Personalstrategische Maßnahmen von deutschen Unternehmen in China: Eine Fallstudie am Beispiel mittelständischer Unternehmen [1. Aufl.] 978-3-658-26218-1;978-3-658-26219-8

Das duale Ausbildungssystem stellt hinsichtlich der Rekrutierung, Qualifizierung und Bindung von Fachkräften eine der wi

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Personalstrategische Maßnahmen von deutschen Unternehmen in China: Eine Fallstudie am Beispiel mittelständischer Unternehmen [1. Aufl.]
 978-3-658-26218-1;978-3-658-26219-8

Table of contents :
Front Matter ....Pages I-XV
Forschungsinteresse und Forschungsstand (Larissa Holle)....Pages 1-56
Theoretischer Bezugsrahmen (Larissa Holle)....Pages 57-74
Empirische Untersuchung (Larissa Holle)....Pages 75-201
Diskussion (Larissa Holle)....Pages 203-257
Schlussbetrachtung (Larissa Holle)....Pages 259-273
Back Matter ....Pages 275-298

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Internationale Berufsbildungsforschung

Larissa Holle

Personalstrategische Maßnahmen von deutschen Unternehmen in China Eine Fallstudie am Beispiel mittelständischer Unternehmen

Internationale Berufsbildungsforschung Reihe herausgegeben von Dietmar Frommberger, Osnabrück, Deutschland Michael Gessler, Bremen, Deutschland Matthias Pilz, Köln, Deutschland

Die Reihe ‚Internationale Berufsbildungsforschung‘ bietet einen Publikationsort für Veröffentlichungen von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen aus den Bereichen Berufsbildungsforschung, vergleichender Erziehungswissenschaften, Soziologie, Politologie und Ökonomie. Die Herausgeber vertreten einen weiten Fokus, der berufliche Bildung als ein kultur-, lebensphasen-, domänen- sowie institutionenübergreifendes Phänomen versteht. Die gemeinsame Schnittmenge sowie die Herausforderung besteht dabei in der Aufklärung der Wechselwirkungen zwischen Arbeit, Bildung und Gesellschaft. Entsprechend dieser Ausrichtung umfasst das thematische Potenzial die Spannbreite von Mikroforschung (z.B. Unterrichtsforschung) bis Makroforschung (z.B. Bildungstransfer) und von hoch formalisierten sowie institutionalisierten Bildungsangeboten (z.B. schulische Berufsbildung) bis informellen arbeitsgebundenen Bildungsangeboten (z.B. Lernen im Arbeitsprozess). Die Monografien und Sammelbände der Reihe erscheinen in deutscher oder englischer Sprache. Beirat der Reihe/Editorial Advisory Board Prof. Dr. Philip Gonon Dr. Jim Hordern Universität Zürich, Schweiz Bath Spa University, England Prof. Dr. Sabine Pfeiffer Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Deutschland

Prof. Dr. Dr. h.c. Thomas Schröder Technische Universität Dortmund Deutschland

Prof. Dr. Zhiqun Zhao Beijing Normal University Peking China

Weitere Bände in der Reihe http://www.springer.com/series/15816

Larissa Holle

Personalstrategische Maßnahmen von deutschen Unternehmen in China Eine Fallstudie am Beispiel mittelständischer Unternehmen

Larissa Holle Bremen, Deutschland Dissertation Universität Bremen Tag der Einreichung: 27.03.2018 Tag der Verteidigung: 23.08.2018 Erstgutachter: Prof. Dr. Dr. h.c. Michael Gessler Zweitgutachter: Prof. Dr. Dietmar Frommberger

Internationale Berufsbildungsforschung ISBN 978-3-658-26218-1 ISBN 978-3-658-26219-8  (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-658-26219-8 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National­ bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer VS © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informa­ tionen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Springer VS ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany

Vorwort Deutsche mittelständische Unternehmen rekrutieren, qualifizieren und binden einen Großteil der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen auf der Basis des dualen Ausbildungssystems. Gehen diese mittelständischen deutschen Unternehmen ins Ausland, treffen sie dort in der Regel auf völlig unbekannte einzelbetriebliche Rekrutierungs- und Qualifizierungsstrategien und Berufsbildungsangebote. Das gewohnte flächendeckende und anerkannte berufliche Ausbildungssystem ist nicht vorhanden, bekannte Ausbildungsberufsbilder fehlen. Die Personalarbeit steht vor großen Herausforderungen, da für die Rekrutierung das Passungsverhältnis zwischen den Ausbildungsberufen und den innerbetrieblichen Anforderungen nicht existiert, Berufsausbildung weitgehend in Eigenregie durchzuführen und aufgrund des Fachkräftemangels die Gefahr des „Poaching“ hoch ist. Wie gehen deutsche mittelständische Unternehmen im Ausland mit dieser strategischen Herausforderung um? Vor diesem Hintergrund richtet Frau Larissa Holle ihre Untersuchung auf deutsche mittelständische Unternehmen an der Ostküste Chinas, in der Nähe der Provinz Shanghai, und konkret auf die folgenden Fragestellungen: - Wie sichern sich deutsche Unternehmen in China den Zugang zu entsprechend qualifiziertem Fachpersonal im Gastland? - Inwiefern werden Rekrutierungs-, Qualifizierungs- und Bindungsmaßnahmen an die jeweiligen landesspezifischen Konventionen angepasst und welche Handlungsempfehlungen lassen sich daraus ableiten? - Welche Potenziale bietet die kultur-historische Tätigkeitstheorie als Bezugsrahmen, um Rekrutierungs-, Qualifizierungs- und Bindungsstrategien von Unternehmen zu systematisieren? Und worin liegen ihre Grenzen?

VI

Vorwort

Die Erkenntnisinteressen liegen in der empirisch fundierten Deskription und Theoriedifferenzierung. Der Forschungsgegenstand liegt in der betrieblichen Personalentwicklung, hier mit Schwerpunkt auf die berufliche Erstausbildung außerhalb der gewohnten kulturellen Kontexte, speziell an der Ostküste Chinas. Die vorliegenden Erkenntnisse in diesem Forschungsfeld sind bislang rar. Mit der Untersuchung werden Ergebnisse auf zwei Ebenen vorgelegt. Zum einen erfolgt eine sorgfältige Darlegung der erhobenen Daten aus den beiden Falluntersuchungen. Im Vergleich mit den Ergebnissen aus dem bisherigen Forschungsstand erfolgen Bestätigungen und Erweiterungen. Zum anderen werden die Ergebnisse theoriebasiert diskutiert, und zwar unter der systematischen Einbeziehung der kultur-historischen Tätigkeitstheorie nach Engeström. Die Analyseergebnisse aus der theoretischen Reflexion der empirischen Ergebnisse sind hervorzuheben. Die konkreten Fallergebnisse werden in einen theoretischen Rahmen eingebunden. Trotz der hohen Komplexität der qualitativ-empirischen Daten erfolgt ein aussagekräftiger Ergebnistransfer, womit die Ergebnisse einen fundierten Beitrag im Forschungsgebiet schaffen. Die Herausgeber der Reihe „Internationale Berufsbildungsforschung“ Prof. Dr. Dietmar Frommberger, Universität Osnabrück Prof. Dr. Dr. h.c. Michael Gessler, Universität Bremen Prof. Dr. Matthias Pilz, Universität zu Köln

Inhaltsverzeichnis Abbildungsverzeichnis .......................................................................... XI Tabellenverzeichnis ............................................................................ XIII Abkürzungsverzeichnis ........................................................................ XV Forschungsinteresse und Forschungsstand........................................... 1 1 Einleitung ............................................................................................ 1 1.1 Problemstellung .............................................................................. 1 1.2 Forschungsziel und Erkenntnisinteresse dieser Arbeit ................... 6 1.3 Aufbau der Arbeit ........................................................................... 8 2 Forschungsstand............................................................................... 11 2.1 Kulturelle Rahmenbetrachtungen ................................................. 11 2.1.1 Definition und Dimensionen von Kultur ............................... 11 2.1.2 Kulturdimensionen nach Hofstede ........................................ 15 2.1.3 Analyse der chinesischen Kultur nach Hofstede ................... 21 2.2 Berufsbildung in der VR China .................................................... 29 2.2.1 Historische Entwicklung der chinesischen Berufsbildung .... 29 2.2.2 Das gegenwärtige chinesische (Berufs-)Bildungssystem ...... 33 2.2.3 Das gesellschaftliche Ansehen der (Berufs-)Bildung............ 40 2.2.4 Aktuelle Herausforderungen der beruflichen Bildung in China ..................................................................................... 43 2.3 Deutsches Unternehmertum in China ........................................... 47 2.3.1 Deutsch-Chinesische Wirtschaftsbeziehungen...................... 47 2.3.2 Qualifizierungspraktiken deutscher Unternehmen in China . 50

VIII

Inhaltsverzeichnis

Theoretischer Bezugsrahmen ............................................................... 57 3 Tätigkeitstheorie............................................................................... 57 3.1 Die erste Generation nach Vygotskij ............................................ 59 3.2 Die zweite Generation nach Leont’ev ........................................... 61 3.3 Die dritte Generation nach Engeström .......................................... 63 3.4 Interaktion von Tätigkeitssystemen .............................................. 66 3.4.1 Boundary Crossing ................................................................ 67 3.4.2 Boundary Objects .................................................................. 68 3.5 Anwendung auf den Untersuchungsgegenstand ........................... 70 Empirische Untersuchung .................................................................... 75 4 Fallstudien in zwei Produktionsunternehmen ............................... 75 4.1 Fallstudienforschung ..................................................................... 75 4.1.1 Bedeutung und Ziel von Fallstudienforschung ..................... 76 4.1.2 Ablauf von Fallstudienforschung .......................................... 78 4.1.3 Fallauswahl ........................................................................... 84 4.2 Untersuchungsfeld Taicang, China ............................................... 86 4.3 Herausforderungen für die Datenerhebung in China .................... 88 4.4 Vorstellung der Fallunternehmen.................................................. 91 4.4.1 Krones Machinery (Taicang) Co., Ltd. ................................. 92 4.4.2 Kern-Liebers (Taicang) Co., Ltd ........................................... 95 4.4.3 Zusammenfassung der Fallunternehmen ............................... 99 4.5 Untersuchungsdesign .................................................................. 103 4.5.1 Präzisierung des Leitfadens und der Fallauswahl ............... 103 4.5.2 Methoden der Datenerhebung ............................................. 105 4.5.3 Vorstellung der Interviewprobanden ................................... 112 4.5.4 Methodik und Vorgehen der Datenauswertung ................... 112

Inhaltsverzeichnis

IX

4.6 Ergebnisse der Fallstudie Krones ................................................ 125 4.6.1 Landesspezifische Unternehmensführung und Herausforderungen .............................................................. 125 4.6.2 Rekrutierung ........................................................................ 132 4.6.3 Qualifizierung/Training ....................................................... 134 4.6.4 Personalentwicklung ........................................................... 139 4.6.5 Kooperationen ..................................................................... 144 4.6.6 Commitment ........................................................................ 148 4.7 Ergebnisse der Fallstudie Kern-Liebers ...................................... 153 4.7.1 Landesspezifische Unternehmensführung und Herausforderungen .............................................................. 153 4.7.2 Rekrutierung ........................................................................ 159 4.7.3 Qualifizierung/Training ....................................................... 162 4.7.4 Personalentwicklung ........................................................... 167 4.7.5 Kooperationen ..................................................................... 171 4.7.6 Commitment ........................................................................ 178 4.8 Zusammenfassung der empirischen Ergebnisse.......................... 185 Diskussion ............................................................................................ 203 5 Erkenntnisdiskussion ..................................................................... 203 5.1 Rekrutierung ............................................................................... 204 5.1.1 Krones ................................................................................. 204 5.1.2 Kern-Liebers........................................................................ 207 5.1.3 Zusammenfassung und Interpretation ................................. 210 5.2 Qualifizierung/Training .............................................................. 213 5.2.1 Krones ................................................................................. 213 5.2.2 Kern-Liebers........................................................................ 216

X

Inhaltsverzeichnis

5.2.3 Zusammenfassung und Interpretation ................................. 218 5.3 Personalentwicklung ................................................................... 220 5.3.1 Krones ................................................................................. 220 5.3.2 Kern-Liebers........................................................................ 222 5.3.3 Zusammenfassung und Interpretation ................................. 224 5.4 Schulkooperation ........................................................................ 226 5.4.1 Krones ................................................................................. 226 5.4.2 Kern-Liebers........................................................................ 229 5.4.3 Zusammenfassung und Interpretation ................................. 233 5.5 Hochschulkooperation ................................................................ 237 5.5.1 Krones ................................................................................. 237 5.5.2 Kern-Liebers........................................................................ 241 5.5.3 Zusammenfassung und Interpretation ................................. 246 5.6 Commitment ............................................................................... 250 5.6.1 Krones ................................................................................. 250 5.6.2 Kern-Liebers........................................................................ 253 5.6.3 Zusammenfassung und Interpretation ................................. 255 Schlussbetrachtung ............................................................................. 259 6 Fazit und Ausblick ......................................................................... 259 6.1 Reflexion des Forschungsprozesses ............................................ 259 6.2 Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse ....................... 263 6.3 Schlussfolgerungen und Ausblick ............................................... 271 Literaturverzeichnis ............................................................................ 275 Anhang ................................................................................................. 295 Interviewleitfaden........................................................................ 295 Auswertungsschemata ................................................................ 298

Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Abbildung 2: Abbildung 3: Abbildung 4: Abbildung 5: Abbildung 6: Abbildung 7: Abbildung 8: Abbildung 9: Abbildung 10: Abbildung 11: Abbildung 12: Abbildung 13: Abbildung 14: Abbildung 15: Abbildung 16: Abbildung 17: Abbildung 18: Abbildung 19:

Produktion von Automobilen in China ............................ 2 Spannungsfeld von Herausforderungen deutscher Unternehmen in China. .................................................... 6 Ausprägung der Kulturdimensionen für China und Deutschland ................................................................... 22 Chinas Schulsystem ....................................................... 36 Reiz-Reaktions-Kette nach Pawlow .............................. 59 Modell der Vermittlung nach Vigotskij ......................... 59 Triade von Subjekt, Gegenstand und vermittelndem Artefakt .......................................................................... 60 Tätigkeitssystem. ........................................................... 64 Tätigkeitssysteme. ......................................................... 66 Vertikale Verknüpfung zentraler und erfüllender Tätigkeiten ..................................................................... 71 Zentrale Tätigkeit Rekrutierung in der Fallstudie Krones.......................................................................... 205 Zentrale Tätigkeit Rekrutierung in der Fallstudie Kern-Liebers. ............................................................... 208 Zentrale Tätigkeit Qualifizierung/Training in der Fallstudie Krones. ........................................................ 213 Zentrale Tätigkeit Qualifizierung/Training in der Fallstudie Kern-Liebers. .............................................. 216 Zentrale Tätigkeit Personalentwicklung in der Fallstudie Krones. ........................................................ 221 Zentrale Tätigkeit Personalentwicklung in der Fallstudie Kern-Liebers. .............................................. 223 Schulkooperation als Boundary Object, Fallstudie Krones. ........................................................ 228 Schulkooperation als Boundary Object, Fallstudie Kern-Liebers ............................................... 231 Promotoren und Profiteure von Kooperationsstrukturen ..................................................................... 235

XII

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 20: Hochschulkooperation als Boundary Object, Fallstudie Krones. ........................................................ 239 Abbildung 21: Hochschulkooperation als Boundary Object, Fallstudie Kern-Liebers ............................................... 244 Abbildung 22: Zentrale Tätigkeit Commitment in der Fallstudie Krones.......................................................................... 251 Abbildung 23: Zentrale Tätigkeit Commitment in der Fallstudie Kern-Liebers. ............................................................... 253

Tabellenverzeichnis Tabelle 1: Tabelle 2: Tabelle 3: Tabelle 4: Tabelle 5: Tabelle 6: Tabelle 7: Tabelle 8: Tabelle 9: Tabelle 10: Tabelle 11: Tabelle 12: Tabelle 13: Tabelle 14: Tabelle 15:

Veränderte Definitionen von Kultur. .................................. 12 Konzept der Makrostruktur der Tätigkeit nach Leont'ev .... 63 Grenzobjekte. ...................................................................... 68 Idealer Ablauf einer Fallstudienforschung ......................... 79 Strategien zur Fallauswahl. ................................................. 81 Kriterien der Fallauswahl. .................................................. 86 Gegenüberstellung empirisch untersuchter Fallunternehmen ............................................................... 100 Interviewleitfaden. ............................................................ 107 Vorstellung der Interviewprobanden. ............................... 112 exemplarischer Auszug der erstellten Auswertungs-Maske ......................................................... 121 Exemplarischer Auszug aus dem Fallvergleich. ............... 123 Struktur des Krones-internen Ausbildungsprogramms. .... 142 Struktur der Hochschulkooperation. ................................. 177 Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse............. 185 Handlungsempfehlung. ..................................................... 267

Abkürzungsverzeichnis AHK ........................................................................Außenhandelskammer CDIBB ........................... Chinesisch-Deutsches Institut für Berufsbildung CEO ...................................................................... Chief Executive Officer COO ..................................................................... Chief Operating Officer CVS ..................................................................The Chinese Value Survey DL .......................................................................................... Deutschland GCD ...................................... German Company Directory Greater China HR ................................................................................. Human Resources HRM .......................................................... Human Resource Management LCS ............................................................... Life-Cycle-Service Business MA ................................................................................ Mitarbeiter/-innen MoE ......................................................................... Ministry of Education MoHRSS ...................... Ministry of Human Resource and Social Security OSTA .............................................. Occupational Skill Testing Authority SIP .......................................................................... Suzhou Industrial Park TRT .......................................................................... Taicang Round Table VET .................................................... Vocational Education and Training VR ........................................................................................Volksrepublik

Forschungsinteresse und Forschungsstand 1 1.1

Einleitung Problemstellung

Seit dem Beginn der Reform- und Öffnungspolitik im Jahre 1978 galt China aufgrund reichlich vorhandener, gering qualifizierter Arbeitskräfte als Zielland für die Produktion von technologisch einfachen, aber arbeitsintensiven Gütern (Bickenbach & Liu, 2011). Diese Gegebenheiten haben international agierende Unternehmen kontinuierlich angezogen, weshalb China lange Zeit als „verlängerte Werkbank der Welt“ (Schwägermann 2016, S. 166) betrachtet wurde. Auch deutsche Unternehmen expandieren seit jeher in großer Anzahl nach China, um dort ihre Produktionsstätten zu errichten. Grund dafür sind mittlerweile allerdings nicht mehr die niedrigen Löhne im Gastland, sondern der mit der Errichtung einer chinesischen Auslandsniederlassung einhergehende Zugang zu asiatischen Märkten. Die Kaufkraft durch chinesische Kunden ist in den vergangenen Jahren drastisch angestiegen, wodurch viele international agierende Unternehmen China als zukunftsträchtigsten Markt identifiziert und infolgedessen den Auf- und Ausbau ihrer Produktionsstätten in China fokussiert haben (Bickenbach & Wan-Hsin, 2011). Beispielhaft verdeutlicht werden kann die enorme Entwicklung der chinesischen Absatzstärke am Beispiel der Fahrzeugindustrie. Abbildung 1 visualisiert die Entwicklung der Produktion von Automobilen in China von 2005 bis 2017 und verdeutlicht damit, welch immense Steigerung von Stückzahlen an Fahrzeugkomponenten für die Fahrzeugindustrie die jeweiligen Zulieferer in der letzten Dekade zu bewerkstelligen hatten. Während im Jahr 2005 noch 5,7 Millionen Automobile in China produziert wurden, waren es im Jahr 2017

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 L. Holle, Personalstrategische Maßnahmen von deutschen Unternehmen in China, Internationale Berufsbildungsforschung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26219-8_1

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Einleitung

Abbildung 1: Produktion von Automobilen in China von 2005 bis 2018 (in Millionen Stück). Quelle: Statista, 2018.

bereits 29,0 Millionen (Statista, 2018). Das entspricht einer Steigerung von über 400% in den vergangenen zwölf Jahren. Allerdings hat sich nicht nur die Anzahl der Fahrzeuge im Land drastisch erhöht, sondern Vertreter/-innen der Automobilindustrie berichten zudem auch, dass sie in China inzwischen dieselben Modelle bauen, die auch in Deutschland produziert werden (Jäger & Rempel, 2013). Damit geht auch ein gewisser Qualitätsanspruch einher, der nur dann erreicht werden kann, wenn auch die Fachkräfte über vergleichbare fachliche Fähigkeiten und Fertigkeiten wie deutsche Ingenieure und Facharbeiter/-innen der Produktion verfügen. China hat seinen Posten als verlängerte Werkbank der Welt verlassen und befindet sich auf dem Wege der Transformation zu einer Innovationsmacht. Erklärtes Ziel der politischen Führung des Lan-

Problemstellung

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des ist die „eigenständige Innovation“, der im Rahmen des Programms zur Entwicklung von Wissenschaft und Technologie (20062020) eine zentrale Rolle zugewiesen wurde (Schüller & SchülerZhou). Deshalb wird sich der Fokus der chinesischen Wirtschaft und Industrie zukünftig immer weniger auf die Produktion von technologisch einfachen und arbeitsintensiven Komponenten richten. Vielmehr werden technologieintensive Produkte in den Fokus rücken, welche durch politische Maßnahmen der chinesischen Regierung stark gefördert werden (Bickenbach & Wan-Hsin, 2011). Die Berufliche Bildung legt dabei neben der universitären Ausbildung den Grundstein, um die gefragten Qualifikationsprofile von Fachkräften der Produktion auf dem Arbeitsmarkt zu erfüllen. Allerdings wurde das berufliche Schulwesen in China, dessen Hoheit beim Staat China begründet liegt, lange Zeit vernachlässigt. Inzwischen rückt es jedoch zunehmend in den Fokus und durchläuft gegenwärtig einen Modernisierungsprozess, da erkannt wurde, dass das berufliche Bildungswesen die Grundlage einerseits für qualitativ hochwertige Industriearbeit darstellt und dass andererseits der Vorsprung westlicher Länder im technologischen Bereich auf die jeweiligen beruflichen Bildungsstrukturen zurückgeführt werden kann (Jäger & Rempel, 2013). Das deutsche duale System der Berufsausbildung dient dabei aus vielerlei Perspektive als Vorbild für China. Allerdings fehlen hierzu entscheidende Facetten, darunter bspw. Kooperationsstrukturen mit Unternehmen, weshalb die Dualität der Lernorte hinsichtlich einer Trennung von Theorie- und Praxisunterricht mit entsprechenden Lehrmaterialien nicht verfolgt werden kann. Eine große Herausforderung besteht darin, chinesische Unternehmen dahin gehend zu sensibilisieren, weshalb sie in die Aus- und Weiterbildung ihrer Fachkräfte investieren sollten. Denn zum einen wird in China im Allgemeinen die Meinung vertreten, dass Produktionsarbeiter/-innen lediglich die Arbeitsschritte ausführen können müssen, die sie

4

Einleitung

für ihren jeweiligen Arbeitsplatz benötigen, und zum anderen befürchten die Unternehmen, dass durch Aus- und Weiterbildungen in erster Linie nur Kosten entstehen und zudem auch die Gehaltserwartungen der Mitarbeiter/-innen steigen. Kommen sie diesen Erwartungen nicht nach, droht Fluktuation oder Abwerbung durch andere Unternehmen (Hefele, Reifeld & Sturm, 2012). Trotz dieser Ausgangslage ist es deutschen Unternehmen, insbesondere mittelständischen Unternehmen, seit dem Beginn der Reformund Öffnungspolitik zunehmend gelungen, chinesische Niederlassungen in China nicht nur zu etablieren, sondern zunehmend auch zu lokalisieren. Dabei ist deutlich zu machen, dass sich die Kriterien der Definition von mittelständischen Unternehmen in der VR China grundlegend von denen in Deutschland bzw. Europa unterscheiden. So legt die aktuelle KMU-Definition als Schwellenwerte für deutsche mittelständische Unternehmen eine Beschäftigtenzahl von 50 bis 499 Mitarbeitern/-innen und einen Jahresumsatz von max. 50 Mio. Euro fest (Welter, Levering, May-Strobl, 2016). In der VR China werden hingegen für die Definition mittelständischer Unternehmen nicht nur die Anzahl der Mitarbeiter/-innen und der Jahresumsatz berücksichtigt, sondern auch die Bilanzsumme. Darüber hinaus gelten sie nicht einheitlich für Unternehmen aller Sektoren, sondern unterliegen auch hier Unterscheidungen. Für Industrieunternehmen gelten folgende Mindest- und Höchstgrenzen je Kategorie: (1) Anzahl Mitarbeiter/-innen: 300 – 2000, (2) Jahresumsatz in Mio. RMB: 30 – 300, (3) Bilanzsumme in Mio. RMB: 40 – 400 (Schulz, 2009). Dabei meint Lokalisierung, dass alle Unternehmensbereiche durch Mitarbeiter/-innen des Gastlands bewerkstelligt werden, die in China nicht nur rekrutiert, sondern auch qualifiziert wurden. Qualifizierte Mitarbeiter/-innen mit produktionsadäquaten Berufsqualifikationen stellen insbesondere in Industrieparks international agierender Unternehmen, wie sie an der Ostküste Chinas in der Nähe der Ballungszentren Shanghai oder Peking vorzufinden sind, ein knappes Gut

Problemstellung

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dar, weshalb die Gefahr der Abwerbung droht. Aus diesem Grund sind auch Erkenntnisse darüber, wie es den deutschen Unternehmen gelingt, Mitarbeiter/-innen, die entsprechend qualifiziert wurden, im Unternehmen zu halten, von besonderem Interesse. Allerdings liegen kaum wissenschaftliche Arbeiten vor, welche die Rekrutierungs-, Qualifizierungs- und Bindungspraktiken deutscher Unternehmen in China thematisieren. Es sind lediglich einige wenige Publikationen zu nennen, darunter im Bereich des internationalen Personalmanagements die Forschungsarbeiten von Li und Sheldon (2013), die eine quantitativ angelegte Untersuchung zur Ergründung von Betroffenheit, Ursache und Bewältigungsstrategien hinsichtlich des Fachkräftemangels unter Berücksichtigung der lokalen Arbeitsmarktstrukturen durchführten. Außerdem ist die Untersuchung von Schamp und Stamm (2012) anzuführen, die das Wissensund Personalmanagement von drei deutschen international agierenden Unternehmen des Automobilsektors fokussiert. Weiterhin liefert im Bereich der Berufsbildungswissenschaften die international vergleichend angesetzte Untersuchung von van der Burgt et al. (2014) Erkenntnisse darüber, wie international agierende Unternehmen, insbesondere deutsche Unternehmen, die Qualifizierung ihrer Facharbeiter im Gastland realisieren, um diese produktionsadäquat auf Shopfloorebene einsetzen zu können. Die Forscher/-innen berichten unter anderem von der partiellen Existenz von dual ausgerichteten Kooperationsstrukturen als „autarke Insellösungen“ (van der Burgt et al., 2014, S. 154), die durch deutsche Unternehmen in China finanziert und ohne Einbezug der staatlichen Ebene umgesetzt werden. Die Untersuchung von van der Burgt et al. (ebd.) stellt eine entscheidende Grundlage für das vorliegende Forschungsvorhaben dar, in dessen Rahmen das konkrete Qualifizierungsverhalten deutscher Unternehmen an ihren chinesischen Standorten mittels einer qualitativen Herangehensweise untersucht werden soll. Diesem For-

6

Einleitung

schungsgegenstand wurde in der berufswissenschaftlichen Forschung bisher nicht genügend Interesse gewährt, weshalb die vorliegende Dissertation diese Forschungslücke überwinden möchte. 1.2

Forschungsziel und Erkenntnisinteresse dieser Arbeit

Anknüpfend an die erläuterte Problemstellung, bleibt die Frage offen, wie deutsche Unternehmen sich in China konkret den Zugang zu entsprechend qualifiziertem Fachpersonal im Gastland sichern. Denn Erkenntnisse darüber, wie international agierende deutsche Unternehmen die Qualifizierung ihrer Facharbeiter/-innen im Gastland China realisieren, um diese produktionsadäquat auf Shopfloorebene einsetzen zu können, sind kaum in der wissenschaftlichen Literatur vorzufinden. Die Herausforderungen, denen sich deutsche Unternehmen, die in China agieren, gegenübersehen, bewegen sich in einem Spannungsfeld, welches in Abbildung 2 visualisiert ist.

Abbildung 2: Spannungsfeld von Herausforderungen deutscher Unternehmen in China. Eigene Darstellung.

Weiterhin soll untersucht werden, inwiefern eine Anpassung von Rekrutierungs-, Qualifizierungs- und Bindungsmaßnahmen an die jeweiligen landesspezifischen Konventionen erfolgt oder ggf. sogar entsprechende Maßnahmen von chinesischen Unternehmen adaptiert werden. Vor diesem Hintergrund lauten die forschungsleitenden Fragen des Dissertationsvorhabens wie folgt:

Forschungsziel und Erkenntnisinteresse dieser Arbeit

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1. Wie sichern sich deutsche Unternehmen in China den Zugang zu entsprechend qualifiziertem Fachpersonal im Gastland? 2. Inwiefern werden Rekrutierungs-, Qualifizierungs- und Bindungsmaßnahmen an die jeweiligen landesspezifischen Konventionen angepasst und welche Handlungsempfehlungen lassen sich daraus ableiten? 3. Welche Potenziale bietet die kultur-historische Tätigkeitstheorie als Bezugsrahmen, um Rekrutierungs-, Qualifizierungs- und Bindungsstrategien von Unternehmen zu systematisieren? Und worin liegen ihre Grenzen? Die erste Frage bezieht sich auf die vorangegangenen Untersuchungen von Li und Sheldon (2013) und van der Burgt et al. (2014), die von dualen Kooperationen als „autarke Insellösungen“ berichten, die durch deutsche Unternehmen finanziert und ohne Einbezug der staatlichen Ebene umgesetzt werden. Die vorliegende Forschungsarbeit soll die Existenz solcher dualer Kooperationsformen überprüfen und, sofern sie bestätigt werden können, tiefgreifende Erkenntnisse über die konkrete Durchführung dieser „autarken Insellösungen“ liefern. Weiterhin soll untersucht werden, ob sich diese partiellen unternehmensinternen Lösungen seit der Untersuchung in 2014 in ihrer Struktur weiterentwickelt haben und mittlerweile bspw. als flächendeckende Strukturen vorzufinden sind, die zu einer Verbesserung des Qualifikationsniveaus über die Unternehmensgrenzen hinweg einen wertvollen Beitrag leisten. Die zweite Frage bezieht sich auf die Schwierigkeiten, die sich ergeben, wenn ein Unternehmen, das bisher durch die Normen, Handlungen und Wertvorstellungen der deutschen Unternehmenskultur geprägt war, auf die Eigenheiten einer fremden Landeskultur trifft. Die gewohnten Verfahrensweisen und Instrumente hinsichtlich der Rekrutierungs-, Qualifizierungs- und Bindungsmaßnahmen sind un-

8

Einleitung

ter Umständen nicht direkt übertragbar, sondern müssen unter Berücksichtigung der landesspezifischen Konventionen angepasst werden. Ob und inwiefern dies zutreffend ist, soll im Rahmen der vorliegenden Forschungsarbeit herausgestellt werden. Die dritte Frage bezieht sich auf den theoretischen Bezugsrahmen, der angewandt wird, um die empirischen Ergebnisse zu systematisieren. Die Potenziale des Bezugsrahmens sollen ebenso diskutiert werden wie die Grenzen der Vorgehensweise. 1.3

Aufbau der Arbeit

Die Forschungsarbeit lässt sich in sechs Kapitel untergliedern, beginnend mit der Darlegung des Forschungsinteresses und Forschungsgegenstands, in dessen Zuge der Hintergrund der Arbeit aufgespannt und die Problemstellung skizziert werden. Im zweiten Kapitel wird der Forschungsstand aufgezeigt, welcher zunächst in 2.1.1 den Kulturbegriff an sich diskutiert und sodann in 2.1.2 die kulturelle Rahmenbetrachtung nach Hofstede et al. (2010) erörtert. Da im Fokus der Untersuchung chinesische Niederlassungen deutscher Unternehmen stehen, erfolgt in 2.1.3 eine vergleichende Darstellung der unterschiedlichen kulturellen Ausprägungen der beiden Länder. Dies erfolgt, da davon auszugehen ist, dass die Unternehmenskulturen von Normen, Handlungen und Wertvorstellungen der deutschen Unternehmenskulturen geprägt sind, die bei der Unternehmensführung im Gastland China auf die Eigenheiten einer fremden Landeskultur treffen. Mittels der Einordnung und Gegenüberstellung der beiden Kulturen, die im Fokus der vorliegenden Arbeit stehen, soll die Unterschiedlichkeit der Kontexte aufgezeigt werden, die bei der Verlagerung von Produktionsstätten in das Gastland aufeinandertreffen. In 2.2 folgt die Darlegung des chinesischen Berufsbildungssystems. Hierzu wird zunächst in 2.2.1 die historische Entwicklung aufzeigt. Die Darstellung des gegenwärtigen Bil-

Aufbau der Arbeit

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dungssystems, und zwar sowohl des beruflichen als auch des allgemeinen, folgt in 2.2.2. Da das gesellschaftliche Ansehen der Berufsbildung einen entscheidenden Einfluss auf die Situation des Fachkräftemangels im Untersuchungsfeld ausübt, thematisiert 2.2.3 diese besonderen Gegebenheiten, bevor 2.2.4 die aktuelle Herausforderung der beruflichen Bildung in China zusammenfasst. Das dritte Kapitel stellt den theoretischen Bezugsrahmen dieser Forschungsarbeit vor, nämlich die kultur-historische Tätigkeitstheorie nach Engeström (1987, 2001, 2008). Dabei wird in 3.1 - 3.3 zunächst die Entwicklungsgeschichte über die drei Generationen hinweg aufgezeigt und anschließend die Möglichkeiten der Verknüpfung von einzelnen, miteinander interagierenden Tätigkeitssystemen in 3.4 behandelt. Das vierte Kapitel widmet sich der empirischen Untersuchung, beginnend mit einer Darlegung des methodischen Ansatzes der Fallstudienforschung in 4.1. Weiterhin werden die Auswahl des Untersuchungsfeldes, welches ein chinesischer Industriepark mit einer hohen Dichte deutscher Unternehmen ist, sowie die Charakterisierung des Industrieparks in 4.2 skizziert und in 4.3 die besondere Herausforderung für die Datenerhebung in China thematisiert. Die Datenerhebung, welche die Grundlage des empirischen Erkenntnisgewinns darstellt, fand in zwei produzierenden deutschen Unternehmen im Industriepark Taicang statt. Die Vorstellung der jeweiligen Fallunternehmen, und zwar inklusive ihrer Kontrastierung und der Herausstellung gemeinsamer Herausforderungen, denen sie sich gegenübersehen, werden in 4.4 angeführt. Im darauf folgenden Kapitel 4.5 wird sodann das Untersuchungsdesign erläutert, einschließlich der Herangehensweise der Fallauswahl in 4.5.1 und den angewandten Methoden der Datenerhebung in 4.5.2. Die Vorstellung der Interviewprobanden erfolgt in 4.5.3. Schließlich erläutert 4.5.4 die Methodik und das Vorgehen der Datenauswertung, die der Methodik zur Auswertung von leitfadenorientierten Experten/-inneninterviews nach Meuser und Nagel (1991) folgt. Die Untersuchungsergebnisse

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Einleitung

der empirischen Erhebung in beiden Produktionsunternehmen werden gesondert für beide Fallstudien in 4.6 und 4.7 ausführlich erörtert und anschließend in 4.8 übersichtlich einander gegenübergestellt. Kapitel fünf diskutiert die zuvor aufgezeigten empirischen Untersuchungsergebnisse, und zwar anhand des Modells der kultur-historischen Tätigkeitstheorie nach Engeström. Dabei fokussieren sich die einzelnen Unterkapitel auf die Beantwortung der Frage, wie deutsche Unternehmen in China den Zugang zu entsprechend qualifiziertem Fachpersonal im Gastland sichern, sowie der Frage, inwiefern Rekrutierungs-, Qualifizierungs- und Bindungsmaßnahmen an die jeweiligen landesspezifischen Konventionen angepasst werden. Im abschließenden sechsten Kapitel werden die Ergebnisse zusammengefasst, die empirisch gewonnenen Erkenntnisse unter Beantwortung der forschungsleitenden Fragestellungen resümiert und der weitere Forschungsbedarf aufgezeigt. Auch eine kritische Reflexion der Forschungsmethoden und des Forschungsprozesses ist Inhalt des abschließenden Kapitels

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Forschungsstand

2.1 Kulturelle Rahmenbetrachtungen 2.1.1 Definition und Dimensionen von Kultur Ausgehend von der Kulturforschung, sind für den Begriff „Kultur“ unterschiedliche Definitionen mit vielfältigen Bedeutungsinhalten zu verzeichnen. Allein zur Mitte des 19. Jahrhunderts existierten bereits an die 160 unterschiedlichen Definitionen von Kultur, die von Kroeber und Kluckhohn (1952) zusammengetragen und analysiert wurden. Kluckhohn selbst definiert Kultur wie folgt: Culture consists in patterned ways of thinking, feeling and reacting, acquired and transmitted mainly by symbols, constituting the distinctive achievements of human groups, including their embodiments in artifacts; the essential core of culture consists of traditional (ie. Historically derived and selected) ideas and especially their attached values. (1951, S. 86)

Viele nach 1952 geprägte Begriffsverständnisse von Kultur knüpfen an diese Definition an. Allen ist die grundsätzliche Einteilung in Definitionen gemein, zum einen in solche, denen ein integrierendes Kulturverständnis zugrunde liegt, und zum anderen in solche, die Kultur differenziert betrachten. Erstere Gruppe sieht Kultur als eine Zusammensetzung von Werten, die von einer bestimmten Gruppe geteilt werden und zu einer Gemeinschaft führen. Zweitere Gruppe führt das Entstehen von Kultur auf unterschiedliche Subkulturen zurück, die aufgrund unterschiedlichen Drucks aus der Umwelt der Gemeinschaft entstehen (Martin & Frost, 1996; Prasad & Prasad, 2009; Zuber, 2013). Tabelle 1 vermittelt einen chronologischen Überblick über die unterschiedliche Begriffsverständnisse von Kultur:

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Forschungsstand

Tabelle 1: Veränderte Definitionen von Kultur. Begründer Burckhardt (1868-1873, S. 27) Tylor (1873, S. 1)

Definition von Kultur „Kultur nennen wir die ganze Summe derjenigen Entwicklungen des Geistes, welche spontan geschehen und keine universale oder Zwangsgeltung in Anspruch nehmen.“ „Cultur oder Civilisation im weitesten ethnographischen Sinne ist jener Inbegriff von Wissen, Glauben, Kunst, Moral, Gesetz, Sitte und allen übrigen Fähigkeiten und Gewohnheiten, welche der Mensch als Glied der Gesellschaft sich angeeignet hat.“ Kluckhohn “Culture consists in patterned ways of thinking, feeling and react(1951, S. 86) ing, acquired and transmitted mainly by symbols, constituting the distinctive achievements of human groups, including their embodiments in artifacts; the essential core of culture consists of traditional (ie. Historically derived and selected) ideas and especially their attached values.” Pettigrew “Culture is a system of publicly and collectively accepted mean(1979, S. 574) ings operating for a given group at a given time.” Schein „The pattern of basic assumptions that a given group has in(1983, S. 14) vented, discovered, or developed in learning to cope with its problems of external adaptation and internal integration, and that have worked well enough to be considered valid and, therefore, to be taught to new members as the correct way to perceive, think and feel in relation to those problems.” Boyd und Culture is “the transmission from one generation to the next, via Richerson teaching and imitation, of knowledge, values, and other factors (1985, S. 2) that influence behavior.” Martin „Culture is not unitary, it is a nexus where environmental influ(1992, S. 114) ences intersect, creating a nested, overlapping set of sub-cultures with a permeable organizational boundary.” Geertz “Culture denotes an historically transmitted pattern of meanings (1993, S. 89) embodied in symbols, a system of inherited conceptions expressed in symbolic forms by means of which men communicate, perpetuate, and develop their knowledge about and attitudes towards life.”

Kulturelle Rahmenbetrachtungen

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Thomas „Kultur ist ein universelles, für eine Gesellschaft, Organisation (1993, S. 380) und Gruppe aber sehr typisches Orientierungssystem. Dieses Orientierungssystem wird aus spezifischen Symbolen gebildet und in der jeweiligen Gesellschaft usw. tradiert. Es beeinflusst das Wahrnehmen, Denken, Werten und Handeln aller ihrer Mitglieder und definiert somit deren Zugehörigkeit zur Gesellschaft. Kultur als Orientierungssystem strukturiert ein für die sich der Gesellschaft zugehörig fühlenden Individuen spezifisches Handlungsfeld und schafft damit die Voraussetzungen zur Entwicklung eigenständiger Formen der Umweltbewältigung.“ Trompenaars Culture is “the way in which a group of people solves problems und Hampden- and reconciles dilemmas.” Turner (1993, S. 6) Inglehart By “culture, we refer to the subjective aspect of a society’s insti(1997, S. 15) tutions: the beliefs, values, knowledge, and skills that have been internalized by the people of a given society, complementing their external systems of coercion and exchange.” Hofstede Culture is „the collective programming of the mind that distinet al. guished the members of one group or category of people from (2001, S. 9) other.“ Lowe Culture is an „organization of meanings that emerge from the pro(2003, S. 17) cess of interaction among the society’s members, with information relating of carrying meaning.” House et al. „Culture is defined as shared motives, values, beliefs, identities, (2004, S. 15) and interpretations or meanings of significant events that result from common experiences of members of collectives that are transmitted across generations.“ Herrmann-Pil- Culture “refers to cognitive reflections of this emergent pattern as lath compared to perceived patterns across a set of different societies, (2005, S. 4) and which are shared by a majority of observers. This implies that culture is a multi-level phenomenon and inheres processes of observation and reflection.”

Die in Tabelle 1 aufgelisteten Begriffsbestimmungen verdeutlichen, dass die unterschiedlichen Auffassungen von Kultur nicht zu vereinheitlichen sind. Zudem zeichnet sich der Kulturbegriff nicht nur durch seine Heterogenität, sondern auch durch seinen dynamischen

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Forschungsstand

Charakter aus. Kultur ist nicht statisch, sondern wird immer wieder dann neu definiert, wenn verschiedene Subkulturen zusammentreffen. Folglich ist Kultur als wandlungsfähig und beeinflussbar zu betrachten (Martin & Frost, 1996; Prasad & Prasad, 2009; Zuber, 2013). Die inhaltlichen Eigenschaften einer Kultur orientieren sich je nach dem Ansatz überwiegend an Symbolen und symbolischen Formen (bspw. Geertz, 1993 oder Kluckhohn, 1951) sowie an Werten (bspw. House et al., 2004 oder Hofstede et al., 2001). Diejenigen Ansätze, die sich an Werten orientieren, wurden von Jong (2013) auf ihre Gemeinsamkeiten hin untersucht. Er fasst sie wie folgt zusammen: “(1) values are essential, (2) they refer to a group, (3) they refer to a trend or pattern, and (4) the cultural elements are humanly devised aspects that are transmitted from generation to generation” (Jong, 2013, S. 7). Die Bedeutung von Werten und Verhaltensweisen kultureller Gruppen lassen sich auch auf den unternehmerischen Kontext übertragen. So sind erste konkrete kulturelle Fragestellungen hinsichtlich unternehmerischen Handelns auf das Werk „The changing culture of a factory“ von Jacques (1951) zurückführen, welches den Einfluss von Kultur auf Unternehmens- und Personalentwicklungsstrategien thematisiert. Die vorliegende Forschungsarbeit knüpft an diese Diskussion an, indem sie Antworten darauf liefert, welchen Einfluss die Kultur des Gastlandes auf international agierende Unternehmen hinsichtlich der Rekrutierung, Qualifizierung und Bindung von Gastlandarbeitern/-innen nimmt. Für die Berücksichtigung der Unternehmens- und Landeskultur lehnt sich das Forschungsprojekt in dieser Untersuchung an die Kulturdefinition von Herrmann-Pillath (2005) an, der Kultur als dynamisches Netzwerk betrachtet, welches durch mehrere Elemente beeinflusst wird. Zu diesen Elementen gehören

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bspw. das politische System, geografische Besonderheiten und familiäre Strukturen. Veränderungen in den einzelnen Elementen bringen folglich auch Veränderungen in der Landeskultur mit sich. Neben unterschiedlichen Definitionen sind auch unterschiedliche Dimensionen von Kultur zu verzeichnen. Als Kulturdimensionen sind konzeptionelle Kategorien oder Themen zu verstehen, die für alle Kulturen dieser Welt relevant sind und so die Möglichkeit eröffnen, die Ausprägung einer spezifischen Kultur zu beschreiben. Folglich lassen sich alle Kulturen einer Konzeption von Kulturdimension zuordnen, wodurch Unterschiede und Gemeinsamkeiten einzelner Kulturen sichtbar werden. Es existieren unterschiedliche Konzepte von Kulturdimensionen, die sich inhaltlich überschneiden oder ergänzen (Reimann, 2005). Maßgebende Konzepte von Kulturdimensionen sind die von Hall und Hall (1990), Trompenaars (1993), House et al. (2004), Schwartz (2006) und Hofstede et al. (2010). Die vorliegende Forschungsarbeit orientiert sich an den Kulturdimensionen von Hofstede (Hofstede & Hofstede, 2005; Hofstede et al., 2010). Dies ist darin begründet, dass Hofstedes Konzeption zum einen langjährige Anwendung in der Literatur zu Chinas Nationalkultur findet und zum anderen die Unternehmensebene umfasst, welche auch für die vorliegende Arbeit von Bedeutung ist. Die Kulturdimensionen nach Hofstede (2010) werden im Folgenden beschrieben und kritisch gewürdigt. 2.1.2

Kulturdimensionen nach Hofstede

Die kulturvergleichende Studie von Hofstede (1980), in der kulturelle Wertorientierungen von über 60 verschiedenen Nationen analysiert wurden, gilt als die bekannteste und meistzitierte Konzeption zum Kulturvergleich (Birnbaum-More, Wong & Olve, 1995; Li, 2017b; Newman & Nollen, 2003; Reimann, 2005). Mit der Studie wurde das Ziel verfolgt, Dimensionen zur Klassifizierung von Kulturen bzw. Nationen abzuleiten und weiterhin die empirisch erfasste

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Forschungsstand

Varianz zwischen den Kulturen zu beschreiben (Hofstede et al., 2001). Die Untersuchung setzt sich aus zwei Teilstudien zusammen. Für die erste Untersuchung, die in den Jahren von 1960 bis 1970 durchgeführt wurde, wurden insgesamt 116.000 Mitarbeiter/-innen des Unternehmens IBM zu ihren kulturellen Normen, Werten und Handlungen befragt (Hofstede et al., 2001). Die Analyse des umfangreichen Datenmaterials ergab vier Kulturdimensionen, die nach Hofstede von allgemeingültiger Natur sind und damit zur Unterscheidung von Nationen dienen: (1) Machtdistanz, (2) Unsicherheitsvermeidung, (3) Individualismus/Kollektivismus und (4) Maskulinität/Femininität. Diese sollen im Folgenden kurz erläutert werden. Machtdistanz Die Kulturdimension Machtdistanz beschreibt das Ausmaß, inwieweit von Macht geprägte Unterschiede innerhalb einer Gemeinschaft akzeptiert und erwartet werden. Bezogen auf die Unternehmensebene, zeichnen sich Mitarbeiter/-innen von Kulturen, die eine niedrige Machtdistanz aufweisen, dadurch aus, in Prozesse und Entscheidungen partizipativ eingebunden sein zu wollen. Die Ungleichheit zwischen einzelnen Mitarbeitern/-innen und über Hierarchieebenen hinweg soll so gering wie möglich sein. Dies schließt auch Unterschiede in den Gehältern ein. Privilegien und Statussymbole werden missbilligt. Weiterhin sollten Vorgesetzte einen möglichst demokratischen Führungsstil praktizieren. In Kulturen, die eine hohe Machtdistanz aufweisen, werden Ungleichheiten in einer Gemeinschaft erwartet und sind erwünscht. Dies impliziert auch, dass weniger mächtige Menschen von mächtigen Menschen abhängig sind. Auf Unternehmensebene spiegeln sich hohe Machtdistanzen durch steile Hierarchieebenen wider, die auch durch unterschiedliche Gehaltsstufen sichtbar werden. Privilegien und Statussymbole werden erwartet und

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sind populär. Mitarbeiter/-innen handeln wenig eigenständig, sondern erwarten, Anweisungen zu erhalten. Vorgesetzte verstehen sich idealerweise als Vater der Unternehmensgemeinschaft (Hofstede & Hofstede, 2005, S. 57) Unsicherheitsvermeidung Die Kulturdimension der Unsicherheitsvermeidung kann als das Ausmaß definiert werden, inwiefern sich Mitglieder einer Gemeinschaft durch unbekannte und unsichere Situationen bedroht fühlen. Kulturen mit schwacher Unsicherheitsvermeidung betrachten Ungewissheit als normale Erscheinung im Leben, die im Alltag akzeptiert wird. Nicht eindeutige Situationen mit unbekanntem Risiko werden akzeptiert und situativ bewältigt. Emotionen gilt es zu verbergen. Kulturen, die eine starke Unsicherheitsvermeidung aufweisen, betreiben ein hohes Maß an Aktivitäten zur Reduktion von Unsicherheiten und Ungewissheiten, da diese als ständige Bedrohung empfunden werden. Vorausschauende Planung, Präzision und Pünktlichkeit fungieren hierbei als Bewältigungsstrategien (Hofstede & Hofstede, 2005, S. 176). Individualismus/Kollektivismus Diese Dimension beschreibt das Spannungsfeld zwischen den gegensätzlichen Polen Individualismus und Kollektivismus. In einer individualistischen Kultur sorgen Mitglieder einer Gesellschaft in erster Linie für sich selbst sowie für ihre direkten Familienmitglieder. Selbstverwirklichung hat oberste Priorität. Aus unternehmerischer Perspektive ist das Arbeitsverhältnis als Vertrag aufzufassen, der auf gegenseitigen Nutzen gründen soll. Kollektivistisch geprägte Kulturen hingegen betrachten Individuen als Teil einer Gemeinschaft. Als engster Kreis von Gemeinschaft ist meist die Familie zu

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Forschungsstand

betrachten, in die das Individuum hineingeboren wird. Eigene Bedürfnisse sind den Erwartungen und dem Wohl der Familie unterzuordnen. Erfährt ein Individuum Beschämung, so geht diese Empfindung auf die gesamte Gemeinschaft über. Auf Unternehmensebene sind Unternehmen als Gemeinschaft und Mitarbeiter/-innen als Individuen zu betrachten. Auch hier betreffen Managemententscheidungen nicht einzelne Mitarbeiter/-innen, sondern es werden immer Gruppen von Mitarbeitern/-innen angesprochen. Denn einzelne Mitarbeiter/-innen befinden sich in kollektiven Strukturen, ähnlich zu familiären Bindungen, und Beziehungen haben Vorrang vor Tätigkeiten (Hofstede & Hofstede, 2005, S. 92). Maskulinität/Femininität Diese Dimension beschreibt das Spannungsfeld zwischen den gegensätzlichen Polen Maskulinität und Femininität. Dabei ist Maskulinität als Leistungsorientierung und Femininität als Beziehungsorientierung zu verstehen (Hofstede et al., 2010). Maskuline Kulturen streben nach beruflichem und materiellem Erfolg, der durch Ehrgeiz, Zielstrebigkeit und Bestimmtheit erlangt wird. In femininen Kulturen haben hingegen zwischenmenschlich intakte Beziehungen einen hohen Stellenwert. Femininen Kulturen werden Wesenszüge, wie Kompromissbereitschaft, Bescheidenheit und Solidarität, zugeschrieben (Hofstede & Hofstede, 2005, S. 132). Die Untersuchung zur Identifikation von kulturellen Dimensionen wurde zu einem späteren Zeitpunkt um die Betrachtung des asiatischen Raumes erweitert. Anlass dafür war Hofstedes Erkenntnis, dass die erste Untersuchung nur solche Werte erfasste, die in westlichen Teilen der Welt bereits bekannt waren. Den verwendeten Instrumenten wurde daher eine gewisse Voreingenommenheit nachgesagt (Hoft, 1996). 1988 folgte die zweite Teilstudie, an der jeweils 100 Probanden/-innen in 23 asiatischen Ländern beteiligt waren

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(Bond, 1988). Das Forschungsdesign hierzu, „The Chinese Value Survey“ (CVS), wurde von Wissenschaftlern aus Taiwan und Hongkong entwickelt. In dieser zweiten Teilstudie konnten drei der vier bereits erläuterten Kulturdimensionen von Hofstede auch für den asiatischen Raum bestätigt werden. Einzig bei der vierten Dimension „Unsicherheitsvermeidung“ gab es keine vollständige Korrelation zwischen den Dimensionen des CVSs und des IBMs. Hofstede (2010) führt dies auf die Tatsache zurück, dass einer der Indikatoren dieser Dimension, nämlich „Wahrheitsbestrebung“, in der chinesischen Kultur wenig bedeutsam und daher nicht erfassbar sei. Anlässlich dieser Erkenntnis konnte eine neue Dimension aus dem Material abgeleitet werden, die eine Gegenüberstellung verschiedener konfuzianischer Werte abbildet. Diese Dimension wurde zunächst als „Konfuzianische Dynamik“ bezeichnet und anschließend als „Langfrist-/Kurzfristorientierung“ und damit als fünfte Kulturdimension von Hofstede aufgenommen (Hofstede & Hofstede, 2005). Auch diese Dimension soll kurz erläutert werden: Langfrist-/Kurzfristorientierung Diese Kulturdimension beschreibt das Spannungsgefüge zwischen Zukunftsorientierung und Gegenwartsorientierung. Menschen mit hohen Ausprägungen hinsichtlich ihrer Langfristorientierung nehmen in der Gegenwart weniger annehmliche Situationen in Kauf, um langfristig ein Ziel zu erreichen. Sie investieren auf lange Sicht in berufliche und private Beziehungen. Bei der Kurzfristorientierung hingegen hat die Gegenwart größeren Stellenwert als die Zukunft. Investitionen werden bevorzugt mit Aussicht auf schnellen Erfolg und unmittelbar eintretende Wirkung getätigt (Hofstede & Hofstede, 2005, S. 212)

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Forschungsstand

Kritische Würdigung Hofstedes Untersuchung zur Identifikation von kulturellen Dimensionen soll im Folgenden kritisch gewürdigt werden. Hofstedes Untersuchung aus den Jahren 1960 – 1970 ist nicht nur aufgrund ihres Umfangs, sondern auch aufgrund ihrer Erstmaligkeit in besonderem Maße hervorzuheben. Die Studie leistete einen beachtlichen Beitrag zur landesvergleichenden Kulturforschung und gilt bis in die Gegenwart hinein als meistzitierte Literaturquelle im Kulturvergleich. Dennoch werden damals wie heute Kritikpunkte hinsichtlich des Forschungsvorgehens diskutiert. So wurden für die erste Teiluntersuchung ausschließlich Mitarbeiter/-innen eines bestimmten Unternehmens befragt. Daraus resultierte der Vorwurf, dass die Probanden nicht repräsentativ für die jeweilige Nation und die erhobenen Daten durch unternehmerische Einflüsse verfälscht seien (Kutschker, 2011; Scherm & Süß, 2001). Hofstede sieht in seiner Vorgehensweise jedoch entscheidende Vorteile. Gerade deshalb, weil die Probanden/-innen den gleichen Arbeitgeber über alle Nationen hinweg haben, ist auszuschließen, dass sie durch unterschiedliche Unternehmenskulturen beeinflusst werden, weshalb auch die Vergleichbarkeit der Teilstichproben gewährleistet werden kann. Daran knüpft sich jedoch ein zentraler Kritikpunkt an, denn die abgefragten Indikatoren beziehen sich überwiegend auf managementbezogene Verhaltensweisen, die sodann auf generelle Werte und Normen von Menschen bestimmter Nationen impliziert werden. Hieraus resultiert eine Vermischung von Verhaltensweisen in unterschiedlichen Lebensbereichen, die es aus empirisch intendierter Sicht zu vermeiden gilt. Weiterhin bestehen Zweifel, ob sich die Ergebnisse der Studie aus den Jahren 1960 – 1970 auf die Gegenwart übertragen lassen. Allerdings konnten die Ergebnisse in darauf folgenden Untersuchungen bestätigt werden (Bond, 1988; Minkov, 2007). Ein weiterer zentraler Kritikpunkt betrifft die Nichtbeachtung kultureller Unter-

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schiede innerhalb einzelner Länder, denn die erhobenen Daten wurden unmittelbar ganzen Nationen zugeordnet, wodurch die Analysetiefe fehlt. Dennoch bieten die Kulturdimensionen nach Hofstede für den Vergleich einzelner Nationen einen sinnvollen Orientierungsrahmen, der aufgrund seiner Berücksichtigung von Managementaktivitäten über eine reine Einordnung von Ländern anhand bestimmter Kategorien hinausreicht und einen geeigneten Rahmen für die vorliegende Forschungsarbeit eröffnet. 2.1.3 Analyse der chinesischen Kultur nach Hofstede Nachdem die Kulturdimensionen nach Hofstede inklusive ihrer Interpretationsansätze von hohen und niedrigen Ausprägungswerten in Kapitel 2.1.2 dargestellt wurden, soll nun eine Einordnung der chinesischen Kultur in die Dimensionen nach Hofstede erfolgen. Da in der vorliegenden Forschungsarbeit zwei Nationen im Fokus stehen, die bei der Verlagerung von Produktionsstätten in das Gastland aufeinandertreffen, wird stets auch ein Vergleich zu den Ausprägungen Deutschlands angestrebt. So sollen die Gemeinsamkeiten und Unterschiede hinsichtlich der Normen, Werte und Handlungen beider Nationen herausgearbeitet werden. Besonderer Fokus richtet sich dabei auf die Auswirkung ihres Einflusses auf Unternehmen. Abbildung 3 illustriert die unterschiedlichen Ausprägungen der Kulturdimensionen nach Hofstede für China und Deutschland:

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Forschungsstand

Abbildung 3: Ausprägung der Kulturdimensionen für China und Deutschland. Eigene Darstellung, angelehnt an Hofstede, 2005.

Machtdistanz China weist nach Hofstedes Untersuchung einen hohen Machtdistanz-Index-Wert von 80 auf, während der Wert für Deutschland bei 351 liegt und damit als niedrige Ausprägung einzustufen ist. Aufgrund von Chinas hoher Ausprägung von Machtdistanz ist davon auszugehen, dass Führungskräfte in Unternehmen häufig einen autokratischen oder patriarchalischen Führungsstil aufweisen. Zwischen Führungskräften und Geführten herrscht ein großes Ungleichgewicht. Dies wird von Mitarbeitern/-innen als selbstverständlich bewertet und entsprechend erwartet. Das bestehende Ungleichgewicht zwischen Führungskräften und Mitarbeitern/-innen spiegelt sich auch in großen Gehaltsunterschieden wider. Arbeiter haben 1

Den höchsten Wert erreichten Malaysia und die Slowakei mit 104, den niedrigsten Österreich mit 11. China liegt mit 80 auf den Plätzen 12-14 und Deutschland mit 35 auf den Plätzen 63-65 von insgesamt 74.

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häufig ein eher niedriges Bildungsniveau und, verglichen mit geistiger Arbeit, genießt körperliche Arbeit nur ein geringes gesellschaftliches Ansehen. Es ist anzunehmen, dass Anweisungen stets von Führungskräften erfolgen und von Mitarbeitern/-innen nicht hinterfragt, sondern ausgeführt werden. Chinesische Mitarbeiter/-innen sind nicht in Entscheidungsprozesse involviert und erwarten auch nicht, diese Möglichkeit zu bekommen (Thomas & Stumpf, 2003). Der Austausch zwischen Führungskräften und Mitarbeitern/-innen ist von den Führungskräften zu initiieren. Deutschland weist hingegen einen niedrigen Machtdistanz-IndexWert von 35 auf. Niedrige Machtdistanzwerte sprechen dafür, dass sich in Deutschland Führungskräfte und Geführte eher auf Augenhöhe begegnen. Hierarchieebenen und Funktionen sind weniger als statisch zu betrachten, sondern können je nach Aufgabengebiet angepasst werden. Organisationen sind eher dezentral und mit flachen Hierarchieebenen ausgestaltet. Facharbeiter/-innen weisen oftmals ein hohes Qualifikationsniveau auf und fachlich anspruchsvolle körperliche Arbeit hat ein höheres Ansehen als ungelernte Bürotätigkeit. Mitarbeiter/-innen erwarten, informiert zu werden, bevor Entscheidungen getroffen werden, die ihren Arbeitsplatz betreffen, akzeptieren aber, dass der Vorgesetzte die finale Entscheidung trägt (Hofstede & Hofstede, 2005, S. 55). Es ist davon auszugehen, dass bestimmte betriebliche Handlungen von deutschen Unternehmen, die ihre Produktionsstätten nach China verlagern, entsprechend angepasst werden müssen, da bestimmte Abläufe aufgrund unterschiedlicher Erwartungshaltungen, kultureller Normen und Werte nicht auf das Gastland übertragbar sind. So könnten sich die unterschiedlichen Ausprägungen hinsichtlich der Machtdistanz bspw. auf das betriebliche Vorschlagswesen im Unternehmen auswirken. Denn wenn Gastlandarbeiter/-innen nicht in Unternehmensprozesse eingebunden sein wollen, deutsche Unterneh-

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men dazu aber durch die Übertragung eines betrieblichen Vorschlagswesens einladen und auffordern, führt diese partizipative Strategie seitens der Unternehmen nicht zum intendierten Ziel. Unsicherheitsvermeidung Mit einem Wert von 30 weist China einen niedrig ausgeprägten Wert der Dimension Unsicherheitsvermeidung auf. Hieraus ist zu schließen, dass nur ein geringer Aufwand betrieben wird, um unsichere oder neue Situationen zu vermeiden. Auf Unternehmensebene wirkt sich dies bspw. durch eine tendenziell höhere Fluktuation von Mitarbeitern/-innen aus, da diese weniger Bedenken dabei haben, sich auf einen neuen Arbeitgeber einzulassen. Formale Regeln werden im Unternehmen nur dann eingeführt, wenn sie unverzichtbar sind, weshalb insgesamt tendenziell weniger formale Regeln zu verzeichnen sind. Deutschland ist in Hofstedes Untersuchung mit einem Wert von 65 erfasst, was einer mittleren Ausprägung entspricht.2 Damit gehört Deutschland zu denjenigen Nationen, die eher einen gewissen Aufwand betreiben, um Unsicherheiten zu vermeiden. Auf Unternehmensebene tritt dies bspw. durch formale Regeln in Erscheinung, die eingeführt werden, um Arbeitsprozesse und Zuständigkeiten transparent und überprüfbar zu machen (Hofstede & Hofstede, 2005, S. 182). Hofstede und Hofstede (2005) weisen allerdings darauf hin, dass gerade die Nationen, die in dieser Dimension einen niedrigen Wert haben und folglich dazu neigen, nur wenige Regeln zu etablieren, diese tendenziell trotzdem strenger einhalten als Nationen, die höhere Werte erreichen. Weiterhin ist diese Dimension für die chinesische 2

Den höchsten Wert erreichte Griechenland mit 112, den niedrigsten Singapur mit 8. Deutschland liegt mit dem Wert 65 auf Platz 43 von insgesamt 74. China liegt mit einem Wert von 30 auf den Plätzen 68-69.

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Kultur mit einer gewissen Vorsicht zu interpretieren, da die Untersuchungsergebnisse (siehe Kapitel 2.1.2) zeigen, dass die Dimension „Unsicherheitsvermeidung“ keine vollständige Korrelation zwischen der ersten und zweiten Teilstudie ergab. Hofstede und Hofstede (2005) führen dies auf die Tatsache zurück, dass einer der Indikatoren dieser Dimension, nämlich „Wahrheitsbestrebung“, in der chinesischen Kultur nur eine geringe Bedeutsamkeit habe und daher nicht erfassbar sei. Individualismus/Kollektivismus China weist hinsichtlich der bipolaren Kategorie „Individualismus/Kollektivismus“ einen Wert von 203 auf und lässt sich somit als kollektivistisch geprägte Nation einstufen. In einer kollektivistischen Kultur betrachten sich die Individuen als Mitglieder einer Gruppe, wobei die Interessen der Gruppe die der Individuen überwiegen. Der Erfolg der Gruppe steht über der individuellen Leistung und, übertragen auf das Unternehmensmanagement, ist das Management in kollektivistischen Kulturen als Management von Gruppen zu begreifen. Auch soziale Beziehungen, die üblicherweise familiäre und private Kontexte prägen, lassen sich auf unternehmerische Strukturen übertragen. Solche Strukturen greifen oftmals ineinander. Dies zeigt sich bspw. darin, dass Söhne häufiger den Beruf des Vaters wählen und die Nachfolge im Unternehmen antreten. Darüber hinaus versuchen Arbeitgeber, gezielt Familienmitglieder von Mitarbeitern/-innen zu rekrutieren, da die Verzahnung von familiären und unternehmerischen Strukturen die Loyalität und Verbundenheit der Mitarbeiter/-innen mit dem Unternehmen stärken soll.

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Den höchsten Wert erreichten die USA mit 91, den niedrigsten Guatemala mit 6. China liegt mit einem Wert von 20 auf den Plätzen 56-61, Deutschland mit einem Wert von 67 auf Platz 18 von insgesamt 74.

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Deutschland gehört mit einem Kultur-Index-Wert von 67 zu denjenigen Kulturen, die tendenziell eher individualistisch geprägt sind. In individuellen Kulturen streben die Individuen nach Selbstverwirklichung und die personenbezogene Leistung steht im Vordergrund. Voraussetzung dafür ist eine eigenverantwortliche Arbeitsweise, weshalb in individuell ausgerichteten Kulturen idealerweise auch jede Person danach gemessen werden sollte, was sie selbst geleistet hat (Hofstede & Hofstede, 2005, S. 78). Es ist davon auszugehen, dass bestimmte betriebliche Handlungen von deutschen Unternehmen aufgrund der kollektivistischen Kulturprägung des Gastlandes angepasst werden müssen. So würden bspw. Weiterbildungslehrgänge in deutschen Unternehmen für einzelne Mitarbeiter/-innen unter Berücksichtigung von Leistung und Potenzial ausgewählt werden. In kollektivistisch geprägten Strukturen müsste dies Vorgehen allerdings mit Hinblick auf das Management ganzer Gruppen neu überdacht werden. Auch Prämien sollten entsprechend zur Würdigung und Wertschätzung von Gruppen und nicht von Individuen ausgesetzt werden, damit das Harmonieverhältnis der Gruppe gewahrt werden kann. Schließlich sind weiterhin anders als in individuell geprägten Kulturen - soziale Beziehungen innerhalb der Belegschaft von besonderer Bedeutung. Unternehmen sollten daher betriebliche Handlungen etablieren, die einen intensiven Austausch unter den Mitarbeitern/-innen eröffnen und zu einem familiären Organisationsklima im Unternehmen beitragen. Maskulinität/Femininität Hinsichtlich der bipolaren Dimension Maskulinität/Femininität erreichen Deutschland und China einen identischen Kultur-Index-

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Wert von 66.4 Damit gehören beide Kulturen zu denen, die eher maskulin geprägt sind. Nach Hofstede (2010) streben Menschen maskuliner Kulturen nach beruflichem und materiellem Erfolg. Dabei setzen sich die Vorstellungen über ideale Arbeitsplätze und Karrierewege aus den folgenden vier Komponenten zusammen: (1) Gehalt, d.h. die Chance, ein möglichst hohes Gehalt zu erzielen, (2) Anerkennung, d.h. gute Leistung soll entsprechend gewürdigt werden, (3) Aufstiegsmöglichkeiten, d.h. die Möglichkeit, aufzusteigen bzw. eine Stelle höherer Qualifikation zu erlangen, (4) Herausfordernde Tätigkeit, d.h. eine inhaltliche Tätigkeit auszuüben, die mit einem Erfolgsgefühl einhergeht (Hofstede & Hofstede, 2005). Auch Wettbewerb hat in maskulinen Kulturen einen hohen Stellenwert und dieser zieht sich durch alle Lebensbereiche – sowohl private als auch berufliche. Leistungen von Schülern/-innen werden zueinander in Bezug gesetzt, um die oder den Klassenbeste/n hervorzuheben. Das Scheitern in der schulischen Laufbahn kommt einer persönlichen Niederlage gleich. Individuen maskuliner Kulturen leben, um zu arbeiten, und wenn sie die Wahl zwischen mehr Einkommen oder mehr Freizeit haben, so fällt die Entscheidung eher auf Ersteres (Hofstede & Hofstede, 2005, S. 147). Da sowohl China als auch Deutschland maskulin geprägte Kulturen sind, ist davon auszugehen, dass hinsichtlich ihrer betrieblichen Handlungen nur eine geringe Anpassung durch deutsche Unternehmen im Gastland China erfolgen muss. Denn die vier Komponenten (1) Gehalt, (2) Anerkennung, (3) Aufstiegsmöglichkeiten und (4) Herausfordernde Tätigkeit müssten folglich in den Unternehmensstrukturen beider Kulturen vorzufinden sein. Auch der hohe Stellenwert von beruflicher Tätigkeit für die/den Einzelne/n ist in beiden

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Den höchsten Wert erreichte die Slowakei mit 110, den niedrigsten Schweden mit 5. Deutschland und China liegen mit einem Wert von 66 auf den Plätzen 11-13 von insgesamt 74.

