Poetik der Transformation: Paul Celan - Übersetzer und übersetzt [Reprint 2015 ed.] 3484651288, 9783484651289

Die 1992 gegründete Buchreihe ist interdisziplinär ausgerichtet; sie umfasst wissenschaftliche Monographien, Aufsatzsamm

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German Pages 194 [192] Year 2015

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Poetik der Transformation: Paul Celan - Übersetzer und übersetzt [Reprint 2015 ed.]
 3484651288, 9783484651289

Table of contents :
Vorwort
I. Celan als Übersetzer
Das Übersetzen und die Unübersetzbarkeit – Notizen zu Paul Celan als Übersetzer
»Der Schmerz schläft bei den Worten« Freigesetzte Worte, freigesetzte Zeit. Paul Celan als Übersetzer
Etwas die Tropen Durchkreuzendes: Paul Celans »Trunkenes Schiff«
»Here we go round the prickly pear« or »Your song, what does it know?« Celan vis-à-vis Mallarmé
Guillaume Apollinaire: »L’Adieu« / Paul Celan: »Der Abschied«
Paul Celan als Übersetzer von Osip Mandel’štams »Bahnhofskonzert«
Dickinson, Celan, and Some Translations of Inversion
Das Wiedererkennen des Unbekannten. Zu Paul Celans Übersetzung des Gedichts »Banechar« von David Rokeah
II. Celan übersetzt
Traduit du silence: les langues de Paul Celan
On (Mis-)translating Paul Celan
Celan/Heidegger: Translation at the Mountain of Death
Zur Übersetzung von Celans Todesfuge ins Spanische
Being and Indeterminancy: Celan in Hebrew
Personenregister

Citation preview

Conditio Judaica

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Studien und Quellen zur deutsch-jüdischen Literatur- und Kulturgeschichte Herausgegeben vonAlfred HansBodenheimer, Otto Horch Mark H. Gelber und Jakob Hessing in Verbindung mit

Poetik der Transformation ««

Faul Celan - Ubersetzer und übersetzt Im Auftrag des Franz Rosenzweig-Forschungszentrums für deutsch-jüdische Literatur und Kulturgeschichte der Hebräischen Universität Jerusalem

herausgegeben von Alfred Bodenheimer und Shimon Sandbank

Max Niemeyer Verlag Tübingen 1999

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Poetik der Transformation : Paul Celan - Übersetzer und übersetzt / im Auftr. des FranzRosenzweig-Forschungszentrums für Deutsch-Jüdische Literatur und Kulturgeschichte der Hebräischen Universität Jerusalem hrsg. von Alfred Bodenheimer und Shimon Sandbank. Tübingen : Niemeyer, 1999 (Conditio Judaica ; 28) ISBN 3-484-65128-8

ISSN 0941-5866

© Max Niemeyer Verlag GmbH, Tübingen 1999 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Libersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Druck: AZ Druck und Datentechnik GmbH, Kempten Einband: Industriebuchbinderei Hugo Nadele, Nehren

Inhalt

Vorwort

1

I. Celan als Übersetzer Axel Gellhaus Das Übersetzen und die Unübersetzbarkeit Notizen zu Paul Celan als Übersetzer

7

Jürgen Lütz »Der Schmerz schläft bei den Worten« Freigesetzte Worte, freigesetzte Zeit. Paul Celan als Übersetzer

21

Ute Harbusch Etwas die Tropen Durchkreuzendes: Paul Celans »Trunkenes Schiff«

55

John Felstiner »Here we go round the prickly pear« or »Your song, what does it know?« Celan vis-à-vis Mallarmé

79

Stéphane Mosès Guillaume Apollinaire: »L'Adieu« / Paul Celan: »Der Abschied«

87

Larissa Naiditch Paul Celan als Übersetzer von Osip Mandel'ätams »Bahnhofskonzert«

99

Timothy Bahti Dickinson, Celan, and Some Translations of Inversion

117

Alfred Bodenheimer Das Wiedererkennen des Unbekannten Zu Paul Celans Übersetzung des Gedichts »Banechar« von David Rokeah

129

VI

Inhalt

II. Celan übersetzt Martine Broda Traduit du silence: les langues de Paul Celan

139

Shira Wolosky On (Mis-)Translating Paul Celan

145

Pierre Joris Celan/Heidegger: Translation at the Mountain of Death

155

José Luis Reina Palazon Zur Übersetzung von Celans Todesfuge ins Spanische

167

Shimon Sandbank Being and Indeterminancy: Celan in Hebrew

175

Personenregister

183

Vorwort

Seit den achtziger Jahren, als im Rahmen der fünfbändigen Werkausgabe Paul Celans die letzten beiden Bände ausschließlich seinem übersetzerischen Werk gewidmet wurden, spätestens aber seit Leonard Moore Olschners umfassender Studie Der feste Buchstab über Celan als Übersetzer ist die Wichtigkeit dieses Aspekts seines Schaffens für das Gesamtwerk des Dichters erkannt. Celans Übersetzungen gelten als exemplarisch für das Nach- und Mitgestalten von Dichtung im Prozeß der Übertragung in eine andere Sprache sowie in eine andere Zeit und Erfahrungswelt. War Celan ein vieler Sprachen mächtiger, aber selbst konstant in der deutschen Sprache schreibender Dichter und Übersetzer, so wurden auch seine eigenen Gedichte (teilweise noch zu seinen Lebzeiten, vor allem aber seit seinem Tod) in zahlreiche andere Sprachen übertragen. Paul Celan - Übersetzer und übersetzt, diese kombinierte Betrachtung versprach einen Einblick in seinen rezeptiven und produktiven Umgang mit Sprache, in die Aufgaben, die er sich selbst gegenüber dem Werk anderer Dichter wie den Lesern seines Werkes stellte. Im Juni 1996 veranstaltete das Franz Rosenzweig Forschungszentrum für deutsch-jüdische Literatur und Kulturgeschichte an der Hebräischen Universität in Jerusalem ein Kolloquium israelischer Literaturwissenschaftler und Übersetzer, in welchem diese zweifache Fragestellung zum Werk Paul Celans behandelt wurde. Aus den Beiträgen und anschließenden Diskussionen wurde ersichtlich, daß hier ein Thema aufgegriffen worden war, bei dem noch viel zu erschließen blieb, für die Teilnehmer des Kolloquiums ebenso wie für die Öffentlichkeit. Es wurde deshalb beschlossen, auch ausländische Celan-Experten um Beiträge zu bitten und aus der Gesamtheit der Beiträge einen Band zusammenzustellen. Erfreulicherweise war das Echo auf die Anfragen sehr positiv, so daß die zur Veröffentlichung überarbeiteten fünf Kolloquiumsvorträge durch acht weitere Artikel aus den USA, Deutschland und Frankreich ergänzt werden konnten. Entstanden ist somit eine Sammlung, die mehr als nur oberflächlichen Panorama-Charakter anstrebt, indem sie Celans übersetzerisches Werk und das übersetzerische Arbeiten an Celan von vielen Seiten her ausleuchtet und die Dialektik von Treue zur Vorgabe einerseits und eigenem Verstehen dieser Vorgabe innerhalb der Texttreue andererseits an verschiedensten Beispielen

2

Vorwort

freilegt. Die Poetik der Transformation konstituiert sich gerade im Wissen um das Eingebundensein und die Anlehnung alles Sprechens an kulturelle Vorund Kontexte, die Differenz zur anderen läßt erst ein Bewußtsein der eigenen, der persönlichen Sprache wachsen. Der vorliegende Band ist in drei Abschnitte unterteilt. Im ersten Abschnitt soll Paul Celan als Übersetzer aus einer umfassenderen Perspektive visualisiert und damit eine Annäherung an die Besonderheiten seines übersetzerischen Werks geleistet werden. Axel Gellhaus verdeutlicht Celans Verständnis des Übersetzens als eines »Fergendienstes«, also - einer Heideggerschen Metapher gemäß - im Sinne des Übersetzens eines Fährmanns über einen Strom. Der Beitrag von Jürgen Lütz entwickelt eine Poetologie der Übersetzung bei Paul Celan aus der Büchner-Preisrede »Der Meridian« und der Beziehung zu Ossip Mandelstamm, dessen Dichtung und Schicksal als Opfer eines totalitären Systems (wobei Celan zunächst die Nationalsozialisten für die möglichen Mörder hält) einen der entscheidenden Anstösse zu intensiver Übersetzungsarbeit bilden. Der zweite Abschnitt enthält Einzelinterpretationen zu Übersetzungen Celans. Seinen zahlreichen Übersetzungen französischer Dichter sind drei Artikel gewidmet. Stéphane Mosès verweist bei Celans Übersetzung von Guillaume Appolinaires Gedicht »L'Adieu« (»Der Abschied«) auf die Spannung zwischen einer möglichst vollkommenen Treue zum Original und der gleichzeitigen Schaffung eines neuen, in sich geschlossenen Gedichts, wie es etwa in Celans Aktualisierung und Dramatisierung des Moments der Trennung gegenüber Appolinaires eher auf die zukünftige Sehnsucht fokussiertem Schmerz zum Ausdruck kommt. Ute Harbuschs Interpretation von Celans »Trunkenem Schiff«, der Übersetzung von Arthur Rimbauds »Bateau ivre«, setzt sich mit Celans Verständnis und Anwendung der Metapher Ende der fünfziger und Anfang der sechziger Jahre auseinander, welche gegenüber der zuvor als »absolut« bezeichneten Metaphorik Rimbauds eine Radikalisierung, ein finales Kappen aller Rückübersetzbarkeiten der Figuren bedeutete. Celans einziger Übersetzung eines eher kurzen Gedichts von Stéphane Mallarmé, mit dem er in einer Besprechung der Todesfuge einst verglichen worden war, nimmt sich John Felstiner an, wobei er über diese Übersetzung hinaus zur zentralen Celanschen Frage nach der Stummheit im Sprechen gelangt. Celans Übersetzungen aus dem Russischen, Englischen und Hebräischen sind die drei weiteren Einzelinterpretationen gewidmet. Larissa Naiditch analysiert die Übersetzung von Ossip Mandelstamms »Bahnhofskonzert« und weist dabei vor allem auf die semantischen Verschiebungen, die neuen an Wörter geknüpfte Assoziationen und ihnen anhaftende Konnotationen hin, welche durch die zeitliche und vor allem zeitgeschichtliche Differenz zwischen der Entstehung des Gedichts und der von Celans Übersetzung entstanden sind. Timothy Bahti zeigt anhand der 1959 erschienenen Übersetzung von Emily Dickinsons Gedicht »Because I could not stop for death«, daß Celan, der als »Dichter der Inversion« in seinen Übersetzungen oft eine umgekehrte, sprachglättende und parallelisierende

Vorwort

3

Praxis verfolgt, gerade einem mit Parallelismen und Inversionen operierenden Vorlage wie Dickinsons Text mit derselben Technik antwortet. Daß er Parallelismen und Inversionen nicht linear der Vorlage nachbildet, sondern teilweise gerade ihr entgegen benützt, macht die Autonomie der Übersetzung gegenüber der Vorlage aus. Celans wenige Monate vor seinem Tod entstandene Übersetzung eines hebräischen Gedichts von David Rokeah schließlich wird von Alfred Bodenheimer mit Bezug auf den Israel-Besuch vom Oktober 1969 und die daraus erwachsenden ambivalenten, zwischen Begeisterung und Irritation sich bewegenden Gefühle des Dichters gesehen. Die Reflexion der Übersetzungsarbeit an Celan bildet die Grundlage des dritten Abschnitts. Martine Brodas Beitrag (der einzige französische des Bandes) betont aus der Sicht jener Sprache, die in den letzten Jahrzehnten Celans tägliche Umgangssprache war, die Implikationen, die der Gebrauch gerade der deutschen Sprache als poetischer Sprache für seine Dichtung hatten: Die Schaffung eines eigenen, Celanschen Idioms, das ins Französische zu übertragen das Ziel der Übersetzerin sein muß. Shimon Sandbank exemplifiziert als Übersetzer Celans ins Hebräische anhand ausgewählter Textstellen die unvermeidbaren Unzulänglichkeiten jeder Sprache bei der Wiedergabe von Besonderheiten der anderen, insbesondere bei einem Autoren wie Celan, der gerne mit sprachlichen Variationsmöglichkeiten und Ambiguitäten spielt. Shira Wolosky nähert sich demselben Problem in ihrer kommentierten englischen Übersetzung von Celans Gedicht »Deine Augen im Arm«. Die Leitlinie ihrer Untersuchung stellt das Benjaminsche Postulat dar, mit der Übersetzung ein »Echo« des Originals zu liefern. In seiner (ebenfalls englischen) Übersetzung des Gedichts »Todtnauberg« entwickelt Pierre Joris eine vor allem der Gadamerschen Interpretation entgegengesetzte Deutung des Gedichts (die sich in dessen Übersetzung durch Gadamers englischen Übersetzer spiegelt) und damit von Celans Verarbeitung des Besuchs bei Martin Heidegger. Die kommentierte spanische Übersetzung der »Todesfuge«, die José Luis Reina Palazon vorlegt, verweist auf eine zusätzliche Problematik, die besonders das Übersetzen von Lyrik betrifft: Wie nämlich läßt sich ein Gedicht überhaupt in einer Sprache mit völlig anderer Syntax-, Reim- und Metrenstruktur wiedergeben? Paul Celan ist ein eminent europäischer ebenso wie jüdischer Autor. Seine Existenz in der Vielsprachigkeit wie seine Bedeutung für andere Sprach- und Kulturgebiete, sein Einbringen jüdischer Denk- und Sprachtradition in die deutsche Sprache wie die Auseinandersetzung in Israel mit einer auf deutschem Idiom beruhenden poetischen Reflexion jüdischen Schicksals, seine innovative Sprachschöpfung, die das Deutsch der Nachkriegszeit ebenso mitgestaltet hat wie es Anderssprachigen neuen Umgang mit der deutschen Sprache abverlangte, dies alles kann wohl nur in der Auseinandersetzung mit seinem übersetzerischen und übersetzten Werk gelingen. Dieser Band verdankt sein Erscheinen der Initiative und Hilfe verschiedener Personen, deren Namen hier genannt zu werden verdienen: Besonderer Dank

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Vorwort

gilt den Damen llana Schmueli und Edith Obermann, Israel, die sowohl die Tagung als auch den Druck dieses Bandes finanziert haben. Vom Franz Rosenzweig Forschungszentrum sei Stéphane Mosès genannt, der als GrUndungsdirektor die vorausgehende Tagung kurz vor seiner Emeritierung initiierte und organisierte, des weiteren sein Nachfolger Gabriel Motzkin, der das Publikationsprojekt nach Kräften mitgefördert hat und die administrative Leiterin Chantal Assuline, die das ganze Projekt hindurch immer wieder wertvolle Ratschläge und Impulse gab, sowie Jens Mattem, der die Endredaktion und Tamar Dreyfuss, die die damit verbundene Texterfassung und Korrekturarbeit übernommen hat. Hans Otto Horch und sein Aachener Team haben die Vorbereitung zum Druck speditiv und zuverlässig besorgt. Luzern und Jerusalem, im Sommer 1998

Die Herausgeber

I. Celan als Übersetzer

Axel Gellhaus

Das Übersetzen und die Unübersetzbarkeit Notizen zu Paul Celan als Übersetzer

Die Ausstellung des Deutschen Literaturarchivs in Marbach am Neckar: Fremde Nähe - Celan als Übersetzer (1997)1 sollte nicht nur den erstaunlichen Umfang und die Vielfalt des übersetzerischen Werks von Paul Celan dokumentieren, sondern vor allem zeigen, wie elementar das Übersetzen zu seinem Leben einerseits, zu seinem eigenen dichterischen Œuvre andererseits gehört. Nimmt man die Arbeit des Übersetzers Celan nicht genau zur Kenntnis, begibt man sich - so darf ohne Übertreibung gesagt werden - des Königswegs zum Verständnis seiner eigenen Poetik und seiner eigenen Dichtung. Auch in den Anfängen des jungen Paul Antschel sind das Schreiben von Gedichten und das aus der intensiven Lektüre sich wie von selbst einstellende Übersetzen untrennbar: Auf der ersten Seite des kleinen Notizbuchs, das der 21jährige Paul Celan auf dem Weg ins Arbeitslager Tabaresti mitnahm, steht ein Gedicht, eingetragen in Reinschrift mit blauer Tinte. Es ist gleichmäßig, ohne Korrektur geschrieben, und man ist geneigt anzunehmen, dies sei nicht erst im Lager geschehen. Das Gedicht handelt von Liebe und Abschied und ist eine Übersetzung des 57. Sonetts von William Shakespeare. Der Übersetzer folgt der Vorlage wortgetreu. Vielleicht bis auf eine Stelle. Während bei Shakespeare der Abschied vom geliebten Du auf dessen Wunsch hin erfolgt: »When you have bid your servant once adieu« - läßt Celan die Trennungsursache als anonyme Macht erscheinen: »wenn deinem Diener Abschied ward Befehl«. Die Abweichung scheint geringfügig, sie bleibt stumm, wirft der Leser nicht einen Blick auf das englische Sonett. Tut er es, wird gerade sie sprechend. Vielleicht ist um dieses Unterschieds willen die Übersetzung entstanden. Zumindest wird deutlich, wie Celan das Sonett in jenem Sommer 1942 gelesen hat. Er hat dasselbe Gedicht später nochmals, ganz anders, übersetzt und in dem 1967 erschienenen Band William Shakespeare: Einundzwanzig Sonette veröffentlicht. Der hier vorgelegte Text ist eine überarbeitete Fassung zweier Kapitel des Marbacher Katalogs: Axel Gellhaus u.a.: >Fremde NäheBateau Ivre< von Rimbaud; der S. Fischer Verlag bringt, ebenfalls in diesem Herbst, eine Übersetzung aus dem Russischen: »Die Zwölf« von Alexander Block. Im Rahmen der Gesamtausgabe des Werkes von René Char erscheinen die von mir übersetzten Schriften »A une Sérénité crispée« und »Feuillets d'Hypnos«. Ich habe in den letzten Wochen viel Russisches übersetzt, hauptsächlich Ossip Mandelstamm und Sergej Jessenin. Wahrscheinlich werde ich im nächsten Jahr einen Band Mandelstamm veröffentlichen können. (Mandelstamm ist wohl der Lyriker, der Metaphysiker.) Neben diesen Arbeiten wächst auch, langsam, meine Anthologie französischer Lyrik. Und hoffentlich lässt sich auch noch einiges andere verwirklichen.

Auf einer nicht datierten Liste, vermutlich aus der Zeit zwischen 1955 und 1957, stellte Celan unter der Überschrift »Französische Anthologie« die bis dahin von ihm übersetzten Texte zusammen. Realisiert wurde eine solche Sammlung zu Lebzeiten nicht. Wann und aus welchen Gründen Celan das Vorhaben, eine Anthologie französischer Lyrik zu publizieren, aufgegeben hat, ist nicht klar. Denkbar ist, daß sich bald mehrere Vorhaben überkreuzten. So äußerte er auch die Absicht, eine Studie zur »Phänomenologie des Poetischen« zu verfassen, bei der sicher die von ihm übersetzten Autoren und seine eigenen Übersetzungen eine gewichtige Rolle gespielt haben würden. Jedenfalls kann man sagen, daß die Auswahl der von Celan übertragenen Autoren z. B. des französischen Symbolismus teilweise eher einem »phänomenologischen« Interesse verpflichtet ist als der Empfindung besonders großer Nähe zur eigenen Dichtung. Ja, zuweilen mag der Versuch einer Abgrenzung gegenüber bestimmten artifiziellen Tendenzen der Dichtung das vorherrschende Motiv gewesen sein.3 Später plante Celan erneut eine Sammlung mit Übersetzungen, die nun nicht mehr nur französische Poesie enthalten sollte. Wie ein solcher Band ausgesehen hätte, das zeichnet sich in einem Brief vom 28. November 1969 an Klaus Reichert andeutungsweise ab. Reichert arbeitete zu diesem Zeitpunkt selbst an Übersetzungen von Gedichten des amerikanischen Schriftstellers Charles Olson (1910-1970): Zum Übersetzungsband: nach Literaturen, ja, das wäre ein Gesichtspunkt. (Entstehungsdaten sind zu umständlich, auch zu biographisch, ich wüßte sie auch nur in einzelnen Fällen anzugeben.) Lebenszeiten, Epochen, das eher; die ältesten zuerst, dann hinunter und hinauf zu den jüngsten; dies am ehesten. [...] Und was halten Sie vom Zeitpunkt der Publikation? Gar so »lürisch« siehts ja zur Zeit nicht aus in Ihren, meinen und unsern Zonen - Oison mis à part, évidemment. Wir können natürlich auch 1971 ins Auge fassen - um nicht zu sagen: 2071.

3

Vgl. dazu in diesem Band den Beitrag von Ute Harbusch: Etwas die Tropen Durchkreuzendes. Paul Celans Trunkenes Schiff, S. 55-77.

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Axel Gellhaus Scherz - Schmerz? - beiseite: ich glaube, wir sollten jetzt rangehn an diese Sache. And make the best of it.

Zwei weitere undatierte Notizen betreffen die Vorgehensweise bei der Realisierung des Projekts, an dem Celan zeitweise offenbar auch andere Übersetzer beteiligen wollte: Entdeckertum: eine Aufgabe, die den deutschen Herausgeber, mag er auch in Paris leben, schlechthin nicht zusteht. Sollte - was ich mir zu hoffen erlaube - diese Anthologie auch zu einem buchhändlerischen Erfolg werden, so können die Jüngeren und Jüngsten in einem später erscheinenden zweiten Band zum Wort kommen. [AA/1.2,1-verso] 4 ich möchte keinem Übersetzer den Rang ablaufen. Zuerst: Sichtung des bereits Vorhandenen Dann: Kontakt mit Übersetzern, die einsichtsvoll genug sind, um sich gegeben[en]falls über kleinere Fehlinterpretationen aufklären zu lassen Schließlich: Übersetzungsaufträge [AH /1.2,1] Welche Bedeutung jenseits aller materiellen Notwendigkeiten, die sich in den 50er Jahren zwangsläufig auch mit den übersetzerischen Auftragsarbeiten verbanden, das Übersetzen für Celan hatte, geht aus dem Auftrag an den Literaturwissenschaftler Beda Allemann hervor, der ausdrücklich die Berücksichtigung der Übertragungen bei der Einrichtung einer Werkedition einbezieht. Erst nach seinem Tode konnte also im Rahmen der fünfbändigen Werkausgabe die Idee einer Übersetzungssammlung realisiert werden, und, da eine solche Ausgabe eigenen Gesetzen verpflichtet ist, sicherlich anders als Celan selbst sie gestaltet haben würde. Die handschriftliche testamentarische Verfügung, die hier nicht vollständig wiedergegeben werden kann, beginnt mit dem Satz: »S'il m'arrivait quelque chose«; sie befindet sich im Nachlaß Beda Allemanns, datiert: »45 rue d'Ulm / 15.12.67«, und lautet: Je souhait qu'une édition de mes poèmes et de mes traductions de poésie anglaise, russe, française paraisse aux Editions Suhrkamp et je prie Beda Allemann d'y apporter son aide et son savoir. Paul Celan5

4

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Zitiert wird hier und beim folgenden Zitat nach dem Originalmanuskript mit Angabe der Signatur des Deutschen Literaturarchivs in Marbach am Neckar. [Ich wünsche, daß eine Ausgabe meiner Gedichte und meiner Übersetzungen englischer, russischer und französischer Poesie in der Edition Suhrkamp erscheint und ich bitte Beda Allemann, dazu seine Hilfe und sein Wissen beizubringen. Paul Celan]

Das Übersetzen und die Unübersetzbarkeit

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Faszinierend am Thema »Celan als Übersetzer« ist eben, daß sich hier ein breites Spektrum verschiedener Verfahren des Übersetzens zeigt, von dem bei genauerer Analyse der Differenzen eine noch zu schreibende Typologie des Übersetzens ihren Ausgang nehmen könnte. Das zu Lebzeiten bisweilen zu hörende Urteil, Celan verwandle beim Übersetzen alles in Celan, trifft nachweisbar nicht zu, denn eine einheitliche übersetzerische Manier ist gerade bei Celan nicht zu erkennen. Freilich hat er - um den Begriff Manier im Sinne Goethes zu steigern - einen eigenen Stil entwickelt, bei dem der Übersetzer das Eigene nicht nur nicht unterdrückt, sondern - poetologisch wohlbegründet - als Reflex des sich vollziehenden Prozesses sichtbar werden läßt. Die Übersetzung ist ja insofern der Idealfall der Lektüre, als sich hier der Verstehensvorgang auf die eine oder andere Weise selbst wieder eine Form gibt, eine Schwestergestalt, freilich mit vollem Bewußtsein keine Zwillingsschwester, hervorbringt, im Durchgang durch die stillschweigend entfaltende Auslegung, deren Tendenz nun gleichsam zwischen den Zeilen steht. Sehen wir uns an, was Paul Celan tat. Was erfahren wir, wenn wir sein Übersetzen einmal nicht detailanalytisch, sondern, sagen wir: »phänomenologisch«, oder als Geste ansehen, wie es uns seine im Werk Georg Büchners gefundene poetologische Allegorie, Lucile, vorführt, eine Figur aus Dantons Tod mit jener durch die Liebe verliehenen Begabung, das Gestalthafte eines Menschen wahrzunehmen: In seiner Bukarester Zeit hat Celan ins Rumänische übersetzt, russische Literatur und Kafkas Erzählungen. Aber seit der Flucht aus Rumänien gab es nur noch eine Zielsprache für alle übersetzerischen Bemühungen, das Deutsche. Vom Pariser Exil aus, der Stadt, die das Schiff im Wappen fuhrt, leistet der poëte autrichien, aus dem deutschsprechenden Czernowitz im russischukrainisch gewordenen Rumänien, Paul Celan, Fergendienst. Was setzt er über? und: Worüber hinweg? Was setzt er über? Das Fremde. Das so nah ist, wenn man diese Nähe erkennen will. Der Fährmann bringt sein Leben lang Fremdes in ein Land, das sich besonders darin hervorgetan hatte, Narzißmus als Staatsmaxime zu feiern, das Fremde aus Angst zu ignorieren oder, wo dies nicht gelang, zu vernichten. In dieses vor kurzem noch von Spiegeln der Selbstgefälligkeit und Selbstüberhebung umstellte Land, deren blinde Reste für ihn überall noch sichtbar waren, brachte Celan - nicht er allein, er aber mit besonderer Unermüdlichkeit - das Fremde als eine Gestalt des Anderen nach Deutschland. Insofern hat das Übersetzen bei Celan auch eine utopisch-politische Dimension. In diesem Sinne übersetzt Celan aus nicht weniger als sieben Sprachen ins Deutsche: dem Französischen, Russischen, Englischen und Amerikanischen, Italienischen, Rumänischen, Portugiesischen, Hebräischen. Der Ferge setzt über. Aber was das andere Ufer erreicht, hat sich unterwegs verwandelt. Gelangt es an die andere Seite überhaupt noch als das Fremde, Andere? Oder ist es dem Eigenen anverwandelt, täuschend ähnlich geworden? Dies wäre ja die »Aufgabe des Übersetzers«: dem Anderen sein Eigenstes zu

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Axel Gellhaus

bewahren, es sichtbar zu machen, da sich sonst keine Begegnung vollzieht, sondern simple Aneignung, oder in der Bewahrung des Anderen das Eigene in dessen Gestalt mitauszusprechen. Und die zweite Frage: Worüber hinweg gilt es zu setzen? Celan spricht in Briefen zuweilen Heidegger zitierend vom Abgrund zwischen den Sprachen; aber während Heidegger hier den seinsgeschichtlichen Abgrund im Sinne hat, denkt Celan sicher auch an den Abgrund der jüngsten »Zeitenschrunde«. Es ist nicht nur jene abstrakte hermeneutische Differenz zwischen den verschiedenen Sprachen und dem je verschiedenen Sprachdenken, das es dem Übersetzer verbietet, Wörter lexikalisch auszutauschen, es sind nicht nur geschichtliche Untiefen, die allerdings so bedeutend sein können, daß man von einer intrasprachlichen Übersetzung sprechen müßte, wollte man nur einen Text über ein, zwei Jahrhunderte hinweg in »dieselbe« Sprache transportieren; es ist vor allem der Abgrund, der jedesmal wieder zu überwinden war, wenn Celan deutschen Boden betrat. Faßt man die erste Frage poetologisch präziser, wird ein Problem sichtbar, das sich aus Celans eigener Auffassung vom Wesen des Gedichts als etwas Unwiederholbarem, Einmaligem ergibt. Wie ist Übersetzen möglich, wenn ein Gedicht - weit vor jeder sprach-technischen Unübersetzbarkeit - gleichsam apriori unwiederholbar ist? Wenn wir hier nicht einem unauflösbaren Widerspruch von Dichtungsverständnis und Übersetzungspraxis begegnet sind, dann muß sich zumindest in der Übersetzungspraxis eine Antwort auf die vermeintliche Aporie zeigen. Anders formuliert: Das Verständnis vom Gedicht als etwas Einmaligem muß für den Übersetzer Celan Konsequenzen haben, denn in seiner Antwort auf eine Umfrage der Librairie Flinker, Paris, aus dem Jahre 1961 schreibt Celan: An Zweisprachigkeit in der Dichtung glaube ich nicht. [...] Dichtung ist das schicksalhaft Einmalige der Sprache. [...] Also nicht [...] das Zweimalige. 6

Die paradoxe Bedingung des Übersetzens wäre somit: Wiederholung des Unwiederholbaren. Und es gibt eine Reihe von eigenen Gedichten Celans, in denen von eben dieser Unmöglichkeit die Rede zu sein scheint. So thematisiert das Gedicht »Und mit dem Buch aus Tarussa«, welches mit einem Kyrillisch geschriebenen Motto beginnt, jenem »Alle Dichter sind Juden« der Marina Zwetajewa, das Übersetzen als Hinüberreiten: »Kyrillisches, Freunde, auch das / ritt ich über die Seine, / ritts übem Rhein.« (GW 1, 289) Dasselbe Gedicht nimmt später wohl noch einmal drastisch Bezug auf das Übersetzen, wenn es vom »Nebenwort« handelt, das »ein Ruderknecht nachknirscht« (GW 1, 289). Anläßlich seiner Übersetzung der Jeune Parque von Paul Valéry, die als bibliophiler Druck im Insel-Verlag (Wiesbaden 1960) erschien, hat Celan dieses Problem in einem Brief an Werner Weber reflektiert. Der FeuilletonChefredakteur der Neuen Zürcher Zeitung hatte in einem Artikel der NZZ Celans 6

Paul Celan: Gesammelte Werke in fünf Bänden. Hg. von Beda Allemann und Stefan Reichert unter Mitwirkung von Rolf Bücher. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1983, Dritter Band: Gedichte III · Prosa · Reden, S. 175. Im folgenden Text zitiert als GW mit Band- und Seitenzahl.

