Platons 'Parmenides': Probleme der Interpretation 9783110854299, 3110095998, 9783110095999

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Platons 'Parmenides': Probleme der Interpretation
 9783110854299, 3110095998, 9783110095999

Table of contents :
Vorwort
Einleitung
Teil I: Die beiden Argumente vom ,Dritten Menschen‘ und das Problem der Selbstprädikation
Die Form des Arguments Parm. 132a 1—b2
Das Problem der Selbstprädikation bei Platon
Allgemeine Bemerkungen zum Begriff der Selbstprädikation
Ambiguität und Standards
Über ‚Paulinische Prädikationen‘
Die Identitätslesart
Die These von J. S. Clegg
Sind platonische Ideen selbstprädikativ?
Das Ähnlichkeitsargument
Zur Funktion des Ähnlichkeitsarguments
Teil II: Die Dialektische Übung
Die Bemerkungen zur Methode
Zenons Paradoxon und das Problem des Widerspruchs bei Platon
Probleme und Pseudoprobleme mit der Hypothesis
Zur Kritik der neuplatonischen Hypothesendeutung
Die anti-eleatische Interpretation
Zellers Hypothesendeutung
Die Analyse des ,ἓν ἔστιν‘
Die erste Deduktion der Dialektischen Übung
Die Argumente zu Identität/Verschiedenheit (Parm. 139b4—e6)
Zur Interpretation der zweiten Argumentfolge (Parm. 142b 1—155e3)
Der Ansatz von A2
Die Argumente Parm. 144e—145e
Identität und Verschiedenheit (Parm. 146a9-147b8)
Ähnlichkeit und Unähnlichkeit in A2
Zusammenfassung zur 2. Deduktion
Die sogenannte ,dritte Hypothese‘ und die Aporien der Synthesis-Theorie
Das Paradoxon der Veränderung
Die Argumentfolgen B1 und B2
Die negierte Hypothesis und die Probleme des μὴ ὄν
Schluß
Literaturverzeichnis
Stellenverzeichnis

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Rudolf-Peter Hägler · Platons .Parmenides'

W DE

G

Quellen und Studien zur Philosophie Herausgegeben von Günther Patzig, Erhard Scheibe, Wolfgang Wieland

Band 18

Walter de Gruyter · Berlin · New York 1983

Platons ,Parmenidesc Probleme der Interpretation

von Rudolf-Peter Hägler

Walter de Gruyter · Berlin · New York 1983

CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Hägler, Rudolf-Peter: Platons „Parmenides" : Probleme d. Interpretation / von RudolfPeter Hägler. - Berlin ; New York : de Gruyter, 1983. (Quellen und Studien zur Philosophie ; Bd. 18) ISBN 3-11-009599-8 NE: GT

1983 by Walter de Gruyter & Co., vormals G. J. Göschen'sche Verlagshandlung · J Guttentag, Verlangsbuchhandlung · Georg Reimer · Karl J. Trübner · Veit & Comp., Berlin 30, Genthiner Straße 13. Printed in Germany Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es auch nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf photomechanischem Wege (Photokopie, Mikrokopie, Xerokopie) zu vervielfältigen Satz und Druck: Arthur Collignon GmbH, Berlin Einband: Lüderitz & Bauer, Berlin

Vorwort Die vorliegende Untersuchung ist die überarbeitete und gekürzte Fassung meiner Dissertation, die im Wintersemester 1979/80 vom Fachbereich Philosophie der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität in Frankfurt am Main angenommen wurde. Den Herausgebern der ,Quellen und Studien zur Philosophie' danke ich für die Aufnahme dieser Arbeit in ihre Reihe. Herr Professor Dr. Erhard Scheibe gab mir wichtige Hinweise zur Korrektur. Mein Dank gilt auch dem Verlag Walter de Gruyter und seinen Mitarbeitern. Besonderen Dank schulde ich dem Anreger und Betreuer dieser Arbeit, Herrn Professor Dr. Rüdiger Bubner, für seine Förderung und hilfreiche Kritik, nicht zuletzt aber für die Geduld, die er in all diesen Jahren mit mir hatte. Tübingen, im Mai 1983

Rudolf-Peter Hägler

Inhaltsverzeichnis Vorwort Einleitung

V l

Teil I: Die beiden Argumente vom ,Dritten Menschen' und das Problem der Selbstprädikation Die Form des Arguments Parm. 132al—b2

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Das Problem der Selbstprädikation bei Platon 16 Allgemeine Bemerkungen zum Begriff der Selbstprädikation . . . . 18 Ambiguität und Standards 22 Über ,Paulinische Prädikationen' 31 Die Identitätslesart 35 Die These von J. S. Clegg 41 Sind platonische Ideen selbstprädikativ? 45 Das Ähnlichkeitsargument

61

Zur Funktion des Ähnlichkeitsarguments

66

Teil II: Die Dialektische Übung Die Bemerkungen zur Methode Zenons Paradoxon und das Problem des Widerspruchs bei Platon Probleme und Pseudoprobleme mit der Hypothesis Zur Kritik der neuplatonischen Hypothesendeutung Die anti-eleatische Interpretation Zellers Hypothesendeutung Die Analyse des , '

79 87 99 99 104 108 Ill

Die erste Deduktion der Dialektischen Übung 121 Die Argumente zu Identität /Verschiedenheit (Parm. 139b4-e6) 130

VIII

Inhaltsverzeichnis

Zur Interpretation der zweiten Argumentfolge (Parm. 142bl—155e3) Der Ansatz von A2 Die Argumente Parm. 144e—145e Identität und Verschiedenheit (Parm. 146a9-147b 8) Ähnlichkeit und Unähnlichkeit in A 2 Zusammenfassung zur 2. Deduktion

138 138 154 161 167 171

Die sogenannte ,dritte Hypothese' und die Aporien der SynthesisTheorie 175 Das Paradoxon der Veränderung 181 Die Argumentfolgen B l und B 2 Die negierte Hypothesis und die Probleme des

185 öv

194

Schluß

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Literaturverzeichnis

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Stellenverzeichnis

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Άλλα μέντοι, είπεν ό Παρμενίδης, ει γέ τις δη, ώ Σώκρατες, αύ μη έάσει είδη των όντων είναι, εις πάντα τα νυνδή και άλλα τοιαύτα άποβλέψας, μηδέ τι όριεΐται είδος ενός εκάστου, ουδέ οποί τρέψει την διάνοιαν έξει, μη έών ίδέαν των όντων εκάστου την αυτήν αεί είναι, και ούτως την του διαλέγεσθαι δύναμιν παντάπασι διαφθερεΐ. Platon, Parmenides

Einleitung Platons Dialog ,Parmenides' gilt als schwierig und dunkel. Er d rfte das meistumstrittene Werk im corpus platonicum sein, ja man wird M he haben, einen klassischen Text der Philosophie zu finden, der hnlich kontrovers diskutiert wurde: w hrend einige Interpreten im ,Parmenides' die wahre Ontologie und Theologie Platons zu entdecken hofften, sahen andere in diesem Dialog nur eine logische bung oder einen etwas lang geratenen philosophischen Witz. Damit sind nur die Extreme markiert, zwischen denen sich ein breites Spektrum verschiedenartigster Interpretationsans tze erstreckt. Platon kann nicht ganz unschuldig daran sein, da der Text derart divergierende Auslegungen erfuhr. Der ,Parmenides' setzt sich aus zwei Teilen zusammen, von denen der erste die Ideenhypothese des jungen Sokrates kritisiert, wogegen im zweiten Dialogteil hypothetische Er rterungen ber ,das Eine' vorgetragen werden. Da Platon weder zur Ideenkritik Stellung nimmt, noch die Paradoxien der ,Dialektischen bung' eigens kommentiert, bleibt der Leser ber die Funktion beider Teile ebenso im unklaren, wie ber die Art ihres Zusammenhangs und den Zweck des Ganzen. Die zentralen Fragen der ,Parmenides'-Interpretation entziehen sich somit einem direkten Zugriff. Um sie zu beantworten, wird man sie zun chst durch andere Fragen ersetzen m ssen. Die folgenden Bemerkungen dienen der Exposition einer spezifizierteren Fragestellung. Zugleich werden einige Thesen vorgestellt, die im Laufe der Untersuchung n her zu begr nden sind. I. Es ist viel dar ber gestritten worden, ob die Aporien des ersten Dialogteils als Selbstkritik Platons zu verstehen sind, oder ob sich die ideenkritischen Argumente lediglich gegen naive Derivate und Zerrbilder der platonischen Theorie richten. Wenn zun chst auch vieles f r die zweite

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Einleitung

Möglichkeit zu sprechen scheint — einige der vorgetragenen Theoriestücke sind sicherlich unplatonisch, etwa die Verdinglichung der Teilhabe-Beziehung oder die Noemata-Konzeption der Ideen — so kann doch nicht ausgeschlossen werden, daß Platons eigene Theorie betroffen ist. Denn es gibt im ersten Dialogteil Einwände, die sich nicht so leicht von der Hand weisen lassen. Dazu gehören besonders jene Regreßargumente, die unter dem Namen ,Der dritte Mensch' bekannt sind. Die Frage, ob die Ideenlehre selbst in die Aporien des ersten Teils verstrickt ist, läßt sich nur beantworten, wenn Funktion und Struktur der beiden Regreßargumente Parm.l32a und 132d hinreichend geklärt sind. Zu diesem Thema sind zahlreiche Untersuchungen erschienen. Da die ,Tritos-Anthropos'-Debatte nahezu ausschließlich in der englischsprachigen Literatur ausgetragen wurde und hierzulande wenig Echo fand, wird man sie nicht als allgemein bekannt voraussetzen dürfen. Im ersten Abschnitt dieser Arbeit werden deshalb einige Argumente und Resultate aus der Diskussion um den ,Dritten Menschen' vorgestellt und kritisch beleuchtet. Man wird nicht behaupten können, daß die Probleme, die sich aus dem Argument ,Dritter Mensch' ergeben, schon konsensfähig gelöst sind. Die hauptsächliche Schwierigkeit, die an den Kern der platonischen Philosophie rührt, ist die sogenannte Selbstprädikation der Ideen. Der ,Dritte Mensch' setzt implizit voraus, daß eine Idee selbst die Eigenschaft hat, die Einzeldinge nur aufgrund der Teilhabe an dieser Idee besitzen. Sind platonische Ideen aber selbstprädikativ, so läßt sich zusammen mit anderen Prämissen des Arguments ein infiniter Regreß von Ideen oder gar ein Widerspruch ableiten. Wenn sich also zeigen sollte, daß die Prämissen platonisch sind, wäre die Ideenlehre durch das Tritos-Anthropos-Argument strikt widerlegt. Hat Platon die Ideen in den ,mittleren' Dialogen selbstprädikativ konzipiert? Erkannte er die versteckten Voraussetzungen des Arguments? Wie können Ausdrücke, die Selbstprädikationen zu enthalten scheinen, gedeutet werden, wenn die platonische Theorie gegen den infiniten Regreß verteidigt oder vor Widersprüchen bewahrt werden soll? Auf diese Fragen steht eine befriedigende Antwort immer noch aus. Im ersten Teil dieser Untersuchung wird zunächst gezeigt, daß einige plausibel anmutende Erklärungen der Selbstprädikation nicht zu halten sind. Weiter soll nachgewiesen werden, daß Platon im ,Parmenides' wenigstens insoweit auf das Selbstprädikationsproblem antwortet, als er jene Ideenkonzeption ad absurdum führt, die in den Ideen perfekte Verkörperungen von Eigenschaften erblickt.

Einleitung

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II. Das in der Literatur recht stiefkindlich behandelte zweite Regreßargument Parm.l32d—133 a bereitet vergleichbare Schwierigkeiten. Im Ähnlichkeitsargument kritisierte Parmenides den Paradigmatismus der Ideen, der von Sokrates zur Erklärung der Teilhabe vorgeschlagen wird. Wenn die Ideen Paradigmata sind und Einzeldinge diesen ähnliche Nachbildungen, scheint sich ein infiniter Regreß paradigmatischer Ideen zu ergeben. Es wird zu prüfen sein, ob das Ähnlichkeitsargument die gleichen Prämissen voraussetzt wie das erste Regreßargument, oder ob es formal und inhaltlich eigenständige Bedeutung besitzt. Da Platon im ,Staat' und im ,Timaios' die Ideen als Paradigmata faßt, wird man die Relevanz dieses Arguments für die Ideentheorie nicht unterschätzen dürfen. Wird die paradigmatische Ontologie durch das Ähnlichkeitsargument widerlegt oder setzt es unplatonische Prämissen voraus? III. Einen recht deutlichen Hinweis für die Beurteilung der Ideenkritik gibt Platon in der kurzen Überleitung zum zweiten Dialogteil. Der platonische Parmenides bemerkt, daß nur ein vortrefflicher Mann zeigen kann, wie es sich wirklich mit den Ideen verhält: Wer die Ideen aus den genannten Gründen verwirft, der hebt alle Sicherheit im Denken und damit auch die Möglichkeit vernünftiger Unterredung auf. Es ist kaum vorstellbar, daß Platon mit diesen Worten der Ideenlehre den Abschied gibt, denn der Kritiker der sokratischen Ideenhypothese nennt selbst gute Gründe, die für ein Festhalten an den Ideen sprechen. Die Einwände sind offenbar nicht unwiderleglich — der junge Sokrates war nur ein schlechter Verteidiger seiner Theorie. Um Fehler und Unterstellungen der gegnerischen Argumentation sowie problematische Voraussetzungen seiner eigenen Hypothese zu durchschauen, ist der junge Philosoph noch zu ungeübt. Parmenides empfiehlt deshalb ein dialektisches Training. Nun wäre allerdings kaum zu verstehen, wie der ,Parmenides' in den Ruf der rätselhaften Schrift des corpus platonicum kommen konnte, wenn der zweite Dialogteil die explizite Antwort auf die Aporien des ersten Teils enthielte. Bei näherer Betrachtung scheint aber beide Teile nicht mehr zu verbinden, als daß sie eben zu einem Dialog gehören. Sollten die Dialogteile heterogen sein, wird man vom ersten Teil keine Aufschlüsse über den zweiten erwarten können und umgekehrt. Die beträchtlichen Unterschiede zwischen beiden Dialoghälften — Übergang von indirekter zu direkter Rede, Ablösung des Sokrates durch einen jungen Mann namens Aristoteles als Gesprächspartner, Wechsel in Stil und Thematik der Argumentation — genügen jedoch nicht als Belege dafür, daß sie unabhängig voneinander entstanden und eher zufällig verbunden wur-

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Einleitung

den. Solange keine überzeugenden Gegengründe vorliegen, muß es erfolgversprechender erscheinen, als Arbeitshypothesen von der inneren Einheit des Dialogs auszugehen. IV. Die ,Dialektische Übung' besteht aus acht — nach anderer Lesart neun — separaten Deduktionen oder Argumentreihen, in denen jeweils Folgerungen aus einer Hypothesis entwickelt werden. Die Hypothesis lautet für die ersten vier Argumentfolgen: , ', für die zweiten vier: , ', wobei zunächst die Konsequenzen für das Eine selbst, anschließend die Folgen für »Anderes' betrachtet werden sollen. Ausgehend von der Hypothesis wird in jeder Argumentreihe erörtert, ob Prädikate der Gestalt, des Ortes, der Bewegung, der Identität usw. auf den Untersuchungsgegenstand anwendbar sind oder nicht. In der ersten Deduktion werden dem Einen alle Bestimmungen abgesprochen, in der zweiten alle zugesprochen. Auch in der Folge wird jeder ,negativen' Argumentreihe eine ,positive' an die Seite gestellt, so daß sich der zweite Dialogteil insgesamt als ein kunstvoll angelegtes Paradoxon präsentiert. Für ein angemessenes Verständnis der , Dialektischen Übung' gilt es zuerst, die Diskrepanz zwischen Programm und Durchführung sowie die Fragen nach dem Gegenstand der Untersuchung und dem Sinn der Hypothesis zu klären. Liegen ,positiven' und ,negativen' Deduktionen etwa unterschiedliche Hypothesen zugrunde? Was ist eigentlich jenes Eine, von dessen Sein oder Nichtsein ausgegangen wird? Ist nur eine logische Spielmarke, die jeweils verschiedene Gegenstände oder Klassen von Gegenständen vertritt? Eine besondere Bedeutung kommt der Frage nach der Natur der Widersprüche zu, die im zweiten Dialogteil auftreten. Sind die Widersprüche echt, muß jeder Versuch einer ,positiven' Deutung — etwa im Sinne eines ,ontologischen Gesamtentwurfs' — fehlschlagen. Um diese Möglichkeit zu retten, müßte man entweder die Inkompatibilität der Resultate bestreiten oder versuchen, ,positive' gegen ,negative' Argumentfolgen auszuspielen. Solche Bemühungen führen jedoch nicht weit, da auch innerhalb der Argumentreihen — und nicht nur zwischen ihnen — Widersprüche auftauchen, die sich nicht durch eine Spezifizierung von Hinsichten beseitigen lassen. Somit hat jede Argumentfolge im Grunde das gleiche Resultat, denn ob sich nun alles oder nichts vom Gegenstand der Untersuchung aussagen läßt, macht keinen Unterschied: in beiden Fällen wird das Eine als Gegenstand vernünftiger Rede und Erkenntnis aufgehoben. Daher wird man Platon, sofern er mit dem zweiten Teil des ,Parmenides' überhaupt einen

Einleitung

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bestimmten Zweck verfolgt haben sollte, nur eine kritische Absicht unterstellen dürfen. Ein zweites zentrales Problem der Interpretation betrifft die logischen Mittel, die in der ,Dialektischen Übung' zur Ableitung der Paradoxien eingesetzt werden. Wer im , Parmenides' mehr zu finden hofft als ein logisches Spiel oder eine Übung im Argumentieren, wird sich um den Nachweis der Korrektheit der Ableitungen bemühen müssen. Sollte sich nämlich zeigen, daß die paradoxen Resultate nur durch sophistische Kunstgriffe erzielt werden, dann taugte der zweite Dialogteil nicht einmal zu Zwecken der Widerlegung. Nun werden wohl nicht wenige Leser des ,Parmenides' das Gefühl haben, daß im zweiten Dialogteil nicht alles mit rechten Dingen zugeht. Wie kann es gelingen, aus der Hypothesis einmal diese Bestimmungen abzuleiten, um in einem zweiten Anlauf die genau gegenteiligen zu gewinnen? Es ist sehr begreiflich, daß Platon in den Verdacht einer willkürlichen Verwendung von Äquivokationen und Fehlschlüssen geriet. Bei genauer Betrachtung der Argumentreihen zeigt sich jedoch, daß die Paradoxien nicht allein aus der jeweiligen Hypothesis deduziert werden. Parmenides zieht vielmehr in jeder Reihe — teils explizit in den Expositionen, teils implizit — zusätzliche Annahmen heran, die der Untersuchung erst die Richtung weisen. Und es sind diese Zusatzprämissen — nicht aber formale Fehler —, aus denen sich die unhaltbaren Konsequenzen ergeben. Die Hauptthese des zweiten Teils dieser Arbeit lautet nun, daß sich die ,Dialektische Übung' insgesamt als eine reductio ad absurdum jener Voraussetzungen begreifen läßt. Damit wäre auch der engste sachliche Zusammenhang zwischen den beiden Teilen des ,Parmenides' nachweisbar, denn den Aporien, in die sich Sokrates' Ideenhypothese verstrickte, liegen eben die Annahmen über Selbstprädikation, Teilhabe und Ähnlichkeit zugrunde, die der zweite Dialogteil ad absurdum führt.

Teil I Die beiden Argumente vom ,Dritten Menschen* und das Problem der Selbstprädikation

Die Form des Arguments Farm. 132 al—b2 1. Der Text (Farm. 132 al-b2): „Οιμαί σε εκ του τοιοΰδε εν εκαστον είδος οϊεσθαι είναι' όταν πόλλ' άττα μεγάλα σοι δόξτ] είναι, μία τις ίσως δοκεϊ ιδέα ή αύτη είναι επί πάντα ίδόντι, όθεν εν το μέγα ήγή είναι. Αληθή λέγεις, φάναι. Τί δ' αυτό το μέγα και τάλλα τα μεγάλα, εάν ωσαύτως τη ψυχή επί πάντα ιδης, ουχί εν τι αΰ μέγα φανεϊται, ω ταύτα πάντα μεγάλα φαίνεσθαι; Έοικεν. Άλλο άρα είδος μεγέθους άναφανήσεται, παρ' αυτό τε το μέγεθος γεγονός και τα μετέχοντα αυτού' και επί τούτοις αύ πάσιν έτερον, ω ταύτα πάντα μεγάλα έσταΐ' και ούκέτι δη εν εκαστον σοι των ειδών έσται, άλλα άπειρα το πλήθος." („Ich denke, du glaubst aus folgendem Grunde, da es je eine Idee gibt (da jede Idee eins ist): Wenn eine Menge Dinge dir gro zu sein scheint, so zeigt sich dir, wenn du alle zusammen berblickst, eine gleichbleibende Gestalt, weshalb du das Gro e f r eines h ltst. — Richtig. — Was aber das Gro e selbst und die anderen gro en Dinge betrifft, wenn du auf gleiche Weise mit der Seele alle berschaust, mu dir dann nicht wiederum ein Gro es auftauchen, durch welches dir alle diese gro erscheinen? — So scheint es. — Eine weitere Idee der Gr e wird also erscheinen, au er der Gr e selbst und den an ihr teilhabenden Dingen, und ber diesen allen wiederum eine andere, wodurch diese alle gro sind. Und so erh ltst du nicht je eine Idee, sondern eine unendliche Menge.")1 2. Im Jahre 1954 ver ffentlichte Gregory Vlastos im Philosophical Review einen Aufsatz unter dem Titel ,The Third Man Argument in the ,Parmenides". Seine Untersuchung fand mehr als nur starke Beachtung — mit ihr begann eine Kontroverse, die immer noch nicht abgeschlossen ist.2 Vlastos' Aufsatz war aus zwei Gr nden bahnbrechend: zum einen ent1 2

Die bersetzungen sind, sofern nicht anders vermerkt, vom Verfasser. Seither sind zahlreiche Aufs tze zum TAA erschienen. Vgl. die Literaturliste. Hier wird speziell auf die Arbeiten von Vlastos, Geach, Sellars, Strang, Teloh/Louzecky und Cohen Bezug genommen.

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Die Form des Arguments Parm. 132al-b2

wickelte er als erster eine normierte Version des Arguments Parm. 132 al—b2, in der dessen implizite Prämissen offengelegt wurden. Einschneidend aber waren vor allem die Folgerungen, die Vlastos aus seiner Analyse des jDritten Menschen' glaubte ziehen zu müssen: da die ,stillen' Voraussetzungen des Arguments platonisch sind, enthält die Ideenlehre in ihrem Kern einen von Platon selbst nicht bemerkten Widerspruch. Den Abschnitt, in dem die Idee, F-heit, eingeführt wird, nennt Vlastos (AI), denjenigen Passus, in dem der erste Regreßschritt auftaucht, (A2). (AI) und (A2) werden wie folgt dargestellt: (AI) If a number of things, a, b, c, are all F, there must be a single Form F-ness, in virtue of which we apprehend a, b, c, as all F. (A2) If a, b, c, and F-ness are all F, there must be another Form, F-nessi, in virtue of which we apprehend a, b, c, and F-ness as all F.

Die Apodosis von (A2) folgt offenbar nicht aus (AI) und dem Vordersatz von (A2). Um den Regreß formal korrekt in Gang zu bringen, müssen Zusatzprämissen entwickelt werden, die der platonische Text nicht ausdrücklich erwähnt: (A3) Any Form can be predicated of itself. Largeness is itself large. F-ness is itself F.

(A3) ist Vlastos3 erste Fassung der ,Selbstprädikations'-Annahme (SP). Sie legt die im Vordersatz von (A2) enthaltene Voraussetzung offen; die Idee, F-heit, kann nur dann als ein F-Ding an die Seite von a, b und c treten, wenn (SP) gilt. Um eine weitere Idee ,überl der ursprünglichen zu erzeugen, genügt aber auch die Einführung von (A3) nicht. Es wird eine zweite Zusatzprämisse benötigt, die sogenannte Nichtidentitätsannahme (NI): (A4) If anything has a certain character, it cannot be identical with the Form in virtue of which we apprehend that character. If is F, cannot be identical with F-ness.

Es ist leicht zu sehen, daß ohne (A4) kein Grund bestünde, eine weitere Idee F-heit] anzunehmen: ohne die Nichtidentitätsannahme könnte die Funktion von F-heiti auch von der ersten Idee, F-heit, übernommen werden. Aber fast ebenso leicht ist zu sehen, daß (A3) und (A4) miteinander unverträglich sind. Wenn in (A4) durch die Idee F-heit ersetzt wird — was nach (A3) möglich ist — so erhält man (A5) If F-ness is F, F-ness cannot be identical with F-ness3. 3

Vlastos (1), S. 232-38. (Die Zahl in Klammern verweist auf das Literaturverzeichnis.)

Die Form des Arguments Farm. 132al —b2

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(Dieser Widerspruch läßt sich in strenger Form auch so darstellen: sei die Idee von F. Für (SP) können wir schreiben: ( = —> Fx); für (NI): (Fx —» ). Mit dem Gesetz der Kontraposition folgt aus (NI) aber: ( = -* -Fx). Wir erhalten also ( ) ^ - ( ).) Der Konflikt zwischen den beiden Zusatzprämissen tritt in Vlastos' erster Version des ,Dritten Menschen' recht offen zutage; durch die Selbstprädikation wird die Idee selbst zu einem F-Ding, was sie nach der Nichtidentitätsklausel doch nicht sein darf. Aufgrund der kritischen Diskussionsbeiträge von Geach, Sellars und anderen hat Vlastos später einige Verbesserungen an seiner ersten Version des .Dritten Menschen' vorgenommen4. Die ursprüngliche Nichtidentitätsformel (A4) wird ersetzt durch (NI) The Form in virtue of which a set of things have a certain character is not identical with any of them.

Bei dieser Variante von (NI) ergibt sich kein unmittelbarer Konflikt mit der Selbstprädikationsannahme (,The Form in virtue of which a set of things have a certain character itself has that character1). (SP) und (NI) bilden nicht länger ein inkonsistentes Prämissenpaar, sondern erst zusammen mit der Annahme (1), in der die Einzigkeit einer jeden Idee festgestellt wird, eine inkonsistente Prämissen-Trias. Vlastos' Untersuchung der beiden Regreßargumente im ,Parmenides' hätte wohl weit weniger Resonanz gefunden, wenn er sich mit der bloßen Feststellung eines Widerspruchs in den Prämissen des ,Dritten Menschen' beschieden hätte. Tatsächlich stellte er jedoch die provozierende Behauptung auf, daß die Selbstprädikation ebenso wie die Nichtidentitätsannahme feste Bestandteile der platonischen Ideentheorie seien — und führte dazu respektable Gründe an. Obwohl Platon nirgendwo die Ideen ausdrücklich als .selbstprädikativ' bezeichnet, sei seine Ontologie insgesamt doch auf die Selbstprädikation verpflichtet, wie die ,Vorbild-Abbild'-Theorie und die Lehre von den ,Graden der Realität' zeige. Darüber hinaus sei die Selbstprädikation als Praesupposition in einer Reihe von Stellen recht deutlich vorausgesetzt (Lysis 217d, Protagoras 330c—d, Phaidon lOOc, Symposion ,211 a—b) 5 . Auch die sogenannte ,strikte' NI-These ist, Vlastos zufolge, im4

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Vlastos (4), S. 261 ff. In (13) hat Vlastos eine vollständige Formalisierung seiner Version nachgereicht. Hier sind nur Stellen aus den frühen und mittleren Schriften berücksichtigt. Der ,Parmenides' selbst und der ,Sophistes' enthalten ebenfalls (SP)-Belege. Lysis 217d ist wenig instruktiv. Zu erwähnen wäre auch Hipp.Ma. 291 d, 292e.

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Die Form des Arguments Farm. 132al-b2

plizit in der paradigmatischen Ontologie sowie in der Trennung zwischen der Eigenschaft in einem Ding und der Idee selbst enthalten. Da Platon weder das Selbstprädikationsproblem zur Sprache bringt, noch in seinen späteren Schriften die Regreßargumente thematisiert, liegt für Vlastos die folgende Erklärung auf der Hand: Platon konnte die Argumente vom Typ ,Dritter Mensch' nicht zurückweisen, weil er ihre stillen Voraussetzungen, die zugleich fundamentale Annahmen seiner Theorie sind, nicht erkannte. Wären sie ihm deutlich bewußt gewesen, so hätte er (SP) oder (NI) verwerfen und seine Ideenkonzeption entsprechend modifizieren müssen. Seine Darstellung des ,Tritos Anthropos' ist somit ,an account of honest perplexity': „He (Plato) was thus holding consciously a metaphysical theory whose disastrous implications were hidden from his conscious mind. He was saying and believing things which in self-consistency he would have had to take back, had he clearly understood their true logical outcome."6 Vlastos ist nicht der einzige Platoninterpret, der die Ideentheorie für inkonsistent hält. Im Kapitel III seines Buches ,Plato's Philosophy of Mathematics' hat A. Wedberg — offensichtlich unabhängig von Vlastos und ohne direkten Bezug auf das TAA — den folgenden Widerspruch beschrieben: (2a) It is by participation in the Idea of Y-ness that a thing is (6) The Idea of Y-ness is (a) Y.

Wedbergs Version der SP-Annahme. Aus (2a) und (6) folgt (6') Every Idea participates in itself Dagegen ergibt sich aus anderen Textstellen (z.B. im ,Staat') (4) An Idea is never one among the objects participating therein.

Wie man sieht, haben Vlastos' und Wedbergs Antinomie die gleiche Wurzel und bringen den gleichen Konflikt zum Ausdruck. Wedberg bemerkt dazu: „This contradiction, which I choose to call the fundamental antinomy of the Platonic theory of Ideas, is the greatest logical weakness of that theory."7 3. Da das Argument,Dritter Mensch' sich ergänzungsbedürftig zeigte, ist es naheliegend, zu erwägen, ob der infinite Regreß nicht doch mittels einer konsistenten Prämissenmenge erzeugt werden kann. Doch bevor wir 6 7

Vlastos (1), S. 254. Wedberg, Plato's Philosophy of Mathematics, S. 34ff.

Die Form des Arguments Parm. 132al —b2

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uns Vlastos' Kritikern zuwenden, die sich um diesen Konsistenzbeweis bem hen, soll kurz das Problem diskutiert werden, ob ein Regre f r die platonische Ideentheorie hnlich verh ngnisvoll w re wie der Nachweis eines Widerspruchs in ihren zentralen Annahmen. Nun ist ein infiniter Regre an sich nichts Schlimmes oder doch im Vergleich zu Widerspr chen das entschieden kleinere bel; mit nicht abgeschlossenen Hierarchien logischer Typen oder Sprachstufen l t es sich bekanntlich leben. Im Prinzip w re auch eine Ideentheorie denkbar, die zu jeder Eigenschaft F eine nicht abgeschlossene Reihe von Ideen F-heit], F-heit2, . . . F-heitn zul t (wobei das Indice jeweils angibt, ber welchem Bereich die betreffende Idee steht. F-heit2 w re beispielsweise die Idee ber dem Bereich, der aus F-heiti und der Klasse der Einzeldinge a, b, c . . . n, die F sind, gebildet wird). Allerdings w re eine solche Theorie nicht mehr die Platons. Denn die Ideenlehre erfordert zwingend die Einzigkeit einer jeden Idee, d.h. sie verlangt, da es zu jedem Bereich von F-Dingen genau eine, und zwar einund dieselbe Idee Φ von F (oder F-heit) gibt. Dabei brauchen konomieberlegungen gar nicht ins Spiel gebracht zu werden. Selbstverst ndlich w re mit einer unendlichen Hierarchie von Ideen zu jedem beliebigen Pr dikat eine nicht tolerierbare Vermehrung der Entit ten gegeben. Da Platon an der .Einzigkeitsannahme' festhalten mu , ergibt sich auch aus dem Folgenden: (1) Platon pflegt Ideen gegen ber stets den bestimmten Artikel zu gebrauchen, h ufig wird ein αυτό nachgestellt: ,ή δικαιοσύνη, το καλόν αυτό'. Nicht selten werden Ideen durch eine , εστίν X'-Wendung charakterisiert; die Idee des Bettes ist also δ εστίν κλίνη. G be es mehrere Ideen von F, so w re dieser Sprachgebrauch nicht nur irref hrend, sondern falsch. (2) Die Ideen werden ,εν', ,μονοειδές' genannt und im ,Philebos' als Monaden bezeichnet; f r Aristoteles sind sie das ,εν έπι πολλών'. (3) Platon glaubte mit Hilfe der Ideen eine ganze Reihe von Problemen l sen zu k nnen — zumindest die , mittlere' Ideentheorie ist multifunktional: Die Ideen sind die Objekte der επιστήμη, sie verleihen der Rede Sinn und Bedeutung, sie sind Paradigmen f r Einzeldinge, im Hinblick auf sie ist unser Handeln zu beurteilen. Eine jede dieser Funktionen ist an die Einzigkeit der Ideen gebunden, wovon man sich leicht berzeugen kann. So wird z.B. die Eindeutigkeit des Sprachbezugs zerst rt, wenn man gen tigt ist, statt einer Idee eine unendliche Ideen-Reihe anzunehmen; ebenso verlangt die Vorbild-Abbild-Beziehung von Ideen und Einzeldingen ihre ein-mehrdeutige Zuordnung.

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Die Form des Arguments Parm. 132 al - b2

Es hat nicht an Versuchen gefehlt, den ärgerlichen Widerspruch in den Prämissen des .Dritten Menschen' zu vermeiden. Da Selbstprädikationsund Nichtidentitätsannahmen in der einen oder anderen Form zur Erzeugung des infiniten Regresses unverzichtbar sind, bleibt als einzige Prämisse, an der man sich mit Modifikationen versuchen kann, das , das ,Eine über den Vielen' (abgekürzt (EV)). Das Argument setzt ja mit einer solchen Annahme ein: zu einer Menge großer Dinge gibt es eine Idee, durch die alles groß erscheint. Interpretiert man Parm. 132 a l — 4 als starke (EV)-Annahme, die eine Einzigkeitsbehauptung einschließt, so wird sich ein Konflikt mit den anderen Prämissen des ,Dritten Menschen' nicht vermeiden lassen. Jene weitere Idee, deren Einführung durch (SP) und (NI) erzwungen ist, müßte gemäß der Einzigkeitsbehauptung identisch mit der ersten Idee sein, was sie aufgrund der Nichtidentitätsklausel jedoch nicht sein darf. Mit einer,schwachen' (EV)-Annahme, wie sie beispielsweise von Sellars vorgeschlagen wurde (,Wenn eine Anzahl von Entitäten F ist, dann muß es wenigstens eine F-heit geben, aufgrund deren sie alle F sind.'),8 wird die Ableitung des infiniten Regresses aus einer konsistenten Prämissenmenge möglich. Sellars Rekonstruktion ist jedoch inadaequat, da sie nicht die intendierte reductio ad absurdum liefert. Wie die Schluß Wendung — ,Und so erhältst du nicht eine Idee, sondern eine unendliche Menge' — zeigt, ist der ,Dritte Mensch' als Widerlegung der Einzigkeitsannahme konzipiert. Um dem Text gerecht zu werden, müßte unabhängig von der schwachen (EV)-Annahme eine Einzigkeitsbehauptung aufgestellt werden, die aber nicht zur Erzeugung des Regresses herangezogen werden darf. Das Argument hätte dann die logische ,Grobstruktur': E (Einzigkeitsannahme); wenn (EV), (SP) und (NI), dann Non-E. Damit allein sind aber die Schwierigkeiten, die aus einer schwachen (EV)-Prämisse resultieren, noch nicht annähernd gelöst. Es leuchtet ein, daß keine Rekonstruktion des ,Tritos Anthropos'-Arguments bereits auf der Ebene der Einzeldinge die Erzeugung von mehr als einer Idee von F gestatten darf. Daß es eine und nur eine Idee zu allen Einzeldingen mit einer Eigenschaft F geben kann, ist eine elementare Annahme der Ideentheorie, die auch durch den infiniten Regreß des »Dritten Menschen' nicht unterlaufen werden soll. Diese Forderung läßt sich verallgemeinern: auf jeder Stufe i des infiniten Regresses darf höchstens eine Idee entstehen. Des weiteren wäre von einer 8

Seilars, Vlastos and 'The Third Man', S. 428.

Die Form des Arguments Farm. 132al—b2

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jeden Rekonstruktion des ,Tritos Anthropos' zu verlangen, daß die ,richtige' Hierarchie von Ideen erzeugt wird. Eine Idee 4>m gehört ,über' eine Klasse Sn, die als ,höchste' Idee ein ' sind zwar verschieden, aber nicht in ihrer Struktur. Doch unterscheiden sich diese Ähnlichkeitsbehauptungen (a) und (b) nicht in anderer Weise als zwei verschiedene Aussagen des Typs (a)? Man könnte vielleicht ansetzen bei der Unterscheidung zwischen kontingenter und nicht-kontingenter Ähnlichkeit. Daß Theaitetos dem Sokrates ähnlich 5

Künne, a.a.O., S. 36.

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Zur Funktion des Ähnlichkeitsarguments

ist, ist zufällig in dem Sinne, daß es keine gemeinsame Ursache gibt, wodurch die Ähnlichkeit beider bewirkt wird. Anders im Fall von Bild und Abgebildetem: sofern diese ähnlich sind (man kann darüber streiten, ob es für Bilder überhaupt notwendig ist, dem Abgebildeten ähnlich zu sein) ist die Ähnlichkeit nicht zufällig, sondern dadurch bedingt, daß das eine als Bild des anderen gestaltet wurde. Die strukturelle Verschiedenheit der Ähnlichkeitsaussagen im Beispiel könnte nun darin gesehen werden, daß beide Ähnlichkeitsbehauptungen triadisch sind, in der einen aber eine Hinsicht (ein logischer Grund) für das Bestehen der Ähnlichkeit angeführt wird, in der anderen jedoch eine Ursache (ein realer Grund) erwähnt wird, dem sich die Ähnlichkeit verdankt. Die Aussageform ,xÄy, ( )' (wo , ' den Grund nennt für das Bestehen der Ähnlichkeit) ist asymmetrisch: wenn a dem b ähnlich ist, weil a eine Imitation von b ist, dann ist b nicht umgekehrt dem a ähnlich, weil es b imitiert. Nun sind aber verschiedene ähnliche Bilder (Kopien etc.) eines Gegenstands in aller Regel nicht auf gleiche Weise dem Abgebildeten ähnlich. Zwei ähnlich geratene Büsten des Perikles, die von verschiedenen Bildhauern geschaffen wurden, können Perikles auf die unterschiedlichste Art darstellen; der eine mag die Kopfform realistisch wiedergeben, der andere die Mundpartie genau getroffen haben. Also ist es auch hier sinnvoll, neben dem realen Grund für das Bestehen der Ähnlichkeit die Hinsicht anzuführen, in der die Ähnlichkeit besteht. Demnach hätte ein Satz, der die Ähnlichkeit eines Bildes mit dem Abgebildeten behauptet, die allgemeine Form: ,xÄy,(ü),aJ>)'; eine vierstellige Ähnlichkeitsformel dieser Gestalt ist wieder asymmetrisch und nur für den Sonderfall Vorbild-Abbild zuständig, und sie unterscheidet sich deutlich von der ,normalen' Relation ,xÄy, ( )', die auf alle Fälle von Ähnlichkeit applizierbar (und umkehrbar) ist. Allerdings: zu sagen, daß etwas einem anderem aus einem bestimmten Grund und in einer gewissen Hinsicht ähnlich ist, enthält die Behauptung, daß es ihm in ebendieser Hinsicht ähnelt; weshalb eine Ähnlichkeitsaussage des vierstelligen Typs eine normale' (und umkehrbare) Ähnlichkeitsbeziehung impliziert. Unser Schluß ist, daß die Ähnlichkeit des Bildes mit dem Abgebildeten keine Gegeninstanz zu Parmenides (RÄ)-Prämisse darstellt. Edward N. Lee hat in einem bemerkenswerten Aufsatz versucht, die Verteidigungslinie gegen das Ähnlichkeitsargument vorzuverlegen. Er kritisiert nicht die Symmetrieprämisse oder die Annahme, daß Ähnlichsein teilhaben an einer Idee bedingt, sondern Parmenides' ,statische' Anknüpfung an die Theorieskizze, die Sokrates entwirft. Nach Lee wird durch

Zur Funktion des Ähnlichkeitsarguments

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den Kontrast zwischen dem , ' und dem , ' in Sokrates' Formulierung des Paradigma-Theorems eine ,dynamische' Lesart favorisiert: „On this second line of reading, Socrates main point would be taken to be that phenomena-as-images exhibit, just as such, a special activity of striving-to-be-like those standards set apart from themselves which are the 'Forms at rest in nature'."6 Zwischen ,imitieren', ,abbilden', ,strehen zu sein wie . . .' und ,ähnlich sein' besteht aber nun nicht nur insofern ein Unterschied, als die eine Beziehung symmetrisch ist und die andere nicht. Imitieren ist eine zielgerichtete Tätigkeit, die auch scheitern kann. Deshalb müssen Imitationen dem Imitierten nicht ähnlich sein (Lee nennt als Beispiele die Nachahmung des Gangs von Charly Chaplin und den Versuch, ein Vermögen wie das Rockefellers zu erwerben). Lee kritisiert folglich an Parmenides Einwand: „ . . . Parmenides supplants a process of activity with a state of rest, 'freezing' (in much the way that we saw Zeno's Arrow do) the dynamic aspects of the situation and replacing these with stasis. . . . What Parmenides' question really does is, first, to ignore the vital difference between cases of our categories (b) and (c) ^imitations', die ,resemblances' sind, und solche, die es nicht sind; d. Verf.)"7 Diese Kritik dürfte an die falsche Adresse gehen. Denn Sokrates ist es, der versäumt, seine neue Theorie klar und unmißverständlich zu formulieren, der nicht korrigierend eingreift, als Parmenides den Faden auf seine Weise fortspinnt. — Wie Lee selbst einräumen muß, bleibt der Text offen für beide Auslegungen; es gibt jedenfalls keinen eindeutigen Beleg dafür, daß Sokrates auf eine dynamische Version des Paradigmatismus hinauswill. Nun ist es fraglos viel naheliegender und natürlicher, eine »statische' Lesart zu wählen, denn was zur Debatte steht, ist das Verhältnis von sinnlich wahrnehmbaren Gegenständen zu Ideen, und bewußte Aktivitäten wie das Imitieren oder Angleichen pflegen wir gewöhnlich Personen, nicht aber Dingen zuzuschreiben. Doch einmal angenommen, daß Sokrates Lees dynamische ParadigmaTheorie im Sinn hatte, als er seinen Ansatz formulierte, daß er also nicht das Ähnlich-Sez« von Ideen und Einzeldingen behaupten wollte: so wäre zwar das Ähnlichkeitsargument keine Widerlegung dieser speziellen Variante des Paradigmatismus. Doch ist man versucht zu fragen, was eine solche metaphysische Theorie denn leisten kann. Die Teilhabe durch ,Ähnlich-Sein' erklären zu wollen mag aussichtslos sein, weil diese Relation nur 6 7

Lee, The Second 'Third Man', S. 103. Lee, a.a.O., S. 115.

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auf Entitäten des gleichen logischen Typs sinnvoll anwendbar ist. Aber es ist darin zumindest der Versuch einer rationalen Erklärung zu sehen. Wenn jedoch die ungeklärte Idee-Einzelding-Beziehung als eine von Imitat und Imitiertem beschrieben wird, dann tritt nur ein neues und größeres Rätsel an die Stelle des alten. Wer oder was imitiert die Ideen? Sollen Dinge allen Ernstes mit der erstaunlichen Gabe ausgestattet werden, andere Gegenstände nachzuahmen, die dazu noch fundamental verschiedene Merkmale aufweisen? Das hieße nichts anderes, als den Phainomena intentionale Akte zuzutrauen — die Demystifikation des Verhältnisses von Idee und Einzelding wäre dann um keinen geringeren Preis als den der Mystifikation der Erfahrungswelt erkauft. Der Demiurg des ,Timaios' eignet sich im übrigen auch nicht für die Rolle dessen, der die Einzeldinge nach dem Muster der Ideen bildet oder diesen angleicht. Zwar wird in der pythagoreischen Kosmogonie des ,Timaios' unsere vergängliche Welt nach einem unvergänglichen Vorbild geschaffen. Das meint freilich nicht, daß der Demiurg über den Schöpfungsakt hinaus zu ständigen Eingriffen in die Erfahrungswelt gezwungen ist. Dies wäre aber eine Konsequenz des Dynamischen' Mimesis-Modells: da Einzeldinge sich ständig verändern, also zu verschiedenen Zeiten an verschiedenen Ideen teilhaben können, Teilhaben aber ein mehr oder weniger geglücktes Imitieren von Ideen darstellt, müßte der Demiurg bei jedem Farbwechsel eines Chamäleons als Imitator in Erscheinung treten. Die Folgeprobleme eines dynamischen Paradigmatismus stehen m. E. in keinem akzeptablen Verhältnis zu seinem explanativen Gehalt, so daß man eigentlich nur hoffen kann, daß Platons Theorie anders beschaffen ist, und daß der Paradigmatismus in dieser Form nicht mehr sein soll als ein Bild mit beschränktem Erläuterungswert. Als solches könnte er immerhin taugen, den untergeordneten und abhängigen Status von Einzeldingen zu illustrieren, und als solches wäre er auch nicht zu widerlegen, denn Bilder, Gleichnisse oder Modellvorstellungen können zwar inadäquat oder deplaziert sein, aber nicht falsch. „It would be possible to show, I believe . . . that such a 'dynamic' and 'revisionist' metaphysics of the image is precisely the one that Plato both adopts and develops in the Timaeus."8 Dieses Versprechen wird kaum zu halten sein. Nicht nur, daß Platons Paradigma-Theorie im ,Timaios* ähnlich vage bleibt wie in unserem Text — Platon präzisiert die Rede von Vorbild ( ) und Abbild ( ) gewiß nicht in 8

Lee, a.a.O., S. 116.

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einer Weise, die eindeutig für Lees Interpretation spricht — sondern an der Stelle Tim. 52a4 heißt es ausdrücklich: , . . .'. Demnach ist das Nachgebildete dem Paradigma ähnlich. Nun besteht die Pointe der »dynamischen' Version aber gerade hierin: ,beinglike-y has really nothing to do with imitating y, with trying to be like y'9. Folglich dürfte Platon im ,Timaios' nicht die Ähnlichkeit zwischen Paradigma und Abbild behaupten, wenn Lees Vermutung zutreffen sollte. Kehren wir zu unserer Ausgangsfrage zurück: wird der Paradigmatismus durch das Argument Parm.l32d widerlegt? Wie die bisherigen Ausführungen zeigen sollten, ist diese Frage nicht mit einem klaren Ja' oder ,Nein' zu beantworten. Es kommt ganz darauf an, was man unter ,Paradigmatismus' versteht, welches Ensemble von Annahmen dazu gehören soll. Ist die Annahme der Ähnlichkeit zwischen »Urbild' und »Abbild' — oder gar die der Ähnlichkeit der Idee von F und F-Ding qua F — ein fester Bestandteil der paradigmatischen Ontologie, dann dürfte diese ganz rettungslos in Widersprüche verstrickt oder einem infiniten Regreß ausgeliefert sein. Der Grund ist einfach der, daß nur Gegenstände gleichen logischen Typs in eine Relation wie ,. . . ähnlich . . .' treten können. Sind Einzeldinge als .Abbilder' aber ihren »Urbildern' ähnlich, so wird das »Vorbild* zwangsläufig ,dem Hiesigen' gleichgestellt. Anders gesagt: das Paradigma von F gehört, wenn es die »perfekte Verkörperung' Von F ist (und seine mehr oder weniger gelungenen »Kopien' ihm mehr oder weniger ähneln), selbst zur Klasse oder Art F — wenn es auch innerhalb der Art eine ausgezeichnete Stellung einnimmt. Dann taugt die Idee aber auch nicht länger als »Paradigma' der Prädikation — als etwas, auf das hinblickend wir Dinge mit (allgemeinen) Namen benennen. Denn als ein Mitglied der Art F — oder als ein ausgezeichnetes Element der Klasse F — kann es nicht mehr das sein, was uns ermöglicht, den Umfang der Klasse der F-Dinge zu bestimmen. Dem infiniten Regreß entgeht man auch dann nicht, wenn man behauptet, ein Vorbild F sei dem Nachbild — dem F-Ding — nicht qua F ähnlich (das Standbild eines Löwen sei eben kein Löwe). Wenn Vorbild und Abbild, Original und Kopie, Gegenstand und Spiegelbild einander ähnlich sind, so ähneln sie einander in der einen oder anderen Hinsicht — und es sind Hinsichten, aufgrund deren wir von »Ähnlichkeit' sprechen können. 9

Lee, a.a.O., S. 117.