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Kulturen fest verankert. Deshalb ist zu erwarten, dass Unternehmensvertreter/-innen hinsichtlich der Arbeitshaltung ihrer chinesischen und deutschen Fachkräfte wenige Unterschiede verzeichnen können. Langfrist- /Kurzfristorientierung China erreichte in Hofstedes Untersuchung den höchsten Wert5 aller Kulturen, in denen die Untersuchung durchgeführt wurde, und kann daher als Kultur mit starker Langfristorientierung eingestuft werden. Dass die Individuen der chinesischen Kultur ihre Ziele langfristig erfolgen, tritt bspw. durch lange Bildungskarrieren in Erscheinung. Auch Beziehungen werden nachhaltig aufgebaut. Langfristig orientierte Kulturen sind darüber hinaus eher dazu bereit, ihr Vermögen zu sparen, um eine größere Investition in der Zukunft tätigen zu können. Die beiden Bereiche, Familie und Arbeit, sind in Nationen mit Langfristorientierung untrennbar miteinander verbunden. Deutschland ist hingegen mit einem Wert von 31 eher der Kurzfristorientierung zuzuordnen, weshalb den Individuen dieser Kultur nachgesagt wird, dass sie ihre Ziele, und zwar sowohl beruflich als auch privat, eher kurzfristig verfolgen und tendenziell erwartet wird, dass individuelle Bemühungen zu schnellen und sichtbaren Ergebnissen führen (Hofstede & Hofstede, 2005, S. 211). Bezogen auf die Vorgehensweisen deutscher Unternehmen, die im Gastland chinesische Fachkräfte nach deutschen Mustern qualifizieren, ist hier Reibungspotenzial zu erahnen. Denn die auf unterschiedliche Werte und Normen beruhenden Erwartungshaltungen können dazu führen, dass unternehmensinterne Maßnahmen angepasst werden müssen um den Anforderungen der Gastlandarbeiter/-innen bes-

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China liegt mit einem Kultur-Index-Wert von 118 auf Platz 1. Deutschland mit einem Wert von 31 auf den Plätzen 25-27 von insgesamt 39.

Berufsbildung in der VR China

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ser zu entsprechen. Im Fokus solcher Strategien stehen möglicherweise Maßnahmen der betrieblichen Qualifizierung sowie solche, die zu einer höheren Identifikation mit den Unternehmen beitragen sollen. 2.2 Berufsbildung in der VR China 2.2.1 Historische Entwicklung der chinesischen Berufsbildung Die Anfänge des Bildungswesens in China lassen sich bis in das Jahr 770 v. Chr. zurückverfolgen (Li & Pilz, 2016; S. Xu, 2004). Die lange Vergangenheit des Bildungswesens ist jedoch nicht für das allgemeine sowie das berufliche Bildungssystem gleichermaßen zutreffend, denn die ersten Züge der Berufsbildung entwickelten sich erst ab den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts (S. Xu, 2004). Zu dieser Zeit strebte die Qing-Regierung aufgrund der europäischen und amerikanischen Industrieentwicklungen eine Verwestlichungsbewegung an, und zwar mit dem Ziel, von westlicher Erfahrung zu profitieren (Köhne, 2003; S. Xu, 2004). Aufgrund der damaligen Industrieentwicklungen wuchs der Bedarf an Fachkräften rasant an und machte landesweit die Errichtung beruflicher Schulen für unterschiedlichste Branchen, darunter für den Schiffbau, die Schifffahrt sowie dem Maschinenbau, erforderlich (Köhne, 2003; S. Xu, 2004). Damals noch als „Bildung für Industrie und Handel“ betitelt, wurde die berufliche Bildung 1903 offiziell als eigenständige Säule in das staatliche Schulsystem implementiert (Köhne, 2003; Li & Pilz, 2016; S. Xu, 2004). Mit der Gründung der Volksrepublik China im Jahr 1949 stieg auch die Nachfrage nach qualifizierten Fachkräften. Dies hatte zur Folge, dass auch das berufliche Bildungssystem stärker in den Fokus der politischen Agenda rückte und weiter ausgebaut werden sollte (Hao, 2012; Li & Pilz, 2016). Der zunehmende Ausbau erlebte jedoch durch die von Mao Zedong ausgelöste „Große Proletarische Kulturrevolution“ (1966-1976) einen herben Rückschlag, denn ein Großteil des regulären Schul-, Ausbildungs- und Hochschulbetriebs

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wurde während dieser Zeit eingestellt6 (Hao, 2012; Hefele et al., 2012; Köhne, 2003). Erst das entwicklungspolitische Programm „Vier Modernisierungen“, welches durch den damaligen Ministerpräsidenten Zhou Enlai erstmals 1975 bekannt gemacht wurde und eine umfassende Reform von Wirtschaft und Gesellschaft durch Modernisierung der Landwirtschaft, der Industrie, der Landesverteidigung sowie von Wissenschaft und Technik beabsichtigte, führte dazu, dass gesellschaftliche Bildung neu interpretiert wurde und ab da an von der chinesischen Regierung als Antrieb für wirtschaftlichen und sozialen Wandel angesehen wurde (Köhne, 2003; Li & Pilz, 2016; S. Xu, 2004). Das Programm gilt bis heute als Leitlinie der chinesischen Reform- und Öffnungspolitik, die auf die Zeiten der Kulturrevolution folgte und das chinesische Bildungssystem revolutionierte. Infolge dieser politischen Bestrebungen fasste das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Chinas 1985 einen ersten bedeutsamen Beschluss über die Entwicklungen der beruflichen Bildung in China. Köhne (2003, S. 36) präsentiert eine Auflistung der inhaltlichen Forderungen dieses Reformbeschlusses: -

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Einführung der allgemeinen 9-jährigen Schulpflicht, Strukturelle Anpassung des mittleren Schulbildungswesens in Form eines gleichgewichtigen Anteils von allgemeinen und beruflichen Mittelschulen (Oberstufe), Festschreibung des Prinzips „zuerst Berufsausbildung, dann Beschäftigung“, Betonung der Vermittlung von beruflichen Fertigkeiten gegenüber allgemeinen Kenntnissen, Einbeziehung von Betrieben und (privaten) Institutionen bei der Gründung beruflicher Schulen und Hintergründe hierzu zu finden in Zhou, Enlai (1976).

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Errichtung von pädagogischen Lehranstalten zur Ausbildung von Lehrkräften für den beruflichen und technischen Unterricht.

Bereits ein Jahr später (1986) folgte der Erlass des Gesetzes über die allgemeine Schulpflicht, die einem Großteil der chinesischen Bevölkerung den Zugang zu Bildung überhaupt erst ermöglichte. So berichtet Schulte (2014, S. 505), dass zuvor im Jahr 1949, dem Gründungsjahr der VR China, gerade einmal zwanzig Prozent der Bevölkerung im schulfähigen Alter eine Schulform besuchten. Der Beschluss des Gesetzes über die allgemeine Schulpflicht gilt als einer der bedeutsamsten Meilensteine für das chinesische Bildungswesen, und wurde fast zeitgleich mit dem Erlass des „Arbeitsgesetzes der Volksrepublik China“7 und dem „Bildungsgesetz der Volksrepublik China“8 im Jahr 1995 sowie dem „Berufsbildungsgesetz der Volksrepublik China“9 im Jahr 1996 getätigt. Die Gesetze richten sich an unterschiedliche Adressaten und geben Aufschluss über deren Rechte und Pflichten als Beitrag zu Chinas Bildungswesen. Das „Arbeitsgesetz der VR China“ richtet sich dabei allen voran an den Staat und die Arbeitgeber des Landes und schreibt

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8

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Arbeitsgesetz der Volksrepublik China, verabschiedet vom Ständigen Ausschuss des Nationalen Volkskongresses am 05.07.1994, in Kraft gesetzt am 01.01.1995. Übersetzung in deutscher Sprache abrufbar unter http://www.chinas-recht.de/940705b.htm Bildungsgesetz der VR China, verabschiedet am 18.03.1995, in Kraft gesetzt am 01.09.1995. Kommentierte Auszüge des Bildungsgesetzes in China aktuell, März 1995, S. 183-186. Berufsbildungsgesetz der Volksrepublik China, verabschiedet am 15.05.1996, in Kraft gesetzt am 01.09.1996. Gesetz und Kommentare zum Gesetz veröffentlicht durch die Staatliche Erziehungskommission (Hrsg.) 1996. Kommentierte Auszüge des Gesetzes in China aktuell: Mai 1996, S. 479-482.

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dem Staat die Verantwortung zu, berufliche Standards sowie Zeugnissysteme für Berufsqualifikationen zu erlassen. Auch sollen Unternehmen, öffentliche Einrichtungen und gesellschaftliche Organisationen, die positiv zur Durchführung von Berufsbildungsaktivitäten beitragen können, durch den Staat dazu ermutigt werden. Arbeitgeber wiederum sind dazu angehalten, ein innerbetriebliches Berufsbildungssystem in ihrem Unternehmen zu etablieren. Weiterhin ist für die Verrichtung von Facharbeit im Unternehmen die vorherige fachliche Ausbildung von Arbeitnehmern/-innen seitens der Arbeitgeber zu gewährleisten (Köhne, 2003; Stockmann, Meyer, Krapp & Koehne, 2000). Das Bildungsgesetz der VR China richtet sich an die Bürger/-innen des Landes, indem es ihnen durch die Bestätigung der allgemeinen 9-jährigen Schulpflicht das Recht auf und die Pflicht zur Bildung gleichermaßen einräumt. 1996 folgte das erste Berufsbildungsgesetz der VR China. Die wesentlichen Kernpunkte des Gesetzes wurden von Köhne (2003, S. 38) wie folgt herausgearbeitet: -

Das Recht der Bürger auf Berufsbildung Die Pflicht der Regierungen aller Ebenen, Berufsbildung in ihre Pläne für die volkswirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung aufzunehmen, Die Pflicht von Branchenorganisationen, Betrieben und Institutionen, berufliche Bildung gemäß den gesetzlichen Bestimmungen durchzuführen und Die Einführung des Prinzips „Ausbildung vor Beschäftigung“.

Bis heute dient das 1996 erlassene Berufsbildungsgesetz als Referenzrahmen, anhand dessen das chinesische Berufsbildungssystem weiterentwickelt wird.

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Der hohe Stellenwert beruflicher Bildung wird auch durch die zunehmende Berücksichtigung in Chinas Fünfjahresplänen10 erkennbar. So wurde die Berufliche Bildung erstmals im elften Fünfjahresplan (2006-2010) erwähnt und dort als wichtiges Element zur Stärkung der wirtschaftlichen Entwicklung identifiziert (Central Committee of China, 2006). Im darauf folgenden Fünfjahresplan (20112015) gehörte die Berufsbildung sogar zu den Faktoren von hoher Priorität, darauf abzielend, die berufliche Bildung in den Sekundarstufen auszuweiten und die Qualität der höheren Berufsbildung zu steigern (Central Committee of China, 2011). Im zuletzt veröffentlichten 13. Fünfjahresplan (2016-2020) wird eine weitere Verbesserung des Berufsbildungssystems angestrebt. Dazu sollen die Kooperationen zwischen Unternehmen und Berufsschulen ausgebaut und die Mobilität zwischen dem allgemeinen und dem beruflichen Schulsystem flexibler gestaltet werden (Central Committee of China, 2016). 2.2.2

Das gegenwärtige chinesische (Berufs-)Bildungssystem

Das chinesische Bildungssystem gliedert sich in insgesamt drei Bereiche: Den Primarbereich, die Sekundarbereiche I und II sowie den Tertiärbereich. Sowohl das allgemeine als auch das berufliche Schulsystem Chinas liegen vollständig in staatlicher Verantwortung und sind inhaltlich durch Standardisierung, Breitenbildung und das vorherrschende Prüfungssystem gekennzeichnet (BQ-Portal, 2017; Köhne, 2003; Schulte, 2014).

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Hierbei handelt es sich um zentralverwaltungsübliche Instrumente zur Planung volkswirtschaftlicher Aktivitäten in den Bereichen Politik, Wirtschaft und Soziales. Zuletzt wurde der 13. Fünfjahresplan verabschiedet. Er gilt von 2016-2020.

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Primärbereich Der Eintritt in das Schulsystem beginnt für Kinder im Alter von 6-7 Jahren durch den Besuch der Grundschule. Sie dauert insgesamt sechs Jahre und macht damit zwei Drittel der insgesamt 9-jährigen allgemeinen Schulpflicht aus. Nach dem Besuch der Grundschule können die Schüler/-innen zwischen einer Fortsetzung mit allgemeiner oder beruflicher Ausrichtung wählen. Das Allgemeine Schulwesen der VR China Das allgemeine Schulwesen gestaltet sich durch eine „vertikale Dreistufigkeit“ (Weggel, 1994, S. 207). Dabei berechtigt der Abschluss der Allgemeinbildenden Mittelschule (chu zhong) im Sekundarbereich I unmittelbar zum Eintritt in die Allgemeinbildende Mittelschule (gao zhong) des Sekundarbereichs II. Die Regelschulzeit des Sekundarbereichs II beträgt über alle Schulformen hinweg drei Jahre. Der erfolgreiche Abschluss berechtigt wiederum nicht unmittelbar zur Aufnahme eines Hochschulstudiums, sondern zunächst lediglich zur Teilnahme an der nationalen Hochschuleingangsprüfung (gao kao) (Schulte, 2014). In Abhängigkeit von der dort erreichten Punktezahl räumt die Teilnahme an dieser Prüfung die Möglichkeit ein, ein in der Regel vier Jahre dauerndes Studium an einer Universität (da xue) oder Hochschule (di fang ying yong xing ben ken yuan xiao) aufzunehmen (Tertiärbereich). Dieser dreistufige 6 : 3+3 : 4 Hauptweg der Allgemeinbildung ist im Bildungsgesetz der VR China seit den 1950er Jahren verankert (Köhne, 2003). Das Berufsbildungssystem der VR China Auch das Berufsbildungssystem ist durch eine dreistufige Einteilung gekennzeichnet. Dabei stellt die Berufsmittelschule (zhi ye chu zhong), die ebenfalls auf eine 3-jährige Dauer angelegt ist, die be-

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ruflich ausgerichtete Alternative zur Allgemeinbildenden Mittelschule (chu zhong) im Sekundarbereich I dar (Rützel & Ziehm, 2003). Li und Pilz (2016) berichten, dass Berufsmittelschulen vor allem in den weniger entwickelten ländlichen Regionen Chinas vorzufinden sind, da diese Schulform aufgrund ihrer beruflichen, oftmals agrarwirtschaftlichen Ausrichtung in solchen Gebieten eine berufliche Perspektive bietet. Zudem werden Abgänger/-innen dieser Schulform oftmals in der lokalen Wirtschaft eingesetzt (S. Xu, 2004). Im Sekundarbereich II sind drei Schulformen vorzufinden: Die Facharbeiterschule (ji gong xue xiao), die Berufsmittelschule (zhi ye gao zhong) sowie die Fachmittelschule (zhong den zhuan ye xue xiao). Bei der Facharbeiterschule handelt es sich um eine 3-jährige, vollzeitschulische Berufsbildungsform, die sich überwiegend an Absolventen der Allgemeinbildenden Mittelschule im Sekundarbereich I richtet. Zugangsvoraussetzung ist darüber hinaus die erfolgreiche Teilnahme an einer Aufnahmeprüfung. Ziel der Bildungsgänge an Facharbeiterschulen des Sekundarbereichs II ist die Qualifizierung von Fachkräften für die Industrie. Das Ausbildungsangebot umfasst derzeit 400 verschiedene Ausbildungsberufe, ein Großteil davon kann der Maschinenbau- und Elektroindustrie zugeordnet werden (Köhne, 2003). Seit 1980 gehören auch Berufsmittelschulen zum beruflichen Bildungswesen des Sekundarbereich II (Köhne, 2003; S. Xu, 2004).

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Abbildung 4: Chinas Schulsystem. Eigene Darstellung, angelehnt an Darstellung in BQ-Portal, 2017.

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Bildungsauftrag der Berufsmittelschulen ist die Qualifizierung von Fachkräften für die Industrie und den Dienstleistungssektor. Berufsmittelschulen sind vor allem für Absolventen/-innen der Allgemeinbildenden Mittelschule vorgesehen, die darüber hinaus die nationale Aufnahmeprüfung erfolgreich bestanden haben. Das Ausbildungsangebot umfasst Berufe in der Industrie, Land- und Forstwirtschaft, im Gesundheitswesen, Finanzwesen, Rechtswesen, in der Verwaltung, Politik und Lehrerbildung sowie im Bereich von Sport und Kunst (Köhne, 2003). Die Ausbildungsdauer beträgt über alle Ausbildungsberufe hinweg in der Regel drei Jahre. Bei der dritten Bildungsform des Sekundarbereiches II handelt es sich um Fachmittelschulen. Diese Schulform hat in China eine lange Tradition und profitiert zum einen von guten Lehrkräften, zum anderen von sehr guter Ausstattung (S. Xu, 2004). Sie gliedert sich in zwei Ausrichtungen: Technik und Pädagogik. Technische Fachmittelschulen zielen auf die Ausbildung von Fachkräften für die Industrie, für die Land- und Forstwirtschaft sowie den Dienstleistungsbereich ab. In pädagogisch ausgerichteten Fachmittelschulen erfolgt die Qualifizierung von Lehrkräften für den Primar- und Elementarbereich. Die Zugangsvoraussetzungen sind mit denen der Berufsmittelschulen identisch und setzen sich zusammen aus dem erfolgreichen Abschluss der Allgemeinbildenden Mittelschule sowie dem Bestehen der nationalen Aufnahmeprüfung. Für Absolventen der Sekundarstufe I beträgt die Ausbildungsdauer vier Jahre, für Absolventen der Sekundarstufe II lediglich drei Jahre. Über die beiden Ausrichtungen hinweg erstreckt sich das Ausbildungsangebot auf neun Berufsfelder mit über 500 Ausbildungsgängen unterschiedlichster Branchen (Köhne, 2003). Nach erfolgreichem Abschluss der beruflichen Schulformen des Sekundarbereichs II ist der direkte Einstieg ins Berufsleben möglich (iMOVE, 2015).

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Alternativ bietet sich die Möglichkeit, den beruflichen Bildungsstrang im Tertiärbereich fortzusetzen. Hier ist die höhere Berufsbildung angesiedelt. Xu (2004) beschreibt das chinesische Verständnis von höherer Berufsbildung damit, dass sie von der Bildungsart her zur Berufsbildung, von der Bildungsebene her aber zur Hochschulbildung gehöre. Die starken wirtschaftlichen Entwicklungen der letzten Jahre haben dazu geführt, dass sich die höhere Berufsbildung in starkem Maße entwickeln konnte und sich ihr gesellschaftliches Ansehen zunehmend verbessert hat. Die Bildungsstätten sind dementsprechend häufig in wirtschaftlich starken Regionen vorzufinden. Höhere Berufsbildung wird durchgeführt in: - Beruflich-technischen Instituten (gao deng zhi ye ji shu xue yuan) - Fachhochschulen (gao deng zhuan ke xue xiao) Diese Institute nehmen Absolventen des Sekundarbereiches II auf, die bei der Teilnahme an den nationalen Hochschulaufnahmeprüfungen eine erforderliche Mindestpunkteanzahl erreicht haben. Studierende, die bei der nationalen Hochschulaufnahmeprüfung (gao kao) nicht die Punktezahl für ein universitäres Studium erreicht haben, wählen die höhere Berufsbildung oftmals als alternativen Qualifizierungsweg, der in der Regel drei Jahre dauert. Das Ziel der höheren Berufsbildung ist darauf ausgerichtet, Fachkräfte höherer Qualifikationsstufen und Verwaltungsangestellte mit guten praktischen Fähigkeiten auf Bachelorniveau auszubilden (S. Xu, 2004). Nach erfolgreichem Abschluss der höheren Berufsbildung ist ein Übergang in den Allgemeinen Tertiärbereich möglich. Auch hierfür ist wiederum die erfolgreiche Teilnahme an einem Zugangstest notwendig, um ein in der Regel 2-jähriges Studium an einer Hochschule oder Universität aufzunehmen.

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Zuständigkeiten in der beruflichen Bildung Die Zuständigkeit für die Strukturen und Inhalte auf der allgemeinen Schul- und Hochschulebene fallen in den Kompetenzbereich des chinesischen Bildungsministeriums – Ministry of Education (MoE). Im beruflichen Bereich sind die Kompetenzen aufgeteilt zwischen dem MoE und dem Ministry of Human Resource and Social Security (MoHRSS) (iMOVE, 2015). Dabei ist das MoE hinsichtlich des berufsschulischen Lehrplans zur Gestaltung des allgemeinbildenden Teils berechtigt. Dem MoHRSS obliegen hingegen zum einen die Zuständigkeit für die Finanzierung und zum anderen die Verantwortlichkeit für die Gestaltung der fachspezifischen Lehrplaninhalte der berufsbildenden Schulen (Stockmann et al., 2000). Ihm untergeordnet ist die Occupational Skill Testing Authority (OSTA), eine Stelle, die für Standards und Zertifizierung von Berufsbildungsaktivitäten verantwortlich ist (BQ-Portal, 2017). Dabei trägt die OSTA die Verantwortung, Berufsbilder, ihre Inhalte und Prüfungen zu entwerfen, zu realisieren und zu kontrollieren, und zertifiziert darüber hinaus das Qualifikationsniveau der technischen Fachkräfte mit dem staatlichen Berufseignungszertifikat. Dieses Zertifikat dient dazu, die beruflichen Fähigkeiten und Fertigkeiten von Fachkräften für die Wirtschaft abzubilden. Finanzierung der Berufsbildung Noch in den 1980er Jahren wurde die berufliche Bildung beinahe alleinig von der chinesischen Regierung finanziert. Obwohl die Regierung dem Berufsbildungssystem aktuell eine hohe Bedeutung zuschreibt und es anstrebt, das System weiter auszubauen und zu verbessern, werden nur noch 40% der anfallenden Kosten von der Regierung getragen (Li, 2017b). Ein Großteil der Kosten wird durch Schulgebühren gedeckt. Auch Unternehmen und diverse Organisationen leisten finanzielle Beiträge an regionale Berufsschulen. Da

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der staatliche Teil der Finanzierung den regionalen Ministerien obliegt, sind die Berufsschulen folglich auch regional sehr unterschiedlich versorgt, im landesweiten Gesamtbild jedoch chronisch unterfinanziert (Hefele et al., 2012; iMOVE, 2015; Schucher, 2012). Nach Schulte (2014) bestehen auch innerhalb der Provinzen gravierende Unterschiede, mit der Konsequenz, dass städtischen Schülern/-innen bis zu sechzig Mal höhere Bildungsausgaben zustehen als Schülern/innen auf dem Land. Lediglich wirtschaftlich wenig entwickelte Regionen werden durch die Zentralregierung anteilig finanziert. Im Gesamtbild resultiert aufgrund dieser Finanzierungsstruktur ein regional äußerst heterogen entwickeltes Berufsbildungswesen (Rützel & Ziehm, 2003). 2.2.3

Das gesellschaftliche Ansehen der (Berufs-)Bildung

Das gesellschaftliche Ansehen des Bildungswesens in der chinesischen Bevölkerung ist durch den Konfuzianismus geprägt. Im Konfuzianismus hat eine Tätigkeit, die mithilfe von Denkkraft ausgeführt wird, einen höheren Stellenwert als eine, die durch körperliche Arbeit ausgeführt wird. Diese Einstellung spiegelt sich im konfuzianischen Sprichwort „He who rules lives by mental perplexity. He who is ruled lives by physical labour“ (Meng Tze, zitiert nach Zhao, Luo und Gu, 2013) wider und ist bis in die Gegenwart fest in der chinesischen Gesellschaft verankert. Folglich wird dem akademisch ausgerichteten Allgemeinbildenden Schulwesen eine hohe Prestigeträchtigkeit zugeschrieben, während die berufsbildenden Schulformen lediglich als Auffangbecken für diejenigen dienen, welche die erforderlichen Zugangsvoraussetzungen nicht erfüllen (Alpermann, 2014; BQ-Portal, 2017; Li, 2017b; Li, Sheldon & Sun, 2013; S. Xu, 2004). Nach Li (2017a) betrachten Eltern in China allgemeine Schulformen als die einzig angemessenen und nur diejenigen, für die es eine nicht zu bewältigende finanzielle Belastung darstellen würde, ließen es zu,

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dass ihr Kind eine berufliche Schulform wählt. Hansen und Woronov (2013) weisen weiterhin darauf hin, dass Eltern sogar versuchen, den sozialen Umgang ihres Kindes mit Kindern beruflicher Schulen zu unterbinden, da Berufsschüler/-innen als schlechter Umgang für Schüler/-innen allgemeiner Schulformen gelten. Aufgrund der politisch intendierten Ausweitung des Hochschulzugangs seit den späten 1990er Jahren wandelte sich das Hochschulsystem, das ursprünglich für die Ausbildung einer kleinen Elite konzipiert war, zu einem der Massenausbildung (Bickenbach, 2011). Lag die Anzahl der neu immatrikulierten Studierenden vor der Reform im Jahr 1978 noch bei 0,4 Millionen, so stieg sie auf 1,55 Millionen im Jahr 1999 an. Seitdem wächst sie jährlich um nahezu 20 Prozent (Bickenbach & Wan-Hsin, 2011). Die Gesamtstudierendenzahl betrug im Jahr 2011 23 Millionen und hat sich damit in den Jahren 1995 bis 2011 verachtfacht (Alpermann, 2014; Hefele et al., 2012). Einhergehend mit der wachsenden Anzahl von Studierenden, wurden zunehmend auch Hochschulen errichtet. Während 1978 lediglich 600 Hochschulen landesweit zu verzeichnen waren, gab es zur Jahrtausendwende bereits 1041 an der Zahl. Bis in das Jahr 2013 vergrößerte sich die Anzahl auf insgesamt 2491 Hochschulen (Bickenbach & Wan-Hsin, 2011; iMOVE, 2015). Aufgrund des gesellschaftlich hohen Ansehens akademischer Bildungsverläufe begrüßt die chinesische Gesellschaft grundsätzlich die Entwicklung, welche die politische Expansion des Hochschulsystems seit den 1990er Jahren auslöste. Zumal sich diese massive Expansion nicht nur auf die reicheren Provinzen im Speckgürtel von Peking und Shanghai fokussiert, sondern eher zu einer Angleichung von Studienplatzzusagen für junge Erwachsene mit Herkunft aus ärmeren und reicheren Provinzen gleichermaßen führte (Bickenbach & Wan-Hsin, 2011). Zwar stellen universitäre Abschlüsse für viele begehrte und gut bezahlte Arbeitsplätze eine Zugangsvoraussetzung dar, jedoch bringt die Vielzahl von Berufseinsteigern/-innen mit

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Hochschulabschluss auch die Schattenseite zum Vorschein. Alpermann (2014, S. 409) spricht diesbezüglich von einer Entwertung des akademischen Abschlusses, der sich durch die in China zuvor nicht gekannte Absolventenarbeitslosigkeit bemerkbar macht. Denn es ist ein deutlich vergrößertes Angebot an Hochschulabsolventen/-innen zu verzeichnen, während die Aufnahmefähigkeit des Arbeitsmarktes für Akademiker nicht im selben Maße angestiegen ist (Schulte, 2014). Bickenbach und Wan-Hsin (2011) machen zudem darauf aufmerksam, dass die Quantität der Hochschulabsolventen nicht mit deren Qualität einhergehe. Denn der schnelle Ausbau des Hochschulwesens, gekoppelt mit beträchtlichen Unterschieden hinsichtlich der institutionellen Ressourcenausstattung, kann Absolventen hervorbringen, deren Qualifikationen stark voneinander abweichen. Dies spiegele sich auch im Rekrutierungsverhalten von Unternehmen wider, denn diese zögerten davor, chinesischen Hochschulabsolventen/-innen anspruchsvolle Aktivitäten mit höherem Qualitätsanspruch zuzutrauen (ebd. 2011, S. 13). Diese Entwicklungen führten in den letzten Jahren zu einer veränderten Situation und Wahrnehmung von beruflicher Bildung in China. Nach Hefele et al. (2012) ist die veränderte Wahrnehmung seitens der chinesischen Regierung mitunter darauf zurückzuführen, dass erkannt wurde, dass der technologische Vorsprung vieler westlicher Länder auf ein gutes Berufsbildungssystem zurückführen ist. Auch seitens der chinesischen Bevölkerung stellt der tertiäre Qualifikationsbereich beruflicher Bildung, der in den 1990er Jahren implementiert wurde, eine zunehmend attraktive Alternative dar, seit realisiert wurde, dass akademische Abschlüsse des allgemeinen Bildungswesens nicht mehr unmittelbar mit beruflichem Erfolg in prestigereichen Positionen verknüpft sind (BQ-Portal, 2017; Li, 2017a; Li & Pilz, 2016). Besonders hohen Zulauf genießen die neu entste-

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henden und oftmals privaten technischen Colleges, die zwar praxisorientiert gestaltet sind, den Absolventen aber trotzdem den gesellschaftlich begehrten Tertiärabschluss verleihen. Diese Entwicklung trifft jedoch ausschließlich auf den tertiären Bereich beruflicher Bildung zu, der Sekundarbereich bleibt davon unberührt (BQ-Portal, 2017). Hansen und Woronov (2013) weisen sogar darauf hin, dass sich der gesellschaftliche Anspruch und der Stellenwert allgemeiner Bildung auf die Unterrichtsinhalte an berufsbildenden Schulen niederschlagen. Auch dort würden häufig allgemeinbildende Inhalte vermittelt und folglich berufsbildende Inhalte verwässert werden. Der im Juni 2014 vom chinesischen Staatsrat erlassene Beschluss zielt darauf ab, bis in das Jahr 2020 ein modernes Berufsbildungssystem aufzubauen (iMOVE, 2015). Dieser Beschluss bietet großes Potenzial nicht nur für verbesserte Berufsbildungsstrukturen, sondern auch für ein gesteigertes Ansehen der beruflichen Bildung in der chinesischen Gesellschaft. 2.2.4

Aktuelle Herausforderungen der beruflichen Bildung in China

China wird in den kommenden Jahren mit einer Reihe von Herausforderungen konfrontiert, deren Lösungen auf verbesserte Berufsbildungsstrukturen gründen und die Zusammenarbeit von Regierung, Schulen und Unternehmen erforderlich machen. Der chinesischen Regierung ist es bereits in Ansätzen gelungen, die Berufsbildung im tertiären Bereich zu stärken. Dadurch ist sie zwar zu einem deutlich attraktiveren Karrierepfad für viele Menschen geworden, dennoch gilt es, dieses Image zukünftig auch auf die beruflichen Schulformen der Sekundarbereiche I und II zu übertragen, die immer noch einen niedrigen Stellenwert einnehmen (iMOVE, 2015; Li & Pilz, 2016).

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Die größte Herausforderung stellt dabei sicherlich die hohe Verschuldung des chinesischen Berufsbildungssystems dar (BQ-Portal, 2017), die sich wiederum in starken qualitativen Unterschieden in der Berufsbildung einzelner Schulen und ganzer Schulformen nicht nur im Stadt-Land Vergleich einzelner Provinzen niederschlägt. Die Rahmenlehrpläne der berufsbildenden Schulen sind oftmals veraltet, die Werkstätten unzureichend ausgestattet (iMOVE, 2015). Weiterhin gilt es, die praktischen Anteile in den Berufsausbildungsgängen zu erhöhen, um der so oft kritisierten Theorielastigkeit entgegenzuwirken (BQ-Portal, 2017; Li & Pilz, 2016). Dazu ist es auch erforderlich, diejenigen Lehrkräfte, die Praxiswissen vermitteln, entsprechend zu schulen. Denn häufig handelt es sich hierbei um technische Arbeiter/-innen aus der Produktion, die über nur geringe didaktische Kenntnisse verfügen (iMOVE, 2015). Dies resultiert häufig in Passungsproblemen, die dann in Erscheinung treten, wenn Absolventen/-innen auf der operationalen Ebene in den Betrieben eingesetzt werden sollen (BQ-Portal, 2017). Die Absolventen verfügen über nur geringes Handlungs- und Praxiswissen, wodurch sich die Diskrepanz zwischen den betrieblichen Anforderungen und schulischen Lehrplänen bemerkbar macht. Um diese Passungsprobleme zu bewältigen, ist es daher dringend erforderlich, die bisherigen Bestrebungen, bspw. in Form von Kooperationen zwischen Schulen und Unternehmen, deutlich zu intensivieren und die Betreuung der Auszubildenden zu verbessern. Dies wird jedoch eine besondere Herausforderung darstellen, da chinesische Unternehmen eher zurückhaltend dabei sind, Kooperationen mit berufsbildenden Schulen einzugehen. Zurückführen ist diese Tatsache auf das schlechte Image dieser Schulformen und das damit einhergehende, bekanntlich oftmals niedrige Bildungsniveau vieler Berufsschüler/-innen (iMOVE, 2015). Zhao et al. (2013b) berichten zudem, dass chinesische Unternehmen die Zuständigkeit für berufliche Bildung alleinig den Berufsschulen zuschreiben und sich selbst nicht in

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der Verantwortung sehen, durch Kooperationen einen Beitrag zu leisten. Eine weitere Herausforderung ließ sich bereits aus Chinas aktuellem Fünfjahresplan ableiten (siehe Kap. 2.2 .1). Die mangelnde Durchlässigkeit zwischen den beruflichen und allgemeinbildenden Schulsträngen wirkt sich derzeit negativ auf das chinesische Bildungssystem aus (Schucher, 2012). Besondere Hürden ergeben sich für Schüler/-innen im Speziellen beim Wechsel vom beruflichen in das allgemeine System. Während es bspw. ohne Absolvieren eines Zugangstests möglich ist, nach Abschluss der Allgemeinbildenden Mittelschule in die Fachmittelschule zu wechseln, bleibt Absolventen/innen der Fachmittelschule die Möglichkeit verwehrt, im Anschluss die Allgemeinbildende Mittelschule zu besuchen. Hinsichtlich der Durchlässigkeit vom Sekundarbereich II in den Tertiärbereich ist bereits eine positive Entwicklung zu verzeichnen. Wie in Abbildung 4 dargestellt, bietet sich für Absolventen/-innen des beruflichen Sekundarbereichs II die Möglichkeit, am Zugangstest (gao kao) teilzunehmen und so in den allgemeinen Tertiärbereich zu wechseln. Allerdings wird diese Möglichkeit nur in einzelnen Provinzen und nicht auf nationaler Ebene eingeräumt. Dieser Weg steckt noch in der Erprobungsphase. Eine weitere anspruchsvolle Aufgabe wird es sein, die Disparitäten im Schulsystem zwischen Osten und Westen, und im Speziellen zwischen städtischen und ländlichen Regionen, zu assimilieren (Schulte, 2014). Die Unterschiede im Stadt-Land-Vergleich ziehen sich durch alle Ebenen des chinesischen Bildungssystems hindurch. Nach Hefele et al. (2012) werden in ländlichen Schulen gering qualifizierte Lehrkräfte eingesetzt, deren eigener Schulabschluss oftmals nicht über den Sekundarbereich II hinausreicht. Zwar gibt es Regierungsinitiativen, durch welche junge Akademiker/-innen als freiwillige Lehrkräfte in ländlichen Schulen eingesetzt werden, langfristige und nachhaltige Lösungen stehen hierzu allerdings noch aus.

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Auch hinsichtlich Chinas Elite, den akademischen Absolventen/-innen, ist Steuerung durch die chinesische Regierung zukünftig gefragt. Denn aufgrund der geringen technischen und praktischen Kenntnisse, über die Hochschulabsolventen/-innen verfügen, ist es in den vergangenen Jahren für viele Absolventen/-innen zunehmend schwierig geworden, einen Arbeitsplatz zu finden (Hefele et al., 2012). Nach Bickenbach und Wan-Hsin (2011) ließen sich die Chancen auf dem Arbeitsmarkt für diese Bevölkerungsgruppe durch die Definition und Implementierung von Mindeststandards für Hochschulabschlüsse sowie durch ein solides und transparentes Bewertungssystem für die Qualität der unterschiedlichen Hochschulen verbessern. Auf diese Weise ließe sich die massive Expansion von akademischen Absolventen/-innen in China für die nationale und internationale Wirtschaft transparent gestalten. Neben den Hochschulabsolventen/-innen, die von essenzieller Bedeutung für Chinas Wirtschaft sind, gelten allen voran gut ausgebildete Fachkräfte als unverzichtbar. Denn das oft geringe Qualifikationsniveau chinesischer Facharbeiter/-innen hat unter anderem zur Folge, dass technisch anspruchsvolle Maschinen in den Betrieben zwar vorhanden sind, in ihrer vollen Kapazität jedoch nicht zum Einsatz kommen können (Li & Pilz, 2016). Yan (2011) sieht darin die Ursache für einen beginnenden Teufelskreis. Denn wenn gering qualifizierte Fachkräfte Produkte von mangelhafter Qualität herstellen, können wiederum nur niedrige Verkaufspreise erwirtschaftet werden. Dies wirkt sich abermals negativ auf die Lohngestaltung der Facharbeiter/-innen aus und mindert für potenzielle Nachwuchskräfte die Attraktivität, Ausbildungsberufe zu ergreifen. Eine Herausforderung wird es daher sein, diesen Teufelskreis zu durchbrechen. Nach Hefele et al. (2012) könnte dies gelingen, indem die Qualität in technischen Berufsausbildungsgängen erhöht und die Gehälter der Absolventen/-innen gleichermaßen angepasst werden.

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Vor allem Unternehmen stellt das geringe Qualifizierungsniveau von Fachkräften und Berufsschulabsolventen/-innen vor eine besondere Herausforderung. Diejenigen Facharbeiter/-innen und Absolventen/-innen beruflicher Schulen, die dem Arbeitsmarkt aktuell zur Verfügung stehen, reichen schon in ihrer Anzahl nicht aus, um die Nachfrage nach Fachkräften zu decken. Infolgedessen konkurrieren Unternehmen regional um gut qualifizierte Facharbeiter/-innen, was sich durch steigende Löhne und eine hohe Fluktuation bemerkbar macht (Li & Sheldon, 2014). Um diese Herausforderung zu bewältigen, ist Initiative der Unternehmen gefragt. Es bedarf unternehmensinterner Karrierewege mit attraktiven Aufstiegschancen. Bislang investieren chinesische Unternehmen nur in geringem Maße in die Qualifizierung ihrer Mitarbeiter/-innen, da die Befürchtung besteht, auf diese Weise sowohl die Abwerbungschancen durch konkurrierende Unternehmen als auch die Erwartungen an Gehaltsanforderungen zu erhöhen. Nach Hefele et al. (2012) begrenzt sich das Verständnis von Qualifizierung aus Perspektive chinesischer Unternehmen bislang auf die Vermittlung derjenigen Handgriffe, die zur Ausübung einer spezifischen Tätigkeit erforderlich sind. Daraus resultierend, zeichnet sich die Herausforderung ab, chinesische Unternehmen hinsichtlich ihrer Auffassung und Durchführung von Qualifizierungsmaßnahmen zu sensibilisieren. Denn ein breites, dem Arbeitsablauf übergeordnetes Kontextwissen wirkt sich sowohl positiv auf die Qualität der Produkte als auch auf das Qualitäts- und Wissensmanagement im Unternehmenskontext aus. 2.3 Deutsches Unternehmertum in China 2.3.1 Deutsch-Chinesische Wirtschaftsbeziehungen Deutschland und China weisen enge und intensive Beziehungen in allen bedeutsamen Wirtschafts- und Industriebereichen auf. Die beiden Nationen profitieren wechselseitig voneinander. Während im Jahr 2017 Deutschland Chinas größter europäischer Handelspartner

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war, war China im Jahr 2016 erstmals Deutschlands größter Handelspartner weltweit. Das Engagement deutscher Unternehmen in China ist bis heute deutlich größer als das Engagement chinesischer Unternehmen in Deutschland, wenngleich die Internationalisierung chinesischer Unternehmen zügig voranschreitet. Seit Anfang 2014 gibt es bspw. eine chinesische Handelskammer in Berlin, welche die erste in Europa überhaupt ist. Sie wurde deshalb errichtet, um die chinesisch-deutschen Wirtschaftsbeziehungen zu forcieren. Beide Länder sind bemüht, bestehende Partnerschaften und Kooperationen, die in verschiedensten Bereichen, darunter bspw. im Bereich der Forschung und Bildung, bestehen, weiter auszubauen. Da im Fokus dieser Forschungsarbeit deutsche Unternehmen stehen, die durch ihren Aufbau einer chinesischen Niederlassung einen Beitrag zu dem Zuwachs deutscher Direktinvestitionen in China leisten, betrachtet dieser Abschnitt nicht die wechselseitigen wirtschaftlichen Beziehungen der beiden Nationen, sondern wirft ausschließlich einen Blick auf das wirtschaftliche Engagement Deutschlands in China. Aktuell sind ca. 5200 Niederlassungen deutscher Unternehmen in China zu verzeichnen. In ihnen werden ca. 1,1 Mio. Gastlandarbeiter/-innen beschäftigt. Der Investitionsbestand dieser Unternehmen in China beträgt ca. 60 Mrd. Euro (Schmitt et al., 2016). Die deutsche Wirtschaft erstreckt sich in China über alle Sektoren. Besonders stark vertreten ist sie im Maschinen- und Anlagenbau sowie in der Chemie- und Automobilbranche. Auch in derzeit aufstrebenden Bereichen, wie der Luft- und Raumfahrt und der Elektromobilität, ist zunehmendes deutsches Engagement zu verzeichnen. Die chinesische Regierung schätzt an deutschen Unternehmen insbesondere ihre Innovationsfähigkeit sowie ihre Verlässlichkeit und ihre Wettbewerbsfähigkeit auf den globalen Märkten (Auswärtiges Amt, 2018). Bereits zu Zeiten der Reform- und Öffnungspolitik lag es China daran, von diesen Tugenden zu profitieren, weshalb Steuerbegünstigungen für ausländische Investoren geschaffen wurden. Nicht

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nur große Konzerne, sondern insbesondere auch kleine und mittelständische deutsche Unternehmen nutzten die Gelegenheit, chinesische Niederlassungen aufzubauen, und schon bald folgten die Zulieferer ihren wichtigsten Kunden (Heinrich, 2016). China hat seinen Vorteil daraus gezogen, denn durch die Direktinvestitionen wurde der chinesischen Industrie der Zugang zu ausländischen Technologien erleichtert. Schmitt et al. (2016, S. 21) sprechen diesbezüglich von einem „erzwungenem Technologietransfer“. Früher wie heute zählt der Schutz geistigen Eigentums zu den besonderen Herausforderungen für ausländische Unternehmen, die in China agieren. Die mangelnden Rechtsvorschriften und Gesetze der chinesischen Regierung haben nicht zuletzt zu der wachsenden Konkurrenz durch chinesische Unternehmen auf dem asiatischen Markt geführt. Auf diesem Wissenszuwachs möchte die VR China nun aufbauen und im Rahmen der „Made in China 2025“ Strategie vom einstigen Schwellenland zur innovationsfähigen Industrienation aufsteigen (Schmitt et al., 2016, S. 5). Um innovative Technologien vorantreiben zu können, sind allerdings hochqualifizierte Fachkräfte für die Produktion erforderlich. Das Finden von qualifizierten Mitarbeitern/-innen wird, gefolgt vom Halten solcher in den Unternehmen, als größte Herausforderung von deutschen Unternehmen, die in China Produktionsstätten errichtet haben, benannt (AHK Greater China Shanghai, 2014). Unter chinesischen Arbeitskräften ist zudem das Jobhopping weit verbreitet. Die Zugehörigkeitszeiten zum Unternehmen sind folglich davon abhängig, ob ein anderes Unternehmen attraktivere Konditionen anbieten kann. Von den Herausforderungen der Rekrutierung, Qualifizierung und Bindung sind sowohl deutsche als auch chinesische Unternehmen deshalb gleichermaßen betroffen. Die vorliegende Forschungsarbeit widmet sich daher der Frage, wie deutsche Unternehmen in China den Zugang zu entsprechend qualifiziertem Fachpersonal im Gastland sichern.

50

2.3.2

Forschungsstand

Qualifizierungspraktiken deutscher Unternehmen in China

Seit dem Beginn der Reform- und Öffnungspolitik im Jahre 1978 galt China durch reichlich vorhandene ungelernte und gering qualifizierte Arbeitskräfte als Zielland für die Produktion von technologisch einfachen, aber arbeitsintensiven Gütern (Bickenbach & Liu, 2011). Diese Gegebenheiten haben international agierende Unternehmen, darunter zu großen Anteilen auch deutsche Unternehmen, kontinuierlich angezogen, weshalb China lange Zeit als „verlängerte Werkbank der Welt“ (Vogel, 2017, S. 89) bezeichnet wurde. Seitdem haben sich die Anforderungen in den Produktionsstätten allerdings gewandelt. Denn mittlerweile produzieren ausländische Unternehmen am Standort China überwiegend technologieintensive, hochqualitative und anspruchsvolle Produkte, weshalb auch Innovationsaktivitäten an Bedeutung gewinnen (Li & Sheldon, 2013, S. 129). Als Grundvoraussetzung für die Herstellung von technologisch anspruchsvollen Gütern gelten nicht nur verfügbare, sondern auch qualifizierte Arbeitskräfte in der Produktion. Aufgrund der veränderten Produktionsanforderungen und der damit einhergehenden massiv angestiegenen Nachfrage nach qualifizierten Facharbeitern/-innen sind in China agierende Unternehmen zunehmend von Fachkräftemangel betroffen (Deitmer, Burchert & Han, 2013a; German Chamber of Commerce, 2015; Li & Sheldon, 2013; van der Burgt et al., 2014; Zhao et al., 2013b). Fachkräftemangel wird dabei, angelehnt an die Definition von Green, Machin und Wilkinson (1998), verstanden als Mangel von qualifizierten Arbeitskräften und den damit verbundenen Schwierigkeiten seitens der Unternehmen, Mitarbeiter/innen mit entsprechenden Fähigkeiten und Fertigkeiten für das Unternehmen zu sichern. Dieser Mangel kann nach Green et al. auf zwei Arten in Erscheinung treten. Zum einen durch die (1) Schwierigkeit seitens der Unternehmen, offene Stellen mit geeigneten Kandidaten/-innen zu besetzen, sowie durch das (2) Ausmaß der Qualifikationslücken innerhalb einer bestehenden Belegschaft. Cappelli (2001)

Deutsches Unternehmertum in China

51

ergänzt diese beiden Erscheinungsformen um eine dritte, nämlich die (3) Herausforderung, qualifizierte Arbeitskräfte im Unternehmen zu halten. Besonders betroffen vom Fachkräftemangel sind wirtschaftlich stark entwickelten Regionen mit einer hohen Unternehmensdichte, wie sie bspw. als Industrieparks an der Ostküste Chinas im Perlfluss- und Jangtsedelta vorzufinden sind (Li & Sheldon, 2013). In einem dieser Industrieparks, dem Suzhou Industrial Park (SIP), führten Li und Sheldon (2013) eine quantitativ angelegte Untersuchung zur Ergründung von Betroffenheit, Ursache und Bewältigungsstrategien hinsichtlich des Fachkräftemangels unter Berücksichtigung der lokalen Arbeitsmarktstrukturen durch. Sie leisten damit einen wesentlichen Beitrag zum wissenschaftlichen Diskurs, denn im Forschungsfeld des internationalen Personalmanagements existieren nur einige wenige Publikationen, welche die Herangehensweisen internationaler Unternehmen thematisieren, um den zunehmenden Engpass qualifizierter Fachkräfte in einem Gebiet mit lokalen Arbeitsmarkstrukturen in China zu bewältigen. Überwiegend begreifen bisherige Publikationen den Fachkräftemangel zudem eher als kontextbezogene Herausforderung und weniger als eigenständiges Phänomen (Cieri & Bardoel, 2009; Cooke, 2004). Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass Fachkräftemangel in allen Branchen des Industrieparks präsent ist und sich durch alle Qualifikationsebenen zieht - vom Facharbeiter mit Einstiegsqualifikation über erfahrene Facharbeiter/-innen und Ingenieure sowie vom blue-collar worker bis hin zum Manager (Li & Sheldon, 2013, S. 130). Li und Sheldon führen den Fachkräftemangel auf vier Ursachen zurück. Als erste Ursache ist ein Passungsproblem hinsichtlich beruflicher Fähigkeiten und Fertigkeiten zu benennen. Von den Unternehmen wird erwartet, dass Absolventen/-innen bestimmte Fähigkeiten, Fertigkeiten und Kenntnisse mitbringen, welche sie während ihrer Ausbildung allerdings gar nicht erlangt haben. Sowohl chinesische

52

Forschungsstand

als auch ausländische Unternehmen kritisieren das Qualifikationsniveau der Absolventen/-innen der Sekundar- und Tertiärbereiche und sehen die Problematik allen voran darin begründet, dass die Auszubildenden zu wenige Möglichkeiten haben, Praxis- und Anwendungserfahrung zu sammeln. Dies äußert sich wiederum durch mangelnde Problemlösekompetenz und Schwierigkeiten, einen Arbeitsplatz zu finden, der ihren Qualifikationsniveaus entspricht (Li & Sheldon, 2013). Die zweite Ursache stellen arbeitssuchende Fachkräfte aus staatlichen Unternehmen traditioneller Industrien dar. Häufig verfügen solche Fachkräfte über Expertise, die von technologisierten Produktionsunternehmen nicht mehr angefragt wird, weshalb sie lange nach einem neuen Arbeitsplatz suchen oder an einer Umschulungsmaßnahme teilnehmen müssen. Als dritte Ursache sind Qualifikationslücken innerhalb bestehender Belegschaften zu benennen. Da auf den lokalen Arbeitsmärkten keine Mitarbeiter/-innen mit passenden Qualifikationen zu verzeichnen sind, können die Lücken der Unternehmen nicht durch die Einstellung neuer Mitarbeiter/-innen geschlossen werden. Die vierte Ursache des Fachkräftemangels gründet auf das Hukou-System11 der VR China. Für chinesische Arbeiter/-innen ist es ein schwieriges Unterfangen, von einer Provinz in eine andere umzuziehen, insbesondere dann, wenn Bürger/-innen von ländlichen Gebieten in städtische umziehen möchten. Unter anderem werden Sozialleistungen nur solchen Bürgern/-innen offeriert, die in ihren Heimatprovinzen leben. Nur wenige Bürger/-innen sind dazu bereit, diese Einschränkungen für einen Arbeitsplatz in einer anderen Provinz in Kauf zu nehmen. In diesem Zuge erschweren die politischen Restriktionen durch das Hukou-System die Bereitschaft, für den Arbeitsplatz in eine andere Region umzuziehen, weshalb die provinzübergreifende Arbeitsmobilität gehemmt wird. Mit der Folge, dass in manchen Provinzen ein Überschuss an Facharbeitern/-innen einer bestimmten Qualifikation 11

Das Hukou-System ist die offizielle Wohnsitzkontrolle der Bevölkerung der VR China.

Deutsches Unternehmertum in China

53

besteht, während in anderen nicht genügend Arbeitskräfte derselben Qualifikation auf dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen – demzufolge ein weiteres Passungsproblem auftritt (Li & Sheldon, 2013, S. 135). Im Rahmen der quantitativen Untersuchung wurden die internationalen Unternehmen weiterhin zu ihren betriebsinternen HRM-Strategien befragt, die angewandt werden, um dem lokalen Fachkräftemangel zu begegnen. Die Ergebnisse zeigen, dass betriebliche Ausund Weiterbildungsstrukturen seitens der Unternehmen etabliert werden, um Passungsprobleme sowie Defizite des schulischen Bildungswesens auszugleichen. Dabei stießen die Forscher/-innen auf kreative Qualifizierungsmaßnahmen, die von einzelnen Unternehmen in Kooperation mit lokalen VET Instituten geschaffen wurden. Dieser Befund stellt eine Neuerung dar, denn bisher wurde in der wissenschaftlichen Literatur vielfach von der Abstinenz von Kooperationen zwischen Unternehmen und berufsbildenden Schulen in China berichtet und gleichzeitig der dringende Bedarf danach formuliert (Deitmer, Burchert & Han, 2013b; Rützel & Ziehm, 2006; H. Xu, 2004; Zhao, 2011; Zhao, Luo & Gu, 2013a). Laut Zhao (2013a) sehen einige chinesische Unternehmen die Verantwortung für Berufliche Bildung nicht bei sich selbst, sondern stufen sie als alleinige Aufgabe der Regierung ein. Rauner und Zhao (2009) führen die Abstinenz von Kooperationen weiterhin zum einen auf einen Mangel an gesetzlichen Rahmenbedingungen, zum anderen auf fehlende Kompetenz des Ausbildungspersonals zurück. Hinzu kommt, dass Berufsbildungsstrukturen in China und Deutschland grundlegend unterschiedlich aufgebaut sind, weshalb Absolventen/-innen beruflicher Bildungswege oftmals ein geringes Ausbildungsniveau aufweisen und intensive Trainingsmaßnahmen seitens der Unternehmen erforderlich sind, bevor Fachkräfte in der Produktion eingesetzt werden können (Li, Sheldon & Sun, 2013).

54

Forschungsstand

Allerdings sind Erkenntnisse darüber, wie international agierende Unternehmen, insbesondere deutsche Unternehmen, die Qualifizierung ihrer Facharbeiter im Gastland realisieren, um diese produktionsadäquat auf Shopfloorebene einsetzen zu können, kaum in der wissenschaftlichen Literatur vorzufinden. Eine entscheidende Grundlage bildet hierbei die international vergleichend angesetzte Untersuchung von van der Burgt et al. (2014), die das konkrete Qualifizierungsverhalten deutscher Unternehmen an ihren ausländischen Standorten, darunter auch in China, mittels einer qualitativen Herangehensweise untersucht. Vor dem Hintergrund des wissenschaftlichen Diskurses zu der Übertragbarkeit deutscher Berufsbildungsansätze auf ein fremdes Land, liefert die Untersuchung Erkenntnisse darüber, ob die Qualifizierungsstrategien von deutschen Unternehmen in China eher nach deutschem Vorbild oder nach einheimischen Verfahrensweisen ausgerichtet sind. Es konnte aufgezeigt werden, dass in keinem der untersuchten Unternehmen eine Ausbildung nach dem klassischen deutschen Ausbildungssystem etabliert wurde. Zehn der insgesamt elf Unternehmen bewältigen die Qualifizierung neuer Mitarbeiter/-innen, unabhängig davon, ob es sich um Schulabsolventen/-innen oder neueingestellte, aber erfahrene Mitarbeiter/innen handelt, durch betriebsinterne, informelle Einarbeitung, zu deren Zweck betriebsinterne Einarbeitungspläne entwickelt wurden. Weiterhin werden Mitarbeiter/-innen teilweise in das Stammunternehmen nach Deutschland entsendet, sofern hochspezifische Qualifikationen zu erlangen sind. Hinsichtlich der erforderlichen schulischen Abschlüsse gaben die Unternehmen an, dass am Standort China Hochschulabsolventen/-innen für Tätigkeiten eingestellt werden, für die in Deutschland keine akademische Berufsbildung erforderlich sei. In drei der elf deutschen Unternehmen wurden zudem Qualifizierungsstrategien identifiziert, welche die Lernorte Schule und Betrieb miteinander verbinden und in freiwilliger und regionaler Kooperation stattfinden (van der Burgt et al., 2014). Die Auszubildenden für den Fertigungsbereich werden in unternehmenseigenen

Deutsches Unternehmertum in China

55

Klassen geführt und erlangen sowohl grundlegende berufliche Fähigkeiten und Fertigkeiten als auch unternehmensspezifische Kenntnisse. Damit bestätigt die qualitative Untersuchung von van der Burgt et al. (2014) die quantitative Untersuchung von Li und Sheldon (2013) hinsichtlich der partiellen Etablierung von Kooperationen zwischen Unternehmen und Berufsschulen mit dem Ziel, den kontinuierlichen Bedarf an qualifizierten Facharbeitern nachhaltig zu decken. Hierbei handelt es sich um „autarke Insellösungen“ (van der Burgt et al., 2014, S. 154), die durch deutsche Unternehmen finanziert und ohne Einbezug der staatlichen Ebene umgesetzt werden. Van der Burgt et al. (2014) sehen in diesen partiellen Lösungen Potenzial für eine anknüpfende Weiterentwicklung. Denn durch kollektive Ausbildungsschulen mehrerer Unternehmen und unter Einbezug leistungsstarker staatlicher Berufsschulen ließen sich solche autarken Insellösungen zu flächendeckenden Strukturen weiterentwickeln. Diese wiederum würden zu einer Verbesserung des Qualifikationsniveaus von Absolventen/-innen beruflicher Schulen beitragen und positiven Einfluss auf den Fachkräftemangel der gesamten Region nehmen. Über die Existenz kollektiver Ausbildungsstrukturen deutscher Unternehmen liegen bisher allerdings noch keine wissenschaftlichen Belege vor. Die Realisierbarkeit solcher Kooperationsformen ist allerdings fraglich. Denn diejenigen Betriebe, die duale Ausbildungsstrukturen aufgebaut haben, bilden bewusst für sich selbst aus und stellen sicher, dass die während der Ausbildung erlangten Fähigkeiten und Fertigkeiten nach außen hin intransparent bleiben. Es werden bewusst keine Zertifikate ausgestellt, um die Chancen auf Abwerbung gering zu halten (van der Burgt et al., 2014, S. 149). Genauso wird hinsichtlich betriebsspezifischer Trainings und Weiterbildungen verfahren, denn die Abwerbung von qualifizierten Fachkräften stellt eine besondere Herausforderung dar, in deren Zuge die Löhne der Facharbeiter/-innen mit stark nachgefragten Fähigkeiten und Kenntnissen

56

Forschungsstand

kontinuierlich ansteigen (Li, Sheldon & Sun, 2013, S. 124). Die Unternehmen stecken in einem Dilemma. Einerseits macht es das Qualifikationsniveau der Absolventen beruflicher Schulen erforderlich, diese entsprechend der betrieblichen und produktionsadäquaten Anforderungen zu qualifizieren, andererseits erhöht die Durchführung von Qualifizierungsmaßnahmen das Risiko, dass Facharbeiter/-innen durch andere Unternehmen abgeworben werden und die Kosten der Qualifizierung folglich nicht zum Tragen kommen.

Theoretischer Bezugsrahmen 3

Tätigkeitstheorie

Die Tätigkeitstheorie bezieht sich entgegen vieler anderer Theorien nicht auf einen bestimmten Gegenstand, sondern auf die Interaktion zwischen Mensch und Umwelt im Allgemeinen (Engeström, 2008; Hemmecke, 2012). Damit ist die Tätigkeitstheorie den Metatheorien zuzuordnen. Sie wird mitunter als theoretischer Rahmen zur Beschreibung und Analyse von Arbeitstätigkeiten unter besonderer Berücksichtigung der Dynamik des Wissens in Arbeitssystemen herangezogen (Hemmecke, 2012). Mittels tätigkeitstheoretischer Modelle, die versuchen, Tätigkeit konzeptionell zu greifen, können Zusammenhänge zwischen einzelnen Akteuren, Organisationen und Institutionen, gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, der psychischen Umwelt sowie Regeln, Arbeitsmitteln und Produkten analysiert und verstanden werden (Geithner, 2012; Hemmecke, 2012). Die Tätigkeitstheorie findet überwiegend Anwendung in der Psychologie, schwerpunktmäßig in der Arbeitspsychologie. Seit Ende der 1980er Jahre hat sie sich zu einer internationalen Querschnittsdisziplin weiterentwickelt, die Konzepte aus der Psychologie, Soziologie, Ethnologie und den Erziehungswissenschaften miteinander kombiniert (vgl. Erpenbeck, 2006; Geithner, 2012; Lompscher, 2003). Sie wird zunehmend disziplinübergreifend eingesetzt, beispielsweise im Bereich des Wissensmanagements, des Lernens in Organisationen sowie in der Organisationsforschung (Blackler, Crump & McDonald, 2000; Clases & Wehner, 2002; Engeström, 2001; Hemmecke, 2012). Die Analyseeinheit der Tätigkeitstheorie ist die Tätigkeit selbst. Diese ist nach dem praxistheoretischen Verständnis, welches der Theorie zugrunde liegt, wiederum in einen Kontext eingebettet, der kulturell, sozial, personal, aber auch physischer Ausprägung sein

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 L. Holle, Personalstrategische Maßnahmen von deutschen Unternehmen in China, Internationale Berufsbildungsforschung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26219-8_2

58

Tätigkeitstheorie

kann. Der Tätigkeitstheorie zufolge kann jegliche menschliche Tätigkeit nur dann verstanden werden, wenn auch der Kontext berücksichtigt wird, in dem sie ausgeführt wird. Die Tätigkeitstheorie geht davon aus, dass die einzelnen Elemente der Tätigkeit nicht statisch sind, sondern dass sie sich dann dynamisch anpassen, wenn sich die Bedingungen der Umwelt verändern. Auch Organisationen sind in solche sich verändernde Strukturen eingebettet. Mittels tätigkeitstheoretischer Modelle können die Dynamik organisationaler Strukturen und damit auch implizites Wissen analysiert werden. Das Explizieren impliziten Wissens auf organisationaler Ebene gilt wiederum als Voraussetzung, um auf organisationaler Ebene Innovationen generieren zu können (Hemmecke, 2012). Tätigkeitstheorie zielt darauf ab, das komplexe, in der Praxis vorherrschende Zusammenspiel von Individuen, Gemeinschaft und Gesellschaft abzubilden (Engeström, 2001). Grundvoraussetzung dafür ist allerdings, dass Forscher/-innen die bestehenden Konzepte, Modelle und Instrumente in ihrem realen Praxisumfeld einsetzen müssen, um komplexe Zusammenhänge in der Praxis verstehen zu können (Flick, 2016). Es ist darauf hinzuweisen, dass die dabei gewonnenen wissenschaftlichen Erkenntnisse als Status quo zu deuten sind, denn der Forschungsgegenstand, d.h. die Tätigkeit, ist in dynamische Strukturen gebettet. Um die Kontextspezifität realer Gegebenheiten offen und variabel erfassen zu können, sind insbesondere qualitative Forschungsmethoden, wie Fallstudien, Interviews, Gruppendiskussionen oder Beobachtungen, geeignet (Geithner, 2012). Auch sind die genannten Methoden zielführend, um das Wie und Warum eines Phänomens zu verstehen (Flick, 2016; Yin, 2003). Tätigkeitstheoretische Forschung ist in ihrem Wesen gleichermaßen sowohl grundlagentheoretisch als auch anwendungsorientiert. Die erkenntnistheoretischen Wurzeln reichen bis in das 18. und 19. Jahrhundert zurück und haben sich über drei Forschergenerationen hinweg herausgebildet. Im folgenden Kapitel sollen die drei Generationen dargelegt werden.

Die erste Generation nach Vygotskij

3.1

59

Die erste Generation nach Vygotskij

Das ursprüngliche Modell der Tätigkeitstheorie geht auf das von Vygotskij (1978) begründete Konzept des kultur-historisch vermittelten Handelns zurück. Bis dahin existierte die von Pawlow (1926) geprägte Vorstellung von menschlicher Entwicklung als eines rein biologischen und behavioristischen Prozesses, der sich alleinig im Individuum selbst ereignet. Der gesellschaftliche Zusammenhang menschlicher Existenz wurde dabei gänzlich außer Acht gelassen (Erpenbeck, 2006, S. 7). Pawlows Theorie, dass auf einen Reiz, Stimulus (S), stets eine Reaktion, Response (R), folgt, lässt sich wie folgt darstellen:

Abbildung 5: Reiz-Reaktions-Kette nach Pawlow (1926).

Vygotskij übte Kritik an der ursprünglichen Beschreibung des menschlichen Verhaltens als Reiz-Reaktions-Kette. Grund dafür war seine Annahme, dass die Entwicklung eines Individuums entgegen der Auffassung nach Pawlow maßgeblich vom Austausch mit dem sozialen Systems, welches das Individuum umgibt, beeinflusst

Abbildung 6: Modell der Vermittlung nach Vigotskij (1992, S. 186).

60

Tätigkeitstheorie

würde. Es folgten Untersuchungen, die Vygotskijs Annahme, dass Reize nicht unmittelbar zu einer Reaktion führen, sondern über Artefakte (X) vermittelt werden, bestätigten (Vygotskij, Helm & Luckmann, 1971). Infolgedessen ließ sich die ursprüngliche Denkfigur wie folgt erweitern: Artefakte sind jegliche Hilfsmittel, die von Individuen eingesetzt werden, um eine Tätigkeit zu bewältigen. Dazu zählen bspw. Werkzeuge, Zeichen, Sprache, Schriftsprache, Bilder oder Ziffern. Gleichzeitig sind angewandte Artefakte auch repräsentativ für die Erfahrungen von Subjekten, die ähnliche Herausforderungen bewältigt haben (Geithner, 2012). Folglich können Artefakte als Hilfsmittel betrachtet werden, deren Bedeutungen abhängig von der kulturellen Entwicklung spezifischer Gesellschaften sind. Sie sind nicht statisch, sondern entwickeln sich durch den Gebrauch entsprechend weiter (Geithner, 2012). Aufgrund dieser Tatsache kann die Aneignung zur Verwendung und die Verwendung von Artefakten selbst als kultur-historischer Prozess charakterisiert werden (Vygotskij et al., 1971). Im Fokus dieses Prozesses steht der Austausch zwischen den Individuen und den sie umgebenden sozialen Systemen. Dabei entfalten sich dialektische Veränderungsprozesse, denn einerseits formen die Subjekte über die Tätigkeit gesellschaftliche Prozesse, zugleich werden sie aber auch selbst durch die Tätigkeit geformt (Sannino, Daniels & Gutierrez, 2009a). Zusammengefasst meint die erste Generation des Tätigkeitsmodells nach Vygotskij, dass Subjekte bestimmte Artefakte verwenden, die

Abbildung 7: Triade von Subjekt, Gegenstand und vermittelndem Artefakt (Engeström, 2008, S. 62).

Die zweite Generation nach Leont’ev

61

in einem kultur-historischen Prozess entstanden sind, um auf einen Gegenstand bezogene Handlungen auszuführen. Drei Elemente sind dabei wesentlich: (1) der Gegenstand, der im Modell der Vermittlung an die Stelle des Reizes tritt, (2) das Subjekt, das an die Stelle der Reaktion tritt, und (3) die vermittelnden Artefakte, die von den Subjekten angewandt werden und auf die Erreichung eines spezifischen Gegenstands abzielen. Das Modell der kulturellen Vermittlung lässt sich als Triade mit den drei Elementen Subjekt, Gegenstand und vermittelndes Artefakt darstellen: 3.2

Die zweite Generation nach Leont’ev

Während sich der Fokus der Analyse bei der ersten Generation nach Vygotskij einzig auf das Individuum richtet, überwindet die zweite Generation nach Leont’ev diese Begrenzung. Das Konzept der Makrostruktur der Tätigkeit knüpft an die Überlegungen Vigotskijs zur aktiven Aneignung gesellschaftlich-historischer Erfahrung an, begreift jedoch Individuum und Gesellschaft als Einheit und gleichzeitig als Gegenstand der Analyse (Leont'ev, 1982). Im Fokus der Betrachtung stehen nicht länger Zeichen, die es zu entwickeln und deuten gilt, sondern gesellschaftliche Strukturen. Leont’ev schreibt gesellschaftlichen Strukturen einen hohen Stellenwert für die Entwicklung der Psyche sowie von tätigkeitsbezogenen Fähigkeiten zu (Geithner, 2012; Kreher & Oehme, 2006). Als bedeutendste gesellschaftliche Struktur fasst Leont’ev die gemeinsame Arbeitstätigkeit und die damit einhergehende Arbeitsteilung auf. In diesem Zuge führte er Untersuchungen zur Entwicklung von Arbeit, Arbeitsteilung und Produktionsverhältnissen durch, auf die auch die Grundzüge seiner Thesen zurückzuführen sind. Nach Leont’ev (1971) entwickelt sich die Gesellschaft fortlaufend weiter. Mit diesem Entwicklungsprozess gehen gesellschaftlich historische Erfahrungen einher, bspw. in Form von Werkzeugen, Kommunika-

62

Tätigkeitstheorie

tions- und Kooperationsformen, Arbeitsprodukten oder Wissensbeständen (Geithner, 2012). Diese fungieren als spezifische Artefakte, welche sich genau wie gesellschaftliche Strukturen fortlaufend weiterentwickeln und ab da an unabhängig von Individuen existieren (Schulz, 2006). Gesellschaft und Artefakte bedingen sich wechselseitig. Weiterentwickelte Gesellschaften verfügen demnach auch über eine breitere Anzahl an Artefakten mit höherer Qualität. Individuen eignen sich durch den Gebrauch dieser Artefakte neue Fähigkeiten an, wodurch sie zum einen sich selbst und zum anderen auch die Artefakte weiterentwickeln. Hierdurch wiederum wird die Weiterentwicklung der Gesellschaft vorangetrieben. Die Bedeutung einer Tätigkeit bzw. Handlung für das Subjekt kann eine gänzlich andere sein als für die Gesellschaft. Leont’ev unterscheidet hinsichtlich der Entwicklung von Arbeitsteilung daher zwischen Ziel und Motiv (Leont'ev, 1982, S. 145). Dabei hat das Ziel allen voran Bedeutung für das Subjekt und ist mit der Handlung eines Individuums verbunden. Das Motiv wiederum hat gesellschaftliche Bedeutung und ist der Tätigkeit zuzuordnen (Engeström & Sannino, 2010a). Um eine analytische Trennung zwischen den komplexen Beziehungen der individuellen Subjekte und ihrer sozialen Gemeinschaften zu erzielen, entwickelte Leont’ev (1982) im Konzept der Makrostruktur die folgenden drei analytisch trennbaren Ebenen. Die Ebene der (1) kollektiven Tätigkeit, der (2) zielorientierten Handlungen und der (3) automatisierten Operationen. In Tabelle 2 sind die drei Analyseeinheiten mit ihren Merkmalen und Charakteristika dargestellt.

