternommenen Schritte. Eine echte tiefgreifende Militärreform ist auch deshalb notwendig, weil bisher in der Führung der Streitkräfte keinerlei R e u e über die Vergangenheit erkennbar ist 42 . Der Staatsanwalt im Verfahren gegen die Militärs, Dr. Julio Strassera, auf die Frage, ob die Militärs je R e u e gezeigt hätten: "Nein, keineswegs. Ich kann nur wiederholen, was der Parlamentspräsident gesagt hat: Unser größtes Problem ist, daß dieses Land nicht bereut. Vor kurzem hat der Stabchef der Streitkräfte, Teodoro Waldner, eine Art Schuldbekenntnis abgelegt, aber auch er sprach nur von Exzessen und von Krieg. Es gab jedoch damals keinen Krieg in Argentinien. Das Gericht hat eindeutig festgestellt, daß die Militärs mit kriminellem Vorsatz handelten, der Oberste Gerichtshof hat dies bestätigt. Zwischen Vorsatz und Exzess besteht aber ein himmelweiter Unterschied". 4 3 2. Brasilien In Brasilien hat das Militär in diesem Jahrhundert wiederholt in die Politik eingegriffen und die gewählten Präsidenten gestürzt (z.B. zweimal Getulio Vargas) 4 4 . Im März 1964 setzten die Streitkräfte Präsident J o ä o Goulart ab, nachdem dieser auf einigen Gebieten eine Reformpolitik durchgesetzt hatte (Enteignungen zugunsten landloser Bauern, Verstaatlichung privater Ölfirmen). Auch in der Außenpolitik, etwa gegenüber Kuba, nahm er eine von den U S A unabhängige Position ein 4 5 . Im Land selber hatte sich die wirtschaftliche Lage erheblich verschlechtert, während es gleichzeitig zur zunehmenden Mobilisierung armer Bevölkerungsschichten kam. In den Augen des Militärs verfolgte Goulart eine zu linksgerichtete und populisti-

42 Vier argentinische Offiziere haben jetzt Vorschläge für eine solche R e f o r m veröffentlicht (Garcia u. a. 1987). 43 Zit. nach D e r Spiegel 1987: S. 193. 44 Zum politischen System vgl. Robock 1975; M c D o n o u g h 1981; Roett 1984, zur Einführung Lühr 1982; Zenk 1982. D i e politische Rolle des Militärs analysieren Moltmann 1975; Silva 1987, zur Fraktionalisierung innerhalb der Streitkräfte Bacchus 1986; Zirker 1986. D i e Entwicklung der Militärindustrie und des Waffenexports untersuchen Perry Wais 1986 und Wöhlke 1987. D e r erste Teil beruht u.a. auf der Fallstudie zu Brasilien in A m n e s t y International 1985b. 45 Zur Phase 1964-1984 vgl. die Arbeiten von Fiechter 1974; Grabendorff/Nitsch 1977; Hewlett 1980; German 1983; Moreira Alves 1984. Zur Rolle der U S A siehe Black 1977.

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sehe Politik; Streiks und Studentenunruhen bedrohten den wirtschaftlichen Fortschritt und die nationale Sicherheit. Charakteristisch für das brasilianische Militär ist eine Doktrin der Nationalen Sicherheit, in der Sicherheil in unmittelbarer Verbindung mit der Entwicklung des Landes, und das heißt vor allem: Industrialisierung, gesehen wird. Unter den Generälen Castelo Branco, Costa e Silva, Mèdici und Geisel entwickelte sich das Land zu einem Modellfall für Wirtschaftswachstum tnd Industrialisierung bei gleichzeitiger Verelendung und Entrechtung der Masse der Bevölkerung. Das brasilianische "Wirtschaftswunder" - Zuwachsraten des Wirtschaftswachstums von jährlich zeitweise 10% - kam nur einem kleinen Teil der Bevölkerung zugute 46 . 1969 verabschiedete die Regierung das Gesetz über Nationale Sicherheit, in dem die gleichnamige Doktrin ihren vollen Ausdruck fand. Es wurde erst im Dezember 1983 vom Kongreß geändert und führte dann zur Freilassung der Langzeitgefangenen. Nachdem 1968 ein Oppositionsabgeordneter die Gewalt, mit der Studentenunruhen unterdrückt wurden, im Kongreß kritisiert hatte, verlangte die Regierung die Aufhebung seiner Immunität. Der Kongreß weigerte sich und der Oberste Gerichtshof nahm sogar Habeas-Corpus-Anträge für 46 in Säo Paulo festgenommene Studenten an. Daraufhin wurde der Kongreß aufgelöst und drei unbequeme Angehörige des Obersten Gerichtshofs abgelöst, worauf dessen Präsident zurücktrat. Nach diesen Ereignissen erließ die Regierung 1969 ein Ato Institucional No. 5, der die Aufhebung des Habeas-Corpus-Rechtes für Personen vorsah, die der Staat beschuldigte, Straftaten gegen die nationale Sicherheit begangen zu haben. Mit allen Mitteln sollte die in den sechziger Jahren entstandene Stadtguerilla vernichtet werden, was schließlich auch gelang 47 . Illegale Festnahmen und besonders der systematische Gebrauch der Folter, nicht selten mit Todesfolge, waren weitverbreitete Menschenrechtsverletzungen 48 . Sie wurden durch Spezialeinheiten der politischen Polizei

46 Zur Wirtschafts- und Sozialpolitik siehe z.B. Evans 1979 und Calcagnotto 1983. 47 Zur politischen Linken und Guerilla vgl. Alves/Marighela 1971 und Arquidiocese de Säo Paulo 1987: S. 89-116. 48 Zu Menschenrechtsverletzungen siehe U.S. Congress 1977-88; Amnesty International 1971a88a; 1972b; Comité Brasileiro pelo Anistia 1979; Sanders 1981; Löbsack-Füllgraf 1985; Eloysa 1987; Arquidiocese de Sao Paulo 1987. Die Entwicklung brasilianischer Menschenrechtsorganisationen beschreibt Frühling 1987. Zu gegenwärtigen Menschenrechtsproblcmen siehe Benevides-Fischer 1985; Amnesty International 1987b, 1988b, 1988c.

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und des Militärs verübt, wie das Departamento de Ordern Politica e Social ( D O P S / D E O P S ) , Opera?äo Bandeirantes (OBAN) und Destacamento de Operagoes de Informagoes - Centro de Operagoes de Defesa Interna (DOICODI). Bereits 1972 hatte Amnesty International eine Liste von 1081 Personen zusammengestellt, die seit 1968 gefoltert worden waren. Zwei Jahre später überreichte sie der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen eine Liste mit 210 Namen von Personen, die unter ungeklärten Bedingungen in Haft gestorben waren 4 9 . Eine Namensliste von 125 "Verschwundenen" hat die Erzdiözese von Säo Paulo in ihrer Bestandsaufnahme der Menschenrechtsverletzungen ab 1964, "Brasilien: Niemals wieder" veröffentlicht. Darüberhinaus haben Todesschwadrone, die der brasilianische Staat offensichtlich schützte, über eintausend Menschen ermordet; nur in wenigen Fällen wurden die Täter angeklagt 50 . In politischen Prozessen zwischen 1964 und 1979 wurden über 7.300 Personen vor Militärgerichten abgeurteilt 51 . Innerhalb des Militärs setzte sich vorübergehend eine liberalere Linie durch und zwei Parteien durften an den Kongreßwahlen 1974 teilnehmen. Nachdem jedoch die Oppositionspartei, das Movimento Democrätico Brasileiro (MDB), erhebliche Stimmgewinne gegenüber der Regierungspartei A R E N A verzeichnen konnte, gewann die harte Linie wieder die Oberhand. 1975 verschärfte sich unter General Geisel erneut die Lage, die Folter nahm zu und im ganzen Land begannen sich die Bürger, Organisationen und Institutionen gegen die Folter und Entführungen zu wehren. Die Lage für die Militärs verschlechterte sich zunehmend: Die wirtschaftliche Entwicklung hatte seit der Energiekrise 1973-74 ihre Dynamik eingebüßt, eine zunehmende Fraktionierung innerhalb des Militärs aus politischen Gründen und auch aus materiellen Interessen stellte eine Gefahr für die Einheit der Institution dar. Am Anfang der "Entspannung" (distensäo) und später "Öffnung" (abertura) stand mehr Meinungsfreiheit und 1978 die Aufhebung der Zensur für Zeitschriften und Bücher. Der fünfte Präsident der Diktatur, General Figueiredo, trat 1979 sein Amt an und versprach die Wiederherstellung der Demokratie. Er unterbreitete die lange von der

49 Amnesty International 1972b; 1974a: S. 45. 50 Viele Mordopfer waren vorher gefoltert worden. Nach Amnesty International 1972b: S. 4248, hier S.43, mit Bezug auf brasilianische Presseberichterstattung. 51 Arquidiocese de Säo Paulo 1987: 85, 291-293.

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brasilianischen Öffentlichkeit geforderte Amnestievorlage dem Kongreß, ier sie 1979 verabschiedete 52 . Das Gesetz gewährte eine Amnestie für die politischen Straftaten für den Zeitraum zwischen dem 2. September 1)61 und 15. August 1979, in die Privatpersonen, Militärangehörige und andere Staatsangestellte eingeschlossen sind. Auch sah es die Möglichkeit 1er Wiedereingliederung von aus politischen Gründen entlassenen Staatsargesteilten, Polizei- und Militärangehörigen vor 53 . In der Politik versuchte das Militär durch zahlreiche Manöver - u.a. 1)77 die Besetzung eines Drittels des Senats durch die Regierung und Veränderungen des Wahlsystems - einen zu starken Einfluß des PMDB (Nachfolger des MDB) zu verhindern. Nach Veränderungen in beiden Parteien wurde schließlich der Kandidat der Opposition, Tancredo Neves, 1985 zum neuen Präsidenten gewählt. Nach seinem Tod übernahm Vizepräsident José Saney sein Amt. Die Regierung Sarney Rhythmus, Form und Bedingungen des Übergangs zur Demokratie wurden in erheblichem Ausmaß von der Führung des Militärs bestimmt 54 . Weder hatte es eine Niederlage erlitten wie die argentinischen Streitkräfte, noch waren die neu entstandenen zivilen Organisationen stark genug, eine systematische Untersuchung der Menschenrechtsverletzungen unter der Diktatur zu fordern. Der MDB hatte sich zwar bereits 1969 für eine Untersuchung der Folterpraxis unter der Militärregierung ausgesprochen, aber der politische Druck der Streitkräfte war erfolgreich: Angehörige der Streitkräfte wurden nicht für Straftaten zur Verantwortung gezogen. Auch blockierten sie eine Amnestie, die die Rechte von 2.600 Offizieren wiederhergestellt hätte, die aus politischen Gründen unter der Diktatur entlassen worden waren 55 .

52 Vgl. Congresso Nacional 1982. 53 Für den Text siehe: Ebda, Bd. II: S. 233-235. 54 Für den Übergang zur Demokratie und der Entwicklung seit der Präsidentschaft Sarney vgl. Black 1980; Gali 1981; Cardoso 1986; Mainwaring 1986; Marques Moreira 1984; Martins 1986; Cordelier 1987; Selcher 1986,1988. Zum Militär vgl. Stepan 1988; Brigagäo 1988, zur Außenpolitik Tauber 1985. 55 Mainwaring 1986: S. 174.

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Die Rechtsfigur des "Gehorsams gegenüber dem Vorgesetzten" spielte auch in dem Sinn keine Rolle, daß ein General als Vorgesetzter zur Verantwortung gezogen worden wäre. Im Dezember 1987 ist jedoch mit dem früheren Kommandanten des Präsidialamtes und Chef des Geheimdienstes, Newton Cruz, zum ersten Mal ein höherer Offizier wegen Mordes an dem Journalisten Alexander von Baumgarten, seiner Lebensgefährtin und einem Bootsführer vor ein Gericht in Rio de Janeiro gestellt worden 5 6 . Das Militär als Institution nahm nicht, wie in Argentinien, abschließend zu seinem Verhalten Stellung, jedoch haben einzelne Militärs nachdrücklich S7

den Kampf gegen die Subversion erklärt und gerechtfertigt . In den folgenden beiden Fällen handelt es sich um Reaktionen auf den Bericht über Menschenrechtsverletzungen der Erzdiözese von Säo Paulo, "Brasilien: Niemals wieder". Coronel Brilhante Ustra war Militärattache an der brasilianischen Botschaft in Montevideo, als ihn die Bundesabgeordnete Bete Mendes als ihren Folterer wiedererkannte. Er wurde von Präsident Sarney abberufen. Sein Buch "Rompendo o Silencio" dient sowohl seiner persönlichen Rechtfertigung als auch der Erklärung und Begründung des Kampfes gegen die Subversion. Brilhante Ustra war September 1970 bis Januar 1974 D O I / C O D I Kommandant. In seinem Buch gibt er neben der Darstellung und Zurückweisung der Vorwürfe von Frau Mendes eine ausführliche Darstellung des Guerillakrieges, einschließlich der Überfälle, Attentate und Entführungen sowie des Kampfes der Streitkräfte. Vier Themen kehren regelmäßig wieder: - Die Tatsache einer umfassenden und unmittelbaren Bedrohung für Staat und nationale Sicherheit, auf die geantwortet werden mußte. - Die Brutalität der Guerilla in ihren Anschlägen, die C105 Menschen das O Leben gekostet und 343 Verletzte hinterlassen haben . - Die Gefangenen seien menschlich behandelt worden, Folter hätte es nicht gegeben. Solche Beschuldigungen werden als Propaganda der Subversion zurückgewiesen. - Die Überzeugung, daß es sich um einen Krieg handelte.

56 Der Tagesspiegel, 31.12. 1987. 57 Vgl. z.B. Pollo Giordani 1986; Brilhante Ustra 1987. 58 Brilhante Ustra 1987: S. 182.

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Besonders der letzte Punkt ist hier von Interesse. In einem kurzen Beitrag mit dem Titel "Krieg ist Krieg" stellt er den hinterhältigen und gesetzlosen Krieg der Guerilleros gegen den Staat ihren Ansprüchen an Staat und Streitkräften gegenüber, Gefangene wie gewöhnliche Bürger zu behandeln. Wenn ein Land ein anderes angreife, dann fragten die Streitkräfte nicht die U N O oder OAS nach einer Genehmigung. Denn Krieg sei Krieg 59 . Tenente Polio Giordani hat im Geheimdienst der Streitkräfte (servio secreto) gearbeitet und bietet in seinem Buch eine politische Analyse cer Subversion, in deren Zentrum die Entstehung der Guerilla und die subversive Kirche steht. Von einer deutlich rechtskonservativen Position aus unterzieht er die Kirche und das Buch "Brasilien: Niemals wieder" eirer vernichtenden Kritik 60 . Für die Zukunft ist der Offizier optimistisch: Der nationale Informationsdienst SNI verfüge heute über sehr lange Führer ("abarca os mais longínquos tentáculos"). Ihm zufolge schuf Brasilien cen mächtigsten Informationsdienst des südamerikanischen Kontinents 61 Polio Giordani zeigt schließlich, daß das Sicherheitsbedürfnis über das Land hinaus ging: Eine Invasion Uruguays war nach seinem Bericht 1972 für den Fall geplant, daß die Tupamaros - gemeint ist wohl die Frente Amplio in Wahlen an die Macht kämen 6 2 . In beiden Büchern fehlt eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der unmittelbaren Vergangenheit. Übergriffe der Streitkräfte werden nicht einmal in einem geringen Umfang - in anderen Ländern die sog. Exzesse anerkannt. Entsprechende Kritik wird durch Propaganda der Subversion bzw. ihrer Helfer wegerklärt. Ein politisches Mandat für die Streitkräfte sehen die Autoren nicht als Problem. Die Rettung von Volk und Nation vor der subversiven Gefahr erklärt und rechtfertigt die Politik der Streitkräfte. Politische und wirtschaftliche Konzeptionen der Streitkräfte für das Land stehen in beiden Büchern nicht im Vordergrund, sondern lediglich die Erfordernisse nationaler Sicherheit im engeren Sinne. Zwar kann nicht von diesen beiden - seltenen - Beiträgen brasilianischer Militärs auf das Denken der ganzen Institution geschlossen werden. Jedoch geben sie zusammen mit dem praktischen politischen Verhalten der

59 60 61 62

Ebenda, S. 157L Vgl. Polio Giordani 1986: S. 95. Polio Giordani 1986: S. 100. Ebenda, S. 246.

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Institution nach der Diktatur einen deutlichen Eindruck von dem Selbstbewußtsein und politischen Willen, auch weiterhin den Monopolanspruch über Sicherheitsfragen im weitesten Sinn (und die Entwicklung des Landes?) aufrechtzuerhalten. Auch in ihrer professionellen Rolle, der Landesverteidigung, ist die Mission der Streitkräfte unklar und wird von den Zivilisten entweder nicht als Problem begriffen oder sie fühlen sich zu schwach, politische Konzepte durchzusetzen. In den Worten von Luciano Martins : "Welche neue Rolle kann dem Militär nach zwei Jahrzehnten autoritärer Herrschaft zugewiesen werden, um die Existenz von professionellen Soldaten in einem geopolitischen Kontext zu rechtfertigen, in dem es keine äußeren Feinde gibt, gegen die man die Gewehre richten könnte? Solch eine neue Rolle - wie immer sie auch aussähe - würde eine völlige Neuformulierung der gegenwärtigen Doktrin der "Nationalen Sicherheit" nötig machen. Es gibt keine Anzeichen dafür, daß eine solche Neuformulierung in Brasilien im Gange wäre, weder durch die Initiative der Militärs selber, noch durch die Initiative der politischen Opposition. Tatsächlich scheinen die politischen Parteien, die in Brasilien für die Demokratie kämpfen, dies seltsamerweise nicht für eine politische Notwendigkeit zu halten. Für die nächste Zeit wird die 'militärische Frage' deshalb als Hindernis für die Einrichtung einer dauerhaften demokratischen Regierung bestehen bleiben." Der beherrschende Einfluß des Militärs auf die zivile Politik besteht fort. Maßgebliche Gründe sind: - Die starke Vertretung im Kabinett mit sechs Ministern für Armee, Luftwaffe, Marine, Geheimdienst, Casa Militär und Oberster Generalstab. - Ein riesiges Informantennetz mit ca. 50.000 Personen durchdringt fast alle staatlichen Institutionen und steht unter dem Befehl eines Generals 6 4 . - Pensionierte Offiziere arbeiten in vielen Spitzenpositionen der Wirtschaft, ein Prozeß, der kurz nach der Machtübernahme 1964 begann. Die brasilianische Rüstungsindustrie spielt in der Wirtschaft eine zentrale Rolle und der Waffenexport liegt bei einem Wert von mehreren Milliarden US-Dollar. Das Ziel einer militärischen Nutzung der Nuklearenergie steht außer Frage.