Das Übersetzen und die Unübersetzbarkeit

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Übersetzung bewundernd besprochen. Auf einige Passagen des hier auszugsweise zitierten Artikels reagiert Celan kurz darauf in einem Brief. Ein Ereignis Valérys Jeune Parque in deutscher Uebersetzung Der Satz »Es ist ein Ereignis« wird für jeden Mumpitz beansprucht; ist durch Lügen abgewetzt. Vor dieser Sache hält er stand. Man prüfe. [...] Im Wesen des Mädchens (Die junge Parze) entfaltet und vermischt Valéry das Werden zum Tag und die Windung zur Nacht, den Geist und das Fühlen, das Ergriffensein und das Begriffensein auf einer musikalischen Woge von Trauer und Entziikken; ein Traumgeschäft mit Bruch, Wiederholung, Überraschung - geleistet vom Bewußtsein, das sich selber erkennt; Strenge und Verwischung in einem. Valéry leistet es in der Versform des Alexandriners; gleich nah beim Sprechen wie beim Singen Rezitativ; zwischen die einzelnen Blöcke des großen inneren Gesprächs legt er Atempausen und verklammert sie mit Reim, wo der innere Schub der Gedanken nicht durch die Pause dringen möchte; eine Bewegung vorwärts, ohne Stocken, aber wechselnd schleunig. Alain sagt in seinem Kommentar: »Le propre de la >Parque< c'est qu'elle est épique. Qu'est-ce que l'épique? C'est ce qui se jette en avant.« Die deutsche Sprache in der Maßgabe des Alexandriners? Zwölf Silben bei stumpfem, dreizehn Silben bei klingendem Ausgang; Pause nach der sechsten Silbe; die Verse paarweise gereimt. Dem deutschen Barock sagte die Spannung zu; er nützte die klopfende Kraft darin und verstand die Pause, den Augenblick der Stille in der Mitte, als einen Ort, wo Angst und Beklemmung aufkommen mögen. Schiller, ein Jahrhundert später, hörte das Mechanische heraus; er sah mehr Zwang als Freiheit; sprach von »Prokrustesbett«. Die Pause, im Barock der »Unglücksmittelpunkt«, wird mehr und mehr zur Leere, die einen verlegen macht. [...] Manchmal fällt die siebente Silbe breit und schwer: »... der Blick, den ich dem Tag schenk, ist fremd, er kennt ihn kaum ...« (Da verschwindet sie ganz: »... Den Wald, den schwimmenden, dem schroff die Stämme ragen ...«) Was ist erstrebt, erreicht? Paul Celan hat mit dem Alexandriner, bei dem eine siebente Silbe in die Pause hineinschwingt, ein Richtmaß gefunden, das den Fortlauf des inneren Gesprächs, rezitativisch gedacht, schwebend zwischen Sprechen und Singen, nicht zwängt. Paul Valéry hat das Gedicht La Jeune Parque André Gide gewidmet: »Depuis bien des années j'avais laissé l'art des vers; essayant de m'y astreindre encore encore, j'ai fait cet exercise que je te dédie.« Es war ein Gruß an den Weggenossen, dem die Sprache eine Sache der Moral war. Gibt es einen besseren Augenblick, gerade daran zu erinnern, als es der jetzige ist? Paul Celan hat den Augenblick erkannt: das ist seine zweite Leistung. Ein Unternehmen wie das seine hier, schwierig bis zur Unlösbarkeit, muß Fragen und Wünsche offenlassen. Celan zaubert weder sich selbst noch uns darüber hinweg - seine »Fehler« sind Plätze, wo das Wissen, die Arbeit und die Demut erst recht sichtbar werden, mit denen er sich Valérys Gedicht verschrieb. Uns bleibt Bewunderung, Dank. In seiner Antwort an Weber - unmittelbar nach dem Erscheinen der Rezension (NZZ vom 19.3.1960) - rekapituliert Celan diese »unmögliche« Übertragung des schon von Rilke als quasi unübersetzbar beurteilten Textes. Das Manuskript enthält seine wohl einzige einschlägige theoretische Reflexion und stellt als eine Art von Poetologie des Übersetzens gewissermaßen das Gegenstück zur Meridian-Rede dar:

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Axel Gellhaus Sehr verehrter Herr Dr. Werner Weber, haben Sie herzlichen Dank für Ihren Brief, herzlichen Dank für die so freundlichen Worte, mit denen Sie die Junge Parze< bedacht haben! Gedichte sind Geschenke. Mir erscheint es noch heute wunderbar, daß dieses Gedicht zu mir kam; hätte ich, wie vor zwei Jahren, die Frage zu beantworten, ob ich die >Jeune Parque< für übersetzbar hielte, ich würde das, wie damals, verneinen. Gedichte - j a , Gedichte sind Geschenke; Geschenke - aus wessen Hand? Denn die Sprachen, so sehr sie einander zu entsprechen scheinen, sind verschieden - geschieden durch Abgründe. (Freilich, es gibt auch heute noch - nach so vielen Gedichten! - die Vielen (darunter eine ganze Reihe von Pseudophilologen), die, wenn sie Übertragungen von Gedichten lesen, irgendein vermeintlich >höheres Esperanto< im Auge haben, und zwar - ich habe das oft beobachtet - am deutlichstem dann, wenn sie weder die eine noch die andere Sprache beherrschen.) Ja, das Gedicht, das übertragene Gedicht, muß, wenn es in der zweiten Sprache noch einmal dasein will, dieses Anders- und Verschiedenseins, dieses Geschiedenseins bleiben. Bedenken Sie, sehr verehrter Herr Dr. Werner Weber, die Fie/silbigkeit, die Schwersilbigkeit des Deutschen im Vergleich mit dem Französischen! Daß es mir gelang, unter Hinzunahme einer einzigen Silbe auszukommen, d. h. das im Französischen Wort Gewordene noch einmal in seiner - dichterischen - Wörtlichkeit zu aktualisieren: das danke ich - verzeihen sie die Emphase - , das danke ich ... den Göttern. Darf ich hier auch noch sagen, daß diese Übersetzung auch für mich eine Übung war, ein »exercice«? Ja, es war ein Exerzitium, es waren Exerzitien, es war, wenn ich hier ein Wort Martin Heideggers mitsprechen lassen darf, ein Warten auf den Zuspruch der Sprache. Ihre Gedanken zum »Augenblick« des Gedichts: das berührt mich, inmitten all des in der letzten Zeit Erfahrenen und Wahrgenommenen (und im Hinblick auf das wohl noch Wahrzunehmende), besonders. Sprache, zumal im Gedicht, ist Ethos - Ethos als schicksalhafter Wahrheitsentwurf. (Und wenn es nur diese - gewiß nicht einer kleinräumigen »Subjektivität« zuzuschreibende - Erfahrung gäbe: daß man der Wahrheit des Gedichts nachleben muß, — wenn es nur diese Erfahrung gäbe (und es gibt sie!), sie könnte genügen. Aber wieviele sind es denn heute, die solche Aspekte des Dichterischen überhaupt wahrnehmen? Die das Gedicht wahrnehmen als menschliche - und mithin einmalige und vom Geheimnis der Einmaligkeit begleitete - Präsenz? Wieviele sind es wohl, die mit dem Wort zu schweigen wissen, bei ihm bleiben, wenn es im Intervall steht, in seinen »Höfen«, in seiner - schlüsselfernen - Offenheit, das Stimmhafte aus dem Stimmlosen fällend, in der Systole die Diastole verdeutlichend, weit- und unendlichkeitssüchtig zugleich - Sprache, wie Valéry einmal sagt, in statu nascendi, freiwerdende Sprache, Sprache der Seelenmonade Mensch - und, wenn ich auch noch das hinzufugen darf, Sprache in statu moriendi, Sprache dessen, der Welt zu gewinnen sucht, weil er - ich glaube, das ist ein uralter Traum der Poesie - weltfrei zu werden hofft, frei von Kontingenz. Aber wo bin ich jetzt mit diesen Worten? Wir haben bereits eine kybernetische Lyrik - wir werden bald wohl auch - es lebe die »Folgerichtigkeit«! - eine lyrische Kybernetik haben ... Keine Sprache mehr, kein Gespräch mehr - nein, Information, Wortsysteme mit genauer Angabe der Wellenlänge für den »Empfang«, keimfreies formal designing für einstellbare Komplex-Augen 7

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Fremde Nähe (wie Anm. 1 ), S. 397-399.

Das Übersetzen und die Unübersetzbarkeit

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Eine Übersetzung, die von diesem Anspruch an ein Gedicht ausgeht, kann sich nicht als dessen Wiederholung oder Neufassung verstehen, sie setzt sich nicht an seine Stelle. Zwar ist in der zweiten Sprache etwas von ihm »noch einmal da«, ebenso gewiß aber ist, daß Wesentliches von ihm, das eng mit seiner Einmaligkeit, also Unübersetzbarkeit verbunden ist, fehlen muß und daß anderes von außen, vom Übersetzer her, hinzukommt: die bewußte Reflexion oder zumindest ein Reflex der Begegnung mit einem Anderen, d. h. ein Reflex des »Geschiedenseins«. Dies hebt die Übersetzung in den Status der Einmaligkeit und verleiht ihr die Qualität eines Gedichts. Mit dieser Überzeugung setzt sich Celan möglicherweise bewußt von der Übersetzungstheorie Walter Benjamins ab, auf den sich die im zitierten Brief durch gnomische Anführungszeichen hervorgehobene Formulierung »höheres Esperanto« zumindest indirekt beziehen dürfte. Benjamin hatte in seinem berühmt gewordenen Essay »Die Aufgabe des Übersetzers«, den er als Vorwort seinen eigenen Baudelaire-Übersetzungen vorangestellt hatte, die Intention des Übersetzers theoretisch von der des Dichters unterschieden: Denn das große Motiv einer Integration der vielen Sprachen zur einen wahren erfüllt seine [des Übersetzers] Arbeit. Dies ist aber jene, in welcher zwar die einzelnen Sätze, Dichtungen, Urteile sich nie verständigen - wie sie denn auch auf Übersetzung angewiesen bleiben - , in welcher jedoch die Sprachen selbst miteinander, ergänzt und versöhnt in der Art ihres Meinens, übereinkommen. Wenn anders es aber eine Sprache der Wahrheit gibt, in welcher die letzten Geheimnisse, um die alles Denken sich müht, spannungslos und selbst schweigend aufbewahrt sind, so ist diese Sprache der Wahrheit - die wahre Sprache.8

Die Aufhebung der Dichtung in einen Zustand, der jener reinen, wahren Sprache näher stünde als sie selbst es vermöchte, dies entsprach nicht der Vorstellung, die Celan beim Übersetzen leitete. Denn Benjamins Theorie basiert auf der von Celan bekämpften, letztlich idealistischen Dichtungstheorie, von der aus etwa eine Poetologie der »Begegnung« undenkbar wäre. Das Gedicht verliert ja hier allzu schnell, unter dem Anspruch der absoluten Wahrheit, jenes ftlr Celan wesentliche Merkmal der Dichtung: das Ephemere. Nur unter diesem Vorzeichen aber wird der Übersetzer dem Charakter der Einmaligkeit des Gedichts und der Präsenz des Individuums in ihm gerecht, dem es zu begegnen gilt.9 Von dieser Überlegung her wird der von Celan geplante Titel einer Übersetzungs-Anthologie, den er sich im Jahre 1966 notierte, als Programm lesbar: Titel für den Band >ÜbertragungenFremde NäheKunstfertigkeit< des Originals ableitet, sondern aus der dem Übersetzer eigenen >KunstfertigkeitKarfreitagsfassung< des Gedichts vom 1.4.1961 unter dem verkürzten Titel »Walliser Elegie« (N, 71), die, möglicherweise als Anlaß des entstehenden Gedichts, den Ort Raron nennt. Einen noch deutlicheren Hinweis gibt das am 5.1.1961, einen Tag nach der »Kleinen Walliser Elegie«, geschriebene Gedicht »Psalm« (GW I, 225). Es paraphrasiert den auf Rilkes Grabstein zu findenden Grabspruch »Rose, oh reiner Widerspruch, Lust, / Niemandes Schlaf zu sein unter soviel / Lidern.«11 und richtet sich gegen die von Rilke in seinem Grabspruch geäußerte Passivität der Poesie, gegen eine von »Lidern«, in denen man >Liedern< mitliest, geschlossene »Rose«, die sich selbstgefällig daran ergötzt »Niemandes Schlaf zu sein«. In »Psalm« läßt Celan seine Blüte in der letzten Strophe mittels metaphorischer Lesarten der physiologischen Details der Rosenblüte, »Griffel« und »Staubfaden« analog zu Rilkes Metaphem-Netz ebenfalls als Dichtung erscheinen, da »Griffel« eben auch als Schreibgerät lesbar ist und der »himmelswüstfe]« »Staubfaden« als eine Vergrößerung seines wolkig ungleichmäßigen Abriebs. Celans Blüte aber blüht, im Gegensatz zu der Rilkes, aktiv dem Benennbaren entgegen und modifiziert dadurch das Benennbare selbst: »Gelobt seist du, Niemand. / Dir zuliebe wollen / wir blühn. / Dir / entgegen.« Celan nimmt hier Rilkes >Niemand< in seine Formulierung auf und erklärt es zum Benennbaren, zur Richtung des Gedichts, dem das Gedicht sogar seine Grenzen erweiternd >entgegenblühtblühend< unterwegs. »Ein Nichts / waren wir, sind wir, werden / wir bleiben, blühend: / die Nichts-, die / Niemandsrose.« Mit diesen Fragen der Celanschen Dichtung nach dem »Woher und Wohin« und nach »Atem, [...] Richtung und Schicksal« rückt auch die Aufgabe der Dichtung, persönliche Schicksale im Gedächtnis zu bewahren, in den Vordergrund. In diese Richtung sind die Anspielungen in der »Kleinen Walliser Elegie« auf die Verbannungsorte Ovids und Dostojewskijs aber auch Mandelstamms und Celans selbst zu sehen und die in der »Walliser Elegie« dazukommenden Anspielungen auf die Vernichtungslager Mauthausen und Buchenwald. Auch mit der Lesart von Rilkes Metapher für Dichtung als einem geschlossenen Auge und nicht näher zu bestimmendem schlafenden Organ einer metaphysischen Instanz setzt sich Celan in Die Niemandsrose in bezug auf Mandelstamm auseinander. Sein eigenes, das mit Mandelstamms Weggenossenschaft beschreibbar gewordenes Auge seiner Dichtung, ist weit offen, >zeitoffengelben Sonnegrößeren< »Schrecken« vermittelt als der Tod der Mutter, der in >dieser Nacht< eingetreten ist, oder als die Nacht selbst, in die die Verstorbene durch den Tod eingetreten ist und in der noch nicht einmal eine schwarze Sonne scheint. Auf diesen angedeuteten Schrecken reagiert Mandelstamms Gedicht mit dem lautmalerischen mütterlichen Wiegenlied-Zitat »Bàju - bàjuschki - bajù«, das Ralph Dutli in seiner Übersetzung nur transkribiert. Die Gebete und Lieder, die in den letzten drei Strophen dieses Gedichts auftauchen, charakterisieren sowohl den mütterlichen als auch den jüdisch-religiösen Kontext. Nach dem Tod der Mutter und damit auch ihrer Stimme sind es nur die Lieder der jüdischen Gemeinde, die bleiben. Sie wecken das lyrische Ich dieses Gedichts und eröffnen ihm, nachdem es seine Fixierung auf das Lied der Mutter ablegen mußte, durch ihre rituelle Reaktion auf die Sterblichkeit des Menschen einen Blick auf die religiöse Weltsicht seiner Mutterkultur. Dieser Blick wird nach dem beschriebenen Aufwachen aus der Kindkeit zum eigenen des lyrischen Ich, zu dessen eigener, durch den Tod der Mutter miterwachten, religiösen Weltsicht. »Über Mutters Sarg die Lieder, / Israeliten, feierlich. / Ich erwach in meiner Wiege - / Um mich: schwarzes Sonnenlicht.« (MLG, 40)

Freigesetzte

Worte, freigesetzte Zeit. Paul Celan als Übersetzer

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Paul Celan übersetzt »Diese Nacht« im Zeitraum seiner Hauptübersetzungsphase von Mandelstamm-Gedichten vom Frühjahr 1958 bis zum April 1959. Zusammen mit 39 anderen Gedichten aus Der Stein, Tristia und einigen späteren Gedichten erscheint es im Herbst 195914 (GW V, 95). Ebenfalls gehört es zu den ausgewählten Gedichten, die Celan in seinen Radio-Essay über Mandelstamm und dessen Dichtung aufnimmt (MLG, 77). Dort leitet er es damit ein, daß zu dem von Mandelstamm in seiner Dichtung Erinnerten »auch das Jüdische« von Mandelstamms Herkunft gehört. Es ist fast unvermeidlich daran zu denken, daß Celan entsprechend seiner Forderung im Radio-Essay bei dieser Gelegenheit ebenfalls an das Jüdische seiner Herkunft und damit dann notwendig auch an den Tod der eigenen Eltern in einem nationalsozialistischen Arbeitslager erinnert wird. Weil zwischen dem Erscheinen des Originals und der Entstehung der Übersetzung 43 Jahre liegen und weil in dieser Zeit einer der gravierendsten Einschnitte in der menschlichen Geschichte stattgefunden hat, sehen, bei allen noch vorhandenen Ähnlichkeiten, die Sinn-Bündel unter der Oberfläche der Worte Celans und Mandelstamms unterschiedlich aus. Auch wenn Celan die zwei Worte »Diese Nacht« vielleicht so hinschreibt, weil es eine wörtliche Übersetzung des Originals (GW V, 94) nahelegt, so ist in Celans Übertragung das Gedicht Mandelstamms kaum noch zu erkennen. 15 Noch bevor man den weiteren Inhalt des Gedichts erfaßt hat, muß man bei Celans »Diese Nacht«, verstärkt durch die Charakterisierung »nicht gutzumachen« unwillkürlich an die Reichspogromnacht und die unzähligen anderen Tod und Grauen bringenden Nächte denken. Durch diese mit der Shoah entstandene Kontextveränderung der Sprache und ihrer Worte werden die Kontraste auch zwischen den Worten schärfer: »bei euch: Licht, trotzdem«, heißt es bei Celan. Wie um das Gewicht der Worte deutlicher spürbar zu machen und ihnen gleichzeitig Raum fur ihr sperriger gewordenes Sinn-Bündel zu geben, finden sich die Worte bei Celan durch Satzzeichen vereinzelt. Begegnungen von Worten finden gerade in den ersten zwei Strophen von Celans Übersetzung über die Abgründe von Satzzeichen hinweg statt. »Sonnen, gelb: größres Entsetzen - / schlaf, eiapopei«. Die Vereinzelung der Worte durch Satzzeichen verleiht dem Gedicht gerade in den ersten beiden Strophen bei Celan einen stakkato-artigen, mit Pausen um die Worte arbeitenden Rhythmus, als würden die Worte auf der Flucht, außer Atem, hervorgestoßen. Dadurch verliert das Gedicht weitgehend den Klang eines Schlafliedes. Auch wenn Celans Übersetzung der russischen Wiegenliedform noch Rechnung trägt, wird man in seinen Zeilen durch die 14

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Ossip Mandelstam: Gedichte. Aus dem Russischen übertragen von Paul Celan. Frankfurt a. M.: S. Fischer 1959, S. 34. Die weitere Untersuchung wird zeigen, daß selbst jemand, der von Celans Kontexten nichts weiß, dennoch von Celans Übersetzung und ihren im Vergleich zum Original formal und syntaktisch bemerkbaren Wort-Freisetzungen eingeladen wird, sich die Kontexte des Freigesetzten und damit die Differenz zwischen den Worten Mandelstamms und Celans zu erarbeiten.

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besonders in den ersten zwei Strophen unsanft aufeinander prallenden Worte von den Endreimen abgelenkt. Auch die von Dutli transkribierte, rein lautmalerische, in den Schlaf raunende Zeile »Bàju - bàjuschki - bajù« kommt bei Celan nicht ohne Brechung davon. Zwar findet Celan in »eiapopeia« eine deutsche Entsprechung für die russische Lautmalerei, doch schneidet er den ausklingenden dunklen und langen Vokal >a< der Lautmalerei ab und formt so aus »eiapopeia« »eiapopei«, das durch seinen Ausklang auf zwei kurze helle Vokale jeder beruhigenden Ausstrahlung entbehrt und eher einem Aufschrei ähnelt. Vor allem aber beunruhigt in der gleichen Zeile der durch ein Komma von »eiapopei« abgetrennte vorausgehende Imperativ »schlaf«, der das dem Tode verwandte Schlafen zum Gegenstand eines Befehls erhebt, was ungute Assoziationen weckt und auch daran erinnert, daß mit »eiapopei« ein Wiegenlied gewaltsam unterbrochen wird. Auf diese Weise taucht an dieser Stelle von Celans Übersetzung in konzentrierter Form das Thema des Originals, der plötzliche Tod der Mutter, und in ihrem durch den Tod verstummenden Lied der dichterische Topos auf, den Mandelstamm dafür findet. (Solche konzentrierten Nachdichtungen sind typisch für Celans Übersetzen und belegen wie aufmerksam die Übersetzung trotz aller Freiheiten gegenüber dem Original ist.) Auch das in der Folgezeile durch Punkt und Doppelpunkt auf sich gestellte »Hellfe] Judenhaus« erinnert durch den in vielen kleinen Details von Celans Übersetzung aktivierten und verstärkten Kontext eher an ein >in dieser Nacht< brennendes Haus als an den von Mandelstamm und Dutli beschriebenen festlich erleuchteten Tempel. Ebenso läßt sich in der Zeile »Sonnen, gelb: größeres Entsetzen -« nach der allmählichen Konkretisierung des zum Gedicht hinzugekommenen neuen, aktualisierten Hintergrunds der Genozid-Thematik in der gelben Sonne, die astio-nomisch ein gelber Stern ist, der gelbe Judenstern im aktualisierten Kontext der gelben Sonne sehen, der »größres Entsetzen« mit sich brachte. Von diesem Schicksal seiner Worte weiß Ossip Mandelstamm 1916 noch nichts, er weiß aber, daß sich die Sinnbündel der Worte von Generation zu Generation verändert haben und das auch weiter tun werden. Daher stellt er fest, »daß sprechen soviel bedeutet wie unterwegs zu sein«. Auch nach dem Tod eines Dichters bleiben seine Worte unterwegs, so daß eine Begegnung mit etwas der Sprache Mitgegebenem möglich bleibt. Weil in der Nachfolge Mandelstamms im Zeitraum zwischen 1916 und 1958 ein für Paul Celan und seine Leser neu hinzugekommener Sinnkontext der Sprache fast omnipräsent ist, ist es leicht, dieses für Mandelstamm Neue, für Celan Aktuelle, in Celans Übersetzungen neu hinzugetreten zu sehen. In den Woronescher Heften (vgl. Anm. 12) schreibt Mandelstamm den Vierzeiler: Dort in der Ferne werden Schädelstätten eins Mit Bergen, dort verschwinde ich, bin schon verschwunden, Doch lebe ich in Kinderspielen weiter, werde einst Aus Büchern auferstehen und von der Sonne künden.

Freigesetzte Worte, freigesetzte

Zeit. Paul Celan als Übersetzer

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Die hier beschriebene Akzentverlagerung in den Sinn-Bündeln der Worte, die in »der Ferne«, die eben auch zeitlich und wortsinngeschichtlich zu lesen ist, zur Sichtweisenverschiebung von »Schädelstätten« zu »Bergen« führt,16 ist, wie Celan in seinen Übersetzungen vorführt, auch umgekehrt möglich, so daß >Berge< durch eine Veränderung im Wortkontext wieder zu »Schädelstätten« werden können. Es mutet wie eine Erfüllung von Mandelstamms Vermächtnis an, wenn Celan in seiner Übersetzung des Mandelstamm-Gedichts »Diese Nacht« Mandelstamm von der Sonne in einer auferstandenen, in Celans Kontext-Sicht >heutigen< Weise künden läßt. Damit aber verliert Mandelstamms Formulierung nicht an Gültigkeit, lediglich wird die Amplitude zwischen >Berg< und >Schädelstätte< unterstrichen, zwischen denen Sprache immer schon unterwegs ist und an deren Gedächtnis dichterische Sprache, in Mandelstamms wie in Celans Sinne, arbeiten muß. Aus der Deutlichkeit, mit der Celan das Neue, das >Mitgegangene< und Angereicherte«, wie er es in der Bremer Literaturpreis-Rede nennt, auf Kosten der Ähnlichkeit zwischen Original und Übersetzung an manchen Stellen hervortreten läßt, muß auf eine poetologische Absicht Celans geschlossen werden, das >Angereicherte< in der Sprache, die >mit hindurch gegangen« ist durch all das, »wieder zutage treten« zu lassen (GW III, 186). Die Spanne zwischen Original und Übersetzung wird an vielen Stellen von Celans Übersetzungen zur Spanne zwischen Sprache vor und nach Auschwitz. Eine Übersetzung zu sein, deren Sprache sich ihres eigenen hindurchgegangen Seins bewußt ist, ist für Celan eine Weise wie Lyrik nach Auschwitz möglich ist (GW III, 185f.). In diesem Sinne ist Celans lyrisches Sprechen immer auch übersetzen.

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»Wer weiß« und »vielleicht«. Die Richtung von Celans Dichtung und Übersetzung

3.1 Die Meridian-Rede und das Absurde Paul Celans Rede anläßlich der Verleihung des Büchnerpreises in Darmstadt am 22. Oktober 1960 ist eine Rede von »den alten Hoffnungen« der Dichtung 16

In der hier zitierten Übersetzung von Felix Philipp Ingold wird die Amplitude der Wortsinnverschiebungen besonders deutlich und nimmt sogar die für Celan evidente Richtung der allgegenwärtigen Holocaust-Spur an. Sie schränkt die Offenheit des Originals ein, ist für mich an dieser Stelle aber richtungweisend. In Ralph Dutlis Übersetzung (vgl. Anm. 12) fällt die Amplitude der Bedeutungsverschiebungen auf den ersten Blick weniger abgründig aus. Er übersetzt: »In weite Ferne gehen Hügel: Menschenköpfe«, wobei der Doppelpunkt bei ihm für ein im Russischen nicht existierendes Hilfsverb steht.

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(GW III, 196), Hoffnungen, etwas zu begegnen, etwas zu erreichen und vielleicht erreicht zu werden. Es geht um Begegnungen, die für unser Verhältnis zu Sprache und Welt prägend sind. Alles, was Celan zu den möglichen Begegnungen mittels der Dichtung sagen kann, ist - »wer weiß« und »vielleicht« (GW III, 196). Trotz dieser Unsicherheiten aber geht es in der Meridian-Rede um Begegnungen (GW III, 198). Die hier gezeigte Dichtung ist >unterwegs< (GW III, 186) - und mit ihr ihre Leser, was Celan, der sich in der Meridian-Rede als Leser Büchners zu erkennen gibt, am eigenen Leib demonstriert. Man kann versuchen, Celans Gedankengang in der Meridian-Rede rückwärts, das heißt hier, von der Mitte der Meridian-Rede in Richtung ihres Anfangs, zu rekonstruieren. An der Stelle, an der sich Celan in bezug auf die Erfüllbarkeit seiner Begegnungshoffnung zu seinem »wer weiß« durchringt, hat er ein >Anderes< entdeckt, dem die Dichtung allem Anschein nach begegnen kann. Ein >AnderesAndere< ist, nachdem seine reziproke Beziehung zur Sprachlichkeit in der Meridian-Rede erkannt wurde, kein >Fremdes< mehr. Ich denke, daß es von jeher zu den Hoffnungen des Gedichts gehört, gerade auf diese Weise auch in fremder - nein, dieses Wort kann ich jetzt nicht mehr gebrauchen - , gerade auf diese Weise in eines Anderen Sache zu sprechen. (GW III, 196)

Dieses >Andere< als ein der Dichtung und der Sprache begegnendes Anwesendes und Präsentes zu beschreiben, ist eine, vielleicht die wesentliche Leistung der Meridian-Rede, und es verwundert nicht, daß mit dem Zuhalten auf eine Begegnung mit diesem >Anderen< sogar die Qualität von Dichtung charakterisiert wird. Das Gedicht steht »im Geheimnis der Begegnung« (GW III, 198). In seinem Radio-Essay zur Dichtung Ossip Mandelstamms zitiert Celan in diese Richtung gehende zeitgenössische Charakterisierungen Mandelstammscher Gedichte: »diese Gedichte befremden« und »etwas war da hineingeraten« (MLG, 69), heißt es dort. Zu Bewußtsein gebracht wird das zunächst noch fremde >Etwas< in der Meridian-Rede mittels eines Tricks, dadurch nämlich, daß etwas ähnlich Fremdes, Befremdendes, mit dem >Anderen< »in einer Richtung zu liegen scheint« (GW III, 196). Dieses in der gleichen Richtung Liegende ist etwas Befremdendes, das mit der Kunst einhergeht. Die Kunst, die doch dem Menschen, wie in der Meridian-Rede (GW III, 191 f.) Büchners Lenz zum Ausdruck bringt, etwas festhalten, zeigen, etwas näherbringen soll, erweist sich bei näherem Hinsehen als alles andere als menschlich, nämlich als technisch, und wird mit Drähten, Automaten und sogar mit dem Medusenhaupt verglichen. Mittels dieser unmenschlichen Fremdheit der Kunst, deren Schilderung in der Meridian-Rede so viel Raum einnimmt, gelingt es Celan, noch ein anderes Fremdes sichtbar zu machen, »zwischen Fremd und Fremd zu unterscheiden« (GW III, 196). Celan beschreibt das, was

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geschieht und was als Ziel seiner »Kunst«, weil es ihm um die begegnende Qualität der Dichtung geht, verstanden werden muß, als »Atemwende«. In der »Atemwende« löst sich das als technisch, automatisch charakterisierte Kunst-Gewerk für einen Augenblick vom Draht der Künstlichkeit. Dieser »Draht zerreißt« (GW III, 189), weil das Absurde eines »Es lebe der König!«, als »Gegenwort« zur menschenlosen Künstlichkeit (GW III, 189), die geordneten Beziehungen von Sprache zu Darstellung und Ziel der Darstellung zerreißt. Die Sprache des Kunstwerks, des Gedichts, wird durch das den gewohnten Sinnerfassungsablauf störende Absurde für einen Augenblick bodenlos. Bodenlos, aber nicht unmenschlich - nach Celan ist es gerade die »Majestät des Absurden«, die für die »Gegenwart des Menschlichen« Zeugnis ablegt (GW III, 190). Dennoch fällt es dem Absurden schwer, sich zu behaupten, denn auch die absurden Worte tönen, scheinen sogar in einem solchen Moment irritierenderweise noch verständlich zu sein. So auch in Büchners Drama Dantons Tod, wo die Revolutionsnachtwächter aufgrund der scheinbaren Eindeutigkeit des vernommenen »Es lebe der König!« sofort zur Tat schreiten und darüber gar nicht bemerken, daß sie es sind, die Anlaß und Rahmen für das Hervortreten des Absurden bilden, - ja dadurch, daß sie Lucile zu verstehen meinen, sich unwissentlich, nur vom Zuschauer des Dramas beobachtet, selber ad absurdum führen. So kommt es zum eigentlichen Auftreten des Absurden, das jetzt im mit der Absurdität und ihrem Rahmen, einer nur vermeintlich funktionierenden Begrifflichkeit, konfrontierten Zuschauer weite Kreise zieht.17 Ein automatisches, weil an Verständlichkeit gewöhntes Verstehen setzt beim Hören von »Es lebe der König!« ein, gegen das sich Celan, dem Verständnis seiner Zuhörer vorbeugend, ausdrücklich wehren muß. Daß Büchners und Luciles »Es lebe der König!« kein Bekenntnis zum »ancien régime« (GW III, 189) sei, dafür bürgt Celan sogar mit einem Hinweis auf seine Kenntnis der >anarchistischen< Autoren Peter Kropotkin und Gustav Landauer (GW III, 190).18 Wie in Lenzens und Büchners Ausspruch, »nur war 17

Es scheint so, als ob das Absurde den Menschen die ganze Relativität und Willkür ihrer Begriffsgebäude vor Augen führen kann. Erst so versteht man, was Celan meint, wenn er der »Majestät«, der Autorität »des Absurden« zugesteht, für die »Gegenwart des Menschlichen« Zeugnis abzulegen. Aber es ist nicht nur die Autorität, etwas im menschlichen Rahmen zu dekonstruieren oder zu konstruieren, die Celan mit dem Begriff »Majestät« beschreibt, es ist auch der dazugehörende Gestus. Denn das Absurde ist den geistigen Vorstellungen und Begriffssystemen der Menschen nichts genuin Fremdes. Vielmehr gleicht es einer Welle, sichtbar geworden und sichtbarmachend an der Oberfläche des gemeinsamen Mediums, die die aus der Funktionalität des Systems gehobenen oder gesenkten Materialien zur Selbstreflexion anhält.

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Durch diesen rhetorischen Schachzug, seine Zuhörer davor bewahren zu wollen, das gleiche, sie selbst ad absurdum führende Mißverständnis zu begehen wie die Bürgerpatroullie in Büchners Drama, parallelisiert Celan seine Zuhörer umso deutlicher mit den einen Status Quo bewachenden Bürgerwachen aus Dantons Tod. Celan selbst grenzt sich durch seine jüdische, südosteuropäische Herkunft - zu erkennen gegeben

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es ihm manchmal unangenehm, daß er nicht auf dem Kopf gehen konnte«, geht es Celan offenbar gerade um die Relativität und Umkehrbarkeit aller Bezugspunkte. Eine Polysemie, die den sprachlichen Bezugspunkten zu eigen ist, wie es auch schon Mandelstamms »In der Ferne werden Schädelstätten eins mit Bergen« (vgl. Anm. 16) deutlich macht. Mit »Wer auf dem Kopf geht, [...] der hat den Himmel als Abgrund unter sich«, faßt Celan diese Tendenzen seiner Büchner-Beispiele zusammen (GW III, 195). Gegen die gebräuchlichen Bezugssysteme behauptet sich an manchen Stellen der Kunst-Werke, der Dichtung die »Majestät des Absurden«. Dies führt auch zu einer »Atemwende« (GW III, 195), bei der der Atem oder die Sprache nicht mehr zur unbewußten Erzeugung sprachlicher Absurditäten verwendet, sondern einbehalten wird und nahezu verstummt, sich der Sprache selbst in Aufmerksamkeit zuwendet. Das wäre dann eine >Freisetzung< von einer unbewußten Form der Sprachbenutzung. Eine >Freisetzungin der allereigensten Enge< stattfände (GW III, 200). Offenbar geht es der Dichtung, und damit vielleicht auch der Übersetzung, an einem bestimmten Punkt um eine gegen die herkömmlichen Bezugssysteme sprachlicher Funktionalität gerichtete Dunkelheit, eine Unverständlichkeit, eine selbstentworfene, einer »Ferne oder Fremde zugeordnete Dunkelheit« (GW III, 195), der es zu begegnen gilt. In diesem Sinne greift Celan das Pascal/Schestow-Zitat in der Meridian-Rede auf, mit dem die Dichtung gegen den Vorwurf eines Mangels an Klarheit verteidigt wird, da es genau dieser >Mangel an Klarheit< sei, um den es der Dichtung gehe, diese Unklarheit der Bezüge und damit Störung der Funktionalität. Und all das um einer Begegnung willen, die offenbar nur so möglich ist: Es ist heute gang und gäbe, der Dichtung ihre »Dunkelheit« vorzuwerfen. - Erlauben Sie mir, an dieser Stelle unvermittelt - aber hat sich hier nicht jäh etwas aufgetan? - , erlauben Sie mir, hier ein Wort von Pascal zu zitieren, ein Wort, das ich vor einiger Zeit bei Leo Schestow gelesen habe: Ne nous reprochez pas le manque de clarté puisque nous en faisons profession! - Das ist, glaube ich, wenn nicht die kongenitale, so doch wohl die der Dichtung um einer Begegnung willen aus einer - vielleicht selbstentworfenen - Ferne oder Fremde zugeordnete Dunkelheit. (GW III, 195)

Vorgreifend sei hier schon gesagt, diese Dunkelheit bedarf der »Aufmerksamkeit« nicht nur, um Licht in sie zu bringen, sondern vor allem, um sie überhaupt erst zu entdecken. Unverständigkeit kann aus einem bestimmten Blickwinkel der generelle Zustand sein und »Aufmerksamkeit« die notwendige Reaktion. Auch dieser Blickwinkel ist eine Folgeerscheinung der »Atemwende«, die Celan in der Meridian-Rede beschreibt (GW III, 195). Das Absurde erhält in Celans Gedankengang dadurch, daß es den gewohnten Gang des Künstlichen zu sprengen vermag, einen Moment lang die Gewalt, Begriffsan dem, was er gelesen hat - deutlich von der selbstverliebten und, was die jüngste Vergangenheit betrifft, ihm zu unkritischen deutschen Nachkriegs-Bürgerlichkeit und deren Kulturbetrieb ab.

