Panama - Transit als Mission: Leben und Überleben im Schatten von Camino Real und transisthmischem Kanal 9783964562548

Neben der Untersuchung der unterschiedl. Transitregime und__ externen Interventionen verbindet diese Studie Reflexionen

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Panama - Transit als Mission: Leben und Überleben im Schatten von Camino Real und transisthmischem Kanal
 9783964562548

Table of contents :
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Tabellen- und Kartenverzeichnis
Einleitung
1. Zwischen Sevilla und Peru - das andere Panama
2. Der 'anglifizierte' Isthmus oder Panamas Transition in die anglo-amerikanische Einflußsphäre
3. Die kalifornische Wiederentdeckung: Panama im Sog der amerikanischen Westexpansion
4. Der antillanische Isthmus: Panama und die Bewältigung der karibischen Arbeitsmigration
5. Vom "Path to Empire" zum Hort der Gegenmacht: Zur Deformation amerikanischer Herrschaft in Panama
6. Die unendliche Geschichte
7. Anomalien des panamaischen Nationalismus: Zur schwierigen Konstruktion einer Transitnation
8. Das panamaische Dilemma
Grunddaten zu Panama
Literaturverzeichnis

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Lateinamerika-Studien Band 40

Lateinamerika-Studien Herausgegeben von Walther L. Bernecker Titus Heydenreich Gustav Siebenmann

Hanns-Albert Steger Franz Tichy Hermann Kellenbenz

Schriftleitung: Titus Heydenreich Band 40

Friedrich von Krosigk

Panama - Transit als Mission Leben und Überleben im Schatten von Camino Real und transisthmischem Kanal

Vervuert Verlag • Frankfurt am Main • 1999

Anschrift der Schriftleitung: Universität Erlangen-Nürnberg Zentraiinstitut für Regionalforschung Sektion Lateinamerika Kochstraße 4 D-91054 Erlangen

Gedruckt mit Unterstützung der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Krosigk, Friedrich von: Panama - Transit als Mission : Leben und Überleben im Schatten von Camino Real und transisthmischem Kanal / Friedrich von Krosigk. Frankfurt am Main : Vervuert, 1999 (Lateinamerika-Studien; Bd. 40) ISBN 3-89354-740-1 © b y t h e Editors 1999 Alle Rechte vorbehalten Gedruckt auf säure- und chlorfrei gebleichtem, alterungsbeständigen Papier Printed in Germany: Rosch-Buch, Scheßlitz

Vorwort

Die vorliegende Studie ist aus dem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekt "Macht und Gegenmacht im Wandel interamerikanischer Beziehungen" hervorgegangen. An dieser Stelle sei für die so wichtige Unterstützung gedankt. Dank gebührt gleichfalls den Projektmitarbeitern Ute Guthunz und Rüdiger Zoller, dem Sekretariat des Instituts für Politische Wissenschaft der Universität Erlangen-Nürnberg, besonders Frau Monika Viehfeger, sowie den Hilfskräften, die sich alle aufopfernd in eine ihnen fremde Materie eingearbeitet haben. Schließlich muß hervorgehoben werden, daß die Fertigstellung des Buches ohne die fachliche Kompetenz und Hilfsbereitschaft meines Mitarbeiters Dr. Pierre Jadin nicht möglich gewesen wäre. Unverzichtbar für diese Arbeit war die großzügige Hilfestellung durch folgende Bibliotheken und Archive: In Panama die Bibliothek der Universidad Nacional, in Bogota die Biblioteca Nacional und die Biblioteca Luis Angel Arango, in Miami die Library of the University of Miami, in Washington die Library of Congress und das National Archive, in Paris die Archives du Ministère des Affaires Etrangères, in London die Library of the British Museum und das Public Record Office.

Inhaltsverzeichnis Einleitung

11

1.

Zwischen Sevilla und Peru - das andere Panama

19

1.1 1.2 1.3

Panama als administratives Zentrum Galeonen und ferias Maultiere und Sklaven: Panama als Transportund Versorgungsunternehmen Die langen Schatten der Carrera de Indias Isthmische Überlebensstrategien im spanischen Niedergang

23 27 31 37 44

Der 'anglifizierte' Isthmus oder Panamas Transition in die anglo-amerikanische Einflußsphäre

49

2.1 2.2 2.3 2.4

Jamaikanische Kontakte Amerikanische Interessen Isthmische Dekadenz Die bewunderten Nordamerikaner

53 60 64 69

3.

Die kalifornische Wiederentdeckung: Panama im Sog der amerikanischen Westexpansion

73

1.4 1.5 2.

3.1 3.2 3.3

Machtrivalitäten und Migration Das kalifornische Panama im Spiegel der Reiseberichte Isthmische Turbulenzen: Konsularische und diplomatische Beobachtungen Dialektik der Amerikanisierung

92 103

Der antillanische Isthmus: Panama und die Bewältigung der karibischen Arbeitsmigration

115

4.1 4.2 4.3 4.4

Die Frage der Arbeitskräfte Das Ausmaß der karibischen Migration nach Panama Sterben in und für Panama Sozialer und politischer Wandel

116 120 128 131

5.

Vom "Path to Empire" zum Hort der Gegenmacht: Zur Deformation amerikanischer Herrschaft in Panama

139

Der Griff nach dem Isthmus Eindrücke aus der Zeit des Kanalbaus Sonderheiten amerikanischer Herrschaft Varianten der Gegenmacht

139 146 150 158

3.4 4.

5.1 5.2 5.3 5.4

73 78

5.3 5.4

Sonderheiten amerikanischer Herrschaft Varianten der Gegenmacht

150 158

5.4.1 5.4.2

Die andere Seite des amerikanischen Interventionismus Das andere Gesicht der Kanalzone

160 171

6.

Die unendliche Geschichte

185

6.1 6.2 6.2.1 6.2.2 6.2.3 6.3

Die Revisionskampagne Die reconquista Gewaltandrohung Die Internationalisierungskampagne Der Appell an das schlechte Gewissen der USA Der Sieg der Besiegten?

186 191 195 198 203 204

7.

Anomalien des panamaischen Nationalismus: Zur schwierigen Konstruktion einer Transitnation

213

7.2 7.3

Die panamaische Exzeption auf dem Wege zur Unabhängigkeit Die lange Debatte um das Jahr 1903 Zwischen Mythos und Realität

215 223 231

8.

Das panamaische Dilemma

239

7.1

Grunddaten zu Panama

253

Literaturverzeichnis

259

Tabellen- und Kartenverzeichnis Tabelle 1: Bewaffnete Interventionen der USA in Panama, 1856-1903.. Tabelle 2: Die Bevölkerung Panamas 1911 Tabelle 3: Arbeitskräfte der Compagnie Universelle du Canal 1896 Tabelle 4: Kontraktarbeiter der Isthmian Canal Commission in Panama (1904-1913) Tabelle 5: Arbeitsmigration von Britisch-Westindien nach Panama

Karte 1: Der Camino Real Karte 2: Panama und seine Provinzen Karte 3: Die amerikanische Kanalzone und ihre militärischen Nutzungsbereiche Karte 4: Hauptschiffahrtslinien durch den Panama-Kanal

Einleitung Mit der Wende zum Jahr 2.000 feiert Panama die finale Übertragung der Hoheitsrechte über den transisthmischen Kanal aus amerikanischer Hand. Ein Ereignis, das sehr unterschiedliche Emotionen und Reaktionen auslöst. Für die zentralamerikanische Republik endet ein sich über die meisten Dekaden dieses Jahrhunderts hinziehendes Ringen um Überwindung des amerikanischen Kanalkolonialismus, für die USA dagegen geht eine Epoche des Zwiespalts und der Ambivalenz zu Ende, eine Epoche, die von der großen Diskrepanz gezeichnet ist, die sich zwischen dem gloriosen Sieg über die Tücken isthmischer Natur, die der erfolgreiche Kanalbau zwischen 1903 und 1914 verkörpert, und dem Unvermögen, das menschliche Drama Panama zu bewältigen, auftut. Noch im Dezember 1989 sahen sich die Vereinigten Staaten genötigt, im Rahmen der Operation Just Cause mit einem Truppenkontingent von 24.000 Soldaten den Isthmus aus den Fängen des in Ungnade gefallenen Diktator-Generals Noriega zu befreien. Die Anstöße zur Reflexion, die das Jahr 2.000 mit Blick auf die Kanalübergabe bietet, sind somit vielfältig, wobei sich jedoch zwei große Themenkomplexe aufdrängen. Der eine kreist um die Frage der imperialen Funktionalisierung Panamas, das gleichsam als "Path to Empire" für aufstrebende, in den Pazifik expandierende Mächte immer wieder nutzbar gemacht wurde. Der zweite zielt auf ein ganz anderes Phänomen: die Überlebenskunst einer Gesellschaft, die sich einer ehrgeizigen Transitmission verschrieben und dabei die Abenteuer ihrer Funktionalisierung, ihrer Inwertsetzung zu bewältigen hat. Der imperiale Komplex Panama, insbesondere in seiner US-amerikanischen Variante, hat zwangsläufig besonderes Interesse geweckt. Den einen lieferte dieser das Szenario für das Heldenepos des Kanalbaus, für die anderen die skandalöse Bühne des amerikanischen Expansionismus bzw. Imperialismus. Weniger Beachtung haben dagegen die anderen Transiterfahrungen gefunden, die dem amerikanischen Kanalregime vorausgegangen sind. Daß Panama auf eine fast 500jährige Funktionalisierung im Dienste großer Mächte zurückblicken kann, wird zwar häufig erwähnt. Die Modalitäten dieser Inwertsetzung und ihre lokalen Akzente aber sind zumeist unreflektiert geblieben. Und dies, obgleich die ferne spanische Epoche des Isthmus, als Mythos und gelebte Utopie transformiert, noch heute von ihrer Wirksamkeit und Aktualität Kunde gibt. Der Blick auf die historischen Kontinuitäten und Diskontinuitäten und damit auf das Kontrastspektrum isthmischer Transiterfahrungen aber führt letzt11

Panama endlich auf den anderen Fragenkomplex, die Überlebenskunst einer Gesellschaft, die sich immer wieder dem Zugriff großer Mächte ausgesetzt sah und damit ihre 'Ausbeutung' gleichsam zum Lebensprinzip erklären mußte. Wer diese andere Welt panamaischer Handlungsoptionen und Überlebensstrategien erfassen will, kommt allerdings nicht umhin, einen perspektivischen Wandel zu vollziehen, der in der umfangreichen Literatur über den Isthmus bislang kaum Eingang gefunden hat. Panama, aus der angestammten Opferrolle der Geschichte als Spielball der großen Mächte zu lösen, als handelnde Entität und damit schließlich auch als Produzent von Gegenmacht zu begreifen, liegt nicht im Trend der Zeit,1 und die Tücken eines solchen Versuchs sind beträchtlich. Denn für einen Abstieg in die Alltagswelt der Machtartikulation, um die es hier geht, in der auch die Schwächeren oder gar Unterworfenen über Handlungsoptionen verfügen, sind die Sozialwissenschaften relativ schlecht gerüstet. Die Probleme beginnen bereits auf der theoretischen Ebene: Seit Max Weber gesellschaftliche Macht auf die Dimension von Herrschaft im Sinne von Durchsetzungsfähigkeit auch gegen Widerstreben fixiert hat2, deutet sich ungeachtet aller spontanen Überzeugungskraft dieses handlungstheoretischen Machtverständnisses die Schwierigkeit an, Prozessen gesellschaftlicher Veränderung Rechnung zu tragen, in denen nicht nur Macht von 'oben',

1

Eine Ausnahme von dieser Sichtweise bilden gewöhnlich nur Arbeiten, die im Kontext der Afrikaforschung entstanden sind. Hier wurde frühzeitig auf die Diskrepanzen zwischen offizieller staatlicher Präsentation, realen Machtstrukturen und gesellschaftlicher Wirklichkeit hingewiesen. In diesem Zusammenhang ist vor allem auf das Werk von Jean-François Bayart zu verweisen, beispielsweise: JeanFrançois Bayart, L'Etat en Afrique. La politique du ventre. Paris 1989; J.-F. Bayart/A. Mbembe/C. Toulabor, Le Politique par le Bas en Afrique Noire. Contributions à une problématique de la démocratie. Paris 1992; Goran Hyden, Beyond Ujamaa in Tanzania. Under-development and an Uncaptured Peasantry. London 1980. - Inspirierend ist im Kontext von Lateinamerika auch der Tagungsband der Association française des Sciences Sociales sur l'Amérique Latine: AFSSAL, Les Frontières du Pouvoir en Amérique Latine. Travaux de l'Université de Toulouse-le-Mirail, Série A, Tome XXII, 1983.

2

"Macht bedeutet jede Chance innerhalb einer sozialen Beziehung, den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht. Herrschaft soll heißen, die Chance, für einen Befehl bestimmten Inhalts bei angebbaren Personen Gehorsam zu finden." Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft. Tübingen 1972 (5. Auflage), S. 28.

12

Einleitung sondern auch Macht von 'unten' eine relevante Komponente darstellt. Indem Weber als 'preußischer Jurist' die Bereitschaft zum Gehorsam in Herrschaftsprozessen als unproblematisch überging, versperrte er den Blick auf Handlungskonstellationen, die unter extrem ungleichen Bedingungen vollzogen werden, in denen auch der 'Abhängige', der 'Besiegte' oder 'Unterworfene' über Handlungskapazität verfügt. Ähnlich unergiebig sind im übrigen strukturtheoretische Machtansätze, ob marxistischer oder dependenztheoretischer Provenienz, nicht nur weil ihnen die Verbindung von Struktur und Akteur mißlingt, sondern auch weil sie das alltägliche Handeln von Menschen in Konstellation von Unterdrückung und Abhängigkeit entweder ignorieren, da sie ausschließlich auf den Extremfall emanzipatorisch-revolutionärer Praxis fixiert sind oder aber übergehen, weil sie strukturell Abhängigen keine eigenständigen Handlungschancen zuschreiben. Einen möglichen Ausweg aus diesem Dilemma bieten die Überlegungen, die Giddens3 im Kontext seiner Strukturierungstheorie entfaltet hat, wenn er auf die "Dialektik der Herrschaft" verweist, die auch die 'Unterworfenen' ins Spiel der Macht bringt. Denn Giddens, der sich in Anlehnung an Parsons an einem Machtbegriff orientiert, der auf das menschliche Umgestaltungsvermögen - "transformative capacity" - orientiert ist, macht darauf aufmerksam, daß grundsätzlich alle Formen der Abhängigkeit gewisse Ressourcen zur Verfügung stellen, mit denen die Unterworfenen die Aktivitäten der ihnen Überlegenen beeinflussen können. Ungeachtet aber dieses perspektivischen Wandels zum agierenden, unterworfenen Subjekt, der hier provokativ eingebracht wird, sind systematische Untersuchungen, die diesen Gedanken nutzbar gemacht und weitergeführt haben, bislang eine Rarität geblieben. Dies gilt frappierenderweise auch für Panama, welches ein Szenario bietet, das geradezu zum Umdenken provoziert. Denn das Besondere ist hier, daß es sich in seiner Geschichte als Transitbrücke zwangsläufig in den 'Niederungen' der Macht bewegen mußte, und dies schon lange bevor die USA um die Mitte des vorigen Jahrhunderts den Isthmus als kürzeste Verbindung nach Kalifornien entdeckt haben. Das isthmische Drama beginnt mit Jahrhundert, die Landbrücke für die Die Gründung der Stadt Panama im einzigartigen Transitmission ein, die 3

der spanischen Entscheidung im 16. Eroberung Perus nutzbar zu machen. Jahr 1519 leitet die Abenteuer dieser bald als so gewichtig erachtet wurde,

Vgl. Anthony Giddens, Die Konstitution der Gesellschaft. Grundzüge einer Theorie der Strukturierung. Frankfurt/New York 1984, S. 67.

13

Panama daß schon im 16. Jahrhundert unter der Herrschaft Karls des V. und Philipp des II. erste Pläne zum Bau eines transisthmischen Kanals erörtert wurden. Diese hohe Wertschätzung der Landenge war der Nährboden einer sich hier bildenden Mikrogesellschaft, die alles auf die Karte des Transitservice gesetzt hat und damit, stets im Schatten der Abhängigkeit von großen Welt- und Regionalmächten im Milieu extremer Machtdisparitäten operierend, ihr Leben bzw. ihr Überleben sichern mußte. Die Spuren dieses ungleichen Macht- und Überlebensspiels fuhren in eine Arena alltäglicher Macht, in der nicht Macht als Herrschaft im Weberschen Sinne, sondern Macht als Umgestaltungsvermögen zur Disposition steht. Die folgende Abhandlung ist somit kein Versuch, eine neue Geschichte Panamas zu schreiben. Sie will vielmehr einen Reflexionsprozeß einleiten, der sich um zwei Pole der isthmischen Transiterfahrung rankt: Der eine ist orientiert auf die Variationen externer Eingriffe bei der Inwertsetzung der Landenge, auf die Varianten von Regimen, unter denen diese in ihrer langen Transitmission operiert hat. Der andere weist auf das isthmische 'Überlebensspiel' in diesem Milieu extremer Abhängigkeit und Funktionalisierung. Damit rückt das menschliche Drama Panama in den Mittelpunkt der Betrachtung. Im einführenden ersten Kapitel wird zunächst das Paradox des 'goldenen' Panama beschrieben, jenes der spanischen Epoche, durch das die sagenumwobenen Reichtümer aus den Silber- und Goldminen Perus transportiert und in dem die berühmten Märkte von Portobelo zum Austausch dieser Schätze abgehalten wurden. Der Isthmus rückte in dieser spanischen Zeit zeitweilig zu einem der wichtigsten Handels- und Transitzentren der neuen Welt auf, einem Knotenpunkt des spanischen Weltreiches, in dem sich allerdings Mythos und harsche Wirklichkeit sehr eng verwoben haben. Er verfügte über ein weitgespanntes goldenes Renommee - natürlich besonders in den Augen der Korsaren und Piraten, die ihn umlauerten -, zugleich aber entfaltete sich auf dieser begehrten Landenge ein erbitterter Überlebenskampf gegen revoltierende Sklaven, einfallende Piraten und Korsaren und konspirierende Indios, ein Überlebenskampf, der sich aber auch gegen die Unbilden eines kapriziösen anfälligen Flottenregimes richtete, das Panama auf Gedeih und Verderb von den konjunkturellen Schwankungen Spaniens und Perus und den wechselvollen Machtzyklen Europas abhängig machte. Damit stellt sich die Frage nach den besonderen Bedingungen, die Leben und Überleben im Panamá Hispano gestaltet haben, und nach den Überlebenstechniken einer Gesellschaft, die ungeachtet der sie umgebenden ruinösen

14

Einleitung Rahmenbedingungen ihre Transitmission über die spanische Epoche hinausgetragen hat. In Kapitel 2 geht es vornehmlich um die Sicherung von Spuren der langen isthmischen Transition von der spanischen in die anglo-amerikanische Einflußsphäre. Dieser Weg setzte schon mehr als ein Jahrhundert vor der offiziellen Lösung von Spanien 1821 ein und führt in die Niederungen eines informellen, auf den Schwarzhandel fixierten, zunächst von England dominierten Transitregimes, das zwar eine notdürftige Überlebenschance bieten konnte, den allgemeinen mit dem spanischen Niedergang verkoppelten Dekadenzprozeß aber nicht zu revidieren vermochte. Die schicksalsträchtige amerikanische Epoche Panamas beginnt mit dem Eklat des kalifornischen Goldrausches, der die Landenge in die Modernität industrieller Transporttechnologie über den Bau der transisthmischen Eisenbahn katapultierte, zugleich aber in die Turbulenzen einer gewaltträchtigen Amerikanisierung stürzte. Kapitel 3 ist auf die Auseinandersetzung mit diesem traumatischen Umbruch gerichtet, mit dem Ziel, vornehmlich die isthmische Verarbeitung dieser ersten, quasi anarchisch verlaufenen amerikanischen Inbesitznahme zu erfassen. Dabei werden Augenzeugen dieser Zeit über Reiseberichte sowie konsularische und diplomatische Noten herangezogen, genauso wie Erinnerungen von Persönlichkeiten, die sich länger im Panama dieser Zeit aufgehalten haben. Das Kapitel ist ein Experimentierfeld besonderer Art, insofern hier vielfältige Zeitzeugen in den Vordergrund rücken, die mit ihren mitunter auch widersprüchlichen Aussagen die Ambivalenzen amerikanisch-panamaischer Begegnungen in dieser Epoche beleuchten. Kapitel 4 bezieht sich auf die Sonderprobleme der antillanischen Migration nach Panama. Die begehrten Arbeitskräfte aus der Karibik waren die wichtigsten Träger der großen transisthmischen Modernisierungsprojekte, vom Bau der Eisenbahn bis hin zur Konstruktion des Kanals zwischen 1850 und 1914. Insofern ein erheblicher Anteil dieser Arbeitskräfte nicht zurück in die Antillen wanderte, bildete sich eine gesellschaftliche Herausforderung besonderer Art, in der sich die neu geschaffene Kanalrepublik komplementär zur Bewältigung der Amerikanisierung auch mit dem Problem der Antillanisierung des Isthmus auseinanderzusetzen hatte. Kapitel 5 und 6 behandeln die lange Epoche amerikanischer Kanalherrschaft, die 1903 mit der Unterzeichnung der Kanalkonvention durch die von Kolumbien abgesprengte Republik eingeleitet wurde. Das eigentliche Anliegen dieser Untersuchungsabschnitte liegt allerdings nicht darin, den schon vielfach unternommenen Versuch zu repetieren, amerikanische Herrschaft in 15

Panama Panama zu exponieren oder zu denunzieren4 - ihre Konturen werden nur einführend gestreift -, vielmehr geht es um den lokalen Verarbeitungsprozeß dieser Herrschaft, insbesondere in der herausragenden Phase des amerikanischen Interventionismus in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die massive personelle Präsenz der Amerikaner in der Kanalzone, das schiere Gewicht der Yankees und ihre diskriminierende Praxis bei der Nutzung ihrer Kanalzone, war eine Herausforderung besonderer Art für die alte Transitgesellschaft. In kaum einem anderen Kontext hat das isthmische 'Umgestaltungsvermögen' eine breitere Entfaltungsbasis gefunden als in diesem Milieu der direkten Konfrontation mit dem segregierten, exklusiven amerikanischen Kanalregime. Panama sah sich erstmals in seiner Geschichte gleichsam dazu aufgefordert, sich selbst und seine Transitmission aufzugeben und diese eigentümliche Konstellation des 20. Jahrhunderts hat die Proliferation von Gegenmacht beflügelt, bis hin zur Herausbildung eines radikalen Nationalismus. In diesen Kapiteln tritt damit das oft vernachlässigte andere Gesicht, die andere Seite der amerikanischen Conquista, in das Zentrum der Betrachtung, aber letztlich auch das Dilemma (Kapitel 8) einer Mission, die die Unterwerfung unter fremde Interessen eigentlich zum Lebensprinzip erhoben hat. Kapitel 7 terminiert den Zyklus der Reflexion über die panamaische Exzeption mit einer Betrachtung, die auf die Probleme der Kanalrepublik gerichtet ist, die fremdbestimmte Existenz mit der Konstruktion eines selbstzentrierten Nationalismus zu versöhnen. Die doppelte Unabhängigkeit ist die große panamaische Anomalie, zugleich aber auch das Profilierungsfeld eines schwierigen Versuchs, das isthmische Dilemma der Unterwerfung unter amerikanische Kanalherrschaft im Schicksalsjahr 1903 einzufügen in das Projekt der Konstruktion eines identitäts-, würde- und letztlich auch sinnstiftenden Nationalismus. In der deutschsprachigen Literatur ist Panama seit der Vollendung des Kanals zur terra incognita avanciert.5 Der Isthmus wurde gleichsam zum Kanal 4 5

16

Vgl. beispielhaft für die Schule der kritischen Revisionisten Walter LaFeber, The Panama Canal. The Crisis in Historical Prospective. New York 1989. Noch 1912 haben Geographen um Karl Sapper sich mit Panama besonders beschäftigt, auch unter dem Gesichtspunkt einer deutschen Ansiedelung in Zentralamerika. Vgl. Karl Sapper u.a., Die Ansiedelung von Europäern in den Tropen. Bd. 2. München/Leipzig 1912. - In der Epoche der Weltkriege und unter nationalsozialistischer Perspektive wuchs das strategische Interesse am Panama-Kanal und stimulierte wiederum geographische Betrachtungen. Vgl. Emil Maurer, Der Panama-Kanal gestern und heute. Leipzig 1943. - Heutige sozialwissenschaftliche

Einleitung

reduziert oder den USA zugeschlagen. Das Drama einer 500jährigen Transitgeschichte, das alle Vibrationen europäischer und amerikanischer Weltgeschichte in seinem Mikrokosmos seismographisch reflektiert, blieb der deutschen Betrachtung fremd. 6 Vielleicht können die folgenden Kapitel dazu beitragen, eine Wiederentdeckung dieses mittelamerikanischen und interamerikanischen Kompressionspunktes zu stimulieren.