63 Martins 1986: S. 94. 6 4 Cordelier 1987; Stepan 1988: S. 13-29.

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- Die in der Verfassung von 1967 verankerte Doktrin der Nationalin Sicherheit und Polizeifunktion des Militärs bei inneren Unruhen: Art. 89 Jede natürliche oder juristische Person ist innerhalb der durch cas Gesetz bestimmten Schranken verantwortlich für die nationde Sicherheit. Art. 90 Einrichtung eines Nationalen Sicherheitsrats, der den Präsidenten berät. Art. 91 Der Nationale Sicherheitsrat soll die Befugnis haben: I. Probleme im Zusammenhang mit der nationalen Sicherheit :u studieren, in Zusammenarbeit mit den Organen des Geheimdienstes und jenen Institutionen, die verantwortlich sind für cie Vorbereitung der nationalen Mobilmachung und der militärischen Operationen. ... Art. 92 Paragraph 1: Es ist der Auftrag der Streitkräfte, das Land ru verteidigen, sowie die verfassungsmäßigen Institutionen und Recht und Ordnung zu garantieren 6 5 . Das Eingreifen des Militärs ist hiermit ohne offizielle Notstandserklärung möglich. Truppen wurden von der Regierung Sarney auch bereits wieder gegen Streikende eingesetzt. Der in der Verfassungsgebenden Versammlung geäußerte Wunsch nach Veränderung des Artikels 92 wurde vom Heeresninister sofort zurückgewiesen. Während der schleppenden Arbeit an der neuen Verfassung 1987/38 versuchten die Militärs, für sich eine institutionelle Rolle in der Verfassung festzuschreiben. Dies ist ihnen weitgehend gelungen. In der neuen :m Oktober 1988 angenommenen Verfassung sind sie weiterhin berechtigt, zum Schutz der Verfassung und Aufrechterhaltung der Ordnung einzugreifen, jedoch nur auf Aufforderung und Ermächtigung durch Exekutive, Legislative oder Justiz. Der Nationale Sicherheitsrat wird durch einen nationalen Verteidigungsrat mit schwacher Beteiligung des Parlaments ersetzt. Der SNI wird zwar "restrukturiert", arbeitet aber offensichtlich mit dem überwiegend gleichen Personal und derselben Aufgabenstellung weiter 66 . Dies kommt auch in einer Arbeit Alfred Stepans über zivil-militärische Beziehungen im Cono Sur zum Ausdruck. Mit Hinweis auf die entscheidende Rolle der Streitkräfte während und nach dem Übergang zur Demokratie

65 Zit. nach Peaslee (Hrsg.) 1970: S. 171f. 66 Vgl. Veja, 21.9.88 und 14.12.88.

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warnt er vor einer zu oberflächlichen Sicht von "Liberalisierung" und "Demokratisierung": "In Brasilien wurde nicht nur die Rolle des Militärs im Übergang kaum analysiert, es gab auch nur wenige Debatten darüber, wie die Politik in Zukunft zu demilitarisieren sei. Viele Leute schienen zu glauben, daß mit einem zivilen Präsidenten und der parlamentarischen Mehrheit der früheren Oppositionspartei die Demilitarisierung der Politik ohne explizite Strategie vor sich gehen würde. Es ist nun ersichtlich, daß dies eine falsche Erwartung war. Da für das Funktionieren einer modernen Demokratie ein Gewaltmonopol notwendig ist, bedeutet das Unvermögen, das Militär zu kontrollieren eine Abdankung des demokratischen Staates" 6 7 . Ob aus Resignation oder mangelnder Analyse ihrer Bedeutung, eine demokratische Militärpolitik und eine R e f o r m des Militärs sind nicht in Sicht, ebensowenig wie Konzepte oder Strategien, die eine solche R e f o r m vorantreiben könnten. 3. Uruguay Uruguay hatte Jahrzehnte westlicher Demokratie mit fortschrittlicher Sozialgesetzgebung, politischer Stabilität und einer klar auf den Verteidigungsauftrag begrenzten Rolle des Militärs hinter sich, als sich in den sechziger Jahren die wirtschaftliche Lage aufgrund mangelnder Modernisierung und Veränderungen in der Weltwirtschaft zunehmend verschlechterte . Notstandsmaßnahmen wurden 1967 und 1968 verhängt. a. Die Diktatur Der Zusammenbruch der Demokratie in Uruguay vollzog sich in einem schleichenden Übergang von einer zunehmend autoritären zivilen Regierung zu einer militärisch abgestützten Diktatur eines zivilen Präsidenten. Erst 1981 übernahm ein Militär, General Gregorio Alvarez, als Präsident die Macht.

67 Stepan 1988: S. X V . 68 Zu Geschichte und politischem System vgl. Puhle 1968; Kerbusch 1971; N e s c h e n 1971; Finch 1981. Für kurze Einführungen vgl. Nohlen 1982a, 1982b. Zur politischen Rolle des Miltärs siehe Huerto Amarillo 1986; Perelli 1987.

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Die Regierung, immer weniger fähig, mit den sozialen und politischen Protesten im Land umzugehen, setzte stattdessen auf Unterdrückungsmainahmen. Mit dem Entstehen einer Guerillabewegung, den Tupamarts, verschärfte sich die innenpolitische Situation weiter, insbesondere als diese von eher symbolischen Aktionen zu Entführungen und Gewalttaten übergingen. Auch das Parlament war der Krise nicht gewachsen und unterstützte fast durchweg die vom Präsidenten vorgeschlagenen Notstandsmaßnahmen, bis es von der Regierung aufgelöst wurde. Die Regierung rechtfertigte die Notstandsmaßnahmen mit dem Kampf gegen Terrorismus und Subversion. Die Lage verschärfte sich besonders 1972 nach dem Amtsantritt Juan Maria Bordaberrys 69 . Inhaftiert wurden unter ihm vor allem Streikende und Gewerkschaftsmitglieder: Im April 1972 verkündete die Regierung den inneren Kriegszustand (estado de guerra interna), wodurch sie die Gesetzgebungsbefugnisse erhielt und Zivilisten in geheimen Verfahren von Militärgerichten abgeurteilt werden konnten. Zwar hat die Asamblea General, das Parlament, diese Maßnahmen wieder aufgehoben, aber gleichzeitig verabschiedete sie 1973 ein Gesetz über nationale Sicherheit, in dem das Strafmaß für politische Delikte (Angriff auf die Verfassung, subversive Vereinigung, Vereinigung zur gewaltsamen Nötigung von Staatsbeamten u.a.) heraufgesetzt und die Verfahren vor Militärgerichten beibehalten wurden. Im Juni 1973 löste die Regierung das Parlament auf. An dessen Stelle trat ein Staatsrat mit 25 von der Regierung ernannten Mitgliedern, der zusammen mit der "Junta de Oficiales Generales", 20 hochrangigen Generälen, den "Consejo de la Nación" bildete, der jetzt für die Verabschiedung von Gesetzen zuständig war. Die Regierung verbot 14 linksgerichtete 70

Parteien und den nationalen Gewerkschaftsbund CNT . Ebenfalls im Juni 1973 wurde durch das Dekret 464 "die Veröffentlichung (mündlich, schriftlich, im Fernsehen) jeder Art von Information, Kommentar oder Aufnahme, die direkt oder indirekt der Regierung diktatorische Tendenzen unterstellt oder 71 wahrscheinlich den Frieden und die öffentliche Ordnung stört" verboten .

69 Zur Entwicklung 1970-1985 siehe ICJ Review 1976; Koch 1978; Kaufman 1979; Dressel 1979; Heinz 1986; Lerin/Torres 1987. Zur Sozialpolitik Nohlen/Sturm/Wachendorfer 1984. 70 Dessen Nachfolgeorganisation CGTU wurde aus dem Internationalen Bund Freier Gewerkschaften ausgeschlossen, da er nur noch die Interessen der Militärregierung vertrat. 71 ICJ Review 1976: S. 19.

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b. Guerilla Bereits 1962/63 hatten vor allem Studenten die "Bewegung für nationale Befreiung" (MLN/Tupamaros) gegründet, die 1968 mit den ersten bewaffneten Aktionen begann . Sie ging vom kubanischen foco-Konzept aus, nach dem kleine "Brennpunkte" bewaffneter Aktionen die revolutionäre Machtergreifung beschleunigen würden. Der französische Tupamaro-Spezialist Alain Labrousse fragte einen Tupamaro-Führer, welche die Richtlinien der Strategie seien. Dieser antwortete: "Möglichst bald eine Streitmacht zu schaffen, die in der Lage ist, die durch die Wirtschaftskrise oder durch andere Faktoren entstandenen günstigen Bedingungen auszunützen. Der Bevölkerung - durch die Aktivitäten der bewaffneten Gruppe oder durch andere Mittel - die Tatsache bewußt zu machen, daß es ohne Revolution keine Veränderungen geben wird;... sich im Hinblick auf eine kontinentale Aktion mit anderen Bewegungen in Lateinamerika in Verbindung setzen" . Die Bewegung wurde nach dem rapiden Ausbau und Training des Militärs in Aufstandsbekämpfung durch die USA 1972/73 zerschlagen, diente aber zur Rechtfertigung einer fortgesetzten Repression, die sich nun gegen vermeintliche Sympathisanten und die ganze linke und liberale Opposition richtete 74 . Die Militärdiktatur war für zahlreiche Menschenrechtsverletzungen, vor allem Folter und politische Inhaftierung, aber auch mehr als 160 Fälle von 7S

"Verschwindenlassen" verantwortlich . Viele Uruguayer verließen ihr Land. Das Militär hält heute seine Vorgehensweise für außerordentlich human im Vergleich z.B. zu Argentinien. In einem Interview im Mai 1988 betonte

72 Zur Guerilla vgl. Labrousse 1971; Moss 1972; Davies 1974; Allemann 1974; Halperin 1976; Waldmann 1982. 73 Labrousse 1971: S. 58. 74 Heute sehen die Ex-Tupamaros den bewaffneten Kampf als Fehler an. Sie haben in der neuen Demokratie eine politische Organisation gegründet. 75 Für eine Ubersicht vgl. Heinz 1986. Zu Menschenrechtsverletzungen siehe U.S. Congress 1977a-88a, 1976b; Amnesty International 1973a-88a, 1976b, 1978b, 1978c, 1979b, 1979c; Gregg Bloche 1987; Organización de los Estados Americanos 1979, 1982. Zur Rolle der USA in Uruguay, besonders in bezug auf die Zusammenarbeit mit Militär und Polizei, siehe NACLA 1972; Stein 1974; Stein/Klare 1974; Agee 1979.

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Verteidigungsminister General a.D. Medina: "Es gab fünftausend Gefange1 f\

ne? Es hätten auch viertausend Tote sein können" . 1976 zwangen die Militärs Bordaberry zum Rücktritt. Ausführlich wird das politische Eingreifen der Streitkräfte mit dem Vordringen der Subvers:on begründet: "Der Kommunismus, der mit der bolschewistischen Revolution im Oktober 1917 an die Macht kam, stellt in diesem Jahrhundert die direkte oder indirekte, sichtbare oder verborgene Quelle der Subversion in der gegenwärtigen Welt dar. Als eine Sache von großer Anziehungskraft, ist er seit damals in der einen oder anderen Form mit der Mehrheit der Probleme verbunden, die die Welt auf politischem, wirtschaftlichem, diplomatischem, sozialem, kulturellem und militärischem Gebiet erlebt, als Folge 7*1 der Ausbreitung und der zunehmenden Gravitation des Kommunismus" . Unter Präsident Aparicio Méndez suchten die Streitkräfte 1980 durch ein Referendum über eine neue Verfassung die verlorene Legitimität zurückzuerhalten. Die Mehrheit der Bevölkerung stimmte jedoch gegen die neue Verfassung. Protestaktionen der Bevölkerung nach chilenischem Vorbild nahmen zu. c. Rückkehr zur Demokratie 1984/85 setzte sich innerhalb der Streitkräfte die Auffassung durch, daß die Rückkehr zur Demokratie - nicht unbedingt zur liberalen Demokratie der sechziger Jahre - notwendig war. Das Land befand sich politisch und wirtschaftlich in einer katastrophalen Lage und war außenpolitisch isoliert. 78 Jetzt suchte die Führung des Militärs den Kontakt mit den Führern der traditionellen Parteien, Colorados und Blancos (oder: Nationale Partei) 79 .

76 Interview des Journalisten Neber Araújo mit General a.D. Hugo Medina, La República, 25.5.1988. Der General spricht den Familienangehörigen der "Verschwundenen" sein persönliches Bedauern aus und betont, die Festgenommenen hätte man erst in "energischer oder weicher Form" verhört und dann in den Gefängnissen menschlich behandelt. 77 República Oriental del Uruguay, Junta de Comandantes en Jefe 1976, Bd. 1: S. 21. 78 Der Architekt des Übergangs und spätere Verteidigungsminister, General a. D. Hugo Medina, hat im Mai 1988 das wirtschaftliche Versagen der Regierung und die Niederlage im Verfassungsplebiszit 1980 als Hauptgründe für die Rückkehr zur Demokratie angegeben (La República, 29.5.1988) 79 Zum Ubergang und der Entwicklung nach 1985 vgl. die Analysen von Handelman 1981; Gillespie 1986; Lücker 1986; Ransom 1987.

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Bei den Verhandlungen 1984 im Club Naval verfolgten die Militärs unter General Medina zwei Hauptziele. Das politische System sollte entsprechend den Vorstellungen der 1980 vorgeschlagenen Verfassung verändert und die Interessen der Institution der Streitkräfte (keine Strafverfolgung, Autonomie als Organisation u.a.) sichergestellt werden. Colorados, Frente Ampho und Blancos (sie verweigerten die Teilnahme) waren an möglichst schnellen Wahlen und der Übergabe der Regierung an Zivilisten interessiert. Das Militär konnte sich mit seinen Vorstellungen zum politischen System nicht durchsetzen, erhielt aber die Zusicherung der Politiker, daß seine Interessen geschützt werden. Während der Wahlen 1984 war der Blanco-Führer Wilson Ferreira Aldunate im Gefängnis und durfte nicht kandidieren. Die Colorados unter Sanguinetti gewannen, und der neue Präsident war von Anfang an auf einen Ausgleich mit den Streitkräften bedacht. Wie aber der Schutz ihrer Interessen im einzelnen aussehen sollte, erwies sich nach den Gesprächen im Club Naval als kontrovers. Mit deutlichem Blick auf das argentinische Beispiel ging es den Militärs und einigen Politikern, besonders bei den Colorados, um eine Amnestie für die Straftaten während der Diktatur. Colorados und Blancos legten beide ftn entsprechende Gesetzentwürfe vor . Während die Colorados eine Amnestie für alle politischen Straftaten vor dem 1. März 1985 vorschlugen, traten die Blancos zwar ebenfalls für eine Aufgabe des staatlichen Strafanspruchs ein, nahmen aber drei Kategorien aus: laufende Verfahren, persönliche Vorteilsnahme (provecho econömico) und Straftaten ohne Anordnung von 81

höheren Dienststellen . Bei einem neuen Treffen der Militärführung mit den politischen Parteien 1986 präsentierte diese ein Dokument, in dem sie Übergriffe während der Diktatur einräumte. Nach intensiver Diskussion wurde schließlich am 22. Dezember 1986 das Gesetz 15.848 über die Aufgabe des staatlichen Strafanspruchs (Ley de Caducidad de la Pretension Punitiva del Estado) mit einer Zweidrittelmehrheit im Senat und einer Dreifünftelmehrheit im Abgeordnetenhaus verabschiedet "*. 80 Für eine hilfreiche Textsammlung von Gesetzentwürfen, Stellungnahmen u.a. vgl. Centro Uruguay Independiente 1987. 81 Für die Texte vgl. ebenda S. 36, 38ff. 82 Zur Analyse dieses Gesetzes siehe Casinelli M u ñ o z 1987, Beiträge und Stellungnahmen in Centro Uruguay Independiente 1987 und Amnesty International 1987b, 1987c.

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Das Gesetz ist in drei Kapitel aufgeteilt, die die Bereiche Strafverfolgung des Militärs, Rehabilitierung von 1974 zwangspensionierten Militärs und Beziehungen Regierung/Streitkräfte in bezug auf Beförderungen regeln. Im ersten Kapitel wird festgelegt: - Der Staat verzichtet darauf, seinen Strafanspruch gegenüber Polizei- und Militärangehörigen in bezug auf alle Handlungen vor dem 1. März 1985 durchzusetzen (Art.l). - Ausgeschlossen bleiben Delikte, die bereits gerichtlich untersucht werden und die aus Motiven persönlichen Vorteils oder des Vorteils für Dritte verübt wurden (Art. 2). - Die für Untersuchungen von Delikten nach Artikel 1 und 2 zuständigen Richter müssen innerhalb eines Monats von der Regierung Aufklärung darüber erhalten, ob diese Fälle von dem Gesetz betroffen sind oder nicht. Falls die Regierung ihnen bestätigt, daß sie durch das Gesetz abgedeckt sind, muß der Richter das Verfahren einstellen. Zwischen dem Datum der Verabschiedung des Gesetzes und dem Tag, an dem der Richter die Antwort der Regierung erhält, werden die Voruntersuchungen eingestellt (Art.3). - Die betreffenden Richter müssen Anzeigen zu vermutlich festgenommenen oder verschwundenen Personen sowie entführten Minderjährigen an die Regierung übersenden, die innerhalb 120 Tagen deren Angehörigen die Ergebnisse ihrer Untersuchungen mitteilt (Art. 4). Das Gesetz stellt eine Generalamnestie für Polizei- und Militärangehörige mit Ausnahme von zwei Deliktgruppen dar. Es verspricht den Familien, die während der Militärdiktatur Opfer zu beklagen hatten, Untersuchungen der Regierung über den Verbleib ihrer Angehörigen. Das Verteidigungsministerium beauftragte z.B. Militärstaatsanwalt Oberst José Sambucetti, die Fälle dreier "Verschwundener", Félix Sebastián Ortiz Piazolo, Fernando Miranda Pérez und Omar Antonio Paitta Cardozo, zu untersuchen. In keinem Fall konnte nach den Berichten des Obersten die Festnahme der Betroffenen nachgewiesen werden. Die Angehörigen der Opfer weigerten sich später im Verlauf der Untersuchung, mit einem Militäroffizier im aktiven Dienst zusammenzuarbeiten, da die notwendigen Garantien für Unparteilichkeit und Unabhängigkeit fehlten 8 3 . 1988 wurde bekannt, daß in den Untersuchungen

83 Amnesty International 1987b: S. 4f..

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des Obersten in sechs Fällen von "Verschwundenen" die Behauptungen, die Sicherheitskräfte seien beteiligt gewesen, nicht bestätigt werden konnten . Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International hatte zwar Präsident Sanguinetti in einem Brief versichert, daß jede Regierung selbst den geeigneten Weg zu einer nationalen Versöhnung finden müsse, aber auf der Untersuchung von Menschenrechtsverletzungen in der Vergangenheit or

bestanden . Präsident Sanguinetti antwortete der Organisation u.a.: "Das Problem der Bestrafung von Militär- und Polizeiangehörigen, die Delikte gegen Personen begangen haben, ist durch die zunehmende Politisierung komplizierter geworden. Nach Meinung der Exekutive ... benutzt man den Slogan 'Gerichtsverfahren und Strafe für die Schuldigen', um eine Bresche zwischen die Streitkräfte und den Rest des Landes zu schlagen. Es wird eine auf Anschuldigungen und Anklagen beruhende aggressive Kampagne betrieben, die ohne Zweifel die Richter befangen machen soll. Angesichts dieser Situation ist es offensichtlich, daß die Exekutive so handelt, daß der öffentliche Frieden erhalten bleibt, um dieser giftigen Pflanze die Wurzeln abzuschneiden. Aber man sollte meinen, daß dieser Gesichtspunkt - die Politisierung - unwesentlich ist und nicht daran hindert, den Prozeß weiter durchzuführen" 86 . Und im März 1987 kommentierte der Präsident die Ziele des Gesetzes in seiner Antwort auf einen zweiten Brief der Organisation: "Dieses Gesetz hatte und hat weiterhin den Zweck, die Dauerhaftigkeit, Entwicklung und Stärkung des demokratischen Systems zu sichern. Es ist deswegen ein Gesetz zum Schutze der Menschenrechte, denn ohne Demokratie kann es keinen Respekt für die Menschenrechte geben und ohne Respekt für die Menschenrechte keine Demokratie. Wenn die Demokratie aufhören würde zu existieren, würden alle Menschenrechte verschwinden. Folglich muß dieses Gesetz, das aus einer Ausnahmesituation heraus entstanden ist, als Gesetz betrachtet werden, das die Existenz von Demokratie als echte Realität ermöglicht, als jetzigen und zukünftigen Ausdruck des immerwährenden Wunsches des uruguayischen Volkes, in Freiheit und Gerechtigkeit zu leben, unter einer Regierung, die

84 Amnesty International 1988b. 85 Für den Text siehe Amnesty International 1986c. 86 Zit. nach Amnesty International 1986d: S. 5.