Freigesetzte

Worte, freigesetzte Zeit. Paul Celan als Übersetzer

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bauwerke aus den Angeln zu heben. Das ist die »Majestät des Absurden«, sie kann die Möglichkeit zu einer Neuorientierung und zu einem Innehalten und Nachfragen geben, sie eröffnet einen Haltepunkt, um den Hausrat des Denkens, die Wortsinn-Bündel neu zu packen. Himmel und Abgrund erweisen sich an einigen Stellen der Meridian-Rede als individuelle Sichtweisen. Für manche Einsichten wird man sogar »auf den Händen« herbeigerufen (GW III, 201; I, 147). Ist der sichere Boden unter den Füßen für einen Moment genommen, funktionieren die künstlichen Konstrukte und Hierarchien nicht mehr, wird absehbar, daß die vertraute begriffliche Welt ein in sich selbst gestütztes und damit sich auch selbst begrenzendes kulturelles Konstrukt ist, das aus den über ihre Funktion definierten Angeln gehoben werden kann. Wie das geschieht, beschreibt Celan schon in seinem Mandelstamms Person und Dichtung zugewandten Essay und bringt damit gleichzeitig einen seines Erachtens nach (auch) dem russischen Denken eigenen chiliastischen (MLG, 75) Zug zum Ausdruck, der auch die religiöse Dimension verdeutlicht, die das >Andere< und vor allem die diesem noch übergeordnete Instanz hat, die Celan in der Meridian-Rede als das >ganz Andere< bezeichnet. Für Mandelstamm ist die »Revolution« laut Celan »der Anbruch des Anderen, der Aufstand der Unteren, die Erhebung der Kreatur - eine Umwälzung von kosmischem Ausmaß. Sie hebt die Erde aus den Angeln« (MLG, 75). Dabei ist der politische Anspruch dieser Revolution nicht vom Erkenntnistheoretischen und Religiösen zu trennen. Was einem Menschen mit solch einem Jeder-ZeitAnspruch an Revolution angesichts des absurd gewordenen, das >Andere< verstellenden Funktionalen bleibt, ist das Lachen. Dieses »Lachen« aber kann ansteckend sein, und so auch erst auf die Absurditäten aufmerksam machen. Über ein solches Lachen schreibt Celan im Mandelstamm-Essay: So kommt es zum Ausbruch aus der Kontingenz: durch das Lachen. Durch jenes, uns bekannte, unsinnige Lachen des Dichters - durch das Absurde. Und auf dem Weg dorthin hat das Erscheinende [...] geantwortet: die Roßhaardecke hat gesungen. (MLG, 81)

Ein solches Lachen charakterisiert, laut Celan, den Dichter Ossip Mandelstamm aber schon vor der Oktoberrevolution. »Etwas Befremdendes« ist schon am Autor des Gedichtbandes Der Stein (GW V, 48-91): Etwas Befremdendes, nicht ganz Geheueres, etwas Ungereimtes. Plötzlich hört man ihn auflachen - bei Anlässen, die eine ganz andere Reaktion erwarten lassen; er lacht viel zu oft und viel zu laut. (MLG, 69)

»Etwas Befremdendes« aber war auch in die Dichtung Ossip Mandelstamms »hineingeraten«.

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3.2 Worüber Ossip Mandelstamm lacht Wenn jeder Blick, den wir in die Welt werfen, normalerweise unbemerkt von unseren begrifflichen Horizonten begrenzt ist, was ist jenseits dieses Horizonts? Sicherlich auch die Welt, aber jener Teil, der von unserer Begrifflichkeit und den mit dieser zusammenhängenden Weltbildern nicht erfaßt werden konnte. Dieses Außen, außerhalb des begrifflichen Horizonts, nennt Celan das >Anderem Und in einem Moment, nachdem dieses >AndereFremdes< mehr ist, wagt sich der hoffende Celan mit seinem »wer weiß« und »vielleicht« noch weiter vor - zu einem »ganz Anderen« (GW III, 196), von dessen Warte aus begriffliche Welt und Restwelt in einer Beziehung zueinander stehen, weil das »ganz Andere« sie in seiner Überdimensioniertheit enthält. Angesichts der Möglichkeit solcher Ausblicke über die Grenze der Begrifflichkeit ist es ein totalitäres, unreflektiertes Beharren auf dem sich selbst unkritisch reproduzierenden Bestand der Begrifflichkeit, das zu einem sich der ganzen Fatalität dieser Beschränktheit bewußten »Lachen« führt. Dieses >AndereAnderen< - mit: »Nein.« »Nein. Sondern geh mit der Kunst in deine allereigenste Enge. Und setze dich frei.« (GW III, 200) Schon hier im Eigensten, bei den eigensten Grenzen und Engen ist der den »Draht« (GW III, 189), das Künstliche zerreißende Prozeß gefordert, um sich, dem >Anderen< zugewandt, als ein »befremdetes Ich« (GW III, 196), vielleicht als ein Machendes IchAndere< freisetzen. »Toposforschung?« fragt Celan - und gibt als Antwort: »Gewiß! Aber im Lichte des zu Erforschenden: Im Lichte der U-topie.« (GW III, 199) Dieses zu Erforschende aber ist das >AndereAnderen< und »wer weiß« und »vielleicht« auch einem »ganz Anderen«) zugewendeten Topoi. Wie aber, so stellt sich jetzt die für Celans Dichten und Übersetzen entscheidende Frage, wie wendet man Topoi dem >Anderen< zu?

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»Und der Mensch? Und die Kreatur? / In diesem Licht.« heißt es weiter (GW III, 199). Es ist dieses »Licht«, eine besondere Sonne, wenn man so will, das das >Andere< immer wieder hervortreten läßt. Auf dem Weg zu der angestrebten Begegnung vereinzelt das »Licht« die Bilder und Begriffe und macht so dem >Anderen< zugewandte »Toposforschung« erst möglich. Diese Vereinzelung aber kommt für den Kontext, aus dem das zu Erforschende stammt, einer Versetzung gleich, die die Begriffe, Bilder, »Tropen und Metaphern ad absurdum«, das heißt weg von der sicher geglaubten funktionalen Verständlichkeit führt (GW III, 199). Es ist eine durch das »Licht«, durch eine dem >Anderen< zugewandte Sehweise sichtbar gemachte, permanente absurde Verstellung des >AnderenAnderen< zugewandten Sehweisen ist. So richtet er nicht nur seine eigene Dichtung und seine eigene Toposforschung für Dichtung und Übersetzung auf die Begegnung mit dem >Anderen< aus, sondern jede Begegnung kann über den Weg der Dichtung zur Begegnung mit dem >Anderen< führen. Hier zeichnet sich, neben dem Weg des Lucileschen Verstehens, noch ein anderer Weg, gewissermaßen ein Weg durch die Kunst ab, den Celan mit »Aufmerksamkeit« charakterisiert. Das Gedicht will zu einem Anderen, es braucht dieses Andere, es braucht ein Gegenüber. Es sucht es auf, es spricht sich ihm zu. Jedes Ding, jeder Mensch ist dem Gedicht, das auf das Andere zuhält, eine Gestalt dieses Anderen. Die Aufmerksamkeit, die das Gedicht allem ihm Begegnenden zu widmen versucht, sein schärferer Sinn fur das Detail, für Umriß, für Struktur, für Farbe, aber auch für die Zuckungen und die Andeutungen, das alles ist [...] eine aller unserer Daten eingedenk bleibende Konzentration. [...] Aufmerksamkeit ist das natürliche Gebet der Seele. (GW III, 198)

Das bedeutet, »eine aller unserer Daten eingedenk bleibende Konzentration [...] »ist das natürliche Gebet der Seele«. Oder noch anders gesagt, eine Konzentration, die versucht, aller Daten zu gedenken, hält auf das Andere zu, weil sie sich der Verstellung des Anderen durch den alleinigen Bezug auf nur ein Begriffssystem widersetzt.

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Eine solche Konzentration auf »die Daten« der Gegenstände, der Sprache, mit denen man sich beschäftigt, ist allgemein gültig, sie gilt für das Dichten wie für das Übersetzen.

3.3

Worte freisetzen, Zeit freisetzen. Oder: Wie wendet man Topoi dem >Anderen< zu?

3.3.1 Poetologie und Übersetzung Dieser Anspruch an die Dichtung nach der Freisetzung des Anderen durch eine Konzentration, eine »Aufmerksamkeit«, die versucht, »aller Daten eingedenk zu bleiben«, muß Celans umfassendem, dem >Anderen< zugewandtem poetologischen Anspruch zufolge auch für seine Übersetzungen gelten. In einer nur ihrem eigenen Qualitätsanspruch verpflichteten Dichtung mag diese Forderung, dem >Anderen< zu begegnen, noch realisierbar sein. Aber in einer Übersetzung? Wie wendet man Topoi dem >Anderen< zu? Wie kann man in einer Übersetzung vom Künstlichen über das Absurde zur Öffnung für das >Andere< gelangen? Kann man in der Übersetzung ein Wort über eine zeitliche und historische Distanz verschieben wie Lucile ihr »Es lebe der König!«? Verschieben, von einem Kontext, einem Ort, einer Zeit, wo etwas paßte, bis dorthin, wo es absurd wirkt? Wahrscheinlich sind diese Orte und Zeiten dem Topos durch seine eigene Begriffs- oder Metapherngeschichte immer schon mitgegeben, also unterschwellig als historischer Subtext präsent, und bedürfen daher nur noch einer, das Unterschwellige, vom Heute aus gesehen absurd Gewordene, aufdeckenden Toposforschung. Von daher ist die Sprache ein Ort der Begegnung. Ein Ort der Begegnung, weil die Möglichkeit der Absurdität in den semantischen Amplituden, wie die Betrachtung von Celans Übersetzung von »Diese Nacht« zeigte, in den Worten enthalten ist. 3.3.2 Das Absurde und die Begegnung Aus den Erinnerungen Franz Wurms an Paul Celan (Ende März 1970): Auf den Nachmittag bin ich mit Beckett verabredet. Ich möchte, daß er mitkommt. Er zögert verlockt, lehnt dann ab: Unangemeldet? Das geht nicht. Und wenn ich B. anriefe? So, im letzten Moment? Ausgeschlossen. Als ich abends zurückkehre, ihm die nachdrücklichsten Grüße ausrichte, wird er traurig: Das ist hier wahrscheinlich der einzige Mensch, mit dem ich mich verstanden hätte. Hätte.19

Was ist überhaupt das Absurde, wie funktioniert es und wie kann man damit arbeiten, geschweige denn übersetzen? Absurd kann man etwas nennen - und so tritt es in Paul Celans Darstellungen auf - , das keinen Sinn ergibt, besser: wenn nebeneinander stehende Satzteile keinen Sinn ergeben. Dabei ist das, was gespro19

Paul Celan/Franz Wurm: Briefwechsel. Hg. von Barbara Wiedemann in Verb, mit Franz Wurm. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1995, S. 250.

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chen, geschrieben oder dargestellt wird, in einzelnen Teilen oft durchaus verständlich (GW III, 189f.). Lediglich paßt das Geäußerte nicht zum Rahmen, bzw. steht aus der Sichtweise der gebräuchlichen funktionalen Rahmensätze und -spräche am falschen Platz. Das gilt sowohl fur Luciles angesichts der Revolutionswachen geäußertes »Es lebe der König!« als auch für Lenzens Wunsch, auf seinem Weg durch schwieriges, unwegsames Gelände auf Händen gehen zu können. Solche offenbar am kontextuell falschen Platz stehenden Worte und Aussagen lassen den Lese- oder Verstehensfluß eines Aufmerksamen stocken oder führen den vermeintlichen Verstehensprozeß eines Unaufmerksamen »ad absurdum«. Als Gesetztes, als Geste, ähnelt das Absurde trotz seiner Unverständlichkeit dem Gestus einer Metapher, wobei die Übertragungs- oder Vergleichsebene des in seinem Rahmen fremd Wirkenden unbekannt bleibt. Durch seine metaphorische Form ist das Absurde als Hinweis auf das Unbekannte und den mitgehenden Grund seiner Verstellung prädestiniert. Weiß man schon von vorneherein um die Möglichkeit der Absurdität und das damit hervortretende >Andere< in Abhängigkeit vom Gebrauch der Begriffe und ihrer Relation zum Sprachfluß, so muß das Wort, das Material der Sätze mit einer ganz neuen >Aufmerksamkeit< gesehen werden. Diese >Aufmerksamkeit< weiß um die paradigmatische und historische Abhängigkeit der Materialien und Dinge, denen sie sich zuwendet, und zugleich um die Anwesenheit des >Anderen< hinter dem Material. Weil es um das Absurde in jedem (verstandenen) Begriff, den man vor allem in historischer Hinsicht nur leicht von einer alltäglich funktionalen Stelle rücken muß, weiß, reicht es für das Gedicht, den Begriffen und Bildern gegenüber in einem historisch-lexikalischen und -Vokabularen Sinne aufmerksam zu sein, um sich dem >Anderen< zu öffnen. Dies muß nach allem bisher Gesagten auch für die Übersetzung gelten. Aber es sind nicht nur die Begriffe und Vokabeln, die so absurd werden können, weil sie trotz ihrer alltäglichen Funktionalität etwas verdecken, das Celan das >Andere< nennt. Zu der vermeintlichen Glätte, die zum Stocken und zum Lachen reizt, gehören auch Syntax, Rhetorik und Stil. Auch der Fluß der Sprache, die Rhetorik, die Funktionalität können, je mehr sie ein schnelles Verstehen durch einen gewohnten Klang befördern, verhindern, daß das >Andere< bemerkt wird. Daher wird man das, was Celan in der Meridian-Rede (GW III, 198) von der Aufmerksamkeit seines absoluten Gedichts gegenüber »Umriß«, »Struktur« und »Farbe« sagt, auch oder insbesondere auf seine Übersetzungen beziehen können, selbst wenn ein solcher Bezug auf den ersten Blick vielleicht wie ein Taschenspielertrick erscheinen mag. Es folgt ein auf die Übersetzung hin modifiziertes >Celan-ZitatZuckungen< und die >Andeutungem, das alles ist, glaube ich, keine Errungenschaft des mit den täglich per-

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fekteren Apparaten wetteifernden (oder miteifernden) Auges, es ist vielmehr eine aller unserer Daten eingedenk bleibende Konzentration« (nach GW III, 198). Das heißt, es geht dem Dichterischen der Celanschen Übersetzung nicht in erster Linie um das Unter-Beweis-Stellen eines semantischen, die fremde Sprache, das fremdsprachliche Sprachkunstwerk verständlich machenden Auflösungsvermögens oder um die Wiedergabe von formal und stilistisch Verstandenem und Verständlichem, sondern vielmehr um eine Verbindung des Heute, des Akuten, des Synchronen von Lexik und Ton mit dem Historischen, dem Diachronen von Ton und Lexik des übersetzten Gedichts. In dieser in der Sprache der Übersetzung wie der der Dichtung zu findenden >Mehr-ZeitigkeitDunkelheit< von Bezügen und Kontexten der Ort dieses Geschehens offen für das hinzutretende >AndereAngereicherten< (GW III, 186). Ist Paul Celan, der Ende März 1970 Franz Wurm gesteht, daß Beckett »der einzige Mensch« wäre, mit dem er sich in Paris »verstanden hätte«20, ein Dichter des Absurden? Der Meridian-Rede folgend, scheint man diese Frage bejahen zu müssen. Nachdem Celan am Beispiel von Luciles »Gegenwort« vorgeführt hat, wie die »für die Gegenwart des Menschlichen zeugende Majestät des Absurden« (GW III, 190) die Bühne durch das vermeintliche Verstehen von sprachlichen Zeugnissen betritt, stellt er über seine Utopie von Dichtung fest, daß diese Dichtung der Ort sei, ihre eigenen, bislang gültigen klassischen ästhetischen Ausdrucksformen wie Metaphern und Tropen »ad absurdum« zu führen (GW III, 199). Metaphern und Tropen sind im allgemeinen rhetorische Figuren, die über die Vergleichbarkeit von Bildern und Bildebenen funktionieren. Die Vergleichbarkeit von Bildern aber, die Berechenbarkeit und Begrifflichkeit von Metaphern und ästhetischen Konzeptionen ist es, die für Celan in der Dichtung unmöglich geworden ist. Für ihn sind Bilder: »Das einmal, das immer wieder nur einmal und nur jetzt und nur hier Wahrgenommene und Wahrzunehmende«. (GW III, 199) Unter solchen Voraussetzungen wird eine Berechenbarkeit von Bildern, gleichzeitig aber auch eine Berechenbarkeit von Begriffen absurd. In Celans Übersetzung von »Diese Nacht« (GW V, 95) wird deutlich, wie Celan die Wörter syntaktisch und semantisch aus ihrer ästhetischen Kontextualisierung herauslöst und wie durch das Hinzutreten der Shoah-Thematik eine ästhetische Vergleichbarkeit unmöglich wurde. Gerade durch die Anwesenheit ihres Heute, des von ihr gesetzten Akuts steht Celans Übersetzung trotz allem vom Original her Mittransportierten auch für sich. Das Absurde aber ist nicht das Ziel dieser Dichtung, sondern dient ihr und ihrer Poetologie und der damit verbundenen Sprachphilosophie dazu, die Funktionsweise der Sprache deutlich zu machen. Es bezeugt »Das einmal, das immer wieder einmal und nur jetzt und nur hier Wahrgenommene« (GW III, 199), wie Celan es nennt, eine Einmaligkeit des Sprechens und seines Moments, die 20

Ebd., S. 250.

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sich keiner reproduktiven Ästhetik unterordnet, sondern deren Eigenschaften und Topoi durch die Einmaligkeit der von Celan beanspruchten Gültigkeit »ad absurdum« führt. 3.3.3 Spannungen: »Der Schmerz schläft bei den Worten« Auch Mandelstamm, der Celans erster Zeuge für die Anwesenheit einer fremden Zeit in der Dichtung, in den vom Dichter gesetzten Materialien ist, spricht in seinem Aufsatz »Das Wort und die Kultur«21 in Bezug auf die Synchronisierung von Stilen und Daten von »Glossolalie«, das heißt vom biblischen ekstatischen Zungenreden des Pfingstwunders. Zwar ist laut Mandelstamm »[D]ie Poesie [...] ein Pflug, der die Zeit aufbricht und die tieferen Schichten der Zeit, ihre Schwarzerde, an die Oberfläche befördert«, und »[D]as Wort ist zu einer Schalmei nicht mit sieben sondern mit tausend Röhren geworden, die der Atem aller Jahrhunderte auf einmal zum Klingen bringt«, doch kennt der Sprecher die Sprache, die er spricht, nicht, »[E]r spricht eine völlig unbekannte Sprache«. Wer bei solch einer Beziehung zur Sprache trotzdem dichtet, der erschafft notwendigerweise Absurditäten. Der spricht im besten Falle wie Lucile in ihrem Gegenwort und wird auch nur von jemandem wie ihr, als seinem Dasein zugewendeter, sich »Richtung und Schicksal« sprechend verstanden. Bei diesem Dichten erarbeitet ein Ich etwas von seinem Lebensweg her, von sich und anderen Verstehbares. Dementsprechend wird bei Celan die Sprache zeitlich und individuell. Das aber soll heißen, eine Person nicht nur wiedererkennbar zu machen, sondern auch zu konstituieren. Unter diesen persönlichen Zeichen, auch dem Zeichen der »Individuation« (MLG, 71)22, der Selbstwerdung, werden von Celan echte Begegnungen angestrebt, Begegnungen mit >zum Du Gewordenem, die zumindestens mit Personalpronomen charakterisiert werden (MLG, 72). In Celans Mandelstamm-Essay heißt es daher mit, aber auch gegen Mandelstamm: Der Ort des Gedichts ist ein menschlicher Ort, ein Ort im AU2i, gewiß, aber hier, hier unten, in der Zeit. Das Gedicht bleibt mit allen seinen Horizonten, ein sublunarisches, ein terrestrisches, ein kreattirliches Phänomen. Es ist Gestalt gewordene

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Ossip Mandelstamm: Das Wort und die Kultur. In: ders., Über Dichtung. Essays. Aus dem Russ. übersetzt von Alfred Frank und Marga und Roland Erb. Hg. von Pawel Nerier. Leipzig, Weimar: Kiepenheuer 1991 (Kiepenheuer-Bücherei, 4), S. 9-15. Vgl. auch: Ossip Mandelstamm: Das Wort und die Kultur. In: ders., Gesammelte Essays (1913-1935), Bd 1: Über den Gesprächspartner. Hg. und aus dem Russ. übersetzt von Ralph Dutli. Zürich: Ammann 1991, S. 82-88. Auch hier, hinter dem Stichwort »Individuation«, verbirgt sich noch eine große Aufgabe für die Celan-Forschung. Zahlreiche Andeutungen Celans in MandelstammEssay und Büchner-Preis-Rede deuten daraufhin, daß Celan einen Zusammenhang zwischen Individuation, Sprache, Dichtung und Poetologie sieht. Ossip Mandelstamm: Die Städte, die da blühen (GW V, 85).

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Jürgen Lütz Sprache eines Einzelnen, es hat Gegenständlichkeit, Gegensfäwi/igkeit, Gegenwär/¡gkeit, Präsenz. Es steht in die Zeit hinein. (MLG, 71)

Zusätzlich zu seiner eigenen >Zeitoffenheit< (MLG, 73) behauptet sich das Gedicht, weil es ja auch Ort einer »Individuation« (MLG, 71) ist, >gegen-ständig< und >gegen-wärtig< gegen Alltagssprache und steht als Gegen-Entwurf zu deren >grammatischer< Zeitlichkeit »in die Zeit hinein«. Nur so wird im Gedicht eine Gesprächssituation möglich, in der das vom Gedicht Angesprochene, das Thematisierte und Gesprochene auch seine Fremdheit in eine andere Zeit mitbringt, die Celan als die dem Gedicht eigene »Zeit« charakterisiert (MLG, 72). Immer bestehen >Spannungsverhältnisse der Zeiten< innerhalb des Sprachmaterials und in jedem Fall zwischen den Sprachmaterialien untereinander und ihren Setzungen im Gedicht: Es ist dieses Spannungsverhältnis der Zeiten, der eigenen und der fremden, das dem Mandelstammschen Gedicht jenes schmerzlich-stumme Vibrato verleiht, an dem wir es erkennen. (Dieses Vibrato ist überall: in den Intervallen zwischen den Worten und in den Höfen, in denen die Reime und Assonanzen stehen, in der Interpunktion. All das hat semantische Relevanz.) Die Dinge treten zueinander, aber noch in diesem Beisammensein spricht die Frage nach ihrem Woher und Wohin mit - eine offenbleibende zu keinem Ende kommende, ins Offene und Besetzbare, ins Leere und Freie weisende Frage. (MLG, 72)

Bemerkenswerterweise kann man einen Großteil von Celans Übersetzungen, wie auch die Analyse von »Diese Nacht« zeigt, an solchen >Spannungsverhältnissen der Zeiten< erkennen. In fast allen Lyrik-Übersetzungen Celans findet man, oft nur in einigen wenigen Zeilen, eine im Überblick systematisch erscheinende Differenz zwischen den Originalen und der Weise, wie sie bei Celan aktualisiert im Deutschen wieder zutage tretenZeit, die hinzutrittBesetzung< des neben seiner oberflächlichen Funktion mit einer »Leere« charakterisierten Begriffs zu vereinfachen, schlägt sich >die Frage< nach dem das »Leere und Freie« >Besetzenden< als zusätzliches »Thema« in der Sprache des Gedichts und, wegen der natürlichen Nähe dieses Vorgangs zum

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Übersetzen, erst recht in der Sprache der Übersetzung nieder. Wie um das Nachschlagen in einem Lexikon zu erleichtern, damit das Zugehörige >Andere< leichter gefunden werden kann, zeigt in Celans Übersetzung, wie in Mandelstamms Dichtung, »das Wort - der Name! - [...] eine Neigung zum Substantivischen, das Beiwort schwindet, die >infinitenAnderezeitoffen«. »Zeit kann hinzutreten, Zeit partizipiert.« (MLG, 73). Die Sprache der Celanschen Lyrik-Übersetzungen verbirgt, sich durch Mandelstamm und seine Zeitgenossen ihrer formalistischen Tradition bewußt, nicht mehr, daß sie grundsätzlich eine Aneinanderreihung von Vokabeln, von >Wortsinn-Btindeln< mit veränderlichem Inhalt ist. Dadurch lockert sie, soweit das von ihrer Seite, als Übersetzung eines Originals, möglich ist, eine funktionale, ästhetische Bedeutung. Celans Übersetzungen müssen erst mittels etwas Hinzutretendem übersetzt werden. Dieses Hinzutretende ist das Original und die syntaktische, wörtliche Lesart, die sich der vergleichende Leser von ihm bildet oder mittels anderer Übersetzungen sucht. Das Original und seine Lesart machen deduktiv die Freisetzungen der Worte, die Celan in seinen Übersetzungen vornimmt und damit die Versetzungen im Wortsinn-Bündel deutlich. Möglicherweise kann auch eine übergeordnete thematische Versetzungsrichtung absehbar werden. Eine andere, allerdings wesentlich vorsichtiger zu handhabende Möglichkeit ist ein induktives Herantragen einer möglichen Versetzungsrichtung an die syntaktischen Wort-Freisetzungen in Celans Übersetzung24. In der Übersetzung Celans begegnet das Original dem zur ^fatf-isierung (GW III, 190), zur Freisetzung Entschlossenen Celanscher Übersetzungspoetologie, wenn nicht Dichtungspoetologie. Um diesem Anspruch gegenüber dem, was ihr begegnet, gerecht zu werden, muß die Übersetzung die stilistischen Eigenheiten, die literaturgeschichtlichen Besonderheiten, die historischen Besonderheiten der Wortwahl und deren Kontexte erfassen und sie als Bemerkte paraphrasieren und in die Übersetzung einsetzen, vielleicht auf den ersten Blick unmerklich zu »Gegenworten« in Luciles Sinne versetzt. Um dies zu vereinfachen, stoppt die Celansche Übersetzung den Fluß der Sprache mittels Satzzeichen, listet auf, damit das Bildmaterial und die Setzung dieses Materials bemerkt werden kann. Auf diese Weise setzt Celan die Setzungen des Originals frei. Damit aber läßt sich, befreit von Form und Funktion, der »Sprache« begegnen, allerdings nicht einer historischen, sondern der bis heute und auch noch weiterhin sich unterwegs befindenden Sprache, in welcher Zeit und ein das 24

Es kann nicht oft genug betont werden: Die in diesem Aufsatz ausschließlich vorgestellte Versetzungsrichtung der Worte im Sinne einer Celanschen Umgruppierung des Sinn-Bilndels hinter manchen Worten in Richtung der Genozid-Thematik stellt die nächstliegende, vielleicht häufigste und am leichtesten zu zeigende Versetzungsrichtung in den Celanschen Übersetzungen dar. Sie ist aber nicht die einzige. Es gibt auch andere, die allerdings ungleich schwerer zu finden und zu zeigen sind.

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jeweilige Heute befragende Konstituierungsprozesse ihre Spuren hinterlassen haben, einer Sprache also, die »angereichert« ist von all dem (GW III, 186).

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» D e r T o d ist, a c h , . . . «

Auch in Paul Celans Übersetzung von Charles Baudelaires Gedicht »La Mort des Pauvres / Der Tod der Armen« (GW IV, 820f.) kann man die beschriebenen Aufmerksamkeiten gegenüber den veränderten Kontexten und Bedeutungen der Worte und eine Freisetzung von Worten an Stellen besonderer Bedeutungsverschiebungen des durch die Zeit Hindurchgegangenen beobachten. La Mort des Pauvres C'est la Mort qui console, hélas! et qui fait vivre; C'est le but de la vie, et c'est le seul espoir Qui, comme un élixir, nous monte et nous enivre, Et nous donne le cœur de marcher jusqu'au soir; A travers la tempête, et la neige, et le givre, C'est la clarté vibrante à notre horizon noir; C'est l'auberge fameuse inscrite sur le livre, Où l'on pourra manger, et dormir, et s'asseoir; C'est un Ange qui tient dans ses doigts magnétiques Le sommeil et le don des rêves extatiques, Et qui refait le lit des gens pauvres et nus; C'est la gloire des dieux, c'est le grenier mystique, C'est la bourse du pauvre et sa patrie antique, C'est le portique ouvert sur les Cieux inconnus!

(GW IV, 820)

Charles Baudelaire beschreibt in seinem den Fleurs du mal von 1857 entstammenden Gedicht »Der Tod der Armen« vordergründig den Tod als den Erlöser der Armen, der ihnen Erlösung von ihrem Schicksal, arm zu sein, sich nicht ausreichend ernähren, vor der Witterung schützen oder keine Ruhe finden zu können, verheißt. Dabei interferieren die von Baudelaire aufgezählten Segnungen des Todes im Gedicht aber in bezug auf ihre Gültigkeit zunehmend mit einem komplementären Tod der Reichen, dessen indirekte Thematisierung die sich ausschließlich auf eine Gruppe beziehende Betitelung »Der Tod der Armen« nahe legt. So besteht eine Erkenntnisleistung des Gedichts darin, daß gerade, obwohl in jeder Strophe des Sonettes noch einmal explizit die Armen erwähnt werden, die Leistungen des Todes doch für alle Sterblichen gelten und somit eigentlich alle angesichts des Todes arm, zumindest aber gleich sind.

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Der Tod der Armen Der Tod ists, ach, der tröstet, er flößt dir Leben ein; wohin du lebst, da ist er, er ist die Zuversicht, die zaubrisch in dir hochsteigt, berauschend wie ein Wein: das Herz trinkt sich hier Mut zu - eh's Nacht wird, stockt es nicht. Wenn dich die Wetter peitschen, Reif fällt und Flocke weht, ist er der Schwärze Lichtsaum, auf ihn hältst du dann zu, ist er der Krug, die Gaststatt, von der geschrieben steht, hier seien Tisch und Speise, das Lager und die Ruh. Er ist der Schlummerengel, sein Finger zieht und bannt, das Träumen und Entrücktsein, er schenkts und teilt es aus, und wer da arm und bloß ist, den bettet seine Hand. Er ist der Götter Glorie, das speichernde, das Haus, der Armen Zehrung ist er und ist ihr Heimatland, er baut die Säulengänge zu Himmeln ungekannt.

(GW IV, 821)

In seiner Übersetzung gelingt es Celan, an einigen markanten Stellen seine heutige Sicht von Baudelaires Worten und der mit ihnen verbundenen Vorstellungskontexte einzuschreiben. In einer fast zynisch zu nennenden Haltung weist Celan mit seinen Freisetzungen darauf hin, daß die Baudelairesche Vorstellung, daß der Tod für alle Menschen gleich und letzten Endes ein milder Erlöser sei, spätestens durch den Genozid am jüdischen Volk ad absurdum geführt worden ist. Besonders in der ersten Strophe verweist er die Vorstellungen Baudelaires ins Theoretische, Ästhetische, eine Haltung, die Celan selbst in seiner Übersetzung mit »er ist die Zuversicht, / die zaubrisch in dir hochsteigt, berauschend wie ein Wein: / das Herz trinkt sich hier Mut zu - « wiedergibt. Direkt nach einem Gedankenstrich aber, der sich im Original nicht findet, schreibt er, ebenfalls in Abweichung vom Original, wenn auch mit dort vorhandenen Worten an die Adresse erfahrungsloser, vom Tode »zaubrisch« phantasierender Ästheten über das Herz des Menschen, das sich in der Ästhetisierung des Todes >Mut zu trinktc »eh's Nacht wird, stockt es nicht«. Damit weist Celan darauf hin, daß er es heute nicht mehr für möglich hält, in ästhetischer Weise das Motiv des Todes für ein Gleichnis von Reich und Arm zu benutzen, nachdem man dem Tod wirklich ins Auge geschaut hat. Und das gilt ihm nicht nur für seine eigene Dichtung, sondern gerade auch für seine Übersetzungen. So ist sein anders als im Original von zwei Kommata freigesetztes »ach« keine Neuauflage des Baudelaireschen Seufzers darüber, daß >auch unser Lebern betroffen sei, sondern ein zynischer, mit Fragezeichen und Ausrufungszeichen zu sprechender Ausruf, der auf die vermeintliche, nach der Shoah unmöglich gewordene Wiederverwendbarkeit des ästhetischen Topos >Tod< zielt. Celan unterbricht in seiner Übersetzung von »C'est la Mort qui console, hélas!« seinen eigenen ästhetisierenden Vers über den Tod: »Der Tod ists [...] der tröstet« sobald die Aussage über den Tod von der Syntax her ab-

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sehbar wird, durch den im Französischen nachgestellten Seufzer. Dadurch läßt er die Sprache seiner Übersetzung sich selbst ins Wort fallen und schafft damit im ersten Vers seiner Übersetzung eine zusätzliche Zäsur, die Aufmerksamkeit fordert. Diese Zäsur setzt das »ach« frei, aber auch das Satzfragment »Der Tod ists« und macht mit diesem fast zur Frage gewordenen Fragment auf die Schwierigkeit aufmerksam, diesen angefangenen Satz zu Ende zu sprechen, ohne in eine unmöglich gewordene Rhetorik zu verfallen. Paul Celan übersetzt »La Mort des Pauvres« vom 24. bis 28.7.1957 (FN, 257f.) im Kontext von Arbeiten an Übersetzungen mehrerer französischsprachiger Autoren: Artaud, Baudelaire, Desnos, Eluard, Maeterlinck, Michaux, Nerval, Rimbaud und Supervielle. Diese Übersetzungs-Periode erreicht nur wenige Tage nach der Übertragung des Baudelaire-Gedichts in der Übertragung von Arthur Rimbauds »Bateau ivre« einen ersten Höhepunkt und hält noch bis zum Ende des Jahres 1957 an (FN, 250). Ab Anfang 1958 rücken dann verstärkt die russischen Autoren in Celans Übersetzer-Interesse, bis er diese Phase mit den Mandelstamm-Übersetzungen abschließt. Auf den ersten Blick fällt auf, daß die Entstehungzeit dieser Übersetzimg deutlich vor der der poetologischen Texte Celans liegt. Doch mag sie vielleicht gerade dadurch als Hinweis dienen, daß Celans poetologische Auseinandersetzung und Neubesinnung lange vor den ersten schriftlichen poetologischen Niederschlägen ab Anfang 1958 beginnen, sehr wahrscheinlich sogar unmittelbar nachdem die von Gleb Struve herausgegebene, 1955 in New York erschienene Mandelstamm-Ausgabe im Mai 1957 in Celans Besitz gelangt ist (Kyr, 84). In dieser Zeit, möglicherweise seit Mitte des Jahres 1957, befindet sich Celans Dichtung im Umbruch zu einer neuen Haltung der Sprache gegenüber. In einem Brief an Petre Solomon vom 17.2.1958, noch während der Arbeiten an Sprachgitter, schreibt Celan: »ich habe eine Reihe von Gedichten geschrieben, die irgendwie anders sind als die bisher veröffentlichten, habe übersetzt [...] eine Reihe von französischen Gedichten« (FN, 250). Darunter ist auch »Der Tod der Armen«, und auch hier kann wieder für die Übersetzung gelten, was Celan über seine Gedichte sagt: Sie sind »irgendwie anders [...] als die bisher veröffentlichten«. Für dieses Anders-Sein seiner Übersetzungen wie seiner Dichtungen wird Celan erst im Mandelstamm-Essay Anfang 1960 und in der Meridian-Rede in Weggenossenschaft zu Mandelstamm poetologische Formulierungen finden.