Die dritte Generation nach Engeström

63

Tabelle 2: Konzept der Makrostruktur der Tätigkeit nach Leont'ev (1982, S. 110). Analyseebene (1) Tätigkeit

(2) Handlung

(3) Operation

3.3

Merkmale - Analytische Dimension - Nicht beobachtbar

Charakteristika - Tätigkeiten haben immer kollektiven Charakter (sind den Subjekten übergeordnet) - Tätigkeiten werden durch ein gemeinsam geteiltes Motiv geleitet und durch die Gemeinschaft verfolgt. - Beobachtbar - Handlungen betreffen das konkrete und beschreibTun von Individuen oder individuellen bar Gruppen - Handlungen sind auf ein Ziel ausgerichtet und werden bewusst von Subjekten ausgeführt. - Handlungen haben einen Anfang und ein Ende - Handlungen erfüllen die Tätigkeit und werden auf der Ebene der Tätigkeit verstehbar. - Teilweise - Operationen sind Automatismen, Roubeobachtbar tinen und Bedingungen im Handlungsvollzug - Teilweise automatisiert

Die dritte Generation nach Engeström

Die Theorie des expansiven Lernens von Yrjö Engeström ist an anderer Stelle bereits ausführlich dargestellt worden (Sannino, Daniels & Gutierrez, 2009b), weshalb hier nur die zentralen Konzepte skizziert werden.

64

Tätigkeitstheorie

Handlung und Tätigkeit Das Fundament der Theorie bildet die Unterscheidung von individueller Handlung und kollektiver Tätigkeit. In der kollektiven Tätigkeit wirken individuelle Handlungen zusammen, um ein gemeinsames Ergebnis bzw. eine gemeinsame Wirkung zu erreichen. Ein Subjekt formt über Werkzeuge bzw. Instrumente die kollektive Tätigkeit und wird von dieser geformt. Engeström (2011, S. 369) unterscheidet sechs epistemische Ebenen von Werkzeugen und Instrumente, die er auch als „vermittelnde Artefakte“ bezeichnet: u.a. Visionen (wozu?), Modelle von Systemen (warum?), zeitliche Verläufe, Pläne und heuristische Regeln (in welcher Reihenfolge?), Landkarten und Klassifikationen (an welchem Ort?), Geschichten und Erzählungen (wer, was, wann?) sowie Bilder und Prototypen (was?). Der Zweck der Tätigkeit manifestiert sich in einem Objekt, dem Gegenstand des Tätigkeitssystems. Durch den Prozess gesellschaftlicher Arbeitsteilung untergliedern sich Tätigkeiten jedoch nicht nur in Regel geleitete Handlungen, sondern es entsteht zudem eine Zweiteilung von einem verallgemeinerten Gegenstand mit gesellschaftlicher Bedeutung sowie einem spezifischen Gegenstand, der mit persönlichem Sinn verbunden ist (vgl. Abbildung 8).

Abbildung 8: Tätigkeitssystem.Eigene Darstellung in Anlehnung an Engeström (2008, S. 35).

Die dritte Generation nach Engeström

65

Am Tätigkeitssystem sind verschiedene Subjekte (als Referenzebene können auch Teams, Abteilungen oder Organisationen gewählt werden) mit ihren je eigenen Sinnkonstruktionen beteiligt, weshalb die Bedeutung des Tätigkeitssystems nicht identisch ist mit dem persönlichen Sinn. Mehrdeutigkeit und Widersprüche sind konstitutive Merkmale jedes Tätigkeitssystems; sie bilden den Ausgangspunkt für einen „multi-voicedness process of debate, negotiation and orchestration“ (Engeström & Sannino, 2010b, S. 5). Widersprüche und expansiver Lernzyklus Es sind diese Mehrdeutigkeiten und Widersprüche, die expansive Lernanlässe ermöglichen: „Most importantly, contradictions are the driving force of transformation. The object of an activity is always internally contradictory. It is these internal contradictions that make the object a moving, motivating and future-generating target. Expansive learning requires articulation and practical engagement with inner contradictions of the learners’ activity system“ (Engeström & Sannino, 2010b, S. 5). Den Prozess des Auflösens von Widersprüchen beschreibt Engeström in Anlehnung an Davydov (1990) als expansiven Lernzyklus, der vom Abstrakten zum Konkreten aufsteigt. Die Etappen des Lernzyklus bestehen aus (1) Infragestellung des bestehenden Tätigkeitssystems, (2) die Analyse des Tätigkeitssystems mit Identifikation der systemischen Beziehungen und deren inhärenten Widersprüche, (3) die Modellierung neuer Beziehungen auf Basis der gewonnenen Erklärungen, (4) die Überprüfung des Modells durch experimentelle Anwendung, (5) die Implementierung des Modells durch praktische Anwendung, (6) die Reflexion und Evaluation der entstehenden neuen Praxis und (7) die Konsolidierung in einer neuen stabilen Praxis. Dieser Prozess kann gelingen, aber auch scheitern: „Expansion necessarily involves also the possibility of disintegration and regression“ (Engeström & Sannino, 2010b, S. 11).

66

3.4

Tätigkeitstheorie

Interaktion von Tätigkeitssystemen

Tätigkeitssysteme wirken mit ihren Ergebnissen in die Umwelt, welche wiederum andere Tätigkeitssysteme umfasst, die ebenfalls mit ihren Ergebnissen wirken (vgl. Abbildung 9).

Abbildung 9: Tätigkeitssysteme. Eigene Darstellung in Anlehnung an Engeström (2008, S. 64).

Tätigkeitssysteme können in Auseinandersetzung mit anderen Tätigkeitssystem weitere Objekte (hier: Objekt 2) und Ergebnisse schaffen. Die oben genannte Differenz zwischen gemeinschaftlicher Bedeutung und individuellem Sinn findet sich in ähnlicher Weise in der Interaktion zwischen Tätigkeitssystemen als Differenz der Bedeutungen. Durch expansive und aufeinander bezogene Lernzyklen (Boundary Crossing) können interagierende Tätigkeitssysteme gemeinsame Grenzobjekte erschaffen (hier: Objekt 3 bzw. „Boundary Object“) mit einem gemeinsamen Ergebnis. Ein solches Grenzobjekt „lives in multiple social worlds“ mit „different identities in each“ (Star & Griesemer, 1989, S. 409). Tätigkeiten und Tätigkeitssysteme sind stets auf einen Gegenstand ausgerichtet. Im Kontext der vorliegenden Forschungsarbeit stellen je zwei Fallunternehmen den Untersuchungsgegenstand dar, weshalb es sinnvoll erscheint, die empirischen Ergebnisse der beiden Fälle anhand des Tätigkeitmodells nach Engeström zu analysieren

Interaktion von Tätigkeitssystemen

67

und zu kontrastieren. Allerdings stehen Unternehmen nie für sich alleine, sondern sie sind als struktureller Rahmen zu betrachten, in den wiederum mehrere Tätigkeiten und somit auch Tätigkeitssysteme eingebettet sind. Sie unterstützen und reglementieren sich gegenseitig (Schulz, 2006). Nach Blackler (2009) bietet es sich im Rahmen der Organisationsforschung, die an die kultur-historische Tätigkeitstheorie anknüpft, deshalb an, Unternehmen nicht in ihrer Gesamtheit als ein Tätigkeitssystem zu betrachten, sondern als gesamtes Netzwerk vielfältiger Tätigkeitssysteme. 3.4.1

Boundary Crossing

Der Prozess des „Boundary Crossings“ umfasst nach Akkermann und Bakker (Akkerman & Bakker, 2011) vier Mechanismen: (1) Das Crossing beginnt zunächst mit einer Abgrenzung und der Selbstvergewisserung des Standpunkts: Welches Tätigkeitssystem und welches Objekt bilden den Ausgangspunkt? Akkermann und Bakker benennen diesen Mechanismus als „Identifikation“. Wenn der Standpunkt geklärt ist, können (2) Bezüge aufgebaut werden, indem Tätigkeiten aufeinander abgestimmt werden. Akkermann und Bakker benennen diesen zweiten Mechanismus als „Koordination“. Wenn über Koordination Tätigkeiten miteinander in Bezug gesetzt sind, beginnt erst das eigentliche „Crossing“, indem (3) die Prinzipien der Koordination reflektiert werden. Akkermann und Bakker bezeichnen diesen Schritt entsprechend als „Reflexion“. Reflexiv werden das eigene und das fremde Objekt sowie die koordinierte Tätigkeit betrachtet. Diese Reflexion ist Voraussetzung für den vierten Mechanismus, die (4) „Transformation“. Die vormals unterschiedlichen System spezifischen Zwecke verändern sich und bilden einen neuen, gemeinsamen Zweck. Gleichwohl bleiben Unterschiede in den systembezogenen Bedeutungen erhalten, womit die Differenz zwischen den Tätigkeitssystemen erhalten bleibt.

68

3.4.2

Tätigkeitstheorie

Boundary Objects

Star und Griesemer (1989) unterscheiden vier Typen von Grenzobjekten: (1) Ideal types, (2) Standardized forms, (3) Repositories und (4) Coincident boundaries. „Ideal types“ sind gemeinsam geteilte Repräsentationen der Wirklichkeit in Form von Modellen. „Standardized Forms“ sind gemeinsam geteilte Methoden der Kommunikation, um abgestimmte Prozesse auszuführen. „Repositories“ sind gemeinsam geteilte Ordnungsmuster bzw. Strukturen. „Coincident boundaries“ sind gemeinsam geteilte Themen bzw. Inhalte. Sie bilden den kleinsten gemeinsamen Nenner. Werden diese Grenzobjekte mit den o.g. epistemischen Ebenen vermittelnder Artefakte von Engeström verglichen, so ergibt sich eine weitgehende Übereinstimmung. Zwei Typen von Grenzobjekten fehlen allerdings bei Star und Griesemer: Gemeinsam geteilte Erfahrungen und gemeinsam geteilte Perspektiven. Die Spalte „Fokus“ wurde ergänzt, um die begrifflichen Unterschiede auf einen „gemeinsamen sprachlichen Nenner“ zu bringen (vgl. Tabelle 3). Tabelle 3: Grenzobjekte. Fokus

Engeström (2011) Leitfrage Beispiele

Perspekti- Wohin? ven (Ebene 6) Modelle Warum? (Ebene 5)

Prozesse

Visionen Modell von Systemen

Star und Griesemer (1989) BezeichBeschreibung nung ---

Ideal types „It does not accurenty describe the details of any locality or thing. It is abstracted from all domains. However, it is adaptable to a local site“. Wie, in Zeitliche Ver- Standar„These are boundary obwelcher läufe, Pläne, Al- dized jects devised as methods gorithmen, Forms

Interaktion von Tätigkeitssystemen ReihenSkripte, Heurisfolge? tische Regeln (Ebene 4) Strukturen An wel- Landkarten, Repositochem Ort? Klassifikatio- ries (Ebene 3) nen, Kataloge, Sammlungen

Erfahrung Wer, was, Geschichten -wann? und Erzählun(Ebene 2) gen Inhalte Was? Bilder, Prototy- Coincident (Ebene 1) pen, Geräte zum boundaries Erkennen, Geräte zum Beschreiben, Listen

69 of common communication across dispersed work groups.“ „These are ordered ´piles´of objects which are indexed in a standardized fashion. Repositories are built to deal with problems of heterogenity caused by differences in unit of analysis“ -„These are common objects which have the same boundaries, but different internal content. … The result is that work in different sites and with different perspectives can be conducted autonomously while cooperating parties share a common referent.“

Boundary Objects sind damit die vermittelnden Artefakte bzw. die von mindestens zwei Tätigkeitssystemen gemeinsam geteilten Werkzeuge und Instrumente, um ein gemeinsames Ergebnis bzw. eine intendierte Wirkung zu erzielen. Sie sind nicht statisch, sondern dynamisch und entstehen erst im Prozess der Interaktion zwischen Tätigkeitssystemen. Den Prozess, der Objekte in einem Tätigkeitssystem und/oder Grenzobjekte von Tätigkeitssystemen hervorbringt, bezeichnet Engeström als Expansives Lernen: „In expansive learning, learners learn something that is not yet there. In other words, the learners construct a new object and concept for their collective activity, and implement this new object and concept in practice“ (Engeström & Sannino, 2010b, S. 2).

70

Tätigkeitstheorie

Objekte und Grenzobjekte können in einem Tätigkeitssystem bzw. in Tätigkeitsystemen nicht von Einzelnen isoliert geschaffen werden. Die Tätigkeitstheorie der dritten Generation erteilt keine Auskunft darüber, wie ein einzelner Mensch lernt, sondern wie Systememergenz entsteht. 3.5

Anwendung auf den Untersuchungsgegenstand

Tätigkeiten und Tätigkeitssysteme sind also stets auf einen Gegenstand ausgerichtet. Im Kontext der vorliegenden Forschungsarbeit stellen je zwei Fallunternehmen den Untersuchungsgegenstand dar, weshalb es sinnvoll erscheint, die empirischen Ergebnisse der beiden Fälle anhand des Tätigkeitmodells nach Engeström zu analysieren und zu kontrastieren. Allerdings stehen Unternehmen nie für sich alleine, sondern sie sind als struktureller Rahmen zu betrachten, in den wiederum mehrere Tätigkeiten und somit auch Tätigkeitssysteme eingebettet sind. Sie unterstützen und reglementieren sich gegenseitig (Schulz, 2006). Nach Blackler (2009) bietet es sich deshalb im Rahmen der Organisationsforschung an, die an die kultur-historische Tätigkeitstheorie anknüpft, Unternehmen nicht in ihrer Gesamtheit als ein Tätigkeitssystem zu betrachten, sondern als ganzes Netzwerk vielfältiger Tätigkeitssysteme. Dabei können einzelne Tätigkeitssysteme sowohl vertikale als auch horizontale Verknüpfungen eingehen. Vertikale Beziehungsgefüge Das bedeutet, dass Unternehmen bspw. das übergeordnete Gesamtziel verfolgen, ein gewisses Produkt herzustellen, das Tätigkeitssystem des Unternehmens allerdings fungiert in diesem Zuge auch als Gesamtbezugsrahmen, der verschiedenste Prozesse, Arbeitsteilungen, Abteilungen etc. vereint. Diese wiederum lassen sich ebenfalls jeweils als Tätigkeitssystem analysieren und darstellen. Folglich gibt

Anwendung auf den Untersuchungsgegenstand

71

es in Unternehmen, bezogen auf den Untersuchungsgegenstand, eine Vielzahl von Tätigkeiten und Tätigkeitssystemen, die zunächst identifiziert werden müssen, bevor ihre netzwerkartigen Beziehungen zueinander herausgearbeitet werden können (Lompscher, 2003). Das Ziel der Identifizierung von Tätigkeitssystemen ist es, implizites Wissen zu explizieren. Es ist festzuhalten, dass die jeweiligen Resultate ein Abbild der Gegenwart darstellen, da die Elemente der Tätigkeit dynamisch sind und sich dann anpassen, wenn sich ihre Umwelt verändert. Weiterhin kann implizites Wissen, je nachdem wer die Analyse durchführt, unterschiedlich expliziert werden, weshalb grundsätzlich vielfältige Interpretationsmöglichkeiten zu erwarten sind. Wenn Fallunternehmen als Tätigkeitssysteme beschrieben werden, ist davon auszugehen, dass jeweils zentrale Tätigkeiten identifiziert werden können, die von Nebentätigkeiten beeinflusst werden. Deshalb umfasst die zentrale Tätigkeit auf Ebene eines Unternehmens

Abbildung 10: Vertikale Verknüpfung zentraler und erfüllender Tätigkeiten. Eigene Darstellung, in Anlehnung an Engeström 1999, S. 98.

72

Tätigkeitstheorie

jeweils auch die benachbarten spezifischen Tätigkeitssysteme, welche die zentrale Tätigkeit erfüllen. Abbildung 10 visualisiert die horizontalen Verknüpfungen zentraler und erfüllender Tätigkeiten, die sich aufgrund der hochkomplexen Arbeitsteilung in Unternehmen identifizieren lassen. Horizontale Beziehungsgefüge/Verknüpfungen Tätigkeiten können nicht nur vertikal, sondern auch horizontal miteinander verknüpft werden, wodurch Boundary Objects expliziert werden (vgl. bspw. Geithner, 2012; Lompscher, 2004; Star & Griesemer, 1989). Also gemeinsam geteilte Objekte mindestens zweier Tätigkeitssysteme, die sich auf derselben Ebene befinden und miteinander interagieren. Als anschauliches Beispiel für solch ein Phänomen sind institutionelle Einrichtungen zu nennen, die miteinander kooperieren, um ein bestimmtes gemeinsames Ziel zu verfolgen. Das gemeinsame Ziel wird zum gemeinsamen Objekt, das in diesem Zuge die beiden Tätigkeitssysteme miteinander verbindet und daher als Boundary Object fungiert (Blackler, Crump & McDonald, 2003; Engeström, 2008). Die jeweiligen Tätigkeitssysteme existieren zunächst unabhängig voneinander und begegnen sich auf derselben Ebene. Ihre Tätigkeiten sind auf eigenständige Objekte ausgerichtet, die zunächst nicht in Verbindung zueinander stehen. Durch das Zusammentreffen beider Tätigkeitssysteme, bspw. in Form von Dialogen, Konflikten oder Widersprüchen, welche die jeweiligen Objekte betreffen, können die Tätigkeitssysteme über ihre Objekte miteinander verknüpft und in einem nächsten Schritt zu einem Objekt verdichtet werden. Susan Leigh Star (2010) beschäftigte sich mit der Frage, welche Voraussetzungen ein Objekt erfüllen muss, um sich als Boundary Object zu eignen. Denn sie stellte fest, dass grundsätzlich in jedem Begriff ein Boundary Object verborgen sein kann. Als Beispiele benennt sie eine berühmte Persönlichkeit sowie ein Wort. Beide könnten generell als Boundary Object fungieren, allerdings kommt es

Anwendung auf den Untersuchungsgegenstand

73

nach Star (ebd.) dabei auf zwei Aspekte an, die wesentlich für Boundary Objects sind: ihr Ausmaß „scale“ (ebd., S. 612) sowie ihr Rahmen „scope“ (ebd., S. 613), in dem es untersucht werden soll. So bietet das Modell der Boundary Objects bspw. dann einen vielversprechenden Analyserahmen, wenn untersucht werden soll, welchen Werdegang bestimmte berühmte Persönlichkeiten haben. Für eine Untersuchung, die herausstellt, dass es verschiedene berühmte Persönlichkeiten gibt, reichen jedoch auch weniger tiefenanalytische Modelle. Es lässt sich zusammenfassen, dass sich hinter jedem Begriff unter bestimmten Voraussetzungen ein Boundary Object verbergen kann. Trotzdem eignen sich manche Begriffe bzw. Konzepte mehr als andere, da sie einen größeren Interpretationsspielraum eröffnen. Gerade zur Analyse von Organisationen bietet das Modell der Boundary Objects jedoch einen vielversprechenden und tiefenanalytischen Ansatz. Im Fokus der vorliegenden Forschungsarbeit stehen deutsche Produktionsunternehmen mit Sitz in einem Industriepark nahe Shanghai, China, die aufgrund der andauernden Knappheit von Fachkräften vor einer besonderen Herausforderung hinsichtlich der Rekrutierung, Qualifizierung und Bindung der für die Produktion erforderlichen Facharbeiter/-innen stehen. Die Analyseeinheit der Fallunternehmen ist in einen kulturellen Kontext, nämlich den Industriepark in China, eingebettet. Die Fallunternehmen begegnen ihren Herausforderungen auf unterschiedliche Art und Weise, jedoch in beiden Fällen erfolgreich, weshalb die Elemente, d.h. Instrumente, Regeln, Gemeinschaft, Arbeitsteilung, etc., ihrer zentralen Tätigkeit, ihrer Nebentätigkeiten sowie ihre bestehenden Boundary Objects von besonderem Interesse sind. Da die deutschen Unternehmen in Taicang sowohl die Herausforderungen hinsichtlich der Knappheit an Fachkräften als auch den kulturellen Kontext, in den sie eingebettet sind, teilen, herrscht hohes Forschungsinteresse daran, Interaktionsbeziehungen zwischen Tätigkeitssystemen zu analysieren.

74

Tätigkeitstheorie

Zusammengefasst eignet sich das Modell des Tätigkeitssystems dazu, vielschichtige soziale Systeme analytisch zu erläutern (Geithner, 2012). Tätigkeiten sind stets kollektiv strukturiert und können sowohl durch individuelle als auch durch kollektive Handlungen umgesetzt werden. Im Fokus der Analyse stehen jedoch die kollektiven Tätigkeiten. Das Modell des Tätigkeitssystems stellt den theoretischen Bezugsrahmen zur Analyse der empirisch gewonnenen Erkenntnisse der vorliegenden Forschungsarbeit dar. Diese werden in Kapitel 5: Erkenntnis detailliert aufgezeigt.

Empirische Untersuchung 4

Fallstudien in zwei Produktionsunternehmen

Das folgende Kapitel beschreibt das empirische Vorgehen der vorliegenden Forschungsarbeit. Dazu wird in Kapitel 4.1 zunächst die Thematik der Fallstudien als Forschungsmethodik dargelegt. Weiterhin wird in Kapitel 4.2 die angewandte Methodik auf den Untersuchungsgegenstand und das Untersuchungsfeld bezogen, wodurch die Auswahl der Fallstudienforschung als geeignete Vorgehensweise deutlich wird. Da der Zugang zum Feld eine entscheidende Voraussetzung darstellt, um Daten erheben zu können, werden die mit der Datenerhebung in China verbundenen Herausforderungen anschließend in Kapitel 4.3 skizziert. In Kapitel 4.4 werden die beiden Fallunternehmen zunächst vorgestellt und sodann kontrastiert, wodurch ihre Unterschiedlichkeit, aber auch ihre Gemeinsamkeiten herausgearbeitet werden. Kapitel 4.5 erläutert das Untersuchungsdesign. Schließlich werden die empirischen Ergebnisse der Forschungsarbeit fallbezogen in den Kapiteln 4.6 und 4.7 dargestellt. 4.1

Fallstudienforschung

Zur Beantwortung der Forschungsfrage bedarf es der Erfassung und Bewertung der tatsächlichen Rekrutierungs-, Qualifizierungs- und Bindungsstrategien deutscher Unternehmen in China. Da zu diesem Forschungsgebiet bislang keine Arbeiten vorliegen, ist ein quantitativ-prüfendes Forschungsdesign ausgeschlossen. Mittels einer eingebetteten Falluntersuchung soll ein Aussagensystem zum erklärenden Verstehen der Qualifizierungsstrategien deutscher Unternehmen in China hergeleitet werden. Zunächst einmal soll im folgenden Ka-

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 L. Holle, Personalstrategische Maßnahmen von deutschen Unternehmen in China, Internationale Berufsbildungsforschung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26219-8_3

76

Fallstudien in zwei Produktionsunternehmen

pitel dargelegt werden, weshalb die Fallstudie bei dieser Untersuchung das geeignete Forschungsdesign ist, wie sie sich zusammensetzt und durchgeführt wird. 4.1.1

Bedeutung und Ziel von Fallstudienforschung

Fallstudien (Einzelfallanalysen, Einzelfallstudien, Case Studies) werden der qualitativen Sozialforschung zugeordnet und haben innerhalb dieser Disziplin eine lange Tradition (Eisenhardt, 1989; Kelle & Kluge, 2010; Lamnek & Krell, 2010; Stake, 2005; Yin, 2003). Sie sind insbesondere dann eine angemessene Methodik, wenn „komplexe oder bisher unbekannte Sachverhalte ergründet werden sollen“ (Geithner, 2012, S. 118). Nach dem Standardwerk zur Fallstudienforschung von Yin (2003) eignet sich die Fallstudie als Vorgehensweise zur Erkenntnisgewinnung dann, wenn: (1) die Forschungsfrage darauf abzielt, das „Wie“ oder „Warum“ von Zusammenhängen zu untersuchen, (2) die Geschehnisse und Entwicklungen nicht durch das Forschersubjekt beeinflusst werden und (3) im Fokus der Untersuchung gegenwärtige Phänomene in ihren realen Kontexten stehen. Diese drei wesentlichen Merkmale müssen auf den Untersuchungsbereich mit seinen individuellen Fällen zutreffen. Dabei ist ein Fall (Case), angelehnt an die Definition von Johansson (2003) als Phänomen mit besonderen zeitlichen und räumlichen Bedingungen zu verstehen. Insofern gilt es im Forschungs- und Analyseprozess, die einzelnen Fälle inklusive ihrer speziellen Merkmale möglichst dicht und umfassend zu beschreiben, um so die Auswahl der Fälle transparent und intersubjektiv nachvollziehbar zu machen (Geithner, 2012; Lamnek & Krell, 2010).

Fallstudienforschung

77

Fallstudien unterliegen oftmals Kritik hinsichtlich ihrer Objektivität, Repräsentativität und Verallgemeinerbarkeit der Ergebnisse (Lamnek & Krell, 2010; Wrona, 2005). Diesen Vorwurf unterliegen nicht nur Fallstudien, sondern auch qualitative Forschungsvorgehen aufgrund ihrer schwierigen systematischen Aufbereitung der Daten und Erkenntnisse im Allgemeinen. Lange Zeit fehlte es zudem an anleitender Literatur zur Durchführung, wodurch wiederum auch keine Standards vorhanden waren, um Ergebnisse hinsichtlich ihrer Validität und Reliabilität zu überprüfen. Seit den Standardwerken von Eisenhardt (1989) und Yin (2003) zur systematischen Fallstudienforschung und Theoriebildung haben sich diese Gegebenheiten jedoch grundlegend verbessert. Dennoch sind die kritischen Einwände berechtigt, sofern mittels Fallstudien bspw. bestehende Theorien auf ihre breite Gültigkeit getestet werden sollen. Denn aufgrund der geringen Anzahl an betrachteten Fällen wäre eine statistische Induktion der Ergebnisse inadäquat. Der Vorteil von Fallstudien liegt vielmehr darin begründet, dass sie es dem Forschersubjekt ermöglichen, tief in einen realen Untersuchungsgegenstand einzutauchen (Geithner, 2012). Im Zuge der Datenerhebung können verschiedene, dem Untersuchungsgegenstand angemessene Methoden verwendet werden. Dazu zählen bspw. Beobachtung, Interviewführung und Dokumentenanalyse (Flick, 2016). Das erhobene Datenmaterial kann sodann mittels Verfahren des Fallvergleichs sowie der Fallkontrastierung und Typenbildung auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede analysiert werden, womit Muster, Gruppen und Regelmäßigkeiten sichtbar werden (Geithner, 2012; Kelle & Kluge, 2010). Hierdurch wird es möglich, Aussagensysteme zu generieren, zu überprüfen oder Theorien weiterzuentwickeln. Oftmals ist das Ziel von Fallstudien darauf ausgerichtet, mittels beschreibender Exploration Hypothesen zu generieren (Kelle & Kluge, 2010; Lamnek & Krell, 2010). Die Ausgangslage einer Fallstudie geht mit einer offenen Fragestellung einher, die versucht, das „Wie“ oder „Warum“ eines Phänomens, das in einem Kontext eingebettet ist, zu ergründen (Yin,

78

Fallstudien in zwei Produktionsunternehmen

2003). Im Rahmen dieser Forschungsarbeit soll eine Antwort darauf gegeben werden, wie sich deutsche Unternehmen in China den Zugang zu entsprechend qualifiziertem Fachpersonal im Gastland sichern. Es soll auch untersucht werden, wie landesspezifische Eigenheiten der Gastlandarbeiter/-innen hinsichtlich der Rekrutierung, Qualifizierung und Bindung berücksichtigt werden. Weiterhin liefert die Theorie keine Antwort darauf, ob das Phänomen, das der Untersuchung zugrunde liegt, durch den Einfluss der Landeskultur geprägt ist oder ob der Einfluss der Stammunternehmen mit Sitz in Deutschland dominiert. Für die Analyse und Interpretation der komplexen Gegebenheiten ist es erforderlich, tief in das Untersuchungsgebiet einzutauchen, weshalb das Vorgehen mittels Fallstudienforschung gewählt wurde. 4.1.2

Ablauf von Fallstudienforschung

Fallstudienforschung zeichnet sich grundsätzlich durch ein breites Spektrum von verwendbaren Methoden aus (Flick, 2016, S. 26). Dabei sind jedoch solche Methoden und darüber hinaus auch Theorien auszuwählen, die dem Gegenstand der Untersuchung angemessen sind (Geithner, 2012). Wie in Kapitel (4.1.1) erläutert, bieten Eisenhardt (1989) und Yin (2003) Standardwerke zur systematischen Fallstudienforschung und Theoriebildung, welche auch den idealtypischen Ablauf von Fallstudienforschung diskutieren. Eisenhardt (1989) legt folgende idealtypische Phasen dar:

Fallstudienforschung

79

Tabelle 4: Idealer Ablauf einer Fallstudienforschung (Quelle: Eisenhardt, 1989, S. 533). Schritt (1) Einstieg (2) Fallauswahl

(3) Gestaltung von Instrumenten

Tätigkeit - Definition der Forschungsfragen - vorübergehende Festlegung von Konstrukten - Festlegung der Grundgesamtheit - Begründete, nicht zufällige Auswahl der Stichprobe

-

(4) Eintritt in das Feld

(5) Datenanalyse

-

Motiv - Fokussierung des Vorhabens - Stärkere Fundierung über Konstrukte

- Beibehalten der theoretischen Flexibilität - Fokussierung des Vorhabens auf verwertbare Fälle, bspw. solche, die Theorien replizieren oder erweitern Auswahl mehrerer Methoden - Stärkung der Fundierung zur Datenerhebung durch Triangulation Kombination von qualitati- Synergetischer Blick und Beven und quantitativen Methorück-sichtigung unterschiedden licher Perspektiven Zusammenarbeit mehrerer Forscher/-innen Überschneidung der Datener- - Zeitersparnis hebung und –auswertung - Hilfreich aufgrund der MögFlexibler Methodeneinsatz lichkeit, die Methoden kurzzur Datenerhebung fristig nach Bedarf anzupassen - Kombination der Vorteile aus aktuellen Themen und individuellen Fallmerkmalen

- Analyse innerhalb des Falls - Vertrautheit schaffen mit Daten Generierung einer vorläu- Suche von Mustern, Gruppen figen Theorie und Regelmäßigkeiten mittels verschiedener Methoden - Zwingt die Forschenden dazu, hinter erste Eindrücke zu blicken und verschiedene Perspektiven einzunehmen

(6) - Iterative Tabellarisierung von - Schärfung der KonstruktdefiHypothesenBeweisen für jedes Konstrukt nition, Validität und Messbildung barkeit

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Fallstudien in zwei Produktionsunternehmen - Suche nach Gemeinsamkeiten zwischen den Fällen - Suche nach Erklärungen

- Bestätigung, Ausweitung und Schärfung der Theorie - Schaffung interner Validität

(7) Einbindung von Literatur

- Vergleich mit abweichender Literatur - Vergleich mit ähnlicher Literatur

- Erhöhung der internen Validität sowie der Generalisierbarkeit des theoretischen Gehalts und der Konstruktschärfe

(8) Abschluss

- Nach Möglichkeit theoretische Sättigung

- Beendigung des Prozesses, wenn der Erkenntnisfortschritt nur noch gering ist

Im Folgenden werden die einzelnen Schritte der Fallstudienforschung, angelehnt an Eisenhardt, skizziert und sodann auf das Vorgehen der vorliegenden Forschungsarbeit übertragen. Am Anfang einer Fallstudienforschung steht eine offene Fragestellung, die das Vorgehen mittels Fallstudie legitimiert. Allerdings muss diese offene Fragestellung beim (1) Einstieg in die Falluntersuchung dennoch auf zumindest grobe Forschungsfragen heruntergebrochen werden (Eisenhardt, 1989; Geithner, 2012). Theorien und Hypothesen werden in diesem Schritt noch nicht an den Forschungsgegenstand herangetragen, denn um offen für neue Ergebnisse zu sein, sollen Kategorien, Konzepte und Hypothesen induktiv aus dem Material entwickelt werden (Kelle & Kluge, 2010). Allerdings berichtet Eisenhardt (1989, S. 536) über die Möglichkeit, in diesem frühen Schritt bestehende Konstrukte vorübergehend zu berücksichtigen. Im weiteren Forschungsverlauf können diese Konstrukte entweder stärker forciert oder eben fallen gelassen werden. Kelle und Kluge (2010) führen hierzu an: weder empirische Verallgemeinerungen noch theoretische Aussagen „emergieren“ einfach aus dem Datenmaterial. Forscher/-innen sehen die Realität

Fallstudienforschung

81

ihres empirischen Feldes stets durch die `Linsen‘ bereits vorhandener Konzepte und theoretischer Kategorien, sie benötigen eine bestimmte theoretische Perspektive, um „relevante Daten“ zu „sehen“. (2010, S. 28)

Forscher/-innen, die dieses Vorgehen anwenden, verfügen über die Fähigkeit, „über empirisch gegebenes Material in theoretischen Begriffen zu reflektieren“ (ebd.), ein Ansatz, welcher der theoretischen Sensibilität zuzuordnen ist und von Glaser und Strauss (2010) geprägt wurde. Aus diesem Grund ist das Herantragen von theoretischem Vorwissen legitim, muss jedoch von Beginn an offengelegt werden (Geithner, 2012; Wrona, 2005). Darauf folgt die (2) Fallauswahl. Für diesen Schritt müssen zunächst einmal die Grundgesamtheit erfasst und der Untersuchungsgegenstand präzise formuliert werden. Anschließend sind die einzelnen Fälle auszuwählen. Hierfür kommen nach Flyvbjerg (2006, S. 230) unterschiedliche Strategien infrage, die in Tabelle 5 aufgezeigt werden. Tabelle 5: Strategien zur Fallauswahl. Eigene Darstellung in Anlehnung an Flyvbjerg (2006, S. 230). Zufall - Zufällige Stichprobe - Geschichtete Stichprobe

Fallauswahl Basierend auf Informationen - Extreme Fälle - Ungewöhnliche Fälle - Maximal voneinander abweichende Fälle - Kritische Fälle - Paradigmatische Fälle

Die Auswahl kann zufällig oder anhand bestimmter Informationen erfolgen. Weiterhin kann die angewandte Strategie innerhalb dieser zwei Kategorien weiter differenziert werden. Bei einer zufälligen Fallauswahl kann die Stichprobe entweder ebenso zufällig oder auf

82

Fallstudien in zwei Produktionsunternehmen

der Grundlage von einzelnen Untergruppen strategisch zusammengesetzt sein. Die Fallauswahl anhand bestimmter Informationen kann sich hingegen an extremen, voneinander abweichenden, kritischen oder paradigmatischen Fällen orientieren. In der nächsten Phase, der (3) Gestaltung von Instrumenten, werden unterschiedliche Methoden festgelegt, die geeignet sind, um Erkenntnisse zur Beantwortung der Forschungsfrage zu liefern. Dabei werden qualitative Methoden oftmals präferiert und durch quantitative Methoden ergänzt. Methodentriangulation hilft dabei, den Gegenstand der Untersuchung aus verschiedenen Perspektiven in seiner Tiefe zu erfassen (Flick, 2016; Lamnek & Krell, 2010). Die festgelegten Instrumente kommen sodann beim (4) Eintritt in das Feld zum Einsatz. Die vorher ausgewählten Methoden können während der Datenerhebung im Feld abgeändert oder erweitert werden (Eisenhardt, 1989). Dies ist für den Erkenntnisfortschritt deshalb besonders förderlich, da durch den Einblick in und die Erfahrungen im Feld Methoden optimiert werden können, um umfassende Ergebnisse über den Untersuchungsgegenstand zu liefern. Das Vorgehen der Datenerhebung im Feld verläuft zirkulär (Wrona, 2005). Berg (2006) weist darauf hin, dass während der Phase der Datenerhebung im Feld oftmals reichhaltige Feldnotizen entstehen, die sich erst zu einem späteren Zeitpunkt, nämlich in der Phase der (5) Datenanalyse, als relevant erweisen können. In diesem Schritt werden der einzelne Fall dicht und umfassend beschrieben und so seine Besonderheit konstruiert (Wrona, 2005). Für die Analyse von qualitativem Datenmaterial steht eine Vielzahl von Auswertungsmethoden zur Verfügung (Flick, 2016). Die Methode der Datenauswertung verfolgt den Anspruch, der Erhebungsmethode und dem Gegenstand gerecht zu werden. Nachdem alle Fälle einer Fallstudie auf diese Weise dargestellt wurden, können Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den individuellen Fällen herausgearbeitet werden (Berg, 2006).

Fallstudienforschung

83

Ziel der anschließenden (6) Hypothesenbildung ist es, das analysierte Material zu Konstrukten und Modellzusammenhängen zu verdichten (Berg, 2006). Dafür wird es auf Muster, Gruppen und Regelmäßigkeiten untersucht. Dieser Schritt zielt darauf ab, die Entwicklung oder Weiterentwicklung von Theorien vorzubereiten (Geithner, 2012). Durch die (7) Einbindung von Literatur werden die Befunde der durchgeführten Fallstudie mit vorhandenen Erkenntnissen zum Untersuchungsgegenstand abgeglichen. Auf diese Weise gelingt es, die eigenen Ergebnisse theoretisch einzuordnen sowie die Gültigkeit von bestehenden Theorien für das Untersuchungsfeld zu bestätigen oder zu erweitern (Berg, 2006; Wrona, 2005). Für den (8) Abschluss des Forschungsprozesses werden die wichtigsten Ergebnisse dargestellt, der Erkenntnisfortschritt erläutert und der Bedarf für zukünftige Forschungsarbeiten aufgezeigt (Berg, 2006). Idealerweise schließt der Ablauf einer Fallstudienforschung mit einer Reflexion des Forschungsprozesses. Das Vorgehen in der vorliegenden Fallstudienforschung weicht aufgrund des aufwendigen Feldzugangs vom idealtypischen Ablauf nach Eisenhardt (1989) ab. Als Fälle sind in China ansässige deutsche Unternehmen zu verstehen. Für die Auswahl der Fälle (2) wurden zunächst einmal alle Unternehmen des Sektors Herstellung von Maschinen und Maschinenkomponenten im Untersuchungsgebiet kontaktiert und deren Bereitschaft für die Untersuchung erfragt. Diejenigen Unternehmen, die ihre Bereitschaft äußerten, repräsentierten die Stichprobe für die zunächst stattfindende Felderkundung. Auf Grundlage dieses ersten Eintritts in das Untersuchungsgebiet wurden zum einen die Auswahl der Fälle auf solche Unternehmen fokussiert, die Ausbildungsstrukturen im Unternehmen aufweisen, und zum anderen wurden die Instrumente zur Datenerhebung (3) überarbeitet. Aufgrund des aufwendigen Feldzugangs konnte der Eintritt in das Feld (4) zudem nicht zirkulär, d.h. im Wechsel von Datensammlung

84

Fallstudien in zwei Produktionsunternehmen

und –auswertung, erfolgen und weicht deshalb auch hier vom idealtypischen Ablauf nach Eisenhardt (1989) ab. Angelehnt an Berg (2006), wurden aus diesem Grund in der Phase der Datenerhebung (4) im Feld umfassende qualitative Daten erhoben sowie Feldnotizen angefertigt, deren Relevanz erst durch die Analyse (5) eingeschätzt werden konnte. 4.1.3

Fallauswahl

Für die systematische Auswahl der Fälle wurden vorab Kriterien festgelegt. Sie gliedern sich in (1) vereinende Kriterien und (2) unterscheidende Kriterien. Sie sind in Tabelle 6 übersichtlich dargelegt. Das Kriterium „Wo?“ bezieht sich auf die Umwelt, in welche die beiden Fälle eingebettet sind. In dieser Untersuchung handelt es sich dabei um den Industriepark Taicang. Die beiden Fallunternehmen sind folglich in einer vergleichbaren Umgebung angesiedelt, deren Arbeitsmarkt in gleicher Weise strukturiert ist. Das Kriterium „Wann?“ bezieht sich auf die Zeit der Zugehörigkeit der Unternehmen zum Industriepark. Beiden Unternehmen kann Pionierstatus zugeschrieben werden, da sie zu den ersten deutschen Unternehmen gehörten, die ihre chinesische Niederlassung im Industriepark errichteten. Beiden Unternehmen war es damit nicht möglich, an bestehende Strukturen anzuknüpfen. Das Kriterium „Was?“ untergliedert sich in Größe und Sektor der Fallunternehmen. Beide Unternehmen sind den mittelständischen Unternehmen zuzuordnen. Berücksichtigung finden bei dieser Zuordnung jeweils die Kriterien, die in der VR China für die Definition mittelständischer Unternehmen gelten.12 Es kann davon ausgegan-

12

Die Kriterien der Definition von mittelständischen Unternehmen in der VR China unterscheiden sich von denen in Deutschland. Sie wurden im

Fallstudienforschung

85

gen werden, dass die Knappheit von Fachkräften für beide Unternehmen ein brisantes Thema darstellt, dem sie sich mit dem Ziel, Lösungen zu genieren, beide gewidmet haben. Hinsichtlich des Sektors können aufgrund ihrer Produktsparte ebenfalls beide Fallunternehmen der Herstellung von Maschinen und Maschinenkomponenten zugeordnet werden. Hierbei handelt es sich um einen Sektor, der sowohl wissens- als auch technologieintensiv ist, weshalb davon ausgegangen werden kann, dass in beiden Unternehmen hohe Qualifikationsanforderungen an die Fachkräfte gestellt werden. Die bisherigen Kriterien, die zur Auswahl der Fälle vorab festgelegt wurden, sind solche, die auf beide Unternehmen zutreffen, weshalb sie als vereinende Kriterien bezeichnet werden können. Für das Erkenntnisinteresse dieser Forschung ist es darüber hinaus jedoch wichtig, ebenfalls ein unterscheidendes Kriterium zu definieren. Dieses ist das Kriterium „Wohin?“ und richtet sich an die Strategie der Unternehmen, die maßgeblich durch ihre Führungsspitze determiniert wird. Bei der Verlagerung von Produktionsstätten in das Gastland China treffen unterschiedliche kulturelle Kontexte aufeinander, welche die Handlungsweisen der Unternehmen maßgeblich beeinflussen. Diese Handlungsweisen werden wiederum durch die Führungsspitzen der chinesischen Niederlassungen entschieden. Aus diesem Grund sind empirische Erkenntnisse über deutsche Unternehmen von hohem Interesse, deren chinesische Niederlassung je

Jahr 2003 durch das chinesische Handelsministerium, das chinesische nationale Amt für Statistik sowie von verschiedenen politischen Gremien gemeinsam beschlossen. Die Kriterien berücksichtigen die Anzahl der Mitarbeiter/-innen, den Jahresumsatz sowie die Bilanzsumme. Darüber hinaus gelten sie nicht einheitlich für Unternehmen aller Sektoren, sondern unterliegen auch hier Unterscheidungen. Für Industrieunternehmen gelten folgende Mindest- und Höchstgrenzen je Kategorie: (1) Anzahl Mitarbeiter/-innen: 300 – 2000, (2) Jahresumsatz in Mio. RMB: 30 – 300, (3) Bilanzsumme in Mio. RMB: 40 – 400. Quelle: Schulz (2009).

86

Fallstudien in zwei Produktionsunternehmen

von einem Europäer und einem Chinesen geleitet wird. Dies ermöglicht eine Kontrastierung der jeweiligen Handlungsweisen hinsichtlich ihrer Rekrutierungs-, Qualifizierungs- und Bindungsstrategien. Das Kriterium „Wie?“ ist in der dargelegten Tabelle deshalb nicht weiter ausgeführt, da es bisher noch nicht genügend empirische Erkenntnisse gibt, um diese Frage beantworten zu können. Die vorliegende Forschungsarbeit will dieses Forschungsdesiderat überwinden. Tabelle 6: Kriterien der Fallauswahl. Eigene Darstellung.

Industriepark Taicang Pionier Wann? Zeit Größe Mittelständisches Was? Unternehmen Sektor Herstellung von Maschinen und Maschinenkomponenten Wohin? Strategie Führung Wie? Wo?

4.2

Umwelt

Vereinendes Kriterium x

Unterscheidendes Kriterium

x x x

-

x -

Untersuchungsfeld Taicang, China

Der chinesische Bürgerkrieg (1927-1949) sowie die Herrschaft Mao Ze Dongs im 20. Jahrhundert ließen das Land in einer sowohl gesellschaftlich als auch wirtschaftlich angeschlagenen Verfassung zurück. Unter der anschließenden Regierung durch Deng Xiao Ping wurden ab der späten 1970er Jahre zahlreiche Wirtschaftsreformen initiiert, mit dem Ziel, wirtschaftliche Stabilität zu erlangen. Ein wichtiger Bestandteil dieser Reformen war die Errichtung von Sonderwirtschaftszonen mit besonderen wirtschaftlichen Gesetzen, von

Untersuchungsfeld Taicang, China

87

denen ausländische Unternehmen profitieren sollten (Yeung, Lee & Kee, 2009). Im Zuge der Errichtung solcher Sonderwirtschaftszonen siedelten sich internationale Unternehmen zunehmend in diesen Gebieten an. Weiterhin erhielten 14 Hafenstädte, darunter auch Shanghai, 1984 einen Sonderstatus als eine Wirtschaftliche und Technische Entwicklungszone, die Unternehmen ähnliche Bedingungen und Möglichkeiten eröffnete wie der Standort in einer Sonderwirtschaftszone (China9, 2015). Diese Gegebenheiten haben internationale Unternehmen kontinuierlich angezogen und schon bald siedelten sich ausländische Produktionsstätten auch über die Grenzen der eigentlichen Sonderwirtschaftszonen hinweg in Form von Industrieparks, die vom gestiegenen Wohlstand der Sonderwirtschaftszonen profitierten, an. Im Vergleich zu Sonderwirtschaftszonen erstrecken sich Industrieparks auf eine kleinere geografische Fläche und sind oftmals durch eine spezifische Branchenfokussierung gekennzeichnet (Li, Sheldon & Morgan, 2013). Sie sind überwiegend an der Ostküste Chinas vorzufinden. Die Standortvorteile werden dadurch begünstigt, dass die Unternehmen hier nicht nur von der infrastrukturellen Anbindung profitieren, sondern dass sie auch auf lokale Arbeitsmarktstrukturen zugreifen können (World Bank, 2007). Einer dieser Industrieparks ist der Industrial Park Taicang.13 Er liegt in der chinesischen kreisfreien Stadt Taicang in der Provinz Jiangsu und ist der Stadt Suzhou administrativ untergeordnet. Taicang grenzt im Süden und Osten an Shanghai und ist knapp 50 km vom Stadtkern der Metropole entfernt. Die Stadt erstreckt sich auf 823 km² und hat 700.000 Einwohner14 (German Centre for Industry and Trade, 2017). Mit diesen Eckdaten gehört Taicang zu den eher kleinen Städten Chinas. In den vergangenen Jahren hat Taicang zahlreiche nationale Auszeichnungen erhalten. Darunter als ökologischste, glücklichste und hygienischste Stadt, Gartenstadt, exzellente Tourismusstadt, 13 14

Im Folgenden als „Industriepark Taicang“ bezeichnet. Damit entspricht die Fläche des Industrieparks in etwa der von Berlin (ca. 891 km²).

88

Fallstudien in zwei Produktionsunternehmen

Stadt mit der fortschrittlichsten öffentlichen Sicherheit sowie als Modellstadt für Umweltschutz (Müsker, 2016). Taicang gilt als wohlhabende Kreisstadt und weist seit 2014 ein jährliches Wirtschaftswachstum von 7-8% auf. Zurückzuführen ist dieser wirtschaftliche Erfolg auf die knapp 1200 ausländischen Unternehmen, die hier ihren Produktionssitz haben. Seit 1993 siedeln sich zunehmend auch deutsche Unternehmen an. Bei knapp 250 der insgesamt 1.200 Unternehmen handelt es sich um deutsche Unternehmen (German Chamber of Commerce in China, 2016). Damit weist der Industriepark Taicang die größte Konzentration deutscher mittelständischer Unternehmen in China auf. Die Branchenfokussierung der deutschen Unternehmen richtet sich im Industriepark Taicang überwiegend auf den Sektor Maschinenbau, gefolgt vom Sektor Automotive (AHK Greater China Shanghai, 2014). Im Rahmen der empirischen Untersuchung wurden zwei deutsche Unternehmen des Sektors Herstellung von Maschinen und Maschinenkomponenten mit Sitz im Industriepark Taicang ausgewählt, die hinsichtlich der Sicherung von Fachkräften vergleichbare Herausforderungen zu bewältigen haben. Die beiden Unternehmen werden im Rahmen dieser Forschungsarbeit je als eigenständiger Fall betrachtet und im Kapitel 4.4 Vorstellung der Fallunternehmen detailliert beschrieben. 4.3

Herausforderungen für die Datenerhebung in China

Für die vorliegende Forschungsarbeit wurden qualitativ empirische Erhebungen in deutschen Unternehmen mit Sitz im German Industrial Park Taicang, China durchgeführt. Grundsätzlich stehen Kontaktaufnahme, Feldzugang und Interviewsituation in einem unmittelbaren Zusammenhang. Allerdings gilt es, für die vorliegende Forschungsarbeit nicht nur den Zugang zu lokalen Unternehmen zu bewerkstelligen, sondern auch die Kontaktaufnahme und den Eintritt in das Feld zu bewältigen. Denn das Untersuchungsgebiet ist sowohl

Herausforderungen für die Datenerhebung in China

89

regional, kulturell als auch politisch in die Strukturen der VR China eingebettet – ein Land, das durch eine autoritäre kommunistische Partei geführt wird. Alpermann (2012) bietet einen Überblick über chinaspezifische Strategien zum Zugang in bestimmte Forschungsfelder, die auch für das vorliegende Vorhaben bedeutsam sind und im Folgenden kurz skizziert werden sollen. Ausländische Wissenschaftler/-innen, die empirische Erhebungen in der VR China anstreben, benötigen für die Einreise zunächst einmal ein offizielles Einladungsschreiben seitens einer gastgebenden Institution. Auch für die Kontaktaufnahme zu Interviewpartnern/-innen sind ausländische Wissenschaftler/-innen oftmals auf die Unterstützung der institutionellen Gastgeber/-innen angewiesen. Die Anfrage für ein Interview durch namenhafte lokale Institutionen erhöht die Bereitschaft zur Teilnahme. Zurückzuführen ist dies auf die Tatsache, dass Vertreter/-innen der lokalen Einrichtungen nicht nur den Kontakt herstellen, sondern auch während des Interviews anwesend sind und so signalisieren, dass der Anlass des Besuches und die Interviewfragen von einer entsprechend höheren Stelle genehmigt wurden (Krug, 2004). Neben diesen politischen Sensibilitäten und interkulturellen Herausforderungen spielen auch sprachliche Hürden eine wesentliche Rolle in der qualitativen Interviewforschung. Idealerweise sprechen Forscher/-innen und Interviewprobanden/-innen dieselbe Muttersprache oder haben sehr gute Kenntnisse in einer gemeinsamen Fremdsprache. Sofern diese Voraussetzungen nicht gegeben sind, sind Dolmetscher/-innen hinzuzuziehen. Allerdings sind Interviews mit Dolmetschern/-innen nicht nur zeitintensiver, sondern bringen darüber hinaus auch einen Verlust an Tiefenschärfe mit sich. Denn Übersetzungen, unabhängig davon, ob während des Interviews oder in Form eines Transkripts, enthalten immer Verzerrungen und Interpretationen des tatsächlich Gesagten. Für die empirischen Untersuchungen der vorliegenden Forschungsarbeit konnte der Kontakt zu deutschen Unternehmen eigens und be-

90

Fallstudien in zwei Produktionsunternehmen

reits frühzeitig von Deutschland aus hergestellt werden. Die deutschen Niederlassungen in China haben eigene Internetauftritte, aus welchen deutsch- bzw. englischsprachige Ansprechpartner/-innen hervorgehen. Diese konnten sodann telefonisch und per E-Mail für ein Kennenlerngespräch sowie zur Terminvereinbarung kontaktiert werden. Für die weiteren forschungsrelevanten Schritte im Vorhaben war allerdings die Unterstützung durch die Kollegen des Chinesisch-Deutschen Instituts für Berufsbildung der Tongji-Universität (CDIBB) in Shanghai maßgebend erforderlich. Zum einen konnte durch das Einladungsschreiben überhaupt die Einreise nach China erst ermöglicht werden und zum anderen sollten neben den Gesprächen mit deutschen Unternehmen auch Berufsbildende Schulen/Colleges der Region erkundet werden. Durch die Kontaktaufnahme der chinesischen Kollegen/-innen des im Bereich der beruflichen Bildung namenhaften lokalen Instituts CDIBB wurde die Bereitschaft der beruflichen Schulzentren für einen Besuch des Campus sowie für die Organisation eines Gespräches erreicht. Wie es im Kulturraum China üblich ist, waren bei diesen Schulbesuchen nicht nur die Interviewer/-innen und Interviewprobanden/-innen anwesend, sondern auch Vertreter/innen der lokalen Institutionen, d.h. verschiedene Funktionsträger des CDIBB sowie der Schulzentren selbst, weshalb die Delegation stets aus insgesamt sieben bis zwölf Personen bestand. Da die jeweiligen Vertreter/-innen der chinesischen Schulzentren ausschließlich Chinesisch sprachen, war die ideale Voraussetzung einer gemeinsamen Fremdsprache nicht gegeben. Aus diesem Grund fungierten die Kollegen/-innen des CDIBB stets als Dolmetscher/-innen für die Sprachen Chinesisch/Deutsch. Aufgrund ihrer fachlichen Expertise im Bereich der Beruflichen Bildung, ihrer Vertrautheit sowohl mit den deutschen als auch mit den chinesischen politischen, wirtschaftlichen sowie gesellschaftlichen Strukturen sowie aufgrund ihrer ausgezeichneten Fremdsprachenkenntnisse im Deutschen sind nur wenige Verzerrungen des Gesagten zu erwarten.

Vorstellung der Fallunternehmen

4.4

91

Vorstellung der Fallunternehmen

Für die empirische Untersuchung wurden zwei Unternehmen15 ausgewählt, die ihren Sitz im Industriepark Taicang, China haben und Präzisionsprodukte für die Automobil-, Textil- und Konsumgüterindustrie herstellen. Die beiden Fallunternehmen, Krones Machinery (Taicang) Co., Ltd.16 und Kern-Liebers (Taicang) Co., Ltd.17 haben aufgrund ihres Standorts und der Zugehörigkeit zum gleichen Sektor vergleichbare Herausforderungen hinsichtlich der Rekrutierung, Qualifizierung und Bindung ihrer Mitarbeiter/-innen auf dem Shopfloor zu bewältigen. Beide Unternehmen produzieren technologisch anspruchsvolle, teilweise auch kundenspezifische Präzisionsteile. Dafür ist es einerseits erforderlich, die kontinuierlich steigenden Qualitätsansprüche zu erfüllen und andererseits flexibel auf die Wünsche der Kunden reagieren zu können. Weiterhin sehen sich die Fallunternehmen einem hohen Innovations- und Entwicklungsdruck hinsichtlich ihrer Produkte und Prozesse ausgesetzt, der durch die wachsende Konkurrenz chinesischer Unternehmen im Wettbewerbsumfeld angetrieben wird. Die Herausforderungen, denen sich die beiden Fallunternehmen gegenüber sehen, werden nachfolgend im Detail beschrieben.18 Um diese Herausforderungen erfolgreich bewältigen zu können, ist es seitens der Unternehmen erforderlich, Personal- und Organisationsentwicklungsmaßnahmen kontinuierlich anzupassen, weshalb diese als wichtige Handlungsfelder in den beiden Fallunternehmen zu betrachten sind.

15 16 17 18

Jedes der beiden Unternehmen wird dabei als eigenständiger Fall verstanden. Im Folgenden „Krones“ abgekürzt. Im Folgenden „Kern-Liebers“ abgekürzt. Die Informationen zu den Unternehmen stammen teilweise aus unternehmensinternen Firmenpräsentatio-nen und Dokumenten und sind daher nicht gesondert im Literaturverzeichnis aufzufinden.

92

4.4.1

Fallstudien in zwei Produktionsunternehmen

Krones Machinery (Taicang) Co., Ltd.

Die Krones AG ist ein mittelständisches börsennotiertes Familienunternehmen mit Hauptsitz in Neutraubling bei Regensburg, das 1951 von Hermann Kronseder gegründet wurde. Das Unternehmen war lange Zeit ausschließlich familiengeführt. Seit dem Führungswechsel in 2016 steht Christoph Klenk an der Firmenspitze, der erstmals nicht zur Familie Kronseder gehört. Dennoch hält die Gründerfamilie mit 52% auch heute noch knapp über die Hälfte der Firmenanteile (Kelnberger, 2015). Die Familie ist seit dem Führungswechsel weiterhin stark in die Unternehmenspolitik involviert. So fungiert Volker Kronseder, der zuvor an der Firmenspitze stand, weiterhin als Mitglied des Aufsichtsrats. Zum Erhebungszeitpunt beschäftigt die Krones AG weltweit 12.000 Mitarbeiter/-innen, 9.000 davon in Deutschland. Entwickelt und produziert werden Einzelmaschinen und schlüsselfertige Anlagen für die Abfüll- und Verpackungstechnik sowie für die Getränkeproduktion. Neben der Auslieferung der fertigen Verpackungs- und Abfüllanlagen bietet das Unternehmen auch sämtliche Service- und Wartungsdienstleistungen für seine Kunden, die in den Sektoren Getränke- und Lebensmittelindustrie, aber auch im Chemie- und Pharmabereich angesiedelt sind. Mit der Produktion von hochwertigen Anlagen gehört die international ausgerichtete Krones AG weltweit zu den Marktführern. 2004 eröffnete die Krones AG eine Niederlassung am Standort Taicang, China und war damit eines der ersten deutschen Unternehmen, das sich in der Region Taicang ansiedelte. Zum Zeitpunkt der Gründung waren die Produktionshallen umgeben von Wiesen, also ohne infrastrukturellen Anschluss. Der Standort in China wurde anlässlich eines Symposiums der chinesischen Regierung ausgewählt, das in Deutschland mit dem Ziel abgehalten wurde, deutsche Unternehmen für die Region Taicang zu gewinnen. Die Standortvorteile liegen für deutsche Unternehmen in der Nähe zu Shanghai und, damit einhergehend, in der guten Anbindung und Erreichbarkeit der Metropole,

Vorstellung der Fallunternehmen

93

bei gleichzeitig deutlich geringeren Lebenshaltungs- und Personalkosten begründet. Zum Erhebungszeitpunkt19 werden am Standort Taicang knapp 500 Mitarbeiter/-innen beschäftigt. Produziert werden Ersatz- und Verschleißteile für die Verpackungs- und Abfüllanlagen, die bis dato in Deutschland produziert und anschließend nach China überführt und sodann an die Kunden des chinesischen Markts ausgeliefert werden. Die Produktion von Ersatz- und Verschleißteilen wird unternehmensintern als Life-Cycle-Service Business (LCS) bezeichnet und meint die kontinuierliche Produktion von Verschleißteilen zur Versorgung der Kunden. Es handelt sich um ein anspruchsvolles, kundenspezifisches Produkt, das nach Bedarf der Kunden und in kleinen Stückzahlen vollautomatisiert gefertigt wird. Seit Ende 2013/ Anfang 2014 gibt es erstmals eine Baugruppe, die für alle Standorte weltweit in Taicang produziert wird. Zukünftig sollen nicht nur Ersatz- und Verschleißteile, sondern komplette Verpackungs- und Abfüllanlagen lokal in Taicang produziert werden. Grund dafür ist die zunehmende Konkurrenz durch chinesische Unternehmen, deren Produkte mittlerweile von hoher Qualität sind. Der Wettbewerbsvorteil der chinesischen Unternehmen liegt darin begründet, dass die kompletten Anlagen in China produziert werden und folglich keine Kosten für die Verpackung, den Transport, den Zoll und die Mehrwertsteuer anfallen, wie es bei Krones zum Erhebungszeitpunkt der Fall ist. Das chinesische Produkt kann folglich deutlich günstiger auf dem chinesischen Markt angeboten werden. Im Gegensatz zu der chinesischen Konkurrenz bietet Krones allerdings dauerhaften Service für die Kunden an. Die Stärke des deutschen Unternehmens liegt also im Vertrieb und im Service gleichermaßen. Dennoch ruht sich Krones nicht auf diesem Vorteil allein aus, sondern verfolgt das strategische Ziel, die Fertigung von Anlagen am Standort Taicang zu lokalisieren, um dem Wettbewerb durch chinesische Unternehmen standhalten zu können. 19

Die Daten wurden im April 2016 erhoben.

94

Fallstudien in zwei Produktionsunternehmen

Hierzu wird die Produktionsfläche in naher Zukunft verdoppelt. Der Ausbau ermöglicht die Produktion kompletter Abfüllanlagen am Standort Taicang, wodurch die Importgebühr der Anlagen aus Deutschland wegfällt und die Preise für die Kunden um bis zu 30% gesenkt werden können. Ein aufstrebender Kundenstamm sind neue, überwiegend chinesische Unternehmen, die zunächst einmal in günstige Anlagen investieren möchten. Diese Kunden sollen zukünftig, d.h., wenn Krones lokal komplette Anlagen zu einem ähnlichen Preis wie die chinesischen Konkurrenzunternehmen produzieren kann, gewonnen werden, bevor sich diese Kunden für das chinesische Konkurrenzprodukt entscheiden. Die autonome Unternehmensführung durch Gastlandarbeiter/-innen in allen Bereichen setzt die Verfügbarkeit von Mitarbeitern/-innen mit hohen Qualifikationsniveaus voraus. Die Gastlandarbeiter/-innen in Taicang verfügen mittlerweile über die dafür notwendigen Qualifikationen, sodass sie in allen Bereichen eingesetzt werden können. Bis dahin war es allerdings ein langer Weg, denn nach der Gründung in 2004 erfolgte die Anlernphase zunächst überwiegend durch die Entsendung von deutschen Mitarbeitern/-innen nach Taicang. Sie fungierten als Trainer und lernten die neu eingestellten Gastlandarbeiter/-innen in Bezug auf die Maschinen und Fertigungsprozesse an. Das Verhältnis zwischen deutschen und chinesischen Mitarbeitern/-innen lag bei etwa 1:10. Im Servicebereich wurden bis zum Jahr 2013 dauerhaft ca. 15% deutsche Mitarbeiter/-innen beschäftigt, da es sich hierbei um einen besonders anspruchsvollen Bereich handelt und es lange Zeit nicht genügend Gastlandarbeiter/-innen gab, die in diesem Bereich eingesetzt werden konnten. Mittlerweile sind aber auch im Servicebereich ausschließlich Gastlandarbeiter/-innen beschäftigt. Die Rekrutierung, Qualifizierung und Bindung von Gastlandarbeitern/-innen für die Produktion in Taicang stellen für Krones seit jeher eine besondere Herausforderung dar. Für die geplante Verdoppelung der Produktionsfläche einschließlich erweiterten Produktsegments

Vorstellung der Fallunternehmen

95

soll der Standort in Taicang in den kommenden Jahren von knapp 500 auf mittelfristig 900 Mitarbeiter/-innen anwachsen. Folglich wird die kontinuierliche Knappheit an verfügbaren Arbeitskräften auf dem lokalen Arbeitsmarkt zukünftig eine noch größere Herausforderung darstellen. Um diese Aufgabe bewerkstelligen zu können, ist es erforderlich, Rekrutierungs-, Qualifizierungs- und Bindungsstrategien im Unternehmen zu etablieren, die den erhöhten Personalbedarf im Unternehmen fortwährend decken können. 4.4.2

Kern-Liebers (Taicang) Co., Ltd

Die Hugo Kern und Liebers GmbH & Co. KG gehört in Deutschland zu den großen unabhängigen Familienunternehmen. Es befindet sich im Besitz zweier Familienstämme, der Kern-Liebers Firmengruppe.20 Gegründet wurde das Unternehmen 1888 von Hugo Kern. Die Unternehmensleitung wurde seitdem an die nächsten Generationen, d.h. Söhne, Enkel und Urenkel des einstigen Begründers, übertragen und befindet sich aktuell in der fünften Generation. 1971 fusionierte die Hugo Kern KG mit der Konkurrenzfirma Liebers & Co. in Ingolstadt, weshalb das Unternehmen seitdem den Namen Hugo Kern und Liebers & Co21 trägt. Das Ursprungsprodukt waren Zugfedern, die für die Uhrenindustrie im Schwarzwald gefertigt wurden. Im Laufe der vergangenen 130 Jahre hat sich der einstige Einmannbetrieb zu einer internationalen Unternehmensgruppe der Metallverarbeitung entwickelt. Hauptsitz ist Schramberg in Baden-Württemberg (Kern-Liebers, 2015).

20

21

Die Informationen zu den Unternehmen stammen teilweise aus unternehmensinternen Firmenpräsentationen und Dokumenten und sind daher nicht gesondert im Literaturverzeichnis aufzufinden. Im Folgenden Kern-Liebers KG genannt.

96

Fallstudien in zwei Produktionsunternehmen

Zum Erhebungszeitpunkt22 beschäftigt die Kern-Liebers KG weltweit 6.700 Mitarbeiter/-innen, 3.600 davon in Deutschland. Hergestellt werden technologisch anspruchsvolle Präzisionsprodukte aus Bandstahl und Draht für die Zulieferung von Systemherstellern der Automobil-, Textil- und Konsumgüterindustrie. 1993 eröffnete die Kern-Liebers KG eine Niederlassung am Standort Taicang, China und legte damit den Grundstein für einen ganzen Industriepark deutscher Unternehmen. Denn bei der Kern-Liebers Niederlassung in Taicang handelt es sich nicht nur um eines der ersten deutschen Unternehmen, das ohne Joint-Venture Partner in China errichtet wurde, sondern auch um das erste deutsche Unternehmen in Taicang überhaupt. 2005 wurde Dr.-Ing. Hans-Jochem Steim, Urgroßenkel des einstigen Begründers Hugo Kern, dafür die Ehrenbürgerwürde der Stadt Taicang verliehen (Schäfer, 2008). Das Vorhaben, eine Produktionsstätte nach China zu verlagern, bestand schon länger. Denn aufgrund der hohen Bevölkerungszahl und der noch wenigen Fahrzeuge im Land wurde China als Zukunftsmarkt für das Produktsegment des Familienunternehmens identifiziert. Allerdings konnten lange Zeit nur Joint Ventures in China errichtet werden, weshalb das Familienunternehmen das Vorhaben erst in den frühen 1990er Jahren fokussierte, als es möglich wurde, eigenständige Niederlassungen in China zu errichten. Entlang der chinesischen Ostküste, die aufgrund ihrer infrastrukturellen Anbindung entscheidende Vorteile für die Errichtung eines Werks bietet, gab es keine Standortpräferenz, weshalb mehrere mögliche Standorte in Betracht gezogen wurden. So fiel die Entscheidung für Taicang, weshalb Kern-Liebers mit seiner Werkseröffnung im Jahr 1993 als Pionier des Industrieparks gilt. In den Anfängen blieb es zunächst unklar, ob sich der Standort als richtige Entscheidung herausstellen würde, denn es gab keine infrastrukturellen Anbindungen, weshalb der tägliche Anfahrtsweg von 2,5 - 3 Stunden aus und nach Shanghai in Kauf genommen werden musste. Zusätzlich sprachen noch weniger 22

Die Datenerhebung fand im April 2016 statt.

Vorstellung der Fallunternehmen

97

Menschen als heute Englisch, geschweige denn Deutsch, weshalb es für die Mitglieder des Familienunternehmens noch schwieriger war, im Land zu kommunizieren. Das Familienunternehmen war sich des Risikos bewusst und war bereit, es dennoch einzugehen. Zu Beginn produzierte das Unternehmen mit neun Gastlandarbeitern/-innen auf einer Produktionsfläche von 400 m². Ab 1994 kamen weitere deutsche Unternehmen von sechs bis zwanzig Mitarbeitern/innen nach Taicang. Seitdem wuchs die Anzahl deutscher Unternehmen, überwiegend solcher, die ihren Standort in Baden-Württemberg haben, stetig an und auch Kern-Liebers erweiterte seine Produktionsfläche kontinuierlich. Zum Erhebungszeitpunkt23 werden am Standort Taicang knapp 1.000 Mitarbeiter/-innen beschäftigt, die Produktionsfläche liegt bei ca. 2.500 m². Produziert werden technologisch anspruchsvolle Präzisionsteile in Linienproduktion mit teilweise manuellen Arbeitsschritten. Das Hauptprodukt sind Sicherheitsgurtfedern für die Automobilindustrie, des Weiteren Drahtfedern, Bandfedern, Stanzbiegeteile sowie Feinschneid- und Stanzteile. Zudem werden Verfahren im Bereich der Wärmebehandlung angewandt. Das Unternehmen hat seine Produktion nach und nach lokalisiert. Grund dafür war, dass die Werkzeuge für das Stanzverfahren anfänglich aus Deutschland eingeführt werden mussten. Wenn sie einmal nicht im Headquarter produziert werden konnten, wurde ein anderer Standort in Deutschland oder in der Schweiz damit beauftragt, die Werkzeuge für Taicang zu fertigen. Anschließend wurden die Werkzeuge nach China überführt, wodurch hohe Importgebühren fällig wurden. Trotzdem hat sich diese Vorgehensweise hinsichtlich des Verkaufspreises rentiert. Aufgrund des hohen Aufwands und der hohen Importgebühren wurden schließlich Bemühungen unternommen, Stanzen auch in Taicang einzuführen und die dafür notwendigen Schritte einzuleiten. Mittlerweile wird dieses Verfahren nun 23

Die Daten wurden im April 2016 erhoben.