6

Arbeiten über Panama aus deutscher Feder aber beschränken sich auf landeskundliche Einführungen. Vgl. Dieter Nohlen/Franz Nuscheier (Hrsg.), Handbuch der Dritten Welt, Bd. 3, Bonn 1992. - 1978 erschien eine kleinere Schrift zum Thema Panama von Alex Schubert im Wagenbach-Verlag: Panama. Geschichte eines Landes und eines Kanals. So reagierte unlängst ein renommierter deutscher Verlag auf das Ansinnen, eine Studie über Panama zu publizieren, mit dem Verweis auf die anderen Kanäle der Welt, die darin Beachtung finden müßten.

17

1.

Zwischen Sevilla und Peru - das andere Panama

In seiner bewegten Geschichte als Landbrücke zwischen Ozeanen und Kontinenten ist Panama mehrfach entdeckt und wiederentdeckt worden. Als nach indianischer Besiedlung und spanischer conquista die Nordamerikaner in der Mitte des 19. Jahrhunderts an der Reihe waren, den Isthmus als kürzeste Verbindung zu den Goldfeldern Kaliforniens zu entdecken, waren sie nicht wenig erstaunt, dort auf eine versunkene, gleichsam in Dekadenz erstarrte Welt hispanischer Kultur zu stoßen, die von Jahrhunderten eines anderen Goldrausches Kunde gab, für den die Verbindung zwischen Atlantik und Pazifik ähnlich wichtige Dienste leistete wie für die nach Kalifornien strebenden, als Forty Niners bekannt gewordenen Goldsucher. Für die meisten dieser Migranten hat damals der desolate Zustand des Zerfalls, in dem sich ihnen die Transitzone präsentierte, eher stimulierend auf das angestammte amerikanisch-angelsächsische Überlegenheitsgefühl gewirkt, andere aber konnten sich dem morbiden Charme, dem Mysterium des alten Panamas nicht entziehen: "I found myself in the midst of desolate ruins. High toppling walls; crumbling battlements; moss-covered turrets; broken arches; ancient crosses, all, bearing the touch of 'time's decaying finger around which beauty lingers' [...]. I expected to find Panama the largest city in the Province, but supposed that it would not differ materially in construction from the other towns through which I had passed. Such was my ignorance of the history of this Republic. We Americans I believe are generally not very well posted up in relation to our Sister republics of South America." 1 Dieses andere Panama hat provoziert und fasziniert zugleich. Es war Kompressionspunkt einer unerwarteten Begegnung zwischen der versinkenden hispanischen und der aufstrebenden nordamerikanischen Zivilisation. Beide sind hier aufeinander gestoßen, und beide haben ihre Spuren eingraviert. Wer den Transformationsprozeß der amerikanischen Expansion in dieser mittelamerikanischen Region verstehen will, kommt nicht umhin, gerade ihrem spanischen Vorlauf als Verbindung zwischen Sevilla und Peru besondere Beachtung zu schenken.

1

John Harris Forster, Field Notes of a Surveyor in Panama and California 1849. Hrsg. von Christine H. Weideman. The University of Michigan 1935, S. 11. 19

Panama Schon früh in der spanischen Epoche begann Panamas geopolitische Funktionalisierung.2 Nicht durch mineralische Bodenschätze oder agrarische Produktion gewann der Isthmus seine Wertschätzung im iberischen Weltreich, sondern durch Serviceleistungen im Transitverkehr zwischen Sevilla und Peru. Über die an ihrer günstigsten Stelle nur achtzig Kilometer breite Landenge wurde das pazifische Amerika an das transatlantische Handelssystem Spaniens angebunden. Wobei dieser finalen Inwertsetzung allerdings erhebliche Mißverständnisse vorausgingen. Als Kolumbus auf seiner vierten und letzten Reise in die Neue Welt im Januar 1503 erstmals amerikanisches Festland an der Stelle erreichte, an der heute die Provinz Veraguas liegt, war er zunächst überzeugt, ein neues Eldorado gefunden zu haben. Die Entdeckung einer Passage nach Indien blieb dem Genueser versagt, aber um so mehr zeigte er sich vom auriferen Potential des vor ihm liegenden Landstriches überzeugt. In seiner berühmten Lettera Rarlssima aus dem Jahr 1503 war Gold das dominierende Thema, und sich auf Berichte der Indios und seiner ausgeschickten Mannschaften berufend, schwärmt Kolumbus von den dort zu erwartenden Goldvorkommen: "A 6 de febrero, lloviendo, invid setenta hombres la tierra adentro; y a las cinco leguas fallaron muchas minas: los indios que iban con ellos

2

20

Auf folgende wichtige Quellenwerke und Beschreibungen der Geschichte Panamas in der Kolonialzeit wurde für dieses Kapitel zurückgegriffen: Celestino Andrés Araúz/Patricia Pizzurno, El Panamá Hispano (1501-1821). 2da edición. Panama 1991; Alfredo Castillero Calvo, América Hispana: Aproximaciones a la historia económica. Panama 1983; Alfredo Castillero Calvo, Economía terciaria y sociedad. Panamá siglos XVI y XVII. Panama 1980; Mana del Carmen Mena García, La ciudad en un cruce de caminos. Sevilla 1992; Mana del Carmen Mena García, La sociedad de Panamá en el siglo XVI. Sevilla 1984; Carlos Manuel Gasteazoro, Introducción al estudio de la historia de Panamá. Fuentes de la época Hispánica. Panama 1990; Carlos Manuel Gasteazoro/ Celestino Andrés Araúz/Armando Muñoz Pinzón, La historia de Panamá en sus textos. Tomo I (1501-1903). Panama 1980; Carlos Manuel Gasteazoro/Celestino Andrés Araúz/Armando Muñoz Pinzón, Tabla Cronológica (De hechos históricos, políticos, sociales, económicos, culturales y científicos). In: Lotería 287. Panama 1980. Clarence Henry Haring, Trade and Navigation between Spain and the Indies in the Time of the Hapsburgs. Gloucester (Mass.) 1964; Clarence Henry Haring, The Spanish Empire in America. New York 1963; Christopher Ward, Imperial Panama. Commerce and Conflict in Isthmian America, 1550-1800. Albuquerque 1993;

Zwischen Sevilla und Peru - das andere Panama los llevaron a un cerro muy alto, y de allí les mostraron hacia toda parte cuanto los ojos alcanzaban, diciendo que en toda parte había oro. [...] cogían, cuando él quería, un hombre en diez días una mozada de oro. [...] La calidad es grande, porque ninguno de éstos jamás había visto minas y los más oro." 3 Vasco Nuñez de Balboa, der zehn Jahre später als erster Europäer den Isthmus überquerte und dabei das 'Meer des Südens' entdeckte, hat mit seinen schillernden Berichten den Mythos vom 'goldenen Panama' weiter vertieft, was schließlich in einer doppelten Namensgebung zu Buche schlug. Neben Tierra Firme wird der Isthmus fortan als Castilla Aurífera o del Oro von den spanischen Königen geführt. Aber Baiboas entscheidende und für Panama schicksalhafte Entdeckung war nicht mineralischer, sondern geographischer Natur. Die Passage zum Pazifik, die er mit Hilfe der Indios im Darien erkundete, öffnete letztlich den Weg zur später von Pizarro realisierten conquista von Peru. Damit kommt eine erneute Wende in der Nutzung des Isthmus ins Spiel. Aus der Endstation der spanischen Karibik-Route, wo conquistadores und encomenderos sich ein Stelldichein gaben, um ihren Träumen vom schnellen Reichtum eine neue Chance bieten zu können, wird eine Frontier-Zone, die den Ausgangspunkt für die Fortsetzung der conquista in Richtung Süden bildet. Die drei Expeditionen Pizarros, mit denen er das Inka-Reich zwischen 1524 und 1532 unter seine Kontrolle brachte, wurden von hier aus geführt. Kurzfristig konkurrierend mit dem Projekt der conquista Perus war der Gewürzhandel mit den Molukken, für dessen Realisierung die 1519 von Pedradas Dávila gegründete Stadt Panama,4 die heute älteste überlebende europäische Siedlung auf dem amerikanischen Kontinent, prädestiniert schien. Noch in den Instruktionen vom Mai 1526 an den gerade neu ernannten Gouverneur von Castilla del Oro stand der Gewürzhandel mit dem Fernen Osten ganz im Vordergrund der spanischen Interessen.5 Doch ohne daß diese Handelsbeziehung jemals realisiert werden konnte, verkaufte Karl V. 1529 seine Ansprüche auf die Molukken für 350.000 Dukaten an Portugal. Die Landenge rückte fortan ausschließlich in den Dienst der Eroberung Perus.

3 4 5

Zitiert nach: Gasteazoro/Araúz/Muñoz Pinzón, La historia de Panamá en sus textos. Tomo I, S. 84f. Vgl. hierzu: Mena García, La ciudad en un cruce de caminos, S. 40ff. Vgl. Haring, Trade and Navigation, S. 181.

21

Panama Damit wurde aus der Grenz- bzw. Endstation Panama eine Transitzone, und die Entdeckung der großen Silbervorkommen in Potosí führte schließlich zum Transfer jenes sagenumwobenen Reichtums, der fortan die isthmische Legende bestimmt hat. Nach Kalkulationen von Hamilton6 liefen zwischen 1531 und 1660 60% der gesamten Silber- und Goldschätze, die aus den amerikanischen Kolonien nach Spanien eingeführt wurden, über die panamaische Transitroute. Die weitere Entwicklung des Isthmus verknüpfte sich von nun an aufs engste mit dem Schicksal des großen Vizekönigreichs im Süden, und Transit blieb das bestimmende Moment dieser Verbindung. Der peruanische Gold- bzw. Silberrausch hat über 200 Jahre den Lebensrhythmus und die Lebensform, die gesamte materielle und soziale Disposition der Region zutiefst geprägt. Dabei entstanden ist eine Entität, die sich einfachen Klassifizierungsmustern entzieht. Das imperiale Panama ist weder auf die beschränkte Realität eines Maultierpfades, über den die begehrten Gold- und Silberschätze transportiert wurden, zu reduzieren, noch läßt es sich auf den Höhenlinien eines maritimen, 'hanseatischen' Wirtschaftszentrums begreifen. Es war vielmehr ein multifunktionales, hoch spezialisiertes Servicezentrum, über das die Anbindung Perus an das atlantische Handelssystem Spaniens zu gewährleisten war; und als solches war es ein extrem sensibler Reflexpunkt konjunktureller Zyklen und machtpolitischer Veränderungen innerhalb des spanischen Weltreiches. Sechs spezifische Dienstleistungsbereiche hat Panama in seiner besonderen Transitfunktion für Spanien abgedeckt: 1.

Es war administratives Zentrum für die Kolonialverwaltung - aber auch für die Kirche - mit Sitz einer audiencia und eines Bischofs.

2.

Es war Versorgungsbasis für die dort anlaufenden spanischen Flottenverbände.

3.

Es war Marktzentrum und Umschlagplatz, d.h. Austragungsort der berühmten ferias, die beim Eintreffen der Tierra Firme-Flotte zuerst in Nombre de Dios, später dann in Portobelo abgehalten wurden.

6

Earl J. Hamilton, American Treasure and the Price Revolution in Spain, 15011650. Cambridge (Mass.) 1934. - Vgl. hierzu auch: Alfredo Castillero Calvo, Transitismo y dependencia - El caso del Istmo de Panamá, in: Estudios Sociales Centroamericanos. 2(1973)5, S. 72; Huguette und Pierre Chaunu, Seville et l'Atlantique (1504-1650), Bd. 7. Paris 1959; Ward, Imperial Panama, S. 8f.

22

Zwischen Sevilla und Peru - das andere Panama 4.

Es war ein bedeutendes Transportunternehmen, denn Menschen und Handelsgüter aus Spanien und Peru mußten über die Landenge - auf dem Camino Real oder über die Rio-Chagres-Route - befördert werden. Hierzu waren Lagerhäuser, große Maultierbestände, Boote und hinreichende Arbeitskräfte notwendig, die diese Dienste und die Instandhaltung der Infrastruktur leisten konnten.

5.

Darüber hinaus war Panama ein großes Gasthaus, eine "venta en un cruce de caminos", 7 das die Bewirtung und Unterbringung der zahlreichen Reisenden zwischen Peru und Spanien zu leisten hatte. Kirchliche Würdenträger, Vertreter der spanischen Kolonialadministration bis hin zum Vizekönig von Peru, Militärs, Kaufleute, Siedler und Abenteurer pausierten hier in großer Zahl und mußten oft länger versorgt und bewirtet werden, bis weiterfuhrende Schiffsverbindungen gewährleistet waren.

6.

Schließlich war Tierra Firme ein wichtiger, wenn auch meist personell unterbesetzter militärischer Stützpunkt mit besonderen Aufgaben zur Sicherung der Endhäfen des Isthmus gegen Übergriffe von Piraten und Korsaren sowie gegen feindliche Flottenverbände der konkurrierenden europäischen Staaten.

Betrachten wir einige der wichtigsten Funktionsbereiche Panamas als Teil dieses interozeanischen Transfersystems im Detail.

1.1

Panama als administratives Zentrum

Dank seiner Schlüsselstellung bei der Erschließung und Anbindung Perus war Panama schon wenige Jahrzehnte nach seiner Entdeckung weit mehr als eine gewöhnliche zentralamerikanische Kolonie. Die spanische Krone war unmittelbar betroffen von der 'Funktionsfähigkeit' des Isthmus, denn nicht zuletzt war es die zeitgerechte monetäre Versorgung, die Zulieferung von Edelmetallen aus Peru, die es hier durch die Schaffung geordneter Verhältnisse zu sichern galt. So erklärt es sich, daß Panama, obgleich von der territorialen und demographischen Statur her eine unbedeutende Größe, 1538 nach Abschluß der conquista Perus, Sitz einer audiencia und, damit verkoppelt, auch

7

Luis Navarro García, Prólogo, in: Mena García, La sociedad de Panamá, S. 20.

23

Panama Bischofssitz wurde. Trotz seiner Kleinheit rückte das Territorium auf diese Weise in eine Spitzenstellung der kolonialen Verwaltungshierarchie auf. Die erste audiencia wurde zwar bereits 1543 wegen Korruptionsskandalen wieder aufgehoben und nach Guatemala verlagert. 1563 erfolgte jedoch der Rücktransfer, und fortan verblieb diese Verwaltungsinstanz bis zum Ende des spanischen Flottenregimes im 18. Jahrhundert in Panama. Wie überall in Hispanoamerika war sie auch hier nicht nur als Organ der Rechtsprechung von Bedeutung; vielmehr vereinigten sich in dieser Institution alle administrativen, legislativen und judikativen Kompetenzen, die zur Sicherung der Funktionsfähigkeit der Transitbrücke erforderlich waren. Damit bildete die audiencia das eigentliche politische Machtzentrum, was zwangsläufig dazu führte, die Bedeutung der cabildos - der lokalen Stadträte - auch in den beiden wichtigen Terminalhäfen Panama-Stadt und Nombre de Dios/Portobelo empfindlich einzuschränken. Auch für die Kirche war Panamas strategische Lage so gewichtig, daß sie dort einen Bischofssitz etablierte, der dem Erzbistum von Lima untergeordnet war. Die zahlreichen Klöster und Konvente, die bald darauf entstanden, waren mit dafür eingerichtet, dem durchreisenden Klerus Unterkunft zu gewähren. Zwar blieb die audiencia der nächsthöheren kolonialen Entscheidungsinstanz - dem Vizekönig von Peru - untergeordnet, aber die große Entfernung nach Lima bewirkte in der Praxis ein hohes Maß an Autonomie, zumal wenn es darum ging, die oft kritischen inneren wie äußeren Sicherheitsprobleme zu bewältigen. Letzterer Aufgabenbereich besaß höchste Priorität, so daß der Präsident der audiencia zumeist auch als Gouverneur und Generalkapitän von Tierra Firme fungierte; es waren meist Militärs, die in dieses Amt berufen wurden. 8 Die spanische Kolonialadministration war daneben noch über ein zweites Organ, die Real Hacienda - das königliche Schatzamt - vertreten. Die Spitzenbeamten dieser Behörde bildeten zusammen mit dem Präsidenten und den oidores der audiencia die Junta Suprema de Real Hacienda, den höchsten Rat des königlichen Schatzamtes, der in monatlichen Zusammenkünften die Haushaltsfragen zu beraten hatte. Die Spezialisierung auf Dienstleistungen und die damit verbundene Vernachlässigung von Einnahmequellen im produktiven Sektor, sei es aus der 8

24

Vgl. Ward, Imperial Panama, S. 48 u. 50.

Zwischen Sevilla und Peru - das andere Panama Landwirtschaft oder dem Abbau mineralischer Ressourcen, komplizierten schon in den frühesten Anfängen die Beschaffung von Haushaltsmitteln. Panama überlebte finanziell vornehmlich durch die stets umkämpfte Besteuerung des Transitverkehrs und dank königlicher Subventionen. Schon die Instandhaltung des Camino Real, des terrestrischen Verbindungsweges zwischen Panama-Stadt und Portobelo, ließ sich ohne Bezuschussung nicht bewerkstelligen. 9 So blieb Panama zu allen Zeiten der spanischen Präsenz auf königliche Zuwendungen, insbesondere für seine Verteidigungsanlagen, angewiesen. Es war ein hoch subventioniertes, aber zugleich auch ein politisch äußerst kompliziertes Unternehmen, bedingt durch die Vielzahl von Entscheidungszentren, die letztlich mit der audiencia konkurrierend auf die lokalen Geschicke Einfluß nehmen konnten. Die audiencia operierte nicht nur im Schatten der beiden mächtigen externen Entscheidungszentren in Lima und Sevilla bzw. Madrid, sie war zugleich auch den konkurrierenden Eingriffen königlicher Spitzenbeamter ausgesetzt, die die Landenge besuchten. Sowohl die durchreisenden Vizekönige von Peru, als auch der Generalkapitän der spanischen Flotte - solange diese in Portobelo vor Anker lag - verfügten über zeitlich beschränkte Weisungsbefugnisse, die die Kompetenzen der audiencia überlagern konnten. Die Unübersichtlichkeiten dieses Herrschaftssystems wurden zusätzlich akzentuiert durch die vielfältigen Verbindungen, die sich im Laufe der Zeit zwischen den Mitgliedern der Kolonialbürokratie und der kommerziellen Elite knüpften. Zwar gab es das gesetzliche Verbot für die ausnahmslos aus gebürtigen Spaniern - den sogenannten peninsulares - bestehende Spitze der spanischen Kolonialadministration und deren Angehörige, sich vor Ort, im eigenen Verwaltungsdistrikt ehelich zu binden. Aber wie María del Carmen Mena García aufzeigt, waren die Heiratsverbindungen zwischen dem Rest des spanischen Verwaltungsapparates und der lokalen kommerziellen Elite umso intensiver: "La vinculación por vía de matrimonio fue, en efecto, uno de los procedimientos más eficaces a la hora de establecer lazos estrechos de parentesco entre la élite dirigente. Numerosas pruebas documentales atestiguan la creación de estas relaciones matrimoniales por parte del fun-

9

Vgl. Mena García, La ciudad en un cruce de caminos, S. 216ff.