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Mandelstamms Name. »Der Schmerz schläft bei den Worten«

Sogar die von Celan für den russischen Dichter gewählte Schreibweise des Namens ist eine von den gebräuchlichen deutschen Transkriptionen des Namens abweichende Übersetzung des Namens in Celans Sinne. Selbst hier, im Namen des Dichters, werden, so banal dies auf den ersten Blick auch scheinen mag, durch Celans Übersetzung im Namen enthaltene Lexeme freigesetzt, die zeigen, aus welchem Kulturkreis der Name des Dichters und damit auch die Person des Dichters kommt, sowie welches Schicksal ihm vom Heute, der Zukunft seines Namens aus, gedroht hat.

Kyrillisch: Bibliothekarisch: Duden: Dutli: Celan:

OCHn OSIP OSSIP OSSIP OSSIP

MAHJIEJIbIIl,TAM (Kyr, 85, 125) MANDEL'STAM (Kyr, 17) MANDELSCHTAM 25 MANDELSTAM (MLG) MANDELSTAMM (GW V, 47-161)

Generell bietet das Deutsche zwei Möglichkeiten zur Wiedergabe russischer, in kyrillischer Schrift geschriebener Worte. Die sogenannte bibliothekarische und damit wissenschaftlich gültige Umschrift und daneben die einfacher zu lesende Transkription nach dem Duden. Ralph Dutli, der Herausgeber der ersten deutschen Mandelstamm-Werkausgabe, ersetzt in seiner Schreibweise des Namens das >s-c-h< der Duden-Schreibweise des Familiennamens, durch ein >sm< verzichtet, weil sich dafür im Kyrillischen, wie für das dreibuchstabige >s-c-h< keine Entsprechung findet. In Celans Übersetzung geht es in erster Linie um die Lexeme und ihre Freisetzung. So lautet der Vorname bei ihm »Ossip«, weil dies die lexikalisch belegte russische Entsprechung des alttestamentarischen Namens »Joseph« ist. Beim Familiennamen schreibt Celan auch das zweite Lexem Stamm in der für das Deutsche vollständigen Weise mit doppeltem >mso leicht< zu erkennen wie die für Celan bedeutende GenozidThematik, wobei deren Präsenz natürlich von der Forschung und der Rezeption selbst in den Vordergrund gerückt worden ist. Auch in dieser Arbeit wurde aus Gründen der Nachvollziehbarkeit von Celans poetologischer FreisetzungsMethode auf Freisetzungen in Richtung der Genozid-Thematik zurückgegriffen, dies aber auch deswegen, weil sie als den Wortsinn-Bündeln eingeschriebene Thematik ein wichtiges Kriterium Celanschen Sprachverständnisses ist, um nach 1945 überhaupt noch Gedichte schreiben zu können. Dementsprechend findet sich in Celans Auffassung, daß die Sprache durch die Zeit ihrer Untergänge hindurchgegangen und angereichert von dem Durchgangenen wieder zutage getreten ist (GW III, 186), ein wichtiges Motiv für Celans ÄsthetikKritik, die sich, wie am Beispiel von »La Mort des Pauvres« gezeigt, in einigen seiner Übersetzungen niederschlägt. Am 29.6.1961 schreibt Celan das Gedicht »Der Schmerz schläft bei den Worten« (N, 57), ein Gedicht, das keine Aufnahme in die Schlußkonzeption des Gedichtbandes Die Niemandsrose gefunden hat. Oben rechts auf einer Typoskript-Textstufe dieses Gedichts findet sich handschriftlich ein Gedichtfragment mit dem Titel »Bruder Ossip« (N, 371). »Bruder Ossip« aber ist bereits einige

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Tage früher entstanden, was eine identische handschriftliche Fassung auf einem Briefumschlag belegt, die mit dem »21.6.61« datiert ist (FN, 353). Daß das Fragment »Bruder Ossip« in identischer Form mindestens acht Tage nach seiner Entstehung von Celan noch einmal auf das Typoskript von »Der Schmerz schläft bei den Worten« (N, 57; 370f.) geschrieben wird, zeigt ebenso wie die thematische Ähnlichkeit beider Texte, daß das angesprochene Du in beiden Gedichten dasselbe, nämlich Ossip Mandelstamm ist, und beide Texte die Bedeutung Ossip Mandelstamms für Celan reflektieren. Bruder Ossip Es spielt der Schmerz mit Worten er spielt sich Namen zu er sucht die Niemandsorte, und da, da wartest du. Du bist der Russenjude, der Judenrusse, und

Hier bricht das Fragment ab. Es thematisiert, wie jetzt, nach der in diesem Aufsatz versuchten Annäherung an Celans Übersetzungspoetologie deutlich wird, dichtungs- und übersetzungspoetologische Grundbedingungen, die Celan im beschriebenen Zeitraum seiner Auseinandersetzung mit Mandelstamm für sich entdeckt. So ist es der Schmerz um persönliche Verluste und Verletzungen - erlebte und erlesene - , der in den Freisetzungen in Celans Übersetzungen zu den freigesetzten Worten und Namen hinzutritt. »Es spielt der Schmerz mit Worten / er spielt sich Namen zu«. Gleichzeitig reflektiert das Gedicht eine Besonderheit der Mandelstammschen Herkunft und seines Schicksals, die darin besteht, daß Mandelstamm wie viele seiner Schicksalsgenossen, ohne Namen, ohne Grab und ohne Werk, im deutschen Sprachraum ein >Niemand< war, bis Celan ihn übersetzt hat und ihm damit die »Chance [...] des bloßen Vorhandenseins« gegeben hat (GW V, 624; MLG, 66f.). Von daher sucht der mit Worten spielende »Schmerz« auch die »Niemandsorte«, das heißt, die Orte an denen Mandelstamm für Celan thematisierbar, suchbar und schließlich auch auffindbar wird. Im Niemandsrose - Kontext tauchen solche »Niemandsorte« auf: ein auf einem Walliser Grabstein gefundenes, >schlafendes Rosenauge Sonnen künden< läßt, oder im Lachen und seinem Grund, dem er in seinen poetologischen Texten nachspürt und schließlich ein nicht zu findender Ort, der, wie wir heute wissen, in Sibirien liegt. Bei diesen Niemandsorten sieht Celan Mandelstamm warten, ähnlich wie Mandelstamm es in seinem späten Gedicht »Dort in der Ferne...« beschreibt, nach dem er »einst aus Büchern auferstehen und von der Sonne künden« wird (vgl. Anm. 11): In seiner Übersetzung von »Diese Nacht« hat Celan ihn beim Wort genommen. Der, dem

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Worte, freigesetzte Zeit. Paul Celan als Übersetzer

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Celan an diesen Niemandsorten begegnet, trägt den Grund für sein NiemandSein Mitte der fünfziger Jahre im deutschen Sprachgebiet wie in der Sowjetunion durch seine Herkunft mit sich. Er ist der »Russenjude« und »Judenrusse«, wie Celan den Weggenossen im Fragment »Bruder Ossip« zu nennen versucht, um mit diesen Volks- und Herkunftsnamen ein Schicksal, ein »Woher und Wohin« (GW III, 199) zum Ausdruck zu bringen. Daß das Verhältnis von »Schmerz« und »Worten« und ihren Kontexten ein passives ist und von daher einer über die Sprache und ihre Wortkontextgeschichte führenden Annäherung von Seiten eines Lesers oder Übersetzers bedarf, macht die Anfangszeile von »Der Schmerz schläft bei den Worten« deutlich. Dieses Gedicht, das in einigen Gedichtlisten des entstehenden NiemandsroseZyklus' auch unter dem Titel »Der Schmerz schläft bei den Namen« (N, 370) auftaucht, erweckt den Eindruck, als ob es Celans Übersetzung von Mandelstamms Namen und seiner Übersetzungspoetologie nachsinnt. Der Schmerz schläft bei den Worten, er schläft, er schläft. Er schläft sich Namen zu, Namen. Er schläft sich zu Tod und ins Leben. Es geht ein Samen auf, weißt du, es geht, es geht ein Nachtsame auf, in den Fluten, ein Volk wächst heran, ein Geschlecht vom-Schmerz-und-vom-Namen - : stet und wie von jeher ertrunken und treu - : das ungewesene, das lebendige meine, das deine.

(N, 57)

Wie in Rilkes Grabspruch »Rose, oh reiner Widerspruch, Lust, / Niemandes Schlaf zu sein unter so viel / Lidern« ist auch hier entsprechend der poetologischen Auseinandersetzung der Niemandsrose-Gedichte mit der Dichtung Rilkes vom Schlafen die Rede. Doch ist das Schlafen des Schmerzes, von dem das Gedicht in der ersten Strophe spricht, nur auf den ersten Blick ein Ruhen. In der zweiten Strophe, zu deren Beginn ein Samen aufgeht, wird deutlich, daß dieses Schlafen eine zeugende Konnotation haben muß und daß die Aussage »Der Schmerz schläft bei den Worten« daher doppeldeutig ist. Hier schläft der Schmerz den Worten auch bei. Wie bei Luciles gerade auch vom Schmerz, den Geliebten verloren zu haben, hervorgetriebenen Gegenwort, befruchtet der Schmerz die Worte und macht vielleicht oft erst so, unter der alltäglichen Gebräuchlichkeit der Worte die Wortsinn-Bündel, die Bedeutungsamplituden deutlich. »Es geht ein Samen auf, weißt du, / es geht, es geht / ein Nachtsame auf, in den Fluten, ein Volk / wächst heran, ein Geschlecht.« Diesem »Volk«, diesem »Geschlecht« gibt Celan im Gedicht einen Namen. Es heißt:

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Jürgen Lütz

»vom-Schmerz-und-vom-Namen«. Es ist »stet / und wie von jeher ertrunken / und treu«. Keine Gottesmacht teilt diesem Volk das Meer. Eine anschließende Konstruktion erweitert wie in Celans Gedicht »Psalm« das Benennbare durch das bewußte Ansprechen einer Leerstelle. Es sei »das un- / gewesene« heißt es vom heranwachsenden Volk. Von seiner grammatischen Funktion her ist »das un- / gewesene« ein Partizip, ein Mittelwort, der ausdrücklich ««-vollendeten Vergangenheit. Es ist auch von der im Gedicht gewonnenen Ansprechbarkeit her ein lebendiges Volk und, wenn man der Richtung von »Bruder Ossip« folgt, das lebendige Volk Celans und Mandelstamms. Es ist den hier beschriebenen Aufmerksamkeiten zur Folge ein Volk von Übersetzern. Auf solche Weise wird jedes freigesetzte Wort Celans, sei es in Dichtung oder Übersetzung, Mandelstamms Vorliebe folgend, zum »Gerundiv« (MLG, 81), zum »Mittelwort« einer von der Freisetzung aus aktivierten historischen Zukunft. Dies ist, trotz allem, was in der Sprache mitgeht, ein hoffnungsvoller Satz.

P.S.: Zur Zeit haben wir Deutschen ein Problem. Ein Teil von uns möchte etwas für das Gedächtnis tun und ein Denkmal bauen, ein in Deutschland aber auch europa- und weltweit sichtbares. Egal, wie wir uns auch entscheiden werden. Wir Deutschen haben, wie die anderen Völker auch, eine Denkmal fähige Sprache. Daß das Deutsche hindurchgegangen und angereichert wieder zutage getreten ist, als unausweichliche Grundlage von Gedenken im Bewußtsein zu halten, daran hat Paul Celan seit dem Tod seiner Eltern gearbeitet und nicht nur in seinem eigenen Lyrischen Schaffen, sondern auch und gerade in seinen Übersetzungen. Bonn, März 1999

Ute Harbusch

Etwas die Tropen Durchkreuzendes: Paul Celans »Trunkenes Schiff«1

Kunst, - das ist, so sehr man sie auch beherrschen muß, nicht das Entscheidende; erst wo sie ins Kunst-lose tritt,... Paul Celan

1 In-Frage-Stellung der Kunst Er sei »kein Feind von Untergängen«2, schreibt Paul Celan am 18.7.1957 an Alfred Andersch. Zehn Tage später beginnt er seine Übersetzung des »Bateau ivre« von Arthur Rimbaud. Sollte thematische Affinität der Grund für Celans Interesse an einem der prominentesten Untergänge der literarischen Moderne sein? Rimbauds »Trunkenes Schiff«, das zuletzt Schiffbruch erleidet, oder vielmehr: das allmählich zum Wrack wird, ohne je Schiffbruch erlitten zu haben, würde sich einfügen in eine Reihe weiterer von Celan übertragener Texte und Autoren; man denke nur an das von Mandelstamm (in Celans Schreibung mit zwei >mFremde NäheFremde Nähe< [wie Anm. 2], S. 333). Direkt im Anschluß an das »Trunkene Schiff« entstehen Übersetzungen von: »L'étoile a pleuré rose« (Der Stern, blassrot hat er geweint; 172. August), »Le donneur du val« (Der Schläfer im Tal; 2. August) und »Lärme« (Träne; 2. August); vgl. >Fremde Nähe< (wie Anm. 2), S. 258-260. Die einzige Rimbaud-Übertragung jedoch, die Celan neben

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Ute Harbusch

nicht als inhaltlich, sondern in erster Linie poetologisch motivierte Auseinandersetzung mit dem Text seines Vorgängers zu verstehen. Das »Bateau ivre« ist zweifellos Rimbauds bekanntestes Gedicht, und berühmt wurde es insbesondere durch seine geradezu provozierend innovative Metaphorik. Diesem Aspekt vor allem gilt die Aufmerksamkeit des Übersetzers Celan. Eben seine Metaphern lassen, abgesehen von dem in den fünfziger Jahren ohnehin verbreiteten Interesse an Rimbaud4, das »Trunkene Schiff« zum lohnenden Gegenstand eines übersetzerischen Nachvollzugs werden. So macht sich zum einen zu dieser Zeit im deutschsprachigen Literaturbetrieb unter Dichtern und Kritikern eine ausgesprochene Metaphernskepsis breit. 1960 überschreibt beispielsweise Horst Bienek seine Rezension dreier neuerschienener Gedichtbände von Hilde Domin, Dagmar Nick und Christoph Meckel mit dem programmatischen Titel »Abkehr von der Metapher«: Die bei uns in den letzten Jahren erschienenen, von jüngeren Autoren verfaßten Gedichtbände machen deutlich eine bestimmte Tendenz sichtbar: die Abkehr von der Metapher. Im Surrealismus feierte sie einst ihre Hochblüte, verbrauchte sich aber nach und nach mit der Perfektion ihrer Handhabung. Zuerst wurde der Verschleiß in der Genitiv-Metapher offenbar. Nach der Formel »die Euter der Frühe« konnte man ohne große Phantasie genügend analoge Bilder zusammenstellen. Kein Wunder, daß die Metapher suspekt wurde. Das neue Gedicht ist auf dem Wege, wieder gedanklicher und sachlicher zu werden.5

Wer freilich meint, durch den Verzicht auf Metaphern der Wahrheit näher zu kommen, die Gedanken gedanklicher und die Sachen sachlicher auszudrücken, der hätte bereits durch Nietzsches Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinn eines Besseren belehrt sein können. So lassen sich zum anderen ab dem Ende der fünfziger Jahre vereinzelt Stimmen vernehmen, die behaupten, daß die Metapher mehr - oder anderes - ist als eine rhetorische Figur, daß vielmehr metaphorische Strukturen unsere sprachliche Wahrnehmung der Welt

4

5

dem »Trunkenen Schiff« veröffentlicht hat, ist »Wiedergefunden« (»Elle est retrouvée«, in der Fassung aus Une saison en enfer. In: Paul Celan: Gesammelte Werke in fünf Bänden. Hg. von Beda Allemann und Stefan Reichert unter Mitwirkung von Rolf Bücher. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1983 (im folgenden zitiert als: GW), Bd IV, S. 110-111; zuerst erschienen in: Almanach S. Fischer 74 [1960], S. 81). 1954 jährte sich Rimbauds Geburtstag zum hundertsten Mal; von 1952 bis 1961 erschienen die drei Bände von René Etiembles Le mythe de Rimbaud (Paris); 1954 brachte der Arche-Verlag Henry Millers Rimbaud-Essay Der große Aufstand heraus - im selben Jahr also, als dort auch Celans Picasso-Übertragungen erschienen. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr 83, 7. April 1960, Literaturblatt. Vgl. auch Walter Höllerer: Die Metapher überhaupt. In: Streit-Zeit-Schrift (April 1956), H. 1, S. 28-40. Vgl. ebenfalls die zweite der von Ingeborg Bachmann im Wintersemester 1959/60 gehaltenen Frankfurter Poetik-Vorlesungen, in der sie Metaphern zeitgenössischer Dichterinnen und Dichter gegen den von Gustav René Hocke erhobenen Vorwurf des >Manierismus< (Manierismus in der Literatur. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1959) zu verteidigen sucht.

Etwas die Tropen Durchkreuzendes: Paul Celans >Trunkenes Schiffi

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und damit unser Denken prägen.6 Von einer sprachphilosophischen Durchsetzung dieser Erkenntnis kann allerdings, bis heute, keine Rede sein. Auch die bei Dichtem und Kritikern zu beobachtende Abkehr von der Metapher beruht in der Regel nicht auf theoretischer Überzeugung. Vielmehr wendet man sich gegen Abnutzungserscheinungen, gegen das Verkommen sprachlicher Innovationskraft zur >MascheDichtung< und >Kunst< an. Alle heutige Dichtung, sagt er, müsse zuallererst eine »In-Frage-Stellung der Kunst« unternehmen, bevor sie sich anderen Fragen widmen könne.9 Ein Name, der im Zusammenhang mit dieser In-Frage-Stellung der Kirnst fällt, ist der Mallarmés. Auch die Auswahl einiger der Autoren, die Celan zu dieser Zeit überträgt, macht deutlich, daß Dichtung und Theorie des Symbolismus eine zentrale Stelle im Spektrum dessen einnehmen, was >Kunst< ausmacht. Was Celan unter >Kunst< versteht, wird in der Büchner-Preis-Rede durch die von Georg Büchner entlehnte Begrifflichkeit, oder eher Bildlichkeit, deutlich: Von Marionetten, Automaten, Theatralik, dem »Triumph von >Puppe< und >Draht«< ist da die Rede 10 . >Kunst< leitet sich hier 6

7 8 9 10

Vgl. ζ. B. Franz Vonessen: Die ontologische Struktur der Metapher. In: Zeitschrift für philosophische Forschung 13 (1959), S. 397-418; Hans Blumenberg: Paradigmen zu einer Metaphorologie. Bonn: Bouvier 1960; Beda Allemann: Die Metapher und das metaphorische Wesen der Sprache. In: Welterfahrung in der Sprache. Hg. von der Arbeitsgemeinschaft Weltgespräch Wien-Freiburg. Basel: Herder 1968 (Weltgespräch; 4), S. 29-43; Jacques Derrida: La mythologie blanche. In: Poétique 5 (1970), S. 1-52. GW III, S. 199. Ebd., S. 198. Ebd., S. 193. Ebd., S. 189. Celans Gegenübersetzung von >Dichtung< und >Kunst< hat bereits eine Vielzahl von Deutungen herausgefordert, vgl. z. B. Otto Pöggeler: » - Ach, die Kunst!« In: Über Paul Celan. Hg. von Dietlind Meinecke. Frankfurt a. M.: Suhikamp 1970 (Edition Suhikamp, 495), S. 77-94; Gerhard Buhn Kunst und Dichtung. In: ders., Celans Poetik. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1976, S. 22-77; Marlies Janz: >Der Meridiane

58

Ute Harbusch

unmißverständlich von >künstlich< her. Kunst zeichnet sich dadurch aus, besser: wird dadurch verdächtig, daß sie des Menschlichen, Kreatürlichen vergißt und statt dessen auf das Künstliche, Kunstfertige, auf das Artifizielle und auf Artistik setzt. Celan selbst betreibt gerade in diesen Jahren eine recht eindringliche InFrage-Stellung der Kunst. Die Entstehung des eigenen Werkes wird begleitet von poetologischen Überlegungen sowie intensiver übersetzerischer Tätigkeit. Aus den späten fünfziger und frühen sechziger Jahren stammen die beiden Preis-Reden sowie die meist kurzen schriftlichen Stellungnahmen, in denen er Grundzüge seiner Poetik formuliert und in die Öffentlichkeit gibt. Zwischen 1957 und 1960 verfaßt und veröffentlicht er eine ganz erstaunliche Zahl von Übersetzungen aus dem Französischen, Russischen und Englischen, nach Gedichten von Apollinaire, Artaud, Baudelaire, Char, Desnos, Éluard, Maeterlinck, Mallarmé, Michaux, Nerval, Rimbaud, Supervielle und Valéry, von Block (mit -ck-, wie Celan schreibt), Chlebnikow, Jessenin, Majakowskij und Mandelstamm, von Carroll, Dickinson, Marvell, Marianne Moore und Shakespeare.11 Das Nebeneinander von Dichten, Übersetzen und poetologischer Reflexion weist auf eine über das rein Chronologische hinausgehende Nähe dieser drei Bereiche, und die Frage nach der Kunst dürfte in manchen Fällen überhaupt der Grund für die Entstehung einer Übersetzung sein. Celans Übersetzung des »Trunkenen Schiffes« erscheint 1958 und eröffnet eine kleine Reihe großer Übertragungen aus dem Umkreis des europäischen Symbolismus. Ebenfalls 1958 werden »Die Zwölf« von Alexander Block veröffentlicht, und 1960 »Die junge Parze« von Paul Valéry - die bis heute einzige vollständige Übersetzung dieses Gedichtes ins Deutsche. Rimbauds Metaphorik, die Vielfalt der Sprachregister bei Block, Valérys zugleich sinnliche und abstrakte Sprache stellen große Herausforderungen für den Übersetzer dar. Doch sind diese Übertragungen nicht nur sprachtechnische Bravourleistungen, sondern auch eine bewußte Auseinandersetzung mit der im weitesten Sinne einer symbolistischen Ästhetik verpflichteten Schreibweise ihrer Autoren. Hier bezieht ein sich seines eigenen Standpunktes vergewissernder und zunehmend gewisser Dichter Stellung gegenüber einer Tradition, der er sich verpflichtet weiß, gegen die er sich jedoch im übersetzerischen Nachvollzug zugleich abgrenzt.

11

Das Engagement absoluter Poesie. In: dies., Vom Engagement absoluter Poesie. Zur Lyrik und Ästhetik Paul Celans. Frankfurt a. M.: Syndikat 1976; David Brierley: Der Widerstreit zwischen Kunst und Dichtung; Das Setzen des »Akuts« und die »In-FrageStellung der Kunst«. In: ders., >Der Meridiana Ein Versuch zur Poetik und Dichtung Paul Celans. Frankfurt a. M., Bern, New York: Peter Lang 1984, S. 36-79, 103-120; Axel Gellhaus: Celan: Poesie und Kunst. In: ders., Enthusiasmos und Kalkül. Reflexionen über den Ursprung der Dichtung. München: Wilhelm Fink 1995, S. 301-352. Vgl. Leonard Moore Olschner: >Der feste Buchstabe Erläuterungen zu Paul Celans Gedichtübertragungen. Göttingen, Zürich: Vandenhoeck & Ruprecht 1985, S. 163-164; >Fremde Nähe< (wie Anm. 2), S. 250, 321, 335, 426. Zu diesen Gedichtübertragungen kommt die Übersetzung des kunsttheoretischen Textes von Jean Bazaine: Notizen zur Malerei der Gegenwart. Deutsch von Paul Celan. Frankfurt a. M.: S. Fischer 1959.

Etwas die Tropen Durchkreuzendes: Paul Celans >Trunkenes Schiffi

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2 Die Tropen durchkreuzen

Das Auffälligste an Rimbauds »Bateau ivre« ist seine überbordende Metaphorik. Doch zeigt die sprachliche Form des Gedichtes noch einige weitere Auffälligkeiten, die Celan in seiner Übertragung zu mildern sucht, gleichsam als wolle er das Kunst-Volle des französischen Originals nicht umstandslos in seine Übersetzung mit hineinnehmen. Diese formalen Auffälligkeiten und ihre Umgehung in der Übertragung seien zunächst kurz dargestellt, bevor der Umgang des Übersetzers mit den Metaphern seiner Vorlage ausführlich in den Blick genommen wird.12 Es läßt sich beobachten, daß Celan die im »Bateau ivre« häufig und quasi hyperbolisch verwendeten Pluralformen meist als Singular überträgt. Dies geschieht nicht nur bei den im Französischen durchaus möglichen, im Deutschen dagegen ungebräuchlichen Mehrzahlformen wie »les blés«, »les eaux«, »les rousseurs« oder »les aubes«. Auch »les cibles« und »les poteaux« beispielsweise wird zu »ein Ziel an buntem Pfahle« (4), »les phosphores chanteurs« heißt »der singende Phosphor« (40), »les pommes« »der Apfel« (17) und »les serpents« »die Schlange« (55). Celan schreibt »der Behemoth, der Mahlstrom« (81), wohingegen Rimbaud selbst diese Eigennamen in den Plural setzt: »Le rut des Béhémots et des Maelstroms épais« (82). Der unbestimmte Artikel in »tout un Léviathan« erfüllt eine ähnliche Funktion, unterstellt er doch, es gebe mehrere solcher Leviathane; im deutschen Text ist dagegen von »dem Leviathan« die Rede (50). Eine hervorstechende Eigenschaft der Lexik der Vorlage ist die große Anzahl von Neologismen. Sucht man die ausgefallen oder ungewöhnlich klingenden Wörter beispielsweise im Grand Robert, findet man dort das »Bateau ivre« oft als erste und meist auch einzige Belegstelle angeführt. Dies gilt für »lactescent« (22), »flottaison« (23), »bleuité« (25), »rutilement« (26), »nacreux« (53) - als Sonderform von >nacré< - , »dérade« (59) und, sogar, für »ultramarin« (80). »Cataractant« oder ein Infinitiv »cataracter« (52) sind dort überhaupt nicht belegt. Celans deutsche Fassung dagegen weist nicht einen Neologismus auf.13 Eine weitere Provokation des jungen Dichters, die als gelungen angesehen werden kann, da sie ihm von manchem Kritiker als Vulgarität angelastet wurde, sind Begriffe wie »vomissures« (19), »fientes« (66) und »morves« (76). Diese ungeschönten Bezeichnungen für Körperausscheidungen im weitesten 12

13

Original und Übersetzung werden, unter Angabe der Verszahl, zitiert nach GW IV, S. 102-109. Das »Trunkene Schiff« erschien als zweisprachige Einzelausgabe 1958 im Insel-Verlag sowie im selben Jahr in der italienischen Zeitschrift Botteghe oscure (Jg 21, S. 375-378), für die Celan als redaktioneller Berater tätig war. Der einzige Fall eines solchen auf morphologischer Umformung beruhenden Neologismus in Celans Übersetzung scheint »Dämmernis« (94) zu sein, doch Olschner (>Der feste Buchstab< [wie Anm. 11], S. 177) hat festgestellt, daß es sich hier nicht um einen Neologismus, sondern um einen Archaismus handelt.

60

Ute Harbusch

Sinne hat Celan in seiner Übersetzung gemildert. Nicht von >ErbrochenemKot/Mist< oder >Rotze< wird das deutsche Schiff befleckt, sondern von »Gespeie« (19), »Gewölle« (65) und »Schleim« (76). Auch metrisch ist das deutsche Gedicht regelmäßiger als das französische. Freilich, die Innovationskraft des »Bateau ivre« liegt nicht gerade in seiner Form. Rimbaud bedient sich - wie beispielsweise Baudelaire in »Le voyage«, dem Schlußgedicht der Fleurs du mal14 - einer vierzeiligen, kreuzgereimten Strophe mit abwechselnd weiblicher und männlicher Endung und des traditionellen Alexandriners. Immerhin kann man rund zehn Enjambements zählen, wogegen Celan nur ein einziges gebraucht und es zudem semantisch stark motiviert: flog ich, und es war Winter, wie Kinderhirne stumpf, dahin.

(10-11)

Die Zäsuren weisen bei Rimbaud eine große Variabilität auf; vereinzelt kann man von bewußt gesetzten Kühnheiten sprechen.15 Celan verwendet, wie immer zur Übertragung des französischen Alexandriners, einen jambischen Sechsheber mit zusätzlicher Senkung nach der sechsten Silbe. Durch diesen regelmäßig wiederkehrenden Einschnitt in der Versmitte, der zudem oft auch mit einer syntaktischen Zäsur zusammentrifft, bewegt sich der deutsche Text in einem sehr viel gleichmäßigeren und stärker untergliederten Rhythmus als der französische. Rückführung des hyperbolischen Plurals in den Singular, Verzicht auf Neologismen, Vermeidung anstößiger Ausdrücke und größere formale Regelmäßigkeit - diese als Tendenz der gesamten Übertragung beobachteten Phänomene lassen erkennen, daß die Übersetzung versucht, dem Gedicht das >Spektakuläre< zu nehmen, also diejenigen sprachlichen Eigenschaften nicht berücksichtigt, die eingesetzt wurden, um als solche aufzufallen. An einer Stelle scheint Celan, mit den Worten der Übertragung selbst, Mißtrauen gegenüber dem Sich-zur-SchauStellen der Kunst zum Ausdruck zu bringen: [Ich] sah die Fluten schaufeln und groß die Bühne bauen, ein Schauspiel sah ich spielen, das alt war wie die Zeit!

(35-36) 16

Bauen sich die Fluten hier nicht selbst eine Bühne (im Gegensatz zum französischen Text ist nämlich keine Rede mehr von Schauspielern), und sind die 14

15

16

Zu Recht wurde darauf hingewiesen, daß diese formale Korrespondenz auch eine inhaltliche Entsprechung habe und das »Bateau ivre« unter anderem als Antwort auf »Le voyage« gelesen werden könne; vgl. ζ. B.: Cecil A. Hackett: Baudelaire et Rimbaud: >Le Voyage< et >Le Bateau ivredas Auge der Laternensüß/sauerZeugen< Ich höre, die Axt hat geblüht. In: Lesarten. Beiträge zum Werk Paul Celans. Hg. von Axel Gellhaus und Andreas Lohr. Köln, Weimar, Wien: Böhlau 1996, S. 49-80, hier S. 75. Lütz kann zeigen, wie Celan auf Ingeborg Bachmanns Behauptung, aus dem Band Sprachgitter seien die Metaphern »völlig verschwunden«, reagiert, indem er mit der Gedichtzeile »Ich höre, die Axt hat geblüht« eine »sich (ihrer) selbst bewußte Metapher« in den Text stellt. Sicher ist auch >alberne Laternen< ein metaphorischer Ausdruck, der als verblaßte, konventionalisierte Metapher allerdings einen viel geringeren Aufiälligkeitswert besitzt. Ähnliches gilt für die letztlich auch metaphorischen, aber kaum als solche auffallenden Wendungen wie >sich den Teufel scheren< (5), >die Tide tobt< (9), >der Korken tanzt auf dem Wasser< (13). Die hier und im folgenden zitierten Vorstufen der Übersetzung aus Celans Nachlaß im Deutschen Literaturarchiv Marbach sind: 1. die erste vollständige handschriftliche Fassung vom 29.-31.7.1957, in: Arbeitsheft mit Vorarbeiten zu Gedichten und Übersetzungen (DLA-Signatur: ÜF 20); 2. der Durchschlag eines ebenfalls »29.-31.7.57« datierten, neunseitigen Typoskripts mit wenigen handschriftlichen Korrekturen plus Titelblatt (DLA-Signatur: ÜF 16.1; im folgenden zitiert als ÜF 16.1a); 3. das Original dieses Typoskripts mit handschriftlichen, zum Teil datierten (9.8. und 11.8.) Korrekturen (DLA-Signatur ebenfalls: ÜF 16.1; im folgenden zitiert als ÜF 16.1b); 4. der Durchschlag eines anderen, neunseitigen Typoskripts mit handschriftlichen

62

Ute Harbusch Plus douce qu'aux enfants la chair des pommes sures,

(17)

wird vermieden, indem die >säuerlichen< durch >grüne< Äpfel ersetzt werden: So süß kann Kindermündem kein grüner Apfel schmecken,

(17)

Der Einwand, das ändere in der Sache wenig, weil doch grüne Äpfel oft säuerlich seien und säuerliche grün, verfehlt sein Ziel. Hier geht es Celan nicht darum, inhaltlich richtig zu übersetzen, sondern darum, die rhetorische Figur, die Trope zu umgehen, den gewollten Widerspruch, den künstlich erzeugten Effekt auszulassen. Daß dies tatsächlich seine Absicht war, sollte man auch hier wieder aus den ersten Fassungen schließen dürfen: So süß kann Kindermündern das reifste Obst nicht schmecken saurer So süß kann Kindermündern kein grüner Apfel schmecken,

(ÜF 20; ÜF 16.1a)

(ÜF 16.1b)

Auch die »Péninsules démaiTées« (11), die >losgebundenen Halbinseln< - nach Weinrich eine >Nahmetaphernüchteme< Wiedergabe der Metaphern des Originals. Nachdem sowohl im französischen als auch im deutschen Gedicht Steuerruder und Anker und somit jede Möglichkeit, der Fahrt eine Richtung zu geben oder anzuhalten, abhanden gekommen sind, kennt auch der Übersetzer kein Halten mehr: Des Meers Gedicht! Jetzt könnt ich mich frei darin ergehen,

(21)

Nicht übersehen sollte man allerdings dabei, daß ihm als Sprungbrett für seinen Satz ins Gedicht des Meeres eme zur Entstehungszeit der Übertragung keineswegs unschuldige, ja nachgerade verpönte Genitiv-Metapher dient.21 Und ist nicht auch aus der altmodisch und abgegriffen anmutenden Wendung >sich ergehen< ironische Distanz herauszuhören? Hier scheint der Sprecher des

20

21

Korrekturen plus Titelblatt mit dem Vermerk »An Botteghe Oscure / 15.1.58.« (DLA-Signatur ebenfalls: ÜF 16.1; im folgenden zitiert als ÜF 16.1c). - Die Relevanz dieser Vorstufen für eine Deutung der Übersetzung macht ersichtlich, daß im Rahmen der historisch-kritischen Celan-Edition auch die Herausgabe zumindest der wichtigsten Übersetzungen geraten wäre. Vgl. Harald Weinrich: Semantik der kühnen Metapher. In: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 37 (1963), S. 325-344, hier S. 335. Vgl. z.B. die satirische »Fabel von der Metapher und ihrem Genitiv« von V. O. Stomps (In: Streit-Zeit-Schrift [April 1956], H. 1, S. 3-9). Auch Horst Bienek hatte in seiner »Abkehr von der Metapher« überschriebenen Rezension (vgl. Anm. 5) auf den Verschleiß der Genitiv-Metapher hingewiesen.

