Perverse Bürgerinnen: Staatsbürgerschaft und lesbische Existenz [1. Aufl.] 9783839420003

Sind Lesben anerkannte Bürgerinnen? Auf der Basis einer 'lesben-affirmativen' Herangehensweise untersucht Chri

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German Pages 344 Year 2014

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Perverse Bürgerinnen: Staatsbürgerschaft und lesbische Existenz [1. Aufl.]
 9783839420003

Table of contents :
Inhalt
Danksagung
EINLEITUNG – GLEICHE STAATSBÜRGER*INNENSCHAFT ALS MACHTVOLLE INKLUSIONSVERHEISSUNG
Zur anhaltenden Wirkungsmacht einer Inklusionserzählung
Lesben-affirmative Perspektiven und das Inklusionsversprechen gleicher Staatsbürger*innenschaft
Aufbau des Buches
BEYOND THE STRAIGHT MIND: EPISTEMOLOGISCHE UND METHODOLOGISCHE AUSGANGSPUNKTE
Queer(y)ing the Lesbian als (nicht nur) theoretische Herausforderung
Re-thinking Citizenship: Eine lesben-affirmative Re-Perspektivierung aktueller Konzepte
DIE TRIBADE IM LEVIATHAN: ERZÄHLUNGEN ÜBER GUTE STAATSBÜRGER UND SEXUELLE DEVIANZ
Sexuelle Grammatiken neuzeitlicher Staatsbürgerschaftskonzepte
Thomas Hobbes: Ein Bürger besitzt sexuelles Eigentum
John Locke: Ein Staatsbürger besitzt sich selbst
Jean-Jacques Rousseau: Kein guter Staatsbürger ohne den ‚richtigen‘ Sex
Immanuel Kant: Heterosexualität als vernünftige Staatsbürgerpflicht
Intelligible Staats-/Bürgerschaften – Eine genealogische Verdichtung ihrer Bedingungen
Staats-/Bürgerschaft als Konstitutionsund Produktionsmoment politischer Intelligibilität – ein vorläufiges Resümee
PERVERSE BÜRGERINNEN: MANNWEIBER, LESBIERINNEN UND EMANZEN
Intra-kategoriale Verkomplizierungen: Differenzen zwischen Anti-Bürger*innen
Homophile Dialoge und staatsbürgerliche Männergleichheit
Ehefrauen, Mütter, Versorgerinnen – Frauen als sekundäre Staatsbürgerinnen
Ein Abjekt werden: Staatsbürgerinnenschaft und die Systematisierung weiblicher Homosexualität
Zwischen Passing, (Un-)Sichtbarkeit und Verwerfung – eine Lesbe ist k/eine Staatsbürgerin
RICHTIGE FRAUEN UND BÜRGERINNEN WERDEN!? AMBIVALENZEN DER INKLUSION
Sexuelle Flexibilisierung und die neoliberalen Transformationen von Staatsbürgerschaft
Dimensionen lesbischer Bürgerinnenschaften I: We get marriage and then we go Home and cook Dinner …?
Dimensionen lesbischer Bürgerinnenschaften II: We are no longer manish Dykes …?
Dimensionen lesbischer Bürgerinnenschaften III: But we can buy a ten inch Dildo …?
Endlich so sein wie alle Nicht-Perversen …!? Bedingungen intelligibler lesbischer Staatsbürgerinnenschaften – ein Resümee
STATT EINES SCHLUSSWORTES: EIN PLÄDOYER FÜR EINEN KONZEPTIONELLEN PERSPEKTIVENWECHSEL
Jenseits von inklusiveren Modellen: Epistemologische und konzeptionelle Verschiebungen
Am Ende nichts als Widersprüche?! Aber es lebe die perverse Bürgerin!
Literatur

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Christine M. Klapeer Perverse Bürgerinnen

Queer Studies | Band 4

2014-03-20 13-30-36 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 03dd361736432462|(S.

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4) TIT2000.p 361736432470

Christine M. Klapeer (Dr. phil.), Politikwissenschaftlerin, arbeitet am Institut für Internationale Entwicklung an der Universität Wien zu Sexual Citizenship, Wirkungs- und Reproduktionsweisen von Heteronormativität sowie zu den Problematiken und Herausforderungen LGBTIQ-inklusiver und queerer Entwicklungszusammenarbeit.

2014-03-20 13-30-36 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 03dd361736432462|(S.

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Christine M. Klapeer

Perverse Bürgerinnen Staatsbürgerschaft und lesbische Existenz

2014-03-20 13-30-36 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 03dd361736432462|(S.

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Gefördert durch die Leopold-Franzens Universität Innsbruck

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Inhalt

Danksagung | 9

E INLEITUNG – G LEICHE STAATSBÜRGER *INNENSCHAFT ALS MACHTVOLLE I NKLUSIONSVERHEISSUNG | 13 Zur anhaltenden Wirkungsmacht einer Inklusionserzählung | 13 Lesben-affirmative Perspektiven und das Inklusionsversprechen gleicher Staatsbürger*innenschaft | 18 Aufbau des Buches | 23

BEYOND THE STRAIGHT MIND: E PISTEMOLOGISCHE UND METHODOLOGISCHE AUSGANGSPUNKTE | 29 Queer(y)ing the Lesbian als (nicht nur) theoretische Herausforderung | 29 Re-thinking Citizenship: Eine lesben-affirmative Re-Perspektivierung aktueller Konzepte | 40

DIE TRIBADE IM LEVIATHAN : ERZÄHLUNGEN ÜBER GUTE STAATSBÜRGER UND SEXUELLE DEVIANZ | 67 Sexuelle Grammatiken neuzeitlicher Staatsbürgerschaftskonzepte | 67 Thomas Hobbes: Ein Bürger besitzt sexuelles Eigentum | 85 John Locke: Ein Staatsbürger besitzt sich selbst | 107 Jean-Jacques Rousseau: Kein guter Staatsbürger ohne den ‚richtigen‘ Sex | 122 Immanuel Kant: Heterosexualität als vernünftige Staatsbürgerpflicht | 150

Intelligible Staats-/Bürgerschaften – Eine genealogische Verdichtung ihrer Bedingungen | 166 Staats-/Bürgerschaft als Konstitutionsund Produktionsmoment politischer Intelligibilität – ein vorläufiges Resümee | 188

P ERVERSE BÜRGERINNEN : MANNWEIBER, LESBIERINNEN UND EMANZEN

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Intra-kategoriale Verkomplizierungen: Differenzen zwischen Anti-Bürger*innen | 191 Homophile Dialoge und staatsbürgerliche Männergleichheit | 194 Ehefrauen, Mütter, Versorgerinnen – Frauen als sekundäre Staatsbürgerinnen | 199 Ein Abjekt werden: Staatsbürgerinnenschaft und die Systematisierung weiblicher Homosexualität | 207 Zwischen Passing, (Un-)Sichtbarkeit und Verwerfung – eine Lesbe ist k/eine Staatsbürgerin | 218

RICHTIGE FRAUEN UND BÜRGERINNEN WERDEN !? AMBIVALENZEN DER I NKLUSION | 235 Sexuelle Flexibilisierung und die neoliberalen Transformationen von Staatsbürgerschaft | 235 Dimensionen lesbischer Bürgerinnenschaften I: We get marriage and then we go Home and cook Dinner …? | 254 Dimensionen lesbischer Bürgerinnenschaften II: We are no longer manish Dykes …? | 267 Dimensionen lesbischer Bürgerinnenschaften III: But we can buy a ten inch Dildo …? | 277

Endlich so sein wie alle Nicht-Perversen …!? Bedingungen intelligibler lesbischer Staatsbürgerinnenschaften – ein Resümee | 289

STATT EINES SCHLUSSWORTES : EIN P LÄDOYER FÜR EINEN KONZEPTIONELLEN PERSPEKTIVENWECHSEL | 295 Jenseits von inklusiveren Modellen: Epistemologische und konzeptionelle Verschiebungen | 295 Am Ende nichts als Widersprüche?! Aber es lebe die perverse Bürgerin! | 301 Literatur | 305

In this dark adored adorned gehenna say your farewells m/y very beautiful one m/y very strong one m/y very indomitable one m/y very learned one m/y very ferocious one m/y very gentle one […] There is not one who is unaware of what takes place here, which has no name as yet […]. MONIQUE WITTIG The Lesbian Body, 1975

Danksagung

Mit dieser Forschungsarbeit habe ich meiner wissenschaftlichen Begeisterung nachgegeben und folglich auch jene Fragen gestellt, die mich in meinem (eigenen) politischen Dasein, meiner eigenen Existenzweise als ‚perverse (Nicht-) Bürgerin‘ bewegen. Dieser (wissenschaftlichen) Begeisterung so konsequent zu folgen, hätte ich jedoch ohne die Unterstützung vieler Menschen nicht durchgehalten, ich wäre diesen Weg nicht mit dieser Intensität gegangen und wäre heute – erdrückt von allen möglichen Karriereüberlegungen – nicht mehr derartig lebendig in meiner wissenschaftlichen Imagination und Freude am Nachdenken über (Herrschafts-)Verhältnisse. Ich danke deswegen vor allem jenen Menschen, die mich immer wieder dazu bewegt haben, mein wissenschaftliches Begehren und das Lustvolle, allen voran meine eigene Lust an Forschungsprozessen nicht zu vergessen. Ganz besonders danke ich Karin Schönpflug für ihre Gefährtinnenschaft, ihre Liebe und unermüdliche Unterstützung als Lektorin, Gesprächspartnerin und Kritikerin meiner Arbeit. Sie verfügt über die Fähigkeit, mein utopisches und transformativ kreatives Potenzial immer wieder zu (re-)aktivieren – ihre politische und persönliche Leidenschaft ist deshalb ebenso wie meine eigene in diese Arbeit eingeschrieben. Ich hätte dieses Buch aber auch niemals in dieser Weise fertigstellt ohne die Liebe, Zuneigung und Unterstützung von Nina Hechenberger (danke für deine ‚speziellen‘ Aufmunterungen und dein ‚An-michglauben‘), Karin Pertl (du bist ein Fels um mich), Alex Blaakman (deine liebevollen Kaffees haben mich immer wieder zum Weiterarbeiten bewegt), Andrea Kremser (danke, meine Unterstützerin, liebste Lektorin und kritische Kommentatorin) und Clemens Pfeffer (Danke, mein intellektueller Seelenverwandter). Und schließlich danke an Johanna Strobl, für all das leckere Essen während meiner letzten Schreibphase. Ich danke auch all meinen Freund*innen und Gefährt*innen an vielen Orten, die mich und meine Zugänge zur Wissenschaft ken-

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nen und mich immer wieder sanft aber bestimmt in diese Richtung geschoben haben! Dieses Buch basiert im weitesten Sinne aber auch auf jenem Ansatz, den Adrienne Rich als „Politik der Verortung“ bezeichnete: Es entstand an ganz konkreten feministischen/lesbischen/queeren Orten, hat diese Verhältnisse aufgesogen, hat darin seine Wurzeln geschlagen, wurde dort mit ideellen ebenso wie mit ganz materiellen Nahrungsstoffen versorgt und hat – so hoffe ich – auch Energien und (subversive) Potenziale an diesen Orten zurückgelassen. Orte sind jedoch nicht nur bloße strukturelle Umrandungen des Seins, sondern sie sind präsente Geschichte; in ihnen ist Vergangenes und Aktuelles eingeschrieben, die Konstitution von Räumen bestimmt die Atmosphäre des Schreibens mit. Vielleicht ist es deshalb kein Zufall, dass ein großer Teil der in diesem Buch präsentierten Überlegungen während meiner Aktivistinnenzeit im „Lila Tipp“ in der Rosa Lila Villa, dem „Ersten Lesben- und Schwulenhaus“ in Wien entstanden ist. Das Haus und allen voran die Mitarbeiter*innen des „Lila Tipp“ sind und waren ständige Inspirationen dieser Arbeit. Mit meinen Kolleg*innen aus dem „Lila Tipp“ konnte ich queeres/lesbisches/feministisches Erfahrungswissen zum Ausgangspunkt meiner theoretischen Prozesse machen, mit ihnen konnte ich diskutieren, vertiefen, umwerfen und neu zusammensetzen. Danke, für die Unterstützung meiner Arbeit und all die inspirierenden Gespräche und Diskussionen! Diese Arbeit wäre aber auch nicht in dieser Weise entstanden, hätte ich nicht die – für mich oft unglaublich herzliche – Unterstützung vieler feministischer Wissenschaftler*innen und Wissenschaftler*innennetzwerke erfahren. Allen voran danke ich Erna Appelt für ihre Herzlichkeit und Freude an meiner Arbeit, für ihre Unterstützung, ihren Respekt und ihre Geduld, aber auch für ihre strengen wissenschaftlichen Anforderungen während meines Dissertationsstudiums. Ebenfalls danke ich Hanna Hacker für ihre Inspiration und lustvolle Unterstützung meiner Forschungsarbeit und meines Forschungszuganges sowie allen Proponentinnen des „Verbands feministischer Wissenschaftlerinnen“. Mein Dank gilt auch dem „Institut für Internationale Entwicklung“ und meinen Kolleg*innen für die herzlichen Ermutigungen. Und schließlich möchte ich noch dem transcript Verlag für die professionelle, geduldige und gute Zusammenarbeit danken, Tanja Jentsch für das professionelle Lektorat und Lisi Freudenschuss für ihre Unterstützung beim Layout! Dass diese Forschungsarbeit – trotz ihres Themas und der gewählten Methoden und theoretischen Zugänge – zumindest finanziell unterstützt wurde, soll abschließend auch nicht unerwähnt bleiben: Von Januar bis Juni 2007 ermöglichte mir ein Dissertationsstipendium der Universität Innsbruck die Arbeit an der, die-

D ANKSAGUNG | 11

sem Buch zugrundeliegenden, Dissertation. Ideell und finanziell profitierte dieses Buch auch durch die Auszeichnung meiner Dissertation mit dem JohannaDohnal-Förderpreis sowie dem Förderpreis der Austrian Gay Professionals (agpro). Die Publikation dieser Arbeit wurde darüber hinaus von der Universität Innsbruck finanziell unterstützt.

Wien im September 2013

Einleitung – Gleiche Staatsbürger*innenschaft als machtvolle Inklusionsverheißung Are we sexual outlaws and perhaps political outlaws as well, who recognize that the law is founded upon the rule of men, upon enforced heterosexuality, and upon violence? Or are we legitimate citizens who have been wrongly excluded from legal recognitions and protections because our private lives are lightly different from some mythical norm? RUTHANN ROBSON1

Z UR ANHALTENDEN W IRKUNGSMACHT I NKLUSIONSERZÄHLUNG

EINER

Als „Schlüsselbegriff der europäischen Moderne“ (Appelt 1994: 100) scheint die Institution der Staatsbürgerschaft2 ihre Bedeutung als machtvolle Integrationsverheißung gerade im Zusammenhang mit lesbischen/schwulen und trans*Forderungen nach gesellschaftlicher Inklusion und politischer Teilhabe am Beginn des

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Robson, Ruthann (1992): Lesbian (Out)law. Survival under the Rule of Law, Ithaca; New York, 19.

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Wird auf die politische Institution der Staatsbürgerschaft Bezug genommen, dann spreche ich aufgrund der androzentrischen/androkratischen Geschichte, Konzeption und Prägung von Staatsbürgerschaft in der ‚männlichen‘ Form. Spreche ich im Gegensatz dazu von aktuellen Staatsbürger*innenschafts-Praktiken bzw. der Staatsbürger*innenschaft spezifischer Gruppen, dann wird die geschlechtersensible Form verwendet.

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21. Jahrhunderts (erneut) zu entfalten. Die „normative Inklusionserzählung“ (Stäheli 1001: 49) (demokratischer) Staatsbürgerschaft spielt nämlich vor dem Hintergrund anhaltender und neuer ‚faktischer‘ Ausschlüsse nicht nur in Debatten über den Demokratiegehalt ‚moderner‘ Gesellschaften, Migration und Multikulturalismus in EUropa eine zentrale Rolle, sondern übt seit über zwei Jahrzehnten auch eine besondere Wirkung auf die LGBTIQ 3-Community aus. Seit Mitte der 1990er Jahre rückte die Frage, ob LGBTIQs (die über einen EUropäischen Pass verfügen4) über alle staatsbürgerlichen (Teilhabe-)Rechte und Partizipationsmöglichkeiten verfügen, um als ‚vollwertige‘ Mitglieder in den nationalen bzw. EUropäischen politischen Gemeinschaft(en) agieren zu können, zunehmend in den Mittelpunkt politischer Auseinandersetzungen und Debatten. Anhaltende (institutionalisierte) Diskriminierungen5 im Bereich der Zivilehe, der Adoption und Elternschaft, des Arbeitsplatzes, des Zugangs zu öffentlichen Dienst- und Sozialleistungen sowie insgesamt eine mangelnde Sichtbarkeit und

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Die Abkürzung LGBTIQ steht für Lesbians, Gays, Bisexuals, Transgenders, Intersex and Queers, wobei das Q am Ende auch für das Wort Questioning steht – ein Verweis darauf, dass die Autorin um den Konstruktionsgehalt sowie die historische und geopolitische Kontingenz dieser Kategorien weiß und diese daher in kritischer Weise verwendet.

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Diese Einschränkung bzw. Anmerkung ist in diesem Kontext besonders relevant, da in der Diskussion um gleiche Bürger*innenrechte und volle Staatsbürger*innenschaft für LGBTIQs die politische Relevanz und Brisanz dieser ‚äußeren Inklusions- bzw. Exklusionsbedingungen‘, d.h. formelle Staatsbürger*innenschaft, in den meisten Fällen entweder marginalisiert oder im Kontext einer homo/nationalisierenden Konstruktion zwischen einem ‚fortschrittlichen‘, ‚liberalen‘ EUropa und einem ‚rückständigen‘, homophoben ‚Rest‘ auf eine spezifische Weise einsetzt und fortschreibt; die grundsätzliche Problematik EUropäischer Grenzziehungen und (rassistischer) Grenzregime bleibt hier meistens unthematisiert.

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Einen fundierten Überblick zu anhaltenden rechtlichen, sozialen, ökonomischen und politischen Diskriminierungen in EUropa bieten die beiden im Jahr 2009 von der Europäischen Grundrechteagentur herausgegebenen Reports „Homophobia and Discrimination on Grounds of Sexual Orientation in the EU Member States: Part I – Legal Analysis“ (European Union Agency for Fundamental Rights 2009a) und „Homophobia and Discrimination on Grounds of Sexual Orientation and Gender Identity in the EU Member States: Part II – The Social Situation“ (European Union Agency for Fundamental Rights 2009b) sowie die aktuelle Studie „EU LGBT survey – European Union lesbian, gay, bisexual and transgender survey“ (European Union Agency for Fundamental Rights 2013).

E INLEITUNG | 15

Anerkennung in Aus-/Bildungsinstitutionen und der politischen und medialen Öffentlichkeit werden von zahlreichen internationalen und nationalen LGBTIQ-Organisationen sowie einigen politischen Parteien (vornehmlich des linken/links-liberalen Spektrums) daher zu Recht als Ausdruck eines noch existierenden, faktischen second- class citizenship6-Status von LGBTIQs angeführt, den es zu ‚überwinden‘ gelte. Ein Teil lesbischer/schwuler Bewegungssegmente knüpft daher große Hoffnungen an die Idee der ‚gleichen Bürgerrechte‘ 7 und sieht insbesondere in der Einführung von Partner*innenschaftsrechten für Lesben und Schwule (z.B. durch die Öffnung der Zivilehe oder durch ein separates Rechtsinstitut wie einer eingetragenen Partnerschaft) die Möglichkeit, das noch vor zehn Jahren konstatierte „unfinnished business of modern democracy“ (Kaplan 1997: 3) für LGBTIQs endlich zu vollenden. Zahlreiche nationale sowie auf EU-Ebene agierende LGBTIQ-Organisationen ebenso wie einige Parteien, Lobbyorganisationen und Interessensvertretungen sind daher mit der Herausforderung einer vollständigen staatsbürgerlichen Inklusion und Gleichstellung von LGBTIQs beschäftigt und versuchen die noch bestehenden Benachteiligungen vornehmlich auf der Ebene des Rechts zu minimieren (Klapeer 2011). Die Forderung nach ‚gleichen Staats-/Bürgerrechten‘ sowie einer Beendigung ihres second class- bzw. marginalisierten citizenship-Status prägt/e folglich ganz wesentlich die politischen Kämpfe von LGBTIQs in den letzten zwei Jahrzehnten in EUropa, avancierte aber zugleich auch zu einem zentralen Streit- und zugleich Kristallisationspunkt unzähliger, zum Teil sehr heftig geführter, theoretischer und bewegungs-/politischer Debatten um die adäquate politische Strategie, gesellschaftliche Teilhabe und Anerkennung zu erlangen und Lesben-, Schwulen- und Trans*feindlichkeit effektiv zu bekämpfen.8 Ähnlich wie in den

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Die Begriffe Staatbürgerschaft und citizenship werden gleichbedeutend verwendet, auch wenn der englische Begriff citizenship stärker auf die aktive Rolle der Staatsbürger*innen verweist, während hingegen Staatsbürgerschaft im deutschsprachigen Kontext eher als ‚passives‘ Moment der Zugehörigkeit interpretiert wird.

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Vgl. dazu beispielsweise die Forderungen des Lesben- und Schwulenverbandes in Deutschland (LSVD) unter dem Titel „Gleiche Rechte: Wir wollen das volle Programm! Erfolgreich für Bürgerrechte“, online verfügbar auf: http://www.lsvd.de/27.0. html (Zugriff: 05.06.2010); auch die Politiken der österreichischen „Homosexuellen Initiativen“ (HOSIs) oder der US-amerikanischen „Lesbian and Gay Task Force“ können in diesem Zusammenhang verortet werden.

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In diesem Kontext sei besonders auf die Auseinandersetzungen zwischen sich als queer verstehenden Aktivist*innen und Theoretiker*innen und jenen Segmenten der

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feministischen Diskussionen um ‚Staatsbürgerinnenschaft für Frauen‘ als gender-neutrales oder gender-differenzierendes Konzept (vgl. Lister 1995; 1997a; 1997b; 1997c; Pateman 1992) wurden und werden in diesem Kontext ebenfalls grundlegende Debatten um Gleichheit und Differenz(en)9, der Assimilation von LGBTIQs oder ihrer ‚Besonderheit‘, der Definition und politischen Bedeutung von Mehrheit(en), Minderheit(en) und Bündnissen ausgetragen sowie theoretisch-politische Konzeptionen von Identität 10, Sexualität und Geschlecht11 (erneut) verhandelt. Trotz stark divergierender Positionen innerhalb der LGBTIQ-Communities und der Heterogenität und Vielfalt der entsprechenden theoretischen und bewegungs-/politischen Diskurse und Geschichte(n), liegt der Fokus in den medial vermittelten sowie institutionalisierten Aushandlungsprozessen in Regierungen, Parlamenten und den EU-Institutionen jedoch weitgehend auf der Idee ‚gleicher Bürger*innenschaft‘, die durch die Novellierung oder Hinzufügung einzelner Gesetze „innerhalb der existierenden sozialen Ordnung realisiert werden“ soll, „ohne daß dafür […] das heterosexuelle Privileg dezentriert werden muß“ (Hark 2000a: 41). Ein ‚inklusivistisches Verständnis‘ von Staatsbürgerschaft fungiert dabei als zentrale legitimatorische Grundlage, um sowohl die Exklusion von LGBTIQs aus bestehenden (Staatsbürger-)Rechten zu thematisieren als auch deren Ausweitung (z.B. im Bereich von sexuellen und trans-/geschlechtlichen

Lesben- und Schwulenbewegungen verwiesen, die sehr stark für die Idee von ‚gleichen Bürgerrechten‘ eintreten. Siehe dazu: quaestio (2000); Bell/Binnie (2000); Engel (2002). 9

Differenzen zwischen Heterosexuellen und Homosexuellen; zwischen Lebensformen, die im Rahmen androzentrisch-heteronormativer Deutungsmuster als ‚normal‘ gelten und jenen, die als ‚pervers‘ klassifiziert werden und ob es daher das politisch erklärte Ziel sei, ebenfalls als ‚normal‘ angesehen zu werden oder ob damit das gesellschaftlich-subversive Element des ‚Pervers-Seins‘ nicht aufgegeben würde; Differenzen zwischen Lesben, Bisexuellen, Schwulen, Transgenders, Transsexuellen, Queers unter Einbeziehung von Geschlecht, ‚Rasse‘, geopolitischer Herkunft, Klasse, ‚Ability‘ etc.

10 Hier geht es hier vielfach um die Frage, inwieweit ‚sexuelle Identität‘ als Grundlage und Basis von Politik fungieren soll und diese auch als Grundlage staatsbürgerlicher Anerkennung dienen soll (Anerkennung als Lesben und Schwule). 11 In diesem Kontext geht es immer wieder um die Diskussion von de-/konstruktivistischen bzw. queeren Perspektiven auf Sexualität und Geschlecht und welchen Stellenwert diese Perspektive in politischen Kämpfen einnehmen könnte und sollte bzw. wie ein performatives Sexualitäts- und Geschlechterverständnis effektiv politisch ein- und umgesetzt werden könnte.

E INLEITUNG | 17

Rechten) zu fordern. Dabei wird also „das normative Ideal einer anzustrebenden Vollinklusion aller BürgerInnen dem (faktischen) exkludierenden Operieren von Demokratien gegenübergestellt“ (Klapeer 2011: 41). Das (aktuelle) Problem der ‚Ungleichheit‘ oder ‚Diskriminierung‘ von LGBTIQs ist in diesem Verständnis einfach ein Ausdruck dessen, „that [something] has gone wrong in an otherwise perfect system“ (Klesse 2006). Während seit Mitte der 1990er Jahre die Forderung nach ‚gleichen Bürger*innenrechten‘ und somit das Ziel der ‚vollwertigen‘ staatsbürgerlichen Mitgliedschaft für Lesben und Schwule als ‚total normale‘ Mitbürger*innen durch das zunehmende Engagement EUropäischer Institutionen, politischer Parteien und international agierender Lobby-/Organisationen jedoch den politischen und öffentlichen Diskurses dominiert/e, gerieten hier nicht nur jene Gegenstimmen ins Abseits, die auf die Grenzen einer (liberaldemokratischen) Bürger*innenrechtspolitik verwiesen, sondern auch jene kritischen Positionen, welche die weiterhin exklusivierenden (nationalstaatlichen/EUropäischen) Rahmenbedingungen eines solchen Einschlusses problematisieren sowie die Ambivalenzen und (rassialisierten, vergeschlechtlichten) Vorannahmen dieser Inklusionslogik selbst zum Gegenstand einer gesellschaftspolitischen Auseinandersetzung machen. Denn zum einen äußert sich diese Bürger*innenrechtspolitik aufgrund ihrer Methoden, Artikulationsformen und politischen Annahmen weitgehend unter androzentrisch-liberaldemokratischen Vorzeichen, ignoriert die maskulinistischen, heteronormativen und rassistisch-kolonialen Implikationen und Geschichte(n) der Institution Staatsbürgerschaft und agiert daher vor dem Hintergrund historisch-politischer Rahmenbedingungen nicht nur ‚geschlechterblind‘, sondern blendet vielfach auch (strukturelle) Differenzen und Ungleichheiten aufgrund des ökonomischen Status, der geopolitischen Herkunft, von rassialisierten Zuschreibungen und/oder körperlicher ‚Ability‘ aus (vgl. Richardson 2000b; Phelan 2001; Hennessy 2000; Castro Varela/Gutiérrez Rodríguez 2000; Raab 2003). Ganz polemisch sprechen einige Autor*innen daher von einer weißen12 Bürgerrechtspolitik ökonomisch gut situierter, genderkonformer Schwuler, die, wie es der bundesdeutsche Journalist Eike Stedefeldt ausdrückt, „endlich vollwertige Staatsbürger“ mit den entsprechenden Rechten sein wollen, es dabei aber „keine Rolle [spiele], was genau das für ein Recht ist, für wen es zur Gänze

12 Die Bezeichnung ‚weiß‘ wird hier im Sinne einer sozialen Kategorie zur kritischen Analyse von Ungleichheiten und Privilegien sowie rassifizierenden Normen, Prozessen und institutionalisierter Wertemuster verwendet. Es gibt keine ‚weißen‘ Menschen, sondern nur ‚Weißheit‘ als soziale Kategorie der rassistischen/rassialisierende Differenzierung.

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oder mit Einschränkungen gilt, von wem es jeweils ausgeht, wer die Definitionsmacht darüber ausübt und welche gesellschaftlichen Verhältnisse es fixiert“ (Stedefeldt 1998: o.S.; vgl. Phelan 2001; Janz 1998). Normalisierung und Integration in die sogenannte ‚Normalgesellschaft‘ als ‚normale Bürger*innen‘ wird hier also zum Maßstab der staatsbürgerlichen Emanzipation und Inklusion selbst erklärt (vgl. Janz 1998). Demzufolge gerät in der aktuellen Diskussion die exklusivierende Logik der Institution Staatsbürgerschaft immer wieder aus dem Blick, wenn das normativ-demokratische Ideal einer anzustrebenden Vollinklusion aller (potenziellen) Bürger*innen und/oder in dem Territorium des jeweiligen Nationalstaates lebenden Individuen dem (faktischen) exkludierenden Operieren von Demokratien gegenübergestellt wird, ohne dabei die Inklusionslogiken und -bedingungen selbst zu hinterfragen (Klapeer 2011). Ziel dieser Form der Bürgerrechtspolitik ist es demnach durch eine Ausweitung/Verdichtung des Staatsbürger*innenschaftsstatus (auf LGBTIQs) „equality with the dominant group ([of] heterosexuals)“ zu erreichen, „where the subject of equality is interpreted as equal entitlement to recognition and to resources, centred upon demands for civil rights, access to welfare and rights as consumers“ (Richardson 2005: 519). Insofern wird hier zwar der Modus der differenzierten Vergabe von Rechten und der Inklusion in Frage gestellt, aber das Prinzip der Differenzierung und Inklusion selbst – Staatsbürgerschaft – bleibt aufrecht.

L ESBEN - AFFIRMATIVE P ERSPEKTIVEN UND DAS I NKLUSIONSVERSPRECHEN GLEICHER S TAATSBÜRGER * INNENSCHAFT Vor dem Hintergrund meiner eigenen Involviertheit in diese Debatten als politische Aktivistin, Kulturarbeiterin und in der antidiskriminatorischen Bildungsarbeit tätige Multiplikatorin ebenso wie aufgrund meiner Positionierung als lesbisch-queer-feministische Wissenschaftlerin, beobachte ich diese sehr widersprüchlichen und aus feministischer Sicht äußerst problematischen Entwicklungen lesbisch-schwuler Bürger*innenrechtspolitik nun seit einigen Jahren sehr kritisch. Aus diesem Konglomerat von kritischer Beobachtung, praktisch-aktivistischen Interventionen und Erfahrungen sowie der wissenschaftlichen Beschäftigung mit queeren und feministischen Forschungsarbeiten zum Thema Staatsbürger*innenschaft entstand folglich das Anliegen, die Institution Staatsbürgerschaft, die ihr zugrunde liegenden Diskurse und Praktiken und ihr Verhältnis zu ‚sexueller Devianz‘ auf eine neue Art in den Blick zu nehmen.

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Eine nach wie vor zu konstatierende wissenschaftliche Marginalisierung lesbischer Theorien, Geschichte(n), Positionierungen und Existenzweisen sowie die ‚Geschlechterblindheit‘ der Debatte um gleiche Bürger*innenrechte für LGBTIQs im Speziellen, veranlasste mich dazu, die Institution Staatsbürgerschaft aus einer lesben-affirmativen Perspektive13 zu analysieren und somit das Problem, die Frage bzw. auch die ‚Denkbarkeit‘ lesbischer Staatsbürgerinnenschaft zum Gegenstand meiner Forschungsarbeit zu machen. Eine lesben-affirmative Analyse beinhaltet damit einerseits ein herrschafts- und wissenschaftskritisches Moment, das darin liegt, den Fokus auf jene, mit diesem ‚Namen‘ bezeichneten und/oder sich selbst so verstehenden Existenzweisen zu richten und die damit verbundenen gesellschaftlichen, politischen und ökonomischen Verhältnisse, Ungleichheiten und Strukturen wissenschaftlich zu bearbeiten. Diese Perspektive ist jedoch keine spezielle Perspektive, die den Blick ausschließlich auf lesbische Existenzweisen ‚begrenzen‘ würde. Sondern im Gegenteil geht damit ein genealogisch-archäologisches Interesse an den Funktionsweisen von Staatsbürgerschaft als spezifische „Regierungstechnik“ und damit auch als produktives und subjektivierendes Integrations- und zugleich Konstruktionsmoment politischer Subjektivitäten, Handlungsfähigkeit, Identitäten sowie Formen von Gemeinschaft und Zugehörigkeit einher (vgl. Foucault 2000c [1978]; Foucault 2010a [1976/1979]; Bröckling et al. 2000). In dieser Arbeit geht es daher nicht um eine Untersuchung und Identifizierung jener Staatsbürgerschaftsdimensionen und rechte, die lesbischen Existenzweisen (noch) vorenthalten werden/wurden, sondern um eine Analyse der historischen und aktuellen Diskurse und Erzählungen sowie Prozeduren und Praktiken, die lesbische Existenzweisen zu abject citizens, zu ‚verworfenen‘ oder ‚perversen (Nicht-)Bürgerinnen‘ mach(t)en oder sie (nur) unter bestimmten (rassialisierenden, normalisierenden) Bedingungen einschließen. Vor dem Hintergrund dieses Anliegens ist es jedoch analytisch notwendig, über eine Rechtsfassung von citizenship und Status einer (bloß) formellen Zugehörigkeit/Staatsangehörigkeit hinauszugehen und zu fragen „wie die (heteronormative) Strukturierung“ von Staatsbürgerschaft „sowohl Personen und Praxen ausschließt (oder nur unter bestimmten Bedingungen einschließt) als auch Gegenstands- und Handlungsfelder anordnet“ (Hark/Genschel 2003: 139). Staatsbürgerschaft begreife ich in Rekurs auf Engin F. Isin und Bryan S. Turner somit als „social process“ und „social practices“, wonach der Fokus weniger auf den „legal rules“ sondern mehr auf „norms, practices [...] meanings, and identities“

13 Zum Begriff einer ‚lesben-affirmativen Perspektive‘ siehe die Ausführungen im nächsten Kapitel.

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liegt (Isin/Turner 2002b: 4ff.). Citizenship verweist damit auf Praxen und Diskurse, welche politische Zugehörigkeit organisieren, wirkt aber gleichzeitig als strukturierendes Schema, welches die ‚Denkbarkeit‘ von politischer Partizipation und Mitgliedschaft selbst vorgibt (vgl. quaestio 2000b: 21). Staatsbürgerschaftsdiskurse und -praxen können somit auch als Konstitutions- und Produktionsinstrumente von politischer Intelligibilität aufgefasst werden, da sie jene Anweisungen, Bedingungen und Vorschriften vorgeben, die festlegen, welche Körper als denk- und lebbare Körper politische Repräsentation und Partizipation, Sichtbarkeit, Präsenz und Existenz erlangen und damit erst zu legitimen Staatsbürger*innenkörpern ‚von Gewicht‘ werden können (vgl. Klapeer 20012; Ludewig 2002; Genschel 2000; Butler 1991). Staatsbürgerschaft entscheidet folglich nicht nur über die vollwertige politische Mitgliedschaft in einer nationalen/politischen Gemeinschaft und den damit verbundenen Rechten, Ressourcen und Privilegien im engeren Sinn, sondern gibt auch die Form und somit ‚Denkbarkeit‘ und ‚Grammatik‘14 politischer Teilnahme, politischer Subjektivität und Handlungsfähigkeit sowie die Gestaltung des politischen Raumes, in dem dies er-/gelebt werden kann, vor. Insofern geht es mir auch darum, Staatsbürgerschaft als Dispositiv gouvernementaler Herrschaft und damit strukturierendes, regulierendes und produktives Wissens-/Regime, das das Feld eventuellen Handelns/Denkens/Sprechens in unseren politischen Gemeinschaften absteckt, und nicht nur als unmittelbar politisch-juridisch arbeitendes Regime, zu untersuchen. Mit diesem Fokus möchte ich jedoch keineswegs die Bedeutung von Staatsbürgerschaft als politisch-juridisches Regime und damit auch den Einfluss von Staatsbürger*innenrechten auf/für das (Über-)Leben von LGBTIQs bzw. insgesamt in Frage stellen. Trotzdem intendiert meine Forschungsarbeit eine Transgression der aktuell stark auf die Rechtsdimensionen von citizenship fokussierten Diskussionen, in welchen häufig mittels einer Addition bzw. Aufzählung der jeweiligen (formalen) Staatsbürgerrechte von LGBTIQs (z.B. Heiratsrecht, Adoptionsrecht etc.) ihr citizenship-Status quantitativ ermittelt und somit auch natio-

14 Der Begriff der Grammatik wird hier in Anlehnung an Antonio Gramsci (1999 [1935/Heft 29]) verwendet, wobei Gramsci zwischen einer ‚immanenten Grammatik‘ als explizites und formales Regelwerk einer Gesellschaft/des Politischen und einer ‚normativen Grammatik‘, die ein Feld politisch konformer Handlungsoptionen schaffen soll, unterscheidet. Staats-/Bürgerschaft bzw. Staats-/Bürgerschaftskonzepte beinhalten nun Aspekte einer ‚immanenten‘ wie ‚normativen Grammatik‘, da sie sowohl als formale als auch normanleitende Institution fungieren und wirksam werden und entsprechende sexuell-vergeschlechtlichte Normen und Regeln schaffen.

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nal vergleichbar (gemacht) wird bzw. werden soll.15 Die Problematik eines solchen Fokus liegt u.a. darin, dass damit die Heteronormativität als „staats- und politikstrukturierender Modus“ (Raab 2012: 27) unsichtbar gemacht wird und somit (institutionalisierte) Diskriminierungen bzw. Lesben-, Schwulen- und Trans*feindlichkeit als zu überwindende Momente ‚irrationaler Angst‘ 16 und/oder ‚Überbleibsel‘ einer prämodernen, anti-aufklärerischen Weltsicht und eben nicht als konstituierende Momente von Staatsbürgerschaft bzw. den Institutionen und Wissenssystemen der ‚Moderne‘ und des ‚Politischen‘ selbst erscheinen. Darüber hinaus ist gerade vor dem Hintergrund der für die (neuzeitliche) Institution der Staatsbürgerschaft konstituierenden Dichotomie privat/politisch die staatsbürgerliche Position lesbischer Existenzweisen auf Basis einer auf ‚Rechte‘ fokussierten Analyse nur begrenzt zu fassen, haben doch gerade feministische Theoretikerinnen und Aktivistinnen immer wieder auf die Widersprüche und Divergenzen zwischen ‚formalen Rechten‘ bzw. ‚formaler Staatsbürgerschaft‘ und der substantiven Ausübung bzw. dem substantiellen Zugang zu diesen Staatsbürger*innenrechten hingewiesen (vgl. Lister 1997a; Yuval-Davis 1997a; Yuval-Davis 1997b). Mein (feministisches) Wissen um die geschlechtsspezifisch je unterschiedlichen Konstruktions- und Diskriminierungsweisen männlicher und weiblicher Homosexualität17 und ihrem Verhältnis zu Staatlichkeit, verstärkten darüber hinaus mein Bestreben, neue produktive Verbindungen zwischen sozialwissenschaftlichen Citizenship Studies, feministischen Staats(bürger*innenschafts)theorien sowie queeren und lesbisch-feministischen Forschungs- und Theorieansätzen herzustellen.

15 Vgl. dazu die ‚world map‘ der „International Lesbian and Gay Association“ (ILGA), online verfügbar auf: http://ilga.org/ilga/en/article/1161 (Zugriff: 31.07. 2010). 16 Vgl. dazu den Gebrauch des Begriffes der Homophobie, der in der öffentlichen Diskussion vielfach individualisierend als unbewusste, irrationale Angst vor Lesben und Schwulen verwendet wird. 17 Wie historische und aktuelle Forschungsarbeiten zeigen, verlief die Kategorisierung, Systematisierung und Pathologisierung weiblicher Homosexualität unter anderen Vorzeichen und Bedingungen als die der männlichen Homosexualität (vgl. u.a. Hacker 1987). Vor dem Hintergrund eines historisch institutionalisierten, ungleichen Geschlechterverhältnisses haben wir es daher auch mit unterschiedlichen Diskriminierungsformen von lesbischen Frauen und schwulen Männern zu tun, wobei auch innerhalb der Gruppe der lesbischen Frauen und jener der schwulen Männer Differenzen je nach Genderperformance und/oder geopolitischer Herkunft, Rassekonstruktionen und ökonomischem Status/Klasse, ‚Ability‘ etc. zu konstatieren sind (vgl. u.a. Ohms/ Stehling 2001; Ohms 2003).

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Diese Forschungsarbeit stellt demnach einen begrenzten Versuch dar, einige „Spuren“18 dieser wirkmächtigen politischen Institution der Neuzeit archäologisch und genealogisch19 zu dechiffrieren und ihre heteronormativen Implikationen mit Fokus auf lesbische Existenzweisen freizulegen. Insofern ist diese Forschungsarbeit von der Frage geleitet, ob ‚lesbische Staatsbürger*innen/-schaft‘ vor dem Hintergrund der heteronormativen und androzentrischen Implikationen und Geschichte(n) von Staatsbürgerschaft überhaupt intelligibel ist bzw. auf Basis welcher Kriterien und Bedingungen sich staatsbürgerliche Intelligibilität grundsätzlich bestimmen lässt: Welche Bedingungen von Mitgliedschaft und welche Voraussetzungen staatsbürgerlicher Teilhabe wurden in der politischen Neuzeit Europas von unterschiedlicher Seite definiert? Welche Kriterien muss/te ein Körper erfüllen, um ein intelligibler Staats-/Bürgerkörper und als solcher ein Körper von „politischer Gewichtigkeit“ (Ludewig 2002: 189) sein bzw. werden zu können? Welche körpermorphologischen und sexuell-geschlechtlichen Seinsweisen fungier(t)en als Kriterium staatsbürgerlicher Intelligibilität und wurden/werden damit zu den (einzigen) ‚denk- und lebbaren‘ Modi einer Staats/Bürger*innenexistenz erklärt? Wie wirken diese (Inklusions-)Bedingungen bis heute als epistemische20 und strukturelle Gewalt politischer Handlungsmöglichkeiten? Und: Wie haben sich die Kriterien staatsbürgerlicher Intelligibilität vor dem Hintergrund neoliberaler Gouvernementalität und angesichts EUropäischer sowie nationaler Gleichstellungs- und Antidiskriminierungspolitiken verändert? Ist die Figur einer lesbischen Staatsbürgerin intelligibel geworden? Wenn ja, unter welchen Voraussetzungen, Bedingungen und ‚Nebenwirkungen‘ kann eine lesbische Staatsbürgerin nun politisch intelligibel werden und damit Inklusion erfahren? Bestärkt wurde ich in diesem Erkenntniswunsch aber auch durch den vorliegenden Forschungsstand zum Verhältnis von Heteronormativität, Geschlecht und Staatsbürger*innenschaft. Während feministische Forschungsarbeiten zur androzentrischen Verfasstheit von Staatsbürgerschaft Sexualität bisher nur begrenzt als politische Strukturkategorie eingesetzt haben und Unterschiede zwischen Frauen vorrangig in Bezug auf die sozialen Strukturkategorien(!) der ‚Herkunft‘, ‚Klasse‘, ‚Rasse‘ analysierten, tendieren aktuelle, queere citizenship-

18 Zum Begriff der „Spur“ vgl. Derrida (1990). 19 Zur Methode der ‚Archäologie‘ und ‚Genealogie‘ siehe Kapitel 2. 20 Der Begriff der epistemischen Gewalt zielt auf „spezifische Konfigurationen von ‚Erkenntnis‘, die dazu angetan sind, gewaltförmige Verhältnisse oder Handlungen zu begründen, zu legitimieren oder jedenfalls unterstützend zu begleiten“ (Nowotny 2008: o.J.).

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Analysen wiederum zu einem gender-neutralen Ansatz, „thus failing to differentiate lesbians from other ‚queers‘ or ‚gay men‘“ (Richardson 2000b: 262). Trotz des wissenschaftlichen Booms von citizenship-Analysen in- und außerhalb der Gender und Queer Studies seit den 1990er Jahren, existieren demnach keine gendersensiblen Analysen zur Frage lesbischer Staatsbürgerinnenschaft, die in produktiver Weise die elaborierten feministischen Forschungen mit queeren Überlegungen verbinden würden. Diese Arbeit ist demnach ein erster Versucht die Institution Staatsbürger*innenschaft, die ihre zugrunde liegenden Diskurse und Prozeduren aus einer lesben-affirmativen Perspektive zu analysieren, gleichzeitig aber auch bestehende queere und feministische Forschungsarbeiten zur heteronormativen und vergeschlechtlichten Verfasstheit dieses Inklusions-/Exklusionsinstrumentes produktiv miteinander zu verbinden. Gleichzeitig ist diese Arbeit jedoch auch mit der Herausforderung konfrontiert, auch Differenzen, Ungleichheiten und Privilegierungen zwischen lesbischen Existenzweisen an der Schnittstelle zwischen ‚äußeren Exklusionsgrenzen‘ (u.a. durch die Verweigerung oder den Nicht-Besitz einer EU-Staatsangehörigkeit- bzw. formellen Staatsbürger*innenschaft entlang nationalstaatlicher bzw. EU-Grenzregime; oder rassistisch motivierten Exklusionen) und Formen der ‚inneren Exklusion‘ (lesbische Existenzweisen mit entsprechender formeller EU-Staatsbürger*innenschaft) adäquat zu berücksichtigen und derart auch die unterschiedlichen Formen der ‚Anrufung‘ als (potenzielle) Staatsbürgerin in den Blick zu nehmen.

AUFBAU

DES

B UCHES

Im ersten Kapitel dieser Arbeit wird durch eine kritische Zusammenführung unterschiedlicher Herangehensweisen und Konzepte aus der lesbischen/lesbischfeministischen Theoriebildung sowie unter starker Bezugnahme auf queere, dekonstruktivistische und postkoloniale Interventionen und Weiterentwicklungen dieser Ansätze eine erste kritische Begriffklärung und notwendige methodologische sowie wissenschaftstheoretische Problematisierung des Begriffs der ‚Lesbe‘ vorgenommen. Im Zuge dessen wird deutlich gemacht, dass die Begriffe ‚Lesbe‘ und ‚lesbisch‘ damit keine Bezeichnungen sind, die dieser Arbeit unproblematisiert zugrunde liegen oder ein ‚essentialistisch-identitätslogisches‘ Verständnis von ‚lesbisch‘ propagiert wird, sondern dass hier im Gegenteil von kontingenten, dynamischen, zeit- und kontextspezifischen und ephemeralen Identifizierungen und Existenzweisen ausgegangen wird. Gleichzeitig wird hier aber auch meine grundlegende epistemologische Position ausgeführt, begreife ich ‚lesbische Existenzweisen‘ doch als spezifische relationale soziostrukturelle und/oder politische

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Positionierungen im und jenseits eines hegemonialen diskursiven Modells der Geschlechter-Intelligibilität, womit sich ‚lesbisch‘ nicht einfach auf eine Form der ‚sexuellen Identität‘ oder ‚sexuellen Orientierung‘ reduzieren lässt, sondern gerade als ambivalente Produkte einer „konvergierenden Beziehung“ zwischen Formen (pathologisierender, diskriminierender) Anrufungen als ‚Lesbe‘ und (selbstgewählten) Aneignungen, Umarbeitungen und Subversionen dieser Bezeichnung (Butler 1995: 312ff.). Dementsprechend geht es mir in dieser Arbeit auch darum, einen analytisch-methodologischen Umgang mit dieser Positionierung/Identifizierung zu finden, der es mir erlaubt, strukturelle Differenzen und Unterscheidungen, Hierarchien und Ausschlüsse zu benennen, ohne jedoch ‚das Lesbische‘ selbst zu einer stabilen Kategorie zu erklären. Im ersten Teil dieses Buches werden daher ferner Staatsbürgerschaftskonzeptionen sowie existierende Forschungszugänge und -analysen einer lesbenaffirmativen Re-Perspektivierung unterzogen mit dem Ziel, (aktuelle) theoretische und methodologische Ansätze der (kritischen) Citizenship Studies für meine/eine Untersuchung entsprechend zu modifizieren, zu differenzieren oder zu verwerfen. Das Ziel dieser Überlegungen liegt demnach darin, ein entsprechendes methodologisches und konzeptionelles Instrumentarium zu entwickeln, mit dem der Staatsbürgerinnenstatus von lesbischen Existenzweisen (in ihrer Differenz und Uneindeutigkeit) entsprechend erfasst und verstanden werden kann. Im zweiten Teil des Buches begebe ich mich dann auf Basis meiner/einer lesben-affirmativen Methodologie auf eine philosophische Spurensuche mit dem Ziel, einige zentrale Konstitutionsbedingungen staatsbürgerlicher Intelligibilität offen zu legen. Anhand der diskursprägenden neuzeitlichen Staats-/Bürgerschaftskonzepte21 von Thomas Hobbes, John Locke, Jean-Jacques Rousseau und Immanuel Kant wird untersucht, welche Bedingungen und Kriterien an den Status politischer Mitgliedschaft geknüpft wurden und welche Rolle hierbei die, für

21 Ich verwende hier bewusst den Schrägstrich in Staats-/Bürgerschaftskonzepten, um auf die historische und philosophische Unterscheidung zwischen dem unternehmerischen, über Privatbesitz verfügenden, bereits territorial bestimmten, Besitz-Bürger (bourgeois) eines Untertanen- bzw. Rechtstaates und dem politisch aktiven, selbstbestimmten und entscheidungs(mit)tragenden Staatsbürger (citoyen) eines potenziell demokratischen Nationalstaates der Aufklärung hinzuweisen. Beide sind jedoch bis heute epistemologisch und realpolitisch untrennbar miteinander verbunden, was sich auch in dem Zusammenspiel der zivilen Rechte des Bourgeois mit den politischen und sozialen Rechten des citoyen als zentrale Grundlagen institutionalisierter Staatsbürgerschaftsrechte in demokratischen Staaten widerspiegelt (vgl. dazu Appelt 1999; Mackert 2006).

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die politische Neuzeit, ‚neuralgischen Punkte‘ ‚Geschlecht‘, ‚Sexualität‘ und ‚Rasse‘ als Raster der Intelligibilität spielten: Welche (sexuellen und geschlechtsspezifischen) Voraussetzungen und Bedingungen müssen also nach Hobbes, Locke, Rousseau und Kant jeweils erfüllt werden, damit jemand als Staats-/Bürger des von ihnen entworfenen politischen Gemeinwesens anerkannt wird? Wer bleibt aufgrund welcher Kriterien exkludiert? Und: Wie kommt es überhaupt zur (fiktiven) Konstituierung dieses Gemeinwesens, welche Geschlechter- und Sexualitätskonstruktionen werden dabei vor dem Hintergrund der zunehmenden Etablierung kolonialer Deutungs- und Repräsentationssysteme vorgenommen und als konstitutiv für den Vertragsschluss gesetzt? Dies bedeutet folglich, dass hier die „diskursive Formen“ von Staatsbürgerschaft in den Blick genommen werden, um gleichsam sexuelle und vergeschlechtlichte Bedingungen und Kriterien staatsbürgerlicher Intelligibilität als Voraussetzung neuzeitlicher politischer Subjektivität und Handlungsfähigkeit sichtbar zu machen (Turner 1992). Der dritte und vierte Teil dieses Buches beschäftigt sich dann explizit mit den Effekten und Operationsweisen dieser diskursiven Konstruktionen staatsbürgerlicher Intelligibilität und fragt danach, welche abjektivierenden und exklusivierenden Auswirkungen die auf Basis dieser (keineswegs kohärenten oder ahistorischen22) Intelligibilitätskriterien operierenden „politics of citizenship“ auf lesbische Existenzweisen entfalte(te)n (ebd.). Zeitlich setze ich dort an, wo die Kategorie ‚der Lesbe‘ in Europa ihre natur- und sexualwissenschaftliche Fundierung erfuhr bzw. ihre Systematisierung zum größten Teil bereits abgeschlossen war und ‚die Lesbierin‘ als politische und soziale Kategorie zur Grundlage von Grenzziehungen sowie von disziplinierenden und normierenden Operationen und Prozeduren werden konnte (vgl. Hacker 2000).23 Insofern interessieren mich hier

22 Hier wird keineswegs davon ausgegangen, dass es gleichsam einen abgeschlossenen ‚Katalog‘ von staatsbürgerlichen Intelligibilitätskriterien gibt, sondern im Gegenteil, wird auf deren historische Veränderbarkeit sowie auf Inkohärenzen verwiesen. Gleichzeitig sind einige der bei Hobbes, Locke, Rousseau und Kant untersuchten Intelligibilitätskriterien jedoch performativ und somit konstitutiv für Staats-/Bürgerschaftskonzepte und -politiken der politischen Neuzeit in Europa. 23 Hanna Hacker geht in ihrer historischen Rekonstruktion der Systematisierung weiblicher Homosexualität von zwei Phasen aus, wobei sie die erste Phase von ca. 1870 bis 1890 ansetzt, in der es vor allem um eine vereinzelte Untersuchung und Erfassung sogenannter ‚conträrsexueller Frauen‘ in der Sexualwissenschaft ging. In der zweiten Phase wurden im Kontext der zunehmenden politischen Emanzipationsversuche und -kämpfe von Frauen sowie dem Erstarken der Frauenbewegungen, die Systematisie-

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besonders jene institutionellen und diskursiven Grundlagen von Staatsbürgerschaft, die trotz der Gewährung des allgemeinen Wahlrechts und der (formellen) Universalisierung des Staatsbürger*innenschaftsstatus zu Beginn des 20. Jahrhunderts lesbische Existenzweisen im Rahmen differenzieller Exklusionsmechanismen zu strangers within machten und als abject citizens konstituier(t)en. In Rekurs auf die Interpellationstheorie von Louis Althusser und ihrer poststrukturalistischen und queer-theoretischen Aneignung durch Michel Foucault und Judith Butler werden hier staatsbürgerliche Anrufungs- und Identifikationsprozesse als performative Sprech- und produktive Subjektivierungsakte in den Blick genommen und nach den Effekten auf/für lesbische Existenzweisen gefragt. Denn wie Encarnación Gutiérrez Rodríguez betont, haben nicht „alle Subjekte […] die gleichen materiellen Folgen von institutionellen Bezeichnungsdynamiken zu tragen“ (Gutiérrez Rodríguez 1999), was in diesem Kontext bedeutet, die spezifischen Effekte von androzentrisch-heteronormativen Staatsbürgerschaftsdiskursen und -praxen auf lesbische Existenzweisen zu untersuchen und damit aus einer intrakategorialen Perspektive Unterschiede zwischen weiblichen Staatsbürgerinnen sowie zwischen unterschiedlichen (homosexuellen) abject citizens in den Blick zu nehmen. In diesem Kontext geht es mir auch um eine Untersuchung von unterschiedlichen Dimensionen (political, cultural, economic citizenship) und Wirkungs-/Räumen (Ehe, Reproduktion, Verwandtschaft, Medien, politische Repräsentation und Partizipation) von Staatsbürgerschaft als „locations where […] citizenship [is] constituted through the citizen’s sexuality“ (Bell 1995: 139). Diese werden entlang der Frage analysiert, wie in diesen Kontexten androzentrische Heteronormativität instituiert und reproduziert wird und was dies auf Basis bestehender (ungleicher) Geschlechter- und gesellschaftlicher Verhältnisse jeweils für die (abjektive) Staatsbürgerinnenposition von lesbischen Existenzweisen als strangers within bedeutet. Letztlich geht es hier vor allem auch um die Frage, ob und unter welchen Bedingungen, oder auch zu welchem ‚Preis‘, ein Eintritt in die Zone staatsbürgerlicher Intelligibilität für lesbische Existenzweisen möglich wird/möglich geworden ist und inwieweit dieser Modus der Inklusion vor dem Hintergrund einer fundierten lesbisch-feministisch-queeren und antirassistischen Gesellschaftskritik überhaupt erstrebenswert ist. Dementsprechend endet diese Arbeit mit einem Plädoyer für einen epistemologischen und konzeptionellen Perspektivenwechsel. Entgegen aktueller Trends innerhalb der Citizenship Studies schlage ich in diesem Zusammenhang keine

rungsversuche auf tendenziell alle Frauen ausgeweitet, die sich in irgendeiner Weise den traditionellen Weiblichkeitsmustern verweigerten (Hacker 1987: 33ff.).

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neue(re)n ‚inklusiveren‘ oder ‚besseren‘ Staatsbürger*innenschaftskonzepte oder -modelle vor, welche (vermeintliche) ‚Interessen‘ oder ‚Bedürfnisse‘ von lesbischen Existenzweisen adäquat berücksichtigen würden. Orientiert an bestehendem, „ausreichend“ vorhandenem „Handwerkszeug für konsequentes Partisaninnentum und kollektives Aufbegehren“ (Hacker 1991: 31f.) innerhalb lesbischer, feministischer und queerer Bewegungen, plädiere ich hier im Gegenteil für einen grundlegenden Perspektivenwechsel, bei dem die subversive Kraft v.a. in der Umdeutung von Strukturen und Räumen der Inklusion und somit der Definition dessen, was überhaupt als Staatsbürger*innenschaft verstanden wird, geortet wird. Dabei geht es mir um ein ganz und gar bewegungsgeschichtlich orientiertes Insistieren auf existierende/gelebte subversive Praktiken und Räume lesbischer, feministischer und queerer Bewegungen und Aktivist*innen und der Frage, inwieweit gerade ‚alternative‘ Formen der politischen Kommunikation und Partizipation als Formen dissidenter oder gegenhegemonialer Staatsbürger*innenschaften in den Blick genommen werden sollen. Am Ende dieser Diskussion steht also die Frage, welche Be-/Deutung diesen Praktiken und Räumen gerade im Zusammenhang mit einer Kritik an exklusivierenden Praktiken von Citizenship in Vergangenheit und Gegenwart zukommt und inwiefern diese ‚perversen Staatsbürger*innenschaften‘ gleichsam als Nuklei24 in der Kreation (alternativer Formen) politischer Intelligibilität, Zugehörigkeit und Anerkennung fungieren können.25 Die ‚perverse Bürgerin‘ liegt dieser Arbeit daher auch als ‚Leitfigur‘ zugrunde, jedoch in ihrer widersprüchlichen Vieldeutigkeit: Einerseits werden/wurden lesbische Existenzweisen als ‚perverse (Nicht-)Bürgerinnen‘ und perversdeviante Existenzen konstruiert; ihr ‚pervers-phallisches‘ oder ‚deviantzügelloses‘ Begehren, ihre ‚nicht-weiße‘ oder ‚unweibliche‘ Existenz fungierte

24 Den Begriff der „Nuklei“ verwende ich in Anlehnung an Arturo Escobar (1995). In seiner Postdevelopment-Kritik schreibt er sozialen Bewegungen das Potenzial zu, sogenannte „Nuklei“ zu kreieren. Unter Nuklei versteht Escobar alternative bzw. herrschaftskritische Wissens-Macht-Erfahrungsknotenpunkte. Das darin produzierte neue kulturelle Wissen könne demnach in Form ‚alternativer‘ Diskurse/Narrative zur Grundlage gesellschaftlicher Transformationen und damit der Bearbeitung von globaler Ungleichheit dienen. 25 Ich danke in diesem Zusammenhang Ruth Becker, die mir im Rahmen eines Gesprächs eine mit diesem Punkt unmittelbar in Verbindung stehende Erkenntnis gewährt hat: Feministinnen sollten nach Becker nicht nur darauf insistieren in ‚der Öffentlichkeit‘ präsent zu sein, sondern sich auch fragen: „Was sind all die feministischen Räume, Medien und Orte anderes als Öffentlichkeit?“ (Gedächtnisprotokoll)

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gleichsam als Grenzmarker gegenüber ‚richtigen‘ (weißen) Weiblichkeiten und der Definition und Eingrenzung der Staatsbürger*innenpflichten von Frauen. Gleichzeitig verweist die Position der ‚perversen Bürgerin‘ auch immer auf die drohende Gefahr und das aktive Moment einer subversiven Aneignung der ‚phallisch-männlich-aktiven‘ Position, einer Destabilisierung des heteronormativen Geschlechterverhältnisses und den ihm zugrundeliegenden Begehrensnormen. Die vielfältige Geschichte der Pathologisierung, Stigmatisierung Unsichtbarmachung, Regulierung und Normalisierung ‚perverser Existenzen‘kann daher gerade als Evidenz ihrer Macht zur Destabilisierung gelesen werden. Die ‚perverse Bürgerin‘ ist/lebt prekär, aber sie schafft gleichzeitig auch Prekarität. 26

26 Dieser Interpretation liegen die theoretischen Ausführungen von Teresa de Lauretis (1999) zum „perversen Begehren“ von Lesben als Entkoppelung vom Phallus als ‚Meistersignifikanten‘ zugrunde sowie die Überlegungen von Judith Butler zum Resignifaktionspotenzial des „lesbischen Phallus“ (Butler 1995).

Beyond the straight mind: Epistemologische und methodologische Ausgangspunkte The shift entails […] a dis-placement: leaving or giving up a place that is safe, that is ‚home‘ – physically, emotionally, epistemologically – for another place that is unknown and risky, that is […] conceptually other; a place of discourse from which speaking and thinking are at best tentative, uncertain, unguaranteed. But the leaving is not a choice: one could not live there in the first place. TERESA DE LAURETIS1

Q UEER ( Y ) ING THE L ESBIAN ALS ( NICHT NUR ) THEORETISCHE H ERAUSFORDERUNG Lesbische Existenzweisen als kontingente, dynamische und ephemerale Identifizierungen Queere und de-/konstruktivistische Problematisierungen von sexuellen und geschlechtlichen Identitäten sowie der Dichotomie von Homo-/Heterosexualität haben ‚die Lesbe‘ in den letzten Jahren (zur Recht) zu einer ‚troubled category‘ innerhalb der wissenschaftlichen Forschung erklärt und dadurch auch entsprechende Forschungsthemen um vieles mehr verkompliziert, als dies frühere ‚troublings‘ innerhalb lesbischer/feministischer Theorie-, Politik- und Bewe-

1

Lauretis, Teresa de (1990): Eccentric Subjects. Feminist Theory and Historical Consciousness, in: Feminist Studies, 16. Jg., Nr. 1, 138.

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gungskontexte je vermochten. Heute erscheint es daher schwieriger denn je, ‚die Lesbe‘ zum Forschungsgegenstand einer kritischen Gesellschaftsanalyse zu machen, ohne die Ambivalenz und Problematik, die damit verbunden ist, selbst zum Ausgangspunkt der (eigenen) kritischen Auseinandersetzung zu machen (vgl. Hark 1996a). Insofern war ich in dieser Forschungsarbeit immer wieder mit dem Problem konfrontiert, was unter dem Begriff ‚lesbisch‘ oder ‚Lesbe‘ eigentlich zu verstehen ist, wie er in den unterschiedlichen Kontexten jeweils zu verwenden ist und wie und ob er vor dem Hintergrund meiner/einer de-/konstruktivistischen und queeren Verortung überhaupt kritisch und reflexiv in der eigenen Analyse eingesetzt werden kann oder soll. ‚Lesbe‘ und ‚lesbisch‘ sind damit keine Bezeichnungen, die dieser Arbeit unproblematisiert zugrunde liegen. Im Gegenteil war und ist mein forscherischer Zugang maßgeblich gekennzeichnet durch ein permanentes Austangieren zwischen der theoretischen Erkenntnis, dass die Konstruktion ‚der Lesbe‘ ebenso wie die Erscheinung/Benennung ‚lesbischer Subjekte‘ als historisch und geopolitisch spezifischer Prozess der Verschränkung von Geschlecht, Sexualität und Identität und damit als zeit-, ort- und kontextabhängiges Produkt der ‚Moderne‘ zu betrachten ist und der Einsicht, dass diese Prozesse aber auch reale materiell gesellschaftliche Auswirkungen entfalte(te)n sowie bewegungs-/politische, biographische und transnationale Prozesse in Gang setzten, in denen die damit Bezeichneten diese Benennung destabilisierten, transformierten, sich aneigneten und/oder neu besetzten (vgl. Hacker 1987; Phelan 1994; Hark 1999a). Personen, die mit dem Begriff ‚Lesbe‘ bezeichnet werden oder sich selbst so bezeichnen, existieren innerhalb dieser Kategorie folglich immer nur als ephemerale Subjekte, deren Existenzweisen jeweils nur fragmentarisch im Rahmen dieser Bezeichnungen beschrieben werden können/sollen. Gleichzeitig ist jedoch die Kategorie ‚Lesbe‘ immer auch eine relationale Kategorie, die eben nicht nur auf einer geschlechtlich-sexuellen Selbstdefinition und Selbstartikulation beruht/e, sondern in und durch medizinische, soziale, kulturelle, politische, juridische und ökonomische Praxen und Kontexte konstituiert und produziert wird/wurde (vgl. Rich 1986; Wittig 1992a) Das heißt, ‚die Lesbe‘ ist zwar zu Recht durch queere Praxen und die Interventionen von Black/Chicana Lesbians als kohärente und stabile Identität dekonstruiert worden, doch deswegen sind jene Mechanismen, (institutionalisierte) Praktiken und Diskurse, die eine hierarchisierende, diskriminierende, gewalttätige und/oder ausschließende Wirkung auf damit bezeichnete Personen entfalten, noch nicht aufgehoben. Die politische und diskursive Umkämpftheit dieses Begriffs im Spannungsverhältnis zwischen seinem Einsatz als mögliche (positive) Selbstbezeichnung auf der einen oder Instrument der Pathologisierung oder Stigmatisierung auf der anderen Zeit zeigt

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folglich gerade auch die Instabilität und den Konstruktionsgehalt dieser Bezeichnung selbst auf (vgl. Hark 1996b). Folglich gibt es auch nicht „eine Form ‚lesbischer Identität‘, sondern viele ‚Lesbianismen‘. Das eine Wort situiert eine Vielzahl von Konstruktionen, alle umschrieben von Zeit und Raum.“ (Hark 1996b: 133) Eine ‚Anrufung‘ als ‚Lesbe‘ mit der Absicht einer Pathologisierung oder Stigmatisierung setzt also keineswegs eine (selbstgewählte) Identifizierung mit diesem Begriff voraus; eine Identifizierung mit diesem ‚Namen‘ setzt umgekehrt aber auch keine spezifische Form der Sichtbarkeit oder ‚Erkennbarkeit‘ ‚als Lesbe‘ voraus. Darüber hinaus betrachte ich diese ‚Anrufung‘ bzw. eine (selbstgewählte) Identifizierung als ‚Lesbe‘ auch als unabhängig vom jeweiligen körpermorphologischen Geschlecht bzw. der kulturell-sozialen Geschlechtszuweisung (sex). Das heißt, lesbische Identifizierungen oder Anrufungen verweisen in meiner Lesart nicht zwingenderweise auf eine als ‚weiblich‘ kategorisierte Körpermorphologie, sondern umfass(t)en historisch und aktuell eine Vielzahl an uneindeutigen geschlechtlichen Markierungen, Körpern und Selbstidentifizierungen, die sich gerade zwischen und jenseits einer eindeutigen heteronormativen Zweigeschlechtlichkeit und einer Kohärenz zwischen Sex, Gender und Begehren beweg(t)en. Diese nicht aufzulösende Ambivalenz, dieses grundsätzliche „semiotische Problem“ (ebd.: 97) in der Beziehung zwischen den Signifikaten und dem Signifikanten ‚Lesbe‘, hat mich folglich dazu inspiriert, das von Andrea Maihofer entwickelte Konzept vom „Geschlecht als Existenzweise“ (1995) lesbentheoretisch zu deuten und in Form des Terminus der ‚lesbischen Existenz/weise‘ dazu zu verwenden, auf diese Gleichzeitigkeit von performativen Prozessen der Hervorbringung einer Kategorie und der Materialität der eingesetzten Denk- und Gefühlsweisen, Körperpraxen und -formen sowie gesellschaftlichen Verhältnisse, Bewegungen und Institutionen hinzuweisen. Für mich impliziert dieser Ansatz folglich auch die Einsicht, dass ‚Lesben‘ eben als materialisierte Identitäten und Personen in einer „bestimmten Art und Weise […] existieren“, fühlen und denken und damit ihre ‚lesbische Existenzweise‘ immer auch über diese Kategorisierung hinausreicht, sie diese aneignen und subvertieren können, sich die jeweilige Bedeutung somit auch situativ ständig verändert und damit letztlich auch niemals eindeutig bestimmbar ist, was unter ‚lesbisch‘ zu verstehen ist (ebd.: 84f.). Folglich orientiere ich mich an einer Theoretisierung des „les-being“ (Wilton 1995: 49) als einer Bindestrichkonstruktion, mit welcher der Fokus auf einer performativ gedachten, dynamischen und relationalen Identifizierung und nicht

2

Vgl. dazu die Ausführungen zum Konzept der ‚heterosexuellen Matrix‘ von Judith Butler (1991) im nächsten Abschnitt.

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einer essentiell oder stabil gedachten Identität liegt (vgl. Boxhammer/Leidinger 2005; Bührmann 1996). In Rekurs auf Judith Butler kann die „Lesbe“ damit auch als unabgeschlossenes und performatives Produkt einer „konvergierenden Beziehung“ zwischen einer „konstitutive[n] Geschichtlichkeit“ und deren Aneignung, Umarbeitung und Subversion innerhalb bestimmter diskursiver Grenzen gedacht werden (Butler 1995: 312ff.). Die ‚Lesbe‘ ist damit sowohl „Instrument regulativer Regime der Normalisierung“ (Hark 1996b: 98) und gleichzeitig aber auch ein möglicher Ort und eine mögliche Existenz, die eine Form des Einspruchs, der „Störung, des Irrtums, der Verwirrung und des Unbehagens“ (Butler 1996: 19) anzeigt. Ich verstehe damit die ‚Lesbe‘ als „dynamisches, unabgeschlossenes sozio-diskursives Konstrukt“ mit höchst bedeutenden materiellen, existentiellen und politischen Folgen (Engel 1996: 80). Dementsprechend geht es mir in dieser Arbeit auch darum, einen analytisch-methodologischen Umgang mit dieser Positionierung/Identifizierung zu finden, der es mir erlaubt, strukturelle Differenzen und Unterscheidungen, Hierarchien und Ausschlüsse zu benennen, ohne jedoch ‚das Lesbische‘ selbst zu einer stabilen Kategorie zu erklären (vgl. ebd.). Wesentliche theoretische Bezugspunkte für diese performativ gedachte Identifizierung, die ‚lesbisch‘ nicht als sexuelle Orientierung, sondern als spezifische soziostrukturelle und/oder politische Positionierung und ‚Existenz‘ begreifen, sind für mich jedoch nicht nur als queere und de-/konstruktivistisch rezipierte Ansätze, sondern insbesondere auch lesbisch-feministische Überlegungen (Rich 1986; Wittig 1992a; Lorde 1984; Anzaldúa 2012 [1987]). Als de-/konstruktivistische Weiterführung und Ausdifferenzierung dieser frühen lesbischfeministischen Ansätze war für mich folglich besonders das von Shane Phelan entwickelte Konzept der „specificity“ prägend (Phelan 1994). Phelan schlägt darin eine de-ontologisierende und essentialismuskritische Perspektivierung lesbischer Existenzen als kontingente und fluide Identifizierungen und Situierungen vor, welche subversiv und politisch angeeignet und genützt werden können/sollen, ohne dabei jedoch ihre spezifische strukturelle und politische Positionierung in einem heteronormativen Herrschaftsverhältnis zu vernachlässigen (ebd.). „We need both to specify, through categorical reference, our location in various systems of power, and to insist that there is more to us than the categories, that we have an integrity that cannot be captured in those terms. Specificity is about recognition of differences, but talk of difference has too often left us with little beyond a suspect pluralism. We need structural analyses of particular differences […], [because] a theoretical formulation in terms of ‚difference‘ does not force the thinker to remember the ground of difference, the

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networks of meaning and power within which differences appear. There is nothing wrong with thinking about difference, but without the imperative of specificity it can too easily become a vague pluralism of fastidious deconstruction.“ (Ebd.: 8f.)

Damit basiert meine Forschungsarbeit auch auf einer queer-theoretisch inspirierten „lesbian-affirmative analytic“, in welcher es darum geht, den wissenschaftlichen Fokus auf jene Diskurse, Praktiken und Institutionen zu richten, welche diesen ‚Namen‘ hervorbringen/hervorbrachten und derart Formen der Exklusion, Diskriminierung und/oder Gewalt produzier(t)en und legitimier(t)en ebenso wie jene Subjekte und deren Verhältnisse in den Blick zu nehmen, welche mit diesem ‚Namen‘ bezeichnet werden/wurden bzw. sich selbst so bezeichnen/bezeichnet haben (Traub 2002: 13ff.). Insofern stimme ich Christiane Leidinger und Ingeborg Boxhammer zu, wenn sie betonen, dass die wissenschaftliche „Nutzung des Begriffs ‚Lesbe‘“ keineswegs „in gleichsam ‚logischer‘ Konsequenz lesbische Identität voraussetzt, simple Kontinuitäten herstellt, historische Gebundenheiten und Dynamiken ausblendet, platt Modernes auf Historisches projiziert, unterschiedliche Konzepte von Frauenliebe negiert oder in anderer Form Geschichte nicht differenziert re/konstruiert“ (Leidinger/Boxhammer 2005: 121). Mit dieser Perspektive geht es mir umgekehrt aber auch keinesfalls darum, im Namen von ‚Lesben‘ zu sprechen (wer immer diese Gruppe auch sein mag) oder gar ‚Eigenschaften‘ oder ‚gemeinsame Interessen‘ zu proklamieren. Damit bleibt eine derartige wissenschaftliche Beschäftigung aber auch ein paradoxes Unterfangen, weil das, was untersucht wird, gerade destabilisiert, permanent befragt und verändert transformiert werden soll. Jenseits einer sexuellen Identität: Heteronormativität und die Interdependenz und Kontextualität von sozialen Strukturkategorien Eine queer-theoretisch inspirierte lesben-affirmative Herangehensweise erfordert freilich eine Methodologie, welche von der Einsicht einer Interdependenz, (geopolitischen) Kontextualität und Historizität sozialer Strukturkategorien und Machtverhältnisse getragen wird. Situierungen und Positionalitäten von lesbischen Existenzweisen sind daher weder mit dem Konzept einer doppelten oder mehrfachen Diskriminierung zu begreifen, noch lässt sich ‚lesbisch‘ einfach auf eine Form der ‚sexuellen Identität‘ oder ‚sexuellen Orientierung‘ reduzieren. Theoretisch schließe ich in diesem Kontext an die Überlegungen von Judith Butler und ihrem Konzept einer „heterosexuellen Matrix“ als „hegemoniales diskursives Modell der Geschlechter-Intelligibilität“ an, das spezifische Regeln für die

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Formierung von kulturell ‚sinnvollen‘, also intelligiblen Geschlechtern/Geschlechtskörpern vorgibt (Butler 1991: 119f.). Die „heterosexuelle Matrix“ steht nach Butler also für ein „Raster der kulturellen Intelligibilität“, welche Folgendes verlangt: Damit ein Körper „sinnvoll“ und anerkannt ist, muss er ein stabiles Körpergeschlecht (sex) haben, das durch ein entsprechendes sozialkulturelles Geschlecht (gender) sowie „durch die zwanghafte Praxis der Heterosexualität“ in einer hierarchischen und gegensätzlichen Form zum Ausdruck gebracht wird (Butler 1991: 220). Das heißt, ‚Weiblichkeit‘ bzw. ‚Frau-Sein‘ (ebenso wie ‚Männlichkeit‘ bzw. ‚Mann-Sein‘) konstituiert sich (erst) durch ein gegengeschlechtliches Begehren, womit das sozio-kulturelle Geschlecht/die Geschlechtsidentität (gender), das Körpergeschlecht (sex) und Begehren/Sexualität (desire) in einer „Matrix“ miteinander verbunden werden und sich jeweils voneinander ableiten lassen (müssen). In ihrer (meta-)theoretischen Rekonstruktion der Konstitutionsmodi von Geschlecht macht Butler somit deutlich, dass die Annahme einer natürlichen Zweigeschlechtlichkeit von einem phallogozentrischen und „regulierenden Apparat der Heterosexualität“ (Butler 1995: 36) erzwungen wird. Das heißt, aufbauend auf der These der diskursiven und performativen Hervorbringung von Geschlecht legt Butler dar, in welcher Weise Geschlecht nicht nur binär und hierarchisch verfasst, sondern auch mit einem gegengeschlechtlichen Begehren verbunden ist/sein muss (Butler 1991: 27). Die Formierung eines intelligiblen Geschlechts wird daher gerade durch die Verwerfung von homosexuellem Begehren konstituiert, was ‚die Lesbe‘ also gleichsam zum Abjekt weiblicher Subjektkonstitution macht und somit die Grenzen ‚legitimer‘ Weiblichkeit absteckt. Entgegen früheren (lesbisch-)feministischer Arbeiten zeigt Butler auf, dass der Zwang zur heterosexuellen Weiblichkeit folglich nicht als Effekt eines patriarchalen Geschlechterregimes verstanden werden kann, sondern umgekehrt der Zwang zur hierarchischen Geschlechterbinarität ohne „heterosexuellen Imperativ“ überhaupt keinen Sinn mache (Butler 1995). Diese normierende und regulierende „heterosexuelle Matrix“ kann nach Butler auch als eine Form der „normativen Gewalt“ analysiert werden, da sie spezifischen Regeln der/zur Vergeschlechtlichung und des (sexuellen) Begehrens vorgibt und dabei alles von diesen Regeln Abweichende ausschließt, verleugnet und/oder zu verworfenen Wesen – zu „Abjekten“ – macht (ebd.: 23). Die Konstituierung intelligibler (Geschlechter-)Subjekte wird also erst „durch die Kraft des Ausschlusses und des Verwerflichmachens“ von solchen Existenzen oder Begehrensformen ermöglicht, welche aus dem Raster kultureller Intelligibilität ‚herausfallen‘, darin nicht ‚denkbar‘ sind und/oder diesem nicht entsprechen können oder wollen (ebd.: 23). Damit ist aber umgekehrt auch Heterosexualität keine sexuelle Präferenz

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oder Identität, sondern setzt eine komplementär-hierarchische Geschlechterbinarität und somit zwei intelligible Geschlechter im Sinne einer „Kohärenz“ und „Kontinuität“ zwischen Sex, Gender und Begehren voraus (Butler 1991). Und diese heterosexuelle Geschlechterbinarität muss über unterschiedliche Institutionen (Ehe, Familie) und soziokulturelle Diskurse eingesetzt und immer wieder reproduziert/zitiert werden. Neben Geschlecht/Gender und Sexualität müssen jedoch auch Klasse, ‚Rasse‘/‚Ethnizität‘ und Formen der Körperlichkeit (u.a. Ability) als „articulated categories“ begriffen werden, welche historisch und aktuell jeweils in einem spezifischen Wechselverhältnis miteinander stehen/standen und sich solchermaßen gegenseitig bedingen(McClintock 1995: 4f.). Diese Wechselwirkung ist jedoch nur bedingt mit jenen intersektionellen Modellen begreifbar, welche diese Verschränkung vorwiegend oder ausschließlich im Punkt einer identitären oder biographischen Durchkreuzung verorten (also wenn z.B. eine Person ‚weiblich‘ und ‚lesbisch‘ lebt), und Interdependenz/Intersektionalität damit nicht als prägendes Strukturmerkmal aller sozialer Kategorien verstanden wird (vgl. Walgenbach 2007; McClintock 1995). ‚Sexualität‘, ‚Rasse‘, ‚Klasse‘, ‚Geschlecht‘ und ‚Körperlichkeit‘ sind für mich folglich historisch hervorgebrachte und institutionalisierte soziale Kategorien, welche gesellschaftliche Verhältnisse in ihrer komplexen Verwobenheit ordnen und strukturieren. In Anlehnung an Erkenntnisse aus dem Bereich der feministischen Black Studies sowie der postkolonialen feministischen Theoriebildung begreife ich die Kategorie ‚Sexualität‘ demzufolge auch als vergeschlechtlichte, klassenspezifische und rassifizierte Strukturkategorie, wenngleich das Ungleichheits- und Herrschaftsmoment dieser Strukturkategorien jeweils situativ und kontextspezifisch zum Tragen kommt oder kommen kann (vgl. McClintock 1995; Combahee River Collective 1977). Meine Arbeit wird daher jeweils kontextspezifisch von dem Versuch einer anti-kategorialen, intra-kategorialen und inter-kategorialen Komplexitätssteigerung bestimmt (vgl. Walgenbach 2011). Soziale Strukturkategorien, ihre Einsetzung sowie daraus resultierende Positionierungen, Identifizierungen und Normierungen werden somit zum einen als Effekte historischer Macht-WissensKomplexe problematisiert (anti-kategorial) sowie in ihrer konstitutiven Wechselwirkung analysiert (inter-kategorial). Darüber hinaus wird aber insbesondere durch den Versuch einer Ausdifferenzierung unterschiedlicher Formen der staatsbürgerlichen Verwerfung und des Ausschlusses auf eine intra-kategoriale Verkomplizierung der Gruppenkonstruktionen ‚Frauen‘ und ‚Homosexuelle‘ hingearbeitet. Dementsprechend wird in dieser Arbeit unter dem Begriff der Heteronormativität nicht nur eine Norm verstanden, die Männer und Frauen im Rahmen einer

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unhinterfragten ‚Alltagstheorie der Zweigeschlechtlichkeit‘ gleichsam ‚natürlich‘ und (sexuell) komplementär zueinander positioniert, sondern ein gesellschaftliches Struktur- und Organisationsprinzip, das nicht nur an der Kategorie der ‚Sexualität‘ orientiert ist, sondern in spezifischer Weise Geschlecht, Sexualität, ‚Rasse‘, ‚Klasse‘ sowie spezifische Formen von ‚Körperlichkeit‘ miteinander verknüpft und auf unterschiedlichen gesellschaftlichen Ebenen wirksam wird. Mein Verständnis von Heteronormativität ist folglich auch maßgeblich von jenen kritischen Interventionen aus dem Bereich der Black/Chicana und Postcolonial Studies getragen, welche die spezifische ‚weiße‘ und ‚bürgerliche‘ Genealogie und Implikation von Heteronormativität als gesellschaftliches Norm- und Ordnungssystem deutlich machten bzw. umgekehrt auf die rassialisierten Implikationen von Konstruktionen ‚sexueller Devianz‘ hingewiesen haben (Stoler 2003; McClintock 1995; Lugones 2007; Cohen 1997; Anzaldúa 2012 [1987]; Castro Varela/Dhawan 2009). Bedeutend in Hinblick auf meinen Forschungszugang sind daher besonders auch jene (historischen) Analysen (u.a. Traub 2002), welche zeigen, dass insbesondere auch ‚tribadisches‘ und/oder sexuell-/geschlechtliches ‚deviantes‘ Verhalten im Kontext kolonialer Erzählungen zuerst vor allem mit nicht-europäischen, nicht-weißen Frauen in Verbindung gebracht wurde. Demnach muss auch, wie Anne McClintock betont, „the invention of race“ in Zusammenhang mit Prozessen eines „policing of the ‚dangerous classes‘“ u.a. auch von Lesben (und Schwulen) in den europäischen Metropolen in Zusammenhang gebracht werden (McClintock 1995: 5). Heteronormativität wird in dieser Arbeit folglich als institutionalisiertes Ordnungs- und Denksystem gefasst werden, das Individuen an der „sozialen Peripherie oder im Zentrum“ platziert und „sie in einer bestimmten und bestimmenden Relation zu institutionellen und ökonomischen Ressourcen, zu sozialen Möglichkeiten, rechtlichem Schutz und sozialen Privilegien“ positioniert und nicht nur auf Basis sexueller Grenzziehungen, sondern entlang und auf der Basis von normativen Rassen-, Klassen- und Körperkonstruktionen funktioniert und agiert (Hark/Genschel 2003: 136). Heteronormativität re-produziert und legitimiert folglich auch unterschiedliche Formen der Ungleichheit und/oder Gewalt, indem über Institutionen bzw. institutionalisierte Praktiken und Diskurse spezifische Existenzformen de-privilegiert, kriminalisiert, diskriminiert, verfolgt oder ausgelöscht/ermordet werden, während hingegen (weiße) Heterosexualität und Zweigeschlechtlichkeit als naturalisierte und unbewusste Normalität gesetzt und reproduziert wird. Die Naturalisierung (weißer) Heterosexualität zeigt sich folglich beispielsweise auch in der „Selbstverständlichkeit, mit der heterosexuelle Paarbildung als Ursprung und Grundlage aller sozialer Beziehungen angesehen [wird] und in Diskurse über Körper, Familie, Reife, Gesundheit, Generativität,

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Erziehung und Nation“ eingeschrieben ist (Hartmann/Klesse 2007: 9). Als „organisiertes und organisierendes Wahrnehmungs-, Handlungs- und Denkschema“ ist Heteronormativität damit auch „verinnerlichte Gesellschaft“ (Degele 2008: 89). In der Verwendung des Begriffs der Heteronormativität wird daher oftmals vergessen, dass Heteronormativität eben nicht nur das Leben von LGBTIQs grundlegend prägt, sondern dass viele Personen (strukturell) davon profitieren und sich letztlich alle Existenzen in irgendeiner Weise dazu positionieren müssen. Heteronormativitätskritik, wie sie in dieser Forschungsarbeit betrieben wird, beruht daher auf der Prämisse, „dass die soziale Organisation von Geschlecht und Sexualität nicht allein Subjektivitäten und Beziehungen hervorbringt, sondern in entscheidendem Maße politische, ökonomische, soziale und kulturelle Prozesse und Institutionen“, wie z.B. die geschlechtliche Arbeitsteilung oder die Dichotomie privat/politisch strukturiert (Engel 2002: 58f.). Methodologisch bedeutend sind in diesem Kontext somit auch jene Überlegungen, die Heteronormativität nicht nur in kulturellen Diskursen und sozialen Praktiken verorten, sondern auch den Staat selbst, seinen Arenen sowie staatliche Praktiken als heteronormativ analysieren (Raab 2005; Raab 2011; Raab 2012; Ludwig 2011; Ludwig 2012). Heteronormativität wird demgemäß als „staats- und politikstrukturierender Modus“ betrachtet, der nicht nur den institutionellen und diskursiven Rahmen von Staaten durchzieht, sondern auch über sexuelle Politiken subjektivierend und subjektkonstituierend wirkt (Raab 2012: 27; vgl. Ludwig 2011). Einen zentralen theoretischen Impuls für ein solches Staatsverständnis lieferte freilich bereits Monique Wittig, die Heterosexualität nicht nur als „institution“, sondern auch als „political regime“ begreift (Wittig 1992a [1989]: 43). Das dieser Arbeit zugrunde liegende Verständnis von Heteronormativität gründet sich somit nicht ausschließlich auf eine queere Theorietradition, sondern wurde maßgeblich durch Ansätze aus der lesbisch-feministischen Theoriebildung sowie den Lesbian Black Studies geprägt. Besonders bedeutend sind für mich in diesem Kontext jene geschlechtertheoretischen und lesbischfeministischen Einsichten, welche eine Analyse unterschiedlicher Positionalitäten und Verortungen innerhalb des Systems der Heteronormativität ermöglichen und hierbei insbesondere Differenzen/Ungleichheiten zwischen Frauen, zwischen lesbischen und schwulen Existenzweisen bzw. innerhalb der gesamten LGBTIQ-Community in den Blick nehmen (vgl. Combahee River Collective 1977; Rich 1986; Lorde 1984; Wittig 1992b; Wittig 1992c). Denn, wie in Rekurs auf Encarnación Gutiérrez abgeleitet werden kann, macht eine queere oder de-/konstruktivistische Aufdeckung des Systems von Heteronormativität noch keinesfalls deutlich, in welcher Weise Subjekte innerhalb dieses Systems konstruiert und positioniert werden, denn „weder erfahren alle

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konstruierten Subjekte […] in gleicher Weise eine Differenzierung und Hierarchisierung, noch sind alle Akteure im Feld der Diskurse den gleichen Ausgrenzungs- und Unterwerfungserfahrungen, kurz, den gleichen strukturellen Gewaltformen auf gleicher Weise ausgesetzt“ (Gutiérrez Rodríguez 1999). Theory in the Flesh oder der Versuch einer exzentrischen Perspektive Sich aus der Perspektive queerer, lesbischer und feministischer Theorien und Gesellschaftskritik mit der Frage von ‚lesbischer Staatsbürger*innenschaft‘ zu beschäftigen, bedeutet in einem wissenschaftlichen Kontext – ebenso wie außerhalb der Universitäten – immer noch und wieder mit der stillschweigenden und nicht ausgesprochenen Frage nach dem, was ich bin, konfrontiert zu werden. Ist sie ‚Betroffene‘? Hat sie die nötige Distanz zu ihrem Forschungsgegenstand, um ‚objektiv‘ an diesen Fragestellungen zu arbeiten? Der Versuch der Ergründung meiner sexuellen und geschlechtlichen Existenz geht damit vielfach meiner Anerkennung als Wissenschaftler*in voraus und bestimmt/e ganz real meinen wissenschaftlichen Alltag. Aber, um in den Worten Judith Butlers zu antworten: „Als Lesbe zu schreiben oder zu sprechen scheint mir wie ein paradoxer Auftritt dieses ‚Ich‘, der sich weder echt noch unecht anfühlt. Denn es ist eine Inszenierung, sich […] zu einer Identität zu bekennen oder in ihrem Namen zu schreiben […]. Das heißt nicht, daß ich bei politischen Ereignissen nicht unter dem Identitätszeichen ‚Lesbe‘ auftreten will, sondern dass ich eine dauerhafte Unklarheit darüber schaffen will, was es genau bezeichnet.“ (Butler 1996: 15f.; Hervorh. i. Org.)

Gleichzeitig möchte ich mit dieser Arbeit aber auch die wohlgehüteten Grenzen zwischen einer scheinbar (immer noch) als ‚objektiv‘ und ‚neutral‘ erzählten Wissenschaft auf der einen und politischer und herrschaftskritischer ‚Parteilichkeit‘ auf der anderen Seite bewusst überschreiten. Diese Forschungsarbeit basiert folglich nicht ausschließlich auf akademischem bzw. theoretisch erarbeitetem Wissen, sondern mein Erkenntnisprozess sowie meine gesamte Forschungsmethodologie wurde wesentlich durch mein politisches Handeln und die dabei gemachten Erfahrungen und Reflexionen gespeist. Meine Einsichten als Aktivist*in, Protagonist*in und Mitarbeiter*in in unterschiedlichen feministischen/lesbischen/queeren Projekten und politischen Bewegungsformationen inspirierten maßgeblich diese Forschungsarbeit, da Heteronormativität in diesen Kontexten nicht nur als zu theoretisierendes Herrschaftsverhältnis erscheint, sondern als ganz unmittelbar wirkendes Gewaltverhältnis erfahrbar wurde/wird.

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Diese Erfahrung prägt/e als „Politik der Verortung“ (Rich 1986) daher nicht nur meinen wissenschaftlichen Standpunkt und meine Forschungsperspektive, sondern schärft/e auch meinen Blick für theoretische Leerstellen und den heteronormativen Bias akademischer Diskurse und Auseinandersetzungen. Meine Forschungsarbeit ist damit auch das, was Cherrie Moraga und Gloria Anzaldúa als eine „theory in the flesh“ bezeichneten, „[fused by the] physical realities of our lives […] the concrete we grew up on“ (Moraga/Anzaldúa 1981: 23). Meine wissenschaftlichen Überlegungen basieren folglich auch auf einer „Geo- und Körperpolitik der Erkenntnis“ (Mignolo 2012), d.h. dass sie sich dem Kontext und den (subjektiven) Bedingungen ihrer Entstehung nicht entziehen möchten, sondern gerade darauf basieren. Die Motivation sich theoretisch mit ‚lesbischer Staatsbürger*innenschaft‘ zu beschäftigen, liegt demzufolge in meinem Wunsch begründet, an einem wissenschaftlichen und politischen Prozess der „oppositionstheoretischen Erkenntnissuche“ (Laps 1996: 120) und „aufständigen Theoriebildung“ (Hacker 1991: 23) teilzunehmen, der Strategien zur Unterminierung und Destabilisierung dieses heteronormativen und rassialisierten Geschlechterregimes hervorbringt. Diese Forschungsarbeit ist damit an einer „transformativen Zielsetzung“ feministischer Wissenschaften orientiert (Krause 2003: 24) und verortet sich im größeren Feld transformativer Methodologien. Dieser transformative Aspekt beeinflusste, wie bereits in der Einleitung dargelegt wurde, sowohl den Entdeckungs- ebenso wie den Begründungszusammenhang dieser Forschungsarbeit und bestimmte ganz grundlegend das Untersuchungsdesign (Methodologie) und die dieser Arbeit zugrunde gelegten erkenntnistheoretischen Modelle (Epistemologien). Diese Form des wissenschaftlichen Denkens erfordert daher auch immer wieder Formen des „epistemischen Ungehorsams“ (Mignolo 2012) gegenüber ‚etablierten‘ Theorien und Zugängen innerhalb des akademischen Kontexts ebenso wie eine Auseinandersetzung mit den ‚Leerstellen‘ von queeren und feministischen Ansätzen selbst. Ein Denken und Schreiben „beyond the straight mind“ führt/e folglich auch zu einem permanenten „political and personal displacement“ und einer „(dis)location“ innerhalb bestimmter wissenschaftlicher Theorien und Diskurse sowie gesellschaftlicher Verhältnisse (Wittig 1992; Lauretis 1990). Diese Form der kritisch-reflexiven Dislozierung, die Teresa de Lauretis als exzentrische Subjektposition beschreibt, ist für sie ebenso wie für mich jedoch notwendigerweise die Grundlage, um überhaupt eine kritische-feministische Perspektive innerhalb eines (nach wie vor) heteronormativ und androzentrisch geprägten Wissenschaftssystems einzunehmen (Lauretis 1990; Lauretis 2003).

40 | P ERVERSE BÜRGERINNEN „I called that subject eccentric not only in the sense of deviating from the conventional, normative path, but also ek-centric in that it did not center itself in the institution that both supports and produces the straight mind […].“ (Lauretis 2003: o.S.)

Freilich ist jedoch meine eigene Perspektive und exzentrische Subjektposition als „Politik der Verortung“ ‚spezifisch‘ und daher geprägt von meiner eigenen privilegierten und zugleich deprivilegierten Situierung (Rich 1986 [1984]). Die in dieser Forschungsarbeit präsentierte Analyse ist auch weitgehend auf den (mittel-)europäischen Kontext und den jeweiligen historischen Entwicklungen in diesen geopolitischen Zusammenhängen fokussiert. Gleichzeitig passiert diese geopolitische Einschränkung nicht jenseits des Wissens, dass koloniale Geschichte(n) und globale (Ungleichheits-)Strukturen, eben nicht ‚dort‘, also ‚anderswo‘ zu verorten sind, sondern ganz unmittelbar in jene (meine?) Wissenssysteme und politischen Institutionen und Praktiken eingeschrieben sind, die in dieser Arbeit untersucht werden.

R E - THINKING C ITIZENSHIP : E INE LESBEN - AFFIRMATIVE R E -P ERSPEKTIVIERUNG AKTUELLER K ONZEPTE Zur Problematik einer inklusivistischen Analytik: Exklusion als konstitutives Prinzip von Staatsbürgerschaft Der britische Soziologe T.H. Marshall, als der paradigmatische ‚Begründer‘ der akademischen Citizenship Studies, prägte zur Mitte des letzten Jahrhunderts das, was Jürgen Mackert als „inklusivistisches“ Verständnis von Staatsbürgerschaft bezeichnet (Mackert 2006: 32f.; vgl. Marshall 1950). Im Rahmen dieser Auffassung, die in Folge vom Strukturfunktionalisten Talcott Parsons weiterentwickelt und vertieft wurde, wird Staatsbürgerschaft im Kontext eines modernisierungstheoretischen Paradigmas nahezu ausschließlich als Modus einer umfassenden und fortschreitenden Inklusion aller Gesellschaftsmitglieder verstanden (Mackert 2004b: 113; vgl. Parsons 1978). Dies impliziert zum Einen die normativteleologische Annahme, dass immer neue gesellschaftliche Gruppen in bestehende staatsbürgerliche Rechte inkludiert werden und zum Anderen, dass sich der Staatsbürger*innenschaftsstatus selbst mit immer mehr und neuen Rechten verdichten würde. Demnach erhöhe sich, wie dies T.H. Marshall anhand der stufenweisen Verdichtung des Staatsbürgerschaftsstatus durch die bürgerlichen Rechte im 18. Jahrhundert, die politischen Rechte im 19. Jahrhundert und die sozialen Rechte im 20. Jahrhundert argumentierte, in modernen, funktional diffe-

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renzierten Gesellschaften stetig die Gruppe der Inkludierten und führe so tendenziell in Richtung ‚Vollinklusion‘ (Marshall 1950). Staatbürgerschaft erscheint in diesem Verständnis also nicht (nur) als eine sich historisch entwickelte, spezifische Relation zwischen dem Staat bzw. einem politischen Gemeinwesen und (bestimmten) Personen, sondern als normativteleologisches Zielvorstellung, anhand derer dann die Art und Form der ‚Abweichung‘ von diesem Soll-Zustand der ‚Vollinklusion‘ analysiert wird. Diese normative Analytik von Staatsbürgerschaft präsentiert sich jedoch vor dem Hintergrund kritischer Interventionen aus dem Bereich der poststrukturalistischen, postkolonialen und feministischen Citizenship Studies als höchst problematische und voraussetzungsvolle Annahme. Demnach gelte es zwischen einer normativen ‚Erzählung‘ bzw. dem ‚Mythos‘ der (demokratischen) Vollinklusion und der tatsächlichen, exklusivierenden Dynamik und Funktion von Staatsbürgerschaft zu unterscheiden. Es sei also eine Fehlannahme, so eine zentrale These aus dem Bereich der kritischen3 Citizenship Studies, „dass sich in modernen Gesellschaften der Prozess der Inklusion einer immer größeren Anzahl von Individuen in ein immer größeres Set von Rechten […] vollzieht“, da jedwede Inklusion auch eine Gleichzeitigkeit von Exklusion voraussetze und produziere (Mackert 2004b: 120; vgl. Yuval-Davis 1997a; Yuval-Davis 1997b; Phillips 1993; Kymlicka 1995; Young 1990; Young 1998). Staatsbürgerschaft muss also gerade weil oder trotz seines (vermeintlichen) universalistischen und inklusivistischen Gestus als „exclusionary category“ konzeptualisiert werden (Isin/Turner 2002b: 3ff.). Unterschiedliche Formen der Exklusion und der Produktion von (materiellen oder diskursiven) „strangers and outsiders“ gilt es damit nicht nur als temporären ‚Irrtum‘, als ‚Abweichung‘ oder korrigierbaren ‚Fehler‘ zu analysieren, sondern als konstitutive Grundlage von Staatsbürgerschaft selbst (ebd.). Im Rahmen einer feministischen Theoriebildung wurde in diesem Zusammenhang etwa explizit die Funktion der politischen Exterritorialisierung von Frauen in der Geschichte der Institution Staatsbürgerschaft herausgearbeitet und die androzentrischen Voraussetzungen dieser modernen Neuorganisation von gesellschaftlichen und politischen Verhältnissen analysiert. Es gäbe demnach, wie Erna Appelt betont, kein „zufällige[s] Zusammentreffen staatsbürgerlicher Kon-

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Nach Engin F. Isin und Bryan S. Turner zeichnen sich aktuelle Arbeiten aus den kritischen Citizenship Studies vor allem durch ihre prinzipielle Annahme einer „inadequacy of modern liberal citizenship“ aus, beschäftigen sich im Rahmen ihrer jeweiligen Verortung mit den Grenzen ‚traditioneller‘ Staatsbürgerschaftskonzepte und praxen und denken über mögliche Erweiterungsmöglichkeiten nach (Isin/Turner 2002b: 2).

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zepte […] mit einer Hierarchisierung des Geschlechterverhältnisses“, sondern es gelte „das hierarchisch verfaßte und dichotom gedachte Geschlechterverhältnis“ selbst als „zentrales Organisationsprinzip des neuzeitlichen Staates“ zu analysieren (Appelt 1999: 12f.). Die (historische) Exklusion von Frauen aus dem System staatsbürgerlicher Rechte und die geschlechtsspezifische Konstruktion einer als weiblich konnotierten Sphäre der familialen Privatheit könne daher nicht einfach als historisch zu überwindendes/bereits überwundenes Relikt betrachtet werden, da dieser androzentrische Kern von Staatsbürgerschaft den Raum des Politischen erst selbst konstituiert/e (vgl. ebd.). Im Rahmen meines lesben-affirmativen Zugriffs auf Staatsbürgerschaft kommt einer Kritik an inklusivistischen Staatsbürgerschaftskonzepten daher eine enorme Bedeutung zu. Denn im Kontext einer Verabschiedung dieses machtvollen Paradigmas der Vollinklusion als normativ-teleologisch gesetzte Analysegrundlage richtet sich der Blick nicht mehr auf das Ausmaß der Abweichung von diesem Ideal der ‚Vollinklusion‘, sondern auf das Funktionieren und die Strukturen der Exklusionsmechanismen sowie die Zugangsbedingungen von Staatsbürgerschaft als „heterosexuell begründete und Heterosexualität begründende“ Institution (Genschel 1996: 525; vgl. Klapeer 2012; Cossman 2007). Das Problem des Ausschlusses ist demnach nicht mehr ein Ausdruck dessen, „that [something] has gone wrong in an otherwise perfect system“ (Klesse 2006), sondern die konstitutive Funktion der Exklusionsmechanismen für das Gelingen staatsbürgerlicher Inklusion bzw. seiner Inklusionsverheißung gerät selbst in das Zentrum der Analyse. In Rekurs auf postkoloniale und poststrukturalistische Analysen rücken derart verstärkt performative Prozesse des „otherings“ und der Verwerfung (Abjektion) bzw. der Kreation von unterschiedlichen internen und externen „strangers“ als jeweils grundlegend für die Konstituierung staatsbürgerlicher Zugehörigkeit in den Fokus der Betrachtung. Theoretisch versuche ich in diesem Kontext also postkoloniale und poststrukturalistische Theorien zur konstitutiven Funktion/Konstruktion ‚des Anderen‘ für das ‚Eigene‘ bzw. ‚Normale‘ (Bhabha 2008 [1994]; Hall 1994a; Hall 1994b; Said 1978; Foucault 1983 [1977]) sowie Ansätze aus der feministischen Psychoanalyse zur subjektkonstituierenden und gefährdenden Funktion der Verwerfung (Kristeva 1982; Butler 1995; Butler 2001a; McClintock 1995) mit Analysen zu exklusivierenden Implikationen von Staatsbürgerschaft und unterschiedlichen Dynamiken und Funktionsweisen von Ausschließungsprozessen zu verbinden. Vor dem Hintergrund poststrukturalistischer und postkolonialer Erkenntnisse wird das Exkludierte daher nicht als völlig Ausgeschlossenes betrachtet, sondern als etwas, das „an den Rändern der Inklusionslogik als Fremdkörper und als Imagination eines gefährlichen Anderen“

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präsent bleibt und produktiv bzw. auch je nach Kontext – regulierend, disziplinierend und/oder normalisierend – wirksam ist/wird (Stäheli 2001: 51; vgl. Foucault 1983 [1977]; Bhabha 2008 [1994]). Insofern hat meine Forschungsarbeit nicht den Anspruch, neue, inklusivere oder ‚bessere‘ Staatsbürger*innenschaftsmodelle durch eine ‚lesbenspezifische‘ Erweiterung, Transformation oder Verdichtung bestehender Modelle zu entwickeln, sondern mir geht es darum, verschiedenste historische und aktuelle Exklusions- und Inklusionsprozesse mit dem Fokus auf lesbische Existenzweisen freizulegen. Meine Forschungsarbeit basiert daher gerade nicht auf der Prämisse, dass lesbische Existensweisen „have wrongly been exluded [from] […] full citizenship“, sondern ich untersuche das komplexe Verhältnis zwischen Staatsbürgerschaft und lesbischen Existenzweisen selbst (Richardson 2000b: 263). Ich positioniere mich daher auch kritisch zu aktuellen feministischen, queeren bzw. multikulturalistischen Versuchen innerhalb der Citizenship Studies, inklusivere Modelle von Staatsbürgerschaft zu entwickeln, in welchen den jeweiligen Differenzen und Ungleichheiten zwischen Staatsbürger*innen (oder auch NichtStaatsbürger*innen) entsprechend Rechnung getragen und somit eine Annäherung an das Prinzip der ‚Vollinklusion‘ erreicht werden soll. Diese kritische Zurückweisung von Staatsbürgerschaft als normative Analysegrundlage und politische Zielperspektive wird darüber hinaus aber auch von einer grundsätzlichen postkolonialen Kritik an Staatsbürgerschaft als rassialisiertem und kolonialem politischen Organisationsprinzip getragen (Yuval-Davis 1997a; Yuval-Davis 1997b; Balibar 2007; Chakrabarty 2000). Demnach gilt es, die diskursive Genese und historische Etablierung von Staatsbürgerschaft als zentrales politisches Organisationsmoment der Neuzeit gerade vor dem Hintergrund ihrer kolonialen ‚Schattenseiten‘ zu analysieren. Denn an „einem Ort brachten sie Staatsbürger hervor, und an einem anderen Ort koloniale Subjekte“, so brachte Homi Bhabha diese Verstrickung in einem Interview4 auf den Punkt. Konstruktionen vom ‚kolonialisierten‘ bzw. ‚rassischen‘ Anderen waren daher ebenfalls konstitutiv für die Definition intelligibler Staatsbürgerschaften. Das Festhalten an einem normativen Ideal von Staatsbürgerschaft in seiner westozentrischen Ausprägung kann folglich nur als eine neue Form der (imperialistischen oder neo-/kolonialen) Universalisierung eines ‚westlichen‘ Narratives ver-

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„Die Leute wollen teilnehmen“. Hybrid sein statt assimilieren. Interview mit Homi Bhabha geführt von Isolde Charim, 19.11.2007, online verfügbar auf: http://www.taz. de/1/debatte/theorie/artikel/1/die-leute-wollen-teilnehmen/?src=SZ&cHash=745a8e15 45 (Zugriff: 09.12.2010).