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geschaffen wurde durch den legitimen Ausdruck seines politischen Willens und mit der Fähigkeit ausgestattet, die Herrschaft des Rechts durchzuset-

d. Das Referendum Nachdem die Kritik in der Öffentlichkeit zugenommen hatte, entstand im Januar 1987 der Vorschlag eines Referendums gegen die Artikel 1 - 4 des Gesetzes. Nach Artikel 79 Abschnitt 2 der Verfassung von 1967 kann ein Referendum innerhalb eines Jahres nach der Verabschiedung eines Gesetzes durch das Parlament beantragt werden, wenn es 25% der Wahlberechtigten unterstützen. 1987 wurde nach Angaben der Organisatoren über eine halbe Million Stimmen für das Referendum gesammelt. Aus der inneruruguayischen Diskussion geht der erhebliche politische Druck des Militärs, Straftaten amnestieren zu lassen und eine Untersuchung durch die Gerichte zu verhindern, eindeutig hervor. Der Führer der Nationalen Partei, Wilson Ferreira Aldunate, äußerte sich im Februar 1987 in einem Interview, in dem er das Referendum gegen Gesetz 15.848 ablehnt: "Cuadernos de Marcha: Aber nehmen wir an, daß das Referendum Erfolg hat? Aldunate: Wenn es dazu käme, gäbe es eine sehr wichtige politische Veränderung im Land. Möglicherweise eine neue Militärregierung, eine Sache, die, ich wiederhole dies, die Militärs selbst nicht wollen" 88 . General a. D. Medina, Verteidigungsminister der demokratisch gewählten Regierung, wurde gefragt, ob er bei einem erfolgreichen Referendum die Fallakten zu mutmaßlichen Menschenrechtsverletzungen durch Angehörige der Streitkräfte, die er als Oberkommandierender des Heeres unter Verschluß hielt, zivilen Richtern übergeben würde. Er antwortete: "Sie möchten von mir eine Erklärung über zukünftige Dinge. Diese Frage ist schwierig zu beantworten. Analysieren wir die Vorschläge und Gründe, die den Kommandanten zu einem bestimmten Zeitpunkt dazu veranlaßten, zu sagen, daß der Koffer (mit den Fallakten - W.S.H.) geschlossen bleibt. Es

87 Zit. nach Amnesty International 1987b, Appendix 2. 88 Zit. nach einem Interview von Cuadernos de Marcha, Februar 1987, abgedruckt in: Centro Uruguay Independiente 1987: S. 150.

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ging um das Wohl des Heeres, seine Gesundheit, Ethik, die in diesem Moment im Spiel war, in zweiter Linie um die Befriedung des Landes. Wenn ich Ihnen nun sage, es wird nichts passieren, bestreite ich die Bedeutung einer sehr wichtigen Tatsache, einer Tatsache mit speziellen Charakteristika, die das ganze Land erschütterten, wie dies mit der Verabschiedung des Gesetzes über die Aufgabe des staatlichen Strafanspruches und dem Aufruf zum Referendum der Fall war. Wenn ich Ihnen sage, daß etwas passiert und die Streitkräfte reagieren werden, bedeutet dies, daß ich die Streitkräfte auf die Anklagebank setze, weil ich damit sage, daß sie sich widersetzen, den Gehorsam verweigern, und darüber spreche ich nur für mich selbst und nicht für die anderen. Daher wird diese Frage mit der Zeit im richtigen Moment QO

beantwortet werden" . Der General vertrat nicht die Auffassung, daß sich die Streitkräfte jedem Ergebnis des Referendums, dem Ausdruck demokratischer Willensbildung der Bevölkerung seines Landes, beugen würden. Für die Juristen der Organisatoren bestand das Ziel des Referendums in der Aufhebung des Gesetzes (revocación) in dem Sinn, daß es nicht existiert hatte und damit auch keine juristischen Folgen gehabt hätte. Dagegen vertraten andere Juristen die Auffassung, daß es sich lediglich um eine Außerkraftsetzung (derogación) des Gesetzes handelt, das vom Zeitpunkt seiner Verabschiedung bereits juristische Folgen hatte. Die Interpretation dieser Frage würde sich unmittelbar darauf auswirken, ob Menschenrechtsverletzungen untersucht und die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden. Allerdings liegt die Gesetzgebungskompetenz beim Parlament, sodaß im Falle der Annahme des Referendums ein neues Gesetz unter den politischen Parteien ausgehandelt hätte werden müssen. Das Referendum fand 1989 nach harter innenpolitischer Diskussion statt. Die Mehrheit der stimmberechtigten Bevölkerung lehnte die Aufhebung des Gesetzes über die Aufgabe des staatlichen Strafanspruches ab.

89 Interview des Journalisten Neber Araújo mit General a. D. Hugo Medina, La República, 29.5.1988. Nach Angaben des Ministers wendete das Land zum damaligen Zeitpunkt ca. 40% seines Haushaltes für Verteidigung und Polizei auf.

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III.

Zusammenfassung und Schlußfolgerungen: Konsequenzen der Demokratisierung für die Streitkräfte

Eine Neuordnung der zivil-militärischen Beziehungen erschien nach dem Übergang zur Demokratie in Argentinien und Uruguay, in sehr viel geringerem Maß in Brasilien, wahrscheinlich. Nach einem Zeitraum von zwischen 7 und 21 Jahren Militärdiktatur war und ist die Frage offen, ob und wie die Kontrolle des Militärs durch die neuen demokratisch gewählten Regierungen gesichert werden kann. Ein Schlüssel zum Verständnis der Entwicklung Mitte der achtziger Jahre ist die Rolle des Militärs im Übergangsprozeß selber. Sowohl in Brasilien wie in Uruguay hatte es eine starke Stellung gegenüber den politischen Parteien und deren führenden Vertretern. In Brasilien muß seine Position als überragend angesehen werden. Es konnte weitgehend die Bedingungen des Übergangs bestimmen, wenn auch nicht - trotz zahlreicher Manöver den Ausgang der Wahlen vorherbestimmen. In Uruguay war seine Stellung aufgrund der wirtschaftlichen Lage und der politischen Isolation schwächer. Dort konnten die Streitkräfte ihr Modell einer neuen politischen Ordnung, das bereits in dem verlorenen Referendum seinen Ausdruck gefunden hatte, nicht durchsetzen. Dagegen war es bei den Wahlen erfolgreich, die nur unter bestimmten Bedingungen wie dem Nichtantreten des Blanco-Führers Wilson Ferreira Aldunate stattfinden konnten. In einem politischen Pakt mit den zwei großen Parteien sicherte es sich die Generalamnestie für die Straftaten unter der Militärdiktatur (u.a. illegale Festnahmen, Internierung, Folter, "Verschwundene)", die die Untersuchung von Menschenrechtsverletzungen durch die Gerichte unmöglich macht. Völlig anders präsentierte sich die Situation in Argentinien. Auch hier hatte in den letzten Jahren ein zunehmender Entfremdungsprozeß zwischen Gesellschaft und Streitkräften stattgefunden. Der Versuch, über den Krieg gegen England den Nationalismus zur Rückgewinnung von Legitimität zu mobilisieren, führte im Endergebnis zum Sturz der Militärdiktatur. Schwere und Ausmaß der Menschenrechtsverletzungen und die Niederlage im Krieg gaben den Politikern eine sehr viel stärkere Position, auch wenn die militärische Führung bereits Schritte zum Schutz gegen die Strafverfolgung unternommen hatte (Dekret über Amnestie, Zerstörung von Unterlagen).

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Der Prozeß gegen die Mitglieder der drei ersten Juntas hat exemplarischen Charakter für Argentinien, Lateinamerika und darüber hinaus. Es ist jedoch wichtig festzuhalten, daß weder in Argentinien noch in den beiden anderen Ländern der Putsch selber Gegenstand einer gerichtlichen Untersuchung war. Der Sturz eines demokratisch gewählten Präsidenten erfüllt zweifellos den Straftatbestand von Hochverrat, Subversion, Rebellion und Nötigung von Verfassungsorganen, wie auch immer die genaue QO Formulierung in den Strafgesetzen des betreffenden Landes lautet . Angeklagt wurden die Militärs in Argentinien mit Blick auf konkrete Delikte, Menschenrechtsverletzungen, für die die Generäle verantwortlich gemacht werden konnten. Eine Verurteilung erwies sich wegen des hermetischen Systems, innerhalb dessen die Taten begangen wurden, als schwierig. Den Opfern waren die Augen verbunden und viele ermordet worden, und der esprit de corps verhinderte Aussagen innerhalb der Streitkräfte. Auch mußten eine Reihe von Verfassungsproblemen gelöst werden, die u.a. die Frage zivile vs. Militärgerichtsbarkeit und den relativen Schuldanteil von "Schreibtischtätern" und Ausführenden von Straftaten betraf. Politisch wurde die Unzufriedenheit weiter Kreise des Militärs mit den Prozessen zu einer Bedrohung der neugewählten Regierung. Die mittleren Ränge, die sich von der militärischen Führung gegenüber den Politikern vernachläßigt fühlten, weil diese sie nicht vor Prozessen gegen Offiziere im aktiven Dienst schützte, setzten sich nach dem Osterputsch 1987 schließlich durch. Die Regierung Alfonsin legte dem Kongreß neue Gesetze vor, die eine Amnestie für fast alle Angehörigen von Militär, Polizei und Sicherheitsdiensten gewährte. Erheblicher politischer Druck der Streitkräfte stand auch hinter dem Gesetz über die Aufgabe des staatlichen Strafanspruchs in Uruguay. In Brasilien ist dieser Konflikt nicht entstanden, weil kaum jemand wagte, öffentlich zu fordern, daß die Militärs zur Verantwortung gezogen werden müßten. Zivile Politiker haben nur in Argentinien ernsthaft versucht, das Problem der strafrechtlichen Verantwortung von Militärs in den Griff zu bekommen.

90 A u f das Gesetz, das die Gefährdung der verfassungsmäßigen Ordnung als neuen Strafbestand einführt, "Rebellion und "Verrat" neu faßt und die Zusammenarbeit von Regierungsfunktionären mit einer de facto Regierung als Straftat definiert (Gesetz 23.077 über die Verteidigung der demokratischen Ordnung) wurde bereits hingewiesen.

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Der wichtigste erste Schritt, das Verfahren gegen die Generäle, gelang, cer zweite Schritt, die Aburteilung von Hunderten von Beschuldigten, wurde van der Regierung durch neue Gesetze gestoppt, weil das Militär innerhalb von kurzer Zeit eine starke Opposition mobilisieren konnte [unterdessen gibt es Untersuchungen in allen drei Ländern], Ganz unterschiedlich ist bis heute die Wahrnehmung von Militärs und zivilen Sektoren der Gesellschaft dessen, was in der unmittelbaren Vergangenheit eigentlich geschehen ist. Vor allem bei den ersten, aber auch im breiten zivilen Spektrum werden sehr unterschiedliche Konsequenzen aus der unmittelbaren Vergangenheit gezogen. Für das Militär war die zentrale Herausforderung die Subversion. Durch ihre Zerschlagung ist es in seiner Mission im vollen Umfang erfolgreich gewesen. Höchstens Exzesse werden eingeräumt, "Irrtümer", keine Fehler im System oder in der Handhabung des Kampfes gegen die Subversion. Einige Politiker teilen diese Auffassung. Auf der anderen Seite stehen die zivilen Sektoren der politischen Mitte bis hin zur Linken, und auch die zahlreichen Menschenrechts- und SelbsthilfeOrganisationen, die die Angehörigen der Opfer von Menschenrechtsverletzungen gegründet haben. Die Streitkräfte in Brasilien und Uruguay haben bereits im Vorfeld versucht, einer Untersuchung und Aburteilung durch Zivilisten zu entgehen. Am erfolgreichsten war das brasilianische Militär mit einer frühzeitigen Amnestie für politische Gefangene und Angehörige der Streitkräfte, lange vor der Rückkehr zur Demokratie. In Uruguay geschah dies in Form eines politischen Paktes, der nur von der Frente Amplio nicht akzeptiert wurde. Insgesamt hat sich das Militär in Brasilien und Uruguay bisher nahezu vollständig mit der Abwehr jeglicher Untersuchung und Strafverfolgung durchsetzen können, in geringerem Maße dagegen in Argentinien. In keinem der drei Länder hat es eine institutionelle Reform der Streitkräfte im umfassenden Sinn gegeben, jedoch hat die Regierung Alfonsin versucht, wesentliche Schritte auf dieses Ziel hin zu unternehmen. In Brasilien und Uruguay scheint hier weder bei den Politikern noch bei den Militärs ein Lernprozeß stattgefunden zu haben. Es wäre im einzelnen zu untersuchen, inwieweit es überhaupt weiterreichende Reformprojekte gegeben hat oder ob Politiker bereits im Vorfeld eine solche Reform für nicht durchsetzbar - oder unnötig - hielten. Dies wäre auch ein "Lernprozeß". Mit umfassender Reform der Streitkräfte ist folgendes gemeint: Sie hätte eine grundlegende Veränderung der Ausbildungsinhalte in den Bereichen 300

politische Bildung, humanitäres Völkerrecht, Menschenrechte und Verhältnis zur zivilen Regierung zum Inhalt. Eine R e f o r m des Rekrutierungssystems und ein Zurückdrängen der Militärgerichtsbarkeit auf das unumgänglich Nötige (Disziplinfragen) sind ebenso von Bedeutung wie eine zivile Leitung der Militärhochschulen, der Sicherheitsdienste und des Nationalen Verteidigungsrates. K e r n jeder ernsthaften R e f o r m m u ß eine Veränderung von Doktrin und Mission der Streitkräfte in einem demokratischen Staat sein. Die Doktrin der Nationalen Sicherheit muß abgelöst werden durch ein neues Konzept der Landesverteidigung, das sich auf den Schutz der Grenzen konzentriert und keinerlei Aufgaben der inneren Sicherheit, etwa Unterdrückung von Streiks und Demonstrationen, beinhaltet 9 1 . Streitkräfte und Polizei müssen organisatorisch, politisch und disziplinarisch klar getrennt werden. Angehörige dieser Dienste müßten sich bei Straftaten, wie Mißhandlung von G e f a n g e n e n u.ä., vor ordentlichen Gerichten verantworten. Z u r R e f o r m würde auch eine Restrukturierung der nationalen Militärund Reservistenorganisationen gehören, die oft einen erheblichen politischen Einfluß ausüben. Immerhin wurde in den letzten Jahren eine Organisation der Militärs auf kontinentaler E b e n e für Demokratie, Integration und Befreiung Lateinamerikas und der Karibik gegründet, an deren T r e f f e n auch Q?

Offiziere aus den hier untersuchten Ländern teilnahmen . Entscheidend für die Chancen einer Verwirklichung der hier genannten Ziele sind nicht nur innenpolitische Faktoren, wie z.B. die Verschärfung der wirtschaftlichen und sozialen Situation, Streiks, eventueller W i e d e r a u f b a u von Guerillagruppen und ein mögliches Versagen ziviler Politiker, sondern auch regionale und internationale Entwicklungen. In einer neuen Arbeit berichtet der Verteidigungsexperte Michael T. Klare über den hohen Stellenwert, der von der Führung der US-Streitkräfte der Entwicklung von Doktrinen zur Bekämpfung von Aufständen und Terrorismus in den

91 Für Überlegungen zu einer demokratischen Militärdoktrin siehe für Venezuela Varela 1975, für Argentinien Fundación Arturo Illia para la Democracia y la Paz 1988a, 1988b, 1988c; Giadone 1987, 1988; García u.a. 1987, sowie allgemein O M I D E L A C 1986; Rouquié 1986; Stepan 1988. 92 Vgl. O M I D E L A C 1986, worin sich die grundlegenden D o k u m e n t e und Berichte über erste Treffen der Organisation befinden. Vgl. auch "Militares por la democracia, la integración y la liberación de América Latina y el Caribe", in: El Espectador, (Bogotá), Magazin Dominical, Nr: 164, 18. Mai 1986. Die Organisation ist jedoch zur Zeit noch eher isoliert innerhalb der nationalen Militärorganisationen.

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achtziger Jahren in der Dritten Welt eingeräumt wird. Diese werden im Vergleich zum konventionellen Krieg als gefährlichere Bedrohung empfunden . Der Ausbildung von entsprechenden Spezialeinheiten wird Priorität eingeräumt. Da es in den Worten eines US-Spezialisten für Aufstandsbekämpfung um einen Kampf mit allen Mitteln geht 94 , könnte eine solche Doktrin aufgrund der engen Zusammenarbeit zwischen den USA und Lateinamerika 95 auch weiterhin eine überragende politische Rolle des Militärs in den neuen demokratischen Staaten bestätigen und rechtfertigen.

93 Klare/Kornbluh 1988. Die Arbeit enthält neben allgemeinen Analysen Fallstudien zu El Salvador, Nicaragua, den Philippinen und Afghanistan. 94 Sam Sarkesian, führender Counter-Insurgency-Spezialist in den USA, vertritt die Auffassung, daß eine Strategie zur Aufstandsbekämpfung, die die Unterdrückung von Dissidentenorganisationen und die Liquidierung revolutionärer Führer einschließt, nicht in Übereinstimmung mit demokratischen Normen wäre. Daher würde Unterstützung und Hilfe für die offensive Phase der Aufstandsbekämpfung wahrscheinlich politische und moralische Dilemmas für die Amerikaner bedeuten. Um diese zu überwinden müßten USPolitiker die Öffentlichkeit überzeugen, daß "revolution and counterrevolution develop their own morality and ethics that justify any means to achieve success", Sam C. Sarkesian, "Low Intensity Conflict: Concepts, Principles, and Policy Guidelines", Air University Review, Jan./Febr. 1985, 5, 7, 11. zit. nach Klare 1988: S. 78f.. Zum Konzept des "Low Intensity Warfare" siehe auch Selser 1987. 95 Die Zusammenarbeit findet statt in Form von Waffenexporten, Militärhilfe, Militärausbildung und den Konferenzen der amerikanischen Streitkräfte seit 1960, abgesehen von den bilateralen Kontakten.