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Zur Funktion des Ähnlichkeitsarguments

Nun sind aber sicherlich Varianten des Paradigmatismus denkbar — und Lees , dynamisches Modell' ist eine davon — die vom Ähnlichkeitsargument nicht betroffen sind, weil sie seine Prämissen nicht teilen. Es ist dann jedoch die Frage, welchen explanativen Gehalt solche Modelle besitzen und ob sie den platonischen Intentionen gerecht werden.10

10

Nach Abgabe meiner Dissertation erschien in ,Phronesis' (1/1980) ein bemerkenswerter Aufsatz von W. J. Prior unter dem Titel ,Parmenides 132 c —133 a and the Development of Plato's Thought'. Bezüglich der Form des Arguments kommt Prior zu einem ähnlichen Resultat. Die Übereinstimmung erstreckt sich aber nicht auf die Einschätzung des Ähnlichkeitsarguments. Prior meint, die These .Ähnlichkeit impliziert Teilhabe an wenigstens einer Idee' sei im Fall des Paradigmatismus ungültig: wenn die Idee des Menschen ein Paradigma für den Menschen Hans ist, so ist für ihre Ähnlichkeit qua Mensch nicht die Teilhabe an einer weiteren Idee des Menschen erforderlich. Wenn jedoch — und diese Konsequenz wird in Priors Aufsatz nicht bedacht — Hans und die Idee des Menschen einander wirklich ähneln, dann nicht nur qua Mensch, sondern in vielerlei anderen Hinsichten — und dies impliziert Teilhabe an anderen Ideen. Insofern gilt auch hier die beanstandete Prämisse. Zuzustimmen ist Prior darin, daß ein konsequenter Paradigmatismus die (RÄ)-Prämisse aufgeben müßte. Noch konsequenter wäre es freilich, überhaupt auf die Rede von ,Ähnlichkeit* zwischen Ideen und Einzeldingen zu verzichten: eine spezifische .paradigmatische' Ähnlichkeit als undefinierbare Grundrelation würde nur das Problem verschieben, das Sokrates lösen wollte.

Teil II Die Dialektische Übung

Die Bemerkungen zur Methode Die berleitung zum zweiten Teil des Dialogs beginnt mit der Frage des Parmenides, was Sokrates denn nun in der Philosophie tun wolle (Parm. 135 c5ff.). Wie wir sahen, war die von Sokrates ad hoc entwickelte Ideentheorie arg zerrupft worden: Zwei Versuche, die Beziehung zwischen Ideen und raum-zeitlichen Objekten zu bestimmen, waren am infiniten Regre gescheitert; schlie lich mu te Sokrates auch noch in das fatale Resultat des letzten Arguments einwilligen (135 a): „ώστε άπορεΐν τε τον άκούοντα και άμφισβητείν ως ούτε εστί ταϋτα, ει τε ότι μάλιστα εΐη, πολλή ανάγκη αυτά είναι τη ανθρωπινή φύσει άγνωστα ..." Wer also weiter an der Existenz der Ideen festh lt, der mu zugestehen, da sie ,f r die menschliche Natur notwendig unerkennbar' sind. Mit der v lligen Trennung beider Bereiche des Seienden w ren wir tats chlich bei jenem Hinterwelt-Platonismus angelangt, den Aristoteles so richtig kritisiert (er irrt nur mit seiner Unterstellung, da dies Platons Theorie ist). Sind die Ideen auf diese Weise jeglicher Funktion beraubt, gibt es keinen vern nftigen Grund mehr, an ihnen festzuhalten. Dem Vorwurf einer sinnlosen Vermehrung der Entit ten w re nicht zu begegnen, wenn der radikale Chorismos offene oder versteckte Voraussetzung der Ideenphilosophie w re. An der Stelle Parm. 135 b5 geschieht dann etwas Merkw rdiges: Der gleiche Parmenides, der eben noch die Ideenlehre aufs Sch rfste kritisierte, macht sich, fast im selben Atemzug, zu ihrem Anwalt: Wer die Ideen aus den genannten Gr nden verwerfe, dem bleibe nichts mehr, woran er sein Denken orientieren k nne, und so w rde das Verm gen zu vern nftiger Rede g nzlich aufgehoben. Diese Wendung der Sache k nnte noch mehr berraschen, w ren wir nicht durch zwei unauff llige Bemerkungen des Parmenides zu Beginn und gegen Ende des letzten Arguments ein wenig vorgewarnt (Parm. 133 b3ff. und 135 a5). Hier sagt Parmenides: Nur ein ge bter und f higer Mann sei in der Lage, gegen den Nachweis der Unerkennbarkeit der Ideen zu streiten und zu begr nden, weshalb es Ideen geben m sse. Wir erfahren also aus Parmenides' eigenem Mund, da er diesen letzten, schwersten' Einwand selbst gar nicht f r stichhaltig erachtet: Nur unter bestimmten pragmatischen Bedingungen schl gt das Argument durch, n mlich gegen ber einem unerfahreneren Gespr chspartner.

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Die Bemerkungen zur Methode

Die Situation gleicht der in einem Schachspiel zwischen einem erfahrenen Meister und einem begabten jungen Spieler, der zwar einen objektiv hervorragenden Zug findet, aber an den taktischen Finessen der Antwort scheitert. Einiges an Tinte, die zum Thema ,Platons Selbstkritik im Parmenides' vergossen wurde, hätte eingespart werden können, wenn diese Hinweise beachtet worden wären. Denn hier haben wir einen deutlichen Beleg dafür, daß Platon wenigstens das ,Herr-Knecht'-Argument für fehlerhaft hielt. Und es wäre recht merkwürdig, wenn er dieses Argument für widerlegbar hielte, ohne den Fehler lokalisieren zu können. In diesem Zusammenhang wird man an den Handlungsrahmen des Dialogs erinnern dürfen: Kephalos berichtet, was Antiphon von Pythodoros über die Begegnung zwischen dem greisen Parmenides, Zenon und dem noch sehr jungen Sokrates hörte. Dieses Szenarium drückt durch die Verschachtelung und den zeitlichen Abstand des Geschehens eine spürbare Distanz zum Inhalt aus. Sokrates entwirft nun ad hoc die Skizze einer Theorie, von der sich bestenfalls sagen läßt, daß sie in einigen Punkten der Ideenlehre des ,Phaidonc und des »Staates* entspricht; gleichzeitig wird deutlich, daß der junge und wenig geschulte Philosoph sich über einige Voraussetzungen und Folgeprobleme seiner ,Theorie' noch keine Gedanken gemacht hat; auch scheint er problematische Varianten seiner Grundannahme — Verdinglichung der Ideen, Chorismos — nicht bedacht zu haben. Daß es dem eleatischen Altmeister der Widerlegungskunst gelingt, den forschen Jüngling zu verwirren, kann kaum überraschen. Die Ideenhypothese war demnach nicht so sehr an ihrer eigenen Schwäche gescheitert als an der Unfähigkeit ihres Protagonisten, die Voraussetzungen und Fehler der Gegenargumentation zu durchschauen. Parmenides empfiehlt deshalb ein dialektisches Training. Im Folgenden soll versucht werden, ein möglichst genaues Bild der projektierten Methode zu zeichnen. Es ist nicht ganz unwichtig, bereits hier festzuhalten, daß das Verfahren, welches Parmenides vorzustellen sich anschickt, als Methode der Argumentationsschulung, nicht aber als Forschungsmethode eingeführt wird. Vom Ansatz her sind also weder positive Resultate — etwa die Entwicklung einer philosophischen Doktrin — zu erwarten, noch muß die Methode selbst zu etwas anderem als dem genannten Zweck taugen. Parmenides bezeichnet das anzuwendende Verfahren als übereinstimmend mit dem Zenons.1 Das ist etwas befremdlich, denn das wenige, was 1

Parm. 135d8.

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wir eingangs des Dialogs ber Zenons Schrift erfahren, l t kaum eine bestimmte Methode erkennen, die unabh ngig vom spezifischen Zweck — Widerlegung der Gegner des Parmenides — zu einer philosophischen Untersuchung oder bung in der Praxis des Argumentierens herangezogen werden k nnte. Zenon ging hypothetisch vom Gegenteil des parmenideischen Satzes aus, um zu zeigen, da daraus ,nicht weniger L cherliches' folgt als aus dem Satz des Parmenides nach Meinung der Menge. Zenons Methode ist also elenktisch und sie widerlegt mit einer bestimmten Technik, der reductio ad absurdum. Nun bleibt aber gerade dieses hervorstechende Merkmal der zenonischen Dialektik unerw hnt. Parmenides sagt nicht: „Wir wollen uns Hypothesen von der Art ,Wenn Vieles ist' oder ,Wenn hnlichkeit ist' vornehmen und uns bem hen, sie zu widerlegen" — sondern: „Χρή δε και τόδε έτι προς τούτω ποιεϊν, μη μόνον ει εστίν εκαστον ύποτιθέμενον σκοπεΐν τα συμβαίνοντα εκ της υποθέσεως, άλλα καΐ ει μη εστί το αυτό τούτο ύποτίθεσθαι, ει βούλει μάλλον γυμνασθήναι."2 Es ist nur davon die Rede, Hypothesen (und deren Negationen) auf ihre ,συμβαίνοντα' zu untersuchen, und nichts deutet an dieser Stelle auf eine elenktische Intention. Was beabsichtigt ist, ist allem Anschein nach eine ,neutrale', ,unspezifizierte' Untersuchung dessen, was sich aus bestimmten hypothetischen Annahmen e r g i b t — gleichviel, ob sich diese Folgerungen gegen die Voraussetzung wenden oder nicht. Versucht man nun — ohne Vorgriff auf das Folgende — ein Bild einer solchen Untersuchung zu entwerfen, wird man leicht in Verlegenheit geraten. Wie soll dabei im einzelnen vorgegangen werden? Wie ist das ,συμβαίνειν' zu verstehen, d.h. welcher Folgerungsbegriff wird hier vorausgesetzt? Und was folgt berhaupt aus ,Hypothesen' von der Art ,εί όμοιότης εστίν' — schlie lich haben wir es nicht mit den Pr missen eines klassichen Syllogismus zu tun, die gestatten, allein auf Grund der Form zu anderen S tzen berzugehen, sondern mit einigerma en dunklen, wom glich elliptischen Ausdr cken. Einen vagen Hinweis k nnte das ,σκοπεΐν τα συμβαίνοντα' schon enthalten. Das Kompositum ,συμβαίνειν' bedeutet urspr nglich ,zusammengehen', ,zur Seite gehen', und alle anderen Bedeutungen wie , bereinkommen', ,sich ergeben', ,zusammentreffen' u.a.m. leiten sich daraus ab. Beh lt man diesen prim ren Sinn im Blick, so lie e sich denken, da Platon zu den Symbainonta nicht allein logische Folgerungen rechnet, sondern ebenso die stillschweigenden Voraussetzungen und ,commitments' der2

Parm. 135e8-136a2.

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artiger Hypothesen — das, was mit der Annahme einer Hypothese ,einhergeht'. Nunmehr k nnte sich auch der Verweis auf Zenon n tzlich zeigen. Betrachtet man n mlich die Argumente, die Zenon im Kampf gegen die Vielheit oder die Realit t der Bewegung entwickelte, so l t sich unschwer erkennen, da sie trotz ihres deduktiven Anstrichs keine logischen Folgerungen aus der Annahme ,εί πολλά εστί τα οντά' sind, sondern implizit eine Reihe von Pr missen voraussetzen, die der Physik oder Metaphysik des common sense entstammen, die also von den Gegnern des Parmenides f r wahr gehalten werden. — Wir sollten deshalb darauf gefa t sein, da auch den Deduktionen des zweiten Dialogteils kein vollst ndiges System von Pr missen vorangestellt wird. Das Programm wird im Folgenden in inhaltlicher wie formaler Hinsicht n her erl utert, ohne jedoch die angedeuteten Schwierigkeiten zu kl ren. Betrachten wir zun chst die gegenst ndliche Seite der Sache. Zenons Dialektik bezog sich auf sinnlich Wahrnehmbares. Gegenstand der geplanten bung soll hingegen auch das sein, ,ά μάλιστα τις αν λόγω λάβοι και είδη αν ήγήσαιτο είναι'3, was am ehesten mit dem Logos ergriffen und f r Ideen gehalten wird. Der Abschnitt, zu dem das Zitat geh rt, l t noch offen, ob die Untersuchung sich ausschlie lich im Bereich des Eidetischen bewegen soll oder nicht. Wenn die hier vorgestellte ,Methode' universell, d.h. unabh ngig vom Gegenstandsbereich anwendbar sein soll, w re auch der zweite Fall denkbar, und durch das Exempel ,εί πολλά εστί (τα οντά)' wird dies ohnehin nahegelegt. Allerdings deuten die sp ter genannten Beispiele (Identit t, hnlichkeit, Bewegung) eher darauf, da Parmenides an eine umfassende,,allseitige* Untersuchung der Beziehungen zwischen den Ideen denkt. Vom Methodenexposee her sah denn Natorp auch im ,Parmenides' einen „titanischen Anlauf" auf „die m chtigste der philosophischen Aufgaben, die des Systems der reinen Begriffe. M chte unter diesem Gesichtspunkt die Gr e des Wurfs, den der Parmenides bedeutet, nicht ferner verkannt werden."4 Diese h ufig zitierte Bemerkung — im brigen mit Natorps Deutung des zweiten Teils unvereinbar — wirft freilich weit mehr Probleme auf als sie l st; zum einen ist klar, da die Durchf hrung des Programms sich auf eine Untersuchung ber das Eine beschr nkt und nicht in der vorgeschlagenen ,Allseitigkeit' analoge Folgerungen aus Hypothesen entwickelt werden, in denen es um hnlichkeit, Identit t, Bewegung etc. 3 4

Parm. 135e3. Natorp, Platos Ideenlehre, S. 244.

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geht. Zum anderen wird die Untersuchung, wie Natorp auf der nächsten Seite selbst bemerkt, „kontradiktorisch angestellt".5 Aber nicht „dem Plane gemäß", denn daß aus den jeweiligen Hypothesen Widersprüche abgeleitet werden sollen, davon ist in den Bemerkungen zur Methode gerade nicht die Rede. Wir wollen hier nicht diskutieren, ob die Widersprüche, die im zweiten Teil aufscheinen, echte, d.h. beweisbare Widersprüche sind oder nicht, und was mit ihnen demonstriert werden soll. Wenn es aber Platon um ein System der ,reinen Begriffe' ginge, so wäre schwer zu verstehen, wie er in einer Untersuchung, die gewissermaßen den Grundstein für das System legen soll, auch nur den Schein des Widersprüchlichen hätte zulassen können — es sei denn, um zu zeigen, daß es ein solches System nicht gibt noch geben kann. Doch schon in Hinblick auf den Programmentwurf muß die Rede vom System reiner Begriffe bedenklich genannt werden. Ausdrücklich als Kandidaten werden erwähnt: das Eine, die Vielen ( ), Ähnlichkeit, Unähnlichkeit, Identität, Bewegung, Ruhe, Entstehen und Vergehen. Verdienen aber , die oder das den Titel eines reinen Begriffs — und was überhaupt sind reine Begriffe? Reine Verstandesbegriffe im Sinne der ,Kritik der reinen Vernunft' — und diese Assoziation liegt beim Neukantianer Natorp nahe genug — können sie aus zwei Gründen nicht sein: Als »Leitfaden zur Entdeckung der reinen Verstandesbegriffe' (Kategorien) dient Kant die Tafel der Urteilsformen: „Dieselbe Funktion, welche den verschiedenen Vorstellungen in einem Urteile Einheit gibt, die gibt auch der bloßen Synthesis verschiedene(r) Vorstellungen in einer Anschauung Einheit, welche, allgemein ausgedrückt, der reine Verstandesbegriff heißt. . . . Auf solche Weise entspringen gerade so viele reine Verstandesbegriffe, welche a priori auf Gegenstände der Anschauung überhaupt gehen, als es in der vorigen Tafel logische Funktionen in allen möglichen Urteilen gab."6 Identität, Verschiedenheit, Bewegung, Vergehen und Entstehen kommen in der Kategorientafel nicht vor. Immerhin könnten sie zu dem gehören, was Kant die ,Prädikabilien des reinen Verstandes'7 nennt, — wären also zwar ,reine', aber abgeleitete Verstandesbegriffe. Dagegen jedoch sträubt sich nicht nur der historische Sinn: Platons Ideen sind objektive Gegebenheiten, die unabhängig von der Seele, die sie zu

5 6 7

Natorp, a.a.O., S. 245. Kant, KrV A 79. Kant, KrV A 82.

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erkennen vermag, bestehen — also kein integraler Bestandteil irgendeines ,Verm gens', wogegen Kants Kategorien dem Verstande angeh ren und erkenntniskonstitutiv sind, insofern sie das ,Mannigfaltige der Anschauung' vereinigen und das Urteilen erm glichen. Wie aber ist die Rede von reinen Begriffen zu verstehen, wenn die Transzendentalphilosophie als Bezugsrahmen fortf llt? Man braucht nur in irgendeinem W rterbuch der Philosophie zu bl ttern, um sich davon zu berzeugen, da es wenigstens ein Dutzend voneinander abweichende Verwendungen des Terminus ,Begriff' gibt, die zudem alle — mit der einen Ausnahme bei Frege — hoffnungslos unscharf sind. Wer mit der Charakterisierung des Programms als Plan zu einer gro angelegten begrifflichen Untersuchung nichts vernebeln will, m te sich schon die M he machen, den Ausdruck ,Begriff so pr zise zu fassen, da er als Explikans f r ,Ideee taugt. Sprechen wir lieber weiterhin von Ideen, denn um solche soll es sich erkl rterma en handeln. Unklar bleibt allerdings, ob potentiell alle Ideen als Kandidaten f r das Untersuchungsverfahren in Frage kommen oder ob es auf Einheit—Vielheit, hnlichkeit —Un hnlichkeit, Bewegung —Ruhe, Entstehen—Vergehen sowie Sein—Nichtsein (diese werden ausdr cklich genannt) und vergleichbar universelle Ideen (wie Identit t und Verschiedenheit) beschr nkt werden soll. Nun zur formalen Seite der Sache. Wir haben bereits erfahren, da nicht nur eine bestimmte Hypothese wie z.B. » hnlichkeit ist', sondern ebenso ihre Negation untersucht werden soll (es ist allerdings problematisch, dort von ,Negation' zu reden, wo es sich eventuell um unbestimmte, elliptische Ausdr cke handelt, ber deren Wahrheit oder Falschheit nichts ausgemacht ist). Im Abschnitt 136 a werden f r jeden dieser beiden Untersuchungsg nge weitere Einteilungen vorgenommen: „Οίον, εφη, ει βούλει, περί ταύτης της υποθέσεως ην Ζήνων ύπέθετο, ει πολλά εστί, τί χρή συμβαίνειν και αύτοΐς τοις πολλοίς προς αυτά και προς το εν και τω ένί προς τε αυτό και προς τα πολλά" και αύ ει μη εστί πολλά, πάλιν σκοπεΐν τί συμβήσεται και τω ένΐ και τοις πολλοίς και προς αυτά καΐ προς άλληλα." — „Zum Beispiel, sagte er, nach eben der Voraussetzung, von der Zenon ausging ,Wenn Vieles ist' — : was folgt f r das Viele selbst (bzw. die Vielen selbst) in Bezug auf es selbst wie auch in Bezug auf das Eine und f r das Eine in Bezug auf sich selbst wie auch in Bezug auf die Vielen. Und wiederum, ,Wenn Vieles nicht ist', so ist aufs neue zu untersuchen, was sich ergeben mu f r das Eins und f r die Vielen, jeweils im Selbstbezug als auch im wechselseitigen Verh ltnis."

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Auch bei einigem Wohlwollen wird man dem platonischen Parmenides nicht attestieren k nnen, sein Ubungsprogramm sei nunmehr durchsichtig; es ist sehr begreiflich, da Sokrates ausruft: „Άμήχανόν . . ., λέγεις, ώ Παρμενίδη, πραγματείαν, και ου σφόδρα μανθάνω"8 und um eine Probe bittet. Halbwegs klar ist jedoch das Schema des Vorgehens: 1. Hypothesis

2. Hypothesis

Φ ist Untersuchungen zur 1. Hypothesis: Wenn Φ ist, was folgt f r

Φ ist nicht Untersuchungen zur 2. Hypothesis: Wenn Φ nicht ist, was folgt f r

(a) Φ in Bezug auf Φ (προς αυτά) (Β) Φ in Bezug auf Non-Φ (προς άλληλα)

(a) Φ in Bezug auf Φ (προς αυτά) (Β) Φ in Bezug auf Non-Φ (προς άλληλα)

Streng genommen d rften wir zur schematischen Darstellung gar nicht den Ausdruck ,Νοη-Φ' ben tzen. Zwar ist, wenn Φ z.B. f r die Idee der hnlichkeit steht, die Un hnlichkeit durch Νοη-Φ repr sentiert — dies gilt aber nicht f r Ideen wie Entstehen und Vergehen, denn ,Entstehen' ist kein Komplement rbegriff zu ,Vergehen'. Wenn man nun f r Φ ,το εν' in obiges Schema einsetzt, und f r Νοη-Φ ,τά πολλά' (bzw. ,τάλλα'), so sollten — da das Eine ja als Beispiel dient — genau die Einteilungen und leitenden Fragestellungen des zweiten Dialogteils erzeugt werden. Tats chlich folgen die Deduktionen jedoch einem anderen Prinzip: /. Hypothesis: εν εστίν 1. Untersuchung: 2. Untersuchung:

Wenn Eines ist, was folgt f r das Eine? Erneute Betrachtung der Hypothesis und ihrer Konsequenzen f r das Eine Appendix zur 2. Deduktion oder 3. Untersuchung 3. (bzw. 4.) Untersuchung: Wenn Eines ist, was folgt f r die Anderen (als Eins)? 4. (Bzw. 5.) Untersuchung: Wiederaufnahme der vorigen Untersuchung 2. Hypothesis: εν μη εστίν 5. (Bzw. 6.) Untersuchung:

(AI) (A 2) (A 2 a) (B 1) (B 2)

Wenn Eines nicht ist, was folgt f r das Eine? (N 1) 6. (Bzw. 7.) Untersuchung: Wiederaufnahme der vorigen Untersuchung (N 2) 7. (Bzw. 8.) Untersuchung: Wenn Eines nicht ist, was folgt f r die Anderen? (M 1) 8. (Bzw. 9.) Untersuchung: Wiederaufnahme der vorigen Untersuchung (M 2) 8

Parm. 136c6.

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Wie zu sehen ist, besteht lediglich in der Anzahl der Deduktionen bzw. Reihen (sofern man den Abschnitt 155e—157b nicht als eigenständiges Argument betrachtet) eine Übereinstimmung zwischen Programm und Ausführung. Die Übereinstimmung in diesem Punkt kommt jedoch nicht durch die Anwendung des Programmschemas zustande, sondern durch die Verdoppelung einer jeden Fragestellung, wobei die Unterscheidung zwischen Selbstbezug und wechselseitigem Verhältnis ,komplementärer' Ideen für die Gliederung des zweiten Teils nicht mehr herangezogen wird. Um diese Diskrepanz geht es in dem alten Streit, wieviel Hypothesen gemäß Parm.l36b,c zu erwarten sind und wieviele der zweite Teil tatsächlich enthält. Es gehört zu den Kuriosa der Parmenides-Forschung, daß einige Exegeten von neun Hypothesen reden, andere von acht, wogegen wieder andere deren vier entdecken, während ganz sparsame sich mit zwei Hypothesen oder gar einer einzigen begnügen wollen. Fast könnte man meinen, daß die Konfusion, die der rätselhafte zweite Dialogteil in manchem Kopf erzeugte, auf so elementare Fähigkeiten wie das Zählen übergegriffen hat. Natürlich liegt diesen Unstimmigkeiten in der Hauptsache ein uneinheitlicher Gebrauch von ,Hypothese' zugrunde: Wer unter Hypothesen jeweils einen der in sich geschlossenen Argumentationsverläufe versteht, wird von acht oder aber von neun Hypothesen sprechen, falls er den Passus 155e—157b durchaus als selbständige ,Hypothese' einstufen will. Allerdings ist eine solche Nomenklatur ebenso irritierend wie unzweckmäßig, denn die im Mittelteil dargelegte Absicht geht darauf, aus bestimmten Hypothesen von der Art: ,Wenn Vieles ist' oder ,Wenn Ähnlichkeit ist' Schlüsse abzuleiten; deshalb kann es nur verwirren, wenn das Ganze, hypothetische Annahme plus Folgerungsmenge, als Hypothese bezeichnet wird. Von acht oder neun Hypothesen sollte deshalb nur dann die Rede sein dürfen, wenn angenommen wird, daß in jeder Argumentreihe ein anderer Untersuchungsgegenstand (oder Bereich von Gegenständen) vorliegt, und somit auch, trotz des gleichen Wortlauts, jeweils eine verschiedene hypothetische Annahme. Unter dieser Voraussetzung wird allerdings die Kluft zwischen den programmatischen Bemerkungen und der Durchführung unüberwindlich groß. Wer dagegen die eingangs jeden Arguments stehende Wendung von der Form: ,Wenn . . . ist, was folgt für —?' als die jeweilige Hypothese ansieht, wird von vier Hypothesen ausgehen. Auch ein solcher Wortgebrauch scheint nicht eben glücklich, denn diese die Richtung der Untersuchung spezifizierenden Zusätze haben mit dem logischen Gehalt des , ' nichts zu tun; die Folgerungen aus einer Annahme A bezüglich einer Enti-

Zenons Paradoxon und das Problem des Widerspruchs bei Platon

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tat a bilden zusammen mit denen bez glich einer Entit t b eine Folgerungsmenge von A, weshalb man die Bezeichnung ,Hypothese' f r A reservieren sollte. Legitim ist es nur, vier Hypothesen anzusetzen, wenn hinter dem Ausdruck ,εν εστίν' eine syntaktische oder semantische Ambiguit t vermutet wird — wenn also z.B. das , εστίν' in der ersten Reihe als Kopula, in der zweiten als Existenzzeichen gelesen wird oder wenn das ,εν' alternierend auf verschiedene Entit ten Bezug nehmen soll. Derartige Versuche, das beunruhigende Ph nomen der Verdoppelung der Fragestellung zu erkl ren und eine gr ere bereinstimmung zwischen Programm und zweitem Dialogteil zu erzielen, sind verschiedentlich unternommen worden. Wenn n mlich die ,προς αυτά'-,προς άλληλα'-Unterscheidung nicht eigenst ndige Deduktionen bestimmt, sondern nur innerhalb einer jeden Argumentreihe Ber cksichtigung findet, haben wir Parm.l36b,c gem vier Reihen zu erwarten — bei einem systematisch zweideutigen Gebrauch der Hypothesis also insgesamt acht. Man wird jedoch in den berleitenden Bemerkungen vergebens nach Hinweisen suchen, die eine solche Absicht anklingen lassen. Sofern nicht noch andere und st rkere Gr nde als die Diskrepanz zwischen Programm und Durchf hrung genannt werden k nnen, wird man die These von der syntaktischen oder semantischen Ambiguit t der Hypothesis als ad-hoc-Konstruktion einstufen m ssen. An dieser Stelle kann auf eine n here Er rterung der ,Ambiguit tsTheorie' und ihrer Spielarten verzichtet werden. Wir brauchen uns mit den Vertretern dieser Richtung nur dar ber zu verst ndigen, da es vorteilhafter ist, unsere Benennungen m glichst frei von diffizilen inhaltlichen Problemen zu halten, und unter einer Hypothese einfach eine Zeichenreihe von der Gestalt: ,εν εστίν' bzw. ,εν μη εστίν' zu verstehen, die aus den Hypothesen entwickelten Argumente aber ,Deduktionen' oder , Argumentreihen1 zu taufen. Einigt man sich auf diesen Sprachgebrauch, so enth lt der zweite Dialogteil zwei Hypothesen und acht Deduktionen sowie einen Passus (Parm.l55e—57b), dessen Status innerhalb der dialektischen bung vorab nicht eindeutig bestimmbar ist.

Zenons Paradoxon und das Problem des Widerspruchs bei Platon Aus dem bereits Ausgef hrten d rfte deutlich geworden sein, da zwischen der dialektischen bung und dem Paradoxon Zenons nur in einer Hinsicht bereinstimmung besteht. Parm. 135d, e gestattet jedenfalls keine Schl sse von der Art, wie sie Koumakis zieht: „Die dialektische bung

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des zweiten Teils des ,Parmenides' ist nach dem Vorbild des zenonischen Paradoxons gestaltet worden, insofern nämlich, als in beiden Fällen Widersprüche aufgezeigt werden. Sind die Widersprüche im Paradoxon Zenons echt, so darf man wohl annehmen, daß die Widersprüche des zweiten Teils ebenfalls echt sind . . . Wenn dagegen Schlüsse Zenons in sophistischer Weise erzielt worden sind, so sollte für Platon dasselbe gelten."1 Mit ungefähr dem gleichen Recht ließen sich etwa Kants Antinomien der reinen Vernunft mit dem Problem der Echtheit der Widersprüche Zenons koppeln. Über den logischen Status des zweiten Dialogteils kann nur der Text Auskunft geben. Zenons Paradoxon der Vielheit verschwindet durch die Einführung von Hinsichten und die Unterscheidung von einstelligen Prädikaten und Relationen. Darin liegt jedoch kein Präjudiz für das Problem der Widersprüche im zweiten Teil des ,Parmenides'. Zenon geht aus von der Annahme: „Wenn viele Dinge sind", also von jener Ontologie des gesunden Menschenverstands, die die Gegner des Parmenides vertreten, und folgert daraus: „. . . . . ."2 Wie diese Folgerung im Einzelnen zustande kommt, wird nicht erwähnt, , ' steht offenbar für konkrete, raumzeitliche Gegenstände. Zenon könnte etwa so argumentiert haben: „Wenn es viele Dinge gibt, so müssen sie (voneinander) verschieden und somit unähnlich sein, sonst könnte nicht von ,vielen' gesprochen werden. Sie sind aber jeweils ein ,ÖV, also sind sie einander ähnlich".3 — Stünde ,ÖV bzw. , ' für die Existenz, so wäre das natürlich ein Fehlschluß: Da ,existiert' kein Prädikat ist (oder sich zumindest logisch anders als ein ,normales' Prädikat verhält), genügt die Existenz nicht, um Ähnlichkeit zu stiften. Der Kölner Dom ist dem Kammerton a nicht ähnlich, weil es beide gibt — ebensowenig, wie die Primzahl zwischen 7 und 9 Hamlet ähnlich ist, weil beide nicht existieren. Wir sind jedoch nicht verpflichtet, das unspezifizierte ,öv' als Zeichen für die Existenz zu lesen; prominente Beispiele, wie der Homo-mensura-Satz des Protagoras deuten auf einen Sinn des absolut gebrauchten , ' im Griechischen, der die Existenz zwar einschließt, aber immer ein bestimmtes Sein meint: Pferd-sein, bitter-sein. Für Zenons Argument genügt es, wenn seine Gegner ihm zugestehen, daß es wenigstens zwei Dinge mit einer gemeinsamen Eigenschaft gibt. Sieht man einmal davon ab, daß Zenon den Relationsausdruck ,ähnlich' wie ein einstelliges Prädikat behandelt — was nicht in jedem Fall Fehl1 2 3

Koumakis, Platons Parmenides, S. 48. Parm. 127e2. Im Anschluß an Proclus, In Farmen., 727, 30-34.

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Schlüsse nach sich ziehen muß, denn es kann auch eine facon de parier sein — ist das Argument bislang kaum anfechtbar. Entscheidend ist seine Auslegung. Zenon glaubt, damit die Gegner des Parmenides eines Widerspruchs überführt zu haben. Wenn diese die Lehre des Parmenides verspotten, so mache seine Schrift deutlich, daß ihrem Satz ,noch Lächerlicheres begegnet' (Parm. 128c,d). Was aber sind die Voraussetzungen, unter denen ,a ist ähnlich' und ,a ist unähnlich' als Widerspruch erscheint? Offensichtlich genügt die Konfundierung von Eigenschaften und Relationen allein nicht, sofern sie überhaupt vorliegt. Mit der Einführung von Aspekten könnte das Paradoxon zwar aufgelöst werden — es bleibt aber ein erklärungsbedürftiges Faktum, daß dieser so naheliegende Ausweg von Zenon weder gesehen wurde noch, allem Anschein nach, akzeptiert worden wäre. Die sokratische Reformulierung des Arguments bringt nun einige zusätzliche Erläuterungen, die hilfreich sind zur Aufhellung des Hintergrunds: „. . . 4 ; Es wird also vom harmlos aussehenden ,a ist ähnlich', ,a ist unähnlich* übergangen zu ,Die Ähnlichen sind unähnlich', ,Die Unähnlichen sind ähnlich', und dies wird als unmöglich bezeichnet. Was für Zenon evident erscheint, bedarf für uns allerdings noch immer der weiterführenden Auslegung. Es bieten sich drei Möglichkeiten an: (a) Etwas, was ähnlich ist, kann nicht unähnlich sein (b) Das Unähnliche kann nicht ähnlich sein = das, was das Unähnliche ist, kann nicht ähnlich sein (c) Das Unähnliche kann nicht ähnlich sein = das, was das Unähnliche ist, kann nicht das Ähnliche sein.

Welche der Thesen (a)—(c) Zenon vertritt, ist nicht klar auszumachen. In der ersten Version werden die Hinsichten unterschlagen. Bei den anderen liegt der Fehler darin, daß Instanzen eines Attributs mit diesem gleichgesetzt werden bzw. daß Prädikationen wie Identitätsaussagen behandelt werden. Zenon könnt im Anschluß an seinen Lehrmeister so argumentiert haben: „Entweder, etwas ist oder es ist nicht. Wenn etwas ähnlich ist, wie könnte das Ähnliche unähnlich sein? Denn so wäre es ja und wäre auch nicht." Auf die Diskussion dieses Paradoxons könnte man wohl verzichten, gäbe es nicht den folgenreichen Einwand des Sokrates. Dessen Kritik an Zenon sieht auf den ersten Blick sehr einfach aus. Gleichwohl sind darin einige nicht-triviale Probleme verborgen, die unter das Thema ,Platon und 4

Parm. 127e3.

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der Widerspruch* gestellt werden k nnen. Es ist n mlich keineswegs klar, ob Sokrates Zenons Argument gegen die Vielheit zur ckweist, weil er den Widerspruch als scheinbaren durchschaut, der nur dadurch zustande kommt, da nicht in gleicher Weise von dem Gleichen ,F' und ,Non-F' behauptet wird, oder weil er das Paradoxon insoweit akzeptiert, als er seine G ltigkeit f r den Bereich sinnlich-wahrnehmbarer Gegenst nde nicht bestreitet, aber die Strategie Zenons durch die Einf hrung einer Klasse nicht-widerspr chlicher Entit ten unterl uft. H lt Platon also die Erscheinungswelt, den Bereich des Sinnlich-Wahrnehmbaren f r widerspr chlich? Oder sieht er in Zenons Widerspruch nichts Bedrohliches, weil eine echte Gefahr erst mit dem Auftauchen von Widerspr chen im Bereich der Ideen gegeben ist? Um diese Fragen beantworten zu k nnen, mu man N heres ber Platons Stellung zu Widerspr chen in Erfahrung bringen. Gibt es im Corpus Platonicum Formulierungen des Satzes vom Widerspruch, und unterscheiden sich diese von den uns gel ufigen Versionen? Existiert eine spezifisch platonische L sung des Problems? Nun findet sich im ,Staat' eine Stelle, die als eine ,ontologische' Version des Satzes vom Widerspruch gedeutet werden kann und eine frappierende bereinstimmung mit aristotelischen Formulierungen aufweist. Der Passus lautet (Politeia 436b): „Δήλον ότι τούτον τάναντία ποιεϊν ή πάσχειν κατά ταύτόν γε και προς ταύτον ουκ έθελήσει άμα . . ." („Es ist doch klar, da dasselbe nie zugleich Entgegengesetztes tut oder leidet, jedenfalls nicht im selben Sinn und hinsichtlich desselben . . .") und wenige Zeilen sp ter: „Εστάναι, ειπον, και κινεΐσθαι το αυτό άμα κατά το αυτό άρα δυνατόν;" („Ist es denn m glich, da dasselbe im selben Sinn zugleich auf der Stelle steht und sich bewegt?") Platon scheint hier Aristoteles vorweggenommen zu haben, der in klassischer Formulierung im Buch Γ der Metaphysik (1005b 19) schreibt: „το γαρ αυτό άμα ύπάρχειν τε καί μη ύπάρχειν αδύνατον τφ αύτω και κατά το αυτό'" In dieser Auswahl und Gegen berstellung scheint die Sache klar: Platon ist ebensowenig wie Aristoteles der Meinung, da die Wirklichkeit (f r Platon besser: der Bereich der αίσθησις) widerspr chlich ist — so da bei n herem Hinsehen kein Ding sich als Tr ger widerspr chlicher Attribute erweist. Ganz in diesem Sinne scheint auch der an die obigen Zitate ankn pfende Passus verfa t zu sein, der ein Beispiel bringt (Politeia 436c,d) „ει γαρ τις λέγοι άνθρωπον έστηκότα, κινοϋντα δε τάς χείρας τε καί την κεφαλήν, ότι ό αυτός εστηκέ τε και κινείται άμα, ουκ αν οιμαι άξιοϊμεν

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ούτω λέγειν δείν, αλλ' ότι το μεν τι αύτοΰ εστηκε, το δε κινείται, ούχ οΰτω;" („Wenn n mlich jemand von einem Menschen, der steht, aber die H nde und den Kopf bewegt, sagte, dieser stehe und bewege sich zugleich, denke ich, sollten wir ihm nicht zugestehen, da man so sagen d rfe, sondern: da etwas an ihm ruhe, anderes sich aber bewege. Oder nicht?") Die Analogien zu Parm.l29c,d, wo es um das Begriffspaar eins/vieles geht, ist so offenkundig, da wir damit eigentlich die Akten ber dieses Problem schlie en k nnten — g be es nicht doch bei dieser L sung einige irritierende Ungereimtheiten. Weshalb beginnt Sokrates mit der Einf hrung der Ideen, die ein Pr dikat jeweils rein verk rpern, also niemals das Entgegengesetzte annehmen? Wozu doch, wenn er seinen Zweck mit dem Nachweis der Scheinhaftigkeit von Zenons Widerspruch so viel leichter h tte erreichen k nnen? Und wie ist die vorgetragene ,aristotelische' Interpretation von Politeia 436 c,d in Einklang zu bringen mit der ber hmten Stelle, die vierzig Stephanus-Seiten sp ter zu finden ist? Dort wird nach den Gegenst nden der Erkenntnis und der Doxa gesucht. Plato geht davon aus, da den unterschiedlichen Verm gen unterschiedliche Gegenst nde korrespondieren: Da die δόξα von der επιστήμη verschieden ist, m ssen ihre Objekte ebenfalls zwei getrennten Bereichen angeh ren. (Die M glichkeit, da es zu ein und demselben Gegenstandsbereich δόξα und επιστήμη geben k nne, scheint Platon nicht in den Sinn zu kommen. Erkenntnis ist f r ihn ganz von der Objektseite her bestimmt.) Da das Seiende, das παντελώς v, erkennbar ist, schlie t er: ,,. . . άλλο τι αν δοξαστόν ή το ον εΐη;" (Politeia 478 b). Sinnlich Wahrnehmbares, als Objekt der δόξα, wird demnach bestimmt als etwas, was sowohl ist als auch nicht ist. Nun ist es offenbar witzlos, dieses , V mit ,existiert' zu bersetzen: Es mag zwar noch sinnvoll von Graden der Wirklichkeit gesprochen werden k nnen, von ,Graden der Existenz' zu reden, f hrt aber in philosophische Fabelreiche der , gedanklichen Existenz' oder ,Subsistenz', in denen Hamlet neben dem Kentaur und dem runden Quadrat dahind mmert. Die sinnlich wahrnehmbaren Dinge .existieren' f r Platon sehr wohl. In Politeia 479a—e wird dann vollends deutlich, da Platon mit dem absoluten , V nicht auf die Existenz zielt, sondern auf jeweils bestimmtes Sein: sch n, gerecht, heilig, doppelt, gro dienen als Beispiele. Von den Objekten der δόξα, den r um-zeitlichen Gegenst nden, gilt also durchg ngig, da sie durch gegens tzliche Pr dikate qualifiziert sind: Ein sch nes Ding ist ebensogut auch h lich, ein gro es klein usw. Wie aber vertr gt sich diese Einsch tzung der sinnlich wahrnehmbaren Gegenst nde, die hnlich ja

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auch im ,Phaidon' entwickelt wird, mit 436b? Wenn man Platon nicht einer Inkonsistenz zeihen will, muß man zusehen, ob es nicht doch einen Ausweg gibt, möglicherweise über eine Modifikation der platonischen Version des Satzes vom Widerspruch. Tatsächlich ist es mehr als fragwürdig, von einer Übereinstimmung in der Ding-Auffassung bei Platon und Aristoteles auszugehen. Die SubstanzAttribut-Auffassung des Dinges ist aber so folgenreich gewesen, daß man sie in aller Regel unbefragt akzeptiert und dies auch bei anderen voraussetzt. Das ist nicht so zu verstehen, als habe die aristotelische Theorie den common sense geprägt, eher umgekehrt: Aristoteles betrieb als erster erfolgreich und systematisch ein Geschäft, das man heute ,deskriptive Metaphysik' nennt. Platon dagegen war, wie Leibniz und der junge Russell, ein metaphysischer Revisionist. So sollte man bei Platon ständig auf der Hut sein, um nicht auf dem Weg über eine Terminologie, die leicht von der Hand geht, falsche oder unangemessene Vorstellungen an die Sache heranzutragen — z.B. mit der gängigen Rede von Ding und Eigenschaft. Die aristotelische Konzeption des Dings ist eine Art ,KleiderständerModell': Der Kleiderständer ist mit verschiedenen Haken und Ablagen versehen für verschiedene Arten von Attributen; so gibt es einen Haken für Gestalt, einen für Farbe, einen für Bewegung usw. An einen Haken darf gleichzeitig immer nur ein Schild mit einem Attribut gehängt werden, dagegen kann zu unterschiedlichen Zeitpunkten Unterschiedliches abgelegt werden. Der Kleiderständer selbst ändert sich auf diese Weise nicht, er bleibt unbeschadet der wechselnden Attribute derselbe. Da immer nur auf einen freien Haken etwas gehängt werden darf, kann es niemals dazu kommen, daß auf einer Ablage zwei Schilder mit der Aufschrift ,F' und ,Non-F' anzutreffen sind. Was aber passiert, wenn man ohne Substanzen, also Kleiderständer, auskommen muß oder will? Man kann dann die ,Kleider' auf einem Haufen ablegen. Anders jedoch als beim ,KleiderständerModell' läßt sich beim ,Haufen-Modell' nicht mehr sagen, der Haufen sei derselbe, wenn ein Schild ausgetauscht wird. Freilich gilt auch hier, daß kein Schild den Platz eines anderen einnehmen kann. Aber es kann doch vorkommen, daß Schilder ,F' und ,Non-F' in den Haufen geraten, da beliebig abgelegt werden kann. Hierbei wird fraglich, ob der ,Haufen' als quasi-widersprüchliches Gebilde überhaupt noch als Referenz- und Erkenntnisobjekt taugt, und ob es nicht besser ist, den Haufen — und somit Einzeldinge — als Bezugsobjekt aufzugeben, und an seiner Statt die Schilder zu wählen. Da es bei Platon jedenfalls keine explizite Theorie des Dinges gibt, und schon einiges an spekulativem Mut dazu gehört, seine

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,heimliche' Ding-Theorie zu entwickeln, kann nicht mit Sicherheit gesagt werden, ob das ,Haufen-Modell' eine adäquate Illustration ist. Jedenfalls ist es ebenso wahrscheinlich, daß Platon so oder ähnlich von Einzeldingen dachte, wie es unwahrscheinlich ist, daß er sinnlich Wahrnehmbares als Substanz ansah. In seiner Dissertation ,Platon und der logische Eleatismus' hat G. Prauss einen scharfsinnigen Vorschlag für eine nicht-aristotelische Deutung von 436b gemacht. Er weist nach, daß sich die meisten Interpreten durch eine verkürzte Wiedergabe des Zitats eine Lösung verbauen; sie brechen ihre Analyse nämlich mit dem , ' ab, und berücksichtigen so nicht den mit , ' eingeleiteten erläuternden Nebensatz: „ ... so daß, wenn wir etwa herausfinden sollten, daß in diesen dieses (nämlich die ) vorkommt, wir wissen werden, daß es sich nicht um dasselbe handelt, sondern um mehreres." Nach Prauss lösen beide, Aristoteles wie Platon, den vermeintlichen Widerspruch auf, jedoch mittels einer gegenläufigen Strategie. Während Aristoteles durch die Differenzierung von Hinsichten am , ' festhalte, „ . . . hält umgekehrt Platon gerade die fest und gibt da5 für das , das Einheitlich-Identische preis . . ." Akzeptieren wir zunächst einmal diesen Ansatz und versuchen wir, ihn in eine formale Redeweise zu übersetzen: Es geht um eine Konjunktion widersprüchlicher Sätze: (1) Fa /^ -Fa. Ein solcher Ausdruck soll nicht zugelassen werden, sowohl Aristoteles wie Platon vertreten (2) -Vx (Fx /\ -Fx). Tritt in umgangssprachlicher Formulierung ein Ausdruck auf, der über dasselbe Gegensätzliches zu sagen scheint, muß er so umgeformt werden, daß er (2) Rechnung trägt. Für die aristotelische Analyse gibt es zwei Möglichkeiten: (a) Aus einstelligen Prädikaten werden (zweistellige) Relationen, wobei eines der beiden Relata jeweils konstant bleibt, also: (3) Fa,b /\ -Fa,c. Oder (b): Es handelt sich nicht um das gleiche Prädikat, also: (4) Fa /\ -Ga, wobei F G. Bei Platon hingegen wird der Prädikatausdruck unverändert gelassen, dafür aber die Individuenkonstante geändert: (5) Fb /\ -Fc; nicht dagegen (6) Fa /\ -Fc. Für das durch die Gegenstandskonstante a bezeichnete Objekt gilt nach wie vor (1); a ist also aus dem ,universe of discourse' auszuschließen und durch zwei oder mehrere Gegenstände b,c . . . n zu ersetzen. Allerdings sind auch bei dieser Form der Darstellung noch einige kleinere Probleme offen. Mit dem Ausschluß von ,a' aus der Klasse der Objekte, über die sich sinnvoll reden läßt, und seiner Ersetzung durch ObPrauss, Platon und der logische Eleatismus, § 12, S. 96.