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standen werden, dem ich daher analytisch Rechnung tragen will (vgl. Bhabha 2008 [1994]; Balibar 2007; Chakrabarty 2000; Hall/Held 1989). Mehr als (nur) Rechte: Staatsbürgerschaft als Set sozialer und kultureller Praktiken T.H. Marshall prägte mit seinem Modell (spät-)moderner Staatsbürgerschaft nicht nur das im ersten Abschnitt kritisierte ‚inklusivistische Verständnis‘ von Staatsbürgerschaft, sondern er trug auch maßgeblich zur Etablierung einer auf (Staatsbürgerschafts-)Rechte fokussierten Debatte und Analyse (nicht nur) innerhalb der Sozialwissenschaften bei (Klapeer 2011). Er beschrieb (vollwertige) Staatsbürgerschaft demnach als „a status bestowed on those who are full members of a community“, der auf dem Besitz von bürgerlichen (civil and legal rights), politischen (political rights) und sozialen Rechten (social rights) basiert (Marschall 1950: 14). Nun kann freilich auf der Basis von Marshalls Modell konstatiert werden, dass lesbische Existenzweisen in unterschiedlicher Form, Intensität und je nach geopolitischem und historischem Kontext nach wie vor von einigen dieser Rechte ausgeschlossen werden/wurden bzw. diese nur ungenügend zu realisieren vermögen/vermochten. Sie verfügen in Rekurs auf dieses Modell also über keine ‚vollwertige‘ Mitgliedschaft in der politischen Gemeinschaft und wären dann als „second-class“ und/oder „partial citizens“ zu charakterisieren (Phelan 2001: 25; Richardson 2000a: 75; Lister 2002). Auf Basis eines auf Rechte zentrierten Modells bleiben jedoch Fragen der substanziellen Verwirklichung sowie der (u.a. normativen, vergeschlechtlichten, rassialisierten) Bedingungen für die aktive Inanspruchnahme von Staatsbürgerschaftsrechten sowie insgesamt sozio-kulturelle Formen und Praktiken der Zugehörigkeits- und Mitgliedschaftsproduktion außen vor. Insbesondere feministische Theoretiker*innen habe darauf hingewiesen, dass eine wesentliche Problematik in Marshalls rechtbasiertem Modell in der mangelnden Differenzierung zwischen einem (neutralisierten) formalen Zugang zu Staatsbürgerrechten und den jeweiligen (geschlechtsspezifischen) Bedingungen für eine substanzielle Ausübung und Verwirklichung sowie der androzentrischen Ausrichtung dieser Rechte selbst liege. Marshalls Staatsbürgermodell sei daher, so eine zentrale feministische Kritik, an der Geschichte und den Lebensbedingungen (‚weißer‘, besitzender) Männer orientiert „thus fail[ing] to notice that the development of women’s rights and other subordinate groups has had its own history and logic“ (Siim 2000: 13f.). Kritisiert wurde in diesem Zusammenhang daher auch die Ausblendung die für den Staatsbürger*innenschaftsstatus von Frauen so folgenreichen Dichotomie privat/politisch, entlang derer (unbezahlte) Care-Tätigkeiten

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sowie politische, ökonomische und soziale Handlungsmöglichkeiten (bis heute) geschlechtsspezifisch verteilt werden und somit die substanzielle Verwirklichung ihrer Staatsbürger*innenschaftsrechte einschränken (Siim 2000; Appelt 1999). Die von feministischer Seite geäußerte Kritik, dass die wesentliche Problematik eines staatsbürgerlichen (partiellen) Ausschlusses von Frauen daher keineswegs (nur) in den mangelnden Rechten zu oder der formellen Möglichkeit der Ausübung von Staatsbürgerrechten liegt, sondern in den androzentrischen Implikationen dieser Rechte sowie den ihnen zugrunde liegenden Annahmen über das sexuelle und/oder familiäre Leben des Staatsbürgers/der Staatsbürgerin selbst liegt, kann folglich auch als zentraler Ausgangspunkt queerer und lesbenaffirmativer Zugriffe auf Staatsbürgershaft gelten (Klapeer 2012; Richardson 2000a; Lister 1995). Demnach muss sich gerade in dem vermeintlich ‚privaten‘ und im Marshall’schen Modell als ‚unpolitisch‘ konzipierten Bereich der Intimität „jene staatsbürgerliche ‚Pflicht‘ zur (vergeschlechtlichten) Heterosexualität (u.a. in Familie, Beziehungen, Sexualität und in Form von Reproduktion, Caring und Arbeitsteilung) realisieren […], die schließlich für die substanzielle Wahrnehmung der entsprechenden Staatsbürger_innenrechte ausschlaggebend ist“ (Klapeer 2012: 82). Durch einen analytischen und politischen Fokus auf Staatsbürgerrechte und den Bereich der politischen Öffentlichkeit, bleiben diese für Staatsbürgerschaft konstitutiven Räume, die zwar als ‚privat‘ gelten (wie Ehe-, Verwandtschafts- und Familienverhältnissen), auf Basis derer aber auf höchst politische Weise Rechte und Ressourcen verteilt sowie staatsbürgerliche Zugehörigkeit konstituiert werden, unbeachtet (vgl. Klapeer 2012; Richardson 2000a; Phelan 2001; Bell/Binnie 2000). Vor dem Hintergrund der analytischen Begrenztheit eines auf Rechte fokussierten Modells rekurriere ich in meiner Analyse daher vorwiegend auf solche Konzepte und Analysen, welche Staatsbürgerschaft nicht ausschließlich als staatlich vermittelte und über Rechte eingesetzten Status der (nationalen) Zugehörigkeit definieren, sondern als Set institutionalisierter, rechtlicher, politischer, ökonomischer und sozialer Praktiken begreifen, „which define a person as a competent member of society, and which as a consequence shape the flow of ressources to persons and social groups“ (Turner 1992: 2f.). Mit diesem von Brian Turner entwickelten dynamischen Staatsbürgerschaftskonzept liegt der Fokus weniger auf „legal rules“, sondern auf der permanenten und prozesshaften ReProduktion von nicht nur juridisch, sondern insbesondere über kulturelle und soziale Praktiken eingesetzten „norms, practices [...] meanings, and identities“, welche in ihrer Definition von Zugehörigkeit und Mitgliedschaft regulierende/normierende „assumptions about ethnicity, religion and sexuality“ herstellen

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(Isin/Turner 2002b: 4f.; vgl. Turner 2001b: 192). Staatsbürgerschaft basiert folglich nicht nur auf „sozialen Rechtsansprüchen und Privilegien“, sondern auch auf sozio-kulturellen Formen der Mitgliedschaft und Zugehörigkeit (Benhabib 2007: 10). Seyla Benhabib spricht in diesem Kontext von dem „Privileg der Mitgliedschaft im normativen Sinn“ und einer Form des Einschlusses in die „kollektive Identität“ (ebd.). Wenn also eine Gruppe von Personen, wie es etwa Shane Phelan in ihrer queer-theoretischen Untersuchung des Staatsbürger*innenschaftsstatus von LGBTIQs deutlich macht, „is consistently present only as the opposite or the outside of a nation, [having] […] no place in the imaginary except as threat“, dann sind diese keine Staatsbürger*innen, „no matter what rights its members have come to enjoy“ (Phelan 2001: 6f.; vgl. Richardson 2000a). Mit einem solchen Zugang können somit auch jene Phänomene als Teil von Staatsbürgerschaft analysiert werden, die bei T.H. Marshall als ‚privat‘ oder ‚intim‘ gelten und/oder eben nicht über eine ausschließlich auf Rechte fokussierte Untersuchung zu fassen sind. Es kann danach gefragt werden, wie Staatsbürgerschaft über (heteronormative) soziale, kulturelle und politische Praktiken bestimmte Personen, Praxen oder Gruppen als ‚nicht zugehörig‘ benennt und ausschließt (oder nur unter bestimmten Bedingungen einschließt) bzw. Gegenstands- und Handlungsfelder so anordnet, dass sie ausschließend wirksam werden (Hark/Genschel 2003: 139). Folglich geht hier nicht mehr (nur) um den mangelnden Zugang und den Inhalt von Staatsbürgerschaft/ Staatsbürgerschaftsrechten, sondern um die Frage, „wie eine Gesellschaft Mitgliedschaft“ reguliert und wen sie dabei als mitwirkungsrelevant anerkennt und über Staatsbürgerschaft (partiell) ein- oder ausschließen kann (Hark/Genschel 2003: 140). Anrufung – Identifikation – Subjektivierung: Performative und gouvernementale Elemente von Staatsbürgerschaft Wird auf der Basis eines dynamischen und sozialen, auf Praktiken gerichtetes Verständnis von Staatsbürgerschaft also nach den Bedingungen staatsbürgerlicher Mitgliedschaft und (substanzieller) Anerkennung gefragt, rücken hier freilich auch jene Prozesse und Mechanismen in den Fokus der Aufmerksamkeit, die Personen in Staatsbürger*innen transferieren. In einer kritischen Zusammenführung eines interpellationstheoretischen Staatsbürgerschaftsverständnisses (Bassel 2008; vgl. Stäheli 2007; Althusser 1977; Butler 1998) queerer und poststrukturalistischer Subjekt(ivierungs)konzepte (Butler 1991; Butler 1995; Butler 2001a; Foucault 1989 [1975]; Foucault 1983 [1977]) sowie Giovanna Procaccis Überlegungen zum Verhältnis von Staatsbürgerschaft und Gouvernementalität (Procacci 2001) verstehe ich Staatsbürgerschaft demnach als einen komplexen,

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mehrebenenförmigen, performativen und somit niemals abgeschlossenen Prozess, in dem bestimmte (ausgewählte) Personen den Status der Staatsbürger*innen erlangen/herstellen können/müssen. Die zentralen konstitutiven Elemente eines solchen performativen Staatsbürgerschaftsverständnisses möchte ich folglich mit den Begriffen der ‚Anrufung‘, ‚Identifikation‘ und ‚Subjektivierung‘ umschreiben, wenngleich diese freilich als interdependent und dynamisch analysiert werden müssen. In Rekurs auf Louis Althusser ideologiekritischer Interpellationstheorie sowie ihrer kritischen Rezeption im Bereich der Gender/Queer und Citizenship Studies verstehe ich soziale, kulturelle und politische Staatsbürgerschaftspraktiken als eine performative Praxis der „Anrufung“, durch welche bestimmte Personen als staatsbürgerliche Subjekte adressiert und derart als mitwirkungsrelevante anerkannt werden (sollen), während andere für diese Anrufung erst gar nicht in Frage kommen (vgl. Bassel 2008; Althusser 1977; Butler 1998; Butler 2001a). ‚Anrufung‘ meint in diesem Zusammenhang also, dass die/der Einzelne „im Althusser’schen Sinne […] von den Instanzen, die auf ihn einwirken, immer schon als das Subjekt adressiert wird, zu dem er erst gemacht werden bzw. sich selbst machen soll“ (Bröckling 2005: 20). Nach Althusser beruht das Gelingen der Anrufung auf damit auch auf einem ‚spiegelartigen Mechanismus‘ von „Anerkennung“ und „Wiedererkennung“, durch den erst die Möglichkeit der Zustimmung zur ‚Unterwerfung‘ erzeugt wird. In einem Akt der ‚Umwendung‘ müssen sich die derart adressierten Personen daher umgekehrt mit der ‚Anrufung‘ und den damit verbundenen (sexuellen Geschlechter-)Normen, Prinzipien und Gesetzen identifizieren (können), die ihre Rechte und Pflichten als Staatsbürger*innen definieren und begrenzen. Eine ‚Anrufung‘ als Staatsbürger*in (z.B. durch das Staatsbürgerschaftsrecht, durch Praktiken und Diskurse im Rahmen von cultural citizenship) verlangt den Angerufen also nicht nur eine ‚Identifikation‘ mit dieser Anrufung ab (z.B. durch die Annahme der für sie vorgesehenen Position als Form der politischen Situierung und Subjektivierung), sondern macht sie erst zu ‚legitimen‘ (politischen) Mitgliedern und damit Teilhabenden an Herrschaft. Das heißt, auch wenn im Rahmen diskurstheoretischer Anrufungstheorien jedes Subjekt durch Interpellationsprozesse erzeugt wird, macht es einen Unterschied, wer auf welche Weise im Rahmen von Staatsbürgerschaft, als ‚legitimes Mitglied‘ adressiert wird. Denn mit der Anrufung als ‚legitime*r‘ und ‚mitwirkungsrelevante*r‘ Staatsbürger*in korreliert die Gewährung von bestimmten Rechten; es steigt die Chance auf die aktive Ausübung dieser Rechte (active citizenship) sowie die Teilhabe an ‚kulturellen Ressourcen‘ im Rahmen eines cultural citizenship. Mit diesem „Akt der Anerkennung“ kommen die Staatsbürger*innen also erst „ins Leben“ (Butler 1998: 48f.). Abgeschlossen ist

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dieser Prozess der ‚Anrufung‘ jedoch erst mit der subjektivierenden ‚Identifikation‘ des/der Angerufenen mit jenen (System-)Regeln, ‚Pflichten‘, Normen und Erzählungen, die nach Identifikation und Erfüllung verlangen. Sowohl die ‚Anrufung‘ als auch die angesprochenen Normen, Prinzipien und Gesetze sind jedoch freilich weder ‚neutral‘ noch für alle Individuen gleich zugänglich, sondern diese folg(t)en je nach geopolitischem/historischem Kontext jeweils spezifischen vergeschlechtlichten, heteronormativen und ‚rassifizierten‘ Logiken und produzierten daher entweder im Prozess der ‚Anrufung‘ oder der ‚Identifikation‘ verschiedene Formen der Ausschlüsse, Verwerfung aber auch der Subversion und des Widerstands. Derart kann die Konstituierung von ‚legitimen‘ Staatsbürger*innen freilich auch als Subjektivierungsprozess beschrieben werden, da der Prozess des ‚Staatsbürger*in-Werdens‘ eine Technologie des/am Selbst gleichsam voraussetzt bzw. die ‚freiwillige‘ Unterwerfung zum Kern des staatsbürgerlichen Identifikationspozesses erklärt (vgl. Foucault 1983 [1977]; Butler 2001a; Althusser 1977). Staatsbürgerschaft wohnt damit auch ein gouvernementales Moment inne, da gleichsam am Kreuzungspunkt zwischen gouvernementaler Selbsttechnologien und staatlichen Machttechnologien ‚legitime Staatsbürger*innen‘ durch Prozesse der inneren sowie politisch-sozialen Ausschließung und Verwerfung modelliert und hervorgebracht werden (müssen) (vgl. Foucault 2010a [1976/1979]; Procacci 2001; Butler 2001a; Ong 1996). Staatsbürgerschaft sowie die damit korrespondierenden Rechte können in diesem Kontext also selbst als gouvernementale Techniken betrachtet werden, die Staatsbürger*innen niemals nur ermächtigen, sondern stets mit Formen der Selbstregierung und Subjektivierung – Judith Butler spricht hier von einer „Sperre“ – sowie einer Exklusion und Verwerfung verknüpft sind (Butler 1998: 196; Procacci 2001: 346ff.; vgl. Raab 2011). Der ein- oder ausgeschlossene (Nicht-)Bürger existiert damit nicht als askriptives Subjekt vor seiner „Anrufung“, sondern wird Rahmen dieser gouvernementalen (Selbst-)Techniken erst hervorgebracht bzw. konstituiert. Eine Identifikation und Anerkennung als Staatsbürger*in ist daher auf die Konstruktion und gleichzeitige Verwerfung eines differenten, ‚nicht-staatsbürgerlichen‘ Anderen angewiesen, um sich selbst als Staatsbürger*in hervorzubringen. Die Konstitution und Hervorbringung eines*r richtigen ‚Staatsbürgers*in‘ hinterlässt folglich eine unweigerliche „Verlustspur“, weil es sowohl einer inneren als auch der politischen Verwerfung und Exklusion bedarf (Butler 2001a: 181). Durch eine analytische Verknüpfung von Staatsbürgerschaft und Gouvernementalität rückt somit die Herstellung eines ‚richtigen‘ Staatsbürgers bzw. seiner Konstitution durch multiple Staatsbürgerschaftspraktiken selbst ins Zentrum der Betrachtung. Unter dem Aspekt der Gouvernementalität erscheinen

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„die vielfältigen Ein- und Ausschliessungsprozesse […] nicht als beliebige Nebeneffekte der Staatsbürgerschaft, sondern rücken ins Zentrum der Analyse. Dadurch wird auch die Frage nach dem doppelten Charakter des Staatsbürgerschaftsdispositivs als Faktor und Produkt des intendierten gesellschaftliche Ein- und Ausschlusses aufgeworfen.“ (Argast 2003: 402)

Es geht in diesem Zusammenhang also auch um eine Untersuchung jener Ordnungs- und Wahrheitsleistung, die Staatsbürgerschaftsregime vollbringen, indem sie Ordnungsstrukturen für die Zone staatsbürgerlicher Intelligibilität festsetzen, sie naturalisieren und somit den Diskurs und das Sprechen über/von Staats-/Bürgerschaft und all die damit verbundenen Konzepte von politischer Subjektivität und Handlungsfähigkeit, Rechten und politischer Gemeinschaft ‚begrenzen‘ bzw. nur in eine bestimmte Richtung ‚anreizen‘ (vgl. Foucault 1978; Foucault 2001 [1974]). Im Rahmen einer gouvernementalitätstheoretischen Perspektive auf Staatsbürgerschaft geht es demnach nicht mehr nur um die Frage, wer aufgrund welcher vermeintlich askriptorischen Merkmale exkludiert wird, sondern die Subjektivierungsanforderungen an die Individuen geraten selbst in den Blick: Welche Subjekte müssen die Individuen werden, um als Staatsbürger*innen ‚denkbar‘, intelligibel und als solche anerkannt zu werden? Staatsbürgerschaft kann sich als Status politischer Zugehörigkeit und Teilhabe an Herrschaft also erst auf der Basis performativer Konstruktionsprozesse entfalten, in denen die ‚systemkompatible‘ politischen Subjekte und (zukünftigen) Staatsbürger*innen entlang bestimmter ‚Bedingungen‘ erst hergestellt werden müssen. Insofern fasse ich „citizenship rights“ in dieser Arbeit nicht als determinierende Aspekte von Staatsbürgerschaft, sondern mehr als „complementary aspect[s]“, womit die Konstitution, Produktion und Instituierung eines/einer spezifischen inklusionswürdigen und erst dann mit Rechten ausgestatteten Staats-/Bürgers bzw. Staats-/ Bürgerin ins Zentrum der Untersuchung rücken (Kaygusuz 2006: 45). Im Kontext dieser performativitäts- bzw. diskurstheoretischen Lesart von Staatsbürgerschaft wird es daher möglich unterschiedliche Formen, Mechanismen und ‚Orte‘ der Exklusion und Verwerfung innerhalb dieses komplexen Prozesses der Herstellung von Staatsbürger*innen auszumachen und dabei zu untersuchen, „wie Herrschaftsformen und Selbstverhältnisse ineinandergreifen und wie Regierungstechnologien auf Selbstpraxen zurückgreifen“ (Raab 2011: 169). Staatsbürgerschaft fungiert folglich auch als diskursives Scharnier zwischen den Individualisierungstechniken und Totalisierungsverfahren der staatlichen ‚Regierung in ihrer politischen Form‘, also Herrschaftstechnologien auf der einen und den Selbst-/Subjektivierungs- und Disziplinierungsformen des Staats-/Bürgers,

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also den ‚Selbsttechnologien‘ auf der anderen Seite. Auf der Basis meines/eines gouvernementalitätstheoretischen Verständnisses von Staatsbürgerschaft geht somit sowohl eine Herausforderung und gleichzeitig Kritik jener Staatsbürgerschaftsverständnisse im LGBTIQ-Kontext bereit, „that see it [citizenship] simply and positively as increasing sexual minorities’ rights and membership“ (Cooper 2006: 922). „From a governmentality perspective“, so Cooper, „citizenship becomes a mode of governance, a way of ruling through techniques of inclusion, empowerment and recognition, offered in this case to lesbians and gay men“ (ebd.). Exkludierte – Strangers – Abjekte: Zur Komplexität staatsbürgerlicher Exklusions- und Verwerfungsprozesse Wenn die Konstitution von Staatsbürger*innen folglich unweigerlich eine „Verlustspur“ hinterlässt und auf die Konstruktion und gleichzeitige Exklusion und/oder Verwerfung eines nicht-staatsbürgerlichen ‚Anderen‘ angewiesen ist, wird hier freilich die Notwendigkeit einer Differenzierung zwischen unterschiedlichen inneren und äußeren Exklusions- und Verwerfungsprozessen deutlich (Butler 2001a). Um die Komplexität staatsbürgerlicher Exklusions- und Verwerfungsprozesse analytisch fassen zu können, bediene ich mich in meiner Untersuchung folglich unterschiedlicher konzeptioneller und theoretischer Ansätze aus dem Bereich der, maßgeblich durch poststrukturalistische Theorien geprägten, kritischen Citizenship Studies, aber auch solcher theoretischer Modelle, die sich im Kontext einer feministischen, queeren und/oder postkolonialen Rezeption von psychoanalytischen Theorien mit dem interdependenten Verhältnis von Verwerfung, Subjektivierung und Begehren beschäftigen. Für die Analyse von Prozessen der Exklusion waren für mich vor allem jene theoretischen Differenzierungsversuche hilfreich, welche staatsbürgerliche Exklusion nicht nur als ‚externe‘ Exklusion entlang von (national-)staatlicher Zugehörigkeit und Grenzen begreifen, sondern auch unterschiedliche Formen der ‚internen‘ Exklusion/ Exklusionsprozesse sogenannter ‚minoritärer‘ Gruppen untersuchen (Balibar 2005; Balibar 2006; Bauman 1996; Rundell 2004; Margalit 1996; Young 2002; Phelan 2001). Phänomene der sogenannten ‚internen Exklusion‘ wurden bisher vor allem anhand des partiellen oder sekundären Staatsbürger*innenschaftsstatus von Frauen, Migrant*innen und/oder kulturellen bzw. ‚ethnischen‘ Minderheiten und in Bezug auf die Gruppe der LGBTIQs untersucht. Insofern gilt es hier sowohl produktive Wechselverhältnisse zwischen diesen Ansätzen herzustellen, jeweilige Leerstellen (z.B. Konzeptionen von LGBTIQs oder Frauen als ‚nicht-migrantisch‘) auf Basis einer intersektionellen Ana-

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lyse nicht zu reproduzieren sowie das darin verwendete begriffliche und analytische Instrumentarium entsprechend lesben-affirmativ zu modifizieren und weiterzuentwickeln. Sogenannte ‚interne‘ Formen der Exklusion und/oder Verwerfung von lesbischen Existenzweisen sind freilich vor dem Hintergrund der Komplexität und Differenz(en) innerhalb dieser Situierung und Positionierung (u.a. in Bezug auf Herkunft, Gender-Performance, Klasse, Körperlichkeit) höchst schwer zu fassen. Demnach gilt es zum einen bereits im Prozess der staatsbürgerlichen ‚Anrufung‘ die Wirkmächtigkeit und Effekte eines rassisierten „duale[n] Klassifikationssystem“ von „Ausländer“ versus „Inländer“ analytisch im Blick zu behalten (Castro Varela/Guitiérrez Rodríguez 2000: 106). Denn diese Form der ‚denizenship‘ verhindert/erschwert zum einen, dass lesbische Existenzweisen of color5 aufgrund (vermeintlicher, konstruierter) Merkmale, die sie als ‚Fremde‘ identifizieren, überhaupt als ‚legitime‘ Staatsbürger*innen angerufen werden. Wie María del Mar Castro Varela und Encarnación Guitiérrez Rodríguez betonen, werden „[l]esbische Frauen in der Migration“ daher nicht in erster Linie aufgrund ihrer Sexualität verworfen oder exkludiert, sondern sie erleben gerade eine verwerfende „Aufwerfung“ einer ihnen als stabil und unwiederbringlich zugeschriebenen „rassisierte[n]“ und „ethnisierte[n] […] Anderheit“ (ebd.: 106ff.). Diese Form der exkludierenden ‚Aufwerfung‘ jener lesbischen (und schwulen) Existenzweisen, die nicht den Anforderungen eines rassisierten-nationalen Zugehörigkeitsdiskurses entsprechen können, wurde auch von zahlreichen queeren Staatsbürgerschaftstheoretiker*innen bisher in ihrer Analyse nur bedingt aufgenommen. Demnach ist das von Shane Phelan in Rekurs auf Zygmunt Bauman6 entwickelte Konzept des „sexual strangers“ zwar hilfreich, um die am-

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Als People of Color werden jene Menschen verstanden, „die von Rassismus betroffen sind“ (LesMigras/Castro Varela 2012: 36). Mit dieser Definition liegt der Fokus auf einem rassistischen Blickregime und rassistischen Strukturen, Politiken und sozialen (Mikro-)Praktiken. People of Color werden also „in rassistisch strukturierten Gesellschaften durch Prozesse der Ethnisierung, die meist an historisch wirksame Muster der kolonialen Rassifizierung anknüpfen, und den damit einhergehenden soziokulturellen Fremdzuschreibungen positioniert. Dadurch werden People of Color im Rassismus als anders, fremd, nicht-zugehörig, meist auch als minderwertig fixiert.“ (Nghi Ha 2009)

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Zygmunt Bauman verwendet den Begriff des „strangers“ zur Beschreibung jener ambivalenten und uneindeutigen (staatsbürgerlichen) Subjektpositionen im Inneren von modernen Gesellschaften, die „weder Freund noch Feind“ sind, sondern „beides sein“ können (ebd.: 76). Der „stranger“ ist nach Bauman also „jemand, der sich weigert,

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bivalente und stets gefährdete und verletzliche Position von lesbischen Existenzweisen zwischen ‚Freund‘ und ‚Feind‘ im ‚Inneren von Gesellschaften‘ zu beschreiben, es setzt aber bereits eine entsprechende (neutralisierte) ‚Anrufung‘ als potenziell ‚legitimes‘ Mitglied der Gemeinschaft voraus (Phelan 2001: 5). „I argue that sexual minorities are better understood as strangers, not enemies but not friends or ‚natives‘ either. The stranger’s strangeness may be formally denied in liberal regimes, but her distance from cultural citizenship makes her continually prey to renewed exclusion, scapegoating, and violence.“ (Ebd.: 5; Hervorh.i.Org)

Shane Phelan ebenso wie zahlreiche andere queere Theoretiker*innen blenden in ihren Rezeption des Konzepts des „sexual strangers“ folglich aus, dass LGBTIQs aufgrund ihres (vermeintlichen) Geburtsortes, ihrer (vermeintlichen) Staatsangehörigkeit oder (vermeintlichen) Herkunft sehr wohl in ein ‚fremdes Land‘ verwiesen werden (können). Insofern ist im Kontext einer intersektionellen Herangehensweise hier auch jene Differenzierung des staatsbürgerlichen (sexual) „strangers“ notwendig, die John Rundell (2004) in kritischer Weiterentwicklung des Konzeptes von Zygmunt Bauman vorschlägt. Rundell differenziert die Gruppe der „strangers“ zwischen „absolute strangers“, die er im Bauman’schen Sinn als jene definiert, „[which have] no home to […] return“ und den „conditional strangers, […] [which] can be viewed as outcasts from a home, a country, or a position to which they can potentially return“ (ebd.: 87). Lesbische Existenzen, die also aufgrund ihrer (vermeintlichen) Herkunft oder Staatsangehörigkeit den sogenannten ‚externen Inklusionsbedingungen‘ nicht entsprechen können, müssen in diesem Sinne als „conditional strangers“ gefasst werden, da sie im Rahmen von (nationalisierenden) Staatsbürgerschaftspolitiken und -diskursen immer wieder in ein (fiktives) ‚anderes Land‘ verwiesen werden (können). Vor dem Hintergrund der restriktiven und rassistischen Migrationsund Asylpolitiken in Europa müssen „absolute strangers“ im Verhältnis zu „conditional strangers“ daher unbedingt als privilegiert gelten und analysiert werden. Die Position des (absolute) „sexual strangers“ ist folglich durch eine formale Inklusion und ‚Anrufung‘ als neutralisierte (bzw. heterosexuelle) Staatsbür-

sich auf das ‚ferne Land‘ beschränken zu lassen oder aus unserem eigenen fortzugehen und der daher a priori dem bequemen Hilfsmittel der räumlichen und zeitlichen Absonderung Widerstand leistet“ (Bauman 1996: 80). Der „Stranger“ wird somit innerhalb moderner Gesellschaften zu einer permanenten Gefahr und/oder Bedrohung, weil er sich weder klar identifizieren lässt, noch eindeutig entlang der Dichotomie Freund/Feind einordnen lässt.

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ger*in gekennzeichnet. Vor dem Hintergrund der im vorigen Abschnitt beschriebenen Notwendigkeit der ‚Umwendung‘ und ‚Identifikation‘ mit den jeweiligen (heteronormativen) Regeln und Normen von Staatsbürgerschaft, ist diese Position aber auch stets fragil und prekär, da jede Form oder Praxis der DisIdentifikation zum internen Ausschluss führen kann. Das heißt, Formen der staatsbürgerlichen Exklusion von lesbischen Existenzweisen lassen sich einmal als Effekte dieser heteronormativen Anrufungs- und Identifizierungslogiken von Staatsbürgerschaft selbst beschreiben, die Heteronormativität sowohl voraussetzen als auch zu ihrer performativen Instituierung beitragen sollen. Vor dem Hintergrund der konstitutiven Wechselwirkung von Einschluss und Ausschluss entlang von ‚Normalität‘ und ‚Verwerfung‘ fungieren lesbische Existenzweisen – auch schwule, aber einer anderen Weise – darüber hinaus aber auch als sogenannte ‚Abjekte‘ bzw. als ‚verworfene Objekte‘ des staatsbürgerlichen Einschlusses (siehe dazu Kapitel 2). Meine Verwendung des Abjekt(ions)begriffs ist dabei wesentlich durch die feministischen Arbeiten Julia Kristevas, durch den heteronormativitätskritischen Einsatz von Judith Butler und David Halperin sowie durch seine postkoloniale Deutung von Anne McClintock geprägt (Kristeva 1982; Butler 1995; McClintock 1995; Halperin 2007). Kristeva erklärte den Begriff des Abjekts anhand des ‚monströsen‘, mütterlichweiblichen Körpers (Kristeva 1982: 4). Das Abjekt als das ‚Verworfene‘, das Ekel und Ablehnung hervorruft, ist bei Kristeva ebenso wie in der Verwendung durch Judith Butler nicht nur etwas „what disturbs identity, system, order“, es ist auch die ‚verworfene‘ Kehrseite des Subjekts selbst, gleichsam seine Konstitutionsbedingung, da es eine Unterscheidung zwischen dem ‚Selbst‘ und dem als ‚kontaminierend‘ empfundenen ‚Anderen‘ erst ermöglicht (Kristeva 1982: 4; vgl. Butler 1995: 23ff.). Für Judith Butler, welche vor allem im Rahmen ihrer Re/De-Konstruktion von Prozessen geschlechtlicher und sexueller Intelligibilitätsproduktion mit dem Abjektionsbegriff operierte, steht der Begriff des „Abjekts“ daher für „jene ‚nicht lebbaren‘ und ‚unbewohnbaren‘ Zonen des sozialen Lebens, die dennoch dicht bevölkert sind von denjenigen, die nicht den Status des Subjekts genießen, deren Leben […] jedoch benötigt wird, um den Bereich des Subjekts einzugrenzen“ (Butler 1995: 23). Die Konstruktion und gleichzeitige Zurückweisung von (‚innerer‘ oder ‚äußerer‘) Alterität/Differenz wird folglich die Grundlage für die Konstruktion des ‚Eigenen (Selbst)‘ (othering). In meiner Untersuchung geht dementsprechend auch darum, (die Konstruktion von) lesbische(n) Existenzweisen vor dem Hintergrund staatsbürgerlicher Abjektionsprozesse und der konstituierenden Funktion des (sexuellen) ‚Anderen‘ für das Gelingen von Staatsbürgerschaftspraktiken selbst zu analysieren. Insofern bediene ich mich hier auch dem von Anne McClintock verwendeten Begriff

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der „abject zone“ als Beschreibung jener politischen und diskursiven Orte, in denen jene ‚uneindeutigen‘ Existenzen leben, die als Idee aber auch als reale Existenzen zurückgewiesen werden müssen (McClintock 1995: 72). Vor dem Hintergrund McClintocks postkolonialer und herrschaftskritischer Perspektive auf koloniale und imperiale Formen des ‚otherings‘ sowie des von Judith Butler artikulierten Anliegens, Prozesse der Abjektion zu politisieren, gehe ich in meiner Untersuchung freilich über eine sprachtheoretische Dekonstruktion von Abjektion hinaus (McClintock 1995; Butler 1995; Wilson 2001). Ich orientiere mich in meiner Verwendung des Abjektionsbegriffes folglich an einer soziologischen, politiktheoretischen und herrschaftskritischen Lesart, in der es, wie David Halperin in seiner Untersuchung von Konstitutionsprozessen schwuler Subjektivitäten betont, nicht darum gehe, Abjektion psychoanalytisch zu begründen, sondern als „consequence of society’s judgment against us“ und somit als „effect of the social play of power“ zu begreifen (Halperin 2007: 69f.; vgl. McClintock 1995). „Abjection“, so Halperin, „is not a normative notion, not an index of psychological health, but a way of imagining and figuring social relations and their subjective vicissitudes“ (ebd.: 70). Insofern werden Prozesse der Abjektion hier nicht jenseits von materiellen Existenzen gedacht, sondern als exklusivierende und subjektivierende (Gewalt-)Formen, die spezifische Subjekte in einer erlebten „abject materiality“ hervorbringen (Wilson 2001: 109; vgl. Butler 1995). Ökonomien und/von Staatsbürgerschaft: Zur analytischen Bedeutung kapitalistischer Produktions- und Konsumlogiken Bereits T.H. Marshall (1950) diskutierte in seinem Beitrag „Citizenship und Social Class“ die Verwobenheit von Staatsbürgerschaft als Institution der (vermeintlichen) (Männer-)Gleichheit mit kapitalistischen Verhältnissen und Klassenungleichheit. Er ging davon aus, dass Kapitalismus und Klassenungleichheit damit nicht im Widerspruch zueinander stehen, sondern dass Staatsbürgerrechte gerade als die Grundlage für das Funktionieren von kapitalistischen Ökonomien zu interpretieren sind: „The explanation lies in the fact“, so Marshall, „that the core of citizenship […] was composed of civil rights. And civil rights were indispensable to a competitive market economy. […] [the] single uniform status of citizenship […] provided the foundation of equality on which the structure of inequality could be built“ (ebd.: 150). Dieses Argument von T.H. Marshall, das keineswegs als fundamentale Kritik an kapitalistischen Ökonomien angelegt war – sondern nur auf die Bedeutung der ausgleichenden Funktion von sozialen (Staatsbürger-)Rechten und Wohlfahrtsstaatlichkeit abzielte, bietet jedoch wich-

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tige analytische Anknüpfungspunkte für eine Diskussion des Zusammenhanges zwischen Kapitalismus, Klasse/ökonomischem Status und (Homo-) Sexualitäten. Einen besonderen Beitrag zur Klärung des komplexen Verhältnisses von kapitalistischen Produktions- und Konsumlogiken, Staatsbürgerschaft und (Homo-) Sexualitäten leistete David Evans mit seinem bekanntes Initialwerk „Sexual Citizenship. The Material Construction of Sexualities“ (Evans 1993). Evans identifizierte darin Sexualität als ökonomische Stratifikationskategorie, durch welche spezifische (sexuelle) Statusgruppen oder Klassen kreiert werden, welche dann auch über je unterschiedliche ökonomische (Konsum-)Rechte und Teilnahmemöglichkeiten am Markt verfügen. Sexualität ist damit für Evans auch eine zentrale sozioökonomische Kategorie, die über den Zugang zu (Konsum-)Gütern und Löhnen/Arbeit (sexuelle) Klassenverhältnisse und ungleiche materielle Positionierungen (mit-)konstituiert. Diese ökonomische Stratifikation auf Basis der jeweiligen sexuellen Identifizierung bzw. Existenzweise manifestiert sich nun nach Evans in „forms of differential sexual citizenship“ (ebd.: 50). Das heißt, er konstatiert Lesben und Schwulen eine „secondary material citizenship“ (ebd.: 7). Das „Anliegen“ von Evans ist es also aufzuzeigen“, wie er in einem späteren Beitrag schreibt, „wie ‚sexuelle BürgerInnenschaft‘ in der Praxis sexuelle Bevölkerungen in verschiedene Schichten des Ausschlusses von (Staats-)BürgerInnenschaft einteilt“ und wie trotz vermeintlich ‚gleicher Rechte‘ die „Entstehung spezifischer Formen legitimer differentieller BürgerInnenschaft […]“ möglich wird (Evans 2000: 69). Homosexualität steht damit für Evans nicht ‚außerhalb‘ oder ‚jenseits‘ kapitalistischer Produktionslogiken, sondern ist unmittelbar mit diesen verwoben: „The social, economic and political emergence and organisation of sexual status groups in modern societies has been notable, but within not outwith the complex processes, structures and power relations of capitalism. Sexuality is inextricably tied to capitalisms’ requirements for reproduced labour of different values […].“ (Evans 1993: 36)

Sexualitäten bzw. insgesamt die Formierung ‚moderner‘ sexueller Identitäten könne nach Evans daher auch nicht jenseits von kapitalistischen Marktlogiken, insbesondere von „consumerism“ analysiert werden. Denn, so Evans, „the markets’ pecuniary egoism appears inherently sexual. […] both market and sexual values are united in the ultimate fetishisation of the individual as a unique being. […] We must consume to find and express our natural unique selves, it is beholden upon us to do so.“ (Ebd.: 47f.) David Evans kritisiert daher besonders die Kommodifizierung und ‚Verdinglichung‘ von Sexualität, da sie sich über die Konsumation spezifischer Waren (subkulturelle Codes) ausdrückt bzw. ausdrü-

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cken soll. Rosemary Hennessy (2000) geht in ihrer materialistischen Analyse der Verwobenheit von (Spät-)Kapitalismus und sexuellen Identitäten/Homosexualität noch einen Schritt weiter. Sie zeigt auf, wie insgesamt die Formierung des ‚moderner (homo- und hetero-)sexuellen Subjekts‘ ohne die Etablierung einer kapitalistische Logik des Konsums bzw. eines Diskurses einer individuellen (vergeschlechtlichten) „object choice“ nicht zu denken sei (ebd.). Für Hennessy ist demnach die Formierung einer modernen sexuellen Identität unmittelbar mit der Idee der „commodity consumption“ durch einen „free consumer“ verbunden, da sich Identitäten nun auf Basis der jeweiligen „sexual object choice“ manifestieren müssen (ebd.: 99ff.). Die eigene geschlechtliche/sexuelle Identität wird nun also durch den (sexuellen) Konsum eines bestimmen ‚Geschlechts‘ konstituiert und nicht mehr ausschließlich durch die Rolle in der Familie oder menschlichen Reproduktion bestimmt (ebd.; vgl. Charusheela 2010). Spezifische Identitäten und Geschlechter(-Subjektivitäten) – auch sexuelle Identitäten – werden demnach durch den Konsum der entsprechenden Güter konstituiert und reproduziert.7 Diese Perspektiven sind für eine kritische Analyse von Staatsbürgerschaft aus mehreren Gründen zentral. Einmal verweisen sie auf das ambivalente Verhältnis von dem Staatsbürgerschaftskonzepten inhärentem ‚Versprechen‘ von (formaler) Gleichheit und der von kapitalistischen Ökonomien produzierten und durch diese (vermeintliche) Gleichheit nicht tangierten sozioökonomischen Ungleichheit. Im Gegensatz kann sogar von einem intrinsischen Zusammenhang zwischen einer proklamierten formalen staatsbürgerlichen Gleichheit und einer durch kapitalistische Verhältnisse produzierten Ungleichheit ausgegangen werden. In diesem Kontext gilt es also auch, die (partielle) Inklusion von LGBTIQs in die Institution Staatsbürgerschaft vor dem Hintergrund ökonomischer (Ungleichheits-)Verhältnisse und dem neoliberalen Umbau von staatlichen Sicherungssystemen in den Blick zu nehmen. Diese widersprüchliche Interdependenz zwischen Markt- und Staatsbürgerschaft hätte sich nun, so viele neoliberalismuskritische Theoretiker*innen, aktuell nur noch verstärkt (Bauman 1995; Bell/Binnie 2000). Die Marktbürger*innenschaft oder die Konsumbür-

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In diesem Kontext sind auch die Überlegungen der feministischen Ökonomin S. Charusheela zum Zusammenhang von Heteronormativität und der Stabilität/Aufrechterhaltung des Konsums spannend. Nach Charusheela sind makroökonomische Prozesse demnach heteronormativ strukturiert bzw. ist Heteronormativität gleichsam eine zentrale Grundlage zur Aufrechterhaltung eines stabilen Konsums, denn da das heteronormative Geschlechterdispositiv über den Kauf der entsprechenden Produkte einer permanenten Zitation bedarf, kann der Konsum trotz fallender Einkommen und steigender Preise relativ stabil gehalten werden (Charusheela 2010).

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ger*innenschaft sei demnach zum eigentlichen Ort sozialer und kultureller Teilhabe geworden bzw. werden Rechte, wie etwa soziale Rechte, immer stärker an den Markt gebunden: „[T]he citizen is made over as a particular kind of sovereign consumer, who has the right to choose and ‚buy‘ access to aspects of collective consumption provided traditionally by the state (welfare, health care, education).“ (Bell/Binnie 2000: 6; Hervorh.i.Org.)

Umgekehrt, war und fungierte jedoch die Sphäre des Marktes „as an alternative sphere of political action and inclusion for groups excluded from the formal body politic“ (Trentmann 2007: 149). Das heißt, diese Form der Konsum- und Marktbürger*innenschaft stellt sich damit für Lesben in einem besonderen Maße als ambivalent dar. Denn einerseits gibt sich der Markt vermeintlich „amoralisch“ (Evans 2000), gleichzeitig wird der Zugang zu einer Konsum- und Marktbürger*innenschaft freilich durch den ökonomisch-materiellen Status bedingt. Insofern wird in diesem Kontext auch die Notwendigkeit einer kritischen Analyse von sozioökonomischen Disparitäten sowie differierenden materiellen Verortungen innerhalb sexueller Statusgruppen eingefordert, da diese wiederum maßgeblich den Zugang zu und die Teilnahme an einer Marktbürger*innenschaft bzw. Konsumbürger*innenschaft bedingen. Hennessy (2000) unterstreicht demgemäß auch die Bedeutung der Kategorie Geschlecht und Klasse sowie insgesamt die analytische Relevanz ökonomisch-materieller Ungleichheiten für sexualitäts- und queer-theoretische Ansätze. Sexual Citizenship: Widerstreitende Bedeutungen eines zentralen queer-theoretischen Konzepts Vor dem Hintergrund einer Ausblendung der (Struktur-)Kategorie Sexualität bei ‚herkömmlichen‘ Staatsbürgerschaftsanalysen in der Soziologie und den Politikwissenschaften, zum Teil aber auch innerhalb feministischer Forschungen, wurde im Rahmen der Lesbian & Gay sowie der Queer Studies der Terminus sexual citizenship eingeführt, um damit die (hetero-)sexualisierten Implikationen von Staatsbürgerschaft benennen und entsprechend theoretisieren zu können. Ruth Lister spricht folglich auch von zwei (analytischen) Ansprüchen, die mit dem Begriff bzw. der Verwendung des Begriffs sexual citizenship einhergehen: Einerseits geht es um eine methodologische Perspektivenverschiebung in Hinblick dessen, welche Bereiche überhaupt als relevant für die wissenschaftliche Analyse von Staatsbürgerschaft definiert werden (Lister 2002). Der Begriff sexual citizenship mache demnach deutlich, dass gerade die vermeintliche Pri-

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vatheit sowie das ‚Intime‘ wie Körper/Körperlichkeit, Sexualitäten und Begehren für eine Analyse von Staatsbürgerschaft ebenso zentral seien, wie jene Felder, die als ‚politisch‘ gelten (ebd.). Konkret bedeutet dies, dass Staatsbürgerschaft demnach „always already sexualized“ sei und dass die „foundational tenets of being a citizen are all inflected by sexualities“ (Bell/Binnie 2000: 10ff.). Darüber hinaus verweist der Begriff sexual citizenship auf die Relevanz von Sexualität als determinierender Faktor in der Ausübung und dem Zugang zu staatbürgerlicher Mitgliedschaft und Rechten. Insofern werden mit dem Begriff sexual citizenship auch verstärkt Fragen nach den (heteronormativen) „Bedingungen von Mitgliedschaft“ und staatsbürgerlicher Teilhabe ins Zentrum der Analyse gerückt (Hark/Genschel 2003:138; vgl. Evans 1993). Gleichzeitig existiert jedoch auch innerhalb der Queer/Lesbian & Gay Studies keine Einigkeit darüber, wie und welcher Weise der Begriff sexual citizenship verwendetet werden kann und soll. Denn während einige diesen Begriff vorwiegend als analytisches Werkzeug zur Bearbeitung/Dechiffrierung des heteronormativen Charakters von Staatsbürgerschaft/Staatsbürgerschaftskonzepten und damit verbundenen Formen der Exklusion, Diskriminierung und Marginalisierung verwenden (u.a. Evans 1993; Bell/Binnie 2000; Richardson 2000a), wird er sowohl von einigen Theoretiker*innen ebenso wie innerhalb aktueller politischer Diskussionen vielfach in visionärer-transformativer respektive normativer Absicht gebraucht, um damit politische Möglichkeiten einer Veränderung und/oder Transgression des ‚traditionellen‘ Staatsbürgerschaftsverständnisses aufzuzeigen (vgl. Weeks 1999 [1998]; Plummer 2003; Kaplan 1997). Das Konzept sexual citizenship enthält in dieser Deutung – ähnlich wie im vorhergehenden Abschnitten diskutiert – eine inklusivistische ‚Versprechung‘ und zwar insofern, als dass damit ein für LGBTIQs ‚ideales‘ oder ‚gutes‘ Staatsbürgerschaftskonzept beschrieben werden soll. Als ein paradigmatisches Beispiel für aktuelle politische und theoretische Diskussionen gilt hier die Konzeption von Morris Kaplan (1997). Er plädiert demnach für eine Überwindung der ‚traditionellen‘ (heteronormativen) Definition von Staatsbürgerschaft und schlägt dagegen ein Konzept vor, dem eine „robust conception of lesbian and gay rights“ zugrundeliegen sollte „that emphasizes protection against discrimination and advocates recognition of queer relationships, families, and associations“ (ebd.: 3). Ähnlich wie in Forderungen der ILGA oder anderer nationaler LGBTIQ-Bürger*innenrechtsorganisationen, geht es in solchen Konzeption von sexual citizenship vor allem um eine, an liberaldemokratische Prinzipien angelehnte Ausdehnung von staatsbürgerlichen Rechten auf LGBTIQs respektive eine entsprechende Veränderung dieser Rechte, damit LGBTIQs diese auch wahrnehmen können:

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„Equality for lesbian and gay citizens […] requires the extension of civil rights laws to protect queer citizens against retaliation for exercising their freedom to associate openly with others in both social and political contexts. Such a conception of lesbian and gay rights depends on a strong reading of the demands of democratic citizenship and the exigencies of desire and individual self making. The importance of personal liberty in shaping one’s desires to determine the course of a life must be articulated in relation to the political freedom of citizens collectively to decide the forms of their common life.“ (Kaplan 1997: 3f.)

Kaplans Ausführungen weisen somit eine enge Verbindung zu jenen Staatsbürgerschaftskonzepten auf, die innerhalb feministischer und ‚multikulturalistischer‘ Theoriekontexte im Zusammenhang eines sogenannten „differentiated universalism“ diskutiert werden (Lister 1997a: 39). Konkret geht es hier um Staatsbürgerschaftskonzepte, in welchen unterschiedliche sexuelle, geschlechtliche und ‚kulturelle‘ Partikularismen, Differenzen und/oder Verortungen als mögliche und legitime Existenzformen von Staatsbürger*innen anerkannt werden. In meiner Forschungsarbeit möchte ich mich jedoch von solchen inklusivistischen und damit letztlich auch normativen Konzeptionen von sexual citizenship distanzieren. Zwar kann ich der analytischen Verwendung des Begriffs/Terminus sexual citizenship vieles abgewinnen, da derart die ‚(hetero-)sexuelle‘ Durchzogenheit von Staatsbürgerschaft selbst angezeigt und sichtbar gemacht werden kann und derart auch vermeintlich ‚private‘ Räume als Konstitutionsbedingungen von legitimer Staatsbürger*innenschaft in den Blick geraten, einer idealistischen Konzeption stehe ich aufgrund meiner grundsätzlichen Zurückweisung von Staatsbürgerschaft als Inklusionsinstrument jedoch kritisch gegenüber. Zwar erachte ich Jeffrey Weeks subversive(re) Konzeption von sexual citizenship als durchaus spannend – er schreibt jenen „sexual citizens […] [which] make a claim to transcend the limits of the personal sphere by going public“ transformatives Potenzial für eine Veränderung unserer Gesellschaften zu – gleichzeitig bin ich jedoch skeptisch, ob der Begriff dazu geeignet ist, sexualpolitische Interventionen von „pioneers, voyagers, experimenters with the self and with relationships“ adäquat zu beschreiben (Weeks 1999 [1998]: 36ff.). Einige queere Theoretiker*innen halten also auf unterschiedliche Art und Weise ebenfalls normativ an einem (nationalstaatlich verfassten?) Konzept von Staatsbürgerschaft bzw. einem Ideal der ‚Vollinklusion‘ fest, plädieren aber für eine Ausweitung bzw. (queere) Verdichtung von Staatsbürgerschaft/Staatsbürgerschaftsrechten für bzw. zugunsten der Inklusion von LGBTIQs. Eine solche (queere) ‚Verdichtung‘ bzw. LGBTIQ-inklusive ‚Ausweitung‘ von Staatsbürger-

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schaftsrechten wird aktuell insbesondere auch in Referenz auf das Konzept der „sexuellen Rechte“ diskutiert. Ähnlich wie beim Konzept der sexuellen Staatsbürgerschaft wird und wurde auch der Terminus der ‚sexuellen Rechte‘ international unterschiedlich gebraucht und für sehr unterschiedliche Forderungen eingesetzt. Analytisch hilfreich erscheint in diesem Kontext daher auch die Differenzierung und kritische Evaluierung von unterschiedlichen „sexual rights claims“ im Zusammenhang mit einer Ausdehnung/Verdichitung des sexuellen Staatsbürger*innenschaftsstatus für LGBTIQs, wie sie Diane Richardson (2000a; 2000c) vorschlägt. Unter den Überbegriffen „(sexual) practices“ bzw. „conduct based rights“ fasst Richardson nun jene erste Dimension von ‚Rechten‘ zusammen, die auf eine (partizipative) Erweiterung der „sexual practice[s]“ von LGBTIQs abzielen (Richardson 2000a: 99; Richardson 2000c: 107ff.). Darunter fällt für sie (u.a.) generell die Aufhebung von (gesetzlichen) Verboten, die homosexuelle (Sexual-)Kontakte bzw. Akte kriminalisieren oder unterschiedliche Altersbeschränkungen für hetero- und homosexuelle Kontakte vorsehen. Oftmals wurden/werden diese Forderungen in Rekurs auf das ‚Recht auf Privatheit‘ artikuliert, was Richardson freilich vor dem Hintergrund feministischer Kritiken am Konstrukt der ‚Privatheit‘ problematisiert (ebd.: 100). Das ‚Recht auf Privatheit‘ stellt zum einen weder die für ‚moderne‘ Konzeptionen von Staatsbürgerschaft konstitutive (geschlechtsspezifische) Dichotomie von privat/öffentlich in Frage, noch geht es über eine „politics of tolerance and assimilation“ hinaus (Richardson 2000c: 110). Forderungen nach einem (geschlechterunkritischen) ‚Recht auf Privatheit‘ für LGBTIQs wurden/werden historisch und gegenwärtig sowohl von feministischen Theoretiker*innen stark kritisiert, als auch im Rahmen unterschiedlicher lesbischer/schwuler/feministischer Bewegungsformationen immer wieder vehement in Frage gestellt. Dieser Kritik und Problematisierung eines ‚Rechts auf Privatheit‘ als (mögliches) sexuelles Staatsbürger*innenrecht folge auch ich in meiner Analyse, wenngleich ich im Rahmen meiner späteren Ausführungen über bestehende feministische und queere Kritiken hinausgehen und einige lesbenaffirmative Spezifizierungen dieser Kritik vorlegen möchte. Gleichzeitig gilt es hier nicht nur aktuelle (neoliberale) Transformationen8 und (historische) Unein-

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Birgit Sauer verweist in diesem Kontext etwa auf die Aufweichung des politischen Raumes durch „eine ‚Sucht‘ nach Privatheit“, die sich z.B. in der ‚Veröffentlichung‘ des Privaten, des ‚Intimen‘ von Politiker*innen im Wahlkampf zeige. Auch würden Phänomene der „Überwachung“ oder „Privatisierung“ von sozialstaatlichen Leistun-

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deutigkeiten9 dieser Trennung im Blick zu behalten, sondern auch den mehrdimensionalen feministischen Kritiken und affirmativen Transformationsmöglichkeiten von Privatheit analytisch Rechnung zu tragen (vgl. Sauer 2001a: 184ff.).10 Als ein Ergebnis der beschriebenen politischen Kämpfe und Infragestellungen einer ‚Politik der Privatheit‘, Assimilation und/oder Toleranz formierte sich bereits in den 1970er Jahren jene zweite Dimension von „sexual rights“, die Richardson als „identy-based rights claims“ beschreibt (Richardson 2000a: 105). Diese umfassen nach Richardson „the right to self definition“, „self expression“ und „self realisation“ und lassen sich im Kontext eines sexual citizenship-Diskurses auf die Forderung nach einer ‚Anerkennung‘ (individueller) sexueller und/oder geschlechtlicher Identitäten und Ausdruckformen als ‚legitime‘ Staatsbürger*innenidentitäten verdichten (ebd.: 105ff.). „Identy-based rights claims“ korrelieren und korrelierten historisch auch mit Forderungen nach dem Recht „to be ‚out‘ and publicly visible“, womit die jeweilige ‚öffentlich gelebte‘ sexuelle oder geschlechtliche Identität also nicht mehr als Grundlage der (partiellen) Exklusion von LGBTIQs von Staatsbürger*innenschaft/Staatsbürger*innenschaftsrechten fungieren dürfe oder sollte (ebd.: 108). Als unmittelbare rechtliche bzw. realpolitische Entsprechungsversuche derartiger „identy-based rights claims“ werden in EUropa aktuell vor allem Anti-Diskriminierungsregelungen ‚aufgrund der sexuellen Orientierung‘ bzw. ‚geschlechtlichen Identität‘ diskutiert bzw. mit unterschiedlichen Reichweiten implementiert (vgl. Beger 2004). Mit dem Verweis auf die Problematik einer (möglichen) Essentialisierung, Stabilisierung und/oder Verfestigung von (totalisierenden, gewaltvollen) Identitätskategorien im Rahmen von Identitätspolitiken, geraten „identy-based rights claims“ seit den späten 1980er Jahren jedoch zunehmend theoretisch und politisch unter Druck. Die Kritik formierte sich theoretisch und politisch vor allem unter dem Zeichen von queer und problematisiert/e „identy-based rights claims“

gen das Verhältnis von Privatheit und Öffentlichkeit maßgeblich verändern (Sauer 2001: 177). 9

Etwa welche Bereiche jeweils der Privatheit und welche der Öffentlichkeit zugrechnet wurden bzw. werden sollten.

10 Privatheit wird in einigen feministischen Arbeiten gerade im Zusammenhang mit einer Autonomie, Selbstbestimmung, (körperlichen) Integrität und Menschenwürde für Frauen konzeptionalisiert und somit als „Conditio sine qua non für eine gleichberechtigte Teilnahme an der politischen Öffentlichkeit“ betrachtet (Sauer 2001: 196). Diese Privatheit liegt, so Birgit Sauer, nicht jenseits von Öffentlichkeit und Staat, sondern wird gerade als Sphäre der persönlichen Autonomie konzeptionalisiert (ebd.: 197).

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u.a. in Rekurs auf poststrukturalistische und postkoloniale Verunsicherungen von (sexuellen, geschlechtlichen sowie ‚kulturellen‘) Identitäten sowie vor dem Hintergrund realpolitischer Erfahrungen des Ausschlusses und der Marginalisierung innerhalb der (identitätspolitisch organisierten) LGBTIQ-Communities (vgl. Perko 2005; Engel 2002; Klapeer 2007). Judith Butler brachte diese Kritik auf den Punkt, haben für sie doch „Identitätskategorien […] niemals nur einen deskriptiven, sondern immer auch einen normativen und damit ausschließenden Charakter“ (Butler 2003: 49). Debatten um Identität und ihre ‚totalisierenden‘ und ‚ausschließenden Nebenwirkungen‘ können auch als Kristallisationspunkt aktueller Spannungen und Spaltungen innerhalb theoretischer und politischer Auseinandersetzungen um den (sekundären) sexuellen Staatsbürger*innenschaftsstatus von LGBTIQs identifiziert werden (vgl. quaestio 2000a; quaestio 2000b; Hark 2000a). Denn im Rahmen dieser Auseinandersetzungen und Verständnisse von sexual citizenship werden jeweils höchst unterschiedliche Konzepte von Identität, Sexualität und Geschlecht verhandelt (vgl. Richardson 2000c: 118f.; Klapeer 2009a). Auch wenn ich vor dem Hintergrund meiner obigen Ausführungen zur Multidimensionalität von Staatsbürgerschaft als sozialer Prozess und Set institutionalisierter Praktiken einer Verengung von sexual citizenship auf bestimmte sexual rights extrem kritisch gegenüberstehe und in meiner Analyse weder normativ an der Idee einer staatsbürgerlichen ‚Vollinklusion‘ festhalten noch für eine Anreicherung/Verdichtung der Staatsbürger*innenstatus von lesbischen Existenzweisen mit neuen sexual rights plädieren will; dennoch möchte ich hier doch auch für einen differenzierteren (feministischen) Blick auf die Geschichte von „identy based rights“ plädieren. Queere Theorien und Politiken kritisieren zu Recht den totalisierenden und ausschließenden Gestus von Identitätskategorien (u.a. innerhalb der Lesben- und Schwulenbewegungen seit Stonewall) und die darauf basierenden politischen Forderungen. Gleichzeitig werden in diesem Kontext andere Bewegungstraditionen innerhalb feministischer Bewegungssegemente jedoch häufig unterschlagen. Denn Identitätspolitik meinte etwa im Kontext eines Black Lesbian Feminism bzw. eines Lesbian Feminism primär die eigene ‚Verortung‘ innerhalb einer patriarchal und rassistisch organisierten Gesellschaft sowie die eigenen Erfahrungen mit Diskriminierung, Marginalisierung und Ausgrenzung zum Ausgangspunkt politischer Forderungen zu machen (vgl. Lorde 1984; Rich 1986 [1984]; Combahee River Collective 1977). Mit einer „Politik der Verortung“ kann somit auch die konkrete (staatsbürgerliche) Positionierung von (lesbischen) Existenzweisen, ihre Marginalisierung, Ausgrenzung und/oder (partielle) Inklusion in den Blick genommen werden, ohne dabei ‚sexuelle Identität‘ als askriptorisches Merkmal vorauszusetzen und

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somit sexual citizenship auf ein Bündel von sexuellen Rechten, wie „identybased rights“, zu reduzieren (vgl. Phelan 1994). Im Rahmen einer Zusammenführung dieser Perspektive mit einem gouvernementalitätstheoretischen Ansatz rückt somit auch die Frage ins Zentrum, warum und in welcher Weise LGBTIQs gezwungen werden, ihre Forderungen und Erfahrungen mit Diskriminierung und Ausgrenzung im Rahmen von „identy based rights claims“ zu artikulieren und welche „claims“ historisch und aktuell mehr oder weniger gehört werden/wurden (vgl. Evans 2000; vgl. dazu ausführlich Kapitel 4). Als dritte Dimension von „sexual rights“ diskutiert Diane Richardson nun auch noch jene Rechte, welche die (rechtliche) Absicherung von (persönlichen) Beziehungen garantieren sollen: Diese sind (u.a.) „the right to freely choose […] sexual partners“ sowie „the right to publicly recognised sexual relationships“ (Richardson 2000a: 112f.). Vor allem der dritte Aspekt dieses Bündels an „relationship-based rights“ kann ebenfalls in der aktuellen Diskussion um (sexual) citizenship für/von LGBTIQs als höchst umstritten gelten, da hier wiederum sehr kontroverse Forderungen und Vorstellungen einer adäquaten Inklusion von LGBTIQs aufeinander treffen (vgl. Hark 2000b). Während einige Theoretiker*innen und Aktivist*innen Heiratsrechte als zentrale Dimension von Staatsbürger*innenschaft/Staatsbürger*innenschaftsrechten identifizieren, wird im Rahmen queerer und feministischer Analysen auf die normalisierenden, disziplinierenden und Ungleichheit verstärkenden Implikationen solcher ‚Rechte‘ hingewiesen. Vor dem Hintergrund der historischen geschlechtsspezifischen Konnotierung und Ungleichheit in „publicly recognised sexual relationships“ schließe ich mich im Rahmen meiner Analyse daher weitgehend dieser Kritik an institutionalisierten Beziehungsformen (etwa im Rahmen der Zivilehe oder einer eingetragenen Partnerschaft) an, möchte in diesem Kontext aber ebenfalls auf die Notwendigkeit einer lesben-affirmativen Spezifizierung dieser Kritik hinweisen. Gendering Sexual Citizenship, Sexing Gendered Citizenship(s): Interventionen in feministische und queere Diskurse Wie die obigen Ausführungen zur widersprüchlichen und mehrdeutigen Verwendung des Konzepts und Begriffs sexual citizenship und sexual rights innerhalb queer-theoretischer Auseinandersetzungen zeigen, sind einige dieser Zugänge nur bedingt für meine/eine lesben-affirmative Analyse von Staatsbürgerschaft brauchbar. Als besonders problematisch für eine lesben-affirmative Herangehensweise erweist sich in diesem Kontext jedoch die Ausblendung bzw. die Marginalisierung der Kategorie Geschlecht und ihrer konstitutiven Bedeutung für die Konstruktion von ‚legitimen Staatsbürgern‘ (als männlich, weiß und hete-

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rosexuell), dem (historischen) Zugang zu Staatsbürgerschaft als auch für das Funktionieren von Staatsbürgerschaft entlang der (vergeschlechtlichten) Dichotomie privat/politisch (vgl. Appelt 1999). LGBTIQs werden im Rahmen queerer Debatten um sexual citizenship daher vielfach als eine (homogene) Gruppe mit gemeinsamen (politischen) Interessen oder einer geteilten politischen Verortung konstruiert, welche unabhängig von Geschlecht, Klasse, ‚Rasse‘, geopolitischer Herkunft, ‚Ability‘ gleichermaßen von sexual rights profitieren würde. Demnach kann in zahlreichen heteronormativitätskritischen sexualcitizenship-Ansätzen, wie sie u.a. von David Evans (1993), Ken Plummer (1995), Morris B. Kaplan (1997), Jeffrey Weeks (1999 [1998]), David Bell und Jon Binnie (2000) vorgelegt wurden, eine universalisierende Sichtweise auf die als sexuell-deviant konstruierten politischen, queeren Subjekte konstatiert werden. Auf die Tendenz einer mangelnden Differenzierung der Gruppe der LGBTIQs hat auch bereits des Öfteren Diane Richardson im Rahmen ihrer queer-feministischen Arbeiten zu Staatsbürgerschaft hingewiesen (Richardson 2000a; 2000b): „The dominant trend in analyses which conceptualize sexual citizenship […] has been to focus upon ‚lesbian and gay‘ struggles for equality, rather than specifically analysing lesbian citizenship per se, thus failing to differentiate lesbians from other ‚queers‘ or ‚gay men‘. What we then have is a gender neutral approach – ‚lesbian and gay‘ citizens or queer citizenry – which embraces lesbian, gay, bisexual and transgender citizens.“ (Richardson 2000b: 262; Hervorh.i.Org)

Geschlechterkritisch-queere bzw. lesben-affirmative Analysen finden sich ansatzweise bei Diane Richardson selbst (Richardson 2000a; Richardson 2000b) und in den lesbisch-feministisch inspirierten Werken von Shane Phelan (Phelan 1994; Phelan 2001). Phelan betont vor dem Hintergrund der fehlenden Geschlechterperspektive innerhalb queerer Citizenship Studies deshalb auch, dass wenn „queer work […] does not pay attention to feminist theory“, würden diese wiederum in die (androzentrische) ‚Falle‘ herkömmlicher citizenship-Verständnisse tappen (Phelan 2001: 9). Insofern ist es gerade auch ein Anliegen dieser Forschungsarbeit, feministische und queere (sexual) citizenship-Analysen auf produktive Weise miteinander zu verbinden und somit auch neue Korrespondenzen zwischen diesen Ansätzen herzustellen. Queere Analysen von Staatsbürgerschaft ermöglichen es demnach, die sexualitätstheoretischen Blindstellen und (lesbenspezifischen) Auslassungen von feministischen Staatsbürgerschaftsanalysen affirmativ zu korrigieren, ohne jedoch die geschlechterkritischen Erkenntnisse dieser Untersuchungen vollständig in Frage zu stellen. Sexualität gilt es in diesem Kontext also in Rekurs auf

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queer-theoretische und heteronormativitätskritische Zugänge sowie in Bezugnahme auf lesbisch-feministische Arbeiten als eigenständige und trotzdem interdependente, politische Strukturkategorie ernst zu nehmen, deren politische Bedeutung sich nicht allein „aus der Funktionalität der Heterosexualität für eine männliche Herrschaftssicherung gegenüber Frauen“ ableiten lässt (Hänsch 2001: 276; vgl. Hacker 1987; Bührmann 1996; Butler 1991; Butler 1996). Feministische Staatsbürgerschaftsanalysen thematisierten Sexualität vorwiegend im Rahmen der patriarchalen Reduktion von Frauen auf ‚Natur‘, Körperlichkeit, Privatheit und damit Reproduktion und Mutterschaft bzw. wurde auf die diskriminierende und gewaltvolle Wirkung einer mangelnden ‚sexuellen Selbstbestimmung‘ von Frauen durch Abtreibungsverbote, ungenügende Gewaltschutzgesetze, Sexarbeit etc. hingewiesen. Die ‚Unterdrückung‘ weiblicher Sexualität bzw. Heterosexualität selbst erscheint darin aber als abhängige Variable von Geschlecht, die als Begleiterscheinung androzentrischer Herrschaftsverhältnisse theoretisiert wird. Sexualität muss demgegenüber aber gerade als „Kategorie sozialer und politischer Strukturierung“ verstanden werden, die „Individuen an der sozialen Peripherie oder im Zentrum“ positioniert und „sie in einer bestimmten und bestimmenden Relation zu institutionellen und ökonomischen Ressourcen, zu sozialen Möglichkeiten, rechtlichem Schutz und sozialen Privilegien sowie in Relation zu einer Bandbreite von Formen sozialer Kontrolle, die vom Ein- bzw. Ausschluss aus Bürgerrechten bis zu verbaler Verhöhnung und physischer Gewalt reichen, [setzt].“ (Hark 2004: 108)

Vor diesem Hintergrund gilt es daher auch jene lesbisch-feministischen und lesbischen Theorieansätzen ernst zu nehmen, welche für eine analytische Differenzierung zwischen der Positionierung von Frauen und Lesben in heteronormativen Gesellschaften plädieren. Feministische Theorien im Allgemeinen und feministische Staats(bürger*innenschafts)theorien im Speziellen haben jedoch vielfach eher dazu beigetragen, diese Differenzen zwischen Frauen sowie die unterschiedlichen Gewalt-, Diskriminierungs- und Exklusionsformen zu marginalisieren. Denn wie bereits im ersten Abschnitt diskutiert wurde, ist Hetero- und Homosexualität eben keine sexuelle Präferenz, sondern ein politisches Ordnungssystem.

Die Tribade im Leviathan: Erzählungen über gute Staatsbürger und sexuelle Devianz Also fragen wir, wen man Bürger nennen soll und wer ein Staatsbürger ist. ARISTOTELES1 Der Staat muss wissen, wie es um den Sex der Bürger steht und welchen Gebrauch sie davon machen. Aber auch jeder einzelne muss fähig sein, den Gebrauch, den er vom Sex macht, zu kontrollieren. Der Sex ist […] zum öffentlichen Einsatz zwischen Staat und Individuen geworden. MICHEL FOUCAULT2

S EXUELLE G RAMMATIKEN NEUZEITLICHER S TAATSBÜRGERSCHAFTSKONZEPTE Politische Ideen als sinnstiftende Praktiken und Sprachen Vor dem Hintergrund meiner Orientierung an „genealogischen“ und „archäologische Methoden“3 sowie einer kritischen Rezeption wichtiger Einsichten der

1

Aristoteles (1989): Politik. Schriften zur Staatstheorie, Buch III, Stuttgart, 1275a1.

2

Foucault, Michel (1983 [1977]): Der Wille zum Wissen. Sexualität und Wahrheit 1, Frankfurt a.M., 38f.

3

Ich beziehe mich hier auf jene diskurstheoretischen Verfahren der ‚Archäologie‘ und ‚Genealogie‘, wie sie von Michel Foucault entwickelt und Judith Butler geschlechter-

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„Cambridge School (of Historiographists)“ und hier besonders der sprechakttheoretischen Überlegungen von John G. A. Pocock (2010a; 2010b) sowie kulturwissenschaftlicher Untersuchungen zum „Imaginären des Politischen“ verstehe ich politische Ideen bzw. prägende politische Theorien als wirkungsmächtige Sprechakte und damit auch als produktive und sinnstiftende kulturelle Praktiken (Koschorke et al. 2007). Politische Theorien, Diskurse und „politische Sprachen“ (Pocock 2010a; 2010b) werden damit keineswegs als „Komplementärphänomene zu harten gesellschaftlichen Tatsachen“ aufgefasst, sondern als produktive Macht-Wissenskomplexe, welche die Denk-, Vorstell- und Sagbarkeit politischer Handlungsfähigkeit, Subjektivität, Mitgliedschaft und Zugehörigkeit ebenso wie Identitäten, Geschlechter und Sexualitäten jeweils mitform(t)en und somit auch handlungsanleitende Bedeutung für die Instituierung und Konstituierung politischer Ungleichheiten besitzen (können) (Koschorke et al. 2007: 10). In einem diskurstheoretischen Sinn geht es also um die Analyse einer Genealogie und Archäologie von bestimmten Wahrheits-, Denk- und Deutungssystemen, welche durch und in diesen Diskursen entwickelt werden. Wie Koschorke et al. (2007) deutlich machen, sind demnach politische Institutionen und Prozesse „ohne die Ressourcen des Fiktionalen undenkbar“: „Rhetorische Prozeduren und figurative Verfahren sind in jeder politischen Ordnung am Werk, und zwar auf der Ebene ihrer elementareren Operationen […], ihrer ‚Betriebssysteme‘ – nicht bloß im ‚Bewusstsein‘ der Individuen, im ‚Überbau‘ oder auf der ‚Benutzeroberfläche‘.“ (Ebd.: 61; Hervorh.i.Org.)

Wenn Staatsbürgerschaft demnach als Set institutionalisierter Relationen zwischen einem politischen Gemeinwesen und (ausgewählten) Individuum verstanden werden kann, dann funktionieren diese institutionalisierten Relationen nicht ohne narrative bzw. diskursiv-symbolische Prozesse. Denn allein „damit sich ei-

theoretisch weiterentwickelt wurden (Foucault 1992 [1973]; Foucault 1989 [1975]; Foucault 1983 [1977]; Foucault 1978; Butler 1991; Butler 1995). Die Genealogie versucht nun „ausgehend von bedrängenden Problemen der Gegenwart“ zu zeigen, „daß und wie gegebene Diskursformationen aus der Geschichte bestimmter Praktiken“ hervorgegangen sind (Fink-Eitel 1997: 87). Die Archäologie hingegen hat zum Ziel, „die unbewusste Ordnung des Diskurses und des Wissens freizulegen, deren praktische Herkunft die Genealogie aufzeigt. Sie enthüllt, daß die Grundlage dessen, was einst und heute für wirklich gehalten wurde und wird, in Wahrheit nur historisch kontingente Konstruktion und Interpretation ist.“ (Ebd.)

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ne Ansammlung von Individuen als kollektiver Agent begreifen kann, um sich überhaupt institutionenfähig zu machen, ist eine Reihe von schöpferischen ästhetischen Prozeduren erforderlich“ (ebd.: 11). Politische Sprachen verleihen Institutionen und Praktiken damit erst ihre Bedeutung und Legitimation und wirken so wiederum handlungsanleitend und wirklichkeitskonstituierend. Wie John G.A. Pocock betonte, folgt daraus die Einsicht, dass theoretische/diskursive Veränderungen von Begriffs- und Deutungssystemen folglich auch den Charakter sozialer Wirklichkeit(en) bzw. politischer Institutionen und Handlungsweisen verändert (Pocock 1975). Das heißt, auch wenn sich diese Arbeit sehr stark diskurstheoretischer Verfahren Foucault’scher und Butler’scher Prägung bedient (besonders der Genealogie und Archäologie), so stellte für mich eine feministisch geleitete Anwendung von Einsichten aus der „Cambridge School“ ein zentrales Korrektiv dieser Verfahren dar. Denn im Gegensatz zur Diskurstheorie werden hier politische Diskurse und Sprachen nicht nur als ‚anonyme‘ Machttechniken begriffen, sondern auch als Machtressourcen und somit als Ungleichheit-produzierende Instrumente analysiert, mit denen der ‚Schreiber‘ sehr wohl (mehr oder weniger bewusst) „die Interessen der Herrschenden“ verfolgt/e (Pocock 2010b: 133). Insofern geht es mir in meiner Arbeit auch um eine herrschaftskritische Verwendung des Dekonstruktions- und Diskursbegriffes, was heißt, Konstruktionsprozesse stets im Kontext historischer und aktueller Herrschaftsverhältnisse und Ungleichheitsstrukturen zu analysieren. In diesem Zusammenhang sei auch auf die zahlreichen feministischen und postkolonialen Arbeiten innerhalb der politischen Theorie und Philosophie verwiesen, machen diese doch ebenfalls explizit das Herrschaftsmoment (‚westlicher‘) politischer Philosophie bzw. (‚westlicher‘) Wissenschaften als Produzent*innen von Ungleichheit deutlich. Sex zwischen den Zeilen: Staats-/Bürgerschaftskonzepte und die Bedeutung sexueller Subtexte An diese Erkenntnisse anschließend werden in diesem ersten Kapitel ausgewählte, diskursprägende philosophische Staats-/Bürgerschaftskonzepte der politischen Neuzeit4 untersucht und derart der Genealogie von Staatsbürgerschaft so-

4

Freilich rekurrieren neuzeitliche Konzeptionen von Staas-/Bürgerschaft auf antike Modelle von Bürgerschaft aus der griechischen und römischen Antike. Besonders das Staats-/Bürgerschaftsmodell von Aristoteles spielt in diesem Kontext eine zentrale Rolle, da auch er Bürgerschaft bereits als aktive Mitgliedschaft freier und gleicher Männer auf Basis der Dichotomie oikos/polis konzipierte.

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wie der darin eingeschriebenen sexuellen Schatten- und Subtexten nachgegangen. Folglich geht es hier nicht um eine hermeneutische Erschließung des ‚wirklichen‘ Sinns der behandelten Konzepte, sondern um eine genealogischideengeschichtliche Dekonstruktion ihrer Implikationen sowie einer intertextuellen Einbettung in spezifische (historische) gesellschaftliche Konflikte, ‚Sprachen‘ und (wissenschaftliche) Paradigmen. Insofern verstehe ich meine Analyse auch als eine Dechiffrierung des (sexuell-vergeschlechtlichten) ‚Archivs‘ von Staatsbürgerschaft, welches freilich weder bruchlos noch vollständig, jedoch fragmentarisch und teilweise auch paradigmatischen Aufschluss über die darin eingeschriebenen, strukturierenden sexuellen Dispositive geben können. Diese methodologische Herangehensweise verweist freilich auch auf einen spezifischen epistemologischen Standpunkt oder eine „kritische Haltung“, da sich meine genealogisch-archäologische Analyse zwangsläufig als Form der ‚Einmischung‘ versteht und derart auch immer die ‚Machtfrage‘ stellt (vgl. Feustel 2013: 150ff.). Damit gibt es aber auch „keinen stabilen und gesicherten Ort […], von dem aus man über Ideengeschichte sprechen könnte, ohne selbst in den Diskurs verstrickt und damit an der Geschichte beteiligt zu sein“ (ebd.: 157). Besondere Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang den Implikationen neuzeitlicher Vertragstheorien zu, gründet/e sich der besondere Status eines mit bestimmten Rechten und Pflichten ausgestatteten neuzeitlichen Staats-/Bürgers doch auf die „normative Differenz von nichtpolitischem, nichtlegitimem Naturzustand und politischem, legitimem Rechtszustand“ (Murmann 2000: 13). Denn das Individuum des Naturzustandes gibt im Rahmen der vertragstheoretischen Erzählungen seine ungesicherte Freiheit auf und tauscht sie mit dem Vertragsschluss und der damit einhergehenden Konstituierung eines rational5 begründeten Staates „gegen die Freiheit des Staatsbürgers“ ein (ebd.: 22). Die unterschiedlichen vertragstheoretischen Konzeptionen von Staats-/Bürgerschaft versuchten demnach neue „‚Letztbegründungen‘ politischen Handelns bereitzustellen, die als aufgeklärte, moderne Begründungen die theologischen Rechtfertigungen eines Gottgnadentums“ ablösten (Appelt 1997: 114f.; Hervorh.i.Org.). Politische Herrschaft und Mitgliedschaft wurde nun auf Basis veränderter Diskurse, Begrifflichkeiten, Deutungssysteme und Menschenbilder legitimiert, stand im Rahmen der neuzeitlichen Philosophie doch das Individuum und seine (ratio-

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Bekanntermaßen standen Fragen nach einer rational erklärbaren statt theologischen oder ‚göttlichen‘ Legitimation politischer Herrschaft und Gewalt sowie den menschlichen Motivationen und Beweggründen politischer und sozialer Vergemeinschaftung (im Rahmen eines Staates) im Zentrum der neuzeitlichen politischen Philosophie (vgl. Braun et al. 1998).

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nal-egoistischen) Interessen im Zentrum der Auseinandersetzung und lösten damit die ethisch-sittliche Fundierung des Politischen im Rahmen aristotelischscholastischer Konzeptionen ab (Doyé et al. 2002: 19). Folglich werden auch einige vertragstheoretische ‚Ideen‘ und ‚Narrative‘ innerhalb der historischen, ideengeschichtlichen und feministischen (Diskurs-)Forschung als Grundlage neuer, für die politische Neuzeit prägender „Denkstile“ und diskursiver „Ordnungssysteme“ beschrieben, da im Rahmen der Vertragstheorien gleichsam eine neue politische ‚Grammatik‘ entworfen wurde, die eine veränderte ‚Denkbarkeit‘ und Gestaltung von Institutionen, (politischer) Subjektivität, Handlungsfähigkeit und Gemeinschaft ermöglichten (Raphael 2006). „Die politische Theorie der Neuzeit“ könne deshalb als „Denkrevolution“ verstanden werden, da sie „die politische Reflexion auf ein völlig neues philosophisches Fundament stellte“ (Kersting 2008: 9). Das „gesamte Verständnis des Politischen“ änderte sich „radikal“, da die „Wahrnehmung der politischen Dinge in gänzlich veränderte Begriffsformen“ gegossen wurde (ebd.). Insofern hatten die Vertragstheorien freilich „programmhaften Charakter“, da sie als (diskursive) ‚Archive‘ für bedeutende Transformationen politischer Selbstverhältnisse und Selbstverständnisse fungierten (Doyé et al. 2002: 25).6 Interessant sind hier auch gerade die geschlechtertheoretischen Implikationen und ‚Schattenseiten‘ dieser veränderten ‚Grammatik‘, denn gleichwohl machten sich viele bedeutende politische Philosophen der Neuzeit im selben Maße zu entschiedenen Anwälten „geschlechtlicher Ungleichheit“, wie sie als „Wortführer der politischen Gleichheit“ (zwischen besitzenden, ‚weißen‘ Männern) agierten (Rauschenbach 2004; vgl. Braun/Diekmann 1994). (Geschlechter-)Ungleichheit musste jedoch gerade vor dem Hintergrund der theoretischen Verabschiedung einer theologischen Fundierung gesellschaftlicher (Ungleich-)Verhältnisse auf einer neuen Basis legitimiert und/oder fortgeschrieben werden. Vor dem Hintergrund der besonderen „epochenbildenden“ Wirkmächtigkeit (Rauschenbach 2004) und (politikwissenschaftlichen) Rezeptionstradition der

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Hier sei insbesondere auf die Bedeutung der Staats-/Bürgerschaftskonzepte von Thomas Hobbes und John Lockes auf die 1689 verabschiedeten „Bill of Rights“ und die Einführung einer konstitutionellen Monarchie in England verwiesen sowie den Einfluss, den John Lockes Schriften auf die US-amerikanische Unabhängigkeitserklärung von 1776 ausübten. Des Weiteren gilt Jean-Jacques Rousseau als ‚Vordenker‘ der Französischen Revolution und der 1789 von der französischen Nationalversammlung verabschiedeten „Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte“. Immanuel Kant legte wesentliche Grundsteine für die Formulierung eines modernen Privat- und Staatsrechts im Rahmen eines Verfassungsstaates.

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Vertragstheorien von Thomas Hobbes, John Locke, Jean Jacques Rousseau und Immanuel Kant sowie angesichts der breiten feministischen Quellenlage zu und Kritik an diesen vier Philosophen, stehen deren Staats-/Bürgerschaftskonzeptionen auch im Zentrum meiner Analyse. Als analytische Grundlage für diese Untersuchung fungierten dabei jene (Standard-)Werke7, in denen Hobbes, Locke, Rousseau und Kant wesentliche Aussagen darüber treffen, wer warum unter welchen Bedingungen ein ‚vollwertiger‘ und ‚legitimer‘ Staats-/Bürger werden/sein könne und infolgedessen auch die vergeschlechtlichte, sexualisierte und koloniale ‚Grammatik‘ ihrer Staats-/Bürgerschaftskonzeptionen untersucht werden kann. Denn Hobbes, Locke, Rousseau und Kant entwarfen im Rahmen einer „normativen Grammatik“ (Gramsci 1999 [1935]) jeweils gewünschte Staats/Bürgertypen, auf deren Basis „systemkompatible“ Eigenschaften und Handlungen eines ‚inklusionswürdigen‘ Staats-/Bürgers definiert wurden (vgl. Stäheli 2001: 52). Diese Kriterien und Bedingungen fungierten damit gleichsam als „Raster der Intelligibilität“ (Butler 2001b) und begrenzten so die diskursive Zone intelligibler Staats-/Bürgerschaftspositionen.

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Als Grundlage für die Untersuchung der Staats-/Bürgerschaftkonzeption von Thomas Hobbes dienen sein 1651 erschienener „Leviathan. oder Stoff, Form und Gewalt eines kirchlichen und bürgerlichen Staates“ (Hobbes 1984 [1651]) sowie seine beiden Abhandlungen „Vom Menschen“ und „Vom Bürger“ (Hobbes 1918 [1642/1658]). Für die Analyse von John Locke werden seine „Zwei Abhandlungen über die Regierung“ herangezogen (Locke 1977 [1690]), wobei auch einige Aspekte aus seiner erziehungstheoretischen Schrift „Einige Gedanken über Erziehung“ (Locke 1812 [1693]) mit einfließen.

Für

die

Untersuchung

der

Staats-/Bürgerschaftkonzeption

von

Jean-Jacques Rousseau wurden beinahe alle seine politischen Schriften herangezogen: Die „Abhandlung über den Ursprung und die Grundlagen der Ungleichheit unter den Menschen“ (Rousseau 1998 [1655]), sein „Emile oder über die Erziehung“ (Rousseau 2006a [1762]), sein Roman „Julie oder die neue Héloïse. Briefe zweier Liebenden aus einer kleinen Stadt am Fuße der Alpen“ (Rousseau 2003 [1761]) sowie seine vertragstheoretische Abhandlung „Vom Gesellschaftsvertrag oder Grundsätze des Staatsrechtes“ (Rousseau 2006b [1762]). Bei Kant wurden ausgewählte Aspekte seiner „Vorlesung zur Moralphilosophie“ (Kant 2008 [1774/1775]), der „Grundlegung zur Metaphysik der Sitten“ (Kant 2007a [1785]) und der „Metaphysik der Sitten“ (Kant 2007b [1797]) analysiert sowie seine Schrift „Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen“ (Kant 2002 [1764]) für den Geschlechteraspekt seiner politischen Theorie herangezogen.

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Jenseits einer ‚objektiven‘ Hermeneutik geht es im folgenden Kapitel also darum, sexualisierte, vergeschlechtlichte und kolonial-rassifizierte Sub- und Schattentexte sowie Nebenerzählungen in den Staats-/Bürgerschaftskonzeptionen von Hobbes, Locke, Rousseau und Kant freizulegen, um darin Anhaltspunkte für eine exemplarische Rekonstruktion jener Bedingungen zu finden, auf deren Grundlage sich staats-/bürgerliche Intelligibilität jeweils konstituieren kann. In einer losen Bezugnahme auf den Dekonstruktionsbegriff von Jacques Derrida werden die Staats-/Bürgerschaftskonzeptionen von Hobbes, Locke, Rousseau und Kant über „Randgänge, Umwege, Holzwege und Fährten“ queer gelesen, um dem vermeintlich Marginalen durch ein „In Beziehung Setzen zum vermeintlichen Wesentlichen eine neue Bedeutung“ zu verleihen (Zirfas 2001: 76). Durch dieses in neue „Kon-Texte“-Setzen wird auch das „Wesentliche“ auf eine neue Art fragwürdig und es offenbaren sich bisher vernachlässigte narrative Schemata (ebd.). Im Folgenden geht es um eine Untersuchung der staats-/bürgerlichen „Grammatik“ (Dufour 2006) und ‚Formen des Narrativen‘ (Bhabha 2008; Viehöver 2001), um die Subtexte bzw. ‚das Implizite‘ von Staats-/Bürgerschaftskonzepten im Kontext ‚des Expliziten‘ zu dechiffrieren. Es sollen damit jene narrativen Prozesse aufgedeckt und auf eine neue Art interpretiert werden, die eine vergeschlechtlichte und rassifizierte Form des Sexuellen zur Konstitutionsbedingung politischer Subjektivität und staats-/bürgerlicher Inklusion und somit des Staats-/Bürgers selbst bestimmten. Folgende Fragen stehen damit im Zentrum dieses Kapitels: Welche sind die Kriterien staatsbürgerlicher Intelligibilität8? Wodurch zeichnen sich erkenn-, denk-, vorstell- und sozial-sprechbare Staatsbürger*innen/-positionen seit der politischen Neuzeit aus? Wodurch wird das Feld staatsbürgerlicher Intelligibilität be- und eingegrenzt? Welche konstitutive Rolle kommt hier den für die politische Neuzeit ‚neuralgischen Punkten‘ Geschlecht, Sexualität/Begehren, Klasse und ‚Rasse‘ als „Raster der Intelligibilität“ zu (Butler 2001b)? In welchem Wechselverhältnis stehen diese zueinander? Wer wird aufgrund welcher Eigenschaften als ‚systemkompatibles‘ Mitglied des jeweils entworfenen politischen Gemeinwesens bei Hobbes, Locke, Rousseau und Kant betrachtet? Welche Subjekte können demnach aufgrund welcher Kriterien den Status eines Staatsbürgers (einer Staatsbürgerin?) einnehmen, welche müssen wiederum als deren konstituierendes ‚Anderes‘, ‚Verworfenes‘ und so-

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Staats-/Bürgerliche Intelligibilität meint in diesem Zusammenhang jene Diskurse, welche eine spezifische Bedeutung von ‚denk- und sagbaren‘ Staats-/Bürgerschaftsposition hervorbringen. Nach Butler kann also gefragt werden, welche Körper, Staats-/Bürgerkörper und damit ‚Körper von (politischem) Gewicht‘ werden können (Butler 1995).

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mit als deren ‚Abjekte‘ exkludiert bleiben? Wann wird also ein Körper ein Staats-/Bürgerkörper mit Bürgerrechten (vgl. Genschel 2000)? Das ‚andere Geschlecht‘, Tribaden und die klitorale Bedrohung: Theoretisch-historischer Interpretationsrahmen In der folgenden Analyse und Re-Interpretation der Staats-/Bürgerschaftskonzepte von Hobbes, Locke, Rousseau und Kant rekurriere ich (kritisch) auf feministische und geschlechtertheoretische Untersuchungen zur androzentrischen und androkratischen Fundierung und Strukturierung staatlicher Herrschaft und staats-/bürgerlicher Mitgliedschaft aus dem Bereich der politischen Philosophie und Politikwissenschaft.9 Da die Werke von Hobbes, Locke, Rousseau und Kant im Rahmen feministischer Analysen geradezu als ‚paradigmatisch‘ für diese androzentrische und androkratische Fundierung und Strukturierung politischer Mitgliedschaft gelten, liegen dementsprechend bereits umfangreiche geschlechterkritische Untersuchungen vor. Als besonders herausragende Werke gelten in diesem Kontext noch immer die Arbeiten der USamerikanischen politischen Theoretikerin Carole Pateman (Pateman 1988; 1989b; Brennan/Pateman 1998). Ihre einflussreiche feministische Dekonstruktion der Vertragstheorien von Hobbes, Locke, Rousseau und Kant als „sexual contract“ und geschlechtsspezifische Unterwerfungsverträge prägte auch meinen theoretischen Zugriff und meine Lesart der entsprechenden Werke. Vor allem ihr nach wie vor vielrezipiertes Werk „The Sexual Contract“ (Pateman 1988) lieferte mir grundlegende geschlechtertheoretische Einsichten in die neuzeitliche politische Philosophie und der androkratischen/androzentrischen Fundierung politischer Mitgliedschaft. Neben Carole Pateman bildeten feministische Analysen zur Entwicklung europäischer Staatsbürgerschaftskonzepte und -regime aus dem Bereich der Geschichtswissenschaften und der Politikwissenschaft ebenfalls gewichtige Hintergrundfolien für meine Untersuchung (u.a. Appelt 1994; Appelt 1997; Appelt 1999; Appelt 2007; Frevert 1995; Lister 1995; Lister 1997b; Lister 2007; Yuval-Davis 1997b; Gerhard 2001; Ostner/Lewis 1995; Siim 2000;

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Ganz grundlegend folgt dieses Kapitel dem Anliegen feministischer Politikwissenschaft, vermeintlich ‚geschlechtsneutrale‘ Begriffe, Konzepte, Ideen, Strukturen (etc.) durch die analytische Einbeziehung der Kategorie Geschlecht zu dekonstruieren und damit deren vergeschlechtlichten Charakter zu dechiffrieren. Als wichtige theoretische Grundlagen dienen hier u.a. die feministischen Arbeiten von Eva Kreisky und Birgit Sauer (Kreisky 1995; Kreisky 1997; Sauer 2001a; Sauer 2003). Siehe aber auch Abels/Sifft 1999; Benhabib/Nicholson 1987; Hansen 1993; Rumpf 1996.

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Bock/Thane 1991; Kulawik 1999). Vor allem Erna Appelts Analyse der Vertragstheorien im Kontext der historischen ‚Vermännlichung‘ des Stadt- und Staats-/Bürgerstatus im neuzeitlichen Europa exemplifizieren hier die Wechselwirkung zwischen ‚Ideen‘, ‚Narrationen‘ und realhistorischen ‚Praktiken‘ (Appelt 1999). Neben diesen breiter angelegten diskursgeschichtlichen Analysen (auch Braun/Diekmann 1994; Rauschenbach 2004; Doyé et al. 2002) habe ich ferner auf entsprechende feministische Einzeluntersuchungen zu Hobbes, Locke, Rousseau und Kant zurückgegriffen, deren Auswahl jeweils am Beginn jeden Abschnitts kurz diskutiert wird. Vor dem Hintergrund meines Erkenntnisinteresses und meiner sexualitätstheoretisch-queeren bzw. lesben-affirmativen Herangehensweise boten hier freilich die, auf die Kategorie ‚Geschlecht‘ fokussierten feministischen Analysen nicht ausreichendes analytisches ‚Handwerkszeug‘, um die komplexen Wechselverhältnisse zwischen ‚Geschlecht‘, ‚Sexualität‘ und ‚Rasse‘ im Kontext der Staats-/Bürgerschaftskonzeptionen von Hobbes, Locke, Rousseau und Kant entsprechend zu dechiffrieren. Denn auch wenn feministische Analysen ‚sexuelle Aspekte‘ und Implikationen durchaus (mit-)diskutieren, so erscheint die ‚sexuelle Unterwerfung‘ von Frauen darin überwiegend als ‚Nebenprodukt‘ der androzentrischen/androkratischen Fundierung der Staats-/Bürgerschaftskonzepte selbst. Das heißt, Sexualität wurde bisher nur bedingt als eigenständige Strukturkategorie mit kategorialer und konstitutiver Bedeutung für die Staats-/Bürgerschaftskonzeptionen selbst analysiert und damit vorwiegend in Bezug auf die ‚Aneignung‘ der ‚weiblichen Reproduktionsfähigkeit‘ und des ‚weiblichen Körpers‘ diskutiert.10 Eine Ausnahme bildet hier jedoch Monique Wittigs kurzer Essay „On the Social Contract“, in dem sie explizit von einem „heterosexual contract“ spricht, um die imaginäre Verquickung von Gesellschaftsvertrag, (konstruierter) Geschlecht/Geschlechterdifferenz und Heterosexualität zu benennen (Wittig 1992a). Wittig verzichtete jedoch auf einen fundierten ideengeschichtlichen Nachweis ihrer Analyse. Ergänzend zu feministischen Analysen werden in diesem Zusammenhang also auch sexualitätstheoretische Analysen u.a. zur Bedeutung von Begehren, dem Eros als politischem Prinzip, (ehelichem) Geschlechtsverkehr, Homoerotik (etc.) in den Werken von Hobbes, Locke, Rousseau und Kant aus dem Bereich der po-

10 Carole Pateman benannte etwa in ihren feministischen Untersuchungen die hetero-/sexuellen Implikationen der Vertragstheorie, bearbeitete diese aber mit ihrem Fokus auf die Unterwerfung von Frauen als (essentialistisch konzipierte) Gruppe nicht systematisch als Konstitutionsmomente der Vertragsidee selbst (Pateman 1988; 1989b).

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litischen Philosophie/Theorie herangezogen. Diese Analysen zeichnen sich jedoch mehrheitlich durch eine geschlechterblinde, ‚heteronormalisierende‘ und/oder essentialisierende Herangehensweise in Bezug auf Geschlecht und Sexualität aus und lieferten entsprechend nur punktuell und vor dem Hintergrund einer feministischen/queeren Interpretation fruchtbare Erkenntnisse oder Denkansätze. Die Subsumierung der Kategorie Sexualität unter jene des Geschlechts innerhalb eines feministischen Theoriekontextes bzw. die heteronormalisierende und/oder essentialisierenden Herangehensweisen einiger der genannten geschlechterblinden Analysen verweisen hier freilich auf die theoretische Problematik innerhalb der politischen Philosophie/Theorie und Ideengeschichte, Geschlecht als vermeintlich vorkulturelle oder biologische Tatsache zu interpretieren. Vor dem Hintergrund meines de-/konstruktivistischen und performativen Verständnisses von Geschlecht und Sexualität gehe ich in meiner Analyse jedoch von einer historischen Konstruktion und somit Kontingenz von Geschlecht aus. Dies umfasst für mich keineswegs nur die soziokulturelle Dimension von Geschlecht, also Gender, sondern auch die Materialisierung von Gender in einem (vermeintlichen) biologischen Geschlecht (Butler 1991; Butler 1995). Das heißt, die geschlechtsspezifischen Implikationen von Staats-/Bürgerschaftskonzeptionen verweisen in meiner Lesart nicht auf eine vor-kulturelle oder ahistorische Existenz von ‚Männern‘ und ‚Frauen‘, sondern philosophische Diskurse und Konzepte, in denen Geschlecht bzw. Geschlechterverhältnisse theoretisiert und definiert wurden, können im Gegenteil als wichtiger Teil historischer Prozesse der performativen Geschlechterkonstruktion und -materialisierung interpretiert werden. Bestimmte Morphologien und körperliche Fähigkeiten wurden erst im Rahmen spezifischer Diskurse und realgeschichtlicher Veränderungen zu ‚natürlichen Kennzeichen‘ eines Geschlechts erklärt. Denn „daß ein Organ zu einem bestimmten geschlechtlichen Zeichen wird, ist eine gesellschaftliche Handlung“ und damit jeweils Effekt komplexer historischer Prozesse und Diskurse (Maihofer 1995: 29). Insofern sind die ‚Frauen‘ und ‚Männer‘ eines Hobbes oder Locke nicht dieselben ‚Frauen‘ und ‚Männer‘, wie jene eines Rousseau oder Kant als Protagonist*innen der (Geschlechter-)Moderne,; setzte sich doch erst im späten 18. Jahrhundert im Rahmen der Verschiebung der wissenschaftlichen Deutungshoheit von einem Konglomerat aus (Moral-)Theologie, (praktischer) Philosophie und Naturwissenschaft hin zu einer durch die „vergleichende Anatomie“ legitimierten modernen „Moralphysiologie“ jenes bipolare Geschlechterverständnis durch, das Geschlecht als ‚stabile‘ Kategorie auf Basis einer eindeutigen, natürlichen und hierarchisch-gedachten Geschlechterdifferenz definierte (Honegger

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1996: IX; vgl. Hausen 2001 [1976]). Claudia Honegger und Karin Hausen zeigen in ihren historischen Untersuchungen, inwieweit sich Ende des 18. Jahrhunderts jene „spezifisch neue Qualität“ der verwissenschaftlichten Geschlechterunterscheidung etablierte, in der von bestimmten Körpermerkmalen auf bestimmte „Geschlechtscharaktere“ und Eigenschaften geschlossen und somit „Wesensmerkmale in das Innere des Menschen“ verlagert wurden (Hausen 2001 [1976]). „Die variationsreichen Aussagen über ‚Geschlechtscharaktere‘ erweisen sich als Gemisch aus Biologie, Bestimmung und Wesen und zielen darauf ab, die ‚naturgegebenen‘, wenngleich in ihrer Art durch Bildung zu vervollkommnenden Gattungsmerkmale von Mann und Frau festzulegen. Den als Kontrastprogramm konzipierten psychischen ‚Geschlechtseigenthümlichkeiten‘ zur Folge ist der Mann für den öffentlichen, die Frau für den häuslichen Bereich von der Natur prädestiniert. Bestimmung und zugleich Fähigkeiten des Mannes verweisen auf die gesellschaftliche Produktion, der der Frau auf die private Reproduktion. Als immer wiederkehrende zentrale Merkmale werden beim Manne die Aktivität und Rationalität, bei der Frau die Passivität und Emotionalität hervorgehoben […].“ (Ebd.: 166; Hervorh.i.Org.)

Im Zusammenhang mit einer allgemeinen gesellschaftlichen Zunahme an dichotomen Be-/Deutungsmustern, setzte sich seit dem 18. Jahrhundert also ein „kultureller Systematisierungsprozeß […] der Schematisierung eines scharfen Dualismus der Geschlechter“ durch, der zwischen dem ‚männlichen Allgemeinen‘ und dem ‚weiblichen Anderen‘ (u.a. im Rahmen einer „weiblichen Sonderanthropologie“) unterschied und derart eine physiologisch-anatomische Ontologisierung der Geschlechterverhältnisse bewirkte (Honegger 1996: 1). Für die frühe Neuzeit sprechen Historiker*innen hingegen von einer „graduellen Differenzierung“ und einem „Pluralismus der Diskurse, Diskursbündelungen und -überschneidungen […], die gender und sex in je spezifische Formationen unterschiedlicher Dauer“ einbanden und folglich keineswegs eindeutig bestimmt war, was das jeweilige ‚Geschlecht‘ ausmachte (Thiemann/Klinger 2006: 1). Die frühe Neuzeit zeichne sich daher gerade durch unterschiedliche und zum Teil heftig geführten querelle de femmes aus, in welchen u.a. sowohl von ‚weiblichen‘ wie ‚männlichen‘ Intellektuellen über den Status, die Fähigkeiten, die Würde, die (Un-)Tugenden sowie den (Un-)Wert von ‚Frauen‘ als ‚Menschen‘ an sich diskutiert wurde und jeweils unterschiedliche Be-/Deutungen von ‚FrauSein‘ zirkulierten und produziert wurden (Bock 2000: 14ff.). Zwar könne auch für die frühe Neuzeit von einer Ungleichbehandlung aufgrund der jeweiligen „geschlechtlichen Markierung“ ausgegangen werden, doch das ‚Geschlecht‘ war weder eine eindeutig ‚biologisch‘ bestimmte noch die zentrale gesellschaftliche

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Ordnungskategorie, sondern eine neben vielen anderen (u.a. Stand, Zunft, Ehestatus, Hausstand etc.) (Griesebner 1998: 131). Die Position einer Frau wurde bis Anfang des 18. Jahrhunderts also nicht über Charaktereigenschaften, sondern über ihre je unterschiedlichen „Pflichten und Verrichtungen“ definiert (Hausen 2001 [1976]: 167). Gleichzeitig haben aber insbesondere lesbisch-/queer-feministische Theoretiker*innen in den letzten Jahren vehement die vielzitierte These von Thomas Laqueur in Frage gestellt, wonach bis ins 18. Jahrhundert ein vormodernes „Geschlechter-Modell“ vorherrschte, das dann durch ein modernes, bipolares „ZweiGeschlechter-Modell“ abgelöst wurde (Park 1997; Traub 2002; Lanser 2001; Wahl 1999). Katharina Park und Valerie Traub setzen in ihren wissenschaftsund literaturhistorischen Arbeiten den Prozess der medizinischen Vereindeutigung von Geschlecht bereits im 16. Jahrhundert im Zuge der anatomischen (Wieder-)Entdeckung der Klitoris an und verorten die darauf folgenden Diskussionen um den ‚richtigen‘ und ‚falschen Gebrauch‘ dieses Organs im Kontext der neuzeitlichen querelle de femmes (Park 1997; Traub 2002). Vor dem Hintergrund der Analyse neuzeitlicher medizinischer Texte zur Klitoris aus dem 16. Jahrhundert kommt Park etwa zum Schluss, dass hier – entgegen Laqueurs These vom „Ein-Geschlechter-Modell“11 – bereits eine anatomische Geschlechterdifferenz behauptet wurde – „a difference in degree so great as to be a difference in kind“ (Park 1997: 187). Wenngleich diese Auffassung (noch) keineswegs kulturell hegemonial wirksam wurde, so sind hier aber besonders die Korrespondenzen dieser ‚Entdeckung‘ mit einer neuartigen medizinischen und literarischen Diskursivierung weiblicher (Homo-)Erotik in der Figur der ‚Tribade‘ und der ‚Hermaphroditin‘ im 16. und 17. Jahrhundert interessant, wurden diese Figuren doch zum Inbegriff für den ‚falschen‘ und ‚verwerflichen‘ Gebrauch bzw. Missbrauch der Klitoris stilisiert (Park 1997; Traub 2002). Insofern wurden in diesen Diskursformationen die ‚Tribade‘ und/oder die ‚Hermaphroditin‘ zur „metaphor for excessive and unruly female desire“ (Traub 2002: 17), da Frauen nun über den entsprechenden Gebrauch/Missbrauch der Klitoris penetrative Fähigkeiten zugeschrieben wurden und dies u.a. als ‚Gefahr‘ für ihre reproduktiven Aufga-

11 Thomas Laqueur (1992) geht davon aus, dass weibliche und männliche Genitalien bis ins 18. Jahrhundert als äquivalent angesehen wurden und die Vagina mit Gebärmutterhals und Gebärmutter als die nach innen gewandte Entsprechung von Vorhaut, Penis, Hoden und Hodensack interpretiert wurde. Die weiblichen Geschlechtsorgane waren jedoch nach Laqueur nicht ‚gleichwertig‘ den männlichen, sondern eine weniger perfekte Version.

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ben definiert bzw. als möglicher Angriff ‚männlicher Privilegien‘ gelesen wurde (Park 1997; Traub 2002; Lanser 2001; Wahl 1999). „Already a site of anxiety in antiquity, female homo eroticism had resurfaced at least by the sixteenth century, in discourses on hermaphrodites […], which worried about women who were ‚really‘ men or could ‚change into‘ men. This hermaphroditic model tended to be modified in the seventeenth century, so that the ‚tribade‘ was often understood as biologically female but driven to homo-eroticism by her large penis like clitoris. The clitoris itself, ‚rediscovered‘ in the sixteenth century and soon a metonym for female lust, became linked, as Valerie Traub has persuasively argued, to a cultural hysteria that made the threat of female eroticism inseparable from the threat of female homo-eroticism.“ (Lanser 2001: 253; Hervorh.i.Org.)

Diese neuzeitliche Diskursivierung der ‚Tribade‘ und/oder der ‚Hermaphroditin‘ als „disturbingly contemporary figure“ (Wahl 1999: 19f.) kann folglich in einen größeren Kontext geschlechterpolitischer Auseinandersetzungen und Debatten um Geschlechterbilder und -hierarchien sowie um den Stand der Ehe und möglichen anderer Lebensmodelle im Europa der frühen Neuzeit verortet werden (Bock 2000: 13ff.). Denn, wie Park anführt, „[w]hat appears initially as a story about sex between women reveals itself eventually as a story about male authority in the household […]“– „it imperilled not only marriage and reproduction, but also the […] position of men as heads of the household“ (Park 1997: 173ff.). Die analytisch Bedeutung dieser frühen Diskursivierung ‚weiblicher‘ Sexualität liegt auch darin, dass diese androzentrisch medizinischen Beschreibungen einer ‚richtigen Weiblichkeit‘ und ihrer ‚richtigen Sexualität‘ durch die entsprechenden Schilderungen ihrer ‚monströsen Abweichungen‘ (der ‚Tribade‘, der ‚Hermaphroditin‘, der ‚Hexe‘) freilich auch in Wechselwirkung mit philosophisch-politischen Überlegungen zur Begründung ‚männlicher Herrschaft‘ korrespondieren (vgl. Merchant 1994). Insofern ist es kein Zufall, dass die Begründung ‚männlicher Herrschaft‘ im Rahmen der frühen Vertragstheorien von Hobbes und Locke nicht mehr auf Basis eines göttlichen Patriarchalismus erfolgte, sondern sich z.T. auf ‚neuere‘ (naturwissenschaftliche) Erkenntnisse und Legitimationen stützt und hierbei auch auf zeitgenössische ‚politische Sprachen‘ über weibliche Sexualität und Geschlecht rekurriert. Brigitta Wrede setzt die Entwicklung eines „bürgerlichen Sexualitätsverständnisses“ daher im 16. Jahrhundert an und stellt dieses in den Kontext sich verändernder medizinischer und phi-

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losophischer Diskurse sowie gesellschaftlicher Praktiken und Handhabungen 12 von „Körperlichkeit“, „Affekten“, „Gefühlen“ und „Bedürfnissen“ (Wrede 2000: 33f.). Bereits im 16. Jahrhundert beginne im Zusammenhang mit der ‚Schaffung‘ des Individuums eine langsame (geschlechtsspezifische) ‚Verinnerlichung‘ von Gefühlen, Affekten und (sexuellen) Bedürfnissen und eines Sexual-/Triebes bei gleichzeitigen Versuchen, sexuelle, familiale und eheliche Verhaltensformen auf neue Art zu normieren, rationalisieren bzw. zu produzieren (ebd.). Dementsprechend sprach Michel Foucault hier von einer neuartigen „Diskursivierung des Sexes“, begann doch Ende des 16. Jahrhunderts eine spezifische Form der ‚Anreizung‘ „über den Sex zu sprechen, und zwar immer mehr darüber zu sprechen; von ihm sprechen zu hören und ihn zum Sprechen zu bringen“ (Foucault 1983 [1977]: 28). Im Rahmen dieser „Diskursivierung des Sexes“ wurde folglich ein ‚Wissen‘ über Sexualität bzw. Sexualität als Diskurs erst hervorgebracht, da hier bestimmte Formen des Begehrens, der Lüste, Gefühle, Körperpraxen und Bewertungen auf eine bestimmte Weise zusammengebunden wurden. Vor dem Hintergrund der Bedeutung von ‚Rasse‘ für die Entfaltung und Transformation dieser unterschiedlichen Geschlechter- und Sexualitätsdiskurse seit der frühen Neuzeit bzw. aufgrund der kolonialen Prägung der analysierten (‚westlichen‘) Wissens-, Denk und Repräsentationssysteme gilt es in diesem Kontext freilich auch die konstitutiven Interdependenzen zwischen Rassekonstruktionen, Gender/Geschlecht und Sexualität in den Blick zu nehmen (vgl. McClintock 1995). Diese kolonialismussensible Herangehensweise ist insbesondere auch vor dem Hintergrund meiner lesben-affirmativen Analyse von zentraler Bedeutung, weisen doch gerade Darstellungen und Beschreibungen von sexueller und geschlechtlicher Devianz seit dem späten 16. Jahrhundert unterschiedliche koloniale Implikationen auf. Kolonien fungierten, wie Anne McClintock analysiert, als „porno tropics“ für die europäische Imagination – (verbotene oder verwerfliche) sexuelle Fantasien sowie Ängste wurden mit der imperialistischen Expansion auf die „Tropen“ projiziert (McClintock 1995: 22). Nichteuropäische ‚Frauen‘ und ‚Männer‘ galten demnach als „sexuell unersättlich, unkontrollierbar und deviant“ und es wurde von ihnen behauptet, dass sie eher „zu gleichgeschlechtlichen Beziehungen“ neigen (Castro Varela/Dhawan 2009:

12 Brigitta Wrede (2000) stellt hier die veränderten medizinischen und philosophischen Diskurse sowie gesellschaftliche Praktiken und Handhabungen von „Körperlichkeit“, „Affekten“, „Gefühlen“ und „Bedürfnissen“ insbesondere auch in den Zusammenhang ökonomischer Veränderungen in der frühen Neuzeit (z.B. Technisierungen, frühkapitalistische Produktionsformen, Urbanisierung).