98

Fallstudien in zwei Produktionsunternehmen

auch in Taicang durchgeführt, weshalb der Auslandsstandort unabhängig von anderen Standorten des Unternehmens produzieren kann. Weiterhin konnte durch den Wegfall der Importgebühren eine höhere Gewinnspanne erzielt werden. Für die Lokalisierung der Produktion in Taicang waren jedoch Gastlandarbeiter/-innen erforderlich, die fachliche Fähigkeiten und Fertigkeiten als Werkzeugmechaniker/-innen aufweisen. Allerdings waren qualifizierte Werkzeugmechaniker/-innen auf den lokalen Arbeitsmärkten Chinas nicht in der Art und Weise vorhanden, als das sie im Unternehmen hätten eingesetzt werden können. Die Schwierigkeit liegt darin begründet, dass Werkzeugmechaniker/-innen sowohl handwerklich geschickt als auch dazu in der Lage sein müssen, eine CNC Maschine, einen Fräser oder eine Drehmaschine zu bedienen. Auf dem lokalen Arbeitsmarkt stellen solche Arbeitskräfte allerdings ein knappes Gut dar. Es gibt lediglich solche, die sehr gute handwerkliche Fähigkeiten haben, die dann aber keine CNC Maschinen bedienen können, oder andersherum. Da die Rekrutierung von Werkzeugmechanikern/-innen keine Option war, wählte Kern-Liebers auch diesbezüglich den Weg als Pionier und gründete im Jahr 2000 gemeinsam mit einem anderen deutschen Unternehmen ein Ausbildungszentrum für Werkzeugmechaniker/-innen mit dualen Berufsausbildungsstrukturen nach deutschem Vorbild. Ziel war es, Facharbeiter/-innen nach deutschem Standard zu qualifizieren, nicht nur für den eigenen Bedarf, sondern für die in Taicang ansässigen deutschen Firmen im Allgemeinen. Kern-Liebers ist aufgrund seines Pioniergeistes sowie aufgrund des hohen Engagements tief mit den lokalen Strukturen Taicangs verwurzelt. Das Unternehmen trägt maßgeblich zu dem hohen Ausbildungsstandard bei, für den der deutsche Industriepark heute berühmt ist. Dem Unternehmen gelingt es, den kontinuierlichen Bedarf an qualifizierten Gastlandarbeitern/innen zu decken, und kann daher als charakteristisches Leitbild für solche Unternehmen fungieren, die

Vorstellung der Fallunternehmen

99

vor ähnlichen Herausforderungen stehen. Da Personal- und Organisationsentwicklungsmaßnahmen im Unternehmen allerdings nicht nur aufrechterhalten, sondern auch kontinuierlich angepasst werden müssen, ist es erforderlich, Rekrutierungs-, Qualifizierungs- und Bindungsstrategien zu überprüfen und ggf. zu modifizieren, um auf zukünftige unternehmensstrategische Entwicklungen vorbereitet zu sein. 4.4.3

Zusammenfassung der Fallunternehmen

Die beiden Fallunternehmen Krones Machinery (Taicang) Co. Ltd. und Kern-Liebers (Taicang) Co., Ltd sind produzierende Unternehmen, die als charakteristische Vertreter deutscher Unternehmen in Taicang, China angesehen werden können. Beide Unternehmen sind seit ihrer Unternehmensgründung in China gleichermaßen mit einer Knappheit von qualifizierten Gastlandarbeitern/-innen konfrontiert. Vor dem Hintergrund einer zunehmenden Lokalisierungsstrategie hinsichtlich ihrer Produktionsprozesse verstärkt sich der Bedarf nach innovativen Personal- und Organisationsentwicklungsmaßnahmen, die kontinuierlich an die regionsspezifischen Strukturen und Gegebenheiten angepasst werden müssen. Die Lokalisierung der Produktion ist gleichsam unabdingbar, um die Stellung auf dem chinesischen Markt zu sichern. Denn die Produkte der chinesischen Konkurrenzunternehmen gewinnen zunehmend an Qualität und können aufgrund ihrer gänzlich lokalen Herstellung zu einem deutlich günstigeren Preis auf dem chinesischen Markt angeboten werden. Werden die beiden Fallunternehmen kontrastiert, so lässt sich die chinesische Niederlassung der Kern-Liebers Firmengruppe als Pionierunternehmen der Region identifizieren, die maßgeblich zu der heutigen Größe und Stellung des deutschen Industrieparks in Taicang beigetragen hat. Aufgrund ihrer Linienproduktion mit teilweise manuellen Arbeitsschritten und ihrem Bedarf an Arbeitskräften, die

100

Fallstudien in zwei Produktionsunternehmen

sowohl handwerklich geschickt als auch dazu in der Lage sein müssen, eine CNC Maschine zu bedienen, sind zur Deckung des spezifischen Personalbedarfs innovative Ausbildungs- und Qualifizierungsstrukturen erforderlich. Die chinesische Niederlassung der Krones AG gehörte ebenfalls zu den ersten deutschen Unternehmen, die sich in der Region Taicang niedergelassen haben, konnte allerdings auf erste regionale Strukturen aufbauen. Das gesamte Produktionsprinzip der Krones Machinery gestaltet sich kundenindividuell und in vollautomatisierten Abläufen. Für die Herstellung kundenspezifischer Produkte ist es erforderlich, die Produktionsabläufe flexibel anpassen zu können. Für den anspruchsvollen Service, durch welchen die Kunden Dienstleistungen in den Bereichen Montage, Wartung und Training in Anspruch nehmen können, sind hochqualifizierte Arbeitskräfte erforderlich. Dies deutet auf einen Etablierungsbedarf von Personal- und Organisationsentwicklungsmaßnahmen hin. Das empirische Forschungsfeld beider Unternehmen ist in Tabelle 7 zusammengefasst: Tabelle 7: Gegenüberstellung empirisch untersuchter Fallunternehmen. Eigene Darstellung.

Unternehmen weltweit

Kategorie 1. Ebene

Kategorie 2. Ebene MA-Zahlen (Erhebungszeitpunkt)

Headquarter Branche

Fall 1 Krones Weltweit: 12.000 MA Deutschland: 9.000 MA Taicang: 500 MA Neutraubling bei Regensburg, (Universitätsstadt) in Bayern Abfüll-/Verpackungstechnik, Getränke- u. Lebensmittelindustrie

Fall 2 Kern-Liebers Weltweit: 6.700 MA Deutschland: 3.600 MA Taicang: 1.000 MA Schramberg in Baden-Württemberg Metallverarbeitung, Zulieferer für Systemhersteller der Automobil-,

Vorstellung der Fallunternehmen

Gründungsjahr Regionale Bedingungen

Standort Taicang

Standortgröße Unternehmensform Standortwahl

Firmenphilosophie Produktion Produkt

Kunden

101

sowie Chemie- und Pharmabereich

Textil- und Konsumgüterindustrie

2004

1993

Zu Beginn: Eines der ersten deutschen Unternehmen in der Region, geringe Infrastruktur MA-Anzahl: 500

Zu Beginn: Erstes deutsches Unternehmen in der Region überhaupt, keine Infrastruktur MA-Anzahl: 1.000

Mittelständisches Familienunternehmen Entscheidungsgrundlage: Symposium der lokalen Regierung von Taicang in DL Standortvorteile: Gute Anbindung/Erreichbarkeit zu Shanghai, niedrige Lebenshaltungsund Lohnkosten Vereinigung von Familien- und Unternehmenswerten Vollautomatisiert

Mittelständisches Familienunternehmen Entscheidungsgrundlage: Keine Präferenz innerhalb der Ostküste Chinas

Vereinigung von Familien- und Unternehmenswerten Linienproduktion, teilweise manuell Produkt: Sicherheitsgurtfedern, Stanzteile Produktanforderung: Technologisch anspruchsvolle Präzisionsteile

Produkt: Ersatz- und Verschleißteile von Verpackungs- und Abfüllanlagen für die Getränkeindustrie Produktanforderung: Anspruchsvolles kundenspezifisches Produkt Produktauflage: Nach Bedarf der Kunden und in kleinen Stückzahlen Chinesischer Markt Chinesischer Markt

102

Fallstudien in zwei Produktionsunternehmen Wettbewerb

Position Strategische Entwicklung

Produktsegment: Durch chinesische Konkurrenzunternehmen Lokal: Um qualifizierte MA Imitator: Standortwahl, Ausbildungsprogramm Zunehmende Lokalisierung

Lokal: Durch einzelnes deutsches Unternehmen und lokale Schule um (qualifizierte) Arbeitskräfte Pionier: Standortwahl, Ausbildungsprogramm Zunehmende Lokalisierung

Um den hohen Qualitätsansprüchen der Kunden im Herstellungsprozess gerecht zu werden, sind Rekrutierungs- und Qualifizierungspraktiken für beide Unternehmen von hoher Relevanz. Deshalb ist es erforderlich, Anreize für die Lern- und Entwicklungsbereitschaft der Belegschaft zu schaffen und die entsprechenden Kompetenzen der Mitarbeiter/-innen zu fördern. Qualifizierte Arbeitskräfte mit Lernbereitschaft und -fähigkeit bilden die Voraussetzung für eine erfolgreiche Unternehmensentwicklung. Damit geht einher, dass die zur Potenzialentwicklung und -entfaltung erforderlichen Rahmenbedingungen in den Unternehmen auch vorhanden sein müssen. Die Fallunternehmen der vorliegenden empirischen Untersuchung sind deshalb ausgewählt worden, da sie ihren Auslandsstandort in Taicang trotz unterschiedlicher personal-, produkt- und produktionsspezifischer Bedarfe kontinuierlich erweitert haben. In diesem Zuge ist es ihnen gelungen, die Produktion durch die Rekrutierung und Qualifizierung von Gastlandarbeitern/-innen zu lokalisieren. Die hierzu etablierten Personal- und Organisationsentwicklungsmaßnahmen sollen im Rahmen dieser empirischen Untersuchung hinterfragt und dargestellt werden. Die gewonnenen Erkenntnisse werden sodann analysiert und diskutiert. Das Design der empirischen Untersuchung wird nachfolgend erläutert und im Anschluss werden sodann die empirischen Ergebnisse fallbezogen dargestellt.

Untersuchungsdesign

103

Untersuchungsdesign 4.5.1 Präzisierung des Leitfadens und der Fallauswahl 4.5

In diesem Abschnitt soll die Herangehensweise zur Identifikation des Forschungsfelds und der Fallunternehmen erläutert werden. Weiterhin wird darauf eingegangen, wie der Interviewleitfaden im Laufe der Forschungsarbeit modifiziert wurde. Nach Meuser und Nagel (1991) gilt es als richtige Herangehensweise, zu Beginn eines Forschungsvorhabens ein möglichst breites Spektrum an Experten/innen zu erreichen. Sie empfehlen ein zweistufiges Auswahlverfahren, bei dem zunächst theoretische Vorannahmen berücksichtigt werden, welche in nächster Instanz durch erste Erkenntnisse im Feld spezifiziert werden. Die theoretische Sondierung des Untersuchungsfelds erfolgte durch eine eigens durchgeführte Sektorenanalyse, die durch den Zugang zu der Datenbank German Company Directory Greater China (GCD)24 der Deutschen Außenhandelskammer (AHK) Shanghai erfolgen konnte. Hierdurch wurde die bezirksfreie Stadt Suzhou, die in der Provinz Jiangsu, nahe an Shanghai liegt und sich auf 8.488 km² erstreckt, aufgrund ihrer Dichte von deutschen Unternehmen als Untersuchungsgebiet identifiziert. Die Ballungsgebiete deutscher Unternehmen konzentrieren sich innerhalb von Suzhou vor allem auf zwei Gebiete, den Suzhou Industrial Park (SIP), der westlich von Shanghai liegt, sowie den Taicang German Industrial Park, der nordwestlich von Shanghai liegt. Der SIP gilt innerhalb von Suzhou als wirtschaftlich hochentwickeltes Areal mit einer lokalen Arbeitsmarktpolitik und weist eine hohe Konzentration an deutschen Unternehmen auf. Im SIP sind derzeit insgesamt 5.000 ausländische Unternehmen angesiedelt, 25% dieser Unternehmen haben ihren Hauptsitz in Europa, 200 davon in 24

Hierbei handelt es sich um eine Datenbank der Deutschen Außenhandelskammer Shanghai, in der alle deutschen Firmen mit Sitz in China gelistet sind. Weiterhin sind in diesem Verzeichnis leitende Angestellte namentlich mit Kontaktadressen enthalten.

104

Fallstudien in zwei Produktionsunternehmen

Deutschland (AHK Greater China Shanghai, 2017). Im Taicang German Industrial Park sind derzeit insgesamt 1.200 ausländische Unternehmen angesiedelt, 250 dieser Unternehmen sind deutsche Niederlassungen (ebd.). Alle deutschen Unternehmen, die eine Produktionsstätte mit Sitz im SIP oder im Industriepark Taicang haben, wurden per E-Mail kontaktiert25 und die Bereitschaft erfragt, an der Untersuchung teilzunehmen. Durch die Rückmeldungen der Unternehmen konnte ein erster Zugang zum Forschungsfeld geschaffen werden und sodann Termine für die ersten Felderkundungen, die in 2015 stattfinden sollten, vereinbart werden. Über einen Zeitraum von zwei Wochen wurden narrativ-offene, leitfadengestützte Interviews im Forschungsfeld geführt, darunter Interviews (1) in vier verschiedenen deutschen Unternehmen, (2) in zwei chinesischen Berufsschulen, (3) in einem chinesischen Unternehmen sowie (4) in der AHK Shanghai. Die Interviews mit den (1) deutschen Unternehmen wurden geführt, um sich einen Eindruck in Bezug auf die Herausforderungen im Feld hinsichtlich der Rekrutierung, Qualifizierung und Bindung von Arbeitskräften zu verschaffen. Weiterhin konnten die Informationen der geführten Interviews in die Überarbeitung der Leitfäden einfließen. Weiterhin wurden alle wesentlichen Hinweise darüber aufgenommen, welche deutschen Unternehmen eine Schlüsselrolle hinsichtlich der Aus- und Weiterbildung von Gastlandarbeitern/-innen in der Region spielen. Die Interviews (2) an den beiden chinesischen Berufsschulen wurden geführt, um die chinesischen Berufsbildungsstrukturen hinsichtlich ihrer gegenwärtigen Umsetzung vor Ort zu ergründen. Auch konnten die Berufsschulen hinsichtlich ihrer Erfahrungen in der Kommunikation und Kooperation mit deutschen Unternehmen befragt werden, was zu der Suche nach weiteren bedeutsamen Probanden/-innen bei-

25

Der E-Mail-Kontakt erfolgte zu Beginn des Forschungsvorhabens im Jahr 2014.

Untersuchungsdesign

105

trug. Das Interview (3) in dem chinesischen Unternehmen wurde geführt, um einen exemplarischen Eindruck darüber zu gewinnen, ob die chinesischen Unternehmen der Region vor vergleichbaren Herausforderungen stehen wie die deutschen Unternehmen. Letztlich konnte auch ein Interview (4) mit der AHK in Shanghai geführt werden, wodurch ein Eindruck darüber gewonnen werden konnte, in welcher Form die AHK bereits mit berufsbildenden Schulen der Region kooperiert. Teilweise konnten durch die Gespräche im Feld Kontakte zu weiteren Probanden/-innen für die darauf folgende Erhebungsrunde hergestellt werden, und zwar entweder durch direkte Empfehlung bzw. Vermittlung oder indem Spuren, die während der Felderkundung aufgegriffen wurden, weiterverfolgt wurden. Auf diese Weise konnten Unternehmen und Interviewprobanden/-innen identifiziert und gezielt kontaktiert werden, die aufgrund ihrer Reputation im Feld besondere Bedeutsamkeit für die vorliegende Forschungsarbeit verhießen. Im Rahmen der zweiten Felderkundung, die in 2016 durchgeführt wurde, fanden Erhebungen einschließlich leitfadenorientierter Experteninterviews in vier verschiedenen deutschen Unternehmen mit Sitz im Industriepark Taicang statt. Weiterhin konnten Besuche an zwei berufsbildenden Schulen realisiert werden, die mit deutschen Unternehmen und der AHK kooperieren. An die Besuche gekoppelt waren jeweils Gruppengespräche mit leitenden Vertretern/-innen der Schulzentren. Die für die vorliegende Forschungsarbeit ausgewählten Fallunternehmen stammen aus der zweiten Erhebungsrunde. 4.5.2

Methoden der Datenerhebung

Im Rahmen der vorliegenden empirischen Untersuchung soll eine Antwort darauf gegeben werden, wie sich deutsche Unternehmen in China den Zugang zu entsprechend qualifiziertem Fachpersonal im Gastland sichern. Es soll auch untersucht werden, wie landesspezifische Eigenheiten der Gastlandarbeiter/-innen bei der Rekrutierung,

106

Fallstudien in zwei Produktionsunternehmen

Qualifizierung und Bindung berücksichtigt werden. Weiterhin liefert die Theorie keine Antwort darauf, ob das Phänomen, das der Untersuchung zugrunde liegt, durch den Einfluss der Landeskultur geprägt ist oder ob der Einfluss der Stammunternehmen mit Sitz in Deutschland dominiert. Für die Analyse und Interpretation der komplexen Gegebenheiten ist es erforderlich, tief in das Untersuchungsgebiet einzutauchen, weshalb das Vorgehen mittels Fallstudienforschung (siehe Kapitel 4.1) gewählt wurde. Im Zuge der Datenerhebung können verschiedene, dem Untersuchungsgegenstand angemessene Methoden verwendet werden. Dazu zählen bspw. die Interviewführung, Beobachtung und Dokumentenanalyse (Flick, 2016). Deshalb wurde zur Datenerhebung in den beiden Fallunternehmen ein Methodenmix aus leitfadengestützten Interviews, Dokumentenanalyse und Beobachtung auf Produktionsebene angewendet. Der Schwerpunkt liegt dabei explizit auf den qualitativen Interviews, denn vor dem Hintergrund des oben skizziertes Ansatzes sowie im Kontext der zu sammelnden Informationen, die Detailwissen und Handlungserfahrungen erfordern, bietet sich eine qualitative Vorgehensweise durch narrativ-offene, leitfadengestützte Experten/-inneninterviews nach Meuser und Nagel (1991) an. Als Expertinnen und Experten sind dabei in Anlehnung an Bogner et al. (2014) Personen zu verstehen, die, ausgehend von ihrem spezifischem Handlungsfeld, in besonderer Weise über praxiswirksames Wissen verfügen, das als handlungsleitend für andere Akteure gilt und aufgrund dessen sie häufig Funktionen mit einem hohen Maß an Prestige und Einfluss ausüben. Sie verfügen gegenüber anderen über einen gewissen Informationsvorsprung, sind aktiv beteiligt an einem Handlungszusammenhang, der Gegenstand der Untersuchung ist, und verfügen zudem über Kontextwissen. Meuser und Nagel (2002, S. 76) bezeichnen diese Form des Wissens als „Betriebswissen“. Nach Meuser und Nagel (2002) bietet es sich an, Experten/-inneninterviews leitfadenorientiert zu gestalten. Die wesentlichen Vorzüge

Untersuchungsdesign

107

dieses Vorgehens liegen darin begründet, dass die mit der Konzipierung eines Leitfadens einhergehende Arbeit eine Begegnung auf Augenhöhe zwischen Forschersubjekt und Experte/-in verspricht. Zwar sollen die Probanden/-innen durch das Stellen von Impulsfragen zu narrativen Erzählpassagen angeregt werden, jedoch fungiert der Leitfaden dabei als strukturgebendes Instrument, das den Blick auf die im Fokus der Fragestellung liegenden Themen lenkt. Weiterhin begünstigt die leitfadengestützte Vorgehensweise den Auswertungsprozess (siehe 4.5.4 Methodik und Vorgehen der Datenauswertung), da sich alle befragten Personen zu denselben Themen äußern müssen und somit eine gewisse Vergleichbarkeit über alle geführten Interviews hinweg begünstigt wird (ebd.). In Anlehnung an Meuser und Nagel (1991) wird ein strukturgebender, aber dennoch offen gehaltener Leitfaden verwendet, der es zulassen soll, die Reihenfolge der Themen zu variieren und vertiefende Fragen zu stellen. Er wurde auf Basis einer vorher analysierten Problemstellung konzipiert, lässt aber dennoch genügend Freiraum für solche Aspekte, die sich erst in der Interviewsituation selbst als bedeutsam erweisen. Der verwendete Interviewleitfaden geht aus Tabelle 8 hervor. Darin enthalten sind auch Kategorien, die für die Auswertung des Materials (siehe 4.5.4 Methodik und Vorgehen der Datenauswertung) von besonderer Bedeutung sind. Tabelle 8: Interviewleitfaden. Eigene Darstellung. 1. Einstieg: Unternehmenseckdaten 1.1 Größe der Niederlassung (Anzahl Mitarbeiter/-innen? Davon im Shopfloor?) 1.2 Seit wann am Standort? 1.3 Was wird am Standort produziert? 1.4 Warum wurde Taicang als Standort gewählt? 1.5 Inwiefern unterscheiden sich die in China und Deutschland hergestellten Produkte? 2. Rekrutierung

Kategorie Standortgröße Gründung Produkt Standortwahl Produkt

108

Fallstudien in zwei Produktionsunternehmen

2.1

Wie wurden die Shopfloormitarbeiter/-innen bei Werksöffnung eingestellt? (Ausschreibung, Auswahlkriterien, Anlernphase) 2.2 Welche Rekrutierungskanäle wurden/werden genutzt? 2.3 Nach welchen Kriterien werden die Mitarbeiter/-innen ausgewählt? 2.4 Gibt es eine Probezeit für neue Mitarbeiter/-innen? Wie gestaltet sie sich? 2.5 - Besteht ein Mangel an Mitarbeitern/innen mit entsprechenden Qualifikationen/ Mangel an Mitarbeitern/-innen im Allgemeinen? - Gibt es Bereiche, in denen von einem Mismatch/Passungsproblem zwischen Anforderungen und Qualifikation der Shopfloorarbeiter gesprochen werden kann? 2.6 - Ist ein Ausbau geplant (neuer Produktionsbereich, neue Produkte, Standorterweiterung)? - Wenn ja, wie soll rekrutiert/geschult werden? 3. Qualifizierung/Training 3.1 - Welche Weiterbildungsund Trainingsmaßnahmen wurden im Unternehmen implementiert? (z. B. on-the-job training, classroom training, internal courses, external courses, peer group learning) - Welche Weiterbildungsformen funktionieren gut? - Gibt es Formen, die überhaupt nicht funktionieren? - Sind Unterschiede in der Qualifizierung zwischen China und Deutschland erkennbar? - Wie ist Ihre Erfahrung mit Gruppentrainings? 3.2 Gibt es eine Lehrwerkstatt oder ein Testfeld? 3.3 - Wie werden Probleme im Shopfloor gelöst? - Wer beantwortet Fragen während der Arbeit, falls welche auftreten? 3.4 Wie gelingt es, chinesische Mitarbeiter/-innen nach deutschem Produktionsstandard zu qualifizieren?

Aufbauphase nach Gründung

3.5

Entsendung

- Arbeiten

deutsche

Mitarbeiter/-innen

Rekrutierungskanäle Auswahlverfahren Probezeit Mismatch

Unternehmensausblick Qualifizierungsmaßnahmen

Lehrwerkstatt Arbeitsorganisation Internationale Standards

Untersuchungsdesign (gelegentlich) auf Werkstattebene (bspw. als Trainer)? - Werden chinesische Mitarbeiter/-innen nach Deutschland entsendet? - Wenn ja, welche Mitarbeiter/-innen und was passiert danach? 4. Personalentwicklung 4.1 Wie ist HR organisiert? 4.2

Welchen eigenen (schulischen) Hintergrund haben die HR Verantwortlichen?

5. Kooperationen 5.1 Bestehen Kooperationen mit Vocational Schools oder Vocational Colleges? 5.2 Kooperationen mit Hochschulen, Universitäten? 5.3

Gibt es Kooperationen mit anderen deutschen Unternehmen in Taicang? 6. Commitment 6.1 - Inwiefern identifizieren sich die Mitarbeiter/innen mit dem Unternehmen? Ist das anders als in Deutschland? - Wie versuchen Sie, Ihre Mitarbeiter/-innen an das Unternehmen zu binden? - Welche Anreize gibt es im Unternehmen? (monetär, Auszeich-nungen, z.B. Mitarbeiter/innen des Monats) - Eher individuelle oder Gruppenprämien? 6.2 - Wie hoch ist die Fluktuation? - Was sind die Gründe? - Wann/wodurch verlassen besonders viele MA das Unternehmen? 6.3 - Kommt es vor, dass Mitarbeiter/-innen durch andere Unternehmen abgeworben werden? - Welche Unternehmen sind das (chinesische, deutsche,…)? - Eigene Rolle: „Opfer“ oder „Täter“? 6.4 Man sagt der chinesischen Kultur nach, dass die

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Human Resources Einstellungskriterien Schulkooperation Hochschulkooperation Unternehmenskooperation Bindung

Fluktuation

Abwerbung

Führungsstil

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Fallstudien in zwei Produktionsunternehmen

Einstellung zu Hierarchie und Macht fest in der Kultur verwurzelt ist und sich in bestimmten Beziehungen widerspiegelt. Zum Beispiel in der Beziehung zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern/-innen – Welche Erfahrung haben Sie damit gemacht? 6.5 - Gibt es betriebliches Vorschlagswesen (KPI)? - Wann implementiert, wie wurde es zu Beginn angenommen? - Wie viele Vorschläge kommen pro Jahr? 7. Landesspezifische Herausforderungen 7.1 - Was sind besondere Herausforderungen für die Unternehmens-führung in China? 7.3 - Wie begegnen Sie diesen Herausforderungen?

Partizipation

Herausforderung Herausforderung

Durch die Verwendung eines Leitfadens kann während des Gesprächsverlaufs überprüft werden, welche der Aspekte, die im Fokus der Fragestellung liegen, bereits abgehandelt wurden und welche noch thematisiert werden müssen, um eine Vergleichbarkeit über alle Interviews hinweg zu ermöglichen. Nur so kann eine Verallgemeinerung der Ergebnisse angestrebt werden (Flick, 2016). Nach Mayring (2002) bietet sich diese Vorgehensweise auch dann an, wenn Forscher/-innen die Möglichkeit haben sollen, in der Interviewsituation Ad-hoc-Fragen zu stellen. Auch können Fragen wiederholt oder bei Verständnisproblemen umschrieben werden. Hinsichtlich der Strukturierung von Interviewleitfäden stellen Meuser und Nagel (1991) heraus, dass theoretisch-analytisch angeleitete Themenfelder die Voraussetzung darstellen, um Betriebswissen zu erfassen. Aus diesem Grund ist der Leitfaden der vorliegenden Forschungsarbeit in thematische Schwerpunkte gegliedert. Sie wurden aufgrund der theoretischen Vorannahmen, die sich aus dem Stand der Forschung ableiten lassen, gebildet und durch die empirische Vorarbeit im Rahmen der ersten Erhebungen im Feld verfeinert. Die Experten/-innen wurden entsprechend zu den folgenden Themen befragt:

Untersuchungsdesign

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- Unternehmenseckdaten (Größe, Produkt, Produktion, Umfeld, Entwicklung,…) - Rekrutierung - Qualifizierung/Training - Personalentwicklung - Kooperationen - Commitment - Landesspezifische Herausforderungen Weiterhin sind dem Leitfaden Kategorien zu entnehmen. Auch diese sind als Vorformulierungen theorierelevanter Kategorien zu verstehen, die erst in den verdichtenden Schritten der Auswertung an Bedeutung gewinnen. Es ist davon auszugehen, dass sich nicht alle Kategorien, die aus der Theorie abgeleitet wurden und den Leitfaden zu Zwecken der Interviewführung strukturieren, auch bei der Auswertung als sinnvoll und angemessen erweisen werden (Meuser & Nagel, 1991). Folglich sind Modifikationen der vorab gebildeten Kategorien in der Auswertung erlaubt und auch erforderlich. Die Experten/-innen der vorliegenden empirischen Untersuchung setzen sich aus Personen zusammen, die eine leitende Funktion in den jeweiligen Fallunternehmen ausüben. Durchgeführt wurden die Interviews vor Ort in den jeweiligen Produktionsstätten, überwiegend in den Büroräumen der Funktionsträger/-innen. Die Interviews wurden mit Einverständnis der Interviewprobanden/-innen aufgezeichnet, um sie anschließend transkribieren und auswerten zu können. In Ergänzung zu den Leitfadeninterviews fanden vor Ort Begehungen der Produktions- und Ausbildungsstätten mit Experten/-innen statt. Auf diese Weise konnten tiefe Eindrücke in Bezug auf Arbeitsgeräte, -teilung und –abläufe gewonnen werden. Weiterhin wurde eine Dokumentenanalyse durchgeführt. Gegenstand dieser Analysen waren Dokumente, die je nach Fallunternehmen unterschiedlich wa-

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Fallstudien in zwei Produktionsunternehmen

ren, darunter bspw. Firmenpräsentationen, Organigramme, Lehrpläne beruflicher Schulen, Ausbildungspläne oder Dokumentationen über Arbeitsprozesse. 4.5.3

Vorstellung der Interviewprobanden

Tabelle 9 in diesem Kapitel vermittelt eine Übersicht über die Interviewprobanden/-innen, die als Experten/-innen für die vorliegende Forschungsarbeit ausgewählt wurden. Ihre jeweiligen Funktionen in den beiden Fallunternehmen gehen aus der Übersicht ebenso hervor wie Datum und Dauer der geführten Interviews. Tabelle 9: Vorstellung der Interviewprobanden. Eigene Darstellung. Fall 1: Krones

Fall 2: Kern-Liebers

Funktion im Unternehmen Funktionsträger seit

COO 2013

CEO 1993

Nationalität

Europäer

Chinese

Interviewsprache

Deutsch

Englisch

Datum der Erhebung

22.04.2016

18.04.2016

Dauer des Interviews

2 Std. 27 Min

2 Std. 3 Min

4.5.4

Methodik und Vorgehen der Datenauswertung

Für die vorliegende Forschungsarbeit wurden empirische Daten durch Interviews, Dokumentenanalyse und Produktionsbegehungen erhoben. Aufgrund des angestrebten Erkenntnisinteresses lag der Schwerpunkt der Datengewinnung explizit auf den qualitativen Daten, die in Form von leitfadengestützten Experten/-inneninterviews gewonnen wurden. Aus diesem Grund fokussiert sich das gegenwärtige Kapitel auf die Auswertungsmethodik des Interviewmaterials.

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Die Auswertung des Interviewmaterials, das durch leitfadengestützte Interviews mit Experten/-innen erhoben wurde, folgt der Methodik zur Auswertung von leitfadenorientierten Experten/-inneninterviews nach Meuser und Nagel (1991). Meuser und Nagel (ebd.) verstehen ihre Auswertungsstrategie als Entdeckungsstrategie, die dazu geeignet ist, um kommunikativ erhobene Daten auf nicht-standardisierte Art und Weise auszuwerten, weshalb sich die Methodik zur Analyse des zugrundeliegenden Materials anbietet. Es handelt sich um eine interpretative Auswertungsstrategie für leitfadenorientierte Experten/-inneninterviews, die durch sechs Referenzschritte definiert ist. Meuser und Nagel (ebd). weisen allerdings ausdrücklich darauf hin, dass ihre Auswertungsmethodik als Modellvorschlag zu verstehen ist, an dem sich die Auswertung des erhobenen Datenmaterials orientieren soll, dass jedoch eine flexible Anpassung an die spezifischen Untersuchungsbedingungen erfolgen kann. Der Modellvorschlag von Meuser und Nagel orientiert sich an den Wissensbeständen der interpretativen Sozialforschung, weshalb die Methodik den allgemeinen Ansprüchen qualitativer Auswertungsmethodiken folgt. Ziel dieser Methodik ist darauf ausgerichtet, die Forschungspraxis zu rekonstruieren und auf dieser Grundlage empirisches Wissen zu gewinnen, das sich aus dem erhobenen Material ableiten lässt. Sie zielt ausdrücklich nicht darauf ab, theoretische Erklärungen zu liefern oder empirische Generalisierung von Tatsachen zu erzeugen, sondern versteht sich als Art und Weise der dichten Beschreibung des empirisch gewonnenen Wissens. Eine Besonderheit der leitfadenorientierten Experten/-inneninterviews liegt darin begründet, dass thematische Einheiten, die inhaltlich zusammengehören, oftmals über weite Passagen im Gesprächsverlauf des Interviews verstreut sind. Dies resultiert aus der kommunikativen Erhebungsform, die dem/der Interviewer/-in die Möglichkeit eröffnet, situativ weiterführende Fragen zu stellen, insofern ein

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Fallstudien in zwei Produktionsunternehmen

Aspekt zur Sprache kommt, der vorab nicht im Leitfaden berücksichtigt worden ist. Auch ist es möglich, Gesprächsschleifen zu ziehen, um weitere Informationen zu einem bereits angesprochenen Themenfeld zu generieren. Aus diesem Grund orientiert sich die Auswertung des Materials bei der Auswertung nach Meuser und Nagel an thematischen Einheiten, die inhaltlich zusammenhängen. Es ist daher sinnvoll, relevante thematische Einheiten bereits bei der Konzeption des Leitfadens zu berücksichtigen. Dazu können Informationen, die aus dem Erkenntnisinteresse oder dem Kontextwissen über den Forschungsgegenstand abgeleitet werden können, schon vorab als Kategorien in das Erhebungsinstrument einfließen. Im Rahmen der Auswertung können diese Kategorien sodann aufgegriffen und spezifiziert bzw. selektiert werden. Durch diese Vorgehensweise können verschiedene Expertentexte hinsichtlich ihrer überindividuellen Gemeinsamkeiten analysiert und so gemeinsam geteilte Wissensbestände und Relevanzstrukturen über Fälle hinweg herausgearbeitet werden. Die Auswertungsmethodik setzt sich aus sechs Teilschritten zusammen. Diese werden im Folgenden beschrieben. Den theoretischen Bezugspunkt stellt durchweg Meuser und Nagel (1991) dar. Schritt 1 – Transkription Grundvoraussetzung für alle weiteren Schritte der Auswertung ist, dass das digital aufgezeichnete Interview in eine verschriftlichte Form umgewandelt wird. Das Interview wird also transkribiert. Die qualitative Sozialforschung bietet hierzu eine Reihe von Notationssystemen an, die in ihrer Anwendung unterschiedlich fein und, damit einhergehend, aufwendig sind. Bei der Auswahl einer geeigneten Vorgehensweise sind der Untersuchungsgegenstand und das Erkenntnisinteresse der Forschung, die Interviewform, die angewandt wurde, sowie die Auswertungsmethodik, die angestrebt wird, zu berücksichtigen. Für eine beabsichtigte tiefenhermeneutische Analyse

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oder eine konversationsanalytischen Auswertung ist es bspw. zwingend erforderlich, Nuancen nonverbaler und parasprachlicher Elemente, wie Tonhöhenverlauf, Geräusche, Gestik und Mimik, Pausen oder Äußerungen, wie „ähm’s“, zu erfassen (Döring, Bortz & Pöschl, 2016). Nach Meuser und Nagel ist für die Auswertung von Experten/-inneninterviews die Anwendung eines solch aufwendigen Notationssystems allerdings verzichtbar. Grund dafür ist, dass die Methodik entwickelt wurde, um Experten/-inneninterviews auszuwerten, und diese Erhebungsmethode darauf abzielt, gemeinsam geteiltes Wissen herauszuarbeiten bzw. damit ein bestimmtes Betriebs- und Kontextwissen aus unterschiedlichen Blickwinkeln herauserläutert wird. Aufwendige Notationssysteme wären aus zeit- und ressourcentechnischer Sicht unökonomisch und zudem für die Analyse wenig aussagekräftig. Meuser und Nagel weisen auf die Möglichkeit hin, schon während der Transkription sprachliche Glättung vorzunehmen, bspw. bei Wortredundanzen, abgebrochenen Sätzen, Pausen oder Wortwiederholungen. Auch ist es denkbar, Stellen, die für die Forschungsfrage irrelevant sind, lediglich kurz zusammenzufassen, entsprechende Passagen kenntlich zu machen und anschließend mit der wörtlichen Transkription fortzufahren (siehe auch Ullrich, 2006). Die folgenden Schritte dieser Auswertungsmethodik können durchaus auch, aufbauend auf ein Transkript angewandt werden, das mittels eines aufwendigeren Notationssystems angefertigt wurde. Jedoch soll die Anwendungsbezogenheit, die sich auf den Forschungsgegenstand fokussiert, zur Vollständigkeit aus diesem Kapitel hervorgehen. Schritt 2 – Paraphrase Auf Grundlage des erstellten Transkripts erfolgt der nächste Schritt der Auswertung, die Paraphrasierung des Textmaterials. Es handelt

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sich um den ersten Schritt der Verdichtung, bei dem nach thematischen Einheiten sequenziell vorgegangen wird. Damit ist gemeint, dass der Gesprächsinhalt eines Interviews in seiner realen chronologischen Abfolge, jedoch in paraphrasierter Form nachgebildet wird. Laut Meuser und Nagel ist diese Vorgehensweise deshalb dringend erforderlich, da sonst durch die mögliche Selektion erkenntnisreicher Inhalte ein „Verschenken von Wirklichkeit“ (S. 456) droht. Das Gesagte soll folglich möglichst textgetreu und in eigenen Worten wiedergegeben werden, ohne dabei Informationen zu unterschlagen, hinzuzufügen oder das Gesagte verzerrt wiederzugeben. Ziel ist lediglich die Reduktion von Komplexität. Bei der Paraphrasierung kann es durchaus dazu kommen, dass lange Passagen im Gespräch kurz und bündig paraphrasiert werden können, während kurze Passagen des Geäußerten zu langen Paraphrasierungen werden. Denn durch die tiefe Auseinandersetzung mit dem Material werden Trennlinien zwischen Themen und Relevanzen für den Untersuchungsgegenstand deutlich. Deshalb ist es nach Abschluss der chronologischen Paraphrasierung des ersten Interviewmaterials erforderlich, die zu Beginn angefertigten Paraphrasen noch einmal zu überprüfen und ggf. anzupassen. Die Erkenntnisse der Analyse des ersten Interviewtextes können im Anschluss in den noch folgenden Expertentexten angewandt werden. Schritt 3 – Überschriften Im dritten Schritt der Auswertung werden die zuvor durch Paraphrasierung generierten Textbausteine mit Überschriften versehen. Auch hier wird wieder textnah und terminologisch vorgegangen, allerdings darf die Sequenzialität des Textes aufgelöst werden, sodass innerhalb einzelner Passagen unterschiedliche Überschriften zugeordnet werden können. Dieser Ordnung schaffende Eingriff in die Prozessgestalt des Materials ist nach Meuser und Nagel deshalb erlaubt, da die Auswertung darauf abzielt, nur einen bestimmten Teil des

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Wissens von Experten/-innen herauszuarbeiten bzw. eine bereichsspezifische Analyse vorzunehmen, und diese ist unabhängig von der Eigenlogik des Einzelfalls im Datenmaterial verborgen. Die Person des Experten ist für die Auswertungsmethodik im Allgemeinen zu vernachlässigen, denn sie fungiert lediglich als Informationsträger und damit als Instrument für den Zugang zu Betriebs- und Kontextwissen. Die Überschriften sollen überwiegend induktiv aus den Paraphrasen abgeleitet werden. Durchaus möglich und sinnvoll ist es auch, auf den Interviewleitfaden zurückzugreifen und die relevanten Themenfelder auf die Überschriften anzuwenden. Inhaltlich zusammengehörende Textbausteine werden gruppiert. Ullrich (2006) empfiehlt für diesen Schritt der Auswertung die Verwendung einer Auswertungsmaske. Unter Verwendung eines Textverarbeitungsprogramms wird eine Tabelle angefertigt, die es unabhängig von der Chronologie des Materials ermöglicht, relevante Textstellen entsprechenden Kategorien zuzuordnen. Schritt 4 - Thematischer Vergleich Der vierte Schritt zielt darauf ab, die Einzelfälle nicht mehr isoliert zu betrachten, sondern thematisch vergleichbare Textpassagen herauszuarbeiten. Hierzu werden die Textpassagen aller Interviewtexte zu den jeweiligen Themen zusammengestellt. Das Resultat dieser Vorgehensweise ist ein eigenständiges Dokument, das in Themenbereiche gegliedert ist. Zu den jeweiligen Themenbereichen werden sodann die Paraphrasen und Überschriften aller Interviewtexte zusammengetragen. Für diesen Schritt ist es erforderlich, das gesamte Material erneut zu sichten, und häufig wird erst in diesem Schritt erkennbar, ob alle Textstellen relevanten Kategorien zugeordnet wurden.

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Schritt 5 – Soziologische Konzeptualisierung Der nächste Schritt findet, losgelöst von bisherigen Terminologien, statt und zielt darauf ab, die inhaltlichen Bausteine, die zuvor aus den Texten abgeleitet wurden, unter einem soziologischen Blickwinkel zu betrachten, sodass ein Anschluss an disziplinäre Diskussionen angeregt wird. In diesem Schritt zeigt sich, welche Konzepte und Strukturen des Expertenwissens miteinander verknüpft und welche Typisierungen, Verallgemeinerungen und Relevanzen systematisch erfasst werden können. Durch dieses Vorgehen wird eine empirische Generalisierung angestrebt, die allerdings nur auf das empirisch gewonnene und analysierte Material zutrifft. Schritt 6 - Theoretische Generalisierung Im sechsten Schritt erfolgt die Analyse, losgelöst vom empirischen Material, und findet nur noch anhand der soziologischen Begrifflichkeiten statt, die zuvor aus dem Material abgeleitet wurden. Ziel ist es, Typologien und Theorien zu identifizieren, die sich aus den soziologisch begründeten Sinnzusammenhängen ableiten lassen. Eigene Vorgehensweise Die Auswertungsmethodik nach Meuser und Nagel (1991) zur Auswertung von Experten/-inneninterviews wurde auf das qualitative Datenmaterial der vorliegenden Forschungsarbeit angewandt. Wie zu Beginn dieses Kapitels erläutert, betrachten Meuser und Nagel ihre dargelegte Methodik als Modellvorschlag, der an den spezifischen Untersuchungsgegenstand angepasst werden darf und soll. Die einzelnen, aufeinander aufbauenden Schritte wurden in der Datenanalyse der vorliegenden Untersuchung überwiegend eingehalten. Inwiefern die einzelnen Schritte umgesetzt und an welchen Stellen Modifikationen in der Vorgehensweise erfolgten, wird im Folgenden beschrieben.

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Für den ersten Schritt, die Transkription, wurden die Interviews, die als digitale Sprachdateien im mp3 Format vorlagen, vollständig verschriftlicht. Von der Möglichkeit, weniger wichtige Passagen des Gesagten unmittelbar eigenständig zusammenzufassen, wurde deshalb bewusst abgesehen, um sicherzustellen, dass Aspekte, die sich erst im Prozess der nächsten Schritte als bedeutsam erweisen würden, nicht verloren gehen. Die Anfertigung des Transkripts erfolgte mittels der Audiotranskriptionssoftware F4 unter Verwendung einfacher Notationsregeln. Die Sprache wurde bereits während der Transkripterstellung leicht geglättet. Das heißt, dass von der Verschriftlichung von Wortwiederholungen, „ähm‘s“, Veränderungen der Lautstärke und ähnlichen parasprachlichen Nuancen abgesehen wurde. Für den zweiten Schritt, die Paraphrasierung, wurde das Textmaterial in chronologischer Reihenfolge des Gesagten mit eigenen Worten wiedergegeben. Es wurde darauf geachtet, in diesem Schritt keine vorzeitigen Interpretationen anzustellen, sondern das Gesagte möglichst ohne Verzerrungen zu verdichten, um die Komplexität und die Menge des Materials zu reduzieren. Zur besseren Übersicht und Nachvollziehbarkeit im Vorgehen wurde ab diesem Schritt mit einer Auswertungsmaske in einem Textbearbeitungsprogramm gearbeitet. Zunächst bestand die Auswertungsmaske aus nur zwei Spalten (1) Zeilen und (2) Paraphrasierung. Die Möglichkeit der Angabe von Zeilennummern wird in der Methodik nach Meuser und Nagel zwar nicht diskutiert, sie erscheint aber sinnvoll, da so eine Rückverfolgung zum originalen Interviewmaterial zu einem späteren Zeitpunkt der Analyse ermöglicht wird. Im Verlauf der noch folgenden Schritte wurde die Auswertungsmaske stetig weiterentwickelt, die Daten bspw. in ihrer Anordnung entsprechend verändert. Die Methodik sieht es vor, dass ein einzelnes Interview zunächst vollständig paraphrasiert wird, bevor die zu Beginn gewählten Paraphrasen noch einmal gesichtet und hinsichtlich der im Verlauf der Auseinandersetzung mit dem Material gewonnenen Trennlinien ggf.

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angepasst werden. Diese Vorgehensweise wurde deshalb nicht übernommen, da die textgetreue Verdichtung des geäußerten Betriebsund Kontextwissens dadurch Verzerrungen erlitten hätte. Im dritten Schritt, den Überschriften, wurden die zuvor durch Paraphrasierung erhaltenen Textbausteine mit Überschriften versehen. Allerdings wurde für die gegenwärtige Analyse nicht mit dem Begriff Überschrift, sondern Kategorie gearbeitet. Die Verwendung der Terminologie Kategorie anstelle von Überschrift macht zunächst keinen erkennbaren Unterschied, erweist sich allerdings zu einem späteren Schritt der Auswertung als sinnvoll. Die bereits angelegte Auswertungsmaske mit den Spalten (1) Zeilen und (2) Paraphrasierung wurde um eine weitere Spalte, die der (3) Kategorie, erweitert. Die chronologische Reihenfolge des Originaltexts wurde für diesen Arbeitsschritt immer noch eingehalten. Die Sequenzialität des paraphrasierten Textes wurde, wie es die Methodik vorsieht, an entsprechenden Stellen aufgelöst. Dies passiert an solchen Stellen, an denen ein bestimmtes Betriebswissen geäußert wird, das für zwei oder mehrere Kategorien relevant ist. In diesen Fällen wird eine Paraphrasierung zerteilt oder vervielfältigt und mit entsprechenden Kategoriebezeichnungen versehen. Diese stammen entweder aus dem Interviewleitfaden oder wurden aus dem paraphrasierten Material induktiv abgeleitet. Diese Vorgehensweise wurde zunächst auf das vollständige Textmaterial in seiner chronologischen Reihenfolge angewendet, bevor eine Überprüfung und ggf. Anpassung der vor allem zu Beginn gewählten Kategoriebezeichnungen durchgeführt wurden. Denn erst im Prozess der Kategoriendefinition entscheidet sich, wie feingliedrig bei der Sequenzierung vorgegangen werden kann, was eine abschließende Angleichung erforderlich macht. Nun wird die bisher eingehaltene texttreue Ordnung des Materials dekonstruiert. Textbausteine gleicher Kategorien werden untereinander gruppiert und einem Themenfeld zugeordnet. Auf dieser Grundlage erfolgte eine weitere Maßnahme, die nach der Methodik von Meuser und Nagel (1991) zwar nicht vorgesehen ist, jedoch zielführend für

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die Verdichtung des Materials erschien. Eine weitere Spalte (4) Verdichtung innerhalb der Kategorien wurde aufgenommen und sodann alle Paraphrasen gleicher Kategorien zu einer Paraphrase verdichtet. Bei Tabelle 10 handelt es sich um einen Auszug aus der Auswertungsmaske, der die Vorgehensweise der Analyse verdeutlicht. Tabelle 10: exemplarischer Auszug der erstellten Auswertungs-Maske. 26 Eigene Darstellung.

Themenfeld: Qualifizierung/Training Verdichtung innerhalb der Kategorien Trainings- Auf dem Firmengelände Auf dem Firmengelände gibt akademie gibt es eine Trainingsakade- es eine Trainingsakademie. mie. Diese wird zum Trai- Diese wird zum Training der ning der eigenen Mitarbei- Mitarbeiter/-innen und Kunter/-innen genutzt. Ebenso den genutzt. Sie wird intensiv zum Training von Kunden. genutzt und laufend verbesTrainings- Die Trainingsakademie sert. akademie wird mit neuen Komponenten ausgestattet. Sie wird laufend verbessert, ist auf dem aktuellsten Stand. Einstellungs- Es gibt 4 Qualifikationsstu- Erreichen einer Qualifikatikriterien fen. Absolventen werden onsstufe als Einstellungsvoals Dispatch-Arbeiter ein- raussetzung. Neue MA wergestellt, bis sie die Quali- den zunächst befristet auf ca. stufe 1 erreichen. Dispatch- 3 Jahre eingestellt. Wenn sie Arbeiter verstehen sich wie in dieser Zeit die 1. QualifiLeiharbeiter. zierungsstufe erreichen, erEinstellungs- Dispatch-Arbeiter (Leihar- halten sie anschließend eine kriterien beiter), die gute Leistung Festanstellung. Diese Vorgeerbringen, werden im Un- hensweise ersetzt die nicht ternehmen fest angestellt. vorhandene Regelung einer Probezeitvereinbarung.

Zeilen Kategorie 57-60

25772585

21002103

21072110

26

Paraphrasierung

Die vollständigen Versionen der Auswertungsschemata sind dem Anhang zu entnehmen.

122 19461952

22392243

Fallstudien in zwei Produktionsunternehmen Qualifizie- Für den guten Kundenser- Jede Abteilung verfügt über rungsbudget vice sind Trainings erfor- ein gewisses Budget zu Quaderlich. Zum Kunden wer- lifizierungszwecken. Die Abden Servicemitarbeiter/-in- teilungen entscheiden selbst, nen geschickt, die professi- wer welche und wie viele onell, kompetent und Schulungen bekommt. Auch schnell auftreten. Das ist Trainings in Deutschland der Schlüssel zu einer ho- können aus diesem Budget fihen Kundenzufriedenheit. nanziert werden. Schulungen Qualifizie- Jede Abteilung verfügt über sind erforderlich, um einen rungsbudget ein gewisses Budget zu guten Kundenservice zu geQualifizierungszwecken. währleisten. Für die Arbeit Die Abteilungen entschei- beim Kunden werden Serden selbst, wer welche vicemitarbeiter/-innen ausgeSchulung bekommt. Auch wählt, die professionell und Trainings in Deutschland kompetent auftreten und können aus diesem Budget Probleme schnell beheben können. Das ist der Schlüssel finanziert werden. für eine hohe Kundenzufriedenheit.

Ein solches vierstufiges Auswertungsschema, gruppiert nach Themenfeldern, das überwiegend die Struktur des Interviewleitfadens widerspiegelt, wurde zur Analyse der Interviews beider Fallunternehmen unabhängig voneinander angefertigt. Für den vierten Schritt, den thematischen Vergleich, wurde ein separates Dokument angelegt. Denn dieser Schritt zielt nicht mehr darauf ab, Einzelfälle isoliert zu betrachten, sondern thematisch vergleichbare Inhalte herauszuarbeiten. Hierzu wurden zunächst die zuvor erstellten Auswertungsmasken beider Interviews je Themenfeld und innerhalb der Themenfelder je Kategorie zusammengetragen. Bei der Ausdifferenzierung der beiden Fallinterviews zeigte sich, dass innerhalb der Kategorien gemeinsame Strukturen identifiziert werden können. Als ordnungsschaffende Maßnahme erwies sich die Unterteilung in Kategorien 1. Ebene und Kategorien 2. Ebene zudem als sinnvoll. Dieser Arbeitsschritt stellt eine Modifikation der Me-

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thodik nach Meuser und Nagel (1991) dar, bietet für den beabsichtigten Fallvergleich jedoch eine systematisierte und damit zuverlässige Vorgehensweise. Hierin begründet sich auch die alternativ verwendete Bezeichnung Fallvergleich anstelle von thematischem Vergleich. Ein exemplarischer Auszug des separaten Auswertungsschemas zum Fallvergleich ist in Tabelle 11 dargestellt. Tabelle 11: Exemplarischer Auszug aus dem Fallvergleich. 27 Eigene Darstellung.

Themenfeld: Unternehmenseckdaten Kategorie 1. Ebene Unternehmen weltweit

Standort Taicang

27

Kategorie 2. Ebene MA-Zahlen

Fall 1 Krones Weltweit: 12.000 MA Deutschland: 9.000 MA Taicang: 500 MA Headquarter Neutraubling bei Regensburg (Universitätsstadt) in Bayern Gründungsjahr 2004 Regionale Be- Zu Beginn: Eines dingungen der ersten deutschen Unternehmen in der Region, wenig Infrastruktur Standortgröße MA-Anzahl: 500 Unternehmens- Mittelständisches form Unternehmen, bis vor kurzem familiengeführt Standortwahl Entscheidungsgrundlage: Sympo-

Fall 2 Kern-Liebers Weltweit: 6.700 MA Deutschland: 3.600 MA Taicang: 1.000 MA Schramberg in BadenWürttemberg 1993 Zu Beginn: Erstes deutsches Unternehmen in der Region, überhaupt keine Infrastruktur MA-Anzahl: 1.000 Mittelständisches Familienunternehmen Entscheidungsgrundlage: Keine Präferenz innerhalb der Ostküste

Das vollständige Auswertungsschema zum Fallvergleich befindet sich nicht im Anhang, sondern ist Tabelle 7 in Kapitel 4.8 Zusammenfassung der empirischen Ergebnisse zu entnehmen.

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Fallstudien in zwei Produktionsunternehmen sium der lokalen Regierung von Taicang in DL Standortvorteile: Gute Anbindung/Erreichbarkeit zu Shanghai, niedrige Lebenshaltungs- und Lohnkosten Firmenphiloso- Vereinigung von Faphie milien- und Unternehmenswerten Voll automatisiert Produktion Produkt

Produkt: Ersatzund Verschleißteile von Verpackungsund Abfüllanlagen für die Getränkeindustrie Produktanforderung: Anspruchsvolles, kundenspezifisches Produkt Produktauflage: Nach Bedarf der Kunden und in kleinen Stückzahlen

Chinas, Empfehlung durch Kunde

Vereinigung von Familien- und Unternehmenswerten Linienproduktion, teilweise manuell Produkt: Sicherheitsgurtfedern, Stanzteile Produktanforderung: Technologisch anspruchsvolle Präzisionsteile

Für diesen Schritt ist es erforderlich, das gesamte Material erneut zu sichten, und häufig wird erst während des Vergleichs erkennbar, ob alle Textstellen relevanten Kategorien zugeordnet wurden. Auch zeigt sich, zu welchen Themen sich einzelne Interviewprobanden/innen nicht geäußert haben oder welche Themenbereiche während eines Interviews nicht abgefragt wurden. Die Inhalte des Fallvergleichs wurden maximal verdichtet und sind teilweise von stichpunktartigem Charakter. Ziel hierbei war es, die Komplexität und die Menge der Ergebnisse möglichst zu reduzieren.

Ergebnisse der Fallstudie Krones

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Die Schritte fünf und sechs werden in der vorliegenden Forschungsarbeit zu einem Auswertungsschritt verdichtet, da beide auf eine Analyse abzielen, die soziologisch begründete Sinnzusammenhänge der empirischen Erkenntnisse herausstellen soll. Als theoretischer Bezugsrahmen für diesen letzten Analyseschritt fungiert das Modell der kultur-historischen Tätigkeitstheorie nach Engeström (siehe Kapitel 3 Tätigkeitstheorie). Hierzu werden die empirischen Erkenntnisse der beiden Fallstudien zunächst einzeln aus tätigkeitstheoretischer Sicht heraus analysiert und sodann kontrastiert. Durch dieses Vorgehen wird eine empirische Generalisierung angestrebt, die allerdings nur auf das empirisch gewonnene und analysierte Material zutrifft. Die Ergebnisse dieses Auswertungsschritts finden sich in Kapitel 5 Erkenntnisdiskussion. 4.6 Ergebnisse der Fallstudie Krones 4.6.1 Landesspezifische Unternehmensführung und Herausforderungen An der Führungsspitze der chinesischen Niederlassung der Krones AG in Taicang steht der Chief Operating Officer (COO), der den Standort seit 2013 leitet (F1: Z. 149). Er ist gebürtiger Europäer, spricht fließend deutsch und englisch und leitete zuvor bereits 25 Jahre eine der amerikanischen Krones-Niederlassungen, weshalb er auf eine lange Karriere im Unternehmen zurückblickt sowie einschlägige Erfahrung in der Führung von Auslandsniederlassungen vorzuweisen hat (F1: Z. 2745-2750). Hinsichtlich der Unternehmensführung in China benennt er eine Reihe von landesspezifischen Herausforderungen, die zum einen seine Rolle als Führungspersönlichkeit und zum anderen die strategische Ausrichtung des Unternehmens beeinflussen. Die durch den COO benannten landesspezifischen Herausforderungen werden im Folgenden dargestellt. Sie spiegeln die subjektive Wahrnehmung des Experten wieder.

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Fallstudien in zwei Produktionsunternehmen

Hierarchie und Machtdistanz Aufgrund der hohen Machtdistanz, die in der chinesischen Kultur vorherrschend ist (siehe Kapitel 2.1.3 Analyse der chinesischen Kultur nach Hofstede) nimmt die hierarchische Ordnung innerhalb des Unternehmens einen hohen Stellenwert ein, welcher sich auf die Beziehungsebene aller Mitarbeitergruppen auswirkt. Der COO steht im Rang an oberster Stelle, während die Mitarbeiter/-innen des Shopfloors im Organigramm des Unternehmens den niedrigsten Rang einnehmen. Die direkte Kommunikation zwischen dem COO und den Mitarbeitern/-innen des Shopfloors stellt deshalb eine besondere landesspezifische Herausforderung dar, die kaum zu bewältigen ist. Denn die Erfahrung zeigt, dass sich die Mitarbeiter/-innen, sofern sie mit einer Frage durch einen Vorgesetzten konfrontiert werden, eher enthalten würden, ehe sie Kritik oder Verbesserungswünsche äußerten (F1: Z. 2756-2793). Eine Möglichkeit, um diese Herausforderung zu bewältigen, besteht darin, mit den jeweiligen Vorgesetzten der Arbeitskräfte zu sprechen und sie um deren Einschätzung hinsichtlich ihrer Mitarbeiter/-innen zu bitten. Allerdings ist auch hier nicht sicher, ob die Informationen durch den Vorgesetzten gefiltert werden, da sie im Gespräch mit dem COO demselben hierarchischen Druck ausgesetzt sind und ähnliche Verhaltensweisen zeigen (F1: Z. 3107-3134). Besonders scheuen sich die chinesischen Mitarbeiter/-innen nach Erfahrung des COOs davor, zuzugeben, wenn sie etwas nicht können oder Schwäche eingestehen müssen. Sie „verlieren dann ihr Gesicht“ (F1: Z. 2789). Deshalb kommt es sogar vor, dass die Gastlandarbeiter/-innen zusichern, etwas zu können, was sie eigentlich gar nicht können (F1: Z. 2777-2793). Der COO berichtet darüber, dass er erst lernen musste, sich auf diese landesspezifischen Gegebenheiten einzustellen. Aufgrund der Wichtigkeit, die er den direkten Gesprächen mit den Mitarbeitern/-innen der Produktion zuschreibt, entschied er sich dazu, die Situation nicht einfach hinzunehmen, sondern an der Relation der Antinomie von

Ergebnisse der Fallstudie Krones

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Nähe und Distanz durch unternehmensinterne Teambuildingsmaßnahmen zu arbeiten (F1: Z. 3047-3100). Im Zuge von Unternehmensausflügen (siehe Kapitel 4.6.6 Commitment) organisierte der COO Teambuildingsspiele, in denen er sich selbst stark einbrachte, wodurch die Mitarbeiter/-innen der Produktion zunehmend Vertrauen gewannen. Ab da an konnten Tür- und Angelgespräche, die sonst aufgrund der hohen Machtdistanz in der chinesischen Kultur üblicherweise nicht zwischen COOs und Mitarbeitern/-innen der Produktion stattfinden können, eher durchgeführt werden (F1: Z. 3047-3100). Im Falle von Neueinstellungen in der Produktion müssen die neuen Mitarbeiter/-innen jeweils erst an den für sie unüblichen Führungsstil herangeführt werden. Kollektivismus China zählt nach Analyse der Kulturdimensionen nach Hofstede (siehe Kapitel 2.1.3 Analyse der chinesischen Kultur nach Hofstede) zu den kollektivistisch geprägten Nationen. In einer kollektivistischen Kultur betrachten sich die Individuen als Mitglieder einer Gruppe, weshalb Vorgesetzte Kritik gegenüber Mitarbeitern/-innen niemals im Beisein von deren Kollegen/-innen geäußert werden sollten (F1: Z. 3134-3136). Denn diese würden sonst „ihr Gesicht verlieren“ (Z. 2789). Innovationsfähigkeit Zum Erhebungszeitpunkt werden Forschung und Entwicklung im Unternehmen ausschließlich in Deutschland betrieben. Es hat in der Vergangenheit zwar Bemühungen gegeben, Forschung und Entwicklung auch am Standort Taicang voranzutreiben, allerdings war dies von geringem Erfolg gekrönt (F1: Z. 1807-1829). Der COO sieht den Grund hierfür im chinesischen Schulwesen verankert, denn die didaktische Gestaltung der Prüfungsformen zielt überwiegend

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darauf ab, die Inhalte auswendig zu lernen, die in Prüfungssituationen sodann abgerufen werden müssen. Als klassisches Lernziel über alle Schulformen hinweg benennt er das Erlernen der chinesischen Schriftzeichen. Die Schüler/-innen müssen sich im Laufe ihrer Kindheit und Jugend eine Vielzahl von symbolischen Schriftzeichen einprägen, wodurch auch das Gedächtnis hinsichtlich der Einprägefähigkeit geschult wird. Nach Einschätzung des Experten äußert sich dies in der Tatsache, dass den Gastlandarbeitern/-innen Routinearbeit im Allgemeinen leicht fällt, während der Umgang mit Kreativität, lösungsorientiertes Arbeiten und die Generierung von Neuem im Allgemeinen eher schwer fallen (F1: Z. 3182-3198). Da diese Fähigkeiten für die Innovationsentwicklung im Unternehmen von hoher Bedeutung sind, wurden die Forschungs- und Entwicklungsbestrebungen am chinesischen Standort eingestellt und finden bis auf weiteres nur noch in Deutschland statt (F1: Z. 1807-1829). Partizipation Das Unternehmen hat großes Interesse daran, die Mitarbeiter/-innen der Produktion partizipativ einzubinden, um Abläufe und Prozesse zu optimieren. Deshalb wurde im Rahmen des betrieblichen Vorschlagwesens das sogenannte „Rationalisation-Programm“ (Z. 2605) eingeführt. Alle Mitarbeiter/-innen sind dazu angehalten, Vorschläge zu unterbreiten, wie Abläufe und Prozesse oder auch Sicherheitsfaktoren auf Produktionsebene verbessert werden können. Alle drei Monate werden die Vorschläge ausgewertet und es wird für alle Mitarbeiter/-innen des Unternehmens transparent gemacht, welche Vorschläge eingereicht wurden und welche davon implementiert werden sollen. Jeder Vorschlag wird honoriert. Der beste Vorschlag eines Jahres bekommt eine Auszeichnung, die mit einer monetären Prämie verbunden ist. Das Unternehmen legt fest, wie viele Vorschläge aus welchen Bereichen kommen müssen. Die Bereiche ermutigen ihre Mitarbeiter/-innen sodann, Vorschläge einzureichen.

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Eine Herausforderung stellt allerdings der Qualitätsgehalt der Vorschläge dar. Denn oftmals reichen die Mitarbeiter/-innen Vorschläge ein, die keine Verbesserung bringen. Durchschnittlich werden pro Monat lediglich drei bis vier gute Vorschläge gemacht (F1: Z. 26042671). Auch dies lässt sich vermutlich auf die in der chinesischen Kultur verankerte Machtdistanz zurückführen. Tendenziell werden sich Produktionsarbeiter/-innen eher enthalten, als dass sie einen kritischen Vorschlag einreichen, der dann von der Führungsebene diskutiert wird. Denn hierbei laufen sie Gefahr, ihr Gesicht zu verlieren. Auch spiegelt sich diese Verhaltensweise in der erläuterten Herausforderung hinsichtlich der Innovationsfähigkeit der Gastlandarbeiter/-innen wider. In den meisten Fällen werden routinierte Arbeitsabläufe eher ausgeführt, als dass sie infrage gestellt würden, weshalb auch Optimierungsmöglichkeiten eher selten verfolgt werden. Sprache und Kommunikation Als besondere Herausforderung und Hürde für den Aufbau und die Leitung einer deutschen Unternehmensniederlassung in China benennt der COO die mit der chinesischen Sprache und Kultur verbundenen Kommunikationsmöglichkeiten. Zum einen sind die Fremdsprachen Englisch und Deutsch nur in geringem Maße in den Lehrplänen der Schulen der Sekundarstufen I und II enthalten, weshalb die Kommunikation seitens der Unternehmensleitung mit neu eingestellten Mitarbeitern/-innen oftmals schon an der fehlenden gemeinsamen Sprache bzw. Fremdsprache scheitert. Aus diesem Grund organisiert das Unternehmen Fremdsprachenkurse in den Sprachen Deutsch und Englisch, zu denen sich alle Mitarbeiter/-innen auf freiwilliger Basis anmelden können (F1: Z. 2756-2776). Weiterhin wird am Standort Taicang ein Dolmetscher beschäftigt, der bei Bedarf zu Gesprächen hinzugezogen werden kann (F1: Z. 2783-2785). Allerdings kommt hierbei eine weitere Herausforderung zum Tragen, die

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auf die in der chinesischen Kultur verankerte Machtdistanz zurückgeführt werden kann. Für die direkte Kommunikation ist der Rang bzw. die Hierarchieebene der am Gespräch beteiligten Personen zu beachten. Wählt der COO den direkten Weg, um mit Mitarbeitern/innen des Shopfloors zu sprechen, was in chinesischen Unternehmen im Allgemeinen so gut wie nicht praktiziert wird, wäre das Gespräch tendenziell wenig aufschlussreich, da zu erwarten ist, dass sich die Mitarbeiter/-innen in ihren Äußerungen gegenüber dem COO stark zurückhalten (F1: Z. 2756-2776). Provinzspezifische Vorschriften In China gibt es Vorschriften für Bürger/-innen, die in einer anderen Stadt oder Provinz arbeiten als der, in der sie geboren wurden. Die Vorschriften sind in jeder Region unterschiedlich und sie beziehen sich bspw. auf die Steuerabgaben und Rentenansprüche. In China gibt es Städte von 1. Rang (bspw. Shanghai), 2. Rang (bspw. Wuhan) und 3. Rang (bspw. Taicang). Höchstes Ansehen genießen Städte von 1. Rang und Bürger/-innen dieser Städte erhalten bspw. auch einen höheren Rentensatz (F1: Z. 808-820). Aufgrund steuerlicher und rententechnischer Vorteile versuchen viele Einwohner, aus Städten dritten Ranges in Städte eines höheren Ranges zu ziehen. Um einen Ausweis der jeweiligen Stadt zu bekommen, ist es erforderlich, eine gewisse Anzahl von Jahren dort zu leben. Zu den Vorteilen gehören neben besseren Sozialleistungen auch bessere Schulen für die Kinder. Mit Sitz in der Stadt Taicang, die dem 3. Rang zugehörig ist, sieht sich das Unternehmen der Herausforderung gegenüber, dass Arbeitskräfte, die mit einer ranghöheren Stadt verwurzelt sind, nur einige Jahre im Unternehmen bleiben und zurück in ihre Städte ziehen, ehe sie ihre Zugehörigkeit zur ranghöheren Stadt verlieren (F1: Z. 829-835). Deshalb versucht das Unternehmen, Arbeitskräfte möglichst regional zu rekrutieren. Aufgrund der Dichte

Ergebnisse der Fallstudie Krones

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an Unternehmen in einem relativ jungen Industriegebiet hat dies jedoch zur Folge, dass sich der Wettstreit um regionale Arbeitskräfte zusätzlich verstärkt. Strategische Ausrichtung des Unternehmens Der COO steht seit 2013 an der Führungsspitze der chinesischen Niederlassung. Aufgrund des zunehmenden Wettbewerbs durch chinesische Unternehmen, deren Verpackungs- und Abfüllanlagen mittlerweile eine vergleichbare Qualität aufweisen, sieht sich das Unternehmen der Herausforderung gegenüber, seine Konkurrenzfähigkeit auf dem chinesischen Markt aufrechtzuerhalten (F1: Z. 268271; 278-281). Mit Übernahme seiner Funktion als COO am Standort Taicang begann er mit der Lokalisierung der Produktion, sodass unabhängig von anderen weltweiten Standorten produziert werden kann, wodurch Importgebühren wegfallen und die Produkte zu einem ähnlichen Preis wie die chinesischen Konkurrenzprodukte auf dem Markt angeboten werden können (F1: Z. 273 – 278). Ziel ist die Unabhängigkeit im Gastland, indem die Produktion und der Service durch Mitarbeiter/-innen des Gastlands erfolgen. In diesem Zuge wurden nach und nach die Mitarbeiter/-innen, die zwischen Deutschland und China pendelten, abgebaut. Die größte Herausforderung dabei war es, den Servicebereich zu lokalisieren, da dieser als anspruchsvollster Bereich gilt, weshalb hier lange Zeit deutsche Mitarbeiter/-innen tätig waren. Der COO hat sich jedoch bemüht, auch diesen Anteil zügig zu verringern (F1: Z. 462 – 469). Inzwischen sind in allen Bereichen ausschließlich Mitarbeiter/-innen des Gastlands tätig. Weiterhin wurden Qualifizierungs-, Personalentwicklungs- und Bindungsstrategien teilweise in Form von Kooperationen entwickelt, welche die Lokalisierung der Produktion im Gastland überhaupt erst ermöglichten. Diese werden in den folgenden Kapiteln behandelt.