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jekte ,b,c' ist nur eine ,ad-hoc'-Lösung gefunden. Da b und c Teile von a sind, also Gegenstände des gleichen ontologischen Typs wie a, kann sich prinzipiell der Widerspruch immer wieder einnisten. Wenn also im Fall des ruhenden und sich bewegenden Menschen eine Auflösung der vermeintlichen Antinomie durch die Unterscheidung von ruhenden und sich bewegenden Körperteilen erfolgt, ist damit grundsätzlich nicht viel gewonnen, weil z.B. vom Kopf wieder das Gleiche gesagt werden könnte, wie vom ,widersprüchlichen' Gebilde Mensch. Das Problem ist nur verschoben, der Platoniker weiterhin auf der Suche nach einem , *. Nun sind verschiedene Lösungsstrategien denkbar. So kann man (1) eine pragmatische' Position beziehen und behaupten, daß die prinzipielle Möglichkeit des Widerauftretens von Antinomien nichts Bedrohliches sei, solange es praktisch in jedem Fall gelingt, mit einer endlichen Zahl von Schritten einen widersprüchlichen Ausdruck B so zu , zersplittern', daß in den Ausdrücken B', B" usw. kein Widerspruch mehr erscheint. Mit anderen Worten: Es ist nach dieser Auffassung immer möglich, einen konkreten Gegenstand anzugeben, auf den nur ein Prädikat F, nicht aber gleichzeitig Non-F zutrifft. Zur Illustration dieser Strategie diene ein kleines Dialogspiel: Z: „Dieser Mensch steht und bewegt sich." P: „So darf man nicht sagen: Es ist nicht dasselbe, was steht und sich bewegt. Seine Beine ruhen, sein Kopf bewegt sich." Z: „Der Kopf ist bewegt und zugleich in Ruhe." P: „Nein, mein Guter. Zwar bewegt er die Augen, den Mund aber nicht. Und vom Mund willst du wohl nicht behaupten, daß er ihn bewegt und nicht bewegt, denn er bewegt ihn nicht, wie du siehst." Diese Position wäre jedoch schwer zu vereinbaren mit Politeia 478 e— 479 d, denn dort wird von allen Konkreta behauptet, daß für sie F und Non-F gilt. (2) Die Regreß-Strategie, wie wir sie nennen können, schreckt im Gegensatz zu (1) nicht vor einem regressus in infinitum zurück, sondern sieht gerade darin die Garantie, daß Widersprüche nicht auftreten können, weil sie prinzipiell auflösbar seien. Sie behauptet nicht, daß mit endlichen vielen Schritten ein Objekt zu finden sei, für das F und Non-F nicht konstruierbar ist, sondern, daß es ,immer weiter geht'. Zu jedem -ten Schritt gibt es einen Schritt n+1, der den in n enthaltenen Widerspruch durch eine Änderung des Bezugs auflöst. Wollte man einwenden, dann sei das »letzte Referenzobjekt' eben doch ,widersprüchlich', so wäre das kein guter Einwand: Ein letztes Referenzobjekt gibt es hier ebensowenig, wie es in

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einer Hierarchie von Sprachstufen eine letzte Metasprache gibt. Allerdings h tte ein solche Position den Nachteil, dem Widerspruch zwar davonzulaufen, aber auch niemals einen Gegenstand zu erreichen, f r den kein Widerspruch mehr konstruierbar ist. Diesen Schwierigkeiten k nnte man nur entkommen, wenn man sich entschlie t, eine Klasse von Entit ten einzuf hren, bei denen die Konstruktion von Widerspr chen ausgeschlossen ist, die sich also nicht in eine Vielheit aufl sen lassen. Solche Gegenst nde m ten gewisserma en ,elementar', ,atomar', ,streng einfach' sein, so da von ihnen jeweils nur ein Pr dikat ausgesagt werden kann. Als Kandidaten k men hier Sinnesdaten, ,immanente Eigenschaften'6 sowie Ideen in Frage. Erstere k nnen aufgrund der platonischen Wahrnehmungskritik von vornherein ausgeschlossen werden, und sp testens hier endet die Analogie zum ,logischen Atomismus' Russells (Platon unterscheidet sich aber auch in den Motiven von Russell. Diesem ging es um eine leistungsf hige semantische Interpretation f r die Sprache der ,Principia Mathematica', und er nahm an, da dies nur zu erreichen sei, wenn den nicht-logischen Konstanten nicht weiter analysierbare Bausteine der Welt zugeordnet werden. Deshalb sind f r Russell komplexe Gebilde noch lange nicht widerspr chlich.) Die verzwickte Frage, ob Platon in seine Ontologie neben Sinnlich-Wahrnehmbaren und Ideen auch noch Eigenschaften (,immanent characters') bzw. ,δυνάμεις' aufnimmt (wie Prauss meint: ihm zufolge besitzt Platon eine ausgefeilte Ding-Theorie; das Ding sei f r die fr he und mittlere Ideenlehre ein ,Aggregat von δυνάμεις', und entsprechend der Satz ein blo es Aggregat von ονόματα) wage ich nicht zu entscheiden. Der Text ist m.E. f r eine solche Konstruktion nicht gen gend tragf hig. Hinzu kommt, da anders als etwa bei,είδος' und ,μετέχειν' im Fall des Ausdrucks ,δύναμις' keine Tendenz zur terminologischen Verfestigung zu beobachten ist, kein deutlich uneigentlicher Gebrauch neben dem umgangssprachlich blichen. Wie dem auch sei: Ob Platon ,immanente Eigenschaften' neben den Ideen annimmt oder nicht, er erreicht auf beiden Ebenen sein Ziel: Objekte, die gegen Widerspr che immun sind. Von dem Rot dieses Schals kann offenbar ebensowenig wie von der Idee der R te das Nicht-Rot behauptet werden. Von daher w re auch verst ndlich, weshalb Sokrates in seiner Antwort auf Zenon sogleich die Ideen und die Teilhabe einf hrt, statt im Sinne von Politeia 436b,c zu argumentieren: Ohne sich mit den Folgeproblemen einer Aufl sung des Widerspruchs durch Aufgabe des 6

Vgl. Prauss, a.a.O., §§ 13-16.

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, ' zu belasten, kann er auf eine Vielheit verweisen — die Ideen — von der seiner Meinung nach unmöglich Widersprüchliches behauptet werden kann. Auffällig am Einwand gegen Zenon ist ja die Trivialisierung des Resultats. Daß Vieles an entgegengesetzten Ideen gleichzeitig teilhaben kann, daran sei überhaupt nichts Wunderbares. Sokrates scheint also in einem Ausdruck wie ,a ist ähnlich und unähnlich' gar nichts Beunruhigendes zu sehen. Aber weshalb nicht? Weil er es für trivial hält, daß konkrete Gegenstände widersprüchlich sind, oder weil er überzeugt ist, daß hier gar keine echten Widersprüche auftreten? Betrachtet man das Beispiel des Sokrates, der vieles und eins ist, dann spricht alles für die zweite Annahme. ,Sokrates ist eins und vieles' ist ein elliptischer Ausdruck und kann ergänzt werden zu ,Sokrates ist ein Mensch und Sokrates hat viele Glieder'. In dieser Fassung ist, ungeachtet der Teilhabe von ein und demselben an gegensätzlichen Ideen, der Schein des Widersprüchlichen verflogen. Diese Aufhebung folgt aber ganz und gar nicht der Direktive von Politeia 436b,c, die da lautet: ,,Wenn Du auf einen widersprüchlichen Satz triffst, dann bedenke, daß Gegensätzliches nicht von ein und demselben gesagt werden kann. Unterteile also den Gegenstand und löse das vermeintliche auf!" Hinsichtlich , ' und , ' erweist sich eine solche Methode aber als untauglich. Denn das , ' und das , ' kann von jedem Gegenstand ausgesagt werden, wie auch immer man ihn unterteilt: ,Sokrates ist eins* — nämlich eine Person, ,Sokrates Kopf ist eins und vieles' — nämlich genau ein Kopf, mit Augen, Ohren usw. Es ist also nicht zu sehen, wie mittels einer Teilung eines sinnlich wahrnehmbaren Objektes verhindert werden könnte, daß von den Teilen wiederum , ' und , ' gilt. Wenn überhaupt über etwas gesprochen wird, dann ist es immer schon ein , '. Hier hilft nur die Unterscheidung von Hinsichten oder die Vervollständigung der Ausdrücke, um Widersprüche zum Verschwinden zu bringen. Man hätte erwarten dürfen, daß eine Erörterung des Themas: ,Platon und der Widerspruch' sich als hilfreich erweist — doch nun zeigt sich, daß die Schwierigkeiten eher angewachsen sind, denn die nicht-aristotelische Deutung des platonischen Satzes vom Widerspruch, die Prauss vorschlug, versagt im Falle des Begriffpaars ,eins/vieles' — und das liegt offenbar daran, daß seine Deutung gerade mit diesem Gegensatz von Einheit und Vielheit arbeitet. Der bewegte und unbewegte Mensch ist im Lichte dieser Interpretation eben nicht das einheitlich-identische Ding, das der normale Sprachgebrauch voraussetzt, sondern ,eigentlich bloße Vielheit'. Besonders

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scharf formuliert es Prauss in einer Art Fazit: „Beh lt man das bisher Ermittelte im Auge, so kann keinem Zweifel unterliegen, was Platon meint, wenn er die Idee als μονοειδές und im Gegensatz zu ihr das Einzelding als πολυειδές kennzeichnet. Die Idee ist einfach, und das hei t: so ausschlie lich Einheit wie das Einzelding ausschlie lich Vielheit ist."7 (Hervorhebungen von mir) Nimmt man Prauss beim Wort und fragt, was ,blo e, ausschlie liche Vielheit' denn hei en kann, so d rfte es nur eine Antwort geben: Etwas ist reine Vielheit genau dann, wenn es, platonisch gesprochen, in gar keiner Weise an der Einheit teilhat, wenn es sinnlos ist, von ihm das ,εν' auszusagen. Die Konsequenzen dieser Konzeption sind beachtlich: Es gibt nun keine M glichkeit mehr, sich auf SinnlichWahrnehmbares zu beziehen, weder mit der Deixis, noch durch Namen oder Beschreibungen, denn reine Vielheiten taugen nicht als Referenzobjekte — oder anders ausgedr ckt: jeder referentielle Akt ist zum Scheitern verurteilt, insofern er immer schon etwas Einheitliches voraussetzt, auf das identifizierend Bezug genommen wird, w hrend es in Wirklichkeit im Bereich der entstehenden und vergehenden Dinge kein ,ταύτόν' gibt. Eine eigent mliche Folge w re auch die Ununterscheidbarkeit der Idee der Vielheit als etwas, das in jeder Hinsicht vieles ist — wenn es denn eine solche gibt — von den ,blo en Vielheiten' der Einzeldinge. Stimmt die Interpretation von Prauss, dann sind Parm. 129a—e und Politeia 436b, c unvereinbar. Nun mag man bez glich des ,Parmenides' daran zweifeln, ob die dort vorgetragenen Lehrst cke mit der Ideentheorie der mittleren Periode vereinbar sind, ja ob hier berhaupt Platon selbst spricht. Der ,Philebos' aber ist guter, sp ter Platon. Im Phileb.Hc—e wird n mlich die Einsicht, da ,Werdendes und Vergehendes' eins und vieles ist, ganz hnlich wie im Parm.l29a—e, f r selbstverst ndlich erachtet: ,,Σύ μεν, ώ Πρώταρχε, εΐρηκας τα όεόημενμένα των θαυμαστών περί το εν καί πολλά . . . " Da konkrete Dinge eines und vieles sind, diese Weisheit ist f r den Sokrates des ,Philebos' so platt, da sie schon unters Volk gekommen ist. Es sieht also ganz so aus, als betrachte Platon weder im ,Parmenides' noch im ,Philebos' die Einzeldinge als ,blo e' Vielheiten, sondern als Einheiten vieler Teile und als Vielheiten, die sich zwanglos zu Einheiten zusammenfassen lassen. Und wer wei , vielleicht war Platon auch in seiner fr hen und mittleren Ideenlehre nicht jener radikale Anh nger des Eleatismus, den Prauss entdeckte. F r den Fortgang des Dialogs sind die Probleme der platonischen DingTheorie weniger wichtig als die grundlegenden Annahmen der hier ent7 Prauss, a.a.O., S. 97.

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Die Bemerkungen zur Methode

wickelten Ideentheorie. Und dabei ist bemerkenswert, daß die Trivialisierung der Einheits-Vielheits-Problematik im Bereich sinnlich wahrnehmbarer Dinge eine Entsprechung findet in jener höchsten Verwunderung, die Sokrates bekunden will, sollte der Nachweis gelingen, daß Eins selbst vieles ist, oder die Ähnlichkeit unähnlich. Auch der .Philebos' sieht darin das eigentliche philosophische Problem, nur wird dort bereits vorausgesetzt, was im ,Parmenides' noch als unvorstellbar, undenkbar erscheint. Der Vergleichbarkeit beider Passagen sind allerdings durch abweichende Problemstellungen gewisse Grenzen gesetzt. Im ,Parmenides' ist das Einheits-Vielheits-Problem nur bezüglich der gegensätzlichen Ideen der Einheit und Vielheit thematisch, also eingebettet in das Problem gegensätzlicher Bestimmungen, während der ,Philebos' fragt, wie eine jede Idee (,Mensch', ,Ochse', ,das Gute') eins und vieles sein kann. Untersucht man jedoch die Hintergründe der sokratischen Verwunderung, dann wird klar, daß es sich um zwei Seiten desselben Problems handelt. — Die These, daß die Ähnlichkeit niemals unähnlich wird, kann bedeuten: (1) Das Attribut (das mehrstellige Prädikat »ähnlich') ist für Gegenstände des Typus ,Ähnlichkeit' nicht definiert, und somit auch nicht seine Negation. (Aber diese Deutung ist extrem unwahrscheinlich, nicht nur weil es durchaus sinnvoll erscheint, Ähnlichkeitsbeziehungen zwischen verschiedenen Ideen, z.B. der Gerechtigkeit und der Frömmigkeit, anzunehmen, sondern weil Platon keine Typenschranken für Prädikate kennt — oder, wenn Ryles Interpretation des ,Parmenides' zutrifft, erst im zweiten Teil dieses Dialogs implizit eine Art Typentheorie entwickelt.) (2) Die Ähnlichkeit ist ähnlich, das Eins ist eins usw. — aber eben nicht im Sinne einer ,normalen' Prädikation, die daneben auch noch diverse andere Prädikate zuläßt, sondern in dem bereits zur Genüge bedeuteten Sinn. Zwischen der ,Selbstprädikation' und der Einheits-Vielheits-Problematik besteht aber ein enger interner Zusammenhang: Wenn die Ideen quasiselbstprädikativ sind, dann müssen sie auch einfach, unzusammengesetzt sein, und wenn sie dies sind, kommen für sie keine gegensätzlichen Bestimmungen in Frage. Mit dieser elementaren Annahme glaubte Platon womöglich die Ideen von den Defekten der Erscheinungswelt frei zu halten, speziell ihre Widerspruchsfreiheit garantiert zu haben — und dies erklärt auch die Gewißheit des jungen Sokrates, daß bezüglich einer Idee von F niemals Non-F nachzuweisen sei. Er übersah dabei allerdings, daß diese Form der Absicherung seiner Ideen gegen Widersprüche selbst sehr unerfreuliche Konsequenzen nach sich zieht.

Probleme und Pseudoprobleme mit der Hypothesis Zur Kritik der neuplatonischen Hypothesendeutung In unserer Diskussion des Programms der dialektischen bung sind wir einer Reihe von Fragen aus dem Wege gegangen, denen wir uns nun nicht mehr entziehen k nnen. Bislang haben wir immer so getan, als handele es sich bei ,ει εν εστίν', ,εί εν μη εστίν', ,εΐ πολλά εστίν' um Ausdr cke, die jedem, der Griechisch versteht, unmittelbar verst ndlich sind. Tats chlich gibt es einige gl ckliche Exegeten, die mit diesen S tzen keine M he haben. Nun denke man sich aber an Stelle solch spekulativer K pfe einen philosophisch unbefangenen Zeitgenossen, den man mit der Aufforderung berf llt: „Sage mir doch: Wenn Eins ist, was folgt dann f r das Eine?" Welche Reaktion darf man erwarten? Wahrscheinlich w ren: Verwirrung, Zweifel an der Ernsthaftigkeit des Anliegens, die Bitte um Erl uterung — schwer vorstellbar jedoch, da der so Befragte anf ngt, Schl sse zu ziehen. Man m te schon auf Gegenfragen gefa t sein: „Aber was bedeutet denn dieses ,Eins', und wie ist das ,ist' hier zu verstehen? Wor ber spricht eigentlich dieser Satz, und was will er sagen? Handelt es sich berhaupt um einen vollst ndigen und sinnvollen sprachlichen Ausdruck, oder mu irgendeine Erg nzung mitgedacht werden?" Ein Blick in die Sekund rliteratur gen gt, um zu erkennen, wie berechtigt solches Fragen auch im Kontext des Dialogs ist: so viele Richtungen der Parmenides-Interpretation, so viele abweichende Ausk nfte ber Gegenstand und Sinn der Hypothesis. Nehmen wir zun chst einmal an, ,τό εν' sei ein referierender Term, also ein Name f r eine bestimmte (abstrakte) Entit t. (Man sollte nat rlich nicht die M glichkeit ausschlie en, da ,εν' keine bezeichnende, sondern rein synsemantische Funktion hat.) Als Kandidaten bieten sich an: (a) eine platonische Idee, also die Idee des Einen oder der Einheit; das Iv αυτό (b) das Eine-Seiende des (historischen) Parmenides (c) die Zahl l (e) die Klasse der Ideen, da jede Idee als ,Eins ber Vielen', .eingestaltig' charakterisiert ist.

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Probleme und Pseudoprobleme mit der Hypothesis

Will man Neoplatoniker und Mystiker nicht allzu sehr entt uschen, so sollte man noch (e) das Absolute, Gott und

(f) das oberste Seins-Prinzip / die Idee des Einen Guten / das Hen-Hen

hinzunehmen, allerdings nur, um diese Ans tze bald wieder zu verwerfen. Genaugenommen, geh ren (e) und (f) auch nicht in diese Liste, denn es wird nach einer Bedeutung gesucht, die allen Vorkommnissen von ,εν' im zweiten Dialogteil gerecht wird; denn Platon erweckt zumindest den Eindruck, da er mit ,τό εν' stets auf dasselbe zielt. Wenn man daraus auch nicht auf einen tats chlichen eindeutigen Gebrauch schlie en kann, so f llt es doch schwer zu glauben, da ,εν' neun verschiedene Bedeutungen annehmen soll. Da die Neuplatoniker aber im ,Parmenidese eine metaphysische Theorie zu finden hoffen — die Ausbreitung einer Ontologie ber neun ,Positionen' — m ssen sie unterstellen, da εν und τάλλα in den verschiedenen ,Hypothesen' oder ,Positionen' jeweils anderes meint. Nur so kann eine ,Henologie' — als esoterischer berbau der Ideenlehre — f rs erste von eklatanten Unstimmigkeiten bewahrt werden. Deshalb kommen (e) oder (f) nur f r die erste Reihe (AI) in Frage. — Da weder der Anfang noch die Resultate der ersten ,Hypothese', ganz zu schweigen von den einleitenden Bemerkungen, die Vermutung nahelegen, hier sei von Gott oder der Idee des Guten oder gar von einem Hen-Hen1 die Rede, liegt die Beweislast bei den Proponenten solcher Thesen. Wer nun aber darauf hofft, gute und starke Gr nde f r so gewagte Annahmen vorgesetzt zu bekommen, sieht sich bitter entt uscht: nichts dergleichen geschieht. F r Proklos konnte es keinen Zweifel daran geben, da Platon in der angek ndigten bung den Zugang zum Innersten seiner Philosophie freigibt. Platon beginnt demnach mit dem wahrhaftigen und vollkommenen Einen — also mit Gott — und enth llt dem durch Beten und Fasten pr parierten Leser die Mysterien des g ttlichen Wesens. Da Platon dem Einen in der ersten Deduktion jede Bestimmtheit abspricht, kann Proklos nicht irritieren: er sieht gerade darin den Beleg, da das Eine , berseiend' (έπέκεινα της ουσίας) ist im Sinne von Politeia 509b, somit der h chste Gegenstand (s. Proclus, In Parm., 1240).

Wyller (2), Platons Parmenides, Form und Sinn, S. 220.

Zur Kritik der neuplatonischen Hypothesendeutung

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Wenn das Eine der ersten Argumentfolge in neuplatonischer Sicht berseiend ist, so m te , berseiend' ja wohl hei en: in keiner Weise seiend, von der Art, da nichts davon ausgesagt werden kann, nicht einmal Selbstidentit t und Einheit. Ist nun die Idee des Guten, von der Platon im Sonnengleichnis sagt, sie berrage das Sein an W rde und Kraft, so beschaffen? Im ,Staat' (507b) werden das Gute und das Sch ne als je eine Idee betrachtet, von denen das , εστίν' gilt: die Idee des Guten w re demnach ,δ εστίν αγαθόν'. Im H hlengleichnis (518c) schlie lich spricht Platon vom Guten als ,φανότατον του οντος'. Nach diesen Stellen geht die Idee des Guten im ,Staat' jedenfalls nicht ihres Seins verlustig. Da Platon an keiner Stelle des ,Parmenides' das Eine dem Sein vorordnet oder berordnet, besteht somit kein Grund, Politeia 509b mit dem zweiten Teil des ,Parmenides' in Verbindung zu bringen.2 Dar ber hinaus ist die ,negative Theologie', die Proklos Platon unterstellt, voller Widerspr che und Ungereimtheiten. So schreibt Proklos (In Parm. 1082): „το δε αύ προ του οντος εν μη v μεν εστίν, ου μέντοι και ουδέν εν γαρ δν αδύνατον αυτό λέγειν ουδέν." (,Das Eine vor dem Sein ist zwar nicht seiend, nicht aber ein Nichts: da es Eins ist, ist es unm glich Nichts zu nennen/) Nun lesen wir aber an der Stelle Parm. 141 e, da das Eine, als etwas, das in keiner Weise am Sein teilhat, in keiner Weise ist: somit ist es auch nicht eins, denn dann w re es ja und h tte teil am Sein. Das nihil mysteriosum des Proklos ist somit ununterscheidbar von einem μηδαμώς v. Betrachtet man Arbeiten moderner Neuplatoniker — etwa die Speisers oder Wyllers — so f llt auf, da f r ihre Hauptthesen keine Argumente geliefert werden. Nicht etwa am Ende einer ausf hrlichen Er rterung konkurrierender Deutungen, sondern bereits zu Beginn seiner Untersuchung stellt A. Speiser fest: „Die erste Position behandelt das Eins oberhalb des Seins. Die vier n chsten behandeln das seiende Eins, die vier letzten das nichtseiende . . . Da Platon beabsichtigte, auf diesem Wege die ganze Welt einzukreisen, kann wohl als sicher angenommen werden. Unsere bisherige Hauptgliederung entspricht dann mit voller Klarheit derjenigen in Gott, Wirklichkeit und Schein."3 2

3

Wenn H. J. Kr mer gegen Cherniss einwendet: „Im Parmenides stehen εν und v nur scheinbar nebeneinander, tats chlich ist das v dem εν untergeordnet" (Kr mer (1), S. 428, Anm. 99), und sich dabei auf Parm. 144c beruft, so zeigt die n here Betrachtung, da diese Stelle etwas ganz anderes lehrt, n mlich die extensionale quivalenz von εν und v. Alles, was ist, ist auch eins, und umgekehrt; wenn etwas Teil des Seins ist, so kann es nicht kein Teil sein. Speiser, Ein Parmenideskommentar, S. 16.

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Probleme und Pseudoprobleme mit der Hypothesis

Diese bei allen modernen Nachfolgern des Proklos zu beobachtende Tendenz, eine spekulative Annahme durch immer gewagtere Konstruktionen zu st tzen, ist bei E. A. Wyller besonders sch n entwickelt: „Das Seins-Pro mium (142bl—c7) bestimmt den durch die Hyperbole erhellten Sinn von Sein. Das Sein ist nicht der Urgrund (das Ein-Eine). Zwischen das Sein und das (h here) Ein-Eine f llt eine kontradiktorische Differenz (ου τούτον), die henologische Differenz."4 Im Text ist davon kein Wort zu finden. Aber es d rfte auch verlorene M he sein, wollte man versuchen, Wyller aus diesen wolkigen H hen zu holen, da er an anderer Stelle ausf hrt: „Dem Analytiker Cornford waren weder Thomas Aquinas noch Descartes oder Kant f r das ma gebend, was sein oder gedacht werden k nne, sondern der Logos selbst, — ein Logos jedoch, der durch das traditionelle Festhalten der Logik am (ent-ontologisierten) Satz vom Widerspruch als dem obersten Grundsatz des Denkens fl gelbeschnitten worden war."5 Die neoplatonische Interpretation wird erst dann wieder ernsthaft in Betracht kommen, wenn sie befriedigende Antworten auf die folgenden Fragen geben kann: (1) Welche Stellen im Text des Dialogs rechtfertigen die Annahme, da Platon Parmenides, den er im ,Sophistes' zwar respektvoll, aber dennoch scharf kritisiert, seine bislang streng geh tete eigentliche Lehre in den Mund legt? (2) Wie kann die Diskrepanz zwischen Methodenexposee und der neuplatonischen Deutung des zweiten Dialogteils erkl rt werden? (3) Was sind die Gr nde f r die Zuordnung von ,Seinsbereichen' zu .Hypothesen'? Was rechtfertigt z.B. die Annahme, in der 2. Position (bei uns A2) sei von der Ideenwelt die Rede, in der x-ten aber vom Schein? (4) Wie ist speziell das Ph nomen der Verdoppelung der Fragestellung zu verstehen, wenn doch in neuplatonischer Sicht jede ,Position' f r einen bestimmten Seinsbereich steht? (5) Wie kann der seltsame Umstand erkl rt werden, da Platon in der 1., 5., 7. und 9. sowie in der 2., 4., 6. und 8. Reihe jeweils zu dem gleichen Resultat kommt? (6) Wie vertr gt sich die rhetorische Frage am Ende des ersten Arguments ,Ή δυνατόν ούν περί το Ιν ταύτα οΰτως εχειν' mit der Annahme, hier sei vom Absoluten die Rede?

Die Hauptschwierigkeit f r neuplatonische und ihnen verwandte Typen der Parmenides-Interpretation liegt darin, da die verschiedenen ,Hypo4 5

Wyller (2), S. 221 f. Wyller (2), S. 214.

Zur Kritik der neuplatonischen Hypothesendeutung

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thesen' des zweiten Dialogteils weder vom Ansatz noch von den Resultaten her geeignet sind, gewisse Gegenstände oder Klassen von Gegenständen eindeutig zu bestimmen. In jeder Argumentfolge werden dem Einen entweder alle Prädikate abgesprochen oder alle Prädikate zugesprochen. Darüber hinaus treten, wie noch zu zeigen ist, auch innerhalb der Argumentfolgen Widersprüche auf. Das jeweilige ,Untersuchungsobjekt' erfährt somit seine Auflösung als Gegenstand vernünftiger Rede und Erkenntnis: am Ende einer jeden Argumentfolge erweist sich, daß ,es' nicht einmal möglicher Gegenstand ist. Die Probleme verschwinden auch dann nicht, wenn man den Neuplatonikern das weitgehende Zugeständnis macht, Platon könne sich wenigstens der Intention nach auf unterschiedliche Bereiche von Gegenständen beziehen. Das Resultat eines solchen ,ontologischen Gesamtentwurfs' wäre dann, daß es zu keinem Bereich des Seienden sinnvolle Rede und Erkenntnis geben kann. Platons Versuch, seine wahre Theologie und Ontologie zu entwickeln, würde somit in radikaler Skepsis enden. Neben den zahlreichen internen Problemen, in die neoplatonische Auslegungen verstrickt sind, gibt es noch einen grundsätzlichen methodischen Vorbehalt gegen sie. Die Neoplatoniker verstoßen gegen das, was man das Prinzip der Immanenz und Kohärenz der Interpretation nennen könnte. Dieses heuristische Prinzip legt nahe, bei allen Auslegungsproblemen zunächst nach Lösungen zu suchen, die Einheit und systematischen Zusammenhang des Gegenstandes wahren und erst dann auf andere Texte und die Wirkungsgeschichte zurückgreifen, wenn der Versuch einer immanenten Interpretation scheitert. Nun ist ja im Fall des ,Parmenides' nicht auszuschließen, daß es sich um zwei separate Textstücke handelt, die erst von Späteren zu einer brüchigen Einheit gefügt wurden. Deutungen des zweiten Teils, die gar nicht erst den Versuch machen, ein systematisches Band zwischen den beiden Partien des Dialogs zu knüpfen, sind deshalb nicht von vornherein aus dem Bezirk möglicher Interpretationen zu verstoßen. Aber auch für sie gilt das Kohärenz-Prinzip im weiteren Sinne: Interpretationen, denen es gelingt, den zweiten Teil des Dialogs in das Problemfeld der mittleren und späten Theorie zu integrieren, wären solchen vorzuziehen, die den ,Parmenides' gegenüber seinen benachbarten Dialogen isolieren. Dieses Prinzip könnte nur dann mit guten Gründen durchbrochen werden, wenn der Text starke Indizien für eine Sonderstellung, für einen Neuansatz enthielte. Dies ist aber nicht der Fall. Dem modernen Neoplatoniker bleibt also nicht viel mehr als die Berufung auf die Autorität des Proklos. Daß Plotin und Proklos zeitlich

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Probleme und Pseudoprobleme mit der Hypothesis

Platon n her stehen als wir, wird man nicht bestreiten k nnen, aber man darf zweifeln, ob sie ihm auch sachlich n her sind. Wenn man sich einmal in die eigent mliche kulturelle Atmosph re der Sp tantike mit ihrer phantastisch gesteigerten Religiosit t hineinversetzt, wird begreiflich, da ein so dunkler Text wie der ,Parmenides' in dieser Epoche wohl nur als theologisch-ontologischer Traktat gelesen werden konnte.

Die anti-eleatische Interpretation Nach den Ausf hrungen zur Methode sollte man eine platonische Idee als Gegenstand der Untersuchung erwarten. Diese wohlfundiert erscheinende Annahme wird jedoch durch eine Bemerkung des Parmenides, die unmittelbar vor Eintritt in die dialektische bung f llt, empfindlich ersch ttert: „ . . . ή βούλεσθε, έπειδήπερ δοκεΐ πραγματειώδη παιδιάν παίξειν, απ' έμαντον αρξωμαί καΐ της έμαντοϋ υποθέσεως . . . " (137b). Parmenides will demnach bei sich und seiner eigenen Hypothese beginnen. Einige Interpreten (Taylor, Friedl nder), die diesen Hinweis als das letzte Wort in der Sache nahmen, identifizierten folglich das εν des zweiten Teils — oder doch wenigstens das der ersten Argumentreihe — mit dem EinenSeienden des parmenidischen Lehrgedichts. Der ,Parmenides' enth lt dieser Deutung zufolge die im ,Theaitetos' angek ndigte, dort aber aufgeschobene Auseinandersetzung mit der eleatischen Philosophie.6 Demnach zahlt Platon die Kritik, die Parmenides an der Ideenlehre im ersten Teil des Dialogs bte, im zweiten Teil in doppelter M nze zur ck. Man k nnte diese Position schon durch den einfachen Hinweis entkr ften, da im Kontext von Parm. 129 und 136 το εν stets als eine platonische Idee neben anderen betrachtet wird. Auch sonst hat ein Vertreter der ,eleatischen' oder ,anti-eleatischen' Deutung mit Schwierigkeiten zu k mpfen, nicht zuletzt, weil stillschweigend vorausgesetzt wird, da durch den Mund des platonischen Parmenides der gleichnamige Verfasser des Lehrgedichts spricht. Nun findet sich aber in den Fragmenten des Lehrgedichts keine Hypothese, die da lautet: ,,εν εστίν", wie berhaupt das Lehrgedicht nicht gerade mit hypothetischen Er rterungen gespickt ist. Es 6

Theaet. 183e. Diese Stelle enth lt eine Anspielung auf den ,Parmenides' — hnlich auch Soph. 217 c. Daraus l t sich freilich nicht mit Sicherheit schlie en, da der .Parmenides' vor dem .Theaitetos' und ,Sophistes' entstand. Alle drei Dialoge k nnten auch ,in einem Wurf' konzipiert sein.

Die anti-eleatische Interpretation

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ist in einem prophetischen und apodiktischen Ton gehalten — die Sprache dessen, dem die G ttin selbst das Tor zwischen Nacht und Tag ffnet, auf da er ,der Wahrheit unersch tterliches Herz* schaue. Ein aufmerksamer Leser des Lehrgedichts, der sich nicht mit zweifelhaften bersetzungen begn gt, wird der blichen Rede vom parmenidischen ,Eins', oder vom ,Einen-Seienden' der Eleaten mit Vorbehalt begegnen. Diels' bertragung hat gegen ber vielen anderen wenigstens den Vorzug, da sie auf Substantivierungen weitgehend verzichtet und mit dem bestimmten Artikel sparsam umgeht. Parmenides (gemeint ist der historische) kennt n mlich kein ,Hen-On', er ben tzt nicht einmal den Ausdruck ,το εν'; seine Rede vom Sein verwendet den Infinitiv ,είναι* oder das ,εστίν', und gelegentlich macht er vom Partizip ,εον' Gebrauch — aber nur in einem Fall zusammen mit dem bestimmten Artikel, („εστί γαρ είναι, μηδέν δ' ουκ εστίν", „ή δε κρίσις περί τούτων εν τώιδ' εστίν, εστίν ή ουκ εστίν", „έόν γαρ έόντι πελάξει", „άκριτα φυλά, οίς το πέλειν τε και ουκ είναι ταύτόν νενόμισται").7 ,Hen' erscheint berhaupt nur ein einziges Mal im ersten Teil des Lehrgedichts, und zwar als Pr dikatsnomen: „μόνος δ' έτι μϋθος όδοΐο λείπεται ως εστίν, ταύτηι δ' έπι σήματ' εασι πολλά μάλ', ως άγένητον έόν και άνώλεθρόν εστίν, εστί γαρ ούλομελές τε και άτρεμές ήδ' άτέλεστον. ουδέ ποτ' ην ούδ' εσται, έπεί νυν εστίν ομού παν, εν, συνεχές."8 Es d rfte gar nicht so leicht fallen, aus den Fragmenten des Lehrgedichts die ,Hypothese' des Parmenides zu destillieren; wer es dennoch versuchen m chte, ist gut beraten, statt des ,Eins ist' eine Formel wie: ,Nur Sein ist (und ist erkennbar), Nichtsein ist auf keine Weise' zu w hlen. Zu Beginn unseres Dialogs charakterisierte Sokrates die Lehre des Parmenides so (Parm. 128a8—bl): „συ μεν γαρ εν τοις ποιήμασιν εν φής είναι το πάν ..." („Du in deinen Gedichten aber sagst, da alles eins sei (da das Ganze eins sei) . . ."). ,το πάν' ist hier Subjekt und ,εν' Bestandteil des Pr dikats. Wenig sp ter nur wird die Formel ,εν εστίν' als Komplement zu Zenons Resultat ,πολλά μη εστί' erw hnt. Dabei ist ,εν' zum grammatischen Subjekt geworden, und ,εστι' offensichtlich nicht l nger Kopula. Wird hier der gleiche Gedanke auf zwei grammatisch grundverschiedene Weisen ausgedr ckt, handelt es sich also beim ,εν εστί' um eine Kurzform des ,το παν εστίν εν', oder geben diese Ausdr cke unterschiedliche Aspekte der eleatischen Doktrin wieder? Wie lautet also die Hypo7 8

Diels/Kranz, Fragmente d. Vorsokratiker, 28.B2; 6; 8. Diels, a.a.O. B8,1-6.

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these des Parmenides, sei es nun des historischen oder platonischen, und was ist mit ihr gemeint? Ich stelle zur Wahl: — — — — —

,Es gibt nur ein einziges Ding' ,Das Eine existiert' ,Das Ganze ist eins' ,Sein ist eins' ,Eins ist streng einfach/eingestaltig' ,Nur das Eine-Seiende ist' .Alles was ist, ist ein- und dasselbe' u.s.w.

Die Proponenten der ,anti-eleatischen£ Deutung sind aufgerufen, sich für eine dieser Möglichkeiten zu entscheiden und diese Wahl näher zu erläutern. Mit der einfachen Behauptung, es sei eben die Hypothese des Parmenides, die den Deduktionen des zweiten Teils zugrunde gelegt werde, sollte es nicht sein Bewenden haben. Friedländer hat die These, der ,Parmenides' stehe ganz auf dem Boden des Lehrgedichts,9 u.a. durch den Hinweis auf die auffällige Übereinstimmung in der Charakterisierung des Einen, d.h. im Absprechen von Prädikaten, die zwischen Lehrgedicht und erster Argumentfolge besteht, stützen wollen. Hierzu ist zweierlei zu bemerken: erstens geht die Analogie nicht weit genug, um daraus eindeutig den Gegenstand bestimmen zu können, über den die erste Deduktion spricht. Teillos, eingestaltig, unbewegt und unveränderlich — diese Abhebung von der Erscheinungswelt ist ja nicht allein für das parmenideische IST, sondern ,Phaidon' und ,Politeia' zufolge auch für die Ideen charakteristisch. Übrigens neigt der historische Parmenides deutlich zu einer dinglichen Auffassung seines Seienden (,Einer wohlgerundeten Kugel vergleichbar'); hier könnte man zur Not noch konzedieren, daß Platon die Lehre des Parmenides nur folgerichtig zu Ende denkt, wenn er letzte Reste von Anschaulichkeit beseitigt. Entscheidend als Einwand ist aber, daß die Resultate — also die aus der Hypothesis abgeleiteten Bestimmungen — weder in der ersten noch in den übrigen Deduktionen zur Identifikation des Untersuchungsgegenstands taugen. Man kann nicht die negierten Bestimmungen von Gestalt und Bewegung aus einem Kontext isolieren, innerhalb dessen dem Einen jegliches Prädikat abgesprochen wird. Die Schwierigkeiten für die anti-eleatische Version beginnen aber so recht erst bei den übrigen Argumentreihen. Weshalb geht es überhaupt 9

Friedländer, Platon, S. 471 f.

Die anti-eleatische Interpretation

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weiter? Bestünde Platons Anliegen in der zweiten Dialoghälfte nur in einer Kritik der parmenideischen Lehre, so sollte der Dialog mit dem vernichtenden Resultat enden, das am Ende der 1. Deduktion formuliert ist; jedes weitere Wort wäre überflüssig. Oder ist noch eine Steigerung der Kritik über den Nachweis der Unerkennbarkeit, des Nichtseins, der Unaussprechbarkeit und Widersprüchlichkeit dieses Einen hinaus denkbar? Zum anderen ist es, sofern man sich auf den Boden des Lehrgedichts stellt, schlecht möglich, von , ' — also den Anderen (als Eins) — in einer Weise zu reden, die deren Existenz präsupponiert. Wenn die eleatische Doktrin ihr Sein als und bestimmt, kann und darf es kein Anderes neben diesem einen und einzigen Sein geben. Nun beschäftigt sich der zweite Teil aber nicht nur in den Reihen B l, B2, Ml und M2 mit diesen Anderen, es werden auch in den übrigen Deduktionen die Konsequenzen für das Verhältnis des Einen zu den Anderen (als Eins) untersucht; schließlich verlangt auch das Methodenexposee eine Prüfung der Folgen, die sich aus einer Hypothese ergeben, für das Verhältnis eines Untersuchungsgegenstandes zu seinem Komplement. Will man dennoch an der anti-eleatischen Auslegung der Hypothesis festhalten, so ist man gezwungen, sich auf die erste Argumentfolge zu beschränken und muß den Rest als mehr oder weniger gewichtige Zutat deklarieren — etwa als polemische Auseinandersetzung mit der eleatischen oder megarischen Dialektik, als Parodie auf die Form elenktisch-spekulativen Räsonierens, wie es von Zenon betrieben wurde. Diesen Weg hat einst Taylor beschritten. Eine rein polemische Intention ist aber alles andere als wahrscheinlich bei einem Denker, der die Feinheiten seiner späten Philosophie einem Fremden aus Elea in den Mund legt; eine Parodie-Deutung gibt keinen Reim auf die Hochschätzung, die Platon im ,Theaitetos' dem ,Vater Parmenides' bekundet.10 Diese Kritik an der ,anti-eleatischen' Erklärung könnte mißverstanden werden. Wohlgemerkt: hier wird nicht die relativ schwache These bekämpft, der zweite Teil des ,Parmenides' enthalte auch Momente der Kritik an eleatischen Positionen oder am ,Eleatismus' der frühen Ideenlehre, sondern nur die viel stärkere Behauptung, er sei in der Hauptsache gegen den (historischen) Parmenides und dessen Lehrgedicht gerichtet.

10

Cherniss ist Taylor darin gefolgt, s. Cherniss (4), S. 122. Er nennt die zweite Dialoghälfte: ,. . . an elaborate parody of the poem of Parmenides and methodically a parody of the logic-chopping of Zeno.'

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Probleme und Pseudoprobleme mit der Hypothesis

Zellers Hypothesendeutung Eduard Zellers Vorschlag, το εν nicht als eine bestimmte Idee unter vielen, sondern als ,die Idee berhaupt* zu verstehen, ist verlockend genug, um ihn n her zu pr fen. Falls das Eine im zweiten Teil des ,Parmenides' n mlich die Idee im Allgemeinen vertritt, w re der engste Zusammenhang zwischen beiden Dialogteilen hergestellt, und wir k nnten mit Zeller hoffen, „da auf die im ersten Teil aufgeworfenen Fragen in betreff der Ideenlehre der zweite die dialektische Antwort gibt".11 Zeller begr ndet seine Lesart u.a. mit dem Argument, die Einheit sei ja „die Form des Begriffs berhaupt, sofern in diesem, als der reinen idealen Gestalt, das Viele der materiellen Erscheinung zur einfachen Identit t zusammengeht".12 Man k nnte erg nzend an die Einzigkeitsannahme und das ,εν επί πολλών'-Theorem erinnern, die den Argumenten vom ,Dritten Menschen' zugrunde liegen. Schlie lich werden die Ideen in der mittleren Philosophie als ,μονοειδές* im Gegensatz zu der Vielgestaltigkeit der Einzeldinge charakterisiert. Eine jede Idee ist f r Platon ein εν in diesem dreifachen Sinn: da es je eine und nur eine Idee gibt, da die Idee als eine sich ber den vielen Einzeldingen erhebt und f r diese einbeitsstiftend wirkt, da schlie lich jede Idee homogen und koh rent ist, insofern sie sie jeweils eine Bestimmung rein verk rpert. Von daher mu Zellers Annahme h chst plausibel erscheinen. Wie Natorp schon vermutete, ohne dies jedoch n her auszuf hren, ergeben sich bei dem Versuch, Zellers Gedanken im Einzelnen zu entwickeln, gewisse Schwierigkeiten.13 Der erste und relativ schwache Einwand, der gegen Zeller erhoben werden kann, wurde bereits gegen die neoplatonische und anti-eleatische Hypothesendeutung geltend gemacht: weder der erste Teil des Dialogs noch die berleitenden Bemerkungen harmonieren mit einer solchen Auslegung von ,τό εν'. W hrend aber die Neuplatoniker, sofern sie konsequent sind, den systematischen Zusammenhang beider Dialogh lften in Abrede stellen m ssen, rechnet es Zeller gerade als Hauptverdienst seiner Interpretation, diese Koh renz zu garantieren. Deshalb mu ihn der Vorwurf, sein Ansatz k nne vom bisherigen Gebrauch des ,εν' keine Rechtfertigung erfahren, ungleich h rter treffen. ,Έν' bzw. ,το εν' wurde im vorangegangenen Text ja stets als referierender Term behandelt, als Name f r eine bestimmte platonische Idee — 11 12 13

Zeller, Plat. Studien, S. 182. Zeller, a.a.O., S. 168f. Natorp, a.a.O., S. 244.

Zellers Hypothesendeutung

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die Idee der Einheit — und auf eine Stufe gestellt mit όμοιότης, κίνησις etc. W re mit Beginn des zweiten Teils (mit dem Eintritt in die dialektische bung) ,τό εν' als die Idee zu lesen, so m te sich die Funktion des Ausdrucks pl tzlich ndern. Ebenso, wie im Satz ,Der Wal ist ein S ugetier' der Ausdruck ,der Wal' sich weder auf einen individuellen Wal noch auf die Klasse der Wale bezieht — denn die Klasse der Wale ist alles m gliche, nur kein S ugetier — kann ,το εν', wenn es die Idee im Allgemeinen vertritt, kein referierender Ausdruck mehr sein. Die logische Form von S tzen, in denen ,εν' an Subjektstelle vorkommt, m te dementsprechend ein vom Aliquanter gebundener Ausdruck sein. Anders als im genannten Beispiel, das formal eindeutig mit ,Ax(Fx —> Gx)' wiederzugeben w re, entsteht bei der logischen Analyse des ,εν εστίν' unter der Zellerschen Voraussetzung ein Problem, das nicht unl sbar erscheint, dessen L sung aber denen zu berlassen ist, die auch heute noch f r Zellers Interpretation votieren: Wie lautet die Hypothesis in expliziter Formulierung, wenn mit dem ,εν' auf die Idee im Allgemeinen verwiesen werden soll? Hier gibt es nicht nur eine, sondern wenigstens drei M glichkeiten: (a) Eine jede Idee ist (= F r alle x: wenn χ eine Idee ist, dann ist x) (b) Eine jede Idee ist eins (= F r alle x: wenn x eine Idee ist, dann ist x eins) (c) Ein jedes Eins ist (= F r alle x, wenn x eins ist, dann ist x)

Die gesperrt gesetzten Ausdr cke in den Klammern markieren die kritischen und erl uterungsbed rftigen Stellen einer jeden Version. Ich kann es nicht als meine Aufgabe ansehen, zwischen diesen Varianten, die sich bei n herer Betrachtung noch weiter aufspalten, zu entscheiden: dies w re jedoch Verpflichtung f r alle, die auf Zellers Spuren wandeln.14 Im zweiten Dialogteil ist an verschiedenen Stellen von der Teilhabe am Einen die Rede. Nun ist klar, da etwas an der Idee im Allgemeinen oder der Klasse der Ideen genausowenig teilhaben kann, wie eine Antilope von dem Begriff des L wen verspeist werden kann. Zum Vorbereich der Methexis-Relation geh ren Einzeldinge oder Ideen, w hrend ihr Nachbereich nur aus Ideen, nicht aber aus Klassen von Ideen besteht. Also sollte mit dem Ausdruck ,x hat teil am Einen' eine bestimmte Idee, die der Einheit, gemeint sein, an der x teilhat. Stimmt ein ,Zellerianer' dem zu, so r umt er damit bereits ein, da ,το εν' im zweiten Dialogteil nicht in jedem Fall f r die Idee berhaupt steht, sondern an einigen Stellen die Idee der Einheit bezeichnet. Versucht er hingegen, seine Deutung des 14

z.B. K nne, a.a.O., S. 107.