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Panama cionariado panameño, así como la existencia de una estrecha unión entre sus miembros por razones de parentesco." 10 Hinzu kam, daß es nur wenige Mandatsträger der isthmischen Kolonialadministration gab, die nicht die Chance nutzten, selbst - oder über Mittelsmänner - geschäftlich am profitablen Transithandel zu partizipieren:11 "En realidad, cabría afirmar que fueron muy pocos los burócratas que de un modo u otro resistieron a la tentación de aumentar sus ingresos mediante las transacciones comerciales y el negocio de los transportes a través del istmo.'" 2 Als kleinste audiencia Spanisch-Amerikas war Panama somit von besonderen Bedingungen der Herrschafts- und Elitenverflechtung, von externer Regulierung und gesonderter Privilegierung sowie von konkurrierenden Herrschaftsträgern gezeichnet. In diesem Zusammenhang betont Alfredo Castillero Calvo13 zu Recht das eigentümliche "direkte Subordinationsverhältnis", dem der Isthmus unterlag. Hinzuzufügen wäre allerdings, daß direkte Subordination und Privilegierung hier eng ineinander griffen. Direktverwaltung im Zeichen der audiencia war für die kommerzielle Elite immer auch eine Quelle der 'Bereicherung', denn aus ihr ergaben sich privilegierte Beziehungen zur spanischen Bürokratie, steuerliche Vergünstigungen beim Import lebenswichtiger Güter, Chancen auf Arbeitsplätze in der Kolonialbürokratie sowie Subventionen für die Sicherung des Transitservice. Jedoch nicht nur administrative und politische Sonderbedingungen haben Panama mit dem Flair einer Ausnahmeregion in Spanisch-Amerika versehen. Von ebenso gravierender Bedeutung war die Verkoppelung mit dem spanischen Flottensystem. Die Carrera de Indias, für die Panama wichtige Dienstleistungen erbrachte, hat die Eigenheiten der lokalen Wirtschaft und Gesellschaft zutiefst geprägt.

10 11

12 13

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Mena García, La sociedad de Panamá, S. 222. In dieser informellen Verflechtung von Kolonialbürokratie und kreolischer Elite relativierte sich im übrigen die diskriminierende Wirkung der auch für Panama gültigen Regel spanischer Kolonialverwaltung, daß Spitzenstellungen in dieser Bürokratie exklusiv den peninsulares vorbehalten waren. Mena García, La sociedad de Panamá, S. 224. Vgl. Alfredo Castillero Calvo, Transitismo y dependencia - El Caso del Istmo de Panamá. In: Nueva Sociedad (1973)5, S. 43.

Zwischen Sevilla und Peru - das andere

1.2

Panama

Galeonen und ferias

Für die Organisation der materiellen Lebensbedingungen des Isthmus war es von entscheidender Bedeutung, daß der spanische Handel mit Peru, wie mit Amerika allgemein, als Monopolhandel über Monopolhäfen - wie Sevilla, Cádiz, Cartagena, Portobelo, Veracruz, Havanna - unter Federführung und Regie der Casa de Contratación in Sevilla/Cádiz dirigistisch organisiert war. Sieht man einmal vom Phänomen des Schwarzhandels 14 ab, der dieses merkantilistische Ordnungskonzept stets durchbrochen hat, so bedeutete das Verbot individueller Schiffsbewegungen zwischen Spanien und den amerikanischen Kolonien, daß sich Panama den beschwerlichen Belastungen eines kapriziösen Flottenregimes unterwerfen mußte, das Serviceleistungen erforderlich machte, die unter Bedingungen größter Unwägbarkeiten und hoher zeitlicher Schwankungen zu erbringen waren. Dieses schicksalbestimmende Regime erhielt seine festen Konturen und Regeln zwischen 1543, dem Jahr der ersten offiziellen Proklamation einer zweimal jährlich angesetzten Flottenverbindung mit den amerikanischen Kolonien, und 1564-66, als definitive Regelungen für separate Flottenbewegungen nach Tierra Firme wie nach Neuspanien (Veracruz) angesetzt wurden. Sie sollten bis zum Ende der Habsburger-Ära in Spanien in Kraft bleiben. 15 Die Tierra Firme-Flotte verließ Spanien gewöhnlich im Juli, um - nach Zwischenstation in Cartagena - den Isthmus im Dezember zu erreichen. Die dann einsetzende Trockenzeit verschaffte günstigere Bedingungen für die weiterführenden Transporte auf dem Fluß- oder Landwege und bewahrte die Besatzungen vor den weit höheren Risiken der Infektion durch Malaria und Gelbfieber in der Regenzeit. Die Mexiko-Flotte verließ Sevilla/Cádiz bereits im April, um die günstigen Passatwinde zu nutzen und Hurrikan-Risiken im Golf von Mexiko zu vermeiden. Beide Flotten trafen sich schließlich zur Überwinterung in Havanna, um dann von dort gemeinsam die nördliche Rückreiseroute (vuelta) über die Azoren anzutreten. Ein weiterer, dritter Flotten verband, die Armada del Sur, wie die spanische Pazifik-Flotte genannt wurde, setzte sich von Calao, dem Hafen Limas, aus nach Norden in Richtung Panama in Bewegung, sobald die Botschaft vom Eintreffen der Tierra Firme-Flotte in Cartagena auf dem Landwege per Kurier

14 15

Vgl. zum Schmuggel: A. Castillero Calvo, Transitismo y dependencia - El caso del Istmo de Panamá. In: Estudios Sociales Centroamericanos 2(1973)5, S. 75. Vgl. Haring, Trade and Navigation, Kap. IX: Galleons and Flotas, S. 201 ff.

27

Panama nach Peru übermittelt worden war. In Nombre de Dios/Portobelo schließlich kam es im Rahmen der weltberühmten/en'&y zum großen Austausch vornehmlich zwischen peruanischen Edelmetallen und spanischen bzw. europäischen Konsumgütern, die für die Versorgung Perus von großer Bedeutung waren. Galeonen und ferias bestimmten somit den lokalen Lebensrhythmus. Die Schwankungen und Unberechenbarkeiten dieses Systems hinterließen ihre prägenden Spuren insbesondere in der fragilen Struktur der Transitökonomie. So konnte die Komposition und Größe der einlaufenden Flottenkonvois sehr unterschiedlich ausfallen. Mehrmals, so 1575, 1580 und 1591 beschränkte sich die Flotte auf ganze vier Schiffe, was einer Tonnage entsprach, die zwischen 460 und 940 lag. 1589 dagegen erreichte die Zahl der Schiffe einen Spitzenwert von 69 mit einer Tonnage von 15.565. Nicht selten kam es zu Unregelmäßigkeiten und Verzögerungen bei der Ankunft, oder gar zum Aussetzen ganzer Flotten über mehrere Jahre, was in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts schließlich zur Regel wurde. Zwischen 1683 und 1685 kam keine Flotte, 1686 ein einziges Schiff, die nächsten vier Jahre waren wiederum flottenlos.16 Panama war unter diesen Bedingungen dazu verurteilt, dem Faktor der Kontingenz sowie der Flexibilität in seinen Planungen höchste Priorität einzuräumen. Mit dem Eintreffen der spanischen Silberflotte vollzog sich dann für die Transitzone ein abrupter, wenn auch nur kurzlebiger Wechsel des Lebensrhythmus. Impressionen von der Dramatik dieses Wandels bei der Ankunft der spanischen Flotte in Portobelo sind anschaulich festgehalten worden von dem englischen Dominikanermönch Thomas Gage, der aus Zentralamerika kommend 1637 auf der Rückreise nach Spanien den Isthmus passierte. Nicht nur der lasterhafte Lebenswandel und die hohen Preise haben Thomas Gage beeindruckt.17 Er bestaunte das Eintreffen der mit Silberbarren beladenen

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17

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Vgl. Christopher Ward, Imperial Panama, S. llOff. - Vgl. des weiteren die Berechnungen von A. Castillero Calvo: "Por ejemplo, que se celebraron 105 ferias entre 1544 y 1731, es decir en 187 años (en 1737 se organizó la última, pero no se celebró), con un promedio de una cada 1.8 años para todo el período: hasta 1650, el promedio fue de una cada 1.28 años, entre 1651 y 1663 de una cada 1.7 años y a partir de 1664 de una cada 4.6 años, lo que evidencia el progresivo deterioro del sistema desde mediados del XVII." Aus: Alfredo Castillero Calvo, La ruta transístmica y las comunicaciones marítimas hispanas siglos XVI a XIX. Panama 1984, S. 8. Vgl. Eric S. Thompson (Hrsg.), Thomas Gage's Travels in the New World. Norman 1958, S. 330.

Zwischen Sevilla und Peru - das andere Panama Maultierketten in Portobelo bei der Ankunft der Flotte aus Spanien und beschreibt schließlich das turbulente Marktgeschehen, bei dem die Kaufleute aus Peru ihr Silber gegen Waren aus Sevilla eintauschten: "What most I wondered at was to see the recuas of mules which came thither from Panama, laden with wedges of silver. In one day I told [counted] two hundred mules laden with nothing else, which were unladen in the public market-place, so that there the heaps of silver wedges lay like heaps of stones in the street. [...] Within ten days the fleet came, consisting of eight galleons and ten merchant ships. [...] It was worth seeing how merchants sold their commodities, not by the ell or yard, but by the piece and weight, not paying in coined pieces of money, but in wedges which were weighed and taken for commodities. This lasted but fifteen days, whilst the galleons were lading with wedges of silver and nothing else."18 Doch auch die Schattenseiten, die später in den Epochen des Kanalbaus besonders für Schlagzeilen sorgen sollten, klingen bereits bei Gage an. Gemeint sind die schwierigen klimatischen Bedingungen, die gesundheitlichen Risiken, denen die Besatzungen der Silberflotte ausgesetzt waren. "Don Carlos de Ybarra, who was the Admiral of that fleet, made great haste to be gone, and that made the merchants buy and sell apace, and lade the ships with silver wedges. Whereof I was glad, for the more they laded, the less I unladed my purse with buying dear provision, and the sooner I hoped to be out of that unhealthy place, which of itself is very hot, and subject to breed fevers, nay, death. [...] especially when the fleet is there, it is an open grave ready to swallow a good part of that numerous people which at that time resort to it. That was seen the year that I was there, when about five hundred of the soldiers, merchants, and mariners, what with fevers, what with the flux caused by too much eating of fruit and drinking of water, what with other disorders, lost their lives. They found it to be to them not Porto bello, but Porto malo (sic)."19

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Thompson (Hrsg.), Thomas Gage's Travels in the New World, S. 329f. Thompson (Hrsg.), Thomas Gage's Travels in the New World, S. 330.

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Panama Dennoch gab Gage den ferias von Portobelo Weltspitzenrang in seiner Zeit: "I dare boldly say and avouch, that in the world there is no greater fair than that of Portobello, between the Spanish merchants and those of Peru, Panama, and other parts thereabouts."20 Ein Jahrhundert vor Gage schreibend, verglich Pedro de Cieza de León die ferias von Nombre de Dios bereits mit den Märkten von Venedig: "El trato es tan grande, que casi se puede comparar con la ciudad de Venecia." 21 Wo auch immer Panama und seine ferias vergleichend anzusiedeln sind, Tatsache bleibt, daß der Isthmus in seiner Blütezeit zu einem der wichtigsten kommerziellen Zentren der hispanoamerikanischen Welt avancierte. 22 Aber diese privilegierte Stellung im transatlantischen Handelssystem blieb von relativ begrenzter Dauer. Ward, 23 der anhand von Daten über Flottenaktivitäten (Zahl der Schiffe/Tonnage) und Umsatz auf den ferias die Wirtschaftszyklen Panamas zwischen 1537 und 1730 untersucht hat, limitiert das, was er das "Golden Age of Isthmian Commerce" nennt, auf den Zeitraum zwischen 1580 und 1628. Nach einer kurzen Periode der Stagnation (1629-1645) setzte dann bereits der lange Niedergang der Carrera-Wirtschaft ein (1646-1681), bis sich schließlich zwischen 1682 und 1739 der endgültige Kollaps dieses Systems anbahnte. 1739 wurde die letzte feria in Portobelo abgehalten. Noch im selben Jahr erfolgte die Zerstörung der Festungsanlagen des Hafens von Portobelo durch einen britischen Flottenverband unter Admiral Vernon. Die Carrera de Indias und mit ihr die Privilegien des imperialen Panama wurden 1748 endgültig aufgehoben.

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Thompson (Hrsg.), Thomas Gage's Travels in the New World, S. 330. - Zur feria von Portobelo vgl. auch: Luis J. Ramos Gómez, "Las Noticias secretas de América" de Jorge Juan y Antonio Ulloa (1735-1745). 2 Bde. Madrid 1985, Band I, S. 120ff. Pedro de Cieza de León, Crónica del Perú. Bogota 1971, S. 37. Vgl. A. Castillero Calvo, Transitismo y dependencia - El caso del Istmo de Panamá. In: Estudios Sociales Centroamericanos 2(1973)5, S. 72. Vgl. Ward, Imperial Panama, S. 123f.

Zwischen Sevilla und Peru - das andere Panama 1.3

Maultiere und Sklaven: Panama als Transport- und Versorgungsunternehmen

Während die administrative (audiencia) und ökonomische (ferias) Steuerung des Isthmus als Teil der Carrera de Indias weithin in den Händen von spanischen Regierungsbeamten und sevillanischen oder peruanischen Kaufleuten, den berüchtigten peruleros, lag, blieben die 'sekundären' Dienstleistungen, wie Transport, Lagerung von Gütern und Versorgung von Transitreisenden in panamaischer Hand. Zu den gefragten Qualitäten lokaler Unternehmer gehörte damit zwangsläufig die Fähigkeit zur kurzfristigen Mobilisierung von Transport- und Versorgungskapazitäten beim Eintreffen der pazifischen und atlantischen Flotten in den Endhäfen des Isthmus. Die Verfügung über große Reserven an billigen Arbeitskräften und Maultieren war eine der hierfür unumgänglichen Voraussetzungen. Maultiere fanden im gesamten spanischen Amerika bevorzugte Verwendung als Transportmittel für Waren und Menschen bis weit in das 19. Jahrhundert hinein. Panama war umso stärker auf Maultiere angewiesen, als Indios für Transportdienste aufgrund des Genozids, den die conquista an ihnen ausgelöst hatte, nicht mehr in hinreichender Zahl zur Verfügung standen. Um die Transportbedürfnisse einer feria abzudecken, wurden durchschnittlich bis zu 1.000 Maultiere benötigt, deren Ernährung und Reproduktion nur im Rahmen eines weitgespannten logistischen Netzwerkes möglich war.24 Da es nicht gelang, Maultiere in Panama selbst nachzuzüchten, mußten jährlich neue Tiere aus El Salvador, Nikaragua und Honduras in großer Zahl herangeführt werden. Der Verschleiß an Maultieren auf dem Camino Real war so hoch, daß die jährliche Importzahl in der Regel der Nutzungsquote von etwa 1.000 Tieren pro feria entsprach. Ähnlich aufwendig war die Beschaffung des wichtigsten Futtermittels für die Maultiere, Mais, das in der Regel aus Cartagena eingeführt wurde, nachdem anfängliche Experimente der Eigenversorgung über Anbaugebiete in Veraguas an der unregelmäßigen Nachfrage gescheitert waren. Prämoderne Transporttechnologie war arbeitsintensiv. Der Isthmus mit seinen Dienstleistungen im Bereich von Transport, Lagerhaltung sowie Versorgung von Transitreisenden war zwangsläufig ein großer 'Verbraucher' von Sklaven. 24

Vgl. hierzu die Angaben bei Castillero Calvo, Economía terciaria, S. 62-65; Castillero Calvo, América Hispana; Ward, Imperial Panama, S. 60-65; Mena García, La sociedad de Panamá, S. 162ff.

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Panama Die Edelmetalle aus Peru wurden in der Trockenperiode zwischen November und April vorwiegend auf dem schnelleren Maultierpfad von Panama-Stadt nach Portobelo transportiert, während es kleine Boote mit je 20 Ruderern waren, die auf der Alternativroute über den Rio Chagres zwischen Cruces und Nombre de Dios die Stapelgüter übernahmen. Zahlreiche Sklaven wurden somit benötigt für die Führung und Versorgung der Maultiere sowie für die Bedienung der Ruderboote.25 Hinzu kam der hohe Bedarf an Arbeitskräften für die Instandhaltung der Transportwege. Es zählt zu den Kuriositäten Panamas, daß das transisthmische Transportproblem in der iberischen Epoche trotz des aufwendigen Einsatzes von afrikanischen Sklaven nie befriedigend gelöst werden konnte. Von den frühesten Anfangen der spanischen Nutzung im 16. Jahrhundert bis zum kalifornischen Goldrausch, der zwischen 1849 und 1855 den fragilen Maultierpfad überrollte, ist der Camino Real immer wieder beschrieben, beklagt und verflucht worden. Der Pfad, der 1640 von einem Vertreter der panamaischen Kirche als "malíssimo camino, peor que jamás yo he visto en todo lo que he andado"26 bezeichnet worden ist, blieb immer ein Desaster, bis schließlich 1855 der Bau der transisthmischen Eisenbahn diesem Transportdrama ein Ende setzte. Pläne zur Modernisierung des Camino Real27 hat es zu allen Zeiten spanischer Herrschaft gegeben, aber nie gelang es, eine durchgehend befestigte Allwettertrasse über die begrenzte Distanz von 80 km anzulegen. Weder die schwierigen klimatischen Bedingungen - wie große Hitze und sintflutartige Regenfalle - noch die Unbilden panamaischer Topographie und tropischer Vegetation reichen aus, um dieses Scheitern zu erklären. Die Isthmus-Passage

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Im letzten Drittel des 16. Jahrhunderts waren z.B. durchschnittlich 30 Boote mit je 20 Ruderern im Einsatz auf dem Rio Chagres. Vgl. Mena García, La sociedad de Panamá, S. 392. - Insgesamt arbeiteten nach Criado de Castilla im Jahr 1575 in Panama 2809 schwarze Sklaven. Quelle: Alonso Criado de Castilla, Sumaria descripción del Reyno de Tierra-Firme. In: M. de Peralta, Costa Rica, Nicaragua y Panamá en el siglo XVI. Madrid/Paris 1883, S. 527-540. Zitiert nach: Haring, Trade and Navigation, Kap. VIII: The Isthmus of Panama, S. 183. Vgl. Rubén Darío Caries, Desenvolvimento de la linea de tránsito Panamá-Nombre de Dios-Portobelo. In: Lotería (1969)165, S. 50-54; Ward, Imperial Panama, S. 58f. Vgl. dort auch die Karte zur Verkehrsinfrastruktur Panamas. - 1593 wurde die avería del Camino durch königlichen Erlaß formalisiert; diese beinhaltete unter anderem eine Abgabe von 0,5% auf das über den Isthmus transportierte Silber.

Zwischen Sevilla und Peru - das andere Panama blieb trotz königlicher Subventionen und Wegesteuer, der Avería del Camino, ein Abenteuer. Dies nicht zuletzt, weil die Mittel für Ausbau und Befestigung der weitverbreiteten Korruption immer wieder zum Opfer fielen, wie der Licenciado Calderón, oidor der audiencia von Charcas, in seiner minutiösen Beschreibung der Verhältnisse in Panama aus dem Jahr 1585 erkennen läßt. Es lohnt sich, seinen Klagen im Wortlaut zu folgen: "En este Reino y en todas las Indias no hay cosa de gobierno de más peso e importancia que el aderezo de este camino de esta ciudad a la de Nombre de Dios, porque de él pende casi lo demás del Perú, el cual, después que él se descubrió, no ha estado más malo que hoy, ni se ha tenido de él menos cuidado. Tienen estas dos ciudades para el aderezo de él más de 15.000 ducados de renta cada año, los cuales se consumen en salarios de los que lo tienen y en otros gastos, y nadie se acuerda del camino. Llámase lo que esta ciudad tiene la avería, que es que de todas las mercadurías que se descargan en Nombre de Dios, se paga un cuarto de peso por ciento, y de las barras que vienen del Perú un tomín de cada ciento, y llega esto a valer en esta sola ciudad 10.000 pesos ensayados algunos años, y éste ha valido 8.000. Y en el Nombre de Dios, tienen ciertos derechos que llaman sisa, en los negros y otras cosas que allí desembarcan, que vale 4 ó 5.000 pesos. Tienen de esto entre ambas ciudades como 60 esclavos, digo para el aderezo de este camino, que demás de éstos tienen otros. Esto bastara si hubiera habido quien le doliera o hiciera lo que era razón, a que estuvieran todas las calzadas de carpintería perpetua, y todos los ríos con puentes, porque no es el camino muy áspero si estuviera aderezado. No se adereza porque los que mandan dicen se quieren aprovechar de este dinero y repártenlo en salarios de amigos y criados, que algunos años ha valido 4.000 pesos ensayados de salarios, y ahora en sólo lo de esta ciudad hay casi 2.000. "28 Das unbewältigte isthmische Transportproblem läßt sich somit als Fanal der begrenztenDurchsetzungsfáhigkeitderiberischenKolonialadministration, aber auch als Zeichen der besonderen Kreativität der kommerziellen Elite im Umgang mit knappen spanischen Ressourcen interpretieren.

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El Licenciado Calderón a S.M. Panamá, 1585. A.G.I., Contaduría, 1457, zitiert nach: Mena García, La ciudad en un cruce de caminos, S. 219f.