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73). Zentral ist hier also die historisch und geopolitisch sich jeweils verändernde konstitutive Bedeutung der (vermeintlichen) Sexualitäten und Geschlechter(modelle) der ‚kolonialisierten Anderen‘ für die Definition ‚weißer‘ bzw. ‘europäischer’ Sexualitäten und Geschlechtermodelle. Methodisch galt es also die jeweiligen historisch sich verändernden Sexualitäts- und Geschlechterdiskurse im Kontext ihrer kolonialen Korrespondenzen kritisch im Blick zu behalten und die entsprechenden historischen Brüche, Transformationen und Dis-/Kontinuitäten vom ausgehenden 16. Jahrhundert bis zum ausgehenden 18. Jahrhundert entsprechend miteinzubeziehen (vgl. McCormick 1997). Die hier vorgeschlagene dekonstruktivistische Lesart bedeutet also nicht, dass die untersuchten Staats-/Bürgerschaftskonzepte als geschichtslose Narrationen interpretiert werden. Eine genealogische Herangehensweise erfordert im Gegenteil gerade einen historisierenden Umgang mit diesen Staats/Bürgerschaftskonzeptionen als „historische Praktiken des Archivs einer Kultur“ und ihrer Entstehung „aus historisch sich verändernden Machtkonstellationen und Machtspielen“ (Bublitz 2001: 255ff.). Zeitgenössische politische, philosophische und naturwissenschaftliche Diskurse über Körper, Sexualität(en) und Geschlechterverhältnisse entfalteten somit auch gerade in ihrer jeweiligen Widersprüchlichkeit und Veränderlichkeit Auswirkungen auf die „Problemstellungen und Lösungsstrategien der politischen Philosophie“ selbst (Kersting 2008: 15). Hobbes, Locke, Rousseau und Kant reagierten in ihren Werken jeweils auf realgesellschaftliche Ereignisse, sozio-kulturelle Umbrüche und Entwicklungsprozesse der politischen Neuzeit bzw. dachten und schrieben im Rahmen der jeweiligen ‚politischen Sprachen‘ und Diskurse. Die Staats-/Bürgerschaftskonzeptionen von Hobbes, Locke, Rousseau und Kant können damit auch keineswegs als bruchlose Beiträge zu einer philosophischen, politischen oder gesellschaftlichen Fragestellung gelesen werden, sondern müssen gerade in ihrer Widersprüchlichkeit, Diskontinuität und (historischen) Kontextualität interpretiert werden. Es geht mir also nicht um die Re-/Konstruktion einer vermeintlich kontinuierlichen und widerspruchsfreien Weiterentwicklung von staats-/bürgerlichen Intelligibilitätskriterien im Rahmen dieser Theorien, sondern die Staats/Bürgerschaftskonzepte von Hobbes, Locke, Rousseau und Kant werden hier als exemplarische Untersuchungsgegenstände zum Verständnis einiger jener „politischer Sprachen“ (Pocock 2010b: 127f.) herangezogen, die zur Institution der Staats-/Bürgerschaft geäußert wurden.

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Zwischen Anachronismus und analytischer Funktionalität: Das Dilemma mit dem Sexualitätsbegriff Eine derartige Herangehensweise erforderte freilich auch einen reflexiven, zeitund kontextsensiblen Umgang mit jenen Begrifflichkeiten und Bezeichnungen, die im Rahmen einer queeren und sexualitätstheoretischen Analyse notwendig werden. Es galt also nicht nur ‚Geschlecht‘ als sich jeweils historisch veränderndes und variables Konstrukt zu begreifen, sondern auch bestimmte Begrifflichkeiten und Bezeichnungen aus dem ‚queeren Vokabular‘, wie u.a. Sexualität, Heteronormativität, Heterosexualität auf ihre zeit- und kontextspezifische Eignung hin zu überprüfen. Innerhalb des historischen, kultur- und literaturwissenschaftlichen sowie soziologischen Theoriekontexts besteht über die Verwendung dieser Begrifflichkeiten für die Analyse vormoderner Phänomene keine Einigkeit, auch wenn der ‚moderne‘ Charakter und die ‚moderne Erfindung‘ dieser Bezeichnungen zum ‚Allgemeinwissen‘ diesbezüglicher Untersuchungen im Bereich der Gender/Queer Studies gehört. Einigkeit besteht also weitgehend darüber, dass der Begriff der ‚Homosexualität‘ aufgrund seiner spezifisch modernen (identitären) Prägung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht für die Beschreibung vormoderner gleichgeschlechtlicher bzw. homoerotischer Akte und Phänomene zu verwenden sei, die Begriffe ‚Sexualität‘ und ‚Heterosexualität‘ wurden hingegen nicht in ähnlicher Weise problematisiert. Klar ist freilich, dass der Begriff der ‚Sexualität‘ vor Mitte des 19. Jahrhunderts nicht existierte und somit kein derart sinnstiftender Begriff für jenes Bündel an kulturellen und sozialen Praxen und Gefühlswelten vorlag, das wir heute als ‚Sexualität‘ zusammenfassen. Das Sexuelle wurde erst im Laufe des 17. und 18. Jahrhunderts allmählich zu einem diskursiven Ganzen; der Begriff der ‚Sexualität‘ entsteht erst im 19. Jahrhundert, als bestimmte „sexuelle Komponenten“, „Verhaltensweisen“ und Annahmen über das (geschlechtliche) „Wesen“ dieser Verhaltensweisen mit diesem Begriff gebündelt wurden (Wrede 2000: 34). David M. Halperin stellte folglich auch in Frage, ob es überhaupt sinnvoll sei, eine ‚Geschichte der Sexualität‘ schreiben zu wollen und den Begriff der Sexualität historisch einzusetzen, wenn man Foucaults These von der sozialen Konstruktion und historischen Kontextualität des ‚Sexuellen‘ ernst nehme (Halperin 2003). Er warnte explizit davor, Sexualität im modernen, essentialistisch-identitären Sinn für historische Analysen zu verwenden und Sexualität als vermeintlich ‚natürliche‘, ahistorische, menschliche Verhaltensweise zu analysieren. Er plädierte im Gegensatz dafür, „die Modalitäten des historischen Seins der Sexualität“ jeweils aus der Nähe zu betrachten und zu fragen „wie genau – in welchen Begriffen, aufgrund

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welcher Zeitlichkeit, in welcher ihrer Dimensionen oder Aspekte – Sexualität eine Geschichte hat“ (Halperin 2003: 172). Dieser Problematisierung schließe ich mich insofern an, als ich ‚Sexualität‘ freilich als ein diskursives und damit nicht ahistorisches oder natürliches, menschliches Phänomen begreife. Deshalb verwende ich ‚Sexualität‘ – analog zu Geschlecht – als eine jeweils kontextgebundene Analysekategorie, um damit diskursive Zusammenbindungen von Vorstellungen über ‚Geschlecht‘, bestimmten ‚sexuellen‘ Akten und Praktiken, Intimität, Familie, Ehe, Verwandtschaft, Reproduktion, Lust/Begehren, Macht/Herrschaft, Politik, Gemeinschaft, (politischer) Subjektivität und Handlungsfähigkeit aufzudecken: Wie wird eine bestimmte Form der ‚sexuellen Lebensweise‘, des Er-Lebens von Lust/Begehren mit Geschlecht und politischer Zugehörigkeit verbunden? Welche Funktion nimmt eine bestimmte Form der ‚sexuellen Lebensweise‘ für den Staats-/Bürger ein? Auch den Begriff der ‚Heterosexualität‘ verwende ich dementsprechend in einer analytischen, heuristischen und tentativen Weise, die sich von einer modernen, naturalisierenden und essentialisierenden Verwendung von ‚Heterosexualität‘ unterscheidet: Unter ‚Heterosexualität‘ verstehe ich im folgenden Kapitel eine hetero-gender organisierte/institutionalisierte Form der Sexualität und des Begehrens, die auf einer sozial-hierarchischen (Geschlechter-)Differenz basiert und nicht unbedingt eine ‚naturalistische‘ Konzeption von Geschlecht (im modernen Sinn) voraussetzt. Mit sozial-hierarchischer (Geschlechter-)Differenz ist hier also nicht eine ‚moderne‘, naturwissenschaftlich begründete, hierarchischkomplementäre Totaldifferenz gemeint, sondern eine jeweils unterschiedlich begründete Form der hierarchischen Differenzierung auf Basis einer ‚geschlechtlichen Markierung‘. Ich rezipiere somit David M. Halperin unter einem feministischen und lesben-affirmativen Gesichtspunkt und folge ihm in seinem Versuch, jene „historischen Akkumulations-, Ablagerungs- und Überlagerungsprozesse“ sowie „Diskurstraditionen“ auszumachen, die als ‚Vorläufer‘ moderner Unterscheidungen und Definitionen von Homo- und Heterosexualität gelten können (Halperin 2003: 175ff.). Auch ich möchte – u.a. in Rekurs auf lesbisch-/queere Arbeiten zur ‚Tribade‘ und ‚Hermaphroditin‘ – zeigen, dass schon Hobbes in der frühen Neuzeit einige wichtige diskursive Bausteine für eine ‚heterosexuelle‘ Fundierung von Staats-/Bürgerschaft bereitstellte und somit einen Teil jenes „diskursiven Territoriums“ besetzte, das die spezifische moderne Verbindung von Heterosexualität und Staatsbürgerschaft ausmacht (ebd.: 175). „Zu verfolgen, wie sich unsere eigenen Konzepte zersetzen, während wir ihrer Vorzeit nachspüren“ bedeutet also, „unsere Kategorien so ernst zu nehmen, daß wir ihre inneren Wi-

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dersprüche bis zu dem Punkt vergrößern, wo sie sich als analytisch informativ erweisen“ (ebd.). Wenn wir unsere modernen Definitionen von Heterosexualität also auf die Vergangenheit anwenden, „werden wir so großen heuristischen Druck auf sie ausüben, daß sie sich auflösen werden, um die Umrisse früherer Kategorien, Diskurse, Logiken und Kohärenzen freizugeben“ (ebd.). Es geht also nicht darum, die Heterogenitäten sexueller und geschlechtlicher Existenzweisen in der Vergangenheit und Gegenwart zu leugnen und einer Diskursgeschichte zu unterwerfen, sondern ich sehe meine Arbeit als genealogischen Versuch, „Diskurstraditionen“ gerade in ihrer Widersprüchlichkeit und Vielfalt aufzudecken, d.h. diese Rekonstruktion deckt gerade „Risse“, „Brüche“, „Transformationen“ und „Refigurationen“ auf (ebd.: 177). Insofern bin ich auch von der diskurstheoretischen und poststrukturalistischen Einsicht geleitet, dass jede Beschäftigung mit dem ‚Archiv‘ unserer Diskurstraditionen und Wahrheitssysteme von einer „Aktualisierung“ bestimmt ist, d.h. dass sich freilich jeder Text mit dem Kontext ändert und es gar keine Möglichkeit gibt dieser zeitgenössischen Perspektive zu entkommen (Feustel 2013: 156). Damit gibt es aber auch keine „richtige Lesart“ oder eine vollständige „präzise Kontextualisierung der Texte“, da jede genealogisch-archäologische Methode die Texte „supplementiert“ und „verändert“ (ebd.: 158ff.). Meine Analyse steht daher „nicht außerhalb des zu untersuchenden Feldes“, sondern situiert sich gerade als kritischreflexiver Teil einer bestimmten Geschichte von hegemoniale(re)n und subversive(re)n Denk- und Interpretationssystemen in ihrer Widersprüchlichkeit (ebd.). Die analytische Problematik liegt freilich darin, welche Praktiken und Diskurse jeweils als ‚sexuell‘ begriffen werden, verwendeten die jeweiligen Philosophen im Rahmen ihrer ‚politischen Sprachen‘ doch jeweils andere Begrifflichkeiten, Bilder, Metaphern, um das ‚Sexuelle‘ zu beschreiben und zu fassen. Insofern ist diese Analyse freilich mit den vieldiskutierten Problemen politischer Ideengeschichte konfrontiert, die „einschlägigen ‚Sprachen‘, Idiome, rhetorischen Muster beziehungsweise Paradigmen“, also die „institutionalisierten Redeweisen“ zu erlernen, in denen die jeweiligen politischen Diskurse stattfanden und derer sie sich bedienten (Pocock 2010b: 128ff.). Politische Theoriebildung verstehe damit auch als Praxis der kritischen und genealogischen Befragung von historischen Konzepten, welche nach wie vor zur Legitimierung und Untermauerung (aktueller) (Ungleichheits-)Strukturen und Politiken dienen und/oder beitragen.

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T HOMAS H OBBES : E IN B ÜRGER SEXUELLES E IGENTUM

BESITZT

Endlich aber gleichen die Verträge und Übereinkommen, durch welche die Teile dieses politischen Körpers zuerst geschaffen, zusammengesetzt und vereint wurden, jenem ‚Fiat‘ oder ‚Laßt uns Menschen machen‘, das Gott bei der Schöpfung aussprach. THOMAS HOBBES13 For since the days of Adam women were never so Masculine: Masculine in their genders and whole generations […] Masculine in Number, from one to multitudes; Masculine in Case, even from the head to the foot; Masculine in Mood, from bold speech to impudent action; and Masculine in Tense, for without redress they were, are, and will be still most Masculine, most mankind, and most monstrous. Are all women then turned Masculine? AUS DEM PAMPHLET HIC MULIER14

Als im Jahre 1651 Thomas Hobbes (1588-1679) Hauptwerk, der „Leviathan, or the Matter, Forme, & Power of a Common Wealth Ecclesiaticall and Civill“ in London erschien, hatte der britische Philosoph bereits zahlreiche Studienreisen auf das europäische Festland unternommen und Bekanntschaft mit bedeutenden

13 Hobbes, Thomas (1984 [1651]): Leviathan. oder Stoff, Form und Gewalt eines kirchlichen und bürgerlichen Staates. Herausgegeben und eingeleitet von Iring Fetcher. Übersetzt von Walter Euchner, Frankfurt a.M, 5. 14 Anonymous (1620): Hic Mulier; or, The Man-Woman. Being a Medicine to cure the Coltish Disease of the Staggers in the Masculine-Feminines of our Times, Expressed in a brief Declamation: Non omnes possumus omnes, online verfügbar auf: http://www.english.ucsb.edu/teaching/resources/reading_lists/renaissance/hic_mulier. asp (Zugriff: 01.10.2010). Siehe dazu die Ausführungen zur „transvestite controversy of the 1620s“ in England.

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Naturwissenschaftlern seiner Zeit geschlossen, wie u.a. Marin Mersenne (15881648), Galileo Galilei (1564-1642), Rene Descartes (1596-1650) und Francis Bacon (1561-1626), den er in den letzten Lebensjahren als Sekretär begleitete (Braun et al. 1998: 122-136; Fetscher 1984: IX XVII; Kersting 2008: 9). Die Konturen seiner kontraktualistischen Staatskonzeption entwickelte Hobbes weitgehend im französischen Exil, wohin er nach der Publikation seiner „Elements of Law and Natural Politic“ 15 1640 fliehen musste. 1642 verfasste er neben anderen Schriften „De Cive“16, den dritten Teil seines erst später vervollständigten philosophischen Triptychons „Elementa Philosophiae“ und schließlich 1651 den „Leviathan“ (Braun et al. 1998: 123; Tesak 2003: 129ff.; Fetscher 1984: XIVf.). Thomas Hobbes vertragstheoretische Fundierung staatlicher Herrschaft prägte die „philosophische Reflexionsform der Moderne“ nachhaltig und gehört bis heute zu den „wirkungsmächtigsten Lehrstücken der Geschichte des politischen Denkens“ (Kersting 2008: 24). War im Denken der Antike und im Mittelalter die vollständige Unterordnung der einzelnen Körper unter die Anforderungen des als natürlich, kosmologisch und göttlich gedachten Gemeinwesens selbstverständlich, trat in der Neuzeit die Frage der Herrschaftslegitimation auf, da die neuzeitliche „politische Philosophie der Subjektivität [...] auf den Menschen zurückgeht und fragt, was ihn nötigt, sein Zusammenleben mit anderen Menschen staatlich zu regeln“ (Braun et al. 1998: 117). In einer philosophischen Denkoperation leitete Hobbes die Motivationen des Menschen, ein politisches Gemeinwesen zu errichten und sich einer „allgemeinen Gewalt“ zu unterwerfen, folglich nicht aus einer göttlichen Notwendigkeit oder einer politischen Natur des Menschen als zoon politikon ab, wie dies etwa Aristoteles tat17, sondern aus der (Rechts-)Unsicherheit im so genannten prä-staatlichen „Naturzustand“, in dem der Mensch nur durch seinen Selbsterhaltungstrieb und Lustgewinn getrieben wird (Hobbes 1984 [1651]). „Das Verlangen nach angenehmem Leben und sinnlichem Vergnügen“ veranlasse die Menschen einer „allgemeinen Gewalt zu gehorchen“ (ebd.: 76): „Der alleinige Weg zur Errichtung einer solchen allgemeinen Gewalt, die in der Lage ist, die Menschen vor dem Angriff Fremder und vor gegenseitigen Angriffen zu schützen und ihnen dadurch eine solche Sicherheit zu verschaffen, daß sie sich durch eigenen Fleiß und

15 Dt. „Naturrecht und allgemeines Staatsrecht in den Anfangsgründen“. 16 Dt. „vom Bürger“. 17 Aristoteles ging davon aus, dass der Mensch ein soziales und politisches Wesen ist (zoon politikon = politisches bzw. Gemeinschaftswesen), dessen ‚Natur‘ es ist, Gemeinschaften (Polis) zu bilden und in Gemeinschaften zu leben.

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von den Früchten der Erde ernähren und zufrieden leben können, liegt in der Übertragung ihrer gesamten Macht und Stärke auf einen Menschen oder eine Versammlung von Menschen, die ihre Einzelwillen durch Stimmmehrheit auf einen Willen reduzieren können. [...] Dies ist die Erzeugung jenes großen Leviathan oder besser, um es ehrerbietiger auszudrücken, jenes sterblichen Gottes, dem wir unter dem unsterblichen Gott unseren Frieden und Schutz verdanken.“ (ebd.: 134)

In Hobbes „Leviathan“ ist Vergesellschaftung und Staatenbildung nicht ein höherer Zweck oder Ziel des Menschen, sondern der „Leviathan“ kann durch seine absolute Souveränität und auf Basis bürgerlicher Gesetze Sicherheit und Ordnung garantieren. Vor dem Hintergrund des fiktiv angenommen Naturzustandes basiert der Entschluss zum Vertrag als notwendige Grundlage der Staatsgründung bellum omnium contra omnes auf einem zweckrationalen Selbstinteresse des Menschen – die Staatsgründung ist nützlich für die eigene Existenz und das eigene Überleben. Der Staat ist bei Hobbes damit keine „unvordenkliche, soziale Substanz, sondern erklärtermaßen Effekt symbolischer (juristischer, mathematischer) Operationen“ (Koschorke et al. 2007: 112). Demnach ist auch nur ein „artifiziell als Kunstwerk zu schaffendes Gebilde“ (ebd.: 67f.), ein künstlicher Körper in der Lage, die zerstörerische Natur des Menschen zu befrieden. Der „Leviathan“ ist gleichsam das „übermenschliche Produkt einer menschlichen Anstrengung“ (ebd.: 65), oder in den Worten von Hobbes selbst: „Durch Kunst wird jener große Leviathan geschaffen, genannt Gemeinwesen oder Staat, auf lateinisch civitas, der nichts anderes ist als ein künstlicher Mensch, wenn auch von größerer Gestalt und Stärke als der natürliche, zu dessen Schutz und Verteidigung er ersonnen wurde.“ (Hobbes 1984 [1651], 5)

Während in der ‚traditionellen‘ politischen Philosophie und Ideengeschichte Hobbes vertragstheoretische Staatskonzeption und sein negatives Menschenbild vornehmlich im Rahmen seiner Erfahrungen mit dem englischen Bürgerkrieg interpretiert wird/wurde, verweisen feministische Theoretiker*innen auf den prägenden Einfluss von Geschlechterdebatten im Rahmen der europäischen querelles de femmes sowie gender-transgressiver Diskurse und Ereignisse im ausgehenden 16. und im 17. Jahrhundert (vgl. Pateman 1988; Shaffer 2004; Wright 2002). Wie Gina Victoria Shaffer betont, könne Hobbes Gesamtwerk nicht vollständig erfasst werden, ohne seine Thesen in den Kontext zeitgenössischer Geschlechterkontroversen in England und Frankreich zu stellen (Shaffer 2004, 55). „[T]he dynamics of gender“ seien damit ein zentraler Schlüssel, um Hobbes ver-

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tragstheoretische Kritik am klassischen Patriarchalismus18 überhaupt verstehen zu können (Wright 2002: 125), denn „[t]hat Hobbes wrote in a period of increased female activism is significant […] [and] set the stage for Hobbes’s use of gender in his state of nature analysis“ (ebd.). Während Shaffer die (britische) „transvestite controversy of the 1620s“19 sowie die Artikulationen und Petitionen von politisch aktiven Frauen an das britische Parlament in den 1640er Jahren nennt (Shaffer 2004: 55) und Brigitte Rauschenbach (2004) über die Bedeutung der Schrift „Gleichheit von Männern und Frauen“ von der Frühfeministin Marie de Gournay20 (1565-1645) als Hintergrundfolie für Hobbes Werke nachdenkt, möchte ich in diesem Kontext darüber hinaus auf den möglichen Einfluss jener zeitgenössischen Diskurse und Schriften verweisen, welche die ‚monströse Figur‘ der Tribadin zum Inhalt hat-

18 Ebenso wie später auch John Locke wandte sich Hobbes mit seiner Vertragstheorie explizit gegen den sogenannten klassischen Patriarchalismus, in welchem die Legitimation der monarchia absoluta mit der Bibel und der absoluten väterlichen Autorität, die sich auf Adam zurückführen lasse, begründet wurde. Robert Filmer, als einer der bekanntesten Theoretiker des Patriarchalismus, berief sich in seiner Beweisführung auf die Stellung Adams als dem ersten Menschen, dem seiner Ansicht nach von Gott die absolute Gewalt nicht nur über die ganze Erde, sondern auch über Eva und seine Nachkommen verliehen wurde. Der König eines Volkes ist daher nichts anders als dessen Vater, womit sich die Gehorsamspflicht der Untertanen direkt aus dem göttlichen Gebot, den Vater zu ehren, ableiten lasse (Pateman 1988). 19 Darin wurde vornehmlich die Zunahme von ‚maskulinen Perfomances‘ in Kleidung, Erscheinung und Habitus bei Frauen am englischen Hof um 1620 debattiert. Die enorme Reichweite und historische Bedeutung dieser Kontroverse zeigt sich in ihren Proponenten – sowohl König James als auch Bischöfe und hohe Berater äußerten sich zu diesem ‚Phänomen‘. Besondere Bedeutung kommt hier dem misogynen Pamphlet „Hic Mulier“ zu, in welchem diese ‚Vermännlichung‘ von Frauen als „Plage“ und „Infektion“ Englands bezeichnet wurde und somit gegen die natürliche und göttliche Ordnung Adams und des Kosmos verstoßen würde (Cressy 2000: 102). Als Gegenschrift zu „Hic Mulier“ und Plädoyer für geschlechtliche Ambivalenz erschien 1620 „Haec Vir“. Das Pamphlet „Hic Mulier“ ist online verfügbar auf: http://www. english.ucsb.edu/teaching/resources/reading_lists/renaissance/hic_mulier. asp (Zu griff: 01.10.2010). 20 Marie de Gournay nahm auch kritisch zu den Souveränitätstheorien von Machiavelli und dem frühen Vertragstheoretiker Jean Bodin Stellung (Krause 2003: 186). Gournay lebte auch noch, als Hobbes 1641 nach Paris ins Exil ging.

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ten (Klapeer 2009b; vgl. Donoghue 1993; Traub 2002; Lanser 2001; Lanser 2007; Andreadis 2001). Valerie Traub (2002) zeigt etwa in ihrer historischen Studie in welcher neuen Weise weibliche Homoerotik seit Mitte/Ende des 16. Jahrhunderts im Rahmen medizinischer, literarischer ebenso wie kolonialer (Reise-)Literatur diskutiert und die (englische) Tribadin bzw. (französische und italienische) Sodomitin darin zum Inbegriff transgressiver ‚weiblicher Lust‘ stilisiert wurde (Traub 2002). Als prägenden wissenschaftshistorischen Hintergrund verweist Traub hier auf die anatomische ‚Entdeckung‘ der Klitoris als „the seat of woman’s delight“ im 16. Jahrhundert, löste diese doch eine medizinische und philosophische Debatte um den ‚richtigen‘ und ‚falschen Gebrauch‘ (z.B. Masturbation, homoerotische Sexualität) dieses Organs aus (ebd.: 88f., 205). Darüber hinaus stimulierte diese ‚Entdeckung‘ der Klitoris breitere geschlechterpolitische Debatten um ‚weibliche‘ Autonomie und die (sexuelle) Unabhängigkeit (von ‚Frauen‘) und verstärkte damit jene „anxious masculinity“, die Mark Breitenberg für die frühe Neuzeit konstatierte (Breitenberg 1996). Carolyn Merchant verortet das Werk Hobbes auch im Kontext eines größeren wissenschaftshistorischen Metaphern- und Paradigmenwechsels, der eine veränderte, geschlechtsspezifische Diskursivierung und Interpretation von ‚Natur‘ und Naturvorgängen zur Folge hatte (Merchant 1994). „Das Bild von der Natur, das in der frühen Neuzeit an Bedeutung gewann“, so Merchant, „war das eines gesetzlosen, chaotischen Reichs, das der Zähmung und Kontrolle bedurfte“ (Merchant 1994: 142). Diese „wilde, unkontrollierte Natur“ wurde mit einem neuen Verständnis von Weiblichkeit identifiziert und wie die „wilde, chaotische Natur“ mussten Frauen daher „unterworfen und in ihre Schranken verwiesen werden“, indem sie sich den neuen „experimentelle[n] Methoden“ der Naturwissenschaften und dem „technischen Fortschritt unterwerfen“ (ebd.: 147ff.). Auch wenn Merchants Thesen in vielerlei Hinsicht als problematisch erscheinen21, so bildet ihre Verortung von Hobbes Werk innerhalb dieses neuzeitlichen, wissenschaftshistorischen Metaphern- und Paradigmenwechsels doch eine zentrale Hintergrundfolie für eine geschlechtertheoretische Interpretation von Hobbes Rückgriffen auf die ‚Maschine‘ als mechanistische Metapher für das Funktionieren des Staates. Eine geschlechter- und sexualitätstheoretische Dechiffrierung von Hobbes Staats-/Bürgerschaftskonzeption gestaltete sich jedoch nicht nur vor dem Hinter-

21 Als Ökofeministin geht Carolyn Merchant in ihrem Werk von einer ‚natürlichen‘ Geschlechterdifferenz aus und konstatiert ein besonderes Verhältnis von Frauen zur ‚Natur‘ (Merchant 1994).

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grund dieser zeitgenössischen Vielstimmigkeit an ‚politischen Sprachen‘ und Geschlechterkontroversen als höchst komplex, sondern auch die Tatsache, dass Hobbes – etwa im Gegensatz zu Rousseau oder Kant – keine explizite Geschlechter- oder Sexualtheorie formulierte, birgt eine Reihe von analytischen Schwierigkeiten. Hobbes Werke sind in Hinblick auf sein Geschlechterverständnis bzw. seiner Interpretation von (sexuellem) Begehren/Lust durch zahlreiche Ambivalenzen, Widersprüche und theoretische Uneindeutigkeiten gekennzeichnet. Auch innerhalb eines feministischen Theoriekontexts herrscht aufgrund dieser begrifflichen und inhaltlichen Uneindeutigkeit große Unstimmigkeit darüber, wie Hobbes Vertragstheorie in Hinblick auf die darin beschriebenen Geschlechterverhältnisse und -bilder zu interpretieren sei (vgl. Benhabib/Nicholson 1987; Brennan/Pateman 1998; Pateman 1988; Pateman 1989b; Shaffer 2004; Wright 2002; Slomp 1994). Feministische Theoretiker*innen sind sich zwar weitgehend darüber einig, dass (Ehe-)Frauen beim Akt des Vertragsschlusses (und somit der Konstituierung des „Leviathans“) abwesend sind und daraus ihre Exklusion aus der politischen Sphäre abzuleiten ist (Frauen werden bei Hobbes also keine Staats-/Bürgerinnen), Kontroversen gibt es jedoch darüber, wie Hobbes radikal individualistische und tendenziell ‚geschlechtsegalitäre‘ Naturzustandskonzeption – es gibt darin keine ‚natürliche‘ Herrschaft von Männern über Frauen – zu interpretieren sei (vgl. Benhabib/Nicholson 1987; Brennan/Pateman 1998; Pateman 1988; Pateman 1989b; Shaffer 2004; Wright 2002; Slomp 1994). Während Joanne H. Wright (2002) und Gabriella Slomp (1994) in Hobbes radikal individualistischer und tendenziell geschlechtsegalitärer Naturzustandskonzeption einen Beleg für ein gender-transgressives, emanzipatives oder gar protofeministisches Geschlechterbild finden, erkennen Seyla Benhabib und Linda Nicholson (1987) darin ein individuell-maskulinistisches Weltbild, in dem soziale Bindungen und damit auch die Abhängigkeit von der ‚weiblichen Reproduktionsfähigkeit‘ negiert wird. Carole Pateman stellte den von Hobbes beschriebenen ersten Schritt zur Überwindung dieses tendenziell geschlechtsegalitären Naturzustandes – die Gründung von (patriarchal strukturierten) ‚Familien‘ – hingegen in den Kontext der politischen Strömung des Patriarchalismus und ordnet Hobbes als modernen „patriarchalist who rejects paternal right“ ein, da seine moderne Version des Patriarchats „conventional“ und „contractual“ sei. (Pateman 1989b: 446ff.; vgl. Pateman 1988). In meiner Analyse versuche ich diese unterschiedlichen feministischen Positionen und geschlechtertheoretischen Einsichten auf eine neue Weise zu integrieren, zu modifizieren und vor dem Hintergrund meines de-/konstruktivistischen Geschlechterverständnisses sowie unter Miteinbeziehung postkolonialer, sexualitätstheoretischer und weiterer historischer Quellen weiterzuentwickeln. Analog

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zu Brigitte Hansen stellt auch für mich die „geschlechtliche Neutralität des radikalen Individualismus“ im Hobbes’schen Naturzustand den Schlüssel für eine entsprechende feministische Re-/Interpretation von Hobbes politischer Theorie dar (Hansen 1994, 142). Ich begreife den Hobbes’schen Naturzustand jedoch nicht als gender-transgressiv in einem emanzipativen Sinn, sondern interpretiere diesen in Rekurs auf Carole Patemans umfassende Hobbes-Studien sowie die sexualitätstheoretischen Arbeiten22 von Richard Hillyer (2009)23, Haig Patapan und Jeffrey Sikkenga (Patapan/Sikkenga 2008)24 sowie Philip Manow (2007)25 als ordnungslosen Zustand, der aufgrund der Abwesenheit entsprechender geschlechtlicher Zeichensysteme und -ordnungen durch eine permanente Unsicherheit und Instabilität in Bezug auf (sexuelle) Eigentums- und Besitzverhältnisse gekennzeichnet ist. Die Instituierung einer entsprechenden ‚maskulinistischen‘ (hetero-)sexuellen Ordnung im „Leviathan“ kann daher in erster Linie als

22 Trotz der spannenden sexualitätstheoretischen und kolonialismussensiblen Impulse verbleiben diese Arbeiten jedoch weitgehend im analytischen Rahmen (naturalisierter) Heterosexualität und Zweigeschlechtlichkeit. 23 Richard Hillyer (2009) arbeitet in seiner Analyse den libertinären, anti-repressiven Impetus von Hobbes Sexualitätsverständnis bzw. seiner Darstellung von „lust“ als unentrinnbarer, ‚essentieller‘ menschlicher Eigenschaft, die nach Befriedigung sucht, heraus. Dieses sieht Hillyer nun im Gegensatz zu zeitgenössischen presbyterianischen Lehren von der ‚Unreinheit‘ von Sexualität. Im Kontext meiner Analyse sind hier besonders jene Erkenntnisse von Hillyer interessant, die sich auf die (zerstörerische bzw. machtpolitische) Bedeutung von ‚lust‘ und Sexualität im Hobbes’schen Naturzustand beziehen und sich mit der Frage beschäftigen, inwieweit sein Sexualitäts- und Naturzustandsverständnis weitreichende koloniale Implikationen aufweist (ebd.: 42ff.) 24 Auch Haig Patapan und Jeffrey Sikkenga betonen in ihrem Beitrag die machtpolitische Implikation von Hobbes Sexualitäts- und Liebesverständnis und demonstrieren dies anhand Hobbes Ablehnung/Kritik eines platonischen Eros als Leitidee des Politischen (Patapan/Sikkenga 2008). 25 Zu ähnlichen Schlussfolgerungen in Bezug auf Hobbes Sexualitätsverständnis kommt auch Philip Manow in seinem Beitrag, in welchem er den bekannten Frontispizes der ersten Leviathan-Ausgabe in Rekurs auf Hobbes Schriften analysiert (Manow 2007). In Bezugnahme auf Sigmund Freud plädiert Manow darin für einen „neuartige[n] Zugang zum Bildverständnis des Leviathan-Frontispizes“, wenn der „Hobbes’sche Naturzustand nicht nur als eine Beschreibung einer aus den Fugen geratenen Gesellschaftsordnung, sondern auch einer grundsätzlich gestörten, von Gewalt beherrschten Geschlechterordnung“ verstanden wird, die sich im „europäischen Blick“ (eines Hobbes) auch tatsächlich in „Amerika“ finden ließ (ebd.: 471).

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disziplinarisches Instrument zur Überwindung jenes unsicheren und chaotischen Zustandes interpretiert werden, in dem (sexuelle) ‚Lust‘ und das Streben nach (sexueller) ‚Befriedigung‘ die Menschen zu einem permanenten Krieg aller gegen alle trieb. Hobbes leitete als ‚radikaler‘ Vertragstheoretiker Geschlechterasymmetrien im Gesellschaftszustand nicht aus einem bestimmten ‚Wesen‘ oder einer ‚Natur‘ von Männern und Frauen ab, sondern diese können auf Basis seines Strebens nach Ordnung und sicherer Herrschaft erklärt werden. Die Regulierung von Sexualität sowie sein Einsatz von Geschlecht als politische Kategorie kann in dieser Lesart folglich als ‚instrumentell‘ bezeichnet werden, da durch die Instituierung einer (hetero-)sexuellen Ordnung die permanente Sexualkonkurrenz sowie die Auseinandersetzung um (sexuelles) Eigentum des Naturzustandes beendet wird. Der Staats-/Bürger des „Leviathans“ zeichnet sich daher gerade durch seine sexuelle Verfügungsgewalt über die ‚Ehefrau‘ im Rahmen einer institutionalisierten (hetero-)sexuellen Beziehung aus. Mit der Instituierung eines heterosexuellen und hierarchischen Geschlechterverhältnisses fällt Hobbes damit keineswegs, wie es Pateman andeutet, in einen Filmer’schen Patriarchalismus zurück, sondern erklärt dieses im Gegenteil zum zentralen Funktionselement einer neuen bürgerlicher Ordnung. Vor dem Hintergrund meines/eines de-/konstruktivistischen Geschlechter und Sexualitätsverständnisses rücken in meiner Analyse somit stärker Fragen nach der konstitutiven und funktionalen Bedeutung von bestimmten (kolonialen) Sexualitäts- und Geschlechterkonzeptionen ins Zentrum. Damit wird der vertragstheoretische Akt der (sexuellen) Unterwerfung von Frauen nicht mehr auf Basis der Beschaffenheit eines (vermeintlichen) ‚vorkulturellen‘ weiblichen Körpers erklärt, sondern es wird danach gefragt, inwieweit bestimmte Annahmen über Geschlechter und Sexualität/Begehren/Lust ein „konstitutives Element innerhalb der Architektur des jeweiligen theoretischen Gesamtaufbaus“ bilden (Braun/Diekman 1994: 160). Im folgenden Abschnitt soll daher im Rahmen einer entsprechenden Re-Interpretation der vertragstheoretischen Legitimierung und Genese von Staatlichkeit gezeigt werden, wie und unter welchen Bedingungen sich im Rahmen dieser Erzählung der Hobbes’sche Staats-/Bürger konstituieren kann und welche ‚Akteursfiktion‘ Hobbes diesem zugrunde legte. Insofern ist hier freilich die Analyse von Hobbes Naturzustandskonzeption von zentraler Bedeutung, ist der Mensch des Naturzustands doch gerade der Inbegriff des ‚Nicht-Bürgers‘ – ein Zustand also, der überwunden werden muss, um ein Staats-/Bürger werden zu können. Der Naturzustand wird als hypothetisches Gedankenexperiment damit erst zur Voraussetzung der bürgerlichen Gesellschaft, da Hobbes aus dem krisenhaften Naturzustand die logische Notwendigkeit zur

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Errichtung einer bürgerlichen Gesellschaft im Rahmen eines Staates deduzieren konnte. Der Naturzustand als Ort unkontrollierter Lüste Im fiktiv konstruierten Naturzustand, dem „state of nature“ des Thomas Hobbes, bewegen sich die Menschen als anomische Individuen durch eine konkurrenzorientierte Welt und folgen ausschließlich den „natürlichen“ menschlichen, eigentlich hedonistischen Bewegungsmomenten und Begierden ihrer Körper, dem Selbsterhaltungstrieb und dem eigenen Lustgewinn (Hobbes 1984 [1651]: 94ff.). Der Naturzustand ist nach Hobbes demnach eine „Zeit“, in der sich die Menschen in einem „Zustand befinden, der Krieg genannt wird, und zwar in einem Krieg eines jeden gegen jeden“ (ebd.: 96). „In einer solchen Lage ist für Fleiß kein Raum, da man sich seiner Früchte nicht sicher sein kann […] das Schlimmste von allem ist, beständige Furcht und Gefahr eines gewaltsamen Todes – das menschliche Leben ist einsam, armselig, ekelhaft, tierisch und kurz.“ (Ebd.)

Hobbes imaginiert die Menschen des Naturzustandes damit zwar als frei und gleich, aber in Verfolgung ihrer Selbsterhaltung, im Streben nach denselben Dingen und in Ermangelung einer befriedeten Zwangsgewalt leben diese unweigerlich im ständigen Krieg miteinander (Braun/Diekmann 1994: 162f.). Im Rahmen einer erweiterten sexualitäts- und geschlechtertheoretischen Lesart des Hobbes’schen Naturzustandes, kann dieser als ein Zustand gelesen werden, der durch keine geordneten Sexualitäts-, Geschlechter und Beziehungsnormen oder andere ‚moralische‘ Regeln strukturiert ist, da die entsprechenden Zeichensysteme und institutionalisierten Ordnungen und Regeln fehlen (vgl. Manow 2007; Pateman 1988; Slomp 1994; Braun 1994). Im Naturzustand darf nach Hobbes somit auch jeder „alles haben und tun“ (Hobbes 1918 [1642/1658]: 86). Hobbes postuliert damit (etwa im Unterschied zu John Locke) keine selbstverständlichen Familien- oder Eheverhältnisse für den Naturzustand, denen eine ‚natürliche‘ Bindung oder Beziehung zwischen Frauen und Männern vorausgehe (Hobbes 1984 [1651]: 155ff.). Carole Pateman führte dies auf die Abwesenheit einer Vertragssicherheit im Naturzustand zurück: „In the state of nature there is no law to regulate marriage – and no marriage. Marriage does not exist because marriage is a long term arrangement, and long term sexual relation-

94 | P ERVERSE BÜRGERINNEN ships, like other such relationships, are very difficult to establish and maintain in Hobbes’s natural condition.“ (Pateman 1989b: 452)

Im Hobbes’schen Naturzustand gibt es nach Hobbes also überhaupt keine „gesellschaftlichen Beziehungen“ – die Menschen folgen demnach im Rahmen eines „radical individualism“ ihren „Begierden“, ihrer „natürlichen Lust“ und ihren „menschlichen Leidenschaften“ (Hobbes 1984 [1651]: 96ff.; Brennan/Pateman 1998: 98).26 Daraus kann expliziert werden, dass Sexualität, hier verstanden als gegenseitige oder einseitige Befriedigung der ‚körperlichen Lust‘ und ‚körperlicher Begierden‘, im Hobbes’schen Naturzustand entweder als kurzfristiger unkontrollierter Akt der Leidenschaft im gegenseitigen Einvernehmen stattfindet oder durch Gewalt erzwungen wird, denn im Naturzustand hat „jedermann ein Recht auf alles [...], selbst auf den Körper eines anderen“ (ebd.: 99; vgl. Pateman 1989b: 455ff.). Im Naturzustand gibt es nach Hobbes „weder Eigentum noch Herrschaft, [...] noch ein bestimmtes Mein und Dein“, sondern jedem gehört, „was er erlangen kann, und zwar solange, wie er es zu behaupten vermag“ (Hobbes 1984 [1651]: 98). Manow sieht in diesem Szenario des ständig bedrohten Eigentums die Beschreibung eines gesellschaftlichen Zustandes, der durch die Abwesenheit (‚männlicher‘) sexueller Verfügungsmacht und damit einer ständig herrschenden Sexualkonkurrenz zwischen den Individuen gekennzeichnet sei (Manow 2007: 472f.). Da der Mensch im Hobbes’schen Naturzustand aufgrund seines permanenten Strebens nach Befriedigung seiner Begierden und (sexuellem) Eigentum aber tendenziell immer danach strebe, Herrschaft über andere (und deren Eigentum und/oder Körper) zu erlangen, kann dieser Sexualkonkurrenz eine politische Implikation zugeschrieben werden: Das Streben nach ‚Befriedigung‘ korreliert mit dem Streben nach Herrschaft und (sexuellem) Eigentum. Hobbes sehe damit den Naturzustand immer durch „ostentative Herrschaftsinszenierung kontaminiert“ (Manow 2007: 484). Patapan und Sikkenga demonstrieren diese spezifische machtpolitische Interpretation von Sexualität/Begehren/Lust anhand von Hobbes Auslegung des platonischen Eros (Patapan/Sikkenga 2008). Demnach negiere Hobbes „the classical idea that eros is a longing for the noble or beautiful that can and must be cultivated and directed toward self-transcending speeches and deeds, especially those connected with politics and philosophy“ (ebd.: 805). Im Gegenteil liege der ‚begehrlichen Liebe‘ ein „inescapable human desire

26 Interessant ist hier freilich Hobbes Annahme von einer „natürlichen Lust“, die dem Menschen gleichsam als innere, egoistische Triebstruktur innewohnt (Hobbes 1984 [1651], 96ff.; vgl. Brennan/Pateman 1998, 98f.).

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for power“ zugrunde, das durch die Abwesenheit einer klaren Herrschaftsordnung im Naturzustand zerstörerisch wirke, da es die Menschen zu einem permanenten lustgetriebenen Krieg um Eigentum und Herrschaft treibe (ebd.). „Der Grund hierfür liegt darin, daß es Gegenstand menschlichen Verlangens ist, nicht nur einmal und zu einem bestimmten Zeitpunkt zu genießen, sondern sicherzustellen, daß seinem zukünftigen Verlangen nichts im Wege steht. Und deshalb gehen die willentlichen Handlungen und Neigungen aller Menschen nicht nur darauf aus, sich ein zufriedenes Leben zu verschaffen, sondern auch darauf, es zu sichern. […] So halte ich an erster Stelle ein fortwährendes und rastloses Verlangen nach immer neuer Macht für einen allgemeinen Trieb der gesamten Menschheit […].“ (Hobbes 1984 [1651]: 75)

Eine einmal erlangte Herrschaftsposition ist im Naturzustand damit andauernd bedroht (ebd.: 95f.; Hobbes 1918 [1642/1658]: 82f.). „Am häufigsten geraten die Menschen in Uneinigkeit und Streit“, so Hobbes in seinem „De Cive“, „weil mehrere denselben Gegenstand begehren, der sehr oft weder gemeinsam benutzt noch geteilt werden kann. Deshalb muß der Stärkste ihn haben; und wer der Stärkste ist, das muß durch das Schwert entschieden werden“ (Hobbes 1918 [1642/1658]: 84). „Macht wird damit“, wie Angelika Ebrecht Hobbes interpretiert, „zu einer allen Menschen potentiell verfügbaren und gerade deshalb streitigen Ressource, und der Kampf um sie erscheint als Grundlage der Politik“ (Ebrecht 2005). Im Naturzustand existiert somit auch keine gesicherte ‚männliche‘ Herrschaftsposition, da, so Hobbes, „bei der Gleichheit in der Natur alle erwachsenen Menschen für gleich gelten müssen“ (Hobbes 1918 [1642/1658]: 172). Insofern bestehe „zwischen Mann und Frau [...] nicht immer ein solcher Unterschied an Stärke und Klugheit als daß ohne Krieg entschieden werden könnte, wem das Recht [auf Herrschaft] zusteht“ (Hobbes 1984 [1651]: 156). Den ‚Unterschied‘ zwischen Männern und Frauen definiert Hobbes aber nur bedingt aufgrund von ‚Wesensunterschieden‘, sondern für ihn macht, so meine de-/konstruktivistische Lesart von Hobbes, die Möglichkeit des (Nicht-)Gebärens Individuen zur Frauen oder Männern. Dieser (Geschlechter-)Unterschied wird aber erst dann wirklich relevant, wenn sich die Frage nach der Herrschaft über die Nachkommen stellt, denn „[w]urde kein Vertrag geschlossen“ liegt für Hobbes die Herrschaft über die Kinder eigentlich bei der Mutter, da „niemand […] zwei Herrn gehorchen kann“ (ebd.). Denn „im reinen Naturzustand, in dem es keine Ehegesetze gibt, kann man nicht wissen, wer der Vater ist, wenn es die Mutter nicht bekannt gibt […] (ebd.). Die Möglichkeit des Gebärens macht aus den freien und gleichen Individuen Männer und Frauen und lässt Geschlecht zu einer politischen Kategorie

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werden. Dieser Analyse folgend, wird das Geschlechterverhältnis bei Hobbes also über den indirekten Weg zum Politikum, da er sich vor dem Hintergrund seiner Annahme, „that generation [always] entails authority“ (Brennan/Pateman 1998: 98) mit den Ansprüchen auf Herrschaft sowie einer „Genealogie von Herrschaft“ (Braun/Diekman 1994: 163) beschäftigen muss.27 Hobbes stützt sich in seiner Argumentation folglich noch stark auf das, was Foucault als „Allianzdispositiv“ bezeichnete (Foucault 1983 [1977]: 128f.). Darunter versteht Foucault die Organisation von Sexualbeziehungen im Rahmen eines „System[s] des Heiratens, der Festlegung und der Entwicklung der Verwandtschaften“, das primär der „Übermittlung der Namen und der Güter“ diene und vorrangig auf Basis „stabilisierende[r] Zwangsmechanismen“ und „Regelsysteme“ beruhe, die das „Erlaubte und das Verbotene, das Vorgeschriebene und das Unerhörte“ definieren (ebd.). Im „Allianzdispositiv“ seien nun nach Foucault jene Praktiken als (sexuelle) Abweichungen definiert worden, welche die Funktionalität dieser Allianzen bzw. Allianzordnungen gefährdeten oder dezentrierten (ebd.: 51f.). Dieses „Allianzdispositiv“ sei erst langsam durch das „Sexualitätsdispositiv“28 überlagert bzw. ergänzt worden, wenngleich er die spezifische (heterosexuelle) Regulierung des „Verkehrs“ und die „Sicherstellung der Reproduktion“ in diesem Dispositiv als zentrale Grundlage für die Herausbildung des modernen „Sexualitätsdispositivs“ deutete (ebd.: 128ff.). Foucault spricht in diesem Kontext auch von einer „Verhäkelung“ der beiden Dispositive (ebd.: 128ff.). Vor diesem Hintergrund kann Hobbes Naturzustand freilich auch als spezifische ‚Rückprojektion‘ und damit Beschreibung von ‚Gefährdungen‘ für seine ‚Allianzordnung‘ im „Leviathan“ gelesen werden. Zu diesen ‚Gefährdungen‘

27 Gina Victoria Shaffer erklärt damit auch die „prominent role“ von ‚Müttern‘ in der Naturzustandskonzeption sowie der späteren (theoretischen) ‚Abwesenheit von ‚(Ehe-)Frauen‘ im Gesellschaftszustand – dort wurde eine ‚männliche Genealogie‘ und Herrschaft durch ‚bürgerliche Gesetze‘ vertraglich geregelt (Shaffer 2004). Die ‚Mutter‘ existiert im politischen Sinne nicht mehr, da sie ihr Herrschaftsrecht verloren hat. 28 Das Sexualitätsdispositiv funktioniert als eine Art Kontrollmechanismus, der direkt an dem „produzierende[n] und konsumierende[n]“ Körper ansetzt und diesen „vermehrt, erneuert […], erfindet“ und „durchdringt“ (Foucault 1983 [1977]: 129). Während das Allianzdispositiv in erster Linie Erlaubtes und Verbotenes sowie Vorgeschriebenes und Ungehöriges regelt, funktioniert das Sexualitätsdispositiv „vermittels mobiler, polymorpher und konjunktureller Machttechniken“ (ebd.: 128f.). Die Aufgabe des Sexualitätsdispositivs liegt nun vorwiegend in der Intensivierung und Kontrolle des Körpers und seiner Aufwertung als Wissensgegenstand.

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kann, wie Kathrin Braun und Anne Diekman hervorheben, wohl auch die, indirekt von Hobbes angedeutete, (geschlechtsspezifische) Ungleichverteilung der Möglichkeiten auf „Herrschaft“ im Naturzustand gezählt werden (Braun/Diekman 1994: 164f.). „Männer können nur durch die Verfügung über die Frauen oder durch die […] Übereignung der Kinder zur Herrschaft über sie gelangen. Gelingt dies ihnen nicht, können sie selber keine eigenen erworbenen Herrschaftsansprüche tradieren.“ (Ebd.)

Herrschaft kann also im Naturzustand – anders als im Staate, wo das bürgerliche Gesetz dem Mann automatisch die Herrschaft zuspricht, da Hobbes in einer fiktiven und zirkulären Rückprojektion davon ausgeht, dass Staaten prinzipiell von ‚Vätern‘ begründet worden sind – entweder durch „Zeugung“ oder durch „Eroberung“ (der ‚Mutter‘, der anderen Menschen) erworben werden. Insofern gibt es im Naturzustand auch weibliche Herrschaftspositionen, die durch ‚Eroberung‘ (und durch die ‚freiwillige‘ Zustimmung der Unterworfenen) erworben wurden, denn im Naturzustand ist „nach dem Naturrecht der Sieger der Herr des Besiegten“ (Hobbes 1918 [1642/1658]: 172). Solange also jede/jeder den Anderen/die Andere töten kann, hat jede/jeder die Chance auf die „Eroberung“ und Unterwerfung eines/einer Anderen; womit auch Frauen „am Krieg aller gegen alle“ teilnehmen (Hansen 1994: 135). Tribadische Amazonen und die Gefahr einer Gyneokratie Hobbes verweist im Zusammenhang mit der Teilnahme von Frauen „am Krieg aller gegen alle“ auf die Praxis von (vermeintlichen) Amazonenstämmen, die sich ein matrilineares Herrschaftsrecht und somit auch ein selbstbestimmtes (sexuelles) Verfügungsrecht erkämpft hätten (Hobbes 1984 [1651], 156; 1918 [1642/1658]: 172; vgl. dazu Wright 2002: 133). Folglich könnten nach Hobbes in einem Land, in dem die „Inhaber der höchsten Staatsgewalt an die bürgerlichen Gesetze […] nicht gebunden sind“ auch Frauen die „oberste Staatsgewalt“ innehaben (Hobbes 1918 [1642/1658]: 172). Interessant ist hier freilich die Betonung, dass nur jenseits der ‚bürgerlichen Gesetze‘ eine (legitime) weibliche Herrschaft möglich ist. Hobbes Auffassung von weiblicher Sexualität könne in diesem Zusammenhang, wie James Turner vorschlägt, also auch dahingehend interpretiert werden, „that [when women are being] left to their own sexual devices, women would establish a primitive gynocracy“ (Turner 2002: 87). Daraus ergibt sich freilich die Frage, ob in der Hobbes’schen Logik ‚weibliche Sexualität‘ prinzipiell einer

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‚Entwicklung‘ zur Staats-/Bürgerin entgegensteht, da sie letztlich ‚nur‘ zu einer gyneokratischen Form der Herrschaft bzw. Gesellschaft anreize, denn ansonsten hätten wohl die ‚Amazonen‘ und/oder ‚Mütter‘ und nicht die ‚Väter‘ den „Leviathan“ begründet (vgl. Hobbes 1984 [1651]: 156). Diese Einschätzung korreliert auch mit Shaffers Hobbes-Interpretation, würde dieser doch jede, auf einer ‚natürlichen Lust‘ (zur Unterwerfung) beruhende Regierung im Naturzustand als „prekär“ und damit instabil betrachten (Shaffer 2004: 65f.). Dass Hobbes in seinem „De Cive“ ebenso wie im „Leviathan“ speziell die Herrschaft der ‚Amazonen‘ als Beispiel für den Naturzustand und der darin vorfindbaren, kriegsabhängigen und damit immer unsicheren Herrschaft, die es zu überwinden gilt, heranzieht, kann auch darauf zurückgeführt werden, dass diese im 16. und 17. Jahrhundert als Metapher für den (scheinbar) neu entdeckten Kontinent Amerika standen und das ‚wilde Amerika‘ bei den Vertragstheoretikern wiederum als Metonym den Naturzustand selbst repräsentierte (Skinner 2008: 99ff.; vgl. Kohl 1982). Für Hobbes lebten die „wilden Völker verschiedener Gebiete Amerikas […] bis zum heutigen Tage auf jene tierische Weise“, da sie „überhaupt keine Regierung [haben], ausgenommen die Regierung über kleine Familien, deren Eintracht von der natürlichen Lust abhängt“ (Hobbes 1984 [1651]: 97). Amazonen verkörperten, wie Valerie Traub im Rekurs auf zeitgenössische Theaterstücke, literarische Erzählungen und Reiseberichte schreibt, „the height of female insubordination“ und „the prototype of female autonomy […] at the margins of the known world“ (Traub 2002: 65). Aufgrund der ihnen zugeschriebenen „Feindlichkeit“ gegenüber Männern wurden sie auch als „unnatural in their sexual taste“, und z.T. auch als „female centered [in their erotics]“ angesehen (ebd.: 66f.). Die Projektion einer „sexual irregularity“ auf die exotisierten Körper von nicht-europäischen Frauen war „a familiar trope in early modern European topographical literature“ und tauchte in zahlreichen Reisberichten auf (Park 1997: 172f.). Anne McClintock prägte in diesem Zusammenhang auch den Begriff der „porno tropics“, um damit die Stilisierung von Frauen in den kolonisierten Ländern zum „epitome of sexual aberration and excess“ zu bezeichnen (McClintock 1995: 22). „Nicht europäische Frauen und Männer“ galten in dieser Logik als „sexuell unersättlich, unkontrollierbar“ und „eher zu gleichgeschlechtlichen Beziehungen“ neigend (Castro Varela/Dhawan 2005: 48). Wenn zeitgenössische Reiseberichte demnach über die „monstrous sexuality“ der Frauen in den „far off lands“ berichteten, dann fungierten diese als Projektionsflächen europäischer sexueller Imaginationen und Ängste ebenso wie als Folie der Abgrenzung, um deviantes Sexualverhalten zu definieren und diesem die „‚richtige Praxis‘ in den ‚Heimatländern‘“ entgegenzusetzen (Castro Varela/Dhawan 2005: 48). Dies ist

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auch ein wichtiges Indiz dafür, dass sich die Produktion (‚westlicher‘) sexueller und geschlechtlicher Normen nur im Rahmen einer kolonialismuskritischen Perspektive analysieren lasse und somit die Konstruktion von ‚Rasse‘ selbst immer eine sexuelle und vergeschlechtlichte Dimension besitzt (vgl. McClintock 1995). Auch in der aktuellen Hobbes-Forschung wird die Bedeutung zeitgenössischer kolonialer Reiseberichte, kolonialer Bilder und Diskurse als sinnstiftende Kontexte für den Hobbes’schen Naturzustand zunehmend betont, bot doch die (eurozentristische) „Betrachtung der wilden Stämme Amerikas viel Anschauungsmaterial, das ein […] grundsätzlich gestörtes Geschlechterverhältnis“ im Naturzustand „zu belegen schien“ (Manow 2007: 471; vgl. Skinner 2008: 99f.; Hillyer 2009: 42f.). Hobbes war auch selbst Mitglied der Kolonialgesellschaft „Virginia Company“29 und nahm in den 1620er Jahren an deren Sitzungen teil (Martinich 1999: 60f.). Welche Reiseberichte und kolonialen Illustrationen Thomas Hobbes im Einzelnen kannte, lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht genau rekonstruieren. Sicher ist jedenfalls, dass Hobbes im Rahmen seiner engen Verbindung zur Familie Cavendish den ‚Entdecker‘ und Seefahrer Sir Walter Raleigh (1554- 1618) noch kennen gelernt hatte, bevor dieser hingerichtet wurde (ebd.: 41). Raleigh glaubte im Kontext seiner Südamerika-Expeditionen Beweise für die Existenz von ‚Amazonen‘ gefunden zu haben und schilderte dies auch in seinem Reisbericht „The Discoverie of the Large, Rich and Beautiful Empyre of Guiana“ (Raleigh 2001 [1596]). Die ‚Amazonen‘ beschrieb Raleigh als „said to be very cruel and bloodthirsty, especially to such as offer to invade their territories“(ebd.: 283). Philip Manow geht davon aus, dass Hobbes sehr wahrscheinlich den von Thomas Ha(r)riot30 1588 veröffentlichten ersten Reisbericht über Amerika in englischer Sprache, „A briefe and true report of the new found land of Virginia“ (Hariot 1588) kannte, da Hariot in Algernon Percy, dem 10. Earl of Northumberland, denselben Förderer hatte, wie Walter Warner, mit dem Hobbes in Kontakt stand (Manow 2007: 476; vgl. Malcolm 1994: xxi). 31 Auch vermutet Manow, dass Hobbes ferner mit der sehr verbreiteten Reiseberichtssammlung des niederländischen Kupferstechers Theodor de Bry (1528-1598) vertraut war,

29 Das Geschäftsziel der „Virginia Company“ war die Kolonisierung, entsprechende wirtschaftliche Ausbeutung und ‚Zivilisierung‘ des amerikanischen Westens. 30 In der Literatur finden sich zwei Schreibweisen: Thomas Harriot und Thomas Hariot. 31 Warner editierte 1631 nach dem Tod von Hariot auch dessen mathematisches Werk „Artis analythicae praxis“ und hatte auch in Charles Cavendish, dem Neffen von Hobbes zeitweiligem Arbeitgeber, William Cavendish (1551–1626), dem ersten Earl of Devonshire, dessen zwei Söhne Hobbes unterrichtete, einen Förderer (Malcolm 1994: 30).

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integrierte dieser doch den Reisebericht von Thomas Hariot in seinen 1590 erschienen ersten Band über Amerika und ergänzte ihn mit den Illustrationen des britischen Gouverneurs John White (Manow 2007: 476f.). Diese Vermutung bestätigt Quentin Skinner indirekt in seiner aktuellen Publikation, in der er zeigt, dass das Frontispiz der Erstausgabe von Hobbes „De Cive“ an eine in de Brys Sammlung publizierte Amerika-Illustration von John White angelehnt war und dabei den zu überwindenden Naturzustand repräsentierten sollte (Skinner 2008: 101f.). In meiner postkolonial-feministischen Lesart steht das (koloniale) ‚Andere‘ also auch für jenen ‚barbarischen‘, kriegerischen und durch die egoistische Lust ‚kontaminierten‘ Naturzustand, der vom ‚zivilisierten‘ und ‚vernünftigen‘ Staats/Bürger überwunden werden muss. Der Naturzustand repräsentiert damit all das ‚Andere‘, was der Staats-/Bürger nicht mehr sein kann/darf, wenn er sich dazu entschließt, den Gesellschaftsvertrag einzugehen. Interessanterweise stehen aber die ‚Amazonen‘ gleichsam als Trope für diesen Naturzustand und der zu überwindeten ‚Gefahr‘ einer gyneokratischen Herrschaft. Dieses ‚Andere‘ bleibt jedoch stets fiktiv, denn wie Foucault betont, „gibt es keine Schlachten, kein Blut und keine Leichen“ in Hobbes Krieg aller gegen alle (Foucault 1999 [1975/1976]: 311). „Was Hobbes den Krieg aller gegen alle nennt“, sei ein idealisiertes „Spiel von Repräsentationen“, um den Staat erst zu begründen, aber die damit einhergehenden Machtverhältnisse gleichzeitig zu verschleiern (ebd.). Der Vertragsschluss als Instituierung einer sexuellen Eigentumsordnung Innerhalb der politischen Ideengeschichte gilt jene Argumentation von Hobbes, in der er die „Abwesenheit aller Gesetze, Normen und zwangsbewehrten Institutionen“ im Naturzustand „zum Überlebensrisiko für seinesgleichen“ erklärt und dies folglich zur „Einsicht in die Notwendigkeit des Staates“ führe, da „Gesetzlosigkeit“ den „fundamentalen Interessen“ des Menschen „widerstreitet“, als zentrales Kernstück des „Leviathans“ und Grundlage für die Konstituierung des (modernen) Staats-/Bürgers (Kersting 2008: 25). Das freie, aber ständig bedrohte Individuum muss also in einem ‚Zivilisationsschritt‘ den Naturzustand verlassen und diesen „durch einen rechtlichen gesellschaftlichen und staatlichen Zustand“ ersetzen (ebd.). Im Rahmen meiner erweiterten feministischen und sexualitätstheoretischen Re-Interpretation von Hobbes, impliziert dieser ‚zivilisatorische‘ Schritt aus dem Naturzustand auch die Anforderung einer ‚bürgerlichen‘ Transformation der ‚barbarischen‘ Geschlechter und sexuellen Verhältnisse: Damit die Menschen den ‚wilden‘ und ‚ekelhaften‘ Naturzustand verlassen können, wird

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die Errichtung von geregelten, hierarchisch strukturierten (hetero-)sexuellen Geschlechterbeziehungen zum zentralen „historic movement to ‚civilization‘“ (Pateman 1988: 109; Hervorh.i.Org; vgl. Manow 2007). Das bekannte kontraktualistische Argument von Hobbes – der (fiktive) Vertragsschluss der patres familiarum, die einen Teil ihrer Handlungsgewalt und Souveränität an den „Leviathan“ abtreten, dafür aber als dessen Mitglieder und neue Staats-/Bürger eine (Rechts-)Sicherheit und Ordnung erhalten – beinhaltet in dieser Lesart somit auch eine implizite sexualpolitische Implikation: Der ‚ungeordnete‘ Naturzustand wird nun durch ein (Sexual-)System beendet, das, instituiert durch den Staat bzw. die Staatsgewalt, entlang klarer sexueller und geschlechtlicher Regeln und Strukturen organisiert wird. Die subversive Sprengkraft der (sexuellen) ‚Begierden‘ wird durch ein für den Staats-/Bürger ‚vernünftiges‘ sexuelles Ordnungssystem befriedet, in dem sich der „(männliche) Bürger seines sexuellen wie materiellen Besitzes sicher“ sein kann (Manow 2007: 472). Ausgehend von feministischen Hobbes-Interpretationen, welche von zwei Phasen bzw. Stufen der ‚Entwicklung‘ vom Naturzustand hin zum Gesellschaftszustand ausgehen (Pateman 1988; Hansen 1994), kann auch die Instituierung dieser (hetero-)sexuellen Ordnung als zweistufiges Projekt konzeptionalisiert werden. In der ersten Phase findet, so könnte Patemans (essentialistische) Hobbes-Interpretation dekonstruktivistisch gewendet werden, eine geschlechtliche ‚Anrufung‘ und gewaltsame ‚Eroberung‘ all jener Körper und ihrer Nachkommen statt, denen das Potenzial des Gebärens zugeschrieben wird. Es wird also ein geschlechtliches Zeichensystem im Rahmen erster sozialer Beziehungen eingeführt. Die Herrschaft liegt bei den (nun) ‚männlichen Körpern‘, gehen diese doch als ‚Sieger‘ in Hobbes „Krieg aller gegen alle“ hervor, während die ‚Unterworfenen‘ „aus Furcht vor Tod oder Gewalttätigkeit“ der (vertraglichen) Herrschaft zustimmen (Hobbes 1984 [1651]: 155; vgl. Pateman 1989b: 458). Da es, so Pateman, für (weibliche) Individuen aufgrund ihrer ‚Freiheit‘ und ‚Gleichheit‘ im Naturzustand keinen Grund gäbe, ‚freiwillig‘ einem Ehe- bzw. Unterwerfungsvertrag zuzustimmen bzw. ihre Herrschaft über ihre Nachkommen aufzugeben, schließt Pateman daraus, dass die darauf folgende Konstituierung von Familien mit einem pater familias als Oberhaupt ihren Ursprung in einer gewaltsamen Unterwerfung bzw. Eroberung haben (Pateman 1989b: 454f.). Für Hobbes als radikalen Kontraktualisten kann diese Herrschaft über Frauen jedoch ebenfalls als vertraglich legitimiert gelten, da diese, so Pateman, einem „contract of subjection“ zustimmen, um ihr eigenes Leben zu retten (Pateman 1988: 48). Pateman begründet die These von der gewaltsamen Unterwerfung der ‚weiblichen Körper‘ im Naturzustand auch damit, dass vor der Konstitution von Familienvätern, von denen Hobbes explizit spricht, zwangsläufig die Zeugung von

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Kindern in einem (rechtlichen) Rahmen erfolgen müsse, in der das eigentlich mutterrechtliche System des Naturzustandes bereits überwunden sei (Pateman 1988: 45ff.; vgl. Hobbes 1918 [1642/1658]: 172; Hobbes 1984 [1651]: 156f.). Ohne diese Herrschaft über Frauen blieben Kinder im Naturzustand aber Eigentum der Mutter und es gäbe folglich auch keinen ‚Vater‘, da dieser in der (sexuellen) Unsicherheit des Naturzustandes nie wissen könne, wer (s)ein Kind gezeugt habe (Pateman 1988: 45ff.; vgl. Hobbes 1984 [1651]: 156; Hobbes 1918 [1642/1658]: 172). Denn die Konstitution von ‚Vätern‘ setze voraus, dass die Mutter unter die Herrschaft des Mannes geraten und somit zum stabilen (sexuellen) Eigentum geworden ist. Hobbes selbst führte im „De Cive“ an, dass „wer das Eigentum an der Person hat, hat es auch an allen ihr gehörenden Sachen, mithin [...] auch an dem Kinde“ (Hobbes 1918 [1642/1658]: 174). Für Hobbes ist eine Ehe bzw. auch eine Familie damit nichts „Natürliches“, sondern „‚a family‘ was solely composed of master and servants of various kinds and had its origins in conquest“ (Pateman 1989b: 448). Interessanterweise bestätigte Hobbes Patemans These indirekt in dem um 1670 entstandenen und 1681 posthum veröffentlichten „A Dialogue between a Philosopher and a Student of the Common Laws of England“, in dem er davon ausgeht, „that the beginning of all dominion amongst men was in families […] in which […] the father of the family by the law of nature was absolute lord of his wife and children“ (Hobbes 1939-45 [1681]: 147). Die Familie bezeichnet Hobbes darin als „patrimonial kingdom or monarchy by acquisition, wherein the sovereignty is in one man“ (ebd.). Die Konstituierung von patriarchal organisierten (heterosexuellen) Familien unter der Herrschaft eines pater familias wird damit in einer erweiterten HobbesInterpretation erst zur Grundlage der vertraglichen Konstituierung des „Leviathans“ durch die (männlichen) patres familiarum. Gleichzeitig vollzieht Hobbes diesen Schritt jedoch ‚still‘ und implizit; es findet sich keine explizite Rechtfertigung, warum Frauen beim Vertragsschluss abwesend sind. Wenn „mothers […] are enthroned“, scheinen Frauen als vormals ‚problematisches Politikum‘ aus dem Blickfeld von Hobbes zu verschwinden (Pateman 1989b: 446). Die Privatisierung von Sexualität als Konstitutionsbedingung der neuen Staats-/Bürger Die (in der ersten Phase konstituierten) patres familiarum treten nun in der zweiten Phase, dem Vertragsschluss, ihre absolute Souveränität an den „Leviathan“ ab, erhalten dafür aber neben der (Rechts-)Sicherheit für ihr Eigentum eine uneingeschränkte Souveränität in der neu etablierten Sphäre der Privatheit. Wie Joanne H. Wright betont, war die Sphäre der Privatheit für Hobbes aber noch kei-

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neswegs im modernen Sinn ‚feminisiert‘ oder explizit ‚weiblich‘ konnotiert, sondern eine „private Körperschaft“, die auf Unterwerfung beruhe (Wright 2002: 125). So „gebietet“ nach Hobbes der „Vater“ als „Herr über die ganze Familie […]. Bei allen Handlungen sind sie [die Haushalts und Familienmitglieder, Anm. C.K.] ihren Vätern und Herrn ihrem unmittelbaren Souverän unterworfen […]. Denn da die Väter und Herrn vor der Errichtung eines Staates absolute Souveräne ihrer eignen Familien waren, verloren sie danach nicht mehr an Autorität, als ihnen durch die staatlichen Gesetze entzogen wurden.“ (Hobbes 1984 [1651]: 181)

Mechthild Rumpf spricht im Zusammenhang mit der Vertragstheorie von Hobbes daher vom „Mythos des staatlichen Gewaltmonopols“, da die „Unterwerfung der männlichen Subjekte unter eine souveräne staatliche Macht“ mit der „Absicherung männlicher Souveränität in der häuslichen Sphäre“ korrespondiere (Rumpf 1996: 19). Spannend sind in diesem Kontext auch die literaturhistorischen Überlegungen von Mark Breitenberg zur Bedeutung (proto-)heterosexueller Deutungslogiken in der frühen Neuzeit (Breitenberg 1996). Frühe Formen einer „heterosexual economy“ operierten nach Breitenberg klarerweise nicht auf Basis einer (modernen) sexuell-vergeschlechtlichten ‚Innerlichkeit‘ oder einer klaren hetero/homo-Dichotomie, sondern dienten vornehmlich der (instrumentellen) Aufrechterhaltung von „clear status delineations“ (ebd.: 72). Anhand der Arbeiten von Francis Bacon, dessen Sekretär Hobbes ja kurze Zeit war, kommt Breitenberg zum Schluss, dass Bacons Verwendung heterosexueller Begründungsschemata „derives from his need to preserve status difference […], it appears that gender and gendered desire are very much questions of class“ und „hierarchy“ (ebd.: 9). Die Arbeiten von Michel Foucault (2000b [1986]) zum „Feld der Lüste“ in der Antike sowie weitere historische Untersuchungen (u.a. zu den Richtlinien homoerotischer Akte von Männern/Jungen in der griechischen Antike 32) würden

32 Spannend sind hier jene Forschungsarbeiten, welche die politische Bedeutung der (alleinigen) Position des aktiv Penetrierenden im antiken Griechenland untersuchen (Halperin 1990; Strutzenberger 2008; Skinner 2005). Obwohl gleichgeschlechtlicher Sex zwischen männlichen Körpern legitimiert war, definierte sich der voll erwachsene männliche Staats-/Bürger der Polis nach David Halperin auch über den aktiven sexuellen Akt der Penetration (Halperin 1990). Der Status eines (männlichen) Vollbürgers, der politische Subjektivität beanspruchen kann, präsentierte sich damit bereits in der

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hier freilich zu weiteren Überlegungen anregen, stellen diese doch die Genese moderner (hierarchischer) Heterosexualität in den genealogischen Kontext historisch vorangegangener, asymmetrischer Modelle des Begehrens, die einen aktiv Höhergestellten (Penetrierender) und einen passiv niedriger gestellten Part (Penetrierter) voraussetzten (Halperin 1990; Strutzenberger 2008; Skinner 2005). Insofern könnte hier freilich gefragt werden, ob und welche Bedeutung eine ‚Politik der Penetration‘33 für Hobbes Theorie hatte. Kann die (hetero-)sexuelle Ordnung des „Leviathan“ als Garant gelesen werden, die dem männlichen Staats-/Bürger eine (Vertrags-)Sicherheit gewährt, stets (alleiniger) Penetrierender34 zu sein? Bedeutet ein Verlassen des Naturzustandes, wie Thomas Alan King vermutet, die Aussicht auf eine Begrenzung von „venues of invasion and counterinvasion“ (King 2004: 149)? Vor dem Hintergrund der zerstörerischen Implikationen, die Hobbes dem im Naturzustand herrschenden „Verlangen nach angenehmem Leben und sinnlichem Vergnügen“ zuschreibt, kann die Errichtung der „privaten Körperschaft“ Familie, in welcher der pater familias über unmittelbare (sexuelle) Souveränität verfügt und sich seines (sexuellen) Eigentums sicher sein kann, jedenfalls in einen funktionellen Kontext gestellt werden (Hobbes 1984 [1651]: 75f., 181): Sie ermöglicht die Befriedung und Regulierung der destruktiven (sexuellen) Lust des Naturzustandes. Durch die Umhegung von Sexualität in der nun klar abgegrenzten Sphäre von Privatheit und Familie kann sich politische Herrschaft im „Leviathan“ im Weber’schen Sinne rationalisieren, da „Sexualität und Souveränität […] auseinander treten“ können (Manow 2007: 483). Die politische Sphäre kann von der subversiven Sprengkraft der „natürlichen Lust“ und (männlichen) Sexualkonkurrenz gereinigt werden und sich als rationale Sphäre der ‚Väter‘ etablieren. Gleichzeitig eröffnet die (vermeintliche) De-Politisierung von Sexualität neue Freiheiten für den männlichen Staats-/Bürger, da „erst die erfolgreich etablierte staatliche Gewalt einen befreiten Raum privater Sexualität begründet“

griechischen Antike als Körper, der sich durch eine sexuelle „Autonomie und Unverletzbarkeit“ auszeichne (Strutzenberger 2008: 15f.). 33 Hier sei auch nochmals auf den zeitgenössischen Diskurs um die ‚penetrativen Fähigkeiten‘ der Tribade verwiesen sowie die kulturellen Unsicherheiten und Ängste, die damit einhergingen (Traub 2002). 34 Jennifer Panek konstatiert zu Beginn des 17. Jahrhunderts auch einen „shift from ‚reproductive‘ to ‚performative‘ constructions of manhood, in which the manhood-affirming aspects of male sexuality gradually became unmoored from their traditional association with bloodlines and attached instead to penetrative sexual conquest“ (Panek 2007).

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(ebd.: 484). In der ‚Befreiung‘ der politischen Sphäre von (sexuellen) ‚Lüsten‘ und ihrer gleichzeitigen ‚Einhegung‘ im Bereich der Privatheit, können freilich schon einige Wurzeln jener modernen vergeschlechtlichten Logik von Körper/Körperlichkeit ausgemacht werden, in der die ‚private Frau‘ immer als Körper gefasst wird (‚Die Frau ist Körper‘), während der männliche Staats-/Bürger seinen Körper besitzt. Er sei damit als rationaler Agent fähig, seinen Körper in der Privatheit zu deponieren, um als rational Handelnder die Sphäre der politischen Öffentlichkeit zu betreten (vgl. Phelan 2001: 42). Patapan und Sikkenga weisen in diesem Kontext auch darauf hin, dass Hobbes hier explizit mit der antiken Philosophie des Eros bricht, indem er (erotische) Liebe und Leidenschaft als negativ für das (öffentliche) politische Leben einstufte (Patapan/Sikkenga 2008: 804). Da aber Hobbes vor dem Hintergrund seines mechanischen Menschenbildes davon ausging, dass die hedonistischen Bewegungsmomente des Verlangens oder der Lust immer existieren, können und sollen sie auch im Staat nicht eliminiert, sondern lediglich einer rational produktiven ‚Selbstbeschränkung‘ bzw. ‚Selbst-/Disziplinierung‘ unterworfen werden. Oder wie es Patapan und Sikkenga formulieren: „He [Hobbes] believes that eros cannot be ignored in developing a new political science, because eros has roots in the inescapable human desire for power and in imaginations and hopes for unlimited power that inevitably arise in human beings. […] What Hobbes wants is to reduce the power and scope of eros in the world, returning it to the limited, private sphere […].“ (Ebd.: 805)

Für die allgemeine Durchsetzung unterschiedlicher „Selbstbeschränkungen“ brauche es aber nach Hobbes eine „sichtbare Gewalt“, die diese Regeln vorgibt und auf Basis eines allgemeinen, rationalen Herrschaftsanspruchs exekutieren kann (Hobbes 1984 [1651]: 131). Meiner Analyse zufolge wird Herrschaft bei Hobbes somit ‚desexualisiert‘, da diese nun nicht mehr auf dem Prinzip des (sexuellen) Verlangens basiert und von einem (sexuellen) Machtstreben getrieben wird, sondern auf rationalen, gleichsam mechanischen Regeln beruhen soll. Ein hierarchisch (hetero-)sexuelles und geschlechtliches Ordnungssystem kann hier als Grundlage dieser rationalen Herrschaft dechiffriert werden, da wie Hobbes selbst zugibt, „eine große Menge von Menschen […] ohne allgemeine, sie alle im Zaum haltende Macht“ niemals miteinander übereinstimmt (Hobbes 1984 [1651]: 132). Ein hierarchisch (hetero-)sexuelles Ordnungssystem wird bei Hobbes also zum zentralen Funktionselement, um die staatliche Ordnung aufrechtzuerhalten. Insofern kann auch Hobbes Erklärung (politischer) Ungleichheit gedeu-

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tet werden: Erst durch die „bürgerlichen Gesetze“ wird eine „jetzt bestehende Ungleichheit […] eingeführt“ (Hobbes 1918 [1642/1658]: 83). Der Status des (männlichen) Staats-/Bürgers im „Leviathan“ ist freilich noch der eines Untertanen in einem absoluten Staat, dessen größtes Recht es ist, „alle anderen Untertanen“ von der „Benutzung“ seines „Eigentums“ und „Bodens“ auszuschließen (Hobbes 1984 [1651]: 191; auch 134f.). Dem „Rauben und Plündern“ in diesem „elenden Kriegszustand“ macht der Staat durch seine absolute Souveränität ein Ende (ebd.: 131). Damit sei der „Leviathan“, wie Manow betont, nicht nur im „Kontext eines aufkommenden politischen Besitzindividualismus zu verstehen“, sondern müsse auch vor dem Szenario des „bedrohten sexuellen Besitzindividualismus“ der Hobbes’schen Naturzustandskonzeption interpretiert werden (Manow 2007: 472). Insofern interpretiere ich den (sexuellen) Subtext des Hobbes’schen Gesellschaftsvertrages als die eigentliche ‚Systemleistung‘ der Idee des Gesellschaftsvertrages: Hobbes erklärte eine hierarchisch strukturierte (Hetero-)Sexualität zur Konstitutions- und Funktionsbedingung von (männlicher) Staats-/Bürgerschaft und verquickte in eindrucksvoller Weise die Ordnungs- und Sicherungsleistung eines Staatsgebildes für seine Staats-/Bürger mit einer neuartigen Diskursivierung und Regulierung von ‚Lüsten‘ und Geschlecht. In diesem Verständnis vollbrachte der Staats-/Bürger des Hobbes damit nicht nur die ‚zivilisatorische‘ Leistung seiner eigenen sexuellen Selbst-/Disziplinierung im Rahmen der Gründung des „Leviathans“ und der damit einhergehenden Etablierung einer Privatheit, sondern er ‚reinigte‘ das Feld des Politischen auch von der zerstörerischen Kraft der ‚Lüste‘. Staats-/Bürger zu sein und zu bleiben bedeutet in dieser Lesart aber auch, performativ an der Erhaltung dieser (hetero-)sexuellen Ordnung zu arbeiten, da stets ein „Rückfall in einen Zustand“ drohe, „in dem sexueller Besitz nur mit Gewalt erlangt und verteidigt werden kann“ (Manow 2007: 484). „Der Leviathan“ kontrastiere somit ein „zivilisiertes, aber immer gefährdetes ‚Jetzt‘ mit einem unzivilisierten, immer bedrohten ‚Früher‘“ (ebd.: 485; Hervorh.i.Org.). Dieses (fiktive) ‚Früher‘ war aber gerade durch zeitgenössische, koloniale Reiseberichte und Diskurse immer präsent, womit Hobbes nicht zufällig, wie Joanne H. Wright betont, auf die „monstrous […] Amazons […] to prove the logic of his argument“ verweist (Wright 2002: 133).

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J OHN L OCKE : E IN S TAATSBÜRGER BESITZT

SICH SELBST

Die Gesetze [werden] nicht um ihrer selbst willen erlassen […], sondern […] um jeden Teil des politischen Körpers an seinem richtigen Platz und seiner Funktion zu halten […]. JOHN LOCKE35 Again, if Absolute Sovereignty be not necessary in a State, how comes it to be so in a Family? Or if in a Family, why not in a State; since no Reason can be alledg’d for the one that will not hold more strongly for the other? If the Authority of the Husband so far as it extends, is sacred and inalienable, why not of the Prince? […] If all Men are born free, how is it that all Women are born slaves? MARY ASTELL36

Beinahe vierzig Jahre nach dem Erscheinen von Thomas Hobbes „Leviathan“ publizierte der Philosoph John Locke (1632-1704) – allerdings unter einem Pseudonym – seine vertragstheoretischen Ansätze, die „Two Treatises on Government“ (Locke 1977 [1690]). Das Manuskript der „Two Treatises on Government“ war jedoch bereits inmitten der politischen und theoretischen Auseinandersetzungen und Unruhen um die englische Krone und des theologisch begründeten, absolutistischen Gottesgnadentums in den Jahren 1679 bis 1683 entstanden und als Replik auf Sir Robert Filmer’s „Patriarcha, or the Natural Power of Kings“ formuliert (Braun et al. 1998: 138). Erst in seinem Testament bekannte sich Locke als Verfasser der „Two Treatises“ (Specht 1989: 21). Wie

35 Locke, John (1977 [1690]): Zwei Abhandlungen über die Regierung. Herausgegeben und eingeleitet von Walter Euchner. Übersetzt von Jörn Hoffmann, Frankfurt a.M, 336. 36 Astell, Mary (1700): Some Reflections Upon Marriage, Occasioned by the Duke and Dutchess of Mazarine′s Case; Which is Also Considered, online verfügbar auf: http://www.pinn.net/~sunshine/book-sum/astl_mrg.html (Zugriff: 02.12.2010). Mary Astell gilt als erste (früh-)feministische Kritikerin von Locke.

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auch Hobbes, war Locke als Vertragstheoretiker ebenfalls persönlich, politisch und theoretisch in die politischen Debatten in England verstrickt und stand in Opposition zu einem theologisch begründeten, absolutistischen Herrschaftsrecht eines Monarchen. Aus politischen Gründen musste Locke auch mehrmals England verlassen. In den Jahren 1675 bis 1679 lebte er in Frankreich (Specht 1989). 1683 folgte er seinem im Exil verstorbenen Förderer, dem Lord Shaftesbury, nach Holland und lebte dort teils unter falschem Namen bis 1688 (ebd.). 1688 kehrte er nach der Glorious Revolution und der Errichtung einer konstitutionellen Monarchie nach England zurück und nahm dort relativ spät seine öffentlichliterarische Tätigkeit auf. 1689/90 erschienen sowohl die englische Ausgabe des im niederländischen Exil verfassten „A Letter concerning Toleration“ und neben den „Two Treatises“ auch seine bedeutende erkenntnistheoretische Schrift „An Essay concerning Humane Understanding“, an der er bereits in den 1670er Jahren zu arbeiten begonnen hatte. Für eine geschlechterkritische Betrachtung von Locke sind darüber hinaus auch seine späteren erziehungstheoretischen Schriften, die 1693 veröffentlichten „Some thoughts concerning Education“ und die posthum publizierte Arbeit „Of the Conduct of the Understanding“ (1706) zu nennen. Locke kannte auch die Arbeiten von Hobbes und nahm immer wieder in kritischer Weise Bezug auf dessen Thesen: „Hobbes interested and fascinated Locke, in spite of, perhaps because of, their divergent views“ (von Leyden 2007: 37). Locke gründete seinen Naturzustand und die Funktion des Staates jedoch nicht nur auf andere politische Prämissen und Argumentationen, sondern auch in Hinblick auf die Theoretisierung von Geschlechterverhältnissen unterschied sich Locke maßgeblich von Hobbes. „Locke entwickelt nicht nur eine neue Version vom Naturzustand“, so Brigitte Rauschenbach, „sondern auch eine andere Auffassung von der Staatsfunktion. Der absolutistische Staat wird für Locke dysfunktional.“ (Rauschenbach 2004: 11) Carole Pateman führt die zeitgenössische Prominenz und den politischen Einfluss, welche Lockes im Gegensatz zu Hobbes Vertragstheorie in der Geschichte entfaltete37, aber nicht nur auf seine neue Staatsauffassung zurück, sondern begründet diese auch wesentlich mit seiner sozial „verträglicheren“ und „moderateren“ Geschlechterkonzeption (Pateman 1988: 84f.; Brennan/Pateman 1998: 102). Locke bot, was die Etablierung eines modernen und marktkonformen Patriarchats betrifft, so die Argumentation Patemans, die wirkungsvollere Transformationsstrategie eines klassischen Patriar-

37 Lockes Vertragstheorie wurde zur Grundlage der US-amerikanischen Unabhängigkeitserklärung 1776, des französischen Verfassungsentwurfs von 1791 und beeinflusste die gesamte Entwicklung des bürgerlich-liberalen Verfassungsstaates.

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chalismus an, als dessen Kritik Hobbes und Locke ihre neuzeitlichen Vertragstheorien formuliert hatten (ebd.): „[...] Leviathan, the absolute, completely conventional, artificial twin of Filmer’s natural father, was historically inappropriate for modern civil society and the principle of freedom of contract. The theoretical way forward was through the transformation of patriarchy, not its negation.“ (Pateman 1988: 84f.)

Ein heterosexuell, asymmetrisch strukturiertes Geschlechterdispositiv wird bei Locke – im Gegensatz zu Hobbes – nun nicht mehr durch die Etablierung des „Leviathan“ instituiert, sondern es wird, so werde ich zeigen, als ‚natürliches Gesetz‘ postuliert, welches bereits im Naturzustand existiert. Es ist damit nicht mehr ein Effekt (politischer) Gewalt – und damit ‚künstlich‘ hergestellt –, sondern wird als ‚natürlicher‘ Sachverhalt außerhalb des Gesellschaftsvertrages in die bürgerliche Gesellschaft übernommen (vgl. Appelt 2007). Den Vertrag schließen damit wiederum nur ‚männliche Individuen‘, sie werden dieses Mal jedoch als ‚Brüder‘ und nicht als ‚Väter‘ zu Staats-/Bürgern (Locke 1977 [1690]; vgl. Pateman 1988; Rauschenbach 2004). Um Staats-/Bürger zu werden, müssen sie aber – im Gegensatz zu jenen von Hobbes – die ‚weiblichen‘ Individuen nicht (sexuell) unterwerfen oder erobern, da ein hierarchisches Geschlechterverhältnis nun außerhalb des Politischen angesiedelt wird. Die androzentrische Prägung und Ausgestaltung des Staats-/Bürgers erfährt bei Locke somit auch eine Naturalisierung, da der Prozess der (geschlechtlichen und sexuellen) Herrschaft de-politisiert wird. Diese androzentrische Ausgestaltung des Staats-/Bürgers fundierte Locke darüber hinaus mit seiner Eigentumstheorie. Denn bei Locke kann nur jenes Individuum zum Staats-/Bürger (oder zur politischen persona) werden, das Eigentum erwerben kann bzw. Eigentum (über/an sich selbst) besitzt. Da selfownership bei Locke nun zur Voraussetzung wird, um grundsätzlich Eigentum überhaupt erwerben zu können, und Eigentum wiederum zur Grundlage des Staats-/Bürgerschaftsstatus selbst wird, bleiben weibliche Individuen (bzw. auch ‚andere‘, in den Augen Lockes besitzlose Individuen, wie die z.B. die ‚Indianer‘) davon ausgeschlossen, da sie aufgrund ihrer reproduktiven Möglichkeiten nicht fähig sind, ihre Körper zu besitzen und sie rational zu kontrollieren (Naffine 1998: 203f.). Lockes Fundierung von Eigentum auf Basis des Selbst-Besitzes des eigenen Körpers hat, wie ich zeigen werde, jedoch nicht nur sozioökonomische und politische Auswirkungen auf die Konstituierung eines Staats/Bürgers, sondern bestimmt auch den jeweiligen Zugang zu sexual citizenship. Denn das Recht auf politische Partizipation als Staats-/Bürger korrespondiert in

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der Theorie Lockes, so meine Interpretation, mit der Fähigkeit zur ‚sexuellen Autonomie‘, die Individuen vor dem Hintergrund einer geschlechtsspezifischen Deutungsfolie zu- oder abgesprochen wird. In meiner Analyse war ich jedoch vor dem Hintergrund der auch bei Locke zu konstatierenden Widersprüchlichkeit und Indifferenzen in Bezug auf die ‚Geschlechterfrage‘ ebenfalls mit interpretatorischen und theoretischen Schwierigkeiten konfrontiert. Diese Widersprüchlichkeiten spiegeln sich auch in der feministischen Diskussion wieder, in der, ähnlich wie bei Hobbes, vor allem die Naturzustandskonzeption von Locke zu großen Kontroversen geführt hat (Hansen 1994: 150ff.). Zentraler Streitpunkt ist hier, inwieweit der Locke’sche Naturzustand als „egalitär“38 oder (bereits) als „patriarchal“39 gedeutet werden kann (ebd.: 150). In meiner Interpretation orientiere ich mich tendenziell stärker am zweiten, von Carole Pateman vertretenen Standpunkt, den ich jedoch vor allem durch weitere feministische und sexualitätstheoretische Überlegungen zur Bedeutung von self-ownership für Lockes Eigentumstheorie sowie durch ein de-/konstruktivistisches Geschlechterverständnis ergänzen will (Naffine 1998; Davies 2009). Darüber hinaus gilt es auch Lockes Staats-/Bürgerschaftskonzeption wiederum in ein ‚koloniales Archiv‘ zu situieren, nicht nur weil Locke persönlich als „fascinated with travelers‘ accounts of exotic places“ galt, sondern weil er durch seine theoretische Zusammenbindung von Rationalität, Eigentum und ‚Fleiß‘ auch koloniale Inbesitznahme ‚brachliegenden Landes‘ legitimierte (Grant 1988: 42; vgl. Hindess 2007).

38 Folgende im Text zitierte Theoretiker*innen gehen von einem egalitären Geschlechterverhältnis im Naturzustand aus: Hansen 1994; Braun/Diekmann 1994. 39 Folgende im Text zitierte Theoretiker*innen gehen von einer bereits im Naturzustand bestehenden Geschlechterungleichheit aus: Arneil 2001; Pateman 1988; Brennan/Pateman 1998.

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Die Naturalisierung und Entpolitisierung von Geschlechterungleichheit John Lockes geschickte Argumentation gegen den klassischen Patriarchalismus eines Robert Filmer verleitete sogar Carole Pateman dazu, diese als „brilliant“ zu bezeichnen (Pateman 1988: 91). Locke begegnete der Ansicht Filmers, dass sich politische Herrschaft ebenso wie die Herrschaft des Mannes über die Frau aus der Autorität des Vaters ableiten lasse, wie folgt: „Diese beiden Gewalten, die politische und die väterliche, sind aber so völlig grundverschieden und unabhängig voneinander, beruhen auf so verschiedenen Grundlagen und sind zu so verschiedenen Zwecken bestimmt [...].“ (Locke (1977 [1690]: 243)

Locke unterscheidet explizit zwischen einer „politischen Gesellschaft“, in welcher die politische Herrschaft40 durch einen Vertrag konstituiert wird, und einer Familie oder „ehelichen Gesellschaft“, in welcher eine in der Natur begründete Autorität des Mannes herrsche (Locke 1977 [1690]: 253). Zwar beruhe nach Locke auch die Ehe als Verbindung auf einem (freiwilligen) Vertrag, die Ungleichheit zwischen (Ehe-)Mann und (Ehe-)Frau wurzle jedoch in der körperlichen Beschaffenheit und Unterlegenheit von Frauen. Diese Unterlegenheit existiere auch bereits im Naturzustand und gründe sich auf das Naturrecht.41 „Locke assumes“, so Carole Pateman, „that marriage and the family exist in the natural state and he also argues that the attributes of individuals are sexually differentiated; only men naturally have the characteristics of free and equal beings“ (Pateman 1988: 52). Frauen seien hingegen „naturally subordinate to men and the order of nature is reflected in the structure of conjugal relations“ (ebd.). Die Vertragsförmigkeit und ‚vertragliche Gleichheit‘ in der Ehe ändert also nichts an der ‚natürlichen‘ Ungleichheit zwischen den Eheleuten. Ein göttliches „sex right“ bzw. „conjugal right“ über Frauen, das bei Filmer noch der Ausgangspunkt von Adams politischer und väterlicher Autorität ist – da er ja, um souverän zu werden, zuerst Ehemann und Vater sein muss – wird bei Locke damit zu einem „natürlichen Recht“. Die „Untertänigkeit, in der sie [die Frauen] gewöhnlich zu ihren Männern stehen sollen“ resultiere nach Locke da-

40 Politische Herrschaft zeichnet sich auch durch das Recht auf den Einsatz der Todesstrafe aus. Dieses Recht ist Ehemännern untersagt (Locke 1977 [1690]: 243ff.). 41 Dieter Schwab (1972) verweist in seiner Analyse von Familien- und Eheverständnissen im (frühen) Naturrecht auch darauf, dass diese stark durch das aristotelische Verständnis von oikia als einer ‚natürlichen menschlichen Gemeinschaft‘ geprägt war.

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mit nicht aus einer göttlichen Autorität, welche Adam zum absoluten Monarchen bestimme, sondern läge in der „Natur“ der Frauen begründet (Locke 1977 [1690]: 103). Locke kritisierte somit keineswegs die androzentrische bzw. ehelich konzipierte Autorität im klassischen Patriarchalismus von Filmer, sondern die Ableitung einer politischen Herrschaft aus dieser Autorität (vgl. Grant 1988: 45f.). Der Ehemann besitze demzufolge keine politische Gewalt über seine Ehefrau, sondern lediglich eine „natürliche Gewalt“, „die jeder Ehegatte als Eigentümer von Land und Gut hat, um die Privatangelegenheiten seiner Familie zu regeln und in allen Dingen von gemeinsamen Interesse seinen Willen gegenüber dem der Frau dominieren zu lassen“ (Locke 1977 [1690]: 104). In der bürgerlichen Gesellschaft ändern sich lediglich die Bedingungen dieses Ehevertrages: Waren diese im Naturzustand noch verhandelbar, seien diese „,under positive law‘ in civil society“ festgesetzt (Arneil 2001: 34): „The natural rights in the state of nature, including the right to negotiate any conditions within the marriage contract, are eliminated in civil society with the introduction of a public/private split, the enforcement of the subordination of women and, most importantly, the fundamental goal of government to preserve the husband’s right of private property, all supported by civil law.“ (Ebd.)

Im Kontext von Lockes Naturalisierung geschlechtlicher Ungleichheit wird damit, so meine Lesart, ein heterosexuelles Geschlechterarrangement als ‚natürliche‘42 Verbindung zwischen Menschen ‚naturalisiert‘, die schon im Naturzustand existiert. Diese ist nicht mehr, wie bei Hobbes, ein Effekt der ‚zivilisatorischen‘ Vertragsgründung und des Verlassens des ‚ekelhaften‘ Naturzustandes, sondern sie wird als außerhalb des Sozialen liegendes ‚natürliches‘ bzw. ‚naturrechtliches Verhältnis‘ postuliert. In Lockes ‚klassischem‘ Naturrechtsverständnis gibt dieses letztlich auch die Gestaltung des Geschlechterarrangements im Rahmen einer monogamen Ehe zum Zweck der Produktion von Nachkommen vor. Das heißt, als ‚natürliches Verhältnis‘ führt dieses Geschlechterarrangement im Kontext der Versorgung und Aufzucht der Nachkommenschaft auch unwei-

42 Die ‚Natürlichkeit‘ des 17. Jahrhunderts darf freilich nicht mit der modernen Verwendung des Begriffs ‚natürlich‘ verwechselt werden. ‚Natürlich‘ meint hier nicht ‚natürlich‘ in einem naturwissenschaftlichen, modernen Sinne, sondern ‚natürlich‘ in Bezug auf das (göttlich begründete) Naturrecht, das dem ‚gesetzten‘, positiven Recht des Staates vorgeht. Die Ehe bzw. ein heterosexuelles Geschlechterarrangement wird auf die „Schöpfung zurückgeführt“ und ist somit eine „Institution des natürlichen und göttlichen Rechts“ (Schwab 1972: 360).

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gerlich zur Familienbildung als ‚natürliche‘ soziale Institution. Der Ehe bzw. Familie liegt nach Locke damit kein „political purpose“ zugrunde (Grant 1988: 46), oder in den Worten von Locke selbst: „[D]ie Untertänigkeit, die eine Frau ihrem Gatten schuldet […] liegt doch wohl auf einer völlig anderen Ebene als das, was Untertanen dem Regierenden politischer Gesellschaften schuldig sind.“ (Locke 1977 [1690]: 105) Auch wenn sich in John Lockes „Two Treatises on Government“ nur wenige unmittelbare Passagen finden, die sich explizit mit dem Verhältnis von Geschlecht/Gender und (sexueller) ‚Lust‘ 43 beschäftigen, kann in diesem Zusammenhang jedoch ebenfalls eine Konstruktion von einem ‚natürlichen‘ (heterosexuellen) Geschlechtstrieb als ‚natürliches Begehren‘ nachgewiesen werden. Nach Locke existiere demnach ein natürlicher Sexualtrieb bei Menschen, der sich vornehmlich in der männlichen Penetrationslust zeige: „Welcher von tausend Vätern denkt, wenn er ein Kind zeugt, weiter als an die Befriedigung seiner augenblicklichen Lust? In seiner unendlichen Weisheit hat Gott einen starken Paarungstrieb in die Natur des Menschen gelegt, um dadurch das Menschengeschlecht fortzupflanzen, und er tut das meistens ohne die Absicht, häufig sogar gegen den Wunsch und Willen des Erzeugers.“ (Ebd.: 109)

Dieser „Paarungstrieb“, wie ihn Locke nennt, ist nun sowohl im Naturzustand, wie in der bürgerlichen Gesellschaft gleichermaßen vorhanden. An ihm ändert sich insofern nur etwas, als dieser in der bürgerlichen Gesellschaft in die Ehe kanalisiert werden sollte, denn nur der „Schutz des Ehebettes“ sichert die „Fortpflanzung der Gattung zur höchsten Vollkommenheit und die Unterscheidung von Familien“ (ebd.: 113). Ehebruch, Inzest und Sodomie sind für Locke demnach „Sünden“, welche „die wichtigste Absicht der Natur durchkreuzen, nämlich die Vermehrung der Menschheit“ (ebd.). Locke konstruiert damit zwar bereits einen (hetero-)sexuellen Paarungstrieb zum ‚natürlichen Kern‘ eines vertraglich hergestellten Staates, geht aber noch nicht soweit, Verstöße gegen diese konstituierte Norm vom kanonischen Recht bzw. der (christlichen) Moralität zu lösen. Spannend ist hier freilich auch der Kontext, in dem Locke diese ‚Sünden‘ oder Handlungen „wider der Natur“ anführt: Locke beschreibt in der „ersten Abhandlung“ Situationen, in denen der „geschäftige Geist den Menschen, wenn er die

43 ‚Lust‘ bestimmt Locke als Empiriker jedoch nicht deterministisch, sondern beschreibt sie als „einfache Idee“, die aus der Erfahrung mit bestimmten Handlungen oder Gegenständen resultiere (Specht 1989). Demnach strebt jeder Mensch nach weiteren Handlungen, die Lust statt Unlust oder Schmerz verursachen.

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Vernunft abstreift […] zu einer Wildheit und Rohheit bringen, die weit unter dem Niveau des Tieres steht“ (ebd.: 111). „Sobald die Vernunft ausgeschaltet wird“, ist nach Locke, „der Wille für jeden ausschweifenden Einfall bereit“ (ebd.: 111f.). Die Handlungen, die der ‚unvernünftige‘ Mensch in diesem Zustand aber begeht, wie „Ehebruch“, „Inzest“ oder „Sodomie“, können somit keinesfalls als ‚natürlich‘ gelten, sondern sie verstoßen gegen das Naturrecht, zwinge dieses den Menschen doch zum Gebrauch der Vernunft (ebd.; auch 203). Der Mensch „entartet“ also, er wird ein „schädliches Geschöpf“, wenn er sich dem Naturrecht widersetzt, da dies auf einen ‚Verlust‘ der Vernunft hindeute (ebd.: 205). Ein Jahrhundert später wird Immanuel Kant diese Argumentation konsequent weiterführen und ein differenzierten Kriterienkatalog zur Beurteilung von (sexuellen) Verstößen „wider der Natur“ bzw. gegen die menschliche Vernunft entwickeln. Eigentum (an sich selbst) als Bedingung legitimer Staatsbürgerschaft Locke begründet, ebenso wie Hobbes, den Staat vor dem Hintergrund eines Naturzustands, den er jedoch keineswegs als einen Krieg aller gegen alle imaginiert, sondern als einen „Zustand vollkommener Freiheit innerhalb der Grenzen des Gesetzes der Natur“ (ebd.: 201). Diese Freiheit des Naturzustandes wird durch die natürlichen Gesetze, als intuitiv einleuchtende Regeln der Vernunft, die allgemein verpflichten, begrenzt. Dieses „natürliche Gesetz“, dem alle gemäß der Vernunft verpflichtet sind, „lehrt die Menschheit [...], daß niemand einem anderen, da alle gleich und unabhängig sind, an seinem Leben und Besitz, seiner Gesundheit und Freiheit Schaden zufügen soll“ (ebd.: 203). Im Naturzustand von Locke gehört alles allen, weil Gott die Welt den Menschen übertragen habe. Der Erwerb von Eigentum stehe somit in unmittelbarem Zusammenhang mit dem menschlichen Recht auf Selbsterhaltung als grundlegendstes naturrechtliches Prinzip: „Denn da der überaus starke Trieb, sein Leben und sein Dasein zu erhalten, ihm von Gott selbst eingepflanzt worden war, konnte ihn die Vernunft, als die Stimme Gottes in ihm, nur lehren und überzeugen, daß er in der Befolgung dieser natürlichen Neigung sein Dasein zu erhalten hatte, den Willen seines Schöpfers erfüllte und deshalb ein Recht hatte, sich jene Geschöpfe nutzbar zu machen, von denen er aufgrund seiner Vernunft und seiner Sinne erkennen konnte, daß sie für seine Zwecke geeignet waren. Deshalb war das Eigentum des Menschen an den Geschöpfen aus seinem Recht begründet, von jenen Dingen Gebrauch zu machen, die für sein Dasein notwendig oder nützlich waren.“ (ebd.: 136)

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Wie wird nun aber die Natur zu einem Eigentum der Menschen? Das Recht auf (Privat-)Eigentum begründete Locke ausdrücklich mit der Tätigkeit Arbeit. Da der Mensch durch das natürliche Gesetz immer Eigentümer seines Körpers und damit der Werke seiner Hände ist, gehören ihm die Früchte, die er „dem Zustand entrückt, den die Natur vorgesehen“ hat (ebd.: 216). Etwas wird dann zum Eigentum, wenn es durch Arbeit „aus den Händen der Natur“ (ebd.: 218) genommen werde. Der Prozess der Aneignung bestehe also darin, die als träge und unproduktiv definierte Natur durch die Hinzufügung von menschlicher (männlicher) Arbeit produktiv zu machen und dadurch in Privateigentum zu verwandeln. Ist in der ersten Phase44 des Naturzustandes die Anhäufung des Eigentums noch auf den eigenen Verbrauch, dem Verbot der Verderbung und der gleichwertigen Distribution von Gütern (Früchte und Land) beschränkt, ändert sich dies in der zweiten Phase des Naturzustandes mit der vertraglich gebilligten Erfindung des Geldes. Das Geld bewirke, dass unterschiedlicher Fleiß zu unterschiedlich großen Besitztümern und Reichtum führt. Die Erfindung des Geldes verstärke jedoch auch zusehends den Zustand der Rechtsunsicherheit, da Menschen danach bestrebt sind, ihr Privateigentum zu vermehren und die „Freude an diesem Recht [sei] sehr ungewiss, da er fortwährend den Übergriffen anderer ausgesetzt ist“ (ebd.: 278). Das „große und hauptsächliche Ziel, weshalb Menschen sich zu einem Staatswesen zusammenschließen und sich unter eine Regierung stellen, ist also die Erhaltung ihres Eigentums“ (ebd.). Eigentümer haben nach Locke also ein primäres Interesse daran, durch einen Gesellschaftsvertrag einen Staat zu gründen und damit einen Zustand der Rechtssicherheit herzustellen. Da in Lockes „Two Treatises on Government“ aber ausschließlich (‚wei45 ße‘ , besitzende) Männer diesen Vertrag schließen, stellt sich hier freilich die

44 In der Literatur besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass sich der Naturzustand von Locke in zwei Phasen oder zwei Stufen einteilen lässt: Die erste Stufe als jene ohne Geld, die zweite als jene mit Geld (vgl. Braun et al. 1998). 45 Locke spricht hier freilich nicht explizit von ‚weißen‘ Männern. Dass Locke aber auf unterschiedliche Weise nur ‚weiße‘, besitzende Männer als Staats-/Bürger seiner bürgerlichen Gesellschaft imaginierte, zeigen Charles Mills (1997) und David Schultz (2003) in ihren postkolonialen und rassismussensiblen Analysen. Demnach läge Lockes Gesellschaftsvertrag nicht nur ein „sexual contract“, sondern auch ein „racial contract“ zugrunde, dessen Ziel „the differential privileging of the whites as a group with respect to the nonwhite groups, the exploitation of their bodies, land, and re-

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Frage, warum Frauen nicht Teil der Staatsgründung und damit auch in Folge Staats-/Bürgerinnen werden (können) (vgl. ebd.: 252). Frauen seien, wie Brigitte Rauschenbach diese politische Exklusion begründet, „mit ihrer Arbeit vom Rechtsanspruch auf die Aneignung privaten Vermögens durch Arbeit“ ausgeschlossen (Rauschenbach 2004: 12).46 Denn nach Locke entbehren die als weiblich definierten Körper eine zentrale Eigenschaft, die zur Aneignung von Eigentum notwendig wäre: Sie sind nicht Eigentümerinnen ihres eigenen Körpers (ebd.). Was ihnen nach Locke fehle sei, nach Ansicht von Ngaire Naffine, die Fähigkeit zum „divided self“, denn self-ownership setze voraus, dass der eigene Körper zum „object of property“ werden könne und nicht das „subject of property in-self“ darstelle (Naffine 1998: 200f.). Das eigentliche Subjekt des Eigentums sei damit der Verstand, die Ratio, die das Objekt des Eigentums, den Körper, besitzt und kontrollieren kann. „Self-ownership conceived of as body ownership demands self-control and the ability to repel the encroachments of others. The body is a thing of nature, of the passions, to be controlled and possessed and used by the rational subject mind to the exclusion of all others. Self-ownership, and hence autonomy, is lost when the flesh is no longer subject to one’s own control or is surrendered to another.“ (Ebd.: 202)

Frauen, so kann daraus abgeleitet werden, sind bei Locke damit auch keine Personen, die durch Arbeit ökonomisch produktiv sein und Eigentum anhäufen können. Die konzeptionelle Verbindung von „property-ownership“ und „selfownership“ etabliere und verstärke nach Margaret Davies demnach gerade „the alignment of the male owner with the male subject who is autonomous and who owns“ (Davies 1999: 335). Staats-/Bürger können in dieser Interpretation von

sources, and the denial of equal socioeconomic opportunities to them“ sei (Mills 1997: 11). 46 Rauschenbach weist zur Untermauerung dieser These auch auf jene Passagen hin, in denen Locke davon ausgeht, dass nur Väter ihren Nachkommen etwas vererben können. Dies interpretiert Rauschenbach dahingehend, dass auch nur Väter etwas besitzen können (Rauschenbach 2004: 12). So schreibt Locke z.B. in Bezug auf die Vererbung von Eigentum: „[S]o liegt gewöhnlich doch noch eine andere Gewalt in der Person des Vaters, durch die seine Kinder ihm gegenüber zum Gehorsam verpflichtet sind. [...] Das ist die Macht, die Menschen gewöhnlich besitzen, ihr Vermögen denen zu vermachen, die ihnen am liebsten sind. Denn der Besitz des Vaters ist für gewöhnlich in einem ganz bestimmten Verhältnis, je nach dem Gesetz und der Sitte des jeweiligen Landes, die Erwartung und Erbschaft der Kinder“ (Locke 1977 [1690]: 244).