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Probleme und Pseudoprobleme mit der Hypothesis

,εν' konsequent durchzuhalten, so mu er f r die notwendige Reformulierung des ,x hat teil am Einen' zwischen (a) ,x hat an allen Ideen teil' und (b) ,x hat an (wenigstens) einer Idee teil' seine Wahl treffen. Die Version (a) ist selbstverst ndlich zu.verwerfen, denn kein Gegenstand kann an allen Ideen gleichzeitig teilhaben, und dies ist in den betreffenden Kontexten auch nicht intendiert. Die Alternative (b) ist jedoch ebenso unerfreulich, wenn sie auch ganz passabel klingt: Denn einerseits wird im Falle (b) ,τό εν' nicht mehr im Sinne von ,eine jede Idee, alle Ideen' verstanden, sondern als ,irgendeine, eine beliebige Idee'. Zum anderen ergeben sich Probleme in Zusammenhang mit der vierten Deduktion, die voraussetzt, da Teilhabe an einer beliebigen Idee die Teilhabe am Einen impliziert. W re das Teilhaben am Einen gleichbedeutend mit der Teilhabe an wenigstens einer Idee, so m te die Argumentation in dieser Reihe als berfl ssig betrachtet werden. Um die Schwierigkeiten zu beleuchten, die sich bei der Durchf hrung des Zellerschen Programms im Einzelnen ergeben, mag ein Vorgriff auf einige Stellen des zweiten Teils gen gen. So z.B. Parm.l39d: „Ούχ ήπερ του ενός φύσις, αύτη δήπου και του ταύτοϋ." Da die Identit t selbst den Status einer Idee hat, mu der Hinweis auf die verschiedene Natur von Einheit und Identit t unverst ndlich bleiben, wenn ,εν' die Idee berhaupt oder irgendwie beliebige Idee meint. Schlie lich, welchen Sinn k nnte so die Rede von der φύσις des Einen haben? Die Idee im Allgemeinen kann keine bestimmte Natur besitzen, und wenn sie eine h tte, so m te das ταύτόν ebendiese Natur haben. Zu Beginn der zweiten Argumentserie wird die Hypothese ,εν εστίν' im Sinne der Teilhabe des Einen am Sein ausgelegt (Parm.l42b). Da ,Teilhaben an X' nur f r Entit ten vom Status der Ideen definiert ist und die Ousia im ,Sophistes' zu den ,gr ten Arten', gerechnet wird, bedeutet ,teilhaben an der Ousia' die Teilhabe an dem Genos oder der Idee des Seins — es sei denn, das μετέχειν wird hier und an anderen Stellen des ,Parmenides' nicht terminologisch gebraucht. Ist die Ousia aber selbst eine Idee, so m te sie, als ein Element der Klasse der Ideen, an sich selbst teilhaben, wenn die Zellersche Deutung des ,εν' angenommen wird. Schlie lich sei noch auf Parm. 143b,c verwiesen: „Ούκοΰν εί έτερον μεν ή ουσία, έτερον δε το εν, ούτε τω εν το εν της ουσίας έτερον ούτε τω ουσία είναι ή ουσία του ενός άλλο, άλλα τω έτέρω τε και άλλω ετέρα αλλήλων. . .. "Ωστε ου ταύτόν εστίν ούτε τω ένι ούτε τη ουσία το έτερον." Ich halte es f r ausgeschlossen, da dieser Abschnitt mit Zellers Ansatz in Einklang gebracht werden kann.

Die Analyse des ,

'

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Natorp hat in der Kontroverse um die Bedeutung des Einen zu vermitteln versucht: „Die reinen Denkfunktionen sind sämtlich nur verschiedene Ausdrücke der reinen Denkfunktion, welche je eine besondere Seite an ihr herausheben. Also ist im Grunde der Streit gegenstandslos, ob das Eine die Idee oder eine Idee vertreten solle. Es vertritt die Idee, indem es eine Idee vertritt." Den hier entwickelten Grundgedanken, daß die Idee der Einheit paradigmatisch für eine jede Idee steht, wird man zu prüfen haben, auch wenn Natorps Begründung in dieser Form nicht akzeptabel erscheint.15 Denn nichts kann garantieren, daß die Resultate, die für eine bestimmte Idee gewonnen werden, übertragbar auf alle übrigen sind. Daß Zellers ,Königsweg' sich als unpassierbar erweist, muß jedoch nicht bedeuten, daß die Untersuchungen zum Einen für die Ideentheorie irrelevant sind. Die Analyse des ,

'

1. Bislang haben wir uns nur mit der Frage beschäftigt, für welche Entität oder Klasse von Entitäten , ' stehen mag, und sind zu dem Resultat gelangt, daß aller Wahrscheinlichkeit nach auf eine platonische Idee, die der Einheit, Bezug genommen wird. Damit allein sind wir jedoch noch nicht in der Lage, eine befriedigende Lösung für unser Problem anbieten zu können, denn das , ' der Hypothesis bereitet bei näherer Betrachtung nicht weniger Schwierigkeiten als das , '. Mit,näherer Betrachtung' ist hier allerdings nicht in erster Linie die Durchmusterung des Textes und seiner Varianten gemeint, sondern die Sichtung der Sekundärliteratur, in der z.T. recht abenteuerliche Thesen und Konjekturen entwickelt worden sind. Die Probleme der »syntaktischen Identifikation' der Hypothesis sind, wie sich noch zeigen wird, zum nicht geringsten Teil Pseudoprobleme. Beginnen wir mit der ,Existenz-Version'. Der Gebrauch des , ' in der Hypothesis legt die Übersetzung ,Eins existiert' bzw. ,Einheit (die Idee der Einheit) existiert' entschieden nahe, und zahlreiche Interpreten übersetzen auch kommentarlos so — offenbar in der festen Überzeugung: Wenn das ,ist' absolut verwendet wird, kann es nur die Existenz bedeuten. So selbstverständlich und unproblematisch, wie es auf den ersten Blick erscheint, ist diese Lesart jedoch nicht. Zunächst bleibt bei der Wiedergabe der Hypothese durch ,Eins existiert' oder ,Unity exists' unklar, ob die Existenz als Prädikat betrachtet 15

Natorp, a.a.O., S. 244.

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Probleme und Pseudoprobleme mit der Hypothesis

wird, oder ob sie formal durch den Existenzquantor repr sentiert werden soll. Letzteres ist keineswegs selbstverst ndlich; z.B. m te jeder Monotheist energisch protestieren, wollte man seine Glaubensgewi heit ,Gott existiert' durch ,Vx (Gx)' ausdr cken: da es wenigstens ein Wesen gibt, das ein Gott ist, will er ja gerade nicht behaupten, und ,Gott' ist f r ihn kein Pr dikat, sondern der Name des Weltsch pfers. Da die Pr dikatenlogik keine Ausdr cke von der Form ,V(G)' oder ,V!!(G)' zul t, wo ,G' eine Individuenkonstante ist, bleibt dem Monotheisten nur die Alternative, die Existenz Gottes pr dikativ mittels ,E(G)' — ,E' ist in diesem Fall das Pr dikat der Existenz — darzustellen oder aber einen vom Einzigkeitsquantor gebundenen Ausdruck, der kennzeichnende Pr dikate enth lt, zu konstruieren — etwa: V x (Wx) (,W k nnte z.B. interpretiert werden als ,. . . ist ein Weltsch pfer'). Dieser kleine Exkurs in die rationale Theologie soll nur veranschaulichen, da auch die harmlos aussehende ,ExistenzInterpretation' des ,εν εστίν' gewisse Folgeprobleme erzeugt und nach einer Pr zisierung verlangt. Ist ,εν' Name der Idee der Einheit, so w re z.B. mit ,Vx (Hx)' der Sinn der Hypothesis v llig verfehlt, denn es soll ja behauptet werden, da es die Idee der Einheit gibt. Die Vertreter der Existenz-Version m ten also sagen, durch welche der m glichen Formalisierungen der Gedanke einen angemessenen Ausdruck findet. 2. Nach der echten, relativ leicht aufl sbaren Schwierigkeit der Existenz-Version nun die scheinbaren, die Anla zu einer kopulativen oder zu einer alternierenden kopulativen und existentiellen Auslegung des ,έστι' gaben: Die eigentliche dialektische bung beginnt Parm. 137c mit dem Satz: „ει εν εστίν, άλλο τι ουκ αν εϊη πολλά το εν;" Wie l t sich nun der in eine rhetorische Frage gekleidete Schlu „Es (das Eine) ist nicht vieles" aus der Hypothesis ableiten, wenn das ,ist' als Zeichen f r die Existenz gelesen wird? Da die Existenz keine irgendwie geartete qualitative Bestimmung des Gegenstands leistet, von dem sie ausgesagt wird, ist dem ,Eins existiert' oder ,Einheit existiert' auch nicht unmittelbar zu entnehmen, da das Eine nicht vieles ist. Wie die weitere Folge zeigt, bezieht sich das ,πολλά' nicht auf die Anzahl des Einen, denn sonst k nnte aus dem Absprechen der Vielheit nicht erschlossen werden, da das Eine keine Teile hat und deshalb auch keine Ganzes ist. Wir d rfen also nicht bersetzen: „. . . dann kann es doch wohl nicht viele Eins geben?". Dies w re jedoch die einzige Folgerung, die sich bei der existentiellen Deutung des ,ist' im Sinne der Einzigkeit direkt ziehen lie e: V x (Hx) —» -Vy (Hy /\ y Φ ι χ Hx)" (Lies: Wenn es genau ein χ gibt, χ ist das Eine, dann gibt es kein y, so da y das Eine ist und y verschieden von demjenigen χ ist,

Die Analyse des ,εν εστίν'

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welches das Eine ist. — Man kann das Zeichen ,H' auch anders interpretieren, sofern damit nur eine Kennzeichnung der Idee der Einheit erreicht wird.) Da ,πολλά' als Pr dikat behandelt wird, das eine inhaltliche Bestimmung des Einen leistet — also kein getarnter Quantor ist — wird man ,-P(h)' weder aus ,Vx (Hx)' bzw. V x (Hx)' noch aus ,E(h)' ableiten k nnen. Nun l t aber die grammatische Form des Anfangs der ersten Deduktion vermuten, da vom Fragenden wie vom Antwortenden die Negation der Vielheit als unmittelbare Konsequenz der Hypothesis angesehen wird. Diese Schwierigkeiten mit der Rekonstruktion des Anfangs sowie gewissen Ungereimtheiten des Textes haben verschiedene Interpreten bewogen, es mit einer kopulativen Lesart des ,εστίν' zu versuchen. So bersetzt z.B. Taylor den Anfang der ersten Deduktion: „If it is one, the One cannot be many".16 Die Kopula-Deutung wird scheinbar dadurch gest tzt, da das ,εστίν' im bezeichneten Kontext enklitisch ist. Da die Akzente erst von den sp tantiken Grammatikern eingef hrt wurden, die Akzentsetzung also selbst ein St ck Interpretation ist, darf man von ihr auch keine Unterst tzung f r die kopulative Interpretation des , εστίν' erhoffen. Ein Argument, das sich hieran klammerte, h tte aber auch dann wenig Wert, wenn die Akzente von Platons eigener Hand gesetzt worden w ren. Denn das , εστίν' ist nicht allein im existentiellen Gebrauch paroxyton, sondern auch, wenn es unmittelbar auf ein ,εί' oder ,μή' folgt — und das ist mit zwei Ausnahmen stets der Fall. Aufgrund der Akzente l t sich also gar nicht entscheiden, wann ,εστίν' in den brigen Argumentfolgen Kopula ist und wann nicht. hnlich unbefriedigend ger t der Versuch, aus der unterschiedlichen Wortstellung — ,εί εν εστίν' versus ,εν ει εστίν' — einen unterschiedlichen Gebrauch des ,είναι' abzuleiten, in dem Sinne, da den Reihen mit ,negativem' Resultat die Hypothese ,Es (das Eine) ist eins' und den .positiven' die Hypothese ,Das Eine ist' = ,Das Eine existiert' vorangestellt sei. Ein Blick in den Text belehrt dar ber, da die Formel ,εν ει εστίν' sowohl ,positiven' als auch ,negativen' Argumentfolgen zugrunde liegt; in der Exposition zur zweiten Argumentserie erscheint das ,εν ει εστίν' (142b3) sogar unmittelbar neben dem ,εί εν εστίν' (142c3). 3. Wesentlich ernster als derartige Scheinbelege f r die Kopula-Deutung sollte man dagegen die folgende Ungereimtheit im Text 137b4 nehmen: Parmenides sagt, da er bei sich und seiner Hypothese beginnen 16

Taylor, Plato, S. 363.

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Probleme und Pseudoprobleme mit der Hypothesis

wolle, „. . . περί του ενός αυτού ύποθέμενος, είτε εν εστίν είτε μη εν . . .". Mit den bisherigen Erl uterungen zum methodischen Vorgehen und mit dem folgenden Teil l t sich diese Stelle nicht vereinbaren. Seit Wundt ist daher meines Wissens jeder Interpret — mit Ausnahme von Koumakis27 — zu einem Eingriff in den Text bereit. Koumakis geht freilich davon aus, da die S tze ,Das Eine ist eins' und ,Das Eine existiert nicht' sowie ,Das Eine existiert' und ,Das Eine ist nicht eins' jeweils quivalent sind. Zu dieser erstaunlichen quivalenzbehauptung kommt er aufgrund folgender berlegungen: Die erste Hypothese kann nur lauten: ,Das Eine ist eins', denn aus ihr l t sich mittels des Tertium non datur leicht erschlie en, da das Eine nicht vieles ist. Die zweite Hypothese lautet demgegen ber ,Eins existiert', da ihr die Teilnahme des Einen an der Ousia entnommen wird. Nun f hrt die erste Hypothese (gemeint ist AI) u.a. zu dem Resultat, da das Eine nicht existiert, die zweite belehrt dar ber, da das Eine vieles ist; au erdem stehen die Gesamtresultate in ,kontradiktorischem Gegensatz' zueinander. Wie man ferner sieht, ergeben sich bei den Hypothesen' zum ,εν ει μη εστίν' zweimal Resultate, die der ,negativen' ersten und zweimal solche, die der ,positiven' zweiten Hypothese entsprechen, weshalb die sechste und achte Hypothese (bei mir N l und Ml) nur lauten k nne: ,Wenn Eins nicht eins ist', die siebte und neunte dagegen: ,Wenn das Eine nicht existiert'. Aus all dem folge nun die erw hnte quivalenz, Q.E.D. In unserer kritischen Stelle sieht Koumakis eine gl nzende Best tigung f r seine Theorie (und somit f r die Deutung des ,εστίν' als Kopula in den Reihen A I , B 2, N 2 und M 2). Betrachtet man n mlich das ,εν' im gesperrten Teilsatz als Pr dikatsnomen zu ,τοϋ ενός' — was grammatikalisch m glich ist — so er brigt sich trivialerweise aufgrund der erw hnten quivalenzen jede Konjektur. Man wird es dem Leser nicht verdenken k nnen, wenn er den Verdacht hegt, diese k hne Konstruktion sei eigens zur St tzung der tradierten Textversion ersonnen. Da Koumakis' Thesen nicht zu halten sind, zeigen die Stellen Parm. 141 e und 160e—161c. Ihnen ist eindeutig zu entnehmen, da Platon aus dem Vorliegen einer Bestimmung von a auf das Sein von a schlie t; am erstgenannten Ort wird das am Beispiel , . . . ist eins' erl utert: Wenn das Eine nicht ist (wenn es nicht existiert), dann ist es (nicht einmal) eins; w re es eins, so w re es schon seiend und h tte teil an der Ousia. Daher ist es ganz ausgeschlossen, da Platon die S tze ,Das Eine ist eins' und ,Das Eine existiert nicht' als quivalent betrachtet. 17

Koumakis, a.a.O., §§ 7-10.

Die Analyse des ,εν εστίν'

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Von Wundt stammt der Vorschlag, in 137b4 entweder statt ,μή εν' ,μή εστίν' zu lesen oder alternativ das letzte ,εν' zu streichen. Wundt fa t also das erste ,εν' im ,εϊτε . . . είτε . . . '-Teilsatz als dessen grammatisches Subjekt auf; da unter dieser Voraussetzung der unkorrigierte Ausdruck in der bersetzung lauten w rde: ,. . . sei es da Eins ist, oder da Nicht-Eins . . .', und sonst nirgendwo ein Nicht-Eines (das NichtEine) als Gegenstand der hypothetischen Untersuchung auftaucht, ist der Eingriff unumg nglich. (Das ,εστίν' m te allerdings noch einen Akzent erhalten; in Burnets Edition tr gt es keinen.) Nun k nnte jedoch ohne Schwierigkeiten das erste ,εν' als Pr dikatsnomen zum zuvor erw hnten Einen angesehen werden: ,Ob es (n mlich das Eine) nun eins ist oder nicht eins (ist) . . .'. In diesem Fall w re das , εστίν' Kopula (und der Akzent zu recht nicht gesetzt). St nde hier einzig zur Debatte, welche M glichkeit ,der parmenideischen Hypothese' einigerma en entspricht, so k nnte man sich damit zufriedengeben. Da man aber wohl oder bel zu einer gewissen bereinstimmung mit dem Methodenabschnitt und dem unmittelbar anschlie enden zweiten Teil gelangen mu , ist auch so ein Eingriff vonn ten, denn keinem der acht (oder neun) Argumente geht eine Annahme mit dem Wortlaut ,Wenn das Eine eins ist' oder ,Wenn das Eine nicht eins ist' voraus. Die Konjektur m te — unter der genannten Voraussetzung, da der umstrittene Teilsatz sich auf ,τοΰ ενός' bezieht — lauten: ,. . . είτε εστίν εϊτε μη εστίν . . .'; das ,εν' w re also in beiden F llen zu tilgen. Dies scheint auch Schleiermacher vorzuschweben, wenn er bersetzt: ,. . . indem ich das Eine selbst zugrunde lege, wenn es ist und wenn es nicht ist . . .'. Da Wundts Verbesserung sparsamer ist, wird man sie wohl vorziehen m ssen. Auch ein Vertreter der (partiellen) ,Kopula-Deutung' w re zu einer Korrektur gezwungen, denn die zweite affirmative Hypothesis lautet ja seiner Meinung nach ,Das Eine ist = Das Eine existiert' (im Gegensatz zu ,Es (das Eine) ist eins'). Somit kann auch die problematische Stelle 137b4 der ,Kopula-Version' nicht zur St tze dienen. 4. Wie zu sehen, ist vom Text her keine Rechtfertigung f r die kopulative Auslegung der Hypothesis in den Argumentfolgen mit .negativen' Resultaten gegeben. Aber solange sie im Prinzip — und sei es auch nur f r die erste Deduktion — m glich erscheint, wird man die Frage zu pr fen haben, ob nicht mit ihrer Hilfe die eingangs genannten Schwierigkeiten der ,Existenz-Lesart' mit der Rekonstruktion des Anfangs berwunden werden k nnen.

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Probleme und Pseudoprobleme mit der Hypothesis

Das Votum für die ,Kopula-Version' läßt sich, was die erste Deduktion betrifft, wohl so erklären: Da der Satz ,Es (das Eine) ist nicht vieles' als unmittelbare Konsequenz der Hypothesis betrachtet wird, und das , ' der Folgerung nur Kopula sein kann, muß auch die Hypothesis als Prädikation über das Eine verstanden werden. Wir hätten demnach mit einer Hypothese zu rechnen, die die Struktur ,a ist F' aufweist. Da ferner ,eins' und ,vieles' komplementäre Bestimmungen sind, darf für Sätze, in denen sie auftreten, das Tertium non datur in Anspruch genommen werden. Das konditionale Gefüge des Anfangs kann deshalb nur lauten ,Wenn es (das Eine) eins ist, so kann es doch wohl nicht vieles sein?' Nur so sei verständlich, weshalb die Negation der Bestimmung ,ist vieles' von beiden Dialogpartnern als evidente Folge angesehen wird. Dieser Gedankengang nimmt sich recht passabel aus. Seine scheinbare Folgerichtigkeit beruht jedoch auf fragwürdigen und nicht offen gelegten Prämissen. So wird stillschweigend vorausgesetzt, daß der Ausdruck ,x ist eins' eindeutig ist, und es wird explizit angenommen, daß für ,eins' und ,vieles' der Satz vom ausgeschlossenen Dritten zutrifft. Die erste Annahme ist falsch, die zweite nur bei einer bestimmten Interpretation von ,ist eins' und ,ist vieles' richtig. Betrachten wir einmal einige Sätze, in denen ,eins' in Verbindung mit der Kopula das grammatische Prädikat bildet: (a) (b) (c) (d) (e)

Der Mond ist einer Homer ist einer Venus und Abendstern sind eins Das Elektron ist eins Die Wissenschaften sind eins

Augenfällig ist, daß all diese Beispielsätze irgendwie schwammig und unvollständig erscheinen; es läßt sich zwar denken, daß sie in bestimmten Zusammenhängen sinnvoll und eindeutig sind, aber in der dargebotenen Form muß man mangels näherer Erläuterungen raten, was mit ihnen bezweckt ist. Mit (a) könnte jemand z.B. ausdrücken wollen, daß es einen (und nur einen) natürlichen Satelliten der Erde gibt, und mit (b) kann jemand seine Ansicht kundtun, daß der Dichter der Ilias und der Dichter der Odyssee eine Person sind, daß es also nicht zwei oder mehr Dichter gab, die in der Literaturgeschichte unter dem Namen ,Homer' geführt werden. Es lassen sich aber genausogut Kontexte denken, in denen die Ausdrücke (a) und (b) eine wesentlich trivialere Rolle spielen. Beispielsweise könnte (b) Teil der Antwort auf die Frage ,Wer ist ein Dichter?' sein: ,Nun, Homer ist einer, und Shakespeare ist einer . . .' und (a) könnte

Die Analyse des ,

'

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innerhalb einer Liste dessen, was ich als Himmelskörper betrachte, auftreten: ,Der Mond ist einer, Venus ist einer . . .'. Mit dem Satz (c) soll wahrscheinlich die Identität zwischen Abendstern und Morgenstern ausgedrückt werden, aber auch (c) kann von jemandem, der diese Identität nicht kennt, im Sinne des letzten Beispiels verwandt werden. Durch (d) wird vermutlich auf die Unteilbarkeit hingewiesen: Das Elektron gehört zu jenen Elementarteilchen, von denen wir annehmen, daß sie nicht weiter aufspaltbar sind. Eine wiederum andere Verwendung findet das , . . . ist eins' im letzten Beispiel. Den Satz (e) könnte z.B. ein ,Physikalist' oder ,Reduktionist' äußern, der glaubt, daß alle Wissenschaften im Grunde genommen Physik sind und nur dort den Namen der Wissenschaft verdienen, wo sie physikalische Methoden anwenden. Diese wenigen Beispiele lehren, daß es eine Reihe unterschiedlicher Verwendungen des ,. . .ist eins* gibt: Einzigkeit, Identität, Einheitlichkeit, Unteilbarkeit können damit angezeigt werden; nicht zu vergessen jener harmlos redundante Gebrauch des ,eins' in dem Sinne, in dem wir von jedem X behaupten dürfen, es sei ein X: ,Sokrates ist (ein) Philosoph', ,Sokrates ist (ein) Mensch', ,Sokrates ist (eine) Person'. Dabei handelt es sich nicht nur um lexikalische Mehrdeutigkeiten; den verschiedenen Weisen des umgangssprachlichen Gebrauchs von , . . . ist eins (. . .)' entsprechen vielmehr verschiedene syntaktische Strukturen der zugehörigen desambiguierten Sätze. So ist die Einzigkeit kein Prädikat des Gegenstands, von dem sie behauptet wird, während die Unteilbarkeit sich im Gegensatz zur Identität als monadisches Prädikat deuten läßt; schließlich fällt das ,ein', ,eine' in Sätzen wie ,Homer ist ein Dichter' bei der Übersetzung in die Sprache der Quantorenlogik unter den Tisch oder es wird, wenn man will, im Gebrauch einer Individuenkonstante immer schon vorausgesetzt, so daß es keines eigenen Zeichens bedarf. Bei dieser Sachlage muß es etwas naiv erscheinen, wenn jemand annimmt, er habe mit ,Das Eine ist eins' eine Hypothese gefunden, der umstandslos die Resultate der ersten Deduktion zu entnehmen sind. Denn der Ausdruck ,Eins ist eins' ist nicht weniger elliptisch und dunkel als das einfache ,Eins (oder Einheit) ist', das dem Text doch so viel eher gerecht wird. Nun könnte ein Vertreter der ,Kopula-Deutung* einwenden, daß er zwar die Mehrdeutigkeit des , . . . ist eins' nicht bestreite, wohl aber, daß es von Platon mehrdeutig gebraucht werde, und allein darauf komme es an. Ein solcher Verteidigungsversuch ist aber wenig empfehlenswert, denn in dem Sinne des Beispiels, das Parm.l29c,d zu finden ist, kann das ,ist eins' nicht in der Hypothesis Verwendung finden, wenn aus ihr unmittel-

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Probleme und Pseudoprobleme mit der Hypothesis

bar gefolgert werden soll, daß das Eine nicht vieles ist. Am angegebenen Ort erklärt Sokrates, daß Einzeldinge — anders als die Ideen — durchaus Träger gegensätzlicher Bestimmungen sein können: nichts Wunderbares sei daran, daß er, Sokrates, eins und vieles genannt werden könne. Vieles sei er eben insofern, als er eine rechte und linke Seite habe, eines, insofern er unter den sieben Anwesenden ein Mensch sei. Die oppositionellen Ausdrücke ,Sokrates ist eins' und ,Sokrates ist vieles' sind somit gar keine vollständigen Sätze, und in der erweiterten Form verfliegt sofort der Schein der Inkompatibilität. Es ist klar, daß in diesem Sinne eins zu sein die ,universelle Eigenschaft' ist, die jedem Gegenstand qua Gegenstand zukommt. Deshalb kann aus ,x ist eins' auch nicht auf ,x ist nicht vieles' geschlossen werden. 5. Nachzutragen bleibt, weshalb die Schwierigkeiten der ,ExistenzVersion' mit der Rekonstruktion des Anfangs Scheinprobleme genannt wurden. Sie ergeben sich nur bei einer ganz bestimmten Konzeption des logischen Fortgangs im Teil II, nämlich dann, wenn angenommen wird, daß die Folgerungen in den verschiedenen Reihen unmittelbar und ohne Hilfe von Zusatzprämissen aus der jeweiligen Hypothesis abgeleitet sind. Läßt man diese Voraussetzung fallen, so erledigt sich das Problem sofort. Zu dem desparat anmutenden Versuch, die Hypothesis jeweils so zurechtzubiegen, daß sie auf die Resultate paßt, gibt es gesunde Alternativen. Man kann mit Cornford die ersten (vermeintlichen) Folgerungen als (partielle) Definitionen betrachten oder man kann mit Hilfe des Kontextes die zum korrekten Schließen erforderlichen Zusatzannahmen rekonstruieren. Ich möchte nun noch auf einige Gründe hinweisen, die mir die Übersetzung des , ' durch ,Das Eine existiert' oder ,Unity exists' (bei Ryle und Runciman) nicht ratsam erscheinen lassen. Sie sind teils externer, teils interner Art. Es gibt Untersuchungen zum Gebrauch des ,ist' im Griechischen, die bestreiten, daß das absolut gebrauchte , ' durch ,existieren' angemessen vertreten wird. Selbst wenn man Kahns Betonung des ,veritativen' Aspekts von ,Sein' für überzogen hält, so sollte doch schon die bloße Möglichkeit, daß das unspezifizierte , ' oder ,öv' nicht in jedem Fall (und das ist eine sehr schwache These) intensionsgleich mit ,existiert' verwendet wird, bei der Übersetzung aus dem Griechischen zur Vorsicht mahnen.18 18

Kahn, The Greek Verb ,to be' and the Concept of Being.

Die Analyse des ,tv εστίν'

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Was Platon betrifft, so findet sich in den Dialogen bis hin zum ,Sophistes' nach bereinstimmender Ansicht der Interpreten keine explizite Unterscheidung der verschiedenen Bedeutungen des ,ist*. Umstritten ist (oder war) hingegen der ,Sophistes'; verschiedene Autoren glaubten an einigen zentralen Stellen des ,Sophistes' eine mehr oder weniger deutliche Unterscheidung des existentiellen vom kopulativen Gebrauch des ,ist' zu entdecken. Diese g ngige Theorie ist dann durch die unabh ngig voneinander entstandenen Arbeiten Fredes und Malcolms nachhaltig ersch ttert worden.29 Ist es nun so, da Platon nicht einmal im ,Sophistes', diesem terminus ad quern seines theoretischen Philosophierens, dem absolut gebrauchten ,εστίν' jene spezielle Rolle zuweist, welchen Grund haben wir dann f r die Annahme, da er es im ,Parmenides' tat? Tat er es aber im ,Parmenides' nicht, so kann eine bersetzung, die mit ,existiert' arbeitet, bestenfalls eine harmlose Scheinpr zisierung sein, schlimmstenfalls jedoch vorab den Zugang zu Platons Argumenten verstellen. Die bereits erw hnten Topoi Parm. 141 e und 160e liefern jedoch noch sch rfere Munition. An diesen Stellen findet sich nicht nur keine Differenzierung zwischen existentiellem und pr dikativem ,ist', es wird im Gegenteil ganz deutlich, da Platon die folgenden Annahmen f r wahr erachtet: ,Wenn von einem beliebigen Gegenstand etwas ausgesagt werden kann, dann kann von diesem Gegenstand auch behauptet werden, da er ist.'

Weshalb auch gilt: ,Wenn von einem Gegenstand behauptet wird, er sei nicht (er sei auf keine Weise), dann kann von ihm auch nichts ausgesagt werden.'

Platon betrachtet demnach das absolut gebrauchte , εστίν' und , v' nicht als Zeichen einer besonderen, von der pr dikativen wohlunterschiedenen Funktion des , είναι', sondern gleichsam als K rzel f r diese; ein Satz ,a ist' kann immer erg nzt werden zu ,a ist F (oder G oder H usw.)' und umgekehrt darf aus ,a ist F' immer in Abschw chung gefolgert werden, da a ist. brigens harmoniert nur diese Deutung mit der Konzeption der Ideen als einem ,τελεώς v' in den mittleren Dialogen. Mit dem τελεώς δν' kann schwerlich auf die Existenz angespielt sein, denn es ist wohl sinnlos anzunehmen, da etwas mehr oder weniger existiert. Wenn Platon vom Sch -

19

s. Frede, Pr dikation und Existenzaussage; und Malcolm, Plato's Analysis.

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Probleme und Pseudoprobleme mit der Hypothesis

nen, Guten usw. sagt, daß es im Gegensatz zu einer guten Handlung oder einer schönen Frau ,recht eigentlich' sei, so meint er damit nicht, daß es auf »höhere Weise' als diese existiere. Sondern: daß diese nur in einem derivativen Sinn schön und gut sind. Wie ich in der Folge hoffe zeigen zu können, nimmt man auch den Deduktionen N l und N 2 mit der ,Existenz'-Version die platonische Pointe.

Die erste Deduktion der Dialektischen Übung l. Angesichts der Unsicherheit, die über den zweiten Dialogteil, seine Mittel und Ziele, allenthalben herrscht, muß es verwundern, daß bislang so wenige Interpreten die logische Struktur der Argumente, speziell der ersten Argumentschritte, im einzelnen untersucht haben. Dabei verdiente vor allem der Anfang der dialektischen Übung (Parm.l37c) mehr Aufmerksamkeit, als ihm gewöhnlich zuteil wird. Wer den ersten Knopf verfehlt, kommt mit dem Zuknöpfen nicht mehr zurecht. Bevor ich meinen eigenen Vorschlag unterbreite, möchte ich zwei Interpretationen zum Ansatz der ersten Untersuchung kritisch betrachten. In seinem Kommentar zur ersten Reihe (bei mir A I ) schreibt H. G. Zekl: „Die Reihe macht von ihrer Erstlingsstellung in dem Gefüge sowohl an ihrem Beginn wie am Schluß Gebrauch . . . Der Einsatz benutzt die Tatsache, daß gar keine Annahme und Aussage vorliegt, daß das auszumessende Feld noch völlig leer ist: ist noch nichts bestimmt, so setzt jede Bestimmung erst das Maß . . . Und dieser Einsatz beim Nullpunkt des Untersuchens ist das wesentliche Element, von dem aus die Reihe l die Negativität ihrer Resultate . . . gewinnt."1 Ich muß gestehen, daß mir nur zwei der hier entwickelten Thesen einigermaßen deutlich sind, nicht jedoch die dritte, auf die Zekl das größere Gewicht zu legen scheint. Die zwei ersten lauten: Die Deduktion A I nimmt eine besondere Stellung im Teil II ein, und der Umstand, daß sie die erste Argumentfolge ist, bestimmt ihren Anfang wie ihren Verlauf; die ,Negativität' der Resultate ergibt sich wesentlich aus dieser Sonderstellung. (Womit übrigens impliziert ist, daß die anderen Reihen in ihrem Ansatz und argumentativen Verlauf von den vorangegangenen nicht unbeeinflußt sind.) Auf was aber will Zekl hinaus, wenn er von einem ,Nullpunkt des Untersuchens' spricht und davon, daß ,das auszumessende Feld noch völlig leer' sei? Vermutlich soll damit nicht nur die trivial-richtige Feststellung getroffen werden, daß die erste Reihe — eben am Anfang des zweiten Teils steht, somit noch keine Resultate vorliegen, an die ange1

Zekl (1), Der Parmenides, S. 16.

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Die erste Deduktion der Dialektischen Übung

knüpft werden kann. Es könnte gemeint sein, daß die Untersuchung tatsächlich oder doch der Intention nach voraussetzungslos beginnt, daß Parmenides auf ähnliche Weise mit dem ,unbestimmten', ,reinen' Einen anfängt wie etwa Hegel in der ,Logik' mit dem Sein. Die Alternative: ZekJ will sagen, daß Parmenides, da noch nichts weiter vorliegt als der bloße Wortlaut der Hypothesis, freie Hand hat in der Wahl der ersten Bestimmung des Einen, daß somit der Satz ,Das Eine ist nicht vieles' keine Folgerung, sondern mehr oder minder willkürliche ,Setzung' ist. Dies wäre — was die erste Argumentreihe betrifft — im Prinzip Confords These; Cornford nimmt ja an, daß die jeweils ersten Aussagen einer jeden Reihe ungeachtet des deduktiven Scheins, mit dem sie sich umgeben, in Wahrheit Definitionen des Einen sind, die somit jeweils auch unterschiedliche Gegenstände der Untersuchung bestimmen (ein Absolutes Eines in der ersten Deduktion, ,a one entity', also ein beliebiges ,Einzelseiendes' in der zweiten).2 Zekl scheint dieser zweiten These zuzuneigen. Irritierend ist nur, daß er in diesem Zusammenhang behauptet, im Anschluß an Reihe 2 (A 2) sei der Ansatz der ersten nicht mehr möglich, „denn er besteht tatsächlich in dem »Vergessen' (d.h. dem bewußten Vernachlässigen) des einen dieser beiden Teile (der Hypothesis, d.Vf.), des . . . Man könnte sagen, die Reihe l untersuche von der Setzung ,Eins ist' nur das Gesetzte selbst, wobei die Tatsache seiner Setzung zwar vorausgesetzt, aber selbst nicht mit zum Objekt der Untersuchung gemacht wird . . .". Der Unterschied im Ansatz zwischen erster und zweiter Reihe (A l und A 2) lasse sich so fassen: „. . . hier Untersuchung eines Begriffs, da eines Satzes . . .".3 Ich sehe darin eine Inkonsequenz. Man kann nicht gleichzeitig behaupten, daß die erste ,Bestimmung' des Einen — nämlich nicht vieles zu sein — eine freie ,Setzung' sei, durch welche der Untersuchung erst die Richtung gewiesen werde, und zudem noch die These vertreten, es handele sich im Fall der ersten Reihe nicht um die Untersuchung eines Satzes, sondern um die eines Begriffs, so daß ausschließlich am , ' der Hypothesis angeknüpft werde, unter Vernachlässigung des , '. Wenn die Hypothesis am Beginn der Untersuchung noch gänzlich unbestimmt sein sollte, dann wäre es gleichgültig, ob wir allein das , ' untersuchen oder das , ' mit berücksichtigen: es ginge so oder so nicht voran. Ist das , ' aber ein Be2 3

Cornford, Plato and Parmenides, S. 114 ff. Zekl (1), Der Parmenides, S. 17.

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griff, so kann es nicht uninterpretiert sein, wenn es doch Begriff sein soll; ein Zeichen, von dem wir nicht wissen, wofür es Zeichen ist, sollte nicht ,Begriff genannt werden. Ist das , ' aber nicht ,leer', so wird man nicht von einem .Nullpunkt' der Untersuchung sprechen dürfen. Wollte man nun behaupten, der Begriff des Einen werde ja durch die Bestimmung ,nicht vieles1 partiell festgelegt, und daran anknüpfend schreite die Untersuchung des Begriffs voran, so dürfte das mit der genannten These nicht verträglich sein. Der Unterschied zwischen erster und zweiter Reihe soll doch angeblich darin bestehen, daß ,hier ein Begriff, da ein Satz' untersucht wird. Damit ist aber zweifelsfrei nicht gemeint, daß in der ersten Reihe die Konsequenzen für einen Begriff, in der zweiten die für einen Satz entwickelt werden, sondern nur der unterschiedliche Ansatz: hier bei einem ,Teil' der Hypothesis, dem , ', dort beim ganzen Satz , '. Wenn nun aber nicht direkt vom , ' ausgegangen wird, sondern die Folgerungen nur dank der ,Setzung': ,Das Eine ist nicht vieles' zustande kommen, muß die Kontrastierung von A l und A 2 in der genannten Weise unverständlich bleiben.4 Die These von der Sonderstellung der ersten Reihe erweist sich bei näherem Hinsehen als nicht weniger problematisch. Sie wird scheinbar dadurch gestützt, daß der ersten Untersuchung keine Reflexion über die Hypothesis vorangestellt wird, so wie das bei anderen Argumentfolgen der Fall ist. Dies allein ist jedoch ein sehr schwacher Rückhalt für eine derart folgenreiche Annahme; und es gibt gewichtige Gegengründe. Da sind zunächst die Bemerkungen zur Methode im Abschnitt Parm.l36a—c; hiernach sollte es gleichgültig sein, mit welchem der projektierten Untersuchungsgänge der Anfang gemacht wird. Hätte Zekl recht, dann könnten durch einfache Umstellungen in der Reihenfolge der Teiluntersuchungen sehr verschiedene Gesamtresultate entspringen. Explizit wird behauptet, daß die erste Reihe ihren spezifischen Verlauf nicht hätte annehmen können, wenn sie an die zweite Deduktion anschließen müßte. Lassen wir uns ruhig auf dies Gedankenexperiment ein: Angenommen, Parmenides hätte mit der zweiten Untersuchung begonnen und sie auf gleiche Weise wie im Text durchgeführt, so wäre die Frage, ob es sich mit dem Einen denn so verHegel, WdL I, S. 105f. Überhaupt scheint mir diese auf Hegel zurückgehende Unterscheidung zwischen erster und zweiter Deduktion — hie Begriff, da Satz — zwar, historisch gesehen, verständlich, da in der traditionellen Logik die Lehre vom Begriff der vom Satze voranzugehen pflegte, aber sachlich unangemessen. Es gibt keine Untersuchung von Begriffen, die nicht zugleich eine Untersuchung der Sätze wäre, in denen sie vorkommen.

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halten könne, ebenso am Platze wie gegen Ende der ersten Untersuchung, denn das Resultat von A 2 stellt sich dem Betrachter als eine Konjunktionskette von Widersprüchen dar; das Eine löst sich gewissermaßen in eine ,bloße' Vielheit widersprüchlicher Bestimmungen auf. Ist es nicht wahrscheinlich, daß Parmenides nun mit einer rhetorischen Frage von der Art: ,Aber kann das Eine denn überhaupt vieles sein, wenn es doch das Eine sein soll' zu einer neuen Untersuchung übergeleitet hätte? Und was spricht dagegen, daß diese Untersuchung denselben Verlauf hätte nehmen können wie A I ? Zekl nennt als Grund die in der Exposition von A2 vorgenommene ,Korrektur', die auf das , ' der Hypothesis aufmerksam macht. Da diese .Korrektur' aber selbst zu einem unerwünschten Ergebnis führt, wäre es da, immer unter der kontrafaktischen Annahme, A 2 sei an die erste Stelle gerückt, nicht sehr wohl denkbar, daß nunmehr eine andere ,Korrektur' erfolgte, die dem , ' der Hypothesis die gebührende Beachtung schenkt? Tatsächlich stehen beide Weisen der Anknüpfung an die Hypothesis, die in A l und die in A2, vollkommen gleichberechtigt nebeneinander. Für Cornford sind die ersten Folgerungen einer jeden Argumentreihe (C. spricht von Hypothesen) maskierte Definitionen: „It is clear, that each Hypothesis begins with a definition, sometimes disguised as a series of inferences. Thus, instead of saying, 'Let us suppose that 'the One' means, for our present purpose, absolute unity which excludes all son of plurality', Parmenides will say, If the One is one, it will not be many; and so it will have no parts and will not be a whole'. That is really the definition, but the deduction follows without a break or any change of form . . . This masking of the definition in the semblance of an inference has misled interpreters into supposing that ,the One' is the same thing in all the Hypotheses . . .".5 Das Eine wird demnach im Abschnitt 137c—d als das Absolute Eine bestimmt, und erst aus dieser Festlegung ergibt sich alles weitere. An dieser Stelle können nicht alle Konsequenzen erörtert werden, die sich aus Cornfords Konzeption für die übrigen Deduktionen und für den ,Parmenides' überhaupt ergeben. Ich werde mich deshalb auf einige Bemerkungen beschränken und ausführlicher nur auf die Frage eingehen, ob sich dieser Ansatz im Rahmen der ersten Reihe bewährt. Es ist sicherlich richtig, daß das Problem der Doppelgleisigkeit der Untersuchung, das den Interpreten stets Kopfzerbrechen bereitete, verschwindet, wenn man davon ausgeht, daß den verschiedenen Untersuchungsgängen verschiedene 5

Cornford, a.a.O., S. 114.

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Emiraten zugrunde gelegt werden. Die Resultate von A I und A2, die sich in allen Punkten zu widersprechen scheinen, werden kompatibel, wenn in A I von einem Absoluten Einen, in A2 von einem beliebigen ,Einzelseienden' (a One Entity) die Rede ist. Was Cornford jedoch übersieht, ist das Phänomen der Widersprüche i n n e r h a l b der Argumentfolgen, und zu dessen Erklärung kann sein Ansatz wenig beitragen. Betrachtet man den Methodenabschnitt und die Stellen Parm. 142b, 155e und 166c, so spricht eigentlich alles dafür, daß Platon der Intention nach ein und denselben Gegenstand in allen Teiluntersuchungen voraussetzt. Nach dem Methodenabschnitt sollte man eine platonische Idee als Objekt der dialektischen Übung erwarten, und die kurze Zusammenfassung der Ergebnisse am Schluß des Dialogs geht ebenfalls davon aus, daß alle gewonnenen Resultate sich auf den nämlichen Gegenstand beziehen. Eine solche Argumentation gegen Cornford wäre ohne nähere Erläuterungen jedoch etwas naiv. Denn, so könnte ein Verteidiger Cornfords einwenden, wie kann es sich beim , ' der dialektischen Übung um ein und denselben Gegenstand handeln, wenn sich dieser einmal als strikte Einheit, dann als Vielheit, hier als unbewegt, dort als bewegt erweist, kurz, wenn alle Prädikate, die dem Einen in Reihe n zugesprochen wurden, ihm in Reihe m verweigert werden? Ein Gegenstand, der widersprüchliche Charaktere in sich birgt, ist am Ende nicht einmal mehr Gegenstand zu nennen. Folglich müssen wir, wenn wir den zweiten Teil als sinnvolles Unternehmen retten wollen, für die antinomischen Reihen unterschiedliche Untersuchungsgegenstände ansetzen. Dieses Gegenargument der Verteidigung erweist sich jedoch bei konsequenter Anwendung als zweischneidig: Berücksichtigt man ebenfalls die Widersprüche in den einzelnen Reihen, und nicht nur solche zwischen ihnen, so muß die Rede von verschiedenen Untersuchungsgegenständen ebenso problematisch erscheinen wie die These, der zweite Teil handle von nur einer Entität. Denn obwohl Cornford — meiner Ansicht nach erfolglos, s.u. — zu bestreiten versucht, daß in A2 echte Widersprüche vorliegen, muß er doch zugeben, daß sein Absolutes Eines gegen Ende von A l nicht einmal mehr eines ist. Demzufolge destruiert das ,Widerspruchs-Argument' zugleich die Position, die es zu verteidigen versuchte. Eigentlich müßten wir ganz darauf verzichten, von dem Gegenstand oder den verschiedenen Entitäten der dialektischen Übung zu sprechen. Die Schwierigkeit besteht nur darin, daß sowohl vom Ansatz des zweiten Teils her wie auch in jeder Argumentreihe , ' als Name einer bestimmten Entität behandelt wird; denn erst im Verlauf einer jeden Untersuchung erweist

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sich, daß der hypothetisch angenommene Gegenstand so, wie er vorausgesetzt wurde, widersprüchliche Eigenschaften besitzt und deshalb auch kein möglicher Gegenstand mehr ist. Prüfen wir nun Cornfords These, die ersten scheinbar abgeleiteten Bestimmungen des Einen (137c,d) seien Bestandteile seiner Definition als absolutes Eines. Wir erfahren aus dem Text, daß das Eine, wenn es nicht vieles ist, keine Teile haben und deshalb auch kein Ganzes sein kann. Wird nun durch die Sätze (a) und (b)

ist nicht vieles ist kein Ganzes und hat keine Teile

etwas derart fixiert, daß es nur noch als ,absolute Einheit' — was immer dies genau besagen mag — betrachtet werden kann? Man denke einmal an die Punkte in der Geometrie oder an Elementarteilchen wie das Neutrino: Sie sind zweifellos keine Vielheiten von Teilen (und deshalb auch keine Ganzheiten im Sinne des platonischen Sprachgebrauchs), erfüllen also die beiden Satzfunktionen — ohne jedoch deshalb im Cornfordschen Sinn „absolute Einheiten" genannt werden zu können. Ein Fürsprecher Cornfords mag einwenden, daß der Teilbegriff, wie die Folge zeigt, so extensiv ausgelegt wird, daß auch die Eigenschaften eines Gegenstands als dessen Teile angesehen werden. Dem wird man nicht widersprechen können — nur, daß es sich erst im weiteren Verlaufe der Untersuchung so zeigt, ist Cornfords These nicht eben günstig, denn diese besagt, daß bereits mit den ersten Schritten das Eine als ,absolute unity' bestimmt wird. Daß der Untersuchungsgegenstand sich gegen Ende der ersten Deduktion als beziehungslose Pseudoentität erweist, die nicht einmal ,eins' genannt zu werden verdient, rechtfertigt aber nicht die Annahme, er sei bereits zu Beginn als solche definiert. Der Gedanke, der erste Argumentschritt sei, gegen den Anspruch des Textes, in Wirklichkeit keine unmittelbare Konsequenz der Hypothesis, sondern selbst Prämisse (,Setzung') oder Teil einer Definition kann auch deshalb nicht sonderlich glücklich genannt werden, weil er nicht leistet, was er verspricht. Angenommen, der Satz ,Das Eine ist nicht vieles' sei eine (zusätzliche) Prämisse. Ergeben sich nun daraus die gewünschten Folgerungen? Das ist offenbar nur bei einer ganz bestimmten Deutung von ,. . . ist nicht vieles' der Fall, denn in dem Sinne, in dem z.B. Sokrates nicht vieles genannt werden kann — insofern er die eine Person ist — kann die Nicht-Vielheit des Einen nicht verstanden werden, wenn daraus die Verneinung jeder Bestimmtheit des Einen resultieren soll. Daß das

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Eine nicht vieles ist, mu bedeuten, da das Eine auf keine Weise vieles ist. Mit Einf hrung der unspezifizierten Zusatz-Pr misse ,Das Eine ist nicht vieles' ist also ebensowenig gewonnen wie mit der oben diskutierten Kopula-Deutung der Hypotheses (,Das Eine ist eins'). 2. Um eine einfache und angemessene Rekonstruktion des Anfangs der dialektischen bung zu finden, sollte eigentlich die Erinnerung an den Anfang des Dialogs gen gen. Gegen Zenons Paradoxon der Vielheit hatte dort Sokrates seine Ideenhypothese entwickelt: Wenn es ein f r sich bestehendes Eidos der hnlichkeit (αυτό καθ' αυτό είδος ομοιότητας) und ein entgegengesetztes der Un hnlichkeit gibt, dann kann etwas, das an beiden Ideen teilhat, hnlich und un hnlich genannt werden — ,τί θαυμαστόν;'. Hingegen: ,άλλ' εΐ δ εστίν εν, αυτό τοϋτο πολλά αποδείξει και αΰ τα πολλά δη εν, τοϋτο ήδη θαυμάσομαι. και περί των άλλων απάντων ωσαύτως· ει μεν αυτά τα γένη τε και είδη εν αύτοϊς άποφαίνοι τάναντία ταϋτα πάθη πάσχοντα, άξιον θαυμάζειν . . . εάν δε τις ων νυνδή εγώ ελεγον πρώτον μεν διαιρήται χωρίς αυτά καθ' αυτά τα είδη, οίον ομοιότητα τε και ανομοιότητα και πλήθος και το εν και στάσιν και κίνησιν και πάντα τα τοιαύτα, είτα εν έαυτοΐς ταϋτα δυνάμενα συγκεράννυσθαι και διακρίνεσθαι άποφαίνη, άγαίμην αν εγωγ', εφη, θαυμαστώς, ω Ζήνων."6 Halten wir fest: (1) Das Eine wird hier ebenso wie im Methodenexposee als eine Idee — die der Einheit — betrachtet. (2) Im zitierten Abschnitt wird ein Theorem entwickelt, das Sokrates f r so fundamental und unumst lich richtig h lt, da er sich mehrmals wiederholt, um dessen Bedeutung hervorzukehren. Wir k nnen es das Prinzip der Nicht-Gegens tzlichkeit der Ideen taufen, kurz (NC). Es besagt: (NC) F r alle x: wenn x die Idee von F ist, dann ist x niemals ein Non-F.