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Panama Schließlich gilt es, auch sicherheitstechnische Aspekte zu berücksichtigen, will man den Langmut panamaischer Kaufleute bei der Bewältigung der permanenten Transportmisere verstehen. Traditionell hat sich die Stadt Panama stets auf die Geographie, d.h. auf den unwegsamen Tropenwald zwischen Portobelo und Panama-Stadt als Sicherheitskorridor verlassen. Henry Morgan konnte daraus Nutzen ziehen, denn als es ihm 1671 nach großen Entbehrungen gelungen war, den Isthmus auf dem Landweg zu überqueren, lag vor ihm die zum Hinterland völlig ungesicherte Stadt Panama, die er dann mühelos einnehmen und zerstören konnte.29 Die langfristigen Folgen der arbeitsintensiven, prämodernen Transporttechnologie aber hinterließen ihre Spuren vor allem im eigentümlichen ethnischen Profil des Isthmus. Mit dem hohen Bedarf an Arbeitskräften für das Transportgewerbe wie für nahezu alle manuellen Tätigkeiten in den Terminalhäfen - von der Holzbeschaffung bis hin zum Wassertransport und Reinigungsdiensten, die nur durch afrikanische Sklaven zu bewältigen waren30 - wurde Panama insbesondere im Umfeld der Transitzone zu einem überwiegend von Afrikanern geprägten Territorium. Criado de Castilla berichtet 1575, daß in der Stadt Panama 5.604 afrikanische Sklaven lebten, aber nur 800 vecinos;31 allerdings muß hinzugefügt werden, daß ein erheblicher Teil dieser Sklaven sich durch Flucht dem Arbeitszwang entzogen hatte. Allein für Panama-Stadt

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Vgl. zur Plünderung von Panama-Stadt durch Morgan u.a.: Gasteazoro/Arauz/Muñoz Pinzón, La historia de Panamá en sus textos. Tomo I, S. 161ff.; Sandra Marie Petrovich, Henry Morgan's Raid on Panama: Geopolitics and Colonial Ramifications, 1669-1674. Clear Lake 1995; Peter Earle, The Sack of Panama: Sir Henry Morgan's Adventures on the Spanish Main. New York 1981. Siehe auch das Stichwort "Panama" in: Jan Rogozinski, Pirates! Brigands, Buccaneers, and Privateers in Fact, Fiction, and Legend. New York 1996, S. 248f. "La gente de travajo y servicio son negros todos, porque de la gente blanca ninguno ay que sirba, ni se dé al travajo, a cuya causa es grande la suma de negros que en este reyno están." Aus: Criado de Castilla, Sumaria descripción, zitiert nach: Manuel M. de Peralta, Costa Rica, Nicaragua y Panamá en el siglo XVI. Madrid/Paris 1883, S. 535. - Vgl. hierzu auch: Roberto de la Guardia, Los negros del Istmo de Panamá. In: Lotería (1976)250, S. 69-102. Gemäß der "Descripción de Panamá y su provincia" aus dem Jahr 1607 hatte Panama damals 5.702 Einwohner; von ihnen waren 70,31% Afrikaner, 22,22% Weiße und nur 0,47% Indios. Zitiert nach: Mena García, La sociedad de Panamá, S. 59.

Zwischen Sevilla und Peru - das andere Panama

MAR

DEL

C Atlantic

N O R T E Ocean )

River Route Land Route

Karte 1: Der Camino Real

Panama werden 2.500 "negros y negras cimarrones que andan en el monte"32 aufgeführt. Sklavenaufstände blieben bis weit in das 17. Jahrhundert endemisch. Ebenso wie die Einfälle von Piraten und Korsaren33 verweisen sie auf die fragilen inneren und äußeren Sicherheitsbedingungen, die die Funktionsfähigkeit Panamas unter spanischer Herrschaft stets belastet haben. Das starke numerische Übergewicht der afrikanischen Sklaven, von dem bei Criado de Castilla die Rede ist, deutet im übrigen auf die prekäre Stellung der indianischen Urbevölkerung in dieser strategisch wichtigen Region des spanischen Kolonialreiches. Bereits wenige Jahrzehnte nach den ersten Kontakten mit den conquistadores waren im Bereich der Transitzone die Indianer als Opfer von Gewalt und Epidemien nahezu ausgelöscht. Der Vergleich mit dem Schicksal der indianischen Urbevölkerung der Karibik bietet sich an, aber wichtige Unterschiede sind zu berücksichtigen. Anders als in der Karibik konnten sich Teile der Indios von Tierra Firme dem Zugriff der Spanier durch Ausweichen in unwegsame Randgebiete entziehen. Darüber hinaus wurden neue Indios aus Peru, Mexiko und Zentralamerika herangeführt. 34 Die heute noch schwer zugängliche Grenzregion zwischen Panama und Kolumbien, die Provinz Darien, war neben der regenreichen Atlantikküste des Isthmus stets eine der wichtigsten Rückzugsenklaven, die die Spanier bis zum Ende des 18. Jahrhunderts auch nie voll kontrollieren konnten. Als es spanischen Missionaren 1719 gelang, einige Siedlungen an der Atlantikküste des Darien zu errichten, wurden diese nach kurzer Zeit von den Indios wieder zerstört. Noch 1736 mußte der Bischof von Panama in seinem Bericht über die Provinz Darien verzeichnen, daß er diese Region aus Gründen mangelnder Sicherheit nicht besuchen und somit ihren Zustand und ihre Probleme nicht erfassen konnte: "En estos años que he sido Obispo de este Reino ha estado tan inquieta esa Provincia que han entrado varias veces, y por varias partes, los indios alzados del Norte de ella, no he podido ejecutar la visita personalmente, de lo que tengo dado cuenta a su Majestad, no habiéndola visto,

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Criado de Castilla, Sumaria descripción, S. 536. Vgl. hierzu auch: Peter T. Bradley, Los Bucaneros en el Istmo y Bahía de Panamá (1680-87). In: Lotería (1990)378, S. 5-32. Vgl. Araúz/Pizzurno, El Panamá Hispano, S. 97ff.

Zwischen Sevilla und Peru - das andere Panama no puedo hacer juicio prudente de lo que es, como de todo lo demás del Reino, que he visitado."35 Erst 1790 war es möglich, einen dauerhaften Friedensvertrag mit den Indianern des Darien zu schließen, der allerdings zur Bedingung hatte, daß die Spanier alle Befestigungsanlagen in dieser Provinz aufgaben.36 So deutet sich an, daß Teile der Indianer Panamas Überlebenschancen besaßen, die in der Karibik nicht vorhanden waren. Die sich zunächst aufdrängenden Parallelen zwischen Panama und der Karibik, von denen Luis Navarro García spricht,37 werden damit relativiert. Indianischer Genozid und ethnisches Revirement waren zwar Bestandteil der isthmischen Lebenswelt unter spanischer Herrschaft, aber nicht in jener Radikalität, wie sie für das Schicksal von Arawaken und Kariben charakteristisch war. Parallelitäten zur Karibik aber lassen sich über die besonderen Bedingungen von Plantagen- und Transitökonomie rekonstruieren. Das funktionale Beharrungsvermögen beider Systeme fällt dabei besonders ins Auge. Ein Blick auf die strukturellen Verfestigungen dieser Spezialisierung Panamas mag abschließend dazu beitragen, noch einmal der Frage nach den Ursachen der frappierenden Statik des Isthmus in seiner schicksalhaften Mission nachzugehen. 1.4

Die langen Schatten der Carrera de Indias

Die 200jährige Funktionalisierung im Dienste der Carrera de Indias hat tiefe Spuren im eigentümlichen ethnischen Profil des Isthmus hinterlassen. Sie schuf ein markantes regionales Ungleichgewicht zwischen Transitzone und Hinterland und führte zur Herausbildung einer Serviceökonomie, deren

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Aus "Informe sobre los Indios gentiles vecinos, y la facilidad que hubiera de reducirlos si hubiera misiones de padres de la compañía" des Bischof Pedro von Panama. Zitiert in: Gasteazoro/Araúz/Muñoz Pinzón, La Historia de Panamá en sus Textos. Tomo I, S. 182ff., hier: S. 184. Vgl. Thomas Oliver Selfridge, Reports of explorations and surveys to ascertain the practicability of a ship-canal between the Atlantic and Pacific oceans by the way of the isthmus of Darien. Washington D.C. 1874, S. 10. - Vgl. auch Mariano Arosemena, Apuntamientos Históricos 1801-1840. Panama 1949, S. 17ff. Vgl. Luis Navarro García, Prólogo, in: Mena García, La Sociedad de Panamá, S. 20.

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Panama 'produktive Rückständigkeit' immer wieder mit Verwunderung zur Kenntnis genommen wurde. Bereits 1575 berichtet der oidor Criado de Castilla von unzureichender landwirtschaftlicher Produktion unter Verweis auf den Mangel an Arbeitskräften bzw. mangelnde Bereitschaft zu manueller Arbeit: "Tiene buenos campos rasos y muchos prados fértiles y abundosos de yerba y no se cultivan por falta de gente, y la que ay no se inclina al travaxo dello."38 Fast 250 Jahre später heißt es in einem Reisebericht über Panama nahezu identisch: "A pesar de la fertilidad del suelo, había pocos campos cultivados cuyos productos apenas sí bastaran para atender a las necesidades del consumo local."39 Die Gründe für diese 'Defizite' sind stets kontrovers diskutiert worden. Als sich Panama nach der Unabhängigkeit von Spanien im 19. Jahrhundert europäischen und nordamerikanischen Besuchern öffnete, war es das Argument spanischer 'Dekadenz', in seiner anthropologisch-rassistischen oder kulturellen Variante, das in den Vordergrund einer Erklärung rückte. Die strukturellen Verwerfungen eines hochspezialisierten Dienstleistungszentrums und die Schwierigkeiten der Transformation eines solchen Systems fanden in der Regel keine hinreichende Beachtung. Die spezifische ökonomische Eigenleistung Panamas lag in der schicksalshaften Konzentration auf einen Transitservice, der nur durch hochgradige Spezialisierung profitabel nutzbar zu machen war. Das große Marktgeschehen der ferias von Nombre de Dios/Portobelo wurde gewöhnlich dominiert von sevillanischen und peruanischen Kaufleuten. Nur einigen wenigen panamaischen Händlern gelang es, in diese Sphäre der großen Geschäfte vorzudrin-

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Criado de Castilla, Sumaria descripción, S. 530. A. Le Moyne, Viajes y Estancias en América del Sur. Bogota 1945, S. 400. - Vgl. auch die Bemerkungen des britischen Konsuls William Perry zu diesem Thema vom 25. Juni 1842: "Entre Panamá y Chagres hay cientos de acres de tierra buena, capaz de rendir los más valiosos productos, pero debido al descuido reciente de esta magnífica provincia desde su independencia, la población ha estado casi estacionaria y la dificultad de obtener mano de obra ha aumentado." Zitiert nach: Universidad de Panamá. Facultad de Filosofía, Letras y Educación, Escuela de Inglés (Hrsg.), Informes Consulares Británicos sobre el Comercio y Aspectos Socio-Políticos de Panamá: Años 1826-1863. Übersetzt von Belinda Araúz de Zúñiga. Panama 1979, S. 67.

Zwischen Sevilla und Peru - das andere Panama gen. Die Transportdienste nahmen jedoch eine so gewichtige Stellung ein, daß die Betreiber von Maultierketten, die señores de recuas, von der Real Hacienda mit unter die Kategorie der Kaufleute eingereiht wurden. 40 Die Unregelmäßigkeiten und zyklischen Schwankungen des Carrera-Feria-Systems forderten ihren spezifischen Tribut an ökonomischer Adaption. Der Aufbau komplementärer Produktionsstrukturen, etwa im Bereich der Landwirtschaft, konnte für eine Transitökonomie, die im Jahr einen elfmonatigen Stillstand - tiempo muerto - oder gar ein mehrjähriges Ausbleiben der Flotte aus Sevilla einzukalkulieren hatte, nicht sinnvoll erscheinen. Vielmehr setzte sich zur Deckung der zusätzlichen Bedürfnisse in Zeiten des Transits und der ferias eine flexible und rasche Zulieferung benötigter Güter von außen mittels Nutzung schnellerer maritimer Verbindungen durch. Die Möglichkeit, Versorgungsengpässe extern auszugleichen, war somit eines der Privilegien, über die der Isthmus gegenüber anderen amerikanischen Kolonien, die dem Verbot des Interkolonialhandels ausgesetzt waren, verfügte. In der Carrera-Epoche erhielt Panama seine wichtigsten Grundnahrungsmittel von außerhalb: Weizen und Wein aus Peru, Mais aus Nikaragua und Cartagena, Mittelmeerfrüchte und Gartenbauprodukte aus Spanien.41 Nur eine extensiv betriebene Viehzucht, die größere Nachfrageschwankungen leichter auffangen konnte, besaß Überlebenschancen in diesem System. Die Segnungen dieses Privilegs, auf interkoloniale Arbeitsteilung und Handel zurückgreifen zu können, drohten jedoch rasch zum Verhängnis zu werden. Vor allem in Krisenzeiten, wenn beispielsweise Piraten oder Korsaren die maritimen Nachschubwege blockierten oder Schiffe kaperten, offenbarten sich die fatalen Folgen der extrem hohen externen Abhängigkeit. Die lokale agrarische Eigenproduktion war so stark reduziert, daß Hungersnöte bei der Blockade der Seeverbindungen in den beiden Terminalhäfen des Isthmus keine Seltenheit waren. Schon aus dem Jahr 1571 wird berichtet, daß die Bevölkerung der Stadt Panama über acht Monate Bananen an Stelle des gewohnten Weizenbrots und Mais essen mußte, weil die Außenversorgung zusammengebrochen war. 42 In einem anderen Bericht heißt es gegen Ende des 18. Jahr-

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Vgl. Descripción de Panamá y su provincia (1607), S. 171-173, zitiert in: Mena García, La sociedad de Panamá, S. 242f. Vgl. Mena García, La sociedad de Panamá, S. 108. Vgl. hierzu Mena García, La sociedad de Panamá., S. l l l f . : "Los asaltos de los corsarios que continuamente acechaban las costas hacían correr un grave peligro a cuantas embarcaciones surcaban aquellas aguas. En mayo de 1571, hacía ocho

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Panama hunderts: "Faltan a esta Provincia de Panamá muchos artículos de primera necesidad para su propia subsistencia."43 Bleibt das schon angesprochene eigentümliche Gesellschaftsprofil, das aus den Bedürfnissen der Transitspezialisierung hervorgegangen ist. Die numerische Dominanz der Afrikaner in der Transitzone wurde konterkariert von einer kleinen kommerziellen Elite, die eine im übrigen Hispanoamerika einmalige Herrschaftskonfiguration erstellte, denn dort war es in der Regel eine landbesitzende Kreolenoligarchie, die die Macht innehatte. In Panama waren es dagegen die zugewanderten und meist rasch zu Reichtum avancierten Kaufleute vor allem aus Sevilla, die, neben den Trägern der spanischen Kolonialadministration, die Geschicke bestimmten. Criado de Castilla beschreibt diese Elite als politisch stark engagiert und wohlhabend: "Es la gente muy política, todos españoles y gran parte dellos originarios de la ciudad de Sevilla. Es gente de mucho entendimiento; su oficio es tratar y contratar, ecepto quince ó veynte vezinos que tratan los campos y viven de los ganados y hacienda que en ellos tienen. Es por la mayor parte gente rica."44 Das aus dem feudalen Spanien über die conquista nach Amerika transferierte encomienda-System, das die Ausübung von Herrschaftsprivilegien mit der Zuteilung von indianischen Arbeitskräften verkoppelte, konnte in Panama nicht greifen, bedingt durch die frühzeitige Dezimierung und Verdrängung der indianischen Urbevölkerung. Die encomenderos Panamas zogen weiter nach Peru oder wurden zu Händlern, nachdem das encomienda-System durch das gesetzliche Verbot der Zwangsarbeit für Indianer durch die Real Cédula vom 22. Februar 154945 schließlich seine legale Basis verloren hatte. Damit war Tierra Firme das erste Gebiet Hispanoamerikas, das sich aus den feuda-

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meses que la población comía plátanos, en lugar de pan de trigo o de maíz. [...] las dos terceras partes de la harina de trigo que se consumía en la ciudad provenían del Virreinato peruano [...]. En 1577 [...] el cabildo de Panamá comunicaba al Rey que el último ataque inglés había causado la pérdida de las 3.500 fanegas de maíz, que tenían para el abastecimiento de la ciudad y con las cuales se suplía la falta de harina. Debido a la escasez de este producto, el precio del maíz había subido a tres pesos la fanega." Anonymer Bericht, zitiert nach: Gasteazoro/Araúz/Muñoz Pinzón, La historia de Panamá en sus textos. Tomo I, S. 201. Criado de Castilla, Sumaria descripción, S. 529f. Vgl. Mena García, La sociedad de Panamá, S. 347.

Zwischen Sevilla und Peru - das andere Panama len Banden spanischer Überseeherrschaft mittels der Bildung einer kommerziellen Elite löste. Eine weitere Sonderheit der isthmischen Transitgesellschaft ergab sich aus dem schon frühzeitig zu beobachtenden und für Hispanoamerika ungewöhnlich hohen Anteil von Ausländern. Aus einer Beschreibung aus dem Jahr 1607 geht hervor, daß auf 548 vecinos, die in der Stadt Panama lebten, 53 Ausländer kamen, die damit 10% der dortigen weißen männlichen Bevölkerung ausmachten. Von ihnen waren 31 Portugiesen, 18 Italiener, zwei Flamen und zwei Franzosen, fast alle Kaufleute, die z.T. über beträchtliches Vermögen verfügten. 46 Als kommerzielle Schaltstelle und Entrepot zwischen Sevilla und Peru war der Isthmus stets ein magischer Anziehungspunkt für ausländische Kaufleute, die zunächst vorwiegend aus dem direkten Einflußbereich Spaniens kamen. Diese beachtliche internationale Zuwanderung verlief im übrigen komplementär zur Herausbildung einer hoch mobilen Gesellschaft. Der peruanische Goldrausch hat nicht nur den Isthmus in eine kommerziell gewichtige Transitzone verwandelt, sondern auch seiner zuwandernden Bevölkerung eine Transitorientierung verliehen. Stets unter der Sogwirkung Perus stehend, blieb Tierra Firme folglich bis weit in das 19. Jahrhundert ein Land des demographischen Mangels und damit der knappen Arbeitskräfte. Die Gesamtbevölkerung belief sich auf wenig über 100.000 Einwohner bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts, und auch die Stadt Panama blieb allen Mythen zum Trotz eine Kleinstadt, die in der spanischen Epoche nie mehr als 10.000 Einwohner zählte.47 Erst unter Berücksichtigung dieser in die lokale Gesellschaft und Ökonomie eingeschriebenen Limitationen und Deformationen werden die Schwierigkeiten isthmischer Transformation voll einsichtig, und damit die eklatanten Proble-

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Vgl. Descripción de Panamá y su provincia (1607), zitiert in: Mena García, La sociedad de Panamá, S. 72 f. Vgl. auch die Übersicht "Composiciones de Extranjeros en Panamá (1596-1597)" zusammengestellt in: Mena García, La sociedad de Panamá, S. 73. Vgl. Richard F. Behrendt, Aspectos sociales y económicos del Istmo de Panamá durante la época del tráfico interoceánico primitivo (1519-1848). In: Revista Mexicana de Sociología 5(1943)1, S. 60f. - Zur Bevölkerungszahl Panamas vgl. auch: A. Castillero Calvo, Transitismo y dependencia - El caso de Istmo de Panamá. In: Estudios Sociales Centroamericanos 2(1973)5, S. 109; Ward, Imperial Panama, S. 32.

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Panama me, sich einen neuen Fokus der Produktion zu schaffen. Das Bild einer 'Transitfalle' bietet sich an, um die konsternierende Beharrlichkeit zu erklären, mit der das spanische Panama an seiner Transitmission festgehalten hat, auch unter den Bedingungen wachsender Marginalisierung und Misere, wie sie schließlich seit der Mitte des 18. Jahrhunderts bestimmend wurden. Zugleich liegt es nahe, diese Erfahrung in die Annalen der Dependencia einzuschreiben. Nur müßte korrigierend hinzugefügt werden, daß die virtuose Manipulation von Abhängigkeit ein panamaisches Lebensprinzip war. Kaum eine andere Zone des spanischen Weltreiches war fester eingefügt in das kastilische Kommunikations- und Handelssystem und tiefer durchdrungen von den Zwängen funktionaler Spezialisierung. Panama lieferte zwar keine begehrten Edelmetalle, erbrachte aber unverzichtbare Dienstleistungen und war somit ein unentbehrliches Servicezentrum für die spanische Krone. In dieser Funktion entwickelte es ein höchst fragiles, stark außengesteuertes Wirtschaftssystem. Während große Kolonien, wie z.B. Peru oder Neuspanien, durch die Förderung eigener Agrarproduktion und Manufakturen erheblichen Spielraum besaßen, sich spanischen Interessen zu entziehen, war dem kolonialen Panama mit seinen knappen demographischen und territorialen Ressourcen dieser Weg weithin verschlossen. Der erweiterte Handlungsspielraum des Isthmus bei der Gestaltung seiner Außenversorgung wurde bezahlt mit der prekären Anbindung an die konjunkturellen Schwankungen in Spanien und Peru. Stagnierte in Peru die Nachfrage nach Konsumgütern aus Spanien oder die Silberproduktion in Potosi, war Panamas Transitökonomie unmittelbar betroffen. Dasselbe galt im Falle konjunktureller Schwankungen in Spanien selbst. Das Aussetzen der Silberflotte und damit der ferias von Portobelo - ein sich häufendes Ereignis ab der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts - wirkte sich immer fatal für den Isthmus aus. Hinzu kam die Abhängigkeit von der internationalen machtpolitischen Konjunktur. Schon geringe Fluktuationen innerhalb der maritimen spanischen Transportkapazitäten, die sich aus den Konflikten in Europa ergaben, konnten für Panama verhängnisvolle Konsequenzen zeitigen. Als die spanische Armada 1588 ihre verheerende Niederlage im englischen Kanal erlebte, mußte die feria von Portobelo ausgesetzt werden, da eine ausreichende Schiffstonnage fehlte. Kurz, Tierra Firme war immer ein sensibler Reflexpunkt und Seismograph des Wandels und der Wirren internationaler Beziehungen, vom spanischen Expansionsprozeß im 16. bis zu den Unabhängigkeitskriegen Lateinamerikas im 19. Jahrhundert.