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Locke demnach nur jene Personen werden, die über ein (rationales) selfownership verfügen, also einen gewissen Besitz haben. Ohne Selbst-/Besitz erlangt das Individuum folglich auch keine Anerkennung als politisches Subjekt und ist damit der politischen Mitgliedschaft, also der Staats-/Bürger*innenschaft, nicht fähig (Krause 2003: 177; vgl. Appelt 1999: 53; Appelt 2007: 133). Denn, wie Locke schreibt, „wenn Menschen in die Gesellschaft eintreten, muß auch notwendigerweise vorausgesetzt und verlangt werden, daß sie Eigentum haben sollen“ (Locke 1977 [1690]: 288; Hervorh.i.Org.). Folglich muss auch jeder, „der seinen Anteil von ihrem Schutz [der Regierung eines Staates] mit genießt, aus seinem Vermögen auch seinen angemessenen Anteil zu ihrer Unterhaltung beitragen“ (ebd.: 289). Die Nicht-Bürger als irrationale und besitzlose Körper-Menschen Brigitte Hansen und David Schultz verweisen in diesem Kontext auch auf die spezifische Verbindung, die Locke in einer zirkulären Argumentationskette zwischen dem Besitz von Eigentum und der Fähigkeit zum „rationalen politischen Handeln“ herstellt (Hansen 1994: 149; Schultz 2003): „[T]hose who have reason are lead to leave the state of nature by creating a social contract. Proof that one is reasonable is that one has created a contract. Thus, the contract is self-reinforcing and the terms that are agreed to are proof of one’s reasonableness. If one did not agree then one is not reasonable.“ (Schultz 2003)

Augenscheinlich verfügen nach Locke aber ausschließlich (besitzende) Männer des (British Commonwealth), also jene die den Vertrag geschlossen haben, über diese Fähigkeit zum „rationalen politischen Handeln“ (Hansen 1994: 149). „Doch wenn der Sohn in das Stadium kommt, das seinen Vater zu einem freien Mann gemacht hat, ist der Sohn ebenfalls ein freier Mann. […] Wenn er jenen Zustand erreicht hat, nimmt man an, daß er weiß, wie weit jenes Gesetz sein Führer zu sein hat und wie weit er von seiner Freiheit Gebrauch machen darf, um so zu erkennen, daß er sie wirklich besitzt. […] Wenn dieses Stadium der Vernunft, dieses Alter der Selbstverantwortlichkeit ihn [den Vater] frei machte, so soll dasselbe auch seinen Sohn frei machen.“ (Locke 1977 [1690]: 235)

Auch wenn jede/jeder, wie Locke betont, tendenziell vernünftig und frei geboren werde, entwickeln seiner Ansicht nach nicht alle die „Fähigkeit, […] sich selbst

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und andere zu regieren“ (Locke 1977 [1690]: 237). Die „Indianer“ bzw. „Amerikaner“ haben diese Fähigkeit nach Locke nicht entwickelt, da sie bisher auch kein Eigentum bzw. keine ‚bürgerliche Gesellschaft‘ begründet haben (ebd.: 216). „Folglich beruht“, so Locke, „die Unabhängigkeit des Menschen wie auch seine Freiheit, nach seinem eigenen Willen zu handeln, auf seiner Vernunft“ (ebd.: 238). „Solange“ sich ein Mensch demnach in „einem Zustand befindet, wo er keinen eigenen Verstand besitzt, um seinen Willen zu lenken, darf er auch keinen eigenen Willen haben, dem er folgen könnte“ (ebd.: 235). Auch wenn Locke davon ausgeht, dass Erfahrung die Grundlage von Vernunft sei, erscheinen, wie Schultz betont, ausschließlich jene Personen als vernünftig, die dieselben Erfahrungen gemacht haben/machen (wollen) (Schultz 2003: 19). Der Kern dieser Erfahrungen und der entsprechend entwickelten Vernunft sei demnach der Wille zum Vertragsschluss. Demnach spreche, wie Schultz und Mills aufgezeigt haben, Locke noch weiteren Gruppen den Staats-/Bürgerschaftsstatus ab, nämlich denen „who are nonwhite, nonmale, and […] nonwestern“ (Schultz 2003; vgl. Mills 1997). „It [the social contract of Locke, Anm. C.K.] rests upon assumptions that privilege a particular rationality and which also makes assumptions about a hierarchy of human nature that renders many individuals to the status of the Other, alienated from political power. Within a particular society it privileges a specific rationality, but, as Locke’s scattered comments about American Indians and foreigners suggest, he also privileges some societies over others.“ (Schultz 2003: 19)

Locke, so zeigt beispielsweise Martin van Gelderen in seiner Analyse, war als Politiker auch „maßgebend an der Gestaltung der britischen Kolonialpolitik beteiligt“ und war sich somit der „Problematik des Kolonialismus nicht nur aus der Theorie, sondern auch aus der politischen Praxis“ bewusst (Gelderen 2001: 16). Eben genau auf dieses koloniale Wissen griff Locke in seiner Argumentation und seiner Naturzustandskonzeption zurück. So war nach Locke „anfangs [...] die ganze Welt Amerika“, also im Naturzustand (Locke 1977 [1690]: 230); und da sich die „Indianer“ Nordamerikas nicht aus dem Naturzustand erhoben und sich das Land durch „Arbeit“ und die Gründung von Staaten und Regierungen angeeignet hatten, war für ihn die „Besetzung des Landes durch die englischen Kolonialisten damit legitimiert“ (Gelderen 2001: 17). Lockes Konzept von self-ownership funktioniert damit (nur) im Rahmen einer dichotomen Logik des othering. Es basiert auf der Verweigerung von selfownership für bestimmte Individuen, den Nicht-Bürger*innen. Naffine erklärt

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die Verweigerung eines self-ownerships für Frauen somit auch zur Konstitutionsbedingung für die Theorie Lockes selbst (Naffine 1998). „The structure of self ownership therefore is, of necessity, applied only to the male body which was brought to be free from the encumbrances of sex and reproduction and yet which still depended on ready and exclusive access to the fertile body of a woman for its reproductive needs (both physical and economic).“ (Naffine 1998: 204)

Wenn Locke folglich davon spricht, dass „das erste und grundlegende natürliche Gesetz [...] die Erhaltung der Gesellschaft“ sei, dann expliziert dieses natürliche Gesetz freilich die von Naffine postulierte Unvereinbarkeit mit einem weiblichen (sexuellen) self-ownership (Locke 1977 [1690]: 283; Hervorh.i.Org.). Denn Locke betrachte, so die Interpretation von Hansen, Reproduktionsfähigkeit als „quasi naturgesetzlichen Vorgang, bei dem der Wille der Ehefrauen keinerlei Rolle spielen soll“ (Hansen 1994: 147). Daraus kann gefolgert werden, dass Frauen bei Locke nicht über ihre Körper verfügen, sondern es wird im Gegenteil, über ihre Körper und ihre Sexualität verfügt (Naffine 1998: 203). Mit der Bestimmung des weiblichen Körpers über das Attribut der Reproduktion und der damit einhergehenden Naturalisierung erfolgt die Degradierung ihres Körpers zur passiven und beherrschbaren Materie (Merchant 1994; Hoppe 2002). Das heißt, in einer de-/konstruktivistischen Lesart bedeutet dies, dass hier nicht die Gebärfähigkeit als vermeintlich essentielle, geschlechtliche Differenz zur Grundlage von ‚Benachteiligung‘ wird, sondern umgekehrt, dass gerade durch die politische Bedeutung, die dieser Körperfunktion in der Befähigung zum selfownership beigemessen wird, ein Unterschied eingeführt wird. Oder wie es Regine Gildemeister treffend ausdrückt, „[n]icht ‚der Unterschied‘ konstituiert die Bedeutung, sondern die Bedeutung die Differenz“, d.h. dass erst im Rahmen von Prozessen der Bedeutungszuschreibung „die Gebärfähigkeit […] zur Grundlage eines separierten und tendenziell benachteiligtem Status“ wird und „nicht umgekehrt“ (Gildemeister 2004: 132). Sabine Hark stellt das Locke’sche Konzept von self-ownership damit auch in einen größeren diskursgeschichtlichen Zusammenhang, fungierten Konzeptionen, in denen Individuen als „Besitzer ihrer Körper“ definiert werden, doch gerade als Vorbedingung für die Genese einer „modernen Technologie des Selbst“ und somit eines „Schemas der somatischen Individuierung“ in dem modernen Konzept der (sexuellen und geschlechtlichen) Identität (Hark 1999a: 86ff.). Demnach wurde gerade durch die Vorstellung von Menschen als mehr oder weniger mit sich selbst in einem „Besitzverhältnis“ existierend, die „somatische

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Materialität des Körpers zum unveränderlichen menschlichen Grund“, galt der Körper doch als stabiles „Besitztum“ der Vernunft (ebd.: 88).47 Wenn Carole Pateman den politischen Staatskörper von Locke demnach als homosozialen „fraternal contract“ beschreibt, dann kann die ‚Verkörperlichung‘ von Frauen durch die Verweigerung von self-ownership sowie der daraus folgende Ausschluss aus der politischen Sphäre gerade als konstitutiv für das Funktionieren dieses Gemeinwesens gesetzt werden (Pateman 1988: 77). Mit Luce Irigaray kann der Locke’sche homosoziale Brüderbund demnach auch als System der „hommo-sexualité“48 bezeichnet werden, da er auf einer (vermeintlich) entkörperten Universalisierung des Männlichen als das allgemeine (politische) Subjekt und der Vergeschlechtlichung des Weiblichen als das ‚Andere‘ und Projektionsfläche des ‚Eigenen‘ basiert (Irigaray 1979). Für Irigaray wäre demnach nicht das fehlende self-ownership von Frauen Kern einer feministischen Kritik, sondern sie geht davon aus, dass Frauen als das nichtrepräsentierbare ‚Andere‘, als Nicht-Subjekte in diesem Zusammenhang selbst als „Waren“ und/oder „Tauschobjekte“ einer hommo-sexuellen Gesellschaft fungieren. Frauen sind für Irigaray daher nur die ‚Materie‘ oder die ‚Zeichen‘ dieses phallogozentrischen Systems, was sie zur These veranlasste, dass „die Heterosexualität nichts anderes [ist] als ein Alibi für die reibungslosen Beziehungen zu sich selbst, für die Beziehungen unter Männern“ und damit eigentlich ein System der „hommo-sexualité“ sei (ebd.: 179). Insofern bedeutet das Innehaben eines Staats-/Bürgerschaftsstatus im Locke’schen Gesellschaftszustand freilich nicht nur die Sicherung des jeweiligen Eigentums der (männlichen) Staats-/Bürger, sondern Locke lässt diese, im Gegensatz zu Hobbes, auch an der Gesetzgebung teilhaben (Locke 1977 [1690],

47 Margaret Davies verweist auch auf die Aktualität und ständige Re-Aktivierung dieses Verständnisses von ‚personhood‘ von eigentlich progressiven Bewegungen, um damit (körperliche) Selbstbestimmung oder Autonomie zu fordern (Davies 1999). Davies plädiert dagegen in Rekurs auf queere Subjektverständnisse für eine grundsätzliche Dekonstruktion liberaler Eigentumstheorien. 48 Luce Irigaray spielt mit dieser Wortschöpfung auf das französische bzw. lateinische Wort für ‚Mann‘ (franz. Homme; lat. homo) sowie auf das griechische Wort ‚homo‘ für ‚gleich‘ an. Irigarays Begriff der „hommo-sexualité“ hat jedoch nichts mit dem Begriff der Homosexualität zu tun, sondern dient zur Analyse (androzentrischer) Heterosexualität, in der Frauen nur als „Waren“ und/oder „Tauschobjekte“ von Männern fungieren (Irigaray 1979).

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237ff.).49 Locke gilt dementsprechend als Begründer eines ‚liberalen Staats-/Bürgerschaftskonzeptes‘, da nun ein aktives Bezugsverhältnis zwischen den Staats/Bürgern und einer Staatsgewalt gegeben ist. Die „legislative Gewalt“ liegt als „höchste Gewalt des Staates“ damit auch bei jenen, welche den ‚Vertrag‘ geschlossen haben, schließt also explizit Nicht-/Staatsbürger*innen bzw. Nicht/Bürger*innen aus dem brüderlichen System der politisch institutionalisierten „hommo-sexualité“ aus (ebd.). Während (‚weißen‘) Frauen jedoch als „‚wives‘ of free citizens“ ein abgeleiteter rechtlicher Status – und somit auch die Möglichkeit, Herrschaft, über Kinder, Hausagestellte und Sklav*innen auszuüben – zukommt, entbehren alle anderen Nicht-/Staatsbürger*innen bzw. Nicht-/Bürger*innen und Nicht-Eigentümer*innen einen derartigen (rechtlichen) Status (vgl. Arneil 2001: 44ff.).

49 Der Staats-/Bürger ist entweder selbst in der Legislative tätig oder wählt entsprechende Vertreter (Locke 1977 [1690]: 237ff.).

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J EAN -J ACQUES R OUSSEAU : K EIN GUTER S TAATSBÜRGER OHNE DEN ‚ RICHTIGEN ‘ S EX Mir genügt es, daß man überall da, wo Menschen geboren werden, aus ihnen macht, was ich vorzuschlagen habe, und daß, wenn dies geschehen ist, das Beste für sie selbst und andere daraus geworden ist. JEAN-JACQUES ROUSSEAU50 Ein Geschöpf, das nicht durch Selbsterziehung zum rechten Gebrauch seiner Fähigkeiten und Kräfte kommt, kann nicht moralisch genannt werden. Das ist auch Rousseaus Ansicht von den Männern, ich aber dehne diesen Satz auch auf die Frauen aus. […] Ich bestreite aber, daß die Frau nur für den Mann geschaffen ist […]. MARY WOLLSTONECRAFT51

Der Philosoph Jean Jacques Rousseau (1712-1778) leitete, was die politiktheoretische Verknüpfung von Sexualität, Geschlecht und Staats-/Bürgerschaft anbelangt, einen Paradigmenwechsel ein. Denn im Gegensatz zu Hobbes und Locke beschäftigte sich Rousseau im Rahmen seiner politischen Philosophie explizit mit der Interdependenz von Geschlecht und Sexualität52 und ihrer jeweiligen Bedeutung für das Funktionieren eines politischen Gemeinwesens. Die Gestaltung der Geschlechterverhältnisse war für Rousseau, wie es Susan Moller Okin ausdrückt, „of unmistakable importance“ (Okin 1979: 393). Sexuelles wird eben-

50 Rousseau, Jean-Jacques (2006a [1762]): Emile oder über die Erziehung. Herausgegeben, eingeleitet und mit Anmerkungen versehen von Martin Rang, Stuttgart, 104f. 51 Wollstonecraft, Mary (1792): Die Verteidigung der Rechte der Frauen, online verfügbar auf: http://www.zouharundzouhar.de/philosophie/sophia4/MARY_WOLLSTONECRAFT. pdf. Wollstonecraft kritisierte in ihrer Streitschrift explizit die misogynen Aussagen von Rousseau. 52 Freilich benutzte Rousseau nicht den Begriff der ‚Sexualität‘, wenngleich der Begriff ‚sexuell‘ bereits in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in Frankreich auftaucht (Eder 2009: 15).

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falls klar „formally theorised“ (Howells 2005: 174) und erscheint damit nicht als impliziter sondern expliziter Teil seiner politischen Theorie. Die Schriften von Rousseau stehen damit auch im Kontext jenes kultur- und wissenschaftshistorischen Paradigmenwechsels in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, den Claudia Honegger als „Transformationsprozess“ hin zu einer „Codierung moderner Geschlechtscharaktere“53 beschrieben hat (Honegger 1996: 3).54 Auf Basis eines (vermeintlich) „objektive[n] Tatsachenblick[es] des Menschenwissenschaftlers“ auf die „wahrzunehmende Natur“, wurde nun immer mehr von der „Grundstruktur des menschlichen Körpers“ eine direkte „soziale Aufgabenverteilung zwischen den Geschlechtern“ abgeleitet und wissenschaftlich fundiert (ebd.: 1; Hervorh.i.Org.). Geschlecht wurde im Rahmen eines „Aussagesystems […] in das Innere der Menschen verlegt“; es „fügt sich ganz in den Körper ein und seine ‚logische‘ Verteilung erfolgt unmittelbar“ den wissenschaftlich proklamierten „anatomischen Maßen“ (Hausen 2001 [1976]: 162ff.; Honegger 1996: 8). An die Stelle von Standes- und Pflichtdefinitionen treten nach Hausen „Charakterdefinitionen“ als „allgemeine Eigenschaften“ eines Geschlechts (Hausen 2001 [1976]: 168). Dabei wurde der Mann als allgemeiner Mensch generalisiert, dem die Kulturarbeit, politische Subjektivität und Handlungsfähigkeit zukommen sollte, während „das Weib“ als Studienobjekt einer „weiblichen Sonderanthropologie“ bloß „Geschlechtswesen“ blieb (Honegger 1996: 7; Hausen 2001 [1976]: 167). Nicht mehr die ‚physische Überlegenheit‘ oder das ‚göttliche Gesetz‘ wurde im Rahmen dieser Diskurse als Rechtfertigung der Ungleichheit zwischen den Geschlechter angerufen, sondern die ‚objektive Tatsache‘ der physiologisch-psychologischen Geschlechterdifferenz fungierte als dessen Legitimation. Dabei war aber, so Honegger, nicht mehr ‚Hierarchie‘ das oberste Gebot, sondern die Erklärung der Geschlechterbeziehungen im Rahmen eines komplementär asymmetrischen Differenzmodells (Honegger 1996). Während Rousseaus Lebenszeit stand dieser Transformationsprozess freilich noch am Anfang – es war eine „diffuse Phase des kulturellen Umbruchs, in dem vieles nebeneinander möglich war“ (ebd.: 14). Rousseau kommt jedoch eine

53 Auch Karin Hausen zeichnet in ihrer Untersuchung die Herausbildung von normativen „Geschlechtscharakteren“ im 18. Jahrhundert nach. Der Begriff wurde dazu verwandt, um „die mit den physiologischen korrespondierend gedachten psychologischen Geschlechtsmerkmale zu bezeichnen“ und so „die Natur bzw. Wesen von Mann und Frau“ zu erfassen (Hausen 2001 [1976]: 162). 54 Claudia Honegger (1996) zeigt in ihrer wissenssoziologischen Analyse, wie zwischen 1750 und 1850 ein neuer Geschlechterdiskurs entsteht, der sich vornehmlich auf die Anatomie bzw. die Humanwissenschaft als neue ‚Leitwissenschaft‘ stützte.

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zentrale Stellung in der Vorantreibung und theoretischen Ausführung dieses neuen komplementär-asymmetrischen, geschlechtlichen Differenzmodells zu, verlieh er doch, wie Claudia Opitz es formuliert, diesen Vereindeutigungsbestrebungen „besonders eloquent Ausdruck“ (Opitz 2006: 81). Seine Schriften wurden weithin rezipiert; es herrschte ein „unvergleichlicher Personenkult und […] schwärmerische Begeisterung“ für Rousseau und seine Werke (Felden 1995: 11; vgl. Honegger 1996: 49). Bereits in einer seiner ersten bedeutenderen politischen Schriften, der „Abhandlung über den Ursprung und die Grundlagen der Ungleichheit unter den Menschen“, die er 1753 anlässlich einer Preisfrage55 der wissenschaftlichen Akademie von Dijon verfasste und welche 1755 von derselben publiziert wurde, untersuchte Rousseau im Zusammenhang mit seiner Naturzustandskonzeption die Grundlagen von Familien- und Ehegemeinschaften sowie die damit verbundene geschlechtsspezifische Arbeitsteilung (Rousseau 1998 [1755]). Er kritisierte in diesem Zusammenhang auch explizit das Ehe- und Familienverständnis von Locke und widersprach darin jener Annahme Lockes, in der dieser von einer „natürlich[en]“ Existenz von Ehe- und Familiengemeinschaften im Naturzustand ausging (ebd.: 146). Ähnlich wie für Hobbes waren auch für Rousseau Ehe- und Familienverhältnisse zivilisatorische Produkte, die nicht „von der Natur so eingerichtet“ seien (ebd.). Rousseau führte diese in seiner „Abhandlung“ jedoch nicht, wie Hobbes, auf Eroberung bzw. einen (sexuellen) Unterwerfungsakt zurück, sondern auf den Beginn von „moralischgesellschaftlichen“ Beziehungen und der (funktionalistischen) Entwicklung einer Geschlechterliebe (ebd.: 59). Die androzentrische Fundierung des Staatsbürgers56 erfuhr bei Rousseau daher auch eine neue Form von historischsozialrevolutionärer Begründung. Ist die „Abhandlung“ vor allem im Hinblick auf Rousseaus Sexualitäts- und Geschlechterverständnis im Rahmen seiner evolutionären Geschichtsinterpretation von Bedeutung, identifiziert Nicole Fermon (1994) in den drei etwa zeitgleich erschienenen Werken, dem Roman „Julie oder die neue Héloïse“ (Rousseau 2003 [1761]), der vertragstheoretischen Schrift „Vom Gesellschafts-

55 „Welches ist der Ursprung der Ungleichheit unter den Menschen und ist sie durch das Naturgesetz gerechtfertigt?“ So lautete die Preisfrage der Akademie von Dijon, auf die Rousseau mit seiner „Abhandlung über den Ursprung und die Grundlagen der Ungleichheit unter den Menschen“ antwortete (Rousseau 1998 [1755]). 56 Da Rousseau den Staatsbürger explizit als partizipierenden citoyen entwarf, wird hier nicht mehr die Schreibweise Staats-/Bürger verwendet. Rousseau unterscheidet den Staatsbürger (citoyen) auch selbst explizit vom (besitzenden) Stadtbewohner, dem bourgeois (Rousseau 2006b [1762]).

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vertrag oder Grundsätze des Staatsrechtes“ (Rousseau 2006b [1762]), und dem Erziehungsroman „Emile oder Über die Erziehung“ (Rousseau 2006a [1762]) eine wichtige sexualitäts- und geschlechtertheoretische Gemeinsamkeit: Alle drei Werke beschäftigten sich mit dem Verhältnis zwischen der „political structure of the nation and the erotic dispositions of its inhabitants“ (Fermon 1994: 432). Die entsprechende „political appropriation of sexuality“ könne folglich als wichtiger Kern von Rousseaus bildungs-/politischen Versuchen, den idealen Staatsbürger in einem idealen Gemeinwesen zu imaginieren, begriffen werden (ebd.: 431). Besondere Bedeutung kommt in diesem Kontext dem, in den Politikwissenschaften weitgehend vernachlässigten, Roman „Julie oder die neue Héloïse“ (Rousseau 2003 [1761]) zu, nicht nur weil er „the biggest bestseller of the eighteenth century“ war, sondern weil er, wie Fermon betont, auch als praktische und verständliche Anleitung für Rousseaus Plädoyer einer Transformation des Sexuellen, der Familie und damit der Gesellschaft und ihrer politischen Grundlagen gelten kann (Fermon 1994: 431). Die adäquate emotional sexuelle Gestaltung des Privatraumes wurde, so werde ich zeigen, von Rousseau damit gleichermaßen für das Funktionieren des politischen Gemeinwesens verantwortlich erklärt, wie die Ausformung der politisch öffentlichen Institutionen und Strukturen der Republik. In meiner Analyse soll demnach deutlich werden, dass der ideale Staatsbürger, wie ihn Rousseau in seinem „Emile oder Über die Erziehung“ (Rousseau 2006a [1762]) entwarf, sich nicht nur durch den Besitz entsprechender staatsbürgerlicher Tugenden und Bildung sowie dem entsprechenden politischen Wissen auszeichnen sollte, sondern über eine spezifische Sexualität und einen entsprechenden Umgang mit und (Beziehungs-)Rahmen für seine ‚Leidenschaften‘ verfügen sollte. Diente der Erziehungsroman „Emile“ in diesem Kontext als idealtypische Vorlage, zeigte Rousseau in „Julie oder die neue Héloïse“ welche ‚schädlichen‘ Wirkungen Sexualität im Kontext eines ‚falschen‘ Umgangs und eines ‚falschen‘ (Beziehungs-)Rahmens entfalten könne und welche unmittelbaren Anstrengungen daher vor allem Frauen unternehmen müssten, um (ihre) Sexualität und ‚Leidenschaften‘ im Dienste eines guten politischen Gemeinwesens neu zu organisieren und zu sublimieren. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die als homoerotisch zu deutende Nebenerzählung der „Julie“ und ihre Relevanz für Rousseaus Sexualitäts- und Geschlechterverständnis. Rousseau kritisierte in dieser Schrift sexuelle und geschlechtliche ‚Abweichungen‘ – zum Beispiel ‚männliches‘ Verhalten bei Frauen – und stellt diese in den Kontext seiner zivilisationskritischen Analyse gesellschaftlicher Degenerationserscheinungen, die es durch die Heranbildung neuer Staatsbürger (und ihrer passenden Ehefrauen) sowie der Errichtung eines guten politischen Gemeinwesens zu überwinden gel-

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te.Rousseaus literarische Versuche, die ideale staatsbürgerliche Sexualität zu definieren, werden von einigen Autor*innen auch auf seine eigenen biographischen ‚Verfehlungen‘ dieses Ideals zurückgeführt (Howels 1995; Wexler 1976). In seinen biographischen „Confessions“ ‚gesteht‘ Rousseau demnach zahlreiche sexuelle Beziehungen und Erlebnisse, die gerade nicht in das, in seinen politischen Werken propagierte, Bild einer rational kontrollierten ‚Leidenschaft‘ passen, die sich mit der ehelichen Sexualität begnügt und von einem binär-hierarchisch strukturierten Geschlechterverhältnis getragen wird (Rousseau 1985 [1782]). Welche Bedeutung nun Rousseaus eigener (sexuellen) Biographie auch immer beigemessen wird, offenbaren die sexuellen „Confessions“ auf jeden Fall das ‚Moderne‘ an Rousseaus Sexualitätsverständnis. Er ‚gesteht‘ sexuelle Erlebnisse und weist ihnen – z.B. bestimmten sexuellen Erlebnissen in der Kindheit – eine zentrale Bedeutung für die Formierung seines eigenen Selbst zu (Howels 1995: 174f.). Rousseau wirkte auch, was die sexualitätstheoretischen Implikationen seiner Schriften betrifft, maßgeblich an jener modernen „Diskursivierung des Sexes“ mit, die sich nach Foucault im 18. Jahrhundert „in Form von Analyse, Buchführung, Klassifizierung und Spezifizierung“ von Sexualität(en) manifestierte (Foucault 1983 [1977]: 31, 35). Rousseau war auch insofern ‚modern‘, als er davon ausging, dass das „Sexuelle einen zentralen Einfluss auf den Charakter und Persönlichkeitsbildung des Menschen“ habe (Hull 1988: 57; vgl. Howells 2005: 174). Wenn Foucault die Entstehung des modernen Sexualitätsdispositivs demnach auch in Zusammenhang mit der Formierung einer bürgerlichen „Klassensexualität“ bringt, dann kann Rousseaus politische Theorie als an dieser Formierung mitbeteiligte charakterisiert werden, setzte er doch gerade die bürgerliche Sexualität dem ‚degenerierten‘ Körper der vornehmlich französischen Aristokratie gegenüber (Foucault 1983 [1977]: 153). Rousseaus vielzitierten rigiden Bestimmungen für Frauen (und ihrer Sexualität), die er selbst insbesondere im „Emile“ mit einer „Natur der Frau“ legitimierte, waren und sind bis heute zentraler Gegenstand feministischer Auseinandersetzungen. Vor dem Hintergrund der Marginalisierung der Kategorie Geschlecht innerhalb der ‚klassischen‘ Rousseau-Forschung, war es demnach eine zentrale Errungenschaft feministischer Zugänge, die konstitutive Bedeutung eines ungleichen Geschlechterverhältnisses für seine politische Theorie nachzuweisen. Der ‚klassischen‘ Argumentation, welche davon ausging, dass die ‚Misogynie‘ von Rousseau ein „zeitbedingte[r] Appendix“ bzw. eine bloße „misogyne Entgleisung des Autors“ sei, wurde vehement entgegengetreten und im Gegenteil, Geschlechterungleichheit als grundlegendes Bezugssystem für Rousseaus Vorstellung von einem politischen Gemeinwesen dechiffriert (Kuster 2005: 12). Die entsprechenden Untersuchungen innerhalb der feministischen Forschung waren

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in den Anfängen daher stark auf den Nachweis dieser ‚misogynen Dimension‘ fokussiert (u.a. Benhabib/Nicholson 1987; Okin 1979; Wexler 1976). 57 Ein wesentliches Problem stellte in diesem Kontext jedoch Rousseaus Naturverständnis bzw. seine Rekurse auf eine „Natur der Frau“ dar, die innerhalb der feministischen Rousseau-Rezeption mehrfach als Rückgriff auf ein misogynbiologistisches Weiblichkeitsbild interpretiert wurden. Rousseau wurde innerhalb der feministischen Theorie folglich vorwiegend als biologistischer Differenztheoretiker und „Stammvater weiblicher Unterdrückung im bürgerlichen Zeitalter“ rezipiert, der Frauen mittels einer ‚Festlegung ihrer Natur‘ und der Beschreibung ihrer ‚Geschlechtscharaktere‘ von der politischen Öffentlichkeit ausschließen und ihnen den Zugang zur Staatsbürgerschaft verweigern wolle (Kuster 2005: 13; vgl. Opitz 2006: 65). Diese Interpretation von Rousseau wurde Ende der 1980er Jahre vor dem Hintergrund des ‚linguistic turns‘ sowie der stärkeren Miteinbeziehung der früheren Schriften von Rousseau, besonders seiner „Abhandlung über den Ursprung und die Grundlagen der Ungleichheit unter den Menschen“ (Rousseau 1998 [1755]), deutlich revidiert, ohne jedoch die Ergebnisse der feministischen Rousseau-Forschung grundsätzlich in Frage zu stellen. Der zentrale Bruch lässt sich etwa folgendermaßen auf den Punkt bringen: Ein ungleiches Geschlechterverhältnis sei konstitutiv für Rousseaus politische Theorie, aber er sei kein biologistischer Differenztheoretiker, sondern er begründe die Ungleichheit der Geschlechter instrumentell-funktionalistisch. Darüber hinaus leite er diese aus einer (vermeintlichen) sozial-evolutionären Entwicklung der Menschen ab, d.h. sie sei für Rousseau zwar ‚natürlich‘, gleichzeitig sei sie aber nicht ‚natürlich‘, da sie im Naturzustand noch nicht existiert. Als wegweisend für diese veränderte Rousseau-Rezeption in der feministischen Forschung gilt die Interpretation von Penny Weiss (1987; auch Weiss/Harper 1990: 90f.): „For Rousseau can be most clearly understood as saying that the sexes are not relevantly differentiated by nature, but that sex differences can and should be created, encouraged, and enforced because of what he considers to be their necessary and beneficial consequences. The claim that Rousseau’s sexual scheme is political in nature is greatly strengthened by recognition of the fact that Rousseau sees the natures of the sexes as essentially alike but malleable. [...] My argument is that Rousseau is encouraging sexual differentiation for specific political ends, and that by refuting the claim that Rousseau be-

57 Für einen Überblick über die feministische Rezeptionsgeschichte im angloamerikanischen Raum siehe: Seidman Trouille (1997) und Lange (2002); für die deutschsprachige Rezeption siehe: Opitz (2006); Garde (1992); Kuster (2005).

128 | P ERVERSE BÜRGERINNEN lieves in natural sexual differentiation, we can in fact arrive at a more coherent interpretation of his thought.“ (Weiss 1987, 84f.; Hervorh. C.K.)

Darüber hinaus eröffneten dekonstruktivistisch inspirierte Lesarten, wie etwa jene von Christine Garbe (1992), neue Perspektiven auf geschlechterkonstruktive Strategien sowie ‚verdrängte‘ bzw. ‚subversive Subtexte‘ 58 in den Werken von Rousseau. Geschlecht wird in diesem Kontext also nicht mehr als ‚vorgängiges Faktum‘ gesetzt, sondern in einen performativen Zusammenhang gestellt. Geschlecht erscheint damit bei Rousseau stets ‚brüchig‘ und muss somit selbst immer wieder neu hergestellt und zitiert werden (vgl. Garde 1992). Darüber hinaus rückten in diesem Kontext auch Ambivalenzen und Mehrdeutigkeiten – sowohl in den Werken selbst als auch zwischen seinen Werken und seinem biographischen Lebens-/Umfeld – ebenso wie die ‚Macht‘ der (selektiven oder eklektizistischen59) Rezeption stärker in das Zentrum der Aufmerksamkeit (vgl. Opitz 2006: 67). Bis heute ist die feministische Rousseau-Rezeption jedoch auch stark durch disziplinäre Zugänge geprägt. Während etwa Rousseaus Novelle „Julie“ innerhalb literaturwissenschaftlicher Forschungen stärker Eingang gefunden hat, wurde diese innerhalb eines engeren politiktheoretischen Feldes beinahe vollständig vernachlässigt. Auch zwischen erziehungswissenschaftlichen und politiktheoretischen/philosophischen Forschungen existieren nach wie vor große Differenzen in Herangehensweise und Interpretation. Vor dem Hintergrund dieser äußerst breiten und vielstimmigen feministischen Auseinandersetzungen mit Rousseaus Werken, gestaltete sich die Quellenauswahl trotz meines spezifischen Zugangs (Stichworte: politiktheoretisch, queer bzw. sexualitätstheoretisch, de-/konstruktivistisch) als schwierig und komplex. Insofern ist die Auswahl an Sekundärquellen an manchen Stellen auch ‚zufällig‘ bzw. weitgehend geprägt durch ‚mein‘ (lesben-affirmatives) Erkenntnisinteresse und Forschungsdesign. Dennoch kann die folgende Analyse als Versuch gewertet werden, feministische Rousseau-Analysen zur androzentrischen Fundierung seines Staatsbürgerschaftsbegriffes sexualitätstheoretisch zu fundieren bzw. zu

58 Christine Garbe (1992) erkennt sogar eine ‚subversive‘ Weiblichkeit in Rousseaus Texten – sie spricht von einer ‚heimlichen Macht der Frauen‘ und konstatiert eine ‚weibliche List‘ bei Rousseau. Dieser Deutung folge ich jedoch in meiner Analyse nicht. 59 Claudia Opitz (2006) und Heide von Felden (1995) verweisen in Bezug auf Rousseau gerade auf die pro-feministischen Lesarten seiner Werke durch frühfeministische Denkerinnen, Literatinnen und Revolutionärinnen, wie z.B. durch Olympe de Gouges.

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ergänzen, mit dem Ziel, die politische Bedeutung sexueller Subtexte für sein vergeschlechtlichtes Gemeinwesen deutlicher und expliziter herauszuarbeiten. Vom zeichenlosen Naturzustand zur asymmetrischen Geschlechterdifferenz In seiner Naturzustandskonzeption, die er ausführlich in der „Abhandlung über den Ursprung und die Grundlagen der Ungleichheit unter den Menschen“ darlegte, geht Rousseau, ähnlich wie Thomas Hobbes, von einer gewissen atomistischen, antisozialen und individualisierenden Gleichheit aus. Im Naturzustand existiere nur eine „natürliche oder physische Ungleichheit“, die jedoch „von der Natur eingerichtet“ wurde und aufgrund der Unterschiede „des Alters, der Gesundheit, der Kräfte und der Eigenschaften des Geistes oder der Seele“ bestehe (Rousseau 1998 [1755]: 31). Die Menschen haben in diesem Zustand aber „keine Verbindungen untereinander“ und auch kein „Bedürfnis danach“ (ebd.: 51). Sie leben aber, im Gegensatz zum Hobbes’schen Naturzustand, völlig friedlich, weil es nach Rousseau keinen Grund für Konflikte gäbe (vgl. Rousseau 2006a [1762]: 166). Die Menschen des Rousseau’schen Naturzustandes verfügen demnach weder über Eigentum noch über die intellektuellen Fähigkeiten und Zeichensysteme, um Besitz, Unterwerfung oder einer (politischen) Macht – jenseits der unmittelbaren Bedürfnisbefriedigung – überhaupt Wert oder Bedeutung beimessen zu können. Rousseau geht zwar davon aus, dass in diesem Naturzustand bereits biologisch-morphologische Unterschiede zwischen Frauen und Männern vorhanden seien, aber diese blieben, so kann Rousseau de-/konstruktivistisch gelesen werden, aufgrund der fehlenden ‚Zeichensysteme‘ folgenlos; es existiert demnach keine soziale Geschlechterdifferenz. Da die Menschen im Naturzustand auch keinerlei Art moralisch-gesellschaftlicher Beziehung oder bewusste Pflichten hatten, wird der Naturzustand weder durch (moralisch) begründete Sozialformen noch durch Ehe- und Familiengemeinschaften strukturiert. In einer erweiterten Interpretation von Silvia Bovenschen kann der Rousseau’sche Naturzustand folglich als Raum definiert werden, in dem keine sinnstiftende Sozialität vorhanden ist, welche der Verbindung zwischen einem männlichen und einem weiblichen Menschen eine besondere diskursive Bedeutung oder einen Rahmen geben könnte (Bovenschen 2003). „Die Männchen und die Weibchen vereinigten sich zufällig, je nach Zusammentreffen, der Gelegenheit und der Begierde“, so Rousseau in der „Abhandlung“ (Rousseau 1998 [1755]: 51). Der Mensch existiert im Naturzustand folglich als Gattungswesen und nicht als Geschlechtswesen, wie Rousseau im „Emile“ schreibt, dessen „Neigung des Instinktes“ sich da-

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rin auf „kein bestimmtes Objekt“ beziehe (Rousseau 2006a [1762]: 444). Der „naturzuständliche Mensch“ zeige bei Rousseau demnach ein „egozentrisch promiskes Sexualverhalten“ (Kuster 2005: 49). Rousseau ging im Gegensatz zu Locke somit nicht davon aus, dass sexuelle Akte bereits im Naturzustand zu einer quasi natürlichen (heterosexuellen) Familienbildung führen (vgl. ebd.: 47). Wie Rousseau in seiner Kritik an Locke selbst betont, können „beim Nachdenken über den Naturzustand“ nicht „die aus der Gesellschaft genommenen Begriffe“ – wie z.B. Familie oder Väter – „übertragen“ werden (Rousseau 1998 [1755]: 51). Rousseau verzichtet folglich darauf, aus einer generativen ‚Natur‘ des Menschen eine heterosexuelle Form der Sozialorganisation abzuleiten, wie dies bis heute auch im Common Sense noch häufig der Fall ist (vgl. Kuster 2005: 49). Umgekehrt misst er der Sexualität im Naturzustand aber auch keinerlei Konfliktpotenzial bei, wie dies etwa bei Hobbes im Zusammenhang mit dessen sexuellen Besitzindividualismus, der maßgeblich zum Krieg aller gegen alle beiträgt, der Fall ist. Wie kommt Rousseau also dazu, seine supplementäre Bestimmung des Weiblichen, die (eheliche) Unterordnung von Frauen sowie ihre spezifische Verbannung in den Raum des Privaten mit Rückgriff auf die ‚Natur‘ zu legitimieren, wenn in seinem Naturzustand diese Ungleichheit nicht existierte? Wie entsteht also eine soziale Geschlechterdifferenz und in welcher Weise ist ihre Instituierung für die Herausbildung eines idealen (männlichen) Staatsbürgers in Rousseaus politischer Theorie funktional? Da für Rousseau die Beschreibung des Naturzustandes – im Gegensatz zu anderen Vertragstheoretikern – explizit keine Fiktion oder ein Gedankenexperiment darstellen soll, sondern als Versuch einer „historisch genetischen“ Rekonstruktion menschlicher Entwicklungsgeschichte gelten will, untersucht Rousseau die sozial-evolutionäre Komponente von menschlichen Beziehungen, (Moral-)Systemen und Gemeinschaften (ebd.: 40). Die Etablierung einer sozialen Geschlechterdifferenz stellt Rousseau direkt in einen sozial evolutionären Kontext. Die Herausbildung einer sozialen Geschlechterdifferenz und damit auch unterschiedlicher Geschlechtscharaktere sowie die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung60 lasse sich seiner Auffassung nach auf einen eher zufälligen, entwicklungsgeschichtlichen Prozess der familialen

60 Wie Friederike Kuster richtig einwendet, spricht Rousseau in diesem Zusammenhang nicht von Arbeitsteilung, sondern von „Lebensweisen“ oder „Tätigkeitsfeldern“, da er den Begriff der Arbeit nicht für „häusliche“ Arbeit gebraucht, sondern darunter nur jene „Subsistenzgewinnung“ versteht, die „von vergesellschafteten Produzenten“ erbracht wird (Kuster 2005: 75). Der Begriff der Arbeitsteilung wird an dieser Stelle folglich im Rekurs auf die feministische Begriffsdefinition verwendet.

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Vergesellschaftung (Konstituierung einer Verwandtschaftsordnung und exogame Familienbildung), zunehmenden sozialen Differenzierung sowie der Sprach- und Eigentumsbildung zurückführen (ebd.: 60ff.). „Die ersten Fortschritte setzten Menschen schließlich in den Stand, schnellere Fortschritte zu machen. Je aufgeklärter der Geist wurde, desto mehr vervollkommnete sich das handwerkliche Können. Schon früh, als man aufhörte, unter dem erstbesten Baum zu schlafen oder sich in Höhlen zurückzuziehen, erfand man verschiedene Arten von Beilen […], die dazu dienten, Holz zu schlagen […] und Hütten aus Astwerk zu bauen […]. Dies war die Epoche der ersten Umwälzung, welche die Gründung und Sonderung der Familien hervorbrachte und eine Art von Eigentum einführte […] und damals bildete sich auch der erste Unterschied in den Lebensweisen der beiden Geschlechter aus, die bis dahin nur eine gemeinsame hatten. Die Frauen wurden häuslicher und gewöhnten sich daran, die Hütte und die Kinder zu bewachen, während der Mann auf die Suche nach dem gemeinsamen Lebensunterhalt ging.“ (Rousseau 1998 [1755]: 79)

In Rahmen dieser Veränderungen, also der stufenweisen Überwindung des Naturzustandes und durch die Entwicklung von Moralität (und damit verbunden auch eine moralisch motivierte Form der Willensfreiheit), bildeten sich gleichsam Sozial-, Kultur-, und Geschlechtscharaktere heraus. Es etablierte sich eine soziale Geschlechterdifferenz, die nun im Rahmen der männlichen Eigentumsverhältnisse als „asymmetrisches Komplementärverhältnis“ wirksam wurde (Kuster 2005: 78). Mit der evolutionär-sozialen Begründung einer geschlechtsspezifischen Differenzierung der Lebensweisen begründete Rousseau mit Bezugnahme auf einige Aspekte von Lockes Eigentumstheorie auch den Vorrang männlicher Eigentumsverhältnisse, da wiederum nur der Mann ‚Arbeit‘ im produktiven Sinn leiste. Die Ehegemeinschaft stellt für Rousseau jedoch kein Vertragsverhältnis dar, sondern konstituiert sich auf Basis der nun entstehenden Moralität und der Entwicklung eines „geistig seelischen“ Gefühls der Liebe, das als „künstliches Gefühl […] aus der Gewohnheit in der Gesellschaft entsprungen ist“ und das „Begehren […] ausschließlich an einen einzigen Gegenstand bindet“ (Rousseau 1998 [1755]: 66). In diesem Prozess des Übergangs von einer physisch naturwüchsigen hin zu einer moralischen und damit auch familialen Ordnung, verändert sich nach Rousseau nun auch etwas in den Sexualbeziehungen, der zweiten Komponente zur Legitimierung einer sozialen Geschlechterdifferenz im Gesellschaftszustand. So werden, durch

132 | P ERVERSE BÜRGERINNEN „die natürliche Scham der Frau […] erste, anfängliche Formen des menschlichen Sublimationsvermögens hervorgetrieben: die spezifisch weiblichen Möglichkeiten der Zurückhaltung und des Gewährenlassens, von Bevorzugung und freier Zustimmung verwandeln das Aufeinandertreffen der quasi animalischen, wechselseitigen Begierden in ein Spiel der Werbung und des Aufschubs, der Mäßigung und Lenkung.“ (Kuster 2002b: 160)

Bemerkenswert sei in diesem Zusammenhang, so Kuster, dass Rousseau die Verschiedenheit der Geschlechter auch „durch die Art und Weise begründet, wie sich die Geschlechtlichkeit zwischen Mann und Frau ereignet“ (ebd.), oder in den Worten Rousseaus selbst: „In der Vereinigung der Geschlechter trägt jedes zum gemeinsamen Ziel bei, aber nicht auf die gleiche Weise. Aus dieser Verschiedenheit entsteht der erste benennbare Unterschied in ihren gegenseitigen geistigen Beziehungen. Das eine muß aktiv und stark, das andere passiv und schwach sein – notwendigerweise muß das eine können und wollen, und es genügt, wenn das andere nur schwachen Widerstand zeigt.“ (Rousseau 2006a [1762]: 721)

Soziale Geschlechtscharaktere leitet Rousseau also nicht von einer biologisch konzipierten, unterschiedlichen Disposition von Männern und Frauen ab, sondern für ihn reproduzieren sie sich aus der Dynamik der Sexualität selbst, wo der Mann der Starke, erobernde und physisch überlegene ist, und die Frau das schwache und unterlegene Geschlecht darstelle. Rousseau setzt damit seinen heterosexuell konzipierten Sexualakt in Wechselwirkung zu einer bereits existierenden Idee der sozialen Geschlechterdifferenz. Freilich kann diese geschlechtsspezifische Entwicklungsgeschichte, wie Friederike Kuster und Silvia Bovenschen betonen, als androzentrische Rückprojektion eines „bürgerlichen Geschlechterrollensettings“ (Kuster 2005: 75) bzw. als Strategie einer „genetischen Rekonstruktion gewordener Ungleichheit“ betrachtet werden (Bovenschen 2003: 170). Der republikanische Staatsbürger als Gegenprogramm zu Degeneration und entarteten Geschlechterverhältnissen Als radikaler Zivilisationskritiker identifizierte Rousseau jedoch ein Spannungsverhältnis zwischen der ursprünglichen „Natur des Menschen“ im Naturzustand und seiner nun beginnenden sozialen Existenz, da „alle weiteren Fortschritte […] in Wirklichkeit zum Verfall der Gattung“ beitrugen, also eine Art von Degenration der Menschen mit sich brachten (Rousseau 1998 [1755]: 83). Denn „indem

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er [der Mensch] sich vergesellschaftet […] wird er schwach, furchtsam, kriecherisch […]“ (ebd.: 42); „alles entartet“ also nach Rousseau „unter den Händen der Menschen“ (Rousseau 2006a [1762]: 107). In der „Julie“ macht Rousseau vor allem das „Blendwerk“ der Leidenschaften für diese Degeneration verantwortlich, da diese „die Vernunft“ bezaubern, „die Sittsamkeit“ betrügen und so letztlich die „Natur“ verändern würden (Rousseau 2003 [1761]: 367). Rousseau identifiziert in diesem Kontext auch in der sozial-evolutionären Entwicklung der Geschlechterverhältnisse eine gewisse Degeneration, die er jedoch paradoxerweise in der zunehmenden Angleichung der Geschlechter und der damit verbundenen Vernachlässigung der Mutterpflichten sieht bzw. auch in den (früh feministischen) Versuchen, sich „männliche“ Privilegien anzueignen, ausmacht. Fokus seiner Kritik ist dabei immer wieder die Pariser Gesellschaft, die er als idealtypisch für diese Degenerationserscheinungen in der menschlichen Entwicklung heranzieht. „Rousseau hated the Parisian salons“ (Wexler 1976: 271) – er kritisiert in der „Julie“ die „freien Reden und Gebärden“ der Pariserinnen, die „tiefer in ihren Sitten Wurzel geschlagen haben, wegen der beständigen und unbesonnenen Vermengung beider Geschlechter, die jedes die Miene, Sprache und Sitten des anderen annehmen lehrt“ (Rousseau 2003 [1761]: 276f.). „In der Frau männliche Eigenart zu kultivieren und ihre eigene Art verkümmern zu lassen“ bedeutet für Rousseau demnach „zu ihrem Schaden“ zu wirken (Rousseau 2006a [1762]: 731). Rousseau ist sich jedoch auch darüber im Klaren, dass es im Rahmen der menschlichen Entwicklungsgeschichte kein ‚Zurück‘ mehr geben kann (vgl. Sturma 2001, 83ff.). „Wer in der bürgerlichen Ordnung die Ursprünglichkeit der natürlichen Gefühle bewahren will“, so Rousseau im „Emile“, „der weiß nicht, was er will“ (Rousseau 2006a [1762]: 113). Denn in „fortwährendem Widerspruch zu sich selbst, immer schwankend zwischen Neigung und Pflicht, wird er niemals, weder Mensch noch Staatsbürger sein“ (ebd.). Rousseau macht sich vor allem in seinem „Emile“ darüber Gedanken, wie die soziale Existenzweise des Menschen nun am besten mit der ursprünglich-natürlichen zu vereinen sei und welches Gemeinwesen dazu ideal wäre (ebd.). „Die guten gesellschaftliche Einrichtungen“ sind nach Rousseau folglich auch jene, „die es am besten verstehen, dem Menschen seine Natur zu nehmen, ihm seine absolute Existenz zu entziehen und ihm dafür eine relative zu geben und das Ich auf die Einheit der Gemeinschaft zu übertragen […]“ (ebd.: 112; Hervorh.i.Org.). Denn letztlich ist sich Rousseau sicher, dass in der evolutionär-sozialen Entwicklungsgeschichte des Menschen auch die Möglichkeit zur Vervollkommnung, der perfectibilité, wie es Rousseau nennt, angelegt sei, wenn man Menschen nur in die richtigen „Umstände“ führe, welche ihnen „eine gewisse Richtung geben“ (vgl. Rousseau 2003

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[1761]: 513; vgl. ebd.: 591f.; vgl. Rang 2006a: 21). In dieser Hinsicht sei, wie Dieter Sturma betont, die perfectibilité bei Rousseau aber immer janusköpfig, da sie den Menschen „auf kulturelle Abwege“ führe, aber „gleichzeitig die Möglichkeit der Revision“ offenhalte (Sturma 2001: 84). Das Spannungsverhältnis zwischen der natürlichen und sozialen Existenz des Menschen löst Rousseau folglich nicht damit, dass der Prozess der Vergesellschaftung als Form der Naturentfremdung als Ganzes zurückgewiesen wird, da ja erst durch die Herausbildung von Moralität individuelle Willens- und Entscheidungsfreiheit als Grundlage einer Staatsbürgerexistenz möglich wird. Im Gegenteil, fordert er für die aktualisierte soziale Version des Natürlichen eine „neue Natur“ des Menschen. Diese „neue Natur“ ist jedoch nicht an sich natürlich, sondern muss, um ein gutes Zusammenleben und funktionierendes (politisches) Gemeinwesen zu garantieren, erst geschaffen werden. Rousseau betont demgemäß, dass man nicht verwechseln dürfe, „was im Naturzustand natürlich ist und was im Gesellschaftszustand natürlich ist“ (Rousseau 2006a [1762]: 813). Er differenziert damit unmittelbar zwischen einer „Natur des Menschen“ im Naturzustand und einer neuen/konstruierten bzw. hergestellten ‚Natur‘ für das Funktionieren einer guten Gesellschaft. „In der Republik“, so Rousseau in seinem „Emilie“, „wären alle Vorteile des natürlichen Zustandes mit denen der bürgerlichen Gesellschaft vereinigt; man fügte zur Freiheit, die den Menschen frei von Lastern hält, die Sittlichkeit, die ihn zur Tugend emporhebt“ (ebd.: 197). Beide „Naturen“ bleiben aufeinander bezogen, stellt doch die „neue Natur“ des Menschen gerade in der Figur des Staatsbürgers eine Vervollkommnung seiner ursprünglichen ‚Natur‘ dar, da sie (männliche) Selbstentfaltung und Willensfreiheit mit ‚natürlicher Autarkie‘ verbinden soll (Bovenschen 2003: 170f.). Die im Akt des Gesellschaftsvertrags generierte Republik müsse sich nach Rousseau folglich daran messen, „in welchem Maße sie auch die Möglichkeitsbedingungen für eine Wiederholung, d.h. eine Restitution des am Naturzustand abgelesenen, ungebrochenen, authentischen Selbstbezug des Individuums auf dem Level ausdifferenzierter Sozialität gewährleisten kann.“ (Kuster 2005, 41)

Mit der Notwendigkeit der Schaffung dieser „neuen“, sozial verträglichen Natur rechtfertigt sich auch Rousseaus politisch begründete Forderung nach einer ‚Rückkehr‘ zu dieser (anfänglichen sozialen) ‚Natur der Frau‘. Denn auch wenn die soziale Geschlechterdifferenz demnach nicht ‚natürlich‘ im Naturzustand existierte, so liege sie doch im Rahmen ‚natürlicher‘ menschlicher Entwicklungen. Rousseau sieht, und darauf hat besonders Friederike Kuster hingewiesen, in

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der sozialen Geschlechterdifferenz sowie der Entstehung der Ehegemeinschaft am Beginn der Vergesellschaftung, im Gegensatz zu anderen (späteren) Vergesellschaftungsmomenten (z.B. der Entstehung sozialer Ungleichheit durch die unterschiedliche Verteilung von Reichtum, Ansehen etc.) kein degenerierendes Moment, sondern idealisiert dieses Verhältnis gleichsam als die ersten Versuche, die Natürlichkeit und Sozialität des Menschen harmonisch zu vereinen (Kuster 2005).61 Gleichzeitig essentialisiert Rousseau in diesem Zusammen Heterosexualität, da er letztlich die heterosexuellen „Regungen des Herzens“ dafür verantwortlich macht, dass „die Ehemänner und ihre Frauen, die Eltern und ihre Kinder“ sich in einer „gemeinsamen Wohnung“ vereinten (Rousseau 1998 [1755]: 83; vgl. Skillen 1985: 110). „Mit der Privilegierung der individuellen Gefühlsdispositionen und Verankerung der coniugalen Gemeinschaft im Gefühl“ etablierte Rousseau damit auch die Idee der bürgerlichen Gefühlsgemeinschaft im politischen (Vertrags-)Denken (Kuster 2005: 72). Insofern ist auch die Passage in Rousseaus „Vom Gesellschaftsvertrag“ zu verstehen, wenn er die Familie als die „älteste aller Gesellschaften und die einzige natürliche“ bezeichnet, da sie nicht nach kontraktualistischen Parametern moduliert wurde, sondern quasi im ‚natürlichen‘ evolutionären Entwicklungsprozess entstand (Rousseau 2006b [1762]: 6; vgl. Kuster 2005: 95). Was Rousseau in seiner späteren schriftstellerischen Triade, „Julie oder die neue Héloïse“ (Rousseau 2003 [1761]), „Vom Gesellschaftsvertrag oder Grundsätze des Staatsrechtes“ (Rousseau 2006b [1762]), und dem „Emile oder Über die Erziehung“ (Rousseau 2006a [1762]) demnach versuchte, war einen möglichen politischen und sittlichen Gegenentwurf zu der seiner Meinung nach degenerierten, entarteten und korrumpierten Gesellschaft seiner Gegenwart anzubieten. Dieser Gegenentwurf sollte jedoch nicht an einen früheren Naturzustand anschließen, sondern ein neues Konglomerat von Vernunft und Natur, ursprünglicher und sozialer Existenz, sowohl im Menschen selbst, als auch im po-

61 Rousseau weist in diesem Zusammenhang auch immer wieder auf die Organisation von Ehe- und Familienverhältnissen in der (vermeintlichen) Antike hin, und sieht etwa in der Mädchenerziehung in Sparta sowie der dortigen Verbannung von Frauen aus der Öffentlichkeit ein nachzuahmendes Vorbild (Rousseau 2006a [1762]: 735ff.]. In der wissenschaftlichen Diskussion um die Geschlechterkonzeptionen in Rousseaus Naturzustand wird in diesem Zusammenhang auch darauf hingewiesen, dass Rousseau die Entstehung von Familien als „Erste Revolution“ an den Beginn der Vergemeinschaftung stellt, wohingegen die Degeneration erst mit der „Zweiten Revolution“ und der Einführung von Klassenverhältnissen bzw. ökonomischer Ungleichheit zwischen Männern beginne (vgl. Skillen 1985; Kuster 2005).

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litischen Gemeinwesen enthalten (vgl. Rang 2006a: 58). Diese Zusammenbindung der naturzuständlichen Existenz und der gesellschaftlichen Entwicklung des Menschen, die Rousseau versuchte, beinhaltete jedoch jeweils vergeschlechtlichte Möglichkeiten für die Menschen: Der Mann wird im Rahmen des Vertragsschlusses und der Konstituierung des Gesellschaftsvertrages 62 zum ‚aktiven‘, ‚autonomen‘ und ‚Recht setzenden Staatsbürger‘, dem citoyen (vgl. Murmann 2000: 27). Während die „politische Mitgliedschaft im Staate“ für den männlichen Staatbürger also die Sicherung der „vorpolitischen Freiheit des Menschen“ im Gesellschaftszustand bedeutet (ebd.: 33), müssen Frauen, um das optimale Konglomerat von Vernunft und Natur, ursprünglicher und sozialer Existenz herzustellen, zu optimalen ‚(Ehe-)Frauen‘ im Rahmen eines asymmetrisch komplementären Geschlechterverhältnisses erzogen werden. Staatsbürger sind nach Rousseau also Männer, während er Frauen dem „Volk bzw. den Untertanen“ zurechnete (Appelt 1999: 61).63 Zur politischen Bedeutung des richtigen Sexual- und Geschlechterverhaltens für das Funktionieren der Republik In der Verwirklichung von Rousseaus politischem Gegenentwurf und seiner Konzeption von Staatsbürgerschaft spielt auch die Transformation sexueller Beziehungen bzw. die Schaffung eines neuen sexuellen Diskurses eine zentrale Rolle: „[S]exuality is the bridge to politics in the sense that the human transformation of sexuality is necessary [...] for the emergence of the polity.“ (Schwartz 1985: 28ff.) Der „Emile“ ebenso wie die „Julie“ können demnach als eine Art ‚Anleitung‘ für die ‚richtige‘ Art, Form und Organisation des sexuell geschlechtlichen ‚Verhaltens‘ „bürgerlicher Persönlichkeit[en] […], die über die Attribute der bürgerlichen Gleichheit, der bürgerlichen Freiheit und der bürgerlichen Selbstständigkeit“ verfügen und ihrer (passenden) Ehefrauen interpretiert werden. Rousseau erklärt in seinem „Emilie“ ebenso wie in der „Julie“ nicht nur ein asymmetrisch-komplementäres Geschlechterverhältnis zur zentralen strukturellen Grundlage seines ‚guten‘ politischen Gemeinwesens, er entwirft für seine ‚neuen Staatsbürger‘ und ihre Ehefrauen auch spezifische (vergeschlechtlichte) ‚sexuelle (Erziehungs-)Programme‘, die es in einer entsprechenden Ehe zu ver-

62 Durch den Vertragsschluss konstituiert sich nach Rousseau die Republik als ein politischer Körper von Staatsbürgern (Rousseau 2006b [1762]: 16ff.). 63 Bürger sind nach Rousseau „Teilhaber an der Souveränität“, während Untertanen den „Gesetzen des Staates unterworfen sind“ (Rousseau 2006b [1762]: 19).

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vollkommnen galt. Damit diente die Ehe bei Rousseau letztlich einem sozialen und politischen Zweck „which, when unrealized, or debased destroys the fabric of the state“ (Fermon 1994: 440). Insofern kann Rousseaus Geschlechter- und Sexualitätsverständnis auch als eine paradoxe Re-Politisierung der Privatheit im Dienste der Versittlichung und jenem Unterfangen charakterisiert werden, das Rousseau als die Schaffung einer republikanischen, ‚relativen Existenz‘ bezeichnete. Darin überträgt sich nach Rousseau das „Ich auf die Einheit der Gemeinschaft“, sodass „jeder einzelne sich nicht mehr als Eines, sondern als Teil der Einheit fühlt“ (Rousseau 2006a [1762]: 112). Die ursprüngliche, naturzuständliche „persönliche Authentizität, die der einzelne Bürger durch den Abschluss des Gesellschaftsvertrages aufgibt“ kehrt nun „auf der Ebene des Ganzen als dessen Einheit und Geschlossenheit wieder“ (Appelt 2007: 133). „Normativer Bezugspunkt dieser Brüderlichkeit“ ist dabei aber nicht die Familie als Verwandtschafts- und Familienverband per se, sondern Rousseau zielt gerade auf die funktionale Verallgemeinerung dieser Institution im Rahmen eines gesamten Volkes, der Republik oder der späteren Nation ab (ebd.: 134). Das innerhalb der politischen Demokratietheorie vielfach theoretisierte partizipative Staatsbürgerschaftsverständnis von Rousseau, das die Staatsbürger als Teil des republikanischen Gemeinwillens zu „Autoren und Adressaten von Gesetzen“ (Murmann 2000: 28) imaginiert, funktioniert, so wird im Folgenden skizziert, jedoch nur vor dem Hintergrund einer geschlechtlich-sexuellen Unterwerfung von Frauen. Die politische Autonomie des Staatsbürgers ebenso wie deren Verwirklichung im volonté générale basiert damit auf einem heterosexuellasymmetrischen Geschlechterverhältnis – dieses wird zur Konstitutionsbedingung der Realisierung der politischen Freiheit des männlichen Staatsbürgers. Nicht nur wird die adäquate Gestaltung des Privatraumes zur entscheidenden Grundlage für das Funktionieren des politischen Gemeinwesens, sondern dieser Privatraum muss auch ein asymmetrisch komplementäres Geschlechterverhältnis sowohl in den Tätigkeiten als auch in der Ausübung der Sexualität widerspiegeln. Es ist Isabell V. Hull zuzustimmen, wenn sie davon ausgeht, dass „Rousseaus Ideen über das Sexuelle“ eine „Wende im westlichen Denken über das Verhältnis zwischen sozialen bzw. politischen Strukturen und Heterosexualität“ markieren, da die Konstruktion einer spezifischen sexuellen Beziehung zwischen den Geschlechtern zu einem explizit politischen Gegenstand wird, der ebenso wie der Aufbau politischer Strukturen kontrolliert, überwacht und gesichert werden muss (Hull 1988: 57). Eine heterosexuelle-asymmetrische Geschlechterdifferenz erscheint bei Rousseau jedoch nicht als erzwungene Gewaltordnung, wie bei Hobbes, oder als naturzuständliche oder göttliche Disposition des Menschen, wie bei Locke, sondern als emotional moralische Wahl der entwicklungsge-

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schichtlichen Geschlechter-Menschen, die zu ihrer beider Vervollkommnung beiträgt und die Grundlage eines guten Gemeinwesens bildet. Foucault charakterisiert diesen epistemischen Paradigmenwechsel im 18. Jahrhundert demnach auch als „Veränderung von der Ordnung zur Geschichte“ (Foucault 1974: 272). Die Menschen müssen demnach vor allem dazu ‚erzogen‘ werden, diese ‚Wahl‘ aus eigenem Antrieb, gleichsam ‚autonom‘ zu treffen. Rousseau stellt sich also „dem ambitionierten Anspruch, das Individuum nicht allein einer bürgerlichen Rechtsordnung zu unterstellen, sondern es umfassend zum citoyen zu versittlichen“ und somit „Rahmenbedingungen zu schaffen, die das Individuum in den Stand setzen, sich selbst zum neuen Menschen als autonomen Gemeinschaftswesen durchzubilden“ (Kuster 2005: 42). In Rousseaus (vergeschlechtlichtem) sexuellem (Erziehungs-)Programm versinnbildlicht sich somit auch jener veränderte Diskurs um die „Kunst des Regierens“, den Foucault als Etablierung einer modernen Form der gouvernementalen Bio-Macht beschreibt, die nicht mehr auf Basis einer ‚juridischen SouveränitätsMacht‘64, sondern auf der Grundlage selbst-/disziplinierender Subjektivierung und Selbstführung funktioniert (Foucault 1983 [1977]; Foucault 2000c [1978]; Foucault 2010a [1976/1979]). Rousseau sprach sich nicht für repressive Verbote à la „Leviathan“ aus, sondern setzte auf die disziplinierenden Kräfte der öffentlichen Meinung, Erziehung und politischen Institutionen, welche die Menschen dazu bringen können, sich selbst ‚zu regieren‘.65 „Die richtige Regierung muß die Bürger dazu veranlassen, sich zu verheiraten, aber nicht das Gesetz darf sie dazu zwingen; was aus Zwang geschieht, darf nicht in Erwägung gezogen werden – denn das Gesetz, das gegen die Konstitution ankämpft, wird umgangen und unwirksam –, sondern was unter dem Einfluss der Sitten und durch die natürliche

64 Foucault unterscheidet die „Souveränitäts-Macht“ von der „Disziplinar-Macht“. Die „Souveränitäts-Macht“ lasse sich nach Foucault auf die Kurzformel ‚Sterben machen und leben lassen‘ bringen. Als zentrales Machtinstrument der „Souveränitäts-Macht“ identifiziert Foucault das ‚Recht‘, das hier bei einem absoluten Souverän läge (Foucault 1983 [1977]). 65 Rousseau folgte mit der Inskription seines politischen Programms in den Roman „Julie“ seiner eigenen Auffassung von der großen Bedeutung der öffentlichen Meinung und konnte durch die hohe Auflage und die große Leser*innenschaft, die dieses Werk erreichte, seine politische Theorie popularisieren. Rousseau schreibt auch selbst in seinen „Confessions“, dass alles, was im Gesellschaftsvertrag vorkomme, bereits in der „Abhandlung“ stehe und alles, was im „Emile“ vorkomme, bereits in der „Julie“ formuliert worden sei (Rousseau 1985 [1782]; vgl. Fermon 1994).

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Neigung geschieht, denn allein diese Mittel haben bleibende Wirkung.“ (Rousseau 2006a [1762]: 931f.)

In Hinblick auf die Erziehung von Frauen gelte es folglich, wie Rousseau in der „Julie“ schreibt, diesen „Zwang unter dem Schleier des Vergnügens oder eigenen Interesses zu verbergen, sodaß sie alles, was man sie zu tun nötigt, selbst zu wollen glauben“ (Rousseau 2003 [1761]: 474). Rousseau plädierte dafür, Frauen „großes Interesse“ daran einzuflößen, eine gute Ehefrau werden zu wollen: „[M]acht ihnen den Lohn der Sittlichkeit eindringlich klar, und ihr werdet sie dahin bringen, sie zu lieben“ (Rousseau 2006a [1762]: 787). Die Einordnung von Rousseau im Rahmen dieses modernen Disziplinardiskurses wird auch augenscheinlich, wenn er davon ausgeht, dass schließlich diese „Gewohnheit […] die Natur [der Frauen] verwandeln“ müsste (ebd.: 123). Sexuelle Selbst-/Disziplinierung und Geschlechterasymmetrie als Bedingung einer gelungenen Staatsbürgerexistenz Während Rousseau davon ausgeht, dass die ‚weibliche Scham‘ die eigentlich „schrankenlosen Begierden“ der Frauen reguliert, können die ersten vier Bücher des „Emile“ als Anleitung zur männlichen, sexuellen Selbst-/Disziplinierung als Voraussetzung einer gelungenen Staatsbürgerexistenz interpretiert werden (Rousseau 2006a [1762]: 723). Victor G. Wexler bezeichnet den „Emile“ folglich auch als „a handbook on how to be strong, that is, in control of one’s emotions“ (Wexler 1976: 272). Der Schüler Emile muss als zukünftiger Staatsbürger demnach „Selbstbeherrschung […] lernen“, um „Herr seiner Gelüste“ zu werden (Rousseau 2006a [1762]: 679). Da es nach Rousseau aber „nicht in unserer Macht [liege] Leidenschaften zu haben oder nicht zu haben“ gelte es sie „zu beherrschen“ (ebd.: 889). Ein tugendhafter Mensch ist nach Rousseau damit erst „[d]erjenige, der sein Verlangen besiegen weiß; denn damit folgt er seiner Vernunft, seinem Gewissen; er tut seine Pflicht; er hält sich in der Ordnung, und nichts kann ihn davon ablenken“ (ebd.: 887). Um die Leidenschaften kontrollieren zu können, geht bei Rousseau – und hier kann wohl eine Weiterentwicklung des Locke’schen Konzepts von self-ownership konstatiert werden – die Erziehung zur Vernunft und Intelligenz der Beherrschung der Emotionen voraus, denn „[o]nly then can one avoid the chaotic effect of trying to subdue the passions before the intellect is developed enough to understand what is at stake“ (Fermon 1994: 434). Zielen die ersten vier Bücher des „Emile“ vor allem auf die Erziehung eines idealen männlichen Staatsbürgers ab, der „sich weder durch die Leidenschaften

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noch durch die Meinungen der Menschen in den gesellschaftlichen Strudel hineinziehen läßt […] der mit seinen Augen sieht, was er mit dem Herzen fühlt“ und der von keiner „Autorität […] beherrscht [wird] außer der seiner eigenen Vernunft“, verdeutlicht Rousseau im „fünften Buch“ explizit die Bedeutung von Geschlechtscharakteren und -rollen für die Vollendung dieser Erziehung (Rousseau 2006a [1762]: 525). Dem Protagonisten Emile als Chiffre für den idealen Staatsbürger, wird nun die ideale Ehefrau, Sophie, zur Seite gestellt, damit Emile endlich als „Familienoberhaupt“ zu einem „Glied des Staates“ werden und seinen „Platz in der bürgerlichen Ordnung“ einnehmen kann (ebd.: 894). Für die Ehe, die Emile mit Sophie eingehen wird, lassen sich meiner Analyse zufolge entsprechende Anforderungen und Voraussetzungen für eine, im Sinne des guten Gemeinwesens, ‚gelungene‘ (sexuelle) Beziehung herauslesen: Für Rousseau muss eine ‚gute Ehe‘ auf einer sozialen Geschlechterdifferenz basieren, d.h. auf Basis einer geschlechtsspezifischen Rollen- und Arbeitsteilung sowie einer heterosexuellen, asymmetrischen Komplementarität. Die Organisation des ‚privaten Haushalts‘ auf Basis dieser heterosexuellen Geschlechterdifferenz erklärt Rousseau auch zum einzigen politischen Mittel gegen die zunehmenden menschlichen Degenerationserscheinungen, denn letztlich ist für ihn nur „der Reiz des häuslichen Lebens […] das beste Gegengift gegen schlechte Sitten“ (ebd.: 125). Die adäquate Gestaltung des Privatraumes wird somit zur zentralen Grundlage seiner Republik, oder wie Rousseau im „Emile“ ausruft, „als ob das Herz sich nicht durch die kleine Heimat, die Familie, der großen anschlösse“ und damit „nicht der gute Sohn, der gute Gatte, der gute Vater 66 [es] wäre, der den guten Bürger ausmacht“ (ebd.: 730). Damit der Mann also ein guter Staatsbürger werden kann, muss der Privatraum entsprechend (sexuell) gestaltet sein; dafür ist vorrangig die (Ehe-)Frau zuständig, denn „die Frau ist eigens dazu geschaffen […], dem Mann zu gefallen“ und „sich zu unterwerfen“ (ebd.: 721). Ihre ganze Erziehung muss sich somit „im Hinblick auf die Männer vollziehen“ (ebd.: 733):

66 Für Rousseau ist der Status als Vater einer Familie eine zentrale Voraussetzung, um über einen vollwertigen Staatsbürgerschaftsstatus verfügen zu können. Dies zeigt Friederike Kuster auch anhand von Rousseaus „Entwurf einer Verfassung für Korsika“ (1766), in welcher er die Vollbürgerschaft nur für jene Männer vorsieht, die sich „erstens an Grund und Boden“ binden und die zweitens bereit sind, „dieser Bindung an die Scholle durch die Gründung einer Familie Dauer zu verleihen“ (Kuster 2005: 123).

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„Ihnen gefallen, ihnen nützlich sein, sich von ihnen lieben und achten lassen, sie großziehen, solange sie jung sind, als Männer für sie sorgen, sie beraten, sie trösten, ihnen ein angenehmes und süßes Dasein bereiten: Das sind die Pflichten der Frauen zu allen Zeiten, das ist es, was man sie von Kindheit an lehren muß.“ (Ebd.)

In Rekurs auf Luce Irigaray (1979), lässt Rousseau Frauen ihren Wert vor allem als ‚Spiegelwesen‘ im Rahmen einer heterosexuellen Geschlechterkomplementarität gewinnen, also durch die Beurteilung ihrer Tugend, Schönheit, Reinheit und Keuschheit durch den „männlichen Blick“. „Der Beurteilung der Männer unterworfen, muß sie im Übrigen deren Achtung verdienen; vor allem muß sie die ihres Gatten erwerben“, meint Rousseau (Rousseau 2006a [1762]: 768). Sie dürfe „ihm nicht nur ihre Person liebenswert machen, auch ihr Verhalten muß seine Zustimmung finden“ (ebd.). Aber bei Frauen genüge es nach Rousseau eben nicht, dass sie „achtenswert sind, sie müssen geachtet werden; es genügt nicht daß sie schön sind, sie müssen gefallen; es genügt nicht, daß sie sittsam sind, sie müssen als sittsam anerkannt werden; ihre Ehre liegt nicht nur in ihrem Verhalten, sondern in ihrem Ruf.“ (Ebd.: 733)

Die ideale Ehefrau muss außerdem „bescheiden, aufmerksam und zurückhaltend sein und in den Augen andrer so wie vor ihrem eigenen Gewissen Zeugnis ihrer Tugend abgeben“ (ebd.: 727). Frauen sollten sich darüber hinaus auch „umsichtig und arbeitsam“ (ebd.: 742) auf die Pflichten des Haushaltes konzentrieren und folglich auch „nähen, sticken und Spitzen machen“ lernen statt Studien zu betreiben (ebd.: 739). Eine wissenschaftliche Beschäftigung ist nur insoweit vorgesehen, als sie ihrem Ehemann eine angenehme Gattin und Gesprächspartnerin sein solle. Was im Klartext also bedeutet: „Eine vollkommene Frau und ein vollkommener Mann“ dürfen sich „im Geiste ebenso wenig gleichen wie im Antlitz, und in der Vollkommenheit gibt es kein Mehr oder Weniger“ (ebd.: 720f.). Diese soziale Geschlechterdifferenz muss nach Rousseau nun auch in den sexuellen Beziehungen der Eheleute gelebt werden: „Sophie’s natural role in life is to be the object of Emile’s pleasure“ (Wexler 1976: 273). Als zentrale Orientierungspunkte können hier ‚männliche Aktivität‘ und ‚weibliche Passivität‘ angeführt werden, muss nach Rousseau doch „das eine wollen und können, und es genügt, wenn das andere nur schwachen Widerstand zeigt“ (Rousseau 2006a [1762]: 721). In meiner Interpretation wird also der ideale Rousseau’sche Staatsbürger durch die (masochistische) sexuelle Selbst-/Unterwerfung oder seiner Ehefrau erst komplementiert, wenn sie ihn dazu „zwingen“ soll, „seine eigene Kraft zu entdecken und zu gebrauchen“ (ebd.).

142 | P ERVERSE BÜRGERINNEN „Die wirkungsvollste Art, diese Kraft zu erwecken, ist, sie durch Widerstand notwendig werden zu lassen. […] Daraus entsteht Angriff und Verteidigung, die Kühnheit des einen und die Scheu des anderen Geschlechts […]. Wäre es natürlich, daß sich beide Geschlechter mit gleicher Kühnheit einem Unternehmen hingeben, das so verschiedenartige Folgen für sie hat?“ (Ebd.: 721f.)

Die Bedeutung, die Frauen im Werk von Rousseau zukommt, wird nun gerade in einigen feministischen Rousseau-Analysen damit begründet, dass Rousseau Frauen auf Basis der sozial evolutionären Entwicklung einer ‚natürlichen Scham‘ zwar für geeigneter als Männer hält, sexuelle Leidenschaften zu kontrollieren, ihnen damit aber auch gleichzeitig eine ungeheurere Macht über Männer zukomme, die auch sozial zerstörerisch wirken könnte. Denn käme ihre ‚natürliche Scham‘ nicht zum Einsatz, würden „die Männer von den Frauen tyrannisiert“ und beherrscht werden (ebd.: 723).67 Frauen können nach Rousseau „only in the context of marriage and familiy […] transcend their dangerous anti-social proclivities and instead serve a redemptive role“ (Fermon 1994: 439), oder wie es Rousseau in der Widmung seiner „Abhandlung“ ausdrückt: „Wohl uns Glücklichen, solange Eure keusche Gewalt bloß in der ehelichen Verbindung ausgeübt wird und sich somit nur zum Ruhm des Staates und zum öffentlichen Wohl spürbar macht. […] Es liegt also an euch […] die Liebe zu den Gesetzen im Staat und die Eintracht unter den Bürgern stets aufrechtzuerhalten; entzweite Familien durch glückliche Eheverbindungen wieder zu vereinen. […] Bleibt also stets das, was Ihr seid, die keuschen Hüterinnen der Sitten und die sanften Bande des Friedens […].“ (Rousseau 1998 [1755]: 19)

Rousseaus Sexualitätsverständnis kann in diesem Kontext auch als rationalfunktionalistisch beschrieben werden, da Sexualität innerhalb der Ehe nicht ihrer selbst willen, also zur ‚bloßen‘ Befriedigung betrieben werden soll, sondern um die Harmonie und die Stabilität der Ehegemeinschaft aufrechtzuerhalten, die wiederum maßgeblich für das (sittliche) Funktionieren der politischen Gemeinschaft verantwortlich sei. Denn „sobald es keine Intimität mehr zwischen den Eltern gibt, sobald die Gemeinschaft der Familie nicht mehr das Glück des Lebens

67 Dies sei nach Rousseau nun gerade in Frankreich und der Pariser Gesellschaft passiert, weil Frauen dort ihre natürliche Scham verloren hätten. Diese wären dann auch nach Rousseau im eigentlichen Sinne keine „Frauenzimmer“ mehr (Rousseau 2003 [1761]: 275).

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ausmacht“, würden die Menschen „die schlechten Sitten zum Ersatz“ brauchen (Rousseau 2006a [1762]: 131). Männer müssten sich in diesem Zusammenhang daher besonders von der Bedrohung einer partikularistischen und „geifernden“ Liebe der Frauen in Acht nehmen, da es diesen durch ihre Koketterie leicht fällt, die „Begierden“ der Männer zu erregen und sie alsbald unter ihre Herrschaft zu bringen (ebd.: 724). Eine partikularistische Liebe, die nicht dem politischen Gemeinwesen diene, charakterisiert Rousseau als „[a] threat to this republicanian citizenly love“ (Phelan 2001: 47). Sie stört gleichsam die Verwirklichung des Einzelwillens im Rahmen des republikanischen Gemeinwillens. Insofern, und das soll vor allem die Geschichte der „Julie“ zeigen, ist nicht so sehr eine romantische, „von dem fressenden Feuer“ erfasste Leidenschaft die ideale Grundlage dieser rational-funktionalen Ehegemeinschaft, sondern respektvolle Zuneigung im Rahmen der heterosexuell-komplementären Geschlechterasymmetrie (Rousseau 2003 [1761]: 369ff.). Julie entscheidet sich in dem Roman daher nicht für die romantische und irrational leidenschaftliche Beziehung mit ihrem Tutor St. Preux, sondern heiratet Wolmar und verwendet so „her erotic energy in the reconstruction of familial life“ (Fermon 1994: 435). Insofern kommt Julie auch zum Schluss, dass (leidenschaftliche) Liebe nicht unbedingt die Grundlage einer Ehe sein muss. So schreibt sie an ihren ehemaligen Geliebten, von dem sie sich abgewendet hat: „Was mich lange Zeit getäuscht hat […], ist der Gedanke, die Liebe sei notwendig für eine glückliche Ehe. Mein Freund, dies ist ein Irrtum; Rechtschaffenheit, Tugend, bestimmte Übereinstimmungen […] sind für zwei Eheleute ausreichend. Dies schließt nicht aus, daß aus dieser Vereinigung nicht eine sehr zärtliche Zuneigung entspringt, die, wenn auch nicht gerade Liebe, so deswegen nicht weniger süß und dadurch nur um so dauerhafter ist. Die Liebe ist von einer beständigen Unruhe aus Eifersucht oder Angst vor Verlust begleitet, die der Ehe wenig dienlich ist, welche ein Zustand des friedfertigen Genusses ist. Man heiratet nicht, um einzig und allein aneinander zu denken, sondern um miteinander die Pflichten des bürgerlichen Lebens zu erfüllen […].“ (Rousseau 2003 [1761]: 388; Hervorh. C.K.).

Und dies bedeutet letztlich, dass Julie, auch vor dem Hintergrund ihres tödlichen Opfers zugunsten ihres Kindes am Ende des Romans, im Sinne dieser funktional-rationalistischen Sexualitätsauffassung und im Dienste des Gemeinwesens gehandelt hat. Während Emile als zukünftiger (idealer) Staatsbürger erfolgreich „the pleasure of rational love, of love based on esteem, love that is pleasurable without being destructive of reason […], love that would consist of friendship and sexual

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desire“ kennen und schätzen lernt, zeichnet Rousseau den Protagonisten St. Preux im Roman „Julie“ als jenen Mann, der als Staatsbürger versagt. St. Preux kann demnach nicht wie Emile seine Leidenschaften erfolgreich kontrollieren und diese Form der rational produktiven Sexualität erleben (Wexler 1976: 272). Gleichzeitig ist – ähnlich wie bei Locke – dieser sexuelle, privatisiert familiale Existenzmodus für Frauen ein universeller, d.h. dass sie aus dieser (hetero-)sexuellen, funktionalen Geschlechtlichkeit und Körperlichkeit nicht heraustreten können, während es Männern aufgrund ihrer Eigenschaft als autonome und entscheidungsfähige Individuen und Staatsbürger möglich ist, diesen Modus zu verlassen. „Es gibt keine Gleichartigkeit zwischen den beiden Geschlechtern im Hinblick auf das Geschlechtliche. Der Mann ist nur in gewissen Augenblicken Mann, die Frau ist ihr ganzes Leben lang Frau [...] alles erinnert sie unablässig an ihr Geschlecht [...].“ (Rousseau 2006 [1762]: 726)

Männer können daher nach Rousseau als Staatsbürger und Privatwesen gleichzeitig existieren, da sie eben nur in „gewissen Augenblicken“ Männer seien (ebd.). Hier wird Rousseau also auch zum Protagonisten jenes zeitgenössischen kulturhistorischen Diskurses, der den Mann zunehmend als „handlungsfähiges, mit sich selbst identisches Subjekt“ zum Inbegriff des Menschen und Staatsbürgers verallgemeinert (Honegger 1996: 14ff.). Rousseau erklärt jedoch nicht Männer als a priorische Träger staatsbürgerliche Freiheit und Gleichheit, sondern die ‚richtigen‘ Staatsbürger-Männer sind gleichsam der Effekt oder das Ergebnis des Vertragsschlusses sowie der entsprechenden politischen Disziplin und Erziehung. Somit muss auch ‚die Frau‘ erst „zur Frau“ erzogen und gemacht werden (Kuster 2005: 133). Der Staatsbürger und seine Ehefrau bedürfen somit der performativen Herstellung; sie sind auch bei Rousseau das Ergebnis eines politischen Prozesses. Dieser ist nach Rousseau jedoch nicht gegen die ‚Natur‘, sondern die optimale Vereinigung der natürlichen und sozialen Existenz des Menschen. Diese Prozesse liegen bei Rousseau damit innerhalb der anthropologischen Entwicklung der Menschen – sie sind damit (auch) ‚natürlich‘. Insofern kann auch Rousseau als zentraler Protagonist der einsetzenden „Codierung von Geschlechtscharakteren“ (Honegger 1996) bezeichnet werden – waren diese doch im Rahmen seines Gesellschaftsbildes nicht nur ‚natürlich‘ (entstanden), sie ermöglichen den Menschen auch die Versittlichung im politischen Gemeinwesen. Der epistemische Paradigmenwechsel, den Foucault als „Erfindung des Menschen“ charakterisiert, korrelierte somit auch mit einer neuen Anthropologisierung politischer Prozesse und somit des Staatsbürgerschaftsstatus selbst (vgl.

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Foucault 1974): Der Staatsbürger als Träger der Souveränität ist die bestmöglichste Grundlage für die sittliche Gestaltung des Gemeinwesens gemäß der (neuen) ‚Natur‘ der Menschen. Die Entmachtung von Frauenfreundschaften und die Funktionalisierung weiblicher Homoerotik Anders als bei Locke oder Hobbes, finden sich in Rousseaus Werken einige Stellen, in denen er sich explizit mit weiblicher Homoerotik und der ‚Gefahr‘ einer Geschlechtertransgression auseinandersetzt.68 Im Gegensatz zu den im 19. Jahrhundert vertretenen Pathologisierungs- und Systematisierungsversuchen von weiblicher Homosexualität, verbindet er diese zwei Themen jedoch nicht systematisch miteinander. In Rekurs auf die politische Bedeutung, die Christine Roulston dem im 18. Jahrhundert zunehmenden Diskurs der „seperation […] with regard to the feminine“ zuweist – sowohl in Hinblick einer Trennung zwischen Frauen (als Freundinnen, Geliebte, Aktivistinnen) als auch der Trennung zwischen einer privaten und einer politischen Sphäre – ergibt sich eine auf den ersten Blick verdeckte Kohärenz zwischen Rousseaus Thematisierung weiblicher Homoerotik, seiner Kritik an Geschlechtertransgressionen – die er stets mit einer Kritik an der degenerierten (französischen) Aristokratie verbindet – und seinem politischen Entwurf eines idealen Gemeinwesens (Roulston 1998: 216; vgl. Lanser 1999). Diese verdeckte Kohärenz wird im Folgenden durch eine Rezeption von Rousseaus ‚Subtexten‘ vor dem Hintergrund entsprechender literatur- und kulturhistorischer Arbeiten zu ‚weiblicher Freundinnenschaft‘ und ‚Homoerotik‘ im 18. Jahrhundert kursorisch diskutiert. Gerade die in der französischen Aristokratie weit verbreitete, semiöffentliche Präsenz weiblicher Verbindungen, Freundinnenschaften und Beziehungen69, stellten wesentlich jene geschlechtsspezifische Rückbesinnung auf das Häusliche in Frage, für die Rousseau im Zusammenhang seiner politischen The-

68 Interessant ist in diesem Kontext sicherlich, dass Rousseau homoerotisches Begehren zwischen Frauen in seinem Roman „Julie“ ebenso wie in einer entsprechende Passage des „Emile“ explizit benennt, männliche Homoerotik aber lediglich im Zusammenhang seiner eigenen Biographie in den „Confessions“ verhandelt wird (Howells 2005; Disch 1994). 69 Zahlreiche historische Arbeiten aus dem Bereich der Lesbian Studies machten in den letzten Jahren nicht nur auf die Existenz, sondern auch auf die sozio-kulturelle Sichtbarkeit von (intimen) Frauenbeziehungen in der politischen Neuzeit aufmerksam (u.a. Traub 2002).

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orie plädierte und die gleichsam auch den konstitutiven Rahmen seines Staatsbürgerschaftskonzepts bildete. Frauenfreundinnenschaften, „female intimacies“ und „public power“ waren im 18. Jahrhundert untrennbar miteinander verbunden und schufen spezifische private, öffentliche und politische Räume weiblicher Autonomie und (sexueller) Selbstbestimmung sowie der Aneignung und Weitergabe kultureller, sozialer und ökonomischer Ressourcen (Lanser 1998: 194). Oder wie es Susan S. Lanser ausdrückt, „women appropriated the discourse of friendship to promote female excellence, to create social liasons, and to justify material autonomy“ (ebd.: 182). Gleichzeitig wurde aber, wie Lanser betont, in einer diskursiven Gegenbewegung die Idee der (brüderlichen) Freundschaft der Staatsbürger „as the highest practice of virtue“ insbesondere in der zeitgenössischen Literatur und Philosophie immer wieder als „men’s work and men’s privilege“ beschrieben und zum zentralen Kern des entstehenden Bürgertums und dessen politischen Gleichheitsvorstellungen erklärt (ebd.: 180). Die Diskussion um das Verhältnis des weiblichen Körpers zur öffentlich-politischen Sphäre manifestierte sich demnach auch in einer neuartigen Auseinandersetzung mit der politischen Bedeutung von Frauenfreundinnenschaften in einer bürgerlichen Gesellschaft, mehr noch, „[t]he unease of having women occupy a visible place in the public sphere manifested itself through the emergence of a discourse of separation between women, alongside the drive for their exclusion as a group from the public sphere.“ (Roulston 1998: 217)

Die Geschichte der Julie in Rousseaus gleichnamiger Novelle kann nun ebenfalls als Auseinandersetzung mit dieser Idee der „seperation“ und den möglicherweise herrschaftsdestabilisierenden Implikationen erotischer und politisch-intellektueller Frauenfreundinnenschaften gelesen werden; Rousseau exekutierte in seiner Julie jedoch keineswegs eine vollständige „seperation“ weiblicher Verbindungen, sondern es gelingt ihm, „[to] regulate female intimacy more effectively by shaping than by attacking it“ (Lanser 1998: 180ff.). Wie bereits oben angedeutet, erzählt der Roman die Geschichte der Protagonistin Julie, die mit ihrem Lehrer St. Preux eine verbotene, aber leidenschaftliche Liebesbeziehung beginnt, dann aber erleuchtet durch das ‚Licht der Heirat‘ ein tugendhaftes und ehrenvolles Leben als Ehefrau des vernünftigen Lord Wolmar zu führen beginnt. Gleichzeitig enthält die Erzählung jedoch auch eine „counterstory of women’s friendship“ zwischen Julie und ihrer Kusine Claire (Disch 1994: 19). Mary Seidman Trouille spricht in diesem Zusammenhang von expliziten „homoerotic undercurrents in the friendship between the two cousins“ (Seidman Trouille 1997: 50) und auch Susan S. Lanser, Christine Roulston und

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Lisa Disch stellen diese Freundinnenschaft in einen „sapphischen“ bzw. homoerotischen Kontext (Lanser 1998; Lanser 2001; Roulston 1998; Disch 1994). Wie transformiert Rousseau folglich diese Freundinnenschaft und lässt sie konform mit seinem heteronormativ-asymmetrischen Geschlechtermodell erscheinen? Zum einen trennen sich die Frauen selbst und freiwillig, um ihre Pflichten als Ehefrauen zu erfüllen, obwohl sie sich gegenseitig als ‚untrennbar‘ wahrnehmen. Claire schreibt ihrem zukünftigen Ehemann auch, dass sie Julie eigentlich mehr liebt als ihn: „Wenn ich ihnen sage, daß meine Julie mir lieber ist als Sie, so lachen Sie nur darüber; gleichwohl ist nichts wahrer“ (Rousseau 2003 [1761]: 180). Auch für Julie ist die pflichtbewusste Unterwerfung und ihre Hingabe und Erfüllung als Mutter und Ehefrau des ‚rationalen‘ Lord Wolmar letztlich die einzig moralisch-gute Entscheidungsmöglichkeit. Darüber hinaus stellt Rousseau die Liebe der Frauen außerhalb eines Konkurrenzverhältnisses mit heterosexuellen/ehelichen Beziehungen. Die männlichen Protagonisten, zuerst St. Preux und dann Wolmar, erfreuen sich sogar voyeuristisch an den gegenseitigen Liebesbezeugungen der zwei Freundinnen (vgl. Seidman Trouille 1997: 51). „Welch ein entzückender Anblick“, schreibt St. Preux in seinem Brief an Julie, „oder vielmehr, welch himmlische Freude war es, zwei so einnehmende Schönheiten einander zärtlich umarmen zu sehen, der einen Gesicht auf der anderen Busen neigen, ihre freundschaftlichen Tränen sich vermischen und diesen reizenden Busen benetzen, so wie der Tau den Himmel eine frisch aufgebrochene Lilie benetzt“ (ebd.: 115). Diese Funktionalisierung von „Gunstbezeugungen“ zwischen Frauen als erotisches Moment für den männlichen Staatsbürger findet sich auch in einer Passage von „Emile“: „Es ist auch gewiß, daß sie sich in der Gegenwart der Männer herzlicher küssen und liebevoller umarmen, stolz darauf, deren Begehren durch den Anblick von Gunstbezeigungen, auf die sie sie neidisch machen, ungestraft anzustacheln.“ (Rousseau 2006a [1762]: 757)

Als besonders perfide kann die Vermütterlichung der (erotischen) Frauenfreundinnenschaft, die Rousseau in seiner „Julie“ vornimmt, interpretiert werden, wird nach Roulston doch die Liebe, die die Frauen füreinander empfinden, „displaced onto the children thus maintaining the purity of the female bond“ (Roulston 1998: 218). Nach dem Tod des Ehemanns von Claire, fragt Julie ihre Freundin, ob sie mit ihrer Tochter bei ihr und ihrem Ehemann leben und sie mit ihr gemeinsam die Kinder aufziehen will:

148 | P ERVERSE BÜRGERINNEN „Ich bedarf einer Freundin, einer Mutter, die ebenso wie ich meine und ihre Kinder bis zur Torheit liebt. Mit einem Wort, die Mutterschaft macht mir durch das Vergnügen, stets von meinen Kindern reden zu können, ohne die andere zu langweilen, die Freundschaft noch unentbehrlicher. Ich fühle, daß mich meines kleines Marcellins Liebkosungen doppelt ergötzen, wenn ich dich daran teilnehmen sehe. Umarme ich Deine Tochter, so glaube ich, Dich an meine Brust zu drücken. Hundertmal haben wir es gesagt: Wenn wir unsere kleinen Püppchen miteinander spielen sehen, so verwechseln sie unsre vereinigten Herzen, und wir wissen nicht mehr, welcher jedes von den dreien gehört.“ (Rousseau 2003 [1761]: 418)

Genau durch dieses „fusing and confusing [of] the maternal roles“ tilge Rousseau demnach den „potentially threatening content of female inseparability“ (Roulston 1998: 218). Rousseau gelingt es demnach in seiner „Julie“, „to put female intimacy in its patriarchal place […] and [to render] the befriended body innocent both sexually and politcally“ (Lanser 1998: 187ff.). Die untrennbare Freundinnenschaft zwischen Claire und Julie stellt nun nicht mehr nur keine Gefahr mehr dar, sondern dient im Gegensatz gerade durch ihre Rückbindung an eine Mutterliebe sowie durch ihre heterosexuelle Erotisierung „an even more compulsory heterosexual economy“ (ebd.: 187). Als dezidierte Gefahr stilisiert Rousseau demnach jene politisch-öffentlichen Frauenverbindungen, in denen für ihn Freundinnenschaften jenseits dieser klaren geschlechtsspezifischen Rollen und heterosexuellen Funktionalisierung transgressiv gelebt werden. In einer klassensensiblen Perspektive sind es daher gerade die „gentry sapphists“ der französischen (städtischen) Aristokratie, die hier als Inbegriff einer Überschreitung der Geschlechtergrenzen ebenso wie der Trennung von Privatheit und politischer Öffentlichkeit gelten können (Lanser 1998). Wenn Roulston für das 18. Jahrhundert folglich davon ausgeht, dass insbesondere Frauen „with unusual social powers, such as aristocratic women and actresses […] were accused of sapphism“, dann kann auch Rousseau’s Ablehnung von Schauspiel und Theater im „Brief an d’Alembert“ (1758) sowie seine generelle sittenbezogene Aristokratie-Kritik im Zusammenhang mit der zeitgenössischen Diskussion um die (politische) Bedeutung von (homoerotischen) Frauenfreundschaften und -beziehungen gelesen werden (Roulston 1998; vgl. Lanser 1998; Lanser 2001). Rousseau kritisierte immer wieder dezidiert die „unbesonnenen Vermengung beider Geschlechter“ (Rousseau 2003 [1761]: 276), die seiner Meinung nach zu einer ‚Virilisierung‘ von Frauen und einer ‚Effeminierung‘ der Männer führe. Dies war für Rousseau auch deswegen ein Problem, da diese ‚virilen‘ Frauen und ‚effemisierten‘ Männer seiner Meinung nach weniger bereit waren, die ihnen zugedachte gesellschaftliche Rolle als Mütter bzw. als Staats-

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bürger zu erfüllen (vgl. Seidman Trouille 1997: 19). Insofern können bereits bei Rousseau Bruchstücke jenes Diskurses identifiziert werden, in welche die ‚virile‘ Frau, oder jene, die sich der heterosexuellen Geschlechterasymmetrie wiedersetzt, als eine potenzielle Gefährdung des ‚guten‘ politischen Gemeinwesens und der diesem zugrundliegenden ‚vernünftigen‘ Ordnung gelesen wird, stellt doch gerade ein heterosexuell-asymmetrisches Geschlechterverhältnis dessen Grundlage dar. Die „Julie“ lässt sich demnach auch als zeitgenössisches Plädoyer für die Etablierung einer ‚vernünftigen‘ und „mannhaft gesunden bürgerlichen Kultur“ lesen, welche die degenerierte, feudale Zivilisation überwindet, in der Frauen ‚viril‘ und Männer ‚effemiert‘ (oder Sodomisten) geworden sind (Honegger 1996: 7). Hier kann auch nochmals expliziter als bei Hobbes oder Locke die Bedeutung von ‚Differenz‘ bzw. Abjektion für die Etablierung eines (männlichen) Staatsbürgerschaftsstatus beobachtet werden: Das ‚Andere‘ muss in mehrfacher Weise im ‚Inneren‘ (des Menschen) wie im ‚Äußeren‘ (dem politischen Gemeinwesen) zurückgewiesen werden: im ‚Inneren‘ die ‚geschlechtervermischenden Elemente‘ und deviante Begehrlichkeiten; nach ‚außen‘ die feudale, degenerierte Aristokratie.

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I MMANUEL K ANT : H ETEROSEXUALITÄT S TAATSBÜRGERPFLICHT

ALS VERNÜNFTIGE

Man versuche es daher einmal, ob wir nicht in den Aufgaben der Metaphysik damit besser fortkommen, daß wir annehmen, die Gegenstände müssen sich nach unserer Erkenntnis richten […]. IMMANUEL KANT70 Wie kommt es denn, daß von euren heftigsten Vertheidigern der Freiheit bis jetzt noch keiner daran gedacht hat, unsre Ketten zu lösen und uns wieder in die Reihe der Menschen zu stellen? […] Waret ihr allein zu Herrn der Erde […] bestimmt? […] Unterdrücken kann man uns und uns unserer Recht berauben; – dies verträgt sich noch mit eurer Staatsklugheit. […] Tyrannen […] womit könnt ihr dieses ungerechte Verfahren rechtfertigen? ASPASIAS71

Rousseau hatte durch den „Contract social“ ebenso wie durch seinen Erziehungsroman „Emile“ eine beträchtliche Wirkung auf die ihm nachfolgenden philosophischen Denker der politischen Moderne. Der Philosoph Immanuel Kant (1724-1804), der nur zwölf Jahre jünger war als Rousseau, soll den „Emile“ im Jahr 1762 in einem Zug durchgelesen haben (vgl. Rauschenbach 2004). Insofern finden sich in vielen von Kants Schriften – besonders was die Beurteilung von Sexualität für das Wohlergehen der Menschen/der Männer und der Funktionali-

70 Kant, Immanuel (1998 [1781/1787]): Kritik der reinen Vernunft. Herausgegeben von Jens Timmermann und Heiner Klemme (= Band 505 der Philosophischen Bibliothek), Hamburg, 21. 71 Aspasias (1797): Beweis, daß die eifrigsten Vertheidiger der Freiheit und Gleichheit die größten Despoten sind. Eine Rede, in einem weiblichen Jakobinerklub gehalten, online verfügbar auf: http://zs.thulb.uni-jena.de/receive/jportal_jparticle_00057139 (Zugriff: 09.10.2010).

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sierung einer heterosexuellen Geschlechterdifferenz für das politisch moralische Gemeinwohl betrifft – zahlreiche Parallelen zu Rousseau (Kneller 2006: 450).72 Gleichwohl war Kant in seiner sexualitätstheoretischen Argumentation präziser als seine vertragstheoretischen Vorgänger. Er beschäftigte sich umfassend mit dem Verhältnis von Geschlecht, Sexualität und Identität und diskutierte dessen Zusammenhänge im Rahmen seiner Beschäftigung mit der Bedeutung von ethischen Prinzipien für die Konstitution des moralisch-guten Selbst und einer moralisch-guten Gemeinschaft. Kant fundierte seine Prinzipien auch explizit im Rahmen eines regelgeleiteten rechts- bzw. moralphilosophischen Systems. Darüber hinaus war Kant auch wesentlich daran beteiligt, sich selbst als „popular commentator on the differing nature of the sexes“ zu etablieren (ebd.: 449). Damit befand sich Kant freilich wiederum im Einklang mit der philosophisch wissenschaftlichen Strömung seiner Zeit – Kant wurde ebenfalls zu einem fundierten Fürsprecher einer anthropologischen Geschlechterdifferenz, wenngleich ‚die Frau‘ bei Kant weniger als funktionalistischer Appendix des Staatsbürgers erscheint, sondern als sein oppositionelles ‚Anderes‘ im Rahmen einer binären Geschlechterdifferenz. Frauen kam bei Kant zwar ebenfalls eine ‚natürliche‘ „Freiheit und Gleichheit als unveräußerliche Gattungsmerkmale“ zu, doch aus diesen erwuchsen keine politischen Partizipationsrechte als Staatsbürgerin in der bürgerlichen Gesellschaft (Frevert 1988: 22). Kant leitete auch die Abkehr von einer naturrechtlichen Fundierung des Staatsbürgerschaftsstatus ein – stand doch nun vor allem die subjektive Moralität des einzelnen Staatsbürgers im Zentrum. „Der politische Status des aktiven Bürgers“ war für Kant demnach „weder naturrechtlich verbürgt noch unterschiedslos“ für alle Männer verfügbar (Frevert 1995: 69). Kant band ihn an bestimmte (moralisch sittliche) Qualifikationen – neben der ökonomischen Selbstständigkeit musste ein Staatsbürger auch über eine entsprechend politische, d.h. moralisch-vernünftige73 Subjektivität und Autonomie verfügen (ebd.). Zwar waren für Kant die ‚natürliche‘ Freiheit und Gleichheit Eigenschaften, über die alle Menschen verfügen (können), die ‚bürgerliche Selbstständigkeit‘ unterschied den

72 Rousseau und Kant werden auch immer wieder insoweit miteinander in Verbindung gebracht, als beiden homoerotische Verbindungen bzw. Kontakte zugeschrieben werden. Während Rousseau in seinen „Confessions“ selbst davon schrieb, wird Kant aufgrund seiner intensiven Männerfreundschaften und seiner Ehelosigkeit mit männlicher Homoerotik in Verbindung gebracht (Howells 2005; Genischen 2004). 73 Für Kant sind Moral und Vernunft untrennbar miteinander verbunden – das, was vernünftig ist, kann als moralisch gelten und das, was als moralisch gelten kann, ist vernünftig. Ziel der Aufklärung sei es demnach, diese Vernunft öffentlich zu gebrauchen.

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Staatsbürger jedoch von den anderen Untertanen (Kant 2007b [1797]: 170f.). Der Staatsbürger war bei Kant somit auch Untertan, verfügte aber im Gegensatz zu den anderen Untertanen über eine Aktivbürgerschaft und somit über das Recht auf politische Teilnahme am Gesetzgebungsprozess (vgl. Murmann 1997: 38ff.).74 Gouvernementalitätstheoretisch gedeutet impliziert jedes Handeln des Kant’schen Staatsbürgers somit einen Subjektivierungsprozess, oder – wie es Foucault nannte – eine ‚Technologie des Selbst‘, da dieser sich gemäß der moralisch vernünftigen Regeln des Kant’schen Imperativs immer wieder als Staatsbürger qualifizieren muss. Die Zurückweisung und/oder Disziplinierung bestimmter ‚innerer Neigungen‘ wird somit auch zu einem zentralen Kern dieses ‚Qualifikationsprozesses‘. „Der subjektive Erwerbsmodus bürgerlicher Moral ist der der Internalisierung und Inkorporierung. Die Moral wirkt nicht über den Modus einer – notwendig fragilen – Fremdkontrolle durch soziale Andere, sondern über den Weg der Selbstkontrolle und Selbstbeobachtung aus dem eigenen ‚Innern‘, idealerweise über die Internalisierung von ‚Pflichten‘, bei denen im Fall der Zuwiderhandlung eine innere Sanktion greift.“ (Reckwitz 2004: 167; Hervorh.i.Org.)

Als wesentlicher Kern dieser bürgerlichen Selbstständigkeit und Kants moralisch vernünftiger Konzeption von politischer Autonomie kommt nun auch, so wird im Folgenden gezeigt, der Sexualität eine zentrale Bedeutung zu. Im Gegensatz zu Rousseau wurde dem Sexualitätsverständnis von Kant innerhalb der feministischen politischen Philosophie/Theorie bisher wenig Beachtung geschenkt und vorwiegend im Zusammenhang mit seiner Ehekonzeption als Verhinderungsmoment einer (sexuellen) Verobjektivierung verhandelt (vgl. Papadaki 2007; Schott 1997). Kants Sexualitätsverständnis ist jedoch nicht nur in Hinblick auf seine Geschlechter- und Ehekonzeption von besonderer Bedeutung, sondern auch in Bezug auf seine Auffassung von politischer Subjektivität, Autonomie und Moralität und wird damit, ähnlich wie bei Rousseau, zu einer wesentlichen Grundlage eines ‚guten‘ politischen Gemeinwesens. Im Folgenden wird gezeigt, dass das sexuelle Verhalten des Staatsbürgers für Kant im Rahmen seiner moralischen Bestimmung des politischen Subjekts von zentraler politischer Relevanz ist. Kant kann daher auch als jener Philosoph gelten, der dem autonomen politischen Subjekt der Moderne eine entsprechende sexualtheoretische Fundierung

74 Erna Appelt weist in diesem Kontext zu Recht darauf hin, dass für Kant „das Postulat der Gleichheit aller Menschen einerseits, der ungleiche Rechtsstatus zwischen Männer und Frauen andererseits“ keinen Widerspruch darstellte (Appelt 1999: 63).

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gab. Denn seine Konzeption politischer und sexueller Subjektivität mache deutlich, „how this subject of desire became bound to heterosexuality as the bearer of norms“ (Halle 2004: 26; Hervorh.i.Org.). Kants sexualtheoretische Fundierung des (staats-)bürgerlichen Subjekts muss hier freilich nicht nur vor dem Hintergrund des geschlechtertheoretischen Paradigmenwechsels im 18. Jahrhundert interpretiert werden, sondern auch in Hinblick auf dessen sexuelle Implikationen. Stärker noch als Rousseau können Kants Beschäftigungen mit den (sexuellen) Leidenschaften der Menschen sowie seine Entwicklung eines entsprechenden ‚Katalogs‘ für den vernünftig-moralischen Gebrauch der menschlichen Geschlechtsorgane als Reaktion auf eine zunehmende „Ausstreuung und Einpflanzung polymorpher“ bzw. „perverser Sexualitäten“ gedeutet werden (Foucault 1983 [1977]: 23ff.; vgl. Eder 2009: 137ff.).75 So entstehe nach Foucault um das 18. Jahrhundert ein „politischer, ökonomischer und technischer Anreiz, vom Sex zu sprechen. Und das nicht so sehr in Form einer allgemeinen Theorie der Sexualität, sondern in Form von Analyse, Buchführung, Klassifizierung und Spezifizierung […] man muß vom Sex sprechen wie von einer Sache, die man nicht einfach zu verurteilen oder zu tolerieren hat, sondern vielmehr zu verwalten und in Nützlichkeitssysteme einzufügen hat, eine Sache, die man zum größtmöglichen Nutzen aller regeln und optimal funktionieren lassen muß.“ (Foucault 1983 [1977]: 35f.)