Die (NC)-Annahme ist uns in anderem Zusammenhang schon einmal begegnet, n mlich bei der Er rterung der Diotima-Rede im Rahmen der Selbstpr dikations-Diskussion. Zu der emphatischen Behauptung, die Idee des Sch nen sei ,in jeder Hinsicht, auf alle Weise sch n' gesellte sich dort als Komplement die These, das Sch ne selbst k nne niemals und in keinem

6

s. Parm. 128e5-130a2. Wie dieser Abschnitt deutlich zeigt, wird Sokrates nicht m de, seine Verwunderung zu bekunden f r den Fall, da jemand zeigen kann, wie Ideen selbst Gegens tze aufnehmen und ,vielf ltig miteinander verflochten' sind.

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Betracht häßlich genannt werden. Die Selbstprädikationsannahme in der Gestalt: (SP)' Für alle x: wenn

die Idee von F ist, dann ist

auf alle Weise F

und die (NC)-Annahme sind somit zwei Aspekte eines Gedankens: daß die Ideen genau und vollkommen eine Eigenschaft verkörpern, die Einzeldinge nur in einer defizienten, schattenhaften Weise besitzen. Daß die paradigmatische Selbstprädikation auch im Kontext von Parm.l29a—e hinter dem (NC)-Theorem steht, wird deutlich, bedenkt man nur die argumentative Rolle von (NC). Wenn Sokrates den (scheinbar) widersprüchlichen Einzeldingen die Ideen gegenüberstellt und von diesen behauptet, sie könnten niemals Gegensätze in sich aufnehmen — das F könne kein Non-F sein —, dann wird damit implicite vorausgesetzt, daß jede Idee im Sinne von (SP)' selbstprädikativ ist. Es zeichnet sich nunmehr eine Möglichkeit ab, wie wir ohne Eingriffe in den Text und ohne künstliche ,Korrekturen' der Hypothesis den Anfang der dialektischen Übung erklären können. Hat das Eine den Status einer platonischen Idee, dann können sich Parmenides und sein Gesprächspartner Aristoteles in Erinnerung an die Ideentheoreme des Anfangs unschwer darüber verständigen, daß das Eine nicht vieles ist; etwas anderes anzunehmen, hieße ja an jenes Wunder zu glauben, daß sich nach Sokrates' Ansicht unmöglich ereignen kann. , ;' erwidert Aristoteles auf die Anfangsfrage: ,Wie wäre das auch möglich?', ,Wie sollte es wohl?'. Daß das Eine nicht nur nicht vieles ist, sondern daß es nicht vieles sein kann, ist, wie sich dem Modus von Frage und Antwort entnehmen läßt, für beide Gesprächspartner eine evidente Konsequenz des , '. Bedenkt man die Emphase, mit der Sokrates die These von der Nichtgegensätzlichkeit der Ideen vertreten hat, dann muß es als unmittelbar einsichtig erscheinen, wenn von der Idee der Einheit behauptet wird, sie könne nicht vieles sein. 3. Es gibt demnach zwei gleichwertige Möglichkeiten der Rekonstruktion des Ansatzes von A l: (a)

(1) Die Einheit ist (2) Für alle x: wenn die Idee von F ist, dann ist Non-F (1), (2) (3) Die Einheit ist nicht (ist auf keine Weise) vieles

(H) niemals ein (NC)

An die Stelle von (NC) kann auch (SP)'treten: (b)

(1) Die Einheit ist

(H)

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(1), (2)

bung

(2) F r alle x: wenn χ die Idee von F ist, dann ist χ (auf alle Weise) F (3) Die Einheit ist nicht (ist auf keine Weise) vieles

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(SP)'

Eine solche Rekonstruktion empfiehlt sich vor allem deshalb, weil sie eine ungek nstelte Erkl rung liefert, die zugleich zwanglos die Koh renz des Dialogs wahrt. Der Ansatz der ersten Deduktion ist also ebensowenig willk rlich wie der der zweiten. Wenn man sich im eidetischen Bereich bewegt, ist es gleicherma en naheliegend, aus dem ,εν εστί' auf die strikte Einheitlichkeit des Einen zu schlie en, wie daraus die Teilhabe des Einen an der Ousia zu entnehmen (was zu Beginn der zweiten Argumentfolge geschieht). Owen verfehlt in seiner Skizze des Argumentationsgangs diese naheliegende Erkl rung nur knapp: „(1) 137c: The One is one and not many . . . Very likely (1) depends on a confusion between the identifying and predicative uses of ,S ist P': One is not the same as Many and so it is not many of anything. Let us call this the I/P confusion. It is surely one source of the so-called ,self-predication assumption' . . ." Wo wir den Gebrauch eines Theorems der Ideenlehre des jungen Sokrates annehmen, diagnostiziert Owen einen Fehlschlu , der auf der erw hnten I/P-Konfusion beruht: aus ,a φ F' auf ,-F(a)' zu schlie en. Es erscheint mir jedoch nicht gl cklich, an dieser Stelle Platon einen logischen Fehler anzukreiden, wenn die Alternative einer konsistenten Rekonstruktion besteht. Nach unserer Ansicht gr nden die absurden Resultate dieser Argumentreihe nicht auf einem einfachen Fehlschlu , sondern auf dem bewu ten Einsatz eines Theorems, das ad absurdum gef hrt werden soll.7 Diese Deutung des Anfangs der ersten Deduktion wird durch eine sp tere Bemerkung des Parmenides best tigt. An der Stelle 140a 1—3 hei t es: „Άλλα μην ει τι πέπονθε χωρίς του εν είναι το εν, πλείω αν είναι πεπόνθοι ή εν, τοϋτο δε αδύνατον." („Wenn aber dem Einen noch irgend etwas zuk me, au er dem, eins zu sein, so k me ihm ja mehr zu als eins, was aber unm glich ist.") Hier endlich legt Parmenides die Karten offen auf den Tisch und macht nachtr glich die Voraussetzung explizit, unter der diese erste Untersuchung antrat. Das Einssein des Einen wird in einer Weise ausgelegt, die jede andere Bestimmtheit als damit unvertr glich erscheinen l t. Da das Eine eins ist bedeutet, da es keine andere Beschaffenheit besitzen kann als die, eins zu sein — sonst w re es mehr als eins 7

Owen, Notes on Kyle's Plato, S. 349.

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bung

und somit sowohl eins als auch vieles; dies aber wird als unm glich bezeichnet. Somit liegt dieser ersten Argumentfolge die (SP)'-Annahme zugrunde.

Die Argumente zu Identit t/Verschiedenheit (Parrn. 139b4—e6) 1. W hrend die Beweisf hrung bis hin zu 139 b3 relativ einfach, durchsichtig und kaum zu beanstanden ist, sto en wir nun, wo es um Identit t und hnlichkeit geht, auf Argumente, die rettungslos inkonklusiv, ja sophistisch anmuten. Es ist verst ndlich, da viele Interpreten in Hinblick auf die anscheinend krassen Fehlschl sse an dieser Stelle jede Hoffnung aufgaben, der zweite Dialogteil k nne mehr sein als eine logische bung oder eine Parodie eleatischer Dialektik. Unter den wenigen, die sich en detail mit dem Text in Teil II auseinandersetzen, ist Cornford8 wohl der einzige, der die vier Argumente zur Identit t und Verschiedenheit f r vollst ndig korrekt h lt. Allerdings bezieht sich seine Zustimmung, sieht man genauer nach, nur auf die nackten Resultate. Da das Absolute Eine weder identisch noch verschieden, sei es mit sich oder einem Anderen, sein kann, ergibt sich f r Cornford aus den Definitionen des Anfangs. In der Tat: das Absprechen jeglicher Bestimmtheit des Einen — und somit auch der Selbstidentit t — ist vollkommen konsequent, wenn das Eine ,absolute Einheit ist'. Es ist jedoch eine ganz andere Frage, ob die Begr ndungen, die Parmenides im einzelnen anf hrt, korrekt sind oder nicht. Sehen wir zu. Der Text 139b4-139e6 lautet: „Ουδέ μην ταύτόν γε ούτε έτέρω ούτε έαυτω έσται, ούδ' αύ έτερον ούτε αύτοϋ ούτε ετέρου αν εϊη. - Πή δη; - Έτερον μεν που έαυτοϋ δν ενός έτερον αν εϊη και ουκ αν εϊη εν. — Αληθή. — Και μην ταύτόν γε έτέρω δν εκείνο αν εϊη, αυτό δ' ουκ αν εϊη· ώστε ούδ' αν ούτως εϊη όπερ εστίν, εν, αλλ' έτερον ενός. — Ου γαρ οΰν. — Ταύτόν μεν άρα έτέρω ή έτερον έαυτοϋ ουκ έσται. — Ου γαρ. — Έτερον δε γε ετέρου ουκ έσται, έως αν ή εν ου γαρ ένι προσήκει έτέρω τίνος είναι, άλλα μόνφ έτέρω έτερου, άλλω δε ούδενί. - 'Ορθώς. - Τω μεν άρα εν είναι ουκ έσται έτερον ή οϊει; - Ου δήτα. - Άλλα μην ει μη τούτω, ούχ έαυτω έσται, ει δε μη αύτώ, ουδέ αυτό' αυτό δε μηδαμή δν έτερον ούδενος έσται έτερον. — 'Ορθώς. — Ουδέ μην ταύτόν γε έαυτω έσται. — Πώς δ' ου; — Ούχ ήπερ του ενός φύσις, αύτη δήπου και του ταύτοϋ. Τί δη; — Ότι 8

Cornford, a.a.O., S. 123f.

Die Argumente zu Identit t/Verschiedenheit

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ουκ, έπειδάν τούτον γένηταί τω τι, εν γίγνεται. Άλλα τί μην; — Τοις πολλοίς ταύτόν γενόμενον πολλά ανάγκη γίγνεσθαι αλλ' ούχ εν. — Αληθή. — Αλλ' ει το εν και το ταύτόν μηδαμή διαφέρει, οπότε τι ταύτόν έγίγνετο, αεί αν εν έγίγνετο, και οπότε εν, ταύτόν. — Πάνυ γε. — Ει άρα το εν έαυτω ταύτόν εσται, ούχ εν έαυτω έσταΐ' και ούτω εν ον ούχ εν εσται. αλλά μην τοϋτό γε αδύνατον αδύνατον άρα και τω ένί ή έτερου έτερον είναι ή έαυτω ταύτόν. — Αδύνατον. — Ούτω δη έτερον γε ή ταύτόν το εν οΰτ' αν αύτώ οΰτ' αν έτέρω είη. - Ου γαρ οΰν." („Es (das Eine) wird aber nicht identisch sein — weder mit einem Verschiedenen noch mit sich selbst — und verschieden, sei es von sich oder von einem Verschiedenen, kann es andererseits auch nicht sein. — Wie das? (I)

(II)

(III)

(IV)

— W re es verschieden von sich, so w re es verschieden von Eins und w re somit nicht mehr Eins. — Das ist wahr. — W re es dagegen identisch mit einem Verschiedenen, so w re es jenes, es selbst aber w re es nicht; so da es, so beschaffen, nicht mehr w re, was es ist — Eins — sondern verschieden von Eins. — Freilich nicht. — Identisch also mit einem Verschiedenen oder verschieden von sich selbst wird es demnach nicht sein. - Nein. — Verschieden aber von einem Verschiedenen wird es nicht sein, solange es Eins ist. Denn dem Einen kommt es gar nicht zu, verschieden von etwas zu sein, sondern allein dem von einem Verschiedenen Verschiedenen (alternativ:,. . . dem Verschieden eines Verschiedenen') - Richtig. — Durch sein Einssein (bzw.: Jnsofern es Eins ist . . /) wird es demnach nicht verschieden sein. Oder glaubst du? — Nein, wirklich nicht. — Wenn aber dadurch nicht, dann auch nicht durch sich selbst; wenn (es) aber nicht durch sich selbst (verschieden ist), dann (ist es) auch selbst nicht (verschieden). Ist es selbst aber auf keine Weise verschieden, dann wird es auch von keinem verschieden sein. - Richtig. — Es wird aber auch nicht identisch mit sich sein.

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— — — — — — —

— — —

Wie das nicht? Die Natur des Einen ist nicht dieselbe wie die der Identität. Wieso? Weil, sofern etwas identisch mit etwas geworden ist, es nicht zugleich Eins wird. Aber was sonst? Was identisch mit dem Vielen (wörtlich: ,mit den Vielen') geworden ist, muß notwendig Vieles werden, und nicht Eins. Das ist wahr. Wenn aber das Eine und die Identität sich in nichts unterschieden, so müßte, wann immer etwas identisch geworden ist, es stets auch Eins werden, und wann immer Eins, identisch. Sehr wohl. Wenn also das Eine mit sich identisch sein wird, wird es nicht Eins mit sich sein; und so wird es Eins seiend, nicht Eins sein. Aber das ist ja unmöglich!")9

Wer den griechischen Text mit der Übersetzung vergleicht, dem sollte auffallen, daß durch die Schreibweise eine Schwierigkeit umgangen wurde: an allen Stellen an denen , ' ohne Artikel steht, findet sich in der Übersetzung ,Eins'. Bisher hatten wir stets, wenn das ,. . . ' Prädikat war, die Wiedergabe , . . . ist eins' gewählt. Die neue Schreibweise enthält somit eine syntaktische Zweideutigkeit; z.B. kann der Ausdruck ,. . . dann ist es nicht mehr Eins' bedeuten: ,. . . dann ist es nicht mehr das Eine', aber auch ,. . . dann ist es nicht mehr eins'. Im ersten Fall handelt es sich um die Identität, im zweiten ist , ' Prädikatsnomen. Man sollte meinen, daß es für die Beurteilung der Argumente nicht unwesentlich ist, welche Wahl in bezug auf die jeweilige syntaktische Funktion des , ' getroffen wird. 2. „Von den vier Möglichkeiten der Ausgangsbehauptung sind zwei notwendig richtig und inhaltlich trivial; sie werden auch kurz abgemacht (bis 139c3). Die anderen beiden aber wollen das absolut Unmögliche und sind auch nur unter Einsatz äußerster Mittel erreichbar."10 Diese Beurteilung der Argumente zur Identität und Verschiedenheit dürfte in der Sache von den meisten Interpreten akzeptiert werden. Was gegen diese nahelie9

10

Schleiermacher übersetzt 139el,2: ,Also wenn das Eins mit sich selbst einerlei sein wird, wird es nicht sein, insofern Es es selbst ist, und so wird es Eins seiend auch wieder nicht Eins sein.' Zekl (2), S. 142.

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gende Auffassung bedenklich stimmen k nnte, ist jedoch das Folgende: Wenn Platon in den Argumenten (I) und (II) ,trivial' Wahres zu begr nden versucht, dann scheint er sich auf die Reflexivit t der Identit t und die Nichtreflexivit t der Verschiedenheit zu berufen, also gerade jene S tze der Identit tslogik zu benutzen, die er sogleich vergessen mu , da er in (III) und (IV) doch ihre allgemeine G ltigkeit bestreiten will. Seine Beweisf hrung' w re demnach schon deshalb u erst inkonsequent, weil die Negation der Resultate von (III) und (IV) sich unmittelbar aus Λχ (χ = χ) bzw. -Vx (χ =t= χ) ergibt, die ja in der Begr ndung von (I) und (II) (angeblich) vorausgesetzt werden. Doch bevor wir Platon eine solche Schizophrenie im Argumentieren vorhalten, sollten wir lieber zusehen, ob nicht die Begr ndung f r (I) und (II) selbst, anders als die Resultate, nichttrivial ist — wom glich haben alle vier Argumente — die paradox wie die trivial erscheinenden — eine gemeinsame Wurzel. Betrachten wir unter diesem Aspekt zun chst einmal die ersten beiden Argumente. Die Begr ndung f r (I) — Nicht-Verschiedenheit des Einen von sich selbst - lautet: ,Έτερον μεν που εαυτού δν ενός έτερον αν είν και ουκ αν εϊη εν" Nach der ,Standardinterpretation' besagt dies: „Verschieden von sich kann das Eine nicht sein, denn so w re das Eine verschieden vom Einen und w re nicht mehr das Eine." Das ,ούκ αν εϊη εν' wird als Identit tsverneinung gelesen, und somit angenommen, da Parmenides von ,-Vx (χ φ χ)' Gebrauch macht. Allerdings ist diese Deutung nicht die einzig m gliche. Die alternative bersetzung lautet: „. . . und w re nicht mehr eins." In diesem Fall l ge die Begr ndung f r die Nichtverschiedenheit des Einen nicht mehr darin, da es so gesehen, nicht selbstidentisch w re, sondern in der (SP)'-Voraussetzung, die ja diese ganze erste Argumentreihe regiert: Das Eine (die Einheit), das doch auf alle Weise eins sein mu , kann nicht verschieden von sich sein, weil es sonst nicht mehr eins w re. — Da das Eine nicht selbstidentisch w re, wenn es verschieden (von sich) ist, ist an sich kein schlechtes Argument. Nur kann ein solches Vorgehen in einem Kontext, in dem wenig sp ter die Identit t des Einen mit sich bestritten wird, nicht gerade beweiskr ftig genannt werden. Deshalb sollte man die gesunde Alternative zur Standardinterpretation w hlen. hnlich steht es um Argument (II). Auch hier m ssen wir die alternative bersetzung von 136cl ber cksichtigen, wenn wir nicht gleich das ganze Unternehmen f r gescheitert erkl ren wollen. Die Selbstidentit t ist die .allgemeine Eigenschaft', so da der Versuch, die Identit t des Einen mit sich oder seine Verschiedenheit von einem Verschiedenen zu bestreiten, widersinnig erscheinen! mu , zumal

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aus ,— (h Φ h)' ohnehin ,h = h' folgt. Es liegt deshalb die Vermutung nahe, da das Beweisziel nur mit irgendwelchen sophistischen Tricks erreicht werden kann. Das Argument f r die Nichtverschiedenheit von einem Verschiedenen (III) lautet nun: „Έτερον δε γε έτερου ουκ εσται, έως αν fj εν ου γαρ ένί προσήκει ετέρω τίνος είναι, αλλά μόνψ ετέρω έτερου, άλλω δε ούδενί." Schwierigkeiten bereitet hier das ,ετέρω έτερου', denn es bieten sich zwei:. bersetzungen an: (a) ,Denn dem Einen kommt es gar nicht zu, verschieden zu sein, sondern allein dem, was verschieden ist von einem Verschiedenen . . .' (b) ,. . . sondern allein dem Verschieden eines Verschiedenen . . .'

Mit (a) haben wir zwar die ,nat rlichere' bersetzung, aber eine Besinnung auf das ,μόνφ', ,άλλω δε ούδενί' lehrt, da dies nicht die angemessene Wiedergabe ist, weil sie nicht die intendierte Begr ndung liefert. Da demjenigen, das in der Relation der Verschiedenheit zu etwas steht, Verschieden' zukommt, ist zwar trivial wahr, erkl rt aber nicht, weshalb das Eine nicht verschieden genannt werden kann. Man k nnte allenfalls versuchen, (a) metasprachlich und recht frei im Sinne von (a') zu interpretieren: ,Der Ausdruck' , . . . ist verschieden . . .'ist nur dann sinnvoll anwendbar, wenn es etwas und etwas von diesem Verschiedenes gibt, wenn es also wenigstens zwei Gegenst nde gibt.' Die Begr ndung liefe dann darauf hinaus, da das Eine nicht verschieden (von einem Verschiedenen) ist, weil es nichts au er dem Einen gibt. Die zweite M glichkeit (b) besagt, da das Einzige, dem »verschieden' zukommt, das Verschieden eines Verschiedenen, also die Verschiedenheit selbst ist. In diesem Fall w re eine echte, wenn auch problematische Begr ndung f r die Nichtverschiedenheit des Einen gegeben: wenn es nur der Verschiedenheit selbst — der Idee der Verschiedenheit — zukommt, verschieden zu sein, dann kann es dem Einen in der Tat nicht zukommen, verschieden zu sein. Eine Unklarheit bleibt auch hier noch bestehen; sie betrifft die Funktion des ,προσήκει'. Ist das ,zukommen' nur eine Umschreibung f r das gew hnliche pr dikative , είναι'? In diesem Fall besagt das Argument, da nur die Verschiedenheit und sonst nichts verschieden genannt werden kann; dies bedeutet aber nichts anderes, als da die Relation ,. . . verschieden . . .' berhaupt inapplikabel wird; sofern nur ein einziger Gegenstand verschieden hei en darf, w re es vollkommen sinnlos, weiterhin von Verschiedenheit zu reden.

Die Argumente zu Identit t/Verschiedenheit

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Nun ist nicht auszuschlie en, da der Ausdruck ,F kommt dem a zu' in einem Sinne verstanden wird, der gestattet, da etwas ein F genannt wird, ohne da ihm F zukommt; bezogen auf den Fall der Verschiedenheit: alle m glichen Dinge m gen ,verschieden* genannt werden, ohne da ihnen ,verschieden' wirklich zukommt, oder ohne da sie in striktem Sinn verschieden sind. Was gew hnlich verschieden genannt wird, ist verschieden προς άλληλα, aber nicht einfach und ohne Einschr nkung verschieden. Es kann also gemeint sein: Nur der Idee Φ zu einem F kommt F zu, und keinem anderen. F r diese Deutung spricht zweierlei: zum einen w ren so die Begr ndungen f r (III) und (IV) vollkommen analog, denn (IV) nennt als Grund f r die Nichtidentit t des Einen mit sich die Nichtidentit t der Natur von Einheit und Identit t. Zweitens wird im Anschlu an diese Stelle, in der Zeile 139c6 gesagt: ,τώ μεν άρα εν είναι ουκ εσται έτερον . . .'. Dies erinnert an eine sehr wichtige Passage des ,Phaidon', in der Sokrates ausf hrt, da es sich in Wahrheit nicht so verh lt, wie der Satz ,Σιμμίας υπερέχει Σοκράτους' behauptet. Simmias ist nicht, weil er Simmias ist, gr er als Sokrates. ,Ούδέ συ άρ' αν άποδέχοιο ει τίς τίνα φαίη έτερον ετέρου τη κεφαλή μείζω είναι', usw.11 Nicht ,ττ] κεφαλή' — verm ge des Hauptes — ist Simmias gr er als Sokrates, sondern μεγέθει, durch die Idee der Gr e. Im Kontext des ,Phaidon' kann kein Zweifel daran aufkommen, da Plato die Aitia-Lehre nicht auf bestimmte Qualit ten oder Relationen eingeschr nkt wissen will; vielmehr soll generell gelten: wann immer einem Gegenstand (ungleich F) ein bestimmtes Pr dikat F beigelegt wird, ist dieser nicht von sich aus so beschaffen, sondern durch Teilhabe an der Idee von F. F r die Idee von F gilt dagegen, da sie stets und in jeder Hinsicht F ist, nicht durch etwas anderes, sondern f r sich selbst durch sich, eben weil es ihre Physis ist, F zu sein. Wendet man die Moral dieser Lehre auf unser Argument an, so l t sich verstehen, was Parmenides mit den paradox erscheinenden Thesen — da nur der Verschiedenheit zukommt, verschieden zu sein, und da das Eine nicht durch sein Einssein verschieden ist — eigentlich sagen will. Nicht verschieden, sondern eins zu sein, ist die Natur des Einen. Wenn es nur der Verschiedenheit zukommt, verschieden zu sein — wenn nur die Verschiedenheit im emphatischen Sinn verschieden ist — dann kommt dem Einen ,verschieden' nicht zu. Durch sich, insofern es eins ist, kann das Eine nicht verschieden sein, denn es besitzt nicht die Physis der Verschiedenheit. 11 Phaidon 100e-101a.

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Die erste Deduktion der Dialektischen Übung

Hier ist nun folgender Einwand möglich: selbst wenn wir dies alles auch zugeben, so scheint die Schlußfolgerung, daß das Eine auf keine Weise verschieden ist, daß es also von nichts verschieden ist, gleichwohl erschlichen. Denn aus dem bisherigen läßt sich bestenfalls, wenn gilt Nur die Verschiedenheit ist(sp) verschieden,

entnehmen Nicht: Das Eine ist(sp) verschieden sowie Das Eine ist nicht durch sich verschieden.

Was aber sollte das Eine hindern — wenn auch nicht durch sich, dann auf eben die Weise, in der wir von allem möglichen sagen, es sei verschieden — verschieden zu sein, z.B. von der Verschiedenheit? Daß Simmias nicht qua Simmias oder vermöge seines Hauptes größer ist als Sokrates, sondern durch die Größe selbst, macht es ja nicht sinnlos zu sagen, daß er Sokrates überragt. Könnte deshalb das Eine nicht auf analoge Weise verschieden sein, wie Simmias groß ist, nämlich durch Teilhabe? Und springt das Resultat dieses dritten Teilarguments nicht nur deshalb heraus, weil diese Möglichkeit übersehen oder bewußt unterschlagen wird? Oder anders gefragt, beruht der Schluß nicht auf der mangelnden Unterscheidung zwischen selbstprädikativen Sätzen und , normalen' Prädikationen bzw. auf einer Konfusion von Identitätsaussagen mit Prädikationen? Auf dem gleichen Fehler scheint ja auch das Schlußargument in diesem Abschnitt zu beruhen: „Wenn das Eine nicht durch sich seihst verschieden ist, dann ist es seihst auch nicht verschieden: ist es aber selbst auf keine Weise verschieden, so ist es auch von nichts verschieden." Daß das Eine weder durch sich selbst noch in sich verschieden ist, schließt natürlich nicht alle Möglichkeiten seiner Verschiedenheit ein. Man sollte sich aber fragen, ob unter den Voraussetzungen dieser Argumentreihe eine Teilhabe des Einen an dieser oder jener Idee überhaupt möglich ist. Wenn das Eine nach der (SP)'-Prämisse in jeder Hinsicht eins ist (oder nach der (NC)- Voraussetzung unmöglich vieles), dann kann es keine Teile besitzen: es ist reine Einheit, . Eine Teilhabe des Einen an anderen Ideen würde aber bedeuten, daß es so viele Charaktere annimmt, wie es an von ihm verschiedenen Ideen partizipiert: so wäre das Eine nicht länger , sondern . Man braucht also gar nicht auf jene , verdinglichte' Teilhabe-Theorie vorgreifen, die in A 2 entwickelt wird, um den eben dargelegten Einwand zurückweisen zu können.

Die Argumente zu Identit t/Verschiedenheit

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Auf dieser Linie wird explizit allerdings erst im Anschlu an die hier zu untersuchenden Argumente operiert (Parm. 140al—3): „Άλλα μην ει τι πέπονθε χωρίς του εν είναι το εν, πλείω αν εΐνει πεπόνθοι ή εν, τοϋτο δε αδύνατον." H tte man sich aber unter dieser Voraussetzung den so skurril anmutenden ,Beweis' f r die Nicht-Verschiedenheit des Einen (von anderen!) und die Nicht-Identit t des Einen (mit sich!) nicht ersparen k nnen? H tte sich Parmenides den beschwerlichen Gang durch alle m glichen Pr dikatbereiche nicht abk rzen k nnen mit der einfachen Feststellung: Wenn das Eine — auf alle Weisen, in jeder Hinsicht — eins ist, kann es nicht vieles sein; wenn es aber mehr Beschaffenheiten besitzt als die, eins zu sein, wird es zur Vielheit? Also gibt es keine Bestimmung au er der, eins zu sein, die dem Einen zukommen kann. Folglich kann es weder bewegt, noch in Ruhe, weder identisch noch verschieden, weder hnlich noch un hnlich sein, etc. Eine derart verk rzte Argumentation h tte aber zwei gravierende Nachteile: zum einen w re sie bar jedes therapeutischen Effekts, der hier dadurch erreicht wird, da man dem Leser zun chst noch die Illusion l t, ein reines, absolutes Eines k nne gleichwohl Gegenstand vern nftiger Rede sein. Zweitens: es gen gt nicht zu zeigen, da der Untersuchungsgegenstand keine weiteren , u erlichen' Beschaffenheiten au er der besitzen kann, eins zu sein. Man mu gleichzeitig nachweisen, da das Eine nicht, insofern es eins ist — oder durch sein Einssein — verschieden von . . .' oder ,identisch mit . . .' genannt werden kann. Dies sollen die Teilargumente (III) und (IV) leisten, und dies k nnen sie auch leisten.

Zur Interpretation der zweiten Argumentfolge (Parm. 142bl-155e3) Schon der Umfang der zweiten Argumentationsreihe (A 2), die mit dreizehn Stephanus-Seiten fast die H lfte der dialektischen bung einnimmt, l t eine fortlaufende Kommentierung aller Teilargumente nicht ratsam erscheinen. Ich werde mich deshalb in der Folge nur auf diejenigen Textpartien beziehen, die entweder eine Schl sselstellung im Argument besetzen oder von besonderem Interesse sind. Der erste Teil der Untersuchung behandelt die ausf hrliche Exposition, der zweite die Teilargumente bis hin zu Parm. 148d. Im einzelnen m chte ich die folgenden Fragen beantworten: (1) Ist die Argumentation relativ auf ihre Voraussetzungen korrekt? (2) Sofern es eindeutige Fehlschl sse oder fehlerhafte Annahmen gibt, lassen sich diese auf einen gemeinsamen Nenner bringen und gibt es Anzeichen daf r, da Platon sie bewu t anwendet? (3) Sind die Resultate, die dem Schema ,Das Eine ist F und Non-F' gen gen, lediglich ,dialektische Oppositionen' oder handelt es sich um ,echte' Widerspr che, die nicht aufl sbar sind (etwa durch Unterscheidung von Hinsichten)? (4) Gibt es eine oder mehrere Pr missen, von denen der Gang der Argumentation entscheidend bestimmt ist, so da von hier auf die Intention Platons geschlossen werden kann? (5) Oder geht Platon mit zweifelhaften Annahmen und Fehlschl ssen ganz wahllos um?

Der Ansatz von A 2 „Βούλει ούν επί την ύπόθεσιν πάλιν εξ άπχής έπανέλθωμεν, εάν τι ήμϊν έπανιούσιν άλλοΐον φανή;"1 Mit dieser Frage wird zur zweiten und bei weitem l ngsten Argumentationsreihe des zweiten Teils bergeleitet, die in ihren Resultaten das positive Pendant zur ersten Durchf hrung (AI) zu bilden scheint: W hrend in der ersten Deduktion gezeigt wurde, da jedes Pr dikat dem Einen abzusprechen ist, wird nunmehr 1

Parm. 142 bl,2.

Der Ansatz von A 2

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nachgewiesen, da alle Pr dikate (aus einem Bereich, der auch gegens tzliche umfa t) auf den Untersuchungsgegenstand anwendbar sind. So kann der Eindruck entstehen, da im Verh ltnis der ersten zur zweiten Deduktion eine ,totale Antinomik' waltet: denn was in A I negiert wird, wird in A 2 bejaht. Betrachtet man aber die beiden Reihen von ihren Resultaten her, dann sind A l und A 2 zwar vielleicht intentional gegens tzlich, aber nicht qua Extension, denn die BedeutungF ist in beiden F llen das Falsche. (Auch A I enth lt ja wenigstens einen Widerspruch: ,Das Eine ist eins' / ,Das Eine ist nicht eins'.) Wenn aber beide Reihen in sich widerspr chlich sind, ist es hochgradig irref hrend, A2 ,positiv* und A I ,negativ' zu nennen. Hinter solchem Sprachgebrauch steht offenbar die Vorstellung, da ber die Widerspr chlichkeit in den einzelnen Reihen hinaus noch eine Steigerung m glich ist durch die Gegens tze zwischen ihnen. Das ist aber falsch: Sofern A I und A2 beweisbare Widerspr che enthalten, kann nicht auch noch zwischen ihnen ein — gleichsam versch rfter — Widerspruch bestehen; es ist ja das Bedrohliche an Antinomien, da aus ihnen jeder Satz ableitbar ist. Folglich kann ein Satz -p aus A I , der mit dem Satz p aus A2 unvertr glich ist, innerhalb von A 2 abgeleitet werden und umgekehrt; alles unter der Voraussetzung, da in beiden Satzsystemen Antinomien auftreten. Aus der Formulierung ,έπί την ύπόθεσιν πάλιν . . .'3 erhellt bereits, da der zweiten Argumentreihe keine neue Hypothesis vorangestellt wird. Die Umstellung an den Stellen 142b3 und 142c9 (,εν ει εστίν') l t ebenfalls nicht auf eine ver nderte Hypothesis schlie en, denn an der Stelle Parm. 142c2,3 lesen wir: „νυν δε ούχ αυτή εστίν ή ύπόθεσις, ει εν εν, ... αλλ' ει εν εστίν." Was gegen ber A I ge ndert wird, ist demnach nicht die Voraussetzung oder der Untersuchungsgegenstand, sondern nur der Aspekt der Auslegung des ,εν εστίν'. W hrend in der ersten Reihe aufgrund der nicht-expliziten (NC) bzw. (SP)'-Annahme ein Konsens ber die ersten Folgerungen bestand, wird nun eine andere Voraussetzung der Hypothesis ans Licht geholt: Wenn das Eine ist, mu es am Sein teilhaben. Diese Weise der Ankn pfung an die Hypothesis wirft einige Fragen auf in Zusammenhang mit dem bei Platon nirgends systematisch er rterten Teilhabeproblem. In den Dialogen, die dem ,Parmenides' vorangehen so2

3

.Bedeutung/ = Bedeutung im Fregeschen Sinn. Von einer .Extension' der Argumentreihen l t sich dann sinnvoll sprechen, wenn wir ihre Resultate als Konjunktionskette von S tzen vorstellen. Parm. 142bl.

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Zu Interpretation der zweiten Argumentfolge

wie in dessen erstem Teil weisen ,μετέχειν' und ,μεταλαμβάνειν' auf eine Beziehung zwischen Einzeldingen (bzw. Handlungen, Dispositionen) einerseits und platonischen Ideen andererseits, die immer dann bestehen soll, wenn von einem Ding Φ F ausgesagt werden kann, es sei F. Anstelle des g ngigen Ausdrucks ,a ist F£ kann stets die in platonischer Sicht genauere Formulierung ,a hat teil am F' treten. Die Teilhabe soll offenbar eine ontologische Begr ndung der M glichkeit von Pr dikationen leisten; etwas von etwas zu pr dizieren, scheint nichts anderes zu besagen, als da zwei Gegenst nde verschiedener Ordnung in eine spezielle Beziehung zueinander treten. ,. . . hat teil an . . / w re dann eine Relation, zu deren Vorbereich nur ,Einzelseiendes' und zu deren Nachbereich nur Ideen geh ren d rfen. (Der sich aufdr ngende Vergleich der Teilhabe-Beziehung mit der Elementschaftsrelation der Klassentheorie f hrt allerdings bald an eine Grenze: im Gegensatz zu Klassen sind Ideen nicht identisch, wenn sie zuf llig die gleiche Extension besitzen. Eine ,saubere' extensionalistische Erkl rung von Ideen kommt aus diesem Grund nicht in Frage.) Unter Ber cksichtigung der Standardklassifikation platonischer Dialoge sto en wir nun im Teil II des ,Parmenides' zum erstenmal auf eine Verwendung von ,μετέχειν' und seinen Synonyma zum Zwecke der Charakterisierung des Verh ltnisses von Ideen untereinander. Da Platon gewi nicht alle allgemeinen Annahmen ber Ideen akzeptiert, die der zweite Dialogteil entwickelt, lie e sich denken, da ein solcher Gebrauch der Teilhabe-Sprache entweder nicht-technisch (also nur als eine fa^on de parier) zu verstehen oder aber mit der Ideentheorie unvereinbar ist. Wendungen der Form ,φ hat teil am ψ' bzw. ,Μφ,ψ' (φ und ψ seien Ideenvariable) w ren dann unzul ssig oder nur insofern tragbar, als sie hnlich unterminologisch gebraucht werden wie in ,Philodoros hat teil am Verm gen seines Onkels'. Die Lekt re des ,Sophistes' erledigt jedoch diesen Verdacht, denn dort verwendet Platon an einer ganzen Reihe von Stellen die Teilhabe-Terminologie, wo es eindeutig um das Verh ltnis von Ideen zueinander geht (siehe vor allem Soph. 254b—57c), und es ist nicht zu erkennen, da f r die Teilhabe von Ideen untereinander andere Kriterien gelten sollen, als f r das Teilhaben von Einzeldingen an Ideen. So lesen wir Soph. 255e: „Πέμπτον δη την θατέρου φύσιν λεκτέον εν τοις εϊδεσιν ούσαν, εν οϊς προαιρούμεθα. . . . Και δια τάντων γε αυτήν αυτών φήσομεν είναι διεληλυθυϊαν εν εκαστον γαρ έτερον είναι των άλλων ου δια την αυτόν φύσιν, αλλά δια το μετέχειν της ιδέας της θατέρον." Der Untersuchungsgegenstand der dialektischen bung, το εν, sollte also auch dann in Teilhabe-Be-

Der Ansatz von A 2

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Ziehungen zu anderen Ideen eintreten k nnen, wenn er selbst den Status einer platonischen Idee besitzt. Weitere Schwierigkeiten ergeben sich aus der Wendung ,. . . μετέχει της ουσίας'. Das, woran etwas teilhat, kann immer nur eine platonische Idee sein. Die Rede von einer Teilhabe am Sein unterstellt somit, da es eine Idee des Seins (des Seienden) gibt. Nun wird aber in der sogenannten ,mittleren' Ideenlehre eine jede Idee als das ορθώς oder παντελώς v bestimmt; die Ideen sind das in h chstem Ma e Seiende, und folglich sollte die Teilhabe an irgendeiner Idee Teilhabe an Seiendem bedeuten. Zum anderen haben spezifische Ideen, wie solche zu Gattungsbegriffen, eine bestimmte Funktion: sie legen fest, zu welcher Klasse oder Art ein Ding geh rt, leisten also eine Art ,Wesensbestimmung'; in Hinblick auf solche Ideen k nnen wir entscheiden, ob ein Ding als ein F oder ein G anzusprechen ist. Von daher mu es fraglich erscheinen, ob die Annahme einer gesonderten Idee des Seins innerhalb der Ideentheorie berhaupt zu rechtfertigen ist. Die Teilhabe am Sein — an einer Idee oder einem Genos des Seins — macht kein Ding zu irgendeinem bestimmten; modern gesprochen: ,. . . ist' oder , . . . ist Gegenstand' ist kein Pr dikator. Bedenken dieser Art haben wohl Peck veranla t, zu bestreiten, da die μέγιστα γένη des ,Sophistes' platonische Ideen sind, speziell aber, da es eine Idee des Seins oder der Einheit geben kann (Peck deutet den zweiten Teil des ,Parmenides' als umfassend gr ndliche Widerlegung einer Idee von Einheit).4 Man wird auf diese Weise sicherlich einiger Probleme ledig, doch leider auf Kosten des platonischen Textes. Denn Platon verwendet die Terme ,είδος', ,ιδέα' und ,γένος' im ,Sophistes' wie auch in auch anderen Schriften promiscue (z.B. Soph. 254b). Wenn γένη Ideen sind, so sind auch die ,gr ten Arten' Ideen, und folglich werden im Sophisten Ideen des Seins und Nichtseins, der Identit t usw. angenommen. Die Frage nach dem Status der Ousia spielt auch in das folgende Problem hinein. Aus der Skizze der Teilhabe-Theorie im ,Phaidon' ergibt sich, da wir immer dann berechtigt sind, von einem Gegenstand a eine Eigenschaft F zu pr dizieren, wenn a am F teilhat. Nun folgt aber aus dem Theorem Parm. 141 e, da wir von S tzen der Form ,x ist F', gleichsam als Abschw chung, zu solchen der Form ,x ist' bergehen k nnen (,Seins-Abstraktion'). Wenn wir den Ansatz unserer Argumentfolge (Parm. 142b3ff.) verallgemeinern, so m te f r jeden Ausdruck ,x ist' die ,ontologische' bersetzung ,x hat teil am Sein' zul ssig sein. 4

s. Peck (I), Plato and the Megista Gene of the Sophist und ders. (2), Plato's Parmenides, speziell II, S. 39ff.

142

Zu Interpretation der zweiten Argumentfolge

Nehmen wir an, a sei F. Nun ist die Frage: hat a nur qua Anteilhabe am F, das ja zu Seiendem geh rt, teil am Sein oder hat es sowohl teil an der Ousia, also am Genos des Seins als auch an der spezifischen Idee von F? F r den ersten Fall bestehen zwei M glichkeiten: (a) Es gibt jeweils nur bestimmte ,generische' Ideen (Mensch, Ochse, das Gute etc.), nicht aber noch unabh ngig von ihnen eine gesonderte Idee des Seins. Die Rede von einer Teilhabe am Sein w re dann so zu verstehen, da damit lediglich die Teilhabe an irgendeiner nicht n her bestimmten oder die Teilhabe an wenigstens einer Idee angezeigt wird. Wir d rften demnach nicht schreiben: ,Mx, O' (Lies: χ hat teil an der Ousia), denn ,Sein' kann bei dieser Deutung nicht als Individuenname behandelt werden. (b) Es gibt neben artspezifischen Ideen noch die Idee des Seins, und jede andere Idee hat teil am Sein. Sofern ein Ding a ein F ist, hat es teil an der Idee zu F, und diese Idee hat wiederum teil am Sein. Es kommt also nicht vor, da ein Ding unmittelbar am Sein teilh tte, sondern die Teilhabe am Sein ist .transitiv' zu begreifen: a hat teil am Sein, weil es am F teilhat, das ein Metechonton des Seins ist.

Im zweiten Fall existiert die Ousia wie unter (b) als eine unabh ngige Idee, an der, anders als unter (b), Ideen und auch Einzeldinge partizipieren k nnen. Wenn a ein F ist, so hat es an der Idee zu F teil, weil es F ist, und es hat zugleich am Sein teil, weil es F ist. Dabei d rfen die S tze ,a hat teil am Sein' und ,a hat teil am F' freilich nicht als voneinander unabh ngige aufgefa t werden. Es kann ja keine Teilnahme am Sein geben, die nicht zugleich Teilhabe an irgendeiner — wenigstens einer — Idee Φ w re. Da der ,Sophist' το v als eigenst ndiges Genos behandelt und dort (Soph. 256al, 256d9, 256e3) verschiedentlich die Wendung ,. . . μετέχει του οντος' begegnet, wird man wohl die letzte M glichkeit den anderen vorziehen m ssen. Der bergang von ,εν εστίν' zu ,εν μετέχει της ουσίας' w re demnach von der sp ten Ideentheorie her abgesegnet: es ist nur gut platonisch, jeden (elliptischen) Ausdruck ,x ist' in die Sprache der Teilhabe zu bersetzen und zu sagen ,x hat teil am Sein'. 3. Der allererste Schritt (Parm.l42b5) ist also korrekt, bezogen auf seine unbestreitbar platonischen Voraussetzungen. Die eigentlichen Schwierigkeiten beginnen mit dem n chsten Satz: „Ούκοϋν και ή ουσία του ενός εΐη αν ου ταύτον ούσα τφ ένί'" („Folglich w re auch das Sein des Einen, welches nicht dasselbe ist wie das Eine.")

Der Ansatz von A 2

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Am meisten st rt hier noch, da vom ,Sein des Einen' gesprochen wird — w re schlicht vom Sein die Rede, k nnte man die Behauptung auf folgende Weise st tzen: Der Satz ,εν εστίν' impliziert die Teilhabe des Einen am Sein. Deshalb gilt auch, da die Ousia ist; der Satz ,εν εστίν' sagt zwar nicht, da die Ousia ist, aber indem er das ,ist' gebraucht, nimmt er immer schon in Anspruch, da es zwei Gegenst nde gibt, die zueinander in der Teilhabe-Relation M stehen, so da M(h,O). Die Teilhabe ist nur an Ideen, somit Seiendem m glich. Wenn f r einen Satz ,a ist' die Interpretation ,a hat teil am Sein' zul ssig ist, dann mu man aufgrund dessen auch dem Satz ,Sein ist' zustimmen. Gegen 142b7,8 wendet Zekl ein: „Der Satz ,Eins ist* setzt ,Eins' und der Ausdruck dieser Setzung ist ,ist'. Er setzt also nicht ,Sein', wohl aber setzt er als eine ihm vorausgehende Setzung das Sein von ,Sein' voraus, indem er diese Bestimmung benutzt . . . Damit werden zwei unterschiedene Ebenen kontaminiert: was ein Satz sagt, ist nicht das Gleiche wie das, was er tut. Ein Satz, der das Sein von ,Eins' behauptet, behauptet nicht das von ,Sein', er geht nur mit ihm schon um . . . Der Etablierung von ,Sein' als eigenst ndiger Instanz neben ,Eins' fehlt so die Basis."5 Abgesehen davon, da hier einige Anf hrungszeichen berfl ssig sind und die Rede von ,Setzung' unklar bleibt, scheint mir Zekls Kritik nicht gerechtfertigt. Platon behauptet ja nicht, da die Hypothesis selbst das Sein ,setzt' oder das ,ist' vom Sein aussagt. Aus der isoliert genommenen Voraussetzung ,εν εστίν' folgt in der Tat nicht, da die Ousia (resp. die ουσία του ενός) ist. Aber wenn die Hypothesis im Sinne der Teilhabe des Einen am Sein ausgelegt wird, so ist damit zugleich das Sein (die Existenz) der Idee des Seienden unterstellt. Im Text wird jedoch nicht einfach vom Sein gesprochen, sondern vom Sein des Einen, so da man auf den Gedanken kommen k nnte, hier werde ein dritter Gegenstand neben dem Einen und dem Sein eingef hrt. Sind aber Sein und Sein des Einen nicht identisch, so m te letzteres wohl von einem anderen logischen Typus sein als das Eine und die Ousia. Nehmen wir als Exempel den weniger verf nglichen platonischen Standardsatz , Theaitetos sitzt'. Das Analogon zum Sein des Einen w re hier das Sitzen des Theaitetos oder der sitzende Theaitetos. Wir h tten es demnach mit einer Art von propositionalem Gegenstand, einem ,verdinglichten' Sachverhalt zu tun. Von Sachverhalten pflegen wir zu sagen, da sie bestehen oder nicht bestehen, und das Bestehen eines Sachverhalts nennen 5

Zekl (2), S. 146.