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Zwischen Sevilla und Peru - das andere Panama Im 16. und 17. Jahrhundert waren es vornehmlich die Korsaren und Piraten der rivalisierenden europäischen Mächte, die der begehrten Landenge zusetzten. Die Zerstörung der Stadt Panama im Jahre 1671 durch Henry Morgan und seine Gefolgsleute bildete den Höhepunkt dieser Entwicklung. Als im Frieden von Rijswijk 1697 diese Gefahrenquelle zumindest offiziell eliminiert wurde, indem die Kolonialhäfen für Piraten gesperrt wurden, traten die imperialen Rivalitäten und die Konfrontation zwischen Spanien und Großbritannien im Gefolge des spanischen Erbfolgekriegs (1701-1713) und der spanischen Allianz mit Frankreich in den Vordergrund. Schon im Frieden von Paris, 1713, hatte sich Großbritannien einen ersten Zugang zum Markt von Portobelo durch die vertraglich gesicherte Konzession eines navfo de permiso48 ausgehandelt. Aber die britischen Interessen reichten weiter. Im Ringen um die kommerzielle Öffnung Lateinamerikas kam Panama erneut in die Schußlinie britischer Interventionen, kulminierend in der Zerstörung der Festungsanlagen von Portobelo und Chagres durch Admiral Vernon, 1739.49 Die Gründung des fortan auch für Panama administrativ zuständigen Vizekönigreichs Neu-Granada am 20. August 1739 ist als erste defensive Antwort Spaniens auf die für den Isthmus schicksalhafte neue Vormacht Großbritanniens im karibischen Raum zu verstehen.50 Diese Dominanz erreichte schließlich im Siebenjährigen Krieg (1756-1763) mit der britischen Eroberung Kubas und der zeitweiligen Übernahme Floridas durch England51 als Ergebnis der Friedensregelungen von Paris ihren Höhepunkt. Der damit verbundene spanische Orientierungswandel von Peru auf die belagerte Karibik vollzog sich zwangsläufig auf Kosten der angestammten geopolitischen Exzeption des Isthmus - ein Trend, der sich mit der Verlagerung der spanisch-britischen Rivalität auf den Südatlantik noch verstärkte.

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Vgl. zum navfo de permiso das Kapitel "Der Atlantikhandel", in: Piet C. Emmer u.a. (Hrsg.), Wirtschaft und Handel der Kolonialreiche. Dokumente zur Geschichte der europäischen Expansion, Band 4. München 1988, S. 22. Vgl. zu diesem Zeitraum auch: J.C.M. Ogelsby, The British and Panama - 1742. In: Caribbean Studies 3(1963)2, S. 71-79. Zur Entwicklung der administrativen Gliederung des spanischen Amerika vgl. die Übersicht "Die territoriale Gliederung Hispanoamerikas um 1770", in: Walther L. Bernecker u.a. (Hrsg.), Handbuch der Geschichte Lateinamerikas. Band 1: Mittel-, Südamerika und die Karibik bis 1760, hrsg. von Horst Pietschmann. Stuttgart 1994, S. 356ff. 1783 wurde Florida wieder an Spanien übergeben.

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Panama Im Jahr 1765 besetzte die britische Marine die militärisch völlig ungesicherten Malvinen52 und demonstrierte mit diesem Handstreich, wie stark Spanien seine südatlantischen Besitzungen vernachlässigt hatte; letztere aber gewannen dank ihrer reichen landwirtschaftlichen Potentiale immer stärker an Bedeutung gegenüber den Silberminen Perus. Als 1776 schließlich das Vizekönigreich Río de la Plata errichtet wurde, vollzog sich damit ein gewichtiger geopolitischer wie ökonomischer Orientierungswandel Spaniens, vom mineralischen Reichtum Perus hin zu den neuen landwirtschaftlichen Ressourcen des La Plata-Beckens, der Panama nicht unberührt lassen konnte, zumal dieser einherging mit der Aufwertung der Kap Horn-Route als alternative Verbindung zum Pazifik.53 Schon die Lizenz, die französische Sklavenhändler im Zeichen der bourbonischen Allianz zwischen Spanien und Frankreich bereits 1702 zur direkten Belieferung spanischer Pazifikhäfen über die Kap Horn-Route gewonnen hatten, zeitigte gravierende Konsequenzen für Panama. Denn auch die spanischen Galeonen folgten den Spuren der Franzosen, nachdem die Karibik immer stärker unter britische Kontrolle geriet, und selbst im Konvoi operierende Verbände keine Sicherheit mehr gewährleisten konnten. Damit war der Aufstieg von Buenos Aires zum neuen Tor zum Pazifik und neuen kommerziellen Zentrum im Südatlantik vorbereitet. Dort liefen fortan die ökonomischen und geostrategischen Kraftlinien der 'post-peruanischen' Epoche Hispanoamerikas zusammen. Vor diesem Hintergrund dramatischer geopolitischer Veränderungen stellt sich umso dringlicher die Frage nach den Überlebensstrategien Panamas. 1.5

Isthmische Überlebensstrategien im spanischen Niedergang

Zunächst kam Panama zugute, daß es bis in die Epoche der lateinamerikanischen Unabhängigkeitskriege (1810-1822) seine strategische Lage verstärkt in Wert setzen konnte. Das lange Ringen um Vorherrschaft im amerikanischkaribischen Raum zwischen Frankreich und Spanien auf der einen und England auf der anderen Seite, das im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg

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Vgl. Julius Goebel, The Struggle for the Falkland Islands. A Study in Legal and Diplomatic History. New Haven und London 1982 (Erstausgabe 1927), S. XHIff. Vgl. José Luis Cornelias, Historia de España moderna y contemporánea. Madrid 1993 (12. Auflage), S. 243f.

Zwischen Sevilla und Peru - das andere Panama (1776-1783) einen ersten Höhepunkt fand, begünstigte diesen Trend. Der Isthmus verlor zwar seine angestammte Bedeutung als Tor zum Pazifik - und damit zu den sich erschöpfenden Silberminen Perus -, wurde aber umso gefragter als strategische Bastion gegen den britischen Expansionismus und später im 19. Jahrhundert gegen die Unabhängigkeitsrevolten Lateinamerikas. Bereits 1753 begannen die Rekonstruktionsarbeiten an den durch Admiral Vernon zerstörten Befestigungsanlagen von Portobelo nach Vorschlag des angesehenen Militäringenieurs Ignacio Sala.54 Zwischen 1761 und 1768 erfolgte die Renovierung der Befestigungsanlagen von Rio Chagres und San Lorenzo. Pläne zur Revision der Befestigung von Panama-Stadt, wie sie zwischen 1766 und 1779 ausgearbeitet wurden, kamen nicht mehr zur Ausführung, da die finanziellen Mittel fehlten.55 Tierra Firme begann in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts somit eine, wenn auch spärlich dotierte, neue Existenz, nicht mehr als kommerzielles Zentrum, sondern als militärischer Komplex. Es war Garnison für eine ständige spanische Truppenpräsenz, die gegen Ende der iberischen Kolonialherrschaft in etwa 1.400 Mann erreichte. 56 Die Rekonstruktionsarbeiten an den Festungsanlagen sorgten zumindest für ökonomische Ersatzimpulse. Allerdings konnte erst in der Zeit der lateinamerikanischen Unabhängigkeitskriege Panamas strategische Aufwertung mehr als eine Überlebensrente abwerfen. Der Militärkomplex Tierra Firme, der in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts an die Seite des Transitkomplexes trat, hat den Niedergang Panamas nicht verhindert, jedoch abgemildert. Entscheidend für das Überleben der isthmischen Gesellschaft aber wurden zwei andere lang etablierte informelle Ausweichstrategien: der Schwarzhandel und die flexible Verkoppelung von Transit- und Subsistenzwirtschaft.57

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Vgl. Ward, Imperial Panama, S. 161ff; Juan Manuel Zapatero, La plaza fortificada de Panamá. In: Ibero-Amerikanisches Archiv. NF. 2(1976), S. 227-256. Vgl. Ward, Imperial Panama, S. 180-185. Vgl. zu diesem Zeitraum u.a. Mariano Arosemena, Independencia del Istmo. In: Lotería 13(1968)150, S. 27-66. Zum Schmuggel nach und durch Panama vgl. u.a.: Mena García, La sociedad de Panamá, S. 147ff.; Arosemena, Apuntamientos Históricos, S. 17; Ward, Imperial Panama, S. 80-88.; Arauz/Pizzurno, El Panamá Hispano, S. 205ff.; Enriqueta Vila Vilar, Las Ferias de Portobelo: Aparencia y realidad del comercio con Indias. In: Lotería (1986)358, S. 61ff.; Nicolás del Castillo Mathieu, Las 18 flotas de galeones a Tierra Firme (1650-1700). In: Anuario de Estudios Americanos, Suplemento 47(1990)2, S. 83-129.

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Panama Die kommerzielle Elite hatte sich schon frühzeitig mit einer Technik der 'Realisierung' auf die Unbilden der ausgeprägten konjunkturellen und zyklischen Schwankungen der fragilen Serviceökonomie, die jährlich bestenfalls ein bis zwei Monate funktionierte, eingestellt. Schon um die Wende zum 17. Jahrhundert wird in einem Bericht über Panama von jenen Kaufleuten geschrieben, die neben ihrer kommerziellen Tätigkeit noch über Landbesitz verfügen. 58 "Hay otros [Kaufleute, d. Verf.] que además de contratar con caudal propio, tienen encomiendas"; was 1607 noch als Novität - "estos son ahora nueve" - geschildert wurde, begann, stimuliert durch die wachsenden Krisen im 17. und 18. Jahrhundert, bald zur Regel zu werden. Als 300 Jahre später, 1903, in Washington die Verhandlungen der USA um einen Kanalvertrag mit den Vertretern der panamaischen Unabhängigkeitsbewegung, die ausschließlich aus der kommerziellen Elite des Isthmus zusammengesetzt war, geführt wurden, mußte der zeitweilig erwogene Vorschlag einer Teilung des damaligen Departements Kolumbiens zugunsten der Bildung einer unabhängigen kleineren Kanalrepublik verworfen werden, weil alle Mitglieder der Junta über weiten Landbesitz im Hinterland verfügten: "Nosotros todos en Panamá mas o menos tenemos propiedades en el resto del Departamento" 59 , so berichtet der von Panama bevollmächtigte französische Verhandlungsführer Philippe Bunau-Varilla von seinen Gesprächen mit dem späteren panamaischen Präsidenten Manuel Amador Guerrero in Washington. Im Zeichen der langen Rezession des 18. und 19. Jahrhunderts hatte sich ein Gutteil der kommerziellen Elite in das Hinterland zurückgezogen. Subsistenzwirtschaft bildete die Überlebensgrundlage in dieser sich lange hinziehenden Notsituation. Der Transitkomplex Tierra Firme überlebte seinen langen Krisenzyklus somit als Mischsystem von Transitökonomie und Subsistenzwirtschaft.60

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Descripción de Panamá y su provincia (1607), zitiert nach: Mena García, La sociedad de Panamá, S. 242. Philippe Bunau-Varilla, Carta de Philippe Bunau-Varilla al Ministro Sr. de la Espriella. In: Lotería (1976)248-249, S. 19. Omar Jaén Suárez spricht im Hinblick auf die Bevölkerungsbewegung Panamas im 18. Jahrhundert von einer allgemeinen starken Binnenwanderung: "Una migración de poblaciones urbanas que huyen de al ruina provocada por los repetidos incendios que asolan la ciudad de Panamá, en especial los de 1737 y 1756 y el cese de las ferias de Portobelo, hacia los esacios agrarios, hacia los pequeños poblados sabaneros." Aus: Omar Jaén Suárez, El siglo XVIII en Panamá y las permanencias

Zwischen Sevilla und Peru - das andere Panama Auch der Schwarzhandel, der von den frühesten Anfängen spanischer Herrschaft an eine bedeutsame Rolle spielte, war Teil dieser informellen Überlebensstrategie. Das monopolistische spanische Handelssystem, in dem Panama als Transitökonomie fungierte, trug immer schon den Keim seiner klandestinen Unterwanderung in sich. Zu Zeiten der großen peruanischen Silbertransporte war es vornehmlich der Schmuggel von nicht registriertem Silber. Schon um die Mitte des 17. Jahrhunderts mußte die Krone eingestehen, daß der Schwarzhandel im Carrera-System allgemein außer Kontrolle geraten war. 61 Mit zunehmendem Zerfall des hispanisch-atlantischen Handelssystems in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts und wachsenden Engpässen bei der Versorgung der amerikanischen Kolonien mit lebenswichtigen Gütern wurde die alte Transitroute zwischen Portobelo und Panama-Stadt immer mehr ausflankiert durch die Nutzung einer nur schwer kontrollierbaren westlichen Parallelroute über den Rio Codé del Norte, eine Route, die bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts den klandestinen Austausch mit Peru beherrschte. Erst nach einer großangelegten militärischen Kampagne durch den letzten Präsidenten der audiencia von Panama im Jahre 1747 konnte der hier angesiedelte Parallelhandel wieder stärker unter Kontrolle gebracht werden. Schwarzhandel aber blieb stets Teil isthmischer Realität bis weit in das 19. Jahrhundert, wenn auch die liberalen Reformen, die Karl III. in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in Spanisch-Amerika initiiert hatte, die Anreize für den Ausbau dieses Systems reduzierten. Wichtige Voraussetzung für die hartnäckige Persistenz des illegalen Handels war allerdings die geographische Nähe und operative Effizienz von Jamaika, neben St. Thomas und den Niederländischen Antillen das größte karibische Zentrum für Schwarzhandel. Über den illegalen Handel mit Jamaika formierte sich frühzeitig, mehr als ein Jahrhundert vor der politischen Lösung Panamas von Spanien, die panamaische Reorientierung hin auf den neuen atlantischangelsächsischen Machtkomplex. Diese frühe, klandestine Anbindung an Jamaika hat aber ebensowenig wie die militärische Aufwertung des Isthmus in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts den physischen Zerfallsprozeß, den Ruin von Bausubstanz und Infrastruktur, vornehmlich in der Transitzone,

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estructurales. In: ILDEA (Hrsg.), "Visión de la nacionalidad panameña". Foro 91/2. Panama 1992, S. 25. Vgl. hierzu: Castillero Calvo, Transitismo y dependencia - El caso del Istmo de Panamá. In: Estudios Sociales Centroamericanos 2(1973)5, S. 75. 47

Panama aufhalten können. Drei verheerende Brände 1 7 3 7 , 1 7 5 6 und 1 7 8 1 , deren Spuren noch 100 Jahre später das desolate Stadtbild zeichneten, haben Panamas neue Schattenexistenz symbolträchtig eingeleitet. 62 Nur der beharrlich gepflegte Mythos vom anderen, goldenen Panama hat den hundertjährigen Regreß unbeschadet überdauert.

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Vgl. zum Verfall Panamas Ende des 18. Jahrhunderts den anonymen Bericht in: Gasteazoro/Araúz/Muñoz Pinzón, La historia de Panamá en sus textos. Tomo I, S. 196ff. Im Jahr 1809 schreibt Santiago Bernabeu: " Lo primero que se presenta a la vista a la entrada en Panamá son los muladares hediondos en que se arrojan las inmundicias, y cuyas exalaciones corrompidas son causa de la poca salubridad de los ayres, y las que en tiempo de algún mal epidémico, lo propagan con rapidez por todo el vecindario haciendo general el contagio. Sita en el centro mismo del casco de la cuidad se halla una muchedumbre de semejantes Basureros [ . . . ] . " Aus: Proyecto de Gobierno para el Istmo de Panamá. In: Boletín de la Academia Panameña de la Historia. Tercera época (1982)29-30, zitiert in: Araúz/Pizzurno, El Panamá Hispano, S. 234.

2.

Der 'anglifizierte' Isthmus oder Panamas Transition in die anglo-amerikanische Einflußsphäre

Als der englische Kapitän Basil Hall auf seiner Erkundungsreise entlang der pazifischen Küste Hispanoamerikas - von Peru nach Mexiko - im Februar 1822 in Panama an Land ging, mußte er mit Erstaunen feststellen, daß er dort auf eine Bevölkerung stieß, die bereits von erheblichen Kontakten mit England Zeugnis gab und deren Orientierungen, von der Mode bis hin zum Konsum, stark 'anglifizierte' Prägungen zeigte. Insbesondere die Tatsache, daß er im Hafen von Panama von Menschen empfangen wurde, mit denen er sich auf Englisch verständigen konnte, beeindruckte den Captain der Royal Navy, der aus dem Vergleich mit anderen Regionen Lateinamerikas diese sprachliche Offenheit besonders zu würdigen wußte: "Our surprise on landing was considerable, when we heard the negroes and negresses who crowded the wharf all speaking English, with a strong accent, which we recognised as that of the West Indies; a peculiarity acquired from the constant intercourse kept up, across the isthmus, with Jamaica. Most of the natives also spoke English more or less corrupted. Innumerable other trivial circumstances of dress and appearance, and manners, conspired to make us feel that we had left those countries purely Spanish, and more effectually excluded by the ancient policy from foreign intercourse."1 Aber Halls Überraschung beschränkte sich nicht nur auf die Entdeckung linguistischer Affinitäten. Beim Besuch panamaischer Kaufleute wird ihm zu seinem Erstaunen "tea in the English fashion" offeriert; darüber hinaus legt man ihm Gazetten aus Jamaika vor. Insgesamt registriert Hall eine geopolitische Orientierung bei seinen panamaischen Gastgebern, die fundamental 'atlantisch', d.h. auf Jamaika, New York und London, nicht aber auf die Nachbarrepubliken Südamerikas ausgerichtet erscheint. "In the course of the morning, we became acquainted with many of the merchants of the place, who surprised us a good deal, and somewhat piqued us, by their total indifference about the South American news which we were so full of. They declared they could never manage to

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Basil Hall, Extracts from a journal written on the coasts of Chili, Peru and Mexico, in the years 1820, 1821, 1822 in two volumes. 3rd edition. Edinburgh 1824, Vol. II, S. 145f.

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Panama understand the different accounts from the south; that names, places, and circumstances, were all jumbled together."2 Hall berichtet weiter von intensiven Kontakten Panamas mit den Westindischen Inseln und fügt dann hinzu: "Every one at Panama spoke, not as if residing on the shores of the Pacific, but as if he had been actually living on the coast of the Gulf of Mexico."3 Inwieweit Hall bei seinem kurzen Aufenthalt vom 4. bis 6. Februar 1822 in Panama ein in jeder Hinsicht die atmosphärischen Feinheiten und Sonderheiten des Isthmus korrekt erfassendes Bild gezeichnet hat, mag dahingestellt bleiben. Wenn er an einer Stelle beispielsweise vom "total decay of Spanish taste and wealth"4 schreibt, so deutet sich in diesem Urteil gewiß auch ein Stück imperialen Wunschdenkens an, das seine Berichterstattung beflügelt hat. Aber über den starken britischen Einfluß ist von allen Besuchern, die den Isthmus nach der Unabhängigkeit von Spanien 1821 bereist haben, berichtet worden. Schon die Beschreibung aus der Feder des Franzosen Mollien,5 der nur ein Jahr später, von einer längeren Reise durch Kolumbien nach Frankreich zurückkehrend, Panama besucht hat, bestätigt den Eindruck dieses unübersehbaren britischen Einflusses, wenn er von der Existenz der vielen Läden schreibt, "worin eine Ordnung und Reinlichkeit herrscht, die beweist, daß die Kaufleute, denen sie angehören, viel mit Engländern zu tun haben". Jedoch fügt er hinzu: "Man findet viele Lebensmittel aus den Vereinigten Staaten, viele Weine und geistige Getränke", und weiter beobachtet er: "Männer und Weiber kleiden sich nach Englischem Geschmack."6 Den Engländern wird eine Führungsrolle bei der kommerziellen Erschließung und verkehrstechnischen Öffnung des Isthmus zugeschrieben, die Nordamerikaner dagegen nehmen nach Mollien eine Spitzenposition beim Schwarzhandel ein, den Panama vor allem mit Kuba und Jamaika betreibt.7

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50

Hall, Extracts from a journal, Vol. II, S. 150f. Hall, Extracts from a journal, Vol. II, S. 161. Hall, Extracts from a journal, Vol. II, S. 155. Vgl. G. Mollien, Reise nach Columbia in den Jahren 1822 und 1823. Berlin 1825. Mollien, Reise nach Columbia, S. 200f. Vgl. W. D. Weatherhead, An Account of the Late Expedition against the Isthmus of Danen under the Command of Sir Gregor McGregor. London 1821, S. 92f.

Der 'angliflzierte' Isthmus Der amerikanische Geschäftsmann Adrian Terry, der die Landenge zwischen Atlantik und Pazifik auf dem Wege nach Südamerika nahezu eine Dekade später überquerte, liefert noch ergänzende Beobachtungen. So berichtet er, daß ein monatlich zwischen Kingston und Chagres verkehrendes britisches Kriegsschiff zugleich die Post für Panama befördert. Zum anderen macht er darauf aufmerksam, daß, wie überall in Südamerika, auch in Panama für das einfache Volk die Vereinigten Staaten eine weithin noch unbekannte - bzw. mit England verwechselbare - Größe darstellen. Trotz langjähriger Präsenz amerikanischer Produkte auf den lokalen Märkten verfügen die Nordamerikaner in den Augen der dortigen Bevölkerung noch nicht über ein eigenes Profil, mit dem sie sich von ihren britischen Partnern oder Konkurrenten deutlich abzuheben vermögen. "The lower class of people, in all parts of South America where I have been, make no distinction between Englishmen and North Americans; and they have often looked extremely incredulous, when I have said I was an American, and this after I had acquired the pronunciation, and could speak the Spanish fluently, and was able to explain my meaning clearly. But I could never convince them that there was any part of America where English was spoken by all."8 Mit zu dieser amerikanischen Profillosigkeit beigetragen hat allerdings ein bemerkenswert pragmatisches Mischverhältnis von Kooperation und Konkurrenz, auf das sich Briten und Amerikaner bei der Erschließung neuer Märkte in Hispanoamerika allgemein eingespielt hatten. Davon berichtet auch Mollien anläßlich seiner Reise von Chagres nach Kingston: "Den Tag unsrer Abfahrt aus Chagrés begegneten wir einer Englischen Fregatte, die nach Cartagena ging, von wo sie Santa-Marta zusteuern sollte, die gewöhnliche Rundreise der Englischen Kriegsschiffe, wie mein Schiffscapitän sich ausdrückte. Die Reise dieser Fregatte hatte den Zweck, das Geld der Amerikanischen Kaufleute einzukassieren, und für eine Provision von 2,5 Procent nach Jamaika zu bringen." 9 Ungeachtet aller politischer Konflikte zwischen England und den USA seit 1776 verblieben die privaten Geschäfte beider Mächte im frühen 19. Jahr-

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Adrian R. Terry, Travels in the Equatorial Regions of South America in 1832. Hartford 1834, S. 29. Mollien, Reise nach Columbia, S. 213f.