Etwas die Tropen Durchkreuzendes: Paul Celans >Trunkenes Schifft

63

deutschen Textes anzudeuten, daß er sich nun eines fremden, eines geborgten Idioms bedient. In diesem freilich läßt sich trefflich dichten, und schon im darauffolgenden Vers >trinkt< er »Grünhimmel« und »Sterne«: Grünhimmel trank ich, Sterne, taucht ein in milchigen Strahl (22)

Eine Kompositionsmetapher wie >Grünhimmel< war in den ersten fünf Strophen nicht zu lesen. Nun jedoch kommt es geradezu zu einer Flut solcher Komposita: Neben »Grünhimmel« stößt man auf »Gluthimmel« (53), »Feuerhimmel« (74) und »Fieberhimmel« (86). Man kreuzt das »Vogellose« (70) und das »Vogeltausend« (88), die »Schneenacht« (37) und die »Schattenblüte« (63), »Sonnenflechten« (76) und »Glutentrichter« (80). Auch Adjektivkomposita schwimmen im Gedicht des Meeres umher: >wassertrunken< (72), >schaumumblüht< (59) und »mondgefleckt« (77). Wie Leonard Moore Olschner und Hermann H. Wetzel übereinstimmend feststellen, werden häufig aus Vergleichen im Originaltext Metaphern in der Übersetzung.22 Das trifft auch auf die Bildung mancher dieser Komposita zu: »im Regenbogenzaume« entsteht aus »Des arcs-en-ciel tendus comme des brides« (47), >falterschwach< aus »frêle comme un papillon« (96). In einem Fall läßt sich ein solcher Vorgang metaphorischer Verdichtung exemplarisch durch drei Stufen hindurch verfolgen: J'ai vu des archipels sidéraux! et des îles

(85)

Und ich sah Sternenhaufen, sah Archipele ragen, (ÜF 16. la) Und Sterne sah ich, inslig, sah Archipele ragen, (ÜF 16. lb; Korrektur datiert: »9.8.«) Und ich sah Inselsterne, sah Archipele ragen, (ÜF 16.1c = endgültige Fassung)

Durch die Abwesenheit solcher Komposita im ersten Teil der Übertragung23 und durch ihre so offensichtliche, so unübersehbare Anwesenheit im zweiten Teil entsteht der Eindruck, als wolle der Übersetzer auf eine Verfahrensweise des Rimbaudschen Dichtens aufmerksam machen. Es scheint, als ob hier eine bestimmte Sprechweise vorgeführt werden sollte - und zwar >vorgefilhrt< sowohl in polemischer, decouvrierender als auch in illustrativer Absicht. Was dem Leser von Celans Rimbaud-Übertragung nämlich außer der metaphorischen Sprechweise Rimbauds vorgeführt wird, das ist die Entstehung von Kompositionsmetaphern, wie sie durchaus auch aus Celans eigener Dichtung 22

23

Vgl. Olschner, >Der feste Buchstab< (wie Anm. 11), S. 169; Hermann H. Wetzel: Paul Celan traducteur du Bateau ivre. In: Parade sauvage 8 (1991), S. 71-77, hier S. 75. Auch in den ersten fünf Strophen, also dem noch >nüchternen< Teil der Übersetzung, finden sich Komposita. Diese sind jedoch von ganz anderer Qualität: »Marterholz« (3) steht metonymisch für »Marterpfahl«, »Kinderhirne« (10), »Meerfahrt« (14) und »Kindermünder« (17) sind unmetaphorisch, allenfalls »Blauweinflecken« (19) ließe sich metaphorisch verstehen. Gerade hier liegt jedoch, was entscheidend ist, im Französischen keine Metapher zugrunde: >vin bleu< ist schlechter, billiger Wein.

64

Ute Harbusch

stammen könnten. »Milchblitz«, »Bitterplanet«, »Elendsgestirn«, »Lufthai«, »sterngrün« und »tagweiß« - sind dies Rimbaudsche Metaphern in Celans Übertragung oder Celansche Originalmetaphern?24 Einer der Gründe, warum sich der Dichter und Übersetzer Paul Celan den Gedichten Rimbauds und insbesondere dem »Bateau ivre« zuwendet, ist, daß er dort nicht nur eine dichterische Sprache findet, die er so nicht mehr verwenden kann und will, sondern auch eine, ohne die sein eigenes Dichten nicht möglich wäre. Die kritische übersetzerische Auseinandersetzung mit dem »Trunkenen Schiff« ist zugleich stets ein aufmerksamer übersetzerischer Nachvollzug sprachlicher Phänomene, deren äußeres Erscheinungsbild dem seiner eigenen Gedichte zumindest ähnlich sehen mag, wenn auch ihr historischer Ort und damit die innere Notwendigkeit ihres Zustandekommens grundlegend andere sind.

2.2

Ins-Werk-Setzen einer neuen Metaphorik

Die berühmteste Metapher des »Bateau ivre« ist die spätestens seit Hugo Friedrich als »absolute Metapher«25 in die Literaturgeschichte eingegangene Gleichsetzung des sprechenden Ich mit dem Boot selbst. Der Topos der navigatio vitae ist wohl mindestens ebenso alt wie die Literatur, und gerade zu der Zeit, als Rimbaud sein Entreebillett in die Welt der Pariser Literaten verfaßte, stand er wieder einmal hoch im Kurs. Zahlreiche der im Parnasse contemporain vertretenen - und von Rimbaud bewunderten - Dichter, darunter Mallarmé, 24

25

Die Frage soll nicht als rhetorische unbeantwortet stehenbleiben. Die angeführten Komposita stammen aus: Paul Celan: Die Gedichte aus dem Nachlaß. Hg. von Bertrand Badiou, Jean-Claude Rambach und Barbara Wiedemann. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1997. Die zitierten Beispiele sind einer noch viel größeren Reihe Celanscher Kompositionsmetaphern entnommen, mit deren Zitat Rolf Michaelis seine Besprechung des Nachlaßbandes eröffnet (Nimmergesänge und Zwitscher-Hymnen. In: Die Zeit, Nr 21,16. Mai 1997, S. 48). Hugo Friedrich: Die Struktur der modernen Lyrik. Von der Mitte des neunzehnten bis zur Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts. Mit einem Nachwort von Jürgen von Stackelberg. Erw. Neuausg., 157.-161. Tsd, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt-TaschenbuchVerlag, 1985 C11956] (Rowohlts Enzyklopädie, 420), S. 74. Bereits 1927/28, zu einer Zeit also, als der Metapher, wieder einmal, der Kampf angesagt war, läßt Walter Petry ein überraschendes Urteil über Rimbauds Gedicht verlauten: »Indessen ist das >trunkene Schifft längst versackt, der Exotismus, die absolute Metapher, der Rauschkult nur noch das poetische Rüstzeug gewisser Spätgeborener, die die Drehung der geistigen Achse nicht mit erlebt haben.« (Die französische Lyrik neuerer Zeit. In: Die Hören. Monatshefte für Kunst und Dichtung 4 [1927/28], S. 72-76, hier S. 74) Eine Untersuchung über Genese und Genealogie des Begriffes >absolute Metapher< steht meines Wissens noch aus. Auffällig ist ζ. B. die zeitliche Nähe, in der Hugo Friedrichs (1956) und Hans Blumenbergs (Paradigmen zu einer Metaphorologie, 1960) Verwendungen des Begriffes zueinander stehen - wobei Blumenbergs sprachphilosophische Vorstellung absoluter Metaphorik mit der allzuoft an Rimbauds »Trunkenem Schiff« festgemachten stilistischen Erscheinung der >absoluten Metapher< nichts gemein hat.

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Verlaine, Gautier, Banville, Mérat oder Dierx, bedienten sich seiner und ließen Boote oder Schiffe Flüsse hinab- oder aufs offene Meer hinausfahren, um ihre Befindlichkeit in Bild und Vers zum Ausdruck zu bringen.26 Der junge Rimbaud jedoch kam auf die Idee, nicht nur von einem Boot zu sprechen, sondern das Boot selbst sprechen zu lassen - ein Kunstgriff, dessen Wirkung Hugo Friedrich so beschreibt: Je fremdartiger und irrealer die Bilder werden, desto sinnlicher ist ihre Sprache. Dem kommt die dichterische Technik zugute, die den Text durchweg als absolute Metapher anlegt, nur vom Schiff, nie vom symbolisierten Ich redet. Wie kühn dies gewirkt hat, geht daraus hervor, daß Banville, dem Rimbaud das Gedicht vorgelesen hatte, zu bemängeln fand, es begänne leider nicht mit den Worten >Ich bin ein Schiff, das...< Banville begriff nicht, daß die Metapher hier nicht mehr bloß eine Vergleichsfigur ist, sondern eine Identität schafft. Die absolute Metapher wird ein beherrschendes Stilmittel der späteren Lyrik bleiben. 27

So unbestreitbar absolute Metaphern die Literatur des 20. Jahrhunderts kennzeichnen, so fraglich ist es, ob ausgerechnet Rimbauds »Bateau ivre« als ihr Vorläufer bezeichnet werden sollte; besitzt das »Trunkene Schiff« doch noch genau die Eigenschaft, die den >wirklich< absoluten Metaphern der Moderne fehlt: die Rückübersetzbarkeit. Kein mit den literarischen Traditionen und Konventionen auch nur einigermaßen vertrauter Rezipient dürfte Schwierigkeiten haben, in Rimbauds Gedicht den uralten Topos vom Leben als Schiffsreise wiederzuerkennen. Genau dies bestätigt die von der Anekdote mitgeteilte Reaktion Théodore de Banvilles, und genau dies bestätigt Friedrich selber, wenn er, nur wenige Zeilen vor der zitierten Passage, auf »die symbolische Gleichung von Schiff und Mensch« hinweist und behauptet: »Ungesagt, aber unmißverständlich bedeuten die Vorgänge zugleich solche des dichterischen Subjekts.« (73) Letztlich ist das »Bateau ivre« in Friedrichs Analyse kaum mehr als ein ausführlich ausgemalter Vergleich und Friedrichs Beschreibung der vermeintlichen >absoluten Metapher< noch der traditionellen rhetorischen Auffassung von der Metapher als rational aufzulösendem Gleichnis verpflichtet. 26

Zum Einfluß der Schiffs- und Meeresgedichte des Parnasse contemporain sowie anderer Autoren und Texte auf Rimbauds »Bateau ivre« vgl.: E. H. W. Meyerstein: The Latinity of Rimbaud's >Bateau ivreBateau ivrePresqu'île< gibt das Wörterbuch mit >Halbinsel< wieder; >presque île< dagegen wäre mit >fast Insel < zu übersetzen.

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Auf diese Weise bleibt im »Bateau ivre« die zugrundeliegende Gleichung >Ich = Boot< erhalten, während das Ich im »Trunkenen Schiff« zugleich »Korken« und »Weib« und »Vogel-Eiland« und »Planke« ist, oder besser: als »Korken«, »Weib«, »Vogel-Eiland« und »Planke« zugleich metaphorisch angesprochen wird. Das Schiff, das sich in Rimbauds Gedicht in der ersten Person an Leser und Zuhörer wendet, wird nicht selten vorschnell als Verwirklichung der programmatischen Äußerung aus Rimbauds sogenannten Seher-Briefen gedeutet: »Je est un autre« 31 . Doch das dichterische Subjekt ist nicht bereits dadurch entfremdet, daß es mit eines anderen Stimme, und sei es auch der eines Bootes, spricht. Eine solche Erklärung verkennt das grundlegend Neue und die Radikalität der IchKonzeption, wie sie Rimbaud in den Seher-Briefen entwirft. Rimbauds poetologisches Programm besteht nicht darin, sich eine neue Identität zuzulegen, sondern die Vorstellung eines mit sich selbst identischen dichterischen Subjekts als Irrtum auszuweisen. Genau diesen Aspekt der Dichtungstheorie Rimbauds, den dieser selbst wohl erst in den Illuminations konsequent verwirklicht hat, hebt Celan durch seine Übersetzung hervor. Wie auch in anderen seiner Übertragungen, denen Shakespeares oder Mandelstamms beispielsweise, zu beobachten ist, betont Celan diejenigen Eigenschaften des übersetzten Textes, die auf ein poetologisches Anliegen des Autors zurückgehen, im Original jedoch nur unter der Oberfläche, gleichsam verborgen vorhanden sind. »Je est un autre«, was dies in letzter Konsequenz bedeutet, stellt Celan, deutlicher noch als Rimbaud selbst, in seiner Übersetzung heraus, indem er dem Ich nicht eine (andere), sondern vier (verschiedene) Identitäten zuspricht. Nicht minder wichtig und vor allem für den hier untersuchten Zusammenhang relevant ist dieser Befund zugleich als Sichtbarmachung zweier unterschiedlicher sprachlicher Verfahrensweisen. Rimbauds Gedicht beruht im Grunde noch auf der alten, topischen Gleichsetzung des Lebens mit einer Schiffsreise. Dazu kommt allenfalls eine ungewöhnliche Erzählperspektive. Diesem perspektivischen Kunstgriff verdankt das Werk einen Großteil der Aufmerksamkeit, die ihm zuteil wird; auf ihm beruhte das Stutzen Banvilles, und auf ihm beruht die Faszination, die es bis heute auf seine Leser und Interpreten ausübt. An Celans 31

Arthur Rimbaud: Œuvres complètes. Édition établie, présentée et annotée par Antoine Adam. Paris: Gallimard 1972 (Bibliothèque de la Pléiade, 68), S. 250. Eine solche Deutung schlagen ζ. Β. vor: Hackett, Baudelaire et Rimbaud (wie Anm. 14), S. 19; Roger Munier: Le bateau ivre. In: Rimbaud: Bruits neufs. Textes réunis par Roger Little. Marseille: SUD 1991 (Hors-série), S. 31-46, hier 31-32. Überzeugendere Ansätze zur Deutung des Verhältnisses von >moi< und >bateau< bieten: W. M. Frohock: Rimbaud's Poetic Practice. Image and Theme in the Major Poems. Cambridge/Mass.: Harvard University Press 1963, S. 93-114; Eva Riedel: Strukturwandel in der Lyrik Rimbauds. München: Wilhelm Fink 1982 (Romanica Monacensia, 19), S. 77-85, sowie vor allem Rolf Kloepfer: Das trunkene Schiff. Rimbaud - Magier der >kühnen< Metapher? In: Romanische Forschungen 80 (1968), S. 147-167. Kloepfer kann zeigen, daß nicht, wie auch Friedrich behauptet, die Gleichsetzung eine neue Identität schafft, sondern daß das einheitsstiftende Moment des Gedichtes vielmehr die Auflösung (des Konzeptes) der Identität ist.

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übersetzerischer Reaktion läßt sich ablesen, daß er nicht nur eine schlichte Imitation dieses Einfalls vermeiden wollte. Seine Lösung, an die Stelle des einen das Original durchziehenden Gleichnisses vier verschiedene Prädikationen zu setzen, zeigt zudem eine neue Art des Umgangs mit der Leitmetapher seiner Vorlage. Im Grunde setzt Celan hier etwas ins Werk, was in der Metapherntheorie ungefähr um diese Zeit vollzogen wird: den Paradigmenwechsel von der Substitutions- oder Vergleichstheorie zur Interaktionstheorie.32 Die auf Quintilian und mit ihm auf Aristoteles zurückgehende und noch in den neuesten Auflagen von Gero von Wilperts Sachwörterbuch der Literatur zu findende Definition von der Metapher als >verkürztem Vergleich geht davon aus, daß bei der metaphorischen Übertragung die >eigentliche< Bedeutung eines (meist einzelnen) Wortes durch eine >uneigentliche< Bedeutung substituiert wird. Die sogenannte Interaktionstheorie dagegen verzichtet auf die Vorstellung, daß es eine >eigentliche< Bedeutung gebe, und betrachtet die Interaktion des metaphorischen Ausdrucks mit seinem Kontext. Als einer der ersten hat Harald Weinrich die >alte< und die >neue< Metapherntheorie charakterisierend einander gegenübergestellt. Während nach dem alten Verständnis die Metapher im wesentlichen als »eine Art Gleichnis« aufgefaßt wurde, definiert er sie nach dem neuen Verständnis als »widersprüchliche Prädikation«33. Wird hier nicht etwas beschrieben, was Celan in seiner Rimbaud-Übertragung bereits praktisch ins Werk gesetzt hat? »Celan postuliert nicht den Tod der Metapher; er postuliert ihre Befreiung von der theoretischen Voraussetzung, daß jeder Metapher ein logischer Vergleich zugrunde liege«, formuliert Beda Allemann.34 Ohne daß er sich auf das »Trunkene Schiff« bezöge, kommt er zu derselben Schlußfolgerung, die sich aus der Analyse von Celans neuartiger Metaphernpraxis in dieser Übersetzung ergibt.

2.3 Metapherntheoretische Selbstreflexion Die exakt hundert Verse währende Fahrt des unbemannten Dichterschiffes ist natürlich nicht nur eine Lebensreise, sondern auch eine poetologische Entdekkungsfahrt. Rimbauds »Bateau ivre« ist ein Gedicht über seinen Dichter und zugleich ein Gedicht über das Dichten. Damit entspricht es zum einen der 32

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Zur Begrifilichkeit vgl. Gerhard Kurz: Metapher, Allegorie, Symbol. 3., erg. Aufl., Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1993 (Kleine Vandenhoeck-Reihe, 1486), S. 7. Weinrich, Semantik der kühnen Metapher (wie Anm. 20), S. 337. Als weitere Vertreter der Interaktionstheorie sind ζ. B. zu nennen: Wilhelm Stählin (Zur Psychologie und Statistik der Metaphern. In: Archiv für die gesamte Psychologie 31 [1914], S. 297-425), Max Black (u.a.: Metaphor. In: Proceedings of the Aristotelian Society 55 [1954/55], S. 273-294), Monroe C. Beardsley (u.a.: The Metaphorical Twist. In: Philosophy and Phenomenological Research 22 [1962], S. 293-307) und Paul Ricoeur (u.a.: La Métaphore vive. Paris: Éd. du Seuil 1975 [L'ordre philosophique]). Allemann, Die Metapher (wie Anm. 6), S. 38.

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Neigung moderner Dichtung zur Selbstreflexivität. Zum anderen greift Rimbaud auch hier wieder einen alten Topos auf: Seit der Antike pflegen die Dichter die Abfassung eines Werkes einer Schiffahrt zu vergleichen.35 Die Verwendung der Schiffahrt als poetologischer und nicht mehr nur allgemein als Daseinsmetapher tritt gerade in der symbolistischen Dichtung zunehmend in den Vordergrund36 eine Tendenz, die sich bis in die zeitgenössische Literatur hinein fortsetzt37. Freilich wandelt Rimbaud den überkommenen Topos auch hier wieder in charakteristischer Weise ab: Während es üblicherweise das dichterische Werk ist, das die Segel setzt oder wieder in den Hafen einläuft, das als Schiff die hohe See (der Epik) oder als Kahn die weniger gefährlichen Binnengewässer (der kleineren Gattungen) befährt, so befährt bei Rimbaud ein Ich als Boot das Meer des Gedichts. Nicht das Schiff, sondern die See selbst ist das Gedicht. Wie nun Rimbaud im Gedicht über das Dichten reflektiert, so reflektiert Celan in seiner poetologisch angelegten Übertragung über das poetologische Problem der Metapher. Das »Poème de la Mer«, in welchem der Dichter (sich) herumtreibt, ist zugleich ein >Poème du PoèmeVorfiihren< der Metaphorik einerseits und dem Ins-Werk-Setzen einer neuen Art von Metaphorik andererseits, das dritte Verfahren, dessen sich Celan bedient, um in seiner Übertragung das Metaphernproblem zur Sprache zu bringen. Wie sich über Sprache nur mit Hilfe der Sprache und über Dichtung gut mit Hilfe der Dichtung reden läßt, so läßt sich offensichtlich auch über Metaphern am besten - vielleicht sogar nur? - metaphorisch reden; war doch bereits der von Aristoteles gewählte Begriff der metaphora, der >ÜbertragungWendekreiseles tropiquesdie TropenKlimazoneTrunkenes Schifft O du mein Kiel, zersplittre!

73 (92)

- und wer will entscheiden, ob hier ein Schiffs- oder ein Federkiel gemeint ist?45 Die Schlußstrophe des Gedichts ist bei Rimbaud eine Absage (97: »Je ne puis plus«) an die vom Streben nach wirtschaftlicher und politischer Macht geleitete gesellschaftliche Wirklichkeit, in deren Fahrwasser zu schwimmen dem Schiff nach seinen Erfahrungen im Gedicht des Meeres (97: »baigné de vos langueurs, ô lames«) nicht mehr möglich ist. Celans Weigerung gilt nicht gesellschaftlichen, sondern sprachlichen Gegebenheiten: Nie komm ich da vorüber, wo sich die Fahnen blähen, und wo die Brücken glotzen, da schwimm ich nimmermehr!

(99-100)

Am besten liest man diese Zeilen wohl mit innerlich mitgedachten Anführungszeichen: Wo >Fahnen blähen< und >Brücken glotzenglotzenden Brücken< um eben ihrer Auffälligkeit willen gewählt wurde. Wiederholte Male überarbeitet Celan am 30. und 31. Juli 1957 in dem Heft, das die erste vollständige Fassung der Übertragung enthält (ÜF 20), den Schlußvers: 30.7.: Und wo Pontone äugen, da kommt mich Grauen an (Tinte) Und wo Pontone äugen, da kenn ich keine Bahn (Tinte) 31.7.: Und wo die Brücken äugen, da schwimm ich nimmermehr (Tinte) Wo Brückenlichter äugen (Bleistift) Und wo die Brücken glotzen, da schwimm ich nimmermehr (Kugelschreiber)

Mit der Metapher vom >Äugen< der Brücken (in einer Version sogar der »Brükkenlichter«) läßt Celan die für Vers 16 zunächst erwogene vom »Äugen« der »Hafenlichter« (ÜF 20; ÜF 16.1a) wieder anklingen. Während er sich dort, im noch >nüchternen< ersten Teil der Übersetzung, jedoch letztlich für die Streichung der Metapher entschied, setzt er sie nun bewußt und übertreibt sie sogar noch. Ein bedeutender Unterschied zwischen dem ersten und dem zweiten Ausdruck des französischen Originals ist jedoch, daß die >Augen< des zweiten (100: 45

Daß die Übersetzung von »quille« durch »Kiel« keineswegs so selbstverständlich ist, wie sie scheint, das zeigen die im Umkreis des Expressionismus entstandenen Eindeutschungen des »Bateau ivre«. Getreu dem expressionistischen Mythos RimbaudFremde Nähe< (wie Anm. 2), S. 389. Petre Solomon: Briefwechsel mit Paul Celan 1957-1962, in: Neue Literatur 11 (1981), S. 60-80, hier S. 74.

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Gedichtes bleibt bis zum Ende der Rede offen und der Fragende mit ihr unterwegs. Fraglos immerhin erwiesen hat sich, daß das Verhältnis von Dichtung und Kunst nicht das eines wechselseitigen Ausschlusses sein kann, sondern daß die Dichtung vielmehr »den Weg der Kunst zu gehen hat«49. Eine Erkenntnis, aus der nun auch Gewißheit erwächst über die Rolle der Metaphern. Dem Rimbaudschen Dichter-Boot folgend, hatte der Übersetzer des »Trunkenen Schiffes«, »der Pole und der [Tropen] müde«, das Gedicht des Meeres befahren. Am Ende seiner Meridian-Rede findet Celan ein neues Bild fìir das Gedicht, eines, das sogar Anlaß zur Heiterkeit gibt: Ich finde das Verbindende und wie das Gedicht zur Begegnung Führende. Ich finde etwas - wie die Sprache - Immaterielles, aber Irdisches, Terrestrisches, etwas Kreisförmiges, über die beiden Pole 50 in sich selbst Zurückkehrendes und dabei - heitererweise - sogar die Tropen Durchkreuzendes - : ich finde... einen Meridian?1

Wie die gedachte Himmelslinie eines Meridian, so muß, so kann auch das Gedicht die Tropen durchkreuzen, das heißt: sie durchqueren und ausstreichen zugleich. Es muß durch sie hindurch, es wird auf seinem Weg zwangsläufig auf sie stoßen, doch es kann sie auch streichen, tilgen, (ihnen eins) auswischen. Beides geschieht in Celans Übertragung des »Bateau ivre«. Dieses >Sowohl Als auchDichtung< und >Kunst< meint; möglich wäre auch, daß er an die zuvor in Büchnerscher Bildlichkeit als >Abgrund< und >Medusenhaupt< beschriebenen Eigenschaften der >Kunst< denkt, also an die geschichtliche und ästhetische Menschenferne der >KunstDer feste Buchstab< (wie Anm. 11), S. 166.

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Übertragung, »den Beifall Studierender finden wird«54, doch spricht er ebenfalls von »wirklicher Neigung« 55 und »der Begeisterung«56, die ihn erfüllte, als er Rimbaud übertrug. So läßt sich Paul Celans die Tropen durchkreuzendes »Trunkenes Schiff« als >Gegenübersetzung< bezeichnen, als eine Übersetzung, die zugleich Auseinandersetzung und Annäherung, zugleich Gegen-Übersetzung und GegenüberSetzung ist. Gegen-Übersetzung insofern, als Celan mit Rimbaud der Kunst, dem Artistischen, Affektierten der Kunst, auf die Finger geschaut und, in der Übersetzung, seine Stimme gegen sie erhoben hat. Gegenüber-Setzung insofern, als Celan Rimbaud, dessen dichterische Sprache Spuren auch in seiner eigenen hinterlassen hat, durch seine Übersetzung zu einem Gegenüber werden läßt. Das »Bateau ivre« ist für Celan nicht nur ein poetologisches Problem kann nicht nur dies für ihn sein. Nicht erst seit der Entdeckung Mandelstamms und dessen Poetik des Dialogs ist das Gedicht für Celan Zeuge menschlicher Präsenz, Stimme eines einzelnen, im Gedicht wahrnehmbaren menschlichen Schicksals. Doch welcher Rimbaud tritt Celan im »Bateau ivre« entgegen? Rimbaud, der Bürgerschreck, der Anarchist, der Christ, der Revolutionär oder der Märtyrer der Zivilisation, der Vatermörder oder das Muttersöhnchen, der frühreife Dichter oder die gescheiterte Existenz? Von zentraler Bedeutung für die persönliche Begegnung Celans mit Rimbaud, für die Begegnung im Gedicht, ist die vorletzte Strophe des »Trunkenen Schiffes«. Während in den dreiundzwanzig vorausgehenden Strophen das dichterische Subjekt im Gedicht des Meeres umherschwamm, den Raum in die Weite, Höhe und Tiefe durchmaß und sich nach und nach selbst auflöste, wünscht es sich nun ein Wasser, welches andere Qualitäten auszeichnen: Die flache, kleine Lache oder Pfütze bedeutet eine Rücknahme alles Vorherigen. Begrenzung tritt an die Stelle von Grenzenlosigkeit, Schwarz an die Stelle der Farben und, am wichtigsten, ein benennbares Subjekt an die Stelle der aufgelösten Identität: Ich und Boot sind nicht mehr eins. Die beiden Positionen werden deutlich voneinander getrennt, ein Kind setzt nun auf dem Wasser ein Boot aus. Derart läßt sich die vierundzwanzigste Strophe als ein von Rimbaud in sein eigenes Gedicht eingefügter Gegenentwurf zu der zuvor entfalteten Poetik lesen.57 Nach dem Abbruch 54 55 56 57

>Fremde Nähe< (wie Anm. 2), S. 264. Ebd., S. 285. Ebd., S. 275. Eine solche finale Rücknahme, ja Zerstörung des zuvor Entworfenen ist eine für Rimbauds Dichten nicht untypische Figur. Deutungen des Schlusses oder vielmehr der verschiedenen Schlüsse des »Bateau ivre« bieten ζ. B.: Walther Küchler: Trunkene und gläubige Dichtung. Rimbaud - Claudel. Iserlohn: Silva 1948 (Darstellung und Deutung, 6); Georges Lauris: Le naufragé du >Bateau ivreTrunkenes Schifft

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- nicht dem Scheitern, sondern dem bewußten Verwerfen - des ersten großen Entwurfs entwickelt der Dichter nun ein neues Bild von sich und vom Dichten. Dieses Bild, dieses Ich hat Celan angesprochen. Anfang Juli 1957, also noch vor der Übersetzung des »Bateau ivre«, notiert er in ein Arbeitsheft dasselbe, das später die Übertragung aufnehmen wird58 - den ersten Entwurf zu einem eigenen Gedicht, welches, nach mehrfacher Überarbeitung, schließlich den fünften Abschnitt von »Stimmen«, dem Eröffiiungsgedicht des Bandes Sprachgitter, bilden wird. Die Nähe zum »Trunkenen Schiff«, oder zum zunächst noch unübersetzten »Bateau ivre«, ist unübersehbar, fast ein Dutzend Anklänge einzelner Bilder und Wendungen lassen sich in den dreizehn notierten Zeilen ausmachen.59 Manche dieser Verweise werden im Zuge der Überarbeitung wieder entfernt. Was bleibt, ist das Bild aus der vorletzten Strophe: Stimmen, kehlig, im Grus, darin auch Unendliches schaufelt, (herz-) schleimiges Rinnsal. Setz hier die Boote aus, Kind, die ich bemannte: Wenn mitschiffs die Bö sich ins Recht setzt, treten die Klammern zusammen. 60

Mit diesem Kind, nicht mit dem himmelstürmenden Dichterschiff, eröffnet Celan den Dialog. Sicher ist das eine Boot kaum weniger gefährdet als das andere, doch der Anspruch, der Gestus, mit dem Rimbaud jeweils auftritt, sich ins Bild setzt, sind grundverschieden. Daß Celan die »Boote« hier, wie in der Übersetzung, in den Plural setzt, läßt die Vermutung zu, daß er Gedichte darunter verstand, oder verstanden wissen wollte - PapierschifFchen gewissermaßen.

58 59

60

>Fremde Nähe< (wie Anm. 2), S. 257. Vgl. die »Materialien« zu Stimmen in: Paul Celan: Sprachgitter. Vorstufen - Textgenese - Endfassung. Bearbeitet von Heino Schmull unter Mitarbeit von Michael Schwarzkopf. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1996, S. 9. GW I, S. 148.

John Felstiner

»Here we go round the prickly pear« or »Your song, what does it know?« Celan vis-à-vis Mallarmé

Paul Celan's name was first paired with that of Stéphane Mallarmé in an early review of Celan's début volume Mohn und Gedächtnis (1952), the collection that introduced a Jewish survivor-poet to German readers. In the respected monthly Merkur, Hans Egon Holthusen, an influential poet and critic, welcomed a talent that »translates certain principles of modern French lyric into the German language [...]. Here one sees language kindled not by an object confronting it, but by itself.«1 The book in question, it should be remembered, centered on Celan's relentless, unappeasable »Todesfuge« (Deathfugue), Black milk of daybreak we drink it at evening we drink it at midday and morning we drink it at night we drink and we drink we shovel a grave in the air [...]2

Yet Holthusen noted »unqualified arbitrary lyric fancy«, »self-inspired, purely lexical configurations«, »not meaning but form«, »absolutely musical effects«, »Mallarmé ... Mallarmé ... Mallarmé«. This German critic saw Celan's gruesome theme (with its litany of »hounds« and »iron rod« and »shot made of lead«) »escaping history's bloody chamber of horrors to rise into the ether of pure poetry.« Purity, after a »Thousand Year Reich« and its »Final Solution« had abused the German language, Celan certainly sought in his poetry. But already in 1954 he felt the implacable cadences of »Deathfugue«, grounded as they were in exile and genocide, being aestheticized, absorbed by the Bundesrepublik's postwar efforts at Vergangenheitsbewältigung (overcoming the past). He felt constrained to steel his verse against such appropriation. »Sprich auch du«, »Speak you too«, he wrote right after the Merkur review in a kind of manifesto to himself, »Give your say this meaning too: / give it the shadow. / [...] Speaks true who speaks shadow«, »Wahr spricht, wer Schatten spricht«. 1 2

Hans Egon Holthusen: Fünfjunge Lyriker. In: Merkur 8 (Spring, 1954), pp. 378-390. Paul Celan: Gesammelte Werke in fünf Bänden. Ed. by Beda Allemann and Stefan Reichert. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1983, Vol. 1, p. 41. This 5-volume edition is hereafter referred to in parentheses in the text by volume and page number. All translations from Celan and other sources are mine.

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Given Mallarmé's revolutionary banishment of the real world from his poetry, and given the facile designation of his work as poésie pure by proponents of poésie engagée, the idea that Paul Celan might translate Mallarmé comes fraught with interest. By 1953 Celan, living in Paris, had translated Yvan Göll, Aimé Césaire, André Breton, and was beginning a long affiliation to Guillaume Apollinaire. Later in the 1950s he translated Baudelaire, Nerval, Rimbaud, Éluard, Desnos, Artaud, Char, as well as Shakespeare, Marvell, Dickinson, Frost, Marianne Moore. Meanwhile from Russian, the language imbibed during two Soviet occupations of his hometown Czernowitz, Celan translated Blok, Esenin, and above all Osip Mandelshtam (1891-1938). It was with Mandelshtam, who perished in Siberian exile as a poet and as a Jew, that Celan in 1958 had what he then began calling a Begegnung, an »encounter« that verged on blood brotherhood. Another signal encounter, though far removed from the affinity Celan felt for Mandelshtam, occurred around that time with the poetry of Paul Valéry. He made a full version of La Jeune Parque (The Young Fate), over five hundred rhymed German Alexandrines that mainly adhere to the French. But in his rendering - or rending - of the opening verse, Celan declares his independence from the poem that Valéry called an »exercise«, »perfectly useless and released from time.«3 Qui pleure là, sinon le vent simple, à cette heure / Seule (Who weeps there, if not the simple wind, at this hour / Alone) Wer, so der Wind nicht, er nur, weint hier, zur Stunde, die / allein ist (Who, if not the wind, it only, weeps here, at this hour, which /is alone)

(4, 114)

Celan's hatchet-like caesuras yield six segments as against Valéry's three - an act of doubling whereby difference in translation becomes defiance. Facing poets he esteemed absolutely, such as Mandelshtam and Shakespeare along with Apollinaire and Dickinson, Celan appears anything but cowed, compliant. In fact he translated them with a penetrating idiosyncrasy amounting to possession. Mallarmé's remarkable renditions of Poe come to mind, and his own line opening »Le Tombeau d'Edgar Poe«, »Tel qu'en Lui-même enfin l'éternité le change« (Such as into himself at last eternity transforms him), might be paraphrased to point up the transmutative effect, the originative hold, that strong translators have on their chosen poet: »Tel qu'en Soi-même enfin le traducteur le change.« The encounter, the confronting, that poses Celan vis-à-vis Mallarmé involves bottomless questions of literary representation, and especially questions about postwar European lyric. Because Celan's German mother tongue suddenly turned brutally into the murderers' tongue, he took on the task of writing poems that 3

Leonard M. Olschner: Der feste Buchstab. Erläuterungen zu Paul Celans Gedichtübertragungen. Göttingen, Zürich: Vandenhoeck & Ruprecht 1985, p. 183.