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Zu Interpretation der zweiten Argumentfolge

wir eine Tatsache. Wer in seine Ontologie Sachverhalte aufnimmt, m te also zwischen ihnen und den Tatsachen unterscheiden; nicht jedem Sachverhalt entspricht eine Tatsache, ein in dieser Welt realisierter Sachverhalt. Nun k nnte man versucht sein, Zekls Kritik auf diese Ebene zu bertragen. Vermengt Platon bei dieser Deutung nicht Sachverhalte mit Tatsachen, d.h. schlie t er nicht f lschlich aus dem Satz auf das Bestehen des Sachverhalts? Aus dem Satz ,Theaitetos fliegt' folgt ja nicht, da Theaitetos tats chlich fliegt. Ebensowenig d rfte man dem Satz ,εν εστίν' entnehmen, da das Sein des Einen ist. Wer so argumentiert, bersieht jedoch, da in einer Ontologie der Sachverhalte die Quantoren umgedeutet werden m ssen, da ber m gliche Gegenst nde quantifiziert wird; die Existenz w re folglich als Pr dikat einzuf hren. Sachverhalte gibt es bei diesem Ansatz ja unabh ngig davon, ob sie in dieser Welt realisiert sind. Derartige Spekulationen ber den ontologischen Status der ουσία του ενός erweisen sich jedoch als verfr ht. Die nachfolgende Erkl rung f r die Verschiedenheit des Seins (des Einen) vom Einen l t jedenfalls darauf schlie en, da ,ουσία' und ,ουσία του ενός' dasselbe benennen: „ου γαρ αν εκείνη ην εκείνου ουσία, ούδ' αν εκείνο, το εν, εκείνης μετείχεν, αλλ' δμοιον αν ην λέγειν εν τε είναι και εν εν." („Denn sonst w re es (sc. das Sein) nicht sein (des Einen) Sein, und dieses, das Eine, k nnte nicht an ihm teilhaben, sondern es w re einerlei zu sagen ,Eins ist' und ,Eins Eins'.")6 Da dasjenige, woran das Eine teilhat, nur die Ousia selbst sein kann, sollte man davon ausgehen d rfen, da es sich bei der ουσία του ενός um die Idee des Seienden handelt. Gleichwohl befremdet diese Ausdrucksweise, durch die eine Idee gewisserma en als Teil dessen traktiert wird, das an ihr teilhat, vor allem, wenn man an Phaid. 102d oder auch an Parm. 130b denkt, wo ja zwischen der Gr e ( hnlichkeit) in uns und der Gr e ( hnlichkeit) selbst unterschieden wird. Wenn Simmias an der Gr e teilhat (in bezug auf Sokrates), so ist die Gr e selbst nicht mit der Gr e, die Simmias besitzt, zu verwechseln. Folglich d rfte ganz allgemein eine Idee von F, an der ein a partizipiert, nicht durch eine Wendung der Form ,Das F des a' charakterisiert werden. Da dies hier dennoch geschieht, hat seinen Grund darin, da Platon mit der zweiten Argumentfolge — wie wir sp ter noch sehen werden — bestimmte unzul ngliche Theorien der Teilhabe ad absurdum f hren will. Wenn eine Idee von F, an der ein Ding a teilhat, als Teil 6

Parm. 142b7-c2.

Der Ansatz von A 2

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dieses Dings aufgefa t wird, ist es nur folgerichtig, diese Idee als das F des a anzusprechen. Der zweite Teil der Begr ndung f r die Verschiedenheit von Eins und Sein bezieht sich auf den Wortlaut der Hypothesis und enth lt eine bemerkenswerte semantische Pr misse. Wenn das Sein und das Eine identisch w ren, k nnte die Hypothesis statt ,εν εστίν' genausogut lauten ,εν εν': „νυν δε ούχ αυτή εστίν ή ύπόθεσις, ει εν εν, τι χρή συμβαίνειν, αλλ' ει εν εστίν ούχ ούτω; — Πάνυ μεν οΰν. — Ούκοΰν ως άλλο τι σημαίνον το εστίν του εν; — Ανάγκη." („Nun lautet die Voraussetzung aber nicht ,Wenn Eins Eins', was dann folgt, sondern ,Wenn Eins ist' . . . So da also das ,ist' etwas anderes bezeichnet als das ,Eins'? — Notwendig").7 Die Austauschbarkeit von ,εν' und ,εστίν' in der Hypothesis w re also gegeben, wenn beide Ausdr cke dasselbe benennen w rden. Demnach referiert nicht nur das grammatische Subjekt ,εν' — n mlich auf das Eine — sondern auch ,εστίν', und zwar auf vom Einen Verschiedenes, wobei es sich wohl nur um das Sein handeln kann. Das Argument setzt somit voraus, da Subjekt- und Pr dikatausdruck des Satzes die gleiche semantische Funktion besitzen: Gegenst nde zu benennen oder zu bezeichnen. Parmenides beruft sich nun auf den Wortlaut der Voraussetzung: die Hypothesis lautet nicht ,εν εν', sondern ,εν εστίν'. Dabei bleibt unausgesprochen, was an sich auch keines Kommentars bedarf: da es nicht gleichbedeutend ist zu sagen ,εν εν' und ,εν εστίν'. Da der Pseudo-Satz ,εν εν' nicht an die Stelle der Hypothesis treten kann, mu auch das, was ,εν' und , εστίν' bezeichnen, voneinander verschieden sein. Folglich ist das Eine vom Sein verschieden. Die naive ,atomistische' Referenz-Semantik, die hier zum Nachweis der Verschiedenheit von Sein und Eins Anwendung findet, entspricht nicht der semantischen Theorie des ,sp ten' Platon. Im ,Sophistes' stellt Platon klar, da der Satz nicht aus einer blo en Aneinanderreihung von ονόματα, im engeren Sinn von ,Eigennamen' verstanden, besteht; vielmehr m ssen ονόματα und φήματα im sinnvollen Satz hnlich miteinander verkn pft sein wie Konsonanten und Vokale in wohlgebildeten Phonemen. Man denke an Soph. 261 d—262e; besonders 262d2: „Δήλοι γαρ ήδη που τότε περί των όντων ή γιγνομένων ή γεγονότων ή μελλόντων, και ουκ ονομάζει μόνον αλλά τι περαίνει, συμπλέκων τα ρήματα τοις όνόμασι." Indem die ονόματα mit den ρήματα verkn pft werden, benennt der Satz nicht nur Gegenst nde, sondern sagt etwas ber diese aus. Sprachliche Aus7

Parm. 142c2-5.

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Zu Interpretation der zweiten Argumentfolge

dr cke haben somit nicht nur eine referentielle Funktion. Da die Unterscheidung zwischen ονόματα und φήματα bereits im Kratylos (431 b) anzutreffen ist, mu es fraglich erscheinen, ob Platon jemals die naive Referenzsemantik (,Satz als Kollektionen von Namen') vertrat, die nach Meinung einiger Interpreten f r seine ,fr he' und ,mittlere' Ideentheorie charakteristisch sein soll. ,Έν εν* ist ohne Erg nzungen nat rlich kein wohlgebildeter Satz des Griechischen und kann nach den Kriterien f r den sinnvollen Satz, die in Soph. 262 d entwickelt werden, nicht ernstlich als solcher in Betracht gezogen werden. Da Platon die ,§v εν'-Phrase in unserem Argument nicht ausdr cklich als unzul ssig verwirft, d rfte seinen Grund darin haben, da auf der Basis des Referenz-Atomismus derartige Wendungen im Prinzip zul ssig sind. Verschiedentlich — und nicht nur von neuplatonischer Seite — ist das ,νϋν δε' in 142c2 so verstanden worden, als wolle Platon dadurch den Gegensatz zwischen den Hypothesen der ersten und der zweiten Argumentfolge betonen. Demzufolge w re ,εν εοτιν' nunmehr — f r A2 — die Voraussetzung, w hrend dies f r A l ,εν εν' war. Auch Cornford bemerkt: „Ei hen hen would be a more accurate expression than ei hen estin for what was our supposition in Hyp. I." Als Beleg f r einen Wechsel der Voraussetzung oder des Untersuchungsgegenstands taugt das ,νϋν δε' jedoch ebensowenig wie die gelegentlichen Umstellungen im Wortlaut der Hypothesis :8 — Mittels ,νϋν δε' wird nicht nur das Gegenw rtige vom Vergangenen abgesetzt, sondern speziell auch die Tatsache gegen ber einer falschen Annahme oder Meinung — worauf bereits Robinson hingewiesen hatte. — Weder in A I noch in den anderen Argumentreihen existiert eine Voraussetzung mit dem Wortlaut ,εί εν εν'. Um berhaupt als Satz und somit als konkurrierende Hypothesis in Betracht zu kommen, m te ein ,έστιν' erg nzt werden. Bei verk rzter Redeweise kann zwar im Griechischen gelegentlich das ,εστίν' fortfallen. Im Kontext von 142 b,c ist jedoch eine solche Erg nzung unsinnig; nicht ,εν (εστίν) εν' wird der tats chlichen Voraussetzung kontrastiert, sondern das ungrammatische ,εν εν', das die Hypothesis vertreten k nnen m te f r den Fall, da ,εν' und ,εστίν' dasselbe bezeichnen.

(Zu welch kuriosen Fehldeutungen diese an sich harmlose Stelle verf hren kann, ist bei Wyller und Koumakis nachzulesen. Wyller glaubt allen Ern8

Cornford, a.a.O., S. 136, Anm. 1.

Der Ansatz von A2

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stes, da mit 142c aas Ein-Eine(l)9 als Gegenstand der ersten Reihe ausgewiesen sei. — Der von Koumakis10 entdeckte kontradiktorische Gegensatz zwischen den Hypothesen ,εν εστίν εν' und ,εν εστίν' kann schon deshalb nicht bestehen, weil gem Parm. 141 e aus ,εν εστίν εν' folgt, da das Eine ist. Ebensogut wie aus dem ,εν εστίν' lie e sich also aus der vermeintlich gegens tzlichen Hypothesis auf die Teilhabe des Einen an der Ousia schlie en.) 4. „Πάλιν δη λέγωμεν, εν ει εστίν, τί συμβήσεται. σκοπεί οΰν εί ουκ ανάγκη ταύτην την ύπόθεσιν τοιούτον δν το εν σημαίνειν, οίον μέρη εχειν;"11 Unter dem neuen Aspekt der Auslegung des ,εν εστίν' — im Sinne einer Teilhabe des Einen an der Ousia — soll nun gezeigt werden, da das Eine Teile hat und somit ein Ganzes von Teilen, eines wie auch vieles ist. Die Argumentationsstrategie zielt also darauf, Resultate zu gewinnen, die denen der ersten Deduktion entgegenlaufen. Dort war bereits aufgefallen, da die Terme ,μόριον' bzw. ,μέρος' in einem erweiterten Sinn auch auf Aspekte oder Charakteristika von Dingen und nicht nur auf deren r umliche Teile angewendet werden. Bei diesem recht freiz gigen Umgang mit dem Teil-Begriff w ren auch die Attribute eines Gegenstands als dessen Teile aufzufassen. Wenn man sich weiter dazu bereit findet, das Sein und Eins-Sein eines Gegenstands zu den Attributen zu rechnen — was problematisch ist, denn dies sind schlie lich Voraussetzungen f r Gegenst ndlichkeit berhaupt — dann l t sich denken, wie es Platon gelingen k nnte, sein Eines als Ganzheit von (wenigstens) zwei Teilen zu etablieren. Denn jeder Gegenstand qua Gegenstand ist und ist eins, somit auch das vorausgesetzte Eine. Ganz in diesem Sinne scheint Cornford12 die Argumentation 142d zu begreifen: „The point is that two different attributes belonging to the same subject (the hen on) must be two parts of one whole." Man sollte sich vor Augen halten, da Cornford bei dieser simplifizierenden Darstellung von Parm. 142d, die alle wirklichen Schwierigkeiten au er acht l t, von ganz bestimmten Voraussetzungen ausgeht. F r ihn wird in der Exposition dieser zweiten Argumentfolge (im Gegensatz zum , absoluten Einen' der ersten Reihe) das Eine als ,a One Entity' eingef hrt — also als ein Gegenstand „. . .of which we can assert the two truths: (1) that it is one, or has unity 9 10 11 12

Wyller (1), Platons Parmenides, S. 84ff. Koumakis, Platons Parmenides, S. 113ff. Parm. 142 c7. Cornford, a.a.O., S. 137, Anm. 1.

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Zu Interpretation der zweiten Argumentfolge

and (2) that it is, or has being."13 Dieser Ansatz ist aus verschiedenen Gr nden, von denen einige schon genannt wurden, problematisch. Wenn das Eine in dieser Reihe als ,Gegenstand berhaupt' oder als irgendein beliebiger Gegenstand definiert w re, so k nnte der von Cornford angenommene Gegensatz zur ,ersten Hypothese' schon deshalb nicht bestehen, weil auch das ,absolute Eine* in A I als Gegenstand und ,εν' als Name dieses Gegenstands behandelt wurde; auch das Eine der ersten Reihe w re somit ,a One Entity'; und demnach sollte kein Wechsel im Gegenstand der Untersuchung vorliegen. Wenn Cornford weiter recht h tte mit der These „From this simple conception of One Entity all the deductions of the next two sections can be drawn"14, dann m te jeder beliebige Gegenstand als unendlich teilbar angesehen werden. Dar ber hinaus glaubt Cornford aber, da auch die weiterf hrenden Resultate von A 2 auf dieser grundlegenden Bestimmung des Einen als ,a One Entity' beruhen. Dies h tte die bemerkenswerte Konsequenz, da ein Gegenstand qua Gegenstand Tr ger widerspr chlicher Pr dikate w re. Es hilft im brigen wenig, wenn Cornford meint, da es sich hierbei nur um eine Entwicklung m glicher Pr dikate des Einen handelt. Denn erstens deutet nichts darauf, da Parmenides nur m gliche Bestimmungen ableiten will. Zum zweiten sind ,verschieden von sich', »un hnlich mit sich' nicht einmal m gliche Attribute eines Gegenstands. Tats chlich argumentiert der platonische Parmenides nicht ganz so einfach wie nach Cornfords Darstellung zu vermuten w re. Zun chst befremdet, da Parmenides ohne n here Erkl rung pl tzlich vom εν v (bzw. vom v εν) spricht, statt einfach vom εν. Handelt es sich hierbei um einen blo en Trick, der einen neuen Untersuchungsgegenstand an die Stelle des bisherigen setzt, um so die gew nschten Resultate zu erschleichen? Nat rlich w re f r das Eine nichts bewiesen, sofern εν v φ εν. Eine Parallele zum εν v findet sich in den Deduktionen N l und N2, welche die Folgen aus der negierten Hypothesis (,εν ει μη εστίν') betrachten. Dort (z.B. an den Stellen Parm. 160e, 162a, 162d) wird der Untersuchungsgegenstand gelegentlich το ουκ v εν, το εν ουκ v oder το μη v εν genannt. Die Rede vom μη v εν bzw. vom εν v w re demnach nur eine Weise, die Aussage der jeweiligen Hypothesis zu substantivieren, ohne da damit neue Entit ten eingef hrt werden. Weil der Voraussetzung nach das Eine ist, kann es als ,seiendes Eines' angesprochen werden, und es er13 14

Cornford, a.a.O., S. 136. Cornford, a.a.O., S. 136.

Der Ansatz von A 2

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scheint ebensowenig ein neuer Gegenstand, wie etwa die Ausdr cke ,Sokrates' und ,stupsnasiger Sokrates' verschiedene Personen benennen. Nun setzt Platons Argumentation jedoch so ein: „ει το εστί του ενός οντος λέγεται και το εν του οντος ενός."15 Schreibt man daf r: „Wenn das ,ist' vom Seienden Einen ausgesagt wird, und das ,eins' vom EinsSeienden . . .", so w re dieser Ansatz vom bisherigen Argumentverlauf nicht gedeckt, denn das ,istc wird in der Hypothesis vom Einen ausgesagt und nicht vom Seienden Einen. Die Rede vom ,εν V ist eine M glichkeit, den Inhalt der Hypothesis ,έν ει εστίν' wiederzugeben, aber die Hypothesis lautet nicht ,Wenn das Seiende Eine ist'. Au erdem wird weder in der Hypothesis noch sonstwo im bisherigen Ansatz das ,εν' als Attribut des Einen oder gar des Eins-Seienden gebraucht. Der Ausdruck , v εν' enth lt zwar ,εν', aber nicht als Attribut des εν. Allerdings ist die oben erw hnte Deutung nicht konkurrenzlos. Schon Schleiermacher hat die Genitive ,τοΰ ενός οντος' bzw. ,τοΰ οντος ενός' possessiv aufgefa t, so da zu bersetzen w re: „Wenn vom ,ist' des (oder: dieses) Seienden Einen und vom ,eins' des Eins-Seienden gesprochen wird . . .". Hierbei werden also ,ist' und ,eins' (bzw. das, was diese Ausdr cke bezeichnen) als zum Seienden Einen zugeh rig aufgefa t. F r die Erkl rung des Teilarguments 142d sch len sich somit zwei M glichkeiten heraus: nach der ersten geschieht hier nichts anderes, als der Nachweis, da die Ausdr cke ,εν v' bzw. ,δν εν' als Teile die Ausdr cke ,εν' und ,ov' enthalten. Das ist trivial wahr, besagt aber nat rlich nichts ber das, was diese Ausdr cke benennen. Die zweite Erkl rung w re die Cornfords, wonach ,Eins' und ,Sein' als Attribute, und damit als dessen Teile zum Seienden Einen geh ren. Diese Auffassung k nnte man wohl akzeptieren, wenn es im folgenden Text nicht hie e: „εστί δε ου το αυτό ή τε ουσία και το εν." Der R ckbezug auf 142c, den Nachweis der Verschiedenheit von Sein und Eins, ist deutlich. Was dort aber als verschieden erkl rt wurde, waren nicht die Ausdr cke ,εν' und , v', auch nicht die entsprechenden (Pseudo-)Attribute. Zum mindesten die Ousia, als etwas, an dem das Eine partizipiert, mu den Status einer platonischen Idee besitzen. Da nach 142b,c ,Sein' in den S tzen ,Eins hat teil am Sein' und ,Sein und Eins sind verschieden' denselben Sachbezug hat, mu es demgem auch im Satz ,Das Sein ist Teil des Seienden Einen' ebendiesen Gegenstand, die Idee des Seienden, bezeichnen. Entsprechend im Fall von ,εν', ,τό εν': sofern Platon diese Ausdr cke in 15

Parm. 142dl.

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Zu Interpretation der zweiten Argumentfolge

142b—d einheitlich gebraucht, sollte mit den Sätzen ,Das Eine ist' und ,Das Eine ist Teil des Seienden Einen (bzw. des Eins-Seienden)' ein und dieselbe Entität gegeben sein. Da für Cornford das , ' in der Hypothesis für ,a One Entity* steht, kann es bei einem einheitlichen Gebrauch nicht zugleich das (Pseudo-)Attribut des Eins-Seins bezeichnen. Cornford müßte also nicht nur eine von Deduktion zu Deduktion wechselnde Bedeutung des , ' annehmen, sondern auch innerhalb der Argumentfolgen eine mehrdeutige Verwendung voraussetzen, was seiner Generalthese (,study in the ambiguity of terms') nicht zuträglich sein dürfte. Wenn ein Ausdruck ständig unkontrolliert seine Bedeutung wechselt, wird man kaum noch die Folgen eines Bedeutungswechsels untersuchen können. Aufgrund des engeren Kontextes können wir allerdings nicht definitiv entscheiden, ob das Sein und das Eine als Teile des Seienden Einen nun Bestimmungen bzw. Attribute oder Ideen sein sollen. Daß Platon weiter oben das Sein ,Sein des Einen' genannt hatte, deutet eher auf den Mangel einer Distinktion zwischen dem F und dem F ,in uns'; ,immanente Charaktere' und Ideen wären auf diese Weise nicht geschieden. Nur bei einer bestimmten Konzeption von Prädikation und Teilhabe ist das Fehlen dieser sonst gängigen Unterscheidung gerechtfertigt: dann nämlich, wenn die Idee von F, an der ein Ding a teilhaben muß, um F zu heißen, vom Ding aufgenommen wird oder in dieses eintritt, so daß sie zu einem Teil des Dinges wird. Die thematische Verbindung zur Methexis-Diskussion des ersten Teils (130e—131 e) ist hier noch nicht so ausgeprägt wie im erneuten Anlauf an der Stelle 144d,e. Von den beiden Möglichkeiten einer verdinglichten Teilhabe-Konzeption — Aufnahme der Idee als Ganzes oder als Teil — wird dort die zweite benutzt. Deshalb ist die Vermutung nicht abwegig, daß in diesem ersten Versuch, das Eine als unbegrenzte Vielheit von Teilen zu erweisen, jene alternative Möglichkeit ausgespielt wird. Dies würde im übrigen auch die Doppelgleisigkeit der Argumentation erklären helfen. Wenn Ideen (hier die Ideen von Einheit und Sein) zu Teilen eines Gegenstands werden, so ist das für sich genommen bereits ein paradoxes Resultat, denn ein und dieselbe Idee müßte „ . . . in vielen Dingen, die getrennt voneinander sind, als Ganzes zugleich sein, und wäre so selbst von sich selbst getrennt." (Parm.l31b) Man muß sich aber stets vor Augen halten, daß der ganze zweite Teil des ,Parmenides' nicht auf ,positive' Resultate angelegt ist, sondern mit voller Absicht in Paradoxien hineingeführt wird.

Der Ansatz von A 2

151

5. Da die bisher diskutierten Vorschl ge nicht gerade vielversprechend sind, sollte man sich fragen, unter welchen — nicht unbedingt expliziten — Voraussetzungen das Eine und das Sein (und nicht nur die entsprechenden Ausdr cke oder Attribute) als Teile des Seienden Einen nachweisbar sind. Ich sehe im wesentlichen drei M glichkeiten: I.

(1) Das Eine ist (H) (2) (3) (1), (3) (4) (5) (6)

(7) (8) (6), (7), (8) (9)

Wenn das Eine ist, so kann es ,Seiendes Eines' genannt werden ,Ist' und ,ist eins' sind extensionsgleich ( E) Das Eine ist und ist eins Sein und Eins sind Attribute des Einen (das deshalb auch EinsSeiendes hei en kann) Attribute von Gegenst nden sind diesen Gegenst nden zugeh rige Teile Die Attribute Sein und Eins sind Teile des Einen Attribute und Ideen sind nicht verschieden Das Eine und das Sein sind Teile des Seienden Einen

II.

((1) und (2) wie oben) (3) Der Ausdruck ,εν v' bezeichnet das Seiende Eine (4) Die Ausdr cke ,εν' und , v' sind Teile des Ausdrucks ,εν v' (bzw. ,δν εν') (5) ,δν' und ,εν' bezeichnen Verschiedenes, n mlich das Sein (die Idee des Seienden) und das Eine (die Idee der Einheit) (6) Wenn ein Ausdruck einen Gegenstand bezeichnet, so bezeichnen Teile dieses Ausdrucks Teile des Gegenstands (4), (6) (7) , v' und ,§v' bezeichnen Teile des Seienden Einen (5), (7) (8) Das Eine und das Sein sind Teile des Seienden Einen

III.

((l)-(3) wie oben unter I.) (3) (4) Das Eine ist und ist eins (5) Das Eine hat teil am Sein und am Einen (6) Wenn etwas an einer Idee teilhat, so ist die Idee Teil dieses Gegenstands (5), (6) (7) Das Sein und das Eine sind Teile des Seienden Einen.

F r jeden dieser Teile des Seienden Einen gilt nun, da er Teil ist und ein Teil ist, so da die am Seienden Einen durchgef hrte Teilungsoperation auf die Teile selbst erneut anwendbar ist — und so fort ad infinitum. Deshalb wird gefolgert, da das Seiende Eine eine unbegrenzte Menge von Teilen besitzt. (Dies h tte nat rlich die weitere Konsequenz, da jeder beliebige Gegenstand unbegrenzt an Menge (άπειρον το πλήθος) w re.) Ist dieser Schlu zul ssig? Ein jeder Teil hat, so gesehen, wiederum wenigstens zwei Teile, und die Relation ,. . . ist Teil von . . .' wird gew hnlich als transitiv betrachtet: wenn die Kurbelwelle ein Teil des Motors

152

Zu Interpretation der zweiten Argumentfolge

ist, und der Motor ein Teil des Fahrzeugs, dann ist die Kurbelwelle ein Teil des Fahrzeugs. Warum sollten also in unserem Beispiel Teile von Teilen des Seienden Einen nicht zu seinen Teilen gerechnet werden d rfen? Die Frage l t sich so beantworten: Transitivit t der Teil-Relation gilt nur dann, wenn Teil und Unterteiltes nicht verschiedenen Typen oder Ordnungen von Gegenst nden angeh ren. L t man Attribute eines Dings als dessen Teile zu, so verwendet man den Teil-Begriff in einem recht aparten Sinn, da Teil und ,Ganzes' im logischen Typ stets um eine Stufe differieren. Attribute zweiter Stufe — Attribute der Attribute von Dingen — m gen so auch als Teile dieser Attribute aufgefa t werden, aber sie k nnen keine Teile der Dinge sein, da Attribute von Attributen nicht Attribute von Dingen sind. Sind aber nicht Attribute, sondern die Ideen von Sein und Einheit Teile eines Gegenstands — hier des εν v — so ergeben sich gleichfalls unhaltbare Konsequenzen. Gilt generell, da alles, was ist und eins ist, an den entsprechenden Ideen teilhat und diese Ideen als Teile in sich aufnimmt, dann m ssen das Sein und das Eine sich selbst als Teile enthalten und wiederum in diesen Teilen erscheinen. Die Ideen von Sein und Einheit w ren dann durch sich in sich selbst unendlich geteilt, und sie m ten als Ganzes in jedem dieser Teile erscheinen. Cornfords Rettungsversuch wirkt da etwas hilflos: „The sort of division here intended can only be the mental act of distinguishing the two elements in ,One Entity'"16 (Hervorhebungen von mir.) Der Text liefert jedenfalls nicht den geringsten Anhalt daf r, da Platon in 142 d—43 a nur die M glichkeit einer gedanklichen Unterteilung ad infinitum darlegen will. 6. Mit dem Neuansatz 143 a wird auf dem Umweg ber die Entwicklung der Zahlenreihe das gleiche Ziel angesteuert: Es soll gezeigt werden, da das Eine unbegrenzt an Menge (άπειρον το πλήθος) ist. Die Argumentation im Abschnitt 143a—e dient nur dem Nachweis, da es Zahlen und somit eine unbegrenzte Menge des Seienden gibt. F r das angestrebte Resultat — da das Eine selbst unendlich viele Teile besitzt — ist damit noch nicht viel gewonnen. Der entscheidende Schritt erfolgt erst an der Stelle 144b: „Επί πάντα άρα πολλά οντά ή ουσία νενέμηται και ούδενός αποστατεί των όντων, ούτε του σμικροτάτου ούτε του μεγίστου; ή τούτο μεν και άλογον έρέσθαι; πώς γαρ αν δη ουσία γε των όντων του άποστατοϊ; . . . Ουδαμώς . . . Κατακεκερμάτισται άρα ως οίον τε σμικπότατα καί μέγιστα και πανταχώς οντά, και μεμέρισται πάντων μά16

Cornford, a.a.O., S. 139.

Der Ansatz von A 2

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λίστα, και εστί μέρη απέραντα της ουσίας." („ ber alles, was vieles ist, ist also das Sein verteilt und es verl t keines von den Seienden Dingen, weder das kleinste noch das gr te . . . Denn wie k nnte auch das Sein ein Seiendes verlassen? . . . Zerst ckelt ist es also in Kleinstes und Gr tes und alle m glichen Arten von Seiendem, und es ist von allem am meisten geteilt, und es gibt unz hlige Teile des Seins.") Wenn nat rliche Zahlen als Entit ten betrachtet werden, wird man zu Recht behaupten k nnen, da das Seiende unbegrenzt an Menge ist: jedoch nur in dem Sinne, da es eine transfinite Menge von Dingen gibt. Hier aber wird aus der Unbegrenztheit des Seienden — dessen, was ist — gefolgert, da das Sein selbst — die Idee des Seienden — eine unbegrenzte Menge von Teilen besitzt. Aus (1) Es gibt eine unbegrenzte Menge des Seienden (. . . eine unbegrenzte Menge dessen, was ist (. . .)) und (2) F r alle x: wenn χ ist (. . .), dann hat χ teil am Sein

folgt aber nur: (3) Es gibt eine unbegrenzte Menge dessen, was am Sein teilhat.

Die in Parm. 144b gebrauchten Metaphern — das Sein ist verteilt ber das Seiende, ist in alle m glichen Teile zerst ckelt, es verl t keines der seienden Dinge — indizieren aber bereits ein ganz bestimmtes Verst ndnis der Teilhabe, das den Schritt von (3) auf (4) Das Sein selbst (die Ousia) hat eine unbegrenzte Anzahl von Teilen

nahelegt. Dieser Schlu ist nur dann legitim, wenn entweder gilt: (5)

F r alle x, alle y: wenn χ am y teilhat, dann ist χ Teil von y

(5a)

F r alle x, alle y: wenn x an y teilhat, dann ist ein Teil von y in x enthalten.

oder

Version (5a) d rfte den Vorzug verdienen, denn wir lesen weiter unten: „Άρα οΰν iv v πολλαχοϋ άμα όλον εστί; . . . Μεμερισμένον άρα, εΐπερ μη Ολον άλλως γαρ που ουδαμώς άμα άπασι τοις της ουσίας μέρεσιν παρέσται ή μεμερισμένον."17 („Kann es nun, wenn es eins ist, an vielen Orten zugleich als Ganzes sein? . . . Geteilt also ist es, wenn nicht 17

Parm. 144c8-d4.

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Zu Interpretation der zweiten Argumentfolge

ganz; denn anders als geteilt könnte es sich niemals zugleich bei allen Teilen des Seins befinden.") Der Rest ist einfach. Denn jeder Teil des Seins ist ein Teil; ,Sein' und ,Eins-Sein' sind extensional äquivalent. Was am Sein teilhat, muß auch an der Einheit teilhaben. Wenn das Sein in alle möglichen Teile zerstückelt ist, so muß das Eine in ebensoviel Teile zerfallen. Für Cornfords These ergeben sich hieraus unlösbare Schwierigkeiten. Das Eine, von dem im Abschnitt 144c—e die Rede ist, kann jedenfalls nicht Cornfords ,One Entity' bzw. ,a One which is' sein; es handelt sich hier zweifellos um die Idee der Einheit; nicht ein beliebiges ,Einzelseiendes' ist über die vielen seienden Dinge verteilt, sondern das Eine selbst.

Die Argumente Parm. 144e —145e 1. Es ist nun für die Beurteilung des Arguments A 2 wichtig herauszufinden, ob es sich bei den übrigen Konjunktionen von gegensätzlichen Prädikaten um auflösbare oder nicht auflösbare Widersprüche handelt, und sofern letzteres zutreffen sollte, auf welche Voraussetzungen resp. Fehler sich diese Widersprüche zurückführen lassen. Bei dem ersten über die Exposition hinausführenden Teilargument Parm. 144 e—145 a, das die Begrenztheit und Unbegrenztheit des Einen nachweisen will, läßt sich leicht erkennen, daß der Widerspruch nur zum Schein besteht: (1) (2) (1), (2) (3) (4) (5)

Das Eine hat (unendlich viele) Teile Für alle und y: wenn Teil von y ist, dann ist y ein Ganzes Das Eine ist ein Ganzes Ein Ganzes enthält und umfaßt seine Teile Das Umfassende ist Grenze (wenn etwas ein anderes umfaßt, begrenzt es dieses) (3), (4), (5) (6) Das Eine ist begrenzt (1) (7) Das Eine ist unbegrenzt.

(4) mag für sich genommen harmlos sein, aber ähnlich wie bei der Teilhabe-Metaphorik besteht auch hier die Gefahr, aus dem uneigentlichen Gebrauch in den eigentlichen zurückzufallen. Genau das geschieht dann sukzessive: Auf dem Weg über ,Grenze', ,Anfang, Ende und Mitte' gelangt man schließlich zu ,Gestalt' und findet den Untersuchungsgegenstand, der bisher stets als abstrakte Entität behandelt wurde, schließlich als räum-zeitliches Ding vor. Durch die Verdinglichung der Teilhabe in Parm. 144b—d

Die Argumente Parm.l44e-145e

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wurde das allerdings schon vorbereitet. Abgesehen von diesem ,Umkippen' eines urspr nglich uneigentlichen Wortgebrauchs ist auch sonst die Argumentation nicht ganz einwandfrei. Aus (3), (4) und (5) folgt (6) n i c h t — das Begrenztsein des Einen ,κατά το όλον' kann nicht auf dem Weg ber das ,Umfa tsein' der Teile durch das Ganze begr ndet werden: Auf diese Weise w ren nur die Teile des Einen, nicht aber das Eine als Ganzes, durch das Ganze begrenzt. Wenn nun gleichzeitig die Unbegrenztheit des Einen behauptet werden kann, dann deshalb, weil in (1) die Transfinit t der Anzahl ausgesagt wird. Πέρας bzw. περασμένον wird offenkundig in beiden F llen nicht gleichsinnig verwandt. Der vermeintliche Widerspruch in ,Das eine ist begrenzt und unbegrenzt' verschwindet in der ausanalysierten Form ,Das Eine ist begrenzt, sofern es ein Ganzes ist (und seine Teile vom Ganzen begrenzt sind), und es ist unbegrenzt, n mlich in der Anzahl seiner Teile'. 2. Die folgende Beweisf hrung ist im Vergleich zur Parallelstelle im ersten Argument erstaunlich knapp gehalten, und dies, obwohl die hier entwickelte Thesis, da das Eine Gestalt besitzt, ungleich problematischer ist, als die entsprechende Negation in A l: Bisher sprach ja alles daf r, da die Untersuchung sich im eidetischen Bereich bewegt, und Ideen haben weder Gestalt noch einen Ort im Raum. Ist also der Gegenstand der Untersuchung unversehens ein anderer geworden? Crombie wertet diesen bergang auf Pr dikate physikalischer Objekte als Beleg f r seine These, da die Bedeutung des ,εν' nicht nur von Reihe zu Reihe wechselt, sondern auch innerhalb der Ableitungen schwankt: „After the break, when to hen becomes a physical object, what seems to happen, on the whole, is not that unity is illegitimately treated as a physical object . . ., but that the meaning of to hen changes from ,unity* to ,that which is one'."18 H tte Crombie recht, so m te A 2 in zwei H lften getrennt werden k nnen: Ergebnisse aus der Exposition, in der το εν f r die Idee der Einheit stand, d rften f r das brige nicht mehr herangezogen werden. Da dies aber geschieht, w re ein Bedeutungswechsel des ,εν' — gleichsam im Flu der Argumentation — nichts als ein sophistischer Trick. Cornford hingegen mu keinen Bruch innerhalb von A2 annehmen, da f r ihn ,εν' von Anfang an ,a one thing' bedeutet. Allerdings bleibt bei seinem Ansatz unerkl rlich, wie in der Exposition von einer Teilhabe am Einen gesprochen werden kann — teilhaben kann etwas nur an Ideen. 18

Crombie, An Examination of Plato's Doctrine, Vol. II, S. 340.

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Zu Interpretation der zweiten Argumentfolge

Wir sollten deshalb zusehen, ob es nicht auch andere Möglichkeiten gibt, diese Wendung ins Dinglich-Anschauliche zu erklären. Der entscheidende Schritt wurde bereits in (4) vollzogen, nämlich mit der Charakterisierung eines Ganzen als etwas, das seine Teile umfaßt und somit begrenzt. Darin ist die holistische Ablösung des Ganzen gegenüber seinen Teilen angelegt, was im Gegensatz zum bisherigen Gebrauch des Begriffspaars Teil/Ganzes steht und schließlich zur Unterscheidung des Einen als Ganzem vom Einen als Gesamtheit der Teile führt. Zum anderen kann der Doppelsinn im Begriff der Begrenztheit ausgespielt werden. Zu sagen, daß das Etwas (qua Ganzes) begrenzt ist, kann einmal bedeuten, daß es endlich viele Teile hat, wie auch, daß es räumlich begrenzt ist. Der Übergang von ,ist begrenzt' auf ,hat äußere Enden' resp. ,hat räumliche Grenzen' ist nur beim eigentlichen Gebrauch von ,begrenzt' zulässig. Das fragwürdigste Manöver innerhalb dieser Beweisführung findet sich in den Zeilen Parm. 145a5—7. Darin wird von Parmenides unterstellt: (a) Jedes Ganze hat Anfang, Mitte und Ende (b) Anfang, Mitte und Ende sind Teile einer jeden Ganzheit.

Dies ist nur zu billigen, wenn bereits vorausgesetzt wird, daß es sich um ein räumliches Ganzes handelt. Allerdings wäre die Begründung auch anders möglich: dazu genügt der Ansatz beim ,umfassen', in dem die Räumlichkeit angelegt ist; über die (räumliche) Begrenztheit kann dann auf die geschlossen werden; und von den auf Anfang, Mitte und Ende; der Allsatz (a) wäre somit gar nicht erforderlich, und als der eigentliche Grund dafür, daß das Eine Gestalt annimmt, kann das ,Behälter'-Modell von Ganzheiten angesehen werden — was wiederum eng mit der Verdinglichung der Teilhabe zusammenhängt. Denn wenn die Teilhabe so konzipiert wird, daß entweder die an einer Idee partizipierenden Dinge Teile dieser Idee sind und die Idee somit das Ganze dieser Teile ist, oder die Idee aufgespalten und über an ihr teilhabenden Dinge verteilt gedacht wird, dann wird die Idee nolens volens selbst zu einem Ding. Da die Ideen aber gleichzeitig als Einheiten gedacht werden, die der Vielheit der Einzeldinge übergeordnet sind, muß ein Ganzes als etwas die Teile Umfassendes und ihnen selbständig Gegenüberstehendes aufgefaßt werden; das ,Eins über Vielen' führt zusammen mit der genannten Deutung der Teilhabe-Beziehung in der Folge zu dem paradoxen Resultat, daß das Eine aufgespalten und als Ganzes von allen seinen Teilen unterschieden wird,

Die Argumente Farm. 144e-145e

157

so daß es selbst (qua Gesamtheit der Teile) von sich selbst (qua übergreifendes Ganzes) umfaßt wird und somit in sich selbst ist. 3. Aus den Annahmen über das Verhältnis eines Ganzen zu seinen Teilen läßt sich das In-Sich-Sein des Einen ohne Schwierigkeiten ableiten: (1) (2) (3) (4)

Das Eine ist ein Ganzes und hat Teile Jedes Ganze umfaßt seine Teile Für die Teile (eines Ganzen) gilt, daß sie in dem Ganzen sind Wenn etwas Teile hat, dann ist es identisch mit der Gesamtheit seiner Teile 0)> W (5) Das Eine ist die Gesamtheit seiner Teile (1), (2), (3), (5) (6) Das Eine ist von sich selbst umschlossen und somit in sich.

Da (6) für sich genommen bereits eine paradox anmutende Konsequenz ist, muß irgendetwas mit den Prämissen (2)—(4) nicht in Ordnung sein. Tatsächlich ist (6) unverträglich mit der harmlosen Annahme (7), die lediglich dem Sprachgebrauch Rechnung trägt: (7) Wenn von y umschlossen wird, dann wird y nicht von umschlossen (Asymmetrie der Relation ,. . . umschließt . . .').

Da aus der Asymmetrie die Irreflexibilität folgt (denn es gilt: AxAy (Rx,y ^ -Ry,x —» -Rx,x /N -Ry,y)) ergibt sich (8) Es gibt kein x, für das gilt:

umschließt

was in Widerspruch zu (6) steht. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich, daß die Prämissenmenge zwei verschiedene und miteinander unvereinbare Konzeptionen von ,Ganzes' enthält. Die Annahme (2) ist in obiger Form unscharf, sie gestattet zwei Auslegungen:

bzw.

(2a) Für alle und y: wenn ein Ganzes ist und y Teil von x, dann umfaßt x y (2b) Für alle x: wenn x ein Ganzes ist, dann gibt es ein y, y ist die Gesamtheit der Teile von x, und x umschließt y.

Weil (2) für die Ableitung von (6) herangezogen wird, kann es nur im Sinne von (2b) verstanden werden. Da (4) aber besagt, daß jedes x, sofern x ein Ganzes ist, mit der Gesamtheit seiner Teile identisch ist, kann man mit (2) und (4) die Generalisierung von (6) gewinnen: (6') Jedes Ganze umschließt sich selbst. Daß hieraus speziell bei einem eigentlichen (räumlichen) Sinn des ,. . . umschließt . . .' Antinomien ableitbar sind, liegt auf der Hand (Jedes

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Zu Interpretation der zweiten Argumentfolge

Ganze wäre so größer bzw. kleiner als es selbst). Man müßte also entweder (2) oder (4) aufgeben, will man derartige Folgen vermeiden. Ein direkter Widerspruch innerhalb der Prämissenmenge tritt allerdings erst bei einer pointierten Deutung von (2) zutage. Wenn (2) im Sinne von (2') Jedes Ganze umfaßt seine Teile, denn jedes Ganze ist verschieden von der Gesamtheit der Teile (nämlich eine ,eigene Bildung' .neben' oder ,über' den Teilen)

gelesen wird, dann ist es unverträglich mit (4), denn (4) besagt ja, daß jedes Ganze identisch mit allen Teilen ist, und somit nichts, was gesondert neben den Teilen besteht. Wären diese beiden unvereinbaren Aussagen über Ganzheiten im platonischen Text explizit, so dürfte der Schluß: ,Das Eine ist in-sich' nicht gezogen werden. Denn wenn etwas ein Ganzes ist, so nicht sowohl im Sinne von (2') als auch im Sinne von (4). Daß dies Platon deutlich bewußt war, zeigt der ,Theaitetos'; Owen bemerkt dazu: „In the analysis of syllables in Theaetetus 203e—5a these possibilities are given as a exhaustive disjunction and not, as here, as a conjunction. The disjunction is in turn superseded in the Sophist 252 e— 53 c . . ,"19 Man wird deshalb nicht behaupten dürfen, daß Platon unwissentlich Opfer einer Amphibolic wurde — weder die Voraussetzungen noch die Resultate dieses Teilarguments können ihm akzeptabel erschienen sein. (Diese Diremption des Einen — ,übergeordnetes' Ganzes versus Gesamtheit der Teile — wurde übrigens schon am Ende der Exposition (Parm. 145a) vorbereitet; während die vorangegangenen Untersuchungen lediglich gestattet hätten, zu behaupten: ,Das Eine ist ein Ganzes und hat Teile', hieß es dort: ,. . . ... ... '.) 4. Das zweite Teilargument zur Lokalisierung des Einen bereitet vom Text her einige Schwierigkeiten; sollte es vollständig überliefert sein, dann ist die Argumentation im ersten Abschnitt lückenhaft. Um zu begründen, weshalb das Eine ,in einem Anderen ist', geht Parmenides in drei Schritten vor: Zunächst wird zu zeigen versucht, daß das Eine (,qua Ganzes') nicht in seinen Teilen sein kann — weder in allen, noch in einigen. Über eine exhaustive Disjunktion der Lokalität (,Etwas ist entweder in sich oder in einem Anderen oder nirgendwo.') wird mittels der generellen These: Alles, was ist, ist irgendwo — auf die verbleibende Möglichkeit geschlossen: Das Eine ist in einem Anderen. Innerhalb des ersten Argumentschrittes fehlt der Beweis dafür, daß das Ganze nicht in einem Teil sein kann, denn aus19

Owen, Notes on Kyle's Plato, S. 354.

Die Argumente Farm.144e-145e

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gef hrt wird nur, da das Eine in jedem einzelnen Teil sein mu , wenn es in allen Teilen sein soll. Diese L cke, von der in der Sekund rliteratur erstaunlich viel Aufhebens gemacht wird, l t sich jedoch leicht schlie en, wie bereits Cornford andeutete. Wenn n mlich die Begr ndung Parm. 145d5,6 akzeptiert wird, dann ist es ,. . . obviously absurd that the whole should be in one part'. Die eigentlichen Schwierigkeiten bei dieser reichlich undeutlichen Beweisf hrung liegen woanders. Die hypothetische Annahme (9) Das Eine ist in allen Teilen

wird offenbar nur im Sinne von (9 a) Das Eine ist in jedem einzelnen Teil verstanden. Da (9) aber genauso gut die M glichkeit (9 b) Das Eine ist in der Gesamtheit der Teile

zul t, k nnte mit (4) wieder auf (6) geschlossen werden. Das Argumentationsziel — nachzuweisen, da das Eine auch in einem Anderen ist — kann auf weniger gewundenem Wege erreicht werden, wenn vorausgesetzt wird und

(2) Jedes Ganze umfa t seine Teile (10) Das Umfassende kann nicht im Umfa ten sein, sonst w re das ,Mehr im Weniger': , . . . το πλέον . . . εν τω έλάττονι',

woraus folgt (11) Kein Ganzes umfa t sich selbst (12) Kein Ganzes ist in sich

denn es gilt ja, da χ in y ist, genau dann, wenn y χ umfa t. Nun kann dem Text entsprechend weiter gegangen werden: (13) F r alle x: entweder ist χ in sich oder χ ist in einem anderen (als es selbst) oder χ ist nirgends. (14) Alles, was ist, ist irgendwo; was nirgendwo ist, ist nichts. (15) Wenn etwas ein Ganzes ist, dann ist es. (12), (13), (14), (15) (16) Jedes Ganze ist in einem anderen. (1), (16) (17) Das Eine ist in einem anderen.

5. Parmenides fa t das Ergebnis in dem Satz zusammen: „ΤΗι μεν άρα το εν όλον, εν άλλω εστίν r\ δε τα πάντα μέρη οντά τυγχάνει, αυτό

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Zu Interpretation der zweiten Argumentfolge

εν έαυτφ' και ούτω το εν ανάγκη αυτό τε εν έαυτω είναι και εν έτέρω."20 („Insofern das Eine Ganzes ist, ist es in einem anderen, insoweit es aber alle Teile ist, ist es in sich selbst: und auf diese Weise ist das Eine notwendig sowohl in sich als auch in Verschiedenem.") Nun sei es aber deutlich, so meinen viele Interpreten, da hier kein echter Widerspruch vorliege, denn der Untersuchungsgegenstand erweise sich ja unter jeweils verschiedenen Aspekten als Tr ger entgegengesetzter Bestimmungen. Wenn Platon in der Folge die n heren Bestimmungen fortfallen l t, unter denen sich das Eine in sich wie auch in einem anderen zeigte, dann wohl nur, wie Zekl meint, weil er um jeden Preis den Schein des Paradoxen verbreiten will. Und selbst der Neoplatoniker Speiser verweist in diesem Zusammenhang auf Soph. 251: „Plato selber bezeichnet aber dieses Vernachl ssigen der n heren Bestimmungen und das Aufstellen der daraus folgenden Widerspr che als sophistisch."21 Diesen Urteilen liegt offenbar die — vom Text nahegelegte — berzeugung zugrunde, der Satz (18) Das Eine ist in sich und in einem Verschiedenen (also nicht in sich)

k nne durch Angabe der Hinsichten als blo e ,dialektische Opposition' entzaubert werden — hnlich wie durch

(19) Hans ist ein guter und ein schlechter Fu ballspieler (20) Als Torwart ist Hans ein guter Fu baller, als Feldspieler taugt er nichts

den Schein des Paradoxen einb

t, so auch (18) durch (21):

(21) Das Eine qua Gesamtheit der Teile ist in sich selbst, und das Eine qua Ganzes ist in einem Anderen (als es selbst).

Das ist jedoch falsch; die vermeintlichen Pr zisierungen in (21) tun nichts zur Sache, wenn weiter von demselben behauptet wird, es sei in-sich und nicht in-sich. Der Fehler besteht, einfach genug, in der irrigen Annahme, da die Erg nzungen in (21) unterschiedliche Hinsichten liefern, also den Pr dikatausdruck sch rfer fassen. Anders als im Beispielsatz ber Hans und dessen Fu ballk nste ist dies aber nicht der Fall: Es gibt keine Hinsichten — die Zeit beiseitegestellt — unter denen dasselbe an einem Ort und nicht an diesem Ort sein k nnte. Die Spezifikationen in (21) indizieren nur, da man in einem solchen Satz den bestimmten Artikel und das Reflexivpronomen eigentlich nicht gebrauchen d rfte. Solange man 20 21

Parm. 145e3. Speiser, Ein Parmenideskommentar, S. 35. Bei Speisers Verweis auf Soph. 251 handelt es sich wohl um ein Versehen, denn es kann nur Soph. 256b gemeint sein.