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Panama hundert aufs engste verflochten, und die britischen Kaufleute machten sich nur zu gerne die Dienste ihrer amerikanischen Konkurrenten zunutze, oder gaben sich gar selbst als Nordamerikaner aus, da letztere, durch die Zuspitzung der spanisch-britischen Konfrontation seit 1797, über den privilegierten Status eines 'neutralen Staates' verfügten, mit dem die spanischen Kolonien in Amerika, die gewöhnlich nur von Cádiz aus beliefert werden durften, Handel treiben konnten. Als Spanien 1799 die Konzession des neutralen Handels wieder aufhob, wurde diese Revision von Seiten seiner amerikanischen Kolonien schlichtweg ignoriert. Die nordamerikanischen Kaufleute waren die Hauptnutznießer dieses Trends zur wirtschaftlichen Emanzipation Lateinamerikas, die schon Jahre vor der politischen Unabhängigkeit die angestammte Exklusivität kolonialer Beziehungen aufbrach. Während England mit der Blockade von Cádiz 1797 und dem Sieg über die französisch-spanische Flotte bei Trafalgar 1805 die endgültige Kontrolle über den Atlantik errang, nutzten vor allem die nordamerikanischen Kaufleute die Gunst der Stunde, um Lateinamerika für ihre Waren zu öffnen. 10 Als wichtige Transitbrücke für den Handel mit dem pazifischen Amerika blieb Panama von dieser Entwicklung nicht unberührt. Schon bald nach der Lösung des Isthmus von Spanien zeigte sich, daß vor allem Produkte aus Nordamerika an die Stelle der gewohnten Lieferungen aus Spanien und Peru getreten waren. Die englische Handelsdominanz blieb jedoch, wie die englischen Konsularberichte aus dieser Zeit andeuten, weiterhin bestimmend."

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Der am 10. Oktober 1823 ernannte britische Konsul in Panama, Malcolm MacGregor, berichtet am 1. September 1824 über die Handelsstruktur des Isthmus nach London: "The quantity of British goods imported into this department far exceeds the importation from all other countries." Jedoch treten gerade im Zwischenhandel die Amerikaner zunehmend in den Vordergrund: "The goods of [Germany and France] are introduced in considerable quantities through this isthmus for other ports in the Pacific, principally by Americans from the United States and by Jews from the island of St. Thomas." In: R.A. Humphreys (Hrsg.), British Consular Reports on the Trade and Politics of Latin America, 1824-1826. Camden Third Series, Vol. LXIII. London 1940, S. 285f. Nach den britischen Konsularberichten wurden aus Nordamerika in den dreißiger Jahren vor allem Mehl, Seife, Kerzen, Farben und Teer nach Panama eingeführt. Insgesamt war der Außenhandel Panamas zu dieser Zeit aber minimal; es überwog bei weitem der Transithandel. Während der gesamte Export Panamas im Jahr 1837 gerade 63.671 $ erreichte, wobei neben den Perlen (30.900 $) nur noch Goldstaub (9.642 $), Perlmuscheln (6.738 $), Sarseparille (4.911 $) und Häute (3.544 $)

Der 'anglifizierte' Isthmus 2.1

Jamaikanische Kontakte

Eine Schlüsselstellung in diesem Prozeß der anglo-amerikanischen Durchdringung Lateinamerikas allgemein und Panamas im besonderen nahm Jamaika als karibischer Vorposten des britischen Empire in seiner Expansion über den Atlantik ein. Mollien macht auf die Sonderrolle Jamaikas in einem gesonderten Kapitel12 seines Reiseberichts ausführlich aufmerksam. Er bewundert das rege Wirtschafts- und Gesellschaftsleben dieser Insel, ihren Reichtum und die Eleganz ihrer Bewohner, die durch die Straßen von Kingston flanieren. Er beschreibt die immensen Lagerhäuser und Depots um den Hafen von Kingston, in denen sich der Reichtum des gesamten amerikanischen Kontinents wiederzufinden scheint, und er lobt das rege Wirtschaftsleben, das er mit der desolaten Situation in den spanischen Kolonien kontrastiert: "Wenn man aus den Spanischen Colonien kommt, ist man verwundert über die Menge Schiffe, und über die Thätigkeit, welche in dem Hafen herrscht. Bey den Wharfs oder Landungsplätzen hat man ungeheure, mit Eisenblech überzogene Magazine erbaut, wo die Waaren aufgespeichert werden. Dieß ist ein merkwürdiger Platz, der an die Londner Doggen erinnert. Während man in dem Hofe die Mahagoniblöcke aus Yucatan, das Farbeholz aus der Campechebay, die Canadischen Bretter und Dauben, die Virginischen Mastbäume, und an einem andern Ort Eisen, Bley und Kupfer aufthürmt, rollt man etwas weiter davon kleine Fässer voll Gold und Silber aus Mexico und Columbia."13

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relevant waren, erreichte der Transithandel den Wert von 314.839 $, wobei Münzen und Edelmetalle (223.560 $) sowie Strohhüte (sog. "Panamahüte" für 86.691 $) wertmäßig dominierten. - Bei den Lieferländern lag Großbritannien (einschließlich Jamaika!) mit 68.278 $ noch deutlich vor den Vereinigten Staaten, die für 38.331 $ nach Panama exportierten, und Ecuador. - Vgl. den Bericht des britischen Konsuls Joseph Cade vom 1. Juni 1838, in: Universidad de Panamá. Facultad de Filosofía, Letras y Educación, Escuela de Inglés (Hrsg.), Informes Consulares Británicos sobre el Comercio y Aspectos Socio-Políticos de Panamá: Años 18261863. Übersetzt von Belinda Araúz de Zúñiga. Panama 1979, S. 20ff. Das Kapitel XIII der Ausgabe: G. Mollien, Viaje por la República de Colombia en 1823. Bogota 1944, entspricht dem Kapitel XIV der deutschen Ausgabe: G. Mollien, Reise nach Columbia in den Jahren 1822 und 1823. Berlin 1825. Mollien, Reise nach Columbia, S. 215.

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Panama Als ein wichtiger karibischer Stützpunkt des britischen Empires war Jamaika - nach Mollien - nicht nur bedeutsam durch seine ergiebige Kaffee- und Zuckerproduktion, von der ein erheblicher Anteil auf dem Wege des Schwarzhandels in die USA weitergeleitet wurde. Es fungierte zugleich als Drehscheibe des transatlantischen Handels und stellte das größte Versorgungsdepot für den amerikanischen Kontinent: "Jamaica ist der Stapel nicht blos des festen Landes von Amerika, von Mexico bis Peru, sondern auch zwischen Cuba und den Vereinigten Staaten, welche allein da Recht haben, ihre Schiffe in diese Englische Colonie zu schicken."14 Dieses Jamaika, das 1655 im Zuge der Cromwellschen Karibik-Expedition den Spaniern entrissen worden war und fortan in englischer Hand verblieb, ist gleichsam die Schicksalsinsel Panamas geworden. Über sie vollzog sich die Transition in die anglo-amerikanische Wirtschaftssphäre. Sie war zugleich der operative Ausgangspunkt für britische Piraten und Korsaren, die vor der Küste Panamas im 17. und frühen 18. Jahrhundert die sagenumwobenen Reichtümer Perus abzufangen suchten; sie war die wichtigste Basis des britisch-amerikanischen Schwarzhandels im 18. und frühen 19. Jahrhundert, der den Isthmus nutzbar machte, um das spanische Handelsmonopol im pazifischen Amerika aufzubrechen und begehrte britische und amerikanische Waren an die Handelszentren Perus zu liefern. Über Jamaika mit seinen sephardischen Juden, die im Wirtschaftsleben dieser Insel eine prominente Rolle einnahmen, erreichte den Isthmus jenes liberale Gedankengut, über das Panama sich auch politisch von der konservativen Kontinentalmacht Kolumbien im 19. Jahrhundert distanzieren sollte. Die erste panamaische Zeitung, La Misceláneo Del Istmo De Panamá,15 die im Jahr 1821 erschien, wurde in Jamaika gedruckt. Und jamaikanische Kaufleute gehörten zu den ersten, die sich nach der Sezession des Isthmus von Spanien um den Bau eines transisthmischen Kanals bemühten. So berichtet der britische Konsul in Guayaquil, Henry Wood, am 28. Februar 1826 an den damaligen Außenminister George Canning: "The project of a canal or rail road across the Isthmus of Panamá has, I believe, much engaged public attention, and I have been informed 14 15

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Mollien, Reise nach Columbia, S. 217. Vgl. hierzu Rodrigo Miró, Mariano Arosemena, el político, el periodista, el historiador. Panama 1960; sowie: Rodrigo Miró, La imprenta y el periodismo en Panamá durante la primera mitad del siglo XIX. Panama 1976.

Der 'anglifizierte'

Isthmus

that an exclusive privilege has been granted by the Colombian government to Messrs. Hyslop of Jamaica to form a channel of communication between the two oceans either by a canal or rail road." 16 Von dieser Insel kam schließlich die Mehrzahl der Arbeitskräfte, die Eisenbahn und Kanal im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert bauten.17 In der panamaischen Historiographie wird seit Justo Arosemena18 von einer "britischen Epoche" gesprochen, allerdings unter Bezug auf das 'lange' 17. Jahrhundert, in dem die britischen Korsaren und Piraten von Drake, der 1581 Portobelo zerstörte, bis Morgan, der 1670/71 Panama schätzte, den Isthmus zu ihrem Beuteobjekt deklarierten.19 Morgans legendäre Überquerung der Landenge und die sagenumwobene Zerstörung der Stadt Panama, die bis dahin zumindest von Piraterie verschont geblieben war, erbrachte dem britischen Korsaren schließlich die ehrenvolle Position eines Gouverneurs von Jamaika, die er von 1674 bis zu seinem Tode 1688 innehatte. Piraterie wurde wenig später zwar geächtet und offiziell unter Strafe gestellt. Aber erst mit dem Frieden von Rijswijk, im September 1697, der die Schließung der englischen und französischen Kolonialhäfen für Korsaren und Piraten verbindlich machte, kam es zu einer merklichen Entlastung Panamas, das in den letzten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts mehr denn je unter dieser Geisel zu leiden hatte. Die britischen Verbindungen mit Panama reichten jedoch weiter als der Arm der Piraterie. Der schottische Kolonisierungsversuch im Darien, 20 zwischen

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Zitiert in: Humphreys (Hrsg.), British Consular Reports, S. 242. Auch der Unabhängigkeitskrieg von Neu-Granada gegen Spanien berührte Jamaika. 1812 floh der Vizekönig von Neu-Granada nach Jamaika. 1815 war Jamaika Zufluchtsort für Simón Bolívar. Vgl. Justo Arosemena, El Estado Federal de Panamá. Panama 1974 (Erstausgabe 1855), S. 14. Vgl. Carlos Manuel Gasteazoro/Celestino Andrés Araúz/Armando Muñoz Pinzón, La historia de Panamá en sus textos. Tomo I (1501-1903). Panama 1980, S. 161ff. Vgl. hierzu: George Pratt Insh, The Darien Scheme. London 1947; Gerstle Mack, The Land Divided. A History of the Panama Canal and Other Isthmian Canal Projects. New York 1944, S. 84-92; Francis Rüssel Hart, The Desaster of Darien. The Story of the Scots Settlement and the Causes of its Failure, 1699-1701. Boston und New York 1929; Celestino Andrés Araúz/Patricia Pizzumo, El Panamá Hispano (1501-1821). Panama 1991, S. 196-198. - Zum schottischen Kolonisations-

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Panama 1698 und 1700, der anfänglich vom englischen König William III. unterstützt wurde, dann aber, mit dem Widerruf dieser Entscheidung, in ein verheerendes und an Menschenleben verlustreiches Desaster führte, deutet ebenfalls auf die Sonderstellung, die der Isthmus im englisch-schottischen Bewußtsein um die Wende zum 18. Jahrhundert bereits gewonnen hatte. Die schottische Kolonie, die William Paterson und seine 3.000 Siedler mit englischer Unterstützung im Darien errichten wollten, sollte den Grundstein für eine britische 'Schiedsposition' über die kommerzielle Welt legen, denn man ging davon aus, daß über die Kontrolle des Isthmus auch die Kontrolle der Reichtümer, die zwischen Atlantik und Pazifik transportiert wurden, in die Hände der Briten fallen würde. Ähnlich ehrgeizige Kalkulationen führten 120 Jahre später in die berühmte Panama-Expedition des schottischen Generals McGregor, der mit einem Freiwilligencorps von ca. 550 Soldaten den für den Unabhängigkeitskrieg NeuGranadas strategisch so wichtigen Isthmus der spanischen Kontrolle zu entreißen suchte. Es gelang McGregor zwar, Portobelo einzunehmen, aber vom Gegenangriff des panamaischen Gouverneurs und Militärkommandanten Alejandro Höre bei Nacht überrascht, geriet der größte Teil dieser Truppe insgesamt 340 Soldaten - in Gefangenschaft. Nur 121 von ihnen sollten den Isthmus ein Jahr später wieder lebend verlassen. 21 Während im 18. Jahrhundert zahllose militärische Interventionen der britischen Navy an die Stelle der einst allgegenwärtigen Gefahr der Piraterie rückten, gewann zugleich der Schwarzhandel - vor allem von Jamaika aus ins Werk gesetzt - dominierende Bedeutung als Überlebenssicherung im Zeichen des spanischen Machtzerfalls. Den Grundstein für diese abermalige 'britische Wende' legte der Vertrag von Utrecht (1713) am Ende des Spanischen Erbfolgekrieges. Großbritannien er-

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versuch in Darien vgl. auch: Introduction, in: Lionel Wafer, A New Voyage and Description of the Isthmus of America. Oxford 1934, S. L-LXII. Vgl. Sergio Elias Ortiz, Documentos inéditos sobre la conquista y pérdida de la plaza de Portobelo por el general Gregor MacGregor, en 1819. In: Boletín Cultural y Bibliográfico. Bogotá 6(1963)12, S. 1847-1854; sowie: W. Davidson Weatherhead, An Account of the Late Expedition against the Isthmus of Darien, under the Command of Sir Gregor McGregor. London 1821. Vgl. als zeitgenössische Darstellung auch: Mariano Arosemena, Historia y Nacionalidad (Testimonios éditos e inéditos). Edición y estudio preliminar de Argelia Tello Burgos. Panama 1979, S. 212ff.

Der 'anglifizierte ' Isthmus hielt damals als Kompensation für die Anerkennung der bourbonischen Thronansprüche in Spanien neben Gibraltar und Menorca eine Handelslizenz für eine jährliche Schiffsladung von 500 Tonnen für die Messe von Portobelo. Dieses sogenannte navio de permiso von Portobelo war - neben schon zuvor errungenen britischen Sonderrechten im Sklavenhandel mit Panama - der erste legale Einbruch in die angestammte Exklusivität der Handelsbeziehungen, die Spanien mit seinen amerikanischen Kolonien aufgebaut hatte. 22 Jorge Juan und Antonio de Ulloa haben, als Teilnehmer der von dem französischen Astronomen Le Condamine geleiteten Expedition zur Vermessung des Äquators in Südamerika, 1735 den Isthmus bereist und bei dieser Gelegenheit die Feinheiten der expansiven Nutzung der für d i e f e r i a s gewährten britischen Sonderrechte beschrieben. Die britische Technik des Überladens ihres lizensierten Schiffes und der daraus entstandene Schaden für den spanischen Handel konnte ihnen nicht verborgen bleiben: "Whilst the English were permitted to send an annual ship, called Navio de Permisso, she used to bring to the fair a large cargo on her own account, never failing first to touch at Jamaica, so that her loading alone was more than half of all those brought by the galleons; for, besides that her burden so far exceeded five hundred Spanish tons, that it was even more than nine hundred, she had no provisions, water, or other things, which fill a great part of the hold; she indeed took them in at Jamaica, from whence she was attended by five or six smaller vessels, loaded with goods, which, when arrived near Porto Bello, were put on board her, and the provisions removed into the tenders; by which artifice the single ship was made to carry more than five or six of the largest galleon. This nation having a free trade, and selling cheaper than the Spaniards, that indulgence was of infinite detriment to the commerce of Spain." 23 Die über Jamaika geknüpften Handelsverflechtungen mit Großbritannien, ob legaler oder illegaler Natur, rissen fortan nicht mehr ab. Großbritannien dominierte Panamas Außen- und Transithandel nach der Lösung von Spanien und gestaltete noch vor den USA die verkehrstechnische Erschließung des

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Vgl. Jorge Juan/Antonio de Ulloa, A Voyage to South America. New York 1964, S. 57; Celestino Andrés Araúz, Panamá y sus relaciones internacionales. Panama 1994, Bd. 1, S. lOff. Juan/Ulloa, A Voyage to South America, S. 57.

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Panama Isthmus. Aber auch hier sind die Kooperationsverbindungen mit den USA nicht zu übersehen. Seit Le Condamine mit seinem Plädoyer für eine Kanalroute durch Panama vor der französischen Akademie der Wissenschaften 1735 das spanische Monopol auf dieses Projekt durchbrochen und Humboldt24 mit seinen alternativen Transitempfehlungen von 1811 die Phantasien weltweit beflügelt hatte, belebte und internationalisierte sich das Interesse am Bau einer interozeanischen Verbindung. Zunächst aber übernahm Großbritannien die praktische Inwertsetzung des Isthmus als Transitbrücke. Mollien berichtet gar von dem Gerücht eines englischen Straßenbauprojektes durch Panama: "Man hat mir gesagt, die Engländer, deren Scharfblicke kein Handelsvortheil entgeht, haben übernommen, von Portobello bis Panama über Cruces eine Straße anzulegen."25 Ein solches Vorhaben ist im 19. Jahrhundert nie realisiert worden. Die scharf kalkulierenden Briten hatten den exzessiven Kostenaufwand einer Modernisierung der Transittrasse frühzeitig erkannt und gaben daher der Kap HornRoute zunächst den Vorrang. 26 Der Camino Real verharrte bis zur Fertigstellung der transisthmischen Eisenbahn 1855 im abenteuerlichen Zustand einer prämodernen Kombination von Maultier- und Kanutransport. Allerdings erfolgte in den Krisenjahren nach der Unabhängigkeit eine graduelle Anbindung des Isthmus an die großen internationalen Schiffahrtsrouten. In seinen vielbeachteten Memoiren "Fifty Years at Panama, 1861-1911" hat Tracy Robinson den Eindruck vermittelt, als habe Panama in der Übergangszeit zwischen politischer Unabhängigkeit von Spanien und dem Bau der transisthmischen Eisenbahn in einem Zustand des totalen Abseits und der Apathie

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Vgl. Alexander v. Humboldt, Essai politique sur le Royaume de la Nouvelle Espagne. Kapitel II. Paris 1811. Humboldt hatte damals nicht weniger als neun mögliche Kanaltrassen ausgemacht, fünf davon in Zentralamerika. Der Route durch Panama räumte er die größten Realisierungschancen ein, obgleich er auf die Ungewißheiten der dortigen Topographie hinwies. Er selbst hat den Isthmus nie besucht. Mollien, Reise nach Columbia, S. 212. "It will be seen that the Panama trade to this port [Guayaquil, d. Verf.] has been gradually increasing: this is the more extraordinary as that route is more expensive, and offers far greater risks than the direct route of Cape Horn. I think the Panamä trade must decline." Henry Wood an George Canning, 28. 2. 1826. Zitiert in: Humphreys (Hrsg.), British Consular Reports, S. 241.

Der 'anglifizierte ' Isthmus existiert: "Sixty years ago the City of Panama was more difficult to reach than Tibet is today", schrieb er 1911 und fügte die üblichen Bilder vom panamaischen Niedergang hinzu.27 Die Wirklichkeit sah anders aus. Der 'anglifizierte' Isthmus, der unter kolumbianischer Administration vergeblich auf seine Rückkehr zu altem Reichtum hoffte, war zwar von größeren Handels- und Transitbewegungen lange ausgeschlossen und befand sich im Zustand einer tiefen Dauerrezession, er war aber nicht vergessen und existierte auch nicht in tibetanischer Abgelegenheit. Weder paßt die schon erwähnte regelmäßige Schiffsverbindung, die die Briten zwischen Chagres und Kingston errichtet hatten, in dieses Image, noch die Tatsache, daß neben Großbritannien und den USA auch Frankreich bereits in den zwanziger Jahren konsularische Präsenz auf dem Isthmus zeigte. Die Westküste wurde allerdings erst seit den vierziger Jahren regelmäßig von Dampfschiffen angelaufen, und auch diese verkehrstechnische Anbindung war ein Produkt britischamerikanischer Kooperation. Denn wichtiger Wegbahner für diese Entwicklung war der US-Amerikaner William Wheelwright aus Massachusetts, der in geschäftlicher Verbindung mit Südamerika stand und US-Konsul in Guayaquil war. Als Wheelwright auf amerikanischer Seite keine Unterstützung für seine Pläne finden konnte, wendete er sich nach England, wo seine Initiative mit Interesse aufgenommen wurde und zu raschen Ergebnissen führte. Am 17. Februar 1840 erhielt die Pacific Steam Navigation Company die Charter für zwei Dampfschiffverbindungen an der Westküste Südamerikas, in die schließlich 1846 auch Panama einbezogen wurde, das damit von zwei britischen Chartergesellschaften - die Pacific Steam Navigation Company auf der pazifischen und die Royal Mail Steam Packet Company auf der atlantischen Seite -, angelaufen wurde. Beide Gesellschaften organisierten fortan zusammen den transisthmischen Transport zwischen Chagres und Panama-Stadt. Die Amerikaner folgten diesem Beispiel nur zögerlich. Aber als Oregon 1846 in die USA eingegliedert und zwei Jahre später Kalifornien annektiert wurde, verstärkte sich ihr Engagement und zwei US-Chartergesellschaften, die Pacific Mail Steamship Company und die United States Mail Steamship Company, übernahmen ab 1848 den Service zwischen New York und San Francisco/Portland via Panama. 28

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Tracy Robinson, Fifty Years at Panama 1861-1911. New York 1911, S. 1. Vgl. John H. Kemble, The Panama Route 1848-1869. Columbia, S.C. 1990 (1943).