302

Literaturverzeichnis

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316

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Staatsterrorismus: Legitimation und Illegitimität Emesto Garzón Valdés

Ich möchte im folgenden den Staatsterrorismus im Hinblick auf seine faktische Legitimation und ethische Illegitimität untersuchen. In erster Linie bin ich an einer Auseinandersetzung mit den Argumenten interessiert, welche von denen, die Staatsterrorismus befürworten oder praktizieren, gewöhnlich zu dessen Rechtfertigung vorgebracht werden. Diese Argumente werden im folgenden zwar vor allem anhand von Äußerungen von Theoretikern und Befehlsgebern des staatlichen Terrors veranschaulicht werden, der in Argentinien in den Jahren des sogenannten "Prozesses der nationalen Reorganisation" (1976-1983) praktiziert wurde. Es geht mir bei dieser Untersuchung aber keineswegs darum, neue historische Fakten zum Fall Argentinien beizutragen. Auch beabsichtige ich nicht, Überlegungen anzustellen, die ausschließlich auf diesen Fall zutreffen. Vielmehr möchte ich einige generelle Gedanken zum Staatsterrorismus als einem politischen Phänomen vortragen, wobei die begriffliche Analyse einerseits und die Perspektive der normativen Ethik andererseits besonderes Gewicht erhalten sollen. Zu diesem Zweck werde ich im folgenden den begrifflichen Unterschied zwischen Legitimation und Legitimität erläutern (I), eine Definition von Staatsterrorismus vorschlagen (II), die zu dessen Rechtfertigung vorgebrachten Argumente vorstellen (III) und schließlich deren ethische U n a n n e h m b a r keit begründen (IV).

I. Begriffliche Unterscheidung von Legitimation und Legitimität Der Begriff "Legitimation" bezeichnet die Tatsache, daß die Grundregel eines politischen Systems - die ich in Anlehnung an die von H. L. A. Hart 1 vorgeschlagene Terminologie "Anerkennungsregel" nennen werde - von denen akzeptiert wird, die direkt oder indirekt über die institutionalisierte

1

Hart 1961.

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Macht verfügen. Nach der klassischen Formulierung von Max Weber beruht solche Akzeptanz auf dem Vorliegen von "Legitimitätsglauben", also dem Glauben daran, daß die faktisch geltenden Regeln des Systems für die betreffende Gesellschaft auch die am besten geeigneten sind. Zweifellos benutzte Max Weber selbst den Ausdruck "Legitimitätsglaube" in einem wertneutralen Sinn. Da dieses Wort jedoch allzu leicht einen semantischen Zusammenhang mit dem Begriff "Legitimität" suggeriert, der eine positive Konnotation besitzt, ziehe ich es vor, den - ebenfalls von Hart eingeführten Ausdruck "interner Standpunkt" zu benutzen, um die Einstellung zu bezeichnen, nach der die Anerkennungsregel eines bestimmten politischen Systems als oberster Verhaltensmaßstab für die entsprechende Gesellschaft akzeptiert wird. Es ist daran zu erinnern, daß die Auffassung, wonach der interne Standpunkt ein entscheidendes Element für die Existenz eines politischen Systems und für dessen Stabilität ist, in der Staatstheorie eine lange Tradition besitzt; sie geht mindestens bis auf Marsilius von Padua zurück und wurde u.a. Anfang der 30er Jahre von Hermann Heller aufgegriffen, der feststellte: "... eine faktische Machtsituation (wird)... zu einer relativ dauernden Machtlage und damit zu einer Verfassung in irgendeinem weiteren oder engeren Sinne nur dadurch, daß die 'Entscheidungen' der Machthaber mindestens von einem, und zwar von dem für die Machtstruktur ausschlaggebenden Teil der Machtunterworfenen neben anderen Motiven (Gewöhnung, Interessenförderung) auch deshalb befolgt werden, weil sie ihnen als gelten sollende, vorbildliche oder verbindliche Normen entgegentreten." 2

Legitimation ist demnach eine notwendige, nicht aber eine hinreichende Bedingung für die Existenz jedes politischen Systems. Der Begriff "Legitimität" bezeichnet demgegenüber die Übereinstimmung derjenigen Prinzipien, die in der Anerkennungsregel eines Systems niedergelegt sind, mit denen der kritischen Moral bzw. Ethik. Legitimität ist folglich weder eine notwendige, noch eine hinreichende Bedingung für die Existenz eines politischen Systems3. Wer den internen Standpunkt einnimmt, vertritt per definitionem die Ansicht, daß das betreffende System Legitimität besitzt, denn "Gruppen werden ein politisches System als legitim bzw. als illegitim betrachten, je

2 3

Heller 1971: Bd. 2, S.17. Vgl. dazu Garzön Vald6s 1988: S. 20ff.

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nachdem, ob dessen Werte mit ihren eigenen primären Werten übereinstimmen"4. Die Behauptung, daß jemand zwar den internen Standpunkt gegenüber bestimmten Regeln einnimmt, diese Regeln aber nicht für richtig hält, wäre eindeutig widersprüchlich. Auch für den Fall des Staatsterrorismus gilt, daß diejenigen, die ihm gegenüber den internen Standpunkt einnehmen, selbstverständlich der Ansicht sind, daß ein solches System Legitimität besitzt und daß seine Prinzipien und Normen Gehorsam beanspruchen können. Man könnte daher vielleicht glauben, daß die Unterscheidung zwischen Legitimation und Legitimität überflüssig ist. Dieser Eindruck trügt jedoch, und es ist im Gegenteil ratsam, den Begriff der Legitimation von dem der Legitimität genau zu unterscheiden, da man andernfalls einen von zwei schweren Denkfehlern begeht. Es handelt sich dabei zum einen um den sogenannten ideologischen Positivismus, also um die Behauptung, daß jedes politische System Ursprung seiner eigener Legitimität ist. Demnach besäße jedes System aufgrund der bloßen Tatsache, daß es über ein Verfahren zur Aufstellung und Änderung seiner Regeln verfügt, Legitimität: es wäre hinsichtlich seiner ethischen Rechtfertigung ein "Selbsversorger". Man könnte folglich mit einem Satz von François Bourricaud sagen, legitim wäre "eine Macht, die ihren eigenen Legitimationsprozeß akzeptiert oder gar einrichtet"5. Jedes politische System besäße also per definitionem Legitimität: der Nationalsozialismus ebenso wie das System der Apartheid oder des Staatsterrorismus, wie er in Lateinamerika häufig praktiziert wird. Der Denkfehler des ideologischen Positivismus besteht in dem Glauben, daß die Anerkennung bzw. die Einhaltung der Grundnormen eines Systems von seiten ihrer Erzeuger oder Adressaten hinreichende Gründe für die moralische Rechtfertigung der daraus resultierenden Taten darstellen. Der zweite Denkfehler wäre der naturalistische Fehlschluß, also die Behauptung, daß bestimmte Verhaltensregeln in einer bestimmten Gesellschaft deswegen moralisch geboten sind, weil sie von den herrschenden Gruppen als richtig anerkannt werden. Hier findet ein Übergang vom Bereich des Seins zum Bereich des Sollens statt, mit den spätestens seit Hume bekannten fatalen Folgen für die logische Konsistenz.

4 5

Lipset 1959: S. 86f. Bourricaud 1961: S. 7.

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Der Unterscheidung von Legitimation und Legitimität kann selbstverständlich nur zustimmen, wer auch die Existenz objektiver und universaler Werte, unabhängig von ihrer eventuellen Anerkennung in bestimmten Gesellschaften, akzeptiert. Wer dagegen einen radikalen ethischen Relativismus vertritt, wird nicht bereit sein, der hier vorgeschlagenen Unterscheidung zu folgen, sondern er wird - etwa in Anlehnung an Niklas Luhmann behaupten, daß das Problem der Legitimität sich erschöpft in der "rein faktisch verbreiteten Überzeugung von der Gültigkeit des Rechts, von der Verbindlichkeit bestimmter Normen oder Entscheidungen oder von dem Wert der Prinzipien, an denen sie sich rechtfertigen" 6 . Ich kann hier nicht näher auf die Problematik des ethischen Relativismus und auf die Möglichkeit seiner Uberwindung eingehen . Mir geht es nur darum zu unterstreichen, daß die Herstellung von Legitimität kein technisches Problem ist, das sich mit Hilfe von Instrumenten lösen ließe, die bewirken könnten, daß die Bevölkerung an die Annehmbarkeit der betreffenden Anerkennungsregel glaubt, sondern daß es sich hier um ein ethisches Problem handelt. Wer dem Unterschied zwischen dem technisch bzw. instrumenteil Guten und dem ethisch Guten verkennt, der gelangt auf direktem Weg zum ideologischen Positivismus. Weiter oben habe ich darauf hingewiesen, daß Legitimation, also die Einnahme des internen Standpunkts seitens gewisser gesellschaftlicher Gruppen, eine notwendige, nicht aber hinreichende Bedingung für die Existenz eines politischen Systems ist. Es ist zusätzlich erforderlich, daß diejenigen, die den internen Standpunkt einnehmen, auch die notwendige Macht besitzen, ihre Anerkennungsregel durchzusetzen. Interner Standpunkt und Durchsetzungsfähigkeit sind demnach die beiden notwendigen und gemeinsam auch hinreichenden Bedingungen für die Existenz eines politischen Systems. Staatsterroristische Regime konnten und können noch immer gerade deswegen existieren, weil sie diese beiden Bedingungen erfüllen.

6 7

Luhmann 1969: S. 27. Vgl. dazu etwa Fishkin 1984 und Hedenius 1981.

320

II. Begriff des Staatsterrorismus Unter Staatsterrorismus werde ich im weiteren eine Form der Ausübung staatlicher Macht verstehen, die wenigstens durch die folgenden Merkmale charakterisiert ist: a) Behauptung, daß ein "vertikaler Krieg" gegen einen Feind geführt wird, der alle Bereiche der Gesellschaft unterwandert habe. In der Regel wird dieser Feind als Agent einer internationalen Verschwörung dargestellt, die das Ziel verfolge, gerade die Werte, die von den Machthabern für absolut gehalten werden, abzuschaffen: "Der vertikale Krieg wird innerhalb jedes Volkes, im Inneren jeder Nation, geführt, und zwar mit politischen Absichten und mit dem Endziel, ein bestimmtes Land zum Satelliten eines anderen zu machen oder die internationale Einflußsphäre, zu dem es gehört, zu wechseln"8.

Auf den Glauben an die Notwendigkeit, mit Terror auf den - auch in diesem Fall angeblich von internationalen Agenten geschürten - "vertikalen Krieg" zu antworten, berief sich bekanntlich auch Leon Trotzkij, um den Roten Terror zu rechtfertigen: "Ohne den Roten Terror würde uns die russische Bourgeoisie, zusammen mit der Weltbourgeoisie, schon lange vor dem Ausbruch der Revolution in Europa strangulieren"9.

Robespierre kann kaum anders gedacht haben, als er bemerkte: "Wenn sich nicht alle Herzen geändert haben, wieviele Gesichter sind dann maskiert! Wieviele Verräter betreiben unser Geschäft wohl nur, um es zu ruinieren!"10 und: "Entweder man erstickt die inneren und äußeren Feinde der Republik, oder man geht zusammen mit ihr unter; in dieser Lage muß daher die oberste Maxime unserer Politik sein, das Volk durch Vernunft, die Feinde des Volkes aber durch den Terror zu regieren"11.

b) Unzureichende Festlegung der Taten, die für strafwürdig erachtet werden; Ausschaltung des vorgeschriebenen Gerichtsverfahrens zur Festlegung des Vorliegens einer Straftat:

8

Plädoyer von Roberto Eduardo Viola vor der Bundesberufungskammer vom 12. Oktober 1985; vgl. El Diario del Juicio Nr. 22 vom 22.10.1985. 9 Trotzkij 1961: S. 64. 10 Robespierre 1965: S. 231. 11 Ebenda S. 221.

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"Es ist erwiesen, ... daß die festgenommenen Personen mit wenigen Ausnahmen weder der zivilen noch der militärischen Justiz überstellt wurden und daß nicht einmal die Richter über die Verhaftungen informiert werden durften ..."12

Ein Beispiel für die ungenaue Bestimmung von Straftaten liefert § 5 der Kriegssonderstrafrechtsverordnung (KSStVO) des Nazi-Regimes vom 17. August 1938, in dem der Straftatbestand der "Wehrkraftzersetzung" behandelt wurde. Wie Ulrich Klug zutreffend feststellt, war "diese Bestimmung ... wegen ihrer weiten und ungenauen Formulierung ein besonders geeignetes Vernichtungsinstrument" 13 . Am 6. April 1945 gab es im K Z Sachsenhausen/Oranienburg ein "Verfahren" vor dem sogenannten "SS-Standgericht", in dem Admiral Wilhelm Canaris, Generalmajor Hans Oster, Pastor Dietrich Bonhoeffer, Generalstabsrichter Dr. Karl Sack, Hauptmann Ludwig Gehre und Reichsgerichtsrat Hans von Dohnanyi zum Tode verurteilt wurden. Auch in diesem Fall wurden - wie so oft unter dem nationalsozialistischen Staatsterrorismus - die Bestimmungen der gültigen Verfahrensordnung verletzt. Ulrich Klug bemerkt dazu: "Gesteigert wird der Unrechtscharakter der Prozedur auch dadurch, daß die 'Standgerichte'mit weisungsgebundenen, voreingenommenen KZ-Kommandanten als Beisitzer tätig wurden und daß keine Verteidiger bestellt worden sind, obwohl dies auch nach den damaligen Vorschriften erforderlich war, weil Todesstrafen in Betracht kamen. Ein Rechtsverstoß war zudem die Nichthinzuziehung eines Protokollführers, der die Einhaltung wesentlicher Förmlichkeiten hätte aktenkundig machen müssen"14.

Artikel 22 der "Prinzipien der Strafrechtsprechung" der UdSSR von 1937 schaltete das Gerichtsverfahren auf folgende Weise aus: "Strafe in Form des Exils kann durch staatsanwaltlichen Urteilsspruch verhängt werden gegen Personen, die sich als sozial gefährlich erwiesen haben, ohne daß irgendein Strafverfahren wegen des Begehens eines bestimmten Verbrechens oder Vergehens gegen diese Personen anhängig sein müßte, und selbst in solchen Fällen, in denen diese Personen von einem Gericht von der Anklage, ein bestimmtes Verbrechen begangen zu haben, freigesprochen wurden"15.

c) Heimliche Durchführung von staatlichen Sanktionsmaßnahmen, die von der offiziell proklamierten Rechtsordnung verboten sind (darunter Folter und Mord):

12 Urteil der Bundesberufungskammer vom 9.12.1985 im Verfahren gegen die ehemaligen Kommandanten der Militärjuntas. 13 Klug 1987: S. 98. 14 Ebenda S. 109. 15 Gregor 1989: S. 161.

322

"Es ist erwiesen, daß die Kommandanten der Streitkräfte, die am 24. März 1976 die Macht übernommen hatten, sich für die Durchführung heimlicher und illegaler Verfahren auf der Grundlage von Befehlen entschlossen, die von den Angeklagten erteilt wurden, obwohl sie über alle nötigen Rechtsmittel verfügten, um ohne eine Verminderung der Wirksamkeit auf erlaubte Weise (die Subversion) zu unterdrücken"16.

Der Heimlichkeitscharakter der staatlichen Zwangsmaßnahmen war auch ein Merkmal des stalinistischen Terrorismus in den Jahren 1935-1939. Alexander Dallin und George Breslauer beschreiben ihn mit folgenden Worten: "Liquidierung ohne öffentliche Ankündigung... heimliche Morde; und Deportation und mehrmaliges Exil, einschließlich der massiven Internierung in Lagern für Zwangsarbeiter" .

Raymond D. Duvall und Michael Stohl haben zweifellos Recht, wenn sie feststellen: "Publizität gehört nicht gerade zum Wesen des Terrorismus ... Staatsterrorismus ist im allgemeinen eine Angelegenheit höchster Geheim1Ä haltung" . In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, daß Aktionen des Staatsterrorismus in der Regel offiziell entweder Gruppen zugeschrieben werden, die nicht der Kontrolle des Staates unterliegen, also parastaatlichen, nicht öffentlich institutionalisierten Gruppen (z.B. sogenannten Todesschwadronen wie etwa in Argentinien die berüchtigte "AAA", die "Argentinische Antikommunistische Allianz"), oder "Geheim"-Diensten die per definitionem jede Öffentlichkeit meiden (man denke hier nur an die von den Briten 1921 in Irland geschaffenen "B-specials", an die vom FBI 1971 in San Diego für terroristische Anschläge gegen Pazifisten eingerichtete "Secret Army Organization" 19 und natürlich an die Gestapo). Im Falle Nazi-Deutschlands hat Hans Buchheim 20 darauf hingewiesen, wie sehr die der SS angegliederte Politische Polizei daran interessiert war, keinen rechtlichen Beschränkungen unterworfen zu sein, wie sie etwa in der Reichstagsbrandverordnung öffentlich festgeschrieben waren. So heißt es in einem Runderlaß des Reichssicherheitshauptamtes vom 15. April 1940: "Die Rechtsgültigkeit staatspolizeilicher Anordnungen ist nicht davon abhängig, daß die Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat von 28. Januar 1933 als Rechtsgrundlage für diese Anordnungen angezogen wird, da 16 Urteil der Bundesberufungskammer vom 9.12.1985 im Verfahren gegen die ehemaligen Kommandanten der Militärjuntas. 17 Dallin/Breslauer 1970: S. 28. 18 Duvall/Stohl 1983: S. 188. 19 Vgl. dazu Wise 1978: S. 319. 20 Buchheim 1983: S. 6.

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sich die Befugnis der Geheimen Staatspolizei... nicht aus einzelnen Gesetzen und Verordnungen, sondern aus dem Gesamtauftrag herleitet." Die hier angesprochene Diskrepanz zwischen der proklamierten Rechtsordnung und der akzeptierten Anerkennungsregel (schließlich ist nicht zu vergessen, daß beispielsweise die Mitglieder der argentinischen Militärjuntas einen Eid auf die nationale Verfassung leisteten) wird von den Ausführenden des Staatsterrorismus in der Regel mit dem Hinweis auf die Situation des "vertikalen Krieges" erklärt. Der Widerspruch zwischen staatsterroristischen Sanktionen und erklärter Rechtsordnung wurde beispielsweise von Alfred Grosser auch für das Terrorregime von 1793-1794 festgestellt: "Es bleibt immerhin die Frage nach der Schuld an so vielen Scheinprozessen und Hinrichtungen, an einer solchen Mißachtung der Grundsätze, die man gerade verkündet hatte. Man kann erforschen, wie Gruppen freiheitlicher Revolutionäre sich Schritt für Schritt überzeugen ließen oder sich selbst davon überzeugten, gesetzwidriges Töten zulassen oder prinzipienwidrige Gesetze fordern zu können" 21 .