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4.6.2

Fallstudien in zwei Produktionsunternehmen

Rekrutierung

Als Krones 2004 sein chinesisches Produktionswerk in Taicang gründete, konnte nicht auf qualifiziertes Personal zurückgegriffen werden, das vom chinesischen Arbeitsmarkt hätte rekrutiert werden können. Die Rekrutierung von qualifizierten, aber auch ungelernten Arbeitskräften stellt seit jeher eine besondere Herausforderung für das Unternehmen dar. Im Hinblick auf die Planung von Unternehmenserweiterungen, wie es zum Erhebungszeitpunkt der Fall ist, sind bereits im weiten Vorfeld personalstrategische Maßnahmen erforderlich, damit der erhöhte Personalbedarf durch adäquate Arbeitskräfte gedeckt werden kann. Auf dem lokalen Arbeitsmarkt stellen qualifizierte Arbeitskräfte, die unmittelbar in der Produktion eingesetzt werden können, ein knappes Gut dar. Dennoch handelt es sich um einen potenziellen Rekrutierungskanal, der genutzt wird (F1: Z. 2038-2042). Die Ausschreibung offener Stellen erfolgt über die eigene Unternehmenshomepage sowie über Online-Stellenportale. Gelegentlich kommen aufgrund ausgeschriebener Stellen auch Headhunter auf das Unternehmen zu, die ihre Dienste für die Suche von Mitarbeitern/-innen anbieten (F1: Z. 2185-2193). Allerdings hält sich Krones strikt an die Vereinbarung des „Gentlemen-Agreements“, das zwischen den deutschen Unternehmen getroffen wurde und die gegenseitige Abwerbung von Mitarbeitern/-innen vermeiden will (F1: Z. 194 – 197). Neueingestelltes Personal erhält zunächst einen Arbeitsvertrag als „Dispatch-Arbeiter“. Darunter sind befristete Arbeitsverträge zu verstehen, die meist auf drei Jahre geschlossen werden und die in China nicht vorhandene Probezeit ersetzen. Durch diese Regelung hält sich das Unternehmen unter Berücksichtigung der individuellen Arbeitsleistung offen, Anschlussverträge mit den Mitarbeitern/-innen zu schließen (F1: Z. 2107-2124; 2030-2047). Die genannten Rekrutierungskanäle reichen allerdings nicht aus, um eine Produktionserweiterung strategisch vorzubereiten, für die ca.

Ergebnisse der Fallstudie Krones

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200 neue Mitarbeiter/-innen vorgesehen sind. Deshalb wurden innovative Rekrutierungskanäle geschaffen. Eine Rekrutierungsstrategie ist die Rekrutierung bzw. Versetzung von qualifizierten chinesischen Mitarbeitern/-innen, die bisher im Headquarter in Deutschland tätig waren, an den Auslandsstandort Taicang. Hintergrund ist, dass der Hauptsitz von Krones, Regensburg, eine Universitätsstadt, ist. Im näheren Einzugsbereich liegen weitere namenhafte Unternehmen. In China sind Auslandsaufenthalte mit einer gewissen Prestigeträchtigkeit verbunden, weshalb einige chinesische Studierende ihr Studium ganz oder zumindest teilweise in Deutschland absolvieren. Krones versucht, diese Zielgruppe für ein Praktikum im Hauptwerk zu erreichen. Bei Eignung im Praktikum gewährt das Unternehmen die Möglichkeit einer anschließenden Übernahme. Die chinesischen Berufseinsteiger/-innen nehmen sodann an einer Reihe von Weiterbildungsmaßnahmen und Schulungen teil und machen sich mit dem Unternehmen vertraut. Durchschnittlich bleiben die chinesischen Mitarbeiter/-innen für ein oder zwei Jahre im Headquarter, im Anschluss daran zeichnet sich erfahrungsgemäß der Wunsch bei den Mitarbeitern/-innen ab, nach China zurückzugehen. Das Unternehmen profitiert in besonderem Maße von chinesischen Mitarbeitern/-innen, die in Deutschland studiert haben, anschließend im Headquarter tätig waren und dort geschult wurden. Diese Rekrutierungsstrategie gilt als „Geheimnis“ („secret“, F1: Z. 496) des Unternehmens (F1: Z. 477-547). Diese Maßnahme zielt allerdings lediglich auf die Rekrutierung von Mitarbeitern/-innen, die in anspruchsvollen Bereichen, wie Service, Einkauf und Finanzen, tätig sind. Mitarbeiter/-innen für die Produktion können auf diese Weise nicht gewonnen werden. Deshalb sind weitere innovative Rekrutierungskanäle geschaffen worden. So können Krones-Mitarbeiter/-innen Freunde oder Verwandte werben. Besteht der/die neue Mitarbeiter/-in die „Probezeit“ und stimmt die Leistung, so erhält der/die werbende Mitarbeiter/-in eine monetäre Prämie. Dieses Vorgehen verstößt nicht gegen das

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Fallstudien in zwei Produktionsunternehmen

Gentlemen-Agreement, da die Kandidaten/-innen selbst auf Krones zukommen und sich um einen Arbeitsplatz bewerben (F1: Z. 21992207). Zuletzt soll noch auf eine weitere Rekrutierungsmaßnahme eingegangen werden, die im Kapitel 4.6.4 Personalentwicklung noch näher erläutert wird. Es handelt sich um die Rekrutierung von Absolventen der Sekundarstufe für das unternehmensinterne Ausbildungsprogramm. Hierzu finden Auswahlgespräche und –tests mit Auszubildenden einer Brauschule statt, die sich bereits im ersten Lehrjahr befinden. Die Auswahl wird durch zwei Krones Mitarbeiter/-innen getroffen, die im Bereich Human Resources tätig sind und in dem Bereich, für den rekrutiert werden soll, bspw. Qualitätsmanagement, Service, Produktion, etc.). Krones wählt diejenigen mit den besten Testergebnissen für eine unternehmensinterne Krones-Klasse an Auszubildenden aus, die von da an gemeinsam die Lehre durchlaufen (F1: Z. 918-929; 966-972). Im Allgemeinen versucht Krones, neue Mitarbeiter/-innen und insbesondere auch Auszubildende regional zu rekrutieren, denn im Laufe der Unternehmensentwicklung hat sich gezeigt, dass Arbeitskräfte, deren Heimat Taicang und Umgebung ist, länger im Unternehmen verweilen. Dieser Punkt wird in Kapitel 4.6.6 Commitment näher betrachtet. 4.6.3

Qualifizierung/Training

Zum Zeitpunkt der Werksgründung in 2004 war der Bedarf an Gastlandarbeitern/-innen mit entsprechenden Qualifikationen zum Einsatz in der Produktion größer als das Angebot auf den lokalen Arbeitsmärkten. Deshalb folgte nach der Phase der Ersteinstellung von Mitarbeitern/innen eine intensive Anlernphase im Unternehmen durch die Entsendung von deutschen Kollegen/-innen in das Werk nach Taicang. Sie fungierten als Trainer/-innen und lernten die Gastlandarbeiter/-innen in Bezug auf die Maschinen und Arbeitsprozesse

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im Unternehmen an. Dabei kam ein deutscher Trainer auf ca. zehn chinesische Gastlandarbeiter/-innen. In den darauffolgenden Jahren waren in den verschiedenen Bereichen überwiegend Gastlandarbeiter/-innen, teilweise aber auch deutsche Kollegen/-innen beschäftigt. 15 % der Belegschaft in den Bereichen Service, Einkauf und Finanzen bestanden in den ersten zehn Jahren nach der Gründung aus Fachkräften, die vorübergehend von Deutschland nach China entsendet wurden, da in Taicang nicht genügend Gastlandarbeiter/-innen mit entsprechenden Fähigkeiten und Fertigkeiten zur Verfügung standen (F1: Z. 421 – 432). Seit dem Wechsel des CEOs am Standort Taicang im Jahr 2013 hat die Lokalisierung der chinesischen Niederlassung oberste Priorität (siehe Kapitel 4.6.1 Landesspezifische Unternehmensführung und Herausforderungen). Die Voraussetzung, um unabhängig von anderen Standorten weltweit produzieren zu können, sind Mitarbeiter/innen in allen Unternehmensbereichen, die über die erforderlichen Fähigkeiten, Fertigkeiten und Kenntnisse verfügen. Denn nur durch die lokale Produktion von kompletten Anlagen einschließlich des Kundendienstes durch Servicemitarbeiter/-innen auf höchster Qualität kann das Unternehmen unter dem Gesichtspunkt der zunehmenden Konkurrenz durch chinesische Unternehmen auf dem asiatischen Markt bestehen bleiben. Das Produktsegment setzt also Mitarbeiter/-innen mit hohen Qualifikationsniveaus voraus und dem Unternehmen ist es gelungen, die Qualifizierung von Gastlandarbeitern/-innen so zu gestalten, dass sie über die erforderlichen Fähigkeiten und Fertigkeiten verfügen, weshalb mittlerweile alle Bereiche lokalisiert werden konnten. Qualifizierungsmaßnahmen Krones ist die Lokalisierung des chinesischen Standorts in Taicang durch die Etablierung verschiedener Qualifizierungsmaßnahmen ge-

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Fallstudien in zwei Produktionsunternehmen

lungen. Dazu gehört die Anfertigung von Unterlagen zur (1) Dokumentation von Arbeitsprozessen in chinesischer und englischer Sprache (F1: Z. 469 – 472). Dies ermöglicht es den Mitarbeitern/-innen, Arbeitsprozesse selbstständig überprüfen zu können. Auch die wechselseitige (2) Entsendung von Mitarbeitern/-innen zwischen Deutschland und China ist Teil der Lokalisierungsstrategie. Allerdings finden Entsendungen von deutschen Kollegen/-innen nach China nur noch selten statt, bspw. dann, wenn neue Anlagen in Deutschland entwickelt wurden und eine große Anzahl von chinesischen Kollegen/-innen daran angelernt werden sollen (F1: Z. 431432). In diesem Fall fungieren die deutschen Mitarbeiter/-innen als Trainer/-innen, wie es bereits zu Zeiten der chinesischen Werksgründung der Fall war. Die Entsendung von chinesischen Kollegen/-innen nach Deutschland stellt hingegen eine beliebte Vorgehensweise dar, die hinsichtlich der Qualifizierung mehrere vorteilhafte Aspekte mit sich bringt. Zum einen soll die Entsendung nach Deutschland zu verbesserten Fähigkeiten, Fertigkeiten und Fachkenntnissen beitragen. Zum anderen soll die Vernetzung der weltweiten Krones Standorte verstärkt werden (F1: Z. 2334-2341). Damit die Entsendung erfolgreich ist, müssen allerdings bestimmte Bedingungen erfüllt sein. Diese beziehen sich auf die Fremdsprachenkenntnisse und den Zweck der Entsendung. Hinsichtlich der Sprache gilt, dass, sofern mehrere chinesische Mitarbeiter/-innen entsendet werden sollen, mindestens eine/r über gute Englisch- oder Deutschkenntnisse verfügen muss. Denn nur so kann die Kommunikation vor Ort in Deutschland funktionieren. Hinsichtlich des Zwecks der Entsendung muss vorab ein enger Austausch zwischen den Standorten erfolgen, sodass ein Trainingsplan konzipiert und ein geeigneter Zeitraum für die Dauer der Entsendung festgelegt werden können (F1: Z. 22852302). Folglich stellen mitunter Fremdsprachenkenntnisse eine Grundvoraussetzung für die gelingende Lokalisierung der Produktion in

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China dar. In Kapitel 4.6.1 wurde bereits darauf eingegangen, weshalb Sprache und Kommunikation eine besondere Herausforderung für die Unternehmensführung in China sind. Krones begegnet dieser Herausforderung durch die Organisation gezielter Angebote für Fremdsprachenkurse in den Sprachen Deutsch und Englisch für die Mitarbeiter/-innen aller Unternehmensbereiche. Die Teilnahme ist freiwillig und die Kurszeiten liegen außerhalb der Arbeitszeiten. Nach erfolgreicher Teilnahme an den abschließenden Prüfungen erhalten die Teilnehmer/-innen ein Zertifikat, sodass die Fremdsprachkenntnisse nicht nur unternehmensintern, sondern auch im Falle eines Arbeitsplatzwechsels nachgewiesen werden können (F1: Z. 2437-2442). Durch diese Qualifizierungsmaßnahme sprechen mittlerweile viele, aber bei weitem nicht alle Mitarbeiter/-innen der Produktion Englisch. Im Office-Bereich legt Krones besonderen Wert auf die Fremdsprachenkenntnisse, weshalb in diesen Bereichen alle Mitarbeiter/-innen Englisch und viele auch Deutsch sprechen (F1: Z. 472-474). Nur so kann eine gute Vernetzung zwischen den weltweiten Standorten der Krones AG funktionieren. Als weiteres Gelingenskriterium für eine erfolgreiche Qualifizierung der chinesischen Mitarbeiter/-innen in der Produktion gilt die auf dem Firmengelände errichtete (3) Trainingsakademie, in der komplette Abfüllanlagen für Trainingsabläufe zur Verfügung stehen. Die Trainingsakademie wird intensiv für Schulungen sowohl von Mitarbeitern/-innen als auch von Kunden genutzt und laufend verbessert (F1: Z. 2577-2585). Die Finanzierung dieser Qualifizierungsmaßnahmen erfolgt durch das Bereitstellen eines festgelegten Qualifizierungsbudgets, das jeder Abteilung pro Kalenderjahr zugewiesen wird. Die Abteilungen verwalten ihr Budget eigenständig und entscheiden selbstständig darüber, wer an Qualifizierungen welcher Form teilnimmt. Auch die Entsendungen nach Deutschland werden aus den Abteilungsbudgets finanziert (F1: Z. 2239-2243).

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Fallstudien in zwei Produktionsunternehmen

Anreiz für Qualifizierungen Es sind kontinuierliche Schulungen erforderlich, um den hohen Qualifikationsansprüchen des Produktsegments gerecht zu werden. Besonders bedeutsam sind Schulungen für diejenigen, die im Kundenservice tätig sind, denn für die Arbeit beim Kunden werden nur diejenigen Servicemitarbeiter/-innen ausgewählt, die professionell und kompetent auftreten und Probleme schnell beheben können. Dies gilt als Schlüssel für eine hohe Kundenzufriedenheit (F1: Z. 1946-1952). Um sicherzustellen, dass neu eingestellte Mitarbeiter/-innen Lernbereitschaft und -fähigkeit für ihre jeweiligen Einsatzgebiete mitbringen, werden sie für die ersten drei Jahre zunächst nur befristet eingestellt. Damit sie im Anschluss eine Festanstellung erhalten, müssen sie bis zum Ablauf ihrer Vertragslaufzeit die erste von insgesamt vier Qualifikationsstufen erreichen, die über alle Standorte hinweg einheitlich eingeführt wurden (F1: Z. 2030-2047). Diese Vorgehensweise dient folglich zur Selektion, denn diejenigen, die nicht die erforderliche Lernbereitschaft und –fähigkeit mitbringen, verlassen das Unternehmen unmittelbar nach dem Auslaufen des befristeten Arbeitsvertrags wieder. Weiterhin dient sie aber auch als Anreiz zur Teilnahme an Schulungen und dazu, besondere Leistung und Einsatz zu erbringen, denn nur diejenigen, welche die erste Qualifikationsstufe erreichen, werden mit einer Festanstellung belohnt. Auch für die Belegung von Fremdsprachenkursen hat das Unternehmen gewisse Anreize geschaffen. Denn nur Servicemitarbeiter/-innen mit guten Englisch- oder Deutschkenntnissen werden für den Kundendienst im asiatischen Raum, außerhalb Chinas, ausgewählt (F1: Z. 1966-1970). Auslandsreisen gelten in China als Privileg und sind überwiegend der gebildeten Oberschicht vorbehalten. Krones fördert die Qualifizierungsbereitschaft seiner Belegschaft folglich durch die (1) an Bedingungen geknüpfte Perspektive auf eine Festanstellung sowie durch das (2) Schaffen von Privilegien. Als dritte Form ist der (3) monetäre Anreiz zu benennen. So erhalten die besten

Ergebnisse der Fallstudie Krones

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drei Auszubildenden eines Jahrgangs, gemessen am Gesamtnotendurchschnitt, ein Unternehmensstipendium, durch welches sie ihre Ausbildungskosten, die privat zu finanzieren sind, begleichen können (F1: Z. 1185-1187). Das Ausbildungsprogramm wird in Kapitel 4.6.4 Personalentwicklung im Detail betrachtet. 4.6.4

Personalentwicklung

Die Personalentwicklung wird am Standort Taicang durch eine eigenständige Human-Ressources Abteilung geregelt. Die Abteilung ist seit der Gründung der Auslandsniederlassung stetig gewachsen und besteht zum Erhebungszeitpunkt aus sieben Mitarbeitern/-innen (F1: Z. 125 – 132). Da der Bedarf nach qualifizierten Arbeitskräften mit spezifischen Berufsprofilen seit dem Zeitpunkt der Gründung größer war als das Angebot auf den lokalen Arbeitsmärkten, wurden im Laufe der vergangenen Jahre unternehmensinterne Ausbildungsstrukturen geschaffen. Ausbildungsstrukturen Bei dem ersten Ausbildungsprogramm handelt es sich um eine dual ausgerichtete Berufsausbildung auf Schulniveau. Die 3-jährige Berufsausbildung endet mit dem Abschluss als Zerspanungsmechaniker/-in. Nach erfolgreichem Bestehen der Abschlussprüfung sollen die Absolventen in der Produktion zur Montage eingesetzt werden und bedienen bspw. Maschinen. Sie zielt bewusst nicht darauf ab, Mitarbeiter/-innen für die anspruchsvollen Bereiche, wie Service, Einkauf oder Finanzen, vorzubereiten und eröffnet bewusst nicht die Möglichkeit zur Aufnahme eines anschließenden Studiums. Grund dafür ist, dass das Unternehmen die Absolventen möglichst lange in der Produktion einsetzen und auch an diesen Bereich binden möchte, da qualifizierte Mitarbeiter/-innen ein knappes Gut auf den lokalen

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Arbeitsmärkten verkörpern (F1: Z. 787-800; 985-995). Das Programm wurde im Jahr 2008 zunächst in Zusammenarbeit mit einer Brauschule in der 800 km entfernten Stadt Wuhan initiiert. Allerdings musste das Programm aufgrund landesspezifischer Gegebenheiten, die weiter unten in diesem Abschnitt erläutert werden, regional verlagert werden. Seit 2015 findet das Ausbildungsprogramm in Kooperation mit zwei berufsbildenden Schulen in Taicang statt (F1: Z. 997-1012). Primärer Lernort während der Ausbildung ist die jeweilige berufliche Schule, denn hier finden sowohl der Theorie- als auch der Praxisunterricht statt. Auch ihre Freizeit verbringen die Auszubildenden überwiegend auf dem Schulgelände, da sie während ihrer Ausbildungszeit dort ein Zimmer beziehen. Als sekundärer Lernort ist das Unternehmen Krones zu benennen, denn die Auszubildenden absolvieren im dritten Jahr ihrer Ausbildung ein dreimonatiges Praktikum in der Produktion. Das Programm findet im jährlichen Turnus mit je zehn bis zwölf Auszubildenden statt und richtet sich bevorzugt an Absolventen von Mittelschulen der Sekundarstufe I aus der Region Taicang (F1: Z. 1049-1052). Die Auszubildenden sind zum Beginn ihrer Ausbildung ca. 15 – 16 Jahre alt (F1: Z. 10261040). Der regionale Hintergrund der Auszubildenden nimmt deshalb einen besonderen Stellenwert ein, da die Absolventen im Anschluss daran möglichst lang im Unternehmen bleiben sollen und die Erfahrung gezeigt hat, dass diejenigen, die schon anlässlich ihres familiären Hintergrunds fest mit der Region verwurzelt sind, dem Unternehmen perspektivisch längerfristiger zur Verfügung stehen als solche, die ihren Heimatort für ihren Arbeitsplatz verlassen haben. Dies ist auch der Grund, weshalb das Ausbildungsprogramm von Wuhan nach Taicang verlagert wurde, denn die Absolventen des Programms in Wuhan blieben nur für zwei bis drei Jahre im Unternehmen, bis sie schließlich familienbedingt zurück in ihre Heimatstadt zogen. Das Prüfungswesen wird durch die AHK organisiert. Damit verbunden sind auch Abschlusszertifikate, die von der AHK ausgestellt werden. Die Kosten für die Prüfungskommission, die

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durch die AHK gebildet wird, tragen die jeweiligen Schulen (F1: Z. 3350-3355). Allerdings gewährt die lokale Regierung Taicangs den Schulen dann finanzielle Mittel, wenn sie mit der AHK zusammenarbeiten. Inwiefern die lokale Regierung von Kooperationsstrukturen zwischen Unternehmen und schulischen Einrichtungen profitiert und in diesem Zuge nicht nur als Förderer, sondern auch als Profiteur zu verstehen ist, wird in Kapitel 4.6.5 Kooperationen behandelt. Neben dem Ausbildungsprogramm auf Schulniveau zur Ausbildung von Zerspanungsmechanikern/-innen für die Produktion gibt es auch noch ein zweites Ausbildungsprogramm. Dieses findet auf Hochschulniveau statt und dient zur Ausbildung von Arbeitskräften für die anspruchsvollen Bereiche Service, Einkauf und Finanzen. Das Programm wurde im Jahr 2013 durch die Zusammenarbeit mit einer Brauschule in Wuhan etabliert und ist an den Studiengang Mechatronik angegliedert (F1: Z. 597-599; 620-621). Das Besondere an diesem Ausbildungsprogramm ist der damit verbundene Doppelabschluss in Form einer (1) Berufsausbildung zum/zur Mechatroniker/in einhergehend mit einem (2) Bachelorabschluss (F1: Z. 741-781). Auch dieses Ausbildungsprogramm beruht auf dualen Strukturen nach Vorbild der deutschen dualen Berufsausbildung. Ersichtlich wird dies durch die getrennten Lernorte. Der Theorieunterricht findet an den Hochschulen statt, während der Praxisunterricht in der Brauschule in Wuhan durchgeführt und durch Praxisphasen im Zielunternehmen Krones ergänzt wird. Eine besondere Herausforderung für die Konzeption dieses Ausbildungsprogramms bestand darin, die erforderlichen Rahmenbedingungen seitens der Vorgaben der chinesischen Regierung sowie des chinesischen Bildungswesens, aber auch seitens der AHK, welche die Prüfungskommission bildet, zu erfüllen (F1: Z. 3299-3319). Denn nur dann, wenn die jeweiligen Anforderungen erfüllt werden können, profitiert Krones von der Ausbildung von Mechatronikern/-innen mit Bachelorabschluss zur Deckung von Stellenvakanzen im Unternehmen. Nach chinesischem Standard dauern Bachelorstudiengänge vier Jahre, weshalb auch der

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theoretische Anteil des Ausbildungsprogramms auf vier Jahre auszurichten ist. Die Berufsausbildung nach deutschem Vorbild ist jedoch auf drei Jahre ausgelegt. Deshalb beginnen die Studierenden, die zuvor den Abschluss an einer Schule der Sekundarstufe II absolviert haben, zunächst mit einem Studium der Mechatronik. Nach Abschluss des ersten Studienjahres haben sie sodann die Möglichkeit, für das Krones-interne Ausbildungsprogramm ausgesucht zu werden. Jährlich startet eine neue Kohorte von ca. acht bis zehn Personen, die Auszubildende und Studierende zugleich sind (F1: Z. 625629; 783-788). Zu Beginn der Ausbildung sind sie ca. 18 – 19 Jahre alt, weshalb sie die gesetzlichen Bestimmungen erfüllen, um in der Produktion arbeiten zu dürfen (F1: Z. 900-909). Die Kandidaten/innen des Programms durchlaufen folglich zugleich ein 4-jähriges Studium und eine 3-jährige Berufsausbildung, wobei das erste Ausbildungsjahr zeitlich mit Beginn des zweiten Studienjahres startet (F1: Z. 843-900). Tabelle 12 verdeutlicht die Struktur des Ausbildungsprogramms auf Hochschulniveau. Tabelle 12: Struktur des Krones-internen Ausbildungsprogramms. Eigene Darstellung. Studienjahr Ausbildungsjahr Lernort 1 Hochschule 2 1 Hochschule, Brauschule 3 2 Hochschule, Brauschule, Unternehmen 4 3 Hochschule, Brauschule

Inhalt/Tätigkeit Theorieunterricht Theorie- und Praxisunterricht Theorie- und Praxisunterricht einschließlich Praktikum im Unternehmen Theorie- und Praxisunterricht einschließlich Abschlussprüfungen

Die Ausbildung findet folglich an drei verschiedenen Lernorten statt, an (1) einer Hochschule, (2) an einer Brauschule und (3) im Unternehmen. Hinzu kommt, dass die Hochschule und die Brauschule, in

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denen der Theorie- und der Praxisunterricht stattfinden, in Wuhan liegen, das knapp 800 km von Taicang entfernt liegt. Trotzdem legt Krones großen Wert auf eine gute Lernortkooperation, weshalb die Lehrenden bspw. in regelmäßigen Abständen an Schulungsmaßnahmen im Trainingscenter (siehe Kapitel 4.6.3 Qualifizierung/Training) des Unternehmens teilnehmen (F1: Z. 741-781). Durch diese Maßnahme sind die Theorie- und Praxislehrer/-innen mit den Abfüllanlagen bestens vertraut und können die Anforderungen hinsichtlich der Ausbildung der Nachwuchskräfte besser einschätzen. Da die Distanz zwischen Wuhan und Taicang nicht durch eine tägliche Anund Abreise bewältigt werden kann, wohnen die Auszubildenden während ihrer Praktika von zwei- bis dreimonatiger Dauer in Taicang. Für diesen Zeitraum werden eigenständige Arbeitsverträge mit Praktikantenstatus geschlossen, weshalb die Auszubildenden auch eine Vergütung erhalten (F1: Z. 843-900). Die Finanzierung der Studiengebühren müssen sie selbst tragen. Allerdings gibt es den besonderen Anreiz, gute Noten zu erzielen, denn die besten drei Auszubildenden eines Krones-Jahrgangs erhalten ein von Krones finanziertes Stipendium (siehe auch Kapitel 4.6.3 Qualifizierung/Training) (F1: Z. 955-964; 925-929). Die theoretischen und praktischen Abschlussprüfungen werden durch die AHK Shanghai, welche die Prüfungskommission bildet, organisiert. Die Kosten hierfür trägt das Unternehmen (F1: Z. 3299-3319). Interessanterweise gibt es unter den Absolventen des Ausbildungsprogramms auf Hochschulniveau, die anschließend im Servicebereich eingesetzt werden, kaum Fluktuation (F1: Z. 1079-1080). Eine mögliche Erklärung hierfür ist, dass Servicemitarbeiter/-innen, bedingt durch die Arbeit bei den Kunden, viel unterwegs sind und sie deshalb nicht gezwungen sind, ihren Wohnort aufgrund ihres Arbeitsplatzes nach Taicang zu verlagern.

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Fallstudien in zwei Produktionsunternehmen

Innovative Personalentwicklungsprogramme Neben den erläuterten Ausbildungsprogrammen auf Schul- und Hochschulniveau gibt es ein innovatives Personalentwicklungsprogramm, durch welches die Mitarbeiter/-innen aller Bereiche einen Zeitraum von sechs bis zwölf Monaten an einem weltweiten Standort des Unternehmens verbringen können. Das Programm wird unternehmensintern als „Cross-Border Programm“ bezeichnet. Die Mitarbeiter/-innen können sich für dieses Programm mittels eines Motivationsschreibens bewerben. Wie in Kapitel 4.6.3 Qualifizierung/Training erläutert, waren Auslandsaufenthalte und –reisen lange Zeit nur den Privilegierten vorbehalten und gelten auch heute noch als besonderer Anreiz. Aber auch das Unternehmen profitiert von Mitarbeitern/-innen, die eine gewisse Zeit an einem anderen Standort verbringen, denn zum einen dient das Programm der Kompetenzerweiterung und Qualifikationsentwicklung des/der Reisenden, zum anderen dient es aber auch zur unternehmensinternen Vernetzung. Nach Rückkehr an den Standort Taicang kommen die jeweiligen Mitarbeiter/-innen wieder auf ihre alten Posten. Es handelt sich also ausdrücklich nicht um ein Führungskräfteentwicklungsprogramm. Aufgrund der durch die Teilnahme am Cross-Border Programm entstehenden Kosten, die Krones trägt, sind die teilnehmenden Mitarbeiter/-innen im Anschluss vertraglich an eine frühestmögliche Kündigungsfrist von zwei Jahren nach Rückkehr gebunden. Im Falle eines Vertragsbruches sind sie dazu verpflichtet, einen Teil der Kosten, die dem Unternehmen entstanden sind, zu erstatten (F1: Z. 2351-2364). 4.6.5

Kooperationen

Um den Bedarf an qualifizierten Arbeitskräften zum Einsatz in den spezifischen Produktions- und Servicebereichen, der seit der Grün-

Ergebnisse der Fallstudie Krones

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dung der chinesischen Krones-Niederlassung größer war als das Angebot auf den lokalen Arbeitsmärkten, decken zu können, wurden seit dem Bestehen des Unternehmens nach und nach Kooperationsstrukturen geschaffen. Hierbei handelt es sich um institutionelle Kooperationsformen, in die Schulen, Hochschulen und Unternehmen involviert sind. Schulkooperation Bei der ersten Kooperationsform handelt es sich um eine Kooperation, die zur Ausbildung von Zerspanungsmechanikern/-innen etabliert wurde. Die Absolventen/-innen sollen im Anschluss auf Produktionsebene in der Montage eingesetzt werden und dem Unternehmen perspektivisch möglichst lange zur Verfügung stehen (F1: Z. 1026-1040). Institutionell involviert sind jeweils (1) eine berufsbildende Schule28 in Taicang sowie (2) das Unternehmen Krones selbst. Diese beiden Kooperationspartner ergänzen sich durch ihren jeweiligen Beitrag, mit dem Ziel der Ausbildung von Zerspanungsmechanikern/-innen (F1: Z. 787-800; 985-995). Die berufliche Schule ist Lern- und Wohnort der Auszubildenden zugleich. Letzteres ist eine landesspezifische Besonderheit, denn anders als in Deutschland beziehen Schüler/-innen beruflich ausgerichteter Schulformen in China während ihrer Ausbildungszeit ein Zimmer auf dem Schulgelände. Hinsichtlich des Lernorts finden sowohl der Theorie- als auch der Praxisunterricht an der beruflichen Schule statt. Dabei wird der Theorieunterricht in klassischen Unterrichtsräumen durchgeführt, während für den Theorieunterricht eigens ausgestatte Praxisräume 28

Das Unternehmen unterhält jeweils eine Krones-Klasse in den beiden lokalen berufsbildenden Schulen. Der jeweilige Beitrag der berufsbildenden Schulen ist allerdings identisch, d.h., sie ergänzen sich nicht nur in der Ausbildung eines Jahrgangs, sondern führen ihn auch unabhängig voneinander durch. Deshalb fokussiert sich die Darstellung der Kooperationsform auf nur einen institutionellen Partner.

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Fallstudien in zwei Produktionsunternehmen

eingerichtet wurden, in denen sich mitunter eine von Krones gestellte Anlage befindet, an der die Auszubildenden Praxiserfahrung sammeln können. Hieraus geht eine Teilleistung des Unternehmens hervor. Krones stellt die Gerätschaften zur Verfügung, die notwendig sind, um die Auszubildenden produktionsspezifisch auszubilden. Weiterhin finanziert das Unternehmen die Berufsausbildung an den berufsbildenden Schulen und regelt den Austausch zwischen den Trainern/-innen des Unternehmens und den Lehrenden der Schule, der erforderlich ist, um den Lehrplan so zu gestalten, dass eine produktionsspezifische Ausbildung kontinuierlich gewährleistet werden kann. Als weitere Stakeholder der Schulkooperation ist die AHK Shanghai zu nennen, welche die Prüfungskommission bildet und die theoretischen und praktischen Abschlussprüfungen durchführt (F1: Z. 997-1012). Mit der Involvierung der AHK geht schließlich auch die Involvierung der lokalen Regierung als weiterer Stakeholder einher. Denn die lokale Regierung hat ein hohes Interesse an Kooperationsstrukturen zwischen deutschen Unternehmen und berufsbildenden Schulen der Region, da diese zur Steigerung der Qualität in den Ausbildungsstandards der Region beitragen und infolgedessen kontinuierlich deutsche Unternehmen angezogen werden, die in der Region investieren möchten. Aus diesem Grund subventioniert die lokale Regierung dann berufsbildende Schulen, wenn sie Kooperationsstrukturen mit deutschen Unternehmen etablieren, was sich wiederum positiv auf die Prestigeträchtigkeit der berufsbildenden Schulen auswirkt (F1: Z. 3350-3355). Hochschulkooperation Bei der zweiten Kooperationsform handelt es sich um eine Kooperation, die zur Ausbildung von Mechatronikern/-innen mit Bachelorabschluss etabliert wurde. Die Absolventen sollen im Anschluss überwiegend im anspruchsvollen Servicebereich, aber auch im Einkaufs- und im Finanzbereich eingesetzt werden (F1: Z. 593-597;

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1028-1030). Institutionell involviert sind jeweils (1) eine Hochschule in Wuhan, (2) eine Brauschule in Wuhan sowie (3) das Unternehmen Krones selbst. Diese drei Kooperationspartner ergänzen sich durch ihren jeweiligen Beitrag mit dem gemeinsamen Ziel der Ausbildung von Mechatronikern/-innen. Ihre jeweiligen Beiträge zur Kooperation sind wie folgt: (1) die Hochschule fungiert als Hauptlernort, da hier der Theorieunterricht stattfindet. Der Praxisunterricht findet in der (2) Brauschule in Wuhan statt, weshalb auch diese als Lernort zu bezeichnen ist. Auch das (3) Unternehmen Krones ist als Lernort zu charakterisieren, da die Auszubildenden im Laufe ihrer Ausbildungszeit ein Praktikum im Unternehmen absolvieren. Darüber hinaus finanziert das Unternehmen die Kooperation und stellt in diesem Zuge bspw. eine Anlage zur Verfügung, an der nicht nur der Praxisunterricht stattfindet und an der die Auszubildenden Praxiserfahrung sammeln können, sondern an der die Braumeister/-innen der Brauschule auch ihre lokale Biersorte abfüllen (F1: Z. 658-662). Dies ist als individueller Anreiz zur Aufrechterhaltung der Kooperation seitens der Brauschule zu bewerten. Weiterhin regelt das Unternehmen auch hinsichtlich dieser Kooperation den Austausch zwischen den Trainern/-innen des Unternehmens und den Lehrenden der Schule. Bspw. werden die Lehrenden dazu eingeladen, regelmäßig an Schulungen, die in der Trainingsakademie in Taicang stattfinden, teilzunehmen. Durch diese Maßnahme können die Anforderungen, die an die Angestellten gerichtet werden, mit den theoretischen und praktischen Inhalten der Ausbildung abgestimmt werden. Die AHK Shanghai bildet auch bei dieser Kooperationsform die Prüfungskommission und ist aus diesem Grund als weiterer Stakeholder involviert, der für die Organisation und Durchführung der theoretischen und praktischen Abschlussprüfungen verantwortlich ist (F1: Z. 724-735).

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Fallstudien in zwei Produktionsunternehmen

Unternehmenskooperation Hinsichtlich der beiden unternehmensinternen Ausbildungsprogramme auf Schul- und Hochschulniveau kooperiert Krones bewusst nicht mit anderen deutschen Unternehmen. Grund dafür ist, dass das Unternehmen seine Kandidaten/-innen aus einer bestehenden Jahrgangsklasse der jeweiligen institutionellen Partner auswählt. Wären andere Unternehmen in derselben Position, auswählen zu dürfen, würde eine Wettbewerbssituation um die besten Kandidaten/-innen resultieren (F1: Z. 3370-3391). Dies versucht das Unternehmen bewusst zu vermeiden. Trotzdem sind die in der Region ansässigen deutschen Unternehmen gut miteinander vernetzt (F1: Z. 230 – 234). Sie profitieren vom Austausch untereinander und nutzen hierfür den „Taicang Round Table“ (TRT), der von den deutschen Unternehmen konstituiert wurde und einmal im Monat stattfindet. Es handelt sich um ein Format, bei welchem die CEOs bzw. General Manager der deutschen Unternehmen vertreten sind, um über aktuelle Herausforderungen und andere relevante Themen zu sprechen und gemeinsam Strategien und Maßnahmen zu entwerfen, um die regionsspezifischen Herausforderungen zu bewältigen (F1: Z. 190 – 194). 4.6.6

Commitment

Die Ergebnisse der Fallstudie Krones beziehen sich bislang auf die Rekrutierungs- und Qualifizierungsstrategien, die im Fallunternehmen etabliert wurden, um einerseits die Produktion in Taicang zu lokalisieren und andererseits den hohen Qualitätsansprüchen der Kunden im Herstellungsprozess gerecht werden zu können. Aufgrund der Knappheit an qualifizierten Arbeitskräften auf den lokalen Arbeitsmärkten, vor allem mit spezifischen beruflichen Profilen als Zerspanungsmechaniker/-innen und Mechatroniker/-innen, stellt allerdings auch die Bindung dieser Mitarbeiter/-innen an das Unternehmen eine besondere Herausforderung dar.

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Bindungsstrategien Im Unternehmen kann eine Vielzahl von Bindungsstrategien identifiziert werden, die für eine gute Atmosphäre im Unternehmen sorgen und in diesem Zuge dazu führen sollen, dass die Mitarbeiter/-innen ein starkes Firmencommitment entwickeln. Zu den Bindungsstrategien gehören Teambuildingsmaßnahmen in Form von (1) unternehmensinternen Ausflügen. Die Ausflüge werden bereits seit den ersten Jahren nach Gründung durchgeführt, als das Unternehmen noch deutlich kleiner war. Bis zu einer Mitarbeiteranzahl von 250 fanden die Ausflüge abteilungsübergreifend statt. Mit 500 Mitarbeitern/-innen ist das Unternehmen zum Erhebungszeitpunkt allerdings zu groß für einen gemeinsamen Ausflug, weshalb sie abteilungsintern ausgerichtet werden (F1: Z. 1086-1091; 1095 – 1112). Die Ausflüge werden zu chinesischen Städten oder Ortschaften außerhalb von Taicang unternommen und es finden dort verschiedene gesellschaftliche Aktivitäten, wie Wandern oder gemeinsames Musizieren, statt, wie es in China oftmals praktiziert wird. Auch hier wird die besondere Stellung des Reisens erkennbar. Denn viele Mitarbeiter/-innen haben privat nicht die Möglichkeit zu reisen, da dies in China lange Zeit überwiegend den Privilegierten vorbehalten war und auch heute noch, insbesondere für Mitarbeiter/innen des Shopfloors eine Besonderheit darstellt. Für viele Mitarbeiter/-innen sind die Ausflüge zu chinesischen Städten außerhalb Taicangs eine „Lifetime-Experience“ (F1: Z. 1136). Darüber hinaus sind die abteilungsinternen Ausflüge aber auch eine Gelegenheit, soziale Strukturen auf Unternehmensebene zu stärken. Im besten Fall entstehen Freundschaften im Kollegium, wodurch sich die Bereiche Privatleben und Arbeit miteinander verknüpfen (F1: Z. 1030-1037). Dies schließt an eine weitere Bindungsstrategie an, die das Unternehmen verfolgt. Krones-Mitarbeiter/-innen haben die Möglichkeit, (2) Familienmitglieder, Freunde und Bekannte zu werben. Die Werbenden erhalten dann eine Geldprämie, wenn die geworbenen Mitarbeiter/-innen eine gewisse Zeit im Unternehmen geblieben sind

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Fallstudien in zwei Produktionsunternehmen

und innerhalb einer festgelegten Zeit das erste Skill-Level erreicht haben (siehe Kapitel 4.6.3 Qualifizierung/Training). Gleichzeitig erhöht es die Loyalität der Mitarbeiter/-innen zum Unternehmen, wenn sich die Bereiche Privatleben und Arbeit miteinander verbinden. Als weitere Form von Bindungsstrategien ist die (3) gemeinsame Zeremonie chinesischer Feiertage zu benennen. So wird bspw. das wichtigste Jahresereignis im chinesischen Kulturkreis, das Chinesische Neujahr, gemeinsam zelebriert, indem das Unternehmen eine Firmenfeier mit gemeinsamem Essen ausrichtet und sämtliche Kosten hierfür übernimmt (F1: Z. 1137-1140). Darüber hinaus finden alle drei bis sechs Monate abteilungsintern (4) gemeinsame Abendessen statt. Auch hierfür trägt das Unternehmen sämtliche Kosten (F1: Z. 1140-1144). Bei den bisher erläuterten Bindungsstrategien handelt es sich um solche, die einzig in der chinesischen Niederlassung etabliert wurden, um sich an die landesspezifischen Konventionen anzupassen. Denn in chinesischen Unternehmen werden gemeinsame Ausflüge und Abendessen, nicht nur anlässlich des Chinesischen Neujahrs, regelmäßig organisiert und gehören fest zu den landesspezifischen Unternehmenstraditionen. In diesem Sinne tragen auch diese Bindungsmaßnahmen zur Lokalisierung der chinesischen Niederlassung bei. Commitment lässt sich jedoch nicht nur durch das Schaffen einer angenehmen Arbeitsatmosphäre gestalten. Auch die (4) Identifikation mit dem Produkt, welches das Unternehmen verkörpert, spielt eine immense Rolle. Krones versucht daher, die Mitarbeiter/-innen aller Bereiche bspw. durch Vorträge und Präsentationen einzelner Bereiche an das Produkt heranzuführen, sodass ein gewisses Verständnis in Bezug auf das Produkt entwickelt wird und zu einer Firmenidentität beiträgt (F1: Z. 2515-2536). Darüber hinaus zahlt das Unternehmen, und zwar im Vergleich mit anderen Unternehmen der Region (5), tendenziell eher hohe Gehälter, was sich positiv auf die Loyalität auswirkt (F1: Z. 1940-1942).

Ergebnisse der Fallstudie Krones

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Als letzte Bindungsstrategie ist die (6) vertragliche Bindung zu nennen, die sich auf das Ausbildungsprogramms auf Hochschulniveau bezieht. So sind Mitarbeiter/-innen, die das Ausbildungsprogramm in Wuhan durchlaufen haben, vertraglich für eine gewisse Dauer nach Abschluss an das Unternehmen gebunden. Eine Kündigung ist frühestens nach drei Jahren möglich. Erfolgt die Kündigung seitens des/der Mitarbeiters/-in vor dieser Frist, muss ein bestimmter Betrag als Entschädigung aufgrund der entstandenen Ausbildungskosten an das Unternehmen zurückgezahlt werden (F1: Z. 1214-1239). Fluktuation Trotz aller Bemühungen, die Atmosphäre im Unternehmen möglichst angenehm zu gestalten und die Mitarbeiter/-innen auf diese Weise zu binden, ist eine gewisse Fluktuation unvermeidbar. Über alle Arbeitsbereiche hinweg ist zwar tendenziell nur eine geringe Fluktuation zu verzeichnen, allerdings war die Situation zum einen nicht immer so und zum anderen zeigt sich, dass die Fluktuationstendenzen innerhalb bestimmter Gruppen von Mitarbeitern/-innen unterschiedlich stark ausgeprägt sind (F1: Z. 2063-2069). Ein Großteil der Kündigungen erfolgen familienbedingt (F1: Z. 1198-1199). Besonders auf den chinesischen Frauen, aber auch auf den Männern lastet ein hoher familiärer Druck. Heirat und Nachwuchs haben Priorität, aber auch die Versorgung der Eltern im Alter lastet auf den Schultern des meist einzigen Kindes. Demnach ist die berufliche Karriere der Familie untergeordnet. Anlässlich einer (bevorstehenden) Heirat ziehen die jungen Arbeitskräfte häufig zurück in ihre Heimatstädte, infolgedessen eine Kündigung unausweichlich ist. Krones reagiert, indem der Versuch unternommen wird, die jeweiligen Lebenspartner im Unternehmen zu beschäftigen (F1: Z. 1199-1209).

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Fallstudien in zwei Produktionsunternehmen

Um die Fluktuation zu reduzieren, fokussiert sich Krones auf die Rekrutierung von Mitarbeitern/-innen, die mit Taicang und der Umgebung bereits familienbedingt fest verwurzelt sind. So wurde das Ausbildungsprogramm zur Ausbildung von Zerspanungsmechanikern/-innen, das ursprünglich in Kooperation mit einer Brauschule in Wuhan initiiert wurde, nach einigen Jahren aufgelöst und unter Einbezug von berufsbildenden Schulen der Region nach Taicang verlagert (siehe Kapitel 4.6.5 Kooperationen). Denn die höchste Fluktuationsrate wies bis dahin die Gruppe derjenigen Mitarbeitern/innen auf, die ihre Berufsausbildung zum/zur Zerspanungsmechaniker/-in in Wuhan durchlaufen haben und anschließend auf dem Shopfloor im Produktionswerk in Taicang tätig waren. Auch unter denjenigen, die eine akademische Ausbildung in Deutschland durchlaufen haben und anschließend im Headquarter in Neutraubling tätig waren, bevor ihnen ein Arbeitsplatz in einem der anspruchsvollen Bereiche im Einkauf oder im Finanzwesen in Taicang angeboten wurde, verlassen die chinesische Niederlassung nach ein bis zwei Jahren. Die Vermutung liegt nahe, dass auch diese Mitarbeiter/-innen zurück in ihre Heimatstädte ziehen (F1: Z. 520-529; 547-552; 787-800). Abwerbung Kündigungen erfolgen nicht immer familienbedingt aus freien Stücken der Mitarbeiter/-innen. Denn aufgrund der Knappheit an Arbeitskräften auf den lokalen Arbeitsmärkten, besonders solcher mit gefragten beruflichen Profilen, herrscht unter den deutschen Unternehmen ein großer Wettbewerb um qualifizierte Arbeitskräfte, weshalb die Gefahr der gegenseitigen Abwerbung resultiert. Im Rahmen des TRT wurde deshalb das Gentlemen-Agreement von den deutschen Unternehmen beschlossen. Nach dieser Vereinbarung dürfen die deutschen Unternehmen keine Mitarbeiter/-innen von anderen

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deutschen Unternehmen abwerben (F1: Z. 194 – 197). Zwar ist bekannt, dass sich nicht alle an das Gentlemen-Agreement halten, Krones gehört jedoch zu denjenigen, die diese Regelung stark befürworten und sie strikt einhalten (F1: Z. 199 – 208). Diejenigen Mitarbeiter/-innen, die sich durch ein anderes Unternehmen haben abwerben lassen, werden bewusst nicht zurückgenommen (F1: 2088-2090). „Wenn jemand geht, geht er“ (F1: Z. 2090). Aufgrund des guten Commitments der Mitarbeiter/-innen bleiben Abwerbungsversuche durch andere deutsche Unternehmen oftmals nicht unbemerkt von der Unternehmensleitung. Aufgrund der guten Vernetzung der deutschen Unternehmen in der Region werden solche Versuche oftmals zum Gegenstand gemeinsamer Unterredungen, um an das Gentleman-Agreement zu appellieren (F1: Z. 230-234). 4.7 Ergebnisse der Fallstudie Kern-Liebers 4.7.1 Landesspezifische Unternehmensführung und Herausforderungen An der Führungsspitze der chinesischen Kern-Liebers Niederlassung in Taicang steht der Chief Executive Officer (CEO), der den Standort seit 1995 leitet (F1: Z. 15-18). Er ist gebürtiger Chinese, spricht fließend Englisch und hat einen beruflichen Hintergrund als Ingenieur (F1: Z. 94-95). Hinsichtlich der Unternehmensführung in China benennt er eine Reihe von landesspezifischen Herausforderungen, die zum einen seine Rolle als Führungspersönlichkeit und zum anderen die strategische Ausrichtung des Unternehmens beeinflussen. Die durch den CEO benannten landesspezifischen Herausforderungen werden im Folgenden dargestellt. Sie spiegeln die subjektive Wahrnehmung des Experten wider.

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Hierarchie und Machtdistanz Aufgrund der hohen Machtdistanz, die in der chinesischen Kultur vorherrschend ist (siehe Kapitel 2.1.3 Analyse der chinesischen Kultur nach Hofstede), nimmt die hierarchische Ordnung innerhalb des Unternehmens einen hohen Stellenwert ein, welcher sich auf die Beziehungsebene aller Mitarbeitergruppen auswirkt. Der CEO steht im Rang an oberster Stelle, danach folgt das Topmanagement als Abteilungsleiter/-innen der einzelnen Unternehmensbereiche. Als Herausforderung hinsichtlich des Sichtbarwerdens von Hierarchie und Machtdistanz im Unternehmen benennt der CEO die Tatsache, dass die Mitarbeiter/-innen des Shopfloors sehr zurückhaltend und reserviert gegenüber ihren Vorgesetzten sind, da es gegen die kulturellen Konventionen spricht, Kritik oder Verbesserungsvorschläge gegenüber einer ranghöheren Person zu äußern (F2: Z. 771-774). Der CEO berichtet, dass es manchmal schwierig sei, damit umzugehen, und erläutert Herangehensweisen, die verfolgt werden, um die Shopfloormitarbeiter/-innen dennoch partizipativ einzubinden. So werden die Produktionskräfte im Rahmen eines vom CEO eigens entwickelten Konzepts, ähnlich den Instrumenten zum betrieblichen Vorschlagswesen, dazu motiviert, gemeinsam über bestehende Schwierigkeiten zu sprechen, konstruktive Kritik an den Unternehmensprozessen zu üben und Optimierungsideen in allen Bereichen zu diskutieren (F2: Z. 771-778). Der CEO hält diese Vorgehensweise, die im Detail in Kapitel 4.7.6 Commitment erläutert wird, für Erfolg versprechend, um die wertvollen Erfahrungen der Produktionskräfte, die im Alltag eher wenig sprechen, aber ganz besonders vertraut mit den Maschinen und Arbeitsabläufen sind und deshalb am besten einschätzen können, wie ein spezifischer Prozess besser funktionieren könnte, einzubinden. Allerdings ist er sich auch der Tatsache bewusst, dass nicht jede/-r Abteilungsleiter/-in des Topmanagements genauso darüber denkt, da auch sie es kulturell bedingt

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gewohnt sind, dass die Beziehung zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern/-innen von einer hohen Machtdistanz und einem starken Hierarchiegefälle geprägt ist (F2: Z. 816-819). Kollektivismus China zählt nach Analyse der Kulturdimensionen nach Hofstede (siehe Kapitel 2.1.3) zu den kollektivistisch geprägten Nationen. In einer kollektivistischen Kultur betrachten sich die Individuen als Mitglieder einer Gruppe, wobei die Interessen der Gruppe die der Individuen dominieren. Der Erfolg der Gruppe steht über der individuellen Leistung und, übertragen auf das Fallunternehmen, das durch einen chinesischen CEO geleitet wird, lässt sich ein deutlich kollektivistisch geprägter Unternehmergeist erkennen. So sind die durch das Unternehmen initiierten Kooperationsstrukturen, die in Kapitel 4.7.5 Kooperationen erläutert werden, dazu ausgelegt, um nicht nur den eigenen Bedarf an Fachkräften, sondern auch die Bedarfe des Industrieparks im Allgemeinen zu decken. Weiterhin sieht der CEO die mögliche Fluktuation von Fachkräften eher gelassen, denn er vertritt die Grundhaltung, dass jede/-r Mitarbeiter/-in von irgendeinem Unternehmen aus- oder weitergebildet wurde und den jeweiligen Unternehmen dafür jeweils Kosten entstanden sind. Wenn also erfahrene Mitarbeiter/-innen eingestellt werden, hat bereits ein anderes Unternehmen in deren Ausbildung oder Qualifizierung investiert, wovon schließlich ein anderes Unternehmen profitiert. Auch hier tritt folglich die kollektivistisch geprägte Einstellung in Erscheinung. Auch soziale Beziehungen, die üblicherweise familiäre und private Kontexte prägen, lassen sich auf unternehmerische Strukturen übertragen. Solche Strukturen greifen oftmals ineinander. Dies zeigt sich bspw. darin, dass Kern-Liebers gezielt versucht, Familienmitglieder von Mitarbeitern/-innen und Kandidaten/-innen für das Ausbildungsprogramm zu gewinnen (siehe Kapitel 4.7.2 Rekrutierung so-

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Fallstudien in zwei Produktionsunternehmen

wie 4.7.4 Personalentwicklung). Durch die Verzahnung von familiären und unternehmerischen Strukturen sollen die Loyalität und Verbundenheit der Mitarbeiter/-innen mit dem Unternehmen gestärkt werden. Passungsprobleme beim Transfer deutscher Berufsbildungsstrukturen Kern-Liebers war nicht nur das erste deutsche Unternehmen überhaupt, das seine Niederlassung in Taicang errichtete, sondern auch das erste, das Ausbildungsstrukturen nach deutschem dualen Vorbild in der Region etablierte. Das Unternehmen kann deshalb als Pionier und Visionär der Region betrachtet werden. Kern-Liebers ist das Risiko eingegangen, Berufsbildungsstrukturen in der chinesischen Stadt aufzubauen, ohne die Möglichkeit, an bestehende Strukturen anknüpfen zu können. Sie wurden bald zum Aushängeschild des Industrieparks und zum musterhaften Vorbild für andere deutsche Unternehmen, die daraufhin anfingen, ebenfalls unternehmensinterne duale Strukturen zur Ausbildung von Fachkräften für ihre Produktionen aufzubauen. Kern-Liebers verfügt wie kein anderes deutsches Unternehmen über Expertenwissen in der Übertragung von deutschen dualen Strukturen nach China. Denn die deutschen Strukturen können nicht ohne weiteres kopiert und nach China transferiert werden, sondern es gilt, die jeweiligen landesspezifischen politischen Richtlinien des Ziellandes beim Transfer einzuhalten. Die deutschen Ausbildungsstrukturen sind an das chinesische Bildungssystem anzupassen (F2: Z. 389-396). Zu berücksichtigen sind hierbei bspw. die jeweiligen Anteile von Theorie- und Praxisunterricht (F2: Z. 391-392). Die transferierten Ausbildungsstrukturen müssen so konzipiert sein, dass sie die Vorgaben der chinesischen Bildungspolitik sowie den Vorgaben der AHK Shanghai, welche die Qualität des Berufsausbildungsprogramms durch die Abnahme der Abschlussprüfungen erfasst, gerecht werden. Weiterhin sind auch hin-

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sichtlich der Vereinbarkeit von chinesischen und deutschen Hochschulstrukturen Anpassungen erforderlich. Konkret gilt es, die in China auf vier Jahre mit den in Deutschland auf drei Jahre ausgerichteten Bachelorstudiengängen zu verknüpfen. Kern-Liebers ist es gelungen, auch diese Herausforderung unter Berücksichtigung landesspezifischer Rahmenbedingungen zu meistern. Die Herangehensweise wird in Kapitel 4.7.5 Kooperationen erläutert. Der CEO stellt fest, dass sich die Anknüpfungsproblematiken innovativer Personalentwicklungs- und Qualifizierungsmaßnahmen im landesspezifischen Kontext stets erst bei der Etablierung zeigen. Deshalb handelt es sich bei den ersten Durchläufen stets um Prototypenverfahren, die dann für den nächsten Jahrgang verbessert werden (F2: Z. 394-498). Aus diesem Grund sind die von Kern-Liebers konzipierten Ausbildungsprogramme, welche die ersten in der Region überhaupt waren und die heutigen Ausbildungsstrukturen der Region maßgeblich beeinflusst haben, als Vorbild für darauf folgende und zukünftige Ausbildungsprogramme zu betrachten. Fachkräftemangel Wie in Kapitel 2.2.3 Das gesellschaftliche Ansehen der (Berufs-)Bildung erläutert, wird dem akademisch ausgerichteten Allgemeinbildenden Schulwesen eine hohe Prestigeträchtigkeit zugeschrieben, während die berufsbildenden Schulformen überwiegend als Auffangbecken für diejenigen dienen, welche die erforderlichen Zugangsvoraussetzungen nicht erfüllen. Deshalb streben viele Schüler/-innen danach, Tätigkeiten im Office-Bereich auszuüben oder im besten Fall akademische Karrierewege einzuschlagen. Auch die Eltern, die bedingt durch die von 1979 bis 2015 politisch verfolgte und kontrollierte Ein-Kind-Politik meist nur ein Kind haben, auf das sich ihr ganzer elterlicher Einfluss fokussiert, üben einen hohen Einfluss auf die Berufswahl ihres Kindes aus und bevorzugen prestigeträchtige Berufe (F2: Z. 940-954). Sie versuchen also, ihr Kind dazu zu

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veranlassen, eine akademische Laufbahn bzw. eine im Management zu wählen, denn dann verrichten sie privilegierte Arbeit „…sitting, computer, air condition, drinking“ (F2: Z. 1041). Weiterhin sind die Gehaltsunterschiede zwischen Mitarbeitern/-innen der Produktion und solchen, die im Office-Bereich arbeiten, in China größer als in Deutschland. Auch diese Tatsache hält viele davon ab, langfristig in der Produktion arbeiten zu wollen (F2: Z. 1022-1045). Die Arbeit auf Shopfloorebene gehört also nicht zu den prestigeträchtigen Zukunftsperspektiven, weshalb nur wenige Schüler/-innen nach Abschluss der Sekundarstufe I eine berufliche Ausbildung beginnen. Die produzierenden Unternehmen haben allerdings einen hohen Bedarf an genau solchen Facharbeitern/-innen, die nach der Qualifizierungsphase langfristig im Unternehmen bleiben und sich nicht in Richtung Office-Tätigkeiten beruflich weiterentwickeln wollen. Aus diesem Grund stellt es eine besondere Herausforderung dar, entsprechend qualifizierte Mitarbeiter/-innen im Unternehmen zu halten. Die Vorkehrungen, die Kern-Liebers diesbezüglich trifft, werden in Kapitel 4.7.6 Commitment erläutert. Strategische Ausrichtung des Unternehmens Der CEO steht seit 1995 an der Führungsspitze der chinesischen Niederlassung. Aufgrund der Tatsache, dass Kern-Liebers das erste deutsche Unternehmen überhaupt in Taicang war und seit jeher keine qualifizierten Facharbeiter/-innen mit produktionsadäquaten Fähigkeiten und Fertigkeiten auf den lokalen Arbeitsmärkten vorzufinden waren, entschied sich das Unternehmen dazu, Ausbildungsstrukturen nach deutschem dualem Vorbild in der Region aufzubauen. Es gilt als Pionier der Region sowohl hinsichtlich der Werksgründung als auch hinsichtlich der Gründung eines Ausbildungszentrums. Kern-Liebers bildet Fachkräfte jedoch nicht nur für den eigenen Bedarf, sondern auch für den Bedarf der deutschen Unternehmen in Taicang im Allgemeinen aus. Ermöglicht wird dies durch

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den Einbezug der lokalen Regierung von Taicang, die finanziell unterstützend agiert (siehe Kapitel 4.7.5 Kooperationen). Um unabhängig von weltweiten Standorten produzieren zu können, wurde die Produktion innerhalb der ersten Jahre vollständig lokalisiert. Die in diesem Zuge etablierten Rekrutierungs-, Qualifizierungs-, und Bindungsstrategien sind Gegenstand der folgenden Kapitel. 4.7.2

Rekrutierung

Kern-Liebers war das erste deutsche Unternehmen überhaupt, das Taicang als chinesischen Standort wählte. Bei seiner Gründung im Jahr 1993 konnte deshalb nicht auf qualifiziertes Personal zurückgegriffen werden, das vom chinesischen Arbeitsmarkt hätte rekrutiert werden können. Die Produktion bestand in den ersten beiden Jahren nach Gründung aus lediglich acht Mitarbeitern/-innen, die alle aus dem Gastland China stammten. Sie wurden vom lokalen Arbeitsmarkt rekrutiert und brachten keine Erfahrung in der Herstellung von Zugfedern mit. Der CEO, der den Standort seit 1995 leitet, berichtet, dass Bildungsabschlüsse und Zertifikate zur damaligen Zeit nur eine geringe Referenz hatten, sondern es lediglich auf die individuelle Leistung ankam, die durch die Arbeitskräfte erbracht wurde (F2: Z. 116-122; 159-163). Die Rekrutierung von qualifizierten Arbeitskräften, insbesondere von solchen, die Fähigkeiten und Fertigkeiten als Werkzeugmechaniker/-innen mitbringen, aber auch die Rekrutierung von ungelernten Arbeitskräften, die entsprechend qualifiziert werden, ist seit jeher eine besondere Herausforderung für das Unternehmen. Diese ist darin begründet, dass entsprechende Kandidaten/-innen sowohl handwerklich geschickt als auch dazu in der Lage sein müssen, eine CNC Maschine, einen Fräser oder eine Drehmaschine zu bedienen (F2: Z. 201-207). Der Bedarf nach Mitarbeitern/-innen der Produktion mit einem solchen beruflichen Profil ist nicht nur im Unternehmen KernLiebers hoch, sondern auch in den anderen deutschen Unternehmen

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der Region besteht eine starke Nachfrage nach solchen Arbeitskräften. Allerdings stellen diese auf dem lokalen Arbeitsmarkt ein knappes Gut dar. Aus diesem Grund errichtete Kern-Liebers ein eigenes Ausbildungszentrum, in dem nach Vorbild der deutschen dualen Berufsausbildung Werkzeugmechaniker/-innen eigens ausgebildet werden. Die Strukturen dieses Ausbildungsprogramms werden in Kapitel 4.7.4 Personalentwicklung im Detail beschrieben. Im Rahmen dieses Abschnitts sollen zunächst die Rekrutierungsstrategien betrachtet werden, die zur Auswahl der Auszubildenden für das Programm angewandt werden. Das Ausbildungsprogramm, welches seit 2001 in Taicang durchgeführt wird, richtet sich an Absolventen/-innen der Sekundarstufen I, die in der Regel 15 bis 16 Jahre alt sind (F2: Z. 209-210). Absolventen/-innen der Sekundarstufen II gehören bewusst nicht zur Zielgruppe für das Ausbildungsprogramm, da diese nach Abschluss der Berufsausbildung erfahrungsgemäß in Managementpositionen oder zumindest nach Tätigkeiten im Büro streben (F2: Z. 284-296). Aufgrund des jungen Alters der potenziellen Kandidaten/-innen für das Ausbildungsprogramm gilt es, nicht nur die Jugendlichen für das Programm zu gewinnen, sondern auch deren Eltern müssen von der unternehmensinternen Ausbildung als zukunftsträchtiger Berufswahl für ihr Kind überzeugt werden. Dies mag für die meisten Nationen und Kulturen zutreffen, in der chinesischen Kultur nehmen die Eltern aufgrund der lange verfolgten und kontrollierten Ein-KindPolitik jedoch einen besonders großen Einfluss auf die Berufswahl ihres Kindes (siehe auch Kapitel 2.2.3 Das gesellschaftliche Ansehen der (Berufs-)Bildung sowie 4.7.1 Landesspezifische Unternehmensführung und Herausforderungen). Während Karriereabsichten in Form von Berufsausbildungen, die zu einer Tätigkeit in der Produktion qualifizieren, im Allgemeinen keine gute Reputation unter chinesischen Eltern haben, ist der gute Ruf des deutschen Unternehmens und dessen Ausbildungszentrums mittlerweile zu den Eltern

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vorgedrungen. Auch die Tatsache, dass die Berufsausbildung mit einem Zertifikat der AHK Shanghai verbunden ist, trägt dazu bei, dass das Ansehen der beruflichen Bildungsstrukturen deutscher Unternehmen aufgrund der damit verbundenen beruflichen Aussichten zunehmend verbessert wird. Erreicht werden konnte dies durch die Ansprache der Eltern (F2: Z. 940-954). Sie wurden eingeladen, sich das Unternehmen und die Produktionsräume anzusehen, wodurch sie sich, entgegen der meisten Vorannahmen, von der sauberen Arbeitsumgebung überzeugen konnten (F2: Z. 956-959). Auch die Tatsache, dass die Auszubildenden im Rahmen der 3-jährigen Ausbildung die Gelegenheit haben, nach Deutschland zu reisen, verändert die Wahrnehmung der Eltern hin zu einer attraktiven Berufsperspektive. Denn Auslandsreisen waren in China lange Zeit nur den Privilegierten zugänglich und sind auch heute noch für die meisten Mitarbeiter/-innen auf Produktionsebene ein besonderes Privileg. Die Auszubildenden werden überwiegend regional rekrutiert. 95% der Auszubildenden einer Jahrgangsklasse stammen aus der Region Taicang. Diese Vorgabe wird von der lokalen Regierung gemacht und gründet auf der Tatsache, dass die Regierung finanzielle Unterstützung leistet, weshalb auch der wirtschaftliche Ertrag in Form von qualifizierten Arbeitskräften in die eigene Region fließen soll (siehe Kapitel 4.7.5 Kooperationen) (F2: Z. 975-982). Als Rekrutierungskanal werden regionale TV-Spots ausgestrahlt, die auf das Ausbildungsprogramm aufmerksam machen (F2: Z. 954). Die Auswahl der Auszubildenden erfolgt in zwei Schritten. (1) Zunächst selektieren die in die Ausbildung involvierten berufsbildenden Schulen die 50 besten Kandidaten/-innen, gemessen am Notendurchschnitt ihres Abschlusses der Sekundarstufe I. (2) Aus diesen 50 Kandidaten/-innen wählt Kern-Liebers sodann aus, wer einen der insgesamt 35 Ausbildungsplätze eines Jahrgangs bekommt. Die Auswahl erfolgt durch ein standardisiertes Verfahren, welches aus einer zweistündigen Theorie- und Praxisprüfung besteht (F2: Z. 969974). Diejenigen mit den besten Prüfungsergebnissen dürfen ihre

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Fallstudien in zwei Produktionsunternehmen

Berufsausbildung nach Vorbild der deutschen dualen Berufsausbildung bei Kern-Liebers antreten. 4.7.3

Qualifizierung/Training

Zum Zeitpunkt der Gründung bestand die Produktion aus lediglich neun Mitarbeitern/-innen die auf einer Produktionsfläche von 400m² Zugfedern herstellten. Keiner der Mitarbeiter/-innen brachte Erfahrung hinsichtlich des Herstellungsprozesses mit, als er vom Arbeitsmarkt rekrutiert wurde (F2: Z. 102-104; 115-116). Deshalb erfolgte die Anlernphase der anfänglich neun Mitarbeiter/-innen durch die regelmäßige Entsendung eines erfahrenen Projektmanagers aus dem Headquarter in Deutschland nach Taicang. Er fungierte während dieser Zeit als Trainer und lernte die Gastlandarbeiter/-innen an den Maschinen an. Im Anschluss war der Standort auf sich allein gestellt und sie lernten durch Ausprobieren. Nachdem abzusehen war, dass die Sicherheitsgurtfedern auf dem chinesischen Markt stark nachgefragt werden und dahin gehend die Produktion zukünftig ausgebaut werden sollte, wurde damit begonnen, die chinesischen Mitarbeiter/innen der Produktion intensiver zu schulen. Dies passierte, indem einige Mitarbeiter/-innen des Shopfloors nach Deutschland gesendet und dort mittels eines eigens erstellen Trainingskonzepts für die chinesischen Kollegen/-innen an den Maschinen trainiert wurden. Im Anschluss daran kamen die chinesischen Mitarbeiter/-innen mit ihrem neu erlernten Wissen zurück nach Taicang, während zeitgleich die entsprechenden Maschinen nach China überführt und ab da an in der Produktion in China eingesetzt wurden. Diejenigen Mitarbeiter/innen, die in Deutschland angelernt wurden, fungierten sodann als Trainer, um ihr Wissen an die Kollegen/-innen weiterzugeben. Die Produktion wurde bereits in den ersten Jahren zunehmend lokalisiert, sodass bald alle Produktionsprozesse am Standort Taicang verfügbar waren, um unabhängig von anderen Standorten weltweit