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Panama Als Folge der britischen und amerikanischen Expansion in den pazifischen Raum rückte Panama noch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in eine neue begünstigte geopolitische Position. Für Großbritannien waren es die aufblühenden pazifischen Besitzungen und Märkte - Australien und Neuseeland - zusammen mit dem kanadischen Nordwesten (British Columbia), für die USA die neuen pazifischen Erwerbungen, Oregon und Kalifornien, die dem Isthmus besondere Attraktivität als Transitbrücke verliehen. Hinzu kam die allgemein wachsende Bedeutung des China-, und später auch des Japanhandels. In Panama selbst war das sich abzeichnende geopolitische Revirement frühzeitig als Chance erkannt worden. Der britische Konsul Malcolm MacGregor meldete von dort am 10. Dezember 1826, daß sich eine Vereinigung der wichtigsten Kaufleute gebildet habe, um für den Bau eines verbesserten transisthmischen Transportweges zu werben.29 Einer ihrer führenden Köpfe, Mariano Arosemena, richtete 1829 eine Petition an Simon Bolivar mit dem Ziel, ein permanentes Truppenkontingent von 2.000 Mann zur Instandsetzung des Camino Real in Panama zu stationieren.30 Das Dilemma der Wiederbelebung alter Transitträume lag jedoch darin, daß weder Panama noch Kolumbien über die ökonomischen Mittel oder die politische Stabilität verfügten, um ein solches Projekt zu realisieren, geschweige denn die hierfür notwendigen Arbeitskräfte mobilisieren konnten. Zugleich aber befand sich der Isthmus, wie Humboldt bereits 1811 dargelegt hatte, in keiner konkurrenzlosen geographischen Position;31 allein für Zentralamerika sichtete er fünf konkurrierende Kanaltrassen. Allerdings wurde im 19. Jahrhundert die Nikaragua-Route als die beste für den Bau eines Kanals angesehen. Großbritannien machte mit der Annexion der Mosquito-Küste 1846 deutlich, wo die Präferenz der damals führenden maritimen Weltmacht lag, allen altetablierten Verbindungen mit Panama zum Trotz.

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Vgl. Universidad de Panamá. Facultad de Filosofía, Letras y Educación, Escuela de Inglés (Hrsg.), Informes Consulares Británicos 1826-1863, S. 10. Vgl. Mariano Arosemena, Historia y Nacionalidad. Panama 1979, S. 20. Vgl. Alexander von Humboldt, Essai Politique sur le Royaume de la Nouvelle Espagne. Paris 1811, Kap. 2.

Der 'anglifizierte' Isthmus 2.2

Amerikanische Interessen

Auch die Amerikaner zögerten und scheuten zunächst vor einer tiefgreifenden Involvierung in Panama, schon aus Furcht vor Konflikten mit Großbritannien. Daß die aufstrebende Macht der Neuen Welt nicht nur den Westen sondern auch den Süden Amerikas als mögliches Expansionsfeld im Auge hatte, ist immer wieder betont worden. Die reichen Bodenschätze, das landwirtschaftliche Potential und die schwache Siedlungsdichte Hispanoamerikas waren den scharf beobachtenden amerikanischen Geschäftsleuten, Militärs und Diplomaten im frühen 19. Jahrhundert nicht entgangen. Schon 1786 hatte Thomas Jefferson, damals noch amerikanischer Botschafter in Paris, von der zukunftsträchtigen Rolle amerikanischer Siedler bei der Inwertsetzung des spanischen Amerikas geschrieben: "Our confederacy must be viewed as the nest, from which all America, North and South, is to be peopled. We should take care, too, not to think it for the interest of that great Continent to press too soon on the Spaniards. Those countries cannot be in better hands. My fear is, that they are too feeble to hold them till our population can be sufficiently advanced to gain it from them, piece by piece. "32 Und zwei Jahre später, in einem Schreiben an den diplomatischen Vertreter der USA in Madrid, griff er die Gerüchte auf, die damals über die Exploration einer möglichen Kanaltrasse durch Panama kursierten und bat um nähere Informationen: "I have been told, that the cutting through the Isthmus of Panama [...] has at times been thought of by the government of Spain, and that they once proceeded so far, as to have a survey and examination made of the ground; but that the result was, either impracticability or too great difficulty. [...] I should be exceedingly pleased to get as minute details as possible on it, and even copies of the survey, report, &c., if they could be obtained at a moderate expense.1,33 Zweifellos gab es vielfältige frühe Interessen der Nordamerikaner in Lateinamerika, und dies besonders in seinem zentralamerikanischen Teil, aber keine geschlossene Strategie, die einer Südexpansion hätte zugute kommen können. In Panama konzentrierten sich die amerikanischen Anstrengungen zunächst

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Thomas Jefferson, Writings. Vol 1. New York 1859, S. 518. Jefferson, Writings. Vol. 2, S. 325f.

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Panama auf die Sicherung gleicher und ungehinderter Transitrechte, nicht auf die Annexion und Entwicklung einer eigenen Transitzone. Die Instruktionen, die der US-Außenminister Henry Clay den Delegierten zum Panamerikanischen Kongreß von 1826 mitgab, lauteten im Hinblick auf ein mögliches Kanalprojekt: "If the work should ever be executed so as to admit of the passage of sea vessels from ocean to ocean, the benefits of it ought not to be exclusively appropriated to any one nation, but should be extended to all parts of the globe upon the payment of a just compensation or reasonable tolls." 34 Ähnlich zurückhaltend waren zwanzig Jahre später noch die Instruktionen formuliert, die Außenminister James Buchanan dem neuen US-Botschafter in Bogota, Bidlack, der wenig später den ersten Transitvertrag der USA mit Kolumbien aushandelte, mitgab: "The United States have strong motives for viewing with interest any project which may be designed to facilitate the intercourse between the Atlantic and Pacific Oceans. [...] As it is important to us that no other nation should obtain either an exclusive privilege or advantage in regard to such a communication. [...] You will lose no time in transmitting any information upon the subject. [...] You will also use your influence, should this become necessary, with the Government of New Granada, to prevent it from granting privileges to any other nation which might prove injurious to the United States." 35 Der 'eigene' Kanal sollte erst in der Epoche nach dem Sezessionskrieg zum proklamierten Ziel amerikanischer Politik werden. Bis dahin litten alle Vorstöße in diese Richtung unter den negativen Resultaten der Biddle-Mission von 1835. Der erste offizielle Versuch Washingtons, unterschiedliche Kanaltrassen in Zentralamerika evaluieren zu lassen, endete im Desaster, da Colonel Charles Biddle aus Philadelphia, den Präsident Jackson persönlich mit dieser Aufgabe betraut hatte, sich entgegen seinen Weisungen darauf

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Secretary of State Clay, 8. Mai 1826, zitiert nach: Congressional Research Service, Library of Congress, Background Documents Relating to the Panama Canal. Prepared for the Committee on Foreign Relations, United States Senate. Washington, D.C., November 1977, S. 3. Zitiert nach: A. Diögenes/G. Arosemena (Hrsg.), Documentary Diplomatic History of the Panama Canal. Panama 1961, S. 29.

Der 'anglifizierte'

Isthmus

beschränkte, nur Erkundungen über die Panama-Route einzuholen. Der Kongreß blockierte fortan alle weiteren Mittel zur Kanalexploration.36 Zu den Besonderheiten der amerikanischen Verbindung mit Panama zählt, daß der entscheidende Vertrag zur Sicherung der isthmischen Transitrechte nicht als Resultat einer gezielten Expansions- und Annexionspolitik entstand. Bidlack ergriff vielmehr die Chance einer vertraglichen Regelung amerikanischer Transitrechte in Panama entgegen ursprünglichen Weisungen auf eigene Faust. Bogota signalisierte, mit Blick auf den Plan Großbritanniens, ein Protektorat an der Mosquito-Küste zu errichten, und besorgt über dessen wachsendes Übergewicht in Zentralamerika, Verhandlungsbereitschaft. Bidlack trat unmittelbar nach seiner Ankunft in Bogota im Dezember 1845 in Verhandlungen mit dem kolumbianischen Außenminister Manuel Maria Mallarino. Seine Anfragen um Instruktionen aus Washington wurden nie beantwortet, so daß er schließlich nach einigen Monaten des Zögerns auf eigene Verantwortung die Verhandlungen zum Abschluß führte und am 1. Dezember 1846 den Vertrag ohne Autorisierung unterzeichnete. Erst 18 Monate später, am 12. Juni 1848, unter dem Eindruck der sich abzeichnenden Annexion Kaliforniens und der Kunde über ausgiebige Goldfunde bei Sacramento, hat der Senat diesem Vertrag, der sich als wahres Himmelsgeschenk für die USA erweisen sollte, seine Zustimmung gegeben. Die alte Sorge um "entangling alliances" in Washington blieb neben finanziellen Erwägungen der bestimmende Grund für die lange Verzögerung des Ratifizierungsverfahrens. Das wichtigste Resultat des Mallarino-Bidlack-Vertrages bestand in der durch Neu-Granada gewährten Garantie freier Transitrechte für die Vereinigten Staaten. Im Gegenzug verpflichteten sich die USA zur Sicherung von 'perfekter' Neutralität sowie zum Schutz von Transit- und Souveränitätsrechten, die Neu-Granada am Isthmus beanspruchte. Der entscheidende Artikel 35 mit seinen außerordentlichen Konzessionen an die USA sollte Geschichte machen und Konflikte provozieren. In seinen Kernpunkten modifiziert er folgende Rechte und Pflichten für die USA: "[...] the citizens, vessels and merchandize of the United States shall enjoy in the ports of New Granada, including those of the part of the granadian territory generally denominated Isthmus of Panamá from its southernmost extremity until the boundary of Costa Rica, all the exemptions, privileges and immunities, concerning commerce and

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Vgl. hierzu: Mack, The Land Divided, S. 125f.

63

Panama navigation, which are now, or may hereafter be enjoyed by Granadian citizens, their vessels and merchandize; and that this equality of favours shall be made to extend to the passengers, correspondence and merchandize of the United States in their transit across the said territory, from one sea to the other. [...] the United States guarantee positively and efficaciously to New Granada, by the present stipulation, the perfect neutrality of the before mentioned Isthmus, with the view that the free transit from the one to the other sea, may not be interrupted or embarrassed in any future time while this Treaty exists; and in consequence, the United States also guarantee, in the same manner, the rights of sovereignty and property which New Granada has and possesses over the said territory. "37 ' Anglifizierung' oder Einbindung in die anglo-amerikanische Interessensphäre bedeutete für Panama in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts einen erheblichen, auch vertraglich kodifizierten Orientierungswandel sowie schließlich die verkehrstechnische Anknüpfung an die großen maritimen ZubringerRouten und damit die wachsende Ausrichtung des Handels auf Großbritannien und die USA. Aber die großen Hoffnungen auf den Bau des transisthmischen Kanals blieben unerfüllt. Keine der interessierten Mächte war zu substantiellen Investitionen bereit, und auch französische Kanalprojekte wie das des Baron de Thierry von 1835, der von Bogota eine Charta zum Bau eines Kanals erhielt, zerschlugen sich rasch. So blieb Panama in der Ungewißheit einer Transitspekulation verfangen, die den erträumten Wohlstand nicht einlösen konnte.

2.3

Isthmische Dekadenz

Unter diesen Umständen konnte sich der schon im 18. Jahrhundert einsetzende Verfallsprozeß von Infrastruktur und Bausubstanz in der Transitzone Panamas ungehemmt fortsetzen. Der von Großbritannien und den USA stimulierte Handel blieb zu schwach, um die Dauerkrise zu bewältigen. 38 37

38

64

Der Text des Art. 35 des Mallarino-Bidlack-Vertrages wird zitiert nach: Congressional Research Service, Library of Congress, Background Documents, S. 8f. Der britische Konsul William Perry gab am 25. Juni 1842 in seinem Bericht an das Foreign Office eine Analyse des Außenhandels Panamas zu Beginn der vierziger Jahre. Gegenüber den oben in Anm. 11 zitierten Angaben seines Kollegen Joseph

Der 'anglifizierte'

Isthmus

Die Abwanderung der Bevölkerung aus der Transitzone in das Landesinnere und die damit oft beklagte Verknappung der Arbeitskräfte setzte sich fort. Die Gebäude zerfielen, die Straßen überwucherten und der Camino Real, für dessen Erhaltung die Steuereinnahmen aus dem Transit fehlten, verwandelte sich zum permanenten Abenteuer. Die Reiseberichte aus dieser Zeit liefern davon ein beredtes Zeugnis. Basil Hall vermittelte bereits 1822 Eindrücke vom desolaten Zustand Panamas, wie sie in allen späteren Reiseberichten immer wieder anklingen. "In some districts of the town of Panama, whole streets are allowed to fall into neglect; grass has grown over most parts of the pavement, and even the military works are crumbling fast to decay. Everything, in short, tells the same lamentable story of former splendour, and of present poverty."39 Auch Mollien erwähnt die "außerordentliche Unreinlichkeit" und fügt aus der Warte französischer Überlegenheit erläuternd hinzu:

Cade aus dem Jahre 1838 läßt sich keine Strukturverbesserung der panamaischen Exporte erkennen. Exportiert wurden 1840-41: Perlen für bis zu maximal

80.000 $

Goldstaub 45.000 $ Sarseparille 24.000 $ Edelsteine 16.000 $ Häute 12.000 $ Perlmuscheln 10.000 $ Holz 3.000 $ Die wichtigsten Waren im weiterhin dominierenden Transithandel waren: Edelmetalle (in Barren) 400.000 $ Strohhüte (aus Guayaquil) 60.000 $

39

Bei den panamaischen Verbrauchsgütereinfuhren von insgesamt 132.173 $ führte als Lieferland gemäß Perry weiterhin Großbritannien mit 99.452 $ vor den USA (16.069 $), Dänemark (d.h. wohl St. Thomas) mit 8.941 $ und Ecuador (5.999 $). Nach: Universidad de Panamá. Facultad de Filosofía, Letras y Educación, Escuela de Inglés (Hrsg.), Informes Consulares Británicos 1826-1863, S. 66f. - Vgl. zum Außenhandel Panamas weiterhin: Universidad de Panamá. Facultad de Filosofía, Letras y Educación (Hrsg.), Informes Consulares sobre el Comercio de Panamá desde 1853 hasta 1881. Übersetzt von Rita Omaira Aijona de Pérez. Panama 1980, sowie M. Arosemena, Historia y Nacionalidad, S. 71ff. Hall, Extracts from ajournal, Vol. II, S. 157.

65

Panama "Die einem Volke spanischen Ursprungs, das in einem so warmen Land lebt, eigenthümliche Faulheit trägt sehr vieles dazu bey, den Schmutz zu vermehren." 40 Adrian Terry beschreibt 1832 die Stadt Panama als dem Untergang geweiht: "The general aspect of the city comports with the desolate appearance of the public edifices: every thing has the same look of decay. Grass springs up between the stones of the pavement; the stucco has fallen in patches from the walls of the houses; troops of the black carrion vulture sit ranged in files along the roofs, or hop unconcernedly about the streets, as they are never molested, being the only scavengers." 41 Aber nicht nur die Bausubstanz der Isthmus-Metropole wird bei Terry als morbide präsentiert. Auch die Menschen, die dort leben, erscheinen als Teil der allgegenwärtigen Dekadenz: "The inhabitants, sallow and miserable from the effects of the noxious climate, stroll listlessly along the streets, or sit in the doorways and balconies dozing away life. The city is said to contain seven thousand inhabitants, of which about seven-eighths are black and brown." 42 Der Engländer Campbell Scarlett beklagt 1835 darüber hinaus die schlechte Ernährungslage: "El arte culinario es poco conocido en esta ciudad, donde no hay cinco residentes europeos, y además los mercados son tan escasamente abastecidos que debo manifestar que nunca me alimenté en peor forma en mi vida."43 Jedoch auch das gesellschaftliche und kulturelle Leben erscheint in den Strudel der Dekadenz einbetogen. So berichtet der französische Diplomat Le Moyne, der über langjährige Lateinamerika-Erfahrung verfugte und 1841 den Isthmus bereiste: "Esta decadencia de las cosas se extendía hasta a los individuos. [...] En el estado de decadencia total y absoluta en que entonces se hallaba, no ofrecía más curiosidad que la de sus ruinas. En sus calles estrechas

40 41 42 43

66

Mollien, Reise nach Columbia, S. 199. Terry, Travels in the Equatorial Regions, S. 43. Terry, Travels in the Equatorial Regions, S. 43. P. Campbell Scarlett, El Istmo de Panamá en 1835. In: Loteria, II época 6(1961)71, S. 80.

Der 'anglifizierte' Isthmus y sombrías no había más que tienduchas sucias y lóbregas, atestadas de las mercancías más ordinarias. No había teatro, ni lugares de reunión, ni otro paseo, que el que consistía en dar la vuelta a las viejas murallas, por sitios llenos de polvo y sin árboles; no había carruajes para salir al campo donde además los caminos no permitían el tránsito de ruedas."44 Und der britische Konsul Joseph Cade schließlich warnt in seinem ausführlichen Bericht vom 1. Januar 1838 vor dem täuschenden Eindruck, daß Panama die Spuren der Verwüstung eines Krieges trage: "[...] pero Panamá nunca ha sufrido por esta causa, ya que los españoles han evacuado el Istmo silenciosamente y ninguno de los desórdenes civiles que han desolado otras partes de la República han afectado la provincia: es el efecto gradual de la decadencia."45 Der allgemeine Verfall war unübersehbar und allgegenwärtig. Nur die unwiderstehliche geopolitische Attraktivität des Isthmus überlebte diese Zeit des Niedergangs unbeschadet. Scarlett hat in diesem Zusammenhang bereits die Notwendigkeit einer Separation Panamas vom damaligen Großkolumbien postuliert. Die Regierung in Bogota - so die Argumentation des Engländers - sei zu arm, zu weit entfernt, desinteressiert und politisch zu schwach, um ein Großprojekt - wie etwa den Bau einer Eisenbahn oder eines Kanals durch Panama - zu finanzieren oder gar durchzusetzen. Mit Verweis auf die gerade vollzogene (1830) Auflösung Großkolumbiens in drei separate Staaten - Neugranada, Ecuador und Venezuela - wird Panama ein gleiches Recht auf Separation zugesprochen, um mit Hilfe eines anderen maritimen Großstaates seine Mission als Brücke des Welthandels zu erfüllen. Den späteren amerikanischen Griff nach Panama antizipierend, spekuliert Scarlett 1835 als einer der ersten auf eine isthmische Sezession: "Debe reflejar al más alto honor y crédito sobre cualquier Estado marítimo el hecho de que, mediante la ayuda de sus recursos - que Nueva Granada no tiene a su disposición - se sacara provecho de la posición geográfica extraordinaria y favorable del istmo con el

44 45

A. Le Moyne, Viajes y estancias en América del Sur. Bogota 1945, S. 405ff. Zitiert nach: Universidad de Panamá. Facultad de Filosofía, Letras y Educación, Escuela de Inglés (Hrsg.), Informes Consulares Británicos 1826-1863, S. 21.

67

Panama establecimiento de una gran carretera cómoda para la actividad comercial de todas las naciones."46 Anzumerken wäre abschließend, daß wache, auch außerhalb der angloamerikanischen Interessensphäre postierte Beobachter des geopolitischen Wandels in der Neuen Welt bereits frühzeitig ein Gespür für die faktischen Zwänge eines US-amerikanischen Kanalengagements in Zentralamerika entwickelt haben. Selbst aus der Beschaulichkeit und Abgeschiedenheit von Weimar war es beispielsweise Goethe, stimuliert durch Humboldts Kanaldiskussion, schon in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts möglich, zwischen der Dynamik der amerikanischen Expansion und dem zu erwartenden Einsatz bei der Schafffang einer maritimen Verbindung zwischen Atlantik und Pazifik Zusammenhänge zu erkennen. In einem Gespräch mit Eckermann aus dem Jahr 1826 heißt es: "So viel ist aber gewiß, gelänge ein Durchstich der Art, daß man mit Schiffen von jeder Ladung und jeder Größe durch solchen Kanal aus dem Mexikanischen Meerbusen in den Stillen Ozean fahren könnte, so würden daraus für die ganze zivilisierte und nichtzivilisierte Menschheit ganz unberechenbare Resultate hervorgehen. Wundern sollte es mich aber, wenn die Vereinigten Staaten es sich sollten entgehen lassen, ein solches Werk in ihre Hände zu bekommen. Es ist vorauszusehen, daß dieser jugendliche Staat, bei seiner entschiedenen Tendenz nach Westen, in dreißig bis vierzig Jahren auch die großen Landstrecken jenseits der Felsengebirge in Besitz genommen und bevölkert haben wird. Es ist ferner vorauszusehen, daß an dieser ganzen Küste des Stillen Ozeans, wo die Natur bereits die geräumigsten und sichersten Häfen gebildet hat, nach und nach sehr bedeutende Handelsstädte entstehen werden, zur Vermittelung eines großen Verkehrs zwischen China nebst Ostindien und den Vereinigten Staaten. In solchem Fall wäre es aber nicht bloß wünschenswert, sondern fast notwendig, daß sowohl Handels- als Kriegsschiffe zwischen der nordamerikanischen westlichen und östlichen Küste eine raschere Verbindung unterhielten, als es bisher durch die langweilige, widerwärtige und kostspielige Fahrt um das Kap Horn möglich gewesen. Ich wiederhole also: es ist für die Vereinigten Staaten durchaus unerläßlich, daß sie sich eine Durchfahrt aus dem

46

68

Scarlett, El Istmo de Panamá en 1835, S. 44.