Bezüglich des Nationalsozialismus in Deutschland und der Sprüche des sogenannten "Volksgerichtshofs" ist außerdem der Hinweis auf das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 28. Juni 1956 im Fall Metzger interessant. In den Gründen des Urteils wird festgestellt, daß der "Mißbrauch des § 91b StGB durch den Volksgerichtshof ... mit Rechtsprechung nichts zu tun" gehabt habe. Er sei "nur eine Ausnützung gerichtlicher Formen zur widerrechtlichen Tötung (gewesen) ... eine derartige 'Rechtsprechung' (enthülle) ihr wahres Wesen als Terrorinstrument" . Gerade diese Diskrepanz zwischen der proklamierten Rechtsordnung und der Realität erlaubt es, die stalinistischen Prozesse und die Verfahren vor dem Volksgerichtshof als Farce zu bezeichnen. Christopher Mitchell u.a. haben allerdings Zweifel geäußert, ob es angebracht sei, das Merkmal der Illegalität in die Definition des Staatsterrorismus aufzunehmen; sie argumentieren, daß die Antiterrorgesetzgebung der Republik Südafrika oder das "islamische Recht" im Iran und im Sudan Versuche seien, den Staatsterrorismus zu legalisieren. Demnach "könnten Aktionen, bei denen es im wesentlichen darum geht, das Verhalten der Bevölkerung dadurch zu beeinflussen, daß ein hoher Grad von Angst erzeugt

21 Grosser 1989: S. 30. 22 Klug 1987: S. 97. 23 Mitchell et al. 1986: S.13.

324

wird, o h n e w e i t e r e s gesetzlich abgesichert u n d in d i e s e m Sinne gänzlich willkürfrei sein." D a s Beispiel S ü d a f r i k a scheint j e d o c h nicht sehr glücklich gewählt, u m die T h e s e v o n Mitchell u.a. zu stützen, w e n n m a n die E r k l ä r u n g e n von Dirk C o e t z e e , e i n e m P r o t a g o n i s t e n der s ü d a f r i k a n i s c h e n R e p r e s s i o n , in B e t r a c h t zieht, die a m 10. Mai 1990 in d e r Zeitschrift Stern a b g e d r u c k t w u r d e n . M a n findet d o r t d e n f o l g e n d e n Dialog: Stem: Waren Sie stolz darauf, zur Sicherheitspolizei zu gehören? Coetzee: Ja, wir waren eine Gruppe von Auserwählten. Wir standen über dem Gesetz. Stem: Die Sicherheitspolizei schien so außerhalb des Gesetzes zu stehen, daß ihre Mitglieder auch Verbrechen zu eigenen Gunsten begehen durften. Coetzee: Das ist korrekt. Einige haben am Schmuggel fremder Währungen verdient. Andere haben Autos zum Beispiel von ANC-Mitgliedern gestohlen und das Geld aus dem Verkauf in die eigene Tasche gesteckt, (...) Wir alle waren in illegale Aktionen verstrickt.24 A u c h die A u s f ü h r e n d e n d e r terroristischen R e p r e s s i o n in A r g e n t i n i e n b e t r a c h t e t e n bekanntlich die P l ü n d e r u n g d e r W o h n u n g e n ihrer O p f e r als Teil d e r E n t l o h n u n g f ü r ihre A r b e i t u n d verletzten d a m i t e i n d e u t i g die geltenden Strafgesetze25. E n t s c h e i d e n d ist j e d o c h selbstverständlich nicht so sehr die Existenz anschaulicher G e g e n b e i s p i e l e , s o n d e r n d e r begriffliche A s p e k t . D a s M e r k m a l d e r Illegalität ist deswegen relevant, weil es g e r a d e d a d u r c h gelingt, e i n e n "hohen G r a d von Angst" in d e r Bevölkerung zu verbreiten, i n d e m nämlich die Klasse der A d r e s s a t e n d e r staatsterroristischen M a ß n a h m e n o f f e n bleibt. Die Angst, die d e r Staatsterrorismus auslöst, ist e b e n nicht die Angst e i n e r Person, die weiß, d a ß sie z.B. a u f g r u n d ihrer Z u g e h ö r i g k e i t zu

einer

b e s t i m m t e n R a s s e o d e r Religion verfolgt wird, s o n d e r n das G e f ü h l , d e r Willkür d e r M a c h t h a b e r ausgeliefert zu sein. J e d e R e c h t s b e s t i m m u n g (sofern sie nicht von d e r A r t des w e i t e r o b e n zitierten A r t . 22 d e r "Prinzipien d e r Strafrechtsprechung"

der

Sowjetunion

i n t e r n a t i o n a l e n R e c h t s p r e c h u n g " gilt

ist,

der

als

"einzigartig

in

der

) verringert die U n s i c h e r h e i t , u n d

g e r a d e diese ist d o c h die H a u p t q u e l l e d e r F u r c h t des Bürgers, die Mitchell u.a. als wesentliches M e r k m a l des S t a a t s t e r r o r i s m u s a n s e h e n . D a ß R e c h t s b e s t i m m u n g e n entsetzlich u n g e r e c h t sein k ö n n e n , ist b e k a n n t , a b e r deswegen

24 Stern Nr. 20, 10.5.1990: S. 36-40. 25 Vgl. El Diario del Juicio Nr. 22 vom 22.10.1985. 26 Gregor 1989: S.161.

325

ist es noch lange nicht zulässig, den Unterschied zwischen ungerechter Sicherheit und terroristischer Willkür zu verwischen. Und auch der Heimlichkeitscharakter staatsterroristischer Aktivitäten ist relevant, denn er stellt einen weiteren Gesichtspunkt dar, der es erlaubt, bloße totalitäre Regime von solchen Regierungen zu unterscheiden, die Staatsterrorismus praktizieren, seien diese totalitär oder nicht. Angesichts der Neigung totalitärer Regime, sich terroristischer Mittel zu bedienen, ist zweifellos auch der Glaube ganz verständlich, daß nur solche Regime Staatsterrorismus praktizieren. Aber so verständlich dieser Glaube auch ist, er ist doch falsch. Auch Michael Stohl 27 hat zutreffend die Unhaltbarkeit der vereinfachenden These unterstrichen, wonach nur nichtdemokratische, totalitäre, faschistische oder kommunistische Staaten Staatsterrorismus praktizieren; er hat anhand aussagekräftiger Beispiele belegt, daß es auch in westlichen liberalen Demokratien staatsterroristische Maßnahmen gibt . Die vereinfachende These beruht auf dem Fehlschluß, daß aus der Tatsache, daß totalitäre Regierungen gewöhnlich Staatsterrorismus praktizieren, die Schlußfolgerung gezogen wird, dies sei eine ausschließlich diesen Regimen zuzuschreibende Eigenart. Es ist dies ein formaler Fehlschluß, den die Logiker "falsche Konversion" nennen und der darin besteht, daß man glaubt, weil eine Objektklasse X die Eigenschaft p besitzt, sei diese Eigenschaft p ein exklusives Merkmal der Elemente von X. Dies muß aber keineswegs der Fall sein: Aus der Tatsache, daß alle Pferde Vierbeiner sind, kann man nicht schließen, daß sie die einzigen Vierbeiner sind. Da diese Argumentationsweise also falsch ist, kann es auch zu irrtümlichen Annahmen führen, wenn man den Staatsterrorismus allein unter Heranziehung von Untersuchungen über den Totalitarismus behandelt. Gerade die Verneinung der vereinfachenden These erlaubt es dagegen, auch Fälle von Staatsterrorismus in der sogenannten Ersten Welt zu konstatieren und die folgende Beobachtung von Duvall und Stohl als richtig anzuerkennen: "Regierungen in der Ersten Welt sehen sich manchmal nicht in der Lage, mit Gefahren für Recht und Ordnung im Rahmen der rechtsstaatlichen Verfahrens-

27 Stohl 1983: S.6. 28 Zum terroristischen Charakter der Kampagne gegen die Black Panthers in den USA in den Jahren 1969/70 sowie zu den französischen Aktivitäten in Algerien Ende der 50er Jahre vgl. u.a. Gurr 1986: S. 49f.

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Ordnung wirksam fertig zu werden ... In solchen Situationen kann es vorkommen, daß sie zu terroristischen Strategien Zuflucht nehmen. Dies ist besonders dann der Fall, wenn eine solche Strategie in der jeweiligen Lage als politisch risikolos angesehen wird. Dabei ist die Höhe des Risikos wohl abhängig von der Fähigkeit der Regierung, die öffentliche Kenntnis von der terroristischen Strategie so weit wie möglich einzuschränken"29, d) Diffuse Anwendung gewaltsamer Maßnahmen in Form von Übergriffen gegen die Freiheit, das Eigentum oder das Leben von Menschen, häufig ohne Ansehen der Personen, gegen die sich die Maßnahmen richten, und völlig unabhängig von irgendwelchen Handlungen oder Unterlassungen, für die sie verantwortlich gemacht werden könnten; die Anwendung von Gewalt gegen unschuldige Opfer ist dabei ein Mittel zur Erhöhung der "Wirksamkeit" des Terrors: "Es wurden die Taten nachgewiesen, die infolge dieser Befehle gegen eine große Zahl von Personen verübt wurden, und zwar sowohl gegen Personen, die subversiven Organisationen angehörten, als auch gegen solche, die diesen völlig fern standen; und (es wurde nachgewiesen) daß diese Taten in gewaltsamer Festnahme, Gefangenschaft an geheimgehaltenen Orten, Verhören unter Folter und in vielen Fällen auch in der physischen Liquidierung der Opfer bestand, wobei ein Großteil dieser Taten mit der Plünderung der persönlichen Habe einherging"30. Die Merkmale b) und d) verleihen dem Staatsterrorismus eindeutig "Wirksamkeit" in dem Sinne, daß sich dadurch jeder als potentielles Opfer betrachten muß. Raymond D. Duvall und Michael Stohl vertreten dagegen die Meinung, daß die Aspekte der Unschuld und der willkürlichen Gewalt für die Definition des Staatsterrorismus irrelevant seien: "Es gibt kaum Hinweise darauf, daß Unschuld eine wichtige interpretative Kategorie ist, mit der Augenzeugen terroristische Gewalt betrachten. Insofern als Augenzeugen keine genauen Kenntnisse über den Status der Opfer im Hinblick auf deren Schuld oder Unschuld besitzen, ist letztere kaum das begriffliche Mittel, infolgedessen sich Augenzeugen selbst als mögliche Opfer betrachten und durch das sie demnach terrorisiert werden... es scheint zweifelhaft, ob die Zuschreibung dieses Status (der Unschuld) zu einem Opfer durch einen Augenzeugen genügt, um in diesem Augezeugen den Glauben zu wecken, daß er oder sie selbst ein mögliches Opfer ist"31. Wenn man aber das Merkmal, daß viele der Opfer des Staatsterrorismus unschuldig sind, fallen läßt und im Gegenteil davon ausgeht, daß nur im

29 Duvall/Stohl 1983: S. 196. 30 El Diario del Juicio Nr. 22 vom 22.10.1985. 31 Duvall/Stohl 1983: S. 185.

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Sinne der geltenden Rechtsordnung "schuldige" Personen den brutalen Zwangsmaßnahmen einer staatsterroristischen Regierung unterworfen werden, dann verwischt man damit erneut den Unterschied zwischen einem totalitären Regime und einem solchen, das Staatsterrorismus praktiziert. Außerdem ist nicht ganz einzusehen, wie ein Augenzeuge, der sich selbst für unschuldig hält und der - gerade weil er über den Status des Opfers nichts genaues weiß - annehmen kann, daß das Opfer ebenfalls unschuldig sein könnte, den Gedanken von sich weisen kann, daß er selbst ein potentielles Opfer ist. Nur wenn er sicher sein könnte, daß der Adressat der terroristischen Maßnahme schuldig ist, wäre seine eigene Unschuld die Garantie dafür, daß er niemals selbst Opfer terroristischer Aktionen werden wird. Héctor A. Murena - der bedeutende argentinische Schriftsteller, cessen Werk es verdiente, von denen, die sich für die politische Kultur Lateinamerikas im allgemeinen und Argentiniens im besonderen interessieren, geiauer untersucht zu werden - hat schon vor der Einführung des Staatsterrorismus in Argentinien in einer fiktiven Darstellung die Strategie der Verfclgung Unschuldiger treffend beschrieben: "Zweck der Justiz war nicht die Bestrafung der Schuldigen, sondern sie solte den übrigen Bürgern zu verstehen geben, daß sie zwar im Augenblick zum Kern der Guten, der Nichtschuldigen, der Auserwählten zählen, daß sich ihr Status aber schon morgen plötzlich ändern könnte"32.

Unschuld schützt also keineswegs gegen Terror, im Gegenteil: "Vergeltungsakte gegen eingestandenermaßen unschuldige Personen könner dazu benutzt werden und werden auch oft dazu benutzt, andere Personen von feindlichen Aktivitäten abzuhalten" 33 . Die Eigenschaft, "schuldig" zu sein, kann im übrigen bekanntlich nur solchen Personen zugeschrieben werden, die für eine Handlung oder Unterlassung kausal verantwortlich sind. Die Tatsache, daß in Nazideutschland Personen für ihre Zugehörigkeit zu einer bestimmten Rasse (vie im Fall der Juden und Zigeuner) "bestraft" wurden und nicht für ihre Haidlungen oder Unterlassungen, ist ein weiterer Beweis für die Barbarei dieses Regimes und könnte zu dem Glauben verleiten, daß man es beim Staitsterrorismus immer mit Systemen dieser Art zu tun hat. Der Unterschied besteht jedoch darin, daß im Fall des Nationalsozialismus die Klasse der "Sthuildi-

32 Murena 1970: S. 106f. 33 Nicholson 1986: S. 33.

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gen" (die selbstverständlich eine Klasse Unschuldiger war, da ihre Mitglieder sich nicht durch das Begehen irgendwelcher Handlungen oder Unterlassungen auszeichneten) ausdrücklich abgegrenzt war, während im Fall des Staatsterrorismus - wie unter e) noch zu behandeln sein wird - die Klasse der "Schuldigen" offen ist. Gerade die Abgrenzung der Klasse der "Schuldigen" ist es, was Hans Buchheim die Feststellung erlaubt: "Die Nürnberger Gesetze (waren) geeignet, auf dem Gebiet der Diskriminierung der Juden die bis dahin vorherrschende, alle Arten von Terror begünstigende Rechtsunsicherheit zu beenden; sie schufen eine Norm, die den Opfern gewisse Schutzmöglichkeiten versprach. Natürlich war der materielle Gehalt der Rassengesetze Unrecht, im Gegensatz zu den bis dahin herrschenden Verhältnissen war es aber berechenbares Unrecht, und die Erfahrung des Lebens unter totalitärer Herrschaft lehrt, daß dies leichter zu ertragen ist, als die reine unberechenbare Willkür ... Die Mörder können sich jedoch auf die Nürnberger Gesetze nicht als auf eine wenigstens teilweise legale Rechtfertigung ihres Tuns berufen, denn diese waren nicht ein Glied in der Kette des außernormativen Terrors gewesen, sondern hatten ihn vielmehr vorübergehend unterbrochen"34.

Staatsterrorismus - den Buchheim hier mit Recht "außernormativen Terror" nennt - praktizierten die Nazis also nur insofern, als sie ihre Zwangsmaßnahmen auf solche Personen ausdehnten, die nicht der gesetzlich festgelegten Klasse der "Schuldigen" angehörten. Derart außernormatives Vorgehen trägt entscheidend zum Erreichen eines wesentlichen Zwecks des Staatsterrorismus bei, nämlich zum e) Hervorrufen der begründeten Furcht in der Bevölkerung, daß im Prinzip niemand vor willkürlicher Gewalt seitens der von der Regierung damit betrauten Organe geschützt ist. Diese Behauptung mag auf den ersten Blick vielleicht zu stark erscheinen. Man könnte dagegen argumentieren, daß ja dann, wenn niemand sicher sein kann, kein potentielles Opfer des Staatsterrorismus zu sein, die terroristischen Maßnahmen ihren Sinn verfehlten, da die Bürger in diesem Fall nicht wissen können, welches Verhalten von ihnen erwartet wird, um der Repression zu entgehen. Damit wäre der Demonstrationseffekt ausgeschlossen, der für solche Regime meist als wesentlich angesehen wird . Die Wirksamkeit des Staatsterrorismus lasse sich aber gerade an der Vernichtung des "Feindes" und am willfährigen Verhalten der restlichen Bevölkerung ermessen. Die Nichtbegrenzung der Klasse möglicher Adressaten staatsterro-

34 Buchhcim 1982: S. 20f. 35 Vgl. z.B. Wardlaw 1982: S. 16.

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ristischer Maßnahmen führe daher dazu, dem Staatsterrorismus jeglichen instrumenteilen Gehalt zu nehmen. Nach dieser Auffassung ist also die Klasse der Adressaten fest definiert, und nur innerhalb dieser Klasse werden - nach mehr oder weniger unterschiedlichen Kriterien - diejenigen ausgewählt, die ausgeschaltet werden, um die übrigen Mitglieder der Klasse einzuschüchtern und sie zu einer Veränderung ihres Verhalten zu bewegen; wer dagegen nicht zu der Klasse gehört, genießt die volle rechtsstaatliche Sicherheit. Diese These klingt plausibel, denn sie geht davon aus, daß der Zweck des Staatsterrorismus der von seinen Betreibern proklamierte ist, nämlich die Vernichtung eines subversiven Feindes mit dem Ziel der Wiederherstellung des inneren Friedens. Ihre Annahme ist jedoch im mehrerer Hinsicht problematisch. Sie bedeutet einerseits, daß man das Merkmal der ungenauen Bestimmung von Straftatbeständen aufgibt, dessen Relevanz unter b) und d) zu zeigen versucht und auch von Duvall und Stohl betont wurde: "Während des Terrors kann niemand sicher sein, weil die Kategorie des Vergehens eigentlich abgeschafft ist. Jeder kann Opfer werden, ganz egal, wie er sich verhält . Andererseits bedeutet die Annahme der These auch, daß man eines der Hauptrechtfertigungsargumente der Befürworter des Staatsterrorismus zurückweist, daß es nämlich unmöglich ist, die Feinde ganz genau zu identifizieren, da diese "maskiert" auftreten, wie Robespierre sagte, bzw. Teil einer Verschwörung sind, wie es bei Trozkij hieß. Die These von der präzisen Abgrenzung macht den Staatsterrorismus im Grunde jedenfalls zu einer - wenn man so will, "gemäßigteren" - Variante des Totalitarismus: während in letzterem das Prinzip "Alle Feinde sind auszulöschen" gilt, gilt in ersterem die Losung "Einige Feinde müssen ausgelöscht werden". Das Problem im Falle des Staatsterrorismus ist aber gerade, daß die Definition von "Feind" vage ist. Mit Recht fragt sich Christoph Müller: "Was muß eine Person getan haben, um 'Mitglied der subversiven Kräfte' zu sein? Muß sie terroristische Taten verübt haben? Oder genügt es, daß sie zwar solche Taten nicht selbst verübt, aber mit bestimmten kriminellen Akten solcher terroristischen Gruppen 'sympathisiert'? Gehören zur subversiven Szene auch die Angehörigen und Freunde von Terroristen? Würde es vielleicht genügen, daß im Adreßbuch eines Terroristen ein Name auftaucht, damit dessen Träger ebenfalls

36 Duvall/Stohl 1983: S. 185.

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zu den Subversiven gezählt wird, und würden folglich automatisch alle Namen im Adreßbuch dieser Person auch der Subversion angehören?"37

Eine frühe Antwort auf diese Fragen gab einer der Architekten des Staatsterrorismus in Argentinien, Brigadegeneral Ibdrico Saint Jean, Gouverneur von Buenos Aires zu Zeiten der Junta: "Erst werden wir die Subversiven töten, dann die Sympathisanten, danach die Indifferenten und zum Schluß die Lauen."