Foucault stellte diese ‚Diskursexplosion‘ im 18. Jahrhundert auch in den Kontext der zunehmenden Bedeutung, die eine „Bevölkerung als ökonomisches und politisches Problem“ aufwarf (ebd.: 37). Wenn Foucault davon ausgeht, dass der „Sex“ im Zuge dieser Entwicklungen „zum öffentlichen Einsatz zwischen Staat und Individuum geworden“ sei, dann wird hier freilich auch deutlich, dass die Institution der Staatsbürgerschaft genau an diesem Scharnier zwischen Staatsvolk und Staatsmacht angesiedelt ist (ebd.: 39). Der Sex der Bevölkerung wird, so könnte Foucault weitergeführt werden, also auch in dem Maße bedeutsam, in dem der individuelle Staatsbürger und seine moralisch-körperlichen Dispositionen an politischer Bedeutung gewannen. Und bei Kant begründet sich Staatsbürgerschaft im individuellen Staatsbürger selbst – er ist als moralisch-vernünftiges politisches Subjekt Träger und Autor politischer Souveränität (vgl. Murmann 2000: 34).

75 Um 1800 beginnt nun auch eine „empirische Klassifikation“ von „anormalem Geschlechtsverkehr“ im Rahmen eines „gewaltigen Aufschwung[s] des Schreibens und Nachdenkens“ über das Sexuelle und Geschlechtliche (Eder 2009: 138).

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In der folgenden Analyse beziehe ich mich auf einige Aspekte der Kant’schen „Vorlesung zur Moralphilosophie“ (1774/1775), der „Grundlegung zur Metaphysik der Sitten“ (1785) und der „Metaphysik der Sitten“ (1797). Die Grundlage meiner Analyse waren wiederum sowohl feministische Arbeiten zur konstitutiven Bedeutung der Geschlechterdifferenz in Kants Staatsbürgerschaftskonzeption (Appelt 1999; Heinz 2002; Schott 1997; Moser 2001; Kuster 2009; Löchel 2006). Darüber hinaus wurden auch einige sexualitätstheoretische Untersuchungen zu Kants Eheverständnis sowie seiner Theorie der sexuellen Verobjektivierung miteinbezogen (Papadaki 2007; Kneller 2006; Corkhill 2006). Trotz der zentralen Rolle, die Kant im Rahmen der oben dargestellten sexualtheoretischen Fundierung moderner politischer Subjektivität und Autonomie zugeschrieben werden kann, wurden seine Werke im Rahmen queerer 76 bzw. in an Foucault orientierten sexualitätstheoretischen Arbeiten bisher kaum diskutiert. Dies ist freilich bemerkenswert, da Foucault 1959/1960 im Rahmen seiner Übersetzung von Kants „Anthropologie in pragmatischer Hinsicht“ (1798) in das Französische selbst eine „Einführung in Kants Anthropologie“ verfasste (Foucault 2010b [1959/1960]). Körperliche Begierden und sinnliche Leidenschaften als moralische Grundprobleme eines guten Staatsbürgers Eine Beschäftigung mit der politischen und ethischen Bedeutung von Sexualität bzw. sexueller Leidenschaft wird bei Kant gerade deswegen notwendig, weil er, wie bereits oben angedeutet, in seiner Zusammenbindung von Subjektivität und Sexualität explizit ‚modern‘ war. Ähnlich wie für Rousseau waren für ihn (sexuelle) Leidenschaften und Lust ein wesentlicher Kern der menschlichen Natur selbst (Halle 2004: 27). „Theoretically Kant cannot, and in his works he does not, deny the fact that sex is natural. He regards it as a fact, as an appetite of our bodily nature and as such as something that cannot be ignored nor, for that matter condemned.“ (Kneller 2006: 458)

Insbesondere in seiner „Kritik der praktischen Vernunft“ (1788) sprach Kant von dem im Menschen angelegten sinnlichen „Begehrungsvermögen“ von Lust und Unlust, wobei Kant vor dem Hintergrund seiner ethischen Überlegungen zwischen einem „unteren“ und „oberen“ Begehrungsvermögen unterschied (Kant 1998 [1788]: 68ff.). Das untere Begehrungsvermögen richte sich demnach auf

76 Eine Ausnahme bildet die Überblicksdarstellung von Randall Halle (2004).

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eine Materie, also „Gegenstände, Zustände oder Tätigkeiten, deren Wirklichkeit man deshalb begehrt, weil sie Lust verspricht“ – dazu gehört für Kant die Sexualität – während das obere Begehrungsvermögen höhere, geistige Genüsse meine (Höffe 2007: 202). Nach Ottfried Höffe könne Sittlichkeit in den Augen von Kant nur jenseits dieser Begehrungsvermögen und dem jeweiligen individuellen Streben nach Glück und Befriedigung konstituiert werden, wenngleich dieses Begehren auch ihre dialektische Bedingung darstelle, da „Moralität als Autonomie“ eben gerade hieße, „sich seine Bedürfnisse und gesellschaftlichen Abhängigkeiten“ einzugestehen (ebd.: 205). Autonomie bedeute für Kant folglich mehr als ein bloßes Bedürfnis- und Gesellschaftswesen zu sein und in diesem Mehr zu seinem eigentlichen Selbst zu finden; dem moralischen Wesen, der reinen praktischen Vernunft (ebd.). Kant imaginiere den Menschen somit nicht nur als ein der ‚Natur‘ und seinen eigenen Leidenschaften unterworfenes Wesen, sondern zugleich als ein freies Vernunftwesen und somit fähig, moralische Gesetze zu entwerfen und ihnen zu gehorchen (Braun et al. 1998: 205). Die Freiheit des Subjekts und damit dessen Willens zeige sich gerade in der Fähigkeit der Unterwerfung unter ein verbindliches und von individuellen Befindlichkeiten unabhängiges (formales) moralisches Gesetz (ebd.). Dieses allgemeine moralische Gesetz erscheint bei Kant deshalb vernünftig, weil es auf Basis jener individuellen Maxime konstituiert wurde, die Allgemeinheit beanspruchen könne. Das Kriterium der Sittlichkeit wird bei Kant also die Einhaltung dieses formalen moralischen Gesetzes, wobei die Vernunft gebietet, diese Einhaltung zur ‚Pflicht‘ zu erheben. Da der Mensch von „sinnlichen Trieben bestimmt wird, überhört er gern die Stimme seines Gewissens“, deshalb nehme bei Kant die Moralität für den Menschen „die Gestalt einer Pflicht oder eines kategorischen Imperativs an, der bedingungslos gebietet und damit jegliche ‚kommunikative‘ Weiterbegründung unterläuft“ (Grondin 2007: 110). Sexualität und sexuelles Begehren wird bei Kant als besonders schwieriges moralisches ‚Problem‘ für sein Vernunft- und Autonomieverständnis verhandelt, da Sexualität für ihn zwangsläufig mit einer Verobjektivierung der sexuell handelnden Personen einhergeht. Da sich für Kant sinnliche Neigungen immer auf Objekte richten, welche die Befriedigung von Bedürfnissen versprechen, und der willkürliche, zweckgebundene Gebrauch dieser Objekte diese folglich zu „Sachen“ degradiere, führe dies bei der „Geschlechtsgemeinschaft“77 von Menschen zu einem moralischen Dilemma, da das Objekt der sinnlichen Neigung eine Person sei bzw. die Geschlechtsorgane („membra sexualia“) einer Person darstellen

77 Dies ist der Begriff, den Kant für die Bezeichnung des ‚sexuellen Aktes‘ gebraucht.

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und diese somit zu einer Sache, einem Objekt bzw. Gebrauchswert gemacht werden (Kant 2007b [1797]: 126f.). Wenn Sexualität den Menschen folglich zu einem Gebrauchswert degradiere, dann unterlaufe dies seine ‚Menschlichkeit‘ als vernünftiges und moralisches Selbst, da eine Person immer in Einheit mit seinem Körper existiere. „Es liegt doch in dieser Neigung auf solche Art eine Erniedrigung des Menschen; denn sobald er ein object des appetits des andern ist, so fallen alle Triebfeder [sic!] der sittlichen Verhältnisse weg, weil er als ein Gegenstand des appetits des Andern eine Sache sey, wodurch der appetit des Andern gestillt wird und die von jedem als solche Sache kann gebraucht werden.“ (Kant 2008 [1774/1775]: 298)

Eine „Geschlechtsgemeinschaft (commercium sexuale)“ ist nach Kant also „der wechselseitige Gebrauch, den ein Mensch von eines anderen Geschlechtsorganen und Vermögen macht (usus membrorum et facultatum sexualium alterius)“ (Kant (2007b [1797]: 125). Insofern sei auch nicht der ganze Mensch das Objekt des „Appetits auf den Genuß des andern Menschen“ (Kant 2008 [1774/1775]: 296) – so bezeichnet Kant den seiner Ansicht nach natürlichen Sexualtrieb des Menschen – sondern ausschließlich das „Geschlechtliche“ an diesem Menschen. Gleichzeitig problematisiert Kant diesen ‚natürlichen Appetit der Menschen‘, er nennt ihn an späterer Stelle auch „facultates sexuales“: Im Prozess der Verobjektivierung und Fokussierung auf alles „Geschlechtliche“ „entehren“ die Menschen die Menschheit selbst und bringen sie dadurch, dass „sie der Thierheit gleich werde[n]“ in Gefahr (ebd.: 299f.). In den facultates sexuales liege somit nach Kant an sich etwas „verächtliches, was wieder [sic!] die moralitaet läuft“, da es das grundlegende Recht der Menschen an ihrer eigenen Person bzw. autonomen Persönlichkeit verletze, wenn sich Menschen zum Objekt machen (lassen) (ebd.: 300). In seiner „Anthropologie“ (1798) setzt er die menschliche Leidenschaft als Form der Begierde auch mit der „Schwindsucht oder Abzehrung“ gleich und bezeichnet sie als „eine Krankheit aus verschlucktem Gift“, die als „Verkrüppelung“ oder gar als „Wahnsinn“ anzusehen sind (Kant 1798, zit.n. Löchel 2006: 55). Die „Leidenschaften“ sind damit für Kant „Krebsschäden für die reine praktische Vernunft“, die sich kein Mensch wünscht, „denn wer will sich in Ketten legen lassen, wenn er frei sein kann?“ (ebd.: 56). Für Kant repräsentiere Sex somit auch „the constant threat of moral devolution“ für eine Gesellschaft, weil die Degradierung zum Tier ein „constantly recurring invasion of the state of nature into the midst of society“ bedeute (Kneller 2006: 465).

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Die Moralisierung von Lust und Sex(ualität) durch die Ehe Da Kant jedoch – ähnlich wie Rousseau – Sexualität als zentralen Teil der Identität einer Person identifiziert, stellt er sich die Frage „in wie fern [...] jemand befugt [sei] von seiner Geschlechterneigung einen Gebrauch zu machen ohne Verletzung der Menschheit“ und unter welchen Bedingungen der „facultatum sexualium mit der moralitaet übereinstimmt“ (Kant 2008 [1774/1775]: 300f.). Er beantwortet diese Frage sowohl in seiner „Vorlesung zur Moralphilosophie“ ebenso wie in seinen „Metaphysik der Sitten“ eindeutig: „Nur unter der einzigen Bedingung ist dieses möglich, daß indem die eine Person von der anderen gleich als Sache erworben wird, diese gegenseitig wiederum jene erwerbe; denn so gewinnt sie wiederum sich selbst und stellt ihre Persönlichkeit wieder her. [...] folglich ist die Hingebung und Annehmung eines Geschlechts zum Genuß des anderen nicht allein unter der Bedingung der Ehe zulässig, sondern auch allein unter derselben möglich. [...] wenn Mann und Weib einander ihren Geschlechtseigenschaften nach wechselseitig genießen wollen, so müssen sie sich notwendig verehelichen, und dieses ist nach Rechtsgesetzen der reinen Vernunft notwendig.“ (Kant 2007b [1797]: 126; Hervorh.i.Org.)

Für Kant ist damit die monogame „Ehe [...] die eintzige Bedingung von seiner Geschlechterneigung Gebrauch zu machen“ und somit in Einklang mit seinen moralischen Prinzipien (Kant 2008 [1774/1775]: 305). Die (heterosexuelle) Ehe sei bei Kant jedoch nicht zu verwechseln mit einer „romantic love“ (Corkhill 2004: 67), sondern präsentiere sich als ethische Pflicht „[to] normalize sexual activity“ (Caze 2005: 92). Die zentrale Legitimationsbasis für seine monogame heterosexuelle Ehe bilde somit keineswegs das Argument der Prokreation, sondern vor allem seine Appellation an die Pflichterfüllung vernünftiger Individuen gegen sich selbst, dem politischen Gemeinwesen und der Menschheit gegenüber (Soble 2003: 64). Kant weist auch in der „Metaphysik der Sitten“ im Zusammenhang mit seiner Eherechtskonzeption dezidiert darauf hin, dass „[d]er Zweck, Kinder zu erzeugen und zu erziehen“ zwar der Grund sei, „zu welchem sie [die Natur] die Neigung der Geschlechter gegeneinander einpflanzte“ aber es sei „zur Rechtmäßigkeit dieser seiner Verbindung“ nicht erforderlich, „dass der Mensch, der sich verehelicht, diesen Zweck sich vorsetzen müsse“ (Kant 2007b [1797]: 125). Auch verurteilt Kant im Gegensatz zur christlichen Morallehre keineswegs nicht prokreative heterosexuelle Praktiken, wie z.B. Oral- oder Analverkehr, solange sie innerhalb der Ehe stattfinden (Soble 2003: 74). Dies verweist wiederum auf die ‚modernen‘ und rational-moralischen Implikationen von Kants Ehe- und Sexualitätskonzeptionen, die ihn in die theoretische

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Nähe von Rousseau rücken. Beide weisen der ehelichen (hetero-)sexuellen Verbindung zwischen Mann und Frau einen zentralen Stellenwert in der politischen Gemeinschaft zu, der sich jedoch keineswegs (mehr) auf ein generatives Moment im Dienste eines Allianzdispositivs oder einen (göttlichen) ‚Naturzwecks‘ reduzieren lässt, sondern für das moralische Funktionieren und die Stabilität der Gemeinschaft selbst unerlässlich wird. Die Eheleute werden nicht über die Reproduktion miteinander verbunden, sondern als geschlechtlich differenzierte Wesen, die sich im Rahmen ihrer Sexualität aufeinander beziehen und sich zu einer moralischen Einheit vereinigen. Eine komplementär-hierarchische Geschlechterdifferenz als Grundlage einer vernünftigen Staatsbürgerexistenz Auch wenn Kant die gegenseitige ‚Erwerbung‘ der Eheleute als symmetrischen Prozess beschreibt, verfügen beide Geschlechter im Rahmen dieser moralischen Einheit über jeweils unterschiedliche rechtliche Möglichkeiten und moralische Pflichten. Die Vereinigung der Geschlechter erfordert von den Geschlechtern somit auch jeweils die Einhaltung einer „moralische[n] Arbeitsteilung der Geschlechter“ in Hinblick auf Tätigkeiten, Rollen und Gefühlsdispositionen (Heinz 2002: 197). Kant ist dementsprechend ein expliziter Vertreter von ‚Geschlechtscharakteren‘ im Rahmen eines komplementären „Gegenverhältnis[ses] beider Geschlechter“ (Kant 2002 [1764]). Im Rahmen seiner frühen Schrift, den „Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen“ (Kant 2002 [1764]), tritt seine Orientierung an diesem modernen Geschlechterdispositiv besonders deutlich zutage. In dieser durch Rousseau inspirierten Schrift, setzte sich Kant, so Marion Heinz, das Ziel, einen „Maßstab zur Beurteilung der Geschlechter in moralischer Hinsicht zu entwickeln“, indem er zeigen wollte, „daß die Natur durch die Geschlechterdifferenz zugleich eine Differenz des ‚Gemütscharakters‘ begründet“ und „daß die durch die Natur begründete Differenz der Geschlechter zu Recht als Maßstab ihrer moralischen Beurteilung und Erziehung anzulegen“ ist (Heinz 2002: 194). Den wesentlichen Unterschied zwischen den Geschlechtern sah Kant nun darin, dass „Frauenzimmer“ vornehmlich durch das „Merkmal des Schönen“ gekennzeichnet seien, während „unter den männlichen Eigenschaften das Erhabene als das Kennzeichen seiner Art deutlich hervorsteche“ (Kant 2002 [1764]: 199f.). Diese Unterschiede brachte Kant nun in einen größeren Zusammenhang und folgerte daraus unterschiedliche „Gemütscharaktere“, Betätigungsfelder und Eigenschaften. Demnach gehöre „tiefes Nachsinnen und eine lange fortgesetzte Betrachtung“ ebenso wie „vernünfteln“ nicht zu den Eigenschaften der „Frauen-

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zimmer“ als Besitzerinnen der „schönen Tugend“ (ebd.: 200f.). Vielmehr hat „das Frauenzimmer [...] ein angeborenes stärkeres Gefühl für alles, was schön, zierlich und geschmückt ist“ (ebd.). Deshalb wähle der „schöne Verstand zu seinen Gegenständen alles, was mit dem feinen Gefühl nahe verwandt ist, und überläßt abstrakte Spekulationen oder Kenntnisse, die nützlich, aber trocken sind, dem emsigen, gründlichen und tiefen Verstande“ (ebd.). In dieser Gegenüberstellung von Schönheit und Erhabenheit sowie Gefühl und Vernunft zeigt sich freilich jene Polarisierung der Geschlechtscharaktere, wie sie Karin Hausen für das 18. Jahrhundert konstatierte (Hausen 2001 [1976]: 166). Demnach wurden in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts nicht nur bestimmte psychische Dispositionen im Rahmen eines geschlechtsspezifischen „Kontrastprogramms“ (u.a. Aktivität/Rationalität vs. Passivität/Emotionalität) fundiert, sondern auch als Legitimationsgrundlage für „soziale Betätigungsfelder“ (u.a. Privatheit vs. politische Öffentlichkeit) und „Positionszuschreibungen“ etabliert (ebd.: 166ff.). Als zentraler Kern dieses neuen Geschlechterdiskurses könne – und dies wurde auch bereits bei Rousseau deutlich – die „Idee der Ergänzung“ gelten (ebd.: 173). Darin werde „das Wesen von Mann und Frau so konzipiert, daß nur beide zusammen die Summe aller menschlichen Fähigkeiten und Bedürfnisse“ zu realisieren vermögen“ (ebd.). Wie Hausen betont, werde in diesem Kontext die „Herrschaftsqualität“ des Mannes zwar zurückgewiesen, aber auf Basis der Idee einer gegenseitigen Vervollkommnung sowie weit „komplexere[r] Aussagesysteme“ eine spezifisch neuartige Form der ungleichen, aber komplementären Geschlechterdifferenz legitimiert (ebd.: 172). Diese Argumentationslinie lässt sich auch explizit bei Kant nachverfolgen, plädiert er doch für eine Vervollkommnung der jeweiligen ‚Geschlechteranlagen‘ im Rahmen der ‚Geschlechterneigung‘:78 Finden zwei differente Geschlechtscharaktere im Rahmen einer Ehe in einer harmonischen Komplementarität zusammen, so sei es nach Kant möglich „das Geschlechterverhältnis der Natur gemäß zu kultivieren“ und somit die jeweils „schöne“ und die „edle Tugend“ zu optimieren (Kant 2002 [1764]: 206f.). „Daraus muss folgen, daß die Zwecke der Natur darauf gehen, den Mann durch die Geschlechterneigung noch mehr zu veredeln und das Frauenzimmer durch eben diesselbe noch mehr zu verschönern. [...] Es liegt am meisten daran, daß der Mann als Mann vollkommener werde und die Frau als ein Weib, d.i. daß die Triebfeder der Geschlechterneigung dem Winke der Natur gemäß wirken [...].“ (Ebd.)

78 Für eine Analyse der Fundierung von Geschlechtscharakteren durch Kant siehe Löchel (2006).

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Mann und Frau streben daher, wie Friederike Kuster diese Schrift interpretiert, nicht nur „nach Kopulation, sondern als anthropologisch Gegensätzliche nach ganzheitlicher Vereinigung“ (Kuster 2009: 19). „Die empirisch konstatierbaren Differenzen in Habitus und Lebensweise, Vorlieben und Kompetenzen, die weibliche Scham, Schwäche und Schönheit, die männliche Beherztheit, Stärke und Erhabenheit“ können somit als „bürgerliche Konzeption der rationalemotionalen Geschlechterkomplementarität“ verstanden werden, die trotz der egalitären Vereinigung der Geschlechter in der Sexualität, die moralische Einheitlichkeit unter die vernünftige Regierung des Mannes als alleinigen Staatsbürger stellen (ebd.). Oder wie Kant in seiner „Anthropologie“ selbst schrieb: „Zur Einheit und Unauflöslichkeit einer Verbindung ist das beliebige Zusammentreten zweier Personen nicht hinreichend; ein Theil mußte dem andern unterworfen und wechselseitig einer dem andern irgendworin überlegen sein, um ihn beherrschen oder regieren zu können. Denn in der Gleichheit der Ansprüche zweier, die einander nicht entbehren können, bewirkt die Selbstliebe lauter Zank.“ (Kant 1798, zit. n. Kuster 2009: o.S.)

Die Gleichheit der Verehelichten durch die gegenseitige Inbesitznahme „widerstreite“ damit, so Kant in seiner „Metaphysik der Sitten“, keineswegs jenem „Gesetz“, das den Mann zum „Herr[n]“ und zum „befehlende[n]“ und die Frau zum „gehorchende[n]“ Teil mache, denn diese Herrschaft entspreche nur „der natürliche[n] Überlegenheit des Vermögens des Mannes“ (Kant 2007b [1797]: 127). Im Rahmen des Kant’schen Privatrechts erwirbt somit auch der Mann „ein Weib, das Paar erwirbt Kinder und die Familie Gesinde“ (ebd.: 124). Ebenso erwächst aus der gegenseitigen Inbesitznahme der Personen beim Geschlechtsakt im Rahmen der Ehe keineswegs eine politische Gleichberechtigung, wie Kant in seinen Ausführungen über das Staatsrecht deutlich machte. Nur jene Personen können zu vollständigen Staatsbürgern (cives) einer societas civilis werden, welche über eine bürgerliche Persönlichkeit verfügen (ebd.: 170f.). Demnach entbehrt für Kant „alles Frauenzimmer und überhaupt jedermann, der nicht nach eigenem Betrieb, sondern nach der Verfügung Anderer (außer des Staates) genötigt ist, seine Existenz (Nahrung und Schutz) zu erhalten“ der bürgerlichen Persönlichkeit „und seine Existenz ist gleichsam Inhärenz“ (ebd.). Eheliche Heterosexualität als Grundlage staatsbürgerlicher Autonomie und politischer Souveränität Vor dem Hintergrund der obigen Ausführungen, kann der Staatsbürger bei Kant als jenes Mitglied des Staates beschrieben werden, der im Gegensatz zu allen

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anderen Untertanen über das am weitesten entwickelte Maß an Vernunft verfügt bzw. verfügen kann. Wenn also für Kant die „Geschichte der Menschheit“ als die „Geschichte der Realisation ihres Vernunftvermögens“ interpretiert werden kann, dann kann daraus gefolgert werden, dass der Staatsbürger ob seines „öffentlichen Gebrauches“ der Vernunft und seiner „bürgerlichen Persönlichkeit“ zumindest den Weg in Richtung des immer vernünftigen moralischen Kant’schen Weltbürgers bereits beschreitet (Braun/Diekmann 1994: 171). ‚Frauenzimmern‘ sei dieser Weg, so die Kant-Interpretation von Rolf Löchel, jedoch nicht nur aufgrund ihres mangelnden Eigentums, sondern auch aufgrund ihrer begrenzten moralisch vernünftigen ‚Anlagen‘ verschlossen. Frauen seien nach Kant „in viel stärkerem Maße den Leidenschaften“ unterworfen als Männer (Löchel 2006: 57). Insofern könne die Unterordnung der Frauen und ihr Ausschluss aus dem Staatsbürgerschaftsstatus bei Kant auch als Effekt ihrer vermeintlich geringeren Vernunftbegabung und somit ihrer scheinbar mangelnden Fähigkeit, moralisch zu handeln, interpretiert werden (ebd.). Kant gestehe, so Löchel, Frauen zwar zu, gemäß der Moral handeln zu können, aber nicht aus Moral; sie seien damit zwar Trägerinnen der Moral und für deren (kulturelle) Weitergabe und Einhaltung verantwortlich, aber nicht der Ursprung der moralischen Regeln selbst (ebd.; vgl. Moser 2001). Vor diesem Hintergrund wird freilich die moralisch-vernünftige Organisation der Sexualität des Staatsbürgers besonders virulent, da er als Autor der Gesetze und Träger der politischen Souveränität seine „öffentliche Vernunft“ gemäß der Moral einsetzen müsse (Kant 1784). Oder wie es Kant in seiner Vorlesung „Über Pädagogik“ selbst ausdrückte: „Wenn man einen guten Charakter bilden will: so muß man erst die Leidenschaften“ der „Jünglinge“ wegräumen, die „zur Erfüllung solcher Gesetze vorbereitet“ werden müssen, die sie „künftighin als Bürger erfüllen“ müssen (Kant 1803: o.S.).79 Im Hinblick auf den Kant’schen Imperativ wird Heterosexualität innerhalb der Ehe zur einzigen Möglichkeit, seiner staatsbürgerlichen Autonomie und ‚bürgerlichen Selbständigkeit‘ gerecht zu werden: „Am besten ist es also, ja, es ist Pflicht, daß der Jüngling warte, bis er im Stande ist, sich ordentlich zu verheiraten. Er handelt dann nicht nur wie ein guter Mensch, sondern auch wie ein guter Bürger.“ (Ebd.). In dieser These von der ehelichen Heterosexualität als vernünftige ‚Bürgerpflicht‘ spiegelt sich auch Kants gesamtes Staatsbürgerschafts-

79 Die Vorlesung hat ausdrücklich die adäquate Erziehung männlicher Kinder zu moralisch-vernünftigen Staatsbürgern zum Inhalt, da Kant, wenn er von Kindern spricht, diese mit dem „Jüngling“, dem „Sohn“, dem (zukünftigen) „Privatmanne“, „Bürger“ oder „Vater“ gleichsetzt (Kant 1803).

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verständnis wieder: Der durch den Vertragsschluss konstituierte Staatsbürger gibt seine Souveränität nicht an einen „Leviathan“ ab, sondern er richtet sie im Rahmen seiner politischen Autonomie und Partizipation auf sich selbst. Sie wird „an den autonomen Willen der Staatsbürger permanent“ gebunden und damit gleichzeitig der „Rechtfertigungsgrund legitimer Gewalt“ (Murmann 2000: 34). Für Kant können jedoch nur „moralische Personen“ als der autonomen Willensbildung fähig betrachtet werden, mache doch das „moralische Vermögen“ einen wesentlichen Teil der „bürgerlichen Persönlichkeit“ aus (Kant 2007b [1797]: 171). Kant entwickelt in diesem Kontext freilich die Möglichkeit, dass prinzipiell alle Männer Staatsbürger werden können, wenn sie über die notwendigen moralisch vernünftigen Qualifikationen verfügen.80 Das Staatsbürgerschaftsversprechen in Kants Diktion verweist somit auf die subjektivierende Dimension dieser Narration – um Staatsbürger zu werden, genügt das ‚richtige‘ Geschlecht nicht, sondern es geht um eine weitreichendere moralischvernünftige Organisation des Selbst. Insofern müsse es auch ein Anliegen der richtigen Erziehung sein, „die Geschlechtskenntniß zu anticipiren, um schon vor dem Eintritte der Mannbarkeit Laster zu verhüten“ (Kant 1803). Unvernünftige Geschlechterneigungen als moralische Disqualifikation des Staatsbürgers Vor dem Hintergrund seiner These, dass Sexualität nur im Rahmen einer monogamen Ehe moralisch legitim sei, da die Menschen dabei nicht ihre Persönlichkeit aufgeben müssen und somit nicht den ‚Zweck der Menschheit‘ verletzen, diskutiert Kant auch ausführlich jene ‚Geschlechterneigungen‘, welche diesen Kriterien nicht entsprechen. Auch wenn Kant hier jeweils die Verfehlungen beider Geschlechter im Sinn hat, ergibt sich vor dem Hintergrund der obigen Ausführungen die besondere moralische Verpflichtung des Staatsbürgers zur ‚vernünftigen‘ Organisation seiner Sexualität. Diesem Kriterium wiedersprachen jedenfalls all jene ‚Geschlechterneigungen‘, die Kant als crimina carnis, Verbrechen gegen die eigene Person/das (eigene) Fleisch, einstufte (Kant 2008 [1774/1775]: 308). Im Kontext seiner umfassenden Auseinandersetzungen mit dem ‚Missbrauch der Geschlechterneigung‘ entwickelte Kant auch zwei miteinander verknüpfte Argumentations- bzw. Legitimationsmodelle, um nur eine spezifische Form von Sexualität, nämlich sozial-hierarchisch strukturierte Heterosexualität in einer

80 Frauen verweigert Kant diese Möglichkeit prinzipiell, da diese nicht über die „natürliche“ Qualifikation zur Staatsbürgerschaft verfügen (Rauschenbach 2004: 16).

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monogamen Ehe, zu rechtfertigen. Er verband eine moralische Argumentationslinie, in der er die Pflicht der Menschen zum vernünftigen Handeln heranzog, mit einem Natürlichkeitsmodell. Als Verstöße gegen die (moralische) Vernunft stuft Kant alle Formen von Sexualität ein, die außerhalb der monogamen Ehe stattfinden und vornehmlich aus der alleinigen Intention eines „Interesses an der Befriedigung der Neigung“ entstehen; nämlich Prostitution, Konkubinat, Polygamie und Inzest (ebd.: 309f.). Anders als mit diesen crimina carnis secundum naturam, die nicht an sich gegen die Natur verstießen, verhalte es sich nach Kant mit den crimina carnis contra naturam, also jenen Verbrechen, die er als ‚wider die Natur‘ einstuft. Bei diesen Verbrechen stehe der „Gebrauch der Geschlechterneigung [...] dem natürlichen Instinct und der Thierheit entgegen“ (ebd.: 310). Zu den crimina carnis contra naturam zählt Kant erstens – analog zu Rousseau – Onanie, da diese einen „Mißbrauch des Geschlechtsvermögens ohne allen Gegenstand“ darstelle (ebd.: 310). Die „wollüstige Selbstschändung“ beschäftigt Kant auch nochmals ausführlich in seinem zweiten Teil der „Metaphysik der Sitten“ (Kant 2007b [1797]). Wenn der „Mensch seine Persönlichkeit dadurch (wegwerfend) aufgäbe, indem er sich bloß zum Mittel der Befriedigung tierischer Triebe braucht“, dann läge nach Kant ein „Mißbrauch seiner Geschlechtseigenschaft“ und eine „der Sittlichkeit im höchsten Grad widerstreitende Verletzung der Pflicht wider sich selbst“ vor (ebd.: 307). Diesen Missbrauch der Geschlechtseigenschaft nennt Kant nun „Unkeuschheit“, welche er aber eben nicht nur als Untugend beschreibt, sondern als Beschämung der eigenen Person und damit auch als Pflichtverletzung gegen die ganze Menschheit (Soble 2003: 57ff.; vgl. Kant (2007b [1797]: 306f.). Neben der Onanie81 nennt Kant in seiner „Vorlesung zur

81 Auch in seiner erziehungstheoretischen Vorlesung über „Pädagogik“ (Kant 1803) sprach sich Kant explizit gegen die Onanie aus: „Nichts schwächt den Geist wie den Leib des Menschen mehr, als die Art der Wollust, die auf sich selbst gerichtet ist, und sie streitet ganz wider die Natur des Menschen. Aber auch diese muß man dem Jünglinge nicht verhehlen. Man muß sie ihm in ihrer ganzen Abscheulichkeit darstellen, ihm sagen, daß er sich dadurch für die Fortpflanzung des Geschlechtes unnütz mache, daß die Leibeskräfte dadurch am allermeisten zu Grunde gerichtet werden, daß er sich dadurch ein frühes Alter zuziehe, und sein Geist sehr dabei leide. […] Man kann den Anreizen dazu entgehen durch anhaltende Beschäftigung, dadurch daß man dem Bette und Schlafe nicht mehr Zeit widmet, als nöthig ist. Die Gedanken daran muß man sich durch jene Beschäftigungen aus dem Sinne schlagen, denn wenn der Gegenstand auch nur blos in der Imagination bleibt, so nagt er doch an der Lebenskraft. Richtet man seine Neigung auf das andere Geschlecht, so findet man doch noch immer einigen

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Moralphilosophie“ als zweites Verbrechen gegen die Natur die „Gemeinschafft des sexus homogenii“ (Kant 2008 [1774/1775], 310). Diese liege dann vor, „wenn der Gegenstand der Geschlechterneigung zwar unter den Menschen bleibt, aber verändert wird, wo die Gemeinschaft des sexus nicht heterogen sondern homogen ist, das ist wenn ein Weib gegen ein Weib und ein Mann gegen einen Mann seine Neigung befriedigt.“ (Ebd.)

In seiner „Metaphysik der Sitten“ spricht Kant in diesem Zusammenhang auch von einem „unnatürlichen Gebrauch“ der Geschlechtsorgane, welcher bei einer „Person ebendesselben Geschlechts, oder einem Tiere von einer anderen als der Menschen Gattung“ vorliege (Kant 2007b [1797]: 125). Das „Laster“ eines unnatürlichen Gebrauchs der Geschlechtsorgane war für Kant auch „unnennbar“ und eine „Läsion der Menschheit in unserer eignen Person“, das „durch gar keine Einschränkungen und Ausnahmen“ von der „gänzlichen Verwerfung“ gerettet werden könne (ebd.). Im Hinblick auf meine lesben-affirmative Perspektive ist im Zusammenhang mit Kants Sexualitätsverständnis freilich interessant, dass Kant bereits explizit die Problematik eines ‚männlichen Verstandes‘ bei ‚Frauenzimmern‘ benannte bzw. Frauen mit „einem als krankhaft verstandenen ‚männlichen‘ Sexualverhalten“ in einer Anthropologievorlesung explizit mit dem „pejorativen und pathologisierenden Begriff ‚Viragines‘“ benannte (Löchel 2006: 58). Im Zentrum der moralischen Verwerfung von gleichgeschlechtlicher Sexualität stand bei Kant jedoch nicht die Problematik einer nicht-prokreativen Handlung „wider die Natur“ an sich, sondern dass durch diese Handlung die Menschheit als Ganzes entehrt werde, da sich die Person dadurch „unter das Thier“ setze und damit wiederum die eigene Persönlichkeit verletze (Kant 2008 [1774/1775]: 311). „Alle Crimina carnis contra naturam erniedrigen die Menschheit unter die Thierheit, machen den Menschen der Menschheit unwürdig, der Mensch verdient nicht daß er eine Person sey. Dieses ist das unedelste und niedrigste, was der Mensch in Ansehung der Pflichten gegen sich selbst begehen kann.“ (Ebd.; Hervorh.i.Org.)

Widerstand, richtet man sie aber auf sich selbst, so kann man sie zu jeder Zeit befriedigen. Der physische Effect ist überaus schädlich, aber die Folgen in Absicht der Moralität sind noch weit übler. Man überschreitet hier die Grenzen der Natur, und die Neigung wüthet ohne Aufhalt fort, weil keine wirkliche Befriedigung statt findet.“ (Ebd.)

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Kant kann folglich dahingehend interpretiert werden, dass der Staatsbürger sich keinesfalls von seinen Leidenschaften „bestimmen“ lassen dürfe, sondern seine Sexualität muss auf einen „Pflicht-Grundsatz gebauet seyn“ (Kant 1793/94, zit. n. Löchel 2006: 67). Heterosexualität kann nun im Rahmen einer monogamen Ehe und auf Basis einer auf Geschlechtscharakteren basierenden Geschlechterdifferenz zum zentralen Kern dieses Pflicht-Grundsatzes identifiziert werden. Kant behauptet also keineswegs, dass homosexuelles Verhalten (in der Natur) nicht existiere, sondern dass der Mensch und – besonders der Staatsbürger – aufgrund seines Strebens nach Sittlichkeit und auf Basis seiner moralischen Maximen nicht homosexuell handeln will; dies sei in Hinblick auf seine eigene Persönlichkeit und der Erhaltung der Gemeinschaft unvernünftig (vgl. Moser 2001). Heterosexualität wird damit auch für den Staatsbürger zu einer vernünftigen ‚Bürgerpflicht‘ und zum Kern seiner politischen Autonomie. Mit Kant wird die Sexualität also gleichsam von der Prokreation befreit und tritt somit als eigenständiges „Wissensobjekt“ in das Feld des Politischen ein. Die „Wahrheit des Sexes“ enthält, so kann Foucault auf Kant angewendet werden, somit die ‚Wahrheit‘ über die Qualifikation zum Staatsbürger: „Der Staat muß wissen, wie es um den Sex der Bürger steht und welchen Gebrauch sie davon machen“, denn schließlich kann dieser Gebrauch als Ausdruck ihrer (nicht) gelungenen Subjektivierung im Rahmen des kategorischen Imperativs als vernünftiges Gebot der Sittlichkeit im politischen Gemeinwesen interpretiert werden (Foucault 1983 [1977]: 39). Kant konzipiert seinen Staatsbürger also bereits im Rahmen eines modernen Sexualitätsdispositivs, da die moralische Qualität seiner sexuellen Beziehung und weniger dessen generative Effekte zum politischen Brennpunkt avancierten.

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I NTELLIGIBLE S TAATS -/B ÜRGERSCHAFTEN – E INE GENEALOGISCHE V ERDICHTUNG IHRER B EDINGUNGEN Bürger sein bedeutet, die Autorität dieser Grundsätze und die Regeln, in denen sie verkörpert sind, anzuerkennen, und sie unsere politischen Urteile und unser Handeln leiten zu lassen. CHANTAL MOUFFE82 [T]he historical construction of the responsible citizen cannot simply be ‚transcended‘. Rather, this provides a central ‚semantic legacy‘ which citizenship carries. CARL F. STYCHIN83

Die hier untersuchten Staats-/Bürgerschaftskonzeptionen von Hobbes, Locke, Rousseau und Kant stellen freilich nur exemplarische Ausschnitte eines äußerst komplexen historischen Diskurses um Staats-/Bürgerschaft und politische Mitgliedschaft im globalisierten Norden der politischen Neuzeit dar. Gleichzeitig können die hier untersuchten Staats-/Bürgerschaftskonzeptionen als verdichtete Nuklei betrachtet werden, an denen sich bestimmte Bedingungen und Diskursregeln für das Verständnis von Staatsbürgerschaft in der politischen Neuzeit ablesen und genealogisch untersuchen lassen. Unter einer Diskursregel verstehe ich im Anschluss an Foucault folglich Gemeinsamkeiten in Bezug auf die Konzeptionalisierung intelligibler Staats-/Bürgerschaftspositionen innerhalb unterschiedlicher, auch kontroverser, Konzepte. Das heißt, mir geht es um eine exemplarische Rekonstruktion jener sexuell-vergeschlechtlichten und rassifizierten Bedingungen, welche spezifische ‚Denk- und Sagbarkeiten‘ von Staats-/Bürgerschaft seit der politischen Neuzeit konstituierten.

82 Mouffe, Chantal (1993): Demokratische Staatsbürgerschaft und politische Gemeinschaft, in: episteme. Online-Magazin für eine Philosophie der Praxis, auf: http://www.episteme.de/htmls/Mouffe-Citizenship-Gemeinschaft.html (Zugriff 13.06. 2010). 83 Stychin, Carl Franklin (2003): Governing Sexuality. The Changing Politics of Citizenship and Law Reform, Oxford, 13; Hervorh.i.Org.

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In diesem Abschnitt sollen diese Erkenntnisse nochmals verdichtet und in Rekurs auf die analysierten Staats-/Bürgerschaftskonzeptionen der Frage nachgegangen werden, welche Bedingungen ein Körper erfüllen musste, um überhaupt als Staats-/Bürgerkörper intelligibel zu sein bzw. zu werden und somit über den Status der vollen politischen Mitgliedschaft verfügen zu können. Intelligibilität verstehe ich hier im Sinne Judith Butlers bzw. in seiner poststrukturalistischen Verwendung als Frage nach den normativen, in vielfältigen Diskursen zirkulierenden Anweisungen und Vorschriften, die festlegen, welche Körper als „denk und lebbare“ Körper sozio-kulturelle Sichtbarkeit, Präsenz und Existenz erlangen können (Ludewig 2002: 188f.; Butler 1995; Villa 2001: 141f.). Die im vorigen Abschnitt analysierten philosophischen Texte fasse ich demgemäß als Teil eines historischen Staats-/Bürgerschaftsdiskurses, in welchem der „Bereich der Intelligibilität“ in Bezug auf Staats-/Bürgerschaft ein- und begrenzt wurde (Butler 1995: 259). Staats-/Bürgerschaftskonzeptionen können in diesem Zusammenhang daher auch als Konstitutions- und Produktionsinstrumente von politischer Intelligibilität84 aufgefasst werden, da sie jene Anweisungen, Bedingungen und Vorschriften präg(t)en, die festleg(t)en, welche Körper als „denk und lebbare“ Körper politische Repräsentation und Partizipation, Sichtbarkeit, Präsenz und Existenz erlangen und somit erst als Staats-/Bürgerkörper den Status der Staats-/Bürgerschaft innehaben können (Ludewig 2002: 188f.; Villa 2001: 141f.; vgl. Genschel 2000). Mich interessieren also, um es in jenen Worten auszudrücken, die Monique Wittig im Zuge ihrer Analyse der Vertragsidee verwendete, „precisely the rules and conventions that have never been formally enunciated, the rules and conventions that go without saying for the scientific mind as well as for the common people, that makes life [as a citizen, Anm. C.K.] possible […]“(Wittig 1992a [1989]: 40).

Insofern teile ich die Ansicht von Brigitte Rauschenbach, welche die „Ideengeschichte [als] ein reales Fundament […] unseres Vorrats an politischen Grundbegriffen“ bezeichnet, da im Rahmen dieser ‚politischen Sprachen‘ unsere Vorstell- und Denkbarkeit bzw. Konzeptionen des Politischen selbst maßgeblich geprägt wurden (Rauschenbach 2004: 2). Philosophische Staatsbürgerschaftskonzepte bilden daher einen wesentlichen Teil der (gouvernementalen) Dimension von Staatsbürgerschaft. Denn philosophische Narrative speisen politics of citizenship und dienen dazu „cultural demands on their citizens“ zu richten (Bridges

84 Für die grundlegende theoretische Bedeutung und Verwendung des Intelligibilitätsbegriffes in dieser Arbeit siehe: Butler (1991); Butler (1995).

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1994: 112). Jene von einem/einer ‚richtigen‘, ‚legitimen‘ Staatbürger*in verlangten „attitudes, dispositions, identities, and moral capacities“ fänden in diesen Narrativen demnach eine entsprechende Legitimation und Rückbindung, da diese eben nicht „spontaneously among human beings“ in Erscheinung treten (ebd.). Staatsbürgerschaft ist damit auch nicht, wie Leah Bassel (2001) betont, ‚natürlicherweise‘ jenes Modell, das (politische) Mitgliedschaft regeln kann, sondern diese Form der Gesellschaftsorganisation sei der Effekt historischer Macht- und Herrschaftskonstellationen. Das ‚Andere‘ als historische Begrenzung und Konstitutionsbedingung legitimer Staats-/Bürgerschaften Aspekte der hier dargestellten Intelligibilitätskriterien finden sich auch innerhalb jener realhistorischen, politisch-juridischen Legitimationsdiskurse und –praktiken wieder, die in der Vergangenheit und Gegenwart über einen vollständigen oder partiellen staatsbürgerlichen Ausschluss bestimmter Personen verfüg(t)en. Die hier vorgestellten politischen Philosophen theoretisierten also weder im geschichtslosen Raum, noch können die hier untersuchten Staats-/Bürgerschaftskonzeptionen einfach als bloße (misogyne oder heteronormative) ‚Ideen‘ oder ‚Erzählungen‘ abgetan werden. Ute Frevert und Erna Appelt zeigen beispielsweise in ihrer historisch-politiktheoretischen Genealogie der neuzeitlichen Institution der Staatsbürgerschaft auf, wie diese in Europa auf Basis androzentrischer Prämissen und somit dem systematischen und konstitutiven Ausschluss von Frauen verwirklicht wurde (Appelt 1999; Frevert 1995). Sie konstatieren in diesem Zusammenhang eine realhistorische „Vermännlichung der Stadt- und Staatsbürgerschaft“ in Europa, die „in dem Maße perfektioniert“ worden sei, „wie das kommunale Bürgerrecht immer eindeutiger als politisches Recht“ konzipiert wurde, also als Recht auf direkte oder indirekte Mitwirkung an politischen Entscheidungen und Herrschaft (Appelt 1999: 65; vgl. Frevert 1995: 80ff.). Diese Entwicklung mündete schließlich in die explizite rechtliche Festschreibung des Staatsbürgerschaftsstatus als ‚männlich‘ im Rahmen der Kodifizierung des Privatrechts (Allgemeines Preußisches Landrecht 1794, Code Civil 1804, Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch 1810) in zahlreichen europäischen Nationalstaaten (vgl. Appelt 1999: 70f.). Diese ‚Vermännlichung‘ korrespondierte freilich auch mit jener „Diskursivierung des Sexes“, dessen Wurzeln Foucault bereits im 17. Jahrhundert ansetzt und Isabell V. Hull mit der ‚Entdeckung‘ der „Bevölkerung“ als wirtschaftliche Kraft im Rahmen eines merkantilistischen bzw. frühkapitalistischen Staates in Zusammenhang bringt (Foucault 1983 [1977]; Hull 1988: 51ff.). Folglich ging in Europa ein „neue[s] Denken

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über sexuelle Dinge“ sowohl mit der historisch-ideengeschichtlichen Transformation von Organisations- und Wissensformen rund um den Staat85, das Politische sowie das Ökonomische86 einher als auch mit der schrittweisen Herausbildung einer neuen Klasse, dem Bürgertum (Hull 1988: 50).87 Im Konzept der Staats-/Bürgerschaft durchkreuzten und verdichteten sich nun diese unterschiedlichen Geschlechter-, Sexualitäts-, Körper und Staatsdiskurse in spezifischer Weise – der Staats-/Bürger wurde zum operativen Kern dieser Diskurse: Ihn galt es hervorzubringen, seine politische Legitimität am Körper und durch den Körper zu beweisen und seinen Status in Abgrenzung zum geschlechtlichen und sexuellen ‚Anderen‘ (der ‚Frau‘, dem ‚unzivilisierten‘, ‚sodomitischen‘, ‚besitzlosen‘ Nicht-Bürger etc.), zu konstituieren und zu instituieren. Insofern darf, wie Engin F. Isin betont, keinesfalls davon ausgegangen werden, dass die Abjekte staatsbürgerlicher Exklusion in Vergangenheit und Gegenwart bereits vor dem Ausschluss (in dieser Form) existier(t)en, denn „the alterity of citizenship […] does not preexist, but is constituted by it“ (Isin 2002: 4).

85 Hier sei u.a. sowohl auf theoretische Kritik am absoluten, sich auf das Gottgnadentum stützenden feudal-ständischen Personenverbandsstaat im Rahmen der Vertragstheorien und des neuzeitlichen Naturrechtes verwiesen als auch auf die politischen Transformationen dieser Organisations- und Wissensformen im Übergang von einem vormodernen zu einem merkantilistischen (ca. 16.-18. Jahrhundert) bzw. liberal-demokratischen, nationalstaatlich organisierten (ca. ab dem 18. Jahrhundert) Verfassungs- bzw. Territorialstaat. 86 Hier sei auf den zunehmenden Wandel der Produktions- und somit sozialen Strukturen hingewiesen, welcher eine Entwicklung hin zur Etablierung haushaltsferner Lohnarbeit für den Markt impliziert. Die Erwerbsarbeit begann sich demnach zeitlich und räumlich vom Haushalt als früherer Wirtschafts- und Lebenseinheit zu lösen. Die daraus folgende Trennung von (unbezahlter) Hausarbeit und entlohnter Erwerbsarbeit entlang der vergeschlechtlichten Dichotomie privat/öffentlich zählt demnach zu den folgenreichsten Strukturveränderungen im Übergang zur Moderne. 87 Die komplexen Wechselwirkungen zwischen ‚politischen Sprachen‘ und Diskursen, ihre realhistorische Einbettung und jeweilige „gesellschaftliche Gestaltungskraft“ (Raphael 2006: 11f.) gelten aber nach wie vor als methodisch und theoretisch schwer zu erfassen, da politische Ideen an der Produktion „viele[r] verschiedene[r] Geschichten“ und „an der Schöpfung und Verbreitung von Sprachen in vielen verschiedenen Kontexten beteiligt“ waren/sind (Pocock 2010b: 151). Vgl. dazu insbesondere die Beiträge in dem Sammelband Raphael/Tenorth (2006).

170 | P ERVERSE BÜRGERINNEN „The closure theories that define citizenship as a space of priviledge for the few that excludes other neglect a subtle but important aspect of citizenship: that it requires the constitution of these others to become possible.“ (Ebd.)

Die Konstituierung von Zonen legitimer bzw. intelligibler Staats-/Bürgerschaft(en) kann somit historisch und diskurstheoretisch mit der Etablierung einer ‚Zone der Verworfenen‘, der Nicht-Bürger/-innen, der ausgeschlossenen, abnormalen, ausgegrenzten also der gleichsam „entlegitimierten Körper“ in Zusammenhang gebracht werden. Diese fungier(t)en als konstitutive Spiegel oder Zerrbilder, als Abjekte dieser Intelligibilität (Butler 1995: 40). Im Kontext meiner Forschungsfrage ist somit von besonderer Relevanz, welche Kriterien und Bedingungen die Zone(n) intelligibler Staats-/Bürgerschaft ein- und begrenzen und welche Raster der Intelligibilität sich in Hinblick auf Körper, sexuelle und geschlechtliche Normen daraus rekonstruieren lassen. Jene Kriterien können also gleichsam als die Voraussetzung dessen analysiert werden, dass ein Körper ein legitimer und handlungsfähiger Staats-/Bürgerkörper werden kann. Denn hat ein „Körper den Status der Intelligibilität“ inne, dann bedeutet dies „stets auch seine gesellschaftliche Sichtbarkeit; er ist wahrnehmbar im öffentlichen Leben, von politischer Gewichtigkeit, er ist ein Jemand, der mitmachen und mitmischen kann“ – in diesem Falle ein Staats-/Bürger, der über den Status der politischen Mitgliedschaft und Teilhabe an Herrschaft verfügt (Ludewig 2002: 189f.; Hervorh.i.Org.). Körper von politischem Gewicht: Inklusionswürdige Staatsbürger Mir geht es demnach weniger um die Frage, wer aufgrund vermeintlicher(!) askriptorischer Merkmale (z.B. des ‚Geschlechts‘) theoretisch vom Status der Staats-/Bürgerschaft ausgeschlossen werden sollte oder historisch ausgeschlossen wurde, sondern welche performativen (Subjektivierungs-)Anforderungen den Staats-/Bürgerschaftskonzepten selbst zugrunde liegen: Welche (sexuellen) Subjekte/Menschen sollen bzw. mussten die Individuen werden, um als Staatsbürger(innen) anerkannt zu werden? Im Rahmen einer derartigen Perspektive rückt freilich die Konstitution, Produktion und Instituierung eines/einer spezifischen inklusionswürdigen und erst dann mit Rechten ausgestatteten Staats-/Bürgers ins Zentrum der Untersuchung. Der als intelligibel konstituierte Staats-/Bürger ist daher in doppelter Weise in dieses gouvernementale Wechselspiel eingebunden – einerseits kann er als das Produkt disziplinierender, regulierender und subjektivierender Techniken dechif-

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friert werden, zum anderen muss er als ‚souverän-autonom-rationales‘ politisches Subjekt dieser Macht diese gleichsam gegen/auf sich selbst richten (vgl. Ludwig 2011). Die produktive und performative Macht der hier beschriebenen Staats-/Bürgerschaftskonzepte liegt demnach gerade darin, dass sie an diesem Scharnier der Subjektivierung und Selbst-/Regierung von Individuen ansetzt und alle mit diesem Status verbundenen ‚Rechte‘ und ‚Leistungen‘ eine Art der ‚freiwilligen Unterwerfung‘ erfordern und voraussetzen. Insofern suggerieren diese Konstruktionen intelligibler Staats-/Bürgerschaft, dass sich der Staats-/Bürger über spezifische Subjektivierungstechniken und im Rahmen bestimmter Disziplinen und Regulationen (z.B. durch den rationalen Vertragsschluss) selbst als ‚politisches Subjekt‘ er-schaffen kann, wenn er über die entsprechenden „physischen“ und „virtuellen“ Attribute verfügt bzw. diese sich entsprechend aneignet (vgl. Stone 1994). Der „politically intelligible citizen“ setz(t)e sich somit, wie Allucquére Rosanne Stone betont, aus zwei wesentlichen Teilen zusammen, wenngleich beide untrennbar miteinander verwoben sind: „[O]ne is the collection of physical attributes that […] the culturally intelligible body; the other is the collection of virtual attributes that, taken together, compose a structure of meaning and intention for the culturally intelligible body. Taken together, these two broadly defined elements compose a citizen who is socially apprehensible – who fits the cognitive criteria. […] A socially apprehensible citizen is a collection of physical and discursive elements. Although the physical elements possess a special and bounded order of reality […] the remainder of the citizen – by far the greater part, the part that is also concerned with the production of meaning of the physical part – is discursive. The discursive part of the package, including meaning ascribed to the physical body, is produced by means of inscription […].“ (Stone 1994: 181f.; Hervorh. C.K.)

Die Wirkmächtigkeit historisch-philosophischer Staats-/Bürgerschaftskonzepte kann folglich in der Deutungsmacht von politischer Intelligibilität und den jeweils dafür erforderlichen „physischen“ und „diskursiven“ Kriterien und Bedingungen ausgemacht werden. Gleichzeitig werden in diesem Kontext auch die ökonomischen und sozialen Rahmenbedingungen für die Herausbildung dieser „physical“ und „virtual attributes“ abgesteckt: Ein intelligibler Staats-/Bürger zeichnet sich nicht nur durch einen, ‚weißen‘, körpermorphologisch-männlichen Körper und den entsprechenden Habitus aus, sondern es geht jeweils auch um die Ein- und Ausübung dieser „attributes“ im Rahmen spezifischer ökonomischer Eigentumsverhältnisse sowie sexuell vergeschlechtlichter Beziehungsformen im Feld des Privaten sowie des Öffentlich-Politischen.

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Die Materie und das Selbst: Er verfügt über eine weiße, phallische und autonom-kohärente Männlichkeit Diesem Abschnitt liegt die Frage zugrunde, welche ‚Diskursregeln‘ in Bezug auf die Körper der Staats-/Bürger postuliert werden können: Wie muss ein Körper auf der Ebene der Materie modelliert und konfiguriert sein, um als intelligibler Staats-/Bürgerkörper den Status politischer Mitgliedschaft zu erhalten? Freilich ist die Erkenntnis, dass das neuzeitliche Konzept der Staats-/Bürgerschaft trotz dessen universalistischen Gleichheitsanspruches eine androzentrische Konstruktion darstellt und dass die, in dieser Arbeit vorgestellten, neuzeitlichen Vertragsbzw. Staats-/Bürgerschaftstheoretiker ausschließlich (besitzenden) Männern als ‚Väter‘ (Hobbes) oder ‚Brüder‘ (Locke, Rousseau, Kant) politische Handlungsmacht zusprachen und damit als inklusionswürdige Staats-/Bürger betrachteten, spätestens seit dem 17. Jahrhundert Teil (früh-)feministischer, frauenbewegter bzw. intellektuell progressiver Kritik: Die Intellektuelle und Philosophin Mary Astell (1666-1731) legte bereits im 17. Jahrhundert eine ausgereifte Kritik an den Vertragstheorien von Thomas Hobbes und John Locke vor, in der sie besonders die geschlechtliche Ungleichheit im Heiratsvertrag sowie die Verweigerung der politischen Freiheit für Frauen problematisierte. Es folgten in der (europäischen) Geschichte weitere (bis heute marginalisierte) politische Philosophinnen, Intellektuelle und Aktivistinnen, wie u.a.(!) Olympe de Gouges (1748-1793), Mary Wollstonecraft (17591797), Sophie de Condorcet (1764-1822), Claire Démar (um 1800-1833), Flora Tristan (1803-1844), Harriet Taylor Mill (1803-1844), welche die politische Ungleichheit zwischen Männern und Frauen anfochten und die neuzeitlichen politischen Theorien, Philosophien und Praktiken in ihrer Ambivalenz für Frauen, die eben nicht als Teil der bürgerlichen Freiheit, Brüderlichkeit und somit politischen Gemeinschaft konzeptionalisiert wurden, kritisierten. Auch innerhalb der unterschiedlichen Strömungen der (sogenannten) ‚Ersten‘ Frauenbewegungen mit ihrer Vielfalt an Ansichten und Kritiken wurde der Status von Frauen als unmündige Bürgerinnen, Ehefrauen und Arbeiterinnen in der Mitte/zu Ende des 19. Jahrhunderts problematisiert und u.a. die ‚Männlichkeit‘ des Staatsbürgerschaftsstatus, der Frauen nur eine Appendixrolle in der Privatheit zuweist, durch die Forderung nach dem passiven und aktiven Stimmrecht angegriffen. Und schließlich entwickelten sich im Rahmen der ‚Zweiten‘ Frauenbewegungen die feministischen Wissenschaften, die jene fundierten Analysen des androzentrischen Kerns neuzeitlicher Staats-/Bürgerschaftstheorien hervorbrachten, welche die wertvolle Grundlage dieser Forschungsarbeit darstellen.

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In Abgrenzung, aber auch in gleichzeitiger Bezugnahme auf diese Erkenntnisse, möchte ich in meiner Forschungsarbeit jedoch dafür plädieren, Männlichkeit nicht als vor-kulturelles Kriterium eines intelligiblen Staats-/Bürgerschaftsstatus zu betrachten, sondern den Blick auf die Materialisierung und Herstellung von (körpermorphologisch-eindeutiger) ‚Männlichkeit‘ im Kontext dieser Diskurse, Praktiken und Modelle zu richten (vgl. Butler 1995). In dieser Perspektive geht es demnach nicht mehr um die Frage, inwieweit ‚Männlichkeit‘ als (vermeintlich) askriptives Merkmal in das Raster staatsbürgerlicher Intelligibilität eingeht, sondern wie diese in einer spezifischen Form selbst erst hervorgebracht werden muss/te. Eine spezifische Form der ‚Männlichkeit‘ wird daher als Voraussetzung und Effekt des Einschlusses erst produziert, durch performative Praxen stabilisiert und immer wieder neu eingesetzt. In Rekurs auf einen de-/konstruktivistischen Geschlechterbegriff gehe ich also davon aus, dass sich Körper niemals unabhängig von ihrer sozio-kulturellen Form materialisieren, diese Form aber zugleich auch konstitutiv für die Materie selbst ist. Für Judith Butler stellt sich Materie in einem Prozess der „Materialisierung“ her, „der im Laufe der Zeit stabil wird, sodaß sich die Wirkung von Begrenzung, Festigkeit und Oberfläche herstellt, den wir Materie nennen“ (Butler 1995: 32). In Folge von Diskursen und ihrer performativen Zitation konstituiert sich Materie als „eigenlogische Gestalt“ oder „Morphe“ und wird damit erschaffen (Villa 2003: 77). „Die Materie des Körpers wird neu gefasst als die Wirkung einer Machtdynamik, so daß die Materie der Körper nicht zu trennen sein wird von den regulierenden Normen, die ihre Materialisierung beherrschen, und von der Signifikation dieser materiellen Wirkungen.“ (Butler 1995: 22)

Insofern schlossen Hobbes, Locke, Rousseau und Kant nicht einfach ‚Frauen‘ vom Staats-/Bürgerschaftsstatus aus, sondern sie konstituierten bestimmte ‚Merkmale‘ und ‚Bedingungen‘ des Ein- bzw. Ausschlusses, welche gleichsam erst Geschlecht auf eine spezifische Art definierten. Hobbes, Locke, Rousseau und Kant konfigurierten Geschlecht damit auf eine ganz bestimmte Art und Weise im Rahmen zeitgenössischer Geschlechterkontroversen, -unstimmigkeiten und historischen „Umbruchphasen des politischen Denkens“ (Rauschenbach 2004: 2). Die geschlechtliche Systematisierung und Kategorisierung ist daher dem Prozess der Staats-/Bürgerkonstitution nicht vorgängig, sondern sie ist wesentlicher Teil dieses Prozesses. Bestimmte Morphologien werden somit erst als ‚natürliche Materialität‘ des Geschlechts bzw. Staats-/Bürgerkörpers intelligibel:

174 | P ERVERSE BÜRGERINNEN „[D]er Körper wird zu einem Geschlechtskörper, indem bestimmte Normen somatisiert werden. [...] bestimmte Körperöffnungen und Durchlässigkeiten [werden] als natürlich weiblich konfiguriert und im Zuge von Vergesellschaftungsprozessen somatisiert. Und dadurch wird auch der Penis zum Symbol (oder Synekdoche) für Männlichkeit; er wird zum Phallus [...].“ (Villa 2001: 229)

Der Prozess staats-/bürgerlicher Subjektkonstitution erweist sich somit als phallogozentrisch (Irigary 1979; Butler 1995). Denn durch die Privilegierung der Beziehung des „Meistersignifikanten“ Phallus mit dem Penis konstituiert sich eine Theorie der männlichen politischen Subjektivität, in der ‚das Weibliche‘ als Matrix der Abgrenzung fungiert, auf der sich der Staats-/Bürgerschaftsstatus errichtet. Bestimmte Organe, Eigenschaften oder Tätigkeiten, werden so zu Symbolen oder Zeichen für Männlichkeit und aus dem Penis ein Phallus. Gleichzeitig konstituiert sich das (politische) Subjekt erst über diesen identifikatorischen Prozess mit dem jeweiligen Körperbild: Der Körper will den Phallus annehmen (= weibliche Identifizierung) oder kommt dahin, den Phallus haben zu wollen (= männliche Identifizierung). Phallogozentrismus bedeute folglich die Einführung „geschlechtlich konnotierter Hierarchisierung“ in sämtliche Prozesse der (eben auch staats-/bürgerlichen) Bedeutungsproduktion, in der jedoch die Sexualität/das Begehren als wesentliches Konstitutionsmoment des Geschlechts eine zentrale Rolle spielt (Engel 2002: 106). Die Differenz zwischen dem Lacan’schen „Phallus sein“ und „Phallus haben“, also die „asymmetrische Relationalität“ (ebd.: 104) dieses Geschlechterverhältnisses, beruht nicht zuletzt auf der Definition des Phallus-Haben-Wollendenden als aktiv, stark, aggressiv und penetrierend und der Phallus-Sein-Wollenden als passiv, schwach, keusch (oder unterworfen) und penetriert. Und somit wird, „die männliche Morphologie u.a. dadurch konfiguriert, dass sie Undurchdringlichkeit bedeutet“ (Villa 2001: 161) oder wie es Shane Phelan ausdrückt: „[T]he citizen body is [...] phallic in its invulnerability“ (Phelan 2001, 41). Phelan spricht folglich auch von „phallic citzenship“ (Pehlan 2001). Die ‚Frauen‘ und ‚Männer‘, welche Hobbes, Locke, Rousseau und Kant im Sinn hatten, wenn sie von Staats-/Bürgern und ihren (Ehe-)Frauen sprachen, existierten demnach nicht schon als ahistorische Entitäten, sie sollten/mussten im Gegenteil als solche erst hergestellt, benannt und angerufen werden. Die Konstruktion einer entsprechenden staatsbürgerlichen physis oder morphe (sowie ihr ‚Anderes‘) kann damit selbst zu einem zentralen Kern neuzeitlicher Staats-/Bürgerschaftskonzeptionen dechiffriert werden, wenn es darum geht „identifizierbare, feststellbare, stabilisierbare, vorstellbare, repräsentierbare und untereinander gleiche“ Staats-/Bürger Subjekte zu schaffen (Derrida 2002: 47). Die von mir

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untersuchten Staats-/Bürgerschaftskonzeptionen können damit auch insofern als phallogozentrisch beschrieben werden, als dass auch hier eine spezifische privilegierte Beziehung zwischen Phallus und Penis abgeleitet wurde, der keinesfalls ‚natürlich‘ existiert/e, sondern erst im Rahmen eine Morphogenese erzählt und konstituiert werden musste – sei es durch die Sicherung des (sexuellen) Eigentums im Vertragsschluss, durch eine entsprechende rationale Regierung des eigenen Körper (self-ownership), durch entsprechende Geschlechtscharaktere und deren Einsatz beim sexuellen Akt, oder durch die entsprechende Verwendung der eigenen Vernunft-Moral. Hier wird also augenscheinlich, dass bei der Definition von Bedingungen und Kriterien staatsbürgerlicher Intelligibilität der Körper immer bereits als Teil diskursiver (Be-)Nennungspraxen existiert und es somit nicht (nur) um eine Kritik/Dechiffrierung geschlechtsstereotyper Zuschreibung geht (z.B. Männer sind rational/er), sondern um eine De-/Konstruktion jener diskursiv-narrativer Praxen, die spezifische Definitionen und Deutungen von (richtiger) ‚Männlichkeit‘ hervorbringen. Insofern darf auch keinesfalls vergessen werden, dass körpermorphologische Männlichkeit keineswegs als einzige Eigenschaft der Körpermaterie eines intelligiblen Staatsbürgerkörpers beschrieben werden kann, sondern dass die ‚Weißheit‘ bzw. das ‚nicht-kolonialisierte‘ dieses Körpers ebenfalls als Bedingung dieser Staats-/Bürgerschaftskonzeptionen gesetzt wurde. Diese Eigenschaft korrelierte freilich bei allen vier Theoretikern mit dem Besitz von Eigentum. Bereits in Hobbes und Lockes Vertragstheorien, aber besonders auch bei Kant wird somit deutlich, dass sie ihre Konzeptionen von Staats-/Bürgerschaft als exklusiv ‚weiße‘ Inklusionsinstrumente verstehen, da sie alle anderen Männer entweder als nicht über den entsprechenden Besitz oder die entsprechende Vernunft verfügend ausschließen (wollten) (vgl. Mills 1997). Während Hobbes und Locke noch die ‚kolonialisierten‘ und/oder ‚unzivilisierten Anderen‘ als Nicht-/Staatsbürgerbzw. Nicht-/Bürger fassten, weil (selbstverschuldet) im Naturzustand (verblieben), fundierte Kant bereits einen biologistisch-geopolitischen Rassebegriff88 (Kant 1839 [1775]; Kant 1839 [1785]; vgl. Mills 1997; Hund 2002). Mills89 zeigte dementsprechend auf, dass Kant ‚Rasse‘ als für ihn wesentliche anthropologische Bestimmung des Menschen auch zum zentralen Kriterium

88 Demnach entsteht eine ‚Rasse‘ aus einem Konglomerat von geographischen Umständen, ‚Anlagen‘ („Keime“), Entwicklungen und Vererbung (Kant 1839 [1775]). 89 Charles Mills analysierte, ähnlich wie Carol Pateman in ihrem „The Sexual Contract“ (Pateman 1988), inwieweit den Vertragstheorien ein „racial contract“ zugrunde liege (Mills 1997). Spannend ist hier die Analyse von Mills, wenn er davon ausgeht, dass

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für den Zugang zum Staatsbürgerstatus setzte. Das heißt, auch wenn der Staatsbürgerschaftsstatus bei Kant als prinzipiell für alle männlichen Besitzenden offen erscheint – sie müssen nur über die entsprechende „Selbstständigkeit“ und „bürgerliche Persönlichkeit“ verfügen – muss dieses Inklusionsversprechen vor dem Hintergrund seiner Fundierung eines kohärenteren Rassebegriffes 90 relativiert werden: „[F]ull personhood, for Kant is actually dependent upon race“ (Mills 2007: 71).91 Das heißt, auch wenn jemand über eine morphologische Männlichkeit verfügt, aber es sich dabei um einen ‚kolonialisierten Körper‘ han-

„the literal state of nature is reserved for nonwhites; for whites the state of nature is hypothetical“ (Mills 2007: 66). 90 Der Rassismusforscher Wolf D. Hund fasste Kants „Rassentheorie“, die Kant in unterschiedlichen Beiträgen und Vorlesungen zumeist in Zusammenhang mit seinen anthropologischen Überlegungen konstituierte, wie folgt zusammen: „Auf der untersten Stufe der Menschheit steht demnach das ‚Volk der Amerikaner‘. Ihnen fehlen sämtliche ‚Triebfedern‘ der Entwicklung. Sie sind ‚faul‘ und ‚nehmen gar keine Cultur an‘. Ihre ‚halb erloschene Lebenskraft‘ macht sie ‚zu schwach für schwere Arbeit‘, weshalb sie ‚noch tief unter dem Neger‘ rangieren. Die ‚Race der Neger‘ hat zwar ‚Triebfedern‘. Die reichen aber nur für eine ‚Cultur der Knechte‘. Einerseits bleiben sie deswegen ewig ‚Kinder‘, die ‚unfähig‘ sind, ‚sich selbst zu führen‘. Andererseits lassen sie sich aber abrichten, was, weil sie ‚stark‘ und ‚gelenkig‘ sind, zwar erfolgversprechend, weil ‚alle Neger stinken‘, aber nicht leicht ist. Ihnen gegenüber nimmt die ‚hindistanische Rasse‘ der ‚Hindus‘ oder ‚Indianer‘ schon ‚Bildung im höchsten Grade an‘. Weil die aber ‚niemals zu abstrakten Begriffen‘ führt, bleiben sie ‚immer Schüler‘. Das zeigen auch die ‚Zigeuner‘, die ‚ihrem Abstamme nach Indier sind‘ und in Europa ‚niemals einen zu ansässigen Landanbauern oder Handarbeitern tauglichen Schlag abgeben wollen‘. Dagegen verfügt die ‚Race der Weißen‘ über ‚alle Triebfedern und Talente‘. Sie hat ‚alle Anlagen zur Cultur und Civilisierung‘. Ihre Mitglieder sind die einzigen, ‚welche immer in Vollkommenheit fortschreiten‘ und so die Entwicklung der menschlichen Kultur verbürgen. Deren Erfolge sind ‚immer von den Weißen bewirkt worden und die Hindus, Amerikaner, Neger haben niemals daran Theil gehabt‘.“ (Hund 2002: 31) 91 Als wegweisend gelten hier besonders Kants 1775 erschiene Schrift „Von den verschiedenen Racen der Menschen“ (Kant 1839 [1775]) sowie seine 1785 publizierte „Bestimmung des Begrifs einer Menschenrace“ (Kant 1839 [1785]). Kant geht zwar davon aus, dass alle Menschen zu „einer und derselben Naturgattung“ gehören, aber er bezeichnet „Neger“ und „Weiße“ als „zwei verschiedene Racen“ (Kant 1839 [1775]: 315f.). Darüber hinaus hält er die „weißen“ Bewohner/innen der „alten Welt“ als am wenigsten ‚entartet‘ von der ‚Urrasse‘ (ebd.: 329f.).

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delt, dann verfehlt dieser aufgrund der rassialisierten Konstruktion dieses Körpers als hypermaskulin, als irrational-instinktgeleitet oder effemiert-verweiblicht die Intelligibilitätsanforderungen (Phelan 2001; vgl. Stoler 2003; McClintock 1995). „The hypermasculine body“ ebenso wie der effemierte Körper seien demnach das Ergebnis von „too much corporeality“ und verlieren damit ihre Autorität als intelligible Staats-/Bürgerkörper (Phelan 2001: 44).92 Phallische Männlichkeit zeichnete sich somit nicht einfach ‚nur‘ durch Aktivität aus, sondern auch durch rationale Selbst-Kontrolle, durch Selbstdisziplin und durch (moralische, politische) Autonomie. Und diese Eigenschaften wurden nicht nur Frauen, sondern auch den als ‚hypermaskulin‘ und ‚hypersexuell‘ konstruierten ‚nicht-weißen‘ Männern abgesprochen.93 Unter ‚Autonomie‘ kann im Sinne Kants folglich jene Eigenschaft verstanden werden, die eine (männliche) Person notwendigerweise besitzen muss, um einen ‚aktiven Staatsbürger‘ verkörpern zu können (Kant 2007b [1797]). „Bürgerliche Selbstständigkeit“ bezog er damit nicht bloß auf die (materielle) Handlungsfreiheit, sondern auf die Fähigkeit der Menschen/Männer, durch den Einsatz der Vernunft frei und damit moralisch handeln zu können (Löchel 2006: 64). Sein Körper, seine Handlungen und seine ‚Instinkte‘ und ‚Leidenschaften‘ müssen sich also unter seiner eigenen Kontrolle befinden. Rousseau leitete etwa die Rolle der Staatsbürger aus der Autonomie der Männer ab, die sich anstelle des Instinktes als fortgeschrittene Eigenschaft im Gesellschaftszustand entwickle und somit jeder Handlung eine moralische Verpflichtung verleihe (Murmann

92 Im 19. Jahrhundert lässt sich dann eine ähnliche Argumentationsweise freilich auch in Bezug auf die Typologisierung und politische Beurteilung von ‚männlicher Homosexualität‘ nachverfolgen (siehe dazu Kapitel 2). Insofern geht es hier also um eine bestimmte oder ‚relationale‘ Männlichkeit, die nur bedingt mit einem askriptiven Verständnis von Geschlecht zu fassen ist. 93 Neben dieser konkreten Manifestation rassistischer/rassialisierender Geschlechterund Sexualitätskonstruktionen muss freilich die gesamte koloniale Verortung und Logik der untersuchten Texte betont werden. Das heißt, die Staats-/Bürgerschaftskonzeptionen von Hobbes, Locke, Rousseau und Kant machen erst vor dem Hintergrund ihrer kolonialen und eurozentristischen Verortung ‚Sinn‘ und waren damit wesentlich an der politischen Konstituierung/Erfindung ‚rassischer‘ und ‚ethnischer‘ Differenz gegenüber den ‚Kolonialisierten‘ als (quasi ‚natürliche‘) Voraussetzungen eines intelligiblen Staats-/Bürgerskörpers beteiligt.

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2000: 29f.). Die ‚innere Autonomie‘ des Subjekts94 wurde somit im Rahmen der Rousseau’schen und von Kant weitergeführten Demokratisierung der Staatsbürgerschaft zur Grundlage der politischen Autonomie im Sinne einer Teilnahme an der Gesetzgebung – der autonome Staatsbürger ist Souverän der Gesetze, er ist im eigentlichen Sinn des Wortes ‚selbst gesetzgebend‘95. Die Ausübung politischer Herrschaft wird somit auf die Verwirklichung der (politischen) Autonomie durch die Staatsbürger zurückgeführt. Die „Autonomie ist also nicht mehr nur die freie, d. h. unbehinderte Einzelhandlung, sondern sie ist das Vermögen, sich im wahrsten Sinne des Wortes selbst unbeschränkt, d.h. ohne Rücksicht auf göttliche oder soziale Ansprüche, Gesetze und Regeln aufzuerlegen“ (Nonhoff 2000: 6). Autonomie ist demzufolge auch untrennbar mit der Wahrnehmung von sich selbst als handlungs- und willensfreies Individuum verbunden. Dem liegt wiederum die Annahme einer kohärenten, stabilen und ontologischen Entität des Körpers zugrunde, welche auch als ‚Identitätsprinzip‘ beschrieben werden kann, und seine theoretische Fundierung im Locke’schen Konzept von self-ownership und in Kants Entwurf einer moralisch-vernünftigen-transzendentalen ‚bürgerlichen Persönlichkeit‘ gefunden hat. Das Identitätsprinzip bezieht sich demnach auf „die im Symbolischen, Gesellschaftlichen und Psychischen normativ wirksame Vorstellung einer selbstidentischen, stabilen, definierten Entität“ und fungiert gleichsam als „Modus der Subjektkonstitution“ (Engel 2002: 103). Diese Idee von Kohärenz verquickte sich im Rahmen des geschlechter- und sexualitätstheoretischen Paradigmenwechsels im 18. Jahrhundert – und dies wird bei Rousseau und Kant deutlich – mit einer zunehmenden ‚Somatisierung‘ und ‚Anthropologisierung‘ von Kohärenz und Differenz: Der Körper wird zum ‚Wahrheitsreferenten‘, zum „unveränderlichen und unveränderbaren menschlichen Grund“, auf dem eine kohärente Identität „aufgerichtet wie besessen werden kann“ (Hark 1999a: 88). Die Materie des Körpers muss sich folglich als autonom-kohärent konstituieren, um politische Subjektivität zu erlangen und damit als Staats-/Bürgerkörper intelligibel zu werden. Kohärenz kann sich jedoch wiederum nur im Kontext von Verwerfungsprozessen und somit im Rahmen einer Markierung einer hierarchisierenden Differenz zu einem ‚Anderen‘ konstituieren (vgl. Butler 1995). Damit wird also eine Heteronomie ‚des/der Anderen‘ gleichzeitig zur Konstitutionsbedingung der Autonomie und Kohärenz des Staats-/Bürgers – sei

94 Für Hobbes und Locke kann in diesem Kontext eher von einer ‚inneren Souveränität‘ (u.a. in Bezug auf den Besitz, die eigene Freiheit, das eigene Leben) gesprochen werden. 95 Altgriech. autonomía: sich selbst Gesetze gebend.

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es die der ‚Frauen‘, der Nicht-Besitzenden, der Nicht-Vernünftigen oder der ‚Unzivilisierten‘. Das Begehren: Er penetriert heterosexuell im Rahmen einer asymmetrischen Geschlechterdifferenz Mit der Frage nach den Kriterien einer Staatsbürger-Intelligibilität im Bereich des Begehrens und der Sexualität intendiere ich hier keineswegs eine Untersuchung tatsächlicher intrinsisch motivierter bzw. ontologisch begründeter Dispositionen und Handlungen eines Körpers bzw. des Begehrens. In Bezugnahme auf Michel Foucault und Judith Butler geht es hier vielmehr darum, einige der zentralen diskursiven (Handlungs-)Normen und Diskursregeln für den Sex bzw. die Sexualität/das Begehren eines intelligiblen Staats-/Bürgers freizulegen. Interessant ist hier freilich, dass Staatsbürgerschaft innerhalb der aktuellen queeren Forschungsliteratur zwar als Konzept beschrieben wird, dem eine (naturalisierte) Annahme von Heterosexualität zugrunde liege, diese Heterosexualität jedoch bisher entweder nur ungenügend untersucht oder nicht näher spezifiziert wurde (Richardson 2000: 75; vgl. Bell/Binnie 2000). Auf der Basis meiner vorangegangenen Analyse möchte ich dementsprechend die Intelligibilitätskriterien im Bereich der Sexualität/des Begehrens auf drei Bedingungen verdichten: Diese betreffen und definieren den Ort des Sexes, die ihm zugrunde liegende soziale Beziehung sowie seine unmittelbare Form und Art der Durchführung. Der Sex eines intelligiblen Staats-/Bürgers zeichnet sich folglich einmal durch den entsprechen Ort und den strukturellen Kontext aus, in dem sich die Sexualität bzw. das Begehren äußern soll: Wie im Rahmen der vorangegangenen Analysen deutlich wurde, kann sich mit der Hobbes’schen Konstitution einer de-politisierten, sexualisierten ‚Häuslichkeit‘ bzw. ‚Privatheit‘ die Lust und das Begehren des Staats-/Bürgers als umhegte, ‚gesicherte‘ (Hetero)Sexualität etablieren, die nun die (vermeintlich) (entsexualisierte) Rationalisierung der Sphäre des Politischen ermöglicht. Die (vermeintliche) De-Sexualisierung politischer Herrschaft kann somit auch als strukturelle Grundlage für die Ergänzung des neuzeitlichen Allianzdispositivs um das Sexualitätsdispositiv gelten, da nun die häusliche Privatheit zum privilegierten Ort von (Hetero-)Sexualität mutieren konnte und so die Begründung der staatlichen Souveränität in Abgrenzung zum klassischen Patriarchalismus unabhängig von ‚sexuellen Beziehungen‘ ermöglicht wurde. Darüber hinaus stellte, wie bei Locke deutlich wurde, die Möglichkeit einer ‚Deponierung‘ des begehrenden Körpers in der Privatheit erst die Konstitutionsbedingung für die (vermeintlich) ent-geschlechtlichte, rationale Sphäre der Politik dar. Die Herausbildung einer vergeschlechtlichten Vor-

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stellung von self-ownership kann somit als theoretische Legitimation dieser spezifischen Sphärentrennung und sexuellen Organisation verstanden werden. Die Bedeutung dieser vergeschlechtlichten Konzeption des Körpers und Begehrens für die Vorstellung und Konstituierung neuzeitlicher Staats-/Bürgerschaft beschreibt Shane Phelan (2001) wie folgt: „The opposition male/female is linked to mind/body, and citizens as rational beings are constructed not only as male, but as characterized only incidentally by bodies though curiously, it is their body that tells us in daily life that they belong to the class of persons for whom bodies are secondary. A variant of this position does not deny that men have bodies, but it denies that they are bodies. The contrast between male and female is not between embodied beings and disembodied minds, but rather ranks how much that embodiment affects their live. Male bodies are containers for minds that guide bodies, while female bodies overwhelm their minds.“ (Phelan 2001: 42; Hervorh. C.K.)

Der autonome Staats-/Bürger bedarf also der Sphäre der Privatheit, um sein „Recht auf […] sexuelle Selbstäußerung“ als „fast unentbehrliche Komponente der allgemeinen Entfaltung freier […] Staatsbürger“ einzufordern und auszuüben (Hull 1988: 55). Somit kann der Ort des staats-/bürgerlichen Sexes auch gleichsam als die Begrenzung dieser zwei Sphären identifiziert werden – dort wo der Staats-/Bürger das (sexuelle) Begehren (an/mit seinem ‚sexuellen Eigentum‘) lebt und somit der Körper des Staats-/Bürgers eingesetzt wird, beginnt das Private. Vor dem Hintergrund der geschlechtlichen Strukturierung dieser Sphären setzt die staatsbürgerliche Autonomie freilich Heterosexualität voraus – und zwar (bestenfalls) im Rahmen einer heterosexuellen Ehe. Nur wenn der sexuelle Akt im Rahmen der Ehe stattfindet, könne dem Staats-/Bürger, so die Kant’sche Diktion, seine gesamte (Menschen-)Würde und Persönlichkeit gewahrt bleiben, da er sich derart nicht zur ‚Ware‘ degradiere und damit auch nicht die Menschheit als Ganzes entehre. Wie aber insbesondere bei Rousseau deutlich wird, kann der Sex des Staatsbürgers nur dann seine positiven und moralisierenden Effekte für das politische Gemeinwesen entfalten, wenn die Ehe nach den Regeln einer asymmetrischen Geschlechterkomplementarität gestaltet sei.96 Die politische Bedeutung von Hierarchie für die Gestaltung dieser ehelichen (Vertrags-)Beziehung kann aber auch schon bei Hobbes nachverfolgt werden, wenngleich dieser

96 Dieses theoretische Plädoyer für die politische Funktionalität einer Ehe hatte auch seine realhistorische Entsprechung, begann doch im 18. Jahrhundert eine etappenweise Verallgemeinerung der Ehe für alle Schichten (vgl. Hull 1988: 54f.).

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sich zur Legitimierung der geschlechtlicher Ungleichheit (noch) nicht auf ‚Geschlechtscharaktere‘ berief. Für ihn war eine geschlechtliche Asymmetrie vornehmlich instrumentell-funktional für die Sicherung der staatlichen Ordnung. Auf Basis einer genealogischen Herangehensweise kann hier freilich der Schluss gezogen werden, dass Heterosexualität in ihrer politischen Verschränkung mit Staatlichkeit und Staats-/Bürgerschaft nicht ausschließlich als Sexualität zwischen zwei Geschlechtern oder morphologisch-unterschiedlichen Körpern gefasst werden kann, sondern als explizites Herrschafts- und Hierarchieverhältnis definiert werden muss, dem zentrale politische Funktionen zugeschrieben wurden. In diesem Kontext wird also auch die Bedeutung von Hetero-/Sexualität als zutiefst politische Kategorie ersichtlich, die historisch und ideengeschichtlich freilich stets mit anderen sozialen Ordnungsprinzipien, Deutungsmustern und Strukturkategorien korrelierte (vgl. Wittig 1992c [1982]; Rich 1989 [1980]). Nicht zuletzt sprach auch Monique Wittig von einem „heterosexual contract“, um damit die der neuzeitlichen Vertragsidee zugrunde liegende (hetero-)sexuelle Vergeschlechtlichung der Menschen zu benennen (Wittig 1992a [1989]: 34). Diese hierarchisch gefasste Heterosexualität als Grundlage der (ehelichen) Geschlechterkomplementarität soll sich nun, wie bei Rousseau und Kant deutlich wurde, auch in der unmittelbaren Form und Art der sexuellen Praxis niederschlagen: Der „Koitus“ wird demnach zum „normative[n] Ideal der heterosexuellen Begegnung“ – der „nach außen gerichtete, aktive, begehrende“ (männliche) Staats-/Bürger penetriert die „verletzliche, nach innen gerichtete, passive Frau“ (Ott 1998: 163f.) Heterosexualität kann demnach als eine verdeckte, aber äußerst voraussetzungsvolle Schattenstruktur intelligibler Staats-/Bürgerschaft theoretisiert werden. Das durch die (male/mainstream) politische Theorie und Ideengeschichte produzierte Oxymoron, wonach Staats-/Bürgerschaftskonzepte eben gerade nichts mit der in die Sphäre der Privatheit verorteten Sexualität zu tun hätten, erweist sich damit offensichtlich als irreführend, da hier exemplarisch anhand der Theorien von Hobbes, Locke, Rousseau und Kant gezeigt wurde, dass (Hetero-)Sexualität als ein zentraler „determining factor“ staatsbürgerlicher Intelligibilität betrachtet werden kann (Lister 2002: 191). Der Staats-/Bürger, wie er sich in den Theorien von Hobbes, Locke, Rousseau und Kant präsentiert, ist demnach immer ein „sexual citizen“, woraus auch folgende Einsicht folgt (Bell/Binnie 2000): „[A]ll citizenship is sexual citizenship, in that the foundation tenets of being a citizen are all inflected by sexualities. Indeed, many of the ways in which citizenship discourses operate can be read as discourses around the ‚sexing‘ of citizens.“ (Ebd.: 10)

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Ein intelligibler Staats-/Bürger ist daher vor allem gerade nicht das, was als (sexuelles) ‚Anderes‘, als Abjekt, als Krankheit, Unordnung, Ausschweifung zurückgewiesen werden muss. Er entsteht somit auch durch den Prozess der Zurückweisung des „scary sex“ eines „citizen perverts“ und somit durch die Zitation der entsprechenden sexuellen und geschlechtlichen Grenzen (vgl. Bell 1995: 146f.). Daraus ergibt sich die Einsicht, dass die Sexualität des Staats-/Bürgers eine zentrale Scharnierfunktion der eigentlichen staatsbürgerlichen Intelligibilität ausübt. Denn wenn der individuelle Staats-/Bürgerkörper zu einem „undisziplinierte[n] Körper“ in Bezug auf seine Sexualität wird, hat seine „ausschweifende, pervertierte Sexualität“ Auswirkungen auf den Staatskörper selbst (Foucault 2010 [1976/1979]: 76). Das Leitmotiv: Sein Handeln und Denken basiert auf rationalmoralischen und produktiven Grundsätzen Die dritte Analyseebene dieses Abschnittes bezieht sich auf die Motive des Handelns und Denkens eines intelligiblen Staats-/Bürgers: Welche Motivation muss diesem Körper und seinen Handlungen zugrunde liegen? Freilich ist auch hier auf die Interdependenz dieser Analyseebene mit den anderen hier vorgestellten Intelligibilitätskriterien zu verweisen, den die rational-moralische Motivation des homo politicus entspringt sowohl aus seiner Materie ebenso wie sie sich über den Habitus/die Performanz gleichsam ausdrückt und sichtbar/wahrnehmbar wird. ‚Vernünftiges Handeln‘ ermöglicht in einem performativen Kreislauf damit erst die Konstitution eines autonom-kohärenten Staats-/Bürgerkörpers, der dazu befähigt ist, als ‚Wissender‘ über sich selbst, also selbstbestimmt im Sinne des Locke’schen self-ownerships zu handeln. Rationalität kann folglich auch als „Grundlage exklusiver Staatsbürgerschaftskonzepte“ analysiert werden, da über den (vermeintlichen) Besitz dieser Fähigkeit Exklusion und Inklusion reguliert werden (Appelt 2007: 128). Die Verbindung von Vernunft und Staats-/Bürgerschaft findet sich bereits bei Hobbes, geht doch der Vertragsschluss und damit die Gründung des „Leviathans“ aus der vernünftigen Entscheidung der Individuen hervor (ebd.: 129f.). „Die vernunftgeleitete Unterwerfung“ unter den „Leviathan“ sollte demnach „eine Rechtsgleichheit zwischen den männlichen Untertanen herstellen“ (ebd.: 129). Das vernünftige Handeln für sich selbst (Hobbes, Locke) oder für das politische Gemeinwesen (Rousseau, Kant) fungiert in dieser Denkart folglich als eine Art der Grenzmarkierung zwischen den Staats-/Bürgern und ihren (unvernünftigen) ‚Anti-Typen‘, den unterschiedlichen ‚Nicht-/Staatsbürger*innen’

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bzw. ,Nicht-/Bürger*innen‘, die sich vornehmlich durch eine Existenz als unproduktive ‚Körperwesen‘ auszeichnen. Auch wenn die Staats-/Bürger eines Hobbes, Locke, Rousseau und Kant durch ihren Vertragsschluss oder durch die Akkumulation von Eigentum ihre Rationalität und damit gleichsam ihre Eignung zum Staats-/Bürger bewiesen haben, erfordert ihr Status freilich eine permanente Zitation und Wiedereinsetzung dieser Vernunftkriterien als Grundlage ihrer besonderen Relation zur Staatsgewalt. Nicht zuletzt bezeichnete Ralf Dahrendorf die Staatsbürgerschaft daher als „institutionelle[s] Pendant zu Rationalität“, deren „soziale, ökonomische und politische Organisation […] von der Rolle des Staatsbürgers geprägt“ sei (Dahrendorf 2007: 99). Eine (individualistische, instrumentelle bzw. zweckrationale) Vernunftsauffassung verknüpften nun insbesondere die liberalen Staats/Bürgerschaftstheoretiker Hobbes und Locke auch mit einer ökonomischen Fundierung des Staats-/Bürgerstatus. Als Eigentümer ist dieser sowohl bourgeois als auch citoyen und damit ein gewinnmaximierendes, rational entscheidendes politisches und wirtschaftliches Subjekt. Denn seiner Agenda als Staats-/Bürger geht seine ökonomische Tätigkeit und Motivation – die Aneignung und Sicherung von (Privat-)Eigentum – eigentlich voraus; der intelligible Staats-/Bürger ist daher, so wird bei Locke besonders deutlich, ein produktiver Staats-/Bürgerkörper, d.h. ein Eigentum maximierender Körper. Gleichzeitig erklärte Locke ausschließlich körpermorphologisch-männliche und ‚weiße‘ Körper im ökonomisch-rationalen Sinn zu produktiven Körpern. Hobbes und Locke können dementsprechend auch als zentrale ‚Urväter‘ der androzentrischen, neoklassischen Metapher vom homo oeconomicus beschrieben werden. In republikanischer Tradition haben die Staats-/Bürger demgegenüber mehr die Produktivität des „labouring body“ (Phelan 2001: 51) zugunsten des Gemeinwohls des politischen Gemeinwesens im Sinn, wenn auch deren Vertreter ebenfalls (Selbst-)Besitz zur Grundbedingung einer ‚bürgerlichen Persönlichkeit‘ bestimmten. Der Habitus: Er denkt, handelt und gibt sich heterosexuellmaskulin und selbst-/diszipliniert Welches spezifische (und gleichzeitig inkorporierte) habituelle Verhalten zeichnet einen intelligiblen Staats-/Bürgerkörper aus? Welche vergeschlechtlicht sexuelle Performanz konstituiert ein staats-/bürgerliches Subjekt? Wie in den vorangegangenen Abschnitten deutlich wurde, genügt es keineswegs nur ein materieller Staats-/Bürger zu sein und die entsprechenden Bedingungen am Körper zu erfüllen, sondern der Status eines Staats-/Bürgers erfordert eine inkorporierende

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Einübung eines staats-/bürgerlichen Habitus, eine permanente Performanz (verinnerlichter) Körpertechniken entlang bestimmter (Diskurs-)Regeln (Bourdieu 1993; Bourdieu 2001 [1997]; Butler 1991; Butler 1995; Butler 1998). Der intelligible Staats-/Bürger zeichnet sich also durch eine „besondere Sichtweise“ auf die Welt aus, die sich in seinen unmittelbaren Handlungen, Äußerungen sowie Interpretations- und Beurteilungsmustern widerspiegeln (soll) (Engler 2004: 225). Demnach kann eine spezifische Begrenzung seiner möglichen Gedanken, Wahrnehmungen, Äußerungen und Handlungen sowie deren Ausrichtung im Rahmen eines Wahrnehmungs-, Interpretations- und Handlungsschemas zu einer zentralen Konstitutionsbedingung erklärt werden. Unter einem staats-/bürgerlichen Habitus wird hier jedoch vor dem Hintergrund einer Zusammenbindung mit dem poststrukturalistischen Performanzbegriff, keineswegs nur ein Prozess der aktiven Verkörperung begrenzter (kultureller) Möglichkeiten verstanden, der an der ‚Oberfläche‘ stattfindet, sondern eine ‚innere‘ „Somatisierung“ (Bourdieu 2001 [1997]: 219). Die Bedeutung dieser „Bildungs- und Formungsarbeit“ wird explizit bei Rousseau und seinem ‚pädagogischen‘ Konzept zur Heranbildung idealer Staats/Bürger und ihrer Ehefrauen deutlich (ebd.). Demnach zielte er nicht nur auf die Heranbildung eines spezifischen ‚Wissens‘ ab, sondern er hatte einen entsprechenden „kollektiven Prägungsprozess“ im Sinn, der, um die Worte Bourdieus zu verwenden, „eine dauerhafte Transformation des Körpers und der üblichen Umgangsweisen“ erwirken sollte (ebd.: 220). Gleichzeitig implizieren alle der hier analysierten Vertragstheorien ein ‚habituelles‘ „Wahrnehmungs-, Bewertungs- und Handlungsprogramm“ (ebd.: 221), das in dem Moment in Kraft tritt oder treten soll, in dem der Vertrag geschlossen wird und der ‚Staats-/Bürger‘ quasi ‚geboren‘ wird. Der Staats-/Bürger ist demnach nicht mehr dieselbe Person wie zuvor, sondern muss sich auf bestimmte Weise ‚verhalten‘, seinen Körper (und seine Leidenschaften) auf eine bestimmte Art einsetzen und verwenden. In Rekurs auf Michel Foucault kann hier freilich auch der Begriff der Disziplin eingeführt werden – vor allem wenn der staatsbürgerliche Habitus stärker im Kontext seiner politischen Rahmenbedingungen verortet wird. Die Disziplin fungiert demnach als vermittelnde Operation, um das vernünftig-moralische Verhalten, Denken und Wahrnehmen des Staats-/Bürgers im Sinne des und für das Gemeinwohl sicherzustellen. Stellte der „Leviathan“ noch durch seine absolute Macht über das Leben eine ‚Disziplinmacht‘ von außen dar, der sich die (männlichen) Menschen aus rational-egoistischen Gründen zur Sicherung ihres (sexuellen) Eigentums unterwerfen (sollen), kann mit Locke eine zunehmende ‚Verinnerlichung‘ der Disziplin im Sinne Michel Foucaults angesetzt werden (vgl. Foucault 1983 [1977]; Foucault 1989 [1973]; Foucault 2010a [1976/1979]).

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Bei Locke, Rousseau und Kant97 tritt demgegenüber stärker die ‚Erziehung‘ als Mittel für die ‚Verinnerlichung‘ von Disziplin in den Mittelpunkt – der Staats-/Bürger bringt sich demnach mit Hilfe der entsprechenden Erziehung als politisches Subjekt im eigentlichen Sinn des Wortes (selbst) hervor. Dies geschieht jedoch nicht durch das drohende Ungeheuer des „Leviathan“, sondern gleichsam ‚freiwillig‘, um die eigene ‚politische Freiheit‘ als Staatsbürger entsprechend einsetzen zu können, oder wie es Kant selbst in Form einer Frage formulierte: „Eines der größten Probleme der Erziehung ist, wie man die Unterwerfung unter den gesetzlichen Zwang mit der Fähigkeit, sich seiner Freiheit zu bedienen, vereinigen könne. […] Wie cultivire ich die Freiheit bei dem Zwange? Ich soll meinen Zögling gewöhnen, einen Zwang seiner Freiheit zu dulden, und soll ihn selbst zugleich anführen, seine Freiheit gut zu gebrauchen.“ (Kant 1803: o.S.)

Während bei Hobbes der Staats-/Bürger-Habitus also rund um die Begriffe der (im egoistisch-funktionalen Sinn etablierten) ‚Ordnung‘, ‚Unterwerfung‘ und ‚Einheitlichkeit‘ zirkulierend beschrieben werden kann, setzten Rousseau und Kant ein vergeschlechtlichtes (sexuelles) Verhalten, Denken und Wahrnehmen in den Mittelpunkt des Staats-/Bürger-Habitus als moralisch-vernünftiges Bewertungs- und Handlungsprogramm. Die Staats-/Bürger sollen folglich zu bestimmten (neuen) ‚Menschentypen‘ gemacht oder erzogen werden. Die habituelle Inkorporierung und Performanz spezifischer ‚männlicher‘ Geschlechtscharaktere wird ab diesem Zeitpunkt somit zum modus operandi und opus operatum intelligibler Staats-/Bürgerschaft. Die habituelle Performanz validiert somit nochmals die entsprechende staats-/bürgerliche Materie, macht sie aber gleichzeitig zum Ausgangspunkt einer spezifischen Weltsicht. Es ist damit ein Subjektivierungsprozess im eigentlichen Wortsinn. Diese Begrenzung bzw. Unterwerfung erfolgt jedoch gleichzeitig auf Basis eines (‚brüderlichen‘) Egalitätsprinzips, da

97 Kant beschrieb die Bedeutung der Erziehung in seiner Vorlesung über die „Pädagogik“ (Kant 1803). Hier wird besonders deutlich, dass er der „Disciplin“ besondere Bedeutung bei der Erhaltung, Weitergabe und Erziehung zur Moralität (zukünftiger) Staatsbürger beimaß: „Disciplin verhütet, daß der Mensch [Kant hat hier nur den Mann im Sinne, Anm. C.K.] nicht durch seine thierischen Antriebe von seiner Bestimmung, der Menschheit, abweiche. Sie muß ihn z. E. einschränken, daß er sich nicht wild und unbesonnen in Gefahren begebe. […] Disciplin unterwirft den Menschen den Gesetzen der Menschheit und fängt an, ihn den Zwang der Gesetze fühlen zu lassen. Dieses muß aber früher geschehen.“ (Ebd.)

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ein „einheitsstiftendes Erzeugungsprinzip aller Formen von Praxis“ die Gleichheit zwischen Staats-/Bürgern erst garantieren kann (Bourdieu 1982: 283). Der hier diskutierte Staats-/Bürger-Habitus kann damit als spezifische politische Ausprägung oder ideologische Verdichtung eines „männlichen Habitus“ von Bourdieu beschrieben werden, der sich im Feld des staatlichen Brüderbunds, einem „den Männern vorbehaltenen Raum […] konstruiert und vollendet“ (Bourdieu 1997: 203).98 Dieser Habitus funktioniert und basiert demnach auf einem spezifischen heterosexuell-geschlechtsasymmetrischen Deutungs-, Wahrnehmungs- und Handlungsmuster und ist folglich in einem größeren Kontext einer „hegemonialen Männlichkeit“ zu verorten (vgl. Connell 1999). Ein intelligibler Staats-/Bürger zu sein bzw. zu werden bedeutet folglich, sein ‚doing citizen‘ stets mit seinem/einem ‚doing gender‘ bzw. ‚doing masculinity‘ im Kontext geschlechtlicher Asymmetrie sowohl im Bereich der sozialen als auch der sexuellen Beziehungen zu verbinden. Damit fungiert der staats-/bürgerliche Habitus freilich als strukturierende Struktur, welche die Zone staats-/bürgerlicher Intelligibilität gleichzeitig begrenzt als auch hervorbringt und stabilisiert. Insofern lässt sich gerade anhand neuzeitlicher Staats-/Bürgerschaftsdiskurse der von Foucault beschriebene, historische Transformationsprozess in Europa von feudalistisch-absolutistischen ‚souveränen‘ Staatsmächten zur modernen bürgerlich-kapitalistischen Disziplinarmächten nachverfolgen. Auch innerhalb der Geschichtswissenschaft werden die historischen Versuche einer ‚Sozialdisziplinierung‘ von ‚oben‘ im Rahmen der Kirche(n) oder absolutistischer Staatsverwaltungen (z.B. mittels einer repressiven Disziplinierung durch die ‚Policey‘) und eine Form der produktiven Selbst-/Disziplinierung in einer Disziplinargesellschaft unterschieden (vgl. Schulze 1987). Nach Foucault setzte diese spezifische Selbst-/Disziplin am „Körper“ der Menschen an, „den man manipuliert und dressiert, der gehorcht, antwortet, gewandt wird und dessen Kräfte sich mehren“ (Foucault 1989 [1975]: 174). Entwickelte sich diese Disziplin zunächst an den Rändern der europäischen Gesellschaften bzw. im Rahmen vereinzelter Institution (z.B. in Gefängnissen, den absolutistischen Armeen), werden die „Disziplinen“ nach Foucault „im Laufe des 17. und 18. Jahrhunderts […] zu allgemeinen Herrschaftsformen“ (ebd.: 176).

98 In diesem Kontext sei auch auf die spätere Bedeutung des Militärs als Ort der Herausbildung und Stabilisierung eines männlich-staatsbürgerlichen Habitus verwiesen. Mit der Einführung der Wehrpflicht wurde in diesem Kontext eine neue Phase der männlichen Vergemeinschaftung eingeleitet – das Militär machte Männer demnach zu Staatsbürgern.

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Die Durchsetzung einer Disziplinargesellschaft korrespondierte historisch betrachtet folglich mit der Etablierung von Staats-/Bürgerschaft als androzentrischem politischem Status im Kontext des bereits beschriebenen geschlechterund sexualitätstheoretischen Paradigmenwechsels. Gerade weil die Disziplin am Körper ansetzte, wird dieser zur Grundlage für eine (vermeintliche) Rationalisierung politischer Mitgliedschaft im Rahmen eines androzentrischen Gleichheitspostulats – bestimmten Personen wurde die entsprechende „politische Anatomie“ für den Erwerb des Status der Staats-/Bürgerschaft abgesprochen (vgl. ebd.). Diszipliniert zu sein bedeutet in diesem Kontext damit auch, seinem Status als Staats-/Bürger gerecht zu werden und somit nicht wider die politische Gemeinschaft oder die (eigene) Vernunft zu handeln. Dafür sei nach Foucault im Rahmen von Disziplinargesellschaften jedoch weniger das ‚Recht‘ als eben die ‚Disziplin‘ in Form einer verinnerlichten Selbstdisziplinierung zuständig.99 Diese manifestierte sich auch besonders in Form von Diskursen und Erziehungsprogrammen zur Kultivierung der entsprechenden Pflichten und Tugenden eines ‚richtigen‘ oder ‚guten‘ Staats-/Bürgers. Bei Rousseau und Kant lässt sich darüber hinaus exemplarisch nachverfolgen, wie die Sexualität bzw. das (vergeschlechtlichte und rassifizierte) Sexuelle als Scharnier und Nahtstelle zwischen der Disziplinierung der Körper und dem Funktionieren des Staates in das Zentrum der Aufmerksamkeit einer Disziplinargesellschaft rückt: Der Staats-/Bürger schuldet demgemäß sich selbst, seinesgleichen und seinem politischen Gemeinwesen eine bestimmte Form der (sexuellen) Selbst-/Disziplinierung. Das Funktionieren des politischen Gemeinwesens wird also von der adäquaten Selbst-/Disziplinierung des Sexes der Staats-/Bürger als Träger, Garanten und Souveräne der Staatsgewalt abhängig gemacht. Seine politische Freiheit und Autonomie als Staats-/Bürger wird somit an seine eigene (sexuelle) Subjektivierung gebunden.

99 Für diese strukturelle Verstrickung zwischen Staat und den Techniken dieser Selbstdisziplinierung bzw. Selbstregierung verwendet Foucault den Begriff der „Gouvernementalität“ als semantische Zusammensetzung von Regieren („gouverner“) und Denkweise („mentalité“) (Lemke 2001: 108f.).

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S TAATS- /B ÜRGERSCHAFT ALS K ONSTITUTIONS - UND P RODUKTIONSMOMENT POLITISCHER I NTELLIGIBILITÄT – EIN VORLÄUFIGES R ESÜMEE Im Rahmen einer genealogischen und gouvernementalitätstheoretischen Herangehensweise stand in den vorangegangenen Überlegungen die Frage nach der Herstellung von inklusionswürdigen Subjekten und somit den Konstitutionsprozessen von (intelligiblen) Staatsbürger*innen im Zentrum der Betrachtung. Staatsbürgerschaft wurde hier freilich über seine enge formalrechtliche Definition hinaus als „a mode of governance […] [and] a way of ruling through techniques of inclusion, empowerment and recognition“ interpretiert und somit als Set sozialer Prozesse und institutionalisierter Praktiken gefasst (Cooper 2006: 943). Auf Basis einer genealogischen Untersuchung ausgewählter diskursprägender Staatsbürgerschaftskonzeptionen habe ich gezeigt, auf welche komplexe Weise Sexualität, Geschlecht, ‚Rasse‘, Rationalität, Besitz und ein männlicher Habitus als Kriterien staatsbürgerlicher Intelligibilität miteinander verknüpft wurden und als ‚Raster der Intelligibilität‘ den „Bereich der Intelligibilität“ in Bezug auf Staats-/Bürgerschaft ein- und begrenzt haben (Butler 1995: 259). Staats-/Bürgerschaft kann daher auch als Konstitutions- und Produktionsmoment von politischer Intelligibilität aufgefasst werden, da in diesem Kontext Anweisungen, Bedingungen und Vorschriften festgelegt und geprägt werden, wie und welche Körper als „denk- und lebbare“ Körper politische Repräsentation und Partizipation erlangen und somit erst als Staats-/Bürgerkörper den Status der Staats-/Bürgerschaft innehaben können (Ludewig 2002, 188f.; Villa 2001, 141f.; vgl. Genschel 2000). Im Rahmen ihrer Staats-/Bürgerschaftskonzeptionen erzeugten Hobbes, Locke, Rousseau und Kant folglich unterschiedliche vergeschlechtlichte, sexualisierte und kolonial-rassifizierte „Akteursfiktionen“100 vom ‚echten‘ bzw. ‚richtigen‘ Staatsbürger. Die entworfenen Staats-/Bürger eines Hobbes, Locke, Rousseau und Kant waren somit immer „sexual citizens“, da ihre politische Mitgliedschaft jeweils an die Performanz bestimmter ‚richtiger‘ vergeschlechtlichter und rassifizierter Sexualitäten gebunden wurde (Bell/Binnie 2000). Das heißt jene, welche Geschlecht und Sexualität nicht im Sinne dieser ‚Akteursfiktionen‘ darstellen können, „[were] […] failing to uphold the notions of who a citizen ‚naturally‘ is“ (Pool 2006: 13). Somit erklärten Hobbes, Locke, Rousseau und Kant jeweils nur bestimmte körpermorphologische und sexuellgeschlechtliche Seinsweisen zu „denk- und lebbaren“ Modi einer Staats-/Bür-

100 Der systemtheoretische Begriff der ‚Akteursfiktion‘ wird hier in Anlehnung an Stäheli (2001) und Hutter/Teubner (1994) verwendet.