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might themselves purge this same language by their strange newness. Mallarmé's recognition of Poe for purifying common speech, »donner un sens plus pur aux mots de la tribu«, applies to Celan a century later with unpredictable force. Although Celan translated only one brief lyric by Mallarmé, sometime during 1958, that single point of tangency touches off many recognitions. For in 1958 he was seeking, as he said in his Bremen speech that year, »to orient myself, to find out where I was and where I was meant to go, to sketch out reality for myself« (3, 186). This speech, Celan's first major statement on poetry and all the more critical for being spoken to German listeners, focuses on language as the only thing »amid the losses« that was »not lost« to him: »But it had to pass through its own answerlessnesses, pass through frightful muting, pass through the thousand darknesses of deathbringing speech.« And he stressed, perhaps with Mallarmé in mind, that »a poem is not timeless. Certainly it lays claim to infinity, it seeks to reach through time - through it, not above and beyond it.« Later in 1958 Celan wrote to a critic, »My concern is not euphony, it's truth« (Es geht mir nicht um Wohllaut, es geht mir um Wahrheit).4 And that same year, in a Paris bookshop's almanach, he began an outspoken paragraph this way: »The German lyric is moving, I believe, along other paths than the French.« (1, 167) Granted, Celan was speaking of postwar poetry, but he ends up distinguishing himself partially from Mallarmé. »With the most dismal things in its memory, and dubiousness all around it«, Celan says, German poetic language »has grown more sober, more factual, it mistrusts >Beautypoetize< [... ] it is never language itself, mere language at work, but always an I speaking from a particular angle of inclination, its own existence [...] reality must be sought and won.

Those constraints, emerging from loss, exile, and mass death, show up tellingly in Celan's poetry of the late 1950s. »Snowfall, thicker and thicker«, he begins a poem called »Homecoming« (1955), where »the sleigh track of what's lost« conveys »an I slid into muteness« back to the Ukrainian winter in which his parents perished (1, 156). Celan's phrase »thicker and thicker«, »dichter und dichter«, could also be »denser and denser«, as it plays on Dichter (poet), suggesting a poetry now chillingly, fatally concentrated to snow. Another poem, from New Year's 1958, goes back to »Round graves« within a landscape of primal geologic space and time: Lavas, basalts, worldheartred-heated stone. Wellspring tuff, where light grew for us, before breath. 4

(1, 184)

Letter to Jean Firges, 2 Dec. 1958, in: Jean Firges: Sprache und Sein in der Dichtung Paul Celans. In: Muttersprache 72 (1962), p. 266.

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Like tuff itself, a rock formed by consolidated volcanic ash, the German here compacts, hardens, seeking the historically least corrupted, most primal state of language, even »before breath«. In view of such stringency, Paul Celan chose to translate one of Stéphane Mallarmé's two rondels, a lyric form with thirteen lines but only two rhyme sounds, the first two lines recurring in the middle and line one at the end: Si tu veux nous nous aimerons Avec tes lèvres sans le dire Cette rose ne l'interromps Qu'à verser un silence pire

Willst du's, soils die Liebe sein, Du, dein Mund, wir sagens nicht, Schenkst der Rose Schweigen ein, Bittrer, so du's unterbrichst.

Jamais de chants ne lancent prompts Le scintillement du sourire Si tu veux nous nous aimerons Avec tes lèvres sans le dire

Lieder, willig, schicken kein Lächeln, sprühen uns kein Licht, Willst du's, soils die Liebe sein, Du, dein Mund, wir sagens nicht.

Muet muet entre les ronds Sylphe dans le pourpre d'empire Un baiser flambant se déchire Jusqu'aux pointes des ailerons Si tu veux nous nous aimerons.

Stumm-und-stumm, hier zwischenein, Sylphe, purpurn, kaiserlich, Flammt ein Kuss, schon teilt er sich Flügelspitzen flackern, fein, Willst du's, soils die Liebe sein. (5,817)

If you wish we'll love each other With your lips without saying it This rose do not break into it Only to pour out worse silence

If you wish, it shall be love, You, your mouth, we'll say it not, Pour out silence for the rose, Bitterer, if you break in.

Never do songs release right off The scintillation of a smile If you wish we'll love each other With your lips without saying it

Songs, all willing, yield up no Smiling, sparkle us no light, If you wish, it shall be love, You, your mouth, we'll say it not.

Mute and mute between the rondures Sylph in purple imperial A flaming kiss will rend itself Out to its utmost pinion points If you wish we'll love each other

Mute-and-mute, here in between, Sylph, purple, imperial, Flames a kiss, now splits itself, Pinion points, flickering, fine, If you wish, it shall be love.

Whatever else transpires here, Celan concentrates Mallarmé's already restrained eight-syllable line into seven syllables. It seems fitting to keep that difference in literal English versions of the French and German poems. But what really is the relation between those English versions, when my version of Celan's German »Rondel« in fact constitutes a reversion or retroversion? Genetically speaking, Celan's German translation of Mallarmé stands in the same relation to the French original as does my English translation of Mallarmé. They are siblings. Thus a further translation of Celan's German occurs in the next generation. At the same time, for the American reader, the

Celan vis-à-vis Mallarmé

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two English versions provide a heuristic vis-à-vis. It all becomes rather complex. Perhaps these two rondels and their (hélasl) unrhymed kin form most interestingly a sort of circle, another rondel, testing the metamorphic possibilities of poetry in translation. Of course it is always the French that resounds against silence, and the German that strongly refracts that sound. Even while slightly curtailing Mallarmé's verses, Celan repeatedly interrupts them (as if defying the Master's »Cette rose ne l'interromps«). Where there was only one mark of punctuation in the French, a stop at the end, the German version enters twenty-eight commas and periods - signs of essential rupture, of fluency lost. And in place of perfect rhymes, Celan devises a triple slant rhyme: »nicht / brichst / sich«. What's more, Mallarmé's refrain rhymes on »aimerons« and »dire«, on love and speaking, but Celan introduces »sein« and »nicht«, being and nothingness - quite another emphasis. Translating poets that mattered for him, Celan often came on or came up with words that carried extra charge within his own German lexical economy. In this rondel: »mouth«, »say«, »not«, »rose«, »silence«, »bitter«, »song«, »light«, »mute«. With Shakespeare, for instance, he kept lifelong contact, translating the sonnets in his youth, then in the ghetto and in labor camps. On the Bard's 400th anniversary in 1964, he published a collection under the title (from sonnet 1) Die Rose Schönheit soll nicht sterben (The Rose [of] Beauty Must Not Die). Roses, for Shakespeare an emblem of fading youth and perishable beauty, take on for Celan the unprecedented mortality of »that which happened« between 1939 and 1945, as he put it in his Bremen speech. Thus a key poem, »Psalm«, centers on »die Nichts-, die / Niemandsrose«: »the Nothing·, the / No One's-Rose« (1, 225). With Mallarmé, then, it's not surprising to see a kind of spasm in the German version when »rose« occurs in French. If the rondel suggests a kiss between lovers - »Cette rose ne l'interromps / Qu'à verser un silence pire« - Celan in some way exacerbates the issue: »Schenkst der Rose Schweigen ein, / Bittrer...«. The pouring of silence stays close to the original rondel, but when you'd have thought that Mallarmé's »pire« was bad enough, Celan's »Bittrer« lends extra stress. Likewise in stanza two the French has: »Jamais de chants ne lancent prompts / Le scintillement du sourire.« In Celan's German, »scintillation« and »smile« get disjoined, so that his »songs« - poetry being all that was left him, his only raison d'être - not only »yield up no smiling«, they also »sparkle us no light« after the thousand darknesses of deathbringing speech. Celan's opting to engage with Mallarmé in a rondel, a richly harmonious form, implies already that the question of music will be at stake. His prosody in stanza two even overcharges the case, with its fourfold alliteration »Lieder ... Lächeln ... Licht... Liebe« (and later another, more uncalled-for: »Flammt ... Flügelspitzen ... flackern ... fein«). What most exposes a skew in translation, though, is the simple yet elusive verse beginning the last stanza: »Muet muet entre les ronds« (mute mute between the rounds). Possibly it figures a quietness between the lips of a kiss, mirrored by Mallarmé's doubled »Muet muet«

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John Felstiner

and the mouth-rounded open »o« in »ronds«. For a moment here, at the songlike heart of this poem, a small miracle occurs as form and substance speak in one breath: the rondel voices rondure. Nothing songlike, however, mates the German to the French: Muet muet entre les ronds

Stumm-und-stumm, hier zwischenein

Mute and mute between the rondures

Mute-and-mute, here in between

In February 1958 Celan began a long, musically shaped successor to »Deathfiigue« entitled »Stretto«, whose verse leads with graphic literality toward »that which happened«. At one point we hear: Came, came. Came a word, came, came through the night, would lighten, would lighten. Ashes. Ashes, Ashes. Night. Night-and-Night.

(1, 199)

Like »Nacht-und-Nacht«, »Stumm-und-stumm« in Celan's »Rondel« forms a strange locution - not fluent, not euphonious, challenging a key word by forcing it chock-a-block against itself. During the war, his 1958 Bremen speech claims, language had to »pass through frightful muting«, »furchtbares Verstummen«. It's as if Celan could not hear »muet« as Mallarmé uttered it, but only in the echo-chamber of his own mind. Just around the time he translated »Rondel«, he also did a strong version of Marvell's »To His Coy Mistress« - except that Celan made his own title »An seine stumme Geliebte« (To His Mute Mistress). The French have a saying that strong translations are »les belles infidèles«, beautiful and ipso facto unfaithful. Apart from its invidious assumption, that formula does not hold for Celan, whose most idiosyncratic renderings become faithful in their fashion. An early lyric of his says as much, though in the context of an I-Thou love relation: »Faithless only am I true. / 1 am you, when I am I«, »Ich bin du, wenn ich ich bin« (2, 33). German even has a term for translation that »makes it new« (in Pound's sense): Umdichtung, where umindicates a poem that goes »round about« the original or does it »over again« or »in another way«. T. S. Eliot, for instance, hearing a hollowness in the repetition and circularity of Mallarmé's central line »Muet muet entre les ronds«, might have made it: »Here we go round the prickly pear« - with eight syllables just like the French. Besides his version of »Rondel«, which appeared in the Insel Almanach for 1959, Celan addressed Mallarmé on only one other occasion. His 1960 »Meridian«

Celan vis-à-vis

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Mallarmé

speech distinguishes Kunst (art) from Dichtung (poetry): Is the point »to enlarge art?«, Celan asks. »No. But with art go into your very selfmost straits. And set yourself free.« (3,200) Given that distinction, Celan asks elsewhere in his speech: May we, as happens in many places now, proceed from Art as from something already given, something we unconditionally assume, should we, to put it quite concretely, above all - let's say - be thinking Mallarmé through to the end? (3,193).

More an open than an obviously rhetorical question, thinking Mallarmé through to the end would still, for Celan, probably lead to a vanishing point rather than to a setting free of poetry via its selfmost straits. After the »Meridian« speech, Celan told a friend that he'd translated all those Valéry Alexandrines »so as to earn the right to say something against art«, »gegen die Kunst«, and the emphasis is Celan's.5 Paul Celan did once think Mallarmé through to the end by way of a 1964 lyric, »Keine Sandkunst mehr«: No more sand art, no sand book, no masters. Nothing on the dice. How many mutes? Seventeen. Your question - your answer. Your song, what does it know? Deepinsnow, Eepinnow, E - i - o.

(2, 39)

Even before taking in the words here, we might see their disposition on a white page - the isolated »mutes?«, the staggered ending - as a visual echo of Mallarmé's typography in »Un coup de dés«. Then right away that word Kunst (used for the first time by Celan in a poem) - or rather, »No more« Kunst - sets this lyric athwart a tradition. No art, no book, no masters and »Nothing on the dice«: these negations reject any aestheticism for a desert people whose seed was to multiply »as the sand of the sea« but instead ran out in the hourglass. »Your song, what does it know?« Celan's question turns in mid-poem from the Maître Mallarmé toward himself: »Dein Gesang, was weiss er?« And not sand now but snow packs the terrain, stifling breath itself: Tiefimschnee, Iefimnee, I-i-e. 5

Otto Pöggeler: Spur des Worts. Zur Lyrik Paul Celans. Freiburg: Alber 1986 (AlberBroschur Philosophie), p. 121. Gerhart Baumann: Erinnerungen an Paul Celan. Frankfurt: Suhrkamp 1986, p. 85, quotes Celan towards the end of his life as saying: »Mallarmé - that too is a fetish!« (Mallarmé - das ist auch ein Fetish!)

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John Felstiner

While Rimbaud's »voyelles« reveal their »naissances latentes« (latent births), Celan's almost die out. They do indeed die out if translated into Hebrew, which has no vowel letters. What does this song know? Only that after »The Final Solution to the Jewish Question«, words verge on silence within the Jews' founding and their sometimes saving language. Celan vis-à-vis Mallarmé: they may well remain akin in the sense of a reality to be sought only in - or through - the language of poems, disjunct from familiar utterance. But between their facing pages fall »the thousand darknesses of deathbringing speech«.

Stéphane Mosès

Guillaume Apollinaire: »L'Adieu« / Paul Celan: »Der Abschied«

L'Adieu J'ai cueilli ce brin de bruyère L'automne est morte souviens-t'en Nous ne nous venons plus sur terre Odeur du tempe brin de bruyère Et souviens-toi queje t'attends

Der Abschied Ich pflückt den Halm vom Kraut der Heide. Der Herbst ist tot - sei eingedenk. Auf Erden scheiden wir nun beide. O Duft der Zeit, o Halm der Heide. Und daß ich warten werde, denk.

1

Paul Celans Übersetzung von Apollinaires Gedicht »L'Adieu« ist zum ersten Mal 1954 in der Zeitschrift Die Neue Rundschau erschienen. Sie ist zu der Zeit entstanden, da Celan an seiner ein Jahr später veröffentlichten Gedichtsammlung Von Schwelle zu Schwelle arbeitete. Den Titel »L'Adieu« hatte Celan zuerst mit »Lebewohl« übersetzt1, aber für die gedruckte Fassung wählte er schließlich die Form »Der Abschied«. Auf Französisch kann nämlich das Wort »adieu« zwei verschiedene Nuancen der Trennung ausdrucken: es kann sich entweder um eine banale Abschiedsformel handeln, die die Hoffnung, den Partner früher oder später wieder zu treffen keineswegs ausschließt, oder aber um ein Zeichen dafür, daß die Trennung endgültig ist, und daß es nach ihr kein Wiedersehen geben wird. Beide Nuancen 1

Vgl. Axel Gellhaus u.a.: >Fremde NäheDer feste Buchstabe Erläuterungen zu Paul Celans Gedichtübertragungen. Göttingen, Zürich: Vandenhoeck & Ruprecht 1985, S. 158.

Guillaume Apollinaire: »L'Adieu« /Paul Celan: »Der Abschied«

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2 Das Gedicht »L'Adieu«, 1903 entstanden, und in dem 1913 erschienen Band Alcools aufgenommen, setzt sich aus fünf achtsilbigen Versen (>octosyllabesSäuberungen< der dreißiger Jahre wurde Mandelstam nach Sibirien deportiert. Ob er dort den Tod fand oder [...] nach seiner Rückkehr aus Sibirien in dem von den Armeen Hitlers besetzten Teil Rußlands das Schicksal so vieler Juden teilen mußte: dies endgültig zu beantworten, ist zur Stunde noch nicht möglich 12 .

Schon 1960 erfuhr Celan, daß letztere Vermutung nicht richtig war, aber auch sie hatte zu seiner geistigen Verwandtschaft mit Mandel'Stam beigetragen. Mandel'Stam teilte das Schicksal der Verfolgten, der Ermordeten, so wie viele Juden, darunter auch Celans Familie. Er gehörte zur Generation der »vergeudeten« Dichter13, und er leistete geistigen Widerstand unter den Umständen des Terrors, indem er ein Gedicht unmittelbar gegen Stalin richtete. Somit war Mandel'Stam gleichzeitig Opfer und Held. Ein anderer Aspekt der Nähe Celan zu Mandel'Stam besteht in der tiefen Verbundenheit Mandel'Stams mit der deutschen Literatur. Innerhalb der verschiedenen Kulturen, die die geistige und kulturelle Grundlage von Man-

9 10

11 12 13

Kommentar zu Paul Celans »Die Niemandsrose«. Heidelberg: Universitätsverlag C. Winter, besonders S. 45-46. Lilith Zdanko-Frenkel: Paul Celan i Osip Mandel'Stam. In: Evrejskij kamerton. Literatumo-chudoiestvennoe prilo2enie k gazete »Novosti nedeli«, 19. Mai 1995, S. 4-5. Vgl. Terras/Weimar, Mandelstamm und Celan (wie Anm. 7), S. 21. Ossip Mandelstam. Über Dichtung. Essays. Aus dem Russ. übersetzt von Alfred Frank und Marga und Roland Erb. Hg. von Pawel Nerier. Leipzig, Weimar: Kiepenheuer 1991 (Kiepenheuer-Bücherei, 4), S. 22. Vgl. Martine Broda: La leçon de Mandelstamm. In: Contre-Jour. Études sur Paul Celan. Hg. von M. Broda Paris: »Passages« cerf 1986, S. 29-48, hier S. 30-32. Mandelstamm, Gedichte (wie Anm. 4), Celans Nachwort, S. 67. Ebd., S. 68. Vgl. Felstiner, Paul Celan (wie Anm. 2), S. 136. Vgl. Mandelstamm, Gedichte (wie Anm. 4), S. 67.

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Naìditch

del'Stams Schaffen bilden (wobei komplizierte Verflechtungen von Europa, Antike und Judentum zu beobachten sind), spielt die deutsche Kultur eine bedeutende Rolle. Die deutsche Literatur und Sprache umgaben ihn seit seiner Kindheit; schon in der Bibliothek seines Vaters standen Goethe, Schiller, Körner, auch Shakespeare in der deutschen Übersetzung. Später lernte er die deutsche Sprache und Literatur in der berühmten TeniSev-Schule, wo das Unterrichtsniveau der Geisteswissenschaften besonders hoch war. Mandel'Stam setzte seine germanistischen Studien an der Universität Sankt Petersburg fort. Er unternahm auch eine längere Studienreise nach Deutschland. Sein Interesse für die deutsche Kultur (Literatur, Musik, Philosophie) kommt in etlichen seiner Werke zum Ausdruck14 und gipfelte in seinem Gedicht »An die deutsche Sprache« - »K nemeckoj reôi«15. All diese inneren Verbindungsstränge Celans zu Mandel'Stam: das Judentum, die Besonderheiten des poetischen Denkens, die Konfrontation mit totalitären Systemen sowie die Beziehung zur deutschen Kultur, müssen berücksichtigt werden, wenn eine Mandel'Stam-Übersetzung von Celan analysiert wird.

Mandel'stams »Koncert na vokzale« (»Bahnhofskonzert«) Allgemeine Anmerkungen Eines der Gedichte Mandel'ätams, die Celan übersetzt hat, ist »Bahnhofskonzert« - »Koncert na vokzale« von 1921. Mandel'ätams 1923 entstandener Essay »Musik in Pavlovsk« (ein Teil seiner Memoiren »Rauschen der Zeit«) kann als Kommentar zu diesem Gedicht gelesen werden. Er erinnert sich darin an die neunziger Jahre, die Epoche des fin de siècle, als ganz Petersburg nach Pavlovsk, »wie in irgendein Elysium« strömte, um berühmte Musiker zu hören. Pavlovsk, einer der schönsten Vororte Sankt Petersburgs, wo sich auch eine Residenz der Zarenfamilie befand, wurde damals zum Zentrum der musikalischen Kultur. Der Konzertsaal befand

14

15

Wolfgang Schlott: Das Hohenlied der deutschen Sprache - Osip Mandel'Stam. In: Deutsche und Deutschland in der russischen Lyrik des frühen 20. Jahrhunderts. Hg. von Dagmar Herrmann und Johannes Peters. München: Fink 1988 (West-östliche Spiegelungen. Reihe B, Sonderbd), S. 275-293. L. F. Kacis: I. V. Gete i R. Stejner ν poetiòestkom dialoge Andrej Belji - Osip Mandel'Stam. In: Literatumoe obozrenie 1994/95, S. 168-178. Vgl. Schlott, Das Hohenlied der deutschen Sprache (wie letzte Anm.), S. 289-292. Ossip Mandelstam: Mitternacht in Moskau. Die Moskauer Hefte. Gedichte 1930-1934. Aus dem Russischen übertragen und hg. von Ralph Dutli. Frankfurt a. M.: Fischer Taschenbuch Verlag 1990 (Werkausgabe Ossip Mandelstam, Bd 2; FischerTaschenbücher, 9184), S. 139 - Übersetzung ins Deutsche, S. 236 - Kommentar.

Paul Celan als Übersetzer von Osip Mandel'itams »Bahnhofskonzert«

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sich am Bahnhof der Endstation der ersten Eisenbahn in Rußland, die von St. Petersburg nach Pavlovsk fuhr16. Pfiffe von Dampflokomotiven und die Klingelzeichen vor der Abfahrt der Züge mischten sich mit der patriotischen Kakophonie der Ouvertüre auf das Jahr 1812, und ein besonderer Geruch stand in diesem riesigen Bahnhof, in dem Tschaikowskij und Rubinstein regierten. Feuchtende Luft modriger Parks, der Geruch fauliger Warmbeete und Treibhausrosen, und ihm entgegen - die schweren Ausdünstungen des Büfetts, beißender Zigarrenrauch, brandige Bahnhofsluft und die Kosmetika einer vieltausendköpfigen Menschenmenge.17 Diese Kindheitserinnerungen weckten unterschiedliche Gedanken und Assoziationen, ein Gemisch von kontrastierenden Erscheinungen: Technik, Kunst und Natur (wenn auch nur künstliche Natur der Parks), Laute der Musik und Pfiffe von Lokomotiven. Im Zentrum dieser Reflexionen steht die Gestalt der Musik, die die verlorene Harmonie zumindest zeitweilig wiederherstellen kann. Alle diese Ideen zogen Celan an; sie entsprachen dem Geist seines Schaffens, wurden aber in seiner Übersetzung neu, im Sinne einer anderen Epoche interpretiert, wie in der Folge gezeigt werden soll. BAHNHOFSKONZERT Kein Atem mehr. Das Firmament - voll Maden. Verstummt die Sterne, keiner glüht Doch über uns, Gott siehts, Musik, dort oben Der Bahnhof bebt vom Aonidenlied. Und wieder ist die Luft, zerrissen von Signalen, die Geigenluft, die ineinanderfließt. Der Riesenpark. Die Bahnhofskugel, gläsern. Die Eisenwelt - verzaubert, abermals. Und feierlich, in Richtung Nebel-Eden, zu einem Klang-Gelage rollt die Bahn. Ein Pfauenschrei. Klaviergetöse. Ich kam zu spät. Ich träum ja. Mir ist bang. Der Glaswald rings, ich habe ihn betreten. Der Geigen-Bau - in Tränen, aufgewühlt. Der Duft der Rosen in den Moder-Beeten; der Chor der Nacht, der anhebt, wild. Der teure einst, der mitzog, er, der Schatten... Sein Nachtquartier: ein gläsernes Gezelt...

16

17

Osip Mandelstamm: Polon muzyki, muzy i peny. Leningrad: Sostavitel' B. A. Kac. 1991. [»Voll von Musik, Muse und Schaum« - Mandel'Stam und Musik], Ossip Mandelstam: Tristia. Gedichte 1916-1925. Aus dem Russ. übertragen und hg. von Ralph Dutli. Frankfurt a. M.: Fischer Taschenbuch Verlag 1996 (Fischer Taschenbücher, 11874), aus Mandelstams »Rauschen derZeit«, S. 243.

104 Die Eisenwelt, sie schäumt, schäumt vor Musik Mir ist, als bebte sie am ganzen Leibe Ich steh im Glasflur, lehne mich zurück. Wo willst du hin? Es ist die Totenfeier des Schattens, der dort ging. Noch einmal war Musik.

Larissa

Naiditch

(GW V, 121, 123)

Zur Versstruktur und Syntax der Übersetzung von Celan Während die poetische Sprache von Mandel'ätam sehr kompliziert und nicht traditionell ist, entspricht seine Versstruktur im großen und ganzen der der klassischen Dichtung. Celan gibt in seiner Übersetzung die regelmäßigen reinen Reime Mandel'ätams nicht wieder; manchmal führt er stattdessen Reime in einzelnen Zeilen ein oder gebraucht Assonanzen. Vgl. ζ. B. Mandel'ätams Reime »Cerv'ami - nad nami - svistkami« (Zeilen 1, 3 and 5 der ersten Strophe) und »Maden - oben - Signalen« in der entsprechenden Strophe bei Celan. Mandel'ätam: »govorit - Aonid - slit«, Celan: »glüht - Lied - fließt« (wobei die beiden ersteren Wörter in dieser Triade nach der deutschen Tradition einen reinen Reime bilden). Somit kann man Celans Übersetzung vom Standpunkt der Wiedergabe der Versstruktur - aber nur von diesem Standpunkt! - zu den sogenannten Approximationsübersetzungen zählen - eine der üblichen Arten der modernen Übersetzung18. Die Wahl einer solchen Art von Übersetzung kann u. a. durch die Unterschiede zwischen der russischen und der deutschen modernen Dichtung erklärt werden. Bis in die modernste Zeit ziehen die russischen Dichter und Leser reine Reime und traditionelle metrische Strukturen vor. Somit klingt Mandel'ätams Vers für den russischen Leser auch heute modern. Die Zerstörung dieser traditionellen Versstruktur durch Celan entspricht den Erwartungen und Anforderungen der modernen deutschsprachigen Leser. Die Syntax von Celans Übersetzung ist vor allem durch verblose Sätze gekennzeichnet. In Mandel'ätams Text gibt es nur vereinzelte Sätze solcher Art, ζ. B. in der zweiten Strophe: »Ogromnyj park. Vokzala äar stekl'annyj« (>Riesengroßer Park. Die Glaskugel des BahnhofsPfauenschrei und KlavierrauschenDer wilde Beginn des Nachtchors und Rosenduft in modernden WarmbeetenDie Vögel sind nicht zu hören. Die Immortelle blüht nichtZerschneiden< des Satzes wird auch durch zahlreiche synonymische Wiederholungen erzielt: »über uns« - »dort oben«, »der teurste einst, der mitzog, er, der Schatten«, »die Eisenwelt, sie schäumt, schäumt vor Musik«. Ein anderes stilistisches Mittel, das Celan in seiner Übersetzung oft gebraucht, ist die sogenannte Topikalisierung, die in manchen Sprachen (auch im Deutschen) vorkommt, aber meist nur in der Umgangssprache gebraucht wird: »Der Glaswald rings, ich habe ihn betreten«, »Die Eisenwelt, sie schäumt, schäumt vor Musik«. Das logische Subjekt des Satzes (genannt auch: das Thema, oder Topik) befindet sich an der ersten Stelle, außerhalb der Satzklammer; dann wird derselbe Begriff durch ein Pronomen ausgedrückt. Der Nominativ des Themas kongruiert nicht mit dem entsprechenden Element innerhalb 20

21 22

Wilhelm Schneider: Stilistische deutsche Grammatik. Die Stilwerte der Wortarten, der Wortstellung und des Satzes. 2. Aufl., Freiburg u.a.: Herder 1960, S. 480. Vgl. Olschner, Der feste Buchstab (wie Anm. 8), S. 78. Vgl. Schneider, Stilistische deutsche Grammatik (wie Anm. 20), S. 478-490.

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Larissa Naiditch

des Satzes: »Der Glaswald rings, ich habe ihn betreten«. Die Topikalisierung erzielt unterschiedliche stilistische Effekte, die die oben erwähnten Besonderheiten verschärfen: das >Zerhacken< der syntaktischen Einheit, das Heranziehen der Aufmerksamkeit des Lesers auf das Subjekt der Aussage, die Einführung der markierten umgangssprachlichen Elemente, besondere Expressivität, Elemente der emphatischen Rede. Das fehlt in Mandel'ätams Lyrik, die sich in Metrik und Syntax den klassischen Mustern weit mehr nähert. Manche umgangssprachliche Elemente in Celans Text (Deixis, Topikalisierung, Ellipsis) haben phatische Funktion, d. h. sie bezwecken den Kontakt mit dem Adressaten. Celan verwandelt Mandel'ätams Gedicht in eine sehr emotive, sehr persönliche Anrede (in der Ich-Form, die auch bei Mandel'Stam vorhanden ist) an den Leser. Das häufige Fehlen des Verbs hat die Entwicklung der Nominalgruppe zu Relativsätzen zur Folge: »die Geigenluft, die ineinanderfließt«, »Der Chor der Nacht, der anhebt, wild«, »Der teure einst, der mitzog, er, der Schatten«, »Es ist die Totenfeier des Schattens, der dort ging«. Der Übersetzer gebraucht zahlreiche Partizipien und Adjektive: »verstummt, zerrissen, gläsern, aufgewühlt, wild« usw. In einigen Fällen ist die semantisch-grammatische Struktur dieser Wörter nicht eindeutig, ζ. B. »verstummt die Sterne«, »Die Eisenwelt - verzaubert«, »Der Geigen-Bau - in Tränen, aufgewühlt«. In diesen Fällen kann es sich um Existenzialsätze oder um eine Art elliptischer Sätze ohne Kopula handeln; im letzteren Fall gehört das Partizip zur Prädikatgruppe (»Die Eisenwelt - verzaubert = >Die Eisenwelt ist verzauberte). Gleichzeitig aber dienen die oben genannten nominalen Elemente als Attribute; sie sind auch gewissermaßen dem Satzglied ähnlich, das seit Hermann Paul das prädikative Attribut genannt wird. Somit wird die Handlung als ein Merkmal betrachtet, was durch die doppelte semantisch-syntaktische Natur des Partizips, seine Nähe gleichzeitig zum Verb und zum Adjektiv, ermöglicht ist. Noch mehrdeutiger sind die Sätze: »Der Chor der Nacht, der anhebt, wild« und »Die Bahnhofskugel, gläsern«, wo die Wörter »wild« und »gläsern« gleichzeitig als Attribut und als Prädikat aufgefaßt werden können. Eine andere auffallende Besonderheit von Celans Text, die auch die Verdichtung des Textes zur Folge hat, ist der Gebrauch zahlreicher Komposita (im großen und ganzen 16, wobei ein Wort, »die Eisenwelt«, wiederholt wird). In einzelnen Fällen ersetzen sie exakt die Wortgruppen Adjektiv + Substantiv oder Substantiv (im Genitiv) + Substantiv im Originaltext von Mandel'Stam. Diese Unterschiede zwischen den Texten von Mandel'Stam und von Celan spiegeln u. a. die Gesetzmäßigkeiten der Wortbildung in der russischen und in der deutschen Sprachen wider (zusammengesetzte Wörter kommen in der russischen Sprache recht selten vor und entsprechen nicht den produktiven Wortbildungsmodellen, wie es in Deutsch der Fall ist). Das Ersetzen einer Wortgruppe durch ein Kompositum hat eine Art Verallgemeinerung zur Folge, ζ. B. »Aonidenlied« und »das Lied der Aoniden«. Einige der zusammengesetzten Wörter, die Celan in seinem Text gebraucht, sind für die deutsche

Paul Celan als Übersetzer von Osip Mandel'stams »Bahnhofskonzert«

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Sprache recht gewöhnlich: »Riesenpark, Totenfeier, Pfauenschrei, Nachtquartier« oder gar so selbstverständlich »Bahnhof«. In anderen Fällen gebraucht der Autor okkasionelle Neubildungen, denen manchmal metaphorische Bedeutungsverschiebungen zu Grunde liegen, die dem russischen Text entsprechen: »Glaswald« (Russisch »stekl'annyj les vokzala« - »der gläserne Wald des Bahnhofs«), wo das Wort >Glas< in seiner direkten Bedeutung gebraucht wird - >Material des Gebäudes-wald< dagegen eine Metapher ist. Auf demselben Prinzip basiert das Wort »Klang-Gelage«, wo das erste Element in seiner direkten Bedeutung gebraucht wird (>der Klang der MusikSterne sind Würmer, betrunken vor NebelBrudersphären WettgesangUnd wieder ist die durch Lokomotivpfiffe zerrissene Geigenluft zusammengegossen (oder -geflossen)gläserner Himmelganz in Musik und Schaumtrizna< in der vorletzten Zeile übersetzt Celan als »Totenfeier«, was die lexikalische Bedeutung dieses Wortes exakt wiedergibt. Jedoch unterscheiden sich diese beiden Wörter der Stilistik und der inneren Form nach. Das Wort >trizna< ist in der russischen Sprache ein Archaismus, der zum gehobenen Stil gehört und vorwiegend in der Dichtung gebraucht wird, seine innere Form ist nicht klar. Somit kontrastiert es mit dem deutschen Wort »Totenfeier«. Im Kontext von Celans Gedicht wird die innere Form dieses Wortes aktualisiert; beide Teile des Kompositums werden bedeutungsvoll, wobei das Thema des Todes besonders betont wird. Die Musik kann die Harmonie nicht mehr wiederherstellen; sie erklingt auf einer Totenfeier. In Mandel'Stams Text ist das Thema des Todes eher mit antiken Konnotationen, etwa dem Reich der Schatten, verbunden (es wird »der liebe Schatten« erwähnt), ist stilisiert und distanziert (der Tod bzw. der Tote werden nicht unmittelbar genannt). Somit wird das Thema des Todes in Celans Übersetzung im Vergleich zum russischen Original betont und hervorgehoben. Dazu tragen auch die rhythmischen

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Larissa

Naiditch

Besonderheiten von Celans Text bei. Das Wort »Totenfeier«, besonders sein erster Teil, trägt die Hauptbetonung in der Zeile und ist von Wörtern umgeben, die entweder unbetont oder nur schwach betont sind (Hilfswörter, Pronomina usw.): »Wo willst du hin? Es ist die Totenfeier«. Das ganze Gedicht scheint auf dieses einzige Wort hinzuzielen. Der letzte Satz bei Mandel'ätam drückt die Trauer über die vergangene Epoche aus27. Die letzte Zeile »V poslednij raz nam muzyka zvuòit« (»Zum letzten Mal klingt für uns Musik«) enthält eine Reminiszenz an Fjodor TjutCevs Gedicht »Ja ljuteran ljublju bogoslu&nje...« (»Ich liebe den Gottesdienst der Lutheraner«, 1834), wo die letzte Zeile lautet: »V poslednij raz vy molites' teper'« - »ihr betet jetzt zum letzten Mal«. Kiril Taranovsky schreibt über TjutCevs Vers: »the mood here is apocalyptic, just as in Mandel'ätam's poem«28. Beide Dichter (Tjutöev und Mandel'ätam) beschrieben einen Umbruch, eine Zeitwende und Zerstörung der traditionellen Kultur. Dem gegenüber erscheint die Unzulänglichkeit der Musik, die dem Tod letzten Endes nicht widerstehen kann, in Celans Vers krasser, das Thema des Todes kommt hier stärker zur Geltung.