Von diesem Standpunkt aus gibt es für die Klasse der möglichen Adressaten staatsterroristischer Maßnahmen derart ungenaue und diffuse Grenzen, daß es so gut wie unmöglich ist festzustellen, wo die "soziale Welt" (Christoph Müller) aufhört, gegen die diese Maßnahmen gerichtet sind. Ein anschauliches Beispiel für die Vagheit der Grenzen der Klasse von Adressaten staatsterroristischen Maßnahmen bietet die entsprechende Klassifizierung der uruguayischen Bevölkerung in die Gruppen A, B und C durch die 1973 an die Macht gekommene Regierung . Auch das französische Gesetz über die Verdächtigen vom 17. September 1793 - ein wirksames staatliches Terrorinstrument - definierte "Verdächtige" als "jene, die sich durch ihr Verhalten, ihre Beziehungen, Vorschläge oder Schriften als Anhänger der Tyrannei erwiesen haben". Und zum Staatsterrorismus in der UdSSR bemerkt Gregor: "1938 wurde zum systematischen Angriff auf die 'Schweigsamen' geblasen, auf die, die während der Ereignisse der vorangegangenen Jahre untätig geblieben waren. Verwandte - manchmal sehr entfernte Verwandte - von 'Verrätern' wurden in vielen Fällen verhaftet und erschossen. Es gab nie irgendeinen Hinweis darauf, daß sie irgendwie an konterrevolutionären oder regierungsfeindlichen Aktivitäten beteiligt gewesen waren. Die typische Frage der Opfer des sowjetischen Terrors war 'Warum'?"39

Angesichts der Vagheit der Klasse der Adressaten von Zwangsmaßnahmen weisen viele Autoren darauf hin, daß es angebracht ist, zwischen Staatsterrorismus und Völker- bzw. Massenmord zu unterscheiden. Die Verfolgung von Juden, Zigeunern und Homosexuellen unter den Nazis oder das Massaker an Kommunisten in Indonesien 1965/66 waren auf die physische Auslöschung dieser Personengruppen gerichtet, ohne daß diese verbrecherische Strategie darauf abzielte, Furcht bei denen hervorzurufen, die wußten, daß sie nicht zu den genannten Gruppen gehörten 4 0 . Beim

37 38 39 40

Müller 1988: S. 230. Für Einzelheiten dazu vgl. Calvert 1986: S. 40. Gergor 1989: S. 161f. Vgl. dazu Mitchell et al. 1986: S. 4 sowie Gurr 1986: S. 47.

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Völker- bzw. Massenmord handelt es sich um vielfältigen Mord, für den Einschüchterung keine notwendige Bedingung ist 41 . Der Staatsterrorismus dagegen kann, statistisch gesehen, mit einer relativ geringen Zahl direkter Opfer einhergehen und bleibt deswegen doch Staatsterrorismus, sofern die Einschüchterungsbedingung erfüllt ist. Der Einschüchterungseffekt ist in diesem Sinne fundamentaler als die tatsächliche Vernichtung des "Feindes". Ein Regime, dem es aufgrund seiner willkürlichen Gewaltanwendung gelingt, Angst hervorzurufen, kann auch dann in die Kategorie "Staatsterrorismus" eingeordnet werden, wenn es ihm nicht gelingt, den "Feind" auszulöschen (wie es beispielsweise unter Fulgencio Batista Ende der 50er Jahre in Cuba und unter Anastasio Somoza Ende der 70er Jahre in Nicaragua der Fall war). Und dessen Auslöschung kann selbstverständlich auch erreicht werden, ohne daß unbedingt eine staatsterroristische Strategie verfolgt werden müßte (wie eben im Fall des politischen Massenmordes 1965/66 in Indonesien) 42 . Gibt man dies nicht zu, so läuft man Gefahr, Massenmord, Totalitarismus und Staatsterrorismus gleichzusetzen. Faßt man die genannten Merkmale zusammen, so läßt sich folgende Definition von Staatsterrorismus formulieren: Staatsterrorismus ist die Form staatlicher Machtausübung in einem politischen System, dessen Anerkennungsregel die geheime, unberechenbare und diffuse Anwendung von nach der proklamierten Rechtsordnung verbotenen Zwangsmaßnahmen, auch gegen offenkundig Unschuldige, mit dem Ziel der Verbreitung von Angst erlaubt und/oder verlangt, die Tätigkeit der Gerichtsbarkeit behindert oder ausschaltet und die Regierung zu einem aktiven Teilnehmer am Kampf um die Macht werden läßt.

Die vorgeschlagene Definition des Staatsterrorismus läßt sich dadurch vervollständigen und weiter ausführen, daß man auf die wichtigsten funktionalen Elemente seiner Durchsetzung eingeht. In diesem Zusammenhang kann man auf einige aufschlußreiche Überlegungen von Ota Weinberger 4 3 verweisen, die sich zwar ursprünglich auf andere Formen staatlicher Übergriffe bezogen, die aber auch auf den hier behandelten Fall zutreffen. Staatsterrorismus erfordert demnach: a) Ein gewisses Maß an ideologischer Organisation, die auf einem Dogma bzw. auf einer Idee beruht, die als absoluter, nicht zu hinterfragender

41 Vgl. Harff 1986: S. 164 und Gurr 1986: S. 47. 42 Vgl. Gurr 1986. 43 Weinberger 1987: S. 4ff.

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Maßstab gilt und als Entschuldigung bzw. Rechtfertigung für die Zerstörung all dessen dient, was sich ihr entgegen stellt. Dies war die Rolle der sogenannten "Doktrin der nationalen Sicherheit" sowie von Thesen, wie sie von einem Großteil der argentinischen Kirchenführung vertreten wurden: "Der Kampf gegen die Guerrilla ist ein Kampf für die Republik Argentinien, für ihre Integrität, aber auch für ihre Altäre ... Dieser Kampf ist ein Kampf zur Verteidigung der Moral, der Menschenwürde, letzlich ein Kampf zur Verteidigung Gottes ... Daher bitte ich um göttlichen Schutz in diesem 'schmutzigen Krieg', in dem wir uns befinden"44. Der von Robespierre im Namen des Wohlfahrtsausschusses am 5. Februar 1794 vorgelegte Bericht "Über die Prinzipien der politischen Moral, die die Nationalversammlung bei der inneren Verwaltung der Republik leiten sollen" ist ein gutes Beispiel für die Lehre vom "Despotismus der Freiheit" und vom "Heiligtum der Wahrheit". Und der schon zitierte Dirk Coetzee sagte ganz folgerichtig: "Ich war hundertprozentig überzeugt, solche Aktionen seien richtig"45. b) Einen wirkungsvollen Propagandamechanismus. Die Hauptfunktion dieses Apparates ist die "Emotionalisierung der eigenen Auffassung und moralische Stigmatisierung der Gegner. Es wird durch die Institution die emotionale Färbung der Überzeugung so weit wie möglich gestärkt, und Gegenmeinungen werden mit einem moralischen Negativstigma versehen. Der Andersdenkende wird zur Negativperson, zum Träger des Bösen gemacht"46.

Die sogenannte "Argentinische Patriotische Vereinigung" mit ihren Publikationen wie Argentinien und seine Menschenrechte und das "Pariser Pilotzentrum", das gegen die "antiargentinische Kampagne im Ausland" angehen sollte, sind Beispiele für die Arbeit solcher Apparate. In enger Beziehung zu dieser Tätigkeit steht auch c) Die Pflege des eigenen Ansehens als ein Mittel, um Akte der Grausamkeit zu kompensieren: "Es werden taktische Mittel eingesetzt, die dazu dienen sollen, das moralische Image zu halten, trotz des Bewußtseins breiter Schichten, daß in Wirklichkeit Greueltaten verübt werden ... Hierher gehört wohl auch die Geheimhaltung der Gewaltmaßnahmen" 47 .

44 45 46 47

Monsignore Victorio Bonamin; vgl. Mignone 1986: S. 24. Vgl. das genannte Interview. Weinberger 1987: S. 21. Ebenda S.21f.

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Bekanntlich gelang es den Unterdrückungskräften in Argentinien stets, eine Art "sektorale Unabhängigkeit" zu bewahren, die eine Zuschreibung illegaler Gewaltmaßnahmen erschwerte und es gleichzeitig jeder Waffengattung ermöglichte, nach außen ihr Ansehen zu wahren. Der Strafverteidiger von Generalmajor Omar D. Graffigna im Verfahren gegen die argentinischen Militärjuntas, Dr. Arslanian, gründete sein Plädoyer auf eben diese "sektorale Unabhängigkeit": "... wer ihm ein Vergehen im Kampf gegen die Subversion zurechnen wollte, das nicht in seinem Bereich ausgeübt wurde, einfach nur aufgrund der Tatsache, daß er Mitglied der Militärjunta war, der würde die Wahrheit verfälschen, denn die Militärjunta trug nie die Verantwortung für den Kampf gegen die Subversion, sondern die wurde von jedem Teil der Streitkräfte für den entsprechenden Zuständigkeitsbereich getragen"48, d) Innere Disziplinierung in ideologischen Organisationen. Die Fähigkeit von Mitgliedern von Organisationen, die mit der Durchführung von Zwangsmaßnahmen beauftragt sind, zur Selbstkritik muß unterdrückt werden mit Hilfe von Mechanismen wie: "Einrichtungen, die die persönliche Karriere von der orthodoxen Meinung abhängig machen; die Notwendigkeit der Angehörigen der Gesinnungsgemeinschaft, sich als brave Gefolgsleute zu präsentieren; eine einseitige Dotationspolitik; Zensur ,.."49. Die Argumente, die zugunsten der Gehorsamspflicht vorgebracht werden, und die von den Mitgliedern der argentinischen Streitkräfte oft beschworene Überzeugungsgemeinschaft belegen den Grad an "innerer Disziplinierung", der während des sogenannten "Prozesses der nationalen Reorganisation" von den mit der Repression beauftragten Organisationen erreicht wurde. Die Verweigerung jeglicher Selbstkritik hat beispielsweise Hannah Arendt 5 0 auch für den konkreten Fall von Adolf Eichmann eingehend untersucht. Ota Weinberger führt diese Art funktionaler Elemente als geeignete Mittel an, um von Seiten einer Regierung inhumane und zerstörerische Entwicklungen in einer Gesellschaft zu fördern. Das bedeutet keineswegs, daß diejenigen, die solche Verfahren anwenden, nicht an deren Notwendigkeit und Rechtfertigungsfähigkeit glauben würden. Es ist daher angebracht, den Aspekt ihrer Legitimation zu untersuchen.

48 Vgl. Diario del Juicio Nr. 29 vom 11.12.1985. 49 Weinberger 1987: S. 21. 50 Arendt 1976, besonders S. 294.

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III. Legitimation des Staatsterrorismus Akzeptiert man die hier vorgeschlagene Unterscheidung von Legitimation und Legitimität sowie die Feststellung, daß Legitimation eine notwendige Bedingung für die Existenz jedes politischen Systems ist, dann muß man auch zugeben, daß existierende staatsterroristische Regime Legitimation besitzen, daß es also Personen gibt, die gegenüber der Anerkennungsregel eines solchen Systems den internen Standpunkt einnehmen und folglich an dessen Legitimität glauben. Um feststellen zu können, ob diese vermeintliche Legitimität tatsächlich vorliegt, das heißt, ob sie auch aus der Perspektive eines Beobachter behauptet werden kann, der einen ethischen Standpunkt einnimmt, ist es nützlich, die Argumente zu analysieren, auf die sich diejenigen stützen, die Regierungsmaßnahmen verteidigen oder durchführen, welche die Einordnung des entsprechenden politischen Systems in die Kategorie "Staatsterrorismus" erlauben. Selbstverständlich muß eine solche Kategorisierung vom Beobachter vorgenommen werden, da sich aufgrund der moralisch negativen Konnotation des Ausdrucks "Staatsterrorismus" wohl kein politisches System selbst so bezeichnen würde. Die Argumente, die uns hier interessieren, sind demnach Argumente, die angeführt werden, um die Anwendung gerade solcher Maßnahmen zu entschuldigen oder zu rechtfertigen, die den Staatsterrorismus definieren. Zu den am häufigsten angeführten Argumenten dieser Art gehören die folgenden: 1) Das Argument der Wirksamkeit: Die Anwendung von staatlichem Terror ist die wirksamste Form, um den Terrorismus in der Stadt und/oder auf dem Land zu bekämpfen: "Die genannten Offiziere behaupteten, daß insofern, als sie sich in einem Kampf gegen die 'Subversion' befanden, der die Form eines irregulären Krieges angenommen hatte, ... die Mittel, die der Rechtsstaat zur Bestrafung von Verbrechen gegen die Nation, die Staatssicherheit und das Eigentum vorsah, vollkommen wirkungslos waren ... Was 'unkonventionelle' Formen der Reaktion ... notwendig machte"51.

Das Argument, daß die Justiz ineffizient sei, war bekanntlich auch eines der Hauptargumente zur Rechtfertigung der Esquadrao de Morte (Todesschwadron) in Brasilien 52 .

51 Martin Gras in Duhalde 1983: S. 77. 52 Vgl. Rosenbaum/Sederberg 1976: S. 10.

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2) Das Argument der Unmöglichkeit einer Identifizierung der Terroristen: Hieraus ergibt sich die Notwendigkeit einer diffusen Anwendung von Zwangsmaßnahmen: "Es gibt keine andere Möglichkeit, diesen verborgenen Feind zu identifizieren so sagten sie -, als mit Hilfe von Informationen, die man durch Folter erhält; die ist aber nur wirksam, wenn sie unbegrenzt ist, so daß wir außerhalb der Regeln des traditionellen Staates stehen müssen. Auf diese Weise, durch Aufnahme des Kampfes im Verborgenen, gewinnt man einen Vorteil über den Feind, und außerdem erzielt man durch den Terror eine abschreckende Wirkung"53.

3) Das Argument der Symmetrie der Kampfmittel: Die richtige Antwort auf die Willkür des Terrorismus ist die Stärkung des staatlichen Gewaltmonopols durch Anwendung der gleichen Mittel, die auch von der Stadt- oder Landguerrilla eingesetzt werden: "Das war ein 'schmutziger Krieg'. Es waren die Subversiven, die ihn schmutzig gemacht haben. Sie haben die Formen des Kampfes gewählt und damit unsere Aktionen bestimmt"54. "Für die Vorgehensweise der beiden kriegführenden Parteien wird vorausgesetzt, damit diese Beschränkungen (des Kriegs- und des Völkerrechts, E. G. V.) verbindlich sind, daß beide Seiten sie anerkennen, so daß, wenn einer der beiden Gegner sie mißachtet und verletzt, der andere das Recht hat, das gleiche zu tun"55.

Nicht die gleichen Mittel einzusetzen wie der Gegner, würde demnach bedeuten, "mit auf den Rücken gebundenen Händen zu kämpfen" bzw. "nach Regeln zu kämpfen, von denen man weiß, daß der Gegner sie nicht respektiert" 56 . Dies ist die These des tu quoque oder des "Wolfsgeheuls", um es mit den Worten des Verteidigers von Admiral Armando Lambruschini, Dr. Goldaracena, zu sagen: "Wer unter Wölfen lebt, muß mit ihnen heulen" 57 . Man muß sich vor Augen halten, daß es die Regierung ist, die hier heult. Aber dazu später mehr. 4) Das Argument des Unterschieds zwischen öffentlicher und privater Moral: Vom moralischen Standpunkt aus ist im Bereich der Politik - im Unterschied zum Bereich privater Handlungen - für die Beurteilung des Verhaltens der Machthabenden das erzielte Ergebnis entscheidend. Wenn das auf dem

53 Martin Gras in Duhalde 1983: S. 77. 54 Ramón J. A. Camps nach Duhalde 1983: S. 83. 55 Verteidiger von Ex-Admiral Emilio Edurado Massera, Dr. Prats Cardona; vgl. El Diario del Juicio Nr. 24 vom 5.11.85. 56 Vgl. Wardlaw 1989: S. 380. 57 Vgl. Diario del Juicio Nr. 30 vom 17.12.1985.

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Wege des Staatsterrorismus erzielte Ergebnis der Frieden ist, dann hat man damit die notwendige Grundlage für eine wirklich demokratische Gesellschaft gelegt. "Die Kritiker berücksichtigen ... die Ziele nicht, für die die Streitkräfte kämpften: den erzielten Erfolg und seine heutigen Folgen, die erst die Wiederherstellung der Demokratie und der republikanischen Institutionen erlaubten"58. "Die thomistische und - sozusagen - katholische Ethik unterscheidet ausführlich zwischen der Intention des Handelnden (der wesentlichen Form der moralischen Tat) und dem Gegenstand der Tat (seiner moralischen Materie); und ob ein Element der Tat gut oder schlecht ist, ist unabhängig davon, ob das andere gut oder schlecht ist..., wenn unser Problem darin besteht festzustellen, ob eine Tat wirksam ist, ob sie dem eigentlichen Handlungsziel entspricht, dann betrachten wir nicht die Absicht, sondern konzentrieren uns allein auf den Gegenstand und die Umstände. Die Beurteilung von Taten des Staates hat auf diese Weise zu erfolgen, gerade weil es staatliche sind"59. 5) Das Argument der Unvermeidbarkeit negativer Nebenwirkungen: Das Ziel, das durch die Anwendung diffuser und geheimer Repressionsmaßnahmen verfolgt wird, ist Frieden und Sicherheit. Daß dies als Nebenwirkung auch die Vernichtung menschlichen Lebens impliziert, ist durchaus zu rechtfertigen, wenn man an die von den Scholastikern vertretene "Theorie des Doppeleffekts" denkt: "Die Unterscheidung zwischen beabsichtigten und bloß vorhersehbaren Auswirkungen einer freiwilligen Handlung ist tatsächlich für die christliche Ethik äußerst wichtig. Denn das Christentum verbietet eine Reihe von Dingen als an sich schlecht. Wenn ich für die vorhersehbaren Folgen einer Handlung bzw. einer Verweigerung genauso verantwortlich bin wie für die Handlung selbst, dann greifen diese Verbote nicht mehr. Wenn ein Unschuldiger sterben muß, es sei denn, ich täte etwas Schlechtes, dann werde ich nach dieser Auffassung nämlich durch die Unterlassung zu seinem Mörder, und ich kann dann nichts anderes tun, als mehrere Übel gegeneinander abzuwägen. Hier tritt nun der Theologe mit seinem Doppeleffekt auf: 'Nein, du bist kein Mörder, sofern der Tod des Mannes weder dein Ziel noch ein von dir gewähltes Mittel war und sofern du in der Weise handeln mußtest, die zu seinem Tod führte, um etwas absolut Verbotenes zu vermeiden'"60. 6) Das Argument der "tragic choice": Die Stadt- und/oder Landguerrilla bringt den Staat in eine Lage, die man als eine Situation von "tragic choice" betrachten kann: Einerseits setzt man die Existenz des Staates selbst aufs Spiel, wenn man dem Terrorismus nicht wirkungsvoll entgegentritt; anderer-

58 Verteidiger von Admiral Emilio Eduardo Massera, Dr. Prats Cardona; vgl. El Diario del Juicio Nr. 22 vom 22.10.1985. 59 Castro Castillo 1979: S. 62. 60 Anscombe 1971: S. 293f.