D IE T RIBADE IM L EVIATHAN | 189

gerexistenz (Ludewig 2002: 189). Die jeweilige Definition von inklusionsfähigen Positionen erfolgte jedoch über die gleichzeitige Exklusion und Verwerfung möglicher ‚anderer‘, abweichender, systeminkompatibler Staats-/Bürgertypen. Diese verweisen damit auf die jeweiligen Grenzen und Randzonen staatsbürgerlicher Intelligibilität sowie der Verwerfung jeden anderen möglichen ‚Sinns‘ als konstitutive Bedingung für Intelligibilität selbst (Stäheli 2001; vgl. Butler 1995). Wenn staatsbürgerliche Intelligibilität damit als eine Forderung verstanden wird, die nicht bereits a priori erfüllt werden kann, sondern im Gegenteil spezifischer (performativer) ‚Anstrengungen‘ und Prozesse bedarf, wird in diesem Kontext gerade die Bedeutung des ‚Anderen‘ für die Definition des ‚Inkludierten‘ selbst deutlich: Der intelligible Staats-/Bürger wird bei Hobbes, Locke, Rousseau und Kant gerade durch die Herstellung und Definition der ‚Anderen‘, der ‚Exkludierten‘, der ‚Grenzbewohner*innen‘, welche die jeweiligen Bedingungen entlang des entworfenen ‚Rasters der Intelligibilität‘ nicht erfüllen können, erzeugt. Die performative Herstellung von staatsbürgerlichen ‚Anti-Typen‘, die Produktion von unterschiedlichen Abjekten des ‚richtigen‘ Staatsbürgers bildet also gleichsam die konstitutive Grundlage für das Funktionieren neuzeitlicher Staatsbürgerschaft. Jede staatsbürgerliche Inklusion benötigt daher ihre je spezifischen (diskursiven und/oder realen) ‚Anti-Typen‘, ein Abjekt, das die konstitutive Grundlage der Inklusion selbst bildet. In Abgrenzung aber auch in kritischer Weiterführung feministischer Staatsbürgerschaftsanalysen habe ich in meiner genealogischen Rekonstruktion gezeigt, dass diese Intelligibilitätskriterien daher auf keine ‚realen‘ Tatsachen oder körperlichen ‚Wahrheiten‘ zurückgeführt werden können, sondern selbst performativ sind. Das heißt, Hetero-/Sexualität, ‚Männlichkeit‘, ein ‚männlich-rationaler‘ Habitus, Weißheit (etc.) können nicht als askriptorische Merkmale gedeutet werden, die den Zugang zu Staatsbürgerschaft begrenz(t)en und auf deren Basis Rechte und Zugehörigkeit entsprechend verteilt werden/wurden, sondern sie mussten und müssen im Rahmen von staatsbürgerlichen Praktiken, Diskursen, Anrufungs- und Identifikationsprozessen immer wieder re-/produziert und über die entsprechenden staatsbürgerlichen Räume instituiert und eingesetzt werden. Heteronormativität ist damit gleichermaßen Voraussetzung und Effekt von Staatsbürgerschaft als komplexer sozialer und kultureller Prozess und Set institutionalisierter Praktiken.

Perverse Bürgerinnen: Mannweiber, Lesbierinnen und Emanzen For citizens to establish themselves as virtuous, there ought to have been those who ‚lacked’ their virtues. Against whom did citizens define themselves? How were strangers and outsiders constituted in relation to citizens? ENGIN F. ISIN1 To whom do gay men want to be equal, heterosexual women or heterosexual men? And is the same answer likely to be forthcoming from lesbians? DIANE RICHARDSON2

I NTRA - KATEGORIALE V ERKOMPLIZIERUNGEN : D IFFERENZEN ZWISCHEN ANTI -B ÜRGER * INNEN Philosophische Staats-/Bürgerschaftskonzeptionen waren, wie im vorangegangenen Kapitel gezeigt wurde, als performative Narrationen an der historischen Konstituierung spezifischer Kriterien staatbürgerlicher Intelligibilität, der ‚Denkbarkeit‘ staatsbürgerlicher Subjektpositionen beteiligt. Das, was Staatsbürgerschaft als epistemisches ‚Denkmodell‘, als „Grammatik“ ‚unseres‘ „politischen Verhaltens“ jenseits ihrer juridischen Bedeutung als (rechtlicher) Status

1

Isin, F. Engin (2002c): Being Political. Genealogies of Citizenship, Minneapolis, 3.

2

Richardson, Diane (2000b): Claiming Citizenship? Sexuality, Citizenship and Lesbian/Feminist Theory, in: Sexualities, 3. Jg., Nr. 2, 264.

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einer nationalen Mitgliedschaft und Teilhabe ausmacht, kann somit maßgeblich als Effekt historisch-philosophischer Diskurse begriffen werden (Mouffe 1993). Die im Kontext philosophischer Staats-/Bürgerschaftskonzeptionen entworfenen ‚Akteursfiktionen‘ beeinfluss(t)en politics of citizenship also nicht nur dadurch, dass auf deren Basis der (partielle) Ausschluss von bestimmten Personen/Gruppen legitimiert werden kann/konnte, sondern dass sie die ‚Denkbarkeit‘ politischer Mitgliedschaft und die damit verbundenen Rechte und Pflichten präg(t)en. Sie konstituier(t)en staatsbürgerliche Intelligibilität, indem sie den ‚Diskurs‘ und die ‚Sprache‘ für diese Art von politischer Relation, Mitgliedschaft und Status bis heute – auch für LGBTIQs – gewissermaßen vorgaben/vorgeben: „[Their] ideological function is to decontest concepts, to remove them from contest, by legitimizing some meanings and delegitimizing others.“ (Bassel 2001: 295) Gleichzeitig wurde aber auch deutlich, dass die Errichtung von intelligiblen Staats-/Bürgerschaften jeweils der Konstituierung von Zonen des/der ‚Verworfenen‘ bedurfte – ohne die Festlegung, Benennung, und/oder Definition staats/bürgerlicher ‚Anti-Typen‘ konnten Zonen intelligibler Staats-/Bürgerschaft nicht abgesteckt werden. Dieses ‚Andere‘ wurde entweder in Rekurs auf die, als anti-bürgerlich entworfenen (Herrschafts-)Verhältnisse im Naturzustand (z.B. die Herrschaft der ‚Amazonen‘, matrilineare Herrschaftsverhältnisse) entworfen und/oder über die Beschreibung der notwendigen Eigenschaften (körpermorphologisch-männlich, ‚weiß‘, autonom-kohärent, selbst-/besitzend etc.), des Verhaltens (rational, selbst-/diszipliniert) oder der Tätigkeiten (vergeschlechtlichtheterosexueller Habitus auch in der sexuelle Praxis) eines (intelligiblen) Staats/Bürgers definiert. Spezifische Konstruktionen von ‚Sexualität‘, ‚Geschlecht‘ und ‚Rasse‘ fungierten dabei als zentrale Raster der Intelligibilität, sie gingen gleichsam konstitutiv in diese Intelligibilitätskriterien ein. Die im vorangegangenen Kapitel vorgenommene, genealogisch-historische Verdichtung von staatsbürgerlichen Intelligibilitätskriterien zeigt jedoch auch die historische und aktuelle Umkämpftheit, Flexibilität und Fluidität der Grenzen zwischen ‚intelligiblen‘ und ‚nicht-intelligiblen‘ Staats-/Bürger*innen. Die Zonen staatsbürgerlicher Intelligibilität können demnach als historisch und aktuell extrem umkämpfte Terrains bezeichnet werden, deren Grenzen und Grenzziehungen sich historisch wie diskursiv immer wieder veränderten, verschoben und in Frage gestellt wurden/werden und sich je nach nationalem und geopolitischem Kontext auch unterschiedlich manifestier(t)en.3 Gleichzeitig, und das haben ins-

3

Das heißt, es ist auch bedeutend, Differenzen zwischen unterschiedlichen Staatsbürgerschaftsregimen und -konzepten sowie die unterschiedlichen institutionellen und

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besondere feministische Theoretiker*innen gezeigt, kann die Fluidität und Durchlässigkeit dieser Grenzen keinesfalls als beliebig gelten, sondern sie basiert/e auf androzentrischen Prämissen (vgl. Appelt 1999). Dem ‚weiblichen Geschlecht‘ wurde Ende des 19. bzw. zu Beginn des 20. Jahrhunderts innerhalb der europäischen Nationalstaaten nicht als ‚Gleiches‘ der Eintritt in die Staatsbürgerschaft gewährt, sondern Frauen wurden als „Untergeordnete, als das ‚andere Geschlecht‘, als ‚Frauen‘“ miteinbezogen (Pateman 1992: 56; Hervorh.i.Org). Erna Appelt bezeichnet diese vergeschlechtlichte Ausweitung des Staatsbürgerschaftsstatus folglich zu Recht als eine „androzentrische Generalisierung des Staatsbürgerschaftsstatus“, durch welche Frauen ein „vom Mann abgeleiteter sekundärer Bürgerstatus zugewiesen wurde“ (Appelt 1997: 124; Appelt 1999: 89f.). Im Rahmen europäischer Staatsbürgerschaftsregime wurden folglich „zwei hierarchisch aufeinander bezogene Staatsbürgerschaftspositionen“ geschaffen, die auf der „Institutionalisierung einer (privaten) Dominanzbeziehung, der Ehe“ beruhten (Appelt 1999: 92). Diese feministische Erkenntnis von einer androzentrischen Durchlässigkeit bzw. Generalisierung von Staatsbürgerschaft verweist freilich auch auf die Notwendigkeit einer historischen und aktuellen geschlechtssensiblen Differenzierung zwischen schwulen und lesbischen Existenzweisen und ihrem jeweiligen Zugang zum Staats-/Bürger*innenschaftsstatus selbst (vgl. Hauer 2004). Denn die „Geschichte des Staatsbürgerkonzepts ist eine Geschichte der Inklusion der Gleichen und der Exklusion all jener Personen, die nicht als Gleiche angesehen werden“ (Appelt 1994: 101). Während (weiße) schwule Existenzweisen über eine Analogie mit dem Männlichen zumindest als ‚verbotene Objekte‘ an männerbündischen Diskursen und Institutionen partiell partizipieren konnten, sind lesbische Existenzweisen in einer doppelten Weise „partikular“ – „als Frauen generell und im besonderen als Differente in der Gruppe Frauen“ (Hauer 2004: 23). Lesbische Existenzweisen entsprechen daher nicht nur mehrfach den im vorangegangenen Kapitel beschriebenen Intelligibilitätskriterien nicht, sie nehmen auch innerhalb der Gruppe der ‚Frauen‘ bzw. der ‚weiblichen Bürgerinnen‘ eine äußerst widersprüchliche Position ein: Sie erfüll(t)en im Rahmen der androzentrischen Generalisierung des Staatsbürgerschaftsstatus, wie auf Basis historischer und aktueller Diskurse um weibliche Homosexualität nachverfolgt werden kann, weder als ‚richtige Frauen‘ noch als ‚Ehefrauen‘ (von Staatsbürgern) noch als (richtige) ‚Mütter‘ (zukünftiger Staatbürger*innen) jene Inklusionkriterien, die

rechtlichen Ausgestaltungen von Staatsbürgerschaft innerhalb von EUropa im Blick zu behalten (besonders relevant ist hier die Unterscheidung zwischen einem ius soli und einem ius sanguinis).

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für den sekundären Staatsbürger*innenstatus von (‚richtigen‘) Frauen konstitutiv waren/sind. Umgekehrt stellen sie aber aufgrund ihres Begehrens gerade einen Angriff auf die phallogozentrische Position des (männlichen) Staatsbürgers dar, weshalb ihnen eine prekäre Position innerhalb dieser vergeschlechtlichten Logik zukommt. Eine entsprechende historische und aktuelle Berücksichtigung dieser Differenzen zwischen den unterschiedlichen bürgerlichen ‚Anti-Typen‘ sowie der unterschiedlichen Effekte und (gruppen-)spezifischen Wirkungsweisen der androzentrischen Prägung von Staatsbürgerschaft erscheint also vor dem Hintergrund einer Beschäftigung mit der staatsbürgerlichen ‚Denkbarkeit‘ und Positionierung lesbischer Existenzweisen als fundamentale analytische Voraussetzung. Vor dem Hintergrund meiner theoretisch-methodologischen Annahme von der konstitutiven Funktion von Exklusion für das Funktionieren von Staatsbürgerschaft ist folglich auch danach zu fragen, welche unterschiedlichen Funktionen unterschiedliche Typen von „citizen perverts“ für die Konstituierung bzw. Eingrenzung legitimer Staatsbürger*innenschaftspositionen einnahmen bzw. einnehmen (Bell 1995: 141). Insofern geht es mir hier um eine intra-kategoriale Verkomplizierung der Gruppenkonstruktionen ‚Frauen‘ und ‚Homosexuelle‘ in Hinblick auf ihre Funktionen für (intelligible) Staatsbürgerschaft(en) und die Konstituierung ‚legitimer‘ Bürger, da Differenzen innerhalb dieser Gruppe bisher fast ausschließlich in Hinblick auf geopolitische Herkunft/Nationalität untersucht wurden (vgl. dazu Kapitel 1). Im folgenden Abschnitt wird also die Bedeutung von Geschlecht und Sexualität als zentrale politische Kategorien für die Analyse von Differenzen zwischen verworfenen Nicht- bzw. Co-Bürger*innen herausgearbeitet. Der Fokus liegt dabei aber auf Differenzen zwischen Frauen, da wie ich zeigen werde, die „Höllenfigur“ der Lesbe (Butler 1995: 141) hier eine konstitutive Funktion für die Eingrenzung legitimer weiblicher Staatsbürgerinnenschaft einnahm/einnimmt. Das Verhältnis zwischen Staatsbürgerschaft und homosexueller Männlichkeit wird daher in einem ersten Abschnitt nur kursorisch angerissen.

H OMOPHILE D IALOGE M ÄNNERGLEICHHEIT

UND STAATSBÜRGERLICHE

Staatsbürgerschaft und komplizenhafte Männlichkeiten Wie bereits einige historische Arbeiten gezeigt haben (vgl. Lücke 2008; zur Nieden 2005; Hacker 1987; Treiblmayr 2010; Bruns 2008) konnten Proponenten der frühen Homosexuellenbewegungen aufgrund der androzentrischen Konstruktion

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von Staatsbürgerschaft bereits ab Ende des 19. Jahrhunderts als prinzipiell ‚Gleiche‘ und eigentlich (formelle oder potenzielle) Staatsbürger ihren (symbolischen) Einschluss und ihre juristische Gleichbehandlung im Rahmen „homophiler Dialoge“ einfordern (Hacker 1987: 16; vgl. Lücke 2008).4 Rekurriert wurde hier insbesondere auf eine ‚biologische‘ Gleichheit als autonome (weiße) Männer, die auch in eine staatsbürgerliche Gleichheit und damit einer Entkriminalisierung homosexueller Praxen münden sollte. Die „juristische Unterscheidbarkeit der Homosexuellen“ von allen anderen Männern sollte im Rahmen ihrer (staatsbürgerlichen) Gleichheit als Männer möglichst minimiert werden (Hacker 1987: 21). In Bezugnahme auf eine „komplizenhafte Männlichkeit“ – so könnte hier in Rekurs auf das Konzept der „hegemonialen Männlichkeit“ von Raewyn Connel (1999) postuliert werden, konnte derart also versucht werden, den Status einer „untergeordneten Männlichkeit“ zu überwinden und so an der „patriarchalen Dividende“ von Staatsbürgerschaft5 teilzuhaben (Connel 1999). Beispielhaft kann hier die historische Arbeit von Martin Lücke (2008) herangezogen werden. Lücke zeigt anhand der politischen Rhetorik und des Aktivismus eines Proponenten der frühen Homosexuellenbewegung in der Weimarer Republik, Friedrich Radszuweit, dass dessen Aktivitäten als „Versuch der Teilhabe an hegemonialer Männlichkeit“ gewertet werden könne, da er sich selbst und „seine Klientel in die Gruppe der ‚Komplizen hegemonialer Männlichkeit‘“ einordnete (ebd.: 105f.; Hervorh.i.Org.). Radszuweit argumentierte nicht nur explizit antifeministisch sondern er beurteilte den „Verstoß gegen die etablierte Ordnung der Geschlechter [als] ein […] großes Hindernis bei einer gesellschaftlichen Entstigmatisierung der Homosexualität“ (ebd.: 104). Er betonte demgegenüber eine „einwandfrei zu attestierende männliche Körperlichkeit“ von homosexuellen Männern und plädierte auch für deren Ableistung der Wehrpflicht bzw. deren Eintritt in das Militär als ‚Schule der Männlichkeit‘ (ebd.: 105).

4

Das deutsche Kaiserreich bzw. die Weimarer Republik galt Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts als Brennpunkt europäischer Auseinandersetzungen um Homosexualität. Die folgenden Ausführungen beziehen sich daher mehrheitlich auf die Debatten und Bewegungen in diesem geopolitischen Raum.

5

Der Begriff der „patriarchalen Dividende“ wird in diesem Kontext in Anlehnung an Raewyn Connel verwendet und soll hier die materiellen und immateriellen Vorteile bezeichnen, welche Männer aus der androzentrischen Verfasstheit der Staatsbürgerschaft ziehen. Trotz bestehender Ungleichheiten zwischen Männern kann hier in Rekurs an Connell der Schluss gezogen werden, dass auch unterlegene, d.h. nicht-hegemoniale Männlichkeiten, an dieser „patriarchalen Dividende“ von Staatsbürgerschaft partizipieren (Connel 1999).

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Radszuweit sprach sich auch gegen die Verwendung von ‚Frauennamen‘ für/unter homosexuellen Männer aus und echauffierte sich besonders auch über ihre (eigene) Effimierung (ebd.). Auch Christoph Treiblmayr spricht von einem historisch zu konstatierenden „komplexe[n] Verhältnis zwischen dominierenden Männlichkeitsvorstellungen, männerbündischen Strukturen und männlicher Homosexualität“ und zeigt dies u.a. anhand der politischen und theoretischen Nähe zu sogenannten ‚Männerbundtheorien‘ einiger Proponenten der ersten Homosexuellenbewegungen in Deutschland auf (Treiblmayr 2010: o.S.). „Das Teilkollektiv der homosexuellen Männer“ konnte Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts demnach gerade aufgrund der androzentrischen Konstruktion von Staatsbürgerschaft an der „männerbündischen Kommunikation“ und „homophilen Öffentlichkeit“ des männerbündischen Staates teilnehmen und derart auch als Männer ihre Gleichberechtigung einfordern (Hacker 1987: 16ff.). Dabei ging es jedoch nicht um die Forderung einer Geschlechtergleichheit oder um eine grundsätzliche Gleichberechtigung homosexueller Frauen und Männer, „sondern um Gleichberechtigung eines Teils des Männerbundes mit einem andern“ (Göttert 1989: 26). Sie setzten sich als „‚Gleiches‘ für die eigene Gleichberechtigung und Gleichbehandlung ein“ (Hacker 1987: 21). Hanna Hacker zeigt dies etwa anhand von Reformentwürfen zum Sexualstrafrecht in Österreich Ende des 19. Jahrhunderts: „Entpönalisiert“ sollte demnach „nicht gleichgeschlechtliche Sexualität“ im Allgemeinen werden, sondern „Analverkehr“ (zwischen Männern) (ebd.: 22). Das bedeutet folglich, dass auch wenn männliche Homosexualität als das konstitutive ‚Andere‘ richtiger Staatsbürgerschaft (und Männlichkeit) pathologisiert, kriminalisiert, verfolgt und wie zur Zeit des Nationalsozialismus ausgelöscht wurde oder werden sollte, konnten sich homosexuelle Männer (mit der entsprechenden formellen Staatsangehörigkeit/bürgerschaft) aufgrund der androzentrischen Implikationen von Staatsbürgerschaft/Staatsbürgerschaftskonzepten „selbstbewusst[er] […] in Politik und Kultur“ einschreiben (Hark 1999: 79). Der homosexuell-männliche Körper repräsentierte sich demnach zwar entweder als eine Abweichung oder Erkrankung ‚des (idealen) Gleichen‘, konnte derart aber zumindest auf eine „Analogie“ mit dem „prototypischen“ männlichen politischen Subjekt rekurrieren (Smith 2000: 48); er stellt/e legitime Sprecher und schrieb sich selbst in die (politische, staatsbürgerliche) Kultur ein, während der homosexuell-weibliche Körper prinzipiell als „Ungleiches“ (von Männern) eingeschrieben wird/wurde (Hacker 1987: 33ff.; Hacker 1996: 126; Hark 1999: 78ff.). Wenn also aktuell im Kontext einer auf Bürgerrechte ausgerichteten LGBTIQ-Politik ‚Normalität‘ und ‚Gleichheit‘ betont und gefordert wird, dann muss hier zwangsläufig gefragt werden, welche Gleichheit und Normalität hier angestrebt wird. Jin Haritaworn macht in diesem

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Kontext auch auf das klassenspezifische und rassialisierte Moment von Normalität und Gleichheit aufmerksam, wenn sie fragt, wen „dominante Schwule, Lesben und Bisexuelle“ im Blick haben, wenn sie „Gleichstellung mit Heterosexuellen fordern“ – sicherlich nicht „transsexuelle, behinderte, sexarbeitende oder ethnisierte Heterosexuelle, oder solche aus der Arbeiterklasse“ (Haritaworn 2007: 280). In diesem Kontext ist auch eine Differenzierung interessant, die Judith Butler in einem ihrer Aufsätze (Butler 1996) vorschlägt, aber nicht konsequent ausführt oder in ihren anderen Werken weiterfolgte: Demnach liege ein wesentlicher Unterschied zwischen Lesben und Schwulen darin, dass Schwule eher die Position eines ‚verbotenen Objekts‘ bzw. eines ‚verbotenem Subjekts‘ einnehmen, während Lesben eher als das ‚undenkbare‘ Abjekt existieren, das gar nicht erst gedacht werden kann (ebd.). Politiktheoretisch gewendet würde dies auch heißen, dass männliche Homosexualität als Bedrohung für den Staatsbürger und das politische Subjekt bereits im Raum politischer Intelligibilität verortet ist, während weibliche Homosexualität erst dann zur Bedrohung wird, wenn sie (oder Frauen allgemein) den politischen Subjektstatus einfordern und derart die (geschlechtsspezifische) politische Ordnung gefährdet wird. Die Gefährdung des Staatsbürgers durch mann-männliches Begehren Feministische Theoretiker*innen haben bereits umfassend gezeigt, inwieweit die Institution und das Konzept von Staatsbürgerschaft maßgeblich auf der Idee einer ungleich-hierarchischen Geschlechterdifferenz entlang der Trennung privat/politisch basiert. Die Konstruktion einer bestimmten (passiven, häuslichen, emotionalen etc.) ‚Weiblichkeit‘ als das ‚Andere‘ des guten, richtigen Staatsbürgers stellte somit gleichsam seine konstitutive Bedingung dar. Vor dem Hintergrund meiner Ausführungen im vorangegangenen Kapitel wurde jedoch auch deutlich, dass der männliche Staatsbürger permanent durch die Möglichkeit seiner eigenen (sexuellen) ‚Verfehlungen‘ – z.B. homoerotischem Begehren/Sexualität – gefährdet ist. Männliche Homoerotik/Homosexualität stellt daher die Konzeption eines richtigen Staatsbürgers in mehrerer Hinsicht in Frage: Mannmännliche Sexualität gefährdet die Konstruktion des Mannes als rational handelnden und seine körperlichen Emotionen kontrollierenden Staatsbürger, der ausschließlich im Bereich der Privatheit und des Häuslichen ‚Körper‘ ist (bzw. sein soll) und damit nur in diesem eingehegten Bereich sein Begehren und seine Sexualität lebt. Da eine homosexuelle/homoerotische Beziehung zwischen Männern gerade nicht durch dieses Prinzip der ungleichen Geschlechterdichotomie

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und der Trennung privat/politisch ‚natürlicherweise‘ strukturiert wird, stellt es nicht nur eine Gefährdung der als rational und ‚körperlos-universell‘ konzipierten Sphäre der politischen Öffentlichkeit, sondern des gesamten Strukturprinzips sowie der politischen Gemeinschaft selbst dar. Oder wie es Carl F. Stychin formuliert: „The construction of the unsuitability of homosexuals for citizenship is not simply based upon sexual indiscipline […], but is grounded in homosexuals’ overconcern with the self more generally; a kind of ‚hyperindividualism‘ which runs counter to social and familial responsibility (the other side of the rights coin). If responsible citizenship is based on selfrestraint and ‚relies on responsible personal life-style decisions‘ […], non-heterosexuals can be constitutively disqualified. […] Homosexual acts are not what ‚good‘ citizens do. The family, by contrast, is a realm of self-discipline and selflessness opposed to the hyperindividualism […].“ (Stychin 2001: 289)

Darüber hinaus ist es auch ein Angriff auf das Prinzip der „phallischen Staatsbürgerschaft“, d.h. dass der Staatsbürger stets als der ‚Phallus-Habende‘ konzipiert wird, der sich auch sexuell als ‚undurchdringlich‘ gibt (Phelan 2001). Gerade vor dem Hintergrund der konstitutiven Bedeutung von Geschlecht für das Funktionieren von Staatsbürgerschaftsregimen wird also deutlich, dass lesbische Staatsbürgerschaft bzw. die (staatsbürgerliche) Position/Funktion lesbischer Existenzen sich daher von den schwulen Existenzen unterscheidet. Die Systematisierung und Pathologisierung ‚weiblicher‘ Homosexualität folgte demnach auch insgesamt „anderen Regeln, gehorchte anderen Logiken und reagierte auf andere historische Kontexte und Problemlagen“ (Hark 1999: 79). Insofern muss männliche Homosexualität stets im Kontext der grundsätzlichen männerbündischen, maskulinistisch-homoerotischen Struktur von Staat/Staatlichkeit uns somit ihrer homme-sexualité diskutiert werden, wenngleich diese Homoerotik durch die heteronormative Logik selbst unsichtbar (gemacht) wird (Kreisky 1995). Gleichzeitig ist aktuell jedoch auch zu beobachten, dass die Grenzen zwischen einer heteronormativen Männlichkeit und ihrem verbotenen Objekt durchlässiger geworden sind und hier durchaus eine partielle Flexibilisierung zu beobachten ist (siehe dazu ausführlich Kapitel 4).

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E HEFRAUEN , M ÜTTER , V ERSORGERINNEN SEKUNDÄRE S TAATSBÜRGERINNEN

– F RAUEN

ALS

To the extent that lesbians do not fullfill the demands of citizenship as it has been constructed for women, that is primarily through their reproductive and domestic roles within the heterosexual, nuclear family, are they failing to meet the requirements of ‚responsible‘/good female citizenship? DIANE RICHARDSON6

Heteronormative Weiblichkeit als Dispositiv von Staatsbürgerinnenschaft Die Abschaffung zensusgebundener Wahlsysteme und die Gewährung eines allgemeinen Wahlrechts7 (für Frauen und Männer) sowie anderer wichtiger politischer und sozialer Rechte, wie z.B. des Versammlungs- und Vereinsrechts, markieren historisch die Universalisierung des Staatsbürger*innenschaftsstatus innerhalb der europäischen Nationalstaaten für jene (politischen) Subjekte, welche über die entsprechende formelle Staatsangehörigkeit verfüg(t)en. Aufgrund der sich historisch bereits etablierten androzentrischen Prämissen des Staatsbürgerschaftskonzepts war diese Universalisierung von Staatsbürgerschaft jedoch keineswegs ein geschlechtsneutraler Prozess, sondern implizierte – um hier feministische mit diskurstheoretischen Ansätzen zur performativen Hervorbringung von Subjekten und Identitäten durch Interpellationsprozesse zu verbinden – eine spezifische, vergeschlechtlichte ‚Anrufung‘ von Frauen als weibliche Staatsbürgerinnen und setzte ihre ‚Identifikation‘ mit bzw. eine ‚Umwendung‘ der für sie vorgesehen geschlechtsspezifischen und heteronormativen (System-)Regeln, Normen und Rollen voraus (vgl. Althusser 1977; Butler 1995; Butler 1998).

6

Richardson, Diane (2000b): Claiming Citizenship? Sexuality, Citizenship and Lesbi-

7

Dänemark 1915, Deutschland 1918, Finnland 1906, Großbritannien 1918 (Frauen

an/Feminist Theory, in: Sexualities, 3. Jg., Nr. 2, 268; Hervorh.i.Org. über Dreißig)/1928, Irland 1918, Luxemburg 1919, Niederlande 1919, Österreich 1918 (1923 für ‚Prostituierte‘), Schweden 1921, Spanien 1931, Norwegen 1913, Island 1915, Polen 1918, Tschechoslowakei 1920.

200 | P ERVERSE BÜRGERINNEN

Erna Appelt lieferte in ihrer historischen und politiktheoretischen Analyse der Entwicklung des Staatsbürgerinnenschaftsstatus von Frauen in Europa wichtige definitorische Anhaltspunkte für die Beschreibung dieser vergeschlechtlichten Anrufungs- und Identifikationsprozesse von/zur weiblichen Staatsbürgerin (Appelt 1999): „Der Ausbau des Staatsbürgerstatus vollzog sich für Frauen in grundsätzlich anderer Weise als für Männer: Die Einführung des allgemeinen Wahlrechts war nirgendwo mit einer Institutionalisierung von Frauenmacht verbunden; der rechtliche Status von Frauen war bis zur Eherechtsreform […] grundsätzlich von dem der Männer verschieden […]. Frauen wurden als Töchter, Ehefrauen und Witwen von erwerbstätigen Männern angesehen, und die Sozialpolitik in den meisten europäischen Ländern unterstützte Männern in ihrer Rolle als Versorger. […] Besonders wirksam perpetuierte sich dabei die Geschlechterhierarchie durch Sozialversicherungssysteme, die von dem Familienerhalter/Hausfrauen Modell ausgingen und damit der männlichen Arbeitnehmerklasse einen sozialen Bürgerstatus garantierten, während der weiblichen Hausfrauenklasse ein vom Mann abgeleiteter sekundärer Bürgerstatus zugewiesen wurde.“ (Appelt 1999: 89f.; Hervorh. C.K.)

Die hierarchische Geschlechterdichotomie und Arbeitsteilung, auf der das Konzept der Staatsbürgerschaft historisch und ideologisch beruht, kann somit nicht jenseits der Re-/Produktion und Einsetzung von vergeschlechtlichten Menschen bzw. einer (naturalisierten) heterosexuellen Zweigeschlechtlichkeit verstanden werden (vgl. Butler 1997). Wird Geschlecht in diesem Zusammenhang also als performative Konstruktion begriffen, dann setzt der Prozess einer ‚Identifizierung‘ mit der ‚Anrufungsfigur‘ einer (richtigen) weiblichen Staatsbürgerin daher immer die „‚Annahme‘ eines Geschlechts“ im Rahmen des diskursiven Regimes hegemonialer, heterosexueller Zweigeschlechtlichkeit voraus (Butler 1995: 23). Dieses ‚Benannt-werden‘, bedeutet demnach, um in den Worten Judith Butlers zu sprechen, „jenes Gesetz eingeschärft zu bekommen und in Übereinstimmung mit diesem Gesetz körperlich formiert zu werden“ (ebd.: 109). Heteronormative Weiblichkeit kann derart als Dispositiv ihrer Staatsbürgerinnenschaft dechiffriert werden, denn eine weibliche Staatsbürgerin muss also, um dies zu werden, zu bleiben und als solche (an-)erkannt zu werden, ununterbrochen „ideologische An- und Wiedererkennungsrituale“ in Bezug auf ihr Geschlecht praktizieren (Althusser 1977: 141f.). Bei einer ‚Anrufung‘ handelt es sich nach Althusser (und Butler) also nicht nur um eine „vereinzelte ‚Handlung‘ oder ein vereinzeltes Vorkommnis“, sondern um eine „ritualisierte Produktion, ein Ritual“, das ständig der Wiederholung und Zitation bedarf (ebd.: 139).

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Die Heteronormativität von Staatsbürgerschaft zeigt sich daher in der Anrufung von weiblichen Staatsbürgerinnen als Teil einer heterosexuellen, reproduktiven geschlechtshierarchischen Komplementaritätsbeziehung (siehe nächsten Abschnitt), sondern auch durch die (politische) Naturalisierung morphologischer Zweigeschlechtlichkeit und der daraus abgeleiteten sozialen Aufgaben und ‚Plichten‘ (z.B. Mutterschaft, Caring) entlang der Dichotomie privat/öffentlich (Johnson 2002: 319). Heteronormativität wird hier also nicht bloß als eine ‚sexuelle Minderheiten‘ betreffende Norm der/zur Heterosexualität verstanden, sondern auch als gesellschaftliches Strukturprinzip und „institutionalisiertes Gewaltverhältnis“8, das „über die Verteilung von Ressourcen“ bestimmt und „als Zuweisungsmodus in der Arbeitsteilung“ fungiert (Wagenknecht 2007: 17). Wir haben es historisch daher mit einem paradoxen Ein- und Ausschluss von Frauen in die Institution Staatsbürgerschaft zu tun – d.h. zum einen blieb die heteronormativ-androzentrische Struktur aufrecht, gleichzeitig wurden Frauen gerade in der Betonung und Fortschreibung jener (konstruierten) Differenz, auf deren Basis ihnen bisher die Inklusion verweigert wurde, miteinbezogen. „Frauen wurden anders einbezogen als Männer, die ‚Individuen‘ und ‚Bürger‘ der politischen Theorie“, so Carole Pateman in ihrer Analyse des Verhältnisses von Mutterschaft und Staatsbürgerschaft, „Frauen wurden eingeschlossen als Untergeordnete, als das ‚andere Geschlecht‘, als ‚Frauen‘“ (Pateman 1992: 56). „Die integrierende Wirkung staatsbürgerlicher Rechte“ galt demnach „den männlichen Staatsangehörigen, während für Frauen Verwandtschaft und Ehe die wichtigsten Sozialbeziehungen sein sollten“ (Appelt 1997: 126). Frauen und Männer verfüg(t)en also über einen „different access to citizenship“, der auf Basis verschiedener (nationaler) Staatsbürgerschaftsmodelle freilich variier(t)e und jeweils auf differierenden „gender systems“ beruh(t)e (Siim 2000, 17). Heterosexuelle Mutterschaft als Staatsbürgerinnenpflicht Mutterschaft war „das entscheidende Vehikel für die Einbeziehung von Frauen in die politische Ordnung“ und hat somit auch „die Pflicht von Frauen gegenüber dem Staat und ihre Rolle als Staatsbürgerinnen“ wesentlich geformt (Pateman

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Birgit Sauer versteht unter dem Begriff des „Gewaltverhältnisses“ nicht nur individuelle Gewalt und intendierte Akte der Verletzung, sondern macht auf soziale Verhältnisse und Beziehungen aufmerksam, auf Strukturen, in deren Kontext Gewalt ausgeübt wird und die selbst Verletzungsoffenheit herstellen. „Staatliche Institutionen generieren vielfach […] Ausschluss, Benachteiligung, kurz: Verletzbarkeit und sind insofern produktiv in Bezug auf Gewalt.“ (Sauer 2002: 86ff.).

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1992: 60). Ihre Aufgabe als ‚richtige‘ Staatsbürgerinnen sollte also darin bestehen, „to become wives and mothers“ (Yuval-Davis 1997b: 90). Frauen wurden nun zwar „in the general body of citizens“ eingeschlossen, aber für sie als ‚Frauen’ existier(t)en jeweils „rules, regulations and policies which are specific to them“ (ebd.: 24). Durch die Erfüllung der staatsbürgerlichen Pflicht von Mutterschaft und Familienarbeit ergab sich für eine (ausgewählte) 9 Gruppe von Frauen (oder Menschen mit einer weibliche morphe), also die Möglichkeit eines ‚begrenzten‘, weil geschlechtsspezifisch-ungleichen Zugangs zu Staatsbürgerschaft und den damit verbundenen Ressourcen und Möglichkeiten (Pateman 1992). Das heißt, über die politische Institution der Mutterschaft wird/wurde es für (bestimmte) Frauen möglich, vermittelt oder subordinat als Mütter, Versorgerinnen und/oder Ehefrauen in die Zone staatsbürgerlicher Intelligibilität einzutreten (vgl. Siim 2000: 27). Mutterschaft fungiert/e in diesem Zusammenhang gleichsam als Surrogat der Staatsbürgerpflicht des männlichen Soldatentums, damit aber auch gleichzeitig als „epitome of difference, for only women, as mothers, could bear the next genration of citizens“ (Lister 199: 12). Mutterschaft muss daher vor dem Hintergrund feministischer Ansätze nicht (nur) als ‚körperlicher Vorgang‘, sondern als „politischer Status“ bzw. als „politische Institution“ verstanden werden (Pateman 1992; Rich 1989). Denn der Vorgang des Gebärens wird mit einer spezifischen politischen Bedeutung versehen, er vergeschlechtlicht die gebärende Person und evoziert zugleich eine bestimmte strukturelle Positionierung von ‚Frauen‘ innerhalb der politischen Ordnung. Mutterschaft als „politischer Status“ bzw. als „politische Institution“ korreliert/e strukturell daher auch mit einer (institutionalisierten) Ein- und Fortschreibung (vermeintlicher) (hetero-)sexueller Differenz und vergeschlechtlichter Deutungslogiken im Rahmen heteronormativ konzipierter Verwandtschaftsund Familienverhältnisse entlang der Dichotomie privat/politisch Pateman 1992; Rich 1989). Insofern bezeichnet Mutterschaft im Kontext von Staatsbürgerschaft keineswegs nur einen einmaligen körperlichen Vorgang, sondern setzt ein Bündel an politisch-intimen Verhältnissen voraus und gleichzeitig ein. Der Eintritt von Frauen in die Staatsbürgerschaft als ‚Mütter‘ erfolgte daher auf Basis ihrer (normativen und rechtlichen) Positionierung im Rahmen einer he-

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Mutterschaft auf Basis eines stratifizierten und rassifizierten Konzepts von Reproduktion konnte nur für bestimmte Frauen (,Inländerinnen‘, weiße, heterosexuelle Frauen) zum Surrogat der soldatischen Staatsbürgerpflicht werden, d.h. nicht alle Frauen sollten Mütter und Ehefrauen (von zukünftigen Staatsbürgern) werden.

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terosexuellen, reziproken Beziehung mit einem ‚richtigen‘ (männlichen) Staatsbürger. „[B]elonging to a married heterosexual couple embedded within a particular type of family“ wurde für Frauen somit zur zentralen strukturellen Grundlage und zum Orientierungsschema ihres Staatsbürgerinnenschaftsstatus und gleichzeitig zur Grundlage ihrer staatsbürgerlichen Inklusion (Donovan et al. 1999: 694; vgl. Wilton 1995: 181f.). „The privileged position given to heterosexuality is a function of how public policies seek to normalise reproduction as the desired outcome of marriage. The liberal regime of modern citizenship regards parenthood in ,normal‘ families, rather than heterosexuality, as the defining characteristic of the responsible citizen and as the basis of social entitlement.“ (Turner 2008: 47; Hervorh.i.Org.)

Heteronormative Verwandtschafts- und Familienverhältnisse können somit als konstitutiv für die Entfaltung und Re-/Produktion vergeschlechtlichter Staatsbürger*innenpositionen (Ehefrau und Mutter vs. Ehemann und Ernährer/Arbeiter) analysiert werden.10 Umgekehrt werden/wurden im Rahmen dieser (heterosexuellen) Beziehungsnetzwerke auch neue staatsbürgerliche Zugehörigkeiten entlang von Verwandtschafts- und Familienzugehörigkeiten bzw. im Rahmen der Ehe begründet. „Citizens are not generally created through affirmation or contract, but more commonly are born into a status relationship – that of citizenship – with their arrival in a family. This status is widely viewed as ‚natural‘ part of one’s birthright. Even those who change citizenship (who are ‚naturalized‘) usually enter the new country through family relations. Thus, the lines between potential citizens and those who lack the potential (or must prove unusual merit and worth to the host country) are drawn by kinship. […] kinship and citizenship work together to shape our social landscapes.“ (Phelan 2001: 70f.; Hervorh.i.Org.)

Die ‚Heterosexualisierung‘ von Verwandtschaft privilegiert nun einerseits „heterosexuals as part of ‚the founding unit of society‘“ (ebd.; Hervorh.i.Org) naturalisiert Frauen dabei aber wiederum in einer spezifischen Weise (Yuval-Davis 2003: 12ff.). Die Bedeutung von Familie, Verwandtschaft und der Ehe als zentrale Dimensionen von Staatsbürgerschaft lässt sich historisch und aktuell jeweils

10 Die Bedeutung von heterosexuellen Familien- und Verwandtschaftsverhältnissen spiegelt sich freilich auch in den Vertragstheorien wieder, gründen doch die ‚Väter‘ oder ‚Brüder‘ in Abgrenzung zu ‚Müttern‘, ‚Töchtern‘, ‚Schwestern‘ und ‚Frauen‘ den bürgerlichen Staat mittels des Vertragsschlusses.

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im Kontext von (EUropäischen) Immigrations- bzw. Staatsbürgerschaftspolitiken nachverfolgen (vgl. Turner 2008). Deshalb ist Shane Phelan unbedingt zuzustimmen, wenn sie betont „[that] no consideration of […] citizenship can be adequate without an inquiry into the relation between kinship and citizenship“ (Phelan 2001: 65). Die Problematik liegt hier also gerade darin, dass diese Dimensionen11 von Staatsbürgerschaft eigentlich als ‚private Bereiche/Beziehungen‘ oder ‚körperlich-natürliche Vorgänge‘ definiert werden, gleichzeitig aber eine konstitutive Funktion für den jeweiligen Staatsbürger*innenschaftsstatus einnehmen, dabei aber selbst nicht als ‚politisch‘ gelten. (Vermeintlich) ‚Private‘ und ‚intime‘ Beziehungen und Verhältnisse haben jedoch fundamentale Bedeutung für den (ungleichen) Zugang zu Staatsbürgerschaft und den damit verbundenen Ressourcen. Insofern produziert „gerade der Bereich der Intimität und der (vermeintlichen) Privatheit […] das Spannungsverhältnis zwischen Staatsbürgerschaft, (Homo)Sexualität und Geschlecht, da sich dort jene staatsbürgerliche ‚Pflicht‘ zur (vergeschlechtlichten) Heterosexualität (u.a. in Familie, Beziehungen, Sexualität und in Form von Reproduktion, Caring und Arbeitsteilung) realisieren muss“, die für den Staatsbürgerinnenschaftsstatus von Frauen konstitutiv sind (Klapeer 2012: 82). Diese vermeintlich ‚privaten‘ oder ‚intimen‘ Verhältnisse können also als höchst ‚politische‘ Reproduktionsorte und -räume (ungleicher) Staatsbürger*innenschaft und Geschlechterverhältnisse dechiffriert werden (vgl. Lister 1995; Lister 2002; Turner 2008). Mutterschaft, Familie, Verwandtschaft, Ehe können daher in ganz besonderer Weise als jene spaces of strangeness identifiziert werden, welche den problematischen und ambivalenten Staatsbürgerinnenschaftsstatus von lesbischen Existenzweisen als strangers within bis heute wesentlich prägen und (mit-)produzieren.

11 Im Rahmen feministischer und queerer Debatten werden zur analytischen Sichtbarmachung der politischen Bedeutung dieser Dimensionen auch Begriffe wie „intimate citizenship“, „private citizenship“, „sexual citizenship“ und/oder „reproductive citizenship“ verwendet.

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Wohlfahrtsstaatspolitiken und vergeschlechtlichte Staatsbürger*innenschaften Wie bereits deutlich wurde, institutionalisierten insbesondere auch wohlfahrtsstaatliche Politiken12 diese geschlechtsspezifische Inklusion von Frauen „[by] anchor[ing] women’s citizenship in maternal responsibility“ (Mink 1995: 174; vgl. Siim 2000; Dackweiler 2004; Kulawik 1999; Orloff 1993; Ostner/Lewis 1995). Birte Siim zeigt etwa im Rahmen ihrer komparativen, auf unterschiedliche Pfade der Wohlfahrtsstaatspolitik fokussierten Studie, wie in unterschiedlichen Ländern jeweils geschlechtsspezifische Politiken (ungleiche, heteronormative13) Geschlechterverhältnisse stütz(t)en und reproduzier(t)en (Siim 2000). Demnach stützt/e in Frankreich das kompensatorische Konzept der ‚republikanischen Mutterschaft‘ eine geschlechtsspezifische Dichotomisierung und bildete derart die Grundlage für eine ‚familialistische‘ französische Sozialpolitik (ebd.; vgl. dazu auch Appelt 1999; Frader 2008). Auch wenn Frauen im französischen Modell als „workers and mothers“ anerkannt wurden, basiert der französische Diskurs von „active citizenship […] on a male norm“ (Siim 2000: 20). In Großbritannien stärkte hingegen ein ‚sozialer Liberalismus‘ und die Bedeutung von „private liberty“ tendenziell die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung im Rahmen eines Familienernährer-Modells, da der britische Wohlfahrtsstaat mit seinem „strong male breadwinner model [is] based on the assumption that women are either workers or mothers“ (ebd.: 21). Auch wenn, wie Birte Siim für die skandinavischen Wohlfahrtstaaten aufzeigt, dort ein tendenziell universalistisch konzipiertes Staatsbürgerschaftsmodell vorherrscht, existiert auch dort ein nach wie vor geschlechtsspezifisch segregierter Arbeitsmarkt sowie eine

12 Mittlerweile existiert eine Fülle von feministischen Analysen zur ‚androzentrischen‘ Prägung von Wohlfahrtsstaaten und der Frage, inwieweit unterschiedliche wohlfahrtsstaatliche Politiken wesentlich an der Instituierung eines marginalisierten citizenship-Status von Frauen Teil hatten/haben. Den gemeinsamen Tenor fasst Birte Siim so zusammen: „Feminist scholarship has shown that the welfare systems in most European welfare states have been based on gendered principles of division between wage work and unpaid care work, with men as breadwinners and women economically dependent.“ (Siim 2000: 27) 13 Gerade in Bezug auf die geschlechtliche Arbeitsteilung sowie vergeschlechtlichte Wohlfahrtspolitiken wurde von Seiten feministischer Theoretikerinnen die heteronormative Dimension dieser Ungleichheiten und Differenzproduktionen jedoch nicht oder nur kaum benannt.

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tendenziell ungleiche Verteilung bezahlter und unbezahlter Care-Arbeit (ebd.: 21ff.). Zu ähnlichen Schlüssen wie Birte Siim kommen auch Gisela Bock und Pat Thane im Rahmen ihrer Untersuchung von Mutterschaftspolitiken im Kontext der Herausbildung wohlfahrtsstaatlicher Modelle in Norwegen, Schweden, Großbritannien, Frankreich, Spanien, Italien und Deutschland (Bock/Thane 1991): „In most European Countries, including the classic welfare states of Britain, Germany and the Scandinavian countries, early and particularly later welfare reforms had an important meaning for, and impact on mothers and maternity. Their indirect impact was to reinforce women’s dependence on husbands who benefited from the welfare measures, and hence also to reinforce the gender gap in terms of income and (relative) poverty.“ (Bock/Thane 1991: 4; Hervorh. C.K.)

Die sogenannte Care-Problematik (vgl. Schönpflug 2012), als die nach wie vor zu konstatierende (weltweite) Ungleichheit in der Verteilung gesellschaftlicher Care-Arbeit, wird innerhalb feministischer Auseinandersetzungen um (equal) citizenship für Frauen generell als eines der sichtbarsten Zeichen einer anhaltenden Persistenz eines verungleichenden, vergeschlechtlichten Staatsbürger*innenstatus betrachtet.

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E IN ABJEKT WERDEN : S TAATSBÜRGERINNENSCHAFT UND DIE S YSTEMATISIERUNG WEIBLICHER H OMOSEXUALITÄT Solchen Mannweibern […] begegnet man nicht selten im öffentlichen Leben. RICHARD VON KRAFFT-EBING14 Sind wir Frauen der Emanzipation homosexual – nun dann lasse man uns doch! Dann sind wir das doch mit gutem Recht! JOHANNA VON ELBERSKIRCHEN15

Das verworfene ‚Andere‘ weiblicher Staatsbürgerinnenschaft Ich möchte diesem Abschnitt die These von der konstitutiven Bedeutung der „Höllenfigur“ der Lesbe (Butler 1995: 141) als eines16 jener ‚verworfenen Wesen‘ zugrunde legen, welches (historisch) die vergeschlechtlichte Inklusion von (weißen) Frauen in die Institution der Staatsbürgerschaft bedingt/e, sicherte und begleitete und somit die (vergeschlechtlichten und sexuellen) Grenzen weiblicher Staatsbürgerinnenschaft absteck(t)e. Denn wie Judith Butler überzeugend dargelegt hat, bedarf jede (geschlechtliche) ‚Identifizierung‘ der Abjektion, d.h. der Verleugnung und Verwerfung eines ‚Anderen‘, des nicht Inkludierten. „Identifizierung“ findet also durch eine „Zurückweisung“ statt, ohne die sich das Inkludierte nicht konstituieren kann (ebd.: 23). Die staatsbürgerlichen Anrufungs-

14 Krafft-Ebing, Richard (1907 [1886]): Psychopathia sexualis mit besonderer Berücksichtigung der conträren Sexualempfindung, 13. Auflage, herausgegeben von Alfred Fuchs, Stuttgart, 297. 15 Elberskirchen, Johanna (1904): Revolution und Erlösung des Weibes, zit.n. FrauenMediaTurm (o.J.). Johanna Elberskirchen (1864-1943), online verfügbar auf: http://www.frauenmediaturm.de/dossier_elberskirchen.html (Zugriff: 10.12.2010). 16 Die kursive Setzung verweist hier auf die Bedeutung und das Wissen um weitere Gruppen von verworfenen ‚Anderen‘, welche das konstitutive Außen der Inklusion von (weißen) Frauen als Staatsbürgerinnen bildeten. Hier sei u.a. auf die kolonialen und antisemitischen Entwicklungslinien und Korrespondenzen in der ‚Emanzipation‘ weißer Frauen im globalen Norden verwiesen sowie auf die Interdependenz einer (modernen) Systematisierung von ‚Rasse‘ und ‚Homosexualität‘.

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und Identifikationsfiguren ‚Mutter‘, ‚Ehefrau‘, ‚Versorgerinnen‘ verlang(t)en „somit gleichzeitig, einen Bereich verworfener Wesen hervorzubringen“, die „das konstitutive Außen“ dieser Figuren und ihrer (geschlechtlichen) Identifizierung abgeben (ebd.). „It is not that nonheterosexual forms of sexuality are simply left out, but their suppression is essential to the […] [hetero]normativity. This is not simply a question of certain people suffering a lack of cultural recognition of others, but, rather is a specific mode of sexual production and exchange that works to maintain the stability of gender, the heterosexuality of desire, and the naturalization of family.“ (Butler 1997: 274)

Staatsbürgerschaft wird hier wiederum in Rekurs auf feministische und queere Analysen als vergeschlechtlichtes, androzentrisches und heteronomatives Konzept begriffen, das spezifische Geschlechternormen und sexuelle Staatsbürger*innen sowohl re-/produziert als auch voraussetzt. Diese Perspektive verbinde ich mit jenen Erkenntnissen aus dem Bereich der historischen Lesbian Studies, welche auf die historische Bedeutung der Erfindung weiblicher Homosexualität für die Re-/Produktion und Stabilisierung heteronomativer Zweigeschlechtlichkeit im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert hingewiesen haben und/oder die konstitutive Bedeutung (lesbischer bzw. ‚devianter‘) Sexualitäten für die Konstruktion des ‚Normalen‘ analysiert haben (vgl. Hacker 1987; Hacker 1996; Hacker 2000; Göttert 1989; Göttert 1996; Soine 2000; Faderman 1990; Bauer 2009; Cohler 2007; Hark 1999a; Kookula 1981; Wolf 2004; Butler 1991; Butler 1995). Auf der Basis einer kritischen Zusammenführung dieser Ansätze möchte ich also zeigen, inwieweit die Systematisierung, Pathologisierung und Verwerfung ‚weiblicher Homosexualität‘ zur Sicherung der (vergeschlechtlichten und [hetero-]sexuellen) Grenzen und Implikationen weiblicher Staatsbürgerinnenschaft eingesetzt wurde und diese gleichzeitig bedingte. In diesem Zusammenhang geht es mir nicht um eine ‚verschwörungstheoretische‘ Lesart einer Interdependenz von weiblicher Staatsbürgerinnenschaft und der Verwerfung lesbischer Existenzweisen, sondern um den Versuch, historische Phänomene der Exklusion und Inklusion, Anerkennung und Verwerfung (neu) zu denken. Meine These von der konstitutiven Bedeutung der ‚lesbischen Höllenfigur‘ für die staatsbürgerliche Inklusion von Frauen werde ich im Folgenden also gerade in Rekurs auf die historische Einsetzung von ‚der Lesbe‘ als politische und soziale Kategorie für disziplinierende und normierende Operationen und Prozeduren rekonstruieren. Mein theoretischer Blick auf die konstitutive Bedeutung von Exklusionsprozessen für die (vermeintlich) emanzipatorische Inklusion von (‚weißen‘) Frauen

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als Staatsbürgerinnen innerhalb der EUropäischen Nationalstaaten wurde darüber hinaus aber auch durch postkoloniale und rassismus- bzw. antisemitismuskritische (feministische) Arbeiten geschärft. Denn dieses zeigen ebenfalls auf, wie mit einer Verallgemeinerung des Staatsbürgerschaftsstatus sowie der (staatsbürgerlichen) Emanzipation von (‚weißen‘) Frauen im globalisierten Norden nicht nur die Verwerfung der ‚Lesbe‘, sondern auch der ‚kolonialisierten Frau‘, der ‚Jüdin‘, der ‚Schwarzen Frau‘, der ‚Dritte Welt Frau‘ als deren ‚Anderes‘ einherging (vgl. Mohanty 1988; McClintock 1995; Stoler 2003; Hacker 1997). Diese ‚Verwerfungen‘ standen in ihrer Methodik, Analytik und in Bezug auf ihre Wissensregime und (ausführenden) Institutionen in einer engen Wechselbeziehung – so wurde das im Rahmen der modernen Sexualwissenschaft entwickelte biologistische Analyseinstrumentarium auch zur ‚Vermessung‘ und (vermeintlichen) ‚Kennzeichnung‘ des ‚kolonialisierten‘ bzw. ‚rassischen Anderen‘ und umgekehrt verwendet (vgl. McClintock 1995; Stoler 2003; Hacker 1987). In einem ersten Schritt steht also die Frage nach der spezifischen (historischen) Konstituierung und Positionierung von lesbischen Existenzweisen als verworfenes und gleichzeitig ‚undenkbares‘ Anderes weiblicher Staatsbürgerschaft und heteronormativer Weiblichkeit im Zentrum meiner Analyse. Zeitlich und örtlich setze ich in diesem Zusammenhang dort an, wo die Kategorie ‚der Lesbe‘ in Europa ihre naturwissenschaftliche Fundierung erfuhr bzw. ihre Systematisierung zum größten Teil bereits abgeschlossen war und ‚die Lesbierin‘ als politische und soziale Kategorie zur Grundlage von disziplinierenden und normierenden Operationen und Prozeduren werden konnte. Die folgenden Ausführungen beziehen sich daher auf den Zeitraum ab 1870 und vornehmlich auf Entwicklungen in einem (kontinental-)europäischen Kontext und beschäftigen sich mit jenen (cultural) politics of citizenship, die trotz der Gewährung des allgemeinen Wahlrechts und der (formellen) Universalisierung des Staatsbürger*innenstatus zu Beginn des 20. Jahrhunderts, lesbische Existenzweisen zu abject citizens machten. Mit Rekurs auf die Interpellationstheorie von Louis Althusser (1977) und poststrukturalistische Analysen zur Performativität und der diskursiven Hervorbringung von (politischen) Subjekten bzw. Subjektpositionen (vgl. Butler 1995; Butler 1998; Foucault 1983 [1977]; Foucault 2000c [1978]; Foucault 2010a [1976/1979]) wird im Rahmen einer diskurstheoretischen Analyse von staatsbürgerlichen Anrufungs- und Identifikationsprozessen die widersprüchliche Konstituierung lesbischer Existenzweisen als abject citizens nachgezeichnet.

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Die ‚Lesbe‘ als Kategorie der Grenzziehung heteronormativer Weiblichkeit Dass ‚weibliche Emanzipation‘ und besonders die Angriffe der (‚ersten‘) Frauenbewegungen auf den staatsbürgerlichen Ausschluss von Frauen nicht jenseits der Systematisierung weiblicher Homosexualität zu theoretisieren sind, zeigt Hanna Hacker in ihrer bis heute einzigartigen historischen Untersuchung (Hacker 1987). Darin kommt sie zu dem Schluss, dass „[d]ie Träger der Systematisierung [weiblicher Homosexualität] […] auf gesellschaftliche Veränderungen, in erster Linie auf den sich organisierenden Widerstand, auf das offensive Sichtaufs-eigene-Geschlecht-Besinnen, auf den Eigensinn der Frauen“ reagierten (ebd.: 14). Die wissenschaftlicher ‚Erfassung‘, Systematisierung und Pathologisierung weiblicher Homosexualität als Form sexueller und geschlechtlicher ‚Devianz‘ ab etwa 1870 erfüllte daher auch die (politische) Funktion „mit gesellschaftlichen Problemen“, besonders den weiblichen Emanzipationskämpfen, „zurande zu kommen“ (ebd.). Insofern ist für Hacker die „Erfindung der weiblichen Homosexualität, ihre systematische Diskursivierung, die Ideologien und politischen Strategien, die Männer zu dieser neuen Kategorie entwickelten und in die die Frauen eingebunden werden sollten […] nicht ein spezielles Phänomen in der Geschichte einer speziellen Randgruppe, sondern bedeutungsstärkster und mächtigster Ausdruck der Umwälzungen in den Geschlechterbeziehungen seit dem späten 19. Jahrhundert.“ (Ebd.: 12; Hervorh. C.K.)

Die Kategorisierung, Systematisierung und Pathologisierung der ‚Lesbe‘ entsteht historisch also in einem „Kontext fundamentaler gesellschaftlicher Umwälzungen“ und gleichsam als „(eine) Antwort auf die problematisch gewordene Organisation des Geschlechterverhältnisses sowie der Sexualität“ (Hark 1999: 74). Denn gerade auf Basis dieser „Systematisierung“ und dem daraus entwickelten „dichte[m] Erklärungssystem für diese eigenartigen Frauen“ war es im Rahmen politischer Entwicklungen zur (formalen) Geschlechtergleichheit möglich, neue Differenzierungen bzw. Grenzziehungen zwischen Frauen einzuführen. Zu einem ähnlichen Schluss kommt auch Lilian Faderman in ihrer historischen Untersuchung: „Wer der wachsenden Unabhängigkeit der Frauen feindlich gesinnt war, konnte […] mit namhafter Unterstützung [mit Hilfe der Sexualforscher] die Frauen, welche die Gleichberechtigung wollten, der Entartung beschuldigen und sie mit der Furcht von Abnormität im Herzen, zurück an den Herd drängen. Eine Lesbierin war, laut Definition der Sexualfor-

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scher, eine, die die traditionelle Frauenrolle ablehnte. […] anstatt passiv zu sein, war sie aktiv; anstatt die Häuslichkeit zu lieben strebte sie nach Erfolg in der Öffentlichkeit; anstatt dem Mann den ersten Platz in ihrem Leben zu geben, gab sie diesen Platz sich und anderen Frauen.“ (Faderman 1990: 259f.; Hervorh. C.K.)

Besonders greifbar wird diese disziplinierende und normierende Funktion ‚der Lesbe‘ als das, was verworfen und verleugnet wird und sich als ganz „‚anders‘ als die Frau“ präsentieren soll(te) in der zweiten Phase17 der wissenschaftlichen Systematisierung weiblicher Homosexualität ab ca. 1890 (Hacker 1987: 34). Darin wurden die „Systematisierungsversuche auf tendenziell alle Frauen ausgeweitet, die sich in irgendeiner Weise den traditionellen Weiblichkeitsmustern verweigerten“ (Soine 2000: 197; vgl. Hacker 1987; Hacker 2000). So kennzeichnete die weibliche Homosexuelle in den Augen der (ausschließlich männlichen) Sexualforscher, neben einem ‚männlichen‘ Kehlkopf, Knabenspielen und Rivalisieren, auch, wie Hanna Hacker die Aussagen der Sexualwissenschaftler Magnus Hirschfeld18 (1868-1935) und Richard von Krafft-Ebing19 (1840-1902)

17 Die erste Phase setzt Hanna Hacker von ca. 1870 bis 1890 an, in der es vor allem um eine vereinzelte Untersuchung und Erfassung so genannter ‚conträrsexueller Frauen‘ in der Sexualwissenschaft ging (Hacker 1987: 33ff.). 18 Magnus Hirschfeld kann als einer der bedeutendsten Sexualforscher um die Jahrhundertwende gelten. Hirschfeld, Mediziner, Gerichtsgutachter und Aktivist innerhalb der ersten Homosexuellenbewegung(en), popularisierte ab 1896 seine „Theorie der angeborenen, aber nicht naturwidrigen Homosexualität sowie der unendlichen Vielfalt natürlicher ‚sexueller Zwischenstufen‘“ (Hacker 1987: 17f.; vgl. Hacker 1996). Als Begründer des Berliner ‚Instituts für Sexualforschung‘ popularisierte Hirschfeld auch die Idee eines „Dritten Geschlechts“. Als sein Hauptwerk zum Thema der Homosexualität kann die 1914 erschienene Schrift „Die Homosexualität des Mannes und des Weibes“ gelten (Hacker 1996: 120). Im Gegensatz zu Krafft-Ebing setzte sich Hirschfeld als Aktivist der frühen Homosexuellenbewegung für die ‚Befreiung‘ und soziale Akzeptanz von (männlicher) Homosexualität und damit seiner eigenen Lebensweise ein. 19 Richard von Krafft-Ebing, Psychiater und Gerichtsmediziner, gilt als der „forensisch-psychiatrische Erzeuger und Verwalter der ‚Conträrsexualität‘“ (Hacker 1987: 17). In seinem bekannten sexualwissenschaftlichen Werk, der „Psychopathia sexualis“, vertrat er die These von einer ‚angeborenen‘ Homosexualität als neuropsychopathische Störung, Degeneration oder ‚Mißbildung‘ (vgl. Hacker 1987; Hacker 1996; Soine 2000). Krafft-Ebing trug wesentlich zur fundierten Systematisierung, Pathologisierung und ‚anatomischen‘ und ‚psychologischen‘ Beschreibung der ‚conträrsexuellen Frau‘ bei, konstatierte dieser doch sowohl „anatomische Anomalien“ ebenso wie

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zusammenfasst, „die Abneigung gegen Handarbeiten und Kosmetik, gegen Parfüm und Näschereien, die Vorliebe für Rauchen, Trinken, Sport, männliche Kleidung, Höhere Bildung“ und „unterschiedliche Arten der sexuellen Betätigung je nach Schweregrad der Konträrsexualität“ aus (Hacker 1987: 37; vgl. Hacker 1996). „Über das Benennen und Operationalisieren von Männlichkeit“ in der weiblichen ‚Conträrsexuellen‘ wurde damit „die ‚wahre‘ Frau in ihren Pflichten und Eigenschaften“ erneut beschrieben und festgelegt und es wurden mittels der „Figur des Mannweibes die Grenzen der Zweigeschlechtlichkeit“ befestigt (Hacker 1990: 40; 50f.). Die Drohung mit dem „monströsen Aufstieg zum Phallizismus“, also der Drohung mit dem Verlust der (heteronormativ bestimmten20) Weiblichkeit, bringt/brachte daher erst die entsprechende inklusionswürdige Weiblichkeit hervor und fungiert derart auch als dessen konstitutives ‚Außen‘ (Butler 1995: 149). Monique Wittigs (1992c [1982]) bekannte These, dass Lesben keine Frauen seien, bekommt in diesem Kontext demnach eine besondere Bedeutung: denn die ‚Conträrsexuelle‘, die ‚Lesbierin‘ repräsentiert das, was im Prozess der Herstellung der heteronormativ bestimmten Weiblichkeit zurückgewiesen werden muss, sie ist damit die ‚Nicht-Frau‘ und gleichzeitig die Grenzziehung und das Abjekt der ‚richtigen‘ Frau (vgl. Butler 1995). Die als ‚Invertierte‘ und mit einem ‚phallischen‘, aktiven Begehren oder gar mit einer ‚männlichen Physiognomie‘ konstruierte (Nicht-)Frau, stellt damit aber auch gleichsam einen Angriff auf die männliche (Staatsbürger-)Position dar. Zielten antifeministische Argumentationen Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit dem Verweis auf die ‚Abartigkeit‘ und in Verbindung mit weiblicher Homosexualität prinzipiell auf eine Unterbindung weiblicher Emanzipationsversuche ab, so diente das Bild von der ‚Lesbe‘ nach der Gewährung des Frauenwahlrechtes und teilweise bis heute dazu, Frauen ‚trotz‘ ihrer neuen politischen und sozialen Rechte an ihrem ‚weiblichen‘ Platz zu halten. Wurde al-

„Neurosen, Psychosen sowie andere degenerative Erkrankungen“ (Soine 2000: 196). Krafft-Ebing unterschied in diesem Kontext zwischen einer angeborenen Conträrsexualität und einer erworbenen Conträrsxualität – die ‚originäre‘ Conträrsexuelle wurde bei Krafft-Ebing zum eigentlich (degenerierten) ‚Mannweib‘ (vgl. Hacker 1987). Krafft-Ebings Theorien zur Homosexualität waren freilich, wie beinahe alle (männlichen) Sexualtheorien seiner Zeit, in ein größeres dichotom-ungleiches Geschlechterverständnis eingebettet. In seiner „Psychopathia sexualis“ vertrat er daher wie selbstverständlich die These von der eigentlich passiven sexuellen Natur von Frauen. 20 Hier sei unbedingt darauf verwiesen, dass es auch ‚alternative‘ und subversive Formen bzw. Umarbeitungen/Aneignungen von Weiblichkeit sowie ‚lesbische Weiblichkeiten‘ (z.B. Femmes) existieren.

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so die im 18. Jahrhundert einsetzende Neuinterpretation des Geschlechterunterschiedes und die „Codierung modernen Geschlechterdifferenz“ als hierarchische Totaldifferenz zunächst dazu verwendet, um den vollständigen Ausschluss von Frauen von der politischen Teilhabe im Rahmen eines aufklärerischen Gleichheitsdiskurses zu rationalisieren, so diente diese Anfang des 20. Jahrhunderts dazu, die Grenzen der Weiblichkeit sowie das heterosexuelle Komplementaritätsmodell trotz formaler politischer Rechte zu sichern (Honegger 1991). ‚Der Lesbierin‘ kommt als „abweichende[m] oder verdrängte[m] Widerpart“ zu den „Figuren geschlechtlicher Normalität“ eine zentrale Rolle in den geschlechtsspezifischen Prozessen der Ausweitung politischer Mitgliedschaft zu (Hacker 2000: 42). Mit der Kreation der „Höllenfigur“ des (pathologischen) „Mannweibes“ konnte die androzentrische Generalisierung des Staatsbürgerschaftsstatus und die formale Einbeziehung der Frauen als sekundäre Staatsbürgerinnen ideologisch abgesichert werden (vgl. Soine 2000). „Nicht-Weiblichkeit effektierte“ historisch also nicht nur einen „Ausschluss“ und eine „Marginalisierung […] im Vollzug dominant männlicher Diskurse“, sondern auch in der Konstituierung machtvoller „Differenzen unter Frauen“ (Hacker 1997: 11). Die Lesbe wurde also gerade zu jenem historischem Zeitpunkt zu einer politischen Kategorie und Grundlage disziplinierender und pathologisierender Prozeduren, als ‚Frauen‘ (formale) Staatsbürgerinnen werden wollten und geworden sind. Die Systematisierung weiblicher Homosexualität ist damit auch gleichsam eine „kulturelle Problemlösungsstrategie“, um mit der zunehmenden Emanzipation von Frauen und den Veränderungen im Geschlechterverhältnis zu Rande zu kommen (Hark 1999: 70). Die „Einteilung sexueller Devianz in verschiedene Kategorien des Abnormalen“ war damit eine „Methode, das Normale selbst zu konstruieren (und damit zu stabilisieren)“ (ebd.). Lesbische Existenzweisen wurden damit einerseits zu strangers within der Gruppe weiblicher Staatsbürgerinnen, zum anderen wurde die ‚Figur‘ der Lesbe zu jenem staatbürgerlichen Abjekt, das als ‚Höllenfigur‘ die geschlechtsspezifische, heteronormative Inklusion von Frauen als (Sekundär-)Bürgerinnen und ihrer Pflichten als Mütter, Ehefrauen und Versorgerinnen sichern sollte. Die ‚Höllenfigur‘ der Lesbe steckte damit als ‚Anti-Typ‘ die Zone legitimer weiblicher Staatsbürgerinnenschaft ab.

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Sexuelle Transgression als Gefährdung androzentrischer Staatsbürgerschaften und ihrer Geschlechterordnungen Vor dem Hintergrund einer gouvernementalitätstheoretischen und diskursanalytischen Deutung von Staatsbürgerschaft als Set institutionalisierter rechtlicher, politischer, ökonomischer und sozialer Praktiken und kulturell symbolischer Anrufungs- und Subjektivierungsprozesse kann die Figur der ‚Lesbe‘ damit als ein zentrales Abjekt der staatsbürgerlichen Inklusion von Frauen innerhalb der europäischen Nationalstaaten dechiffriert werden, da diese Figur etwas von dem verkörperte, was zurückgewiesen und verworfen werden musste. Weibliche Homosexualität kann damit als konstitutiv für weibliche Staatsbürgerinnen gesehen werden, wenngleich lesbische Existenzweisen als strangers within stets auch Teil dieser Gruppe waren/sind. Die Ambivalenz des Staatsbürgerschaftsstatus/Staatsbürgerinnenschaftsstatus lesbischer Existenzweisen liegt also gerade darin, dass sie Teil und nicht Teil dieser Gruppe waren/sind, dass sie als ‚Lesben‘ das verkörperten, was in diesem Prozess einer Identifizierung mit heteronormativer Weiblichkeit zurückgewiesen werden muss(te). „The lesbian threat is […] a way of controlling the limits of Women’s capacities to contest the reproduction of gender hierarchy […] the term ‚lesbian‘ when used in a regulatory manner is most often connected to ‚manhater‘, it is in fact more the refusal to do gender right, that is, to be a Woman, that is to be in the service of Men, that incurs this term.“ (Grant 2000: 66f.; Hervorh.i.Org.)

Die Lesbe ist damit auch gleichzeitig „Nicht-Frau“ und „nicht weiblich“, aber auch nicht ‚wirklich‘ oder ‚ganz‘ männlich; sie hat keinen, „‚wirklichen‘ Namen, da […] sie in dem Paradox gefangen schein[t], daß es sie im historischen Realen nicht geben kann, im Imaginären sie doch jede/r kennt“ (Hacker 1997: 11). Als „Höllenfigur“ oder „perverse shadow“ bleibt die ‚Lesbe‘ als „Quelle ständiger Unruhe“ daher präsent und wird zu einem ständigen „Risiko“ für die „mächtige kollektive Selbst-Formierung von Frauen“ (Peace 2001: 50; Hark 1999a: 85; Hacker 1997: 15). In ihrer historischen Rekonstruktion von Diskursen über weibliche Homosexualität zeigt Lilian Faderman, dass gerade im Zuge zunehmender Entwicklungen zur (formalen) politischen Gleichberechtigung nach dem Ersten Weltkrieg, Frauen mit dem warnenden Verweis auf eine mögliche (verwerfliche) ‚sexuelle Abnormalität‘, „auf ihrem Platz“ als Mütter, Versorgerinnen und Ehefrauen gehalten werden sollten (Faderman 1990: 352). Demnach erschienen zahlreiche wissenschaftliche und populärwissenschaftliche Arbeiten, ebenso wie Ratgeber und Romane, die vor der ‚Gefahr‘ homosexueller Frauen

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für ‚normale Frauen‘ warnten (vgl. Faderman 1990; Schoppmann 2007; Hacker 1987). Nicht nur feministische Organisationen wurden daher als ‚Brutstätten‘ weiblicher Homosexualität diffamiert, sondern ‚Lesbierinnen‘ waren darin auch die eigentliche Gruppe, die sich aufgrund ihrer ‚Inversion‘ in die „öffentliche und institutionelle Politik“ einmischen und die eigentlichen Aufgaben einer ‚normalen Frau‘21 nicht erfüllen wollten (Faderman 1990: 357; vgl. Schoppmann 2007). Ein zeitgenössisches Zitat des Sexualwissenschaftlers Iwan Bloch (18721922) bringt diese negative Verschränkung von weiblicher Homosexualität mit weiblichen Emanzipationsbestrebungen sehr anschaulich auf den Punkt, wenn er schreibt: „Einen meines Erachtens nicht unbedenklichen ätiologischen Faktor in der Genesis der Tribadie bildet die moderne Frauenbewegung, die das Weib auf sich allein stellt, männlich empfindende Charaktere züchtet, ein intimes Sichaneinanderschließen der Frauen begünstigt und einen eigentümlichen Corpsgeist in ihnen weckt.“ (Bloch 1902, zit. n. Göttert 1989: 28).

Enge freundschaftliche Beziehungen und Bindungen zwischen Frauen begannen historisch also dann vermehrt zum ‚Problem‘ zu werden, als Frauenbewegungen an gesellschaftspolitischer Relevanz gewannen und ‚Frauenfreundschaften‘ mit (Geschlechter-)Transgression und Homosexualität in Verbindung gebracht wurden (vgl. Hacker/Lang 1986: 13; Göttert 1989: 28). Wie Ann Stoler anhand ihrer postkolonialen Analyse betont, wurde ab Ende des 19. Jahrhunderts und zu Beginn des 20. Jahrhunderts sexuelle Transgression vermehrt als Form der politischen Grenzüberschreitung gedeutet und somit als politisch-aggressiver Akt gegen die ‚herrschende Ordnung‘ interpretiert (Stoler 2003: 59; vgl. Hacker 1997). „Sexuelle Zeichen“ wurden so zu „Spuren überschrittener Verbote“ (Hacker 1997: 233). Gerade die ‚lesbische Frau‘ wurde daher aufgrund ihrer (scheinbaren) ‚geschlechtlichen Inversion‘, ihrer ‚Nicht-Weiblichkeit‘ um 1900 zum Inbegriff der „Gewaltverbrecherin“ und markierte so durch ihrer doppelte Transgres-

21 Freilich waren auch unterschiedliche Proponentinnen und Strömungen innerhalb europäischer Frauenbewegungen Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts an der Konstruktion und Produktion von heteronormativen Weiblichkeitsvorstellungen beteiligt. Demnach enthielten auch die Weiblichkeitsdiskurse der Frauenbewegungen „familiäre Glückshoffungen […] die Ehre der Mütterlichkeit, die nicht frivole Liebe“ und Vorstellungen von einer „dynamisierte[n] Handhabung der Haushaltspflichten“ (Hacker 1987: 276).

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sion (weibliche Gewalt, aktives Begehren) „die Grenzen der kulturellen Weiblichkeit“ (ebd.: 252). Die ‚Lesbe‘ wird derart also sowohl zu einer permanenten Gefahr für die heteronormative Geschlechterordnung als auch für die ‚aktiv-phallische‘ Position des männlichen Staatsbürgers selbst. Als ‚Nicht-Frau‘ – laut der Sexualwissenschaftler in ihrem ‚Inneren‘ eventuell sogar ‚männlich‘ – und aufgrund ihres aktiven Begehrens nach Frauen wird die Figur der ‚Lesbe‘ derart zu einer Bedrohung für die männliche Position selbst. Die ‚Lesbe‘, so kann in Rekurs auf Butlers Überlegungen zu einem „lesbischen Phallus“ postuliert werden, zieht also das „Privileg“ des Penis als „Meistersignifikat“ des Phallus in Zweifel (Butler 1995: 129): „Den Phallus […] aus der normativen heterosexuellen Form des Austausches abzuziehen und ihn zwischen Frauen […] zirkulieren zu lassen und zu privilegieren […] erzeugt eine Krise, die fraglich macht, was es überhaupt heißt, einen zu ‚haben‘. Der phantasmatische Status des ‚Habens‘ [eines Phallus, Anm. C.K] wird neu umrissen, wird übertragbar, ersetzbar und frei beweglich.“ (Butler 1995: 129f.)

Das ‚phallische Bedrohungsszenario‘, das im Zusammenhang mit der Figur/Position der ‚Lesbe‘ konstruiert wird/wurde, zeigt daher wiederum an, dass der Phallus eben nicht mit dem Penis in eins gesetzt werden kann, sondern durch eine Vielzahl an politischen und kulturellen Prozeduren zusammengebunden wurde/wird. Das lesbische Begehren impliziert in Judith Butlers Überlegungen daher auch eine Form der „morphologischen Übertretung“ und damit auch der Geschlechterbinarität selbst (ebd.: 122). Der politische Kampf von Frauen gegen ungleiche politische Verhältnisse und Strukturen, die zunehmende Überschreitung der ‚Grenzen‘ bürgerlicher Privatheit und das eigene Öffentlich-werden konnte demnach durch die ‚Entdeckung‘, Systematisierung und Kategorisierung ‚wissenschaftlich fundiert‘ diffamiert und eingedämmt werden. Die Systematisierung weiblicher Homosexualität zielte also auf die „Sprengung“ von „Freundschaften, Bindungen und Naheverhältnissen zwischen Frauen“ ab, da diese nicht zuletzt „in den Formationen der Frauenbewegungen […] gesellschaftliche Brisanz“ entfaltet hatten (Hacker/Lang 1989: 13). Ähnlich Zusammenhänge zwischen der Absicherung einer androzentrisch-heteronormativen Staatsbürgerschaft und der Bedeutung von weiblicher „sexual deviance“ stellt auch Deborah Cohler in ihrer lesbenspezifischen Untersuchung für die Zeit während und nach dem Ersten Weltkrieg in Großbritannien fest (Cohler 2007: 69f.): „[C]ultural anxieties over women’s involvement in the masculine public sphere enabled a new rhetoric of female homosexuality to

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emerge on the British home front“, so Cohler (ebd.: 71). Sie verweist in diesem Zusammenhang sowohl auf das 1918 verbotene pazifistische Werk von Rose Allatini „Despised and Rejected“, das „nascent lesbian representations“ enthielt, als auch auf die nationale Aufregung, die der Prozess um die Tänzerin Maud Allan und ihre (angebliche) Homosexualität auslöste (ebd.: 73ff.). Als Fortsetzung des britischen Versuchs einer ‚Eindämmung‘ gefährlicher lesbischer Tendenzen unter Frauen kann auch das Gerichtsverfahren gegen den 1928 erschienenen, bekannten lesbischen Roman von Radclyffe Hall „The Well of Loneliness“ gelten, der mit einer Vernichtung bzw. dem Verbot dieses Werkes aufgrund seines ‚obszönen‘ Inhaltes endete. Carolyn Janice Dean spricht für die Zwischenkriegszeit in Frankreich von ähnlichen Zusammenhängen, und weist hier besonders „natalist anxieties“ eine große Rolle zu (Dean 2000: 174). „[P]olitical and cultural commentary demonized lesbianism in the context of the low birthrate and feminist challenges to normative heterosexuality. […] literary and medical narratives emphasized […] the threat that they posed to the size and health of the population.“ (ebd.: 177)

Diese durch Medizin, Sexualwissenschaft, Literatur und öffentliche Medien gestützte systematische Verwerfung und Pathologisierung lesbischer Existenzweisen in den europäischen Nationalstaaten wurde darüber hinaus durch unterschiedliche rechtliche Regelungen untermauert, die zum einen die ökonomische Selbstständigkeit und politische Artikulation von Frauen im Allgemeinen 22 einschränkten bzw. besonders die ‚invertierte‘, ‚abartige‘ Frau und ‚ihre‘ (Schutz)Räume, Vereine und Kommunikationsmittel betrafen. Sexuelle Akte zwischen Frauen wurden auch in mehreren europäischen Staaten (österreichische Reichshälfte von Österreich Ungarn/Österreich, Griechenland, Finnland, Schweden, Mehrheit der Schweizer Kantone) bereits Ende des 19. Jahrhunderts zu einem strafrechtlich sanktionierten Delikt (Hacker 1997, 253f.; vgl. Hacker 1987; Faderman 1990). Die Historikerin Heike Bauer liefert in ihrer Bezugnahme auf die Schriften von Krafft-Ebing auch indirekt eine historische Erklärung für die zunehmende ‚Politisierung‘ von weiblicher Homosexualität am Anfang des 20. Jahrhunderts.

22 Auf die eingeschränkten politischen, ökonomischen und rechtlichen Möglichkeiten von Frauen Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts wird hier nicht eingegangen. Es sei hier auf die zahlreichen Publikationen aus dem Bereich der historischen, politikwissenschaftlichen und soziologischen Frauen- und Geschlechtergeschichte verwiesen (z.B. Frevert 1995; Appelt 1999; Bock 2000).

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Durch die (partielle) Anerkennung von Frauen als politische Subjekte und Staatsbürgerinnen, musste ihre Homosexualität nun als ein politisches Problem begriffen werden (vgl. Bauer 2009: 90). Heike Bauer erklärt in diesem Zusammenhang, dass die ‚Kriminalisierung‘ und die Art der Verurteilung/Verfolgung von lesbischen Frauen und/oder sexuellen Akten daher stets auch in Wechselwirkung zum prinzipiellen politischen Subjekt und Staatsbürgerinnenschaftsstatus von Frauen zu interpretieren sei, da dieser letztlich darüber entscheidet, ob dieses ‚Vergehen‘ als ein Akt ‚gegen den Staat‘ oder als ‚nur‘ ein moralischsittliches Vergehen verhandelt würde (ebd.: 95).

Z WISCHEN P ASSING , (U N -)S ICHTBARKEIT V ERWERFUNG – EINE L ESBE IST K / EINE S TAATSBÜRGERIN

UND

Grenzgänger*innen der Inklusion: Heteronormative Anrufungen und die Prekarität disanaloger Positionierungen Wenn also Charles Taylor (2000: o.S.) fragt „[w]as drängt die Demokratie zur Ausgrenzung?“ und darauf antwortet, „[d]ie Exklusion ist ein sekundärer Effekt von etwas anderem“, nämlich, dass „demokratische Staaten auf eine gemeinsame Identität angewiesen [sind]. [...] ein moderner demokratischer Staat […] [braucht] ein ‚Volk‘ mit einer starken kollektiven Identität“ , dann wird hier deutlich, dass die Frage der staatsbürgerlichen In- und Exklusion von lesbischen Existenzweisen wiederum in Zusammenhang mit der Konstruktion spezifischer vergeschlechtlicht-heteronormativer ‚Akteursfiktionen‘ und ‚Anrufungsfiguren‘ diskutiert werden muss (Klapeer 2011: 43). Im Kontext der Systemtheorie würde das folglich bedeuteten, dass das Inkludierte durch die Identifikation mit den vorgegebenen (System-)Regeln, Normen und Erzählungen erst hergestellt wird (Luhman 1995). Staatsbürger*innen müssen sich folglich als Autor*innen und Adressat*innen „derjenigen Standards, Prinzipien und Gesetze verstehen können, die ihre Rechte und Pflichten definieren und ihre Leben tiefgreifend beeinflussen“ (Murmann 2000: 85). Dieser notwendige ‚Identifikationsprozess‘ ist jedoch wechselseitig mit Exklusionsprozessen verbunden – entweder bereits a priori, weil bestimmte Gruppen bzw. Subjekte erst gar nicht als ‚Angerufene‘ in Frage kommen (external exclusion), oder weil sie a posteriori bestimmte Grundlagen der Identifikation nicht erfüllen können oder wollen (internal exclusion) (vgl. Young 2002: 52f.). Jene (System-)Regeln, Normen und Erzählungen, die nach Identifikation verlangen, sind demnach keineswegs ‚neutral‘, sondern prä-

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sentieren sich als höchstgradig vergeschlechtlichte, heteronormative und rassialisierte/ethnifizierte Konzepte. Aufgrund ihrer androzentrisch-heteronormativen und an den (ethnisierten) Nationalstaat gebundenen Geschichte von Staatsbürgerschaft bezieht/bezog sich das Angebot der (Voll-)Inklusion (bis heute) jeweils nur auf spezifische Gruppen und adressierte demnach nur ausgewählten Subjekte im Rahmen dieses Identifikationsprozesses. Lesbische Existenzweisen können sich – werden sie nicht schon a priori (aufgrund ihrer realen oder der ‚angenommenen‘ Herkunft) oder aufgrund anderer (nationalistischer, rassistischer) Exklusionskriterien von einer ‚Anrufung‘ als Staatsbürger*innen ausgeschlossen – spätestens seit der Verallgemeinerung des Staatsbürger*innenschaftsstatus in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in einem abstrakten Sinn sehr wohl als (weibliche) Staatsbürgerinnen konstituieren, solange sie sich als neutralisierte Staatsbürger*innen den bereits beschriebenen, vergeschlechtlicht-heteronormativen und rassialisierten Identifikationsanforderung nicht verweigern oder ihnen aktiv etwas entgegensetzen. Sie erfahren also „über diese staatliche Anrufungspraxis“ solange weder eine „unmittelbare alltägliche oder strukturelle Gewalt“ noch einen „subtilen oder direkten Ausschluß“, solange „sie sich den hegemonialen gesellschaftlichen Werte und Normprinzipien entsprechend verhalten“ (Gutiérrez Rodríguez 2006; vgl. Calhoun 2000: 87). Der Status von lesbischen Existenzweisen ist damit „disanalogous“, weil der Ausschluss eigentlich über die Annahme einer geteilten heterosexuellen Normalität/Identifizierung stattfindet (Calhoun 2000: 87). Lesbische Existenzweisen werden dabei aber keineswegs in ihrer (‚sexuell abweichenden‘) Partikularität angerufen und damit anerkannt, sondern als (Sekundär-)Bürgerinnen im Rahmen eines heteronormativ-androzentrischen Anrufungsprozesses adressiert. Als solche haben sie auch potenziell alle staatsbürgerlichen Rechte und Partizipationsmöglichkeiten, die einer weiblichen Staatsbürgerin zukommen (sollen).23 Erfüllen lesbische Existenzweisen demnach die rassialisierten Kriterien für die ‚äußere Inklusion‘, leben diese als (sexual) strangers zwischen den aufgrund ihrer (vermeintlichen) geopolitischen Herkunft zu Exkludierenden und den Inkludierten. „[L]esbians occupy a shadowy territory neither fully outside nor fully inside civil society. Unlike the criminally insane, whose inability to tell right from wrong disqualifies them from civic status [they] formally possess […].“ (Calhoun 2000: 105).

23 So können/konnten Lesben in jedem EUropäischen Land einen Mann im Rahmen einer heterosexuellen Ehe heiraten und in diesem Zusammenhang die damit verbundenen (sozialen und kulturellen) Rechte in Anspruch nehmen.

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Lesbische Existenzweisen verweisen als antagonistische Subjekte also ständig dort auf eine Differenz im ‚Inneren‘, wo eigentlich keine Differenz sein darf/sein sollte. Dieser „Horror der Unbestimmbarkeit von Inklusionsunterscheidungen“ (Stäheli 2001: 56) erfordere daher eine ständige Widerholung/Zitation (heteronormativer) Systemregeln, denn „[the] fear of the homo, which continually rubs up against the hetero […], concentrates and codifies the very real possibility and ever present threat of a collapse of boundaries […] and a radical confusion of identities“ (Fuss 1991: 4). In diesem Zusammenhang kann daher von einer Interdependenz heteronormativer staatbürgerlicher Anrufungsprozesse und (gewaltvollen und/oder normierenden) „politics of passing“ (Johnson 2002) gesprochen werden, da das ‚Durchgehen‘ als heterosexuelle Bürgerin zur identifikatorischen Anforderung und damit zugleich zur Inklusionsbedingung selbst wird. Der Zugang von lesbischen Existenzweisen zu ‚richtiger Weiblichkeit‘ bleibt aber aufgrund ihrer Nicht-Erfüllung Bedingung intelligibler Weiblichkeit24 und somit ihrer Konstruktion als ‚Nicht-Frau‘ stets prekär, „[b]ecause the lesbian stands outside the category ‚woman‘, her experience of womanliness and its oppressive nature is not identical to that of the heterosexual […] To be a notwoman is to be incapable of being fully a woman and of fitting within a binary sex/gender scheme. […] The lesbian objection to being pressured to be a woman is not met by admissions that the category ‚woman‘ is open to social construction and reconstruction. Nor is it met by the suggestion that there is no single category ‚woman‘ but instead multiple categories of women. From a lesbian perspective, what has to be challenged is heterosexist society’s demand that females be, or appear to be, women. For that demand denies the lesbian position. The lesbian position is one of being a not-woman. […] At most, the lesbian can be womanly only in the modes of being in drag25 and of passing.“ (Calhoun 2000: 34f.; Hervorh.i.Org.)

24 Nur wenn ein Körper den Bedingungen der „Kohärenz“ und „Kontinuität“ entspricht – sich also sex (die weibliche Körpermorphologie), gender (weibliche Geschlechterperfomance und -identität) und das Begehren (heterosexuell) voneinander ab/herleiten lassen – wird er als intelligibles weibliches Geschlecht ‚anerkannt‘ (Butler 1991: 38). Siehe dazu auch in Kapitel 1 den Abschnitt „Jenseits einer sexuellen Identität. Heteronormativität und die Interdependenz und Kontextualität sozialer Strukturkategorien“. 25 Dieses ‚drag‘ kann jedoch in vielerlei Hinsicht naturalisierte Geschlechterkonstruktionen unterminieren und destabilisieren. Insbesondere lesbische femme- und butchIdentifizierungen können als Form des subversiven drag und Umgangs mit ‚Weiblichkeitsanforderungen‘ interpretiert werden (vgl. Butler 1991; Butler 1995). Das heißt, in

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Die ambivalente staatsbürgerliche Position von jenen lesbischen Existenzweisen, die also den rassialisierten Kriterien für die ‚äußere Inklusion‘ entsprechen, zirkuliert/e daher zwischen den Polen einer notwendigen „offiziellen Bezeichnung“ und Verwerfung (z.B. durch Gesetze/Medizin/Literatur) auf der einen und einem „verordneten Verschweigen […] ihrer Lebbarkeit“ auf der anderen Seite (Castro Varela/Gutiérrez Rodríguez 2000: 108). „Ihre Sichtbarkeit ist gerade durch die ihr auferzwungene Unsichtbarkeit konstituiert“ (ebd.). Lesbische Existenzweisen leben somit als antagonistische Subjekte zwischen den weiblichen (Sekundär-)Bürgerinnen, während ihre ‚Namen‘ als grenzsichernde Abjekte fungieren (sollten), ihre ‚Leben‘ aber durch Verbote und Unsichtbarkeit konstituiert sind/waren (ebd.; vgl. Wolf 2004; Hennessy 2000). Als strangers within kann der Staatsbürgerinnenschaftsstatus von lesbischen Existenzweisen (mit der richtigen Staatsangehörigkeit/Herkunft) daher als prekär und aporetisch zugleich gelten, weil sie zum einen weder ‚richtige‘ weibliche Staatsbürgerinnen werden können, und weil sie zum anderen als ‚minorisiertes Anderes‘ gleichzeitig als Abjekt und Grenzmarker ‚richtiger‘ Weiblichkeit und ‚verantwortungsvoller‘ Staatsbürgerinnenschaft fungieren (müssen). Lesbische Existenzweisen of color werden jedoch gar nicht erst als (richtige) ‚Frauen‘ und damit Staatsbürgerinnen adressiert, das sie bereits a priori als ‚das Andere‘ konstituiert. Diese Form der „Aufwerfung“ und „Verwerfung“ geht jedoch nicht mit „einem Verschweigen, einem Verdrängen oder einem NichtLebbaren einher“, sondern ist gerade „durch das Moment einer auf Sichtbarmachung basierenden staatlichen Zuschreibungspraxis“ als „Ausländerin“ bestimmt (Castro Varela/Gutiérrez Rodríguez 2000: 106ff.). Insofern sind auch die theoretischen Interventionen von LGBTIQs of color zentral, wenn Konstruktionen von ‚der Lesbe‘ als ausschließlich ‚weiß‘ und ‚mehrheitsangehörig‘ und Konstruktionen von ‚der Ausländerin‘ als ‚heterosexuell‘ und ‚unterdrückt‘ entlarvt und kritisiert werden.

diesem Kontext werden auch femme-Weiblichkeiten nicht als Form des Passings interpretiert, sondern gerade auch als „eine transformative und widerständige Leistung“ in der Geschlecht und Sexualität „auf radikale Weise“ bearbeitet wird (Fuchs 2013). Die „Beziehung von Femmes zu Femininität“ ist daher immer „eine mehrfach gebrochene“, denn die „Femme-ininität, also die Femininität von Femmes, beruht nicht auf der vermeintlich naturgegebenen Femininität eines weiblichen Körpers, sondern ist eine transformative, queere Inszenierung“, welche im Widerspruch „zu der angeblichen ‚Natürlichkeit‘ […] weiblicher, heterosexueller Femininität“ steht (ebd.).

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(Be-)Coming Out als Form der Dis-Identifikation mit heteronormativen Staatsbürger*innenpflichten Heteronormative staatliche Anrufungsprozesse wirken sich nicht nur unmittelbar auf die (Lebens-)Bedingungen lesbischer Existenzweisen aus, sondern ihr Staatsbürgerinnenstatus wird dadurch auch äußerst fragil und prekär. Denn sobald sie sich durch eine dissidente Identifizierung, Markierung oder Artikulation der heteronormativen Anrufung entziehen, verringert sich ihre Chance als ‚legitime‘ (weibliche) Staatsbürgerin anerkannt zu werden, die entsprechenden Rechte wahrzunehmen und an den Partizipationsressourcen teilhaben zu können. Die Heteronormativität staatlicher Anrufungsprozesse produziert also gerade eine permanente „Verletzungsgefährdung“26 und Prekarität für lesbische Existenzen, die den Prozess der Dis-Identifikation verunmöglichen, erschweren oder disziplinieren sollen (Sauer 2002). Eine dissidente Identifizierung oder Artikulation begründet demnach erst den abjektiven Staatsbürgerinnenschaftsstatus von lesbischen Existenzweisen und verringert ihre Chance als legitime Bürgerin angerufen zu werden, die entsprechenden Rechte wahrzunehmen und an den Partizipationsressourcen teilzuhaben, da sie nun als ‚systeminkompatibel‘ mit den heteronormativen, vergeschlechtlichenden Akteursfiktionen für eine ‚weibliche Bürgerin‘ erkennbar werden. Diskriminierung und Exklusion ist daher untrennbar mit der (freiwilligen/unfreiwilligen, bewussten/unbewussten) ‚Verweigerung‘ einer Identifikation mit (heteronormativen) Akteursfiktionen verbunden, auf denen das Funktionssystem Staatsbürgerschaft beruht. Insofern ist hier auch die Unterscheidung von Ruth Lister „to be a citizen“ oder „to act as a citizen“ von zentraler Relevanz (Lister 1997a: 35). Denn „to be a citizen“ beschreibt hier das passive, neutralisierte Innehaben eines Status, der jedoch nur wenig über die tatsächliche Chance aussagt, die damit verbundenen Teilhabemöglichkeiten auch wahrzunehmen oder wahrnehmen zu können. Diese Differenzierung weist auch Ähnlichkeiten mit der von Cheshire Calhoun auf, unterscheidet sie in ihrer Analyse von „lesbian displacement“ doch zwischen dem „Innehaben eines bestimmten Status“ und dem „conduct status“, der durch aktive Erkennung bzw. Sicht- bzw.

26 In der feministischen Gewaltdebatte wird mit dem Begriff der ‚Verletzungsgefährdung‘ auf die strukturelle Gewaltförmigkeit von Geschlechterverhältnissen hingewiesen: Durch die Benachteiligung und Diskriminierung von Frauen in unterschiedlichen Bereichen sowie durch unterschiedliche vergeschlechtlichte/sexistische Diskurse wird eine geschlechtsspezifische Verletzungsgefährdung produziert, die Frauen für bestimmte Gewaltformen ‚verletzungsoffener‘ macht (vgl. Sauer 2002).

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Wissbarmachung seines eigenen, sexuell-devianten Status gekennzeichnet ist (Calhoun 2000: 88). In diesem Kontext wird daher auch deutlich, warum die Frage eines (Be-)Coming Out jenseits einer mehr oder weniger geschützten ‚Privatheit‘ noch immer eine derartig zentrale Rolle in der aktuellen Diskussion um die Diskriminierung und den Staatsbürger*innenschaftsstatus von LGBTIQs spielen muss. Den Begriff Coming Out verwende ich jedoch nicht in seiner Bedeutung einer (vermeintlichen) ‚Entdeckung‘ und nachträglichen ‚Artikulation‘ einer gefundenen, ‚inneren‘ ‚sexuellen Identität‘, sondern ich verstehe Coming Out als komplexen Prozess einer Selbstkonstruktion, Selbsterzählung und damit als (nichtnormative und gleichzeitig normative) Identifizierung im Kontext heteronormativer Sexualitäts- und Geschlechternormen und möglicher ‚alternativer‘ subkultureller Identitätsmodelle.27 Es ist daher ein permanenter Prozess des ‚Werdens‘, des becoming, der auf keine ‚innere‘ Wahrheit zurückgreifen kann, weshalb ich hier in Rekurs auf die Überlegungen von Shane Phelan auch von (Be-)Coming Out spreche (Phelan 1993; vgl. dazu auch Pankratz 2000). Politiktheoretisch betrachtet, können Prozesse des (Be-)Coming Out von lesbischen Existenzweisen damit nicht einfach auf die Frage der ‚individuellen Identitätsfindung‘ oder der ‚persönlichen (sexuellen) Präferenz‘ reduziert werden, sondern müssen auch als Form der Dis-Identifikation mit der vergeschlechtlichten, heteronormativen Anrufungsfigur für weibliche Staatsbürgerinnen in den Blick genommen werden. (Be-)Coming Out-Prozesse können damit auch – entgegen der gern rezipierten Erzählungen innerhalb der LGBTIQ-Community niemals ‚gelingen‘; sie sind demnach auch niemals abgeschlossen, sondern als spezifische Artikulation in einem sozio-kulturellen Feld zu verstehen. Dis-Identifikation verstehe ich hier im Sinne von Judith Butler und José Esteban Muñoz als eine Form der kritischen ‚Umwendung‘ der jeweils eigenen „misrecognition“ durch heteronormative Anrufungen (Butler 1995; Muñoz 1999). (Be-)Coming Out kann damit auch als eine Form der Problematisierung der Position des sexual strangers und der eigenen Verwerfung und Funktion als Abjekt verstanden werden. Dis-Identifikation meint hier aber keinesfalls, dass mit einem Prozess des (Be-)Coming Out unbedingt eine politisch-bewusste Problematisierung, Kritik oder Hinterfragung von (heteronormativen) Macht- und

27 Diese ‚alternativen‘ Identitätsmodelle können freilich ebenfalls normierend und exklusivierend wirksam werden; sie sind/waren aber in gewisser Weise auch stets in hegemoniale Sexualitäts- und Geschlechterkonstruktionen eingebettet, und damit vielfach auch eine gegenkulturelle Reaktion und/oder subversive Umarbeitung abwertender oder pathologischer Identitätsmodelle (vgl. Hark 1999a; Hark 1996; Soine 2000).

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Herrschaftsverhältnissen einhergehen muss und damit eine Form der politisierten „counter-identification“ (Muñoz 1999: 11f.) einhergeht. Shane Phelan ebenso wie Cheshire Calhoun betonen daher auch gerade die Bedeutung von lesbischen Existenzweisen, welche durch ihre Geschlechterperformance (z.B. Butch/Femme) oder durch andere (sexuelle) Identifizierungen sowie durch alltägliche Praktiken, heteronormative Weiblichkeitskonstruktionen durchbrechen (Phelan 1989; Calhoun 2000). In diesem Zusammenhang sind für mich daher auch die Überlegungen von Mark Blasius zentral, schlägt er doch vor, „lesbian and gay existence“ als „ethos rather than as a sexual preference or orientation, as a life style, or primarily in collectivist terms, as a subculture, or even as a community“ zu begreifen (Blasius 1992: 642). „While lesbian and gay existence may include some elements of these conceptualizations, ‚ethos‘ is a more encompassing formulation, better suited for understanding lesbian and gay existence politically. I argue that the key to understanding ethos is through the lesbian and gay conceptualization of ‚coming out‘, understood as a process of becoming in which the individual enters into a field of relationships […]. Through this process, the individual participates in a collective problematization of self, of types of normativity, and of what counts as truth. It is in the relationship that the individual creates with her or himself and with others in this practice of the self that is called coming out that an ethos emerges.“ (Ebd.: 642f.; Hervorh.i.Org.)

Prozesse oder Akte des Coming Out implizieren für Blasius damit eine Form der Problematisierung spezifischer gesellschaftlich dominanter Narrative und Herrschaftslogiken und sind daher „[a] fundamental political act“, da es (u.a.) um eine Zurückweisung „of one’s own subjection (being in the ‚closet‘, ‚passing‘, treating others homophobically, etc.) as the product of historical processes of domination (by heterosexism)“ gehe (ebd.: 655). Die politische Bedeutung von Akten des (Be-)Coming Outs liegt damit nicht in einer ‚Entdeckung‘ eines (vermeintlichen) Selbst, sondern in der Realisation der eigenen Existenz als „anomaly“ und damit als Verkörperung und Materialisierung von Differenz within (Phelan 1993: 775). Für Blasius sind Coming Out-Prozesse folglich niemals passive oder ‚zufällige‘ Akte, da es unabhängig von ihrer Materialisierung (erotisch sexuell, sprachlich, im Rahmen sozialer Beziehungen, politisch usw.) jedenfalls immer um einen aktiven Akt, aber nicht unbedingt ‚bewusst‘ gesetzten Akt der Dis-Identifikation mit hegemonialen Geschlechter- und Sexualitätsvorstellungen gehe (ebd.: 661). (Be-)Coming Out und Dis-Identifikation bedeutet in meiner Lesart daher auch keineswegs, dass lesbische Existenzen weniger normativ oder gar als eine politisch-subversive Aventgarde gelten können.

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Bedeutet dies jedoch, wie Judith Butler fragt, dass jenes „‚Subjekt‘, das ‚out‘ ist, frei von Unterwerfung“ ist oder „oder könnte es sein, daß der Akt der Subjektion […] in mancher Hinsicht selbst dann unterdrückerisch wirkt […], wenn ‚Out sein‘ beansprucht wird“ (Butler 1996: 19f.)? Wenn (Be-)Coming Out als politischer Akt gefasst wird, dann bedeutet das freilich nicht – und darauf haben insbesondere poststrukturalistische und queere Denker*innen hingewiesen –, dass dissidente Selbst-/Markierungen und Identifizierungen jenseits heteronormativer Inklusionsprozesse stehen. Sie durchbrechen zwar die Ambivalenz zwischen der ‚sichtbarer Verwerfung‘ der ‚Figur der Lesbe‘ und der gleichzeitigen Anforderung der Unsichtbarkeit realer (Lesben-)Leben, können aber gleichzeitig als Teil jenes sexuellen Dispositivs dechiffriert werden, das identitäre und essentialisierende Vorstellungen von Sexualität und Geschlecht produziert und von der vermeintlichen Binarität einer heterosexuellen Mehrheit und homosexuellen Minderheit ausgeht (Sedgwick 2003; Foucault 1983; Butler 1991; Butler 1995). Das deviante und exkludierte ‚Andere‘ ist konstitutiv für die Inklusion des ‚Normalen‘ selbst, denn „‚out‘ zu sein hängt immer in gewisser Weise damit zusammen ‚in‘ zu sein; es gewinnt seine Bedeutung nur innerhalb dieser Polarität“ (Butler 1996, 19; vgl. Fuss 1991). Doch seine Möglichkeiten erschöpfen sich nicht in dieser Position des ‚Anderen‘, sondern es ist möglich, sich gegen (verletzende) Anrufungen zu widersetzen und sie im Gegenteil gegen die Verletzung, die „misrecognition“ einzusetzen (Butler 1995). (Be-)Coming Out-Prozesse präsentieren sich vor diesem Hintergrund damit als „kompliziert austariertes Kompromisshandeln“, das stets von der Dialektik der Auflehnung und Anpassung, Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit, von Subjekt und Abjekt, ‚passing‘ und ‚othering‘ tangiert wird (Woltersdorff 2005: 268). Das heißt, die Existenz (lesbischer) sexual strangers als staatsbürgerliche Abjekte erschöpft sich nicht in dieser Alterität und Dichotomie, sondern geht darüber hinaus. Insofern wird am Ende dieses Buches gefragt, inwieweit Abjektionsprozesse im Rahmen eines „dissident“ oder „counter-hegemonic citizenship“ gegen sich selbst gewendet werden können und subversive Positionierungen ermöglichen bzw. produzieren können. Gewalt und Diskriminierung als Formen der Normierung und Sanktionierung ‚unerwünschter‘ Bürgerinnen Bestimmte ‚institutionalisierte‘, staatliche Strukturen und Normen – wie etwa „rechtsstaatliche Arrangements und wohlfahrtsstaatliche Institutionalisierungen“ aber auch „Heterosexismus“ oder „Zwangsmutterschaft“ – können als strukturel-

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le „Gewaltverhältnisse“ interpretiert werden, die im Rahmen von „Benachteiligungs-, Ausschließungs- und Marginalisierungszusammenhängen“ spezifische „Verletzungsgefährdung[en]“ und „Verletzungsoffenheit[en]“ von benachteiligten Gruppen (hier: Lesben) produzieren, die wiederum direkte (körperliche) Gewalt und unmittelbare Diskriminierung von Lesben begünstigen, legitimieren oder eben ungenügend sanktionieren (Sauer 2002: 85ff.). „Gesellschaftliche Strukturen produzieren, vermehren oder vermindert“ demnach „Verletzungsoffenheit“ – dies macht also ihr „Gewaltpotential aus“ (Sauer 2002: 86). Die heteronormativ-androzentrische Strukturierung von Staatsbürgerschaft ist demnach auch ein „Gewaltverhältnis“, weil es eine permanente „Verletzbarkeit“ von Lesben produziert. Neben der normativen Gewalt von Staatsbürgerschaft in Bezug auf die Formierung von Geschlecht/Sexualität macht aber auch der mangelnde Zugang zu bestimmten staatsbürgerlichen Rechten und Ressourcen (z.B. dem bürgerlichen Recht auf Schutz der körperlichen Unversehrtheit, Partizipation in Ausbildungsinstitutionen, Medien, öffentliche Sichtbarkeit) lesbische Existenzweisen ‚verletzungsoffen‘ und permanent ‚verletzungsgefährdend‘.28 Innerhalb von heteronormativitätskritischen Analysen von Staatsbürgerschaft wird dieses Zusammenspiel von direkten und institutionalisierten Gewalt- und Diskriminierungsformen (z.B. auch die mangelnde rechtliche Sanktionierung oder gesetzliche Verfolgungsmöglichkeit von Diskriminierung und Gewalt gegen LGBTIQs) auch als „the clearest manifestation oft the denial of citizenship“ von LGBTIQs gesehen (Phelan 2001: 23; vgl. Field 2006). Denn gerade in diesem Zusammenspiel von institutionalisierten Gewaltverhältnissen und direkter Gewalt wird deutlich, dass diese Personen und deren Leben als weniger ‚schützenswert‘ oder als ‚lebenswert‘ (livable) gelten und sie somit nicht als (wichtiger) Teil der jeweiligen politischen Gemeinschaft definiert werden (vgl. Butler 2009; Richardson/May 1999). LGBTIQs werden umgekehrt als „‚deserving victims‘ of violence“ konstruiert, die aufgrund ihre Abweichung – z.B. von der Norm ‚richtiger‘ Weiblichkeit – gleichsam selbst für die Gewalt und Diskriminierung verantwortlich sind (Richardson/May 1999: 320). Oder wie es Gisela Wolf für Deutschland beschreibt: „Täter können lesben- und schwulenfeindliche Gewalt durch homophob geprägte Normen rechtfertigen und davon ausgehen, dass die Wahrscheinlichkeit von Sanktionen gering ist

28 Die „International Lesbian, Gay, Bisexual, Trans and Intersex Association“ (ILGA) spricht im Zusammenhang mit diesen institutionalisierten Gewalt- und Diskriminierungsformen auch passenderweise von „state sponsored homophobia“ (Ottosson/ILGA 2010).