Identität und Verschiedenheit

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dies aber tut, bleibt der Widerspruch in aller Härte bestehen. Er läßt sich nur auflösen, wenn (18) auf die Form: ,ai ist F und a2 ist -F' (wobei ai fy) gebracht wird. Das Argument demonstriert auf diese Weise, daß auf ein und denselben Gegenstand nicht gleichzeitig beide Ganzheitsbegriffe anwendbar sind.

Identität und Verschiedenheit (Parm. 146a9-147b8) Da A 2, abgesehen vom Anhang, parallel zu A I aufgebaut ist, betreten wir nun wieder den Bereich logisch fundamentaler Beziehungen. Und ähnlich wie in A I werden auch hier diese Relationen so behandelt, als sei über sie noch nichts ausgemacht, als könne in die Lücken der Satzfunktionen (a) ,. . . ist identisch mit . . .', (b) ,. . . ist verschieden von . . .' beliebig eingesetzt werden. Es wird also nicht explizit auf der Basis der Selbstidentität aller Gegenstände oder der Irreflexibilität der Verschiedenheitsrelation argumentiert. Das Argument gliedert sich wie sein Gegenstück in A I in vier Teile; und da der Anschein eines vollkommenen Gegensatzes angestrebt wird, haben wir zu gewärtigen, daß als Resultate die Negationen der dortigen gewonnen werden. In einem Punkt wird diese Symmetrie jedoch durchbrochen: als komplementäres Relat zum fungiert nicht , ', sondern , '. Dem Argument wird ein Relationentheorem vorangestellt (RT): Alles steht zu allem in einer der vier folgenden Beziehungen; der Identität, der Verschiedenheit, der Teil-Ganzes- oder der Ganzes-Teil-Beziehung. Eigenartig ist diese exhaustive Disjunktion, weil man üblicherweise von (xly -xVy) ausgeht und deshalb nur die strikte Alternative AxAy (xly ^ -xVy v -xly /\ xVy), aber keine weiteren Möglichkeiten zuläßt, die Teil-Ganzes-Beziehung und ihre Umkehrung also der Verschiedenheit subsumiert. Hier wird aber angenommen, daß es Gegenstände geben könne, die weder miteinander identisch noch voneinander verschieden sind. Dies hat zur Konsequenz, daß die Verschiedenheit nicht als negierte Identität aufzufassen ist, sondern irgendwie enger, und zwar so, daß die Teil-Ganzes-Beziehung nicht unter sie fällt. Welchen Sinn kann es aber haben, die Teil-Ganzes-Relation gesondert als fundamentale Beziehung von Gegenständen — gleichrangig neben Identität und Verschiedenheit — einzuführen? Man könnte hier an Klassen und ihre Beziehungen denken: Zwei Klassen sind identisch, wenn sie gleiche

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Zu Interpretation der zweiten Argumentfolge

Elemente besitzen; ansonsten sind sie verschieden. Nun ist es aber sinnvoll, zwischen Fällen zu unterscheiden, in denen eine Klasse Teilklasse einer anderen ist (oder eine Teilklasse der einen eine Teilklasse der anderen) und solchen, in denen Klassen keine gemeinsamen Elemente haben. Der letzte Fall scheint dem besonderen Gebrauch von ,verschieden' in RT ungefähr zu entsprechen. (a) Zum Nachweis der Selbstidentität des Einen werden die genannten vier Möglichkeiten durchlaufen. Da das Eine (1) weder Teil seiner selbst noch (2) ein Ganzes zu sich selbst als Teil ist, und (3) das Eine nicht verschieden vom Einen, also nicht verschieden von sich selbst ist, kann es (4) nur identisch mit sich sein. In (1) und (2) wird offenbar vorausgesetzt: ,Nichts ist Teil seiner selbst und nichts ist ein Ganzes zu sich selbst als Teil', also die Nichtreflexivität der Teil-Ganzes-Beziehung. Auch (3) kann in einem Kontext, in dem die Irreflexibilität von ,verschieden' nicht als selbstverständlich gilt, nicht ohne den Schein einer Begründung aufgestellt werden: Das Eine kann nicht verschieden von sich sein, weil sonst das Eine vom Einen verschieden wäre. Das aber ist unmöglich, weil sonst jede Möglichkeit der Rede zerstört würde: Wenn wir zweimal den gleichen Ausdruck benutzen, zielen wir nicht auf jeweils Verschiedenes, sondern auf dasselbe. In der Form ,(Eins) R (Eins)' ist es offenkundig, daß auf beiden Seiten von ,R' dasselbe steht. (b) Das gegenteilige Resultat — daß das Eine verschieden von sich ist — wird durch den Rekurs auf das Argument zur Lokalisierung erreicht: Was sich an verschiedenem Ort als es selbst, also an zwei verschiedenen Orten befindet, ist von sich verschieden. Statt aber daraus zu folgern: ,Also gibt es keinen Körper, der sich gleichzeitig an zwei verschiedenen Orten des Raumes befinden kann', argumentiert Parmenides umgekehrt: ,Nun hatte es sich doch gezeigt, daß das Eine sowohl in sich als auch in einem von sich Verschiedenen ist — also ist das Eine von sich verschieden.' Da der Satz ,Das Eine ist sowohl in sich als auch in einem Anderen' korrekt abgeleitet wurde, folgt so tatsächlich die Nichtidentität des Einen. Daß bedeutet aber nichts anderes, als daß , ' nicht mehr Name für eine bestimmte Entität sein kann. Die Verschiedenheit des Einen von sich beleuchtet nur noch einmal, daß dem Lokalitäts-Argument unverträgliche Prämissen zugrundegelegt wurden, und daß seither der Gebrauch des bestimmten Artikels nicht mehr gerechtfertigt ist. Wenn Cornford behauptet: „This is a valid sense of ,different from itself; it should not be dismissed as sophistic", so ist das falsch, denn es kann einfach keinen Sinn oder Aspekt geben, in dem bzw. unter dem etwas verschieden von sich ist.

Identit t und Verschiedenheit

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(c) Diese Beweisf hrung zur Verschiedenheit von εν und τάλλα ist zwar kurz, enth lt aber eine Schwierigkeit, insofern erneut das Problem der Unterscheidung von Identit tsaussagen und Pr dikationen hineinspielt (Owens IP-confusion). Ausgegangen wird davon, da zu einem Ausdruck wie ,verschiedene zwei Relationsglieder geh ren: was verschieden ist, ist von etwas verschieden, das verschieden ist. Der anschlie ende griechische Text lautet: „Ούκοϋν όσα μη εν εστίν, άπανθ' ετέρα του ενός, και το εν των μη εν; — Πώς δ' ου; — Έτερον άρα αν εΐη το εν των άλλων." Die erw hnte Schwierigkeit findet ihren Ausdruck in zwei m glichen Auslegungen dieser Stelle: (a) Alles, was nicht Eins ist, ist verschieden von Eins - Alles, was nicht identisch mit dem Einen ist, ist von ihm verschieden (b) Alles, was nicht eins ist, ist verschieden vom Einen. Dem entsprechen zwei Deutungen von ,τοί μη εν', n mlich (c) die Nicht-Einen = alle χ, χ ist nicht identisch mit dem Einen (d) die Nicht-Einen = alle χ, χ ist nicht eins (wobei gilt ,Die Anderen = die Nicht-Einen'). Zun chst mag (a) plausibler erscheinen. Wenn hier gleichwohl (b) pr feriert wird, dann aus folgenden Gr nden: (1) Der Sinn von (a) kann durch eine pr zisierte Version von (b) ausgedr ckt werden. (2) Nur (b) enth lt jenen Doppelsinn, des ,Verschieden-vom-Eins-seins', der in den Argumentfolgen B l und B 2 benutzt wird; (3) w re nur bei (b) die dreiteilige Disjunktion des Relationenaxioms ber cksichtigt, wonach ,identisch' und verschieden' nicht-komplement r sind. Da (a) dem Sinne nach in (b) enthalten ist, zeigt (b'): (b') Alles, was nicht eins ist] (alles, was nicht die Physis hat, eins zu sein — also alles, au er dem Einen) ist verschieden von Eins. Denn allein die Idee von F ist] F. Andererseits gestattet (b) noch eine weitere Deutung, n mlich (b") Alles, was nicht eins ist2 (alles, was nicht am Einen teilhat), ist verschieden von Eins. Will man der Disjunktion im Relationentheorem gerecht werden, m man (b') und (b") kombinieren

te

(b'") Alles, was nicht eins ist] und nicht eins ist2, ist verschieden von Eins. Auf (b') und (b'") basierende Ans tze bilden die unterschiedlichen Ausgangspunkte der Argumente B l und B2. In B l werden die Anderen im

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Zu Interpretation der zweiten Argumentfolge

Sinne von (b') verstanden und k nnen deshalb am Einen partizipieren, w hrend B2 (b'") voraussetzt; und so zum Resultat findet, da den Anderen keinerlei Bestimmung zukommt. Da (b'") keine sonderlich sinnvolle Setzung ist, ergibt sich daraus, da unter Zuhilfenahme der Koextensivit t von ,εν' und , V der Satz: ,Es gibt nichts, was vom Einen verschieden ist' ableitbar ist. Man mu jedoch bedenken, da im Relationenaxiom ,verschieden' enger als blich gefa t wurde. Wenn χ nur dann verschieden von y ist, wenn es weder identisch mit ihm ist, noch in der T-Relation zu ihm steht, dann kann es nichts geben, was die Funktion ,xVh' (wobei ,h' f r die Idee Einheit steht) erf llt. F r die formale Einsch tzung dieses Teilarguments ist die Wahl der bersetzung jedoch belanglos, denn es handelt sich um keine Begr ndung f r die Verschiedenheit, sondern um eine einfache Festlegung der Verwendung von ,verschieden von Eins* und ,Andere als Eins'. (d) Auf den , Be weisgang' zum vierten Teilargument darf man besonders gespannt sein, denn es wird ja nichts Geringeres versucht, als der Identit tsnachweis zwischen einer Singularit t (n mlich dem Einen) und einer Pluralit t, die per definitionem als von jener verschieden angesetzt wurde. Das Argument beginnt mit der Feststellung, da das Selbe und das Verschiedene, also die Identit t und die Verschiedenheit, einander entgegengesetzt sind (εναντία άλλήλοις), und f hrt mit der Frage fort: ,TH οΰν έθελήσει ταύτον εν τω έτέρω ή το έτερον εν ταύτφ ποτέ είναι;'22 (,Kann es jemals m glich sein, da das Selbe in dem Verschiedenen ist oder das Verschiedene im Selben?) Da es im Griechischen durchaus m glich ist, statt ,Theodoros ist gerecht' auch ,Gerechtigkeit ist in Theodoros' oder ,Theodoros hat Teil am Gerechten' zu sagen, ist die Formulierung ,Das Selbe ist nicht in dem Verschiedenen' vom Sprachgebrauch nahegelegt und kaum zu beanstanden; allerdings ist mit dieser Form bereits die Verf hrung gegeben, das ,in-sein' allzu w rtlich, als das Enthaltensein eines Dings in einem anderen Ding, zu nehmen. Vom Inhalt her handelt es sich um eine Anwendung der These, da die Ideen niemals durch Gegens tze bestimmt sind: Wenn generell gilt da die Idee von F unm glich -F ist, dann ist die Identit t nicht verschieden oder — in der Formulierung unseres Textes — das Selbe nicht im Verschiedenen. Am Begriffspaar Identit t/Verschiedenheit enth llt sich aber zugleich die Problematik dieser Annahme: Wenn die Idee der Verschiedenheit auf 22

Parm. 146d6.

Identit t und Verschiedenheit

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keine Weise ταύτόν ist, verliert sie ihre Identit t. Sofern die These ber die ,Nicht-Gegens tzlichkeit' von Ideen als eine Aussage ber Ideen und ihre Eigenschaften gedeutet wird, ist sie falsch, denn wenigstens einige gegens tzliche Ideen m ssen in Gemeinschaft miteinander treten, wie der ,Sophistes' zeigt. Eine extensionale Auslegung bringt keine Hilfe. Wenn wir jene These ,paulinisch' lesen: F r alle x: Wenn χ an der Idee von F teilhat, dann ist χ notwendig nicht -F, so w re das unvertr glich mit der Annahme, da Einzeldinge durchaus an gegens tzlichen Ideen teilhaben k nnen. Aus dem Satz ,Das Verschiedene ist niemals in dem Selben' wird nun der Satz ,Es ist nichts unter den Seienden, in dem das Verschiedene ist' gewonnen, und zwar mittels der Amphibolic des ,έν ταύτω': ,W re das Verschiedene auch nur f r einen Augenblick in einem Seienden, so w re es f r diese Zeit in demselben (!)' Es ist klar, da hier ,έν ταύτω' bedeutet: ,ίη ein und demselben Ding' und nicht mehr ,in der Idee der Identit t' (αυτό το ταύτόν). Dabei w re dieser Trugschlu durchaus vermeidbar, vorausgesetzt eben jene fragw rdige Methexis-Konzeption, die aus Einzeldingen, die an einer bestimmten Idee partizipieren, Teile eben dieser Idee macht. Der ,Nachweis' k nnte dann so gef hrt werden: (1) Das Verschieden ist niemals in dem Selben = Die Idee der Verschiedenheit ist niemals in der Idee der Identit t (2) Wenn etwas in einem der Teile eines Ganzen ist, so ist es im Ganzen (3) Wenn die Idee der Verschiedenheit eine Zeitlang in einem Seienden ist, ist sie f r diese Zeit in demselben Seienden, also in etwas, das an der Identit t teilhat (4) Was an einer Idee teilhat, ist Teil dieser Idee (2), (3), (4) (5) Wenn die Idee der Verschiedenheit in einem Seienden ist, ist sie in der Idee der Identit t (1), (5) (6) Die Idee der Verschiedenheit ist in keinem Seienden

((1) = -q; (5) = p -» q; (6) = -p; Es gilt aber: -q Λ (p -> q) -> -p)). Das paradoxe Resultat (6) w rde so nur noch einmal illustrieren, da die Verdinglichung der Teilhabe sowie der Versuch, diese Beziehung als Teil-Ganzes-Beziehung zu behandeln, zu unhaltbaren Ergebnissen f hrt. In allgemeinerer Weise l t sich das ebenfalls zeigen. Wenn gilt: ,Wenn etwas F ist, hat es an der Idee von F teil' und wenn ferner Ausdr cke wie (1) verallgemeinert werden k nnen, so da gilt: ,Wenn χ F ist, dann ist die Idee von F in x', so gilt auch: Jede Idee ist in dem an ihr Teilhabenden.' Mit (2) und (4) kann man daraus ableiten: Jede Idee ist in einem Teil ihrer selbst.' — und daraus wieder die Paradoxien des Ortes.

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Zu Interpretation der zweiten Argumentfolge

Aus (6) wird nicht sofort entnommen, daß das Eine und die Anderen (Nicht-Einen) nicht voneinander verschieden sind. Dies hat seinen guten Grund, denn Parmenides muß erst noch die Spuren verwischen: Der sofortige Übergang auf einen Relationsausdruck würde den berechtigten Verdacht aufkommen lassen, daß die Verschiedenheit wider besseres Wissen nicht als Relation, sondern als Qualität behandelt wurde; Wendungen wie ,Das F ist in a' verführen natürlich dazu, zumal auch die Ideen zu Relationsausdrücken nicht paarig, sondern als singuläre Entitäten aufgefaßt werden. Will man einen Satz wie ,a ist verschieden von be in die Sprache der Teilhabe übersetzen, genügt es nicht zu sagen ,a hat teil am V oder ,V ist in a', sondern ,a, b haben teil am V oder ,a hat teil am V bezüglich a'; die Menge des an einer Relationsidee Partizipierenden ist also eine Menge geordneter Paare (a,b), (a,c), . . . (a,n); (b,a), (b,c) . . . (b,n); ... (n, m). Für die Verschiedenheit eines Dinges a (von etwas) ist das Sein der Idee der Verschiedenheit in a keine hinreichende Bedingung. Die Argumentation Parm. 146 d, e beruht also nicht nur auf einem Bedeutungswechsel — hinzu tritt die Qualitäten-Relation-Konfusion. Platon müßte so ansetzen: Denn wenn die Verschiedenheit eine Zeitlang in zwei Dinge wäre, dann wäre sie eine Zeitlang jeweils in demselben. Mit der Feststellung: ,Weder durch das Verschiedene, noch durch sich selbst sind die Nicht-Einen vom Eins verschieden' ist das Teilargument noch nicht abgeschlossen, denn gemäß dem Relationensatz besteht noch eine dritte Möglichkeit. Um diese auszuschließen, müssen weitere Annahmen eingeführt werden. (7) Die Nicht-Einen (= die Anderen) sind auf keine Weise eins.

Jetzt kann die Teilhabe der Anderen am Einen bestritten werden, denn hätten sie am Eins teil, so wären sie auf irgendeine Weise eins. Es ist nicht ohne Witz, daß für den Nachweis der Identität von Eins und den Anderen zuerst ihre , to tale Diversität' angenommen werden muß. (8) Wenn die Nicht-Einen Teile des Eins sind, haben sie an ihm teil.

Die Anderen sind also nicht eins im Sinne von (b'"). Der Konklusion , ] to ,' usw.23 wird man deshalb nur zustimmen können (allerdings nicht der Form der Argumentation). Denn das Eine wird nun plötzlich — wie AI — als etwas behandelt, daß ,auf alle Weisen', ,in jeder Hinsicht' eins ist, und die Anderen als solche, die auf keine Weise 23

Parm. 147a8.

hnlichkeit und Un hnlichkeit in A 2

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eins sind. Da f r beides gilt, da es nicht am Sein teilhat, sind Eins und die Anderen, so gesehen, tats chlich identisch. Etwas absolut Einfaches — im Sinne von A I — ist von einer totalen und indiskreminierbaren Pluralit t nicht zu unterscheiden, beide sind unbestimmt und unbestimmbar. Mit der Emphase Hegelscher Metaphern lie e sich sagen, da beide gleicherma en in die ,Nacht der Bestimmungslosigkeit' sinken.

hnlichkeit und Un hnlichkeit in A 2 Den Ansatzpunkt f r das hnlichkeitsargument liefert die Verschiedenheit von εν und τάλλα, wobei die Symmetrie dieser Relation besonders hervorgehoben wird: „Ούκοΰν ούτως έτερον των άλλων, ώσπερ και τάλλα εκείνου, καί οϋτε μάλλον ούτε ήττον;" („Und ist es (das Eine) nicht ebenso verschieden von den Anderen, wie diese von ihm, und nicht mehr oder weniger verschieden?") (Parm. 147c3—5). Daraus wird unmittelbar entnommen, da das Eine und die Anderen ,ομοίως* verschieden sind — da beiden das gleiche zukommt, da sie dasselbe »erleiden'. Da aber hnlichkeit folgenderma en bestimmt wird: zwei Gegenst nde sind einander hnlich, wenn sie dasselbe erleiden, kann jetzt gefolgert werden: Das Eine und die Anderen sind einander hnlich, weil ihnen dasselbe zukommt — n mlich ihre Verschiedenheit. Dies Resultat, dessen Unsinnigkeit dem Autor deutlich bewu t sein mu , da er selbst anf gt: also ist alles allem hnlich — geht relativ auf seine vagen Pr missen durchaus in Ordnung. Da n mlich im ,που ταύτον πεπονθός* keine explizite Beschr nkung auf monadische Pr dikate ausgesprochen ist, kann auch ,verschieden' als etwas angesehen werden, da einem Ding widerf hrt. Bringt man die Definition der hnlichkeit — ber deren Ad quatheit zun chst noch nicht geurteilt werden soll — auf eine exakte Form, kann der Fehler leicht gefunden werden. Mit (1) Etwas ist etwas anderem hnlich, wenn beide dasselbe ,erleiden'

kann gemeint sein (l a) χ ist hnlich y, wenn es wenigstens eine Eigenschaft gibt, die χ und y gemeinsam haben

oder (l b) χ ist hnlich y, wenn es wenigstens ein gemeinsames Attribut f r χ und y gibt, sei es nun eine Qualit t oder n-stellige Relation.

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Zu Interpretation der zweiten Argumentfolge

Die erste Möglichkeit legt die folgende Präzisierung nahe: (l a') Df. AxAy (xÄy «^ VF (Fx

Fy))

In dieser Form ist es klar, daß ,aW bzw. ,a b' kein Ausdruck ist, der die Bedingung ,Fx ^ Fy' erfüllt. Ist mit (1) (l a') gemeint, dann besteht der Fehler darin, eine Relation wie ein monadisches Prädikat zu behandeln. In der Definition wird für das Zusprechen der Ähnlichkeit das Bestehen von zwei unabhängigen Sachverhalten gefordert, wohingegen ,aVb /N bVa' nur scheinbar zwei Sachverhalte ausdrückt, da eine symmetrische Beziehung vorliegt. Nun könnte man meinen, daß sich dieser Fehler eliminieren läßt, wenn man eine Regel für die Reduktion von mehrstelligen Prädikaten auf einstellige einführt, in der Weise, daß das eine Relatum selbst zum Prädikatausdruck gerechnet wird; z.B. sei a Bruder von b. Der Relationsausdruck ,aRb' kann dann durch ,Ba' wiedergegeben werden, wobei ,B' für , . . . ist Bruder von b' stehen soll. Auf den Fall der Verschiedenheit angewandt, könnte man dann statt ,aVb' schreiben ,Va/sVb'; und dies sei eine Instanz von (l a'). Bei einer derartigen Argumentation wird aber übersehen, daß ,V in seinen beiden letzten Vorkommnissen nicht dasselbe bedeutet. In ,Va' steht ,V für ,. . .ist verschieden von b', während es in ,Vb',. . .ist verschieden von a' vertritt. Sollte hingegen (Ib) als adäquatere Form der Wiedergabe von (1) betrachtet werden, liegt der Fehler in der Definition selbst, da dann jedwede Relation zwischen zwei Gegenständen für ihre Ähnlichkeit hinreicht. Das ist nicht nur sachlich unangemessen, es öffnet auch Widersprüchen Tür und Tor. Denn wir können nun die Beziehung ,. . . D . . .' einführen, indem wir festlegen: Df. AxAy (xDy π} eme Teilmenge des Kontinuums. Offenbar kann es zum ,άπειρον πλήθος' Platons auch keine Kardinalzahl geben — seine M chtigkeit ist unbestimmt — w hrend uns nichts darin hindern kann, der Menge der reellen Zahlen eine Kardinalzahl zuzuordnen und Rechenregeln f r sie aufzustellen. Mithin eignet sich das Kontinuum nicht als Exempel f r derart unbegrenzte Vielheiten3. Um als Gegenstand vern nftiger Rede in Betracht zu kommen, mu also nicht nur diese unbegrenzte Menge, sondern auch jedes ihrer Elemente am Einen teilhaben; und wenn es nichts gibt, was Element oder Teil von ihr genannt werden kann, dann entzieht sich diese Pseudo-Entit t der rationalen Behandlung, da man ber keinerlei Identit tskriterium verf gt. Da die Anderen ,καθ' έαυτά' unbegrenzt im erl uterten Sinne sind, kann man also nicht zugeben. Ebensowenig wird man die Formulierung 158d3—5 guthei en k nnen: „. . . έτερον τι γίγνεσθαι εν έαυτοϊς." , Verschieden in sich' werden die Anderen als Eins nur in dem Sinn, da jedes Element aus der Menge der Anderen verschieden von jedem anderen Element ist (und nicht selbst ,in sich* verschieden). Mit dem Satz ,Die Anderen sind begrenzt und unbegrenzt' ist der Ausgangspunkt f r die folgenden Herleitungen gewonnen, die jetzt nach dem in der zweiten Serie gel ufigen Schema abgewickelt werden k nnen. Des3

Man m te unterscheiden zwischen der Teilhabe am Einen in dem Sinne, da eine jede nicht-leere Menge am Einen partizipiert, und dem Umstand, da nicht alle Zahlen als Vielfache von Eins oder durch Br che, in denen Vielfache von Eins vorkommen, darstellbar sind. Die positive Wurzel aus 2 l t sich so nicht darstellen, aber sie partizipiert, platonisch gesprochen, dennoch am Einen, was der bestimmte Artikel ausdr ckt.

Die Argumentfolgen B l und B 2

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halb beschr nkt sich Parmenides auf das Beispiel , hnlich — un hnlich'. Sehen wir zu, ob die Argumentation ansonsten, abgesehen von ihrer fehlerhaften Basis, korrekt verl uft. Bereits der erste Satz illustriert noch einmal, wie man sich an den Ecken der Sprache den Kopf blutig st t, sofern man versucht, ber eine ,unbegrenzte Vielheit' — eine Vielheit ohne Einheit(en) — zu reden: „Ήι μεν που άπειρα εστί κατά την εαυτών φύσιν πάντα, ταύτόν πεπονθότα αν εϊη ταύττ]." Um sagen zu k nnen, a erf hrt dasselbe wie b, mu ich zwischen a und b unterscheiden, eine Grenze ziehen k nnen, was doch gem ihrer Unbegrenztheit nicht sein darf. In diesem Sinne unbegrenzt sein, ist eben keine m gliche Eigenschaft eines Dings. Nicht weniger problematisch ist die Begr ndung f r die hnlichkeit der Anderen ber die Begrenztheit. Da ,begrenzt' hier nichts anderes meint als ,distinkt', die blo e Verschiedenheit zweier Gegenst nde aber nicht ihre hnlichkeit gew hrleistet, taugt das Argument wenig. Begrenzt zu sein ist ebenfalls nichts, was diesem zukommt und jenem nicht. Die Un hnlichkeit der Anderen wird nun so begr ndet: Da die Anderen begrenzt und unbegrenzt sind, haben sie entgegengesetzte Eigenschaften und sind deshalb un hnlich, denn: ,Τά δ' εναντία γε ως οίον τε άνομοιότατα' (die Entgegengesetzten sind aber am un hnlichsten). Dies klingt sehr plausibel und scheint die einfache Umkehrung der bekannten hnlichkeitsdefinition zu sein, ist aber dennoch falsch und durch einfache Gegenbeispiele zu widerlegen. Diese Tasse ist zerbrechlich, jene ist es nicht, obwohl sie einander gleichen wie ein Ei dem anderen. , hnlich' k nnen Dinge in so vielen verschiedenen Zusammenh ngen und Aspekten genannt werden, da ,x ist un hnlich y' noch nicht aus dem Umstand folgt, da χ ein F ist, w hrend y ein Non-F ist. Da wir bestimmte Dinge hnlich nennen k nnen und die gleichen Dinge in einem anderen Zusammenhang wieder un hnlich, zeigt brigens, da hnlichkeit keine blo zweistellige Relation sein kann. Wenn berhaupt, d rfte die hnlichkeit ad quat wohl nur ber die Relation ,. . . ist hnlicher als ' zu definieren sein. Zudem ist nicht einzusehen, weshalb die Un hnlichkeit zwischen zwei Elementen aus der Menge der Anderen bestehen soll, wenn doch ein jedes dieser Elemente Tr ger derselben widerspr chlichen Bestimmungen sein soll. Von einem Ding zu sagen, es sei un hnlich mit sich, k nnte dagegen als etwas skurrile Weise hingenommen werden, solche Widerspr chlichkeit auszudr cken. 7. Die vierte Argumentserie (B 2) wiederholt die Fragestellung der dritten, um zu pr fen, ob nicht auch anderes folgt. M ssen die Anderen als

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Die Argumentfolgen B l und B 2

Eins nicht abgetrennt (χωρίς) vom Einen sein, wenn sie Andere als Eins sind? Da aus dem Satz: ,Die Anderen sind vollst ndig getrennt vom Einen' alles andere sich ergibt — n mlich, da den Anderen, isoliert vom Einen, keinerlei Bestimmung zukommt — brauchen wir nur zu untersuchen, wie er gewonnen wird. Zun chst wird ganz richtig festgestellt, da Eins und die Anderen als Eins vollst ndig disjunkt sind: die Klasse, die als Element das Eine, und die Klasse, die als Elemente alles von Eins Verschiedene enth lt, sind Komplement rklassen. Doch hieraus wird einigerma en berraschend gefolgert: „Ουκ άρα ετ' εστίν έτερον τούτων, εν φ το τε εν αν εϊη τω αύτω και τάλλα. — ... — Ουδέποτε άρα εν ταύτφ εστί το εν και τάλλα."4 Da es nichts von diesen (dem Einen und den Anderen) Verschiedenes geben kann, und also auch nichts Verschiedenes, in dem als dem Selben das Eine und die Anderen sein k nnten, das leuchtet insofern noch ein, als f r alles gilt, da es entweder mit dem Einen identisch oder von ihm verschieden sein mu . Daraus folgt aber noch nicht, da das Eine und die Anderen voneinander getrennt sind in dem Sinne, da die Anderen nicht am Einen partizipieren k nnen. Um dies zu erhalten, mu mehr vorausgesetzt werden, als der Text explizit annimmt. Eine vervollst ndigte Version, die aber nur durch ein Ausspielen der Mehrdeutigkeit des ,In-Seinsc zustande kommt, k nnte lauten:

(1) (2) (1) (5) (3), (4), (6) (7)

(1) Es gibt nichts, was verschieden vom Einen und verschieden von den Anderen (als Eins ) ist (2) Die Klassen K] (gebildet durch das Eine) und K2 (gebildet durch alles, was von Eins verschieden ist) sind elementfremd und komplement r: kein Element von K ( ist in K2 und umgekehrt (3) Das Eine ist nicht in den Anderen und die Anderen nicht im Einen (4) Es gibt kein drittes (au er dem Einen und den Anderen), in dem sie gemeinsam sein k nnten (5) Das (wahre) Eine hat keine Teile (6) Kein Teil des Einen kann in den Anderen sein (7) Das Eine ist auf keine Weise in den Anderen; das Eine und die Anderen sind vollst ndig getrennt (8) Die Anderen haben auf keine Weise am Einen teil.

Die Annahme (5) (Parm. 159c5) benutzt erneut die Pr misse der ersten Deduktion, da das Eine reine Einheit und insofern teillos ist. Man kann auf diesen willk rlichen R ckgriff jedoch verzichten, denn auch wenn das 4

Parm. 159c.

Die Argumentfolgen B l und B 2

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Eine Teile hätte, so könnte doch keines dieser Teile ,in den Anderen' sein. Innerhalb von A2 (Parm. 151 a,b) wurde von (1) Gebrauch gemacht, um geradewegs das Gegenteil von (3) und somit das Größer- resp. Kleinersein der Relate zu gewinnen. Allerdings unter der Voraussetzung, daß alles in irgend etwas (anderem) sein muß, oder nirgends. , -Sein' wurde dort also als räumliches Enthaltensein verstanden. In meinem Rekonstruktionsvorschlag wird nun nicht der eigentliche gegen den uneigentlichen Sinn ausgespielt, sondern vom Doppelsinn der Metapher Gebrauch gemacht: Einmal bedeutet ,in-sein' eines Elements das Enthaltensein in einer Menge, zum anderen ist es Ausdruck der Teilhabe. Da der Übergang zwischen (7) und (8) nur aufgrund dieser Amphibolic möglich ist, erbringt das Argument keinen Beweis für den zwischen den Anderen und dem Einen. Man kann es aber auch anders wenden und das Argument als Widerlegung eines unzulänglichen Explikationsversuchs der Teilhabe betrachten: Teilhaben kann nicht bedeuten, daß eine Idee zu einem Element aus der Menge der an ihr partizipierenden Gegenstände wird, noch kann umgekehrt das Teilhabende ,in' der Idee sein. So gesehen werden die Einwände hinfällig, denn ,teilhaben' ist nunmehr ein Synonym für , -sein' im Sinne des Elementseins. Der Rest des Arguments ist einfach. Da keine Teilhabe am Einen möglich ist, gibt es auch kein Prädikat, das auf die Anderen zutreffen könnte. Denn, sofern etwas (ein) F oder (ein) Non-F ist, hat es an einer der beiden Ideen teil; und wenn etwas sowohl F als auch G ist, hat es an beiden teil. Beides ist für die Anderen als Eins unmöglich, da sie auf keine Weise eins sind. Platon hätte seine ohnehin recht summarischen Ausführungen noch knapper halten können, wenn er einfach auf die Koextensivität von , ' und , ' zurückgegriffen hätte: was auf keine Weise eins ist, ist auf keine Weise. Man darf die Resultate (,Die Anderen sind -F und -G usw.') ebensowenig wie in der ersten Argumentserie als Sätze der Objektsprache betrachten. (x e /\ -Mx,e —» -Fx /\ -Gx /\ -Hx . . .) wäre keine adäquate formale Wiedergabe des Gesamtresultats. Allen Gegenständen, die verschieden vom Einen sind und nicht an ihm teilhaben, werden nicht diese und jene Prädikate abgesprochen, sondern es wird überhaupt die Möglichkeit der Prädikation bestritten.

Die negierte Hypothesis und die Probleme des μη

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1. Owen w hlt als berschrift f r seine Notizen zu den Abschnitten Parm. 160 b -163 b (bei mir N l) und 163 b -164 b (bei mir N 2) die Formulierung: „If One does not exist, what can be said of it?"1 Auch Cornford, Ryle und Runicam bersetzten mit ,exist'. Wenn man diese bersetzung w hlt, kommen zwangsl ufig die bekannten Schwierigkeiten mit negierten Existenzbehauptungen ins Spiel: So entsteht z.B. die These, da Platon in N l im Sinne Meinongs argumentiert, indem er zeigt, da Nichtexistentes gleichwohl existieren mu , um nichtexistent zu sein. Oder es wird behauptet, da Platon, da er in N2 dem Nichtexistenten jede Form von Sein abspreche, weiter als Meinong gedacht habe. Es wird bei der Untersuchung zur negierten Hypothesis nicht zuletzt darauf ankommen, diese bersetzung und die damit verbundenen Deutungen zu kritisieren. Mit dem Argumentverlauf und speziell der Er rterung der Ausgangsfrage scheint mir die Existenz-Lesart des ,είναι' unvereinbar, und ich sehe hierin eine Best tigung meiner analogen These zu A1/A2. 2. Mit Parm. 160b5 beginnt der zweite Teil der dialektischen bung, in dem die Konsequenzen f r das Eine und die Anderen als Eins unter der neuen Voraussetzung: ,ει εν μη εστίν' untersucht werden. Um ihren Sinn zu verdeutlichen, wird die neue Hypothese mit dem Satz ,εί μη εν μη εστί' verglichen, und von diesem wird behauptet, da er sich nicht nur von jener unterscheide, sondern: „. . . και παν τουναντίον εστίν ειπείν ει μη εν μη εστί του ει εν μη εστίν;" („,Nicht-Eins ist nicht' ist ganz das Gegenteil zu ,Eins ist nicht'"). Auf den ersten Blick erscheint das falsch, denn das εναντίον zu ,έν ει μη εστί' m te doch ,εν ει εστί' lauten. Au erdem ist die Negation des Satzsubjekts befremdlich, denn negiert werden k nnen nur S tze oder Satzfunktionen, und es kann zwar gegens tzliche Pr dikate, aber kaum kontr re oder gar kontradiktorische Sub1

Owen, Notes on Ryle's Plato, S. 360. In seiner ganz vorz glichen Studie ,Plato on NotBeing' korrigiert sich Owen allerdings selbst: f r den ,Sophistes' zeigt er, welche Schwierigkeiten erwachsen, wenn man das , . . . ist nicht' im Soph. 237ff. ,existentiell' liest.

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jekte geben: Ausdr cke wie F(-a) oder V(-x) (. . .) sind unzul ssig. Diese berlegung zeigt, da ,εν' nicht — wenigstens nicht an dieser Stelle — ,a one entity' bedeuten kann (gewisserma en eine Entsprechung zur Gegenstandsvariable ,x') — wie Cornford annimmt. Damit die Negation in ,μή εν' sinnvoll ist, mu das Negierte einen begrifflichen Status haben. Μη εν scheint sich also zum εν so zu verhalten, wie όμοιότης zu άνομοιότης oder wie κίνησις zu στάσις. Somit st nde ,μή IV f r die Idee der NichtEinheit. Ob es solche negativen Ideen berhaupt geben kann, ist nach wie vor ungekl rtes Problem der Platonforschung, denn w hrend der ,Politikos' sie ablehnt, scheint der ,Sophistes' sie zu fordern. Im speziellen Fall des ,μή εν' l t sich gegen die Existenz dieser Idee nicht einwenden, es k nne sie nicht geben, da nichts unter das Nicht-Eine falle. Der Hauptteil des ,Sophistes' dient ja nicht zuletzt der Etablierung des Nichtseins als eigenst ndiges Genos; und wenn ein μη v zugelassen wird, weshalb sollte dann dem μη εν der Ideentitel verweigert werden? Leider wird diese Auslegung des ,μή εν' sogleich vom Text unterminiert: „Ούκοΰν και νυν δήλοι ότι έτερον λέγει των άλλων το μη ον, όταν εϊπτ] εν ει μη εστί . . . " (Parm. 160c5,6). Demnach ist ,μή εν' kein auf eine Idee sich beziehender Ausdruck, sondern nur ein scheinbar referierender Term, der in Wirklichkeit bedeutet: ,Alles, was nicht (das) Eins ist'. Damit sind wir aber im Verst ndnis des ,πάν τουναντίον' keinen Schritt weitergekommen. Denn weshalb die S tze: und

(a) Das Eine ist nicht (b) Alles, was verschieden von Eins ist, ist nicht.

nicht nur Verschiedenes, sondern Gegens tzliches ausdr cken sollen, ist noch immer nicht einsichtig. Der Text enth lt jedoch einen Hinweis, der weiterhelfen k nnte. Wenn man z.B. sagt: ,Gr e ist nicht' und ,Kleinheit ist nicht', so sagt man jedesmal von einem Verschiedenen, da es nicht ist, und wenn man ,Eins' sagt, so sagt man von den Anderen als Eins Verschiedenes: „. . . είτε το είναι αύτώ προσθεις είτε το μη είναι'" („Ob man ihm nun das ,ist' beif gt oder das ,ist nicht"'). Das ,παν τουναντίον ειπείν' mag sich deshalb nicht auf die Beispiels tze als Ganzes, sondern nur auf den Gegenstand beziehen, ber den sie sprechen. Zu sagen: ,Eins' und ,Nicht-Eins', hei t nicht nur Verschiedenes, sondern Gegens tzliches sagen (im Sinne von: ber Gegens tzliches sprechen). Man k nnte demnach das ,ειπείν' in ,παν τουναντίον ειπείν' so verstehen: ,μή εν' benennt oder bezeichnet das genaue Gegenteil von ,εν'. Die Gegen berstellung von ,εν μη εστίν' und ,μή εν μη εστίν' hat eine ahn-

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liehe Funktion wie der Vergleich des ,εν εστίν' mit dem ,εν εν' zu Anfang der zweiten Argumentfolge: in beiden F llen wird der Untersuchung eine bestimmte Richtung gewiesen, indem der jeweils verschiedene Sachbezug von Ausdr cken in der Hypothesis und in Vergleichss tzen herausgearbeitet wird. ,Μή εν' weist auf etwas vom Einen Verschiedenes, das in seiner Verschiedenheit erkennbar ist unabh ngig davon, ob die entsprechenden Ausdr cke in S tzen mit ,ist (. . .)' oder ,ist nicht (. . .)' erscheinen. Somit wird vorausgesetzt, da ,εν' Name eines Gegenstands ist, der verschieden ist von dem, was ,μή IV benennt. In dieser Voraussetzung ist der Konflikt mit einer ganz bestimmten Auslegung des , . . . ist nicht' bereits angelegt: denn wenn ,εν' etwas bezeichnet, so bezeichnet es nat rlich ein Seiendes, von dem das ,. . . ist' ausgesagt werden kann und das folglich auch am Sein teilhat. 3. Den Ausgangspunkt f r diese Argumentfolge bildet also nicht eine Er rterung der Bedeutung des ,μή είναι'. Wie das ,ist nicht (. . .)' verstanden werden soll, bleibt f r die ersten Schritte in diesem Argument noch offen. Cornford schreibt: „This seems to be the point made in the statement that 'if a One . . . does not exist' is the direct contrary of 'if a notone . . . does not exist'. We are taking 'a one' to mean One entity', or One thing'. The opposite of this will be 'what is not one entity, i. e. a nonentity or no-thing . . ."2 Schon Cornfords bersetzung der Hypothesis bereitet gewisse Schwierigkeiten, denn f r den gew hnlichen Verstand existiert etwas dann, wenn es als Gegenstand aufzufassen ist, und umgekehrt. Es d rfte also kein Ding geben, das n i c h t existiert. In 'if a one thing does not exist' m te folglich die Existenz nicht als Quantor, sondern als Pr dikat konzipiert sein, wenn dieser Satz nicht schlichten Unsinn ausdr cken soll. Denn wenn es Gegenst nde gibt, die nicht existieren, so ist die Existenz eine Beschaffenheit, die nicht allen Gegenst nden zukommt. — Der Ausdruck ,If a (!) not-one (a nonentity) does not exist' ist dagegen contradictio in adiecto: was nicht einmal m glicher Gegenstand sein kann, kann nicht zugleich in der Rede als Gegenstand behandelt werden. Da ,μή εν' im Sinne Cornfords nichts benennt, d rfte ,es' auch nicht ,verschieden von x' genannt werden. Cornfords Erkl rung pa t also nicht zu dem Beispiel von Gr e und Kleinheit in 160c. Was spricht nun f r die existentielle Bedeutung des ,ist nicht' in der Hypothesis? Der absolute Gebrauch des ,είναι' w re bestenfalls ein Indiz. Cornford erkl rt sich dar ber so: „The meaning of 'is not' can easily 2

Cornford, Plato and Parmenides, S. 219.

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be inferred from the careful explanations of what it does not mean. It does not mean the denial of every sort of being whatsoever . . . Plato is asserting that we can think of and talk about a thing which is a thing and is one thing distinguishable from other tings . . ."3 Daß das hier vorausgesetzte Eine als Entität erscheint, über die sinnvoll gesprochen werden kann, wird freilich nicht aus einer ganz bestimmten Bedeutung des , ' abgeleitet, sondern resultiert allein aus dem Umstand, daß das , ' der Hypothesis von den Dialogpartnern als referierender Term aufgefaßt wird. Und wenn aus den insgesamt paradoxen Resultaten dieser Argumentreihe auf die Bedeutung des ,ist nicht' geschlossen werden darf, dann wird man gerade jene Bedeutung berücksichtigen müssen, die Cornford glaubt ausschließen zu können. Wer über das verfügt, was Russell einst einen ,gesunden Realitätssinn' nannte, dürfte ohnehin wenig Geschmack daran finden, Nichtexistierendes gleichwohl als seiend anzunehmen. Wenn die Existenz etwa von Kentauren bestritten wird, so ist gewöhnlich nicht zugestanden, daß dergleichen dennoch irgendwie ist; sondern es wird behauptet, daß es keine Dinge gibt, die Kentauren sind. Glaubt Cornford vielleicht, daß Parmenides' Lehre vom Nichtseienden (,Du kannst weder erkennen noch aussprechen, was nicht ist') hier von Platon mit einem Argument ä la Meinong widerlegt wird? Wir kommen damit zu einem anderen Aspekt, der für manche Autoren die Existenzlesart nahelegte. Ist Platons Argumentation am Anfang dieser Reihe nicht Ausdruck jenes Rätsels über die Existenz, das A. v. Meinong für die Neuzeit in so schöner Konsequenz entwickelte? Wer die Existenz eines So-und-so bestreiten will, scheint sich immer in der mißlichen Lage zu befinden, dessen Sein zugeben zu müssen, gerade indem er es abstreitet. In seinem berühmten Aufsatz ,On What There Is' schreibt Quine: „Suppose McX maintains there is something which I maintain there is not. McX can, quite consistently with his own point of view, describe our difference of opinion by saying that I refuse to recognize certain entities . . . When I try to formulate our difference of opinion, on the other hand, I seem to be in a predicament. I cannot admit that there are some things which McX countenances and I do not, for in admitting that there are such things I should be contradicting my own rejection of them. It would appear, if this reasoning were sound, that in any onto logical dispute the proponent of the negative side suffers the disadvantage of not being able to 3

Cornford, Plato and Parmenides, S. 218 u. 220.

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admit that his opponent disagrees with him. — This is the old Platonic riddle of nonbeing. Nonbeing must in some sense be, otherwise what is it that there is not?"4 Vergleichen wir einmal den ontologischen Disput zwischen McX und seinem Opponenten mit einem Dialog, der Argumente aus Parm. 160b— 161 a entlehnt: McX: Pegasus existiert. Opp.: Pegasus existiert nicht. McX: Damit gibst du bereits zu, daß Pegasus existiert. Opp.: ? McX: Du sprichst doch über etwas, wenn du sagst: ,Pegasus existiert nicht'. (Denn wenn du nicht einmal über etwas sprechen würdest, so würdest du ja über nichts sprechen.) Sprichst du aber über etwas, so über Seiendes. Um behaupten zu können, daß etwas nicht existiert, mußt du also seine Existenz voraussetzen.

P.: Wir wollen zusehen, was folgt, wenn Pegasus nicht ist. Es ist doch ein Unterschied zu sagen ,Pegasus ist nicht' und ,Bellerophon ist nicht'? A.: Allerdings ein Unterschied. P.: Verschieden ist also, was da jeweils nicht sein soll. Und erkennen wir die Verschiedenheit nicht, ob wir nun das ,ist' oder ,ist nicht' beifügen? A.: Wir erkennen sie auch so. P.: Es gibt also Erkenntnis und vernünftige Rede von dem, was nicht ist. Ein Etwas und Dieses und Eines ist also das Nichtseiende, da es erkennbar und aussprechbar ist.

In beiden Fällen wird offensichtlich unterstellt, daß negierte Existenzbehauptungen gleichwohl Existenzpräsuppositionen einschließen: das was nicht ist (nicht existiert), muß dennoch irgendwie sein (existieren), damit überhaupt sinnvoll darüber gesprochen werden kann. Der grundlegende Fehler wäre hier wie dort derselbe: in negativen Existenzbehauptungen darf das grammatische Subjekt nicht als Term aufgefaßt werden, der einen Gegenstand der außersprachlichen Realität bezeichnet; nicht alles, was umgangssprachlich als Eigenname erscheint, muß auch in logischer Hinsicht Eigenname sein. Ersetzt man ,Pegasus' durch eine Kennzeichnung (,Das geflügelte Pferd, das Bellerophon erbeutet') oder durch ein kennzeichnendes Prädikat (,. . . ist Pegasus', ,. . . pegasiert') so lassen sich von Existenzpräsuppositionen freie Ausdrücke bilden (,Es gibt kein Ding, das pegasiert'; »Entweder gibt es kein geflügeltes Pferd oder es gibt mehrere geflügelte Pferde'). Quine (2), On What There Is, S. l f.