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in China für den asiatischen Markt produzieren zu können (siehe Kapitel 4.4.2 Kern-Liebers (Taicang) Co., Ltd). Die Voraussetzung, um unabhängig von anderen Standorten weltweit produzieren zu können, sind Mitarbeiter/-innen in allen Unternehmensbereichen, die über die erforderlichen Fähigkeiten, Fertigkeiten und Kenntnisse verfügen. Dem Unternehmen ist genau dies gelungen, und zwar nicht nur zu einem frühen Zeitpunkt seit dem Entstehen des deutschen Industrieparks, sondern auch ohne das Anknüpfen an bereits bestehende, ähnliche Strukturen. Aus diesem Grund gebührt KernLiebers auch hinsichtlich der Etablierung von Qualifizierungs- und Ausbildungsstrukturen in der Region die Zuschreibung als Pionier. Eine besondere Herausforderung für diesen Schritt war die Rekrutierung von Werkzeugmechanikern/-innen. Denn diese Berufsgruppe muss nicht nur über handwerkliches Geschick verfügen, sondern auch dazu in der Lage sein, eine CNC Maschine, einen Fräser oder eine Drehmaschine zu bedienen (F2: Z. 201-207). Auf den lokalen Arbeitsmärkten waren Arbeitskräfte mit diesem Anforderungsprofil allerdings seit jeher ein knappes Gut (F2: Z. 201). Dem Unternehmen ist es jedoch gelungen, entsprechende Mitarbeiter/-innen durch Rekrutierung und Qualifizierung zu entwickeln. Die etablierten Qualifizierungsmaßnahmen, die angewandt wurden, um dieses Ziel zu erreichen, werden im Folgenden dargestellt. Qualifizierungsmaßnahmen Kern-Liebers ist die Lokalisierung des chinesischen Standorts in Taicang durch die Etablierung verschiedener Qualifizierungsmaßnahmen gelungen. Dazu gehört die (1) Errichtung eines Trainingscenters zur Ausbildung von Werkzeugmechanikern/-innen nach deutschem dualem Vorbild der Berufsausbildung. Grund für den Aufbau dieser Strukturen war, dass es keine Werkzeugmechaniker/-innen auf den lokalen Arbeitsmärkten gab, diese aber für die Lokalisierung der Produktion erforderlich waren. Betroffen von der

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Fallstudien in zwei Produktionsunternehmen

Knappheit an Werkzeugmechanikern/-innen war nicht nur KernLiebers selbst, sondern ein Großteil derjenigen deutschen Unternehmen, deren Produktion auf die Verarbeitung von Metall ausgerichtet ist. Das von Kern-Liebers etablierte Trainingscenter brachte erstmals Berufsbildungsstrukturen nach deutschem Vorbild in die Region Taicang (F2: Z. 279-284). Mit dem Aufbau des Trainingscenters wagte es einen innovativen Schritt, der sich später als Grundstein und Vorbild für ähnliche Ausbildungsstrukturen herausstellte, die von anderen deutschen Unternehmen errichtet wurden, um deren eigene berufsspezifischen Bedarfe zu decken (F2: Z. 511-517). Hinsichtlich der Etablierung von Ausbildungsstrukturen nach deutschem dualem Vorbild ist zu beachten, dass die jeweiligen landesspezifischen politischen Richtlinien beim Transfer einzuhalten sind. D.h., deutsche Strukturen können nicht ohne weiteres kopiert und nach China transferiert werden, sondern es ist erforderlich, die Ausbildungsstrukturen nach deutschem Vorbild an das chinesische Bildungssystem anzupassen (F2: Z. 389-396). Während das Verhältnis von Theorie- und Praxisunterricht in Deutschland so gewichtet ist, dass der Praxisanteil überwiegt, kann das Verhältnis in China maximal gleichgewichtet sein, also bei 50% liegen: „here in China we can only accept maybe 50%“ (F2: Z. 391-392). Der Praxisanteil des Ausbildungsprogramms im Trainingscenter von Kern-Liebers liegt bei 50% und hat damit den maximalen Spielraum, der nach den Richtlinien der lokalen Regierung zulässig ist, ausgereizt. Es ist zudem das Ausbildungsprogramm mit dem höchsten Praxisanteil in der Region überhaupt. Die Ausbildungsstrukturen müssen so konzipiert sein, dass sie den Ansprüchen verschiedener Parteien gerecht werden: Den Vorgaben des Landeskontextes, in den diese etabliert werden, nämlich China, sowie den Vorgaben der AHK Shanghai, welche die Qualität der Berufsausbildung erfasst, die Prüfungskommission bildet und das erfolgreiche Bestehen der Berufsausbildung mit einem AHK-Zertifikat bestätigt. Schlussendlich erhalten die Absolventen nach der 3-jährigen Ausbildung zwei Zertifikate, eines von

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der lokalen berufsbildenden Schule und eines von der AHK Shanghai. Als weitere Qualifizierungsmaßnahme, die im Rahmen des Ausbildungsprogramms etabliert wurde, zählt die Zuweisung von (2) Mentoren. Hierbei fungieren Mitarbeiter/-innen der Produktion als Mentoren/-innen, die jeweils für mehrere Auszubildende verantwortlich sind. Sie erfüllen überwiegend zwei Funktionen. Zum einen sollen sie beispielhaftes Verhalten vorleben und zum anderen sollen sie ihren Mentees, die Auszubildende sind, beibringen, wie die Maschinen zu bedienen sind (F2: Z. 616 – 632). Auch die wechselseitige (3) Entsendung von Mitarbeitern/-innen zwischen Deutschland und China hat zur Lokalisierung der Produktion zu einem frühen Zeitpunkt beigetragen. Allerdings fanden Entsendungen von deutschen Kollegen/-innen nach China nur in der Anfangsphase der chinesischen Niederlassung statt, indem deutsche Kollegen/-innen als Trainer/-innen fungierten, um die Gastlandarbeiter/-innen an den Maschinen anzulernen. Mittlerweile werden keine Kollegen/-innen mehr aus Deutschland nach China entsandt. Die Entsendung von chinesischen Kollegen/-innen nach Deutschland stellt hingegen eine beliebte Vorgehensweise dar, die hinsichtlich der Qualifizierung mehrere vorteilhafte Aspekte mit sich bringt. Zum einen sollen die in der Regel zweimonatigen Entsendungen nach Deutschland zur Verbesserung der Fremdsprachenkenntnisse in den Sprachen Englisch und Deutsch beitragen (F2: Z. 109-112). Zum anderen dienen diese Entsendungen der Vernetzung innerhalb des international ausgerichteten Familienunternehmens. Denn KernLiebers legt Wert darauf, dass sich alle Mitarbeiter/-innen als Mitglieder einer großen Familie begreifen, da auch jeder Einzelne seinen Beitrag für den Unternehmenserfolg leistet (F2: Z. 178-181). Es ist zudem üblich, dass die chinesischen Kollegen/-innen nicht nur an Trainingsmaßnahmen in Deutschland teilnehmen, sondern dass sie während ihres Aufenthalts von den deutschen Kollegen/-innen wie ein Familienmitglied, wie ein „Sohn“ oder ein „Neffe“ („son“,

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Fallstudien in zwei Produktionsunternehmen

„nephew“, F1: Z. 180) aufgenommen und unterstützt werden. Darüber hinaus erhalten die chinesischen Kollegen/-innen, wie dies bereits seit den frühen Jahren des Unternehmens gehandhabt wurde, weiterhin dann Schulungen, wenn sie nach Deutschland entsendet werden, weshalb die Reisen auch zur Verbesserung der Fähigkeiten, Fertigkeiten und Fachkenntnisse beitragen sollen (F2: Z. 187-190). Anreiz für Qualifizierungen Im Vergleich der Qualifikationsprofile deutscher und chinesischer Arbeitskräfte, die in der Produktion eingesetzt werden, waren die deutschen den chinesischen laut dem CEO des Unternehmens bisher aufgrund ihres technischen Verständnisses im Allgemeinen überlegen (F2: Z. 188-190). Zurückzuführen lässt sich dies seines Erachtens auf den unterschiedlichen Technologiestand in den beiden Ländern und auf die unterschiedliche Gestaltung der Berufsbildungsstrukturen. In den klassischen chinesischen berufsbildenden Schulen sind die Anteile des Praxisunterrichts deutlich geringer (F2: Z. 10771081). Es ist jedoch abzusehen, dass die Lücke hinsichtlich der Fähigkeiten, Fertigkeiten sowie des Wissens über Produktionsprozesse zukünftig zunehmend geringer wird. Es fehlt insbesondere an Erfahrung zur Gestaltung und systematischen Organisation von Arbeitsabläufen. Um die noch bestehenden Lücken zunehmend zu schließen, sind kontinuierliche Schulungen erforderlich, weshalb das Unternehmen Anreize zur Teilnahme für die Mitarbeiter/-innen schaffen möchte. Dabei zeichnet sich ab, dass das individuelle Einräumen der Möglichkeit zur Teilnahme an Qualifizierungsmaßnahmen selbst bereits Anreiz darstellt, um gute Leistung zu erbringen. Denn die Tatsache, lernen zu dürfen, ist in China ebenso ein Anreiz, wie die Chance zu erhalten, arbeitsbedingt ins Ausland reisen zu dürfen (F2: Z. 109-112). Dies wird beispielsweise im Rahmen des Ausbildungsprogramms (siehe Kapitel 4.7.4 Personalentwicklung) als An-

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reizinstrument eingesetzt. Diejenigen Auszubildenden mit den besten Notendurchschnitten dürfen im Rahmen des Projekts „Friendship-School“ an einem Schüleraustausch mit deutschen Schülern/-innen teilnehmen (F2: Z. 940-954). 4.7.4

Personalentwicklung

Die Personalentwicklung wird am Standort Taicang durch eine eigenständige Human-Ressources Abteilung geregelt (F2: Z. 889890). Seitdem das Unternehmen seinen chinesischen Standort eröffnete, waren Maßnahmen erforderlich, um die Mitarbeiter/-innen der Produktion mit den nötigen Fähigkeiten und Kenntnissen für den Herstellungsprozess von Sicherheitsgurtfedern auszustatten. Denn der Bedarf nach qualifizierten Arbeitskräften mit spezifischen Berufsprofilen war von Anbeginn größer als das Angebot auf den lokalen Arbeitsmärkten. Deshalb hat Kern-Liebers, welches als erstes deutsches Unternehmen überhaupt nach Taicang kam, früh erkannt, dass die Etablierung unternehmensinterner Karrierewege, die den Mitarbeitern/-innen attraktive Aufstiegschancen eröffnen, erforderlich sind, um die Produktion zu lokalisieren und gleichzeitig den Qualitätsansprüchen des Produkts gerecht werden zu können. Obwohl zunehmend Kandidaten/-innen mit einem Schulabschluss der Sekundarstufe II auf den lokalen Arbeitsmärkten zur Verfügung stehen (siehe Kapitel 2.2.3 Das gesellschaftliche Ansehen der (Berufs)Bildung), hat Kern-Liebers seit Beginn gute Erfahrung damit gemacht, Absolventen der Sekundarstufe I ohne spezifische Berufserfahrung einzustellen, die sodann durch Personalentwicklungsmaßnahmen hinsichtlich der jeweiligen Tätigkeiten qualifiziert werden (F2: Z. 104-109). Diese Vorgehensweise unterscheidet sich von der üblichen Vorgehensweise chinesischer Unternehmen. Diese investieren meistens nur in geringem Maße in die Qualifizierung ihrer Produktionsarbeiter/-innen, da die Befürchtung besteht, sowohl die Abwerbungschancen durch konkurrierende Unternehmen als auch

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Fallstudien in zwei Produktionsunternehmen

die Erwartungen an Gehaltsanforderungen seitens der Mitarbeiter/innen zu erhöhen (siehe Kapitel 2.2.4 Aktuelle Herausforderungen der beruflichen Bildung in China). In der chinesischen Niederlassung des deutschen Unternehmens wurden jedoch zu einem frühen Zeitpunkt in der Region innovative Personalentwicklungsmaßnahmen etabliert, die im Folgenden dargestellt werden. Ausbildungsstrukturen Kern-Liebers errichtete im Jahr 2001 ein unternehmensinternes Ausbildungszentrum nach Vorbild deutscher dualer Ausbildungsstrukturen. Es handelt sich um das erste Ausbildungsprogramm dieser Art überhaupt, das in Taicang und in der Umgebung von Taicang angeboten und durchgeführt wurde (F1: Z. 279-284). Die Berufsausbildung ist auf drei Jahre ausgerichtet und wird in zwei Fachrichtungen angeboten: Werkzeugmechanik und Industriemechanik (F2: Z. 668670; 231-240). Nach erfolgreichem Durchlaufen der Berufsausbildung sollen die Absolventen/-innen auf dem Shopfloor eingesetzt werden und dort dem Unternehmen möglichst langfristig zur Verfügung stehen (F2: Z. 294-296). Aus diesem Grund werden für das Ausbildungsprogramm ausschließlich Absolventen/-innen der Sekundarstufe I ausgewählt, wenngleich Absolventen/-innen von Schulen der Sekundarstufe II als reifer, lern- und leistungsfähiger gelten und grundsätzlich auch eine mögliche Zielgruppe für das Ausbildungsprogramm wären. Allerdings zeigte sich in der Vergangenheit, dass ein Großteil derjenigen, die einen Abschluss der Sekundarstufe II sowie nach Abschluss der Berufsausbildung zusätzlich ein AHK- oder IHK-Zertifikat haben, den Shopfloor möglichst schnell verlassen wollen und sich für eine anschließende Tätigkeit im Office-Bereich bewerben (F2: Z. 284-294). Aus diesem Grund werden ausschließlich Absolventen/-innen der Sekundarstufe I rekrutiert. Das Ausbildungszentrum wurde im Jahr 2001 gemeinsam mit einem weiteren deutschen Unternehmen aufgebaut. Auch heute

Ergebnisse der Fallstudie Kern-Liebers

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noch handelt es sich um das Produkt eines Unternehmensverbunds zweier deutscher Unternehmen, allerdings ist in der Zwischenzeit ein anderes Unternehmen involviert als zum Zeitpunkt der Gründung (siehe Kapitel 4.7.5 Kooperationen). Weiterhin von Anfang an involviert war die AHK Shanghai, die zum einen den Aufbau des Ausbildungsprogramms unterstützte und zum anderen bis heute die Prüfungskommission bildet (F2: Z. 317-319). Primäre Lernorte während der Berufsausbildung sind das unternehmensinterne Ausbildungszentrum sowie die berufsbildende Schule in Taicang zu gleichen Teilen. Wie in Kapitel 4.7.3 erläutert, ist es beim Transfer von Ausbildungsstrukturen nach deutschem dualem Vorbild erforderlich, die landesspezifischen Rahmenbedingungen zu berücksichtigen. Aus diesem Grund darf der Anteil des Praxisunterrichts den Anteil des Theorieunterrichts nicht übersteigen und daher schöpft das Unternehmen die maximale Gewichtung von jeweils 50% vollständig aus (F2: Z. 389-396). Das Programm findet im jährlichen Turnus mit je 35 Auszubildenden statt, die zu Beginn der Ausbildung ca. 15 bis 16 Jahre alt sind (F2: Z. 932-935; 948-949). Zu diesem Zeitpunkt sind die Auszubildenden noch nicht volljährig, weshalb nicht nur die Auszubildenden selbst, sondern auch deren Eltern den Ausbildungsvertrag unterschreiben müssen (F2: Z. 962-965). Die Rolle der Eltern hinsichtlich des Rekrutierungsprozesses wird in Kapitel 4.7.2 erörtert. Die Auszubildenden erhalten, anders als es in Deutschland üblich ist, kein Gehalt während ihrer Ausbildungszeit. Sie müssen sogar selbst einen Anteil der Ausbildungskosten in Höhe von 30.000 RMB29 zahlen. Diese Summe ist direkt zu Beginn der Ausbildung zu begleichen. Wenn die Auszubildenden im Anschluss an ihre Berufsausbildung in einem der beiden deutschen Unternehmen bleiben, die das Ausbildungszentrum im Verbund betreiben, erstatten die Unternehmen den Betrag von 30.000 RMB in jährlichen Abschlägen, d.h. zu je 6.000 RMB über 5 Jahre. Dieses Vorgehen ist als Anreizsystem 29

30.000 RMB = ca.4.000 € (Wechselkurs im März 2018).

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Fallstudien in zwei Produktionsunternehmen

zu verstehen, das deshalb durchgeführt wird, damit die Auszubildenden eher in einem der beiden Unternehmen bleiben und nicht unmittelbar zu einem anderen deutschen Unternehmen wechseln, das ein höheres Gehalt bietet. Der Wettbewerb in der Region um ausgebildete Werkzeugmechaniker/-innen und Industriemechaniker/-innen nimmt stetig zu, denn mittlerweile gibt es in Taicang über 200 deutsche Unternehmen, die von dem Ausbildungszentrum, das von KernLiebers aufgebaut wurde, profitieren (F2: Z. 992-1007; 1052-1055). Perspektivisch sollen im Ausbildungszentrum zukünftig nicht nur Werkzeugmechaniker/-innen und Industriemechaniker/-innen ausgebildet werden, sondern auch Mechatroniker/-innen. Auch die regelmäßige oder zumindest erneute Durchführung einer Meisterschule, wie sie bereits in der Vergangenheit einmalig stattgefunden hat, ist denkbar (F2: Z. 234-243). Denn Kern-Liebers legt großen Wert darauf, seinen Mitarbeitern/-innen der Produktion, die langjährig im Unternehmen beschäftigt sind, berufliche Perspektiven zu bieten. So gibt es durchaus Mitarbeiter/-innen, die als Produktionsarbeiter/-innen auf dem Shopfloor angefangen haben und mittlerweile als Produktionsmanager tätig sind (F2: Z. 104-109). Zwar gibt es in der Zwischenzeit eine Reihe von Ausbildungszentren in China, welche die dualen Strukturen von Kern-Liebers kopiert haben, allerdings richten sich die meisten dieser Ausbildungsprogramme an Absolventen der Sekundarstufe II (F2: Z. 284-294). Aufgrund des überwiegenden Bedarfs nach Arbeitskräften, die hohe Qualifikationen hinsichtlich der Metallverarbeitung aufweisen und die dem Unternehmen langfristig als Mitarbeiter/-innen der Produktion zur Verfügung stehen und eben nicht nach höheren Positionen im Management streben, hat sich Kern-Liebers auf die Ausbildung dieser Mitarbeitergruppe fokussiert, während andere deutsche Unternehmen bereits duale Ausbildungsprogramme mit Hochschulen aufgebaut haben. Zum Erhebungszeitpunkt verfolgt Kern-Liebers in Kooperation mit einer größeren Anzahl an weiteren deutschen Unternehmen eine neue Form von Ausbildungsprogramm. Geplant ist

Ergebnisse der Fallstudie Kern-Liebers

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die Einführung eines dualen Studiengangs in Kooperation mit einer Universität in Baden-Württemberg, Deutschland, zur Qualifizierung von Nachwuchskräften für den Office-Bereich (F2: Z. 354-355; 369370; 484-492). Auch hierbei handelt es sich um ein innovatives Vorhaben im Rahmen von Personal- und Organisationsentwicklungsmaßnahmen, die einerseits nur deshalb entstehen können, weil die deutschen Unternehmen der Region zusammenhalten und gemeinsam agieren, andererseits aber auch entstehen müssen, da alle Unternehmen hinsichtlich der Knappheit von qualifizierten Arbeitskräften vor denselben Herausforderungen stehen und ihre chinesischen Niederlassungen nur unter diesen Voraussetzungen aufrechterhalten können. Da sich das Vorhaben zum Erhebungszeitpunkt noch in der Planungsphase befindet, bisher also nicht durchgeführt wird, können keine Informationen zu den Personalentwicklungsmaßnahmen dieses Programms erläutert werden. Das Kooperationsmodell ist allerdings bereits ausgearbeitet, weshalb in Kapitel 4.7.5 auf die Kooperationsstrukturen detailliert eingegangen werden kann. 4.7.5

Kooperationen

Kern-Liebers war das erste deutsche Unternehmen überhaupt, das eine chinesische Niederlassung in Taicang errichtete. Mit seiner Gründung legte es den Grundstein für einen ganzen Industriepark deutscher Unternehmen. Zur damaligen Zeit gab es jedoch keinerlei Möglichkeiten, an bestehende Unternehmens- oder Schulstrukturen anzuknüpfen, vielmehr leistete das Unternehmen einen Pionierbeitrag zu den Strukturen, die heute in der Region vorzufinden sind. Kern-Liebers hat zu einem frühen Zeitpunkt Initiative ergriffen, um Kooperationsstrukturen in Taicang zu etablieren, und ist dafür an unterschiedliche Kooperationspartner herangetreten, mit dem Ziel, die Situation in der Region nicht nur für sich selbst, sondern auch für den gesamten Industriepark zu verbessern. Durch die hohe Initiative

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Fallstudien in zwei Produktionsunternehmen

des Unternehmens sind verschiedene Kooperationsformen entstanden, die im Folgenden betrachtet werden. Schul- und Unternehmenskooperation Bei der ersten Kooperationsform handelt es sich um ein Ausbildungszentrum, das überwiegend zur Ausbildung von Werkzeugmechanikern/innen, aber auch von Industriemechanikern/-innen auf dem Unternehmensgelände von Kern-Liebers aufgebaut wurde (F2: Z. 342-343). Es handelt sich um eine halböffentliche Kooperation, die durch die Zusammenarbeit und Initiative zweier deutscher Unternehmen mit Unterstützung der lokalen Regierung von Taicang entstanden ist (F2: Z. 315-316). Institutionell involviert sind (1) das deutsche Unternehmen Kern-Liebers, (2) das deutsche Unternehmen Mubea, (3) eine lokale berufsbildende Schule mit industriellem Schwerpunkt und (4) die lokale Regierung von Taicang. Die individuellen Beiträge zur Kooperation werden im Folgenden aufgezeigt. Die Initiative zur Etablierung eines Ausbildungszentrums ging von (1) Kern-Liebers aus. Das Unternehmen verfolgte die Absicht, dem Fachkräftemangel in der Region entgegenzuwirken. Da bis dahin keinerlei Ausbildungsstrukturen in der Region existierten, die Expertise für den Aufbau und die Durchführung eines Ausbildungszentrums im Familienunternehmen jedoch vorhanden war, wählte das Unternehmen den Weg, auf entsprechende Kooperationspartner zuzugehen, um eine innovative Kooperationsform realisieren zu können. Schlüsselpersonen zu dieser Zeit waren der CEO, der seit 1993 bis heute in der chinesischen Niederlassung tätig ist, sowie ein deutscher Projektmanager, der bereits bei der Produktionsverlagerung nach Taicang Unterstützung geleistet hatte (F2: Z. 327-330). Weitere Unterstützung erfolgte durch die Einstellung zweier Trainer. Bei dem ersten handelte es sich um einen deutschen Trainer, der bereits einschlägige Erfahrung hinsichtlich der Organisation und Konzeption von Trainingsplänen in Deutschland sowie in verschiedenen

Ergebnisse der Fallstudie Kern-Liebers

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asiatischen Ländern aufzuweisen hatte. Durch ihn wurde auch der Kontakt zur AHK Shanghai hergestellt, die ab da an in den Aufbau des Ausbildungszentrums involviert war (F2: Z. 323-326). Der zweite war ein chinesischer Trainer, der fließend Englisch und Deutsch sprach und zuvor als Trainingsdirektor in einem deutschen Automobilwerk in Peking, China, tätig und deshalb bereits mit den deutschen Ausbildungsstrukturen vertraut war (F2: Z. 332-335). Mittlerweile werden in dem Ausbildungszentrum, das sich auf dem Unternehmensgelände von Kern-Liebers befindet und in dem der Praxisunterricht stattfindet, jährlich 35 Ausbildungsplätze vergeben. Das Unternehmen beschäftigt fest angestellte Praxislehrer/-innen, die einen intensiven Austausch mit den Theorielehrer/-innen der involvierten chinesischen berufsbildenden Schulen sowie mit der AHK Shanghai pflegen. Den zweiten Kooperationspartner stellt das (2) deutsche Unternehmen Mubea dar. Zwar waren von Anbeginn zwei deutsche Unternehmen in die Kooperation involviert, gegründet wurde sie jedoch in Zusammenarbeit mit einem anderen deutschen Unternehmen. Mubea ist in 2013 dazugekommen (218-230). Auch Mubea beschäftigt fest angestellte Praxislehrer/-innen, die in dem Ausbildungszentrum auf dem Kern-Liebers Gelände tätig sind. Neben der Lehrtätigkeit stehen auch sie in engem Kontakt zu den Theorielehrern/-innen der involvierten berufsbildenden Schulen sowie zur AHK Shanghai. Ein weiterer institutioneller Partner ist die (3) chinesische berufsbildende Schule mit industriellem Schwerpunkt, in welcher der Theorieunterricht stattfindet. Als Lernorte sind daher hinsichtlich des Praxisunterrichts das Ausbildungszentrum und hinsichtlich des Theorieunterrichts die berufsbildende Schule zu benennen. Theorie- und Praxisphasen erfolgen in wechselnden Blöcken von je zwei Wochen. Es wird eine enge Lernortkooperation angestrebt, weshalb die Lehrkräfte der Schulen mindestens alle vier Wochen während des Praxisunterrichts hospitieren und sich mit den Praxislehrkräften austauschen. Auch die Praxislehrer/-innen halten sich regelmäßig an den

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Fallstudien in zwei Produktionsunternehmen

berufsbildenden Schulen auf (F2: Z. 596-613). Für die Auszubildenden ist das Ausbildungszentrum ein Lernort, die berufsbildende Schule hingegen Lernort und Wohnort zugleich, denn auf dem Schulgelände gibt es Wohnräume mit Schlafsälen, in denen die Auszubildenden während ihrer Lehre leben. Zwar führen die berufsbildenden Schulen und die Unternehmen den Theorie- und Praxisunterricht gemeinsam durch, die Abschlussprüfungen werden allerdings von der AHK Shanghai organisiert und durchgeführt. Sie bildet die Prüfungskommission (F2: Z. 332-335). Nach erfolgreichem Bestehen der Abschlussprüfungen erhalten die Absolventen/-innen ein AHK-Zertifikat sowie ein Zertifikat der berufsbildenden Schule. Die Zertifikate berechtigen bewusst nicht für einen Arbeitsplatz im Büro, sondern ausschließlich für den Shopfloor. In den ersten Jahrgängen wurde auf diesen Aspekt nicht geachtet, weshalb sich im Anschluss auf Grundlage des Zertifikats viele für Bürotätigkeiten bewarben. Dies ist jedoch nicht das Ziel, denn die Absolventen/-innen sollen vielmehr im Anschluss an ihre Berufsausbildung auf Produktionsebene eingesetzt werden und dem Unternehmen perspektivisch möglichst lange zur Verfügung stehen (F2: Z. 369-373). Weiterhin involviert in den Kooperationsverbund aus Unternehmen und berufsbildender Schule ist die (4) lokale Regierung von Taicang. Dem Unternehmen ist es gelungen, die lokale Regierung von dem Bedarf eines Ausbildungszentrums nach Vorbild der deutschen dualen Berufsausbildung zu überzeugen. Deshalb beteiligte sich die lokale Regierung an der Errichtung des Ausbildungszentrums durch finanzielle Unterstützung. Das Produkt dieser Kooperation ist ein stabiles Ausbildungsprogramm, das konstant gut ausgebildete Werkzeugmechaniker/-innen und Industriemechaniker/-innen hervorbringt. Sie werden nicht nur für den Eigenbedarf der Unternehmen Kern-Liebers und Mubea ausgebildet, sondern für die gesamte Region Taicang. Allerdings haben die beiden Unternehmen das Vorrecht, den Auszubildenden, die sich im letzten Lehrjahr kurz vor den Abschlussprüfungen befinden, einen anschließenden Arbeitsvertrag

Ergebnisse der Fallstudie Kern-Liebers

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im Unternehmen anzubieten. Die Anzahl von jährlich 35 Auszubildenden übersteigt dabei den Bedarf an Nachwuchskräften bei beiden Unternehmen, weshalb ein Großteil nach Abschluss in anderen deutschen Unternehmen tätig sein wird. In der Außenpräsenz handelt es sich deshalb um eine halböffentliche Kooperation (F2: Z. 350-355). Hochschulkooperation Zum Zeitpunkt der Datenerhebung initiiert Kern-Liebers eine weitere Kooperationsform, die darauf abzielt, Nachwuchskräfte für den Office-Bereich zu qualifizieren (F2: Z. 354-355; 369-370). Die Planungsphase ist bereits abgeschlossen und die Vorbereitungen für den ersten Durchlauf, der für das Ende desselben Jahres angesetzt ist, sollen in Kürze beginnen. Es handelt sich um eine länderübergreifende Hochschulkooperation zwischen China und Deutschland, die deshalb etabliert werden soll, um Nachwuchskräfte für anspruchsvolle Tätigkeiten bspw. im Managementbereich zu qualifizieren. Die Strukturen sind dual aufgebaut, weshalb der Theorieunterricht an den Hochschulen, der Praxisunterricht hingegen in deutschen Unternehmen erfolgen sollen. Das duale Hochschulprogramm endet mit einem Bachelorabschluss. Genau wie die zuvor behandelte Schulund Unternehmenskooperation in Form eines Ausbildungszentrums auf dem Kern-Liebers Gelände handelt es sich auch bei dieser geplanten Hochschulkooperation um eine, die nicht nur den eigenen Bedarf an Fachkräften, sondern auch die Bedarfsdeckung der deutschen Unternehmen in Taicang im Allgemeinen gewährleisten soll. Daraus folgt, dass auch diese Kooperation durch die Finanzierung der lokalen Regierung von Taicang realisiert wird und infolgedessen halböffentlich ausgerichtet sein wird. Für den Beschluss solcher Kooperationen sind intensive Gespräche mit der lokalen Regierung von Taicang sowie mit den deutschen Unternehmen der Region notwendig. Zum Erhebungszeitpunkt stehen die Zuständigkeiten der einzel-

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Fallstudien in zwei Produktionsunternehmen

nen Kooperationspartner bereits fest. Diese sind (1) mehrere deutsche Unternehmen, (2) eine chinesische Hochschule, (3) eine deutsche Hochschule in Baden-Württemberg sowie (4) die lokale Regierung von Taicang (F2: Z. 484-492). Die Aufgabenbereiche der jeweiligen Kooperationspartner werden im Folgenden dargestellt. In das dual ausgerichtete Hochschulstudium sollen (1) mehrere deutsche Unternehmen, perspektivisch mindestens zehn, involviert sein. Alle Unternehmen, die an dem Hochschulprogramm mitwirken, haben Bedarf an qualifizierten Fachkräften für anspruchsvolle Tätigkeiten, bspw. im Management, Einkauf oder den Finanzbereich. Aus diesem Grund ist vorgesehen, Unternehmensklassen zu bilden, die ihr Hochschulprogramm jeweils im Klassenverbund durchlaufen. Die Ausbildungsstruktur sieht dreimonatige Praktika innerhalb dieses Hochschulprogramms vor, welche in den jeweiligen deutschen Unternehmen absolviert werden sollen (F2: Z. 484-492; 411-414). Die Einbindung der (2) chinesischen Hochschule ist aufgrund der unterschiedlichen landesspezifischen Rahmenbedingungen erforderlich, die hinsichtlich des Bildungswesens in China und des beabsichtigten Abschlusses, der sich an den deutschen Strukturen orientiert, einzuhalten sind. Konkret gilt es, die in China auf vier Jahre mit den in Deutschland auf drei Jahre ausgerichteten Bachelorstudiengängen zu vereinen. Die Lösung dieses Passungsproblems liegt darin begründet, dass die Studierenden zunächst ein einjähriges Vollzeitstudium an der chinesischen Hochschule absolvieren. Die in das Programm involvierten Unternehmen wählen sodann ihre Kandidaten/innen für die jeweiligen unternehmensinternen Klassen aus der Studienjahrkohorte aus (F2: Z. 424-432). Tabelle 13 verdeutlicht die Studienstruktur.

Ergebnisse der Fallstudie Kern-Liebers

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Tabelle 13: Struktur der Hochschulkooperation. Eigene Darstellung. Studienjahr 1 2 3 4

Lernort Hochschule China Hochschule Deutschland Hochschule Deutschland Hochschule Deutschland + Unternehmen

Inhalt Theorieunterricht Theorieunterricht Theorieunterricht Theorieunterricht + Praktikum

Die Studierenden verbringen demnach lediglich ein Jahr in der chinesischen Hochschule. Der überwiegende Anteil von drei Jahren findet in der (3) kooperierenden Hochschule in Baden-Württemberg statt. Aus diesem Grund wird das Hochschulprogramm auch „1+3 Modell“ genannt („1+3 model“, F2: Z. 429). Nach erfolgreichem Durchlaufen des Hochschulprogramms erhalten die Studierenden einen Doppelabschluss, einen Bachelorabschluss der Universität in China und einen der Universität in Deutschland (F2: Z. 424-432). Eine besonders wichtige Rolle für die Möglichkeit, um eine solche Kooperation etablieren zu können, spielt die (4) lokale Regierung von Taicang. Es ist festzuhalten, dass die lokale Regierung Kooperationen zwischen Deutschland bzw. deutschen Unternehmen in Taicang und Institutionen in China äußerst offen gegenübersteht und sogar als Treiber für Kooperationsabsichten bezeichnet werden kann. Zwar geht die Initiative zur Etablierung solch innovativer Kooperationsstrukturen jeweils von den deutschen Unternehmen aus und sie sind es auch, welche die Kooperationsabsichten umsetzen und durchführen, aber die lokale Regierung begrüßt und fördert die Absichten durch finanzielle Unterstützung, was als grundlegende Voraussetzung zu betrachten ist, damit solche Strukturen überhaupt in der Region geschaffen werden können (F2: Z. 467-468). Hinsichtlich der allgemeinen Kooperationsbereitschaft der berufsbildenden Schulen in der Region Taicang lässt sich konstatieren, dass auch diese mittlerweile ein hohes Interesse daran zeigen, Kooperationen mit deutschen Unternehmen einzugehen. Dies war nicht

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Fallstudien in zwei Produktionsunternehmen

immer so, denn als Kern-Liebers zur Gründung des Ausbildungszentrums auf verschiedene berufsbildende Schulen zuging, begegneten die meisten dem Unternehmen mit Skepsis. Mittlerweile erntet der Schuldirektor, der sich auf das Modell eingelassen hat, hohe Anerkennung. Er ist bekannt und berühmt als Direktor der Schule mit dem ersten Ausbildungsprogramm nach deutschem dualem System in der Region. Er gibt seine Erfahrung auch an andere Schulen weiter und berät sie darin, wie man mit deutschen Unternehmen kooperiert (F2: Z. 537-551). Aufgrund des hohen Interesses an der Etablierung von Kooperationsstrukturen zwischen deutschen Unternehmen und chinesischen berufsbildenden Schulen, das die lokale Regierung von Taicang hegt, gewährt sie den berufsbildenden Schulen dann finanzielle Unterstützung, wenn sie Kooperationen miteinander eingehen. Dies steigert wiederum das Interesse der berufsbildenden Schulen an Kooperationen mit den deutschen Unternehmen, da sie so finanzielle Mittel von der lokalen Regierung von Taicang erhalten, die in die Ausstattung der Schulen fließen können, wodurch sich das Ansehen der jeweiligen Schulen in der Region erhöht. Es entwickelt sich ein Kreislauf, in dem jeder von jedem profitiert. Die Regierung zielt auf Zuwachs durch deutsche Unternehmen in Taicang, die Schulen erhalten finanzielle Mittel von der lokalen Regierung, damit Kooperationen mit den deutschen Unternehmen erfolgreich umgesetzt werden können, und die deutschen Unternehmen profitieren, indem sie ihre Produktionsstätten erweitern bzw. zunehmend weitere deutsche Unternehmen wegen der dort vorherrschenden deutschen dualen Berufsausbildungsstrukturen nach Taicang kommen. Jeder profitiert von jedem (F2: Z. 552-559). 4.7.6

Commitment

Die Ergebnisse der Fallstudie Kern-Liebers beziehen sich bislang überwiegend auf die Rekrutierungs- und Qualifizierungsstrategien,

Ergebnisse der Fallstudie Kern-Liebers

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die im Fallunternehmen etabliert wurden, um einerseits die Produktion in Taicang zu lokalisieren und andererseits den hohen Qualitätsansprüchen der Kunden im Herstellungsprozess gerecht werden zu können. Aufgrund der Knappheit an qualifizierten Arbeitskräften auf den lokalen Arbeitsmärkten, vor allem mit spezifischen beruflichen Profilen als Werkzeugmechaniker/-innen sowie als Industriemechaniker/-innen, stellt sich allerdings auch die Frage, wie entsprechend qualifizierte Mitarbeiter/-innen im Unternehmen gehalten werden können. Bindungsstrategien Grundsätzlich verfolgt das Unternehmen bewusst keine offensiven Bindungsstrategien, in deren Zuge Mitarbeiter/-innen durch das Ausüben von Druck im Unternehmen gehalten werden sollen (F2: Z. 253-256). Wie in Kapitel 4.7.4 Personalentwicklung erläutert, schafft Kern-Liebers im Rahmen der beruflichen Ausbildung im unternehmensinternen Trainingscenter einen monetären Anreiz, indem den Auszubildenden die Rückerstattung ihrer Ausbildungskosten für den Fall in Aussicht gestellt wird, dass sie nach Abschluss in einem der beiden Unternehmen, die das Ausbildungszentrum im Verbund betreiben, tätig bleiben. Monetäre Bindungsstrategien können jeweils auf „Zuckerbrot und Peitsche“, also auf die Inaussichtstellung eines monetären Anreizes oder die Androhung von Strafzahlungen, ausgerichtet sein. Kern-Liebers verfolgt hinsichtlich dieser Unterscheidung den ersteren Weg (F2: Z. 992-1007). Das war jedoch nicht immer so, denn in den ersten 15 Jahren gab es vertragliche Richtlinien für Mitarbeiter/-innen, die an Weiterbildungsmaßnahmen teilgenommen hatten, für deren Kosten das Unternehmen aufgekommen war. In diesen Fällen waren die Mitarbeiter/-innen vertraglich dazu verpflichtet, eine gewisse Zeit im Unternehmen zu bleiben. Anderenfalls musste ein gewisser Anteil der entstandenen Kosten zurückgezahlt werden (F2: Z. 260-265). Die Erfahrung zeigte jedoch, dass

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Fallstudien in zwei Produktionsunternehmen

Forderungen von Strafzahlungen vor Gericht nicht standhielten, weshalb von solchen Vertragsbindungen mittlerweile abgesehen wird (F2: Z. 276-277). Stattdessen versucht Kern-Liebers, eine (1) angenehme Arbeitsatmosphäre zu schaffen, welche die Mitarbeiter/innen dazu anhält, aus eigenem Antrieb Teil des Familienunternehmens bleiben zu wollen (F2: Z. 265-266). Um die Voraussetzungen für eine angenehme Arbeitsatmosphäre zu verbessern, legt Kern-Liebers Wert auf eine hohe Qualität der Speisen in der Unternehmenskantine. Weiterhin hat es ein hohes Interesse daran, die Perspektive seiner Mitarbeiter/-innen über die Arbeitsbedingungen kontinuierlich zu erfassen, und bemüht sich, die Verbesserungswünsche zu erfüllen (F2: Z. 273-277). So werden die Mitarbeiter/-innen auf milde Art und Weise an das Unternehmen gebunden „in this way, we softly bind the people“ (F2: Z. 276). Die Erfassung von Verbesserungswünschen und –vorschlägen erfolgt durch zwei unterschiedliche Instrumente, die beide dem betrieblichen Vorschlagswesen zuzuordnen sind. Bei dem ersten Instrument handelt es sich um ein klassisches betriebliches Vorschlagswesen, in dessen Rahmen Mitarbeiter/-innen ihre Verbesserungsvorschläge auf einem Formular skizzieren und einreichen können. Gute Vorschläge werden mit einer Bonuszahlung honoriert. Weniger gute Vorschläge bzw. die Formulare, auf denen ein Verbesserungsvorschlag skizziert wurde, kommen in eine Lostrommel. Am Ende des Jahres wird ein eingereichter Vorschlag per Zufall aus der Lostrommel gezogen und der-/diejenige, der/die den Vorschlag gemacht hat, erhält eine Bonuszahlung. Im Allgemeinen werden insgesamt jedoch nur wenige Vorschläge eingereicht (F2: Z. 744-754). Bei dem zweiten Instrument zur Erfassung von Verbesserungswünschen und –vorschlägen handelt es sich um eine jährlich stattfindende Veranstaltung, die durch Kern-Liebers organisiert wird, das sogenannte „Yearly Outing“ (F2: Z. 751). Diese Form des betrieblichen Vorschlagswesens wurde eigens von dem CEO des Unternehmens konzipiert und wird bereits seit 1996 durchgeführt (F2: Z. 861-

Ergebnisse der Fallstudie Kern-Liebers

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862). Damals bestand die Belegschaft der chinesischen Niederlassung aus nur 50 Mitarbeitern/-innen, weshalb die Organisation der Veranstaltung mit deutlich weniger Aufwand verbunden war. Trotzdem legt die Unternehmensleitung hohen Wert darauf, dass sie stets mit allen durchgeführt wird - zum Erhebungszeitpunkt sind es knapp 1.000 Mitarbeiter/-innen. Grund dafür ist, dass der Output als besonders vielversprechend gilt (F2: Z. 786-802). Im Rahmen dieser Veranstaltung kommen alle Mitarbeiter/-innen des Standorts an zwei aufeinanderfolgenden Tagen außerhalb des Unternehmens zusammen, um Schwierigkeiten zu besprechen, konstruktive Kritik an den Unternehmensprozessen zu üben und Optimierungsideen in allen Bereichen zu diskutieren (F2: Z. 771-778). Das Unternehmen legt besonderen Wert auf die Beiträge und Erfahrungen der Shopfloormitarbeiter/-innen, da diese eher zurückhaltend sind, im Alltag wenig sprechen, aber ganz besonders gut mit den Maschinen und Arbeitsabläufen vertraut sind und daher am besten einschätzen können, wie ein spezifischer Prozess besser funktionieren könnte. Aus diesem Grund ist es besonders wichtig, die Maßnahme außerhalb des Unternehmens durchzuführen, denn hier trägt niemand seine Arbeitsuniform, sondern es tragen alle Freizeitkleidung, wodurch die Voraussetzungen geschaffen werden, dass sich die Mitarbeiter/-innen aller Ebenen und Bereiche auf Augenhöhe begegnen können. Es soll bewusst mit hierarchischen Strukturen gebrochen werden (F2: Z. 786-802). Deshalb werden Diskussionsrunden gebildet, indem je zehn zufällig ausgewählte Mitarbeiter/-innen einem Tisch zugeordnet werden. Auch hierzu findet keine Berücksichtigung von hierarchischen Zugehörigkeiten statt. Eine der Personen am Tisch wird als Sprecher gewählt und hat die Aufgabe zu erfüllen, alle gesammelten Vorschläge zu notieren. Wer welche Vorschläge gemacht hat, bleibt anonym. Damit so eine Veranstaltung in China funktioniert, ist eine starke Vertrauensbasis notwendig. Denn aufgrund der kulturell verankerten Machtdistanz und Hierarchie-

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Fallstudien in zwei Produktionsunternehmen

wahrnehmung verstößt es gegen die guten Sitten, Kritik in Anwesenheit oder gegenüber eines Vorgesetzten zu äußern (F2: Z. 816819). Aus diesem Grund verlassen der CEO und das Topmanagement während der kritischen Diskussionsrunden, die etwa drei bis vier Stunden andauern, die Räumlichkeiten. Sie kehren erst dann zurück, wenn die Sprecher der Tische die gesammelten Vorschläge präsentieren. Auch zu diesem Zeitpunkt wird bewusst davon abgesehen, die Vorschläge zu kommentieren oder zu bewerten, da hierdurch die wertschätzende Haltung gegenüber allen Mitarbeitern/-innen und Vorschlägen gefährdet würde. Stattdessen geht die Veranstaltung in den informellen Teil über und es wird gemeinsam gegessen, getanzt und gesungen. Dieses Vorgehen soll die sozialen Strukturen und das gute Miteinander innerhalb der Belegschaft stärken (F2: Z. 771-778). Die Prüfung und Bewertung der gesammelten Vorschläge erfolgen nach Abschluss der Veranstaltung intern durch das Topmanagement. Die besten Vorschläge bzw. diejenigen, die umgesetzt werden, werden für alle transparent in der Unternehmenskantine ausgehängt (F2: Z. 828-851). Neben dem Schaffen einer angenehmen Arbeitsatmosphäre möchte Kern-Liebers auch die Familienmitglieder ihrer Mitarbeiter/-innen erreichen und lädt hierzu alle drei Jahre zu einem (2) Familientag ein. An diesem Tag hat jede/-r Mitarbeiter/-in die Gelegenheit, Familienangehörige durch das Unternehmen zu führen und den jeweiligen Arbeitsplatz zu zeigen. Die Verzahnung der beiden Bereiche, Arbeit und Privates, soll zu einer stärkeren Identifikation mit dem Unternehmen beitragen und infolgedessen die Bindung zum Unternehmen stärken (F2: Z. 956-959). Auch das (3) Schaffen von Privilegien soll die Bindung der Mitarbeiter/-innen an das Unternehmen erhöhen. So haben die Auszubildenden im Rahmen des unternehmensinternen Ausbildungsprogramms die Möglichkeit, an einem Schüleraustausch nach Deutschland teilzunehmen, sofern sie zu den besten ihres Jahrgangs gehören. Dies stellt einen großen Anreiz dar, denn Auslandsreisen sind in

Ergebnisse der Fallstudie Kern-Liebers

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China nach wie vor eher den Privilegierten vorbehalten. Junge Menschen, besonders solche, die auf dem Shopfloor tätig sind, haben eher selten die Möglichkeit, an einer Auslandsreise teilzunehmen. Auch auf die Eltern, die einen hohen Einfluss auf die Berufswahl ihres Kindes ausüben und bei denen daher ebenso versucht wird, sie an das Unternehmen zu binden, hat die Inaussichtstellung von Auslandsreisen nach Deutschland einen positiven Einfluss (F2: Z. 374381). Fluktuation Trotz aller Bemühungen, die Atmosphäre im Unternehmen möglichst angenehm zu gestalten und die Mitarbeiter/-innen auf diese Weise sanft zu binden, ist eine gewisse Fluktuation unvermeidbar. Deshalb gilt es auch nicht als Anspruch seitens des Unternehmens, 100% der Mitarbeiter/-innen im Unternehmen zu halten, denn das wäre weder realistisch noch nötig „…keep hundred percent of the people, impossible and no need“ (F2: Z. 266-270). Vielmehr vertritt Kern-Liebers die Grundhaltung, dass jede/-r Mitarbeiter/-in von irgendeinem Unternehmen aus- oder weitergebildet wurde und den jeweiligen Unternehmen dafür jeweils Kosten entstanden sind. Wenn also erfahrene Mitarbeiter/-innen eingestellt werden, hat bereits ein anderes Unternehmen in dessen Ausbildung oder Qualifizierung investiert, wovon schließlich ein anderes Unternehmen profitiert. Es handelt sich also um ein Geben und Nehmen (F2: Z. 270-273). Diese Haltung spiegelt eine kollektivistische Grundhaltung wider, die der Einteilung der chinesischen Kultur nach den Kulturdimensionen von Hofstede (siehe Kapitel 2.1.3 Analyse der chinesischen Kultur nach Hofstede) entspricht. Über alle Arbeitsbereiche hinweg ist dennoch tendenziell nur eine geringe Fluktuation zu verzeichnen. Unter den Mitarbeitern/-innen des Shopfloors liegt die jährliche Fluktuations-

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Fallstudien in zwei Produktionsunternehmen

rate mit 4-5% unter dem üblichen Schnitt in der Region. Unter denjenigen Mitarbeitern/-innen mit höheren Skill-Levels ist die Fluktuation zudem deutlich geringer (F2: Z. 870-872). Abwerbung Aufgrund der Knappheit an qualifizierten Arbeitskräften auf den lokalen Arbeitsmärkten, besonders an solchen mit gefragten beruflichen Profilen als Werkzeugmechaniker/-innen und Industriemechaniker/-innen, herrscht unter den deutschen Unternehmen ein großer Wettbewerb um qualifizierte Arbeitskräfte. Deshalb droht die Gefahr der gegenseitigen Abwerbung. Im Rahmen des TRT wurde deshalb das Gentlemen-Agreement von den deutschen Unternehmen beschlossen. Nach dieser Vereinbarung dürfen die deutschen Unternehmen keine Mitarbeiter/-innen von anderen deutschen Unternehmen abwerben (F2: Z. 885-887). Zwar ist bekannt, dass sich nicht alle an das Gentlemen-Agreement halten und es auch ein Unternehmen gibt, das kundtut, sich bewusst nicht an das Agreement halten zu wollen, allerdings gehört Kern-Liebers zu denjenigen, die diese Regelung stark befürworten und sie strikt einhalten (F1: Z. 892-906). Im Falle einer versuchten Abwerbung durch andere Unternehmen, in dessen Zuge teilweise Gehälter geboten werden, die doppelt so hoch sind, überlässt Kern-Liebers die Entscheidung den jeweiligen Mitarbeitern/-innen, ohne zu versuchen, ihnen ähnlich hohe Gehälter anzubieten, damit sie bleiben (F2: Z. 877-883). Denn auf diese Weise würden die Gehälter der gesamten Region nach und nach ansteigen. In der Vergangenheit kam es jedoch bereits vor, dass abgeworbene Mitarbeiter/-innen als Manager/-innen in einem anderen Unternehmen tätig waren und sich nach einigen Jahren wieder bei Kern-Liebers bewarben, diese wurden dann auch zurückgenommen (F2: Z. 883).

Zusammenfassung der empirischen Ergebnisse

4.8

185

Zusammenfassung der empirischen Ergebnisse

Tabelle 14 verschafft einen Überblick über die Untersuchungsergebnisse der empirischen Erhebung in beiden Produktionsunternehmen. Die Darstellung ist das Ergebnis des thematischen Vergleiches, in dessen Zuge vergleichbare Textpassagen und Konzepte im Datenmaterial der beiden Fallunternehmen herausgearbeitet wurden. Das genaue Vorgehen ist in Kapitel 4.5.4 Methodik und Vorgehen der Datenauswertung erläutert. Die Ergebnisse der beiden Fallstudien werden nachfolgend in Kapitel 5 Erkenntnisdiskussion diskutiert und hinsichtlich ihrer Gemeinsamkeiten und Unterschiede analysiert. Durch diese Vorgehensweise werden die angewandten Organisations- und Personalentwicklungsmaßnahmen aufgezeigt, die in beiden Unternehmen etabliert wurden, um den Herausforderungen hinsichtlich der Unternehmensführung in einem spezifischen kulturellen Kontext vor dem Hintergrund eines steten Fachkräftemangels zu begegnen. Als theoretischer Bezugsrahmen zur Reflexion und Diskussion fungiert das Tätigkeitsmodell nach Engeström (siehe Kapitel 3 Tätigkeitstheorie). Tabelle 14: Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse. Eigene Darstellung. Kategorie Kategorie 1. Ebene 2. Ebene

Fall 1 Krones 1.

Unterneh- MAmen Zahlen weltweit

Standort Taicang

Fall 2 Kern-Liebers

Unternehmenseckdaten

Weltweit: Weltweit: 12.000 MA 6.700 MA Deutschland: Deutschland: 9.000 MA 3.600 MA Taicang: 500 MA Taicang: 1.000 MA Head-quar- Neutraubling bei Regens- Schramberg in Baden-Württer burg (Universitätsstadt) temberg in Bayern Grün2004 1993 dungsjahr

186

Fallstudien in zwei Produktionsunternehmen Regionale Zu Beginn: Eines der ers- Zu Beginn: Erstes deutsches Bedin-gun- ten deutschen Unterneh- Unternehmen in der Region, gen men in der Region, wenig überhaupt keine Infrastruktur Infrastruktur Standort- MA-Anzahl: 500 MA-Anzahl: 1.000 größe Unterneh- Mittelständisches Mittelständisches mensform Unternehmen, Familienunternehmen bis vor kurzem familiengeführt Standort- Entscheidungsgrund- Entscheidungsgrundlage: wahl lage: Symposium der lo- Keine Präferenz innerhalb kalen Regierung von Tai- der Ostküste Chinas, Empcang in DL fehlung durch Kunde Standortvorteile: Gute Anbindung/Erreichbarkeit zu Shanghai, niedrige Lebenshaltungsund Lohnkosten Firmenphi- Vereinigung von Fami- Vereinigung von Familienlosophie lien- und Unternehmens- und Unternehmenswerten werten Produktion Vollautomatisiert Linienproduktion, teilweise manuell Produkt Produkt: Ersatz- und Produkt: SicherheitsgurtfeVerschleißteile von Ver- dern, Stanzteile packungs- und Abfüllan- Produktanforderung: lagen für die Getränkein- Technologisch anspruchsdustrie volle Präzisionsteile Produktanforderung: Anspruchsvolles, kundenspezifisches Produkt Produktauflage: Nach Bedarf der Kunden und in kleinen Stückzahlen WettbeProduktsegment: Durch Lokal: Durch einzelnes dt. werb chinesische Konkurrenz- Unternehmen und lokale unternehmen Schule um (qualifizierte) ArLokal: Um qualifizierte beitskräfte MA

Zusammenfassung der empirischen Ergebnisse

187

Position

Imitator: Pionier: Standortwahl, Ausbil- Standortwahl, Ausbildungsdungsprogramm programm StrategiZunehmende Lokalisie- Zunehmende Lokalisierung sche Ent- rung wicklung Zukunfts- Vollständige Lokalisie- Aufbau weiterer Ausbilplan rung dungs- und PersonalentwickVerdoppelung der Pro- lungsstrukturen –> Pioduktionsfläche nier/Visionär 2. Laufend

Rekrutierung

Mismatch Mangel an erfahrenen Mangel an WerkzeugmaMitarbeiter/-innen chern auf dem lokalen Arbeitsmarkt Probezeit Keine Probezeitregelung Erstanstellung: Befristete Verträge als Dispatch-Arbeiter Kanäle Online-Stellenausschrei- Online-Stellenausschreibunbungen in Stellenporta- gen in Stellenportalen, Auslen, Ausschreibung auf schreibung auf eigener eigener Homepage, Homepage MA können Familie/Freunde/Bekannte empfehlen Regional Lokal: Da sonst Fluktua- Lokal: Vorgabe der Regietion zu befürchten rung. Da sie finanziell unterstützt, sollen auch die Erträge in die Region fließen Strategi- AufbauEinstellung von Gastland- Gastlandarbeiter/-innen wursche Rek- phase nach arbeitern/-innen und Ent- den durch Ausschreibungen rutierung Gründung sendung von dt. erfahre- vom lokalen Arbeitsmarkt renen MA zum Anlernen krutiert. Berufserfahrung und nach China. Das Verhält- schulischer Hintergrund wanis deutsche : chinesische ren nicht relevant. MA lag bei etwa 1:10.

188

Fallstudien in zwei Produktionsunternehmen SchuliAusbildungsprogramm: Ausbildungsprogramm: sches Aus- Auf Schulebene Auf Schulebene bildungs- Ausbildung von: Ausbildung von: programm: ZerspanungsmechaniWerkzeugmechanikern/-inMA für den kern/-innen nen, Industriemechanikern/Shopfloor Start: 2015 innen Zielgruppe: Aus Region Start: 2001 stammende Absolventen Zielgruppe: Aus Region der Middle-School stammende Absolventen Alter: 15-16 Jahre der Middle-School Klassengröße: Ca. 10-12 Alter: 15-16 Jahre Azubis je Jahrgang Klassengröße: Ca. 35 AzuAuswahlverfahren: In- bis je Jahrgang terview + Theorie und Strategien: Partizipation der Praxistests Eltern Anreiz: Guter Ruf der dt. Unternehmen, des Trainingscenters sowie des AHK-Zertifikats, Auslandsaufenthalt in Deutschland Rekrutierungskanal: TVSpot Auswahlverfahren: Abschlussnote + Theorie und Praxistests Duales Ausbildungsprogramm: Programm befindet sich noch Hochschul- „Apprentice-Trainingin der Planungsphase. programm: Program“ MA mit an- Ausbildung von: Ausgespruchsvol- bildete Mechaniker mit len Tätig- Bachelorabschluss keitsprofil Start: 2008 Zielgruppe: Absolventen der High-School Alter: Ca. 18 Jahre Strategie: Interviews + schriftlicher Test durch 1 MA aus HR + 1 MA aus spez. Bereich Anreiz: Der Studiengang

Zusammenfassung der empirischen Ergebnisse

189

schließt mit einem Bachelorabschluss und einer Berufsausbildung Zielbereich: Einkauf, Service, Finanzen Hochschul- Rekrutierung und Schu- absolven- lung von chinesischen ten mit Be- Hochschulabsolventen rufserfah- der Uni Regensburg im rung Headquarter/Deutschland, anschließende Versetzung nach China. Geplante 50% erfahrene Mitarbei- Produkti- ter/-innen, 50% Neueinonserweite- stellungen, Neueinstelrung lungen durch „Make & Buy“. Make: Es wurde frühzeitig damit angefangen, MA lokal auszubilden Buy: Einstellung vom lokalen Arbeitsmarkt, Online-Stellenausschreibungen, ggf. Headhunter 3. Anspruch

Qualifizierung/Training

Qualifikati- Voraussetzung: Auf- Vergleich CHN/DL: Wisonsniveau grund Produktsegment senslücke zwischen dt. und MA mit hohen Qualifika- chin. MA wird zunehmend tionsniveaus erforderlich geringer Unterschiede: (1) Unterschiedlicher Technologiestand, (2) Mangel an Erfahrungen hinsichtlich Gestaltung von Arbeitsabläufen Sprache Ziel: Gute Fremdspra- Ziel: Gute Fremdsprachenchenkenntnisse aller MA kenntnisse aller MA in in Deutsch/Englisch Deutsch/Englisch

190

Fallstudien in zwei Produktionsunternehmen

Qualifizie- Lehrwerk- Bezeichnung: Trai- Bezeichnung: Trainingscenrungsmaß- statt im Un- ningsakademie ter nahmen ternehmen Zweck: Training von Zweck: Duale Ausbildung Mitarbeitern/-innen und von Werkzeugmechanikern/Kunden Nutzungsinten- innen und Industriemechanisität: Intensiv, laufende kern/-innen Verbesserung Budget Verwaltung: Abteilungs- intern Verwendung: Nach Ermessen der Abteilung, für Schulungen und Auslandsreisen EntsenDurchführung: Nur Durchführung: Nur in den dung noch selten frühen Anfängen DL -> Zweck: Anlernen von Zweck: Anlernen an MaschiCHN chin. MA an neue (in DL nen gefertigte) Maschinenan- Rolle: Trainer (Projektmanalagen ger) Rolle: Trainer Ständige dt. MA in China: Ständige dt. MA in Keine China: Keine Expats: Keine Expats: Keine EntsenDurchführung: Gele- Durchführung: Gelegentdung gentlich lich CHN -> Zweck: Training, Qualifi- Zweck: (1) SchulungsmaßDL kationssteigerung, Ver- nahmen an neuen Maschinen, netzung im Unternehmen (2) Verbesserung von Fremdweltweit sprachenkenntnissen, (3) als Voraussetzung: Sprache Anreiz für bestimmte Ver(mind. 1 entsendeter MA dienste, (4) bessere Vernetspricht Englisch) zung im FamilienunternehInhalt: Trainingsinhalte men werden vorab festgelegt, Inhalt: (1) TrainingsproTrainingsplan mit DL gramm, anschließende Überfestgelegt führung der Maschinen nach China Dokumen- Form: Nachschlagwerke tation von für alle MA in englischer und chinesischer Sprache

Zusammenfassung der empirischen Ergebnisse

191

Arbeitspro- Inhalt: Beschreibung von zessen Arbeitsprozessen/-plätzen Mentoren- Zweck: Anlernen von Zweck: 2 Funktionen (1) programm neuen MA in der Produk- Beispielhaftes Verhalten vortion leben, (2) Praxislehrer/TraiMentorenschlüssel: 1 ner Mentor : 1 Mentee; Men- Mentorenschlüssel: 1 Mentor = erfahrener Krones tor : 1 Mentee; Mentor = erMA, Mentee = neuer MA fahrener Kern-Lieber Operator, Mentee = Azubi Sprache Produktion: Viele MA Alle Bereiche: Kern-Liebers sprechen Englisch legt Wert auf FremdspraOffice-Bereich: Chine- chenkenntnisse seiner MA sisch, Englisch, Deutsch Förderung: Zweimonatige Förderung: Organisation Entsendungen nach Deutschvon zertifizierten Eng- land lisch- und Deutschkursen (Teilnahme freiwillig in Freizeit)

Anreiz

Landesspe- Gegenstand: Duales Gegenstand: Duale Ausbilzifische Ausbildungsprogramm dungsstrukturen nach dt. Konzeption mit Bachelorabschluss Vorbild auf Schulniveau auf Hochschulniveau Bedingung für Transfer: Bedingung für Trans- Anpassung an chin. Bilfer: Vereinbarkeit von dungssystem hinsichtlich AnBA-Studiengängen, die in teil von Praxisphasen China auf 4 Jahre, in DL Steuerung: Durch (1) AHK, auf 3 Jahre ausgelegt sind (2) Vorgaben der chin. ReSteuerung: Durch (1) gierung AHK, (2) Vorgaben der chin. Regierung Festanstel- Bedingung: Erreichen ei- lung ner best. Qualistufe in einer best. Zeit nach Einstellung Privilegien Form: Auslandsreisen Form: (1) Lernen, (2) Auslandsreisen Bedingung: (1) Lernen zu

192

Fallstudien in zwei Produktionsunternehmen

Monetär

Bedingung: MA mit gu- dürfen/Schulungen machen ten Deutsch-/Englisch- zu dürfen, ist ein Privileg, (2) kenntnissen dürfen reisen ins Ausland reisen zu dürfen, ist ein Privileg. Bedingung: Gute Prü- Bedingung: Absolventen des fungsergebnisse im schulischen AusbildungsproHochschulprogramm gramms bleiben nach Ab(Ausbildung, Schulni- schluss im Unternehmen veau) Kern-Liebers oder Mubea Anreiz: Die besten drei Anreiz: Die Absolventen ereiner Klasse erhalten ein halten eine Rückerstattung Krones-Stipendium (Aus- ihrer Ausbildungskosten bildung, Hochschulniveau) 4.

Personalentwicklung

Organisa- HR-Abtei- Organisation: Es gibt Organisation: Es gibt eine tion lung eine eigenständige HR- eigenständige HR-Abteilung Abteilung Vorgabe hinsichtlich Rekrutierung: HR hat den Auftrag, keine MA von anderen deutschen Unternehmen abzuwerben AusbilDuales Lernort: Dual, Theorie- Lernort: Dual, TheorieunterdungsAusbilund Praxisunterricht in lo- richt in lokaler Beruflicher strukturen dungspro- kaler beruflicher Schule Schule, Praxisunterricht im gramm in Taicang, Praktika bei Kern-Liebers Trainingscen(Schulni- Krones ter veau) Abschluss: Berufsausbil- Abschluss: Berufsausbildung dung Start: 2015 Start: 2001 Struktur: 3 Jahre Struktur: 3 Jahre Zugangsvoraussetzung: Zugangsvoraussetzung: Schulabschluss der Mi- Schulabschluss der Middleddle-School School Prüfungswesen: Durch Prüfungswesen: Durch AHK organisiert, die AHK organisiert Kosten tragen die Schulen Anzahl Azubis: Ca. 35 pro Anzahl Azubis: 10-12 Jahr pro Jahr Vergütung: Keine

Zusammenfassung der empirischen Ergebnisse

193

Ziel: Ausbildung von Kosten: Tragen Azubis. JährZerspanungsmechaniliche Erstattung in Abschläkern/-innen, die langfris- gen über 5 Jahre dann, wenn tig im Unternehmen blei- Absolventen bei K-L oder ben und in der Produktion Mubea bleiben. eingesetzt werden Ziel: Ausbildung von Werkzeugmachern, die auf dem Shopfloor bei Kern-Liebers, Mubea oder in anderen dt. Unternehmen eingesetzt werden Besonderheit: 1. Ausbildungsprogramm überhaupt, das in Taicang angeboten und durchgeführt wurde. Duales Lernort: Dual, überwie- Programm befindet sich noch Ausbilgend Hochschule, Praxis- in der Planungsphase. dungspro- phasen bei Krones gramm Struktur: Für Studie(Hochrende insg. 4 Jahre, das schulniKrones Programm dauert veau) 3 Jahre und beginnt mit dem 2. Jahr an der Hochschule, Studierende bilden eine unternehmenseigene Kohorte Abschluss: Berufsausbildung + Bachelor Studiengang: Mechatronik Start: 2008 Zugangsvoraussetzung: Schulabschluss der HighSchool Prüfungswesen: Durch AHK organisiert, Krones trägt die Kosten Studiengebühren: Studierende tragen die Kosten selbst

194

Fallstudien in zwei Produktionsunternehmen Lernortkooperation: Die Hochschullehrenden tauschen sich mit dem U aus, erhalten U-Trainings, um die praktischen Anforderungen zu kennen Anzahl Azubis: 8-10 pro Jahr Anzahl Absolventen: Bisher insg. ca. 30

PE-Maßnahme

Expats

Titel: „Cross-Border- Programm“ Inhalt: MA bewerben sich für eine Entsendung ins Ausland Ziel: Qualifikationsentwicklung, Kompetenzerweiterung Dauer: 6-12 Monate Ziel: kein Führungskräfteentwicklungsprogramm, d.h., MA sind hinterher auf ihren alten Posten tätig, Anreiz, Commitment steigern, globale Vernetzung

Führungs- kräfteentwicklung

Meisterschule: Wurde in Vergangenheit nur 1x durchgeführt. Soll zukünftig fokussiert werden. 5.

AusbilHochdungsschulkostrukturen operation

Kooperationen

Kooperationspartner: Kooperationspartner: (1) (1) Unternehmen Krones, Unternehmen Kern-Liebers, (2) Hochschule in (2) dt. Hochschule in BadenWuhan, (3) Brauschule in Württemberg, (3) eine chin.

Zusammenfassung der empirischen Ergebnisse

Schulkooperation

195

Wuhan Uni, (4) lokale Regierung, (5) Teilleistung Hoch- perspektivisch mind. 10 dt. schule: Hauptlernort + Unternehmen in Taicang Theorieunterricht Status: Geplant Teilleistung Brau- Teilleistung dt. Hochschule: schule: Praxisunterricht Partnerhochschule, AusTeilleistung Unterneh- landsaufenthalte und Ausmen: Finanzierung + tausch Auftraggeber + stellt An- Teilleistung chin. Hochlagen (Instrument) schule: Hauptlernort Weitere Stakeholder: Teilleistung dt. UnternehAHK, sie bildet die Prü- men: Unternehmensklassen, fungskommission Lernort für Praktika Resultat: Ausgebildete Chin. Regierung: FinanzieMechatronikern/-innen rung mit Bachelorabschluss Resultat: Internationaler dualer Studiengang zur Qualifizierung von Nachwuchskräften für den Office-Bereich Kooperationspartner: Kooperationspartner: (1) (1) Lokale berufliche Unternehmen Kern-Liebers, Schulen in Taicang, (2) (2) Unternehmen Mubea, (3) Unternehmen Krones lokale berufliche Schule mit Teilleistung berufliche industriellem Schwerpunkt Schulen: Lern- und Woh- (4) lokale Regierung nort der Azubis Teilleistung Kern-Liebers: Teilleistung Krones: Fi- Trainingscenter auf Unternanzierung, Kommunika- nehmensgelände, fest angetion stellte Praxislehrer, PraxisunWeitere Stakeholder: terricht, Kommunikation mit (1) AHK, sie bildet die den Schulen, Prüfungskommission, (2) Teilleistung Mubea: Fest local Government, sie angestellte Praxislehrer, die subventioniert die Beruf- bei Kern-Liebers tätig sind, lichen Schulen, wenn sie Kommunikation mit der AHK arbeiten Teilleistung Schule: TheoResultat: Ausgebildete rieunterricht ZerspanungsmechaniTeilleistung Regierung: Fikern/-innen, die langfris- nanzierung Weitere Stakeholder: AHK,

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Vernetzung

Fallstudien in zwei Produktionsunternehmen tig im Unternehmen blei- sie bildet die Prüfungskomben mission, bereitet Prüfungsunterlagen vor Resultat: (1) Nach dt. dualem Vorbild ausgebildete Werkzeugmacher und Industriemechaniker, die in dt. Unternehmen der Region Taicang eingesetzt werden, (2) „half-public“ Kooperation Lernortko- Austausch: Praxislehrer Austausch: Praxislehrer des operatio- stehen im Austausch mit Trainingscenters stehen im nen Trainern des Unterneh- Austausch mit Theorielehmens rern der beruflichen Schulen Besuche: Die Lehrkräfte Besuche: Die Lehrkräfte nehmen regelmäßig an kommen mindestens alle 4 Schulungen in der Trai- Wochen in das Trainingscenningsakademie teil, so ter und auch die Trainer sind bleiben sie informiert regelmäßig an den Schulen. über die Anforderungen der Arbeit in der Produktion Internatio- Titel: „Friendship School“ nale KoInt. Kooperationspartner: operation Berufliche Schule in Wiesloch, Baden Württemberg. Gegenstand der Koop: Schüler/Lehreraustausch Instrument Austausch: Durch „Tai- Austausch: Durch „Taicangzur Vernet- cang-Round-Table Round-Table (TRT)“ zung (TRT)“ Häufigkeit: 1x im Monat Häufigkeit: 1x im Monat Ziel: Austausch über aktuelle Ziel: Austausch über ak- Themen, Probleme, Erfahtuelle Themen, Probleme, rungswerte Erfahrungswerte BereitLokale Regierung: Treiber schaft für für Kooperationsabsichten, Kooperatihohes Interesse, dt. Unteronen nehmen in der Region zu hal-

Zusammenfassung der empirischen Ergebnisse

197 ten bzw. noch mehr anzuziehen Berufliche Schulen: Konkurrenzdruck unter einzelnen Schulen, dt. duales System = Exportschlager, hohes Interesse, nach dt. Vorbild zu agieren, hohes Interesse, mit dt. Schulen zu kooperieren, da die lokale Regierung dann finanzielle Unterstützung bietet Win-win-Kette: Die Regierung zielt auf Zuwachs durch dt. Unternehmen, die Schulen fordern von der lokalen Regierung mehr finanzielle Mittel, damit die Kooperationen mit den dt. U zustande kommen können, und die dt. U erweitern ihre Produktionsstätten bzw. mehr dt. Unternehmen kommen nach Taicang wegen den dort vorherrschenden deutschen dualen Berufsausbildungsstrukturen. Jeder profitiert von jedem.