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[…]. Tatsächlich intervenieren gesellschaftliche Instanzen (wie Bildungsinstitutionen, Legislative und Exekutive) bei homosexuellenfeindlicher Gewalt nicht hinreichend. […] Geschichte, Kultur, Bildungssystem und Politik sind durch heterosexistische Normen mitgeprägt. Die Wahl eines lesbischen, schwulen oder bisexuellen Lebensentwurfes wird von den zentralen gesellschaftsstabilisierenden Instanzen (Familie, Bildungsinstitutionen etc.) zu verhindern gesucht, indem bereits Kindern als zukünftige Lebens- und Beziehungsform ausschließlich die Heterosexualität nahe gebracht wird.“ (Wolf 2009: o.S.)

Bestätigt wird dies auch von Constance Ohms, die zeigt, dass vor allem bei Hassverbrechen gegen lesbische Frauen in Deutschland, die „Aufklärungsquote unter dem Durchschnitt“ liege (Ohms 2003: 106). „[D]ie meisten Verfahren werden wegen Geringfügigkeit eingestellt“, so Ohms, die „Verurteilungsquote [liegt] unter 10% der polizeilichen Ausgangsverfahren“ (ebd.). Genau diese „faktische Sanktionslosigkeit führt dazu, dass dem Opfer vermittelt wird, kein schutzwürdiges Mitglied der Gesellschaft zu sein und der Täter in seiner Auffassung bestärkt wird, rechtens gehandelt zu haben. […] So wird nicht nur durch den Übergriff selbst eine Botschaft an lesbische Frauen gesendet – nämlich jederzeit Opfer von Gewalt werden zu können, weil sie sich das Recht herausgenommen haben, eine Lebensweise entgegen der Norm gewählt zu haben – sondern auch durch inadäquate Reaktionen des sozialen Umfeldes und der zuständigen Behörden.“ (Ebd.)

‚Individuelle‘ und ‚direkte‘ Formen der (personellen) Gewalt gegen und Diskriminierung von lesbischen Existenzweisen gilt es daher jeweils im Kontext ‚institutionalisierter‘ heteronormativer (Diskriminierungs-)Strukturen und/oder Gewaltverhältnisse zu interpretieren (vgl. Ohms/Stehling 2001; Soine 2002; Wolf 2009; Dackweiler 2003; Sauer 2002). Wenn Ulrike Hänsch in ihrer biographieorientierten Untersuchung (Hänsch 2003a) und Gisela Wolf in ihrer qualitativen Analyse lesbischer Coming Out-Prozesse (Wolf 2004) auf zwei zentrale, jeweils miteinander verwobene biographische Erfahrungen lesbisch lebender Frauen – Unsichtbarkeit und Diskriminierung/Gewalt – verweisen, dann spiegeln sich hier also die heteronormativen Effekte, die „normative Gewalt“ einer Anrufung zur ‚weiblichen Staatsbürgerin‘ auf lesbische Existenzweisen wieder. Biographische Erfahrungen mit einer ständigen Unsichtbarmachung und/oder Heterosexualisierung der eigenen Lebensweise können demnach auch als Effekte einer vergeschlechtlichten, heteronormativen Anrufung zur Annahme der Position einer ‚weiblichen Staatsbürgerin‘ bzw. umgekehrt als Formen der Normierung bzw. Sanktionierung bei einer Dis-Identifikation identifiziert werden (vgl. Hänsch 2003a: 57ff.). Das heißt, sowohl Formen eines „indirekten Heterosexismus“ – in

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der lesbische (oder schwule) Existenzweisen, Lebenskonzepte und/oder poltische, mediale oder institutionelle Artikulationsformen indirekt gesellschaftliche, rechtliche und politische Abwertung (z.B. durch hate speech), Marginalisierung oder (gesetzliche) Diskriminierung29 erfahren als auch direkte Formen heterosexistischer Gewalt, wie „verbale und/oder körperliche Angriffe“, dienen dazu, „andere Lesben zu bedrohen und sie damit in ihrer Lebensgestaltung einzuschränken“ (Wolf 2004: 74). Diese qualitativen Ergebnisse spiegeln sich darüber hinaus auch in unterschiedlichen empirischen Befragungen und Untersuchungen zu Gewalt gegen und Diskriminierung von Lesben (bzw. LGBTIQs im Allgemeinen) wieder. In der aktuellsten, von der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA) europaweit durchgeführten, Studie30, dem „EU LGBT survey“ zu Gewalt- und Diskriminierungserfahrungen von LGTIQS in der EU, geben 56 %31 der befragten lesbischen Frauen an, in den letzten zwölf Monaten aufgrund ihrer ‚sexuelle Orientierung‘ belästigt bzw. schikaniert worden zu sein; 40 % geben an, in den letzten zwölf Monaten im öffentlichen Raum bzw. im Bereich öffentlicher Dienstleistungen diskriminiert worden zu sein; 90 % der Befragten haben Diskriminierung und/oder die Abwertung von LGBTIQ-Lebensweisen innerhalb ihrer Ausbildungs- bzw. Schulinstitutionen erlebt; und 66 % sind davon überzeugt, dass Lesben in dem Land, in dem sie leben diskriminiert werden (FRA 2013). Interessant sind in diesem Zusammenhang besonders auch die tiefergehenden Ergebnisse der im Jahr 1999 durchgeführten, bislang größten im deutschsprachigen Raum publizierten, empirischen Studie32 „Gewalt gegen lesbische Frauen“ (Stein-Hilbers et al. 1999). Darin zeigt sich ebenfalls eine massivere Verbreitung von Gewalt gegen Lesben als im Alltagsdiskurs oftmals angenommen wird (98 % der Befragten gaben an, persönlich Gewalt und Diskriminierung

29 Z.B. durch mangelnde Antidiskriminierungsgesetze; gesetzliche Diskriminierung beim Zugang zu bestimmten Rechten (Eherecht). 30 In dem „EU LGBT survey“ wurden 93,079 LGBTIQs in der EU inklusive Kroatien befragt. Von den befragten Frauen definierten sich 16 % (15,236) als lesbisch und 7 % (6,424) als bisexuell (FRA 2013). 31 Der niedrigste Wert liegt bei 33 % in Dänemark und bei 69 % in Rumänien bzw. bei 73 % in Kroatien. 32 Für die Studie „Gewalt gegen lesbische Frauen: Studie über Diskriminierungs- und Gewalterfahrungen“ wurden deutschlandweit 2000 Fragebögen verteilt. Es gab eine Rücklaufquote von 37,85 % (757 Fragebögen). Begleitend wurden qualitative Tiefeninterviews mit lesbisch lebenden und von Gewalt betroffenen Frauen durchgeführt (Stein-Hilbers et al. 1999).

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erlebt zu haben), sondern es wird auch deutlich, wie sich die oben diskutierten vergeschlechtlichten, heteronormativen Anrufungsprozesse sowie die jeweiligen Normierungsstrategien bei einer Dis-Identifikation auf das (Be-)ComingOut sowie die Lebensgestaltung lesbisch lebender Frauen in konkreten Zahlen auswirken: Fast 80 % der befragten Frauen gaben an, einen „zurückhaltenden Umgang mit ihren Partnerinnen, hauptsächlich in der Öffentlichkeit und im Berufsumfeld“, zu haben (ebd.: 165). Dass die Antizipation von Gewaltbedrohung jedoch nicht ‚eingebildet‘ ist, sondern tatsächlichen Gewalterfahrungen annähernd entspricht, zeigen die Studienautorinnen ebenfalls: „Lesbische Frauen [schätzen] zum großen Teil Gewaltpotentiale überwiegend realistisch ein“ und es könne daraus deduziert werden, dass „lesbische Frauen, die offener leben, von mehr Gewalterfahrungen“ betroffen sind als nicht offen lebende Frauen (ebd.: 173). Eine wichtige Schlussfolgerung, welche die Studienautorinnen daraus ziehen: „Das bedeutet zunächst, daß mit jedem Coming out mit potentiell ablehnenden, abwertenden Reaktionen und diskriminierenden Handlungen zu rechnen ist“ (ebd.: 173). 22,9 % der Befragten bringen die lesbenspezifische Gewalt (psychisch, verbal, körperlich), die sie erlebt haben, mit der Wahrnehmung eines (vermeintlich) „auffällig männlichen Erscheinungsbild[es]“ durch den Täter/die Täterinnen in Verbindung (Stein Hilbers et al. 1999: 170f.). Umgekehrt reagieren daher etwa gleich viele Frauen (22,1 %) mit „Anpassungsstrategien […] auf eine potentielle Sanktionierung“ und „geben an, in ihrem Outfit (Kleidung/Frisur) drauf zu achten, nicht betont ‚männlich‘ zu wirken“ (ebd.: 171). „Diese subjektive Einschätzung schildert ausdrücklich den Erwartungsdruck, unter dem lesbische Frauen oftmals stehen […] [denn] zur Erwartung des sozialen Umfeldes, als heterosexuell zu erscheinen, addiert sich der Anspruch an eine verordnete ‚Weiblichkeit‘.“ (Ebd.)

Diese Ergebnisse zur Einschätzung von Gewaltbedrohung und Gewalt auslösenden Faktoren werden auch durch die Ergebnisse der im Jahre 2000 veröffentlichten Studie33 „Gewalt gegen Lesben“ weitgehend bestätigt (Ohms 2000). Auch darin gaben 19 % der Befragten an, ihr „vermeintliches Aussehen“ sei das „Erkennungsmerkmal“ für die lesbenfeindlich motivierte Tat gewesen (ebd.: 75). Ohms fasst die Ergebnisse beider Studien daher wie folgt zusammen:

33 Die Studie basiert auf einer Stichprobenerhebung mit 87 Fragebögen, welche durch drei standardisierte Interviews ergänzt wurden.

230 | P ERVERSE BÜRGERINNEN „Den Teilnehmerinnen scheint bewusst zu sein, daß bestimmte Merkmale gegen zugeschriebene Weiblichkeitsbilder und Rollenerwartungen verstoßen und so Angriffspunkte darstellen.“ (Ebd.: 78)

Ohms betont in diesem Kontext deshalb auch, dass es bei lesbenfeindlich motivierten Gewalttaten weniger darum ginge, ob das ‚Opfer‘ wirklich lesbisch lebt/e, sondern „daß die Motivation […] eher in einem System von (negativen) Zuschreibungen begründet“ sei, das mit bestimmten heterosexuellen Weiblichkeitsbildern und der begrenzten Möglichkeit der Überschreitung korreliere (ebd.: 78ff.). „Gewaltformen, mit denen jeweils auf lesbische Frauen reagiert wird“ können damit auch „nicht ausschließlich über deren Position als sexuell Abweichende“ beschrieben werden, sondern müssen gerade auch in den Kontext ihrer geschlechtlichen Subjektposition sowie der „Nicht-Einhaltung gesellschaftlich geforderter Weiblichkeitsimperative“ gestellt werden (Soine 2002: 136). Oder wie es Gail Mason treffend ausdrückt: „Violence against lesbians must also be understood as a form of retribution for women who refuse to conform to a conventional ‚feminine‘ gender role: a role which presupposes heterosexuality and reproduction. A strong belief in the sexual entitlements of heterosexual men and the subordinate status of women appears to motivate […] to attack lesbian women on the basis of the women’s apparent rejection of their ‚appropriate‘ role.“ (Mason 1993: o.S.; Hervorh.i.Org.)

Stefanie Soine identifiziert lesbenfeindliche Gewaltakte somit auch als „systemimmanente Ordnungs- und Normierungsstrategien“, welche „weniger die homosexuelle als die Verweigerung der heterosexuellen“ Rolle sanktionieren würden (ebd.: 136ff.) Insofern gelte es, wie auch Ohms im Rahmen einer 2006 veröffentlichten Erhebung34 betont, gerade die Zusammenhänge von sexistischen und lesbenfeindlichen Gewalttaten im Blick zu behalten, denn auch bei der „überwiegenden Mehrheit der Übergriffe“ gehen „die Betroffenen davon aus, dass eine Gemengelage von Lesbenfeindlichkeit, Frauenfeindlichkeit, Vorurteilen und Ignoranz vorgelegen hat“ (Ohms 2006: 30).

34 Die Erhebung basiert auf der Auswertung von standardisierten Erhebungsbögen, die sieben Lesbenberatungsstellen und ein Lesbentelefon von 2002 bis 2004 erstellten. Abgegeben wurden 207 Erhebungsbögen, 99 aus dem Jahr 2002, 59 aus dem Jahr 2003 und 49 aus dem Jahr 2004. Die eingegangenen Erhebungsbögen wurden um 7 Fälle bereinigt, sodass 200 Fälle ausgewertet werden konnten: 96 Fälle aus dem Jahr 2002, 59 aus dem Jahr 2003, 45 aus aus dem Jahr 2004 (Ohms 2006).

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Ein weiterer Bereich, der hier ebenfalls von zentralem Interesse ist, ist jener, der sich um die Frage von sozialen Staatsbürger*innenrechten gruppiert und besonders den Zugang zu sozialen Einrichtungen und medizinischer Versorgung in den Blick nimmt. In Großbritannien wurde 2008 eine breit angelegte Studie zur Gesundheitssituation von lesbischen und bisexuellen Frauen veröffentlicht, in der die Hälfte der insgesamt 6.178 Befragten angaben, Lesbenfeindlichkeit und Diskriminierung in der öffentlichen Gesundheitsversorgung erlebt zu haben (Hunt/Fish 2008). Dies reichte von einer Ignoranz ihrer lesbischen Lebensweise und/oder Partnerinnenschaft – „they were either ignored or the healthworker continued to assume they were heterosexual“ – bis zur aktiven verbalen Abwertung ihrer Lebensweise (ebd.: 16). „Just a quarter of respondents said that their health worker acknowledged they were lesbian or bisexual after they had come out and just one in fourteen said that their health worker had provided them with the opportunity to come out. Only one in eight said that they had been told that their partner was welcome to be present during a consultation.“ (Ebd.: 17)

Zu ähnlichen Ergebnissen kommt auch Gabriele Dennert in ihrer Untersuchung zur „gesundheitlichen Situation lesbischer Frauen in Deutschland“ (Dennert 2005a). Lesbische Frauen hätten zwar nach Dennert „offiziell genauso Zugang zur Gesundheitsversorgung wie andere Frauen – es sei denn, sie sprechen ihre Lebensweise offen an“ (Dennert 2005b). Insgesamt berichten in der Studie von Dennert mehr als ein Fünftel der befragten lesbischen Frauen davon, bereits von Ärzt*innen aufgrund ihrer Lebensweise diskriminiert worden zu sein. Das Spektrum reiche nach Denner „von Ignoranz über Anfeindungen bis hin zu körperlicher und sexualisierter Gewalt“ (ebd.). Diese Ergebnisse werden auch durch den Report von ILGA Europe (Takács/ILGA Europe 2006) sowie den aktuellen Studie der Europäischen Grundrechteagentur (FRA 2013) weitgehend bestätigt. Weder privat noch politisch: UnOrte lesbischer Staatsbürgerinnenschaft Auch wenn innerhalb queerer Überlegungen die ‚Privatisierung‘ bzw. der Verweis von LGBTIQ-Lebensweisen und besonders ihrer Sexualität(en) in die Sphäre der ‚Privatheit‘ kritisiert wird, bleibt das ambivalente (geschlechts-)spezifische Verhältnis von lesbischen Existenzweisen zur Dichotomie privat/politisch vielfach untertheoretisiert. Denn im Gegensatz zu schwulen Existenzwei-

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sen werden und wurden diese aufgrund ihres Geschlechts in Vergangenheit und Gegenwart zwar ebenfalls ‚privatisiert‘, doch ihr Verhältnis zur Sphäre der ‚Privatheit‘ ist im politiktheoretischen Sinne insofern zwiespältig, als sie sich nicht durch die beschriebene (heterosexuelle) Reziprozität im Rahmen einer heterosexuell strukturierten Familie/Beziehung im Privaten verorten können oder sollen. Es ist eine Privatheit „outside the family and home life“ (Concannon 2008: 326), da ihnen einerseits die ‚weibliche‘ Privatheit als „site of caring and mothering“ (Siim 2000: 19) durch die mangelnde (kulturelle und/oder rechtliche) Anerkennung35 von ‚lesbischen Familien‘ und/oder Partner*innenschaften entweder vorenthalten oder erschwert wird/wurde36, gleichzeitig sie als lesbische Frauen aber ‚privatisiert‘werden und daher wie die Gruppe der Frauen insgesamt, in der Sphäre der politischen Öffentlichkeit marginalisiert bzw. nicht mit den entsprechenden (kulturellen) Ressourcen für ein active citizenship ausgestattet werden/sind (vgl. Richardson 2000a: 78). Umgekehrt kann die Sphäre der ‚Privatheit‘ oder eine Form der ‚Selbstprivatisierung‘, wie dies auch gerade Schwarze Feministinnen betonen, als Schutz vor öffentlicher/politischer/gesellschaftlicher Diskriminierung und Gewalt eingesetzt werden. Eine (vermeintliche) Privatheit kann daher auch (subversiv oder gegenkulturell) angeeignet werden und Räume für subkulturelles und subversives Handeln oder auch einfach als „Schutzraum“ fungieren, indem „lesbisches Leben subjektiv lebbar wird“ (Hänsch 2003a: 74; vgl. Hacker 1987). Ebenso wie der feministische Slogan ‚Das Private ist politisch‘ die Problematik lesbischer Existenzweisen daher nur punktuell erfasst, ist meines Erachtens auch das von Seiten zahlreicher LGBTIQ-Organisationen geforderte ‚Recht auf Privatheit‘ (also die vollständige Gewährung des bürgerlichen Rechts auf Privatheit) zu kurz gegriffen, da lesbische Existenzweisen nach wie vor als Frauen und anders als (schwule) Männer in einem „unterschiedliche[n] Maße an Öffentlichkeit und Privatheit“ teilnehmen und über „unterschiedliche Möglich-

35 Als Indikatoren für die (rechtliche) Anerkennung ‚lesbischer Familien‘ können die Zugangsmöglichkeiten zu Adoption/Stiefkindadoption und zu Samenbanken bzw. medizinisch-unterstützter Fortpflanzung gelten. 36 Jenni Millbank zeigt dies etwa anhand der Geschichte der rechtlichen Diskriminierung von lesbischen Mütter im Rahmen von Sorgerechtsprozessen in den USA. In diesem Zusammenhang konstatiert sie: „The welfare of children is construed as almost inevitably threatened by lesbianism […]. As a legal and social subject in this context, the lesbian is too dangerous to deserve privacy or any other private right.“ (Millbank 1997: 282)

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keiten, über die Ressource Öffentlichkeit, sprich Debatte und Entscheidung […] verfügen“ (Sauer 2001b: 6).

Richtige Frauen und Bürgerinnen werden!? Ambivalenzen der Inklusion Innerhalb einer Bevölkerung haben einige den Bürgerschaftsstatus, andere haben ihn nicht ganz, und es gibt immer die Lebewesen, die genau

an

der

Grenze

dessen

leben,

was

(an)erkennbar ist. [...] Ich denke, dass sich politische Gemeinschaften in dem Maße […] reproduzieren, wie sie durch Grenzziehungen das nicht ganz Lesbare, nicht ganz Lebbare als Teil ihrer eigenen Gemeinschaft […], als verleugneten, aber konstitutiven Teil der Gemeinschaft [produzieren]. JUDITH BUTLER1

S EXUELLE F LEXIBILISIERUNG UND DIE NEOLIBERALEN T RANSFORMATIONEN VON S TAATSBÜRGERSCHAFT In den letzten 30 Jahren haben sich die rechtlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen für LGBTIQs in einigen(!) EUropäischen Ländern grundlegend verändert. Forciert durch Teile der LGBTIQ-Bewegungen, aber auch beeinflusst durch Gender-Mainstreaming und EUropäische Gleichstellungspoliti-

1

„Eine Welt, in der Antigone am Leben geblieben wäre“. Interview mit Judith Butler, geführt am 13. Mai 2001 in Berlin, online verfügbar auf: http://www.copyriot.com/ diskus/3_01/02. htm (Zugriff: 03.08.2010).

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ken und Anti-Diskriminierungsrichtlinien2, haben sich spätestens seit den 1990er Jahren die staatsbürgerlichen Anrufungspraktiken und Identifikationsanforderungen nicht nur in Bezug auf Geschlecht, sondern auch in Bezug auf Sexualität wesentlich gewandelt (vgl. Mayrhofer 2005; Beger 2004; Roseneil et al. 2013). Während Davina Cooper in diesem Kontext von „new sexual ‚speakabilities‘“ in Bezug auf LGBTIQs spricht, attestieren Roseneil et al. ein „partial disestablishment of heteronormativity and the parallel emergence of a new European legal norm of ‚homotolerance‘“ (Cooper 2006: 928; Roseneil et al. 2013: 2; Hervorh.i.Org). Als zentrale Indikatoren hierfür gelten die Entkriminalisierung von gleichgeschlechtlichen Sexualpraktiken, die Verabschiedung/Implementierung von (teilweise nur minimalen) Antidiskriminierungsgesetzen vornehmlich im Bereich der Arbeitswelt und der rechtlich-politischen Anerkennung von gleichgeschlechtlichen Beziehungen durch die Öffnung der Zivilehe oder der Einführung von speziellen Rechtsinstituten für schwule/lesbische Partner*innenschaften in einer Vielzahl der EUropäischen Länder. 3 Als letzte Form bzw. ‚Stufe‘ der Inklusion wird die Anerkennung von lesbischen/schwulen Familienformen und ihr Recht auf Reproduktion gehandelt und (noch) politisch diskutiert (u.a. Adoptionsrechte, Zugang zur Reproduktionsmedizin). Die Veränderungen dieser staatsbürgerlichen Anrufungspraktiken und Identifikationsanforderungen müssen jedoch, wie aktuell zahlreiche Analysen zeigen, gerade im Kontext einer veränderten neoliberalen Staatlichkeit, Gouvernementalität und Ökonomie verortet werden und können daher nicht jenseits von rassisierenden, ethnisierenden und vergeschlechtlichenden Prozessen der (ökonomischen) Individualisierung, Privatisierung, Flexibilisierung, neuen Formen der Subjektivierung und „programmatischen Selbstführung“ sowie einer diskursiven und politisch-rechtlichen Verschärfung EUropäischer Grenzziehungen theoreti-

2

Hier sei zum einen auf die zahlreichen Entschließungen des Europäischen Parlamentes zur Gleichstellung von LGBTIQs und Antidiskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung als auch auf den Artikel 13 des Amsterdamer Vertrages (EGV) hingewiesen, der (u.a.) ein Diskriminierungsverbot aufgrund der sexuellen Orientierung im Bereich des Arbeitsplatzes enthält. Darüber hinaus haben unterschiedliche Länder auch weitreichende Maßnahmen im Bereich der Anti-Diskriminierung und der Anerkennung lesbischer und schwuler Partnerschaften/Partnerinnenschaften und Familien getroffen.

3

Für einen aktuellen Überblick über die jeweiligen (nationalen) Gesetzgebungen hinsichtlich Anti-Diskriminierungsbestimmungen und Partner*innenschaftsgesetzen siehe: http://www.ilga-europe.org/home/publications/reports_and_other_materials/ rainbow_ europe (Zugriff: 26.09.2013).

R ICHTIGE F RAUEN UND B ÜRGERINNEN | 237

siert werden (Pühl/Schultz 2001; vgl. Pühl 2003; Engel 2002; Engel 2008; Richardson 2005; Duggan 2003; Foucault 2000c [1987]; Lemke et al. 2000). Darüber hinaus müssen hier freilich auch die diskursiven Transformationen und normativen Neubestimmungen von Staatsbürgerschaft nach neoliberalökonomischen Prinzipien selbst in den Blick genommen werden, wird der/die neoliberale Staatsbürger*in nun doch (wieder) über seine/ihre Agency als flexible*r Markt- und Konsumbürger*in sowie durch seine/ihre (ökonomischen) Pflichten und Verantwortung gegenüber der politischen Gemeinschaft bestimmt (vgl. Bauman 1995; Ong 2006; Hark 2000a; Lemke et al. 2000; Sauer 2001b; Hansen 2000). Damit wird auch der Nationalstaat als zentraler Bestimmungsund Orientierungsrahmen von Staatsbürgerschaft partiell brüchig, was jedoch keineswegs die (politische) Bedeutung des Nationalstaates als Instrument der formalen Inklusion, Zugehörigkeit und Verteilung von Ressourcen und Privilegien selbst destabilisiert (Sassen 2005). Verstärkt wird diese Transformation von Staatsbürgerschaft freilich auch durch die zunehmende Relevanz einer supranationalen EU-(Staats-)Bürgerschaft, wenngleich auch dieser Prozess keineswegs mit einem Bedeutungsverlust auf Seiten der nationalen Staatsbürger*innenschaften einhergeht oder der Ökonomisierung von Staatsbürgerschaft entgegensteht. Im Gegenteil versteht sich die EU-Bürgerschaft vor allem als ‚Marktbürgerschaft‘ im Sinne eines „funktionalistisch reduzierten Personenkonzepts“ (Habermas 1998: 142), in welcher der/die ökonomisch produktive und freie Bürger*in zum/zur individualistische*n Träger*in eines reduzierten Konzepts bürgerlicher Grundfreiheiten wird (Yuval-Davis 1997a). „[T]he […] economic freedoms of […] economically active persons has now been elevated to the core of European citizenship.“ (D’Oliveira 1995: 63) Die Grundfreiheiten und seine/ihre Bürger*innenschaft sind demnach, wie dies bereits schon T.H. Marshall konzeptionalisierte, die Grundlage, um am/im ‚gemeinsamen Markt‘ partizipieren zu können bzw. umgekehrt auch jenes Element, das eine befriedende (formalrechtliche) ‚Gleichheit‘ trotz ökonomischer Unterschiede/Ungleichheit herstellen soll. Im Rahmen einer neoliberalen Verdichtung und Neucodierung von Staatsbürgerschaft avanciert damit die Sphäre des Marktes und des Konsums gleichsam zu einer zentralen Arena, in der politische und kulturelle Zugehörigkeiten konstituiert und produziert sowie kulturelle und soziale Ressourcen verteilt werden, während andere Formen der Partizipation oder Mitbestimmung eher abnehmen bzw. nicht zunehmen (Hansen 2000). Jürgen Mackert konstatiert daher besonders im Zusammenhang mit der zunehmenden Privatisierung von wohlfahrtsstaatlichen Leistungen im Bereich der Gesundheitsversorgung und der Ausbildung die zunehmende Anreicherung von Staatsbürgerschaft mit „Marktelementen“ (Mackert 2006: 67). „Staatsbürger-

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schaft wird individualisiert“ und hängt damit zunehmend von den jeweils eigenen ‚Leistungen‘ sowie von (finanziellen, ökonomischen) Faktoren wie Bildung und Einkommen ab (Sauer 1999: 119). Neoliberalismus muss hier also nicht (nur) als ein ökonomisches Projekt verstanden werden, sondern als „governing technology“ bzw. „technology of government“, welche eine spezifische Form der (ökonomischen) Selbst-/Regierung auf die Individuen anwendet bzw. ihnen abverlangt (ebd.: 4). „[N]eoliberalism interacts with regimes of ruling and regimes of citizenship […] The new alignments of citizenship elements […] are fundamentally linked to dynamic and varied conditions engendered by mobile neoliberal technologies of governing and self-governing. […] components, formerly tied to citizenship […] are becoming disarticulated from one another and rearticulated with governing strategies that promote an economic logic in defining, evaluating, and protecting certain categories of subjects and not others.“ (Ong 2006: 6ff.)

In einer aktualisierten, neoliberalen Version des/der liberalen Marktbürger*in wird damit die entsprechende Partizipation in der Sphäre des Marktes und Konsums bzw. die marktkonforme Konstituierung und Validierung der eigenen politischen Subjektivität zu einem wichtigen Teil der normativ-diskursiven Bestimmung von Staatsbürgerschaft selbst (vgl. Mackert 2006: 65ff.; Ong 2006). „Wer es an Initiative, Anpassungsfähigkeit, Dynamik, Mobilität und Flexibilität“ in diesen Sphären fehlen lässt, kann in dieser neoliberalen Version des/der ‚guten Bürger*in‘ als unfähig gelten, diesen Status überhaupt einzunehmen (Lemke et al. 2000: 30; vgl. Hansen 2000). Aktuelle Veränderungen staatsbürgerlicher Anrufungspolitiken und Inklusionsangebote im Bereich der Sexualität müssen daher gerade auch im Kontext dieser neoliberalen Neucodierungen von Staatsbürgerschaft als Markt- und Konsumbürgerschaft analysiert werden, da hier nicht nur neue ökonomische, soziale und politische Ungleichheiten/Grenzziehungen zwischen LGBTIQs sichtbar werden, sondern die Inklusionsanforderungen an LGBTIQs auch als Teil gouvernementaler Herrschafts- bzw. Selbsttechnologien untersucht werden können (vgl. Hark 2000a; Richardson 2005; Duggan 2003; Engel 2008; Raab 2011).

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Politiken der Normalisierung und homonormative Staatsbürger*innenschaften Auf ein breites Feld an queeren Forschungsarbeiten zum Verhältnis von LGBTIQs und diesen neoliberalen Formen gouvernementaler Herrschafts- bzw. Selbstführungstechniken zurückgreifend, will ich hier ebenfalls mit dem Begriff der ‚Normalisierung‘ arbeiten (vgl. Richardson 2005; Engel 2002; Engel 2008). Den Begriff der Normalisierung verwende ich in Rekurs auf Michel Foucaults Konzept einer ‚regulierenden Normalisierung‘, die er im Rahmen seiner Untersuchung unterschiedlicher Regierungs- bzw. Subjektivierungstechniken von einer (disziplinierenden) Normation bzw. einer ‚disziplinarischen Normalisierung‘ unterschied (Foucault 1989 [1975]; vgl. Schrage 2008; Hark 1999b; Engel 2002). Während im Kontext einer ‚disziplinarischen Normalisierung‘ die Bestimmung des Normalen und Abnormalen an einem a priorischen, als optimal konzipierten Modell ‚des Normalen‘ als das Nicht-Verbotene angelehnt ist, in welches die Menschen ein- und angepasst werden sollen, zielt die ‚regulierende Normalisierung‘ nach Foucault auf eine flexible/re, vermeintlich ‚selbstbestimmte Normalverteilung‘ ab (Foucault 1989 [1975]; vgl. Hark 1999b). Während „der disziplinäre Typus von Normalisierung“ damit als „eine ‚präetablierte Idealnorm‘“ begriffen werden kann, um welche „die Individuen […] gruppiert“ werden, zielt die „regulierende Normalisierung“ stärker auf den normalisierenden Eingriff der Subjekte „in die Überwachung ihrer Selbst ab“ (Hark 1999b: 74; Hervorh.i.Org.). „Normen werden“ dabei „ex post errechnet“ und „die Individuen übernehmen die Adjustierung an diesen Werten selbst“ (ebd.). Diese Form der Flexibilisierung und Individualisierung von ‚Normalisierung‘ produziert also eine „Bereitschaft zur Teilnahme der Individuen an der Normalisierung durch das Versprechen der ‚Normalität‘ und die Drohung mit der ‚Abweichung‘(Engel 2002: 77). Die regulative Normalisierung ist also „nicht zu verstehen als Einprägung präskriptiver Normen durch eine übermächtige Instanz, sondern vielmehr als Arrangement, das die freiwillige, selbstgetätigte Anschmiegung der Einzelnen an den Stand der Dinge befördert“ (Schrage 2008: 4127). Die regulierende Normalisierung baut jedoch auf der disziplinarischen Normalisierung auf und bleibt im Rahmen der modernen Normalisierungsgesellschaften mit dieser in einem Konglomerat aus normalisierenden und disziplinierenden Herrschafts- und Selbsttechniken untrennbar verbunden (ebd.). (Regulierende) Normalisierung bedeutet in Bezug auf LGBTIQs folglich, dass Heteronormativität im Rahmen neoliberaler Gouvernementalität zu einem gewissen Grad flexibilisiert und entgrenzt wird, als selbst gewählter regulierender Bezugsrahmen für geschlechtliche und sexuelle Identitäten jedoch aufrecht

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bleibt. Das heißt, [d]ie „rigide binäre Geschlechterordnung“ stellt als disziplinierende Normalisierung zwar weiterhin den „normativen Rahmen dar, zu dem sich alle unweigerlich in irgendeiner Form ins Verhältnis setzen müssen“, gleichzeitig werden die Spielräume für eine flexible Form der regulierenden Normalisierung für ausgewählte Subjekte erweitertet, was auch bedeutet, dass Normen partiell flexibler werden (Engel 2002: 78). Diese Form der Normalisierung geht jedoch auch mit der Aufforderung einher, „die eigene soziale Identität“ in einer reprivatisierenden Form, gleichsam als ‚Life-style‘ selbst zu gestalten und gestaltbar zu machen (u.a. durch Konsumpraktiken). „[S]oziale Benachteiligungen“ werden nun aber im Gegenzug ebenfalls ‚individualisiert‘, d.h. zum überwindbaren persönlichen ‚Hindernis‘ erklärt, das durch eine entsprechende „individuelle Eigenleistung“ hinter sich gelassen werden kann (Engel 2008: 44). Im Kontext meiner Analyse kann die Einschreibung einer (regulativen) Normalisierung in staatsbürgerliche Anrufungspraktiken und Identifikationsanforderungen im Kontext neoliberaler Transformationen also folgendermaßen charakterisiert und zusammengefasst werden: Staatsbürgerliche Anrufungspraktiken zielen nun nicht mehr nur auf eine rigide Verwerfung aller homosexuellen Identitäten und Praxen ab (z.B. durch eine dezidierte Kriminalisierung oder ein Totalverbot von Homosexualität), sondern es wird auf der Basis spezifischer Bedingungen und biopolitischer Subjektivierungsanforderungen und Bedingungen bestimmten (homosexuellen) Subjekten nun der Einschluss angeboten: „[Some] lesbians and gay men are now constituted as citizens worthy of inclusion“ (Richardson 2005: 521). Inklusion wird daher von der Zustimmung und Fähigkeit zur „programmatischen Selbstführung“ (Pühl/Schultz 2001) abhängig (gemacht), also inwieweit LGBTIQs bereit sind, sich diesen (neuen) ‚Inklusionsanforderungen‘ zu unterwerfen. Diese ‚Inklusionsanforderungen‘, sind jedoch weniger als strukturierte Regeln im Rahmen des rechtlichen Normsetzungsprozesses zu verstehen, sondern als Form einer gouvernementalen Regierungstechnik, in der Herrschafts- und Selbsttechnologien gleichsam zusammenspielen: Insofern bedeute Regieren in diesem Zusammenhang vor allem eine Selbst-/Produktion von Subjektivitäten, die stets im Zusammenhang mit der politischen Besetzung und Regulation des Körpers und seiner Begierden stehe (Foucault 2000c [1978]). Ähnlich wie in der (rassistischen) Migrationsdebatte wird daher die Verantwortung für die Inklusion der ‚exkludierten‘ Gruppe selbst ‚aufgebürdet‘, da diese sich ihm Rahmen einer (neoliberalen) Eigenverantwortung ja selbst den Weg in die Inklusion bereiten könn(t)en (vgl. Engel 2008). In „spätmodernen Gesellschaften“ existieren daher auch, wie Antke Engel betont, (neue) „Formen“ des „differenzierten Einschlusses“ und der „pluralistische[n] Integration“ (ebd.: 44),

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die unter den Schlagworten von ‚Vielfalt‘ auf den ersten Blick sehr wohl unterschiedliche sexuelle Identitäten und Lebensweisen zuzulassen scheinen und sich erst auf den zweiten Blick als normierende ‚Inklusionsanforderungen‘ entpuppen. LGBTIQs werden demzufolge in einer anderen Form in staatsbürgerliche Selbstführungs- und Subjektivierungstechniken einbezogen, da sie unter bestimmten Bedingungen in ihrer sexuellen/geschlechtlichen Devianz ‚angerufen‘ werden und (partiellen) staatsbürgerlichen Einschluss erfahren (können). Nicht mehr (nur) ein ‚heterosexuelles Passing‘ als Form der ‚disziplinierenden Normalisierung‘ kann den staatsbürgerlichen Einschluss ermöglichen, sondern es wurde eine neue Anrufungsfigur und Identifikationsanforderung für LGBTIQs geschaffen: der/die ‚gute homosexuelle Bürger*in (vgl. Bell/Binnie 2000; Richardson 2000a; Richardson 2005; Phelan 2001). „Lesbians and gay men were previously constrained by representations of themselves as mad, bad or sad; now they are being shaped through normative constructions of responsible and respectable sexual citizenship. Constructions that are structured through the process of neoliberal self-regulatory governance […] what is significant is that there may be a shift from a ‚policing of the self‘ because of fears of violence and shame, to a desire for normativity and respectability.“ (Richardson 2005: 523; Hervorh.i.Org.)

Diese*r ‚neue homosexuelle Bürger*in‘ ist also nicht mehr einem ‚heterosexuellen Passing‘ unterworfen, sehr wohl aber einem ‚(hetero-)normativen Passing‘, d.h. dass er/sie sich mit einer neoliberalen Konstruktion von dem/der ‚guten Bürger*in‘ identifizieren muss. Steven Seidman brachte diese neoliberale ‚Akteursfiktion‘ von der/dem ‚guten homosexuellen Bürger*in‘ und die darin implizierten normativen Anforderungen treffend auf den Punkt, wenn er schreibt: „[T]he normal gay is expected to be gender conventional, link sex to love and a marriage like relationship, defend family values, personify economic individualism, and display national pride.“ (Seidman 2002: 133)

Segmente der LGBTIQ-Bewegungen habe diese neuen Anrufungspolitiken in EUropa auch gerade durch ihre eigenen Rückgriffe auf die Figur eines/einer ‚guten homosexuellen Bürger*in‘ mitgeprägt und hervorgebracht – d.h. diese Prozesse müssen gerade auch als konstitutives Wechselspiel zwischen identitätspolitisch organisierten Bewegungen und den Arenen und Politiken des Staates analysiert werden (Richardson 2005; vgl. Raab 2011). Lisa Duggan prägte in diesem Zusammenhang auch den Begriff der „Homonormativität“ als Bezeichnung für

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neoliberale Sexualpolitiken, welche mit Unterstützung einer kleinen weißen, wohlhabenden Gay Community Homosexualität zwar ‚normalisieren‘, aber diese auch gleichzeitig depolitisieren, privatisieren und im Kontext kapitalistischer Konsumlogiken verdinglichen (Duggan 2003). „Climbing onto the privatization band wagon and advocating for gay marriage remapping freedom and liberation in narrow terms of privacy, domesticity, and the unfettered ability to consume in the ‚free’ market […].“ (Duggan 2003: 20; Hervorh.i.Org.)

Um die Unabgeschlossenheit und Dynamik von homonormativen Prozessen und Dynamiken zu betonen sowie insgesamt stärker auf die Interdependenz von Normalisierung und Homonormativität(en) hin zu weisen, schlagen Roseneil et al. jedoch den Begriff der „homonormalization“ als affirmativ-kritische Weiterentwicklung des Begriffs ‚Homonormativität‘ vor (Roseneil et al. 2013: 22). Der Begriff „homonormalization“ erscheint auch insbesondere durch sein dynamisches Element besser dazu geeignet, politische und diskursive Praxen in den Blick zu nehmen und derart Homonormativität nicht als kontextloses oder monolithisches, kulturelles Phänomen zu begreifen. Gendering Homonormativität/Homonormalisierung: Konturen einer ‚guten‘ lesbischen Bürgerin Trotz der analytischen Schärfe aktueller Arbeiten zu homonormativen Sexualpolitiken und einer neoliberalen ‚(Homo-)Normalisierung‘ von LGBTIQs, zeichnet sich die Mehrheit der queeren Arbeiten jedoch durch eine erstaunliche Geschlechterblindheit und eine fehlende Differenzierung zwischen Lesben und Schwulen sowie einer mangelnden An- bzw. Rückbindung der jeweiligen Einsichten an feministische Erkenntnisse zur „maskulinen Ethik des Neoliberalismus“ aus (Kreisky 2001; vgl. Sauer 1999). Vor dem Hintergrund meiner lesbenaffirmativen Analyse von Staatsbürgerschaft und meiner feministischen Herangehensweise stellt sich jedoch die Frage, worin sich neoliberale Anrufungspolitiken sowie homonormalisierende/homonormative (Inklusions-)Bedingungen für einen ‚guten schwulen Bürger‘ von jenen einer ‚guten lesbischen Bürgerin‘ unterscheiden. Welches sind die Bedingungen für eine „projektive Integration“ lesbischer Existenzweisen, was bedeutet und impliziert ‚(Homo-)Normalisierung‘ in diesem Kontext und wie sind die, von feministischer Seite konstatierten, neoliberalen Re-Maskulinisierungstendenzen des Politischen in diesem Zusammenhang zu interpretieren (Engel 2008)?

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Steven Seidman beschreibt den guten sexuellen Bürger/die gute sexuelle Bürgerin unter anderem mit dem Terminus „gender conventional“ (Seidman 2002: 133). Das heißt, eine normalisierende Inklusion von (ausgewählten) LGBTIQs geht gerade mit einer Persistenz, Fortschreibung und Wiedereinsetzung zweigeschlechtlicher und heteronormativer Geschlechterkonzeptionen einher bzw. lässt sich aktuell sogar eher eine Zunahme an, auch wissenschaftlich fundierter ReNaturalisierungstendenzen in Bezug auf Sexualität, ‚sexuelle Differenzen‘ und Geschlecht ausmachen.4 Shane Phelan spricht in diesem Kontext auch von Inklusion/Inklusionsangeboten auf Basis eines verharmlosenden „essentialist individualism“, der für sie folgende Botschaft inkludiert (Phelan 2001: 102): ‚Heterosexuelle‘ Mitbürger*innen sollten Lesben und Schwule akzeptieren, „because (a) they can’t help it; (b) sexuality is innate, so your kids aren’t at risk of being recruited; and (c) they are really like us in most ways“ (ebd.: 102). Normalisierung äußert sich hier also im Rahmen einer paradoxen Gleichzeitigkeit einer Betonung der „sameness with heterosexuals“ und einer essentiellen, minorisierenden Differenz aufgrund der ‚sexuellen Orientierung‘ (Richardson 2005; Richardson 2000a). Während eine fundamentale Differenz in der ‚sexuellen Orientierung‘ propagiert wird, der die Annahme zugrundeliegt, „daß es eine Klasse von Heterosexuellen gibt“, der eine stabile Klasse von Homosexuellen gegenübersteht (Hark 2000a: 40; vgl. Richardson 2005: 520), impliziert die Betonung von sameness nicht nur die Orientierung an (vermeintlichen) ‚gemeinsamen Werten‘ (wie Familie, Liebe, monogame Beziehungen), sondern auch die Annahme einer „zweigeschlechtlichen, wenn auch flexiblere[n] GenderHierarchie“ (Pühl 2003). Staatsbürgerliche Anrufungspolitiken ‚akzeptieren‘ bzw. produzieren also Differenzen aufgrund der ‚sexuellen Orientierung‘ im Rahmen eines essentialisierenden Minoritätsmodells, setzen aber die unhintergehbare ‚natürliche‘ Zweigeschlechtlichkeit (weiterhin) als gemeinsame Orientierungsstruktur. Die Idee einer Zweigeschlechtlichkeit als fundamentale, rechtlich und historisch problematische Grundlage von Staatsbürgerschaft wird im Rahmen der veränderten (neoliberalen) Anrufungspolitiken nämlich nicht grundsätzlich in Frage gestellt oder destabilisiert, sondern nur (marktgerecht) modifiziert und moduliert (vgl.

4

In diesem Kontext sei daher auch auf die Zunahme an sozio-/biologischen Fundierungen lesbischer (oder schwuler) Sexualitäten hingewiesen und damit der wiederauflebenden Tendenz, Homosexualität „im materialen Gewebe der Moleküle“ (Bock von Wülfingen 2007: 61) zu suchen. Eine neue Form der marktkonformen Rückkehr zur Identität und dem Körper als Wahrheitsreferenten verbindet sich daher in diesem Kontext mit einer partiellen Anerkennung von Lesben und Schwulen.

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Sauer 1999). Lesbische und schwule Staatsbürger*innen werden also entweder als Frauen oder Männer im Rahmen einer neoliberalen, „phallozentrischen Rekonstrukturierung“ von Staatsbürgerschaft adressiert, in der die Geschlechterlinien jedoch auf Basis neuer Ungleichheiten, Differenzierungen und Ressourcen performativ re-/produziert werden (müssen) (ebd.). Eva Kreisky spricht in diesem Kontext auch von der „maskulinen Ethik des Neoliberalismus“, da hier „Patriarchalismus und Maskulinismus […] marktgerecht erneuert“ würden (Kreisky 2001: 39ff.). Die ‚Homo-Norm‘ entpuppt sich daher auch „als androzentrische Norm“, in der bestehende geschlechtsspezifische Ungleichheiten weder unterlaufen noch nachhaltig destabilisiert werden (Mesquita 2011: 175). Die Anforderungen für eine ‚gute lesbische Bürgerin‘ unterscheiden sich daher grundlegend von jenen eines ‚guten schwulen Bürgers‘, da auch die ‚neue‘ flexiblere Normalverteilung nach wie vor heteronormative Werte, Normen, Erfahrungen, Ressourcen und Deutungsmuster widerspiegelt. Folglich gilt es in diesem Kontext in den Blick zu nehmen, inwieweit hier Konzeptionen hegemonialer Männlichkeit im Politischen wirklich unterlaufen, oder inwieweit diese nur transformiert werden. Haben wir es im Rahmen aktueller Veränderungen also nicht eher mit einer Flexibilisierung von weißer, subordinater Weiblichkeit auf der einen und weißer, hegemonialer Männlichkeit (mit jeweils dem ‚richtigen‘ Pass, dem entsprechenden Einkommen und der richtigen ‚Kultur‘) auf der anderen Seite zu tun, ohne dass dabei „Geschlecht […] seine soziale Platzanweiserfunktion […] eingebüßt“ hätte, sondern „im Gegenteil, an diskriminierender Relevanz“ zugelegt hat (Kreisky 2001: 47)? Lässt sich daher nicht auch ein Zusammenhang zwischen dem proklamierten Trend innerhalb der schwulen Szene, „sich als besonders männlich und als besonders bürgerlich [zu] verstehen“ (Nagel 2003: 21; vgl. Woltersdorff 2005), einer „new homonormativity“ (Duggan 2003) und einem „maskulinistisch gestärkte[n] Leitbild des Neoliberalismus“ (Kreisky 2001: 46) konstatieren? Wird nun männliche Homosexualität – wenn auch subordinant, aber zumindest partiell in ein Konzept der politischen „hommo sexualité“ integriert, ohne dabei die grundsätzliche Dichotomie zwischen dem als männlich gedachten politischen Subjekt und deren „Waren“ und/oder „Tauschobjekten“ zu verändern (Irigaray 1979)? Gilt es daher nicht erneut den Blick auf das maskulinistische Integrationsmoment neoliberaler Politiken als „Politikprojekt männlicher Eliten“ (Kreisky 2001: 38) zu richten und feministische, lesbischfeministische und queer-feministische Interventionen ernst zu nehmen, die sich gegen ein vorschnelles Aufgeben von ‚lesbisch‘ (und ‚Frauen‘) als politische Kategorien der sozialen Positionierung richten?

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Eine Inklusion von LGBTIQs im Rahmen eines neuen „specific normative lesbian/gay citizenship“ subvertiert also vergeschlechtlichte Konzeptionen von Staatsbürgerschaft nicht, sondern schreibt diese auf veränderte und marktkonforme Weise fort (vgl. Richardson 2005: 520ff.; Bell/Binnie 2000; Bell 1995). Es werden hier zwar flexibilisierte „Normalitätsmuster“ in Bezug auf Sexualität erzeugt, die jedoch auch gleichzeitig existierende „Dominanzverhältnisse“ bestätigen und so die performative Fortschreibung und Inszenierung von Zweigeschlechtlichkeit als „bewährtes Dispositiv“ der Differenzierung und Ungleichheit von den Individuen selbst abverlangen (vgl. Janz 2003: 93; Sauer 1999). Die (neue) Anrufung von lesbischen Existenzweisen als ‚gute lesbische Bürgerin‘ setzt somit eine ‚freiwillige‘ Gender-Konformität als zentrale Identifikationsanforderung voraus (vgl. Richardson 2005). Lesbische Existenzweisen können also im Rahmen einer Identifizierung mit dem (heteronormativen) Status einer weiblichen Staatsbürgerin als solche anerkannt werden, wenn sie ihre ‚sexuelle Orientierung‘ als sozial und politisch ‚irrelevante‘ bzw. ‚private‘ sexuelle Differenz kennzeichnen. „Stripped of the monstrous image of the third sex – not-woman, not-man – lesbian sexuality becomes just sex, a woman’s sexuality, and as such simply a set of acts or practices that cannot challenge the binarism of gender.“ (Calhoun 2000: 72)

Durch die „individuelle Eigenleistung“ einer Anpassung der Gender-Performance an die jeweiligen (heteronormativen) Gender-Vorgaben ist es nun möglich, die ‚sexuelle Orientierung‘ lesbischer Frauen als ‚private Lebensweise‘ oder ‚sexuellen Lifestyle‘ im Rahmen eines nach wie vor heteronormativ strukturiertem Staatsbürgerschaftsmodells anzuerkennen (vgl. Engel 2008: 44f.; Richardson 2005). Heterosexuelle Frauen und lesbische Frauen werden hier also als „‚alike‘ in certains aspects“ betrachtet – sie ‚teilen‘ das ‚Geschlecht‘ und somit auch partiell den Status einer weiblichen Staatsbürgerin (Richardson 2005: 521). Interessant sind in diesem Kontext auch die Ergebnisse von einigen Untersuchungen, die zumindest für den US-amerikanischen Kontext gezeigt haben, dass die gesellschaftliche Anerkennung von Lesben, die selbst ‚biologische‘ Mütter sind/geworden sind steigt (Hequembourg/Farrell 1999; Dunne 2000). Einigen dieser Frauen gelänge es demnach „[to] neutraliz[e] attacks on their claims to lesbian identities […] [by] demonstrating their abilities to mother“ (Hequembourg/Farell 1999: 553). Oder wie es Gillian A. Dunne in ihrer Studie ausdrückt:

246 | P ERVERSE BÜRGERINNEN „By embracing motherhood, lesbians are making their lives ‚intelligible‘ to others – their quest to become parents is often enthusiastically supported by family and heterosexual friends.“ (Dunne 2000: 13; Hervorh.i.Org.)

Zu einem ähnlichen Ergebnis kam auch Ellen Lewin in einer früheren Untersuchung zu lesbischer Mutterschaft – lesbischen Frauen gelänge es über die Institution der Mutterschaft, Zugang zum (kulturellen und diskursiven) Status von „womanhood“ zu bekommen (Lewin 1993: 191). Kann über ‚lesbische Mutterschaft‘ demnach auch auf der Ebene der kulturellen Mitgliedschaft eine (partielle) ‚Zugehörigkeit‘ zur Gruppe der ‚weiblichen Staatsbürgerinnen‘ evoziert werden (vgl. Mamo/Patil 2006)? Neoliberale Normalisierung fordert von lesbischen Existenzweisen damit nicht mehr unbedingt die eigene ‚Unsichtbarkeit‘ und/oder eine vollständiges heterosexuelles Passing, sondern die Betonung, „that lesbians are all ‚really‘ women, so it won’t hurt if we dress and act like them at certain moments“ (Phelan 2001: 105). Dies wird ‚schmackhaft‘ gemacht, indem es als ‚Eigenverantwortung‘ oder persönliche, vorgeblich freie Entscheidung codiert wird. Engel spricht in diesem Kontext auch von der „projektiven Integration“ von LGBTIQs, in der die Differenz in die Norm selbst eingeschrieben und dort inkludiert wird – die lesbische Staatsbürgerin wird also gleichsam zu einer Lifestyle-, Neben- oder Unterkategorie der weiblichen Staatsbürgerin selbst (Engel 2008: 52). Insofern kann hier in Bezug auf Monique Wittig und ihrer umstrittenen These, dass Lesben keine Frauen sind, da sie sich nicht im Rahmen einer heterosexuellen Bedeutungsökonomie konstituieren (wollen), auch provokativ gefragt werden: Müssen Lesben, um Staatsbürgerinnen werden zu können, nun versuchen, (richtige) Frauen zu werden (vgl. Wittig 1992b [1981])? Ist beispielsweise die ‚gebärende Lesbe‘ als Staatsbürgerin mehr intelligibel, weil sie damit den Erfordernissen einer weiblichen Staatsbürgerin nachkommt? Wenn also eine stabile, nicht-transgressive weibliche Geschlechtsidentität und -performance im Rahmen heteronormativer Binaritäten zu einer zentralen Identifikationsanforderung wird, dann läuft dies letztlich auf eine Fortschreibung genderspezifischer Ungleichheiten/Differenzen und damit auch Heteronormativität als Institutionalisierung einer vermeintlich ‚natürlichen‘ (hierarchischen) Zweigeschlechtlichkeit hinaus. Lesbische Existenzweisen leben daher gerade als antagonistische Subjekte und potenzielle Abjekte zwischen einer assimilatorischen Form der disziplinierenden Normation, die lesbischen Existenzweisen ein passing als ‚richtige Frau‘ und Staatsbürgerin abverlangt und einer minorisierenden Normalisierung, welche eine (neoliberale) Inklusion zu bestimmten ‚Bedingungen‘ suggeriert.

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„[L]esbians are being constituted as ‚good’ and ,bad‘ citizens in ways which […] are likely to further marginalize those who are critical of the gendered heterosexual norm underpinning citizenship.“ (Richardson 2000: 269; Hervorh.i.Org.)

Rhetorische Normalisierung, differentielle Inklusion und die Persistenz lesbenfeindlicher Gewalt und Diskriminierung In Anlehnung an Angelika Wetterer und ihre feministische Analyse der Transformation von Geschlechterverhältnissen im Kontext von Gleichstellungspolitiken als (bloß) „rhetorische Modernisierung“ möchte ich hier von einer ‚rhetorischen Normalisierung‘ im Rahmen einer formellen Inklusion von LGBTIQs sprechen (Wetterer 2003). Unter einer ‚rhetorischen Normalisierung‘ verstehe ich in Rekurs auf Wetterers Verwendung des Terminus „rhetorische Modernisierung“ ebenfalls eine Situation, in der sich „Differenzwissen“ formell-juridisch zwar bewegt und verändert hat (z.B. durch die Abschaffung von Totalverboten; durch die Ermöglichung einer staatlichen Legitimierung von homosexuellen Partner*innenschaften), aber nur ‚rhetorisch‘ und/oder formal-juridisch, da sich am herkömmlichen „strukturbildenden Potenzial“ von Heteronormativität sowie in Bezug auf Gewalt und Diskriminierung gegenüber LGBTIQs nur wenig bzw. nur punktuell etwas verändert hat (Wetterer 2003: 315f.; vgl. Hänsch 2003b). Diane Richardson nennt diese Form der ‚rhetorischen Normalisierung’ auch eine „imaginäre Form der Gleichheit“, welche gepaart mit einer „Fortschrittsillusion“ die Persistenz von Gewalt und Diskriminierung jeweils auch als ‚Ausnahmeerscheinung‘ erscheinen lässt (Richardson 2004: 394; Übers. C.K.) Gewalt gegen und Diskriminierung von LGBTIQs sind jedoch keine ‚Ausnahmeerscheinungen‘, zeigen doch die aktuelle Studie der Europäischen Grundrechteagentur (FRA 2013), Berichte von zahlreiche NGOs und Beratungseinrichtungen ebenso wie die Massendemonstrationen in Frankreich gegen die ‚HomoEhe‘ sowie unterschiedliche Formen von Gewalt und Verhetzung, dass die eigentlichen strukturellen und diskursiven Grundlagen heteronormativandrozentrischer Staatsbürgerschaft in ihren Grundfesten bisher nur ansatzweise erschüttert wurden. (Mehrheitsangehörige) LGBTIQs werden innerhalb der Europäischen Union nun zwar rhetorisch als ‚gleiche‘ Staatsbürger*innen angerufen und ihnen werden in manchen Bereichen auch die ‚gleichen‘ (formellen) Rechte gewährt, ohne jedoch das „strukturbildende Potenzial“ von Heteronormativität zu unterlaufen (Wetterer 2003: 315f.; vgl. Richardson 2005; Hark 2000a; Hänsch 2003b). Bei Lesben und Trans*Personen, welche als ‚ausländisch‘ gelesen werden, heißt mit ‚realem‘ oder ‚angenommenen Migrationshintergrund’,

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verbinden sich diese Diskriminierungen und Gewaltformen wiederum zu einem spezifischen, intersektionellen Konglomerat aus Rassismen, Sexismen und Lesben-/Trans*-Feindlichkeit (LesMigras/Castro Varela 2012). Die zunehmende Ausweitung von Rechten für LGBTIQs innerhalb der EU Staaten ist daher nicht nur durch eine „domestication of equality“ und eine starke Bezugnahme auf „family values“ bei einer gleichzeitigen Persistenz heteronormativer Werte und Normen gekennzeichnet, sondern die Einbeziehung von LGBTIQs findet auch unter hierarchisch-differenzierenden Vorzeichen statt (Elman 1999). Dies zeigt sich insbesondere in der Einführung von separaten Rechtsinstituten – wie etwa der eingetragenen Partnerschaft – für Lesben und Schwule. Monika Mayrhofer zeigt diese neoliberale „Modifikation von sexuellen Ordnungen“ bei einer gleichzeitigen Persistenz heterosexueller Normen auch in Bezug auf die sexuellen Politiken innerhalb der EU und ihrer Mitgliedstaaten (Mayrhofer 2005: 36). Demnach sei hier zwar insbesondere durch das Diskriminierungsverbot ‚aufgrund der sexuellen Ausrichtung‘ in Artikel 13 des Amsterdamer Vertrages eine „weitreichende Liberalisierung von ‚sexuellen Ausrichtungen‘“ möglich geworden, diese sei jedoch in mehrerer Hinsicht beschränkt (ebd.: 37; Hervorh.i.Org.): „Erstens ist es eine wirtschaftlich beschränkte Gleichstellung, d.h. von der heterosexuellen Norm abweichende Sexualitäten sollen im Arbeits- und Wirtschaftsbereich entdiskriminiert werden, um sie – dem allgemeinen Trend der EU entsprechend – besser in den Arbeitsmarkt einbinden und verwerten zu können. Zweitens kam es nicht zu einem Auflösen von heterosexuellen Normen. Dies drückt sich zum einen dadurch aus, dass die Gleichstellung sehr eindimensional war und ist, d.h. es ist vor allem eine Tendenz zur regulativen ‚Anpassung‘ der von der heterosexuellen Norm abweichenden Sexualitäten an eben diese feststellbar.“ (Ebd.; Hervorh.i.Org.)

Insofern kann hier auch gefragt werden, ob die neue staatsbürgerliche Anrufung auf Basis einer „Rhetorik der Gleichheit und Individualisierung“ nicht wiederum als spezifische Form der Disziplinierung gelesen werden kann, um „Kränkungen und Demütigungen“ sowie unterschiedliche Formen der Diskriminierung und des Ausschlusses zu verleugnen bzw. zu individualisieren (Hänsch 2004: 27). Wenn also Lesben (und Schwule) „reale Diskriminierung wie auch die Angst vor Diskriminierung als selbstverantwortetes Problem verstehen, so liegt dies in der Aussage und Wirkungsmächtigkeit eben jenes Diskurses begründet, der Liberalität verspricht. Dieser Diskurs wird nicht nur von einer heterosexuellen Öffentlichkeit vertreten, sondern beeinflusst auch Deutungsmuster und Hand-

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lungsstrategien von Lesben und Schwulen selbst. Die Dethematisierung von Diskriminierung ist eine der möglichen Konsequenzen. Eine suggerierte Gleichheit, das vermeintliche ‚anything goes‘ wirkt als ‚neuer normativer Imperativ‘, der Lesben und Schwule auffordert, Kränkungen und Demütigungen zu verleugnen. Dieser Diskurs stellt auf diese Weise selbst eine moderne Form der Disziplinierung von Lesben und Schwulen dar.“ (Hänsch 2003b: 13; Hervorh.i.Org.)

Die Individualisierung von Diskriminierungserfahrungen zeigt Ulrike Hänsch in ihrer aktuellen Studie zur Wahrnehmung von Diskriminierung unter lesbischen und schwulen Jugendlichen (ebd.). „Mögliche Probleme mit dem Coming out“ oder der eigenen schwulen oder lesbischen Identität werden von den Befragten, so Hänsch „nicht als reale Angst vor Diskriminierung gewertet, sondern von einem gesellschaftlichen Problem weg ins Individuelle hin gewendet und als Mangel an Selbstbewusstsein gedeutet. So wird die Ursache der Diskriminierung nicht mehr in einer homosexuellenfeindlichen äußeren Welt verortet, sondern in mangelnden Fähigkeiten (Selbstbewusstsein)“ (ebd.: 13). Fungiert hier Staatsbürgerschaft also (wieder einmal) als machtvolles Gleichheitsnarrativ, mit dessen Hilfe reale soziale Ungleichheiten verdeckt werden sollen, weil sie einer Ideologie eines Toleranzpluralismus im 21. Jahrhunderts widersprechen? Es muss also auch gefragt werden, „welche Konsequenzen ein Mythos der Gleichheit für diejenigen hat, denen zwar Gleichheit versprochen wird, die jedoch in ihrem subjektiven Erleben die vielfältigen Spielarten der Ungleichheit zu spüren bekommen“ (ebd.: 9). Dementsprechend gilt es gerade aktuelle Normalisierungs- und Inklusionsangebote immer wieder kritisch in den Blick zu nehmen und hier die Gleichzeitigkeit von (zunehmender) Lesbenfeindlichkeit und Integration kritisch zu evaluieren. Dies impliziert auch ein Ernstnehmen von feministischen Interventionen und Kritiken an dem Instrument des ‚Rechts‘ als (alleiniger) Garant von ‚Gleichheit‘ sowie den zahlreichen Ansätzen, die auf Basis struktur- und handlungstheoretischer Modelle auf die Divergenz von faktischer Ungleichheit vs. politisch-rechtlicher Gleichheit und Inklusion hinweisen.

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Inklusionsunwillige Existenzen, Homonationalismen und neue/alte Rassismen Bezugnehmend auf meine methodologische Annahme von der konstitutiven Notwendigkeit von Ausschlüssen für das Funktionieren von Staatsbürgerschaft (siehe dazu Kapitel 1), gilt es in diesem Kontext daher auch gerade die ‚Nebeneffekte‘, Bedingungen und derart auch das ausgeschlossene und konstitutive ‚Andere‘ dieser neuen, homonormativen Inklusionsangebote und -formen kritisch in den Blick zu nehmen. Einige queere Theoretiker*innen verweisen in diesem Kontext folglich auf die Problematik neuer Hierarchisierungen und de-/privilegierender Differenzierungen zwischen „‚good‘ (i.e., respectable) and ‚bad‘ members of the stigmatized group“ (Phelan 2001: 88). Das heißt, inklusionswillige oder -fähige5 lesbische Existenzweisen werden durch entsprechende (kulturelle/rechtliche) Privilegien ‚belohnt‘, während andere auf eine neue Art stigmatisiert und verworfen werden oder aufgrund rassistischer Grenzregime und (Einbürgerungs-)Politiken weiterhin exkludiert bleiben. Bestimmte (inklusionswillige und -fähige) lesbische Existenzweisen werden nun (partiell) als Staatsbürgerinnen angerufen, während andere aufgrund einer verweigerten oder verunmöglichten Identifikation (z.B. aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit oder dem vermeintlichen ‚migrantisch-sein‘) (partiell) ausgeschlossen bleiben. Ulrike Janz stellt diese neue Trennung auch in den Kontext einer Politik, die Antke Engel (2008) als Form der „befriedeten Provokation“ bezeichnet hat – und fragt, inwieweit eine „politische Trennung“ zwischen den normalisierungswilligen Lesben, „die dankbar heterosexuelle Privilegien annehmen und denen, die weiterhin die heterosexuellen Strukturen an sich in Frage stellen“ nicht auch unmittelbar herrschaftsstabilisierend seien (Janz 1998: 70). Insofern kann folglich auch gefragt werden, ob durch einen partiellen Einschluss ausgewählter LGBTIQs die Inklusionsverheißung einer staatsbürgerlichen ‚Gleichheit‘ auf eine neue Art aktualisiert und dadurch gestärkt wird, dabei aber auch eine Wiedereinsetzung und Zitation alter rassistischer Exklusionskriterien verlangt.

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Der Begriff der ‚Inklusionsfähigkeit‘ setzt hier keineswegs voraus, dass bestimmte Menschen bzw. bestimmte lesbische Existenzweisen als ‚defizitär‘ oder ‚unfähig‘ ‚zur Inklusion‘ betrachtet werden, sondern verweist auf die Exklusionsmomente rassistischer Anrufungs-, Grenz- und Migrationspolitiken, welche bestimmten (lesbischen) Existenzweisen grundsätzlich den substantiellen Zugang zu Staatsbürgerschaft verweigern und sie als (vermeintliche) ‚Ausländer*innen‘ damit nicht als ‚legitime‘ Mitglieder der jeweiligen politischen Gemeinschaft angesehen werden. Insofern geht es um die ‚Inklusionsunfähigkeit‘ der Institution Staatsbürgerschaft.

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Auf die, diesen neuen Anrufungspraktiken und Identifikationsanforderungen inhärenten, rassialisierten Exklusionsmechanismen machen María del Mar Castro Varela und Encarnación Gutiérrez Rodríguez auch in ihrem Beitrag zur Situation lesbischer Migrantinnen und Exilantinnen in Deutschland aufmerksam (Castro Varela/Gutiérrez Rodríguez 2000). Ihnen würde nämlich, das ‚Privileg der Normalisierung‘ grundsätzlich verweigert, da sie zu allererst als ‚Ausländerinnen‘ im Kontext einer rassistischen Normativität angerufen werden (vgl. LesMigras/Castro Varela 2012). (Homo-)Normalisierung impliziert daher jeweils auch rassifizierte, ethnifizierte und klassenspezifische Verständnisse von der ‚guten (lesbischen) Bürgerin‘ und schreibt so die Verschränkung von (Hetero-)Normativität mit ‚Weißheit‘ fort. Die ‚Inklusionsanforderungen‘ für lesbische Existenzen zeigen daher insbesondere vor dem Hintergrund bestehender sozialer, ökonomischer und politischer Hierarchien und Ressourcenungleichheiten (aufgrund des ‚Geschlechts‘, der ‚Klasse‘, von ‚Rasse‘/‚Ethnizität‘, der geopolitischen Herkunft, Staatsangehörigkeit) als höchst problematisch. Besonders virulent wird ökonomische Ungleichheit und Differenz freilich auch im Kontext der staatsbürgerlichen capability von lesbischen Existenzweisen im Bereich des Marktes und des Konsums. Denn gerade mit Blick auf die jeweiligen Sichtbarkeits- und Partizipationsbedingungen als consumer citizens und economic citizens zeigt sich hier die analytische Bedeutung von Geschlecht als strukturierende und strukturierte Kategorie ihrer (Markt-)Bürger*innenschaft. Das heißt, (partielle) Exklusionen aus anderen sozialen, politischen oder ökonomischen Sphären (z.B. horizontale und vertikale Arbeitsmarktsegregation sowie Lohnunterschiede je nach Geschlecht und Herkunft, Verweigerung der politischen Mitbestimmung und Teilhabe für Migrantinnen ohne Staatsbürgerschaft, Exklusion von Asylbewerberinnen vom Arbeitsmarkt und sozialen Leistungen) entfalten hier gleichsam negative Rückkoppelungseffekte auf die Wahrnehmung der Inklusionsangebote und tragen überdies zu neuen Formen der „secondary marginalization“ innerhalb der LGBTIQ-Community bei (Phelan 2001: 116). Insofern seien, wie Katharina Pühl betont, „Inklusionspolitiken“ immer problematisch, da „‚Inklusion‘ in die bestehenden Zerklüftungen sozialer Ungleichheit stets soziale Differenzen neu hervorbringt und bestätigt“, da ein permanentes „Beziehungsgeflecht sozialer Positionen untereinander“ existiert, „das von Hierarchien, Aberkennungsverhältnissen, Unterdrückung, Dominanz von einigen über die ökonomischen und kulturellen Ressourcen von anderen erheblich durchzogen ist“ (Pühl 2003: o.S.). Darüber hinaus verstärken auch jene Differenzen, die sich zwischen den ‚Inklusionswilligen‘ bzw. ‚Inklusionsfähigen‘ und jenen, die diese Bedingungen aus unterschiedlichen Gründen nicht erfüllen können oder wollen, bestehende Ungleichheiten und bringen neue Formen der sozialen Schließung hervor.

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Insofern gilt es auch zu fragen, zu welchem ‚Preis‘ sich staatsbürgerliche Anrufungspraktiken und Identifikationsanforderungen jeweils ändern und welche neuen Abjektions- und Exklusionsprozesse damit jeweils einhergehen. Aktuelle Arbeiten (Puar 2007; Sabsay 2012; Haritaworn et al. 2008; Denike 2010) weisen in diesem Kontext darüber hinaus auch auf die konstitutive Bedeutung orientalisierter und rassialisierter Konstruktionen eines ‚homophoben‘, antiliberalen ‚traditionellen Anderen‘ für die Aufrechterhaltung der Inklusionsverheißung moderner Staatsbürgerschaft hin. In den Worten von Jasbir Puar: „National recognition and inclusion, here signalled as the annexation of homosexual jargon, is contingent upon the segregation and disqualification of racial and sexual others from the national imaginary. At work in this dynamic is a form of sexual exceptionalism – the emergence of nation homosexuality, what I term ‚homonationalism‘.“ (Puar 2007: 2; Hervorh.i.Org.)

Diese ‚Anderen‘ werden demnach entweder geopolitisch im ‚Globalen Süden‘ oder ‚(Nahen) Osten‘ verortet oder innerhalb der Nationalstaaten mit jenen – oftmals als ‚integrationsunwillig‘ dargestellten – Bevölkerungsgruppen verbunden, die den ethnifizierten/rassialisierten (Körper-)Normen der Mehrheitsgesellschaft nicht entsprechen (können) oder ein ‚Zeichen‘ muslimischen Glaubens tragen. Die (rhetorische und/oder formale) Inklusion von LGBTIQs funktioniert demnach auch als ein „regulatory script“ und ‚Entwicklungsbarometer‘ zwischen einem als ‚tolerant‘ konstruierten ‚Westen‘ und einem als homophob und unzivilisiert konzipierten ‚Rest‘ (Puar 2007: 2). Während frühere Konstruktionen von der ‚phallischen Lesbe‘, der ‚Virilen‘ oder die ‚Gefahr‘ einer gynäokratischen Formen der Herrschaft immer auch schon den Hinweis auf eine rassialisierte Implikation dieser (sexuellen/geschlechtlichen) ‚Devianz‘ innehatten – demnach war die ‚Nichteuropäische Andere‘ gleichsam der Inbegriff sexueller Devianz (Traub 2002) – muss diese ‚kontaminierende‘ Genealogie für eine Inklusion lesbischer Staatsbürgerinnen nun getilgt werden. Normalisierung und Inklusion verlangt daher auch eine Validierung und Fortschreibung weißer Staatsbürgerschaften und der modernisierungstheoretischen Erzählung vom ‚westlichen Fortschritt‘, (sexueller) ‚Entwicklung‘ und der Möglichkeit von demokratischer Inklusion. Die Partizipation von zahlreichen LGBTIQ-Organisationen an anti-muslimischen, rassistischen und xenophoben Politiken und Diskursen in EUropa kann daher, wie Jennifer Petzen und Jin Haritaworn betonen, keinesfalls nur als eine Form der Instrumentalisierung von LGBTIQs für staatliche (Grenz-)Politiken interpretiert werden, sondern auch als Form der aktivistischen Teilnahme und (Selbst-)In-

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klusion durch die Demonstration einer (homo-)nationalistischen Allianz mit heterosexuellen Staatsbürger*innen. Denn LGBTIQs zeigen ihre (vermeintliche) ‚Gleichheit‘ und ‚Analogie‘ mit „white heterosexuals“ gerade auch dadurch an, dass sie in der ‚Zivilisierung‘ des/der ‚homophoben‘ Migrant*in und der imperialistischen ‚Verdammung‘ ‚rückständiger‘, ‚homophober Kulturen‘ partizipieren (Haritaworn et al. 2008). Die als inklusionswürdig und vor allem -fähig angerufene (lesbische) Staatsbürgerin ist daher keinesfalls migrantisch, ‚muslimisch‘ oder ‚nicht-weiß‘, da diese lesbische Existenzen zuallererst eine „Aufwerfung“ erfahren, durch welche ihnen eine stabile „rassisierte“ und „ethnisierte […] Anderheit“ zugeschrieben wird (Castro Varela/Gutiérrez Rodríguez 2000: 106ff.). Lesben, die den (rassistischen) Zugehörigkeitsnormen also nicht entsprechen, werden daher vor allem als Folie der Abgrenzung gelesen, repräsentieren sie doch im Kontext einer inklusivistischen Staatsbürger*innenschaftserzählung das ‚homophobe‘ Andere, das innerhalb ‚westlicher Demokratien‘ und auf Basis einer modernistischen Fortschrittserzählung zurückgewiesen bzw. ‚modernisiert‘ werden soll. Diese erfahren daher ausschließlich als „exception[s]“ oder als „faceless victim[s] without agency“ Sichtbarkeit: „In colonial tokenising fashion individuals are invited to support the hegemonic agenda with hyper-assimilationist arguments. […] Individual […] Muslim gays are described as having emancipated or liberated themselves from their repressive culture by embrancing the gender-progressive culture of the ,liberal West‘. Not only do the therby confirm the exceptionality of the West, they also emerge as exceptions to the rule that women and gays ,from this culture‘ are in fact repressed. This confirsm rather than contests the view that ,Islam‘ is the most sexist and homophobic culture of all. It also constructs ,Europe‘ or the ,West‘ as a safe haven for Muslim […] gays […].“ (Haritaworn et al. 2008: 83; Hervorh.i.Org.)

‚Sexualität‘ wird in seiner intrinsischen Verwobenheit mit ‚Rasse‘ also wiederum zu einem ‚Raster‘ staatsbürgerlicher Intelligibilität und Marker einer Grenzziehung zwischen Staatsbürger*innen und ‚unfähigen‘ Existenzen und NichtStaatsbürger*innen – erscheint doch die Sexualität der ‚nicht-westlichen Anderen‘ als zu ‚rückständig‘, zu ‚patriarchal‘ und ‚homophob‘ (vgl. Sabsay 2012).

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D IMENSIONEN LESBISCHER B ÜRGERINNENSCHAFTEN I: W E GET M ARRIAGE AND THEN WE GO H OME AND COOK D INNER 6…? In Rekurs auf David Bell und seiner Betonung der ‚räumlichen‘ und ‚örtlichen Dimension‘ von (sexueller) Staatsbürgerschaft als „locations where […] citizenship [is] constituted through the citizen’s sexuality“ möchte ich den folgenden Abschnitten vor allem ‚räumliche‘ Dimensionen und konkrete (materielle) Manifestationen von Staatsbürgerschaft/Staatsbürgerschaftspolitiken in den Blick nehmen, da sich darin androzentrische Heteronormativität nicht nur entfaltet, sondern durch konkrete Praxen auch immer wieder neu instituiert und reproduziert werden soll/muss (Bell 1995: 139). Insofern werden im folgenden Abschnitt auch jene Dimensionen oder „institutionalized specifications“ von Staatsbürgerschaft diskutiert, die innerhalb der politiktheoretischen Debatte unter den Stichworten intimate/reproductive citizenship (d.h. Staatsbürgershaft im Kontext von Reproduktion sowie Beziehungs-, Familien- und Verwandtschaftsverhältnisse), political citizenship (Staatsbürgerschaft als politische Partizipation und Repräsentation), cultural citizenship (Staatsbürgerschaft als kulturell-symbolische Inklusion und Mitgliedschaft u.a. durch mediale Repräsentation) und consumer/economic citizenship (Staatsbürgerschaft als Teilnahme am Markt bzw. Formen von Konsum- und Marktbürgerschaft) diskutiert werden (Bell 1995: 115). In meiner Analyse steht jedoch nicht die Frage nach dem (verhinderten) ‚Zugang‘ von lesbischen Existenzweisen zu bestimmten (abstrakten oder formalen) Staatsbürger*innenschaftsrechten im Zentrum, sondern die Funktions- und Operationsweisen jener Räume und Dimensionen von Staatsbürgerschaft, in denen bestimmte Kriterien und Vorstellungen von dem/der ‚richtigen‘ (weiblichen, lesbischen) Bürger*in produziert und gleichzeitig vorausgesetzt werden und derart Inklusion in einer bestimmten Weise reglementieren und begrenzen. Mit diesem Fokus rücken folglich die Zugangsbedingungen zu diesen Räumen als „bounded space[s] of citizenship“ sowie deren subjektivierenden und ausschließenden Effekte und Wirkungen auf lesbische Existenzweisen in den Mittelpunkt der Betrachtung (Painter/Philo 1995: 112; vgl. Hark/Genschel 2003). Basierend auf meiner methodologischen Grundannahme von einer exklusivierenden Grundstruktur von Staatsbürgerschaft (siehe Kapitel 1) wird in diesem Kontext freilich immer auch nach den Voraussetzungen, Grenzen sowie den (neuen) konstituti-

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Nach Duggan 2002: 189.

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ven Ausschlüssen im Zusammenhang mit einer partiellen oder differentiellen Inklusion (ausgewählter) lesbischer Existenzweisen gefragt. Demnach wird hier auch untersucht, wie Staatsbürgerschaft als instituierende Praxis und trotz unterschiedlicher politischer Transformationen und Gleichstellungspolitiken auch „die diskursiven Bedingungen“ und die (politischen) Regeln für die Inklusion und Inanspruchnahme von Staatsbürgerschaft und die damit verbundenen Rechte und Ressourcen vorgibt und strukturiert und was dies konkret für lesbische Existenzweisen (in ihrer Differenz) bedeutet oder bedeuteten kann (Evans 2000: 75). Im Rahmen einer lesben-affirmativen Herangehensweise gilt es daher auch kritisch zu evaluieren, wer diesen (neuen) Inklusionsangeboten und -bedingungen überhaupt entsprechen kann (oder will) bzw. inwiefern diese Form der Inklusion aus der Perspektive einer feministischen und postkolonial inspirierten Gesellschaftskritik überhaupt erstrebenswert sein kann oder soll. Privater (Lesben-)Sex und ‚gereinigte‘ Bürgerinnen? Die Ehe als Konstitutionsbedingung legitimer Staatsbürgerschaft Die anhaltenden lesben- und schwulenfeindlichen Debatten und Widerstände rund um die Öffnung der Zivilehe bzw. der Gewährung von Partner*innenschaftsrechten für lesbische und schwule Beziehungen innerhalb von EUropa zeugen von der anhaltenden politischen Brisanz dieser Inklusionsforderungen und derart auch von der Umkämpftheit dieses historisch höchst bedeutsamen staatsbürgerlichen Rechts. Wie David Bell und John Binnie betonen, kann der Kampf für Heiratsrechte und die rechtliche Legitimierung von schwulen und lesbischen Partner*innenschaften daher insgesamt als „cypher for the whole citizenship debate“ im LGBTIQ-Kontext betrachtet werden – und zwar sowohl hinsichtlich der gesellschaftspolitischen Präsenz und anhaltenden Brisanz dieser Forderung/dieses Rechts als auch in Hinblick auf dessen Stellenwert und Bedeutung innerhalb der LGBTIQ-Bewegungen und Communities selbst (Bell/Binnie 2000: 58). Der Zugang zu (Ehe-)Rechten ist daher auch, wie Brenda Cossmann betont, „more than a right in the sexual citizenship basket; it is one of citizenship’s central and constitutive practices“ (Cossman 2007: 70). Denn im Rahmen dieser Institution und auf Basis der daraus entstehenden Familien- und Verwandtschaftsverhältnisse werden nicht nur soziale und rechtliche Ressourcen verteilt, sondern auch grundlegende rechtliche sowie kulturelle und symbolische Zugehörigkeiten und Mitgliedschaften begründet (vgl. Turner 2008). Neben den rechtlichen Implikationen eines Zugangs zur Ehe darf deshalb auch die symbolisch-kulturelle Bedeutung sowie die Norm setzende Kraft dieser Institution

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nicht unterschätzt werden.7 Morris B. Kaplan interpretiert Heiratsrechte demnach als eine Form der „acceptance of the moral legitimacy and ethical validity of the shared ways of lesbian and gay citizens“ und somit als Kern von (sexueller) Staatsbürgerschaft (Kaplan 1997: 209). Gerade vor dem Hintergrund der unüberschaubaren Fülle an queeren und feministischen Überlegungen, Ein- und Widersprüchen in Hinblick auf Forderungen nach der ‚Homo-Ehe‘ und deren Gewicht innerhalb aktueller LGBTIQBewegungen und Aktivismen8, möchte ich im folgenden Abschnitt einige dieser kritischen Überlegungen bündeln sowie in Hinblick auf meine Forschungsfrage erweitern und spezifizieren. Ausgangspunkt der Überlegungen ist jedoch freilich das Faktum, dass der „Ausschluss von der Ehe […] eine diskriminierende, Anerkennung versagende, heteronormative Herrschaftspraxis“ ist (Holzleithner 2013: 185). Trotz meines äußerst kritischen Perspektivierung der Inklusionsforderung ‚Ehe‘, geht es mir im folgenden Abschnitt folglich auch keineswegs darum, die Bedeutung des Eherechts oder von Partner*innenschaftsrechten für eine unmittelbare Besserstellung von (einigen) lesbischen Existenzweisen zu negieren oder die widersprüchlichen Effekte dieser Institution auf/für gesellschaftliche Transformationen, Umdeutungsprozesse und Ent-Diskriminierung zu negieren (vgl. ebd.). Hier sei insbesondere auch auf die asyl- und migrationspolitische Bedeutung von derartigen Rechtsinstituten verwiesen, kann durch das Eingehen einer Ehe oder ‚eingetragenen Partner*innenschaft‘ doch oftmals ein legalisierter Aufenthalt und/oder die formale Einbürgerung zumindest erleichtert werden. Gleichzeitig teile ich jedoch die Ansicht von Ruthann Robson, die betont, dass auch wenn die Chance besteht, „that same-sex marriage can undermine compulsary heterosexuality, this should not immunize marriage itself from interrogation“ (Robson 2009: 313). Im Hinblick auf meine lesben-affirmative Herangehensweise und in Rekurs auf die bereits dargelegten Kriterien staatsbürgerlicher Intelligibilität (Kapitel 2) erachte ich vor allem jenen Strang feministischer Kritik als besonders bedeutend, der die Ehe als vergeschlechtlichte Grundlage und

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Vor dem Hintergrund historischer Entwicklungen ergibt es auf den ersten Blick auch Sinn, die inklusivierende Bedeutung des bürgerlichen Rechts auf Heirat als zentrale Dimension und als Zeichen einer vollständigen Staatsbürgerschaft einzufordern, existierten doch immer wieder Heiratsverbote, die mit einer Verweigerung von Bürger*innenrechten für diskriminierte Gruppe einhergingen (z.B. Heiratsverbote zwischen weißen und Schwarzen US-Bürger*innen bis 1967, zwischen Jüd*innen und Nicht-Jüd*innen).

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Für eine Analyse der (demokratisierenden) Bedeutung, die einer Zivilehe in unterschiedlichen LGBTIQ-Kontexten jeweils beigemessen wird siehe: Klapeer 2009a.

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Konstitutionsbedingung männlicher, politischer Autonomie und (aktiver) Bürgerschaft im Rahmen der Dichotomie privat/politisch analysiert und auf die patriarchale Geschichte dieser Institution verweist (vgl. Pateman 1988; Brandzel 2005). Insofern war die Ehe, wie auch bereits im vorigen Kapitel deutlich wurde, die Grundlage für die Institutionalisierung einer vergeschlechtlichten Dominanzbeziehung und bildete derart auch die strukturelle Basis für den sekundären Bürgerinnenstatus von Frauen sowie rassialisierter Grenzziehungen innerhalb von Bevölkerungen. In den Worten Amy L. Brandzels: „Marriage law, a primary means of controlling women’s access to the public sphere, has been a tool for the construction and enforcement of women’s dependency. […] the state’s demarcation of good citizen bodies (those that are married, heterosexual, reproductive, and white) is drawn in direct opposition to noncitizen bodies (nonheterosexual, nonreproductive, engaging in sex for pleasure, and nonwhite). Thus by promoting and naturalizing heterosexual marriage as the primary institution of […] domestic life, the state can not only produce heterosexuality as the norm but also produce heteronormativity as inextricably linked to a properly gendered, racialized, and sexualized citizenry.“ (Brandzel 2005: 177ff.)

Die Ehe eröffnet nun jedoch auch für LGBTIQs die Möglichkeit ‚good citizens‘ zu werden und somit Sexualität und Intimität in der umhegten Sphäre der ‚Privatheit‘ (legal) ‚auszuleben‘ und damit die als rational konzipierte politische Öffentlichkeit nicht zu tangieren. Die Bedeutung des Rechts auf Eheschließung in Hinblick auf Staatsbürgerschaft liegt daher auch in ihrer Verschränkung mit dem ‚Recht auf Privatheit‘, da dieses als „public institution […] a right to private sexual relations“ impliziert (Josephson 2005: 270; vgl. Robson 2009). Der (potenzielle) Zugang zur Ehe bescheinigt/e damit – und das wurde explizit im zweiten Kapitel deutlich – die jeweilige ‚Eignung‘ zur bürgerlichen Persönlichkeit und begründet/e und legitimiert/e somit das Recht ‚sexuelle Beziehungen‘ in der ‚Privatheit‘ einzugehen. Die Ehe füllt und legitimiert somit das Recht der Staatsbürger*innen auf ‚Privatheit‘. Insofern impliziert Eheschließung auch gleichzeitig eine Hobbes’sche De-Politisierung und Einhegung von Sexualität in der Privatheit. Dies hält wiederum – abgesichert durch das rechtliche (Eigentums-)Verhältnis der Ehe – die politische Ordnung frei von der (vermeintlich) ‚zerstörerischen‘ Kraft ‚unkontrollierter‘ Lust. Insofern kann das ‚Recht auf Privatheit‘ für lesbische und schwule Existenzweisen folglich als besonders bedeutend interpretiert werden, da ihre Existenz historisch ja gerade als ‚sexuell unkontrolliert‘, als ‚promiskuitiv‘ oder ‚transgressiv‘ und damit als gefährlich für die politische Ordnung konstruiert wurde. Die Ehe kann damit auch als wichtiger Teil und

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wichtiges Instrument einer „politics of containment“ (Santos 2013) interpretiert werden, durch welches eine ‚Reinigung‘ lesbischer (und schwuler) Beziehungen möglich wird, da Sexualität derart kanalisiert, umhegt und privatisiert werden kann (vgl. Cossman 2002). Geschlechtertheoretisch bedeutet dies freilich, dass hier jenes ‚Recht auf Privatheit‘ eingefordert wird, welches das männliche Subjekt zum politisch handlungsfähigen Staatsbürger macht/e, war doch die Dichotomie privat/politisch die (historische) „Bedingung für den Status freier, unabhängiger Bürger“ (Kreisky/Löffler 2003: 377). Denn neben dem Eigentum stellte ‚eine Familie zu haben‘ „sozusagen die Eintrittskarte in den Bereich des Politischen dar“ (ebd.). Aus einer lesben-affirmativen Perspektive muss in diesem Kontext jedoch kritisch gefragt werden, inwieweit dieser Status für lesbische Existenzweisen als Frauen überhaupt in dieser Weise zugänglich bzw. überhaupt erstrebenswert ist oder sein soll, da dieser umgekehrt zu einer doppelten Privatisierung ihrer Existenz beiträgt oder beitragen kann. Denn während nun zwar die ‚phallische‘ Implikation und ‚politisch-transgressive Gefahr‘ lesbischer Sexualität/en in die privaten Sphäre ‚domestiziert‘ wird, geht damit jedoch keine substanzielle Partizipation in der politisch-öffentlichen Sphäre und somit eine Ausweitung ihrer staatsbürgerlichen Handlungsmöglichkeiten einher, da hier die Geschlechterverhältnisse nach wie vor androzentrisch-heteronormativ strukturiert werden (vgl. Sauer 2003; siehe die folgenden Abschnitte). Das heißt, das ‚Bürgerinnenwerden‘ kann durch das ‚Recht auf Privatheit‘ und das ‚Recht auf Eheschließung‘ auf einer symbolischen und unmittelbar materiell-juridischen Ebene bestärkt werden und zu einem partiellen Zugewinn an Rechten und Ressourcen für jene lesbischen Existenzweisen führen, welche heiraten können oder wollen. Umgekehrt gilt es aber auch jene feministischen und lesbisch-feministischen Kritiken ernst zu nehmen, die das Eherecht sowie das damit verbundene staatsbürgerliche ‚Recht auf Privatheit‘ als eine primär ‚männliche‘ Strategie der politischen Selbstermächtigung interpretieren, da dies vor allem schwulen Männern eine Verbesserung ihres Staatsbürger*innenstatus bringt (vgl. Jeffreys 2003). Das heißt, auch wenn die ‚Homo-Ehe‘ die der Dichotomie privat/politisch zugrundeliegende Geschlechterdichotomie durchbricht, wird jedoch das konstitutive „liberale Trennungsdispositiv der Konstraktualisten“ und eine der Kernstrukturen von Staatsbürgerschaft nicht unterlaufen, sondern „reartikuliert, flexibilisiert und zugleich aufrecht erhalten“ (Raab 2012: 32). Denn als „the ,appropriate‘ expression of sexual relations“ wird nach wie vor in den Bereich der Privatheit definiert, während jedoch umgekehrt die heteronormative Strukturierung der Öffentlichkeit in ihren Grundfesten nicht erschüttert wird (Richardson 2004: 402)

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Die heterosexuelle Grundstruktur der Ehe wird durch ‚lesbische Ehen‘ folglich unterlaufen und neu codiert – was durchaus subversive Implikationen entfaltet oder entfalten kann, gleichzeitig wird jedoch durch einen verstärkten Fokus auf die (gesellschaftlichen) Funktionen der Ehe (u.a. ökonomische Absicherung, steuerliche Vergünstigungen, Regelung von Eigentumsverhältnissen) sowie der (vermeintlichen) Motive für eine Institutionalisierung von Partner*innenschaften (u.a. Liebe, Verantwortung) spezifische heteronormative Elemente auf eine neue Weise eingesetzt. ‚Richtige‘ (lesbische) Staatsbürgerinnenschaft wird folglich über die jeweilige Validierung „with certain intimate norms, rather than a specific [hetero]sexual identity“ konstruiert und ermöglicht (ebd.: 398). Diese Inklusionsmöglichkeit verweist folglich auch darauf, dass (weibliche Staatsbürgerinnenschaft niemals ausschließlich an Heterosexualität als (bloße) sexuelle Praxis gebunden war, denn „heterosexuality per se is no guarantee of the attribution of [a] citizenship status. The ‚prostitute‘, the ‚promiscuous woman‘, the ‚young single mother‘, those defined as ‚high risk‘ through their unsafe sexual practices, are all examples of categories of bad hetero/sexual citizenship“ (ebd.). Insofern bedeutet eine Öffnung der Ehe für lesbische Existenzweisen nicht zwangsläufig, dass alle Elemente und/oder Dimensionen von Heteronormativität unterlaufen werden, denn Heteronormativität impliziert eben nicht nur „the silent presumption of heterosexuality“, sondern „promotes […] a particular type of heterosexual couple: married, monogamous, white, and upper middle class […] child rearing, and materialistic“ (Brandzel 2005: 190ff.; Hervorh. C.K.). Die Öffnung der Ehe bzw. die rechtliche Institutionalisierung lesbischer (und schwuler Beziehungen) kann daher auch als eine Form der „projektiven Integration“ (Engel 2008), der betrachtet werden, da die bestehende gesellschaftliche Organisation von Beziehungen, Familie/Verwandtschaft und Sexualität und politische Mitgliedschaft lediglich flexibilisiert werden und bestimmte lesbische Existenzweisen (u.a. aufenthaltsberechtigt, ökonomisch abgesichert) Zugang und Eingang in diese Strukturen erhalten oder erhalten sollen (vgl. Mesquita 2011). Nina Degele, Christian Dries und Anne Stauffer bezeichnen die ‚Homo-Ehe‘ daher auch als eine Strategie der „progressiven Konservierung, die das bestehende festschreibt und zugleich die Zustimmung zahlreicher fortschrittlicher gesellschaftlicher Gruppen garantiert“ (Degele et al. 2002: 138). Ähnlich argumentiert auch Sabine Hark (2000b), wenn sie schreibt: „Die Forderung nach einer Anerkennung gleichgeschlechtlicher Zweierbeziehungen zielt auf die bestätigende Vertiefung bestehender Institutionen und Normen. Sie definiert, was ‚gut‘ ist, nämlich das schon Bestehende, und fordert lediglich den nachholenden Einschluß. Indem die politische Aufmerksamkeit auf die Anerkennung des Paares gelenkt

260 | P ERVERSE BÜRGERINNEN wird, wird unterstellt, daß unsere Vorstellungen vom ‚guten Leben‘ sich decken mit den bereits etablierten und abgesicherten Vorstellungen. Es ist, wenn man so will die heterosexuelle Normalisierung von Homosexualität.“ (Ebd.: 60)

Die ‚lesbische Bürgerin‘ zeigt durch eine Heirat nun an, dass sie in einer Zeit der (postmodernen) Fragilität, Instabilität und allgemeinen Transformation familialer und intimer Verhältnisse als ein „responsible citizen“ diese Vorstellungen von einem ‚guten Leben‘ teilt, da sie jene familialen Beziehungsnormen aufgreift und damit bestätigt, welche die Stabilität des politischen Gemeinwesens garantieren sollen (Cossman 2007). Besonders deutlich wird diese Fortschreibung normativer Gesellschaftsverständnisse bzw. das ‚Versprechen‘, diese nicht ‚anzutasten‘, freilich auch dann, wenn Befürworter*innen einer Ehe oder eingetragenen Partner*innen immer wieder das Argument vorbringen, dass durch eine Ausweitung/Inklusion von LGBTIQs ja ‚niemanden etwas weggenommen werde‘.9 Darüber hinaus zeigt Tracy Simmons (2008) im Rahmen ihrer Analyse von Einbürgerungsanträgen in Großbritannien, wie das Recht auf ‚Familienzusammenführung‘ auch bei LGBTIQs nur auf Basis enger (rechtlicher) Definitionen von ‚Familie‘ und ‚traditionellen Partnerschaftskonzepten‘ gewährt wird, was „sexual dissidents“ dazu zwinge, ihre Beziehungen nach einem „narrow, traditional model of the family […], one that is premised on equivalency to a heterosexual norm“ zu organisieren (ebd.: 222). „[T]he process of gaining citizenship for sexual dissidents requires them to produce narratives of their intimate and domestic lives that in turn reproduce ‚traditional‘ gender and class relation.“ (Ebd.: 222; Hervorh.i.Org.)

Gerade weil die ‚Familienzusammenführung‘ in Großbritannien (wie in zahlreichen anderen EU-Ländern) „stable long standing relationships“ oder die Ehe voraussetze, sei hier wiederum eine Verflechtung rassistisch-nationaler Immigrationspolitiken mit heteronormativen Familien und Beziehungsnormen erkennbar (ebd.: 220). Lesbische/queere/feministische Theoretiker*innen und Aktivist*innen betonen meines Erachtens folglich zu Recht die Gefahr einer Re-Affirmation heteronormativer Beziehungsnormen durch die Inklusion in diese Institution und damit eine Fortschreibung von Exklusionspraktiken und Privilegierung entlang von

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Dieses Argument brachten u.a. der LSVD – der Lesben- und Schwulenverband Deutschland –, die HOSI-Wien – Homosexuelle Initiative Wien – sowie einige ‚linke‘ Politiker*innen in Deutschland und Österreich vor.

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verheiratet/nicht verheiratet (Brandzel 2005: Bell/Binnie 2000). Durch die Öffnung der Zivilehe für Lesben und Schwule bzw. durch die rechtliche Anerkennung von lesbischen (und schwulen) Zweierbeziehungen werden die heteronormativen Implikationen von Staatsbürgerschaft nur bedingt unterlaufen, da hier (alte) heteronormative Strukturen, Ordnungen und Werte auf eine veränderte Weise neu instituiert werden. Zwangsmatrimonialität, neoliberale Familialismen und die Produktion neuer/alter Grenzziehungen Im Rahmen einer Fortschreibung von heteronormativen Beziehungsvorstellungen kommt es folglich auch zu neuen Grenzziehungen und Privilegierungen (u.a. auch ökonomischen) zwischen ‚verheirateten‘ und ‚nicht-verheirateten‘ LGBTIQs bzw. zwischen jenen, die aus unterschiedlichen Gründen weder ‚heiraten‘ können noch heiraten wollen. Insofern wird auch oft vergessen, dass diese Form der Beziehungsorganisation keineswegs die Präferenz von allen (lesbischen Existenzweisen) darstellt und die in diesem Kontext propagierten (vermeintlich emotionalen) Motivationen einer Eheschließung weder ‚universal‘ noch ‚natürlich‘ sind, sondern dass es sich bei der Ehe bzw. jeder Form der institutionalisierten Partner*innenschaft um eine „political institution“ handelt, „[that] had to be imposed, managed, organized, propagandized, and maintained by force“ (Robson 2009: 314). Das Problem liegt folglich weniger in der rechtlichen Anerkennung von (Zweier-)Beziehungen, sondern vor allem in der Privilegierung dieser Form der Beziehung gegenüber anderen: „If married couples – opposite or same sex – are provided greater social, economic, and political privileges than nonmarried individuals, the result will be secondary exclusions and reinforcement of an undesirable link between a particular form of intimate association and adult citizenship.“ (Josephson 2005: 271)

In Anlehnung an den von Adrienne Rich geprägten Begriff der „Zwangsheterosexualität“ (compulsory heterosexuality) spricht Ruthann Robson in diesem Kontext daher von einer institutionalisierten „compulsory matrimony“, die für nicht-verheiratete Menschen zu einer „marital status discrimination“ in zahlreichen Rechtsbereichen führe (Robson 2009: 319). Diese „marital status discrimination“ gewinnt freilich insbesondere vor dem Hintergrund einer zunehmenden neoliberalen Umgestaltung von Staatsbürgerschaft und ihrer Anreicherung mit Marktelementen im Bereich der sozialen Rechte und Sicherungssysteme eine besondere Relevanz. „[S]tate-sanctioned economic arrangements advantage mar-

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ried persons over unmarried persons“, so Robson, „thus making the choice of marriage the economically advantageous choice in a capitalist economy“ (ebd.: 314). Vor dem Hintergrund eines zunehmenden Abbaus wohlfahrtsstaatlicher Leistungen und der damit einhergehenden (neuen) Privatisierung bzw. Individualisierung von Care-Arbeiten gilt es damit auch zu fragen, inwieweit die Öffnung der Ehe für lesbische (und schwule) Partner*innenschaften nicht auch unter einem für neoliberale Gesellschaften ‚funktionalen‘Aspekt diskutiert werden muss. Denn eine „gesellschaftliche Entsolidarisierung“, die sich „innerhalb des neoliberalen Spannungsverhältnisses von Individualisierungsgewinn und Risikozuwachs bewegt“, erweist sich nämlich gerade als „historische Bedingung für die Anerkennung und Normalisierung“ lesbischer und schwuler Lebensweisen (Woltersdorff 2008: 190). Vor dem Hintergrund einer „verbreiteten Bereitschaft, Geschlecht und Sexualität als Inbegriffe des Persönlichen vor öffentlichen Zugriffen zu schützen“, kann somit auch wieder „das Bekenntnis zur privatisierten Verantwortung“ im Rahmen eines neoliberalen, individualisierten Freiheitsdiskurs eingeführt werden (Engel 2008: 49). „[D]ependency should reside in the private sphere of family or charities, rather than be shared with or reside with the collectivity. […] The neo-liberal state is quite happy to accommodate new sexual citizens so long as they adhere to a privatised, familialised heteronormativity.“ (Young/Boyd 2006: 221)

Ein neoliberaler „reaktionärer Familialismus“ (Kreisky 2001) ist daher durchaus mit der Inklusion von LGBTIQs in diesen privatisierten Raum sozialer Verantwortung vereinbar, denn „Familie erhält in ihrer staatslegitimierenden Nützlichkeit neue Bedeutung: Familienpolitik scheint relativ immun gegenüber destruktiven Trends ökonomischer Globalisierung, zumal sie gerade mit der Bewahrung der Familie ein privates Modell der Abfederung und Wattierung sozialer Härten anruft.“ (Kreisky/Löffler 2003: 376f.) Neue – auch homosexuelle – Familienformen bilden demnach einen „unbezahlbaren Joker in neoliberalen Händen: Aufgaben und Arbeitsbelastungen, die früher zumindest partiell an sozialstaatliche Einrichtungen transferiert werden konnten, werden von neuem der sozialen Institution Familie aufgebürdet“, während sozialstaatliche „Verantwortlichkeiten an private Sektoren der Ökonomie“ delegiert werden (ebd.: 384). Diese Privatisierung von sozialer Verantwortung enthält aber keine politische Ermächtigung, d.h. sie geht nicht mit der Erweiterung von political citizenship einher, sondern reduziert im Gegenteil die realen politischen Partizipationsmöglichkeiten auf die Sphäre des Marktes und des Konsums (vgl. die nächsten Ab-

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schnitte). Beziehungen und Sexualität verbleiben also wiederum in einem Raster der tendenziell lebenslangen, monogamen privatisierten familialen Zweisamkeit, in der auch Versorgungs- und Betreuungspflichten sowie ökonomische Verbindlichkeiten angesiedelt sind. Somit bleibt nicht nur die ‚binäre Natur‘ der Ehe und Familie unangetastet, sondern auch die moderne essentialistische Vorstellung von Hetero- und Homosexualität sowie von Männern/Frauen.10 Durch die Gewährung des Heiratsrechtes für lesbische Partnerinnenschaften werden ungleiche Geschlechterverhältnisse und rassialisierte Strukturen der sozialen, ökonomischen Geschlechterungleichheit entlang der Dichotomie privat/politisch sowie (heteronormative) Weiblichkeitsanforderungen daher nicht in ihren Grundfesten angegriffen. Im Gegenteil, „(white) lesbians are positioned as the […] inhabitants of an increasingly acceptable and assimilated same-sex version of the heteronormative nuclear family, on which ,financial protection‘ is inextricably bound together with […] citizenship and a racialized social belonging as the prerequisites for queer family and kinship“ (Eng 2010: 101). Insofern ändert die rechtliche Anerkennung von lesbischen Partner*innenschaften bzw. die Öffnung dieser Staatsbürgerschaftsdimension nicht zwangsläufig etwas am „male economic privilege“, der gesellschaftlichen „sexual division of labour“ und der geschlechtsspezifischen Ungleichheiten in kapitalistischen Strukturen (u.a. gender pay gap; horizontale und vertikale Arbeitsmarktsegregation) (ebd.). Im Zusammenhang mit der Frage einer geschlechtsspezifischen Ungleichverteilung von Care-Arbeit und lesbischen Existenzweisen sind in diesem Kontext auch die Ergebnisse einer Berliner Umfrage zur Situation von ‚Regenbogenfamilien‘11 besonders spannend, da in diesem Kontext ebenfalls deutlich wird, dass „Erziehungsarbeit in sogenannten Regenbogenfamilien […] vor allem Frauenarbeit“ ist ( Hofsäss 2001: 52). In diesem Zusammenhang sei etwa auf die fundierte materialistische Kritik von Rosemary Hennessy an der etwaigen Subversivität von same-sex marriages hingewiesen (Hennessy 2000): „Changing the sexual division of labor within the family […] [does] not necessarily dispel obligatory heterosexuality, especially if the sexual division of labor outside the family were not also transformed.“ (Hennessy 2000: 183; Hervorh. C.K.)

10 Dies ist vor allem in jenen Ländern der Fall, in denen für Lesben und Schwule ein separates Rechtsinstitut, meist in Form einer Form einer ‚eingetragenen Partnerschaft‘ geschaffen wurde. 11 Hier sind Familien gemeint, in denen (auch) schwule Männer als Väter oder Co-Väter Teil der ‚Regenbogenfamilie‘ sind.

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Aus einer lesben-affirmativen Perspektive bedeutet dies allerdings auch, dass lesbische Existenzweisen von diesen geschlechtsspezifischen ökonomischen Disparitäten in einer besonderen Weise und anders betroffen sind als schwule Männer. Auch wenn für EUropa derzeit noch keine umfassenden statistischen Analysen zur ökonomischen Situation von lesbischen Existenzweisen, Partner*innenschaften und/oder (Regenbogen-)Familien existieren, so wurde im Rahmen einer US-basierten Untersuchung gezeigt, dass weiße Schwule im Gegensatz zu Schwarzen Schwulen oder Lesben ökonomisch nachweisbar am meisten von einer Ehe oder eingetragenen Partner*innenschaft profitieren (Badgett et al. 2008; vgl. Robson 2009). Auch sind, wie Albelda et al. in ihrer USzensusbasierten Untersuchung zur Armutsgefährdung von LGBs gezeigt haben, „lesbian couples and their families […] much more likely to be poor than heterosexual couples and their families“ (Albelda et al. 2009: i). Zur staatsbürgerlichen Bedeutung von Verwandtschaft und die Widersprüche lesbischer Mutterschaften Besonders deutlich wird die Persistenz heteronormativ (biologistischer) Deutungslogiken bei der Diskussion des Verhältnisses von Verwandtschaft und Staatsbürgerschaft und den davon abgeleiteten staatsbürgerlichen (nationalen/ethnischen) Zugehörigkeiten sowie der darauf beruhenden Verteilung von Rechten, Ressourcen und ‚Inklusionschancen‘. Verwandtschaft und Verwandtschaftsbeziehungen stellen jedoch noch immer eine marginalisierte und unterbelichtete Dimension in der Debatte um Staatsbürger*innenschaft (auch für LGBTIQs) dar, wenngleich Einbürgerungs- und Staatsbürgerschaftspolitiken maßgeblich an spezifischen Verwandtschaftsverständnissen orientiert sind und die (staatsbürgerliche) ‚Naturalisierung‘ zum/zur Bürger*in wesentlich vom (eigenen) Verwandtschaftsstatus abhängt. Das heißt, Staatsbürgerschaft und Verwandtschaft stehen in einem permanenten „Wechselverhältnis“ und konstituierten, legitimieren und produzieren wechselseitig spezifische Bedeutungen und Statusverhältnisse (Phelan 2000: 141). Als vermeintlich ‚privates‘ Verhältnis bleibt das ‚Politische‘ an Verwandtschaft jedoch mehrheitlich im Dunkeln: „[K]inship relations are the place that make politics possible without ever entering the political stage […]. Thus political intelligibility is to a large extend based on the pre-political nature of kinship relations as an authentic expression of human biology superseding culture and civilisation. The challenge of political practices to do with kinship rights, then,

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lies precisely in their effort to drag kinship out of the pre political into the political frame.“ (Beger 2004: 197)

Verwandtschaft muss daher ebenfalls als kulturelles und politisches Konstrukt begriffen werden, denn sie ist (auch) „Produkt staatlicher Politik“ da ein „besondere[s] soziale[s] Verhältnis“ erst zur Familie bzw. zur Verwandtschaft wird, „wenn und weil es auch als solche[s] ‚be-griffen‘ wird“ (Kreisky/Löffler 2003: 376ff.). Judith Butler zeigt in ihren Arbeiten (Butler 2001a; Butler 2009), vornehmlich in Rekurs auf die Psychoanalyse Lacan’scher Prägung, ebenfalls inwiefern Verwandtschaft kein ‚natürlicher‘ Tatbestand ist, sondern als ein Bündel unterschiedlicher kultureller Praktiken verstanden werden kann, das u.a. durch das (kulturelle) Inzestverbot spezifische geschlechtliche Identifizierungen hervorbringt. Auf die Frage „Ist Verwandtschaft immer schon heterosexuell?“ antwortet Butler demnach, dass ‚unsere‘ Vorstellungen von Verwandtschaft auf einer kulturell immer wieder re-/produzierten „hypostasierten Heterosexualität“ basieren, d.h. dass ‚eine Frau‘ und ‚ein Mann‘ – und nicht etwa zwei Körper (morphe) im Rahmen einer reproduktiven Praxis – an der Produktion von Nachkommen beteiligt sind (Butler 2009: 202). Die Veränderung von Familien und Beziehungsverhältnissen (u.a. LGBTIQFamilien, patchwork-Familien) hätte jedoch „kaum einen […] Einfluss darauf, das grundlegende, alles beherrschende symbolische Gesetz umzuschreiben“, so Butler, da das „Postulat einer grundlegenden Heterosexualität […] als Teil der Funktionsweise von Macht“ angesehen werden muss, welches immer noch fundamental in unsere politischen Strukturen und Organisationsweisen eingeschrieben ist (ebd.: 203). Same-sex marriage oder die partielle Inklusion von lesbischen Existenzweisen untergräbt folglich auch nicht, wie Shane Phelan betont, die Fortschreibung „liberaler Verwandtschaftserzählungen“, in der verwandtschaftliche Beziehungen als natürliche Konsequenz heterosexueller Reproduktion und einem natürlichen sexuellen/geschlechtlichen Dimorphismus interpretiert werden (Phelan 2001: 141, Übersetzung C.K.; vgl. Butler 2009). „[T]he cost of assimilatory projects“ sei daher weniger die Unterlaufung dieser Strukturen, sondern im Gegenteil „the reinforcement of binary structures of gender and kinship that are fundamental to the maintenance and proliferation of sexual strangers“ (ebd.: 85). Besondere Virulenz und politische Brisanz erhält die Fortschreibung heteronormativer Beziehungs- und Verwandtschaftskonzepte freilich auch im Kontext aktueller Migrations- und Einbürgerungspolitiken in EUropa, hängt doch die Chance auf Staatsbürgerschaft wesentlich vom jeweiligen Verwandtschafts- und Familienstatus ab.