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Zwar ist in Platons Argument von Größe/Kleinheit bzw. vom Einen/ Nicht-Einen die Rede — wir können jedoch, ohne daß das Argument Schaden litte, Ausdrücke wie ,Sphinx1 oder ,Pegasus' einsetzen. Die in der modernen Ontologiedebatte so geschätzten Fabelwesen der Mythologie könnten demnach in Platons Theorie ungestraft ihr Haupt erheben. Hätte Cornford recht mit der These, daß in N l gegen Parmenides demonstriert werden solle, selbst ein nichtexistierender Gegenstand sei unterscheidbar von anderen, erkennbar und aussprechbar, so müßte man Platon wohl den gleichen Fehler vorhalten, den Quines ,Meinongianer' McX begeht. Wer nun aufgrund des absoluten Gebrauchs von ,ist nicht* zu einer existentiellen Lesart tendiert, sollte diese konsequenterweise sowohl für die Deduktion N l wie auch für N2 vorschlagen, wie das z. B. Owen und Ryle tun. Wenn man aber in beiden Fällen von einem existentiellen Gebrauch des , . . . ist nicht' ausgeht, kann man Platon kaum noch Meinongs Fehler vorwerfen. In N l ergibt sich, daß das, was nicht ist (nicht existiert) gleichwohl am Sein teilhaben muß; in N2, daß das, was nicht ist (nicht existiert) auf keine Weise ist. Beide Reihen stehen gleichberechtigt nebeneinander; sie heben sich gewissermaßen gegenseitig auf. Es ist dann nur folgerichtig, wenn Ryle die Ansicht vertritt, Platon sei ,ahead of Meinong' und habe das von normalen Prädikaten distinkte logische Verhalten des ,. . . existiert' durchschaut. Nimmt man hingegen einen Bedeutungswandel des , ' in N2 an, so müßte man begründen, weshalb nur für N l die Existenzlesart in Frage kommt, nicht aber für N2. Dabei wäre es prima facie entschieden plausibler, für N2 die existentielle Bedeutung zu erwägen. Für die Quantorenlogik gilt ja die sogenannte Existenzgeneralisation (EG): F(a) —* Vx (Fx); ist a ein Gegenstand, der die Funktion F(x) erfüllt, so gibt es wenigstens ein x, das F ist. Da das Eine in N l diese und jene Satzfunktion sättigt, müßte man mit (EG) schließen dürfen, daß es existiert. — Wenn aber gilt Vx (Fx), und der Wertebereich für Gegenstände a,b,c . . . n umfaßt, so gilt: F(a) V F(b) V F(c) . . . F(n). Vx(Fx) besagt ja, daß es wenigstens einen Gegenstand gibt, der ein F ist. Umgekehrt ergibt sich aber auch, daß kein Gegenstand existieren kann, der nicht wenigstens ein Prädikat F erfüllt. Etwas ist Gegenstand nur dann, wenn es als Wert einer gebundenen Variablen in Betracht kommt. — Nun wird aber in N2 aus dem Nichtsein des Einen auf seine Bestimmungslosigkeit geschlossen: ,es' kann weder durch ein monadisches Prädikat qualifiziert werden, noch kann ,es' in irgendeine Relation eintreten. Von dem, was auf diese Weise nicht ist,

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läßt sich nichts aussagen. So gesehen könnte man eher zu der Annahme neigen, das , ' in N2 sei existentiell zu lesen. (Diese Überlegungen gelten nur für eine Sprache, auf die die gewöhnliche ,extensionale' Quantorenlogik anwendbar ist.) 4. Ich glaube jedoch nicht, daß es in den Argumentfolgen N l und N2 Platon um jenes Problem zu tun ist, das Quine ,Plato's beard' nennt. Die folgenden Ausführungen sollen zeigen, daß sich Platon mit einer — in gewisser Weise fundamentaleren — Schwierigkeit aus der Hinterlassenschaft der eleatischen Philosophie kritisch auseinandersetzt — jedoch nicht, wie Cornford meint, im Sinne einer ,positiven' Demonstration, sondern rein destruktiv. Ob dabei das Existenz-Problem als Teil- oder Folgeproblem ins Spiel kommt, soll nicht erörtert werden. Es ist jedenfalls weder hier noch im benachbarten ,Sophistes' Platons Hauptproblem. Worin besteht nun ,Parmenides Bürde'? Das Lehrgedicht enthält in seinem ersten Teil das Verbot, über Nichtseiendes zu sprechen. Denn entweder ist etwas, oder nicht. Nur Sein ist; das, was nicht ist, kann nicht zugleich sein. Was nicht ist, ist auf keine Weise, ist Nichts. Ein Nichts aber kann weder erkannt noch in der Rede angeführt werden. Deshalb die Mahnung: „Denn es ist unmöglich zu erweisen, daß Nichtseiendes sei; sondern halte von diesem Wege der Forschung fern den Gedanken." (Frgm. 7.1,2). Man könnte vermuten, daß Parmenides im Lehrgedicht das Nichtseiende als nichtexistent versteht, ,ist nicht' für ihn somit die Bedeutung von ,existiert nicht' besitzt, und daß negierte Existenzbehauptungen wie auch alle sonstigen Sätze, die über Nichtexistentes gehen, als sinnlos angesehen werden. Gegen die These, Parmenides isoliere die existentielle Bedeutung des ,ist nicht' von anderen und weise nur sie als inapplikabel zurück, sprechen jedoch einige allgemeine und spezielle Gründe, die hier nicht im einzelnen vorgetragen werden können. Nur soviel: die genannte These vermag nicht zu erklären, weshalb Parmenides das Sein als unvergänglich, unveränderlich, unteilbar, nicht mehr oder weniger, sondern in jeder Hinsicht vollkommen seiend und schließlich als ein Ding, , , , ' begreift. Die vielen Dinge, die die unwissende Menge für seiend (existent) nimmt, fallen für Parmenides schlicht unter das Nichtsein. Parmenides Lehre vom Sein enthält zwei Voraussetzungen, die im Lehrgedicht nicht ganz deutlich zutage treten: die eine ist die Gleichsetzung von ,Ist Nicht' mit ,Nichts', die andere die Annahme, daß ,denken' und ,sagen' immer bedeutet: ,etwas denken', ,etwas sagen'. Sagen (denken, vorstellen) heißt deshalb: Seiendes sagen (denken, vorstellen), wobei die genannten Verben in Analogie zu ,sehen', ,berühren' oder ,finden' als Er-

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folgsverben aufgefa t werden: man kann zwar suchen, was nicht ist (z.B. Eldorado), aber man kann nur finden, was ist (z.B. die Nord-West-Passage). Wer also vorstellt oder erkennt, hat Erkenntnis oder Vorstellung immer nur von Seiendem. Erkenntnis oder Rede vom Nichtsein ist deshalb f r Parmenides unm glich, denn dies w rde bedeuten, da es Erkenntnis oder Rede von Nichts gibt. F r Platon resultiert aus dieser Doktrin ein gewichtiges Problem, n mlich wie Irrtum, falsche Vorstellung und falsche Rede m glich ist. Zu Beginn des Hauptteils im Dialog ,Sophistes' wird dieses R tsel ausf hrlich entwickelt (Soph. 236eff.): Wenn es falsches Reden und Vorstellen gibt, so mu Nichtseiendes sein. Der falsche Satz sagt Nichtseiendes. Das, was nicht ist, kann aber nicht zugleich sein. Das Nichtsein kann keinem Seiendem, also auch nicht einem ,Etwas* oder ,Eins' beigelegt werden, denn ,Etwas' oder ,Eins' sind Merkmale des Seienden. Wer Nichtseiendes ausspricht, spricht deshalb nicht einmal von etwas. Folglich m te man bestreiten, da der berhaupt redet, der sich unterf ngt, Nichtseiendes auszusprechen. Also gibt es auch keine falsche Rede, oder derjenige, der falsch redet, redet nicht. — Diese Widerlegung des Nichtseienden ist jedoch nicht ohne Widerspruch m glich. Wenn das Nichtseiende auf keine Weise ist, so kann mit ihm auch nicht die Einzahl verkn pft werden: „Denn ich, der ich festsetzte, das Nichtseiende d rfe weder an der Eins noch an der Vielheit teilhaben, habe es doch vorher und jetzt geradezu eins genannt. Denn ich sage, das Nichtseiende. Merkst du was?" (Soph. 238e, bersetzung Schleiermacher). 5. Kehren wir zum Dialog ,Parmenides' zur ck. Zun chst soll dabei die zweite Deduktion zur negierten Hypothesis (N 2; Parm. 163b6— 164b4) betrachtet werden. Im Gegensatz zu N l wird hier zun chst am , . . . ist nicht' der Voraussetzung angekn pft (Parm. 163c): „Το δε μη εστίν όταν λέγωμεν, άρα μη τι άλλο σημαίνει ή ουσίας άπονσίαν τούτω φ αν φώμεν μη είναι; . . . Πότερον ούν, όταν φώμεν μη εϊναί τι, πώς ουκ εϊναί φαμεν αυτό, πώς δε είναι; ή τοϋτο το μη εστί λεγόμενον απλώς σημαίνει ότι ουδαμώς ονόαμή εστίν ουδέ πτ] μετέχει ουσίας το γε μη v;" Mit einiger Redundanz stellt der platonische Parmenides klar, wie das ,μή εστίν' aufzufassen ist: dasjenige, von dem das ,ist nicht' ausgesagt wird, kann nicht zugleich irgendwie dennoch sein, sondern ist ,ουδαμώς ούδαμτ)'. Nichtsein bedeutet die vollst ndige Abwesenheit des Seins. Was nicht ist, wird also als ein εναντίον του δντος und somit als μηδαμώς δν vorausgesetzt. Nichtseiendes ist auf keine Weise und darf deshalb auch nicht in irgendeiner Form am Sein teilhaben. Es gibt folglich keine Bestimmung, die dem

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Nichtseienden zukommen k nnte. Also kann es auch keine Erkenntnis, Vorstellung oder Rede von dem geben, was nicht ist. Dies Resultat ist f r sich besehen (und nicht erst im Vergleich zur vermeintlich ,positiven' Deduktion N l ) paradox, aber auf die Paradoxie wird nicht n her eingegangen. Die Voraussetzung lautete ja: Wenn Eines (das Eine) nicht ist. Wenn aber das , . . . ist nicht (. . .)' so wie hier konzipiert wird, kann es keine sinnvolle und widerspruchsfreie Verwendung finden. Denn es gibt keinen Gegenstand, der die Satzfunktion , . . . ist nicht' erf llen k nnte, und es gibt kein Pr dikat — ob ein- oder mehrstellig — das auf das zutreffen k nnte, was nicht ist. Folglich d rften wir auch nicht l nger sagen: Das Eine ist nicht. Denn dabei wird das, was nicht sein soll, als etwas und als eines vorausgesetzt, und somit als Seiendes. Demnach f hrt sich die Hypothesis bei der angenommenen Bedeutung von , . . . ist nicht' selbst ad absurdum, und das Paradoxon entspricht exakt dem in Soph. 238/239 entwickelten. Wir k nnen damit das Argument N 2 als Zur ckweisung einer bestimmten Interpretation des ,μή εστίν' betrachten. ,. . . ist nicht' kann nicht die Bedeutung von , . . . ist auf keine Weise' bzw. , . . . ist das Gegenteil von Seiendem' besitzen, wenn sinnvolle Rede ber Nichtseiendes m glich sein soll. Ich m chte nun zeigen, da das ,μή εστίν' im Argument N l nicht anders als in N2 aufgefa t wird. Bei den ersten Folgerungen, die sich f r das Eine ergeben (Parm. 160c—e) f llt auf, da der platonische Parmenides alles daran setzt, um Ausdr cke der Form ,Das Eine ist X' zu vermeiden. So hei t es beispielsweise nicht ,Das Eine ist erkennbar', sondern da es Erkenntnis von ihm gibt; es wird gesagt, da die Anderen (als Eins) von ihm verschieden sind, weshalb dem Einen Verschiedenartigkeit zukommt oder eignet — aber nicht, da es von jenen verschieden ist. Weiter liest man, da das Eine, damit berhaupt von ihm gesprochen werden kann, an ,etwas' und ,jenem' und ,diesem' teilhaben mu — jedoch nicht, da es etwas — so oder so bestimmtes — ist. Die Erkl rung f r dieses Vorgehen folgt auf dem Fu e: „Sein kann das Eine freilich nicht, da es ja nicht ist; aber an vielem teilzuhaben hindert es nichts, sondern dies ist sogar notwendig, wenn doch jenes Eine — und nicht ein Anderes — nicht ist." („Είναι μεν δη τω ένι ούχ οίον τε, εϊπερ γε μη εστί, μετέχειν δε πολλών ουδέν κωλύει, αλλά και ανάγκη, εϊπερ το 5

Farm. 160e7.

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γε εν εκείνο και μη άλλο μη εστίν.")5 Und etwas sp ter erkl rt Parmenides: „Aber den Anderen gleich kann es auch wieder nicht sein: denn wenn es gleich w re, so w re es ja schon und w re ihnen hnlich gem der Gleichheit. Dies beides aber ist unm glich, wenn das Eine nicht ist." („Και μην ούδ' αύ ίσον γ' εστί τοις άλλοις' ει γαρ είη ίσον, εΐη τε αν ήδη και ομοιον αν εϊη αύτοϊς κατά την ισότητα, ταϋτα δ' αμφότερα αδύνατα, εϊπερ μη εστίν εν.")6 Halten wir fest: das , . . . ist nicht' der Hypothesis wird, wie aus den Zitaten klar ersichtlich, so verstanden, da jeder affirmative Gebrauch des ,εστίν' — sei dieser nun absolut oder pr dikativ — als unvertr glich mit dem behaupteten Nichtsein anzusehen ist. Wenn vorausgesetzt wird ,x ist nicht', dann darf es keinen Satz geben, der das Sein von χ behauptet; zu sagen ,x ist' oder ,x ist F' st nde in Widerspruch zur Voraussetzung. Aus ,x ist F* w rde n mlich bereits folgen, da χ ist: wenn das Eine (irgendeinem anderen) gleich w re, so w re es bereits, und das kann nicht sein, da es der Hypothesis nach doch nicht sein soll. Die hier angenommene Bedeutung des , . . . ist nicht' unterscheidet sich demnach nicht von der in N2. Denn hier wie dort wird bestritten, da von Nichtseiendem das Sein behauptet werden darf. Genau wie in Parm. 141e nimmt Platon auch hier keine strikte Trennung zwischen dem absoluten und bez glichen — kopulativen — Gebrauch des ,. . . ist (. . .)' vor; der absolute Gebrauch erscheint als Abschw chung oder Verk rzung des pr dikativen ,εστίν'. Die Unterscheidung zwischen ,. . . hat teil an F' und , . . . ist F' soll erm glichen, da Nichtseiendes in gewisse Beziehungen eintreten kann, ohne da das ,εστίν' von ihm behauptet werden mu . Der Konflikt, der nach Parmenides' Auffassung bei einer gleichzeitigen Anwendung von ,. . . ist' und , . . . ist nicht' bez glich desselben Gegenstands besteht, wird aber auf diese Weise nur vorl ufig und unzul nglich verdeckt. Denn wenn die Anderen (als Eins) verschieden vom Einen sind, so gilt auch vice versa, da das Eine von ihnen verschieden ist, und wenn es Erkenntnis von diesem nichtseienden Einen gibt, so ist es erkennbar. Die strikte Trennung von »teilhaben' und ,sein' ist ebenfalls nicht durchzuhalten und mit der platonischen Teilhabe-Theorie unvereinbar. Dem ,Phaidon' zufolge gilt ganz allgemein: ,a ist F, weil a am F teilhat' (Phaid. lOOc). Die Teilhabe soll ja erkl ren, wie es m glich ist, von einer Vielheit verschiedener Gegenst nde ein und dasselbe Pr dikat auszusagen. Wir sind deshalb immer dann zu der Behauptung berechtigt, etwas sei ein F oder ein G, wenn es an der Idee 6

Parm. 161 c3.

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zu F oder G teilhat. Folglich ist das Eine ein F — und ist somit gem Parm.l41e und 161 c —, wenn es am F teilhat. Man h tte also bereits in diesem Abschnitt die Konsequenz ziehen m ssen, da das nichtseiende Eine gleichwohl ist bzw. am Sein teilhat. 6. Die These „Kai μην και ουσίας γε δει αυτό μετέχειν πη"7 erscheint dann zwar wenig sp ter doch, aber mit einer Begr ndung, die in eine neue Problemkonstellation hineinf hrt. Wenn wir mit der Hypothesis Wahres zu sagen beanspruchen, so m ssen wir sagen, was ist. „Sagen wir aber Wahres, so ist klar, da wir Seiendes sagen." Folglich mu das Eine, von dem gesagt wird, es sei nicht, dennoch irgendwie sein, wenn der Satz, der sein Nichtsein ausspricht, war sein soll. Das diesem Argument zugrunde liegende Theorem ist ehrw rdig und in der griechischen Umgangssprache fest verankert. Denn ,τά οντά λέγειν' (w rtlich: ,die Seienden sagen') bedeutet: die Wahrheit sagen. Wer die Wahrheit sagt, sagt wie es sich verh lt — sagt somit, was ist. Umgekehrt sagt der falsche Satz Nichtseiendes. Wenn der wahre Satz Seiendes sagt (und der falsche Nichtseiendes), stellt sich f r uns die Frage, was da sein (nicht sein) soll, wenn der Satz wahr (falsch) ist. Nun dr ckt sich Platon an der Stelle 161 e4 so aus: „Έχειν αυτό δει ούτως ως λέγομεν εί γαρ μη ούτως έχει . . ." etc. Verh lt es sich so, wie wir sagen, sagen wir Wahres. In dem Seienden des wahren Satzes d rften wir demnach das Sein oder Bestehen eines Sachverhalts vermuten. Wenn ein Satz wahr ist, so gibt es in der au ersprachlichen Realit t eine Konstellation von Dingen und/oder Handlungen, die so beschaffen ist, wie der Satz sagt. Ist der Satz ,Theaitetos sitzt' wahr, dann sitzt Theaitetos, dann gibt es den sitzenden Theaitetos oder das Sitzen des Theaitetos. Wahrheit oder Falschheit des Satzes k nnte so aber allenfalls das Sein oder Nichtsein von Gegenst nden implizieren, die vom Typus propositionaler Entit ten sind. Der Gegenstand, ber den ein Satz spricht — dasjenige, worauf mit dem Subjektausdruck Bezug genommen werden soll —, kann jenes Seiende, das der wahre Satz aussagt, nicht sein. Der wahre Satz ,Theaitetos sitzt' und der falsche Satz ,Theaitetos fliegt' haben den gleichen Gegenstand zum Inhalt, sie sprechen beide ber Theaitetos. W re Theaitetos das Seiende, das jener wahre Satz aussagt, so m te jeder Satz ber Theaitetos wahr sein; allgemein gesprochen w re dann jeder Satz, der berhaupt einen Sachbezug enth lt, als wahr anzusehen und dementsprechend d rfte es falsche S tze nur ber Nichtexistentes geben. 7 Parm. 161 e3.

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Schlie t Platon nun nicht f lschlich aus dem Bestehen des Sachverhalts (,Nichtsein des Einen') auf das Sein dessen, wor ber der Satz spricht (hier: des Einen)? Die Folgerung: „Εστίν άρα, ως εοικε, το εν ουκ όν"8 k nnte man anders und einfacher gewinnen, sie l t sich jedoch nicht ohne weiteres aus der ,Wahrheit = Sein (dessen, was der Satz sagt)'-These ableiten. Es w re nun aber verfehlt zu glauben, da Platon dieses Argument f r schl ssig halten k nnte. Man kann wohl kaum dar ber streiten, da Platon, der im Dialog ,Euthydem' eine Reihe sophistischer Fehlschl sse karrikiert, diese Sophismen als solche durchschaute. Nun bedient sich Euthydem in seinem sch nen ,Beweis' f r die Unm glichkeit des L gens und Widersprechens (Euthyd. 284a,b) des in Frage stehenden Mittels: Wenn jemand spricht, so spricht er ber etwas, von dem die Rede ist. Er spricht also aus, was ist. Wer aber ausspricht, was ist, spricht auch Wahres, denn Wahres sagen, hei t Seiendes sagen. Wir k nnen hier nicht in eine detaillierte Er rterung der platonischen Semantik, speziell der Satztheorie, eintreten. Da Platon selbst die ,Wahrheit = Sein'-These nicht in jener unscharfen und mi verst ndlichen Form vertritt, zeigt bereits der ,Kratylos' und noch bestimmter der ,Sophistes'. (Krat. 385b: „Ούκούν ειη αν λόγος αληθής, ό δε -ψευδής; . . . *Αρ' οΰν ούτος δς αν τα οντά λέγη ως εστίν, αληθής' δς δ' αν ως ουκ εστίν, ψευδής;" s. auch Soph. 262e—63d). Der wahre Satz sagt nicht einfach Seiendes, sondern er sagt von Seiendem, da (oder wie) es ist. Denn auch der falsche Satz sagt als (sinnvoller) Satz Seiendes, aber nicht Seiendes, was bez glich dessen ist, wovon der Satz spricht, sondern davon Verschiedenes: und nur insofern sagt der falsche Satz Nichtseiendes. Platon lehnt also sowohl die Theorie ab, die Nichtseiendes zum εναντίον του οντος erkl rt, als auch die naive Konzeption der Satzbedeutung. Beide Theoreme arbeiten sich in den Pseudo-Beweisen f r die Unm glichkeit des Falschredens und -vorstellens wechselseitig in die Hand (s. Euthyd. 284a,b, Theaet. 189a, Soph. 237a—e). Dies mag auch erkl ren, weshalb Platon sie gegeneinander ausspielt. 7. Das nackte Resultat, da das nichtseiende Eine gleichwohl am Sein teilhaben mu , h tte man auch einfacher und unabh ngig vom Argument ber die Satzwahrheit gewinnen k nnen. Ebenso lie e sich der anschlieende ,Formalismus der Negationen' (Parml62a, b) unabh ngig vom bisherigen Argumentverlauf entwickeln. Die Schwierigkeiten angesichts der vielf ltigen Verflechtungen von Sein und Nichtsein liegen durchaus nicht 8

Parm. 162 al.

206

Die negierte Hypothesis und die Probleme des μη v

im Schema ihrer Konstruktion — dies ist einfach und entspricht dem duplex negatio affirmat: Seiendes mu sein, d.h. seiend sein etc. und folglich nicht nicht-sein, w hrend Nichtseiendes nicht ist, also nichtseiend ist und nicht nichtseiend-nicht-ist. Doppelte Negation — Nicht-sein des Nichtseins — ergibt »Position', dreifache Negation — Nichtsein des Nicht-Seiend-Nichtseins — entspricht der einfachen Negation. Die Frage ist nur, was der Schematismus im Rahmen des Arguments bezweckt und welche Bedeutung der Rede von ,Teilhabe' zukommt. Es ist unwahrscheinlich, da f r Platon ,Sein des Seiend-Seins' (ουσίας του είναι v) oder ,Nichtsein des Nicht-Seiend-Seins' (μη ουσίας του είναι v) oder ,Nichtsein des Nicht-Seiend-Nicht-Seins' (μη ουσίας του μη είναι μη v)9 — ganz zu schweigen von den m glichen Iterationen — Namen f r Entit ten sind, die im Range platonischer Ideen stehen. Ein Teilhaben z.B. am Sein des Seiend-Seins oder gar am Sein des Seiend-Sein-Seienden k nnte nicht mehr leisten, als die einfache Teilhabe am Sein. Da einer Weiterf hrung dieser Verschachtelungen von Sein und Nichtsein im Prinzip keine Grenzen gesetzt sind, m te alles, was ist (. . .) oder nicht ist (. . .) an einer infiniten Menge st ndig komplexer werdender Ideen teilhaben. Das w re nicht nur unter dem Aspekt der ontologischen konomie bedenklich, sondern auch berfl ssig, denn der Nachweis einer Teilhabe am Sein und Nichtsein w rde vollauf gen gen. Sieht man auf den Anfang dieses Abschnitts, so bietet sich eine harmlosere Erkl rung an, die ohne hypertrophe Pseudoentit ten auskommt und lediglich die m glichen Umformungen von S tzen mit ,. . . ist (. . .)' und ,. . . ist nicht (. . .)' ber cksichtigt. Wenn gilt ,Das Eine ist nicht', so kann nicht gelten: ,Das Eine ist nicht nichtseiend', sondern nur ,Das Eine ist nichtseiend' — , , . . . denn wenn es nicht nichtseiend ist, sondern irgendwie vom Sein zum Nichtsein hin nachgibt, so wird es sofort seiend sein." (Parm. 162a). Der Satz ,Das Eine ist nicht nichtseiend' wird als quivalent zum Satz ,Das Eine ist' angesehen. Folglich mu das Eine sein, n mlich nichtseiend, wenn es nicht sein soll. Allgemein gesprochen lie e sich gem 162a,b jeder mit ,. . . ist' gebildete Satz in einen Satz umformen, der das , . . . ist nicht' verwendet und umgekehrt. (a)

,a ist'

(a') ,a ist seiend'

9

Parm. 162a4ff.

(b)

,a ist nicht'

(b') ,a ist nichtseiend'

Die negierte Hypothesis und die Probleme des

(a") ,a ist nicht nichtseiend' (bzw. ,a ist nicht-nichtseiend') etc.

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(b") ,a ist nicht nicht-nicht-seiend' (bzw. ,a ist nicht-nichtnicht-seiend') etc.

Für sich betrachtet wäre dies wohl nicht mehr als eine etwas umständliche und nicht ganz unproblematische Exemplifikation des duplex negatio affirmat. Im Kontext der Argumentreihe und auf dem Hintergrund der eleatischen Lehre vom Nichtsein kommt dem .Formalismus der Negationen' jedoch eine spezielle Bedeutung zu. Akzeptiert man nämlich die eben angeführten Umformungen, so muß man auch zugestehen, daß Sätze der Form ,x ist nicht (. . .)' salva veritate durch solche der Form ,x ist (. . .)' ersetzbar sind. Wenn nun das ,ist nicht' so verstanden wird, daß jede gleichzeitige Verwendung des ,ist' mit dem behaupteten Nichtsein unvereinbar sei, so zeigt sich nun, daß es keine widerspruchsfreie Verwendung des ,ist nicht' in dieser Bedeutung gibt. Wovon das ,ist nicht' behauptet wird, kann, wie die Umstellungen lehren, auch das ,ist' behauptet werden. 8. In der Literatur findet man mit Bezug auf Parm. 162b gelegentlich die Vermutung, daß N l die Lösung der Probleme des öv im ,Sophistes' vorwegnimmt: ,,Hier wird zunächst das Wesen der Negation geklärt wie später ausführlicher noch im Sophistes. Negation von etwas ist nicht einfach die Vernichtung dieses etwas, sondern zeigt auf Anderes ( ), welches dieses etwas nicht ist." (Friedländer)10 Ähnlich erklärte sich schon Grote, der das Nichtseiende dieser Argumentfolge mit dem ,Verschiedenen' des ,Sophistes' identifiziert. Derartige Urteile können nur auf oberflächlicher Lektüre beider Dialoge beruhen. Was den ,Parmenides' mit dem ,Sophistes' verbindet, sind allenfalls bestimmte Problemkonstellationen, aber nicht die Lösungen der Probleme. Daß das Eine, wie jeder beliebige Gegenstand auch, auf vielerleiweise ist und nicht ist, wird im ,Parmenides' gerade nicht in jenem Sinne als elementare Wahrheit angesehen, wie im ,Sophistes', wo es heißt: ,,. . . und alles insgesamt können wir also gleichermaßen auf diese Weise mit Recht nichtseiend nennen und auch wiederum seiend, indem wir sagen, daß es sei, weil es Anteil hat am Seienden" (Soph. 256e, Übersetzung Schleiermacher). Hier hingegen wird das Resultat des Abschnitts 162a,b — daß das Eine am Sein und am Nichtsein teilhat — ganz in Einklang mit der bisherigen Verwendung des ,ist nicht' als Widerspruch aufgefaßt, dem höchstens durch Annahme einer Veränderung des Einen in der Zeit entgangen werden kann. Aber auch dieser letzte 10

Friedländer, Platon (Kap. 24. Parmenides), S. 481.

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Die negierte Hypothesis und die Probleme des μη όν

Versuch, Widerspr che zu vermeiden, ist zum Scheitern verurteilt, wie im letzten Abschnitt deutlich wird. Die eleatische Annahme, da Nichtseiendes unm glich sein k nne — und das sich daraus ergebende Paradoxon — beruht nach dem ,Sophistes' (257b,c) auf einem falschen Verst ndnis der Negation: Nichtsein bedeutet nicht das Gegenteil von Sein, sondern ein vom Sein Verschiedenes: „Ουκ άρ', εναντίον όταν άπόφασις λέγηται σημαίνειν, συγχωρησόμεθα, τοσούτον δε μόνον, ότι των άλλων τι μηνύει το μη και το ου προτιθέμενα των έπιόντων ονομάτων, μάλλον δε των πραγμάτων περί άττ' αν κέηται τα έπιφθεγγόμενα ύστερον της αποφάσεως ονόματα." Wenn das , . . . ist nicht' so verstanden wird, l t sich der negierte und der falsche Satz erkl ren; mit anderen Worten: es l t sich zeigen, wie Nichtseiendes ist. Diese Begr ndung, da das Nichtseiende kein εναντίον του οντος benennt, werden wir im ,Parmenides' vergebens suchen. Denn sie setzt voraus, da man einer Bedeutung des ,ist nicht' den Abschied gegeben hat, die Nichtseiendes als ein μηδαμώς v behandelt. Hier aber bleibt es beim Paradoxon: Das Nichtseiende mu gem 161 a, b sein, wenn es wahrhaft nicht sein soll, aber es darf andererseits nicht sein, da es doch nicht ist. Wie 162c zeigt, wird weiterhin davon ausgegangen, da nichts zugleich sein und nichtsein darf. Ein solcher Widerspruch stellt sich aber nur dann ein, wenn an der Bedeutung des ,ist nicht' festgehalten wird, die implicite in 160e und 161c entwickelt wurde. Um seine Interpretation zu retten, mu Cornford das restliche Argument ab 162b9 als Neuansatz deuten: „The fallacy is glaring . . . The only way to avoid it is to suppose that here, as at the beginning of the Corollary, Plato is making a fresh start and recalling the results of a previous hypothesis, viz. that the one is, in the sense of ,exists'."11 Wie die Stelle 162c3 belegt („Ούκοϋν το εν v τε και ουκ δν έφάνη;" - „Zeigte sich nun nicht das Eine als seiend und nicht-seiend?") kann aber von einem Neubeginn nicht die Rede sein, denn der R ckbezug auf 162b6,7 ist deutlich genug. 9. Wenn nun die Bedeutung des ,μή εστίν' in N l und N 2 gleich ist, diesen beiden Argumentfolgen also keine unterschiedlichen Hypothesen zugrunde liegen — wie ist dann der Gegensatz der Resultate zu erkl ren? Die Antwort lautet: der Gegensatz zwischen den beiden — vermeintlich imkompatiblen Deduktionen besteht nur zum Schein. In Wahrheit leisten 11

Cornford, a.a.O., S. 227.

Die negierte Hypothesis und die Probleme des

öv

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N l und N2 auf unterschiedliche Weise dasselbe: sie führen einen bestimmten Gebrauch des , ' ad absurdum — jenen, der das ,. . .ist nicht' als , . . . ist auf keine Weise' begreift, Nichtseiendes also zum Gegenteil von Sein erklärt. Der unterschiedliche Verlauf der Argumentation in N l und N2 erklärt sich allein aus der Weise der Anknüpfung an dieselbe Voraussetzung: in der ersten Argumentreihe zur negierten Hypothesis wird vom grammatischen Subjekt ausgegangen, das auf einen erkennbaren, von anderen unterscheidbaren Gegenstand verweist, über den sich sinnvoll reden läßt. Da ein so Beschaffenes ,irgendwie am Sein teilhaben' muß, kommt es zwangsläufig zum Konflikt mit einer Auslegung des ,ist nicht', die jede affirmative Verwendung des ,ist' verbietet. In N2 hingegen bildet das grammatische Prädikat den Ausgangspunkt. Wenn ,Nichtsein' die vollständige Abwesenheit des Seins bedeutet, dann kann dem Einen, wenn es nicht ist, keinerlei Bestimmung zukommen. Damit hebt es sich aber als Gegenstand vernünftiger Rede selbst auf.

Schlu Der Dialog endet ohne jeden weiteren Kommentar mit dem Satz: „Ειρήσθω τοίνυν τούτο τε και δτι, ως εοικεν, εν εΐτ' εστίν είτε μη εστίν, αυτό τε και τάλλα και προς αυτά και προς άλληλα πάντα πάντως εστί τε και ουκ εστί και φαίνεται τε και ου φαίνεται. — 'Αληθέστατα." (Farm. 162c) („So sei denn dies gesagt, wie auch, da , wie es scheint — ob das Eine nun ist oder auch nicht ist, es selbst wie die anderen, und zwar f r sich selbst wie auch in bezug auf anderes — alles auf alle Weise ist und nicht ist und zu sein scheint wie auch nicht zu sein scheint." — „Vollkommen wahr.")1 In dieser nicht mehr berbietbaren Paradoxie werden die Resultate der »Dialektischen bung' zusammengefa t. Was also wollte Platon mit dem ,Parmenides' sagen? Das Paradoxon, mit dem die Untersuchung schlie t, ermuntert nicht gerade ,positive' Auslegungsversuche — etwa in dem Sinn, da Platon hier seine ,wahre' philosophische Doktrin vortr gt. Kann man denn ernstlich glauben, da Platon dies Resultat f r vollkommen wahr h lt? Da das Eine und die Anderen in jeder Hinsicht, auf alle Weise sind und nicht sind, enth lt keine Aussage ber diese Gegenst nde, denn auf alle Weise zu sein und nicht zu sein, ist keine m gliche Beschaffenheit eines Gegenstands. Sollte Platon entgangen sein, da es sich so mit dem Einen nicht verhalten kann? Den Paradoxien entkommt man auch dann nicht, wenn angenommen wird, da jeder Argumentreihe ein anderer Gegenstand oder Gegenstandsbereich zugrunde liegt — da Platon sich also nur zum Schein in jeder Deduktion auf dieselbe Entit t bezieht, w hrend er in Wahrheit hier von Gott, dort von den Ideen, an anderer Stelle von den Einzeldingen spricht. Doch woraus soll man das jeweils Gemeinte erschlie en, wenn es keine spezifizierenden Erl uterungen zum Gegenstand des Diskurses gibt? Die aus der Hypothesis abgeleiteten Bestimmungen taugen dazu nicht, denn es werden entweder alle Pr dikate abgesprochen oder alle zugesprochen, und weitere Kriterien stehen nicht zur Verf gung. Da die ,positiven' Ar1

Parm. 166c2-5.

Schluß

211

gumentreihen ebensowenig wie die ,negativen' zur Gegenstandsbestimmung beitragen und die ,Synthesis-Variante' aus den oben angeführten Gründen scheitert, bietet der Text keine Basis für Interpretationsmodelle, die den ,Parmenides' als .allgemeine Seinslehre' deuten. Für jeden Interpretationsansatz, der im ,Parmenides' mehr zu finden hofft als eine logische Übung oder eine Kollektion von Paradoxien, ist das Problem der Konklusivität der Ableitungen im zweiten Dialogteil von zentraler Bedeutung. Sollte Platon, wie immer wieder behauptet wurde, willkürlich von allen nur erdenklichen Trugschlüssen Gebrauch machen, so wäre der ,Parmenides' weder zur Etablierung noch als Kritik einer philosophischen Doktrin geeignet. Man müßte sich mit jener schlichten Erklärung bescheiden, der zweite Teil des ,Parmenides' sei eben die angekündigte Übung — nicht mehr und nicht weniger: „The dialogue provides mental exercise . . . It does not in itself attain truth of any kind; but it sets the muscles of the mind in a better state to obtain truth hereafter."2 Weil sie eine so schwache These aufstellt, bietet die ,Ubungsinterpretation' der Kritik kaum Ansatzpunkte. Ein Vertreter dieser Position riskiert nicht viel mehr als den Vorwurf, es sich etwas zu einfach zu machen. Im übrigen hat er gute Aussichten, recht zu behalten, wenn alle Versuche scheitern sollten, im Dialog mehr als diesen dürftigen Zweck zu finden. Tatsächlich wird niemand bestreiten können, daß der ,Parmenides' — was Platon sonst auch mit ihm beabsichtigt haben mag — durchaus den Effekt hat, den Leser im Umgang mit diffizilen Argumenten zu schulen. Robinsons These beruht auf einer bestimmten Interpretation der logischen Form des zweiten Dialogteils. Er glaubt, daß im wesentlichen drei Typen von Fehlschlüssen für die paradoxen Resultate verantwortlich sind: die Konfusion von Identitätsaussagen und Prädikationen, die Verdinglichung und die Verwechslung eines Attributs mit seinen Instanzen (Runciman nimmt außerdem noch einen Fehlschluß der Nichtexistenz an).3 Schon die Benennungen der Fehlschlüsse deuten darauf, daß es sich nicht oder nicht nur um logische Fehlschlüsse im engeren Sinne handeln kann, also um Mängel der logischen Form von Argumenten, sondern daß in einem ähnlich vagen Sinn von ,fallacy' gesprochen wird, wie etwa beim ,naturalistischen Fehlschluß' in der Ethik. Im Fall des ,Fehlschlusses der Verdinglichung' ist das besonders deutlich: wenn abstrakte Entitäten als raumzeitliche Dinge oder logische Beziehungen als räumliche Beziehungen trak2 3

Robinson, Plato's Earlier Dialectic, S. 264. Runciman, Plato's .Parmenides', S. 180.

212

Schluß

tiert werden, liegen problematische — und wahrscheinlich falsche — inhaltliche Annahmen, aber keine logischen Fehler vor. Es wurde außerdem behauptet, daß Platon diese Fehlschlüsse nicht als solche durchschauen konnte — er ahnte allenfalls, daß mit einigen Argumenten etwas nicht stimmte, ohne jedoch die Fehler wirklich lokalisieren zu können. Hier deutet sich an, daß die Ubungs-Interpretation in dieser Form eine gravierende Ungereimtheit enthält. Wenn der zweite Dialogteil als dialektisches Training gedacht ist — für den jungen Sokrates wie für jeden, der keine Antwort auf die Aporien des ersten Dialogteil weiß — dann wäre es immerhin merkwürdig, wenn diese Übung auf Fehlschlüssen beruhte, deren Natur Platon nicht erkennt. Wir hätten es mit einer Übung ganz spezieller Art zu tun, in der der Lehrmeister vom Schüler mehr verlangt, als er selbst zu leisten imstande ist. Da aber die Probleme, die in den angeblichen Verwirrungen Platons ihren Ausdruck finden, weder trivial noch ephemer für die platonische Philosophie sind, ist es wenig sinnvoll, den Dialog als eine gehobene Denksportaufgabe einzustufen. Doch handelt es sich denn bei der ,Identitäts-Prädikations-Konfusionc, der Verdinglichung, den Argumenten zum öv überhaupt um Platons Fehlschlüsse? Bekanntlich wird das Problem des Nichtseins im ,Sophistes' ausgiebig erörtert; Platon verwirft dort nachdrücklich die eleatische Lehre von Nicht-Sein, die Nichtseiendes als ein versteht und schlägt eine Lösung vor, die eine Erklärung der falschen Rede ermöglicht. Daß die Dialoge ,Parmenides' und ,Sophistes' zu einer Gruppe von Spätdialogen gehören, gilt als gesichert, und diejenigen, die von den ,principal fallacies' reden, bestreiten auch nicht die zeitliche und thematische Nähe beider Dialoge. — Nun wurde gezeigt, daß die Paradoxien der Argumentreihen N l und N2 sich genau jener Konzeption des Nichtseins verdanken, von deren Aporien der ,Sophistesc ausgeht. Bei dieser Lage der Dinge fällt es schwer zu glauben, daß Platon im ,Parmenidesc einer Konfusion über das öv anheimfiel. Da er im benachbarten ,Sophistes' die falsche Auffassung des Nichtseins kritisiert, ist es viel wahrscheinlicher, daß er sie im ,Parmenides' ganz bewußt einsetzt, um sie durch Ableitung der Paradoxien ad absurdum zu führen. Ähnlich steht es mit der sogenannten Identitäts-Prädikations-Konfusion. Das Problem der Differenzierung von Attribution und Identität hängt zwar, wie ich zu zeigen versuchte, eng mit der Selbstprädikation und der sokratischen These von der Nicht-Gegensätzlichkeit der Ideen zusammen. Daß dem Einen in der ersten Argumentfolge keinerlei Bestimmungen zu-

Schluß

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kommen, folgt aus einer Selbstprädikationsannahme, nicht jedoch aus der Verwechslung von Identitätsaussagen mit Prädikationen. Wenn die paradoxen Resultate der ,Dialektischen Übung' aber nicht auf formalen Fehlern beruhen und wenn es wahrscheinlich ist, daß Platon von den für die Paradoxien verantwortlichen Annahmen bewußten Gebrauch macht, dann bleibt noch diese Möglichkeit der Interpretation: den zweiten Dialogteil als eine umfassende ,reductio ad absurdum* zu verstehen. Gegenstand der Widerlegung ist dabei weder die Idee der Einheit noch die Hypothesis selbst: die , ( ) '-Formel ist für sich genommen viel zu unbestimmt, um den logischen Fortgang zu ermöglichen. Sie bedarf der Auslegung, damit die Untersuchung Ziel und Richtung erhält. Somit sind es die in den Expositionen der Argumentreihen eingeführten Zusatzprämissen, die letztlich für die paradoxen Resultate verantwortlich sind. Die These von der Nicht-Gegensätzlichkeit der Ideen und die damit zusammenhängende Selbstprädikationsannahme in der ersten Argumentreihe (AI) führt dazu, den Untersuchungsgegenstand als absolute, teillose Einheit aufzufassen; in der zweiten Argumentreihe wird das , ' als Teilhabe des Einen am Sein ausgelegt; die Antinomien ergeben sich dort aus der verdinglichten Teilhabe-Beziehung; in der Argumentreihe B 2 hingegen folgen absurde Konsequenzen aus der Voraussetzung eines Chorismos. Die Voraussetzungen, auf denen die Schwierigkeiten der sokratischen Ideenhypothese im ersten Teil des ,Parmenides' beruhen, stimmen also mit denen überein, die der zweite Dialogteil als zusätzliche Annahmen zur Ableitung der Paradoxien heranzieht. Wenn man eine solche Übereinstimmung nicht als Zufall abtun will, bleibt nur der Schluß: Es war Platons Absicht, diese Annahmen aus dem ursprünglichen Problemzusammenhang des ersten Dialogteils zu lösen und sie in der ,Dialektischen Übung' unabhängigen Tests auf Konsistenz zu unterwerfen. Die Deutung des zweiten Dialogteils als ,reductio ad absurdum' empfiehlt sich somit dadurch, daß sie einen systematischen Zusammenhang zwischen beiden Dialoghälften nicht nur postuliert, sondern daß sie zeigen kann, worin er besteht. Bei dieser Betrachtungsweise klärt sich auch der Schein des Anti-Logischen über der ,Dialektischen Übung'; absurd erscheint sie nur dem, der sie nicht als konsequente Anwendung dieser Voraussetzungen, ihrer Präsuppositionen und Implikate auffaßt. Der ,Parmenides* ist demnach mehr als eine Kollektion von Antinomien oder eine logische Übung, aber er entwickelt weder eine neue philo-

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sophische Doktrin, noch enthält er eine radikale Selbstkritik Platons. Mit dem Dialog wird das viel bescheidenere Ziel einer kritischen Klärung der Grundlagen der Ideenlehre verfolgt. Der ,Parmenides' bereitet den Boden für die verfeinerte Theorie des ,Sophistes'. Insofern trägt er seinen alten Untertitel ,Uber die Ideen' zu Recht.

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Stellenverzeichnis Euthydem 248 a, b

205

Hippias Ma. 287 e 288 e 291 d 292 e

48 48 11* 11*

Kratylos 385 b 431 b

205 146

Lysis 217d

11, 11*

Parmenides 127 e 2 127 e 3 128 a 8-b 1 128e5-130a2 129 a-e 129 b 129 c 129 c, d 129 e 130 b 130 d 3 130e-131 e 131 b 132 a l - b 2 132 a 1-4 132 a 6-8 132 d 1-133 a 6 132 d 1-4 132 d 5-e 5 132 d 9-e 1 132 e 3, 4 132 e 6-133 a 6 133 b 3 135 a 5 135 b, c 135 c 5

88 89 105 127 59, 97, 104, 128 54 54 91, 117 54 144, 145 58 150 150 2, 9 ff. 14 16 61, 62 64 64 68 64 64 79 79

1, 58 79

Parmenides 135 d 8 135 e 3 135 e 8-136 a 2 136 a 136 a-c 136 c 1 136 c 6 137 b 137 c 137 c-d 139 b 4-e 6 139 c 6 139 d 139 e 1,2 140 a 140 a 1-3 141 e 142 b 1, 2 142 b 3 142 b 5 142 b 7, 8 142 b, c 142 b-d 142 b 8-c 2 142 c 2, 3 142 c 7 142 c 9 142 d 142 d-143 a 143 b, c 144 b 144 b-d 144 c 8-d 4 144 c-e 144 d 145 a 145 e 3 146 a 9-147 b 8 146 b 146 d 3-5 146 d 6

80 82 81 84 87, 104, 123 133 85 104, 113, 115

121, 126, 128, 129 124 130 135 110 132* 60 129 101, 114, 119, 141 203, 204 138, 139 113, 139, 141 142 143 110, 125 150 144 113, 139, 146 147 139 147 ff. 152 110 152 154 153 154 150, 174 156, 158 160 161 172 163 164

Stellenverzeichnis

220 Parmenides 146 d, e 147 a 8 147 c 3-5 147c-148a 147 d 148 a 151 a, b 155 d 6, 7 155 e 155e-156a 156 a 1-4 157 b 9 158 a 158 b, c 158 b 2-4 158 b 4-c 1 158 d 3-5 158 e 2, 3 159 a 1,2 159 c 160B-161 a 160 b 5 160 c 160 c 5, 6 160 c-e loOc-161 c 160 e 161 c 3 161 e 162 a 162 b 6-9 162 c 3 162 d 163 b 6-164b 4 166 c 2-5 Phaidon 74 b, c 74 c 1 75 d 100 c 100e-101 a 102 d 103 b-105 b Philebos 14 c-e

166 166 167 173 169 174 193 171

125, 175, 176 182 182 186 35, 36, 37, 187 187 188 189 190 191 191 192 198 194 196 195 202 114, 119 148 203 204 148, 205, 206 208 208 148 201 ff. 125, 210

Politeia 436 b 436 c, d 477 a-479 d 478 b 478 e-479 d 479 a-e 507 b 509 b 518 c 596 a 5 597 c 597 c, d

90, 92, 93 90, 91, 95, 97 51 91 94 91 50, 101 100, 101 101 59 50 35, 36

Protagoras 329 c-333 b 330 c-e 330 d 8

32 11, 30, 52, 56 34

Sophistes 217 c 236 e 237 a-239 a 238 e 251 b 254 b 254 b-257 c 255 e 256 a 1 256 e 256 e 3 257 b, c 258 c 259 a 5 259 a 5 261 d-262 e 262 d 2 262 e-263 d

104* 201

194* 201 45 44

140, 141 140 142 207 142 208 38 38 37, 38 145 145, 146 205

34 25 50 11, 34, 40, 52, 54, 56, 203 135 144 170

Theaitetos 183 e 189 e

205

97, 98

Timaios 52 a 4

75

Symposion 210e-211 b

11, 33, 34,40, 53, 54, 55, 56

104*

QUELLEN UND STUDIEN ZUR PHILOSOPHIE Kurt Röttgers

Kritik und Praxis Zur Geschichte des Kritikbegriffs von Kant bis Marx Groß-Oktav. X, 302 Seiten. 1975. Ganzleinen DM 109,ISBN 3 11 004604 0 (Band 8)

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Basis und Deduktion Studien zur Entstehung und Bedeutung der Theorie der axiomatischen Methode bei H. J. Lambert Groß-Oktav. XIV, 194 Seiten. 1980. Ganzleinen DM 78,ISBN 3 11 007932 l (Band 15)

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Die Aristotelische Modaltheorie Groß-Oktav. XX, 486 Seiten. 1982. Ganzleinen DM 172,ISBN 3 11 008110 5 (Band 16)

Lothar Kreimendahl

Humes verborgener Rationalismus Groß-Oktav. X, 222 Seiten. 1982. Ganzleinen DM 98,ISBN 3 11 008865 7 (Band 17)

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