Semantische Felder und Themen29 Durch den ganzen Text ziehen sich einige Themen oder Leitmotive. Lidija Ginzburg sah in Mandel'Stams »Koncert na vokzale« drei Hauptthemen, drei >WeltenStoff< im Text eine wichtige Rolle, wobei Eisen und Glas das Jahrhundert der Industrie symbolisieren. Wie bereits erwähnt, waren sowohl für Mandel'ätam als auch für Celan wichtige Motive mit bestimmten Materialien (Holz, Stein, Lehm) verbunden. »Die Eisenwelt« (»ieleznyj mir«) ist ein bedeutender Schlüsselbegriff, der verschiedene Konnotationen hat: >Die Welt der Technikdie Welt der Feindlichkeit und Grausamkeit^ verbunden auch mit der Zentralgestalt des Gedichtes - der Eisenbahn. Eisenbahn ist im Kontext von Mandel'Stams Gedicht ein Teil der Eisenwelt, ein Merkmal der Industrialisierung, der neuen Epoche. In Celans »Bahnhofskonzert« ruft dieses Motiv andere Assoziationen hervor31, besonders wenn wir an das Hauptthema von Celans Schaffen - das von Holocaust, Deportation, Tod denken. Auch die Richtung der Bewegung - »Nebel-Eden« bekommt andere Konnotationen im

27 28 29 30

31

Ebd., S. 51 Vgl. Taranovsky, Essays on Mandelstamm (wie Anm. 23), S. 17 Siehe auch Anhang. Lidija Ginzburg: Poètika Osipa Mandel'ätama. In: Izvestija AN SSSR. Serija literatury i jazyka4 (1972), S. 309-327, hier S. 72, 314-315. Ich möchte meinen Dank Professor Jakob Hessing ausdrücken, der mich während der Besprechung meines Vortrags auf diese Aspekte von Celans Text aufmerksam machte.

Paul Celan als Übersetzer von Osip Mandel'stams »Bahnhofskonzert«

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Kontext von Celans Dichtung, ζ. B. die Gestalt »eines Grabes in den Lüften« in der »Todesfuge«. Das andere Material - das Glas - weist bei Mandel'ätam auch auf die Welt der neuen Technologien hin. In Wortgruppen »stekljannyj les« (>gläsemer WaldMaterial< Boraajia map CTCKJIKHHMÖ

xejie3Huft MHP CTeKJiflHHbiä Jiec Boraajia CTeKJiflHHoe Heöo CTeKJiflHHbie ceHH

die Bahnhofskugel, gläsern die Eisenwelt der Glaswald ein gläsernes Gezelt Glasflur

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Larissa Naiditch

>Eisenbahn< B0K3an

d e r Bahnhof

nap0B03HbiMH cßHCTKaMH earoH

von Signalen die Bahn

>Park< orpoMHHfi napK naBJIHHHÜ KpHK 3anax P O 3 Β ΓΗΗΙΟΙΙΙΗΧ napHHKax

der Riesenpark ein Pfauenschrei der Duft der Rosen in den Moder-Beeten

>Musik< ecTb My3biKa Hafl HaMH OT neHbfl aoHHA CKpHnHHHblH B03flyx 3ByHHbIH ΠΗΡ ροκοτ φορΤβΠΜΙΗΗΗΗ ΟΚρΗΠΗΊΗΗΗ CTpOH ΗΟΜΗΟΓΟ xopa Β My3biKe h neHe My3biKa 3ByMHT

Musik, dort oben vom Aonidenlied die Geigenluft Klang-Gelage Klaviergetöse der Geigen-Bau der Chor der Nacht sie schäumt, schäumt vor Musik war Musik

>Tod< 3JIM3HyM TyMaHHblH poAHan TeHb TpH3He MHJIOft ΤβΗΗ

Nebel-Eden der Schatten die Totenfeier des Schattens, der dort ging

Anhang III Mandel'ätams »Koncert na vokzale« in der Übersetzung von Ralph Dutli BAHNHOFSKONZERT Kein Atem mehr. Das Firmament voll Maden. Und nicht ein Stern, der mit dem andern spricht. Doch über uns Musik, Gott siehts, wie überladen Der Bahnhof bebt unter dem Aonidenlicht, Und neue Pfiffe einer Lok durchbrachen Die Geigenluft, nun fließt sie wieder dicht. Der Riesenpark. Das Glas der Bahnhofskugel. Die Eisenwelt erneut verzaubert vom Gesang. Und fort in ein Elysium von Nebel trugen Die Räder den Waggon, zum Fest des Klangs.

Paul Celan als Übersetzer von Osip Mandel'stams »Bahnhofskonzert« Der Schrei des Pfaus, in den Klaviere schlugen. Ich kam zu spät. Ein Traum nur? Meine Angst. Den Bahnhofsglaswald habe ich betreten, Den Geigen-Bau in Tränen, tief verwirrt. Ein Duft von Rosen in den Moderbeeten, Der Chor der Nacht erhebt sich - wild, Und zu Nomadenscharen nachthin legte Sich unterm Himmelsglas das liebe Schattenbild. Die Eisenwelt: wie bettelhaft jetzt bebend, Ganz in den Schaum, in die Musik gefügt, Der heiße Dampf, die Geigenaugen blendend, Und ich - ans Glas des Flurs gedrückt. Wo willst du hin? Am Totenfest des Schattenbildes Zum letzten Mal für uns erklingt Musik.39

39

Mandelstamm, Tristia (wie Anm. 17), S. 121.

Timothy Bahti

Dickinson, Celan, and Some Translations of Inversion

John Felstiner, a serious student and practitioner of translation and someone now well known to circles of Celan scholarship through his widely praised book Paul Celan: Poet, Survivor, Jew, has written suggestively that »repetition with a difference« is »the genetic code of translation«, and has asked of a specific point in one of Celan's translations of Emily Dickinson whether »a translation must bear inversely on its source, not just sequentially«1. In this paper I want to work toward these insightful claims, and specifically toward the exact acts of translation by Celan that prompted them from Felstiner, but in so doing I also want to try to broaden their scope, allowing them to shed light on some of Celan's other translations of Dickinson, and perhaps on aspects of the poetics of translation more generally as well. Felstiner attends to the particular poems by Dickinson that Celan evidently translated in 1960 and 1961, and published in Die Neue Rundschau in 1961. This focus by Felstiner means that he ignores Celan's first translation from Dickinson, that of »Because I could not stop for Death« (no. 712 in the standard enumeration of Dickinson's poems), which Celan published as »Der Tod« in the Almanack S. Fischer of 1959. There is at least one good reason for passing over this first translation. But in the encounter between Dickinson's poetry and Celan's translations, there is a meeting and exchange between poets of such high order - as rarely happens in the history of poetry; as happens, for example, between Pindar and Hölderlin - that no evidence should finally remain neglected, especially not of a poem as exceptional as Dickinson's »Because I could not stop for Death«. Perhaps the obvious reason to ignore Celan's translation of Dickinson no. 712 is that he used a deficient version of Dickinson's text as the basis for his translation, drawing on an edition from 1924 rather than the now-standard edition established by Thomas H. Johnson in 1955.2 (The same deficient version 1

2

John Felstiner: Paul Celan. Poet, Survivor, Jew. New Haven: Yale University Press 1995, pp. 204, 205. The deficient, five-stanza version of the poem, together with Celan's translation, are in Celan's five-volume Gesammelte Werke, ed. by Beda Allemann and Stefan Reichert (Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1983), V/382, 383; see: V/631, 632 for bibliographical information on the editions of Dickinson used by Celan. I cite the now-

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Timothy Bahti

of the poem has an interesting history in commentary on Dickinson, serving, for instance, as the basis for the poet and critic Allen Tate's lavishing of praise in the excess on the poem he called »The Chariot«3.) Yet for all that which one can not observe Celan trying to translate in the face of a version of Dickinson's text that simply lacks the missing material, one also can observe him translating what and as he does, and here already - in this initial and defective act of translating Dickinson - we see much of Celan's strange encounter with Dickinson's poetics of inversion, and his counter-inversions in turn. Because I could not stop for Death He kindly stopped for me -

Der Tod, da ich nicht halten könnt, hielt an, war gern bereit.

The subtle and gentle (almost »kind«) chiasmus in Dickinson's opening - »I could not stop for Death«, inverted into »He ... stopped for me«: the chiastic reversal of the first-person speaker and the third-person personification - is not maintained in Celan's version: in »Der Tod, da ich nicht halten könnt, / hielt an«, the syntax of the subordinate clause parallels that of the main clause that surrounds it (»ich ... halten«, »Der Tod ... hielt«). Celan's version more generally seems to want to straighten Dickinson's poem out, to render it unilinear, as if the opening and closing appearances of the verb halten (»hielt an« and »Wir halten ja / auf Ewigkeiten zu!«) would mark clear points of departure and arrival along a single axis. In between, there is further going and halting (»Ihm gings auch langsam schnell genug«, »das Müßiggehn«, and »Dann hielten wir«) that invite their conceptual location along the same unilinear axis: this poem - that is, in Celan's translation - is going straight to its end, however much it may halt along the way. Certainly it is the case that Celan's repetitions of these verbs do not - other than in Dickinson's first two lines - correspond to any repetition by Dickinson; rather, they straighten or flatten out the modulation presented by her variety (»drove« and »leisure« represented by forms of gehen, »paused« and »the Horses' Heads / Were toward« by forms of halten). An analogous »straightening-out« of Dickinson's discourse may be seen in Celan's rendering of a line from her poem »To my quick ear the Leaves conferred« (no. 891): »The Walls - began to tell« becomes »schon sprachs da auf mich ein« (5:387), where for my purposes here the pointed directionality of the »auf mich ein« is more significant than the change from »teil« to »sprachs«. A final straightening-out of Dickinson's poem in Celan's translation occurs in the fifth stanza (the last stanza of the version he used). Dickinson writes:

3

standard six-stanza version of the poem, as well as all other Dickinson poems, from The Complete Poems of Emily Dickinson, ed. by Thomas H. Johnson (Boston: Little, Brown & Co. 1955). See Allen Tate: Emily Dickinson [1932], In: The Man of Letters in the Modern World. New York: Meridian Books 1955, pp. 211-226, esp. 218-221.

Dickinson, Celan, and Some Translations of Inversion

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»Since then - 'tis Centuries - but each [and yet]4 / Feels shorter than the Day / . . . « Celan translates: »Jahrhunderte seither, doch keins / war länger als der Nu.« What Dickinson does is to take great lengthening of time - »Centuries« and then, adversatively (»but each« in the version Celan used, »and yet« in the definitive version), to invert the lengthened into the shortened: »Feels shorter than the Day.« Celan, in turn, takes the lengthened time and then by negation negating »each« into »keins« — turns Dickinson's inverting adversative into a further lengthening: of the long »Jahrhunderte«, none was longer than the instant at hand. Dickinson's inverting adversative is turned almost against itself. Celan is famously a poet of inversions. Perhaps no poet of his time, and certainly none in German since Rilke, pursued the logic and poetics of inversion as thoroughly, as rigorously, and yet as deftly as he.5 His translations, however - or those from English with which I am most familiar - frequently »straighten out« the inversions of their originals. Shakespeare's sonnet 43, for example, is built upon a dazzling structure of impacted and entwined inversions,6 while Celan's translation (5:327) renders linear or parallel most of them. Much of this has to do with syntactic properties of flexibility available to English verse - especially to English Renaissance verse, but also to verse as idiosyncratically creative as Emily Dickinson's - but scarcely, or at least not readily, available to German grammar and its demands upon word order, especially that of the verb's positioning. Yet for a poet as creative, as elastic and plastic with syntax as Celan, the givens of German grammar may hardly be counted on to account for what he found possible in verbal poesis. Our inquiry has just begun, and we must remain patiently attentive to his choices and their effects in querying what he does and doesn't do with the problems and opportunities posed by his original texts. There is one moment in his translation of Dickinson's »Because I could not stop for Death« where Celan so strikingly turns against the tendency of straightening and lengthening that I have emphasized so far, that it must draw our effort at understanding as surely as it does our attention. This is in the third stanza. Here Dickinson herself has slid into a procession-like series of parallel constructions, with a threefold repetition of »We passed ...«: 4

5

6

After the versions of Dickinson's poems that Celan used, I supply in brackets the wordings from the definitive version of Dickinson's texts. See the path-breaking and still unsurpassed study by Werner Hamacher: Die Sekunde der Inversion. Bewegungen einer Figur durch Celans Gedichte. In: Paul Celan. Ed. by Werner Hamacher and Winfried Menninghaus. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1988 (suhrkamp taschenbuch materialien, 2083), pp. 81-126, and my readings of three Celan poems (»Unter ein Bild«, »Aber«, »Von querab«) in: Ends of the Lyric. Direction and Consequence in Western Poetry. Baltimore: Johns Hopkins University Press 1996, pp. 180-226. See my commentary upon this sonnet in Ends of the Lyric (last note), pp. 29-40, which follows that in Joel Fineman: Shakespeare's Perjured Eye. The Invention of Poetic Subjectivity. Berkeley: University of California Press 1986, pp. 236-238.

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We passed the School, where Children played [strove] At wrestling in a ring - [At Recess - in the Ring - ] We passed the Fields of Gazing Grain We passed the Setting Sun -

Celan retains none of the parallelism of the subject-verb repetitions, and instead turns the subtle, scarcely visible personification of the »Gazing Grain« into a vigorously literalized »eyeing« that is then returned to or repeated in kind: »Es hat das Korn uns nachgeäugt, / wir sahn: die Sonne sank.« Here is Celan's well-known poetics of Auge, but much more as well. The persistent passage marked by Dickinson's threefold »We passed ...« is first punctually turned around - turned upon a point between »uns nachgeäugt« and »wir sahn« - and then the further sustained passing of Dickinson's participial »Setting Sun« (that of the »Gazing Grain« has already been altered) is rendered more punctual, even terminal: »die Sonne sank.« (The line »wir sahn: die Sonne sank.« can, of course, mean »we saw the sun was setting«, but the absence of a participial construction, together with the colon and the full-stop period, make Celan's line incline weightily toward the punctual and the terminal.) The powerful divergence embedded within the near-homophony of the sahn / sank pananticipates, per inversio, the remarkable »Wann, wannwann, / Wahnwann, ja Wahn«, of Celan's poem »Huhediblu« (1:275), written in 1962 and published in Die Niemandsrose in 1963.7 Here, in the translation of Dickinson, Celan introduces a progression of negations - from eliminating the threefold passing, through literalizing the eyeing and introducing its reappearance, to having the setting sun set - that effectively inverts Dickinson's procession-like continuity into a punctual, terminal act. Indeed, the next consequence (»Dann«) is a further arresting of movement: »Dann hielten wir, da stand ein Haus«. Now it is precisely here, after Celan's massively revisionary rewriting of Dickinson's third stanza, that the Dickinson text he was using diverges most significantly from the definitive version we now know. It is a matter of an entirely missing stanza:8 Or rather - He passed Us The Dews drew quivering and chill For only Gossamer, my Gown My Tippet - only Tulle -

The restoration of this stanza makes the point between the end of the third stanza and the beginning of this one the formal middle of the six-stanza poem. Introduced by the most delicate of rephrasings - »Or rather« - this point is 7

8

See also the Tübinger Ausgabe of Paul Celan: Werke, Die Niemandsrose. Ed. by Heino Schmull. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1996, pp. 116-119. Celan's translation (V/390, 391) of Dickinson's »Father - I bring thee - not Myself« (no. 217) also lacks four lines - the first four lines, in this case-making Dickinson's twelve-line poem into one of two four-line stanzas.

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constructed by and as the trope of chiasmus: »We passed the Setting Sun - // Or rather - He passed Us«. And in the event we didn't notice this informing chiasmus, the same fourth stanza concludes with another, however more diaphanous one: »For only Gossamer, my Gown - / My Tippet - only Tulle«. This is not the place to present an extended interpretation of and argument about Dickinson's extraordinary poem. Briefly, what such an interpretation and argument would demonstrate is that her poem is structured, via the chiasmi of the first and third and fourth stanzas (and many other devices and features of inversion as well), as a figure-eight-like loop that makes the poem's ending - »I first surmised the Horses' Heads / Were toward Eternity« - the formal and semantic precondition for the poem's beginning, thereby undoing the possibility of any unilinear or terminal reading or understanding of the poem. What this is the place for, is an awareness of just what Celan's translation of five-sixths of the Dickinson poem has in fact achieved. By a procedure that to me is still inexplicable (and it may have a positive explanation: that is, it may be discoverable that, when translating the five-stanza version of this Dickinson poem, he already had access to the six-stanza version of the poem as well, the definitive Dickinson edition having been published in 1955, after all), and that may thus fall only under the inadequate rubrics of the serendipitous, the fortuitous, the happy acts of blind chance - by whatever procedure, Celan's radically revisionary translation of the end of Dickinson's third stanza inscribes and enacts what is missing in the untranslated fourth stanza. When »We passed the Setting Sun« becomes »wir sahn: die Sonne sank.«, Celan's extension of the gazing grain's personification into a sight of the sun's punctual and terminal event already enacts the decisive point of pause, suspension, rephrasing, return, and repersonification that is written in the formal middle of Dickinson's poem in her chiasmus »We passed the Setting Sun - // Or rather - He passed Us«. The moment in Dickinson's poem when the passing personae pass, by rephrasing (»Or rather«), into objects passed by the now-personified »He«, is the moment of seeing death pass punctually through the middle (Mitte) and the very means (Mittel), the poetry, of the poem. In Dickinson's fourth stanza, this is, of course, then atmospherically extended as the having-set quality of the time after sunset (for which »He passed Us« is the euphemism), when »The Dews drew quivering and chill«. In Celan's translation, it is anticipated, preinscribed as it were, in »wir sahn: die Sonne sank.« It should now be clear that what I began by describing as Celan's »straightening-out« or rendering unilinear of Dickinson in aspects of his first translation, is nothing of the sort - or nothing of a unilinear sort. When one »lines up« Dickinson and Celan, in facing-page format, one may first observe that they don't line up, and then, per inversio, that they do. That is, there will be divergences that first appear to be - for all the complicated reasons of linguistic difference, taste, style, and judgment - only sheer differences, or only the sheer difference of and in translation. And then, in the acts of greatest poetry (and I include here the acts of greatest translation), these very differences will

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re-emerge - perhaps, sometimes - as the nearest enactments of proximity that the facts of linguistic difference (and I include here the linguistic differences between writing and reading and rewriting) allow, but also enable. If we now follow some of Celan's 1960 and 1961 translations of Dickinson, we can pursue the poetic logic of unparallel repetition, of inversion, and of reemergent enactment as it occurs in the poetry of Dickinson reinscribed, and represented for our understanding, in Celan's translations. Our path still takes its orientation, its point de repère, from John Felstiner's remarks about »repetition with a difference« that »bear[s] inversely on its source«. We may already be in a position to understand that repetition with a difference, as in Dickinson's »We passed ... / We passed ... / We passed ... II Οτ rather - He passed Us«, is already an inverse bearing or heading - a directionality - bearing, weighing, inversely upon and within its own source. Repetition with a difference that bears inversely, re-directionally, upon the very source of the direction (say, parallelism, or unidirectional repetition) is a description - however incomplete - of chiasmus. Neither Dickinson nor Celan are without attention to this trope's resources, as perhaps no lyric poet can be. Chiasmi, and their gentler visitations, are not always easy to spot. In the title line of Dickinson's »My life closed twice before its close« (no. 1732), for example, the smooth repetition of »close« is lightly wrinkled by the intervening »twice before«, which words, because of their difference or even their oppositionality, bring »closed« and »close« back together more strangely or differentially. »[CJlosed twice« inverts into »before ... close«, for the not-yet sense of »before« inverts the emphatic sense of already in »twice«, just as the word order is also obviously inverted. This may or may not be a chiasmus (I believe it is a variety thereof), but Celan captures it exactly in his own syntactic chiasmus: »Mein Leben, zweimal fiels ins Schloß, / eh's zufällt« (5:385). »[F]iels in«, verb-preposition, inverts into »zufällt«, prepositional-prefix-verb. It is to such distinctive features of their chiasmi and other forms of inversion in Celan's translations of Dickinson that I now want to draw our further attention. Dickinson's poem »One Blessing had I than the rest« (no. 756) begins with an inversion: One Blessing had I than the rest So larger to my Eyes

Es ward ein Segen mir zuteil Was blieb, so groß war das, (5:389)

Her inversion is of word order: »than the rest«, the second member of the comparison, unexpectedly precedes the comparative adjective »So larger«. Celan responds with an inversion that is semantically different but syntactically identical: »Was blieb, so groß war das« also inverts the expected German word order of relative constructions. From this identical point of departure, Dickinson's and Celan's poems diverge significantly. In no. 712, where Dickinson varied her verbs, Celan repeated his (halten, gehen). This time, when Dickinson varies her verbs, Celan introduces variations that also succeed in suggesting the slightest

Dickinson, Celan, and Some Translations of Inversion

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repetition. In the first line of each of the first three stanzas, Dickinson has the differing subject-verb phrase: »had I«, »It was the limit ...«, »I knew«. Celan translates these as »Es ward«, »Es war das Äußerste ...«, and »Ich darbte«. What I observe is the homophony of »Es war d ...« with »Es ward«, and then the inversion of the ar-d order in »Ich darbte«. In the third stanza, then, I knew no more of Want - or Cold Phantasms both become For this new Value in the Soul Supremest Earthly Sum -

Ich darbte nicht, es fror mich nicht (Not -Schein, Frost -Schemen du!), was sich mir in die Seele wog, mir wogs die Erde zu.

Dickinson employs a number of forms of parallelism: »more« and »or« as sound, »Want - or Cold« as states of being, »Phantasms both« as their redescription, and finally the beautiful apposition of »Supremest Earthly Sum« that extends and repeats »this new Value in the Soul«. Celan repeats the parallelism in his first two lines, but then turns to a brilliant syntactic chiasmus in the next two: »in die Seele wog, I ... wogs die Erde zw.« (preposition / verb inverted into verb / preposition). There follows immediately a yet more striking inversion on Celan's part. The Heaven below the Heaven above Obscured with ruddier hue -

Den Himmel unten färbt ein Rot, den Himmel oben auch.

Dickinson's lines seem - naturalistically, that is - to represent a strict vertical linearity, as a reddening sunset in the lower sky would color and discolor the sky above. But what if - with the syntactic liberty that English, especially English verse after Shakespeare, allows - the lines also may have »the Heaven above« obscuring »the Heaven below«? This slight possibility or tendency is admittedly countered by the sense of the next line, where »Life's Latitudes leant over - full« appears to situate the locus of activity in the lower region of »Life« moving up and »over«. In any case, Celan's translation enacts a powerful inversion: as red light colors first »[d]en Himmel unten«, then »den Himmel oben« (this much may still be Dickinson's naturalism), we see »den Himmel oben« directly under »[d]en Himmel unten«. The under-Heaven has fallen up, while it was still suspended below the upper one in Dickinson's single line. We may recall here Celan's line »Welchen Himmels Blau? Des untern? Obern?«, from the poem »Unter ein Bild« in his 1959 collection Sprachgitter (1:155), in which, as I've argued elsewhere9, there unfolds an analogous structure of inversion. Dickinson's poem concludes with a resounding straight line of sound, as an anaphoric series of »Why« three times at the beginnings of the first three lines of the last stanza turns into the different word but still-resounding vowel-sound of »I« in the same position of the last line. Celan cannot or does 9

See my Ends of the Lyric (note 5), pp. 182-194.

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not even try to reproduce this tour de force. This absence in Celan's translation is difficult to evaluate, but at the very least the absence of Dickinson's conspicuous vertical line of sound is remarkable. It may be equally remarkable that, where Dickinson's poem began and ended with the marked (because symmetrical) appearance of the visual - »So larger to my Eyes«, »I speculate no more« - Celan's translation features vision neither at beginning nor at end: »Was blieb, so groß war das«, and »dem denk ich nicht mehr nach« are the corresponding lines, where the latter retracts altogether the visual sense embedded in »speculate«. This is noteworthy if only for the reason that Auge and its compounds, together with the problem of visuality, figure so prominently in Celan's poetry. I've already observed the way Celan brings out the eye in translating Dickinson's »Gazing« in no. 712 as »nachgeäugt«. In another translation of Dickinson (»Four Trees - upon a solitary Acre«, no. 742), where she has only the rich word »Attention«, Celan replaces it with a threefold »Aug«: The Acre gives them - Place They - Him - Attention of Passer by Of Shadow, or of Squirrel, haply Or Boy -

Das Feld hat für sie einen Ort, und sie fürs Feld ein Aug. Ein Aug, das huscht, jetzt hier - schon dort, vielleicht ein Knabenaug.

(Notice also how the chiasmus of Dickinson's »Acre ... them ... / They - Him« is precisely reproduced in Celan's »Feld ... für sie . . . / . . . sie fürs Feld«.) If I began this paper with the gesture (then revealed as a ruse) of showing how Celan could try to straighten out with repetitions and parallelisms a more sinuous or inverting turning in Dickinson's no. 712, I can now make my turn toward my final points in calling briefly to our attention a translation in which Celan does the reverse, that is, where he turns a parallelism into a chiasmus. The first two lines of Dickinson's no. 1052 and Celan's translation (5:393) are: I never saw a Moor I never saw the Sea -

Das Moor, ich sah's noch nie, ich kenn sie nicht, die See.

What are we to make of this appearance of the chiasmus? Is it gratuitous, or a mere convenience provided by (or an accommodation of) a necessity of the upcoming rhyme? I believe it must be more interesting than just that; great poetry usually is. The changes - 1 would say, the inversions - in the ends of the poem and its translation suggest answers to the questions. The second (and last) stanzas are: I never spoke with God Nor visited in Heaven Yet certain am I of the spot As if the chart [Checks] were given -

Sprach auch noch nie mit Gott, bin niemals dortgewesen, und kenn den Ort, als hätte ich die Karte schon gelesen.

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Dickinson's adversative »Yet« is turned into Celan's conjunctive »und« - the adversative is turned around or inverted into straightness: its turning-against is turned against. And Dickinson's »given« - the given of Dickinson - is turned, translated, into Celan's »gelesen«: the gelesen, the having been read of Dickinson by Celan. Translation is always a reading as well as a rewriting. This reading that is translation has often been left unattended, but John Felstiner's attention to Celan's rewriting of Dickinson's »Let down the Bars, Oh Death« (no. 1065) in his translation (5:397) will help us try to read reading in and as translation. Let down the Bars, Oh Death The tired Flocks come in Whose bleating ceases to repeat Whose wandering is done -

Fort mit der Schranke, Tod! Die Herde kommt, es kommt, wer blökte und nimmer blökt, wer nicht mehr wandert, kommt.

Of the second line(s), Felstiner writes: [Here] follows a tour de force, as Celan enacts these comings: Die Herde kommt, es kommt. Dickinson's poem dealt with repetition, and Celan bears this out literally. His tense-change, »bleated ... never bleats«, incorporates a mortal lapse of time. 10

Felstiner's precise phrase »a mortal lapse of time« marks the poetic instant in this translation when the »tired Flocks com[ing] in« are turned into the moment and act when death comes. In Celan's German - in German tout court »die Herde« is not only a »flock«, but can also be a murderous multitude, an army or an Einsatzgruppe: a »Meister aus Deutschland«. Dickinson's continuity of »The tired Flocks« with »Whose ... / Whose ...« is inverted into Celan's discontinuity of »Die Herde kommt, es kommt, / wer blökte und nun nimmer blökt«: the »who« of this »wer« is not the flock, but the death of the flock, their »incorporation of] a mortal lapse of time«. Death has come and made itself o/the flock, made the flock of itself. This inversion of Dickinson's flocks into Celan's death that I am reading in the second and third lines is borne out by the exquisitely exact rewriting of sound in the third line(s). Dickinson's »Whose bleating ceases to repeat« is organized around a virtual caesura (another »mortal lapse«) in the middle of »ceases«; while on the one hand the sounds move in linear repetition from »bleating« through »ceases« to »repeat,« on the other hand they almost reorganize themselves into the phonic chiasmus of »blearing cea - ses to repeai.« Only »almost«, because of course the syllables of »ceases« are non-identical. This scarcely sustained linearity of repetition is turned - inverted - by Celan into his explicit phonic chiasmus: »blökte und nu/j «immer blökt« (the sounds »blökt« and »n« inverted into »n« and »blökt«). More stunning still, this chiasmus is actually a double chiasmus: »blökte und nu-η «immer blökt,« where the graphic inversion of un into nu(n) is added to the chiasmus already noted. 10

Felstiner, Paul Celan (note 1), p. 204.

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The crossing of the chiasmus marks and poetically enacts the moment when Dickinson's flocks have fatally crossed over into death, their death, the death of them. In the second and last stanza, Thine is the stillest night Thine the securest Fold Too near Thou art for seeking Thee Too tender, to be told.

Dein ist die stillste Nacht, der sichre Pferch ist dein. Zu nah bist du, um noch gesucht, Zu sanft, genannt zu sein.

Felstiner observes that Dickinson's soothing parallel - »Thine / Thine« - is inverted by Celan, as if a translation must bear inversely on its source, not just sequentially. Of course, the upcoming rhyme counts here, because Celan's dein (»thine«) is moving toward sein (»to be«). What is lost is Dickinson's odd doubling of Death as subject and object: »Too near thou art for seeking«. 11

Of Felstiner's exacting insight, I wish only to invert the asserted loss into achieved gain, for Celan's translation has already achieved the »odd doubling of Death as subject and object«. In lines two and three of the translation, as I have read them inscribed in Celan's reading-as-translation, the »Too near ... for seeking« has already occurred, been enacted, is (»art«) in the turning of the flocks into (their) death. One subject has become the other's object; subjective and objective genitives, the flock of death and the death of the flock, have been read and written into one: »Die Herde ... es kommt, / wer blökte und nun nimmer blökt.«12 A commentary that has remained as close to the minute evidence of poetic translation as my paper has tried to do, should remain discrete about the conclusions it would draw. Celan's translations of Emily Dickinson are nothing more or less than one great poet reading and rewriting another. Whether they are paradigmatic of translation »itself« is not something I can know right now - nor something I wish to know right now. Felstiner's assertions about »repetition with a difference - the genetic code of translation« and »a translation must bear inversely on its source, not just sequentially« sound right to me, but they are not claims or propositions that can be proved. I have tried to show in this paper that inversions from linearity or parallelism into inversion, and from inversion into linearity or parallelism, are collectively, entwined and entangled, the 11 12

Felstiner, Paul Celan (note 1), p. 205. It may be observed in passing that the fourth line of Celan's translation, »wer nicht mehr wandert, kommt«, recalls Rilke's poem »Herbsttag« (R. M. Rilke: Sämtliche Werke. Ed. by Emst Zinn. Frankfurt a. M.: Insel 1955, 1/398), the last strophe of which reads: »Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines Mehr. / Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben, / wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben / und wird in den Alleen hin und her / unruhig wandern, wenn die Blätter treiben.« The movement from »lesen« to »schreiben« speaks pages (»Blätter«) with respect to Celan's reading and writing in translation.

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very stuff - the writing - of Dickinson's poetry, of Celan's poetry, and of Celan's translations of Dickinson, and perhaps of their lyric poetry, of lyric, altogether. Celan's translation (5:401) of Dickinson's »At Half past Three, a single Bird« (no. 1084) has in its first stanza, At Half past Three, a single Bird Unto a silent Sky Propounded but a single term Of cautious melody.

Ein Vogel, einer, um halb vier: dem Himmel, der da schwieg, den einen Laut trug er ihm an sparsamster Melodie.

three syntactic inversions, one in each of the first three lines, before straightening out into the exact linearity of the fourth line. His inversion of the place of time at the beginning of the second stanza (»At Half past Four, Experiment« becoming »Das war die Probe. Um halb fünf«) is then also straightened out in his placement of time at the beginning of the third and final stanza (»At Half past Seven, Element« becoming »Halb sieben: weder Element«). The last two lines, And Place was where the Presence was Circumference between.

Ein Ort hier, dort die Gegenwart, mit einem Zwischenkreis.

inscribe an inversion, specifically a chiasmus, between the parallelism of Dickinson's »And Place was where the Presence was« and the syntactic reversal of Celan's »Ein Ort hier, dori die Gegenwart« (disguised, of course, as the phonic and semantic parallelism of »Ein Ort hier, dort die Gegenwart«,). The final inversion of »Circumference between« into »Zwischen-kreis« is the translation of Celan's »Meridian«, the meridian that marks poetry, his poetry, world poetry, the world.

Alfred Bodenheimer

Das Wiedererkennen des Unbekannten Zu Paul Celans Übersetzung des Gedichts »Banechar« von David Rokeah

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Transkription des Hebräischen Textes Banechar jamim banechar k'imut im dapim mijoman jaldut. ssussei hadhira ozrim ljad malon: schalom larochew hasar. b'zikloni: sch'elot schelo hischawti l'reai b'wikuri hakodem

Tage, in der Fremde - Blättern entgegengehalten aus einem KindheitsDiarium. Schnelle Pferde, die vor der Herberge halten: Schalom dem Herbeigerittenen. In meiner Satteltasche: Fragen, die zu beantworten ich unterließ, neulich, bei den Freunden.1

1

Paul Celan: Gesammelte Werke in fünf Bänden. Hg. von Beda Allemann und Stefan Reichert unter Mitwirkung von Rolf Bücher. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1983, Fünfter Band: Übertragungen II. Zweisprachig, S. 602f. In der Folge im Text zitiert als GW.