6.

Commitment

Bindungs- Teambuil- Durchführung: Abtei- Durchführung: Gemeinsam strategien dingauslungsintern mit allen MA des Unternehflüge Ort: Außerhalb des Un- mens („Yearly Outing“) ternehmens, bspw. in ei- Ort: Außerhalb des Unterner anderen chin. Stadt nehmens, alle tragen FreizeitAktivitäten: Wandern, kleidung Musizieren Aktivitäten: Anleitung von Ziel: Gegenseitiges Ken- kritischen Diskussionen, genenlernen untereinander, meinsames Tanzen und Musoziales Miteinander stär- sizieren ken

198

Fallstudien in zwei Produktionsunternehmen Ziel: Betriebliches Vorschlagswesen vorantreiben, gegenseitiges Kennenlernen, soziales Miteinander stärken Arbeitsat- Maßnahme 1: Firmen- Maßnahme 1: Hohe Qualität mosphäre feier anlässlich des „Chi- der Kantinenspeisen sichern nesischen Neujahrs“ mit Zweck: Arbeitsatmosphäre gemeinsamem Essen verbessern Finanzierung: Maßnahme 2: Eingehen auf Durch Krones Verbesserungswünsche und – Zweck: vorschläge der ShopfloormitArbeitsatmosphäre arbeiter/-innen verbessern Maßnahme 2: Regelmäßige gemeinsame Abendessen Regelmäßigkeit: Alle 3-6 Monate Finanzierung: Durch Krones Zweck: Arbeitsatmosphäre verbessern Monetär Gehalt: Zahlung von ten- Prämie: Rückerstattung der denziell hohen Gehältern Ausbildungskosten, wenn Prämie: Bonuszahlung Absolventen des Ausbilim Falle einer MA-Wer- dungsprogramms im Anbung schluss bei Kern-Liebers oder Mubea bleiben. Verträge Betroffen: Azubis der Wird bewusst nicht praktiAusbildungsprogramme ziert. Dauer der Vertragsbindung: 3 Jahre Konsequenz: Rückzahlung Schaffen Reisen als Privileg von Privilegien

Reisen als Privileg.

Zusammenfassung der empirischen Ergebnisse

199

Verknüp- Voraussetzung: Krones- Maßnahme: Familientag fung von MA werben Freunde/Be- Regemäßigkeit: Alle 3 Jahre Arbeit und kannte/Familie als neue Ziel: MA dürfen ihrer FamiPrivatleben MA lie ihren Arbeitsplatz zeigen, Bonus: Werbende erhal- dadurch Verknüpfung von ten monetäre Prämie Arbeit und Privatleben Ziel: Steigerung der Loyalität, Freunde/ Bekannte/Familienmitglieder werden Arbeitskollegen Produkti- Instrument: Vorträge u. dentifika- Präsenz bestimmter Abtion teilungen/Bereiche für alle MA Ziel: Verständnis/Wissen über Produkt steigern, Identifikation mit dem Produkt Fluktuation Fluktuati- Gering Wenig onsrate Haltung: Fluktuation Haltung: Fluktuation kann muss verhindert werden nicht verhindert werden KonseJedes Unternehmen investiert quenz in die Qualifizierung seiner MA, d.h. jedes Unternehmen profitiert davon, wenn es bereits erfahrene MA einstellen kann. Es ist ein Geben und Nehmen. HauptFamilienbedingt grund MA-spezi- Keine Fluktuation: MA fisch im Servicebereich Fluktuation: Über alle Bereiche, sofern ihre Heimat nicht Taicang ist -> familienbedingt AbwerRegionale Vereinbarung durch: Vereinbarung durch: Alle bung Vereinba- Alle dt. Unternehmen in dt. Unternehmen in Taicang, rung Taicang, mit Ausnahme

200

Fallstudien in zwei Produktionsunternehmen eines Unternehmens Konsequenz

mit Ausnahme eines Unternehmens

Kein zurück: MA, die Wiedereinstellung möglich: das Unternehmen einmal MA, die abgeworben wurverlassen haben, bspw. im den, bewerben sich teilweise Falle, dass sie abgewor- nach einigen Jahren wieder. ben wurden, werden nicht Sie werden zurückgenomzurückgenommen men. Abwerbungsangebote: Werden nicht durch Gegenangebote im Sinne von Gehaltserhöhungen, wenn MA bleiben, beantwortet -> Drohende Steigerung der Gehälter in der Region Führungs- Führungs- Herausforderung: Kom- Herausforderung: Kommupersönlich- stil munikation, Machtdis- nikation, Machtdistanz als keit tanz als Barriere Barriere Maßnahme: Teambuil- Maßnahme: Partizipation ding anregen durch „Yearly OuZiel: Vertrauen aller MA ting“ gewinnen, Kommunika- Ziel: Verbesserung der Protion mit allen MA mög- duktionsabläufe und Arbeitslich machen bedingungen Partizipa- Betriebli- Maßnahme: „Rationali- Maßnahme1: „Yearly Oution ches Vor- sation-Programm“ ting“ schlagswe- Zielgruppe: Alle MA Zielgruppe: Alle MA sen Anzahl an Vorschlägen: Anzahl an Vorschlägen: Wird von Bereich vorge- Unterschiedlich geben, real ca. 3-4 gute Auswertung: Durch CEO Vorschläge/Monat und Top-Management Problematik: Qualität Maßnahme 2: Betriebliches der Vorschläge, oftmals Vorschlagswesen nicht mit Verbesserung Zielgruppe: Alle Shopfloorverbunden mitarbeiter/-innen Auswertung: Alle 3 Mo- Anzahl an Vorschlägen: nate Wenige Anreiz: Award für einge- Problematik: Qualität der Vorschläge, oftmals nicht mit

Zusammenfassung der empirischen Ergebnisse

201

reichte Vorschläge + A- Verbesserung verbunden ward für besten Vor- Auswertung: Kontinuierlich schlag des Jahres + 1x im Jahr Anreiz: Gute Vorschläge werden mit Boni honoriert, weniger gute Vorschläge kommen in eine Lostrommel. Am Ende des Jahres wird ein Vorschlag gezogen, der entsprechende MA erhält eine Bonuszahlung. 7. Unterneh- CEO mensleitung (Taicang) Unterneh- Lokalisiemensstrate- rung gie

Strategische Unternehmensführung Seit 2013 in Taicang.

Seit 1995 in Taicang.

Ziel: Unabhängigkeit Ziel: Unabhängigkeit vom vom Headquarter und an- Headquarter und anderen deren ausländischen ausländischen Standorten, Standorten, Produktion Produktion ausschließlich und Service durch MA durch MA des Gastlands des Gastlands Durch: Etablierung innovatiDurch: Dokumentation ver Ausbildungsprogramme von Prozessen, Etablie- zur Deckung des eigenen Berung eigener Ausbil- darfs und desjenigen der Redungsstrukturen, Mehr- gion, Mehrsprachigkeit sprachigkeit, zunehmend weniger Entsendungen von DL nach China

Diskussion 5

Erkenntnisdiskussion

Im Rahmen des vorliegenden Kapitels werden die zuvor aufgezeigten Untersuchungsergebnisse der empirischen Forschungsarbeit diskutiert. Dabei fungiert das Modell der kultur-historischen Tätigkeitstheorie nach Engeström als theoretischer Bezugsrahmen. Die Analyse der empirischen Ergebnisse erfolgt jeweils in zwei Schritten, beginnend mit der: (1) Etablierung von Qualifizierungs-, Personalentwicklungsund Bindungsstrategien: Welche Prinzipien können hinsichtlich der von den Unternehmen etablierten Qualifizierungs-, Personalentwicklungs- und Bindungsstrategien mittels des tätigkeitstheoretischen Bezugsrahmens abgeleitet werden? Dieser Schritt wird separat für jedes identifizierte Themenfeld beider Fallstudien durchgeführt. Danach folgt, erneut separat für jedes Themenfeld, eine: (2) Reflexion der Untersuchungsergebnisse: Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede lassen sich zwischen den beiden Fallunternehmen identifizieren? Welche Folgerungen können aus den empirischen Erkenntnissen in den beiden Fallunternehmen abgeleitet werden? Weiterhin erfolgt eine kritische Betrachtung der analytischen Vorgehensweise unter den folgenden Gesichtspunkten:

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 L. Holle, Personalstrategische Maßnahmen von deutschen Unternehmen in China, Internationale Berufsbildungsforschung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26219-8_4

204

Erkenntnisdiskussion

(3) Reflexion des theoretischen Bezugsrahmens: Welche Potenziale bietet die kultur-historische Tätigkeitstheorie als Bezugsrahmen, um Rekrutierungs-, Qualifizierungs- und Bindungsstrategien von Unternehmen zu systematisieren? Worin liegen die Grenzen der Vorgehensweise? Die kritische Betrachtung der analytischen Vorgehensweise wird im Rahmen der Schlussbetrachtung, in 6.2 Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse dargelegt. In den folgenden Kapiteln werden die Unternehmensfallstudien Krones und Kern-Liebers aus tätigkeitstheoretischer Sicht miteinander verglichen. Um diese Analyse durchführen zu können, werden im Folgenden die in Kapitel 4 dargestellten empirischen Erkenntnisse auf die Elemente des Tätigkeitssystems übertragen: Subjekt (S), Objekt (O), Instrumente (I), Regeln (R), Gemeinschaft (G) und Arbeitsteilung (A). 5.1 Rekrutierung 5.1.1 Krones Das Subjekt sind potenzielle Facharbeiter/-innen, die eine mögliche Zielgruppe von Kandidaten/innen darstellen, um sich auf ausgeschriebene Stellen im Unternehmen zu bewerben. Für Krones gilt es, diese Zielgruppe zu erfassen und durch mögliche Rekrutierungskanäle und –bemühungen auf die ausgeschriebenen Stellen aufmerksam zu machen. Das Objekt der Tätigkeit sind Nachwuchskräfte für alle Unternehmensbereiche. Dies impliziert, dass es erforderlich ist, die verschiedenen Personalbedarfe der einzelnen Abteilungen und Bereiche zu erfassen und Rekrutierungskanäle zu nutzen, durch welche die entsprechenden potenziellen Facharbeiter/-innen erreicht werden können und ein Bewerbungs-/ Auswahlverfahren vorbereitet werden kann.

Rekrutierung

205

Abbildung 11: Zentrale Tätigkeit Rekrutierung in der Fallstudie Krones. Eigene Darstellung.

Es konnten mehrere Instrumente identifiziert werden, die eingesetzt werden, um potenzielle Facharbeiter/-innen zu erreichen. Darunter Online-Stellenausschreibungen, die entweder auf Stellenportalen oder auf der eigenen Unternehmenshomepage publiziert werden. Durch die Ausschreibungen im Netz kommen gelegentlich Headhunter auf das Unternehmen zu, die ihre Dienste anbieten. Weiterhin ist das Unternehmen offen für Initiativbewerbungen durch Verwandte und Freunde von Stammmitarbeitern/-innen. In diesen Fällen werben bzw. empfehlen die Stamm-MA ihren Angehörigen, sich bei Krones zu bewerben, wodurch im Falle einer Einstellung eine enge Verzahnung der Bereiche Arbeit und Privates erfolgt, was sich wiederum positiv auf das Commitment beiderseits auswirkt. Weiterhin nutzt Krones in laufenden Bewerbungsverfahren Auswahlge-

206

Erkenntnisdiskussion

spräche und –tests, um die richtigen Nachwuchskräfte für alle Unternehmensbereiche auszuwählen. Die bisherigen Instrumente beziehen sich auf die Rekrutierung von Gastlandarbeitern/-innen in China, allerdings rekrutiert Krones darüber hinaus auch Gastlandarbeiter/-innen an deutschen Hochschulen, weshalb auch diese als Instrument zu nennen sind (siehe auch Kapitel 4.6.2 Rekrutierung). Hinsichtlich der Rekrutierungsaktivitäten gibt es Regeln, die einzuhalten sind. Im Rahmen des TRT wurde das Gentlemen-Agreement vereinbart, durch welches die deutschen Unternehmen zu der Übereinkunft gelangt sind, sich gegenseitig keine Arbeitskräfte abzuwerben. Eine weitere Regel betrifft die Einstellung von neuen Mitarbeitern/-innen. Diese erhalten zunächst einen Dispatch-Vertrag,30 welcher nach Ende der Laufzeit nur dann durch einen unbefristeten Anschlussvertrag verlängert wird, wenn der/die Mitarbeiter/-in eine gewisse Qualifikationsstufe erreichen konnte. Weiterhin wurde die Regel aufgestellt, Arbeitskräfte möglichst regional zu rekrutieren, da die Fluktuation unter denen, die ihre familiären Wurzeln außerhalb von Taicang haben, erfahrungsgemäß deutlich höher ist als bei denen, die aus Taicang stammen. Hinsichtlich der Gemeinschaft sind die Stammmitarbeiter /-innen zu benennen, die entgegen den neu eingestellten Arbeitskräften unbefristete Arbeitsverträge haben. Erst durch das Erreichen der ersten Qualifikationsstufe und nach Ablauf der Befristung werden die entsprechenden Mitarbeiter/-innen dauerhaft zur Stammbelegschaft gehören. Auch Familienangehörige und Freunde der Stammmitarbeiter/-innen sind dem Tätigkeitselement der Gemeinschaft zuzuordnen, denn durch die Möglichkeit der Freundschaftswerbung gehören auch sie zu den potenziellen Fachkräften und können sich bspw. durch Initiativbewerbungen im Unternehmen vorstellen. Über die Arbeitsteilung ergibt sich das Netzwerk des spezifischen Tätigkeitssystems, das die zentrale Tätigkeit erfüllt. Im Falle der 30

Ein Dispatch-Vertrag kommt einem befristeten Arbeitsvertrag gleich. Er wird in der Regel für eine Laufzeit von 3 Jahren geschlossen.

Rekrutierung

207

Rekrutierung gehört zu diesem Netzwerk zum einen die HR-Tätigkeit, die den Auswahlprozess der Auszubildenden steuert und damit diejenigen selektiert, die potenzielle Nachwuchskräfte für das Unternehmen darstellen. Insbesondere zu Beginn der Werksgründung war weiterhin die Involvierung des Headquarters in Deutschland erforderlich, da die potenziellen Fachkräfte im Rahmen von Entsendungen nach Deutschland die notwendigen Fähigkeiten und Fertigkeiten erlernt haben, um produktionsadäquat eingesetzt werden zu können. In diesem Sinne gehört auch die Tätigkeit des Headquarters zum Netzwerk der Arbeitsteilung, da dieses zur Qualifizierung der Nachwuchskräfte für alle Unternehmensbereiche wesentlich beigetragen hat. Weiterhin ist auch die Tätigkeit der Stammmitarbeiter /innen zu nennen, welche die zentrale Tätigkeit der Rekrutierung erfüllt, da diese als Promotoren agieren, indem ihnen die Möglichkeit gewährt wird, Familienmitglieder und Freunde als potenzielle Fachkräfte zu werben. 5.1.2

Kern-Liebers

Das Subjekt der zentralen Tätigkeit Rekrutierung in der Fallstudie Kern-Liebers stellen potenzielle Auszubildende dar. Für Kern-Liebers gilt es, Kandidaten/-innen durch Rekrutierungskanäle und -bemühungen zu erreichen, welche die Voraussetzungen erfüllen, um das unternehmensinterne Ausbildungsprogramm zu durchlaufen. Das Objekt der Tätigkeit sind Nachwuchskräfte für alle Unternehmensbereiche. Dies impliziert, dass es erforderlich ist, die verschiedenen Personalbedarfe einzelner Abteilungen und Bereiche zu erfassen und Rekrutierungskanäle zu nutzen, durch welche die entsprechenden potenziellen Facharbeiter/-innen erreicht werden können und ein Bewerbungs-/ Auswahlverfahren vorbereitet werden kann.

208

Erkenntnisdiskussion

Abbildung 12: Zentrale Tätigkeit Rekrutierung in der Fallstudie Kern-Liebers. Eigene Darstellung.

Es konnten mehrere Instrumente identifiziert werden, die dazu eingesetzt werden, um potenzielle Auszubildende zu erreichen und auf das Ausbildungsprogramm aufmerksam zu machen. Zunächst einmal wird das Ausbildungsprogramm durch TV-Spots im regionalen Fernsehen beworben. Diejenigen Schüler/-innen, die Interesse an der Berufsausbildung im Unternehmen haben, bewerben sich daraufhin in der berufsbildenden Schule, welche die Vorselektion geeigneter Kandidaten/-innen vornimmt. Aus dieser vorselektierten Kohorte wählt das Unternehmen sodann mittels Theorie- und Praxistests die Besten der Kohorte aus, die daraufhin einen Ausbildungsplatz im Unternehmen erhalten. Zu den Instrumenten zählt des Weiteren die Elternansprache, denn die Entscheidung für oder gegen einen Ausbildungsberuf wird wesentlich auch durch die Eltern mitbestimmt. Insofern ist es förderlich, den Eltern die Karrierechancen aufzuzeigen, welche die Berufsausbildung ihren Kindern bietet.

Rekrutierung

209

Es kann hinsichtlich der Rekrutierung eine Reihe von Regeln identifiziert werden. Diese betreffen zum einen die Zugangsvoraussetzungen potenzieller Bewerber/-innen für das Ausbildungsprogramm. Hierfür werden ausschließlich Absolventen/-innen der Sekundarstufe I rekrutiert, Absolventen/-innen der Sekundarstufe II hingegen kommen explizit nicht als Kandidaten/-innen infrage, da diese nach Abschluss der Berufsausbildung erfahrungsgemäß danach streben, in höhere Positionen aufzusteigen. Die Berufsausbildung ist jedoch darauf ausgerichtet, Nachwuchskräfte zu entwickeln, die langfristig in der Produktion arbeiten. Aus diesem Grund gibt es auch eine zweite Regel, die mit dem Anspruch der regionalen Rekrutierung einhergeht. Denn auch die Herkunft der Fachkräfte entscheidet darüber, ob sie langfristig im Unternehmen bleiben oder nach wenigen Jahren in ihre Heimatstädte zurückkehren. Eine weitere Regel bezieht sich auf den Auswahlprozess derjenigen, die sich für das Ausbildungsprogramm beworben haben und die durch die berufsbildende Schule vorselektiert wurden. Kern-Liebers besetzt die Ausbildungsplätze stets mit den besten Kandidaten/-innen, wobei dies gemessen wird an der Abschlussnote der Sekundarstufe I sowie an den Ergebnissen der Theorie- und Praxistests, die das Unternehmen eigens durchführt. Da es sich um ein halb-öffentliches Ausbildungszentrum handelt, das durch die lokale Regierung von Taicang subventioniert wird, gilt die Auflage, über den Eigenbedarf der direkt involvierten Unternehmen, die den praktischen Teil der Ausbildung im Verbund durchführen, hinaus auszubilden, sodass eine gewisse Anzahl an ausgebildeten Fachkräften kontinuierlich auch auf die lokalen Arbeitsmärkte fließt. Diese Regel gründet auf die Tatsache, dass die lokale Regierung von Taicang das Ausbildungszentrum subventioniert, worauf die Erwartungshaltung und Forderung gründen, dass der Ertrag in Form der Ausbildung von Bürgern/-innen der Stadt Taicang wiederum in die eigene Region fließt. Die letzte Regel wurde durch den TRT konstituiert und bezieht sich auf das vereinbarte Gentlemen-Agreement, infolgedessen

210

Erkenntnisdiskussion

die deutschen Unternehmen zu der Übereinkunft gelangt sind, sich gegenseitig keine Arbeitskräfte abzuwerben. Die Gemeinschaft des Tätigkeitssystems bilden alle deutschen Unternehmen der Region, denn diese teilen die Problematik der kontinuierlichen Knappheit von Fachkräften auf den lokalen Arbeitsmärkten. Sie sind darauf angewiesen, Absolventen/-innen des von Kern-Liebers etablierten Ausbildungszentrums in ihren jeweiligen Unternehmen einstellen zu können, und profitieren diesbezüglich in besonderem Maße von den halb-öffentlichen Ausbildungsstrukturen. Auch die lokale Regierung ist als Element der Gemeinschaft zu nennen, denn sie übt einen großen Einfluss auf die Rekrutierung auf, insofern sie Mitspracherecht hat, welche Zugangsvoraussetzungen potenzielle Auszubildende aufweisen müssen. Über die Arbeitsteilung ergibt sich das Netzwerk des Tätigkeitssystems, das die zentrale Tätigkeit erfüllt, in diesem Falle die Rekrutierung. Dazu gehört zum einen die Tätigkeit des deutschen Unternehmertums. Die deutschen Unternehmen nehmen indirekten Einfluss auf den Rekrutierungsprozess, da sie ihren Bedarf nach produktionsspezifischen Fachkräften formulieren, wodurch die Anzahl der Ausbildungsplätze, die im halb-öffentlichen Ausbildungszentrum jährlich vergeben werden, ggf. justiert wird. Weiterhin im Netzwerk der Arbeitsteilung involviert ist die Tätigkeit der berufsbildenden Schule, welche die Vorselektion im Rekrutierungsverfahren vornimmt. Ebenfalls eine erfüllende Tätigkeit ist die des Ausbildungszentrums, da erst durch seinen Beitrag das Ziel erreicht werden kann, potenzielle Auszubildende, die das Subjekt darstellen, zu Nachwuchskräften für die Produktion, die das Objekt bilden, zu entwickeln. 5.1.3

Zusammenfassung und Interpretation

Subjekt: Während das Subjekt der zentralen Tätigkeit Rekrutierung bei Fallunternehmen 1 (FU1) potenzielle Fachkräfte darstellen, zeigt

Rekrutierung

211

sich bei Fallunternehmen 2 (FU2),31 dass sich die Rekrutierungsstrategien ausschließlich auf potenzielle Auszubildende fokussieren. FU2 hat zu einem frühen Zeitpunkt nach der Werksgründung damit angefangen, Ausbildungsstrukturen in der Region zu initiieren und zu etablieren. Seit jeher waren und sind keine Fachkräfte mit vergleichbaren beruflichen Qualifikationsprofilen auf den lokalen Arbeitsmärkten zu finden, weshalb auch keine Rekrutierungsbemühungen unternommen werden, um erfahrene Mitarbeiter/-innen auf den lokalen Arbeitsmärkten anzusprechen. FU1 hingegen zielt darauf ab, Fachkräfte von den lokalen Arbeitsmärkten auf ausgeschriebene Stellen aufmerksam zu machen. Objekt: Das Objekt der zentralen Tätigkeit Rekrutierung bilden in FU1 Nachwuchskräfte für alle Unternehmensbereiche. Darunter fällt zum einen der Produktionsbereich mit eher niedrigen beruflichen Anforderungsprofilen und zum anderen fallen darunter auch die anspruchsvollen Bereiche Service, Einkauf und Finanzen. Die Rekrutierung im FU2 hingegen zielt ausschließlich auf Nachwuchskräfte für die Produktion ab. Daraus lässt sich ableiten, dass sich die Anforderungsprofile der Produktion auf das Rekrutierungsverhalten von Unternehmen auswirken. Instrumente: FU1 nutzt vielfältige Rekrutierungskanäle, um Fachkräfte auf den lokalen Arbeitsmärkten zu erreichen. Darunter sind besonders innovative Verfahren, Freundschaftswerbung und Rekrutierung von chinesischen Hochschulabsolventen/-innen deutscher Hochschulen zu verzeichnen. Die Etablierung beider innovativer Instrumente verdeutlicht die Knappheit an Fachkräften im chinesischen Industriepark sowie den damit einhergehenden Druck, der auf Unternehmen lastet, Lösungen zu generieren. FU2 hingegen hat sich zu einem frühen Zeitpunkt auf die Rekrutierung von Schulabgängern/-innen der Sekundarstufe I fokussiert und nutzt standardisierte 31

Für die Analyse der empirischen Erkenntnisse wird die Fallstudie Krones im Rahmen dieses Kapitels mit FU1 abgekürzt, die Fallstudie Kern-Liebers mit FU2.

212

Erkenntnisdiskussion

Instrumente, um die jährliche Kohorte für das unternehmensinterne Ausbildungszentrum zusammenzustellen. Regeln: Es sind Regeln zu verzeichnen, die sowohl im FU1 als auch im FU2 existieren. Beide Unternehmen versuchen, regional zu rekrutieren, und befürworten und befolgen das Gentlemen-Agreement, infolgedessen keine Abwerbung von Mitarbeitern/-innen anderer deutscher Unternehmen erfolgt. Die Unterschiede der beiden Fallunternehmen hinsichtlich vorhandener Regeln der Rekrutierung gründen auf ihrer strategischen Ausrichtung. FU1 rekrutiert, um die eigenen Stellenvakanzen im Unternehmen zu decken. FU2 hingegen rekrutiert nicht nur für die eigenen Bedarfe und die des Verbundunternehmens, sondern versorgt darüber hinaus auch den gesamten Industriepark mit ausgebildeten Fachkräften, die nach Abschluss ihrer Ausbildung auf den lokalen Arbeitsmärkten zugänglich sind. Gemeinschaft: Die unterschiedliche strategische Ausrichtung hinsichtlich der zentralen Tätigkeit Rekrutierung in beiden Unternehmen spiegelt sich in gänzlich unterschiedlichen Gemeinschaftselementen wider. Auch hier wird erneut deutlich, dass sich die Gemeinschaft in FU1 innerhalb des Unternehmens abspielt. In FU2 hingegen geht die Gemeinschaft über die Unternehmensgrenzen hinaus und verbindet diverse Akteure unter Berücksichtigung des das Tätigkeitssystem umgebenden Kontextes. Arbeitsteilung: Hinsichtlich der Arbeitsteilung sind in FU1 im Wesentlichen diejenigen Akteure in die Rekrutierung involviert, welche die Lokalisierung vorantreiben. FU2 verfolgt das Ziel der Lokalisierung schon länger, weshalb sich im Netzwerk der Arbeitsteilung, welche die zentrale Tätigkeit erfüllt, Strukturen abzeichnen, an die hinzukommende deutsche Unternehmen anknüpfen können. Anders gesagt, ist FU1 hinsichtlich der Arbeitsteilung individuell und auf den eigene Unternehmenserfolg ausgerichtet, während FU2 kollektive Strukturen schafft, die sich auf den gesamten Industriepark auswirken.

Qualifizierung/Training

213

5.2 Qualifizierung/Training 5.2.1 Krones Das Subjekt der zentralen Tätigkeit Qualifizierung/Training in der Fallstudie Krones sind nicht angelernte Fachkräfte sowie ungelernte Arbeitskräfte. Bei Ersteren handelt es sich um neu eingestellte Mitarbeiter/-innen, die Erfahrung bspw. durch Tätigkeiten in anderen Unternehmen mitbringen, die aber noch nicht an die spezifischen Produktionsabläufe und Arbeitsschritte im Unternehmen angelernt wurden. Die zweite Gruppe, die ungelernten Arbeitskräfte, werden üblicherweise als Absolventen/innen der Sekundarstufe I eingestellt, welche kaum über Praxiserfahrung in der Produktion verfügen. Das Objekt der Tätigkeit sind Fachkräfte mit produktionsadäquaten Berufsqualifikationen. Es gilt also, die Subjekte durch die Tätigkeit der Qualifizierung zu Fachkräften mit produktionsadäquaten Berufsqualifikationen zu entwickeln, sodass diese in den spezifischen Bereichen eingesetzt werden können.

Abbildung 13: Zentrale Tätigkeit Qualifizierung/Training in der Fallstudie Krones. Eigene Darstellung.

214

Erkenntnisdiskussion

Um das Ziel zu erreichen, wird eine Reihe von Instrumenten eingesetzt. Dazu zählen Entsendungen sowohl von Deutschland nach China als auch von China nach Deutschland. Allerdings wurden Erstere überwiegend in der Anfangsphase des Produktionswerks genutzt, indem deutsche Kollegen/-innen als Trainer/-innen fungierten und die Gastlandarbeiter/-innen in Bezug auf die Produktionsabläufe und Maschinen anlernten. Im Zuge der Lokalisierung der Produktion, die seit 2013 fokussiert wurde, werden deutsche Kollegen/-innen nur noch selten nach China entsendet. Bei der Entsendung von China nach Deutschland hingegen handelt es sich um ein gängiges Instrument der Qualifizierung. Ein weiteres Instrument stellt die Dokumentation von Arbeitsprozessen in chinesischer und englischer Sprache dar, wodurch die Mitarbeiter/-innen die Möglichkeit haben, Arbeitsschritte selbstständig nachzuschlagen. Auch Sprache ist als Instrument zu erfassen, da Fremdsprachenkenntnisse in Englisch oder Deutsch die Grundvoraussetzung darstellen, damit Gastlandarbeiter/-innen an Qualifizierungsmaßnahmen in Deutschland überhaupt teilnehmen können. Auch die unternehmensinterne Trainingsakademie, in der Schulungen für Mitarbeiter/-innen, Kunden und Praxislehrkräfte, die in das Ausbildungsprogramm involviert sind, stattfinden, ist zu erwähnen. Zuletzt sind noch die Skill-Levels zu nennen, mittels derer die Qualifikationsprofile der Mitarbeiter/innen erfasst werden können und die als Kontrollinstrument fungieren. Es kann eine Reihe von Regeln identifiziert werden. Damit die Gastlandarbeiter/-innen zu Qualifizierungszwecken nach Deutschland entsendet werden können, sind die Fremdsprachenkenntnisse der entsprechenden Mitarbeiter/-innen zu berücksichtigen. Mindestens eine Person, die entsendet werden soll, muss über gute Englisch- oder Deutschkenntnisse verfügen und fungiert im Rahmen des Trainings in Deutschland sodann als Dolmetscher für diejenigen Kollegen/-innen, die lediglich Chinesisch sprechen. Hinsichtlich des Trai-

Qualifizierung/Training

215

ningskonzepts gilt, dass dieses weit vor der Entsendung der Gastlandarbeiter/-innen in Austausch zwischen dem chinesischen und dem deutschen Standort erstellt wird. Damit die Entsendung erfolgreich ist, gilt es, auch stets den richtigen Zeitpunkt festzulegen, damit sich die deutschen Trainer auch auf die Inhalte vorbereiten können. Die letzte Regel hinsichtlich der Tätigkeit Qualifizierung bezieht sich auf die notwendige Erreichung eines bestimmten Skill-Levels während der Zeit, in der die neuen Mitarbeiter/-innen befristet eingestellt sind. Durch diese Regelungen stellen die neuen Mitarbeiter/innen ihre Lernfähigkeit und –bereitschaft unter Beweis, wodurch sie, sofern sie das erste Skill-Level nachweislich erreicht haben, einen unbefristeten Anschlussvertrag im Unternehmen erhalten. Die Gemeinschaft der zentralen Tätigkeit Qualifizierung/Training konstituiert sich zum einen durch das Headquarter in Deutschland, das im Rahmen der Konzepterstellung und Durchführung von Trainings der entsendeten Gastlandarbeiter/-innen involviert ist. Diese Maßnahme trägt zudem zur Vernetzung des Mutter- und Auslandsstandorts bei. Zum anderen rücken auch die Kunden in den Fokus der Gemeinschaft dieser zentralen Tätigkeit, da sie einen Anspruch und eine Erwartungshaltung gleichermaßen an fachkompetentes Servicepersonal haben, welches die Anlagen aufbaut, wartet oder repariert. Über die Arbeitsteilung ergibt sich das Netzwerk aus erfüllenden Tätigkeitssystemen, das die zentrale Tätigkeit erfüllt. Im Falle der Qualifizierung gehören zum einen zu diesem Netzwerk zum einen die Tätigkeit des Headquarters in Deutschland, in welchem die Trainingsmaßnahmen vorbereitet und durchgeführt werden, und zum anderen die Tätigkeit der Kunden, welche die Problemlösekompetenz der Servicemitarbeiter/-innen indirekt überprüfen, sowie die Tätigkeit der einzelnen Abteilungen, die ihr Qualifizierungsbudget selbstständig verwalten.

216

5.2.2

Erkenntnisdiskussion

Kern-Liebers

Das Subjekt der zentralen Tätigkeit Qualifizierung/Training in der Fallstudie Kern-Liebers sind ungelernte Arbeitskräfte, üblicherweise Absolventen/-innen der Sekundarstufe I, die nur eine geringe Arbeitserfahrung in der Produktion aufweisen können. Das Objekt der Tätigkeit sind Fachkräfte mit produktionsadäquaten Berufsqualifikationen. Das Ziel ist es folglich, die Subjekte durch die Tätigkeit der Qualifizierung zu Fachkräften mit produktionsadäquaten Berufsqualifikationen zu entwickeln, sodass diese in der Produktion eingesetzt werden können.

Abbildung 14: Zentrale Tätigkeit Qualifizierung/Training in der Fallstudie KernLiebers. Eigene Darstellung.

Als Instrumente der zentralen Tätigkeit Qualifizierung/Training sind zum einen Entsendungen sowohl von Deutschland nach China als auch von China nach Deutschland zu verzeichnen. Allerdings gilt hierbei, dass die Entsendung deutscher Kollegen/-innen vor allem in

Qualifizierung/Training

217

der Anfangsphase verstärkt genutzt wurde. Sie agierten als Trainer/innen und lernten die Gastlandarbeiter/-innen mittels Trainingskonzepte an die Arbeitsabläufe und Maschinen der Produktion an. Die Entsendungen deutscher Trainer/-innen wurden jedoch zügig abgebaut, um die Lokalisierung des chinesischen Standorts voranzutreiben. Entsendungen von chinesischen Kollegen/-innen nach Deutschland werden hingegen auch heute noch oftmals vorgenommen, da sie zur Vernetzung im Familienunternehmen beitragen und aufgrund des damit verbundenen Aufenthalts im Ausland einen gewissen Anreiz für unterschiedliche Mitarbeitergruppen darstellen. Diejenigen Gastlandarbeiter/-innen, die an neuen Anlagen in Deutschland angelernt werden, fungieren nach ihrer Rückkehr an den chinesischen Standort zudem als Wissensmultiplikatoren, die ihr Wissen sodann an ihre chinesischen Kollegen/-innen weitergeben. Schließlich ist hinsichtlich der Instrumente der zentralen Tätigkeit noch das Ausbildungszentrum zu benennen, das wesentlich dazu beiträgt, ungelernte Arbeitskräfte zu Facharbeitern/-innen mit produktionsadäquaten Berufsqualifikationen zu entwickeln. Die Regeln, welche die zentrale Tätigkeit definieren, betreffen die Wissensmultiplikatoren, welche nach ihrer Teilnahme an Qualifizierungsmaßnahmen in Deutschland die Verantwortung zu erfüllen haben, ihr Wissen an die Kollegen/-innen in China weiterzugeben. Eine indirekte Regel lässt sich zudem aus dem Qualifizierungsverhalten insgesamt ableiten. Die Maßnahmen beziehen sich beinahe ausschließlich auf die Qualifizierungspraktiken im Rahmen der Berufsausbildung. Qualifizierungsmaßnahmen für ausgelernte Werkzeugmechaniker/-innen und Industriemechaniker/-innen sind kaum zu verbuchen. Die Gemeinschaft der zentralen Tätigkeit Qualifizierung/Training konstituiert sich zum einen durch das Headquarter in Deutschland, das hinsichtlich der Durchführung von Trainings der entsendeten Gastlandarbeiter/-innen involviert ist. Diese Maßnahme trägt zudem

218

Erkenntnisdiskussion

zur Vernetzung des Mutter- und Auslandsstandorts und zu verbesserten Fremdsprachenkenntnissen der Gastlandarbeiter/-innen bei. Zum anderen spielen diejenigen Mitarbeiter/-innen, die an neuen Anlagen angelernt wurden, eine beträchtliche Rolle hinsichtlich der Entwicklung von Fachkräften mit produktionsadäquaten Berufsqualifikationen, da ihnen die Verantwortung zugeschrieben wird, ihr Wissen an die Kollegenschaft weiterzugeben, die nicht an den Trainings teilnehmen konnte. Über die Arbeitsteilung ergibt sich das Netzwerk aus erfüllenden Tätigkeitssystemen, das die zentrale Tätigkeit Qualifizierung/Training erfüllt. Zugehörig zu diesem Netzwerk ist die Tätigkeit der deutschen Projektmanager/-innen, die in den ersten Jahren nach Standortgründung die Qualifizierung im Gastland vorgenommen haben. Weiterhin zu benennen sind die Tätigkeit der angelernten Mitarbeiter/-innen, die als Wissensmultiplikatoren fungieren, sowie die Tätigkeit des Ausbildungszentrums, das die Ausbildung von Werkzeugmechanikern/-innen und Industriemechanikern/-innen ermöglicht. 5.2.3

Zusammenfassung und Interpretation

Subjekt: Während das Subjekt des FU1 sowohl angelernte Fachkräfte als auch ungelernte Arbeitskräfte sind, handelt es sich im FU2 lediglich um ungelernte Arbeitskräfte. Dies gründet auf die Tatsache, dass beinahe alle Mitarbeiter/-innen als Auszubildende im FU2 eingestiegen sind und das unternehmensinterne Ausbildungsprogramm durchlaufen haben, weshalb sie anschließend über produktionsadäquate Berufsqualifikationen verfügen und keine weiteren spezifischen Qualifizierungsmaßnahmen erforderlich sind. FU1 hingegen beschäftigt nicht nur Arbeitskräfte in der Produktion, sondern auch im anspruchsvollen Servicebereich, weshalb nicht angelernte Fachkräfte und ungelernte Arbeitskräfte durch unterschiedliche Maßnahmen qualifiziert werden.

Qualifizierung/Training

219

Objekt: Sowohl in FU1 als auch in FU2 handelt es sich bei dem Objekt der zentralen Tätigkeit um Fachkräfte mit produktionsadäquaten Berufsqualifikationen. Das Ziel ist es folglich, die Subjekte durch die Tätigkeit der Qualifizierung zu Fachkräften mit produktionsadäquaten Berufsqualifikationen zu entwickeln, sodass diese in der Produktion eingesetzt werden können. Instrumente: Sowohl in FU1 als auch in FU2 finden Entsendungen von Mitarbeitern/-innen zwischen Deutschland und China statt. Die Unternehmen verbindet in dieser Hinsicht, dass beide jeweils in der Anfangsphase deutsche Kollegen/-innen nach China entsendet haben, inzwischen davon aber nur noch geringen Gebrauch machen, da der Anspruch besteht, den chinesischen Standort zu lokalisieren. Beide wiederum entsenden jedoch regelmäßig chinesische Mitarbeiter/-innen nach Deutschland. Die verbleibenden Instrumente im FU2 sind entweder in der Anfangsphase der Standortgründung angewendet worden oder beziehen sich beinahe ausschließlich auf Maßnahmen im Rahmen des Berufsausbildungsprogramms. Instrumente zur Weiterbildung von bereits produktionsspezifisch qualifizierten Fachkräften sind jedoch kaum zu verzeichnen. FU1 hingegen nutzt vergleichsweise vielfältige Instrumente, um produktionsspezifische Fachkräfte fortlaufend zu qualifizieren. Dies kann auf die Tatsache zurückgeführt werden, dass es sich bei dem Produkt, das FU1 herstellt, um ein kundenspezifisches handelt, das individuell gefertigt wird, während FU2 in Linie mit manuellen Arbeitsschritten produziert. Die Anforderungen an die Qualifikationszuschnitte der Belegschaften sind daher unterschiedlich gestaltet, was sich auch auf die Qualifizierungsmaßnahmen der entsprechenden Mitarbeitergruppen in den beiden Unternehmen auswirkt. Regeln: Die in beiden Fallstudien zu verzeichnenden Regeln unterscheiden sich grundlegend voneinander. Dies kann darauf zurückgeführt werden, dass im Fokus der zentralen Tätigkeit Qualifizierung unterschiedliche Subjekte stehen, infolgedessen unterschiedliche Regeln formuliert werden.

220

Erkenntnisdiskussion

Gemeinschaft: In FU1 und FU2 konstituiert sich das Element Gemeinschaft der zentralen Tätigkeit Qualifizierung/Training beiderseits durch das Headquarter in Deutschland. Beiden Fallunternehmen ist es gelungen, ihren chinesischen Standort zu lokalisieren. Es lässt sich schlussfolgern, dass eine gute Vernetzung erforderlich ist, damit dies geschehen kann. Arbeitsteilung: Hinsichtlich der Arbeitsteilung der zentralen Tätigkeit Qualifizierung/Training ist in FU1 jeweils ein Akteur des chinesischen Standorts (Tätigkeit Abteilungen), einer des deutschen Standorts (Tätigkeit Headquarter) sowie ein externer Akteur (Tätigkeit Kunden) involviert. Das Zusammenspiel dieser drei Akteursgruppen begünstigt eine hohe Qualitätssicherung des Qualifizierungsverhaltens in FU1. Bei FU2 hingegen zeigt sich, dass der Schwerpunkt der erfüllenden Tätigkeit auf der Tätigkeit des Ausbildungszentrums liegt. Hierauf gründen die Stärke und Qualität des FU2 hinsichtlich der Berufsqualifikationen seiner Fachkräfte. 5.3 Personalentwicklung 5.3.1 Krones Das Subjekt der zentralen Tätigkeit Personalentwicklung ist die HRAbteilung. Sie erfasst die Bedarfe und Bedürfnisse des Unternehmens und implementiert darauf ausgerichtete Aus- und Weiterbildungsstrukturen für alle Unternehmensbereiche. Das Objekt der zentralen Tätigkeit ist die strategische Personalplanung. Die zukünftigen Bedarfe müssen kontinuierlich kalkuliert werden und entsprechende berufseinführende, berufsbegleitende und arbeitsplatznahe Maßnahmen verfolgt werden, sodass das Unternehmen auf kurz- und langfristige Veränderungen vorbereitet ist.

Personalentwicklung

221

Abbildung 15: Zentrale Tätigkeit Personalentwicklung in der Fallstudie Krones. Eigene Darstellung.

Die Instrumente der zentralen Tätigkeit Personalentwicklung sind Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen, die etabliert wurden. Bei diesen handelt es sich um Schulkooperationen und Hochschulkooperationen sowie das innovative Cross-Border-Programm, das nicht nur der Kompetenzentwicklung, sondern auch der Vernetzung im Unternehmen dient. Als weiteres Instrument ist Kommunikation zu nennen, denn diese ist notwendig, um Mitarbeiter/-innen für entsprechende Maßnahmen auszuwählen und Kooperationsstrukturen zu begründen und aufrechtzuerhalten. Als Regel ist festzuhalten, dass Personalentwicklungsprogramme für alle Unternehmensbereiche erforderlich sind und entsprechende Mitarbeiter/-innen kontinuierlich an den Maßnahmen teilnehmen. Die Gemeinschaft der zentralen Tätigkeit ergibt sich durch die Akteure, die in Aus- und Weiterbildungsstrukturen involviert sind. Diese sind die berufsbildende Schule, die Brauschule sowie die

222

Erkenntnisdiskussion

Hochschule. Weiterhin sind alle globalen Standorte des Unternehmens im Rahmen des Cross-Border-Programms involviert. Über die Arbeitsteilung ergibt sich das Netzwerk aus erfüllenden Tätigkeitssystemen, das die zentrale Tätigkeit erfüllt. Zu nennen ist die Tätigkeit der berufsbildenden Schule, da sie wesentlich zu den Strukturen der Schulkooperationen beiträgt. Zu den Strukturen der Hochschulkooperation tragen hingegen die Tätigkeiten der Brauschule sowie der Hochschule bei. Schließlich ist noch die Tätigkeit der globalen Standorte zu nennen, welche die Vernetzung im Rahmen des Cross-Border-Programms schaffen. 5.3.2

Kern-Liebers

Das Subjekt der zentralen Tätigkeit Personalentwicklung ist die HRAbteilung. Sie erfasst die Bedarfe und Bedürfnisse des Unternehmens und schafft darauf ausgerichtete Aus- und Weiterbildungsstrukturen für alle Unternehmensbereiche. Das Objekt der zentralen Tätigkeit ist die strategische Personalplanung. Die zukünftigen Bedarfe müssen kontinuierlich kalkuliert werden und entsprechende berufseinführende, berufsbegleitende und arbeitsplatznahe Maßnahmen verwirklicht werden, sodass das Unternehmen auf kurz- und langfristige Veränderungen vorbereitet ist.

Personalentwicklung

223

Abbildung 16: Zentrale Tätigkeit Personalentwicklung in der Fallstudie Kern-Liebers. Eigene Darstellung.

Die Instrumente der zentralen Tätigkeit Personalentwicklung sind Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen, die seit der Werksgründung etabliert wurden. Diese sind Schulkooperationen und Hochschulkooperationen sowie ein Meisterentwicklungsprogramm, in dessen Rahmen Mitarbeiter/-innen der Produktion zu Führungskräften weiterentwickelt werden. Als weiteres Instrument ist Kommunikation zu nennen, denn diese ist notwendig, um Mitarbeiter/-innen für entsprechende Maßnahmen auszuwählen und Kooperationsstrukturen zu begründen und aufrechtzuerhalten. Als Regel ist festzuhalten, dass Personalentwicklungsprogramme für alle Unternehmensbereiche erforderlich sind und entsprechende Mitarbeiter/-innen kontinuierlich an den Maßnahmen teilnehmen. Als weitere Regel ist festzuhalten, dass FU2 im Rahmen der Ausbildung von Nachwuchskräften über die eigenen Bedarfe hinaus ausbildet. Eine gewisse Anzahl von Absolventen/-innen jedes Jahrgangs fließt nach Abschluss der Berufsausbildung auf die lokalen

224

Erkenntnisdiskussion

Arbeitsmärkte, um in deutschen Unternehmen in Taicang eingesetzt zu werden. Die Gemeinschaft der zentralen Tätigkeit ergibt sich durch die Akteure, die in Aus- und Weiterbildungsstrukturen involviert sind. Diese sind allen voran das Verbundunternehmen Mubea sowie weitere deutsche Unternehmen des Industrieparks, die berufsbildende Schule, die Hochschule und die lokale Regierung von Taicang. Über die Arbeitsteilung ergibt sich das Netzwerk aus erfüllenden Tätigkeitssystemen, das die zentrale Tätigkeit Personalentwicklung erfüllt. Hinsichtlich der Unternehmens- und Schulkooperation sind die Tätigkeiten des Verbundunternehmens Mubea, der berufsbildenden Schule sowie der lokalen Regierung von Taicang zu nennen. In die Arbeitsteilung der Hochschulkooperation hingegen sind die Tätigkeit weiterer deutscher Unternehmen des Industrieparks sowie die Tätigkeiten der Hochschule und der lokalen Regierung zu verzeichnen. 5.3.3

Zusammenfassung und Interpretation

Subjekt: Sowohl in FU1 als auch in FU2 ist das jeweilige Subjekt der zentralen Tätigkeit Personalentwicklung die HR-Abteilung. Sie erfasst die Bedarfe und Bedürfnisse des Unternehmens und verwirklicht darauf ausgerichtete Aus- und Weiterbildungsstrukturen für alle Unternehmensbereiche. Objekt: Auch das Objekt der zentralen Tätigkeit Personalentwicklung ist in beiden Fallstudien identisch. Im Fokus steht die strategische Personalplanung. Die zukünftigen Bedarfe müssen kontinuierlich kalkuliert werden und entsprechende berufseinführende, berufsbegleitende und arbeitsplatznahe Maßnahmen ergriffen werden, sodass die Unternehmen auf kurz- und langfristige Veränderungen vorbereitet sind. Instrumente: Sowohl in FU1 als auch in FU2 sind als Instrumente Schul- und Hochschulkooperationen geschaffen worden. Allerdings

Personalentwicklung

225

ist in die jeweiligen Strukturen des FU2 jeweils mindestens ein weiteres deutsches Unternehmen involviert, weshalb die Ausbildung im Verbund durchgeführt wird. Auch die Kommunikation wird in beiden Fallstudien als Instrument angewendet. Sie ist erforderlich, um Kooperationsstrukturen zu etablieren und aufrechtzuerhalten. Gemeinschaft: Hinsichtlich des Elements der Gemeinschaft können die Akteure identifiziert werden, die für beide Fallstudien von Relevanz sind. Dazu zählen jeweils eine berufsbildende Schule sowie eine Hochschule. Im FU2 sind jedoch weitere deutsche Unternehmen sowie die lokale Regierung von Taicang involviert. Dies verdeutlicht die strategische Ausrichtung des FU2 hinsichtlich der zentralen Tätigkeit Personalentwicklung, denn FU2 schafft kollektive Strukturen, die sich auf den gesamten Industriepark auswirken, während FU1 seine Personalentwicklungsstrukturen individuell und nur für die eigenen Bedarfe verfolgt. Arbeitsteilung: In beiden Fallstudien sind Tätigkeiten von Akteuren involviert, welche die zentrale Tätigkeit erfüllen. Dabei kann festgestellt werden, dass beide Fallstudien hinsichtlich der Ausbildungsstrukturen Unterstützung durch Akteure brauchen, die Theoriewissen vermitteln. Dies erfolgt durch Tätigkeiten der berufsbildenden Schulen, Hochschulen sowie durch die Brauschule. Das Praxiswissen wird im FU1 durch das Unternehmen selbst in Form von Praktika erworben, in FU2 erfolgt die Arbeitsteilung der erfüllenden Tätigkeiten jedoch nicht nur durch das Unternehmen selbst, sondern auch durch andere deutsche Unternehmen, allen voran durch die Arbeitsteilung des Verbundpartners. Auch hier wird die kollektive Ausrichtung des FU2 deutlich, FU1 hingegen bewerkstelligt die Arbeitsteilung bewusst ohne Unterstützung anderer Unternehmen, welche dieselben Herausforderungen zu meistern haben.

226

Erkenntnisdiskussion

5.4 Schulkooperation 5.4.1 Krones Krones arbeitet hinsichtlich der Ausbildung von Zerspanungsmechanikern/-innen mit einer berufsbildenden Schule in Taicang zusammen, welche die theoretische und praktische Ausbildung durchführt. Die Kooperationstätigkeit zwischen dem Fallunternehmen Krones und der berufsbildenden Schule kann als eigenständige Tätigkeit analysiert werden. Abbildung 17 visualisiert das Beziehungsgefüge zwischen dem Fallunternehmen und der berufsbildenden Schule.32 Handelnde Subjekte sind Trainer/-innen, die über produktionsspezifisches Wissen verfügen und in die konzeptionelle Gestaltung der Lehrpläne involviert sind, sowie die HR-Abteilung, welche die Kommunikation und Steuerung im Programm übernimmt. Die beiden Subjekte stimmen sich mit den Lehrkräften und der Schulleitung ab, die gemeinsam mit den Auszubildenden die Subjekte des Kooperationspartners darstellen. Für Letztere fungiert die berufsbildende Schule als Lernort sowohl für den theoretischen als auch den praktischen Teil der Berufsausbildung. Das Objekt der Kooperationstätigkeit des FU1 (O1) ist die konzeptionelle Gestaltung des Ausbildungsprogramms. Das zentrale Objekt der Tätigkeit beim Kooperationspartner (O2) hingegen ist die theoretische und praktische Ausbildung. Hinsichtlich der Instrumente stellt das Unternehmen der berufsbildenden Schule Maschinen (Abfüllanlagen) zur Verfügung. Sie agieren diesbezüglich Instrument teilend (vgl. Abbildung 17). Das Unternehmen verfolgt eine enge Lernortkooperation, um die produktionsadäquate Ausbildung sicherzustellen. Das dafür erforderliche Wissen fließt in das Ausbildungscurriculum ein, welches von dem Kooperationspartner durch Theorie- und Praxisunterricht ausgeführt wird. 32

Jeder Kooperationspartner ist als eigenes Tätigkeitssystem zu betrachten.

Schulkooperation

227

Darüber hinaus definiert Krones Regeln, die vom Kooperationspartner einzuhalten sind. Zu diesen Regeln zählt, dass die Schule die Vorselektion der Auszubildenden vornimmt und das Unternehmen aus dieser vorselektierten Gruppe die besten Kandidaten/-innen auswählen darf, die fortlaufend eine eigenständige Unternehmensklasse bilden. Auch die gegenseitige Hospitation wird als Regel vereinbart, da auf diese Weise eine gute Lernortkooperation anvisiert wird. Die Abnahme der Abschlussprüfungen durch die AHK kann ebenfalls als Regel formuliert werden, da die Schule die Durchführung durch die externen Akteure zu betreuen hat. Trotz der Tatsache, dass das Berufsausbildungsprogramm mit der Zertifizierung durch die AHK abschließt, ist auch das chinesische Schulgesetz einzuhalten. Dieses wirkt sich bspw. auf die anteilige Gestaltung der Theorie- und Praxisphasen aus. Die Pfeilrichtungen in Abbildung 17 verdeutlichen den starken Einfluss des Unternehmens auf die Handlungen des Kooperationspartners. Als Elemente der Gemeinschaft sind die jeweiligen Kooperationspartner zu verzeichnen. Bei der berufsbildenden Schule kommt jedoch zusätzlich die lokale Regierung von Taicang hinzu, da diese berufsbildende Schulen subventioniert, die Kooperationsstrukturen mit deutschen Unternehmen schaffen. Dies spiegelt sich auch in der Arbeitsteilung wider, denn die erfüllende Tätigkeit der lokalen Regierung schlägt sich in der finanziellen Unterstützung der berufsbildenden Schule nieder. Des Weiteren ist die erfüllende Tätigkeit der AHK zu nennen, welche die Zertifizierung im Rahmen der Abschlussprüfungen vornimmt.

228

Erkenntnisdiskussion

Abbildung 17: Schulkooperation als Boundary Object, Fallstudie Krones.Eigene Darstellung.

Schulkooperation

229

Aus dem Objekt der Kooperationstätigkeit des Unternehmens und dem Objekt der kooperierenden berufsbildenden Schule geht ein Boundary Object hervor. Dabei handelt es sich um die produktionsspezifische Ausbildung von Zerspanungsmechanikern/-innen. Nur durch die Zusammenarbeit beider Kooperationspartner münden die individuellen Teilleistungen in dieses Ergebnis. 5.4.2

Kern-Liebers

Kern-Liebers arbeitet hinsichtlich der Ausbildung von Werkzeugmechanikern/-innen und Industriemechanikern/-innen gemeinsam mit einem weiteren deutschen Unternehmen zusammen, das als direkter Verbundpartner fungiert. Weiterhin in die Kooperationsstrukturen involviert sind eine berufsbildende Schule in Taicang, welche die theoretische Ausbildung durchführt, sowie die lokale Regierung von Taicang, die das Ausbildungszentrum finanziert. Die Kooperationstätigkeit zwischen diesen vier Akteuren kann als eigenständige Tätigkeit analysiert werden. Abbildung 18 visualisiert das daraus resultierende Beziehungsgefüge.33 Handelnde Subjekte der beiden Verbundunternehmen Kern-Liebers und Mubea sind jeweils Praxislehrkräfte, welche die praktischen Unterrichtseinheiten durchführen, sowie Auszubildende, für die das Ausbildungszentrum als Lernort agiert. Als weiterer Lernort ist die berufsbildende Schule zu erfassen, da hier der Theorieunterricht stattfindet, weshalb die Auszubildenden auch als Subjekte der kooperierenden berufsbildenden Schule begriffen werden können. Ein weiteres Subjekt sind die Theorielehrkräfte, die im engen Austausch mit den Praxislehrkräften hinsichtlich der zentralen Tätigkeit stehen. Die Subjekte der lokalen Regierung sind durch Regierungsvertreter/innen konstituiert, die als Ansprechpartner/-innen hinsichtlich der 33

Jeder Kooperationspartner ist als eigenes Tätigkeitssystem zu betrachten.

230

Erkenntnisdiskussion

erfolgreichen Gestaltung der Kooperationsstrukturen und -absichten fungieren. Das Objekt der Kooperationstätigkeiten von Kern-Liebers (O1) und seinem Verbundkooperationspartner Mubea (O2) ist gleichermaßen die nachhaltige Sicherung von Fachkräften. Das Objekt der berufsbildenden Schule (O3) hingegen ist die Prestigesteigerung, denn diejenigen Schulen, die mit deutschen Unternehmen kooperieren, verfügen über eine bessere Ausstattung und, damit einhergehend, auch über mehr Ansehen in der Region. Das Objekt der lokalen Regierung (04) ist die nachhaltige Versorgung des Arbeitsmarkts mit Fachkräften. Denn die kontinuierliche Knappheit an Fachkräften im Industriepark birgt die Gefahr, dass zukünftig weniger Unternehmen in die Region kommen, wodurch wirtschaftliche Einbußen drohen. Hinsichtlich der Instrumente nimmt das Unternehmen Kern-Liebers eine besondere Stellung ein, denn auf dessen Firmengelände befindet sich das eigens errichtete Ausbildungszentrum. Die weiteren Instrumente einschließlich des Curriculums und des AHK-Zertifikats, die erforderlich sind, um die Qualität der Berufsausbildung gewährleisten zu können, werden durch beide Verbundunternehmen gleichermaßen bewerkstelligt. Der Praxisunterricht wird durch den Theorieunterricht komplettiert, der als Instrument der berufsbildenden Schulen zu verzeichnen ist. Nach erfolgreichem Abschluss vergeben die Schulen zudem ein chinesisches Zertifikat, wodurch die Auszubildenden mit zwei Zertifizierungen abschließen, dem chinesischen und dem deutschen AHK-Zertifikat. Der Abschluss mittels chinesischem Zertifikat ist wiederum deshalb erforderlich, da die lokale Regierung die Kooperationsstrukturen finanziert und daher die Richtlinien des chinesischen Schulgesetzes einzuhalten sind, das als Instrument der lokalen Regierung zu nennen ist.

Schulkooperation

231

Abbildung 18: Schulkooperation als Boundary Object, Fallstudie Kern-Liebers. Eigene Darstellung.

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Erkenntnisdiskussion

Hinsichtlich der Regeln der Kooperationstätigkeit lässt sich der starke Einfluss der lokalen Regierung erkennen, der mit ihrer Finanzierungsleistung einhergeht. Die Pfeilrichtungen in Abbildung 18 verdeutlicht den starken Einfluss auf die berufsbildende Schule sowie auf das Unternehmen Krones und damit auch indirekt auf das Verbundunternehmen Mubea, welche das Ausbildungszentrum im Verbund betreiben. Im Gegenzug zur finanziellen Unterstützung legt die Regierung fest, dass die Verbundunternehmen über die eigenen Bedarfe hinaus ausbilden müssen. Weiterhin ist das chinesische Schulgesetz einzuhalten, welches die Gestaltung der Anteile von Theorie- und Praxisphasen reguliert. Unter dieser Rahmung agiert weiterhin das Unternehmen Krones regelgenerierend und reizt in diesem Zuge den maximalen Spielraum des praktischen Anteils der Berufsausbildungsstrukturen aus, der nach chinesischem Schulgesetz zulässig ist. Die Elemente der Gemeinschaft der vier involvierten Tätigkeitssysteme ergänzen sich gegenseitig. Hinzu kommt bei den beiden Verbundunternehmen jeweils die AHK, welche die Prüfungskommission bildet, die Qualität der Berufsausbildung erfasst und entsprechend zertifiziert. Die vier involvierten Akteure ergänzen sich hinsichtlich ihrer Arbeitsteilung. Die Regierung, die das Ausbildungszentrum finanziert, schafft Richtlinien, die in Bezug auf die Umsetzung einzuhalten sind. Die Umsetzung wiederum erfolgt gemeinsam durch die Verbundunternehmen, die den Praxisunterricht gestalten, und die berufsbildende Schule, die den Theorieunterricht durchführt. Durch die strikte Trennung der Zuständigkeiten ist seitens aller Akteure, die in die Lehrtätigkeit involviert sind, eine enge Kommunikation notwendig, damit die jeweiligen Inhalte aufeinander abgestimmt werden können. Die Hauptverantwortung liegt jedoch bei der Kooperationstätigkeit des Unternehmens Kern-Liebers, da dort das Know-how

Schulkooperation

233

verankert ist über die Etablierung und Durchführung von Ausbildungsstrukturen nach deutschem dualen Vorbild und das Ausbildungszentrum zudem auf dem Werksgelände errichtet wurde. Aus den Objekten der Kooperationstätigkeit der beiden Verbundunternehmen (O1 und O2) sowie dem Objekt der kooperierenden berufsbildenden Schule (O3) und dem Objekt der lokalen Regierung (O4) geht ein Boundary Object (05) hervor. Dabei handelt es sich um die duale Ausbildung von Werkzeugmechanikern/-innen für die Region Taicang. Nur durch die Zusammenarbeit aller Kooperationspartner münden die individuellen Teilleistungen in dieses Ergebnis. 5.4.3

Zusammenfassung und Interpretation

Subjekte: Sowohl in den Schulkooperationsstrukturen, die von FU1 initiiert, als auch die, die von FU2 begründet wurden, sind beinahe dieselben Subjekte involviert. Allerdings verteilen sich die von FU2 auf mehrere Akteure, die jeweils als eigenständiges Tätigkeitssystem erfasst werden können. Diese Tatsache gründet darauf, dass FU1 lediglich die konzeptionelle Gestaltung und Rahmung der Berufsausbildungsstrukturen festlegt, die eigentliche Durchführung jedoch an die berufsbildende Schule outsourcet. FU2 hingegen legt nicht nur die konzeptionelle Gestaltung der Berufsausbildung fest, sondern ist auch unmittelbar an der Umsetzung beteiligt, indem es den Praxisunterricht im eigenen Ausbildungszentrum durchführt. Objekte: Da FU1 die Kooperation mit der berufsbildenden Schule verfolgt, um ausschließlich die eigenen Bedarfe von Fachkräften für die Produktion zu decken, spiegelt sich die klare Zieltrennung auch in den beiden Objekten wider. FU1 schafft die Rahmung der konzeptionellen Gestaltung, die berufsbildende Schule hingegen ist das ausführende Organ. Die Objekte der Schulkooperationstätigkeit, die durch das FU2 initiiert wurden, geben hingegen Aufschluss darüber, warum die einzelnen Akteure involviert sind und worin ihr jeweiliges Ziel besteht. Die beiden Verbundunternehmen wollen in erster

234

Erkenntnisdiskussion

Linie ihre eigenen Bedarfe an Fachkräften für die Produktion sichern, und zwar nicht nur kurzfristig, sondern langfristig durch die fortlaufende Ausbildung. Die lokale Regierung hingegen hat vor allem ein Interesse daran, die Situation auf den lokalen Arbeitsmärkten zu verbessern, damit der Zuwachs von deutschen Unternehmen nicht abbricht. Allerdings können die chinesischen Institutionen alleine die Ausbildung nach deutschen Qualifikationszuschnitten nicht bewerkstelligen, weshalb kooperative Strukturen mit deutschen Unternehmen erforderlich sind. Auch die berufsbildenden Schulen haben trotz anfänglicher Skepsis gegenüber den Strukturen nach Vorbild der deutschen dualen Berufsausbildung mittlerweile ein großes Interesse an Kooperationsformen mit deutschen Unternehmen entwickelt, da sie als Anreiz finanziell von der lokalen Regierung subventioniert werden. Weiterhin befinden sich die einzelnen berufsbildenden Schulen der Region in einer Wettbewerbssituation um Schüler/innen und die finanziellen Subventionen steigern das Prestige der Schulen, wodurch ein stärkerer Zuwachs von weiteren Kooperationsanfragen und damit auch eine steigende Anzahl von Schülern/innen zu erwarten sind. Die einzelnen Akteure, die in Kooperationsformen der Region involviert sind, können folglich als Promotoren, aber auch als Profiteure verstanden werden. Abbildung 19 verdeutlicht den daraus resultierenden Kreislauf.

Schulkooperation

235

Abbildung 19: Promotoren und Profiteure von Kooperationsstrukturen. Eigene Darstellung.

Instrumente: Auch hinsichtlich der erforderlichen Instrumente zeigt sich, dass sich die in der Schulkooperation, die von FU2 initiiert wurde, involvierten Instrumente auf mehrere Akteure verteilen. Ein wesentlicher Unterschied ergibt sich hinsichtlich der Maschinen, die für den Praxisunterricht von großer Relevanz sind. Während in der Schulkooperation von FU2 die Auszubildenden es sind, die ihren Lernort wechseln müssen, um an den Maschinen lernen zu können, sind es in der Schulkooperation von FU1 die Maschinen, die den Standort wechseln, damit die Auszubildenden produktionsadäquate praktische Erfahrungen an den Maschinen sammeln können. Regeln: Die Regeln der beiden Schulkooperationsformen sind im Wesentlichen gleich. Die jeweiligen involvierten Schulen treffen die Vorauswahl der Kandidaten/-innen. Durch Theorie- und Praxistests,

236

Erkenntnisdiskussion

welche die jeweiligen Unternehmen durchführen, sollen sodann die Besten herausgefiltert werden, die einen Ausbildungsplatz bekommen und in Unternehmensklassen das Programm durchlaufen. In beiden Schulkooperationen ist jeweils die Arbeit der AHK involviert, welche die Abschlussprüfungen durchführt und das AHK-Zertifikat ausstellt, welches das chinesische Zertifikat ergänzt. Der wesentliche Unterschied hinsichtlich der Regeln der beiden Schulkooperationen ist begründet durch die Einbindung der lokalen Regierung in der Kooperation des FU2, wodurch die involvierten Unternehmen die Verpflichtung eingehen, über die eigenen Bedarfe hinaus auszubilden. Gemeinschaft: Die Elemente der Gemeinschaft der beiden Schulkooperationen sind ebenfalls im Wesentlichen gleich. Zu verzeichnen sind die jeweiligen Kooperationspartner. Für FU2 konstituiert sich die Gemeinschaft zudem durch die lokale Regierung, die das Ausbildungszentrum finanziell subventioniert. Arbeitsteilung: Die Arbeitsteilung der Schulkooperationstätigkeit des FU1 spiegelt sich allein schon durch die Objekte der beiden Tätigkeitssysteme (O1 und O2) wider. Die Arbeitsteilung in Abbildung 17 visualisiert zudem, durch welche Akteure die Tätigkeiten des Unternehmens und der berufsbildenden Schule indirekt komplettiert werden, um das gemeinsame Ziel, das sich als Boundary Object abzeichnet, zu erreichen. Die Arbeitsteilung der Schulkooperationstätigkeit des FU2 hingegen ist in sich komplexer. Die jeweiligen Arbeitsteilungen lassen sich durch die Visualisierung in Abbildung 18 konkret abbilden. Es sind nur noch wenige weitere Akteure als die direkt involvierten notwendig, bspw. die Arbeit der AHK, um das gemeinsame Ziel zu erreichen, das als Boundary Object in Erscheinung tritt. Boundary Object: Im Vergleich der beiden Boundary Objects zeigt sich, dass FU1 die Kooperation initiiert hat, um Zerspanungsmechaniker/-innen für den eigenen Bedarf auszubilden. Durch das starke Einbringen von Trainern/-innen des Produktionswerks hinsichtlich

Hochschulkooperation

237

der konzeptionellen Gestaltung ist davon auszugehen, dass die Absolventen/-innen produktionsspezifisches Wissen sowohl in der Theorie als auch in der Praxis aufweisen, sodass sie im Anschluss unmittelbar in der Produktion eingesetzt werden können. FU2 hingegen profitiert zwar durch die Kooperation mit der lokalen Regierung von der finanziellen Subventionierung für das Ausbildungszentrum, allerdings hat es sich dadurch auch dazu verpflichtet, nicht nur für die eigenen Bedarf, sondern für die Bedarfe des gesamten Industrieparks auszubilden. Da der theoretische Unterricht jedoch an den eigenen Maschinen im unternehmensinternen Ausbildungszentrum durchgeführt wird und die beiden Verbundunternehmen das Vorrecht haben, den besten Absolventen Anschlussverträge in den Unternehmen anzubieten, ist das Boundary Object dieser Schulkooperation gleichzustellen mit dem des FU1. 5.5 Hochschulkooperation 5.5.1 Krones Krones arbeitet hinsichtlich der Ausbildung von Mechatronikern/innen mit Bachelorabschluss mit einer kooperierenden Brauschule sowie einer Hochschule zusammen, an denen die theoretische und die praktische Ausbildung erfolgen. Die Kooperationstätigkeit zwischen dem Fallunternehmen Kern-Liebers, der berufsbildenden Brauschule sowie der Hochschule kann als eigenständige Tätigkeit analysiert werden. Abbildung 20 visualisiert das daraus resultierende Beziehungsgefüge.34 Handelnde Subjekte sind Trainer/-innen, die über produktionsspezifisches Wissen verfügen und in die konzeptionelle Gestaltung der Lehrpläne involviert sind. Diejenigen, welche die Berufsausbildung durchlaufen, sind, je nachdem in welcher der drei kooperierenden Institutionen sie sich befinden, einer anderen Statusgruppe zuzuordnen. Im Unternehmen sind sie Praktikanten/-

34

Jeder Kooperationspartner ist als eigenes Tätigkeitssystem zu betrachten.