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seits erfordert eine wirkungsvolle Reaktion die Anwendung von Maßnahmen außerhalb der Legalität. In beiden Fällen geht es um Grundwerte des menschlichen Zusammenlebens, wobei selbstverständlich in erster Linie die Existenz des Staates gesichert werden muß: "Die legitimen staatlichen Gewalten befinden sich dabei zumeist in der Klemme zwischen dem ängstlichen Verlangen der von der Subversion gebeutelten Sektoren nach Sicherheit und den politischen Kräften, die gegen die herrschende Regierung opponieren und die ständig nur daraufwarten, menschliche Schwächen oder tatsächliche Fehler der Polizei und des Militärs zu ihren Gunsten auszuschlachten"61. Ricardo Sidicaro bemerkte diesbezüglich im Hinblick auf die argentinische Situation: "Die ideologischen Analysen zeichnen sich dadurch aus, daß sie eine einseitige Diagnose des behandelten Problems stellen, da der Ideologe ja weiß bzw. zu wissen glaubt, wie die Losung aussehen muß. Bei der Darstellung wird die Strategie verfolgt, den Ernst der quasi-ausweglosen Lage aufzuzeigen, um dann die einzige, vermutlich-letzte Alternative, die erlösende Antwort zu liefern. Deswegen ist es üblich, daß ideologische Darstellungen vor der drohenden Katastrophe warnen und den Weg zu ihrer Bekämpfung vorschlagen"62. 7) Das Argument des Vorrangs absoluter Werte: Es gibt sozio-politische Werte, die absolute und unbedingte Gültigkeit besitzen. Ihre Verwirklichung ist eine notwendige (und in manchen Fällen sogar hinreichende) Bedingung für Glück und Wohlergehen der Gesellschaft. Wer sich diesen Werten widersetzt, indem er ihre Unbestreitbarkeit bezweifelt oder indem er ihre praktische Umsetzung behindert, der macht sich zum Todfeind der gesellschaftlichen Ordnung, und folglich ist seine Liquidierung gerechtfertigt: "Unsere Zivilisation ist nicht widersprüchlich wie der Schwachsinn der liberalen Demokratie ... Wir können die Subversion auslöschen, ohne daß wir deswegen aufhören, gute Christen zu sein; mehr noch: die Voraussetzung für den Sieg ist, daß wir es lernen, bessere Christen zu sein durch den Kampf, durch den siegreichen Krieg, indem wir unseren Auftrag als Soldaten Christi und des Vaterlandes erfüllen"63. "Wer diese Ziele und Prinzipien ablehnt, die ihren Ursprung in unserer herrlichen katholischen Tradition haben, der stellt sich unmittelbar auf die Seite des Feindes, das heißt, der definiert sich als revolutionärer Rebell gegen die natürliche Ordnung und gegen die Lehren der Kirche"64.

61 Verteidiger von Ex-General Roberto Eduardo Viola, Dr. Marutian; vgl. El Diario del Juicio Nr. 28 vom 3.12.1985. 62 Sidicaro 1990: S. 6. 63 Castro Castillo 1979: S. 32f. 64 Ebenda S.31.

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Die argentinischen Militärs beriefen sich auf absolute Werte wie die hier genannten. Andere staatsterroristische Regime gingen selbstverständlich von anderen höchsten Werten aus. Man denke nur an die Tugendideologie Robespierres oder an das nationalsozialistische Weltbild.

IV. Illegitimität des Staatsterrorismus Betrachten wir nun die sieben Argumente etwas genauer: 1) Das Argument der Wirksamkeit steht in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Gedanken, daß die Stabilität des Regimes bewahrt werden soll, das auf eine staatsterroristische Theorie zurückgreift. Es ist daher angebracht, zwischen dem Einsatz dieser Strategie durch totalitäre und durch demokratische Regime zu unterscheiden. Angesichts der offenkundigen Illegitimität totalitärer Regime können terroristische Zwangsmaßnahmen zu ihrer Stabilisierung selbst dann niemals gerechtfertigt sein, wenn nach Kosten-Nutzen-Abwägungen die Wirksamkeit tatsächlich gegeben ist. Bei demokratischen Systemen ist das Problem ein anderes: der Rückgriff auf eine terroristische Strategie widerspricht hier dem Wesen dieses Regimetyps selbst. Gerade deswegen kann man den demokratischen Charakter etwa mancher zentralamerikanischen Regierungen bezweifeln und die moralisch-rechtlichen Bedenken verstehen, die gegen manche Bestimmungen der Antiterrorgesetzgebung in demokratischen Industriestaaten vorgebracht wurden. Bezüglich des letzten Punktes denke man nur an die Diskussionen über den Prevention of Terrorism Act von 1976 in Großbritannien 65 , an die Antiterrorgesetze in der Bundesrepublik Deutschland Mitte der 70er Jahre 6 6 sowie an die italienischen Notstandsgesetze und die Bestimmungen im Zusammenhang mit den sogenannten "reuigen Terroristen" (Art. 4 und 5 der Rechtsverordnung 625/79 bzw. Art. 1-5 von Gesetz 304/82), die nach Meinung mancher Juristen "auf lange Sicht das italienische Rechtssystem verseucht" haben 67 .

65 Vgl. Wardlaw 1989. 66 Vgl. dazu u.a. Augstein 1976. 67 Padovani 1987: S. 55.

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Das Argument der Wirksamkeit ist also offenbar nicht stichhaltig und dies wohl deswegen, weil es nicht berücksichtigt, daß eine wirksame Antwort auf den Terrorismus gleichzeitig einer doppelten Anforderung genügen muß: Sie muß die Legitimität des Systems unterstreichen und der terroristischen Herausforderung ihre Legitimation nehmen. Und diese doppelte Anforderung bezieht sich einerseits darauf, daß es gelingen muß, die Ursachen des Terrorismus zu beseitigen, andererseits aber auch auf die sorgfältige Abwägung der Mittel, die zu seiner Bekämpfung eingesetzt werden. Daher hat Martha Crenshaw recht, wenn sie feststellt: "Das Argument, daß der Kampf gegen den Terrorismus den Einsatz terroristischer Methoden verlangt, ist nicht nur moralisch abstoßend, sondern auch politisch fatal ... Sowohl die Geschichte der Ergebnisse von Terrorismus als auch die Analyse des Zusammenhangs zwischen Terrorismus und Regimelegitimation stützen die Vermutung, daß die Duldung rechtsgerichteten Gegenterrors ... destabilisierend wirkt"68. 2) Das Argument, es sei unmöglich, den "Feind" zu identifizieren, ist eine Variante dessen, was man die herodianische These zur Vorbeugung eines künftigen Übels nennen kann. Diese These ist falsch (immerhin erlitt sie schon vor 2000 Jahren einen spektakulären Mißerfolg), es sei denn, man wolle damit nicht mehr sagen, als daß es nicht immer möglich ist, Personen zu identifizieren, die möglicherweise einmal ein Verbrechen begehen werden. Hieraus die Notwendigkeit abzuleiten, daß jeder Verdächtige nicht nur festgenommen, sondern auch zu Folter oder gar zum Tode verurteilt werden muß, bedeutet, daß man die These von der Notwendigkeit "präventiver Repression" oder "antizipierter Tötung" vertritt 69 . Der Gedanke der "antizipierten Tötung" wird häufig von Verfechtern des Völkermords benutzt, und er war offenbar auch die Rechtfertigungsgrundlage, auf die sich Talat Pascha - einer der türkischen Befehlsgeber des Massakers an Armeniern im Van-Gebiet im Frühjahr 1915 - berief: "Vom Berliner Tageblatt später befragt, warum so viele unschuldige Menschen zusammen mit den Schuldigen sterben mußten, antwortete er, Unschuldige könnten sich eines Tages zu Schuldigen entwickeln" . Aber gerade die Unterscheidung zwischen einem vermutlichen oder potentiellen (noch nicht identifizierten) Täter und

68 Crenshaw 1983: S. 33. 69 Vgl. Brocato 1985: S. 254. 70 Leshnik 1990: S. 42.

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einem tatsächlichen (identifizierten und durch Gerichtsverfahren überführten) Täter ist eine der Grundlagen des Rechtsstaates. 3) Das Argument der Gleichheit der Mittel ist meist nur eine andere Formulierung des Arguments der Wirksamkeit. In diesem Fall gilt entsprechend das oben Gesagte. Es ist aber noch ein anderer Aspekt zu berücksichtigen. J o h a n Galtung hat auf die Asymmetrie hingewiesen, die zwischen ("privatem") Terrorismus und Staatsterrorismus besteht 7 1 . Zwar ist der Terrorismus in beiden Fällen per definitionem unmittelbar gewaltsam, aber "Terrorismus ist gewöhnlich die Waffe der Schwachen gegen den starken Staat; Staatsterrorismus ist die Waffe des starken Staates gegen Schwache ... Terrorismus hängt mit Machtasymmetrie zusammen"72. Andrew Mack hat überzeugend dargestellt, daß 'Terroristengruppen ... aufgrund der ihnen und den von ihnen verfolgten Strategien eigenen Natur nicht in der Lage (sind), irgendeine Bedrohung für einen demokratischen Staat darzustellen" . Auch deswegen ist das Argument der Entsprechung der Mittel ungültig. Die Resultate des Staatsterrorismus sind keineswegs diejenigen, die zu erwarten wären, wenn tatsächlich die Gewaltmittel annähernd gleich verteilt wären, sondern sind vielmehr Ausdruck einer deutlichen Machtungleicheit. Mehr noch: Z u m Staatsterrorismus gehört in der Regel die Tötung tatsächlicher bzw. eingebildeter Gegner, womit das Prinzip der Verhältnismäßigkeit, ein unverzichtbares Element jeder legitimen Anwendung von Gewalt, verletzt wird. 4) Die Unterscheidung von öffentlicher und privater Moral anhand der erzielten Ergebnisse erinnert an die bekannte Unterscheidung Max Webers zwischen "Verantwortungsethik" und "Gesinnungsethik": "Es ist nicht möglich, Gesinnungsethik und Verantwortungsethik unter einen Hut zu bringen oder ethisch zu dekretieren: welcher Zweck welches Mittel heiligen solle, wenn man diesem Prinzip überhaupt irgendwelche Konzessionen macht"74.

71 Galtung 1988; für eine differenziertere Version dieser T h e s e vgl. Duvall/Stohl 1986: S. 208ff. 72 Galtung 1988: S. 33. 73 Zitiert nach Wardlaw 1989: S. 202. 74 Weber 1971: S. 553.

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Dieser Argumentation liegt die sogenannte Staatsräson zugrunde sowie eine Auffassung von der Legitimität politischer Systeme, wonach diese mit Stabilität und Legitimation gleichzusetzen ist. Es ist unbestreitbar, daß Handlungen von Politikern eine sehr viel größere Anzahl von Menschen betreffen als die von Individuen, die im Privatbereich agieren. Aber sowohl im öffentlichen als auch im privaten Bereich sind die Adressaten der Handlungen Individuen, und die Anerkennung ihrer Individualität verbietet es, sie als Mittel zur Erlangung oder Bewahrung öffentlicher Güter zu benutzen. Das bedeutet nicht, daß in politischen Entscheidungen nicht manchmal bestimmte Interessen zugunsten anderer geopfert werden müßten. Wohl aber wird verlangt, daß nicht moralische Rechte eines Individuums zugunsten der entsprechenden moralischen Rechte anderer Individuen geopfert werden. Genau dies ist der Grund dafür, warum Sklaverei, totalitäre Regime und selbstverständlich auch Staatsterrorismus nicht zu rechtfertigen sind. Akzeptiert man, daß politisches Handeln aus moralischen Gründen Individuen als eigenständige Einheiten berücksichtigen muß und sie nicht als austauschbare Teile eines sozialen Ganzen betrachten darf, dann läßt sich daraus folgern, daß die Respektierung der individuellen Persönlichkeit ein Imperativ ist, der auch auf der politischen Ebene gilt. Daher ist die diffuse Anwendung von Terrormaßnahmen ohne jedes Ansehen der Identität der Adressaten mit der Ausrede, daß man so - um es mit den Worten von Ex'JC

Admiral Emilio Massera zu sagen - die "Lücken im Recht" stopfen könne, damit kein Schuldiger "hindurchschlüpft", ethisch nicht zu rechtfertigen. 5) Die Lehre vom Doppeleffekt stützt sich auf die Unterscheidung von beabsichtigter Handlung und vorhergesehenen, aber nicht beabsichtigten Nebenwirkungen bei der Beurteilung der Verantwortung eines Handelnden. In Jerusalem berief sich Adolf Eichmann darauf, daß seine Absicht nicht gewesen sei zu töten, sondern nur Befehlen zu gehorchen. In Lateinamerika ist der Hinweis auf die Absicht in Verbindung mit dem Gedanken des Doppeleffekts wiederholt benutzt worden, um die Verantwortlichkeiten totalitärer Regierungen zu mindern oder diese ganz zu entschuldigen. Am 10. Mai 1974 berichtete die Londoner Times über den Vorwurf des Völkermords an Indianergruppen in Paraguay, der von der paraguayischen 75 Massera 1979: S. 62.

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Bischofskonferenz erhoben worden war, und von der Reaktion Regierung:

der

"Am nächsten Tag setzte der paraguayische Verteidigungsminister, General Marcial Samaniego, eine Pressekonferenz an, um die Vorwürfe zu diskutieren. Der Minister machte keine Anstalten zu bestreiten, daß Verbrechen an den Indianern verübt worden seien. Er betonte jedoch, daß man nicht die Absicht gehabt habe, die Guayaki zu vernichten, und daß es sich daher per definitionem nicht um Völkermord handeln könne. "Obwohl es Opfer und Täter gibt, fehlt das dritte Element, das erforderlich ist, damit das Verbrechen des Völkermords vorliegt, nämlich der 'Vorsatz'. Da also kein 'Vorsatz' bestand, kann man auch nicht von 'Völkermord' sprechen'".

Aufgrund der Probleme, die die korrekte Feststellung der Absicht eines Handelnden aufwirft, hat die Doktrin vom Doppeleffekt den ungeheuren Nachteil, daß sie die Definition der Handlung, die einer tatsächlich ausführt, und damit ihre mögliche Rechtfertigung ganz allein dem Handelnden selbst überläßt. Dies ist ein hervorragender Weg, um jedweder Handlung moralischen Charakter zu verleihen. In der Praxis erlaubt dies, wie G. E. M. Anscombe aufgezeigt hat, jedes beliebige Verbrechen als "Unfall" darzustellen. Man muß dazu nur die Dinge "in der richtigen Weise" betrachten: "das heißt, man muß sich selbst gut zureden: Was ich mit dieser Handlung beabsichtige, ist doch ..." . Die Anerkennung der Doktrin vom Doppeleffekt würde es dementsprechend einer Regierung, die Staatsterrorismus praktiziert, erlauben, genau dies zu bestreiten. Was sie zu rechtfertigen hätte, wäre dann nicht Staatsterrorismus, sondern nur Handlungen, deren Täterschaft sie anerkennt. Es würde dann beispielsweise nicht darum gehen, Folter zu rechtfertigen, sondern es würde einfach bestritten, daß die beabsichtigte Handlung das Foltern ist: die eigentliche Absicht wäre die Beschaffung von Informationen, so daß allein dies die beabsichtigte Handlung darstellt, die eine Rechtfertigung verlangt. Die Doktrin vom Doppeleffekt ist ethisch unzulässig. Denn da sie die Rechtfertigung jeder beliebigen Handlung erlaubt, entspricht sie einer Verhaltensnorm, die es ganz allein ihren Adresssaten überläßt zu entscheiden, wann sie verletzt wurde, was im übrigen zum Normbegriff selbst im Widerspruch steht.

76 Anscombe 1975: S. 294.

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6) Der Rückgriff auf das Argument der "tragic choice" setzt voraus, daß Argument 1) richtig ist. Dieses ist jedoch, wie schon gezeigt wurde, falsch. Im übrigen ist schließlich unabhängig davon, welche Theorie zur moralischen Rechtfertigung des Staates im einzelnen vertreten wurde, seit Locke jede Position, die die anarchistische Frage ernst genommen hat - also die Frage, warum der Staat besser sei als der Nicht-Staat -, davon ausgegangen, daß die Autonomie des Individuums anerkannt, daß ein öffentlich und unabhängig verfahrendes Justizsystem eingerichtet und die Öffentlichkeit des Regierungshandelns gewährleistet werden muß. Man muß hier nicht an die Argumente Kants zugunsten der Öffentlichkeit der Aktivitäten von Regierungen erinnern. Alle Rechtfertigungen des Staates, auch die am wenigsten anspruchsvollen, enthalten folglich auch das Element, daß die Verhängung von Strafen auf der Basis bekannter Verhaltensregeln vorhersehbar sein muß. Der Staatsterrorismus beinhaltet genau die Negation der Mindestanforderungen, deren Erfüllung es erst gestattet, eine Rechtfertigung des Staates zu versuchen. Die "rule of terror" widerspricht unmittelbar der "rule of law". Anders ausgedrückt: In dem Augenblick, in dem der Staat zum Agenten von willkürlichem und diffusem Terror wird, stellt er selbst die Bedingungen des Naturzustandes wieder her, in dem das Leben der Menschen - nach der berühmten Formulierung von Hobbes - "nasty, brutish and short" ist. Man sollte sich daher einmal mehr ins Gedächtnis rufen, daß eine der Verteidigungslinien im Prozeß gegen die ehemaligen Mitglieder der argentinischen Militärregierungen sich auf die Behauptung stützte, die Regierung hätte sich als Wolf unter Wölfen verhalten müssen. Dies ist die "These des Geheuls", die ich schon weiter oben angesprochen habe: Die Regierung gibt damit ihre Rolle als Exekutive der geltenden Gesetze auf und wird zur teilnehmenden Partei im Kampf um die Macht. In diesem Sinne untergräbt letzlich der Staatsterrorismus die Grundlagen für jede Rechtfertigung der politischen Organisation und trägt damit zu deren Instabilität bei. Der Staatsterrorismus kann folglich auch nie eine dauerhafte Regierungsform sein. Dies sehen sogar diejenigen, die ihn verteidigen oder praktizieren, wenn sie den Übergangscharakter dieses Systemstyps als Phase der Vorbereitung auf eine "wahre Demokratie" betonen. Vom ethischen Standpunkt aus ist das Postulat des "Regierungsgeheuls" als Mittel zur Stärkung der Demokratie ebenso

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unannehmbar wie die bewußte Tötung Unschuldiger zur Einschüchterung tatsächlicher oder möglicher Schuldiger. Wer nun trotz allem, was bisher gesagt wurde, Maßnahmen rechtfertigen wollte, wie sie für den Staatsterrorismus charakteristisch sind, der könnte als letztes Argument die moralische Pflicht anführen, nötigenfalls auch mit gewaltsamen Mitteln solche politischen Werte durchzusetzen (zum Beispiel in Verteidigung der westlich-christlichen Welt), die als absolut gelten und auf denen die propagierten Ideale für das soziale Leben beruhen: "... der Ruf 'Es lebe der Tod!' von Millän Astray, dessen Ideologie hier als pervers bezeichnet wurde, hat seinen Sinn ... Mit dem Ruf des Gründers der Freiwilligenlcgionen starben viele Spanier dafür, daß Spanien das demokratische Spanien von heute sein kann und nicht unter dem erdrückenden Joch ächzen muß, dem halb Europa unterworfen ist"77.