130

Alfred Bodenheimer

Sechs Gedichte, alle von David Rokeah, hat Paul Celan aus dem Hebräischen übersetzt. Nur eine dieser Übersetzungen erschien noch zu Celans Lebzeiten, 1962 in David Rokeahs erstem in Deutschland erschienenen, zweisprachigen Gedichtband Poesie2. Alle anderen entstanden später und wurden erst nach Celans Tod im April 1970 veröffentlicht. In Leonard M. Olschners grundlegendem Werk über Paul Celan als Übersetzer heißt es, die Übersetzungen der Gedichte Rokeahs seien »nur von bedingter Bedeutung«3 für sein gesamtes Übersetzungswerk. Das ist ein bemerkenswertes Urteil, vor allem wenn man seine Begründung betrachtet. Olschner relativiert nämlich die ästhetische Aussagekraft dieser Übersetzungen insofern, als sie vorab Ausdruck des verstärkten Interesses Celans für Israel in der letzten Dekade seines Lebens, und insbesondere im Zusammenhang mit seinem Israel-Besuch vom Oktober 1969 seien. Bei einem Dichter, der - auch von Olschner - so eindeutig von seiner biographischen Grunderfahrung als Überlebender der Schoah her gelesen wird, scheint ein anderes Element seiner jüdischen Identität, die Auseinandersetzung mit Israel, gewissermaßen als Grundvoraussetzung poetologischer Devaluation zu gelten. Anhand einer der sechs Rokeah-Übersetzungen Celans sei der Versuch unternommen, zu zeigen, daß dabei nicht von einer »bedingten«, sondern eher von einer ganz bestimmten Bedeutung für das Verständnis von Paul Celans Übersetzungen aus dem Hebräischen gesprochen werden sollte. Daß diese Übersetzungen tatsächlich Sonderfälle innerhalb der Celanschen Übersetzungstätigkeit sind, ist unbestritten. Es geht schon daraus hervor, daß sie, wie in der Gesamtausgabe vermerkt, »unter Mitwirkung David Rokeahs« (GW V, 665) entstanden. Angesichts solcher »Mitwirkung« eines Dichters bei der Übersetzung seiner eigenen Gedichte mag sich die Frage stellen, worauf diese sich erstreckt: Ob sie grundsätzlich die Auswahl der Gedichte und innerhalb dieser die Wahl des einzelnen Wortes oder das gesamte Textverständnis betrifft, wie auch, ob sie bei allen sechs Übersetzungen zum Tragen kommt. Rokeah selbst hat auf diese Mitwirkung Bezug genommen, als er nach dem Tod Celans über ihr letztes Treffen in Paris Ende Februar 1970 schrieb: »Stunden im Gespräch über Gedichte, seine und meine; über Möglichkeiten und Unmöglichkeiten des Übersetzens; über Jerusalem, seines und meines.«4 Es ist sehr wohl möglich, daß damals auch das Gedicht »Banechar«, das erst 1969 entstanden und auf hebräisch erschienen war, und dessen Übersetzung besprochen wurden. Nimmt man den Terminus »Gespräch« zum Drehpunkt dessen, was unter einer »Mitwirkung« David Rokeahs an der Übersetzung seiner eigenen Gedichte zu verstehen ist5, so könnte hier allerdings 2

3

4

5

David Rokeah: Poesie. Übersetzung von Werner Bukofzer. 1.-4. Tsd, Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1962. Abgedruckt ist dort Celans Übersetzung »Zwischen Frühling und Sommer«, S. 71 u. 73. Leonard M. Olschner: Der feste Buchstab. Erläuterungen zu Paul Celans Gedichtübertragungen. Göttingen, Zürich: Vandenhoeck & Ruprecht 1985, S. 42. David Rokeah: Gedenkblatt für Paul Celan. In: Neue Zürcher Zeitung v. 12.7.1970 (Fernausgabe), S. 49. Olschner, Der feste Buchstab (wie Anm. 3), S. 13: »ein wesentliches Merkmal dichterischer Übersetzung [ist] das der Interaktion - mancher zieht das Wort >Gespräch< vor - zweier Dichter, Texte und Poetiken.«

Das Wiedererkennen des Unbekannten

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eine fast ideale Übersetzungssituation stattgefunden haben. Dann nämlich wird die »Mitwirkung« als im lebendigen Nebeneinander der Dichter selbst sich manifestierendes dialogisches Potential erfaßt, das einen Prozeß freisetzt, an dessen Ende nicht mehr nur die Übersetzung gegenüber dem Original sich lesen läßt, sondern auch umgekehrt. Somit hat dann nicht mehr nur »das Übersetzen seinen Maßstab in der Fremdheit des Originals«6, sondern ebenso das Original seinen Maßstab in der Fremdheit der Übersetzung, was eine den einzelnen Gedichtteilen folgende vergleichende Lektüre nahelegt. Peter Szondi erkennt in Walter Benjamins Übersetzungstheorie ein Primat der sprachbedingten Differenz in der »Art des Meinens« zwischen Original und Übersetzung7. Die Übersetzung des Gedichtes »Banechar« ist von diesem Aspekt her für eine Untersuchung deshalb besonders reizvoll, weil die »Fremde« an sich, welche die Differenz zwischen Übersetzung und Original bedingt, hier zugleich Thema des Originals ist. Die Übersetzung wird also die Differenz im Begriff der Fremde ausdrücken - und dies zusätzlich anhand eines Originals, zu dessen Sprache ein biographisch komplexes, zwischen Nähe und Ferne liegendes Verhältnis des Übersetzenden besteht. Celans Übersetzung von »Banechar« soll deshalb als vom Übersetzer sich anverwandelter Text gelesen werden, das heißt als Text, der mittels der sprachlichen Übertragung vom fremden zum eigenen geworden ist. Bei drei, also bei der Hälfte seiner Übersetzungen von Rokeah-Gedichten, die im hebräischen Original alle mit einem Titel versehen sind, übersetzt Celan den Titel ebenfalls - hier nicht. In einer ein Jahr nach Rokeahs Tod, im Jahre 1986, veröffentlichten Sammlung seiner auf deutsch übersetzten Gedichte ist diesem Gedicht - abgesehen von einigen anderen teils groben Abweichungen von der Übersetzung in der Celan-Werkausgabe - eine offenbar vom Herausgeber gewählte Überschrift vorangestellt, nämlich Tages. Die bei Celan-Gedichten gängige Praxis, daß der Gedichtanfang auch als Titel angeführt wird, wird dabei sicherlich ungerechtfertigt angewandt, da Celan, wenn er seine Übersetzungen mit Titeln versieht, dem Titelsinn des Originals zu entsprechen sucht, und dieser wäre hier - wenn er denn schon nachträglich eingesetzt werden muß - »In der Fremde«, oder gemäß der Publikation innerhalb des hebräischen Gedichtbandes Rokeahs: »Tage, in der Fremde«9. Der editorische Mißgriff weist indessen auf eine beachtenswerte Eigenheit in der Übersetzung selbst hin: Dem Wort »Tage« nämlich folgt bei Celan ein Komma, so daß »Jamim Banechar« nicht mit »Tage in der Fremde« übersetzt wird, sondern mit »Tage, in der Fremde«. Damit wird der Subjektcharakter des 6

7

8

9

Fritz Paepcke: Wie verändert Übersetzen ein Gedicht? Charles Baudelaire, >La Mort des Pauvres< - Paul Celan, >Der Tod der ArmendétournéSternHütteHütte< is used twice, once in the quotation »Friede den Hütten« (1:270), a foreshortening of the revolutionary slogan »Krieg den Palästen, Friede den Hütten,« and once in a poem talking of a bamboo hut (1:264). The tight stanza »in der / Hütte« translates the gingerly steps, the hesitations that must have befallen Celan as he entered the Hütte as Heidegger's guest. And then the longest - 10-line - stanza, about the lines written into the guestbook. Before Celan's actual entry, a further hesitation: who else recorded his name in the book before him? what to write in a book that probably carries the names of those Nazis that took part in the 1933 indoctrination sessions? What he actually wrote in the book is cited by Pöggeler: »Ins Hüttenbuch, mit dem Blick auf den Brunnenstern, mit einer Hoffnung auf ein kommendes Wort im Herzen. Am 25. Juli 1967 / Paul Celan.«9 In the poem, except for necessary syntactical changes, Celan transforms the actual inscription only slightly. He adds two important words: »heute« and »eines Denkenden.« »Heute«, today, indicates the burning necessity of the need for a word to come now, in this situation, in postwar Germany. The >Denkenderwith the cube of asters on it< as well as by the small rustic man with the beaming eyes. He inscribes himself in the cottage book, with a line of hope that he kept in his heart. He walked with the thinker across the soft meadows, both alone, like the individually standing flowers - the orchis and the orchis. Only on the way home did it become clear to Celan what Heidegger had murmured and what still seemed crude. He understood the daring of a thinking that another - >the man< - could also hear but without understanding it, the daring of a stepping out onto the shifting foundation, as onto beaten paths that one cannot follow to their ends...

This is followed by the poem which Gadamer in his original German text of course quotes in Celan's original German. Now, I think that after the close, if all too hasty and incomplete, reading of this poem I proposed above, Gadamer's >interpretationkilling fields«interpretationnaturally< acquired wisdom; or even, in terms of Lacoue-Labarthe's reading, as the record of Celan's despair over the man Heidegger's refusal to explain himself or come to terms with or offer apologies for his past political commitments. Celan, the displaced Jewish poet from the Bukowina, who spent his life in Paris, France, but wrote in German, wrote in that language of necessity as if/ because it was both his language, the mother tongue, and a foreign language, the other tongue. He worked both the surface and the deep layers of German, he studied words deeply, knew and studied dictionaries as few poets did. Any attempt to translate him has to deal with that aspect of his work - and despair at ever be able to render it accurately. How do I bring out in a translation the difference the change from »ie« to »a« has made? I have not found a word in English that would be truly »accurate« to the German »Waldwasen«, though »sward«, the word I am using at this point in the infinite project of revising, refining, reworking these translations (the same word is used by Michael Hamburger), and which my dictionary glosses as »Land covered with grassy turf; a lawn or meadow [...] from OE sweard, swearth, skin of the body, rind of bacon,

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Pierre Joris

etc.«, comes close and does have that »a«. But then again it does not include the difference, that essential difference Celan's »a« makes in the movement of its substitution for the »ie« of »Wiesen«. What in the original poem is truly a miseen-abîme, becomes in the English translation only a »poetic« word, albeit solid and useful enough per se, since its etymology, via the connotations of the »skin« root, creates a membrane that could possibly be porous enough to lead the reader through and into the dark underground Celan points to - without however creating that chain of meanings leading to the »fasces« connotation of Wasen. Tiring, I may be tempted to claim the exegesis, this essay, and all the other ones dealing with Celan, as the only possible >translation< of Celan. But that would be the easy way out. A translation of a poem has to be a poem. »Poetic thought« - and I take that term here to mean the thinking a poem does in its »poemness«, its poetic Eigentlichkeit - does not translate into, say, philosophical thought, or literary-critical thought. Thus the failure of Heidegger not only to understand this specific poem by Celan, but also the eerie emptyness one is left with after reading his essays on Hölderlin's poetry. But, thus also the glow of understanding one feels when reading, say, Celan's poem on Hölderlin. A poem can only translate into another poem — maybe a completely other poem, in a completely other language, in a completely other century.

José Luis Reina Palazon

Zur Übersetzung von Celans Todesfuge ins Spanische

FUGA DE MUERTE Negra lèche - la bebémos de tárde la bebémos a médiodía - de mañána la bebémos de nóche bebémos y bebémos cavámos una fósa en los áires no se yáce allí estrécho Vive un hómbre en la cása juéga con las serpiéntes - escribe al oscurecér a Alemánia tu pélo de òro Margaréte lo escribe y sàie de la cása y brillan las estréllas - silba a sús mastines silba a sús judíos háce cavár una fósa en la tiérra nos ordéna tocád a danzár Negra léche - te bebémos de noche te bebémos de mañána - a medio día te bebémos de tárde bebémos y bebémos Vive un hómbre en la cása juéga con las serpiéntes - escribe escribe al oscurecér a Alemánia tu pélo de óro Margaréte tu pélo de ceniza Sülamith cavámos una fósa en los áires no se yáce allí estrécho Grita hincád los unos más hóndo en la tierra los ótros cantád y tocád agárra el hiérro del cinto lo biànde - són sus ójos azúles hincád los unos más hóndo las pálas los ótros seguid tocándo a danzár

168

José Luis Reina Palazon

Négra léche del álba te bebémos de nóche te bebémos a mediodía - de mañána te bebémos de tárde bebémos y bebémos Vive un hómbre en la cása tu pélo de òro Margaréte tu pélo de ceniza Sulamith juéga con las serpiéntes Grita que suéne más dulce la muérte la muérte es un maèstro alemán grita más oscúro el tañido de lós violínes así subiréis como húmo en el áire así tendréis úna fósa en las núbes no se yáce allí estrécho Négra léche del álba te bebémos de nóche te bebémos a mediodía la muérte es un maèstro alemán te bebémos de tárde y mañána bebémos y bebémos la muérte es un maèstro alemán su ójo es azúl te alcánza con bála de plómo su blánco éres tú vive un hómbre en la cása tu pélo de óro Margaréte azúza sús mastines a nosótros nos regála una fósa en el áire juégo con las serpiéntes y suefla Der Tod ist ein Meister aus Deutschland dein goldenes Haar Margarete dein schenes Haar Sulamit

DIE TODESFUGE Schwarze Milch der Frühe wir trinken sie abends wir trinken sie mittags und morgens wir trinken sie nachts wir trinken und trinken wir schaufeln ein Grab in den Lüften da liegt man nicht eng Ein Mann wohnt im Haus der spielt mit den Schlangen der schreibt der schreibt wenn es dunkelt nach Deutschland dein goldenes Haar Margarete er schreibt es und tritt vor das Haus und es blitzen die Sterne er pfeift seine Rüden herbei er pfeift seine Juden hervor läßt schaufeln ein Grab in der Erde er befiehlt uns spielt auf nun zum Tanz

Zur Übersetzung von Celans Todesfuge ins Spanische

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Schwarze Milch der Frühe wir trinken dich nachts wir trinken dich morgens und mittags wir trinken dich abends wir trinken und trinken Ein Mann wohnt im Haus der spielt mit den Schlangen der schreibt der schreibt wenn es dunkelt nach Deutschland dein goldenes Haar Margarete Dein aschenes Haar Sulamith wir schaufeln ein Grab in den Lüften da liegt man nicht eng Er ruft stecht tiefer ins Erdreich ihr einen ihr andern singet und spielt er greift nach dem Eisen im Gurt er schwingte seine Augen sind blau stech tiefer die Spaten ihr einen ihr andern spielt weiter zum Tanz auf Schwarze Milch der Frühe wir trinken dich nachts wir trinken dich mittags und morgens wir trinken dich abends wir trinken und trinken Ein Mann wohnt im Haus dein goldenes Haar Margarete Dein aschenes Haar Sulamith er spielt mit den Schlangen Er ruft spielt den Tod der Tod ist ein Meister aus Deutschland er ruft streicht dunkler die Geigen dann steigt ihr als Rauch in die Luft dann habt ihr ein Grab in den Wolken da liegt man nicht eng Schwarze Milch der Frühe wir trinken dich nachts wir trinken dich mittags der Tod ist ein Meister aus Deutschland wir trinken dich abends und morgens wir trinken und trinken der Tod ist ein Meister aus Deutschland sein Auge ist blau er trifft dich mit bleierner Kugel er trifft dich genau Ein Mann wohnt im Haus dein goldenes Haar Margarete er hetzt seine Rüden auf uns er schenkt uns ein Grab in der Luft er spielt mit den Schlangen und träumet der Tod ist ein Meister aus Deutschland dein goldenes Haar Margarete dein aschenes Haar Sulamith

Ist Celan übersetzbar? Die Frage ist angemessen, wenn man die Radikalität seiner Sprache berücksichtigt, wenn man dem Reichtum an neuen Wortschöpfungen, an innovativen Verbindungen verschiedenster semantischer Felder, an syntaktischen und phonetischen Assoziationen und Paradoxien in Celans Dichtung Rechnung trägt. Inwieweit kann ein Übersetzer dieser Radikalität folgen und in einer fremden Sprache diese neuen sprachlichen Realitäten des Originals wiedergeben?

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José Luis Reina Palazon

Celan selbst hat vom Gedicht gesagt, es sei »das sich Vorschreibende, das einem Vorgeschriebene, man muß ihm mit einem Leben folgen«1. Dasselbe ließe sich auch für den Akt des Übersetzens sagen. Aber während das Gedicht unmittelbar das Leben des Dichters in dem Akt seiner Schöpfung impliziert, weiß der Übersetzer, daß eben die mittelbare Distanz durch die eigene Sprache der Weg zum Spracherlebnis des Dichters ist. Ob dieses nacherlebt werden kann, hängt prinzipiell nicht von der Ähnlichkeit der Sprachen ab, sondern von der Ähnlichkeit der Be-geisterung für und durch eine (eigene) fremde Erfahrung und ihre Vermittlung durch die (fremde) eigene Sprache. Übersetzen heißt somit sich zu begeistern für und durch das Fremdsein im eigenen Haus, im Haus der eigenen Sprache. Der Weg zum Anderen führt durch die Fähigkeit, sich für und durch dessen Erfahrung zu begeistern. In dieser Verfremdung unserer Sprache erweitern wir ihre ebenso wie unsere Identität durch die fremde Erfahrung. Ob man sich für die Erfahrungen und die neuen Wirklichkeiten von Celans Dichtung begeistern kann, hängt zunächst einmal von dem eigenen Interesse an der Einmaligkeit dieser Erfahrungen ab. Einmalig sind diese Erfahrungen nicht nur sprachlich, sondern auch als Zeugnisse von Celans persönlichem Leiden und vom Leiden seines Volkes, wie es in den Dichtungen festgehalten wird. Nur über ein Nachvollziehen dieses Leidens, in Eingedenken mit ihm, ist eine gelungene Übertragung in eine andere Sprache bzw. in eine andere Erfahrung möglich. Das Finden der richtigen Wörter oder der entprechenden semantischen Codes ist eine notwendige Voraussetzung. Ihre Be-geisterung aber, die Wiederbelebung der zu vermittelnden Erfahrung, ihr Sinnzusammenhang, ja ihre Auswahl selbst, hängt von der entsprechenden Sensibilisierung für die erinnernde Wirklichkeit dieser Lyrik ab. Diese Sensibilisierung bedeutet zugleich das Bewußtsein der Radikalität, des Andersseins der Celanschen Erfahrung und schafft den Respekt vor seinem persönlichen Schicksal. Eben dieses Bewußtsein kann, in seiner Distanz, das notwendige Erstaunen vor seiner Einmaligkeit und dadurch die Begeisterung für und durch sein Werk als gelungene Wirklichkeit seiner Erfahrung ermöglichen. Die Beschäftigung mit Paul Celans Biographie ist für den Übersetzer unerläßlich, soweit die Kenntnis seines Lebens seine Sprachbilder beleuchten kann, aber zugleich ist zu berücksichtigen, daß gerade diese Sprachbilder auch sinngebend auf das Leben wirken. Der Übersetzer als idealer Leser arbeitet immer an einem Bild, an dem endgültigen und unendlichen, menschlichen und transzendenten Bild des Dichters. Dessen Leben wird ständig erneuert in der menschlichen Transzendenz, die das Werk auf das Leben projiziert. So wird seine menschliche Präsenz mit 1

In Axel Gellhaus u. a.: >Fremde Nähea< von »negra« und »tarde« erweitert wird. Die zahlreichen >e< entsprechen den dunklen Vokalen des Originals und ermöglichen, phonetisch im spanischen Vers einen tiefen Kontrast zwischen Objekt, Handlung und Zeit herzustellen. Es ergibt sich eine Stimmung von spannender Ermüdung. wir trinken und trinken bebémos y bebémos

Hier kann ein heptasilabo (Siebensilbler) mit Betonung in der zweiten und sechsten Silbe und trochäischem Rhythmus dem Original entsprechen. Die drei Silben zwischen den Hebungen machen den Rhythmus auch hier langsamer und die labialen Konsonanten weicher. Die Wiederholung der Silbe >be< intensiviert die Last der Handlung, was auch der Stimmung des ersten Verses entspricht. da liegt man nicht eng nó se yáce allí estrécho

Es ist nicht möglich, der strengen Betonung des Originals am Ende des Wortes mit eng, (von Celan in der Schallplattenaufnahme >enk< ausgesprochen) auf Spanisch zu entsprechen. Meine Übersetzung bringt einen octosílabo (Achtsilbler) mit einem regulären trochäischen Rhythmus, der diesen >Mangel< kompensiert. Eine andere Möglichkeit mit vokalischer Betonung am Ende wäre: no se está angósto allí. Aber damit würde die Konnotation von »(tot-)liegen« verlorengehen, die »yace« genau wiedergibt. Auch die dunklere Vokalisation des Versendes spricht für die in der Übersetzung getroffene Entscheidung. Sie kontrastiert mit dem Anfang (cavamos una fosa) und betont damit das Grauen. der spielt mit den Schlangen der schreibt juéga con las serpiéntes - escribe

Die Alliteration des Originals ist im Spanischen unmöglich reproduzierbar. Etwas näher käme man mit dem Ersetzen von »juega« durch »espillar«, einem Germanismus, der aus »Spiel« abgeleitet ist. Aber »espillar« ist eigentlich eine

Zur Übersetzung von Celans Todesfuge ins Spanische

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Wörterbuchkuriosität, kein geläufiges Wort. Außerdem wurde es mehr im Sinn von »Karten spielen« gebraucht. Immerhin erscheint bei »juega« auch der Vokal >e< von »serpientes« und »escribe«, was einge gewissen phonetische Verbindung herstellt, die mit dem trochäischen Rhythmus dieses endecasílabo (Elfsilblers) unterstrichen wird. wenn es dunkelt nach Deutschland al oscurecer a Alemania

Auch die bedeutungsvolle Alliteration von »dunkelt« und »Deutschland« ist mit den entsprechenden Worten auf Spanisch, »oscurecer« und »Alemania« nicht herstellbar. Nur wenn man die Kontraktion der Präposition >a< und der Artikel »el« in »al« in Verbindung mit dem Infinitiv des Verbes »oscurecer« als zusammengehörigen adverbialen Ausdruck betrachtet, (»al oscurecer«), kann man die alliterative Konnotation miteinbeziehen. Die Vokale von »oscurecer« entsprechen der Alliteration des Originals, und die Wiederholung des >e< verbindet die Konnotation von Dunkelheit mit dem Substantiv. dein goldenes Haar Margarete dein aschenes Haar Sulamith tu pelo de oro Margarete tu pelo de ceniza Sulamith

Wenn man auf Spanisch beide Verse mit >tu(s) dorado(s) cabello(s) Margarita / tu(s) ceniciento(s) cabello(s) Sulamita< übersetzte, was grammatikalisch korrekt wäre, ergäbe sich im Spanischen eine Disjunktion zwischen dem etwas romantisierenden, aber literarisch immerhin akzeptablen Klang des ersten Verses und der gebräuchlichen des zweiten, wobei »ceniciento« im Sinn von »zeitlich veraltend« gebraucht wird. Die Entscheidung für »pelo de oro / pelo de ceniza« wird getragen von der Konkretheit, ja Betonung der Materialität und zugleich Emotionalität des Wortes »pelo« in der alltäglichen persönlichen Sprache, die in den den anderen Substantiva (oro, ceniza) hier weiterklingt. Die beiden Eigennamen des Originals wurden in den spanischen Text übernommen, um nicht einen zusätzlichen Reim (Margarita / Sulamita) einzuführen. sein Auge ist blau er trifft dich genau su ojo es azul su blanco eres tú

Der einzige Reim des Gedichts wird reproduziert dank einer nicht wörtlichen Übersetzung von »er trifft dich genau«, »su blanco eres tú«: »sein Ziel bist du«. Daß das Ziel getroffen wird, geht aus einem früheren Vers ausdrücklich hervor: »er trifft dich mit bleierner Kugel«: »te alcanza con bala de plomo«.

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José Luis Reina Palazon

Mit der Hervorhebung des Personalpronomens durch seine besondere Stellung am Ende des Verses betont die spanische Wendung »su blanco eres tú«, daß der Meister kein anderes Ziel als dieses Du hat und will. Der Tod ist ein Meister aus Deutschland la muérte es un maèstro alemán Die harte Kohärenz des daktilischen Rhythmus, das gleich männliche Geschlecht von »Tod« und »Meister« im Original finden eine Parallelität durch die Alliteration von »muerte« und »maestro« im Spanischen, wo der Tod weiblich ist und in anapästischen Klang dieses endecasílabo (Elfsilblers) mit seiner Endebetonung. Trotzdem ist der deutsche Refrain so beeindruckend, daß er am Ende des spanischen Textes beibehalten werden soll. Ich habe die Hebungen des spanischen Rhythmus und die Trennung der Verse, die sich dadurch ergeben, angegeben, um die Lektüre zu erleichtern. Es wird ersichtlich, daß die meisten Verse 14, 11, 8 oder 7 Silben und ein anapästische oder trochäische Metren aufweisen, wie sie im Spanischen sehr häufig sind. Damit wird versucht, dem Text seine eigentliche Identität in einer fremden Sprache zu verleihen.

Shimon Sandbank

Being and Indeterminacy: Celan in Hebrew

My title, though it may sound somewhat pretentious, is only meant to point to two very concrete, indeed almost technical, difficulties that I repeatedly faced while working on a Hebrew translation of selected poems by Celan. One difficulty, or rather group of difficulties, had to do with the way Celan metaphorically derives Being out of language; the other, with the way he uses certain indeterminacies of the German language to leave his meanings open. While both difficulties seemed more or less insoluble, the latter was particularly so. The different degree of difficulty had to do with the fact that what may be called for the sake of simplicity the »difficulties of Being« were the result of what Hebrew could not do, whereas the »difficulties of indeterminacy« were created by what Hebrew must do. This distinction is borrowed from Roman Jakobson's »On Linguistic Aspects of Translation« 1 . »Languages«, Jakobson says there, »differ essentially in what they must convey and not in what they may convey«2. An example he quotes is from the Russian, which must convey the gender of its equivalent for »worker«, while English can leave it unspecified. The same holds for Hebrew: it must - to get closer to my specific difficulties with Celan - convey the gender of the second person singular pronoun, unlike German (or English, for that matter) which can leave it open. This problem is insoluble because it cannot be circumvented. My difficulties with evolving Being out of language, on the other hand, though severe enough, were not created by what Hebrew was required to do, but by what it could not do, and this could sometimes be circumvented, though at a cost: a problem on one level of language could often be solved on another level. The problem, in the last analysis, was technical rather than essential, as in the other case.

1

2

Roman Jakobson: On Linguistic Aspects of Translation. In: On Translation. Ed. by Reuben A. Brower. New York: Oxford University Press 1966, pp. 232-239. Ibid., p. 236.

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Shimon Sandbank

1

To take what I call the »difficulties of Being« first, they are a radical form of the wider difficulty of translating any text in which language is used in what Jakobson calls its »Poetic Function«. Since the Poetic Function focuses on form and makes it part of the meaning, the change that form undergoes in translation is always a major problem. What makes this problem doubly difficult in Celan is that the form of language, its physical aspect, is often what establishes Being for him. When it changes in translation, the linguistic gestures that enact the establishment of Being through language must necessarily crumble. To make this clearer, let us take an example that is not what I mean. When Celan combines the word »Gedicht« with »nicht« into the neologism »Genicht«3, the Hebrew translator will have to make do without the sound affinity between the two words, for the simple reason that there is no such affinity in Hebrew. The Hebrew equivalent of »Genicht«, thus, may do justice to the cognitive value of the German neologism, but, missing its sound, will necessarily miss the semantic implications of its sound: the finer nuances of the relationship between poetry and negativity which are conveyed, for instance, by »Gedicht« engulfing »nicht«, or by »nicht« replacing the »dicht« in »Gedicht«, etc. But if this is the sort of difficulty that Celan shares with other poets, what is peculiarly his own is a device, or rather group of devices, by means of which he makes the physical side of language not only participate in the signification of Being, but establish Being, as it were. I have neither the qualifications nor the space to discuss the philosophical background of this difficult idea, its possible roots in Heidegger's »Language is the house of Being« or in Jewish mysticism. All I would like to show is how it manifests itself, why Hebrew cannot reproduce some of its manifestations, and how I tried to cope with them.

1.1 The transition from small to capital letters In the poem »Psalm«, »niemand« with a small η is soon replaced by »Niemand« with a capital N: Niemand knetet uns wieder aus Erde und Lehm, niemand bespricht unser Staub. Niemand. Gelobt seist du, Niemand.4

3

4

Paul Celan: Gesammelte Werke in fünf Bänden. Ed. by Beda Allemann and Stefan Reichert. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1983, Vol. 2, p. 31. Ibid., Vol. 1, p. 225.

Being and Indeterminacy: Celan in Hebrew

177

Through this quick transition, a negative pronoun becomes an (anomalous) noun, a name that negates all names, establishing a paradoxical, absurd existence, but still an existence. The transformation of negation into being, which is the very core of the poem, can be conveyed to the Hebrew reader through some other means (e.g. by the very fact that a »No-one« is spoken to), but the particular device of shifting from a small letter to a capital letter cannot be reproduced in Hebrew, for the simple reason that Hebrew has no capitals. In the following lines from »Radix, Matrix«, what is capitalized is an adverb: dieses Hinab ist die eine der wildblühenden Kronen.5

The capitalized »Hinab« turns the adverb into a (once again anomalous) noun, thus making the void blossom into Being. The Hebrew equivalent I used was the definite article Π 6 , which, placed in front of the adverb, turns it into a noun no less ungrammatical than the capitalized adverb in German. Thus, the definite article could partly make up for what Hebrew cannot do by means of capitalization.

1.2 Negative pronoun with positive verb »Niemand kann«, a negative pronoun followed by a non-negated verb, is normal in German (and English) but impossible in Hebrew, which negates the verb, not the pronoun (»one cannot«, not »no-one can«). Assigning action to a negative pronoun, the German form can be said to activate that which is negated, or evolve Being out of non-being. In the lines from »Engführung«, »Nichts, / nichts ist verloren«7, the negative »nichts« is given the copula »ist« which, used also existentially (a favourite device of Rilke's), lends existence to »nichts«. On the other hand, the initial »nichts«, capitalized because of its position at the beginning of the sentence, also turns into a noun meaning »nothingness.« The line, then, means not only »nothing is lost«, but also »nothingness is lost«. Similarly, the words »Filr-niemand-und-nichts-Stehn« can be understood to mean »To stand-for-no-one-and-nothing«, as in Michael Hamburger's English version8. But they can also mean »to stand for nothingness«, be responsible for it, take responsibility for the void, which is very different from shirking responsibility altogether. 5 6

7 8

Ibid., p. 240. Paul Celan: Soreg Safa. Selected Poems and Prose [Hebrew]. Trans, by Shimon Sandbank. Tel-Aviv: Hakibutz Hameuchad 1994, p. 57. Ibid., p. 204. Ibid., Vol. 2, p. 23. Cf. Paul Celan: Poems. Trans, by Michael Hamburger. New York: Persea Books 1980, p. 181.

178

Shimon Sandbank

1.3 Sound establishing Being Concerning sound, the translator's problem, as said earlier, is no different from the general difficulty of reproducing significant sound-effects in any verse translation, except that Celan at times uses sound, not just to signify Being, but to create it metaphorically. In the following lines, for instance, Mit erdwärts gesungenen Masten fahren die Himmelwracks 9

- the word »gesungenen« (sung) is an implicit pun on »gesunkenen« (sunk), which would be the more natural choice in this context of a shipwreck. But the poem speaks about the miraculous rescue of the ships of God through poetry: by being sung, the sunk boats are resurrected. Thus, sound affinity is the only means in the poem of bringing a sinking God back to life. A more complex case is that of the poem »Einmal« which ends with the following lines: Eins und Unendlich, vernichtet, ichten. Licht war. Rettung. 10

Sound affinity makes it literally possible in this case for light (Licht) to break out of nothingness (»nicht«, included in »vernichtet«, with an implicit reference to »Nacht« as well), and provides the means of achieving this: by »ichten«, that is becoming I. The annihilated One becomes I, and salvation follows. A complex notion of personal salvation takes place in and through sound. Hebrew, which lacks such sound-links between »light«, »nothingness«, and »I«, must manage with the cognitive content of Celan's lines plus a much feebler association betweeen the relevant sounds.

2 My second type of difficulty had to do with indeterminacy and with what the Hebrew speaker is required to do rather than cannot do. The example I mentioned earlier is the second person singular pronoun, whose gender in Hebrew, unlike German, is marked. While working on the translation of Celan's poems, 9 10

Celan, Gesammelte Werke (note 3), Vol. 2, p. 20. Ibid., p. 107.

Being and Indeterminacy: Celan in Hebrew

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I discovered the indeterminacy of the addressee's gender to be of paramount importance, and the need to mark it in the Hebrew version - a major loss. To make this clearer, let me take the example of the poem »Blume«: Der Stein. Der Stein in der Luft, dem ich folgte. Dein Aug, so blind wie der Stein. Wir waren Hände, wir schöpften die Finsternis leer, wir fanden das Wort, das den Sommer heraufkam: Blume. Blume - ein Blindenwort. Dein Aug und mein Aug: sie sorgen für Wasser. Wachstum. Herzwand um Herzwand blättert hinzu. Ein Wort noch, wie dies, und die Hämmer schwingen im Freien.11

»Dein Aug« can be said either to a woman or a man. Since the Hebrew required that I choose between the two, and since the tone and imagery of the poem seemed to suggest a love poem, I was first inclined to translate »Dein Aug« as (einech), which means »your eye« when addressed to a woman. Later, however, I learned that the poem had been addressed to Eric, the poet's young n son, and I changed î7 to the masculine form, Τ (eincha). What turned out to be at stake, however, was much more than the confusion between the two concrete personae, male and female. Hans-Georg Gadamer, who devoted an entire book to the question of Wer bin Ich and Wer bist Dui in Celan, has the following to say about the addressee in »Blume«: [B]y the end, what is definitely individual on this occasion has passed into the definitely general, which stands for eveiyone. Mutual growth can take place in very different configurations: in the spiritual sphere of a memory, which brings the dead back to life, in the actual sphere of a love-encounter [...] and also in the growing rapprochement between father and son - which is, it turns out, what the poet >meant< [...]12

11 12

Ibid., Vol. 1, p. 164. Hans-Georg Gadamer: Wer bin ich und wer bist Du? Ein Kommentar zu Paul Celans Gedichtfolge >Atemkristalk. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1986, p. 119 [my translation].

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Shimon Sandbank

To Gadamer, »Blume« transcends its >correct< reading as addressing Celan's son, but also its other reading as love-poem, or any other reading for that matter, and addresses some general »you«, constantly filled in by its respective reader: Thus, the identity of I and you in these poems is very uncertain [...]. Is it love poetry? Is it religious poetry? Is it the soul's dialogue with itself? [...] But who is this >you