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Auch einige aktuelle Untersuchungen zur lesbischen Familien/Mutterschaft zeigen, dass auch in diesem Zusammenhang heterosexuelle Verwandtschaftslogiken nur partiell unterlaufen werden (u.a. Ryan-Flood 2009; Hequembourg/Farrell, 1999; Dunne 2000). Und zwar dadurch, dass für lesbische Mutterschaft häufig noch immer die Existenz eines realen Vaters vorausgesetzt wird und somit auch die sozio-kulturelle Anerkennung nach wie vor der ‚eigentlichen‘, biologischen‘ Mutter gelte. Solange also ‚Mutterschaft‘ jedoch auf einen heteronormativen Mutterschaftsbegriff reduziert wird (es gibt einen realen Vater), werden die heterosexuell-biologistische Deutungslogik moderner Verwandtschaftsverhältnisse und die damit verbundenen staatsbürgerlichen Zugehörigkeiten nicht unterlaufen. Inwiefern mit solchen Verwandtschaftskonzepten jedoch tendenziell auch rassistisch-biologische Zugehörigkeitskonstruktionen fortgeschrieben werden zeigen sich insbesondere im Kontext von Reproduktionspolitiken und der Auswahl von entsprechenden Samenspendern. Denn gerade im Kontext von ‚künstlicher Befruchtung’ kommt es zu einer erneuten Fortschreibung von biologistischen, biogenetischen und rassistischen Kriterien von Verwandtschaft, Zugehörigkeit und Gesundheit, denn „in making donor selections, essentialist biological notions of human characteristics are often reified in ways that mirror […] hierarchical classification of human characteristics such as race, ethnicity, physical qualities, and social attributes“ (Mamo/Vrushali 2006; vgl. Janz 1998). Die im Rahmen einer neoliberalen Transformation von Staatsbürgerschaft artikulierten Aufforderungen zur „persönlichen Eigenverantwortung“ und des „flexiblen Selbstmanagements“ werden daher gerade im Bereich der „biotechnologischen Körperpolitik“ in erhöhtem Maße gestellt, da die „Erfüllung persönlicher Wünsche“, ‚verantwortliche Elternschaft‘ und ‚autonome Eugenik‘zum „rhetorischen Arsenal der so genannten Bioethik“ gehören (Janz 2003: 96). Das heißt, auch wenn neue Formen von Familie, Verwandtschaft und Reproduktion insbesondere im Rahmen von marktbasierten Technologien möglich werden, bedeutet dies nicht, dass diese grundsätzlich „the codes of what constitutes a reproductive citizenship“ herausfordern. Diese können im Gegenteil wiederum neue Interdependenzen zwischen einer heteronormativen und rassialisierten Formen der ‚erfolgreichen‘ Reproduktion und Nachkommenschaft und einer Version des „good citizen“ verstärken (Mamo/Vrushali 2006). Insofern bleibt hier offen, inwieweit heteronormative Weiblichkeitskonzepte durch den Zugang von lesbischen Existenzweisen zur politischen Institution der Mutterschaft als zentraler Kern weiblicher Staatsbürgerinnenschaft tatsächlich unterlaufen werden, oder ob dadurch, wie es Ruthann Robson und Ellen Lewin befürchten, die feministischen und queeren Errungenschaften in der Destabilisierung und Entnaturalisierung

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von Geschlecht eher wieder eingedämmt und zurückgedrängt werden (Robson 2009; Lewin 1993). Insofern ist hier etwa auch das Plädoyer von Robson spannend, tritt sie als lesbische Feministin doch dafür ein, den Begriff und das Konzept der ‚Mutterschaft‘ insgesamt für den Prozess und Status des Gebärens abzulehnen, da dieser immer im Kontext heterosexistischer (Be-)Deutungen stehe: The category of mother domesticates us. […] [It] is too stifling for our lesbian imaginations and relationships“ (Robson 1992: 183).

D IMENSIONEN LESBISCHER B ÜRGERINNENSCHAFTEN II: W E ARE NO LONGER MANISH D YKES …? Sappho for President, Mannweiber in der Politik? Formaldemokratische Repräsentation und lesbische Existenz Bei der 2009 von der Europäischen Kommission vorgelegten Umfrage „Eurobarometer Spezial“ zum Thema „Diskriminierung in der EU“ wurde zum ersten Mal auch die Frage gestellt, „wie sich die Wahl eines Vertreters [sic!] einer bestimmten Gruppe in das höchste politische Amt auf dessen Befindlichkeit auswirkte“ und darum gebeten, „diese mittels einer Skala von 1 bis 10“ zu beschreiben (Europäische Kommission 2009: 16). Dabei lag die Einschätzung der jeweiligen Befindlichkeit bei einem/einer homosexuellen Kandidat*in in das höchste politische Amt etwas gleich hoch wie bei einer Person mit einer ‚anderen‘ ‚ethnischen Herkunft‘ oder ‚religiösen Anschauung‘ (6,5 bei einer/einem homosexuellen Kandidat*in sowie bei einer/einem Kandidaten mit einer ‚anderen‘ religiösen Anschauung; 6,2 mit anderer ‚ethnischer Herkunft‘) (ebd.). Interdependenzen zwischen den Kategorien wie z.B. ‚ethnischer Herkunft‘ und Geschlecht oder eben Homosexualität und Geschlecht wurden hierbei jedoch nicht abgefragt. Aufgrund der Aussagen zu einer ‚weiblichen Kandidatur‘ (8,5) und in Rekurs auf US-amerikanische und kanadische Studien kann hier freilich die derzeit nicht verifizierbare Hypothese aufgestellt werden, dass die Werte bei einer ‚lesbischen Kandidatin‘ unter 6,5 lägen würden. Ewa A. Golebiowska und Cynthia J. Thomsen zeigen jedenfalls in ihrer US-basierten Untersuchung, dass die Zustimmung und Anerkennung für schwule Kandidaten jedenfalls höher liegt als für lesbische Kandidatinnen (Golebiowska/Thomsen 1999: 205). Diese werden als „kompetenter“ als lesbische Kanditainnen erachtet (ebd.: 208). Fundierte Untersuchungen zum Verhältnis von Heteronormativität und politischer Rekrutierung sowie den Wahl- und Karrierechancen von lesbischen Frau-

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en fehlen für EUropa (etwa im Gegensatz zur USA oder Kanada 12) gänzlich. Auch wird im Rahmen aktueller Analysen und politischer Diskussionen zum eingeschränkten Zugang von LGBTIQs zu Staatsbürgerschaft und Staatsbürger*innenrechten mangelende politische Repräsentation innerhalb formaldemokratischer Prozesse nur begrenzt als Problem wahrgenommen oder kritisch diskutiert. Im Zentrum aktueller Diskussionen steht entweder der (partielle) Ausschluss von LGBTIQs von bestimmten (sexual) citizenship rights oder die Kritik an bestimmten Segmenten der LGBTIQ-Bewegungen und ihrem Fokus auf eine rechtsdiskursive Lobbypolitik. Fragen der politischen Partizipation und Repräsentation von LGBTIQs werden – etwa im Gegensatz zu feministischen Diskussionen um substantielle, politische Partizipationsmöglichkeiten von Frauen – nur marginal im Kontext einer substantiven bzw. aktiven Ausübung von Staatsbürgerschaft diskutiert. Auch in der aktuellen (kritischen) Demokratie- und Staatsbürger*innenschaftsforschung spielt die Frage eines eingeschränkten political und democratic citizenship von LGBTIQs nur eine marginale Rolle, konzentrieren sich die aktuellen Forschungen doch vorwiegend auf die mangelnden politischen Partizipations- und Repräsentationsmöglichkeiten von Frauen und/als Migrant*innen und/oder anderen ‚Minderheiten‘. Wie Ruth Lister betont, könne jedoch ohne „legitimate public presence“ trotz einer formalen Inklusion und Teilnahme an politischen Prozessen (z.B. Wahlen) nicht davon gesprochen werden, dass LGBTIQs über einen vollwertigen Zugang zu/r Staatsbürgerschaft verfügen (Lister 2002: 193). Mit dieser „public presence“ bzw. der Frage nach der formaldemokratischen Repräsentation von lesbischen Existenzweisen wird in diesem Kontext jedoch keineswegs angenommen, dass politische Repräsentation einer Vertretung vermeintlicher, bereits existierender ‚lesbischer Interessen‘ oder einer vermeintlichen ‚Gruppe‘ von Lesben dienen soll oder könnte. Gleichzeitig erachte ich jedoch die Frage danach, welche Identifizierungen und Lebensweisen innerhalb der politischen Öffentlichkeit und formaldemokratischer Prozesse ‚sichtbar‘ werden können, als höchst bedeutend im Zusammenhang mit lesbischer Staatsbürger*innenschaft. Diese forscherische und politische Marginalsierung formaldemokratischer Partizipation und politischer Repräsentation kann freilich auf mehrere Ursachen zurückgeführt werden: Zum einen ist innerhalb der queer-theoretischer Arbeiten eine generelle ‚Staatsferne‘ sowie eine unterkomplexe Perspektive auf staatliche Arenen, Politiken und Institutionen zu konstatieren (vgl. Haberler et al. 2012). Diese ‚Staatsferne‘ korreliert aber auch mit einer politisch-normativen Distanzie-

12 Vgl. dazu u.a. Alesha/Haider-Markel (2007); Everitt/Camp (2009); Golebiowska (2002); Rayside (1998).

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rung gegenüber dem Staat als möglichen Garanten von Inklusion und Gleichstellung sowohl innerhalb lesbisch-feministischer als auch zahlreicher queerer Arbeiten. Darüber hinaus wird die Diskriminierung von LGBTIQs jedoch auch innerhalb des politischen Diskurses und auch z.T. innerhalb bestimmter feministischer Debatten vorwiegend als Problem der ‚mangelnden kulturellen Anerkennung‘ (wie z.B. Fraser 2003a; Fraser 2003b) verhandelt und nicht in Zusammenhang mit Praktiken der politischen Partizipation oder Repräsentation gebracht. Auch wenn es für den EUropäischen Raum derzeit keine (publizierten13) Untersuchungen zu Wahl- und Karrierechancen lesbischer Politikerinnen gibt, kann auf der Basis US-amerikanischer und kanadischer Untersuchungen 14, feministischer Analysen zur politischen Repräsentation von Frauen, einer Studie in Großbritannien (OGM 2010) sowie auf Basis einiger Presse-Artikel zu und Interviews mit offen lebenden lesbischen Politikerinnen – zumindest annähernd geschlossen werden, dass diese auf spezifische Weise mit geschlechtsspezifischen Barrieren und Beschränkungen in formalen politischen Prozessen und den widersprüchlichen Anforderungen an weibliche Politikerinnen konfrontiert sind (vgl. Raetz 2004). Joanna M. Everitt und Michael Camp sprechen im Rahmen ihrer kanadischen Studien von einer mehrfachen Marginalisierung lesbischer Politikerinnen: „Lesbians […] are a doubly marginalized minority in politics. They are ‚others‘ because they are women – and because they are homosexuals. It could be said they need to penetrate two layers of stereotypical assumptions and beliefs in order to participate freely and successfully in the political domain.“ (Everitt/Camp 2009: 27; Hervorh.i.Org.)

Aus den in den letzten Jahren verstärkt entstanden feministischen Arbeiten zur politischen Partizipations- und Repräsentationsforschung kann also gefolgert werden, dass die vielfach zitierte androzentrische Verfasstheit der Strukturen und Verfahren politischer Rekrutierung in besonderem Maße auch lesbische Frauen betrifft. Wenn Beate Höcker in ihrem „magischen Dreieck zur Erklärung der politischen Beteiligung von Frauen“ sozioökonomische Faktoren (Bildung, Erwerbsarbeit, Einkommen, Zivilstand), die politische Kultur (Werte, Einstellungen, Normen über Politik und politisches Verhalten, Geschlechterstereotype)

13 Ich danke an dieser Stelle Tuula Juvonen für die Möglichkeit, in ihre laufende Untersuchung zu Coming Out-Prozessen von lesbischen Politikerinnen Einsicht zu nehmen und mit ihr meine Thesen zu diskutieren. 14 Auch diese Studien differenzieren größtenteils nur ungenügend zwischen lesbischen und schwulen Politiker*innen bzw. sind insgesamt stärker auf die Wahl- und Karrierechancen schwuler Politiker fokussiert. Siehe u.a. Goblebiowska (2002).

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sowie institutionelle Faktoren (Regierungs-, Partei-, Wahlsystem, Karrieremuster, Nominationspraktiken) als Erklärungs- und Bestimmungsgrößen für die Unter-/Repräsentation von Frauen beschreibt, dann wird hier auch deutlich, dass diese drei Elemente auch heteronormative Implikationen aufweisen (Hoecker 1998). Besonders fruchtbar sind in diesem Kontext aber jene Analysen, die sich mit der Bedeutung von Doing Gender und somit auch der symbolischen Dimension von politischen Repräsentationsprozessen auseinandersetzen und fragen, inwieweit Politikerinnen aufgefordert sind, spezifische Weiblichkeiten zu re-/präsentieren oder umgekehrt durch die reale und/oder mediale Zuweisung zu jenen Politikbereichen, die als ‚weich‘ gelten (wie z.B. Bildungs-, Erziehungs- und Familienpolitik15) wiederum vergeschlechtlicht werden (vgl. Hardmeier/Klöti 2004: 34; Hardmeier 2004b: 152f.). Doing Gender ist für Politikerinnen, so ist man sich in der aktuellen feministischen Repräsentationsforschung weitgehend einig, nach wie vor ein höchst ambivalenter Prozess, da diese sich stets jenseits des „great man model of leadership“ (Duerst-Lahti 2008: 98) positionieren und ‚erfinden‘ müssen. „Wollen Frauen also in der Politik aufsteigen, müssen sie solche gesellschaftlichen Vorstellungen, die auch die politischen Akteure selbst prägen, berücksichtigen. Das bringt Frauen in eine schwierige Situation, zu deren Charakterisierung der psychologische Begriff double-bind herangezogen wird. Damit bezeichnet man eine Situation, die kaum zu gewinnen ist: Was immer eine Person tut, um in der Situation zu bestehen, ist falsch. Geben sich die Frauen kühl, kalkulierend und aggressiv, wie es das politische Geschäft verlangt, riskieren sie Ablehnung als ‚Mannweiber‘; empfehlen sie sich mit vermeintlich weiblichen Eigenschaften, gelten sie als ungeeignet für die schweren Herausforderungen der Politik.“ (Holtz-Bacha 2009: o.S.; Hervorh.i.Org.)

Interessant ist in dieser Beschreibung von Holtz-Bacha freilich, dass hier das (lesbische) ‚Mannweib‘ wiederum als machtvolle ‚Höllenfigur‘ und als Abjekt der Verwerfung auftaucht. Die Figur des ‚Mannweibes‘ als Figur der Grenzziehung betrifft nun auch in besonderem Maße lesbische Politikerinnen. Shane Phelan weist in ihrer US-basierten Analyse etwa darauf hin, dass politisch aktive Lesben „needed to argue, that they were indeed ‚real women‘, like their hetero-

15 Hierzu existiert auch eine Fülle von empirischen Untersuchungen, welche die jeweilige Unter-/Über-Repräsentanz von Frauen in bestimmten Politikfeldern und ihren jeweiligen politische Funktionen (z.B. Ministerien) und (parlamentarischen) Kommissionen untersuchen.

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sexual sisters in most ways other than sexual preference“ (Phelan 2001: 99). Dies bestätigen auch Ewa A. Golebiowska und Cynthia J. Thomsen in ihrer Studie, wenn sie zeigen, dass die Ablehnung gegenüber lesbischen Kandidatinnen/Politikerinnen steigt, wenn sie sichtbare ‚Kennzeichen‘ tragen, die mit einer Lesbe (oder dem ‚Stereotyp Lesbe‘, wie es die Autorinnen nennen) assoziiert werden (Golebiowska/Thomsen 1999). Gibt sich die lesbische Kandidatin allerdings ‚feminin‘ und kann sie mit weiblichen Eigenschaften assoziert werden, dann steigt die Zustimmung (ebd.). Für schwule Politiker stellt sich diese Herausforderung einer Analogie mit heterosexueller Männlichkeit ebenfalls, wenngleich hier eine andere strukturelle und symbolische Ausgangsposition zu konstatieren ist. Andreas Heilmann zeigt demnach in seiner Untersuchung zu Coming Out-Prozessen schwuler Politiker, dass deren Homosexualität dann nicht bzw. weniger skandalisiert wird, wenn sie einem spezifischen ‚maskulinen‘ Männertyp entsprechen und ‚Homosexualität‘ mit (hegemonialer) ‚Männlichkeit‘ erfolgreich verknüpfen können (Heilmann 2008). Stefan Nagel prägt für diese Form der ‚bürgerlichen Vermännlichung‘ auch den Begriff des „Straight Acting“ als Voraussetzung einer (liberaldemokratischen) Anerkennung und Inklusion schwuler Männer als Männer (Nagel 2003). Barry L. Tadlock und Ann Gordon konstatieren daher im Rahmen ihrer USamerikanischen Untersuchung, „[that] candidates who are gay males can more easily than lesbians fit into [...] the ‚good politician‘ stereotype“ (Tadlock/Gordon 2003). In der Politik können demnach schwule Männern „unter der Voraussetzung sichtbar sein, dass sie […] maskulinistischen Normen hegemonialler Männlichkeit entsprechen“ können (Raab 2012: 34f.). Geschlechtertheoretisch betrachtet ergibt sich für lesbische Existenzweisen demnach ein mimetisches Problem, das mit ihrer ambivalenten Position als Staatsbürger*innen korreliert. Denn wollen sie einerseits eine ‚Analogie‘ mit bestehenden ‚männlichen‘ Prinzipien politischer Partizipation und Subjektivität demonstrieren, dann sind sie in besonderem Maß – d.h. auch mehr als (heterosexuelle) Frauen – mit der ‚Höllenfigur‘ des ‚lesbischen Mannweibes‘ konfrontiert, weisen sie diese jedoch zurück, sind sie mit ähnlichen vergeschlechtlichten Exklusions- und Marginalisierungsstrategien wie weibliche Politikerinnen im Allgemeinen konfrontiert. Umgekehrt beschreiben Everitt und Camp in ihrer exemplarischen empirischen Untersuchung des Wahlkampfes der lesbisch-lebenden kanadischen Politikerin Allison Brewer und der entsprechenden medialen Berichterstattung, dass im Zuge des Wahlkampfes eine spezifische Form der politischen Essentialisierung ihrer lesbischen Lebensweise innerhalb der Medien stattfand. Lesbische (und schwule) Kandidatinnen müssten demnach immer damit kämpfen, so Eve-

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ritt und Camp, dass ihre politische Agenda nur als „driven by their [gay and lesbian] devotion“, also ihrer ‚sexuellen Orientierung‘ interpretiert würde (ebd.: 28ff.). Lesben würden darüber hinaus immer mit dem Konstrukt einer MännerHasserin konfrontiert, welches scheinbar ihre ganze Politik beeinflussen würde. Eine umgekehrte Essentialisierung, d.h. dass auch heterosexuelle Kandidat*innen ihre Entscheidungen ebenfalls nur auf Basis ihrer (hetero-)sexuellen Orientierung treffen könnten, findet hier freilich nicht statt. In diesem Prozess wird ausschließlich das ‚homosexuelle Andere‘ markiert. Als mögliche Reaktion oder Strategie wählen lesbische Politikerinnen daher oft eine explizite ‚Privatisierung‘ der eigenen lesbischen Existenzweise, heißt den „begehrenden Körper“ jenseits des rationalen Sphäre der Politik zu deponieren (Phelan 2001: 102f.).16 So wurde beispielsweise über die isländische Premierministerin und Sozialdemokratin Jóhanna Sigurðardóttir, die als erste (offene) lesbische Kandidatin in dieses Amt gewählt wurde, während und nach der Wahl von Seiten der Presse und ihren Parteikolleg*innen immer wieder betont, „[that] Ms Sigurðardóttir […] is […] very private about her personal life, never discussing it in public“ (BBC News 2009). Diese ‚Privatisierung‘ von Sigurðardóttir’s lesbischer Lebensweise schildert auch die isländische Journalistin Sigridur Vidis Jonsdottir in der britischen Sunday Times: „The country’s media has played down her status as the first lesbian prime minister. The leading daily, Morgun bladid, did not mention it.“ (Jonsdottir 2009) Ähnliche Berichte existieren etwa auch über die Hamburger Lokalpolitikerin Anja Hajduk sowie die ehemalige hessische Kultusministerin Karin Wolff. Für lesbische Kandidatinnen und/oder Politikerinnen kann dieser Akt der ‚Privatisierung‘ oder ‚De-Politisierung‘ freilich als doppelt widersprüchlich interpretiert werden, da sie als (lesbische) Frauen trotzdem ‚Körper‘ bleiben. Damit bestätigt sich freilich wiederum die heteronormative Konzeption politischer

16 Ähnliche Strategien der normalisierenden Privatisierung der eigenen sexuellen Existenzweise finden sich auch bei schwulen Politikern: Andreas Heilmann, Lisa Gottwald, Katrin Frisch verdeutlichen auch in einer exemplarischen Studie zu „Prominenten Outings im printmedialen Diskurs“, dass gerade im Rahmen von medialen Outings von Politikern eine spezifische Form der „gesellschaftliche[n] Normalisierung von Homosexualität“ zu konstatieren sei, da „der stigmatisierte Typus des Homosexuellen mit Hilfe rhetorischer Techniken […] in seine Bestandteile zerlegt [wird], um daraus die gesellschaftlich passfähigen Anteile abzuspalten und kontrolliert zu integrieren“ (Heilmann et al. 2009: 84). Damit würde der Politiker in eine Art „Vorhof der Normalität eingebettet und das öffentlich sichtbar gewordene Deutungsdilemma zwischen sexueller ‚Anomalität‘ und Prominentenstatus saniert“ (ebd.).

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Subjektivität, in der das (männlich-)heterosexuelle Selbst als einzige Form (sexueller) Subjektivität über die politische Anforderung eines rationalen bzw. kalkulierten interessensgeleiteten Handelns verfügen kann. Nur das (männlich)heterosexuelle Selbst gilt als im Vollbesitz eines rationalen self-ownerships als geeigneter Staatsbürger, wie es etwa John Locke oder Immanuel Kant konzipierten (vgl. dazu auch Davies 2009; siehe dazu ausführlich Kapitel 1). Richardson fällt daher das Urteil, dass – „although lesbians […] are not denied the vote and are part of the electorate, their ability to exercise political power is limited“ (Richardson 200: 271). Sexuelle Politiken, politische Partizipation und die einschränkende Sprache von (Staats-)Bürgerschaft Staatsbürgerschaft kann nicht nur als ein Verhältnis zwischen einem/einer Bürger*in und der jeweiligen politischen Gemeinschaft, dem Staat, begriffen werden, sondern Staatsbürgerschaft regelt und limitiert auch „wie politische Anliegen artikuliert werden müssen“, damit sie innerhalb dieses „Gefüges ‚Sinn‘“ ergeben (Hark/Genschel 2003: 157). Mehr noch: „[W]ithin the framework of […] citizenship, sexual politics fasciliated certain ways of being and certain claims and ways of making claims by which the possibilities of being integrated as a sexual rights-bearing subject were normalized according to the ideas of sexual diversity based in normalized and discreet identities.“ (Sabsay 2012: 617)

Aktive politische Partizipation in formaldemokratischen Prozessen als lesbische Staatsbürgerinnen ist vor dem Hintergrund der einschränkenden bzw. beschränkten ‚Sprache‘ von Staatsbürgerschaft also nur unter höchst widersprüchlichen Bedingungen möglich. Denn der Eintritt in einen formalen politischen Repräsentationszusammenhang erfordert eine spezifische dominante/hegemoniale Form der Darstellung und politischen Erzählung (master narrative) von sich selbst und den ‚politischen Interessen‘, die es zu repräsentieren gilt, fortzuführen bzw. zu zitieren (vgl. Spivak 2008). Formen der Repräsentation/Partizipation erfordern daher immer eine spezifische Formierung einer (eigenen) politischen Subjektivität entlang hegemonialer institutionalisierter Repräsentationsstrukturen und -praktiken. „Die Bereiche der politischen […] Repräsentation legen nämlich vorab die Kriterien fest, nach denen die Subjekte selbst gebildet werden, so daß nur das repräsentiert werden kann, was als Subjekt gelten kann. Oder anders formuliert: Bevor die Repräsentation erweitert

274 | P ERVERSE BÜRGERINNEN werden kann, muß man zuerst die Bedingungen erfüllen, die notwendig sind, um überhaupt Subjekt zu sein.“ (Butler 1991: 16)

Ausgeschlossene Subjekte könnten demnach für politische Teilhabe nur „auf Basis einer Analogie“ kämpfen, was bedeutet, dass sie eine „geringfügig veränderte Version“ bestehender Prinzipien zitieren müssen und damit auch „die vorherrschenden Traditionen der größeren Gemeinschaft“ respektieren (Smith 2000: 47). Der Diskurs und die Sprache der Staatsbürgerschaft strukturiert und begrenzt damit gleichsam die politischen Handlungsmöglichkeiten durch eine spezifische Organisation des ‚Politischen‘. (Anerkanntes) Political citizenship im Rahmen formaldemokratischer Prozesse wird daher vor allem für jene Subjekte und Gruppen möglich, deren „diskursive und institutionelle Beschaffenheit mit staatlichen Diskursen und Strukturen möglichst kongruent sind“ (Mayrhofer 2005: 40). Für lesbische und schwule Kämpfe und Politiken bedeutet dies demnach, das politische Forderungen, die in der Sprache von (‚gleicher‘) Staatsbürger*innenschaft formuliert und artikuliert werden, als ‚repräsentierbare(re)‘ und ‚legitime(re)‘ Positionen erscheinen und derart eine größere Chance haben, innerhalb dieser Funktionszusammenhänge ‚gehört‘ zu werden. Das heißt, trotz stark divergierender Positionen innerhalb der LGBTIQ-Communities und der Heterogenität und Vielfalt der entsprechenden theoretischen und bewegungs-/politischen Diskurse und Geschichte(n) (nicht nur) in EUropa, liegt der Fokus in den institutionalisierten Aushandlungsprozessen in Regierungen, Parlamenten und den EU-Institutionen weitgehend auf der Idee ‚gleicher Bürger*innenschaft‘, die durch die Novellierung oder Hinzufügung einzelner Gesetze „innerhalb der existierenden sozialen Ordnung realisiert werden“ soll, „ohne daß dafür […] das heterosexuelle Privileg dezentriert werden muß“ (Hark 2000a: 41). Ein ‚inklusivistisches Verständnis‘ von Staatsbürgerschaft fungiert dabei als zentrale legitimatorische Grundlage, um sowohl die Exklusion von LGBTIQs aus bestehenden (Staatsbürger-)Rechten zu thematisieren als auch deren Ausweitung (z.B. im Bereich von sexuellen und trans-/geschlechtlichen Rechten) zu fordern. Dabei wird also „das normative Ideal einer anzustrebenden Vollinklusion aller Bürger*innen dem (faktischen) exkludierenden Operieren von Demokratien gegenübergestellt“ (Klapeer 2011: 41). Kern dieser Bürger*innen(rechts)politik ist, wie bereits schon öfters diskutiert wurde, eine starke Bezugnahme auf das Konzept der ‚Normalität‘, d.h. es wird gleichsam eine „Analogie“ (Smith 2000) bzw. „sameness“ (Richardson 2005) mit allen anderen Bürger*innen propagiert. „The primary goal is normalization and citizenship is the key concept

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appealed to in demands for social change.“ (Richardson 2004: 392; vgl. Santos 2013) „[Q]ueer sexual encounters have only been recognized under the law in so far as they accept being categorized as ,normal‘, as something that will unite – and not divide – society in accordance with shared traditions of ,tolerance and mutual respect‘, […] what becomes apparent is the state’s enduring loyalty to normativity, even when such loyalty becomes multilayered and more complex with the recognition of rights of different groups of people. Such investment in normativity is enacted through what I have called a politics of containment.“ (Santos 2013: 61; Hervorh.i.Org.)

Die ‚Übernahme‘ dieser „herrschenden Kultur der (Staats-)BürgerInnenschaft“ beschränkt folglich auch „politische Ambitionen auf den Mythos ‚gleicher‘ Rechte“ und führt innerhalb der LGBTIQ-Communities zu einer „effizienten Selbstkontrolle“ in Hinblick auf die ‚Radikalität‘ politischer Forderungen (Evans 2000: 78; vgl. Richardson 2005). „The dominant political discourse […] would seem to call for a style of leadership that is acceptable to ‚mainstream society‘, to politicians and policymakers, and to sponsors. One that can represent both lesbians and gay men, and lesbian and gay social movements, as no longer ‚troubling‘ to mainstream society. One that can not only render intelligible and acceptable the idea of the ‚normal lesbian/gay‘, but also can ‚normalise‘ the lesbian and gay movement itself. This has led to claims that the ‚public face‘ of lesbian and gay movements is changing, and has prompted questions about what communities and which individuals are becoming acceptably visible, as others are being marginalised, through these mainstreaming effects.“ (Richardson 2005: 524; Hervorh.i.Org.)

Insofern wurden/werden in Staaten des Globalen Nordens vorwiegend jene Lesben und Schwule als repräsentationswürdige Staatsbürger*innen anerkannt, welche sich der Sprache der Bürger*innenrechte bedien(t)en und im Kontext lesbischen/schwulen Bürger*innen(rechts)bewegung organisiert waren/sind, während „andere sexualitätspolitische Strömungen, wie z.B. […] autonome feministische Lesben, deren Kritik sich vor allem auf (den Staat in grundlegender Weise strukturierende) heterosexuelle Normen richtete, […] entweder ignoriert, oder nur soweit integriert bzw. geformt [wurden/werden], dass sie für ökonomische Zwecke genutzt werden konnten [können]“ (ebd.).

Politische Subjekte und Gruppen, „die patriarchale und heterosexuelle Werte und Normen grundsätzlich in Frage stellen“, haben es folglich auch bisher nicht

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geschafft, „Zutritt zu diesen Strukturen zu bekommen“ (ebd.: 41). Andrea Bocka zeigt etwa anhand der Konsultationen und (Vor-)Gesprächen der deutschen Bundesregierung mit Vertreter*innen der LGBTIQ-Community im Zusammenhang mit der Einführung des deutschen Lebenspartnerschaftsgesetzes (für Lesben und Schwule), wie sich diese Exklusion von lesbischen Organisationen aus formaldemokratischen Prozessen manifestierte. Denn während sich „der LSVD17 direkt beteiligen konnte“, wurde dies dem „Lesbenring“ nicht zugestanden, „obwohl im LSVD ‚nur‘ einige hundert Lesben organisiert sind, im Lesbenring aber ca. 2000“ (Bocka 2007: 319f.). Diane Richardson zeigt hier auch Korrespondenz zwischen einer Professionalisierung18 lesbischer und schwuler Bürger*innenpolitik seit Anfang/Mitte der 1990er Jahre und einer erneuten methodischen und inhaltlichen ‚Maskulinisierung‘ (formaler) lesbischer/schwuler Politiken auf (Richardson 2005). Als eine Folge historischer, geschlechtsspezifischen Konstellationen kann daher sicherlich auch bis heute eine Dominanz von (weißen) schwulen Männern in einer auf (rechtliche) Gleichberechtigung und Lobbyarbeit ausgerichteten Gleichstellungspolitik im Rahmen formaldemokratischer Prozesse bemerkt werden (vgl. Phelan 2001: 89f.; Richardson 2000b: 262; Mayrhofer 2005; Engel 2008).19 Diese schwule Dominanz in formalisierten und professionalisierten Lobbyorganisation der LGBTIQ-Bewegungen führt auf nationaler und internationaler Ebene freilich zu einer gravierenden Unterrepräsentation der Forderungen lesbischer bzw. lesbisch-feministischer Gruppen und Gruppierungen bzw. jener Forderungen, die innerhalb dieser Gruppen artikuliert werden.20 Es sollte daher nicht nur darum gehen „wer repräsentiert, sondern

17 Lesben- und Schwulenverband Deutschland (LSVD). 18 Davina Cooper verweist in diesem Zusammenhang jedoch auch auf die Möglichkeit, Professionalisierungstendenzen subversiv zu nutzen und nennt für Großbritannien das Beispiel von AIDS-Organisationen, unter deren finanziellem und strukturellem ‚Deckmantel‘ sich auch „less well-resourced community members“ organisieren konnten/können (Cooper 2006: 925). 19 Leidinger weist z.B. in ihrer historischen Analyse darauf hin, dass auch in den Organisationen der frühen Homosexuellenbewegung in Deutschland, wie z.B. dem „Bund für Menschenrecht“ um 1920 nur sehr wenige lesbische Frauen engagiert bzw. als Mitglieder aktiv waren. Sie führt in diesem Kontext auch geschlechtsspezifisch-ökonomische Gründe an, da ein Mitgliedsbeitrag zu entrichten war (Leidinger 2008). 20 Hier soll keineswegs suggeriert werden, dass es so etwas wie ‚lesbische Interessen‘ gibt, die von allen lesbisch lebenden Frauen geteilt werden; ich spreche daher bewusst von Forderungen, die von Seiten lesbischer bzw. lesbisch-feministischer Gruppen artikuliert werden (vgl. dazu Phelan 1994).

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auch, wer aus welchen Gründen heraus repräsentiert wird, und zu welchem historischen Moment, in welchem Kontext, mit welchen Strategien und mit welcher Haltung“ (Ross 2004: 212; Hervorh.i.Org.). Die von Seiten vieler queerer Theoretiker*innen und Praktiker*innen kritisierte Bürger*innenrechtspolitik lesbischer und schwuler Bewegungen kann daher auch nichts jenseits der hier diskutierten Bedingungen für eine Teilnahme an politischen Prozessen diskutiert werden.

D IMENSIONEN LESBISCHER B ÜRGERINNENSCHAFTEN III: B UT WE CAN BUY A TEN INCH D ILDO …? Konsumierbar und konsumierend: Kulturelle Staatsbürgerschaft und lesbische Sichtbarkeit(en) „Visibility is no guarantee of either citizenship or equality“, so charakterisiert Shane Phelan das ambivalente Verhältnis zwischen Staatsbürgerschaft und der Sichtbarkeit von LGBTIQs (Phelan 2001: 7). Phelan möchte sich hier jedoch keineswegs gegen eine (generelle) Sichtbarkeit, oder besser ‚Sichtbarmachung‘ von lesbischen (und schwulen) Lebensweisen aussprechen, sondern auf das prekäre Verhältnis von Staatsbürgerschaft, Sichtbarkeit, kultureller Repräsentation und Mitgliedschaft hinweisen. Denn wie einige queere und lesbisch/feministische Theoretiker*innen gezeigt haben, stellt „eine Steigerung der Sichtbarkeit von Lesben […] an sich noch nicht unbedingt einen Gewinn, geschweige denn ein Anzeichen für einen Rückgang von Heteronormativität dar“ (Mesquita 2008: 144). Historisch und bewegungsgeschichtlich betrachtet war und ist freilich die Kritik an einer negativen, stereotypisierenden und/oder pornographischen RePräsentation lesbischer (und schwuler/queerer) Figuren21 innerhalb medialer Diskurse und Produkte ein zentrales Feld lesbisch-/feministischer und queerer Aktivismen und Intervention. Und auch der Kampf um eine selbstbestimmte Sichtbarkeit22 sowie die (ökonomische, politische, soziale) Macht, die Re-

21 Ich verwende hier bewusst den Begriff der ‚Figur‘, um hier auf die Differenzen zwischen lesbischen Existenzweisen und der medialen Re-Präsentation von ‚lesbischen Figuren‘ hinzuweisen. Das heißt, die medial repräsentierte Figur ist stets fiktional und muss nicht der Wirklichkeit entsprechen. 22 Gerade im Kontext der Diskussion einer (mangelnden) Sichtbarkeit von LGBTIQs wird oft vergessen, dass diese als „Irre, Hysterikerinnen, Perverse, sexuelle und ge-

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Präsentation von Lesben/Queers zu bestimmen/mitzubestimmen bzw. zu gestalten, kann hier als wichtiges Feld politischer Auseinandersetzungen genannt werden. Insofern geht es in diesem Zusammenhang auch immer um die Unterscheidung, ob sich lesbische Existenzweisen einerseits selbst sichtbar machen wollen/können, welchen Bedingungen/Beschränkungen sie hierfür im Rahmen hegemonialer Repräsentationsordnungen unterworfen sind und wie sie gesehen/rezipiert werden (vgl. Schaffer 2008).23 Andererseits kann Sichtbarkeit aber auch als mediale und kulturelle Reräsentation verstanden werden, wo es folglich darum geht, wie die ‚Figur der Lesbe‘ im Rahmen von Medien und Sphären des Konsums repräsentiert bzw. sichtbar gemacht wird. Auch hier ist von zentraler Relevanz, wer mit welcher Intention, was und wen sichtbar macht und was im Rahmen aktueller Sichtbarkeitsregime überhaupt gesehen24 werden kann. Sichtbarkeit kann demnach als eine ambivalente Größe betrachtet werden, die in einem höchst widersprüchlichen Verhältnis zu cultural citizenship steht, da Formen der Teilhabe an und des Zugangs zu cultural citizenship auch vor dem Hintergrund der jeweiligen Teilnahme und somit Sichtbarkeitsbedingungen analysiert werden muss. In den folgenden Ausführungen geht es mir folglich nicht um die Untersuchung ob und in welchem Ausmaß lesbische Existenzweisen im Feld der Medien, des Marktes und Konsums repräsentiert und/oder sichtbar bzw. ‚erkennbar‘ werden (können), sondern wie diese repräsentiert werden, welche Bedingungen hierfür beobachtet werden können und ob lesbische Existenzweisen an diesen ‚Orten‘ mit entsprechenden kulturellen Ressourcen ausgestattet werden, um „effectively, creatively and successfully“ an der politischen Gemeinschaft teilnehmen zu können (Turner 2001a: 12). Im folgenden Abschnitt versuche ich daher in einem ersten Schritt einige zentrale Erkenntnisse aus dem Bereich medientheoretischer bzw. kulturtheoretischer Untersuchungen zur Problematik einer medialen Repräsentation und

schlechtliche AbweichlerInnen“ einer pathologisierenden und gleichzeitig die Norm stabilisierenden „Sichtbarkeit unterworfen“ wurden (Hark 1999b: 43). 23 Sichtbarkeit wird hier nicht nur als Kampf um eine Inklusion in (heteronormative) ‚Sichtbarkeitsregime‘ definiert, sondern eher als Angriff auf dieses verstanden. Vgl. dazu etwa die zahlreichen lesbischen und queeren Artikulationsformen. 24 Auf die Frage, was kulturell/sozial überhaupt gesehen werden kann, möchte ich hier nur bedingt eingehen, weil es hier einer Untersuchung der kulturell-symbolischen Metaebene bedürfe. Es seien aber auf die zahlreichen Arbeiten von Judith Butler und Michel Foucault hingewiesen, die v.a. mit dem Begriff des Diskurses das kulturell ‚sag-, und sehbare‘ analysieren.

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Sichtbarkeit von Lesben (bzw. LGBTIQs insgesamt) mit Fragen der kulturellen Staatsbürgerschaft zusammenzudenken. Medien werden in diesem Kontext als wichtige Produktions- und Vermittlungsorte von kulturellen Bedeutungen begriffen, die als Ausdrucksformen von cultural citizenship analysiert werden, aber nicht mit cultural citizenship ident gesetzt werden können. „Die zentrale Bedeutung von Medien“ für Diskussionen um cultural citizenship resultiert besonders daraus, „dass sie Agenten des öffentlichen Diskurses um Staatsbürgerrechte sind und gleichzeitig zentrales Mittel zur Aneignung der erforderlichen Kompetenzen im Umgang mit symbolischen Ressourcen einer Gesellschaft“ (Klaus/Lünenborg 2004: 102): „Cultural Citizenship ist eine wesentliche Dimension von ‚Staatsbürgerschaft‘ […] Sie umfasst all jene kulturellen Praktiken, die sich vor dem Hintergrund ungleicher Machtverhältnisse entfalten und die kompetente Teilhabe an den symbolischen Ressourcen der Gesellschaft ermöglichen. Massenmedien sind dabei Motor und Akteur der selbst- und zugleich fremdbestimmten Herstellung von individuellen, gruppenspezifischen und gesellschaftlichen Identitäten. […] In den Medien, mit den Medien und mittels der Medien wird die gesellschaftliche Bedeutung jedweder gesellschaftlicher Ereignisse und kultureller Prozesse verhandelt.“ (Ebd.: 103f.; Hervorh.i.Org.)

In Rekurs auf medientheoretische Analysen aus dem Bereich der Cultural Studies gilt es hier jedoch besonders die ambivalenten und komplexen Wechselwirkungen in der Bedeutungsgenerierung zwischen der Medienproduktion, dem Medieninhalt und der Rezeption zu beachten. So macht es nicht nur einen Unterschied wer welche Inhalte produziert, sondern auch welche Inhalte von welchen Rezipient*innen entlang welcher Deutungsschemata interpretiert und gelesen würden. Als theoretische Grundlage für entsprechende Analysen fungiert hier vielfach Stuart Halls „Encoding/Decoding“-Modell, anhand dessen deutlich wird, dass der komplexe Prozess medialer Repräsentation nicht jenseits der beteiligten, codierenden und de-Codierenden Akteur*innen und den jeweiligen Codes25, Bedeutungs- und Interpretationsschemata, nach denen etwas interpre-

25 Stuart Hall unterscheidet demnach drei Möglichkeiten im Verhältnis von Codierung und De-Codierung: Einmal decodiert der/die Rezipient*in die Inhalte entlang hegemonialer, kultureller Codes und Interpretationsschematas; der Inhalt könne als zweite Möglichkeit aber auch nur partiell im Rahmen hegemonialer Codes decodiert werden und so neue, alternative Bedeutungen hinzugefügt werden; als dritte Möglichkeit nennt Hall die Möglichkeit einer oppositionellen De-Codierung, in der die/der Rezipi-

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tiert werden kann, zu analysieren ist (Hall 1980; Hall 2004). Sowohl Prozesse der Codierung und De-Codierung können daher nicht jenseits von gesellschaftlichen Machtverhältnissen sowie den jeweiligen soziokulturellen Hintergründen und Positionierungen der Medienproduzent*innen und -rezipient*innen verstanden werden. Auch wenn Hall davon ausgeht, dass die Rezeption und Wirkung von Medien-/Texten prinzipiell mehr- und vieldeutig sein kann und daher auch subversive oder nicht intendierte Lesarten möglich sind, würden hegemoniale Codes die Rezipient*innen zu einer (intendierten) Interpretation und Rezeption im Rahmen herrschender Machtverhältnisse forcieren (Hall 1980). Besonders bedeutsam in Zusammenhang mit Halls poststrukturalistischem und kulturtheoretischem Zugang ist hier freilich seine Deutung von medialer Repräsentation als spezifische Form der Wirklichkeitskonstruktion und somit der medialen Produktion und Codierung von (gesellschaftlichen) Differenzen und Ungleichheiten. Medien können im Rahmen einer gouvernementalitätstheoretischen Deutung von cultural citizenship damit auch als Orte und Räume dechiffriert werden, über welche die entsprechen Codes um/für staatsbürgerliche Subjektivierungsanforderungen entlang hegemonialer Diskurse produziert und vermittel werden. Im Rahmen meiner Diskussion des Verhältnisses von Medien, cultural citizenship und lesbischen Existenzweisen geht es damit nicht um die Frage einer möglichst ‚realen‘ Repräsentation von (vermeintlichen) ‚lesbischen Realitäten‘, sondern lediglich darum, welche Bedeutungen, welche (lesbischen) Identitäten und Wirklichkeiten produziert und wie sie ‚codiert‘ werden. Im Rahmen meiner Untersuchung geht es daher primär um die Frage, welche „ikonischen Zeichen“26 von lesbischen Existenzweisen im Rahmen von (Massen-)Medien produziert, welche hegemonialen Rezeptions- und Interpretationsmuster hier forciert werden und ob diese als „cultural empowerment“ im Kontext eines cultural citizenship fungieren können (Turner 2001a: 11). Die Frage nach subkulturellen oder kontra-intuitiven Lesarten oder Formen der medialen Aneignung hegemonialer Codes (innerhalb von LGBTIQ- Communities) sowie die Produktion von community-spezifischen medialen Repräsentationen, welche LGBTIQs explizit als decodierende Rezipient*innen voraussetzen, bleiben hier bewusst ausgespart, da es mir in diesem Abschnitt vor allem um eine Untersu-

ent*in zwar um die hegemoniale Deutung weiß, diese aber aus politisch-subversiven Gründen unterläuft (Hall 1980). 26 „Ikonischen Zeichen“ sind nach Stuart Hall Zeichen, die „wie Objekte der realen Welt aussehen, weil sie die Bedingungen (d.h. die Codes) der Wahrnehmung im Betrachter reproduzieren. […]Ikonische Zeichen sind jedoch in besonderer Weise dafür prädestiniert, als natürlich gelesen zu werden […]“ (Hall 2004: 72).

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chung von jenen (massen-)medialen Repräsentationen geht, welche zumindest theoretisch an die Gesamtheit der Staatsbürger*innen als mögliche Rezipient*innen gerichtet sind und somit als zentrale Vermittlungs- und Produktionsorte von cultural citizenship gelten können. Realpolitisch waren und sind für LGBTIQs freilich gerade community-spezifische, mediale Repräsentation die (eigentlichen) Produzent*innen von ‚kulturellen Ressourcen‘ und ‚kulturellem Empowerment‘ bzw. kann die Produktion von community-spezifischen (kulturellen) Repräsentationen gerade auch als Reaktion bzw. politische Gegenbewegung zu (massen-)medialen (Miss-)Repräsentationen verstanden werden (Loist 2008: 170). Seit Anfang/Mitte der 1990er Jahre sind die Grenzen zwischen (massen-)medialer und community-spezifischer Darstellung jedoch vor allem im Bereich der schwulen Repräsentation partiell fließender geworden (ebd.: 172).27 Normalisiert, feminisiert, desexualisiert: Massenmediale Konstruktionen der ‚Figur‘ der Lesbe Im Kontext aktueller wissenschaftlicher Diskussionen um die (massen-)mediale Repräsentation und Sichtbarkeit von lesbischen Existenzweisen sprechen mehrerer Autor*innen von einem visuellen Paradigmenwechsel, der für die USA etwa Ende der 1980er/Beginn der 1990er und in West- und Mitteleuropa etwa zu Beginn/Mitte der 1990er Jahre angesetzt wird (Ciasullo 2001; Hopkins 2009). Demnach sind Lesben innerhalb (massen-)medialer Darstellungen bis in die 1990er Jahre stark pathologisierend, dämonisierend, stereotypisierend und/oder abwertend re-präsentiert worden.28 In den 1990er Jahren sei es nun zu einer partiellen Wende in der medialen Repräsentation gekommen. Übereinstimmung gibt es bei unterschiedlichen Theoretiker*innen darüber, dass diese ‚positivere‘ Darstellung jedoch mit unterschiedlichen Formen der Begrenzung von visuellen Repräsentationen einherging bzw. bestimmten Repräsentationsbedingungen folgen musste: Diese werden mit den Begriffen ‚Normalisierung‘, ‚Feminisierung‘, ‚De-Sexualisierung‘ und ‚Privatisierung‘ umrissen. Ann M. Ciasullo spricht in ihrer US-zentrierten Untersuchung etwa von einem „sanitizing of the lesbian through her feminizing“ (Ciasullo 2001: 584). Ihre Argumentation kann aber auch weitgehend auf den europäischen Kontext übertragen werden, wenn sie schreibt:

27 Skadi Loist verweist hier etwa auf den Oscar-prämierten Film „Philadelphia“, in der Tom Hanks einen schwulen, AIDS-kranken Anwalt spielt (Loist 2008: 172). 28 Für einen fundierten Überblick über die Re-Präsentation von Lesben in Film, Kino und Fernsehen siehe: Boxhammer 2007.

282 | P ERVERSE BÜRGERINNEN „My argument is twofold: first, most recent mainstream representations of lesbianism are normalized heterosexualized or ‚straightened out‘ […]. The mainstream lesbian body is at once sexualized and desexualized: on the one hand, she is made into an object of desire for straight audiences through her heterosexualization, a process achieved by representing the lesbian as embodying a hegemonic femininity and thus, for main stream audiences, as looking ‚just like‘ conventionally attractive straight women; on the other hand, because the representation of desire between two women is usually suppressed in these images, she is de homosexualized.“ (Ebd.: 578; Hervorh.i.Org.)

Neben der verändernden Re-Präsentation von Lesben in Printmedien wird die prominente US-amerikanische Serie „The L-Word“29 von zahlreichen Theoretiker*innen als prototypisches Beispiel für diese Entwicklungen hin zu einer feminisierenden, desexualisierenden und/oder normalisierenden Form der Darstellung herangezogen (Burns/Davies 2009; Arkass/McCabe 2006). Heteronormativität würde in „The L-Word“, so ein zentraler Strang der Kritik, gerade durch die Propagierung von heteronormativen Lebensentwürfen, Weiblichkeitsbildern und Beziehungsnormen nicht unterlaufen, sondern im Gegenteil bestätigt und reifiziert (Arkass/McCabe 2006; vgl. Burns/Davies 2009). Auch wenn der bestärkende Effekt einer medialen Sichtbarkeit von lesbischen Frauen auf das Coming Out von bzw. auf lesbische Existenzweisen insgesamt nicht unterschätzt werden dürfe, kommt Samuel A. Chambers zu folgendem Schluss: „The L-Word is a heteronomative show about homosexuals. […] If a show about lesbians reinforces heteronormativity; if it preserves traditional conceptions of femininity; if it maintains binary gender […], then it can not be blithely assumed that it will prove progressive in terms of the politics of gender and sexuality.“ (Chambers 2006: 82ff.).

Kellie Burns und Christyn Davies stellen die in „The L-Word“ produzierten Bilder von Lesben auch in den Kontext von (cultural) citizenship. Demnach könnte diese Serie als exemplarisches Beispiel für eine mediale Konstruktion einer neuen, inklusivistischen, neoliberalen consumer citizenship von/für lesbische Existenzweisen gelten, da alle politischen Fragen der (kulturellen) Mitgliedschaft,

29 „The L-Word“ gilt als die erste ‚lesbische‘ TV-Serie. Vom US-Privatsender Showtime erstmals im Januar 2004 ausgestrahlt, wurde „The L-Word“ mittlerweile in über dreißig Ländern gezeigt. Die Serie handelt vom Leben, von den Lebensumständen, von Beziehungen, dem Coming Out etc. einer Gruppe befreundeter lesbischer/bisexueller/queerer Frauen bzw. Trans*Personen in L.A.

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Diskriminierung und Zughörigkeit entlang von „consumptive practices“ abgehandelt werden (Burns/Davies 2009, 176). Die ‚gute lesbische Bürgerin‘ würde in dieser Serie aber nicht nur entlang heteronormativer Geschlechtervorstellungen konstruiert, sondern „The L Word“ kann gerade als Sinnbild einer gouvernementalen Anleitung für die Transformation des jeweiligen (lesbischen) Selbst in eine „respectable“ Konsumbürgerin interpretiert werden (ebd.: 177). „[T]he audience is privy not only to didactic lessons of character and integrity, but also witness to the technologies of self-governance, self-mastery, and self-transformation lesbian and queer citizens are encouraged to embody on order to constitute themselves as successful consumer citizens.“ (Ebd.: 180)

Insofern ist es jeweils die einen Marktwert besitzende ‚konsumierbare Lesbe‘ mit einem entsprechenden kauf- und konsumierbaren ‚life/style‘, welche hier kulturelle Aufwertung erfährt. Wie Zygmut Bauman betont, zeichnen sich postfordistische Gesellschaften eben gerade dadurch aus, dass (staatsbürgerlicher) Einschluss über den Konsum der entsprechenden (vom Markt kreierten) Produkte stattfindet (Bauman 1995). „Sexualität“ kann sogar als „paradigmatisch für das Freiheitsversprechen des Konsumkapitalismus“ stehen, denn die/der Konsumbürger*in ‚wählt‘ auf Basis ihrer ‚Freiheit am Markt‘ zwischen einzelnen konsumierbaren sexuellen Lebensstilen aus (Wolterdorff 2008: 191). Die in der Serie „The L-Word“ konstruierte lesbische Konsumbürgerin steht daher exemplarisch für eine Form von ‚kultureller Teilhabe‘ im Kontext eines marktbasierten consumer citizenship, in der eine „Konvergenz […] zwischen sexuellem Pluralismus und Marktpluralismus, zwischen sexueller Freiheit und Marktfreiheit“ postuliert wird (Engel 2008: 48). Im Kontext von cultural citizenship würde dies also bedeuteten, dass über die spezifische Begrenzung und Modellierung von (lesbischer) Re-Präsentation im Rahmen heteronormativer und konsumistisch-kapitalistischer Deutungsökonomien nur jene lesbischen Existenzweisen mit ‚kulturellen Ressourcen‘ ausgestattet werden (sollen), die sich im Rahmen dieser ‚Codes‘ formieren (können). Die „radical, menacing lesbian feminist (the ‚bad‘ lesbian)“ wird hingegen auf der medialen Ebene aussortiert und als Negativfolie zur inklusionswürdigen, ‚guten Lesbe‘ gesetzt, „who also conformed to traditional feminine stereotypes“ (Hopkins 2009: 30). Tanja Maier analysiert diese mediale Selektion von ‚schlechten Lesben‘ bzw. die „narrative Bestrafung“ von „phallische[n] Lesbe[n]“, wie sie es nennt, auch anhand einer medientheoretischen Untersuchung von deutschsprachigen Soap Operas (Maier 2007: 170). Nach Maier inkludieren normalisierende Darstellungen von lesbischen Frauen in diesen Serien eine Be-

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freiung ihrer selbst „von allem […], was mit Männlichkeit konnotiert“ sei (ebd.). Dies führe sowohl zu einer medialen Entsexualisierung der lesbischen Lebensweise der Figuren, gleichzeitig aber auch zu einer Inszenierung als „begehrliche Objekte“ im Rahmen (weißer) „heteronormative[r] Blickregime“ (ebd.). Damit würde im Repräsentationsdikurs aber auch lesbisches Begehren gelöscht, weil das Begehren der „ästhetisierten Lesbe“ in einer heteronormativen Logik passivierter und weißer Weiblichkeit verbleibt (ebd.: 171) Das heißt, auch wenn diese „Repräsentationen die Grenzen heterosexueller Normen durchaus ein Stück weit flexibilisieren“, gliedern diese lesbische Sexualität und Beziehungen wiederum „in eine rigide, hierarchische Geschlechterordnung“ ein (ebd.: 172). Die mediale Re-Präsentation und Sichtbarkeit von lesbischen Figuren führt daher weder zwangsläufig zu einer Unterlaufung von heteronormativen Hierarchien noch zur entsprechenden Ausstattung mit kulturellen Ressourcen, sondern kann im Gegenteil bestehende (partielle) Exklusionsmechanismen gerade wieder bestätigen.30 Im Kontext von cultural citizenship bedeutet dies freilich, dass es hier nicht mehr um eine rigide Ausschließung von Homosexualität geht, sondern um eine spezifische und selektive Form des (hetero-)normalisierenden Einschlusses (vgl. Engel 2002; Mesquita 2008; Bell/Binnie 2004), oder wie es Sushila Mesquita ausdrückt: „Die Grenze zwischen […] Ein- und Ausschluss verläuft demgemäß nicht mehr dezidiert entlang der Achse Heterosexualität/Homosexualität, sondern zwischen den je ‚respektableren‘ Ausgestaltungen der Lebensentwürfe.“ (Mesquita 2008: 136; Hervorh.i.Org.)

Insofern kann es im Zusammenhang mit cultural citizenship nicht um die Frage der mangelnden oder quantitativen Repräsentation von Lesben in (massen-)medialen Sphären gehen, sondern um die Untersuchung von bevorzugten Repräsentationen des ‚Lesbischen‘ vor dem Hintergrund bestehender Ungleichheiten und Geschichten der Unsichtbarmachung, Pathologisierung, Diskriminierung und Exklusion. Denn die Art, wie etwas sichtbar und repräsentiert werden kann und welche Codes jeweils zur Verfügung stehen ist gerade auch Ausdruck bestehender Verhältnisse, da diese Codes ansonsten nicht lesbar wären oder verstanden werden könnten. Insofern geht es um die „Form des Zu Sehen Gegeben Sein“

30 Freilich kann jede mediale Repräsentation auch ‚oppositionell‘ rezipiert werden, d.h. auch wenn es aufgrund dominanter (heteronormativer) ‚Blickregime‘ jeweils bevorzugte Lesarten gibt, sind die Wirkung und der Effekt niemals festgelegt (queer reading).

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und somit um die „Notwendigkeit“ sich nicht nur mit der Frage auseinanderzusetzen „ob, sondern auch wie […] etwas dargestellt wird“ (Schaffer 2008: 14).31 ‚Normalisierende‘ oder ‚feminisierende‘ Repräsentationen tragen also dazu bei, ein bestimmtes Repräsentations- und Sichtbarkeitsregime aufrecht zu erhalten, in dem Heteronormativität als unsichtbare Norm gerade auch durch die ‚partielle Abweichung‘ bestätigt wird. Durch die Art und Weise, wie ‚das Lesbische‘ sichtbar wird oder werden kann, wird daher auch das vermeintlich ‚Unsichtbare‘ mit angeordnet und strukturiert; d.h. Repräsentation ist nicht nur eine Darstellung und Herstellung sondern immer auch eine Form der Anordnung (vgl. Hennessy 2000). Die Unsichtbarkeit und/oder mediale Reifizierung einer Norm – in diesem Fall der Heteronormativität – ist daher genauso Ausdruck von spezifischen (kulturellen) Ungleichheiten und Privilegien (vgl. hooks 1992). Eine kritische lesben-affirmative Untersuchung des Verhältnisses von cultural citizenship und lesbischen Existenzweisen muss daher gerade diese Ambivalenzen bei der Re-Präsentation und Ausstattung mit ‚kulturellen Ressourcen‘ im Blick behalten. Eine Vervielfältigung der Bilder sowie eine vermeintlich ‚positive‘ (kulturelle) Re-Präsentation ‚des Lesbischen‘ impliziert daher weder per se eine Ausstattung von lesbischen Existenzweisen mit ‚kulturellen Ressourcen‘ noch bedeutet eine Ausstattung von ‚bestimmten‘ (konsumierenden/konsumierbaren) lesbischen Lebensentwürfen mit ‚kulturellen Ressourcen‘, dass von einer generellen Inklusion lesbischer Existenzweisen in cultural citizenship gesprochen werden kann. Marktbürger*innenschaft statt/ist Inklusion Eine Analyse von (massen-)medialen Re-Präsentationen von LGBTIQs muss jedoch, und darauf hat insbesondere Rosemary Hennessy (1994) hingewiesen, auch im Kontext ökonomischer Prozesse der Kommodifizierung von lesbischen (und schwulen) Identitäten im Rahmen kapitalistischer Verwertungslogiken situiert werden: „Not only is much recent gay visibility aimed at producing new and potentially lucrative markets, but as in most marketing strategies, money, not liberation, is the bottom line.“ (Hennessy 1994: 32)

31 Johanna Schaffer entwirft als Gegenkonzept zu diesen (hegemonialen) Formen der Sichtbarkeit eine Form der „anerkennenden Sichtbarkeit“, in der eine*r selbst bestimmt, nach welchen ‚Codes‘ er/sie gelesen und werden will (Schaffer 2008: 20).

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Bevorzugte Repräsentationen müssen nach Hennessy daher gerade vor dem Hintergrund ökonomischer (Ungleich-)Verhältnisse auch innerhalb der Gruppe der LGBTIQs analysiert werden. Ähnlich wie David Evans betont auch Hennessy die (kulturelle) Produktionsmacht ökonomischer Prozesse bei der Herstellung von (spezifischen, marktkonformen) lesbischen (und schwulen) Identitäten (Evans 1993; Hennessy 1994; Hennessy 2000). Insofern war und ist die Frage der (kapitalistischen) Verwertungslogik und Kommodifizierung von ‚homosexuellen Subjekten‘ stets auch eine Frage von Situierungen, Diskriminierungen bzw. Privilegierungen aufgrund von ‚Geschlecht‘, ‚Klasse‘, ‚Rasse‘, ‚Körperlichkeit‘ und Herkunft/Staatsangehörigkeit, konstatieren doch zahlreiche queere Forscherinnen mit Blick auf aktuelle Entwicklungen, dass hier wiederum eine weiße, männlich-schwule Mittelklasseidentität aus dem globalisierten Norden im Zentrum der Re-Präsentation stehe, da sie als die privilegierte Figur für eine Inklusion in ein consumer citizenship konstruiert wird (vgl. Hennessy 1994: 57f.). Eine Marktintegration von Lesben (und Schwulen) als consumer citizens kann somit auch mit einer gleichzeitigen Persistenz heterosexueller Normen, Deutungslogiken und (kultureller) Privilegien einhergehen. Denn eine zunehmende (partielle) Repräsentation von Lesben und Schwulen hat, so Richardson, „less to do with the growing acceptance of lesbian and gay rights“, sondern kann auf die „political economy of media institutions and the identification of new consumer markets“ zurückgeführt werden (Richardson 2001b: 162). Umgekehrt können der Markt und die Sphäre des Konsums aber gerade aufgrund der formalpolitischen Nicht-Repräsentation und mangelnder Partizipation ein wichtiges Moment (kultureller) Teilhabe für lesbische Existenzweisen darstellen. „Consumerist citizenship“ (Bell 1995: 142) wird damit gleichsam zum Ersatz für political citizenship und entsprechenden Teilhaberechten. Insofern realisiert sich Partizipation und Teilhabe für Lesben gerade auch über den Konsum entsprechender Produkte sowie eine adäquate Freizeitgestaltung. Wir haben es hier also mit einer problematischen „Verschränkung von Ausschluss und Ermächtigungsstrategien“ zu tun (Wolterdorff 2008: 191). Oder wie es Cathy Griggers ganz ‚plastisch‘ ausdrückt: „[I]f […] dykes […] don’t yet have real national political representation, they can nonetheless buy a ten inch ‚dinger‘32 and a matching leather harness […]. This situation provides both a possibility for self-reinvention and self-empowerment and an appropriation of lesbian identities […] into the commodity logic of technoculture.“ (Griggers 2000: 182)

32 ‚Dinger‘ bezeichnet hier eine Dildo-Marke.

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Stefanie Soine sieht daher gerade in der durch Kommerzialisierung begünstigten „Sexualisierung ‚lesbischer Identität‘“ eine widersprüchliche Verknüpfung (vermeintlich) subversiver queerer Sexualpolitiken und einer marktbasierten Verdinglichung von Sexualität (Soine 2000: 218; Hervorh.i.Org.). Denn, so Soine, „heute stilisieren sich viele lesbische Frauen durch ihr erotisches Begehren und entsprechende subversive Gender-Rollenspiele als befreiende und den Heterosexismus außer Kraft setzende Heldinnen“, wodurch unter „Berufung auf dekonstruktivistisches Denken […] das postmoderne ‚anything goes‘ in Sachen Sex zum politisch subversiven Akt“ gemacht wird (ebd.; Hervorh.i.Org.). Dabei gerät aber gerade die Einbettung dieses Sex-Diskurses in einen größeren Kontext neoliberal-kapitalistischer Kommerzialisierung und Verdinglichung von Sexualität als Konsum und Warenform am „Markt der Lüste“ aus dem Blick (ebd.: 219f.). Denn schließlich sind auch Sex-Toys, neue lesbische Pornos und Magazine Teil einer kapitalistischen Verwertungslogik. Lesbische Existenzweisen sind daher gerade mit der ambivalenten Anforderung einer privatisierenden De-Sexualisierung im Rahmen staatsbürgerlicher Anrufungspraktiken und einer marktkonformen Re-Sexualisierung im Dienste einer kapitalistischen Verwertungslogik konfrontiert. Partizipation und Teilhabe wird dabei aber wieder ganz im Lock’schen Sinne eine Frage des Eigentums bzw. der ökonomischen Ressourcen; oder gerade umgekehrt, der Wunsch am neo-/liberalen Eigentumsstaat als economic bzw. consumer citizen teilzunehmen wird die Grundlage politischer Partizipation, wie dies etwa die Biographie des ersten US-amerikanischen gewählten schwulen Stadtpolitikers Harvey Milk zeigt. 33 Insofern ist es vielleicht kein Zufall, dass die Verfilmung seines Lebens in dem mit zwei Oscars ausgezeichneten Hollywood Spielfilm „Milk“ (2008) eine neue Welle der (unkritischen) Verehrung34 von Milk als mutigem Vertreter von Bür-

33 Harvey Milks politisches Engagement begann, als er bei der lokalen business owner organization, der „Eureka Valley Merchants’ Association“, nicht aufgenommen wurde. Milk gründete daraufhin eine eigene Organisation zur Vertretung lesbischer und schwuler ‚business-owner‘, die „Castro Village Association“. 34 Vgl. dazu etwa die Kritik auf der Website „Below the Belt. Deconstructing Gender“, in der auf den androzentrischen bias in Milks politischem Aktivismus hingewiesen wird: „While Milk developed an effective framework for gay male rights and gay male freedom, he did not build effective links with other sexual and racial minorities, and he failed to develop a broader moral vision for the general liberation of gender and sexuality. He was also not very interested in thinking about oppressive conformity and gender politics within the homosexual community itself, and he largely ignored the emerging devaluation of feminine men in San Francisco’s Castro neighbourhood.“

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gerrechten für Schwule (und Lesben?) auslöste, passt seine Konzeption von Bürgerrechten in Form privatisierter, individueller Freiheiten doch zu einer neoliberalen Idee von economic citizenship35. Wenn Birgit Sauer die Veränderungen von Staatsbürgerschaft im Rahmen neoliberaler Praktiken und Diskurse auch als eine Ökonomisierung dieser Institution beschreibt, dann werden hier also insgesamt die mit diesem Status verbundenen Bedingungen und ‚Zurichtungen‘ problematisch (Sauer 2001b: 9). Denn dient diese Form der Inklusion nicht vor allem dazu, „Hindernisse der Vermarktung von jeglicher Sexualität im Sinne des ‚amoralischen‘ Marktes zu beseitigen“ (Mayrhofer 2005: 43)? Fordert der Eintritt in die Zone staatsbürgerlicher Intelligibilität nicht besonders von LGBTIQs eine Formierung ihrer selbst mehr als bourgeois denn als citoyen, um sie auf Basis einer „ökonomischen BürgerInnenschaft […] profitabel in die Gesellschaft integrieren“ zu können (ebd.)? Muss die neue lesbische Staatsbürgerin ebenfalls zum „‚free‘, modern possessive individual“ (Hennessy 2000: 190) werden und somit den „bürgerlichen Eigentumsbegriff auf den eigenen Körper“ anwenden (Janz 2003: 92)?

Online verfügbar auf: http://feed.belowthebelt.org/2009/10/critique-of-harvey-milksapproach-to.html (Zugriff 30.07.2010; Hervorh.i.Org). 35 Eine Analyse des consumerist/economic citizenship-Konzepts von Milk findet sich auch bei Bell (1995).

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E NDLICH SO SEIN WIE ALLE N ICHT -P ERVERSEN …!? B EDINGUNGEN INTELLIGIBLER LESBISCHER S TAATSBÜRGERINNENSCHAFTEN – EIN R ESÜMEE Citizenship […] is about a […] process of becoming recognized subjects, […]. But [..] the question being: Becoming what exactly? What kinds of citizens are being produced? BRENDA COSSMAN37

Lesbische Staatsbürgerinnenschaft ist kontextuell und feldspezifisch insofern intelligibel geworden, als sich die Kriterien und damit auch die Grenzen staatsbürgerlicher Intelligibilität verschoben haben und diese staatsbürgerliche Position damit partiell ‚sinnhaft‘ und ‚denkbar‘ geworden ist. Im Rahmen eines (rhetorischen) Inklusionsversprechens wird proklamiert, dass ausgewählte lesbische Existenzweisen unter bestimmten (rassialisierten) Bedingungen und auf Basis einer entsprechenden Selbstführungstechnik ebenfalls ‚richtige‘ Staatsbürgerinnen werden könnten. Der Eintritt in die Zone staatsbürgerlicher Intelligibilität erfordert jedoch auch eine spezifische ‚Zurichtung‘, Produktion bzw. „programmatische Selbstführung“ eines bestimmten lesbischen Staatsbürger*innenkörpers, der den modifizierten androzentrisch-heteronormativen Bedingungen der Inklusion gerecht wird und den jeweiligen rassialisierten/ethnifizierten Inklusionsanforderungen entsprechen kann (Pühl/Schultz 2001). Das heißt, es geht hier auch um eine veränderte Fortschreibung ‚alter‘ Raster der Intelligibilität. Heteronormative, vergeschlechtlichte und rassifizierte Konzepte von Verwandtschaft, Familie und Beziehung sowie von politischer Autonomie, Handlungsfähigkeit und Repräsentation werden somit nicht vollständig unterlaufen, sondern nur verschoben und für ausgewählte Personengruppen ausgeweitet. Heteronormative Konzepte von Ehe, Familie und Partner*innenschaft ebenso wie von politischer Partizipation und Teilnahme bilden somit nach wie vor die konstitutive Grundlage von staatsbürgerlicher Inklusion. Dem Inklusionsangebot liegt daher eine permanente Prekarität zugrunde, da dieses ‚werden-wollen‘ eine performative Zita-

36 Leicht verändert nach Eike

Stedefeldt, online verfügbar auf: http://www.stede

feldt.de/Leichenhalle.htm 37 Cossman, Brenda (2007): Sexual Citizens. The Legal and Cultural Regulation of Sex and Belonging, Stanford, 2.

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tion der entsprechenden Inklusionsbedingungen und (heteronormativen) Intelligibilitätskriterien entlang der schon bestehenden ‚Grammatik‘ von Staatsbürgerschaft erfordert. Pfui, politisches Mannweib: Lesben werden ‚richtige Frauen‘ mit einem privatisierten ‚sexuellen Lifestyle‘ Die Inklusion lesbischer Existenzweisen als Staatsbürgerinnen setzt demnach eine spezifische Subjektivierung und entsprechende Modulation des eigenen politischen, ökonomischen und sozialen ‚Selbst‘ ebenso wie der jeweiligen sexuellen Beziehungen auf unterschiedlichen gesellschaftlichen Ebenen voraus. Auf der Mikroebene des Individuums verlangen die ‚Inklusionsanforderungen‘ demnach nach einer tendenziell stabilen, nicht-transgressiven Geschlechtsidentität und -performance im Rahmen heteronormativer Weiblichkeitsmuster. Das perfide an den aktuellen Inklusionsangeboten an lesbische Existenzweisen liegt jedoch auch darin, dass einige nun gleichsam ihr eigenes Abjekt werden oder kreiren müssen, indem sie bestimmte Formen/Möglichkeiten der (eigenen) lesbischen Existenz zurückweisen bzw. verwerfen sollen/müssen: Das heißt, die Trennung zwischen staatsbürgerlichen ‚Anti-Typen‘ und ‚richtigen‘ weiblichen Staatsbürgerinnen wird nun nicht mehr ausschließlich zwischen Heterosexualität und Homosexualität gezogen, sondern sie geht durch die frühere abject zone hindurch: Die ‚feminine‘, konsumfreudige, marktangepasste, flexible, lesbische Frau muss die ‚schlechte Lesbe‘, die feministische, (geschlechter-)transgressive, phallische, uneindeutige Lesbe – in sich selbst oder als reale Existenzen – zurückweisen. Aktuelle Inklusionsangebote für lesbische Existenzwesen bewegen sich also nach wie vor in einem heteronormativen Rahmen, changier(t)en die ‚denkbaren‘ Möglichkeiten lesbischer Existenz doch zwischen zwei Polen: Einerseits existiert die, für die Geschlechterordnung als ‚gefährlich‘ erachtete, Konstruktion von der ‚Lesbe‘ als hypersexualisiertes, kastrierendes, phallisches Mannweib mit einem ‚männlichen‘ oder ‚invertierten‘ Begehren; als Gegenbild wurde jedoch auch die desexualisierte Figur der Lesbe erschaffen, die in „kuscheliger Symbiose“ mit einer anderen Frau die (vermeintlich) weiblichen Eigenschaften quasi verdoppelt (vgl. Engel 1996: 84). Lesbische Existenzweisen sind folglich von dem mimetischen ‚Drama‘ androzentrisch-heteronormativer Staatsbürgerschaftskonzeptionen in spezifischer Weise ‚betroffen‘: Denn Inklusion bedeutet, sich in bestehende Geschlechterverhältnisse und -konstruktionen einzufügen und damit das ‚kontaminierendgefährliche Andere‘ an einer lesbischen Existenzweisen sichtbar ‚einzudämmen‘. Diese ‚Eindämmung‘ bedeutet demnach, eine ‚richtige Frau‘ werden zu

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wollen und das (eigene) ‚deviante‘ Begehren als unpolitische, private ‚sexuelle Orientierung‘ zu präsentieren. Ana Cristina Santos spricht im Kontext aktueller homonormativer/homonormalisierender Inklusionsbedingungen und -Diskurse demnach auch von einer „politics of containment“, durch welche feministische, radikal(er)e oder (geschlechter-)transgressive Ausdrucks-, Artikulationsformen und Lebensweisen von LGBTIQs zugunsten einer ‚sauberen‘ lesbischen/schwulen Bürgerschaft ‚eingedämmt‘ werden (sollen) (Santos 2013; vgl. Warner 2000). Pfui, ihr ‚Anderen‘: Rassialisierte Inklusionsangebote und die Exterritorialisierung von Lesbenfeindlichkeit Als Akt der Zurückweisung identifiziert sich die ‚legitime‘ lesbische Staatsbürgerin u.a. auch mit heteronormativen, rassialisierten Strukturen und Räumen von Staatsbürgerschaft. Dies impliziert daher auch einen tendenziellen Ausschluss von jenen Lesben/Queers (u.a. migrantische, Schwarze Lesben), die aufgrund ihrer Herkunft, Nationalität, Sprache bzw. den rassialiserten Bedingungen von Staatsbürgerschaft selbst erst gar nicht als (intelligible) lesbische Staatsbürgerinnen angerufen werden und somit a priori gar nicht in den ‚Genuss‘ dieses Normalisierungsangebots kommen. Dies geht darüber hinaus mit ‚alten‘ Formen des otherings und der rassialisierten Verwerfung von nicht-weißen, ‚nichtwestlichen‘ oder dem als ‚rückständig‘ konstruierten ‚Anderen‘ sowohl innerhalb der EUropäischen Nationalstaaten als auch in Hinblick auf internationale (Entwicklungs-)Politiken einher. Lesbophobie und Sexismus werden demnach exterritorialisiert und ‚kulturalisiert‘ und auf spezifische geopolitische Räume (‚Afrika‘) oder bestimmte Gruppen (‚Muslime‘) ausgelagert. Die historische Interdependenz von Sexualitäts- und Rassekonstruktionen sowie der ‚Erfindung‘ von sexueller Devianz bleibt hier freilich ausgeklammert. Der partielle Eintritt in die Zone staatsbürgerlicher Intelligibilität geht daher nicht mit einer grundsätzlichen Veränderung kultureller, politischer und sozioökonomischer Strukturen der Ungleichheit einher, sondern ist gerade untrennbar mit der Konstituierung neuer/alter Hierarchien und rassialisierter politischer Selbstverhältnisse und Zugehörigkeiten verknüpft. Aus diesem Grunde muss die Frage der staatsbürgerlichen Intelligibilität ausgewählter lesbischer Existenzweisen gerade im Zusammenhang mit der zunehmenden Exklusion von Migrant*innen oder als ‚ausländisch‘ konstruierten Personen, der Stabilisierung und Verschärfung EUropäischer Grenzen und Grenzregime entlang der Konstruktion einer neuen/alten Dichotomie zwischen einem ‚modernen Westen‘ und einem

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‚traditionellen Rest‘ sowie des neoliberalen Umbaus ökonomischer und staatlicher Strukturen und neuer Formen von Geschlechterungleichheit gestellt werden. Pfui, Systemkritik: Verheiratete und/oder konsumorientierte Marktbürgerinnen Auf der Mesoebene der (sexuellen) Intimbeziehungen geht es daher wesentlich um die Anforderung, sich an einem familial konzipierten Modell der monogamen und liebenden Zweierbeziehung zu orientieren, das insbesondere auch im Kontext des neoliberalen Abbaus sozialer Sicherungssysteme als privatisierte Form der ‚Sorge‘ fungieren soll. Wie besonders aktuelle Diskussionen und Aktionen im LGBTIQ-Kontext zeigen, spielt in der Debatte um die ‚Inklusion‘ von LGBTIQs vermehrt ihre Identifikation als ‚Marktbürger*innen‘ sowie ihre ‚programmatische Selbstführung‘ im Rahmen ökonomischer Anforderungen eine zentrale Rolle. Als ökonomisch-produktive, individualistische und leistungsbereite Marktbürgerinnen, die sich entsprechend kommodifizierbar und konsumorientiert zeigen, vergrößern lesbische Existenzweisen demnach, so suggerieren es auch die ‚Inklusionsanforderungen‘, ihre Chancen auf Inklusion und Anerkennung. Neben der Makroebene des Marktes spielt jedoch auch die Frage von Demokratie und demokratischer Repräsentation im Kontext einer Analyse einer legitimen Staatsbürgerinnenschaft von lesbischen Existenzweisen eine zentrale Rolle. Hier zeigt sich jedoch auch die größte Ambivalenz und Aporie lesbischer Staatsbürgerinnenschaft: Denn einerseits sollen/müssen lesbische Politikerinnen die ‚Höllenfigur‘ der Lesbe und des Mannweibes zurückweisen und demonstrieren, dass sie ‚richtige‘ Frauen sind und nicht von ihrem ‚partikulären‘ lesbischen/sexuellen Präferenzen geleitet sind, andererseits ist jedoch das Feld der Politik selbst durch maskulinistisch-androzentrische Anforderungen und Normen bestimmt. Darüber hinaus lassen die die Strukturen der demokratischen Repräsentation selbst nur bestimmte Sprechweisen und Diskurse über (Homo-)Sexualität und lesbische Identitäten zu. Ausgeträumt? Der (Alb-)Traum einer vollwertigen Staatsbürger*innenschaft Die Aporie liegt nun aber darin, dass aktuelle Inklusionsangebote oder –möglichkeiten gerade nicht auf eine Gewährung eines ‚vollwertigen‘ Staatsbürger*innenschaftsstatus hinauslaufen, sondern eine Bestätigung und Reifizierung ungleicher bzw. heteronormativer Geschlechterverhältnisse und somit auch des

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‚sekundären‘ weiblichen Bürgerinnenstatus verlangen; d.h. staatbürgerliche Mitgliedschaft setzt hier eine Beteiligung am „schlechte[n] Remake des männlichliberalen Bürger Entwurfs“ voraus (Sauer 2001b: 9). Welche psychischen und politischen Konsequenzen erwachsen jedoch aus diesem ‚werden wollen‘, diesem (verständlichen und berechtigten) Wunsch(-Traum) nach Inklusion und dem niemals vollständig inkludiert ‚werden können‘? Folglich ist auch immer zu fragen, welche „subject effects“, welche symbolisch-diskursiven und welche politisch-strukturellen Effekte dieser Eintritt in die ‚Zone‘ staatsbürgerlicher Intelligibilität mit sich bringt (Hennessy 2000: 177). Insofern gerät oft aus dem Blick, dass der Einschluss in citizenship nicht nur eine „Erweiterung von Emanzipation“ darstellt, sondern gerade ein „neues Set“ an „Beziehungen von Ermöglichung und Beschränkung“ im Rahmen gouvernementaler Herrschafts- und Selbsttechnologien initiiert (Hark/Genschel 2003: 151). Ist citizenship daher überhaupt als „Konzept politischer Aktivierung und Ermöglichung“ zu fassen (quaestio 2000b: 19)? Oder wie Bell und Binnie fragen: „[G]iven the heterosexualization of citizenship, how can […] claims based on citizenship status from sexual minorities be made to work other than replicating heterosexualized articulations of the ‚good citzen‘? (Bell/Binnie 2000: 30) Das heißt, letztlich muss in diesem Kontext die grundlegende Frage gestellt werden, ob und unter welchen neuen (Exklusions-)Bedingungen oder auch zu welchem ‚Preis‘ ein Eintritt in die Zone staatsbürgerlicher Intelligibilität für (ausgewählte) lesbische Existenzweisen möglich wird/möglich geworden ist und inwieweit dieser Modus der Inklusion vor dem Hintergrund einer fundierten lesbisch-feministisch-queeren Gesellschaftskritik überhaupt erstrebenswert ist.

Statt eines Schlusswortes: Ein Plädoyer für einen konzeptionellen Perspektivenwechsel Wer kann ich in einer Welt werden, in der die Bedeutungen und Grenzen des Subjektseins für mich schon festgelegt sind? Welche Normen schränken mich ein, wenn ich zu fragen beginne, wer ich werden kann? Und was passiert, wenn ich etwas zu werden beginne, für das es im vorgegebenen System der Wahrheit keinen Platz gibt? JUDITH BUTLER1

J ENSEITS VON INKLUSIVEREN M ODELLEN : E PISTEMOLOGISCHE UND KONZEPTIONELLE V ERSCHIEBUNGEN Die Frage, ob die Forderung nach einer vollständigen Inklusion in die Institution Staatsbürgerschaft die adäquate politische Strategie darstellt, gesellschaftliche, politische und kulturelle Teilhabe und Anerkennung zu erlangen und damit auch Lesben-, Schwulen und Trans*feindlichkeit effektiv zu bekämpfen, führt/e innerhalb der LGBTIQ-Bewegungen sowie der Lesbian, Gay/Queer Studies noch immer zu höchst kontroversen Diskussionen, Auseinandersetzungen und z.T. öf-

1

Butler, Judith (2001c):Was ist Kritik? Ein Essay über Foucaults Tugend, in: TRANSVERSAL. multilingual webjournal, online verfügbar auf: eipcp. Europäisches Institut für Progressive Kulturpolitik, http://eipcp.net/transversal/0806/butler/de (Zugriff: 02.10.2010).

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fentlich ausgetragenen Zerwürfnissen. Während für viele Aktivist*innen und Theoretiker*innen Staatsbürgerschaft als normatives Ideal und zentrale Infrastruktur moderner Demokratien das Instrument gesellschaftlicher und politischer Teilhabe darstellt, problematisieren andere eine Inklusion in derzeitige Versionen von Staatsbürgerschaft als (hetero-)normalisierend, disziplinierend, rassistisch und damit als weiterhin exklusivierendes Instrument (vgl. die Diskussionen in quaestio 2000). Bei Befürworter*innen wie Gegner*innen finden sich in Anlehnung an feministische und multikulturalistische Reformulierungen von citizenship jedoch auch solche Positionen, die sich eine Inklusion unter der Voraussetzung einer (sexualpolitischen oder queeren) Transformation derzeitiger Staatsbürgerschaftsmodelle und -konzepte vorstellen können (u.a. Weeks 1999 [1998]; Plummer 2003). Diese treten dementsprechend für eine Verdichtung des Staatsbürgerschaftsstatus mit (neuen) sexual rights2 ein und plädieren für eine zukünftige Anerkennung von Differenzen aufgrund des Geschlechts bzw. der geschlechtlichen und sexuellen (frei gewählten) Identität. Gerade weil die aktuelle Debatte um Staatsbürger*innenschaft für LGBTIQs aber weitgehend in dieser Trias ‚Bürgerrechte für Lesben und Schwule‘, ‚Staatsbürgerschaft als Fortschreibung heteronormativer Strukturen‘ und ‚Transformation von Staatsbürgerschaft durch neue sexual rights‘ gefangen bleibt, möchte ich am Ende meiner Überlegungen für einen epistemologischen und konzeptionellen Perspektivenwechsel plädieren. Dabei geht es mir darum, die vermeintlich ‚natürliche‘ Verbindung zwischen citizenship und (National-)Staatlichkeit als grundlegendes Narrativ selbst zu problematisieren und somit eine Bedeutungs- und damit Perspektivenverschiebung in Hinblick dessen vornehmen, was überhaupt als Staatsbürger*innenschaft verstanden werden kann. Damit erachte ich auch epistemologische (Bedeutungs-)Verschiebungen im Feld von Wissenschaft als eine wichtige und nicht zu unterschätzende Form der politischen Praxis und Intervention, da derart auch neue und andere ‚Realiäten‘ erst intelligibel, fass- und denkbar gemacht werden (können). Wenn also Wissenschaft als eine produktive Form der Erzählung(en) gefasst wird, dann wird deutlich, „[that] any amount of social change or subversion necessitates a new narrative structure […] counternarratives are the precondition and possibility for imagining politics differently, for opening a side of ideological struggle.“ (Silbergleid 1997: 160)

2

Für eine kritische Diskussion der geforderten sexual rights siehe: Richardson 2000a; Richardson 2000c.

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Folglich möchte ich nicht an einem normativen Ideal von Staatsbürgerschaft als universalistisches und/oder politisches Inklusionsmoment festhalten und derart für Staatsbürger*innenschaftsmodelle plädieren, welche (vermeintliche) ‚Bedürfnisse‘ oder ‚Interessen‘ von lesbischen Existenzweisen adäquater erfassen zu vermögen (vgl. Phelan 1994: 99f.). Im Gegenteil möchte ich am Ende dieser Arbeit – inspiriert von dem, von Holloway Sparks geprägten Konzept „dissident citizenship“ (Sparks 1997) sowie einigen Ausführungen von Ann-Marie Field zu „counter-hegemonic citizenship“ (Field 2007) sowie dem von James Holston entwickelten „insurgent citizenship“ (Holston 1999; Holston 2008; Holston 2009) – auf die Bedeutung von ‚alternativen‘ Erzählungen und Konzepten in Bezug auf Staatsbürger*innenschaft hinweisen. Die genannten Konzepte zielen nämlich gerade darauf ab, (existierende, praktizierte und gelebte) Formen der politischen Partizipation, Teilhabe und Inklusion jenseits etablierter Formen und Praktiken von Staatsbürgerschaft als reale Formen von Staatsbürger*innenschaft zu verstehen und in das Zentrum der Aufmerksamkeit zu rücken. Insofern verweisen diese Modelle auch auf die Möglichkeit einer Kreation subversiver und alternativer Zonen politischer Intelligibilität (für lesbische Existenzweisen) jenseits etablierter und institutionalisierter Formen von citizenship entlang (national-)staatlicher Grenzen und Zugehörigkeit (vgl. Gordona/Stacka 2007). Insofern geht es nicht darum ‚lauter‘ und ‚effektiver‘ den Einschluss in bestehende Konzepte von citizenship zu fordern, sondern „let’s think how we can amplify […] our improbabilities our unintelligabilities in order to create new forms of intelligibillity“ (Retallack 2003: 126). Aufständige Bürger*innenschaften: Dissident, counterhegemonic, insurgent Citizenship Mit dem Terminus „dissident citizenship“ bezeichnete Holloway Sparks in Rekurs auf die Aktion zivilen Ungehorsams von Rosa Parks 3 jene „oppositional democratic practices“, in welchen „dissident citizens constitute alternative public spaces“, um ihre Proteste jenseits kanalisierter, demokratischer Kanäle zu artikulieren und so Kritik an den Ausschlüssen demokratischer Prozesse und Institutionen zu äußern (Sparks 1997: 75):

3

Die afroamerikanische Bürger*innenrechtskämpferin Rosa Parks weigerte sich 1955 in einem Akt zivilen Ungehorsams ihren Sitzplatz in einem Bus für einen weißen Fahrgast gemäß der US-amerikanischen ‚Rassengesetze‘ freizugeben. Siehe auch: http://www.rosaparks.org/

298 | P ERVERSE BÜRGERINNEN „Dissident citizenship, in other words, encompasses the often creative oppositional practice of citizens who, either by choice or (much more commonly) by forced exclusion from the institutionalized means of opposition, contest current arrangements of power from the margins of the polity.“ (Ebd.)

Wie Sparks betont, könne gerade die/der dissidente Bürger*in, die/der als Exkludierte*r „address[es] the wider polity in order to change minds, challenge practices, or even reconstitute[s] boundaries of the political itself“ als Inbegriff der/des demokratischen Bürger*in gesehen werden (ebd.). Im Rahmen von „dissident citizenship“ werden also ‚alternative‘ Formen der politischen Kommunikation und Agitation jenseits von „voting, lobbying, petitioning“ sowie von Räumen politischer Zugehörigkeit, Partizipation, (social) welfare und der Verteilung von kulturellen und materiellen Ressourcen jenseits institutionalisierter Staatsbürger*innenschafts-Dimensionen in den Blick genommen (Sparks 1997: 75). Im Rahmen dieser citizenship-Konzepte geht es daher auch nicht mehr um eine bloße Inklusion in das Bestehende, sondern citizenship wird als Teilnahme an der Herausforderung und dem Angriff auf dieses Bestehende gelesen, als „a way of making room for manoeuvre“ (Gordona/Stacka 2007: 130). Wenn Staatsbürgerschaft folglich als Angriff und Subversion bestehender und etablierter Formen der politischen, sozialen und kulturellen Teilhabe/Teilnahme gedeutet wird, eignet sich hierfür auch das von Ann-Marie Field entwickelte Konzept einer „counter-hegemonic citizenship“ (2007): „When citizenship is contested from below – when the regime is challenged by a counterhegemonic project by social groups who have experienced exclusion from substantive citizenship – then, citizenship is repoliticized. It becomes radical […] or, as I prefer to call it, counter-hegemonic.“ (Ebd.: 251)

Im Rahmen einer modernisierungskritischen Perspektive, in der nicht mehr auf eine quasi ‚evolutionäre‘ Inklusion aller Gesellschaftsmitglieder in die Institution Staatsbürgerschaft durch Agenten und Institutionen des (National-)Staates gehofft wird, geraten daher besonders jene realen „insurgent spaces of citizenship“ in den Mittelpunkt der Betrachtung, die bisher ausschließlich als noch zu korrigierende ‚Fehler‘ interpretiert wurden (Holston 1999: 157): „By insurgent I mean to emphasize an opposition of these spaces of citizenship to the modernist spaces […]. I also use it to emphasize an opposition to the modernist political project that absorbs citizenship into a plan of state building […]. At the heart of this modernist political project is the doctrine – also clearly expressed in the tradition of civil or

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positivist law – that the state is the only legitimate source of citizenship rights, meanings, and practices. I use the notion of insurgent to refer to new and other sources and to their assertion to legitimacy.“ (Ebd.)

Holston plädiert daher für neue Narrative und Verständnisse von citizenship ‚beyond the political‘ und jenseits von Demokratie als westliches, „totalizing project“ – also jenseits dessen, was bisher als ‚politisch‘ gilt/galt und die ‚Denkbarkeit‘ des Politischen strukturierte, prägte und konstituierte (Holston 2008: 311). Mit Holstons Fokus auf bereits vorhandene „different order[s] of citizenship“ – insbesondere in (urbanen) Räumen der sogenannten „Peripherie“ – rücken damit also gerade alltägliche Praktiken an den ‚Rändern‘ von Gesellschaften als Formen des Widerstands, der Umdeutung und Neudeutung von Zugehörigkeit und Mitgliedschaft in den Mittelpunkt der Betrachtung (Holston 2009: 246). Vor dem Hintergrund von Holstons Betonung, dass gerade von „insurgent citizens“ bereits Formen von Staatsbürger*innenschaft jenseits ihrer staatsbezogenen und institutionalisierten Form entwickelt wurden, wird hier auch deutlich warum dieses Staatsbürger*innenkonzepte eine Anwendung auf Praktiken und Räume lesbischer, lesbisch-feministischer und lesbischfeministisch-queerer sozialer Bewegungen nahelegen. Denn wissenschaftlich noch immer ungenügend bearbeitet, entwickelten sich innerhalb lesbischer, feministischer und queerer Kontexte zahlreiche „Netzwerke, soziale Räume und Organisationsstrukturen“, die auf unterschiedlichen Ebenen arbeite(te)n und Ressourcen für eine „positive Selbstverortung“ sowie andere und neue Formen von politischer Teilhabe bereitstellten (Münst 2004: 695). „Citizen perverts“ entwickelten daher in der Vergangenheit bereits neue/alternative Familien- und Gemeinschaftsformen, Caring-Modelle4 und Partizipationspraktiken5 sowie subversive Formen der Inklusion jenseits von etablierten Formen von Citizenship, welche einerseits einen Angriff und eine Kritik auf die exklusivierenden Implikationen von ‚traditionellen‘ Staatsbürgerschaftskonzepten darstellen, anderseits aber nicht in eine bloße Forderung nach Inklusion münden (Bell 1995: 141):

4

Hierbei sei u.a. auf die, im Rahmen der AIDS-Krise entstanden, ‚alternativen‘ (Pflege-)Netzwerke verwiesen sowie auf aktuelle Wohn- und Pflegeprojekte für/von ‚Lesben im Alter‘. Siehe u.a.: http://www.sappho-stiftung.de

5

Hier sei auf die vielfältigen basisdemokratischen, anti-hierarchischen und/oder anarchistisch inspirierten Demokratie- und Partizipationsformen in feministischen, lesbischen, schwulen, lesbisch-schwulen und queeren Zusammenhängen und politischen Bewegungen hingewiesen.

300 | P ERVERSE BÜRGERINNEN „In order to fill the yawning gaps in welfare provision [as part of citizenship] for sexual minorities, members of those minorities have consistently given freely of their time and energy, running helplines and counselling services […] set up housing co ops […] provided individual care for people with AIDS through budding schemes […] providing donor insemination for lesbian parenting, organizing ‚marriage of convenience‘ to help immigrating sexual dissidents get legal citizenship.“ (Ebd.: 149; Hervorh.i.Org.)

Derartige Räume und Praktiken von „counter-hegemonic“, „dissident“ und „insurgent citizenship“ als selbst-instituierte Praktiken, Räume und Strukturen (politischer) Mitgliedschaft erweiter(t)en somit auch die ‚Denkbarkeit‘ des Politischen selbst und ermöglich(t)en die Konstituierung alternativer Formen politischer Intelligibilität. Damit ist politische Teilhabe und Partizipation auch nicht mehr der Voraussetzung unterworfen, dass jemand im Rahmen bestehender Zonen staatsbürgerlicher Intelligibilität zum politischen Subjekt wird oder werden muss (vgl. Engel 2008: 58). Darüber hinaus rücken mit einer solchen Perspektive aber auch konkrete ‚Räume‘ der Zugehörigkeitsproduktion und -konstitution sowie das ‚verortete‘, konkrete Subjekt in den Mittelpunkt der Betrachtung, da der/die Bürger*in nicht mehr als (vermeintlich) abstraktes, universales Wesen begriffen wird. Umgekehrt muss aber auch gefragt werden, inwieweit gerade eine zunehmende Homonormativität innerhalb der Bewegungen und LGBTIQCommunities sowie eine partielle Inklusion von (ausgewählten) LGBTIQs in Dimensionen von citizenship diese dissidenten Räume von Staatsbürgerschaft eher zum Verschwinden bringen bzw. diese im Kontext neoliberaler Staatlichkeit selbst kolonisiert werden (vgl. Bell/Binnie 2004; Cooper 2006). Davina Cooper spricht für Großbritannien etwa davon, „[that] […] new governmental speech acts, which rearticulate the relationship between sexuality and citizenship, […] are not sufficient in themselves to advance a progressive form of active sexual citizenship6. […] My argument is that, […] this deployment largely worked to undermine active sexual citizenship through producing and maintaining policy and practical firewalls that stopped the circulation of a more challenging sexual politics.

6

Was Davina Cooper unter „active sexual citizenship“ versteht, weist sehr starke Ähnlichkeiten mit den hier diskutierten Konzepten von „counter-hegemonic“, „dissident“ und

„insurgent

citizenship“

auf.

Sie

definiert

„active

citizenship“

im

LGBTIQ-Kontext daher u.a. als „counter-normative agendas“ und „attempts to control, guide, shape, or otherwise inflect governmental and social practices“, welche v.a. in „deliberative forums“ stattfinden (Cooper 2006: 924ff.).

S TATT

EINES

S CHLUSSWORTES | 301

[…] In other words, a governmental project of inclusivity worked against (or at least co existed with the growing impediment of) sexual citizenship as a form of active citizenship.“ (Cooper 2006: 922; Hervorh.i.Org.)

Die hier vorgeschlagene Re-Perspektivierung von citizenship von/für lesbische Existenzweisen beinhaltet daher keinen Verweis auf ein normatives Ideal oder eine möglicherweise anzustrebende Zukunft, die, wie von einigen Theoretiker*innen vorgeschlagen, in einem „extending“ (Richardson 2000a; Bell/Binnie 2000) bzw. „queering“ von citizenship (Phelan 2001; Weeks 1999 (1998); Plummer 2003) liegt, sondern richtet den Blick auf vergangene und aktuell existierende und gelebte (dissidente, aufständische) citizenship-Praktiken. Es geht also nicht um eine normative oder utopische Perspektive des queerings, sondern um einen Perspektivenwechsel, der die vielfältigen dissidenten Praktiken und Inklusionsstrategien in ‚alternativen‘ Räumen und Communities als Kern von Staatsbürger*innenschaft, als neue Form der Erzählung selbst in den Blick nimmt und deren Veränderungen bzw. Veränderungspotenziale ernst nimmt. Dies bedeutet für mich jedoch nicht, dass ich den Kampf um (Staatsbürger*innen-)Rechte oder Formen der rechtlichen und politischen Gleichstellung im Zusammenhang mit Staatsbürgerschaft als sinnlos erachte und nicht als ein mögliches Feld dissidenter Praktiken betrachte; aber wie Diane Richardson zu Recht fragt: „What are we giving up if we collapse theoretical analyses of, and demands for, political change in the social organization of gender and sexuality into those claiming citizenship?“ (Richardson 2000: 269f.)

AM E NDE NICHTS ALS W IDERSPRÜCHE ?! DIE PERVERSE B ÜRGERIN !

ABER

ES LEBE

Diese Perspektive schließt daher an frühe/re lesbisch feministische Theoretisierungen an, wenn es nicht (nur) um Forderungen nach einer (formalen) Gleichheit unter androzentrisch-heteronormativen Vorzeichen geht, sondern um eine aktive Politisierung von Ausschlüssen und Herrschaftsverhältnissen, ohne dabei Inklusion in das Bestehende als adäquate Form der Teilhabe und als teleologisches Ziel zu setzen, sondern gerade auch ‚alternative‘ Räume der Politik, Öffentlichkeit und Zugehörigkeit selbst ‚zu erfinden‘ und damit andere Formen der Zugehörigkeitsproduktion zu ‚versuchen‘ und ‚denkbar‘ zu machen. Meine Diskussion von „dissident“, „counter-hegemonic“ und/oder „insurgent citizenship“ soll hier jedoch auch keineswegs als ein Plädoyer für ein Verweilen in oder eine ‚Fetischisierung‘ der (freiwilligen) identitätslogischen, minoritären

302 | P ERVERSE BÜRGERINNEN

Exklusion verstanden werden oder gar als Versuch einer essentialistischen oder abschließenden Definition des ‚Lesbischen‘ oder ‚Queeren‘. Diese ‚alternativen‘ oder ‚subversiven‘ Staatsbürger*innenschaftspraktiken beinhalten für mich im Gegenteil eine permanente Konfrontation und Auseinandersetzung mit (staatlichen) Exklusionsmechanismen sowie eine Politisierung der ‚eigenen‘ Situierung als Teil dieser widerständigen citizenship-Praktiken. Dies inkludiert für mich sowohl eine Beschäftigung, Kritik von und einen Kampf gegen Ausschluss- und Abschließungsmechanismen (u.a. rassialisierte, trans*phobe, misogyne, körpernormierende) innerhalb dieser lesbischen, queeren, feministischen ‚insurgent spaces of citizenship‘ zu richten, diese Räume aber auch gleichzeitig als deliberative Formen der politischen Praxis zu Experimentierfeldern von Transformation und anderen Formen der Mitgliedschaft zu erklären. Das impliziert für mich jedoch die Entwicklung neuer Formen eines „syncretic activism“ (Santos 2013), in der Widersprüche zwischen assimilationistischen und radikalen politischen Positionen auf eine neue Art diskutiert werden und derart auch reale ökonomische, soziale und kulturelle Bedürfnisse nach und die Notwendigkeit von Formen der (sozialen und ökonomischen) Absicherung, von Anerkennung, Zuneigung und Partner*innenschaften nicht einfach als ‚anti-queer‘ ‚abgetan‘ werden, sondern in einer neuen Weise politisiert und gedeutet werden. Vielleicht geht dies auch mit einer Einsicht einher, „die Spannung auszuhalten, die dadurch entsteht, dass eine Forderung unmöglich entweder einfach progressiv oder einfach konservativ sein kann“, da jede „politische Praxis, die auf Transformation der herrschenden Ordnung ausgerichtet ist und Neues hervorbringen will“, auch „gleichzeitig die Spuren des Alten“ trägt (Holzleithner 2013: 188). Insofern stellt sich für mich am Ende dieser Arbeit die Frage, ob die anzustrebende Zukunft daher nicht eher in einer Weiterentwicklung und Intensivierung von „counter-hegemonic“-, „dissident“- und „insurgent“-citizenshipPraktiken als Teil und gleichzeitig Nicht-Teil (normativer/normalisierender) Staatsbürger*innenpolitiken liegen sollte, anstatt in eine neoliberalmarktkonform und weiterhin exklusivierend gestalteten Institution inkludiert zu werden. Die von Antke Engel propagierte „aktive Indifferenz“ könnte somit auch als zentrales Kennzeichen einer dissidenten Form von citizenship gelten (Engel 2008): „Aktive Indifferenz setzt genau dort an, wo von dominanter Seite negiert oder von minoritärer Seite nicht eingeklagt wird, dass eine bestimmte geschlechtliche/sexuelle Existenzweise mehr als nur die persönlichen Lebens- und Beziehungsformen beeinflusst, inwiefern diese sich also auf die Veränderung gesellschaftlicher Machtverhältnisse, Institutionen

S TATT

EINES

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und Normalitätsregime auswirkt bzw. sich auswirken soll – kurz, inwiefern sie als Teil des Politischen betrachtet wird.“ (Ebd.: 59)

Folglich bedeute eine lesbisch-subversive Staatsbürger*innenpolitik meines Erachtens eben nicht, die „Normalisierungserzählung zu unterstützen und der Privatisierung von geschlechtlichen und sexuellen Existenzweisen zuzustimmen“ (ebd.: 59), sondern die Grammatiken, Sprachen und Politiken jenseits der „hegemonic geography of citizenship“ (Bell 1995) selbst zu politisieren und in staatliche Aushandlungsprozesse zu intervenieren. Die ‚perverse Bürgerin‘ beansprucht für sich daher keinen politisch-autonomen Subjektstatus im liberaldemokratischen Sinn mehr, sondern agiert als das, was Judith Butler als „postsouveränes Subjekt“ bezeichnet hat (Butler 2003; Butler 2005). Das „postsouveräne Subjekt“ entfaltet seinen/ihren (politischen) Widerstand und seine/ihre Handlungsmacht gerade im Feld der Ambivalenz von Anrufung und Performativität und in der Akzeptanz von (der eigenen) Kontingenz und Inkohärenz. Ein postsouveränes (politisches) (Widerstands-)Subjekt begreift sich daher nicht mehr notwendigerweise als vollständig autonom und frei, sondern ist sich im „Spannungsfeld von diskursiver Konstitution und sprachlicher Reiteration […] der geschichtlichen Füllung und Prägung“ jeglicher politischer Begrifflichkeiten, Sprachen und Handlungen bewusst, steigt aber auch gleichzeitig in diesen permanenten sprachlichen Deutungskampf ein (Villa 2003: 57). Aber dafür braucht es, um am Ende auf den traditionsreichen Beitrag von Adrienne Rich zurückzukommen, auch weiterhin einen „kühnen Denkansatz […], um die Politik, die Ökonomie, und ebenso die kulturelle Propaganda der Heterosexualität in den Griff zu bekommen“ (Rich 1989 [1980]: 274). Aber auch wenn „[l]esbische Logistik […] ausreichend Handwerkszeug für konsequentes Partisaninnentum und kollektives Aufbegehren“ bereitstellen würde, ist es unter den derzeitigen Bedingungen schwieriger den je „das Know how der Revolution nicht zu verlernen“ (Hacker 1991: 31f.). Es bleibt also zu hoffen, dass sich auch in Zukunft noch genügend perverse Bürger*innen finden werden, welche sich einmischen und intervenieren und vielleicht aber nicht zwangsläufig unter dem ‚Namen‘ der Lesbe „als Schauplatz für Auseinandersetzungen und als Perspektive schöpferischer Imagination“ operieren werden/können (Engel 1996: 93). Vielleicht gilt es aber auch wieder die alte/neue Utopiefähigkeit feministischer, lesbischer und queerer Bewegungen zu reaktivieren, um ‚Alternativen‘ für unsere Körper, unsere Perversionen und unsere Kämpfe intelligibel werden zu lassen (vgl. Schönpflug 2008).

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Queer Studies Wenzel Bilger Der postethnische Homosexuelle Zur Identität »schwuler Deutschtürken« 2012, 294 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-2108-2

Zülfukar Cetin Homophobie und Islamophobie Intersektionale Diskriminierungen am Beispiel binationaler schwuler Paare in Berlin 2012, 422 Seiten, kart., 32,80 €, ISBN 978-3-8376-1986-7

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) ANZ2000.p 362167665526