Wenn es politische Wahrheiten gibt, warum soll dann eine Regierung, die diese Wahrheiten kennt, gegensätzliche und folglich falsche Überzeugungen tolerieren müssen? Verdient es nicht derjenige, der sich gegen die "natürliche Ordnung" auflehnt, bekämpft zu werden, selbst unter dem Motto "Es lebe der Tod"? Ist nicht die Verteidigung religiös begründeter politischer Ideale eine der ehrenvollsten Formen eines konsequent moralischen Lebens innerhalb einer Gemeinschaft? Wie die Erklärungen der Ex-Kommandanten der argentinischen Militärjuntas zeigen, ging eine große Zahl derer, die am Staatsterrorismus aktiv beteiligt oder damit einverstanden waren, davon aus, daß es Ideale sind, die dem Leben erst seinen Sinn geben, und daß man sich zu ihrer Verteidigung von der Toleranz frei machen muß, von der der 78

"Schwachsinn der liberalen Demokratie" geprägt ist. Diese Argumentationslinie beruht auf zwei Prämissen: a) auf der Behauptung, daß es in der Moral absolute Wahrheiten gibt, und b) auf der Überzeugung von der moralischen Notwendigkeit, die auf diesen Wahrheiten begründeten Ideale durchzusetzen, auch wenn dies die Interessen anderer verletzt. Hieraus wird abgeleitet, daß Intoleranz gegenüber denen, die a) in Zweifel ziehen oder sich der Umsetzung von b) widersetzen, moralisch erlaubt ist. Zu diesen Prämissen, die zum moralischen Absolutismus bzw. Fanatismus führen, läßt sich folgendes sagen:

77 Verteidiger von Generalmajor Orlando Agosti, Dr. Garona; vgl. El Diario del Juicio Nr. 27 vom 26.11.1985. 78 Castro Castillo 1979.

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a) Der moralische Absolutismus behauptet, daß es niemals erlaubt ist, ethische Prinzipien zu verletzen, und daß diese rational nicht zu hinterfragen sind. Die Überzeugung von solchen Prinzipien ist eine über jeden Zweifel erhabene Glaubenssache. Als solche verlangt sie nicht nur keine rationale Begründung, sondern lehnt diese sogar ab. Diejenigen, die einen solchen Glauben teilen, bilden in der Regel geschlossene Gruppen, für die alle, die nicht dazugehören, als moralisch minderwertige Personen gelten, wenn sie nicht gar als Inkarnation des Bösen betrachtet werden: "Das Land muß von der Subversion gesäubert werden, aber man muß begreifen, daß nicht nur terroristische Organisationen jedweder ideologischen Richtung subversiv sind, sondern daß auch ideologische Saboteure und überhaupt alle die subversiv sind, die durch die Propagierung einfacher Lösungen die erneute Aufschiebung der Erfüllung unseres Auftrags betreiben"79. Der Irrtum des moralischen Absolutismus beruht vor allem auf der Auffassung, daß man aus dem Glauben an die Wahrheit eines Satzes oder eines Prinzips dessen objektive Wahrheit ableiten könne. Selbstverständlich ist für den, der an die Wahrheit einer Proposition P glaubt, P wahr. Vom internen Standpunkt aus ist es richtig, daß Glauben und Wahrheit übereinstimmen: "Gäbe es ein Verbum mit der Bedeutung 'fälschlich glauben', so hätte das keine sinnvolle erste Person im Indikativ des Präsens (...) 'Ich glaube ..., und es ist nicht so' wäre ein Widerspruch" 80 .

Gerade deswegen kann im Bereich der Politik Legitimation definiert werden als "Legitimitätsglaube". Vom Standpunkt eines externen Beobachters aber ist die Tatsache, daß X glaubt, P sei wahr, kein hinreichender Grund, um die Wahrheit von P anzunehmen (es sei denn, man wolle "ad hominem" argumentieren). Während es widersprüchlich wäre, zu sagen "ich glaube, daß P wahr ist, aber P ist falsch", enthält die Behauptung "X glaubt, daß P wahr ist, aber P ist falsch" überhaupt nichts Merkwürdiges. Führt man den eigenen Glauben als Wahrheitskriterium an, dann ist dies selbstverständlich zirkulär: "... solange es keine Möglichkeit gibt, von einem unpersönlichen Standpunkt aus eine Unterscheidung zwischen meinem Glauben an etwas und dessen Wahrheit anzunehmen, (ist) die Behauptung seiner Wahrheit mit der Behauptung meines Glaubens daran gleichbedeutend ..."81. Der moralische Absolutismus unterliegt jedoch nicht nur dem epistemologischen Irrtum, daß er Glauben mit Wahrheit verwechselt, sondern er führt 79 Massera 1979: S. 22. 80 Wittgenstein 1960: S. 500. 81 Nagel 1987: S. 231.

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darüber hinaus in der Regel auch zu tragischen Folgen in der sozialen Praxis, wie es die Geschichte der Verfolgung Ungläubiger (also derjenigen, die die herrschenden moralischen oder religiösen Überzeugungen nicht teilten) oder auch die Taten, die den Weg des Staatsterrorismus pflastern, zeigen. b) In einem inzwischen klassischen Werk definierte R. M. Hare 8 2 den Besitz eines Ideals als "von etwas glauben, daß es besser ist als alles andere in einer umfangreicheren Klasse". Wenn bei der Gestaltung des eigenen Lebens eigene Interessen in Verfolgung eines solchen Ideals geopfert werden, so mag dies angemessen und in manchen Fällen sogar lobenswert sein. Ein Problem jedoch entsteht immer dann, wenn die Verfolgung der Ideale eines Individuums oder einer Gruppe ohne jede Rücksichtnahme auf die Interessen anderer betrieben wird. Dies ist der Fall bei politischen oder religiösen Fanatikern. Ein Fanatiker mit perversen Idealen ist sogar äußerst gefährlich. Anschauliche Beispiele für diese Art des Fanatikers bieten die Fälle der Nazis und der islamischen Fundamentalisten. Beide Gruppen sind bezüglich der Positionen, die sie vertreten, völlig konsequent: Sie sind bereit für sich selbst schwerste Strafen zu akzeptieren, wenn sich herausstellen sollte, daß sie - im ersten Fall - jüdischer Herkunft sind bzw. daß sie - im zweiten Fall - ein religiöses Prinzip verletzt haben. Die Anhänger des Staatsterrorismus lassen sich ebenfalls dieser Kategorie moralischer Absolutisten zurechnen. Es gibt jedoch, wie weiter oben bereits angesprochen, eine Besonderheit, die die Verfechter des Staatsterrorismus von Nazis und Fundamentalisten unterscheidet. In den beiden letzten Fällen nämlich läßt sich die Klasse der "Guten" von der der "Bösen" mit Hilfe klarer Zugehörigkeits- bzw. Ausschlußkriterien scharf trennen, so daß es relativ einfach ist, die jeweilige Zuordnung vorzunehmen. Im Fall des Staatsterrorismus hingegen kann gerade deswegen, weil seine Maßnahmen diffus und unberechenbar sind, nie die Möglichkeit ausgeschlossen werden, daß diejenigen, die dieses System verteidigen oder aktiv umsetzen, am Ende selbst zu seinen Opfern gehören. Auch in der jüngsten argentinischen Geschichte, die für jede Art von Scheußlichkeiten Beispiele im Überfluß bietet, sind solche Fälle vorgekommen. Der fanatische Verfechter des Staatsterrorismus kann, wenn er konsequent ist, nicht im Nachhinein von der eigenen Tragödie überrascht

82 Hare 1983: S. 179.

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sein, sondern muß von Anfang an bereit sein zu akzeptieren, daß auch er und seine Familie zu den willkürlich Geopferten gehören können, und er muß diese Willkür sogar für richtig halten. Die Konsequenz des Fanatikers führt also interessanterweise zu einer selbstzerstörerischen Haltung: Wer (staatlichen oder nichtstaatlichen) Terrorismus praktiziert, vertritt per definitionem die Ansicht, daß es zugunsten höherer Ideale, an die er glaubt - moralisch gerechtfertigt ist, unschuldiges Leben zu zerstören; dabei wird er sich selbst zu den Unschuldigen zählen und dieser Klasse auch die Personen zurechnen, die er am meisten liebt und die er gegen den Feind verteidigen will; aber aufgrund seiner terrorisitschen Einstellung muß er gleichzeitig zugeben, daß eine wirkungsvolle und gerechtfertigte Form der Verteidigung darin besteht, daß er die Möglichkeit seiner eigenen Zerstörung oder der Personen, die ihm am nächsten stehen, zuläßt, gerade weil sie "unschuldig" sind. Da die beiden Prämissen also falsch sind, ist offenbar auch die Schlußfolgerung falsch, daß Intoleranz moralisch erlaubt oder gar geboten wäre. An diesem Punkt könnte sogar jemand die Argumentation umdrehen und behaupten, daß sich daraus auf die Notwendigkeit schließen läßt, ethischen Absolutismus und Fanatismus zu tolerieren, wenn man nicht in einen umgekehrten Fanatismus verfallen will. Die einzige Antwort auf den moralischen Absolutismus sei eben der Relativismus, dessen konsequente Interpretation eine Verurteilung des Fanatikers nicht erlaube. Mit anderen Worten: Sofern die Argumente gegen den ethischen Absolutismus und den Fanatismus im Namen einer liberalen, demokratischen Position vorgebracht würden, deren moralischer Ansatz nicht absolutistisch sein könne, sondern relativistisch sein müsse, sei nicht zu verstehen, wie eine Verurteilung möglich sein kann. Die Tatsache, daß diese Verurteilung trotzdem stattfindet, mache deutlich, wie widersprüchlich der "Schwachsinn der liberalen Demokratie" ist (um noch einmal die griffige Formulierung des Militärgeistlichen Castro Castillo aufzugreifen). Der Einwand macht eine Betrachtung des Gegensatzes AbsolutismusRelativismus und die Präzisierung des Begriffs der Toleranz notwendig. Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß die Disjunktion "Absolutismus oder Relativismus" keineswegs erschöpfend ist, was die Beschreibung der im Bereich der normativen Ethik möglichen Positionen betrifft. Man kann hier an den Weg des ethischen Objektivismus denken, der die Möglichkeit einer rationalen Begründung von Werten eröffnet, wobei deren Anerkennung 348

gleichbedeutend damit ist, daß bestimmte Güter zu mehren und zu schützen sind, die als unerläßlich für Leben und Gesundheit der Menschen erachtet werden, und zwar in einem umfassenden Sinn, also nicht nur für ihr physisches, sondern auch ihr gesellschaftliches und politisches Leben. Diese Güter bilden den Kern der sogenannten Menschenrechte in den modernen demokratischen Verfassungen. Ihre Gewährleistung ist eine notwendige Bedingung, um einem politischen System Legitimität zuschreiben zu können. Ihre Verletzung kann, anders ausgedrückt, vom ethischen Standpunkt aus nicht toleriert werden. Eine relativistische Argumentation wäre hier fehl am Platz. Der Zusammenhang zwischen Gewährleistung der Menschenrechte und Legitimität ist keine bloße Glaubensfrage, wie dies ein wohlwollender Absolutismus vielleicht behaupten könnte, sondern vielmehr die notwendige Folge der Einnahme eines moralischen Standpunkts, das heißt einer Perspektive, die Unparteilichkeit und Universalität als Kriterien bei der Bewertung des Verhaltens rationaler, autonomer Wesen heranzieht, die nicht in einer Gesellschaft zusammengeschlossen sind, um einen Verein von Selbstmördern zu bilden, sondern um ihre Lebensbedingungen zu verbessern. Dies bedeutet selbstverständlich, daß nicht jede Überzeugung - wie stark auch der Glaube sein mag, auf dem sie beruht - anderen legitimerweise aufgezwungen werden darf, ohne die geringste Rücksichtnahme auf die Interessen der Betroffenen, wie es der Fanatiker vertritt. Die Toleranz, die allein Legitimität gewährleistet, ist nicht zu verwechseln mit einer Blankoerlaubnis für alles und jedes, die zur moralischen Anarchie führen würde. Auf der politischen Ebene liegt der Unterschied zwischen Anarchie und Rechtsstaat gerade in der Anerkennung einer Grenze, die zu überschreiten jedem Machthaber untersagt ist. Und gerade weil der Fanatiker nicht bereit ist, diesen "Sperrbezirk" zu respektieren, sondern weil er mit messianischem Eifer in ihn eindringt, kann er auch für sich selbst nicht das Privileg der Toleranz in Anspruch nehmen. Die Zone der Toleranz beginnt jenseits des Sperrbezirks, und Toleranz verpflichtet auch nicht zur Anerkennung rein persönlicher Überzeugungen als Rechtfertigung für die Erzwingung bestimmter sozialer Verhaltensregeln. Das Problem der Legitimität hängt eng zusammen mit dem Unterschied zwischen "den Werten, auf die sich jemand für die eigene Lebensführung berufen kann, und denen, die er anführen kann, um die Ausübung politischer

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Macht zu rechtfertigen" . Aus diesem Grund sind zur Begründung der Legitimität eines politischen Systems auch die Argumente eines "gemäßigten Idealisten" 84 unzureichend, wenn dieser nicht bereit ist, mit seinen Idealen den Sperrbezirk zu verschonen und im übrigen seinen Argumenten eine Grundlage zu verleihen, die auch dem rationalen Verständnis derjenigen zugänglich ist, die seine persönlichen Ideale nicht teilen. Die Maßnahmen, die den Staatsterrorismus charakterisieren, setzen eine Anerkennungsregel voraus, die dem wesentlichen Kern jeder möglichen Rechtfertigung des Staates widerspricht. Sie stellen die Bedingungen des vorstaatlichen Zustands wieder her, ja sie verschärfen diese sogar noch: Während die "wölfischen" Menschen bei Hobbes über annähernd die gleichen Kräfte verfügen, besitzt die "mitheulende Regierung" so viel Macht, daß ihr jedes Interesse abgeht, Formen des Zusammenlebens zu schaffen, die ein Mindestmaß an Akeptanz finden können. Wer angesichts einer solchen Anerkennungsregel den internen Standpunkt einnimmt, wer also an ihre Legitimität glaubt, der begibt sich, indem er seine persönlichen Überzeugungen zum Kriterium absoluter Wahrheit erhebt, auf den Weg des Fanatismus und versperrt jede Möglichkeit für eine rationale politische Auseinandersetzung. Der Staatsterrorismus kann insofern mit vollem Recht als schwachsinnige Regierungsform betrachtet werden.

83 Nagel 1987: S. 221. 84 Gettner 1977: S. 163.

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Kultur und psychosoziale Situation in Lateinamerika Horacio Riquelme (Hrsg.)

Zeitlandschaft im Nebel Staatsterrorismus, Manschenrechte und psychosoziale Gesundheit 220 S„ 26,80 DM, ISBN 3-89354-044-X

Aus dem Inhalt: H. Riquelme, Menschenrechte und psychosoziale Gesundheit, S. Amati, Psychoanalytische Reflexionen; I. Agger/S. Buus Jensen, Sexuelle Folter an politischen Gefangenen; D. Becker/H. Calderón, Extremtraumatisierungen\ V. Martlnez/M. Pechman, Behandlung der Kinder von »Verschwundenen'-, M. Vidal, Psychopathologische Probleme bei politischer Unterdrükkung-, H. Faúndez, Die Sprache der Furcht, M. Vinar, Gedächtnis, Exil und Rückkehr Horacio Riquelme (Hrsg.)

Erkundungen zu Lateinamerika Identität und psychosoziale Partizipation 280 S„ 26,80 DM, ISBN 3-89354-045-8

Aus dem Inhalt: L. Lumbreras, Peru: Rasse und Marginalität; H. Riquelme, Entwurzelungserfahrung undpsychokulturelle Identität, C. Bolzman, Exil undsoziokulturelle Identität, E. Bustos, Identität, Exil und Sexualität, H. San Martin, Psychosoziale Gesundheit in Lateinamerika; R. Rojas, Psychosoziale Epidemiologie S. Vasconcelos, Volkskulturin Brasilien; M. Campuzano, Erdbeben in Mexiko Horacio Riquelme

Aus dem Gedächtnis des Windes Psychokulturelle Studien zu Lateinamerika 191 S„ 24,80 DM, ISBN 3-89354-040-7

Aus dem Inhalt:: Nicaragua: Psychosoziale Versorgung im Aufbauprozeß; Volkskunst und Psyche in einem mexikanischen Dorf; Das Alkoholproblem in Chile; Die Tradition des Irrenhauses in Europa; Literatur und Identität: Lateinamerikaner in Europa; Der Umgang mit sozialen Minderheiten in Nicaragua

Vervuert Verlag Wielandstr. 40 6000 Frankfurt/M

Politikwissenschaft im Vervuert Verlag Walther L. Bemecker Josef Oehrlein (Hrsg.) Spanton h * u t * PeHtfc. Wirtschaft. Kultur 550 Saiten, 56.00 DM ISBN 3-09354-042-3 Dieser Band, mit Beitragen u.a. von A. Hildenbrand. D. Nohlen, K.-W. Kreis, P. Waldmann, W. Hanke, B. Pörez-Ramos, F. Aguero, S.G. Peyne, N. Rehrmann, zieht die Bilanz der 15 Jahre des modernen Spaniens seit Ende der Franco-Dlktatur.

Dieter Janik, Wolf Lustig (Hrsg.) Dlo Spanisch* Eroberung Amerikas: WiliHW, Auto ran, Taxta •Ina AnSialogl« von Ortglnalaau^ilaaan 241 Seiten, 24,80 DM ISBN 3-89354-041-5 Spanische Texte von Kolumbus, Cortös, de las Casas, de la Vega, de Castellanos u.a. mit ausführlichen deutschen Kommentaren zur Biographie, der Bedeutung der ausgewählten Texte, Adressaten, Worterklärungen und bibliographischen Hinweisen.

Gerlinde Freia Niehus Außenpolitik Im Wand*l IM* AiAanpolHIk Ipanlan» von dar Diktatur Francoa bis cur paHniwitaH« c h u Damokratla 2 Bde., 1093 Seiten, 148,00 DM ISBN 3-89354-829-7

Helmbrecht Breinig (Hrsg.) Int*ram*rlkanlsch* B*«l*hung*n. • M M . Tranafar • Migration 213 Seiten, 36,00 DM ISBN 3-89354-727-4

Walther L.Bernecker (Hrsg.) D*r Spanisch* BQrg*rkri*g Matariailan und Ouallan 230 Seiten, 19,80 DM ISBN 3-89354-002-4 Peter Waldmann Militanter Nationalismus Im Baskonland 241 Seiten, 32,00 DM ISBN 3-89354-830-0

Rauke Gewecke DI* Karibik Zur Qaachictita, PoMIk i n d Kultur

Titus Heydenreich (Hrsg.) Chllo Q — c h l c h t a , WIIIKIMW u n d

Kultur dar ttipwwrt 277 Seiten, 38,00 DM ISBN 3-89354-725-8

Vervuert Verlag Wielandstr. 4 0 D - 6 0 0 0 Frankfurt/M.

220 Seiten, 19,80 DM ISBN 3-89354-010-5 MatariaSan aur tandaalaida Martin Franzbach (Hrsg.) Kuba 136 Seiten, illustriert, 16,80 DM ISBN 3-89354-008-3 Christel Harjes- Römermann/ Martin Ranzbach (Hrsg.) Moxlko 140 Seiten, illustriert, 16,80 DM ISBN 3-89354-009-1 Reiner Kornberger (Hrsg.) P*ru 147 Seiten, illustriert, 16,80 DM ISBN 3-89354-018-0