238

Erkenntnisdiskussion

innen, in der Brauschule sind sie Auszubildende und in der Hochschule sind sie Studierende des Studiengangs Mechatronik. Sie treffen in den jeweiligen Einrichtungen auf die anderen handelnden Subjekte: In der Brauschule auf die Praxislehrkräfte und die Schulleitung, in der Hochschule auf die Theorielehrkräfte und die Hochschulorgane. Das Objekt der Hochschulkooperationstätigkeit des FU1 (O1) ist das produktionsspezifische Erfahrungswissen, das die Subjekte durch ihre Praktikumstätigkeit im Unternehmen erlangen. Das zentrale Objekt der Tätigkeit bei der kooperierenden Brauschule (O2) ist die Vermittlung von Praxiswissen und das Objekt der kooperierenden Hochschule (03) die Vermittlung von Theoriewissen.

Hochschulkooperation

239

Abbildung 20: Hochschulkooperation als Boundary Object, Fallstudie Krones. Eigene Darstellung.

240

Erkenntnisdiskussion

Hinsichtlich der Instrumente stellt das Unternehmen der berufsbildenden Brauschule Maschinen (Abfüllanlagen) zur Verfügung. Sie agieren diesbezüglich Instrument teilend (vgl. Abbildung 20). Das Unternehmen verfolgt eine enge Lernortkooperation durch den regelmäßigen Austausch zwischen den Subjekten (Trainern/-innen) des Unternehmens und denen der Brauschule (Praxislehrkräften), um die produktionsadäquate Ausbildung zu begünstigen. Dazu nehmen die Praxislehrkräfte an Schulungen in der Trainingsakademie teil, die sich im Produktionswerk des Unternehmens befindet. Auch das AHK-Zertifikat ist als gemeinsames Instrument zu werten, da das Unternehmen Auszubildende in der Produktion einstellen möchte, die das AHK-Zertifikat erlangt haben, und die berufsbildenden Schulen die inhaltliche Gestaltung so auszulegen haben, dass die Auszubildenden die Abschlussprüfungen, die durch die AHK organisiert werden, bestehen können. In der chinesischen Hochschule nehmen die Studierenden an den Lehrveranstaltungen des Studiengangs Mechatronik teil und haben die jeweiligen Prüfungsleistungen zu erbringen. Darüber hinaus definiert Krones Regeln, die von den Kooperationspartnern einzuhalten sind. Die erste Regel betrifft die Rekrutierung der Studierenden, die zugleich auch Auszubildende sind. Sie findet in der Hochschule unter denjenigen Studierenden des Studiengangs Mechatronik statt, die bereits das erste Studienjahr abgeschlossen haben. Krones versucht, die besten Studierenden für die unternehmensinterne Klasse auszuwählen, die ab Beginn des zweiten Studienjahres parallel zum Studium mit der 3-jährigen Berufsausbildung beginnen. Die praktischen Anteile werden in der berufsbildenden Brauschule gelehrt. Dieser Ablauf ist erforderlich, um die landesspezifische Rahmung zu erfüllen, die sich durch das chinesische Hochschulgesetz ergibt und daher als weitere Regel zu erfassen ist. Die Pfeilrichtungen in Abbildung 20 verdeutlichen den starken Einfluss des Unternehmens auf die Handlungen der kooperierenden Einrichtungen. Eine Besonderheit stellt die Regel hinsichtlich des Einsatzes

Hochschulkooperation

241

der Abfüllanlagen dar, die das Unternehmen der berufsbildenden Brauschule zur Verfügung stellt. In erster Linie soll sie die produktionsadäquate Praxisausbildung der Auszubildenden ermöglichen. Darüber hinaus stellt sie aber auch einen Anreiz dar, um die Kooperation seitens der Brauschule aufrechtzuerhalten, denn diese hat die Erlaubnis, auch die eigens hergestellte Biersorte mittels der Anlage abzufüllen. Als Elemente der Gemeinschaft sind die jeweiligen Kooperationspartner zu verzeichnen. Bei Kern-Liebers und der berufsbildenden Brauschule kommt zusätzlich die AHK dazu, welche die Zertifizierung vornimmt. Die drei Kooperationspartner, die als eigenständige Tätigkeitssysteme fungieren, ergänzen sich in ihrer Arbeitsteilung. Während die berufsbildende Brauschule den Theorieunterricht durchführt und die Berufsausbildung zertifiziert, findet die theoretische Ausbildung an der Hochschule statt, wodurch die Subjekte ihren Bachelorabschluss erlangen. Die Erfahrung in der Produktion erlangen sie wiederum durch ihre Praktikumstätigkeit im Unternehmen. Krones übernimmt weiterhin die Kommunikation zwischen den einzelnen Partnern, um eine gemeinsame Abstimmung zu erzielen. Nur durch diese Arbeitsteilung gelingt es den drei Kooperationspartnern, auf ihr gemeinsames Ziel hinzuwirken, das sich in Form eines Boundary Objects (O4) abzeichnet. Dabei handelt es sich um die Ausbildung von Mechatronikern/-innen mit Bachelorabschluss. Nur durch die Zusammenarbeit aller Kooperationspartner münden die individuellen Teilleistungen in dieses Ergebnis. 5.5.2

Kern-Liebers

Kern-Liebers initiiert hinsichtlich der Ausbildung von Fachkräften mit einem landesspezifischen Bachelor-Doppelabschluss eine Kooperationsstruktur, in die mehrere deutsche Unternehmen, die lokale Regierung von Taicang sowie jeweils eine deutsche und eine chine-

242

Erkenntnisdiskussion

sische Hochschule involviert sind. Die Kooperationstätigkeit zwischen diesen Akteuren kann als eigenständige Tätigkeit analysiert werden. Abbildung 21 visualisiert das daraus resultierende Beziehungsgefüge.35 Handelnde Subjekte der Kooperationsstrukturen sind seitens der deutschen Unternehmen die jeweiligen HR-Abteilungen, welche die Personalbedarfe ermitteln und die jeweiligen Kandidaten/-innen für die Unternehmensklassen auswählen. Diejenigen, die im Rahmen der Kooperation ausgebildet werden, sind zu bestimmten Abschnitten in ihrer Ausbildung als Praktikanten/-innen in den jeweiligen deutschen Unternehmen tätig. Während ihrer theoretischen Ausbildung, die an den Hochschulen stattfindet, haben dieselben Subjekte allerdings den Status als Studierende. Sie treffen in den Hochschulen auf die jeweiligen Hochschulorgane, die als weitere Subjekte der Hochschultätigkeit betrachtet werden können. Seitens der lokalen Regierung sind die Subjekte die Regierungsvertreter/-innen. Das Objekt der Hochschulkooperationstätigkeit von Kern-Liebers und den anderen deutschen Unternehmen (O1) ist die Vermittlung von produktionsspezifischem Erfahrungswissen. Das Objekt der lokalen Regierung von Taicang (O2) ist hingegen die nachhaltige Versorgung des Arbeitsmarktes mit Fachkräften, die für anspruchsvolle Tätigkeiten in deutschen Unternehmen qualifiziert sind. Die beiden Hochschulen leisten hierzu ihren wertvollen Beitrag, in dem sie den Absolventen des Programms einen Bachelor-Doppelabschluss verleihen. Deshalb kann hinsichtlich der deutschen Hochschule als Objekt (O3) die Zertifizierung des deutschen Bachelors und hinsichtlich der chinesischen Hochschule als Objekt (O4) die Zertifizierung des chinesischen Bachelors identifiziert werden. Die jeweiligen Instrumente der Hochschulkooperationstätigkeit sind seitens der Unternehmen Praktika, durch welche die Zielgruppe produktionsspezifisches Erfahrungswissen erwerben und aufbauen soll. Die beiden Partnerhochschulen vermitteln Theoriewissen durch 35

Jeder Kooperationspartner ist als eigenes Tätigkeitssystem zu betrachten.

Hochschulkooperation

243

Lehrveranstaltungen in den jeweiligen Studiengängen und erfassen den Lernfortschritt durch Prüfungen. Damit die Zertifizierung eines Doppelabschlusses erfolgen kann, sind Hochschulgesetze einzuhalten, weshalb hinsichtlich der lokalen Regierung das chinesische Hochschulgesetz als Instrument identifiziert werden kann. Aufgrund der Analyse mittels der Tätigkeitssysteme lassen sich diverse Regeln ableiten. So ist die landesspezifische Rahmung einzuhalten, durch welche der chinesische Bachelor, der auf vier Jahre ausgelegt ist, mit dem deutschen Bachelor, der auf drei Jahre ausgelegt ist, in den Strukturen der Hochschulkooperation zu vereinen ist. Aus diesem Grund existiert die Regel, dass die Unternehmen ihre Kandidaten/-innen aus denjenigen Studierenden der chinesischen Hochschule auswählen dürfen, die bereits ihr erstes Studienjahr abgeschlossen haben. Diese wiederum setzen den weiteren Verlauf ihres Studiums an der deutschen Hochschule fort und verbringen dort insgesamt drei Jahre einschließlich eines Praktikums in den jeweiligen deutschen Unternehmen in Taicang, durch welche sie ausgewählt wurden. Da die Regierung die Ausbildung in Rahmen dieses Programms subventioniert, nimmt sie weiterhin durch die Regel Einfluss, dass die Unternehmen über den eigenen Bedarf hinaus Kandidaten/-innen aufnehmen, die nach dem Abschluss auf die lokalen Arbeitsmärkte fließen.

244

Erkenntnisdiskussion

Abbildung 21: Hochschulkooperation als Boundary Object, Fallstudie Kern-Liebers . Eigene Darstellung.

Hochschulkooperation

245

Die Elemente der Gemeinschaft der vier involvierten Tätigkeitssysteme ergänzen sich nur teilweise gegenseitig. Die chinesische Hochschule hat als Gemeinschaft lediglich die Studierenden des ersten Studienjahres aufzuweisen, aus denen die deutschen Unternehmen die besten Kandidaten/-innen auswählen. Diejenigen, die nicht ausgewählt werden, setzen ihr Studium an der chinesischen Hochschule fort, die ausgewählten Studierenden hingegen schließen ihr Bachelorstudium an der deutschen Partnerhochschule nach weiteren drei Jahren ab. Für die deutsche Hochschule zählt die chinesische Partnerhochschule daher zur Gemeinschaft, denn die Studierenden bringen ihr erlangtes theoretisches Vorwissen mit. Weiterhin treffen sie auf unterschiedliche Unternehmenskohorten, welche die Lehrveranstaltungen gemeinsam belegen. Für die lokale Regierung bilden die drei institutionellen Kooperationspartner die Gemeinschaft, einschließlich der jeweiligen Studierenden, die das Programm durchlaufen, da sie die Ausbildung der Studierenden finanziert. Auch für die Unternehmen stellen die einzelnen involvierten institutionellen Kooperationspartner die Gemeinschaft dar, einschließlich der anderen deutschen Unternehmen, die jeweils um die besten Kandidaten/-innen für ihre eigene Unternehmenskohorte konkurrieren. Während die lokale Regierung hinsichtlich der Arbeitsteilung die Finanzierung übernimmt und daher auch die Richtlinien vorgibt, die von den deutschen Unternehmen und den beiden Hochschulen einzuhalten sind, bewerkstelligen die Partnerhochschulen die theoretische Ausbildung unter Berücksichtigung der landesspezifischen Hochschulgesetze. Die Unternehmen sorgen hingegen nach der Selektion der Kandidaten/-innen im Rahmen von Praktika dafür, dass die Praktikanten/-innen durch eine enge Betreuung produktionsspezifisches Erfahrungswissen sammeln können. Aus den Objekten der Kooperationstätigkeit der deutschen Unternehmen, einschließlich des Unternehmens Kern-Liebers (O1) sowie des Objekts der lokalen Regierung (O2) und der Objekte der kooperierenden Verbundhochschulen (O3 und O4), geht ein Boundary

246

Erkenntnisdiskussion

Object (05) hervor. Dabei handelt es sich um die Qualifizierung von Fachkräften mit Bachelor-Doppelabschluss für die Region Taicang. Nur durch die Zusammenarbeit aller Kooperationspartner münden die individuellen Teilleistungen in dieses Ergebnis. 5.5.3

Zusammenfassung und Interpretation

Subjekte: Hinsichtlich der Subjekte der beiden Hochschulkooperationsstrukturen, die durch das FU1 und das FU2 jeweils initiiert wurden, lassen sich Unterschiede feststellen. Die Lernenden, welche die Ausbildungsstrukturen des FU1 durchlaufen, haben, je nachdem an welchem der drei Lernorte sie sich befinden, unterschiedliche Status. Es gibt folglich drei Statusgruppen: Praktikanten/-innen, Auszubildende und Studierende. Obgleich in den Strukturen des FU2 eine größere Anzahl von Akteuren involviert ist, haben die Lernenden je Lernort nur zwei Status: Praktikanten/-innen in den Unternehmen und Studierende an den Hochschulen. Daraus lässt sich schlussfolgern, dass die Absolventen der Kooperationsstrukturen, die durch das FU2 initiiert wurden, in breiter gefächerten Berufssparten eingesetzt werden sollen als diejenigen Absolventen/-innen, die das Ausbildungsprogramm einschließlich Bachelorstudium des FU1 absolviert haben. Dies lässt sich damit begründen, dass die Hochschulkooperation, in die das FU2 involviert ist, durch die lokale Regierung von Taicang finanziert wird, weshalb in diesem Fall zwar eine produktionsspezifische, nicht aber eine unternehmensspezifische Qualifizierung anvisiert wird. Objekte: Die Objekte der beiden Hochschulkooperationsformen unterscheiden sich grundlegend voneinander. So spiegeln die Objekte der Kooperationstätigkeit, die durch das FU1 begründet wurde, eine klare Zieltrennung der drei involvierten Tätigkeitssysteme wider. Sie ergänzen sich gegenseitig und folgen in ihrer Dualität aus Theorieund Praxisunterricht, die an verschiedenen Lernorten stattfinden, sowie durch ihre unternehmensspezifische Ausrichtung dem Vorbild

Hochschulkooperation

247

der deutschen dualen Berufsausbildung. Die Objekte der Kooperationstätigkeit, die durch das FU2 initiiert wurden, knüpfen hingegen eher an akademisch ausgerichtete Strukturen an und bereiten die Lernenden auf breit gefächerte anspruchsvolle Tätigkeiten vor. Insbesondere durch die landesspezifische Doppelzertifizierung in Form eines deutschen und zugleich eines chinesischen Bachelorabschlusses zeigt sich der nachhaltige Ansatz, heute akademische Absolventen für morgen auszubilden. Die Absolventen werden tief verwurzelt sein mit der Region Taicang, hoch sensibilisiert sein für die deutsche Kultur, gute Fremdsprachenkenntnisse in Deutsch und Englisch aufweisen und zudem über produktionsadäquates Fachwissen verfügen. Damit werden die Fachkräfte des Gastlands die besten Voraussetzungen erfüllen, um zukünftig auch die Innovation in den deutschen Unternehmen des Industrieparks in Taicang vorantreiben zu können. Instrumente: Auch hinsichtlich der Instrumente zeigt sich, dass die Hochschulkooperation des FU1 unternehmensspezifisch ausgelegt ist. Das Unternehmen stellt eine Abfüllanlage zur Verfügung, an der die Studierenden unternehmensspezifisches Praxiswissen entwickeln und aufbauen können. Zusätzlich nehmen die Praxislehrkräfte an Schulungen in der unternehmensinternen Trainingsakademie teil, um das unternehmensspezifische Fachwissen als Multiplikatoren an die Auszubildenden weitergeben zu können. Die Kooperation ist Instrument teilend zwischen den Tätigkeiten des Unternehmens und der Tätigkeit der berufsbildenden Brauschule ausgelegt (vgl. Abbildung 20). Die Instrumente der Tätigkeiten der Hochschulkooperation des FU2 hingegen fokussieren sich alleinig auf die individuellen Tätigkeitssysteme selbst. Es findet kein Austausch hinsichtlich der angewendeten Instrumente einzelner Akteure statt, auch dies unterstreicht die akademische Ausbildungsform, die nicht auf individuelle Unternehmen, sondern kollektiv auf alle Unternehmen des Industrieparks ausgerichtet ist. Regeln: Es sind unterschiedliche Regeln in den beiden Hochschulkooperationsstrukturen, die durch das FU1 und das FU2 jeweils

248

Erkenntnisdiskussion

begründet wurden, zu erkennen. Abbildung 20 und Abbildung 21 visualisieren, welche Akteure bzw. Tätigkeitssysteme regelgenerierend handeln. Im FU1 ist es das Unternehmen selbst, im FU2 die lokale Regierung. Daraus lässt sich schließen, dass unabhängig davon, durch welchen Akteur eine Hochschulkooperation initiiert wird, vielmehr die Art der Kooperation und insbesondere auch die Frage, wer die Kooperation finanziert, darüber entscheiden, welches Tätigkeitssystem regelgenerierend wirkt. Gemeinschaft: Hinsichtlich der Elemente der Gemeinschaft zeichnet sich ab, dass diejenigen Akteure, die in die Kooperation eingebunden sind, auch jeweils die Gemeinschaft ausmachen. Sofern das Ziel der Abschluss durch eine Berufsausbildung ist, wie es bei der Hochschulkooperation der Fall ist, die durch das FU1 begründet wurde, ist als Gemeinschaftselement zusätzlich die AHK seitens des Unternehmens und der involvierten berufsbildenden Schulen zu benennen. Die jeweiligen Hochschulen kommen nicht mit der AHK in Kontakt, da diese keine Hochschulabschlüsse zertifiziert. Anders formuliert, ist für die Etablierung von Hochschulkooperationsstrukturen, die das deutsche Hochschulwesen tangieren, die Einbindung von Akteuren notwendig, die einen deutschen Hochschulabschluss zertifizieren dürfen. Arbeitsteilung: In beiden Hochschulkooperationstätigkeiten sind jeweils deutsche Unternehmen involviert, welche die Selektion der Kandidaten/-innen für die Unternehmensklassen vornehmen. In beiden Fällen kommen die Unternehmen während der Ausbildungszeit jedoch lediglich während der Praktikaphasen mit den Nachwuchskräften in Kontakt, denn die Hauptlernorte stellen die institutionell eingebundenen berufsbildenden Schulen und Hochschulen dar. Da FU2 ausschließlich mit Hochschulen kooperiert, die eine theoretische Ausbildung leisten, ist zu erwarten, dass die Absolventen der Kooperation, die durch das FU2 begründet wurde, über deutlich weniger Praxiserfahrungen verfügen als diejenigen, welche die Hochschulkooperation des FU1 durchlaufen haben. Wie Abbildung 21

Hochschulkooperation

249

zeigt, handelt in der Hochschulkooperationstätigkeit des FU2 zudem die lokale Regierung regelgenerierend, allerdings gehört die Kommunikation nicht zu ihrer Arbeitsteilung. Auch die Unternehmen kommunizieren nur begrenzt mit den involvierten Akteuren, jedoch nicht zu Zwecken der Lernortkooperation. Daher ist davon auszugehen, dass die Absolventen/-innen deutlich weniger Praxisfähigkeiten und -fertigkeiten aufweisen werden als diejenigen, welche die Hochschulkooperation durchlaufen haben, die durch das FU1 begründet wurden. Denn das FU1 legt auch hinsichtlich dieser Kooperation besonderen Wert auf eine gute Kommunikation und Lernortkooperation, weshalb diese zu ihrer wesentlichen Arbeitsteilung zählen. Boundary Objekt: Die Boundary Objects der beiden Hochschulkooperationstätigkeiten sind durch die Gemeinsamkeit gekennzeichnet, dass das Ziel der Qualifizierung von Fachkräften in beiden Fällen mit der Zertifizierung eines Bachelorabschlusses einhergeht. Allerdings erlangen die Subjekte im Falle der Kooperation von FU1 zusätzlich eine unternehmensspezifisch ausgerichtete Berufsausbildung, weshalb sie nach Abschluss unmittelbar in der chinesischen Niederlassung desselben Unternehmens eingesetzt werden können. Das Boundary Object der Kooperation, in die mehrere deutsche Unternehmen, darunter auch das FU2, involviert sind, vermittelt den angehenden Akademikern/-innen allerdings nur im Rahmen eines Praktikums von drei Monaten produktionsspezifisches Erfahrungswissen. Das gemeinsame Ziel dieser Kooperationstätigkeit ist es daher eher, akademische Fachkräfte für den Industriepark Taicang kollektiv zu qualifizieren und auf unternehmensspezifische Kontexte vorzubereiten.

250

Erkenntnisdiskussion

5.6 Commitment 5.6.1 Krones Das Subjekt der zentralen Tätigkeit Commitment sind Fachkräfte mit produktionsadäquaten Berufsqualifikationen. Gemeint sind insbesondere diejenigen Mitarbeiter/-innen, die durch das Unternehmen aus- und weiterentwickelt wurden und aus diesem Grund besonders wertvoll für die Unternehmen sind. Das Unternehmen steht folglich vor der Herausforderung, die entsprechenden Mitarbeiter/innen möglichst langfristig im Unternehmen zu halten. Das Objekt der zentralen Tätigkeit Commitment ist die Herstellung von Firmenidentität, die auf jede/-n einzelne/-n Mitarbeiter/-in wirkt. Ziel ist es folglich, die Fachkräfte langfristig an das Unternehmen zu binden, Fluktuation und Abwerbung zu vermeiden. Es kann eine Reihe von Instrumenten identifiziert werden. Dazu gehören Ausflüge und Abendessen, die abteilungsintern vom Unternehmen organisiert werden. Weiterhin werden chinesische Feiertage, wie das Chinesische Neujahr, abteilungsübergreifend zelebriert. Auch das Gehalt ist ein wichtiges Instrument, denn überdurchschnittliche Gehälter in den jeweiligen Arbeitsbereichen wirken sich erfahrungsgemäß positiv auf die Verweildauer im Unternehmen aus. Ein weiteres Instrument, um die Firmenidentität zu fördern, ist es, den Mitarbeitern-/innen aller Bereiche ein gewisses Verständnis über das hergestellte Produkt zu vermitteln, Produktidentifikation zu schaffen. Diese äußert sich darin, dass die Mitarbeiter/innen einen gewissen Stolz entwickeln und sich wertgeschätzt fühlen für ihren Beitrag, den sie für die Herstellung des Endprodukts leisten. Weiterhin zeigt sich, dass es förderlich für die Bindung zum Unternehmen ist, wenn die Mitarbeiter/-innen nicht nur Arbeitskollegen/-innen, sondern auch Freunde sind, sich die Bereiche Arbeit und Privates also miteinander verbinden. Deshalb begrüßt das Unternehmen auch die Möglichkeit, Familienmitglieder und Freunde als Arbeitskollegen/-innen zu werben. Schließlich wird als Instrument der zentralen Tätigkeit Commitment auch von vertraglichen

Commitment

251

Bindungen Gebrauch gemacht. Mitarbeiter/-innen, die an gewissen Qualifizierungsmaßnahmen teilgenommen haben und die durch das Unternehmen finanziert wurden, müssen für eine gewisse Zeit im Unternehmen verbleiben, ansonsten müssen die Weiterbildungskosten zu einem gewissen Anteil erstattet werden.

Abbildung 22: Zentrale Tätigkeit Commitment in der Fallstudie Krones. Eigene Darstellung.

Hinsichtlich der zentralen Tätigkeit Commitment sind Regeln zu verzeichnen. Sie betreffen zum einen die Loyalität der Mitarbeiter/innen. Diejenigen, die ihre Loyalität beweisen, erhalten Prämien, die

252

Erkenntnisdiskussion

wiederum als Anreiz dienen, sich loyal zu verhalten. Die angewandten Instrumente, die zu einer hohen Firmenidentität beitragen sollen, sind unter der Berücksichtigung der landesspezifischen Konventionen konzipiert worden. Das heißt, die jeweiligen Bindungsstrategien wurden von chinesischen Unternehmen adaptiert und werden bspw. im Headquarter in Deutschland in dieser Form nicht durchgeführt. Schließlich ist noch die Regel zu benennen, die Mitarbeiter/-innen betrifft, die Abwerbungsangebote durch andere deutsche Unternehmen erhalten haben. Diejenigen, die ein solches Angebot annehmen, haben hinterher keine Möglichkeit mehr, in das FU1 zurückzukehren. Die Entscheidung gegen das Unternehmen ist dauerhaft, es gibt kein Zurück. Die Gemeinschaft der zentralen Tätigkeit Commitment ergibt sich durch alle Abteilungen des Unternehmens, da viele Maßnahmen abteilungsintern durchgeführt werden. Weiterhin sind Familienmitglieder und Freunde zu nennen, da das Unternehmen Wert auf eine Verzahnung der Bereiche Arbeit und Privates legt und die Verbindung der beiden Bereiche unterstützt. Darüber hinaus sind auch die weiteren deutschen Unternehmen zu nennen, die trotz der Existenz des Gentlemen-Agreements Versuche unternehmen könnten, Fachkräfte abzuwerben. Über die Arbeitsteilung ergibt sich das Netzwerk aus erfüllenden Tätigkeitssystemen, das die zentrale Tätigkeit erfüllt. Zu nennen ist hierbei die Tätigkeit der Stammmitarbeiter /-innen, die teilweise als Promotoren fungieren, indem sie Freunden und Familienmitgliedern empfehlen, sich bei FU1 zu bewerben. Weiterhin gilt der Herstellungsprozess als erfüllendes Tätigkeitssystem, da ein gewisses Verständnis über das hergestellte Produkt allen Mitarbeitern/-innen des Unternehmens vermittelt wird.

Commitment

5.6.2

253

Kern-Liebers

Das Subjekt der zentralen Tätigkeit Commitment sind Fachkräfte mit produktionsadäquaten Berufsqualifikationen. Gemeint sind insbesondere diejenigen Mitarbeiter/-innen, die durch das Unternehmen aus- und weiterentwickelt wurden und aus diesem Grund besonders wertvoll für die Unternehmen sind. Das Unternehmen steht folglich vor der Herausforderung, die entsprechenden Mitarbeiter/innen möglichst langfristig im Unternehmen zu halten. Das Objekt der zentralen Tätigkeit Commitment ist die Herstellung von Firmenidentität, die auf jede/-n einzelne/-n Mitarbeiter/-in wirkt. Das Ziel ist folglich darauf ausgerichtet, die Fachkräfte langfristig an das Unternehmen zu binden, Fluktuation und Abwerbung zu vermeiden.

Abbildung 23: Zentrale Tätigkeit Commitment in der Fallstudie Kern-Liebers. Eigene Darstellung.

254

Erkenntnisdiskussion

Als Instrumente können Maßnahmen verzeichnet werden, die zu einer angenehmen Arbeitsatmosphäre im Unternehmen beitragen sollen. Im Rahmen von unternehmensinternen Ausflügen werden landestypische Freizeitaktivitäten durchgeführt, die von chinesischen Unternehmen adaptiert wurden und in dieser Form nicht im Headquarter in Deutschland vorzufinden sind. Auch das betriebliche Vorschlagswesen wird unter Berücksichtigung von landesspezifischen Konventionen verfolgt und soll ebenso wie das Schaffen von Privilegien, bspw. in Form von Reisen, die Firmenidentität der Mitarbeiter/-innen fördern. Es können Regeln identifiziert werden, die das Ziel der Firmenidentität begünstigen. Zum einen sollen die Mitarbeiter/-innen durch die Gestaltung einer angenehmen Unternehmensatmosphäre sanft an das Unternehmen gebunden werden. Es erfolgt bewusst keine Bindung durch das Ausüben von Druck, wie es bspw. durch die vertragliche Bindung passieren würde. Es wird versucht, die Atmosphäre im Unternehmen kontinuierlich zu verbessern, weshalb Optimierungsvorschläge durch das betriebliche Vorschlagswesen abgefragt werden. Hierzu kann die Regel formuliert werden, dass diese Maßnahme nur im Beisein aller Mitarbeiter/-innen funktioniert, allerdings außerhalb des Unternehmens durchgeführt werden muss, sodass hierarchische Strukturen im Unternehmen kein Hindernis darstellen. Hinsichtlich der Gefahr der Abwerbung durch andere Unternehmen kann festgehalten werden, dass Abwerbungsversuche nicht durch das Anbieten von Gehaltserhöhungen, unter der Voraussetzung, dass entsprechende Mitarbeiter/-innen das Abwerbungsangebot annehmen, beantwortet werden. Denn das würde dazu führen, dass die Gehälter der Region kontinuierlich ansteigen. Die Elemente der Gemeinschaft der zentralen Tätigkeit umfassen alle Unternehmensbereiche des FU2, da Wert darauf gelegt wird, alle Mitarbeiter/-innen gleichzeitig einzubinden. Weiterhin sind Familienmitglieder und Freunde zu benennen, da das Unternehmen großen Wert auf die Verzahnung der Bereiche Arbeit und Privates

Commitment

255

legt. Denn die Eltern üben großen Einfluss auf die Karrierewege ihrer Kinder aus und kommen deshalb bspw. in Form eines Familientags mit dem Unternehmen in Berührung. Darüber hinaus sind auch die weiteren deutschen Unternehmen zu nennen, die trotz der Existenz des Gentlemen-Agreements Versuche unternehmen könnten, Fachkräfte abzuwerben. Über die Arbeitsteilung ergibt sich das Netzwerk aus erfüllenden Tätigkeitssystemen, das die zentrale Tätigkeit erfüllt. Zu nennen ist hierbei die Tätigkeit des deutschen Unternehmertums, das im Rahmen des Gentlemen-Agreements die gegenseitige Abwerbung von Fachkräften unterbinden will. Trotzdem gibt es mindestens ein deutsches Unternehmen, welches sich bewusst nicht daran hält und Abwerbungsversuche unternimmt. 5.6.3

Zusammenfassung und Interpretation

Subjekt: Sowohl im FU1 als auch im FU2 sind die Subjekte der zentralen Tätigkeit Commitment jeweils Fachkräfte mit produktionsadäquaten Berufsqualifikationen. Gemeint sind insbesondere diejenigen Mitarbeiter/-innen, die durch das Unternehmen aus- und weiterentwickelt wurden und aus diesem Grund für die Unternehmen besonders wertvoll sind. Die Unternehmen stehen folglich beide vor der Herausforderung, die entsprechenden Mitarbeiter/-innen möglichst langfristig im Unternehmen zu halten. Objekt: Auch das Objekt der zentralen Tätigkeit Commitment ist in beiden Fallstudien identisch und betrifft die Herstellung von Firmenidentität, die auf jede/-n einzelne/-n Mitarbeiter/-in wirkt. Ziel ist es folglich, die Fachkräfte langfristig an das Unternehmen zu binden, Fluktuation und Abwerbung zu vermeiden. Instrumente: Hinsichtlich der angewandten Instrumente in den beiden Fallstudien lässt sich erkennen, dass die jeweiligen Bindungsstrategien unter Berücksichtigung landesspezifischer Konventionen durchgeführt werden. In diesem Zuge wurden zum einen Bindungs-

256

Erkenntnisdiskussion

strategien chinesischer Unternehmen adaptiert oder Bindungsstrategien, die in Deutschland erfolgreich sind, an die kulturellen Gegebenheiten des Gastlands China angepasst. Der Unterschied der beiden Fallstudien liegt darin begründet, dass FU1 mitunter vertragliche Bindungen anwendet, durch die Mitarbeiter/-innen durch das Ausüben von Druck an das Unternehmen gebunden werden sollen, während FU2 versucht, dies bewusst zu vermeiden. Regeln: Hinsichtlich der Regeln, welche die zentrale Tätigkeit Commitment formen, ist ein wesentlicher Unterschied zu verzeichnen, der sich auf die Haltung gegenüber Abwerbungsversuchen durch andere deutsche Unternehmen widerspiegelt. Während FU1 offensive Bindungsstrategien anwendet und Mitarbeiter/-innen, die Abwerbungsangebote angenommen haben, nicht zurücknimmt, verhält sich FU2 eher defensiv und wendet sanfte Bindungsstrategien an, um die Fachkräfte im Unternehmen zu halten. In diesem Zuge überlässt es die Entscheidung, Abwerbungsversuche anzunehmen oder auszuschlagen, alleine den Mitarbeitern/-innen, und ist offen für diejenigen, die nach einigen Jahren wieder zurückkehren wollen. Gemeinschaft: Die Elemente der Gemeinschaft der zentralen Tätigkeit sind im FU1 und FU2 identisch. Die Bindungsstrategien sollen alle Mitarbeiter/-innen aller Unternehmensbereiche erreichen. Weiterhin sind Familienmitglieder und Freunde zu benennen, da die Unternehmen großen Wert auf die Verzahnung der Bereiche Arbeit und Privates legen. Schließlich sind in beiden Fällen auch die weiteren deutschen Unternehmen zu erwähnen, die trotz der Existenz des Gentlemen-Agreements teilweise Versuche unternehmen, Fachkräfte abzuwerben. Arbeitsteilung: Die erfüllenden Tätigkeitssysteme, welche die zentrale Tätigkeit Commitment erfüllen, sind zwar in beiden Fallstudien unterschiedlich, jedoch zeigt sich, dass alle involvierten Akteure durch ihre Arbeitsteilung zu den Bindungsstrategien, dem Fluktuationsverhalten und der Abwerbungsproblematik im Industriepark bei-

Commitment

257

tragen. Sie teilen dieselben Herausforderungen, reagieren aber innerhalb der Elemente des Tätigkeitssystems unterschiedlich, jedoch auf ihre Weise jeweils erfolgreich.

Schlussbetrachtung 6

Fazit und Ausblick

Das abschließende Kapitel wirft zunächst einen kritischen Blick auf den Forschungsprozess und die angewandten Methoden. Darauf folgt eine Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse, bevor schließlich der weitere Forschungsbedarf für zukünftige Untersuchungen aufgezeigt wird. 6.1

Reflexion des Forschungsprozesses

Das Ziel der vorliegenden Forschungsarbeit war darauf ausgerichtet, Antworten darüber zu liefern, wie deutsche Unternehmen in China den Zugang zu entsprechend qualifiziertem Fachpersonal im Gastland konkret sichern. Weiterhin sollte sie herauskristallisieren, inwiefern Rekrutierungs-, Qualifizierungs- und Bindungsmaßnahmen durch deutsche Unternehmen an die jeweiligen landesspezifischen Konventionen angepasst werden. Für die Analyse und Interpretation dieser komplexen Sachverhalte war es erforderlich, tief in das Untersuchungsgebiet einzutauchen, weshalb das Vorgehen mittels Fallstudienforschung gewählt wurde. Obwohl Fallstudien, sofern die ausgewählten Fälle inklusive ihrer speziellen Merkmale dicht und umfassend beschrieben wurden, den Vorteil bieten, dass konkrete Handlungsmuster der Praxis zu einem beliebigen Zeitpunkt nachvollzogen werden können, unterliegen sie vor allem der Kritik hinsichtlich ihrer Objektivität, Repräsentativität und Verallgemeinerbarkeit der Ergebnisse (Lamnek & Krell, 2010; Wrona, 2005). Diesen Vorwurf unterliegen nicht nur Fallstudien, sondern auch qualitative Forschungsvorgehen aufgrund ihrer schwierigen systematischen Aufbereitung der Daten und Erkenntnisse im Allgemeinen. Da

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 L. Holle, Personalstrategische Maßnahmen von deutschen Unternehmen in China, Internationale Berufsbildungsforschung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26219-8_5

260

Fazit und Ausblick

beide Aspekte auf das methodische Vorgehen der vorliegenden Arbeit zutreffen, soll aufgezeigt werden, durch welche Vorgehensweisen versucht wurde, die Wissenschaftlichkeit des Forschungsprozesses einzuhalten. Datenerhebung Wie bereits in Kapitel 4.5.1 Präzisierung des Leitfadens und der Fallauswahl erläutert, wurden die Fälle in einem zweistufigen Verfahren der Felderkundung ausgewählt. Durch die Gespräche, die in der ersten Phase der Felderkundung geführt wurden, konnten wesentliche Hinweise darüber gesammelt werden, welche deutschen Unternehmen eine Schlüsselposition hinsichtlich der Aus- und Weiterbildung von Gastlandarbeitern/-innen in der Region einnehmen. Weiterhin konnten durch die erste Felderkundung teilweise Kontakte zu weiteren Probanden/-innen für die darauf folgende Erhebungsrunde hergestellt werden, und zwar entweder durch direkte Empfehlung bzw. Vermittlung oder indem Spuren, die während der Felderkundung aufgegriffen wurden, weiterverfolgt wurden. Auf diese Weise konnten Unternehmen und Interviewprobanden/-innen identifiziert und gezielt kontaktiert werden, die aufgrund ihrer Reputation im Feld besondere Bedeutsamkeit für die vorliegende Forschungsarbeit verhießen. Im Rahmen der zweiten Felderkundung fanden sodann Erhebungen in deutschen Unternehmen statt, die aufgrund der ersten Erhebungsphase identifiziert werden konnten. Zwei der Unternehmen dieser Erhebungsphase fungieren als Fallunternehmen der vorliegenden Forschungsarbeit. Allerdings wurden sie erst im Nachgang an die Erhebungsphase als solche ausgewählt. Für die Interviewführung und die Produktionsbegehung vor Ort war jeweils nur ein Tag vorgesehen, weshalb zu jedem Termin versucht wurde, möglichst reichhaltige Daten mittels eines Methodenmix aus leitfadengestützten Interviews, Dokumentenanalyse und Beobachtung auf

Reflexion des Forschungsprozesses

261

Produktionsebene zu sammeln. Um als Forscher/-in tief in den Untersuchungsgegenstand einzutauchen, wie es für die Untersuchung mittels Fallstudienforschung erforderlich ist, wäre es von Vorteil gewesen, nach dem zweistufigen Verfahren der Felderkundung bzw. nachdem die jeweiligen Fälle feststanden, nochmals in das Feld einzutauchen, dann jedoch gezielt an mehreren Tagen in den spezifischen Unternehmen, die als Fälle fungieren. Für anschließende Forschungsarbeiten würde es sich unter diesen Gegebenheiten anbieten, nicht nur mit denjenigen zu sprechen, die an der Leitungsspitze stehen, sondern auch mit Vertretern/-innen der HR-Abteilung oder einzelnen Trainern/-innen, um hinsichtlich der Qualifizierungsmaßnahmen von den Erfahrungen derjenigen profitieren zu können, die unmittelbar mit den Lernenden in Kontakt stehen. Die Erkenntnisse der vorliegenden Forschungsarbeit gründen überwiegend auf dem Datenmaterial, das durch Experten/-inneninterviews erhoben wurde. Verwendet wurde hierfür ein strukturgebender, aber dennoch offen gehaltener Leitfaden, der es zulassen sollte, die Reihenfolge der Themen zu variieren und vertiefende Fragen zu stellen. Dieser sollte bewusst genügend Freiraum für Aspekte lassen, die sich erst in der Interviewsituation selbst als bedeutsam erweisen würden. Genau diese Konzeption des Interviewleitfadens erwies sich deshalb als vorteilhaft, da insbesondere innovative Maßnahmen nicht direkt abgefragt werden können, sondern erst im Verlauf der Gesprächssituation und durch das Nachfragen an geeigneter Stelle innovative unternehmensspezifische Maßnahmen und Besonderheiten in Erscheinung treten. Dennoch sind nicht nur die Vorteile, sondern auch die Nachteile dieser Vorgehensweise der Datenerhebung zu reflektieren. Bedeutsame Aspekte, die von Experten/-innen genannt wurden, die erst zu einem späten Zeitpunkt des Forschungsprozesses interviewt wurden, konnten nicht mehr für die Modifizierung des Interviewleitfadens berücksichtigt werden. Deshalb wäre es für zukünftige Forschungsvorhaben ggf. sinnvoll, nach Abschluss

262

Fazit und Ausblick

der Interviews mit allen Experten/-innen eine weitere Interviewschleife mit denselben Probanden durchzuführen, um diejenigen Aspekte abzufragen, die sich erst im Verlauf des Forschungsprozesses als relevant für den Untersuchungsgegenstand erwiesen haben. Dokumentation Ein häufiger Kritikpunkt von Forschungsarbeiten, die der Methodik der Fallstudienforschung folgen, ist ihre mangelnde Intersubjektivität (Runge, 2013). Komplexe Sachverhalte sollten deshalb so aufbereitet sein, dass sie für Forscher/-innen, die nicht im direkten Forschungsprozess involviert waren, nachvollziehbar sind. Aus diesem Grund ist es erforderlich, das gesamte Vorgehen im Forschungsprozess sorgfältig zu dokumentieren. Dazu gehört auch die nachvollziehbare Aufbereitung der Auswertungs- und Interpretationsschritte. Bei der Niederschrift der vorliegenden Forschungsarbeit wurde besonderer Wert darauf gelegt, diesen Aspekt zu erfüllen. Deshalb werden die verwendeten Instrumente, d.h. der Interviewleitfaden und die angefertigten Auswertungsschemata, offengelegt. Die Auswertungsschemata wurden so gestaltet, dass eine Rückführung der Paraphrasierungen, die auf eine Verdichtung des Materials zielen, sowie der daran anknüpfenden Interpretationen hinsichtlich der Ergebnisdarstellung beider Fallstudien zu den originalen Interviewpassagen der Transkripte möglich ist. Erkenntnisgewinn und Implikationen Die Erkenntnisse der vorliegenden Forschungsarbeit gründen auf der Untersuchung von lediglich zwei Fällen, weshalb eine Generalisierung der Ergebnisse nicht möglich ist. Allerdings ist dies auch gar nicht die Intention von Fallstudienforschung, denn vielmehr wird sie gerade deshalb als Methodik verwendet, weil eine sehr kleine Fallzahl in einem höchst innovativen Bereich eines komplexen Umfelds

Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse

263

vorliegt. An dieser Stelle sei auf (Siggelkow, 2007) verwiesen, welcher der Frage nachgegangen ist, was eine Fallstudie trotz geringer Fallzahl überzeugend macht. Er führt folgendes Szenario an: Yet, imagine the following scenario, adapted from Ramachandran (1998): You cart a pig into my living room and tell me that it can talk. I say, “Oh really? Show me.” You snap with your fingers and the pig starts talking. I say, “Wow, you should write a paper about this.” You write up your case report and send it to a journal. What will the reviewers say? Will the reviewers respond with “Interesting, but that’s just one pig. Show me a few more and then I might believe you”? I think we would agree that that would be a silly response. A single case can be a very powerful example. (Siggelkow, 2007, S. 20)

Die Fälle dieser Forschungsarbeit sind deshalb ausgewählt worden, da die jeweiligen Unternehmen im Untersuchungsfeld hinsichtlich ihrer Rekrutierungs-, Qualifizierungs- und Bindungsmaßnahmen Außergewöhnliches leisten. Die Kooperationsstrukturen und Maßnahmen, die von den beiden Unternehmen konzipiert und etabliert wurden, berücksichtigen die landesspezifischen Konventionen und haben teilweise dazu beigetragen, dem Fachkräftemangel über die Unternehmensgrenzen hinweg positiv entgegenzuwirken. Sie können deshalb als Leitbild und Modell für andere deutsche Unternehmen dienen. Aus diesem Grund liest sich diese Forschungsarbeit in gewisser Weise auch als Handlungsempfehlung für solche Unternehmen, die planen, eine chinesische Niederlassung aufzubauen oder ihre bisherigen Rekrutierungs-, Qualifizierungs- und Bindungsstrategien zu modifizieren. 6.2

Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse

Der Untersuchung lagen die folgenden forschungsleitenden Fragen zugrunde, die im Folgenden resümiert werden sollen:

264

Fazit und Ausblick

1. Wie sichern deutsche Unternehmen in China den Zugang zu entsprechend qualifiziertem Fachpersonal im Gastland? 2. Inwiefern werden Rekrutierungs-, Qualifizierungs- und Bindungsmaßnahmen an die jeweiligen landesspezifischen Konventionen angepasst und welche Handlungsempfehlungen lassen sich daraus ableiten? 3. Welche Potenziale bietet die kultur-historische Tätigkeitstheorie als Bezugsrahmen, um Rekrutierungs-, Qualifizierungs- und Bindungsstrategien von Unternehmen zu systematisieren? Die erste Frage entwickelte sich aus der vorangegangenen Untersuchung von van der Burgt et al. (2014), die über das partielle Auftreten von Kooperationen als „autarke Insellösungen“ berichten, die durch deutsche Unternehmen finanziert und ohne Einbezug der staatlichen Ebene umgesetzt werden. Ziel der vorliegenden Forschungsarbeit war es, tiefgreifende Erkenntnisse über die konkrete Konzeption und Durchführung dieser Kooperationsstrukturen zu generieren. Weiterhin sollte untersucht werden, ob sich diese partiellen unternehmensinternen Lösungen seit der Untersuchung in 2014 in ihrer Struktur weiterentwickelt haben und mittlerweile bspw. als flächendeckende Strukturen vorzufinden sind, die zu einer Verbesserung des Qualifikationsniveaus über die Unternehmensgrenzen hinweg beitragen. Die Existenz von partiellen Kooperationsstrukturen als autarke Insellösungen kann durch die vorliegende Forschungsarbeit bestätigt werden. Es handelt sich dabei zum einen um Kooperationen auf Schulniveau zur Berufsausbildung nach deutschem dualem Vorbild, mit dem Ziel des anschließenden Einsatzes auf Produktionsebene, zum anderen um Kooperationen auf Hochschulniveau, die an akademische Strukturen anknüpfen und Fachkräfte für anspruchsvolle Tätigkeiten vorbereiten. Auch konnten Zwischenformen dieser beiden Kooperationsformen identifiziert werden. In diesen Fällen schließen

Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse

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die Ausbildungspfade zugleich mit einem akademischen Abschluss sowie mit einer Berufsausbildung. Der Bedarf zur Etablierung solcher Kooperationsformen entsteht durch die kontinuierliche Knappheit von Fachkräften im Industriepark und veranlasst die deutschen Unternehmen dazu, Lösungen in Form von Kooperationen zu initiieren. Umsetzbar sind sie im Gastland China jedoch nur durch die Involvierung der lokalen berufsbildenden Schulen und durch Unterstützung der AHKs, da diese beiden institutionellen Partner jeweils die Zertifizierung der Berufsausbildung nach chinesischen bzw. deutschen Standards vornehmen. Die Expertise hinsichtlich der produktions- und unternehmensspezifischen Konzeption von Ausbildungspfaden stellen die jeweiligen Unternehmen zur Verfügung und bringen sich daher auch stark in die Gestaltung der Lehrpläne ein. Die Umsetzung der theoretischen und praktischen Ausbildung erfolgt entweder alleinig durch die berufsbildenden Schulen oder arbeitsteilig durch die deutschen Unternehmen, die zum Teil Ausbildungszentren errichten. Obwohl die deutschen Unternehmen um Fachkräfte im Untersuchungsgebiet aufgrund deren kontinuierlicher Knappheit konkurrieren, gehen sie zu Zwecken der Berufsausbildung nach deutschem dualem Vorbild Verbunde mit anderen deutschen Unternehmen ein. Sie sind in diesem Zuge „Koopkurrenz“ (Nalebuff & Brandenburger, 1997, S. 28). Gemeint ist ihre Dualität von Konkurrenz und Kooperation. Der Industriepark deutscher Unternehmen in Taicang macht solche Koopkurrenz-Strukturen einerseits deshalb erforderlich, da die deutschen Unternehmen nur auf diese Art und Weise die Herausforderungen, die sie vereinen, meistern können. Andererseits entstehen solche innovativen Koopkurrenz-Formen aber auch nur deshalb, weil der Industriepark zugleich die Möglichkeit und den Rahmen dazu schafft, nachhaltige duale Strukturen zu etablieren, durch welche sich die deutschen Unternehmen in China den Zugang zu entsprechend qualifiziertem Fachpersonal im Gastland sichern können.

266

Fazit und Ausblick

Weiterhin kann durch diese Forschungsarbeit bestätigt werden, dass es mittlerweile Kooperationsformen mit flächendeckenden Strukturen gibt, die zu einer Verbesserung des Qualifikationsniveaus über die Unternehmensgrenzen hinweg im gesamten Industriepark beitragen. Im Rahmen dieser Arbeit wurden sie als halb-öffentliche Kooperationen diskutiert. Bei diesen Kooperationsformen auf Schulund Hochschulniveau ist als weiterer Akteur jeweils die lokale Regierung eingebunden. Sie beteiligt sich insbesondere durch Finanzierung an der Etablierung solcher Strukturen, da sie ein besonderes Interesse daran hegt, die hohe Anziehungskraft von deutschen Unternehmen in die Region aufrechtzuerhalten. Im Gegenzug sind die involvierten deutschen Verbundunternehmen dazu verpflichtet, über die eigenen Bedarfe hinaus auszubilden, um ebenfalls die lokalen Arbeitsmärkte kontinuierlich mit qualifizierten Fachkräften zu versorgen. Die Etablierung von produktions- und unternehmensspezifischen Ausbildungsstrukturen wäre ohne die direkte Beteiligung deutscher Unternehmen nicht möglich. Aus diesem Grund profitieren sowohl die deutschen Unternehmen als auch die lokale Regierung sowie der gesamte Industriepark von halb-öffentlichen Kooperationsformen, da sie die Verbesserung des Qualifikationsniveaus im Industriepark vorantreiben. Die zweite forschungsleitende Fragestellung fokussierte sich auf die Schwierigkeiten, die sich dann ergeben, wenn ein Unternehmen, das bisher durch die Normen, Handlungen und Wertvorstellungen der deutschen Unternehmenskultur geprägt war, auf die Eigenheiten einer fremden Landeskultur trifft. Die gewohnten Verfahrensweisen und Instrumente hinsichtlich der Rekrutierung, Qualifizierung und Bindung von Fachkräften sind unter Umständen nicht direkt übertragbar, sondern müssen unter Berücksichtigung der landesspezifischen Konventionen angepasst werden. Deshalb war es das Ziel der Forschungsarbeit herauszustellen, inwiefern durch die Unternehmen

Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse

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eine Anpassung der Rekrutierungs-, Qualifizierungs- und Bindungsmaßnahmen an die jeweiligen landesspezifischen Konventionen vorgenommen wird. Aus den empirischen Erkenntnissen lassen sich Handlungsempfehlungen für deutsche Unternehmen ableiten, die planen, eine chinesische Niederlassung aufzubauen oder ihre bisherigen Rekrutierungs, Qualifizierungs- und Bindungsstrategien zu modifizieren. Die Ergebnisse wurden in Form einer Tabelle übersichtlich visualisiert (vgl. Tabelle 15). Tabelle 15: Handlungsempfehlung. Eigene Darstellung. Rekrutierung Direkte Übertragbarkeit - Veröffentlichung von Stellenanzeigen in Onlineportalen/ Unternehmenshomepage - Selektion von Bewerbern/-innen mittels Auswahlgespräche und –tests

Qualifizierung

Bindung

- Dokumentation von Arbeitsprozessen - Skill-Levels als Kontrollinstrument - Trainingsakademie für Schulungszwecke

- Überdurchschnittliche Gehälter - Steigerung der Produktidentifikation = Steigerung der Firmenidentität - Vertragliche Bindung

Anpassung unter Berücksichtigung landesspezifischer Konventionen - Fokus auf regionale - Entsendung CHN -> - UnternehmensinRekrutierung DL terne Ausflüge + landesspezifische Frei- Initiativbewerbungen - Etablierung von Koopezeitaktivitäten (Sindurch private Konrationen auf Schul- und gen, Tanzen etc.) takte der Stamm-MA Hochschulniveau - TV-Spots im regiona- - Beruflich Perspektiven - Regelmäßige Abteilungsessen len Fernsehen bieten: BA-Doppelabschluss (China, - Gemeinsame Zere- Vorselektion von Deutschland), Kombimonie chin. FeierKandidaten/-innen tage durch Schule

268 nation Berufsausbildung + Bachelorabschluss Innovative unternehmensspezifische Etablierung - Anwerbung von chin. - „Cross-Border-ProFachkräften über gramm“ als Anreiz für deutsche HochschuQualifizierung len - Freundschaftswerbung in Verbindung mit Prämienzahlung

Fazit und Ausblick - Privilegien schaffen: reisen - „Yearly-Outing“ in Anlehnung an das betriebl. Vorschlagswesen - Verknüpfung der Bereiche Arbeit + Privates, bspw. Freundschaftswerbung

Sie gliedert sich in (1) Maßnahmen, die direkt übertragbar sind. Gemeint sind solche, die üblicherweise auch in deutschen und anderen internationalen Unternehmen angewandt werden. Sie können unmittelbar auch in chinesischen Niederlassungen eingesetzt werden. Die nächste Gliederungsebene sind (2) Maßnahmen, welche die landesspezifischen Konventionen berücksichtigen. Diese Ebene umfasst Maßnahmen, die teilweise von chinesischen Unternehmen adaptiert wurden. Insbesondere sind die gelisteten Bindungsstrategien betroffen, da in chinesischen Unternehmen besonderer Wert auf regelmäßige gemeinsame Abteilungstreffen gelegt wird, bei denen landesspezifische Freizeitaktivitäten verfolgt werden (Ma, 2007). Die deutschen Unternehmen haben die entsprechenden Maßnahmen übernommen. Darüber hinaus umfasst diese Ebene aber auch Maßnahmen, die zwar auch in deutschen Unternehmen vorzufinden sind, allerdings ist es erforderlich, die Maßnahmen zu modifizieren. Damit sie im chinesischen Kontext den gewünschten Effekt erzielen, müssen bestimmte landesspezifische Konventionen berücksichtigt werden. Bei der dritten Gliederungsebene handelt es sich um (3) innovative unternehmensspezifische Maßnahmen, die eigens von den Fallunternehmen dieser Forschungsarbeit kreiert und etabliert wur-

Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse

269

den, um die besonderen Herausforderungen hinsichtlich des Fachkräftemangels im Industriepark zu meistern. Sie können folglich auch als individuelle Bewältigungsstrategien der spezifischen Fallunternehmen betrachtet werden, die dazu beigetragen haben, ihre chinesischen Produktionsstandorte erfolgreich zu lokalisieren. In der dritten forschungsleitenden Fragestellung rückt der theoretische Bezugsrahmen in den Fokus der Diskussion. Es soll erläutert werden, welche Potenziale die kultur-historische Tätigkeitstheorie bietet, um Rekrutierungs-, Qualifizierungs- und Bindungsstrategien von Unternehmen zu systematisieren. Auch ihre Grenzen sollen dargelegt werden. Die kultur-historische Tätigkeitstheorie wurde deshalb als theoretischer Bezugsrahmen dieser Forschungsarbeit gewählt, da sie einen vielversprechenden Ansatz bietet, um das komplexe Beziehungsgefüge von Organisationen mittels einer tiefenanalytischen Vorgehensweise zu ergründen. Ziel war es dabei, implizites Wissen über Handlungen der Rekrutierung, Qualifizierung und Bindung in Unternehmen zu explizieren. Die kultur-historische Tätigkeitstheorie betrachtet den Gegenstand der Analyse nicht isoliert, sondern umfasst auch die Umwelt, welche die zentralen Tätigkeitssysteme umgibt. In der vorliegenden Forschung war der kulturelle Kontext der Fallstudien deshalb von besonderer Bedeutung, da davon auszugehen war, dass bei der Verlagerung von Produktionsstätten in das Gastland unterschiedliche kulturelle Kontexte aufeinandertreffen, welche die Handlungsweisen der Unternehmen maßgebend beeinflussen. Da die deutschen Unternehmen im Untersuchungsfeld sowohl die Herausforderungen hinsichtlich der Knappheit an Fachkräften als auch den kulturellen Kontext, in den sie eingebettet sind, teilen, herrschte hohes Forschungsinteresse daran, ihre Bewältigungsstrategien, die sich als Elemente der Tätigkeit abzeichnen, d.h. ihre Subjekte, Objekte, Instrumente, Regeln, Gemeinschaft und Arbeitsteilung,

270

Fazit und Ausblick

sowie ihre Nebentätigkeiten und Boundary Objects zu explizieren. Es ist festzuhalten, dass die jeweiligen Resultate ein Abbild der Gegenwart darstellen, da die Elemente der Tätigkeit dynamisch sind und sich dann anpassen, wenn sich ihre Umwelt verändert. Darüber hinaus verknüpft die kultur-historische Tätigkeitstheorie individuelle und kollektive Lernentwicklungen von Unternehmen durch eine konzeptionelle Vorgehensweise. Aus diesem Grund hat sich die kultur-historische Tätigkeitstheorie als geeigneter theoretischer Bezugsrahmen zur Ergründung der forschungsleitenden Fragestellungen erwiesen. Darüber hinaus hat sich das Modell des Tätigkeitssystems als geeignete Vorgehensweise bewährt, um die empirischen Ergebnisse dieser Forschungsarbeit hinsichtlich der Rekrutierungs-, Qualifizierungs- und Bindungsstrategien von Unternehmen sinnvoll zu strukturieren und auszuwerten. Auch konnten die jeweiligen komplexen Beziehungsgefüge von Kooperationsstrukturen anschaulich herausgearbeitet werden. Besonders aufschlussreich war das Analysemodell zur Identifizierung von Akteuren, die Regeln generieren oder im Verbund agieren, da auf diese Weise auch die Machtstrukturen einzelner Tätigkeitssysteme im Beziehungsgefüge identifiziert werden konnten. Abgesehen von den Potenzialen, welche die kultur-historische Tätigkeitstheorie als Bezugsrahmen für die vorliegende Forschungsarbeit mit sich brachte, sind aber auch ihre Grenzen zu resümieren. Die realen Bedingungen, in die Unternehmen und ihre Handlungen eingebettet sind, sind weitaus komplexer, als dass sie sich als Ganzes in einem einzigen Theoriemodell abbilden ließen. Deshalb ist festzuhalten, dass es sich bei der Analyse anhand des Tätigkeitssystems nicht um die einzig richtige Vorgehensweise handelt, sondern dass das Modell nach wie vor als „heuristic conceptual device“ (Engeström & Sannino, 2010b, S. 7) fungiert, als welches es auch konzipiert wurde. Weiterhin ist festzuhalten, dass das implizite Wissen, welches mittels der Analyse anhand des Tätigkeitsmodells expliziert

Schlussfolgerungen und Ausblick

271

werden soll, in Abhängigkeit davon, wer die Analyse durchführt, unterschiedlich expliziert werden kann. Zurückzuführen lässt sich dies auf die vielfältigen Interpretationsmöglichkeiten, die das Analysemodell eröffnet. Daraus folgt, dass die Erkenntnisse der Analyse nicht als rein objektiv zu betrachten sind. Unter diesem Blickwinkel bietet sich eine Forscher-Triangulation an, um subjektive Verzerrungen im Auswertungsprozess zu vermeiden (Flick, 2016). Um die empirischen Erkenntnisse und Implikationen, die durch die theoretische Brille der Tätigkeitstheorie gewonnen wurden, zu überprüfen, wäre es erforderlich, die Analyse des Datenmaterials an einem anderen Theoriemodell zu erproben und die Ergebnisse mit den vorliegenden Ergebnissen zu kontrastieren. Hierzu würde sich hinsichtlich der Analyse von Kooperationsstrukturen bspw. die Netzwerktheorie (Fuhse, 2016) anbieten, die sich damit beschäftigt, wie Netzwerke gesellschaftlich funktionieren. 6.3

Schlussfolgerungen und Ausblick

Die Forschungsarbeit beschäftigte sich mit der Frage, wie sich deutsche Unternehmen in China den Zugang zu entsprechend qualifiziertem Fachpersonal im Gastland sichern. Darüber hinaus wurde der Frage nachgegangen, inwiefern Rekrutierungs-, Qualifizierungsund Bindungsmaßnahmen durch die Unternehmen an die jeweiligen landesspezifischen Konventionen angepasst werden und welche Handlungsempfehlungen sich aus ihrem Handeln für andere Unternehmen ableiten lassen. Als Bezugsrahmen und Instrument der Analyse fungierte die kultur-historische Tätigkeitstheorie. Als Kernergebnis lässt sich konstatieren, dass die Unternehmen im Industriepark ihren Bedarf an Fachkräften durch die partielle Etablierung von Kooperationsstrukturen auf Schul- und Hochschulniveau sichern. Die jeweiligen Strukturen sind entweder individuell ausgelegt, um gezielt das eigene Unternehmen kontinuierlich mit unternehmensspezifisch qualifizierten Fachkräften zu versorgen, oder kollektiv

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Fazit und Ausblick

ausgelegt, um nicht nur den eigenen Bedarf zu decken, sondern den gesamten Industriepark kontinuierlich mit produktionsspezifisch qualifizierten Fachkräften zu versorgen. Letztere Strukturen setzen die Involvierung der lokalen Regierung voraus. Bei den Rekrutierungs-, Qualifizierungs- und Bindungsstrategien, die zum Zwecke der Ausbildung von Fachkräften in China angewandt werden, handelt es sich teilweise um solche, die auch in den deutschen Headquarters zum Einsatz kommen (bspw. Rekrutierung: Ausschreibungen auf Online-Stellenportalen, Qualifizierung: Dokumentation von Arbeitsprozessen, Bindung: Überdurchschnittliche Gehälter). Für eine Vielzahl von Maßnahmen ist es allerdings erforderlich, sie zu modifizieren, damit entweder entsprechende Richtlinien im Gastland eingehalten werden können (bspw. Vereinbarkeit von BA-Abschlüssen, die in China auf vier, in Deutschland auf drei Jahre ausgelegt sind), oder um gesellschaftlich-kulturelle Gegebenheiten zu berücksichtigen (bspw. regionale Rekrutierung, um Fluktuation gering zu halten). Darüber hinaus konnten innovative Rekrutierungs-, Qualifizierungs- und Bindungsmaßnahmen identifiziert werden, die eigens durch die deutschen Unternehmensvertreter/-innen in China für den Einsatz im Gastland konzipiert wurden (bspw. Rekrutierung: Anwerbung von chin. Fachkräften über deutsche Hochschulen, Qualifizierung: „Cross-Border-Programm“, Bindung: „Yearly Outing“). Letztere wurden kreiert, um die besonderen Herausforderungen hinsichtlich des Fachkräftemangels im Industriepark zu meistern. Sie können folglich auch als individuelle Bewältigungsstrategien der spezifischen Fallunternehmen betrachtet werden, die dazu beigetragen haben, ihre chinesischen Produktionsstandorte erfolgreich zu lokalisieren. Gleichzeitig können sie handlungsleitend für andere Unternehmen sein. Deshalb liest sich diese Forschungsarbeit in gewisser Weise auch als Handlungsempfehlung für Unternehmen, die planen, eine chinesische Niederlassung aufzubauen oder ihre bisherigen Rekrutierungs-, Qualifizierungs-s und Bindungsstrategien zu modifizieren.

Schlussfolgerungen und Ausblick

273

Anknüpfend an diese Forschungsarbeit, wäre es für zukünftige Forschungsabsichten von hohem Interesse zu ergründen, wie diejenigen deutschen Unternehmen des Industrieparks agieren, die bisher noch keine Kooperationsstrukturen zu Ausbildungszwecken aufgebaut haben. Denkbar wäre, dass sie bestehende Strukturen kopieren oder sich einem bestehenden Kooperationsgefüge als Verbundunternehmen anschließen. Für den letzteren Fall wäre es sodann von Interesse, den Entwicklungsprozess zu begleiten, um zu erforschen, wie sich die Kooperationsstrukturen durch den Zusammenschluss großer Unternehmensverbünde verändern. Welche Akteure agieren bei einer großen Anzahl von Verbundunternehmen regelgenerierend? Welche Berufsausbildungsprofile werden in Anbetracht zunehmender Innovationsbestrebungen in den nächsten Jahren entwickelt? Um diese Fragen zu ergründen, wären weiterführende Forschungsarbeiten im Längsschnitt sinnvoll. Weiterhin wäre es von großem Interesse, vergleichende Forschungen in anderen ausländischen Niederlassungen derselben Fallunternehmen durchzuführen, um den Einfluss der jeweiligen Landeskultur auf die Rekrutierungs-, Qualifizierungs- und Bindungsstrategien zu ergründen. Die chinesische Regierung steht den innovativen Kooperationsstrukturen offen gegenüber und kann, wie diese Forschung gezeigt hat, sogar als Promotor von solchen erfasst werden. Welchen Einfluss und welche Haltung nehmen jedoch die lokalen Regierungen anderer globaler Standorte ein? Alles in allem stellen sich, ausgehend von dieser Forschungsarbeit, noch einige Fragen, deren Erforschung und Beantwortung durch eine qualitative Vorgehensweise erstrebenswert wäre.

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Anhang Interviewleitfaden 1. Einstieg: Unternehmenseckdaten 1.1 Größe der Niederlassung (Anzahl Mitarbeiter/-innen? Davon im Shopfloor?) 1.2 Seit wann am Standort? 1.3 Was wird am Standort produziert? 1.4 Warum wurde Taicang als Standort gewählt? 1.5 Inwiefern unterscheiden sich die in China und Deutschland hergestellten Produkte? 2. Rekrutierung 2.1 Wie wurden die Shopfloormitarbeiter/-innen bei Werksöffnung eingestellt? (Ausschreibung, Auswahlkriterien, Anlernphase) 2.2 Welche Rekrutierungskanäle wurden/werden genutzt? 2.3 Nach welchen Kriterien werden die Mitarbeiter/-innen ausgewählt? 2.4 Gibt es eine Probezeit für neue Mitarbeiter/-innen? Wie gestaltet sie sich? 2.5 - Besteht ein Mangel an Mitarbeitern/-innen mit entsprechenden Qualifikationen/ Mangel an Mitarbeitern/-innen im Allgemeinen? - Gibt es Bereiche, in denen von einem Mismatch/Passungsproblem zwischen Anforderungen und Qualifikation der Shopfloorarbeiter gesprochen werden kann? 2.6 - Ist ein Ausbau geplant (neuer Produktionsbereich, neue Produkte, Standorterweiterung)? - Wenn ja, wie soll rekrutiert/geschult werden? 3. Qualifizierung/Training

Kategorie Standortgröße Gründung Produkt Standortwahl Produkt Aufbauphase nach Gründung Rekrutierungskanäle Auswahlverfahren Probezeit Mismatch

Unternehmensausblick

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 L. Holle, Personalstrategische Maßnahmen von deutschen Unternehmen in China, Internationale Berufsbildungsforschung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26219-8

296 3.1

3.2 3.3 3.4

Anhang - Welche Weiterbildungsund Trainingsmaßnahmen wurden im Unternehmen implementiert? (z. B. on-the-job training, classroom training, internal courses, external courses, peer group learning) - Welche Weiterbildungsformen funktionieren gut? - Gibt es Formen, die überhaupt nicht funktionieren? - Sind Unterschiede in der Qualifizierung zwischen China und Deutschland erkennbar? - Wie ist Ihre Erfahrung mit Gruppentrainings? Gibt es eine Lehrwerkstatt oder ein Testfeld? - Wie werden Probleme im Shopfloor gelöst? - Wer beantwortet Fragen während der Arbeit, falls welche auftreten? Wie gelingt es, chinesische Mitarbeiter/-innen nach deutschem Produktionsstandard zu qualifizieren?

3.5

Qualifizierungsmaßnahmen

Lehrwerkstatt Arbeitsorganisation Internationale Standards

- Arbeiten deutsche Mitarbeiter/-innen (gelegentlich) auf Werkstattebene (bspw. als Trainer)? - Werden chinesische Mitarbeiter/-innen nach Deutschland entsendet? - Wenn ja, welche Mitarbeiter/-innen und was passiert danach? 4. Personalentwicklung 4.1 Wie ist HR organisiert?

Entsendung

4.2

Einstellungskriterien

Welchen eigenen (schulischen) Hintergrund haben die HR Verantwortlichen?

5. Kooperationen 5.1 Bestehen Kooperationen mit Vocational Schools oder Vocational Colleges? 5.2 Kooperationen mit Hochschulen, Universitäten?

Human Resources

Schulkooperation Hochschulkooperation

Anhang 5.3

Gibt es Kooperationen mit anderen deutschen Unternehmen in Taicang? 6. Commitment 6.1 - Inwiefern identifizieren sich die Mitarbeiter/innen mit dem Unternehmen? Ist das anders als in Deutschland? - Wie versuchen Sie, Ihre Mitarbeiter/-innen an das Unternehmen zu binden? - Welche Anreize gibt es im Unternehmen? (monetär, Auszeichnungen z.B. Mitarbeiter/innen des Monats) - Eher individuelle oder Gruppenprämien? 6.2 - Wie hoch ist die Fluktuation? - Was sind die Gründe? - Wann/wodurch verlassen besonders viele MA das Unternehmen? 6.3 - Kommt es vor, dass Mitarbeiter/-innen durch andere Unternehmen abgeworben werden? - Welche Unternehmen sind das (chinesische, deutsche,…)? - Eigene Rolle: „Opfer“ oder „Täter“? 6.4 Man sagt der chinesischen Kultur nach, dass die Einstellung zu Hierarchie und Macht fest in der Kultur verwurzelt ist und sich in bestimmten Beziehungen widerspiegelt. Zum Beispiel in der Beziehung zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern/-innen – Welche Erfahrung haben Sie damit gemacht? 6.5 - Gibt es betriebliches Vorschlagswesen (KPI)? - Wann implementiert, wie wurde es zu Beginn angenommen? - Wie viele Vorschläge kommen pro Jahr? 7. Landesspezifische Herausforderungen 7.1 - Was sind besondere Herausforderungen für die Unternehmens-führung in China? 7.3 - Wie begegnen Sie diesen Herausforderungen?

297 Unternehmenskooperation Bindung

Fluktuation

Abwerbung

Führungsstil

Partizipation

Herausforderung Herausforderung

298

Anhang

Auswertungsschemata Die Auswertungsschemata können auf Wunsch bei der Autorin angefragt werden.