Der 'anglifizierte'

Isthmus

Mexikanischen Meerbusen in den Stillen Ozean bewerkstelligen, und ich bin gewiß, daß sie es erreichen."47 2.4

Die bewunderten Nordamerikaner

Jedoch nicht nur Goethes frühe Kanalvision weist in Richtung Nordamerika. Auch in Panama selbst deutet sich bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine unübersehbare Orientierung auf die USA an, die auch das intellektuelle Klima prägt. Die herausragende geistige Figur des Isthmus im 19. Jahrhundert war der liberale Denker und Politiker Justo Arosemena (1817-1896); ihm wird gewöhnlich die Rolle des Wegbahners panamaischer Unabhängigkeitsideale zugeschrieben.48 Seine heftigen Warnungen vor dem ausufernden amerikanischen Expansionismus, sein Engagement zugunsten größerer panamaischer Autonomie gegenüber Kolumbien im Rahmen eines Estado Federal, sowie seine Solidarisierung mit Lateinamerika haben Justo Arosemena zur illustren Leitfigur des panamaischen Nationalismus werden lassen. Ricaurte Soler hat Justo Arosemena schließlich den Ehrenplatz des "Begründers der panamaischen Nationalität"49 zukommen lassen. Weniger Beachtung hat im Prozeß dieser Wiederentdeckung Arosemenas verständlicherweise die Tatsache gefunden, daß gerade er in der frühen Phase der Entwicklung seines politischen Denkens ein glühender Verehrer des angelsächsischen Nachbarn im Norden war. Bevor er die Nordamerikaner als "unkultivierte", "habgierige" und "materialistische" Rasse in "La Cuestión Americana" (1856) abschrieb, hat Justo Arosemena zunächst einmal den "espíritu industrial" der USA zum Vorbild der angestrebten Erneuerung Panamas in den vierziger Jahren des vorigen Jahrhunderts erhoben.

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48

49

Woldemar Freiherr von Biedermann (Hrsg.), Goethes Gespräche. Gesamtausgabe. Neu herausgegeben von Flodoard Freiherr von Biedermann, Leipzig 1910, zweite durchgesehene und stark vermehrte Auflage, Bd. 3, S. 349f. Vgl. Justo Arosemena, Fundación de la Nacionalidad Panameña. Hrsg. von Ricaurte Soler. Caracas 1982; Justo Arosemena, La cuestión Americana. Panama 1994; Celestino Andrés Araúz, Justo Arosemena ante el expansionismo de los Estados Unidos. Panama 1996; Argelia Tello Burgos (Hrsg.), Escritos de Justo Arosemena. Panama 1985. Vgl. Ricaurte Soler, "Prólogo", in: J. Arosemena, Fundación de la Nacionalidad Panameña, S. XXXf.

69

Panama Sicherlich war für seine besondere Begeisterung für Amerika das Erlebnis einer im Alter von 23 Jahren durchgeführten Reise in die USA ausschlaggebend, die ihn erstmals in direkten Kontakt mit dieser industriellen Kultur brachte. Aber auch schon vor dieser einschneidenden Begegnung mit dem angelsächsischen Amerika war er nicht unberührt geblieben von anglophonem Einfluß. Seine Familie, die seit dem 17. Jahrhundert zu den führenden Vertretern der kommerziellen Elite gehörte,50 hatte am allgemeinen Orientierungswandel Panamas auf die angloamerikanische Wirtschaftssphäre hin partizipiert. Er sprach, so wird berichtet, bereits im Alter von fünf Jahren Englisch dank einer "pareja británica".51 Stimuliert durch seine frühen Berührungen mit der angelsächsischen Gedankenwelt des Utilitarismus und angeregt durch das im Lateinamerika des 19. Jahrhunderts allgemein rezipierte Denken des Positivismus hat der panamaische Advokat und Politiker vor dem Hintergrund seiner persönlichen Begegnung mit der industriellen Dynamik Nordamerikas ein Konzept zur Überwindung von Dekadenz und Armut seines Heimatlandes entwickelt, das buchstäblich auf die Transplantation der nordamerikanischen Industriekultur hinauslief. Eine Wende, die offenbar noch nicht berührt war von der schon greifbaren Erfahrung des US-amerikanischen Expansionismus nach Florida (1819) und Texas (1845) und dem sich vorbereitenden Griff nach dem nördlichen Mexiko. Justo Arosemenas Artikel-Trilogie über "Nuestros Intereses Materiales" im bogotanischen El Dia, erschienen im November 1846, gibt einer noch ungebrochenen Bewunderung für den Nachbarn im Norden Ausdruck, dessen industrielle Emanzipation das Idealbild panamaischer Bestrebungen nach Überwindung von Rückständigkeit und Armut verkörpert. Nicht 'Transitismus', sondern Industrie, vermittelt über die Verarbeitung mineralischer Rohstoffe und die Entfaltung tropischer Landwirtschaft, wird als wichtigste Quelle des Reichtums und damit der Rettung Panamas dargestellt:

50

51

70

Sein Vater Mariano Arosemena spielte insbesondere bei der Unabhängigkeitsrevolte von 1821 gegen Spanien eine wichtige Rolle. Vgl. Mariano Arosemena, Apuntamientos Históricos 1801-1840. Panama 1949. - Zur Familiengeschichte der Arosemenas vgl. Circe Arosemena de Ocaña, Genealogía de la Familia Arosemena. In: Lotería (1988)371, S. 34-37. Vgl. die Einführung von Argelia Tello Burgos in: Dies. (Hrsg.), Escritos de Justo Arosemena.

Der 'anglifizierte ' Isthmus "Nuestra primera necesidad es evidentemente producir, crear valores en la minería y agricultura, que son fuentes inagotables, y las únicas que podemos utilizar en el estado actual de la sociedad granadina." 52 Es sind vier Hindernisse, die nach Justo Arosemena die industrielle Entwicklung Panamas in erster Linie hemmen: 1.

"Ignoranz" bzw. geringer Bildungsstand im Bereich "nützlicher", produktiver Fertigkeiten und Wissenschaft;

2.

Kapitalmangel;

3.

Trägheit und Unmoral der Arbeiterschaft;

4.

fehlende Verkehrswege, über die Panama seine internationalen Exportmärkte erreichen könnte.

Im Mittelpunkt dieser defizitären Gesamtvision steht jedoch die zentrale These vom Mangel an "Unternehmergeist" - espíritu industrial - in Panama, ein Defizit, das durch radikale Reformen im Erziehungssystem - "Teach what is useful" -, in der staatlichen Verwaltung - durch Entbürokratisierung - oder durch Verbesserung der Infrastruktur, wie von Arosemena gefordert, allein nicht zu beheben ist, denn der zentrale Defekt, die eigentliche Ursache isthmischer Unterentwicklung, wird auf rassisch-kultureller Ebene fixiert. Panama sei gegenüber anderen Gesellschaften neben schwierigen klimatischen Bedingungen in erster Linie von der ungünstigen Kombination dreier, von besonderer "Trägheit" gezeichneter Rassen belastet, die hier ihr Zuhause gefunden haben: "Nuestra población, compuesta de las tres razas más indolentes, a saber, la indígena, la negra y la española, goza por precisión de los atributos que aquellas distinguen. Es pues, esencialmente apática por naturaleza." 53 Die Überwindung von Armut und Rückständigkeit wird damit zur Frage der Veränderung der rassischen Komposition, und eine Förderung der Zuwanderung aktiverer Rassen gewinnt besondere Priorität beim Versuch, die angestammte isthmische Apathie zu überwinden.

52

53

Tello Burgos (Hrsg.), Escritos de Justo Arosemena, S. 19f. - Zur Entwicklung des Positivismus in Lateinamerika vgl. auch: Nikolaus Werz, Das neuere politische und sozialwissenschaftliche Denken in Lateinamerika. Freiburg i. Br. 1991, S. 63ff. Tello Burgos (Hrsg.), Escritos de Justo Arosemena, S. 27.

71

Panama "Por lo que hace a la combinación de nuestras razas, poco hay que decir, y solo puede indicarse como medio de purificación, el promover la inmigración de otras razas más activas, no sólo para que andando el tiempo se logre una saludable mezcla, sino para que el ejemplo obrase desde luego, y modificase algún tanto nuestra índole apática." 54 Dabei fällt Justo Arosemenas Blick wie gebannt auf die Vereinigten Staaten, "[...] cuyos habitantes son hijos de la raza más activa que se conoce." 55 Es dauerte nicht lange, bis dieser Wunsch nach angelsächsischer Verstärkung des panamaischen Rassenmix in Erfüllung ging. Die Geschichte der panamaischen Beziehungen mit den USA entbehrte künftig weder der Überraschungen noch ironischer Kapriolen. Der kalifornische Goldrausch, der im Jahr 1849 über die Landenge hereinbrach, sollte alle Träume und Erwartungen übertreffen.

54 55

72

Tello Burgos (Hrsg.), Escritos de Justo Arosemena, S. 27f. Tello Burgos (Hrsg.), Escritos de Justo Arosemena, S. 27.

3.

Die kalifornische Wiederentdeckung: Panama im Sog der amerikanischen Westexpansion

3.1

Machtrivalitäten und Migration

Am 24. Januar 1848 entdeckte James Marshall die legendären Goldvorkommen in der Nähe von Sacramento. Ein knappes Jahr später hatte sich die Kunde vom kalifornischen Eldorado zum Goldrausch verdichtet, mit dem eine Massenmigration nach Westen ins Rollen kam. Diese pazifische Expansion der USA, die durch die Annexion des mexikanischen Nordwestens vorbereitet und im Vertrag von Guadalupe Hidalgo am 2. Februar 1848 besiegelt wurde, konnte Panama angesichts der existierenden verkehrstechnischen Bedingungen nicht unberührt lassen. Schon um die Jahreswende 1848/49 passierten die ersten Forty Niners Panama, um schließlich im Februar 1849 nach erheblichen Verzögerungen und Abenteuern mit dem ersten Goldrush Steamer California, der Panama-Stadt im Januar desselben Jahres angelaufen hatte, die Bucht von San Francisco zu erreichen. Der Isthmus war nach einer nahezu 100jährigen Zeit der Rezession gleichsam aus dem Schlaf gerissen worden und zum Kommunikationszentrum eines neuen, um die USA zentrierten Handels- und Migrationssystems avanciert. Wie einst Peru unter spanischer Herrschaft, so wurden fortan Kalifornien und der weitere pazifische Raum zum bestimmenden Rational der Landbrücke. Die Entwicklung der Dampfschiffahrt hat diese Wende erheblich begünstigt, denn dank dieser technologischen Innovation wurde Panama auf eine Neun-TageDistanz an New York bzw. eine 23-Tage-Distanz an London herangeführt. Unter günstigen Umständen war es nunmehr möglich, die Reise vom Hudson River nach San Francisco via Panama in drei bis vier Wochen zu bewältigen, während für die beschwerliche transkontinentale Landroute durch die USA vor dem Bau der Eisenbahn 1869 - sechs Monate und für die Kap HornRoute drei bis vier Monate zu veranschlagen waren. In einer Zeit, die immer noch von der Tyrannei der Distanz geprägt erscheint, mußte Panama, allen dort lauernden Widrigkeiten zum Trotz, über eine unwiderstehliche Attraktivität verfügen. Diese kalifornische Wiederentdeckung und 'Funktionalisierung' hat den Isthmus schon ein halbes Jahrhundert vor dem Kanalbau in eine enge Fusion mit den USA geführt. Doch der aus der Retrospektive sich aufdrängende Eindruck einer frühen Vorbestimmung der mittelamerikanischen Landenge für den coloso del norte sah in der Wirklichkeit komplizierter aus. Denn das kalifornische Abenteuer verkörperte nur eine Facette des isthmischen Wan73

Panama dels im Zeichen der amerikanischen Expansion. Gewiß, der Einfall der Goldgräber - der berüchtigten Forty Niners - hinterließ tiefe Spuren. Das lokale Wirtschaftsleben, der gesamte Transitkomplex wechselte mit dem Bau von Eisenbahn und neuen Hafenanlagen zwischen 1850 und 1855 in amerikanische Hand. Amerikanische Geschäftsleute, Ingenieure und karibische Arbeitskräfte führten Panama in die Modernität industrieller Transporttechnologie. Aber es waren die vom erfolgreichen Bau des Suez-Kanals animierten Franzosen, die unter der Leitung von Ferdinand de Lesseps und seiner Compagnie Universelle du Canal als erste den Bau des Panama-Kanals zwischen 1882 und 1889 in Angriff nahmen.1 Als potentieller neuer Knotenpunkt des Weltverkehrs war Panama nicht nur für die USA sondern für alle maritimen Großmächte dieser Zeit attraktiv, und entsprechend frühzeitig entfaltete sich das isthmische Machtspiel nach dem spanischen Rückzug 1821. 2 In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts sprach zunächst vieles für eine britische Übernahme. Die dominante Stellung der Engländer im transisthmischen Handel schürte diese Erwartung. Als dann die USA über den Mallarino-Bidlack-Vertrag zur Transitschutzmacht aufstiegen, war dieser Wandel immer noch kein Ausdruck endgültiger Machtverschiebungen. Vielmehr suchte Neu-Granada3 Unterstützung gegen den wachsenden britischen Ex-

1

2

3

74

Zum französischen Kanalbau vgl. David McCullough, The Path Between the Seas. The Creation of the Panama Canal, 1870-1914. New York 1977, S. 153ff., Celestino Andrés Araúz, Panamá y sus relaciones internacionales. Panama 1994, Bd.l, S. 116ff.; Gerstle Mack, The Land Divided. A History of the Panama Canal and Other Isthmian Canal Projects. New York 1944, S. 281-414; Celestino Andrés Araúz/Patricia Pizzurno Gelós, El Panamá Colombiano (1821-1903). Panama 1993, S. 183-208. Zum diplomatischen 'Spiel' um Panama vgl. E. Taylor Parks, Colombia and the United States 1765-1934. New York 1968, S. 116. - Seit 1826 waren die USA durch einen Konsul in Panama vertreten. Das heutige Kolumbien, zu dem Panama als Departement oder Provinz von 1821 bis 1903 gehörte, hat seinen Staatsnamen und seine Verfassungskonstruktion im 19. Jahrhundert mehrfach verändert. Von 1821 bis 1832 war es Teil der bolivarischen Republik Großkolumbien (Gran Colombia), die dann in drei eigene Staaten, Ecuador, Nueva Granada (das heutige Kolumbien) und Venezuela zerfiel. Von 1832 bis 1857 trug Kolumbien den Namen Neu-Granada (Nueva Granada), von 1857 bis 1863 führte es, mit einer föderalistischen Verfassung ausgestattet, den Namen Confederación Granadina, die von 1863 bis 1886 zu den Estados Unidos de Colombia transformiert wurde. Mit der neuen zentralistischen Verfassung von 1886 wurde Kolumbien zur República de Colombia.

Die kalifornische Wiederentdeckung pansionismus in Zentralamerika. Seit 1830 kontrollierte Großbritannien das Mosquito-Territorium an der Atlantikküste im Nordosten Nikaraguas. Im August 1841 wurde San Juan del Norte diesem Territorium einverleibt. London beherrschte damit den östlichen Endpunkt der durch Nikaragua konzipierten Kanalroute, die im 19. Jahrhundert allgemein als die bessere gehandelt wurde. Bis 1849 erweiterte sich Englands Zugriff in Zentralamerika darüber hinaus auf Belize und die Bay Islands sowie auf die Tigres-Inseln im Golf von Fonseca; es gelangte somit in den Besitz auch der westlichen Endstation der geplanten Nikaragua-Kanalroute. Kurz, die Briten avancierten in den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts zur beherrschenden Macht in Zentralamerika, und Neu-Granada fürchtete die Annexion des Isthmus nach dem Muster der britischen Südexpansion an der Mosquito-Küste.4 In dieser Konstellation eines wachsenden britischen Übergewichts in Zentralamerika wurden die Vereinigten Staaten als isthmische Garantiemacht für Neu-Granada interessant; ein Prozeß der Reorientierung Bogotas auf die USA setzte damit ein, der also bereits vor der kalifornischen Epoche Panamas Moment gewann. Für die Rivalität um die Landenge aber blieb bestimmend, daß die USA eine direkte Konfrontation mit dem angelsächsischen Rivalen in Zentralamerika wie in Panama stets zu vermeiden suchten. In diesem Sinne wurde der Mallarino-Bidlack-Vertrag in einen für Großbritannien akzeptablen Rahmen transferiert. Das Ergebnis war der am 19. April 1850 unterzeichnete und am 22. Mai 1850 vom US-Senat ratifizierte Clayton-Bulwer-Vertrag, nach dem beide Mächte auf das Recht auf exklusive Kontrolle möglicher Kanaltrassen in Nikaragua wie in Panama feierlich verzichteten.5 Die Kanalquerelen waren mit diesem Vertrag jedoch nicht ausgestanden. Unterschiedliche Interpretationen des Clayton-Bulwer-Vertrages, insbesondere bei Fragen der Kontrolle und Souveränität über Inseln und Territorien im Einzugsbereich der geplanten Nikaragua-Route, irritierten die USA. Und

4 5

Vgl. Joseph B. Lockey, A Neglected Aspect of Isthmian Diplomacy. In: The American Historical Review 41(1936), S. 295-305. Siehe den Text des Clayton-Bulwer-Vertrages in: Congressional Research Service, Library of Congress, Background Documents Relating to the Panama Canal. Prepared for the Committee on Foreign Relations, United States Senate. Washington, D.C., November 1977, S. 27-30. - Vgl. hierzu: Richard W. Van Alstyne, British Diplomacy and the Clayton-Bulwer Treaty, 1850-60. In: The Journal of Modern History 11(1939)2, S. 149-183.

75

Panama bereits am 16. November 1857 kam es zu einem konkurrierenden Transitvertrag zwischen Nikaragua und den Vereinigten Staaten, dem Cass-IrissariVertrag. Fortan existierte Panama im Schatten der Nikaragua-Alternative, ungeachtet aller kontraktuellen Verbindungen mit Nordamerika. Als schließlich Bogota im Januar 1870 im Rahmen des Arosemena-Sänchez-HurlbutVertrages ein verbindliches Engagement der USA zum Bau eines Kanals durch Panama auszuhandeln suchte,6 verweigerte der amerikanische Kongreß unter Verweis auf noch nicht hinreichend erkundete Alternativtrassen in Nikaragua und im Darien die Zustimmung. Damit ebnete sich der Weg für ein französisches Engagement unter Führung von Ferdinand de Lesseps, dem Erbauer des Suez-Kanals, der sich nach dem Internationalen Wissenschaftskongreß in Paris von 1879 auf die Panamatrasse festlegte. Aber das Wunder der Kanalverbindung zwischen Mittelmeer und Rotem Meer, das dieser 1869 vollendete, ließ sich unter den tückischen Bedingungen von Klima und Topographie in Panama nicht wiederholen. Nach einer achtjährigen Bauzeit, und genau zwanzig Jahre nach der Inauguration des Suez-Kanals, mußte die Compagnie Universelle du Canal Interocéanique 1889 Konkurs anmelden. Technische Fehlplanung - man hatte sich auf einen Meeresniveaukanal fixiert, benötigte aber zur Überwindung der Kordilleren einen Schleusenkanal -, Malaria- und Gelbfieberepidemien, die die Arbeitskräfte dezimierten und schließlich eine weitverbreitete Korruption brachten das von amerikanischer Seite argwöhnisch beobachtete französische Engagement zu Fall, und erst jetzt kamen die Vereinigten Staaten nahezu konkurrenzlos ins Spiel. Während das internationale Ringen um den Isthmus somit relativ lange offen blieb, schuf die kalifornische Migration zwischen 1849 und 1869 ihr eigenes fait accompli und führte die Nordprovinz Kolumbiens in amerikanisches Fahrwasser, und dies unter Auslösung erheblicher Turbulenzen. Das von der 'Invasion' der Forty Niners überraschte Panama verfügte weder über eine verkehrstechnische noch eine sanitäre oder gar gastronomische Infrastruktur. Hinzu kam eine dramatische numerische Disparität zwischen lokaler Bevölkerung und den nach Kalifornien ziehenden Migranten. In der Transitzone zwischen Chagres, dem damaligen wichtigsten Atlantikhafen Panamas, und Panama-Stadt lebten um die Mitte des vorigen Jahrhunderts nur wenige Tausend Menschen. Auf das gesamte heutige Staatsgebiet kamen nach einem Zensus von 1843 knapp 130.000 Einwohner. Die Stadt 6

76

Vgl. Juan Antonio Tack, El Tratado Arosemena-Sánchez-Hurlbut: un antecedente histórico en nuestras relaciones con Estados Unidos. Panama 1994.

Die kalifornische

Wiederentdeckung

Panama zählte zu diesem Zeitpunkt nicht einmal 5.000 Bewohner. 7 Zwischen 1849 und 1869 aber passierten nach Schätzungen von John Haskeil Kemble8 etwa 600.000 Migranten die schmale Landbrücke. 375.000 von ihnen in Richtung Westen, 225.000 in Richtung Osten, was jährliche Transitfrequenzen von 20.000 bis 30.000 Personen zur Normalität machte. Kritische Bedeutung bekam dieser Disproporz zwischen lokaler Bevölkerung und durchreisenden Goldsuchern besonders in den Anfangsjahren der kalifornischen Migration, als anschließende Schiffsverbindungen oft ausblieben und keine Infrastruktur für die Bewältigung des Massenansturms existierte, so daß Tausende von Forty Niners oft über Wochen und Monate in der Transitzone unter prekärsten Verhältnissen buchstäblich festsaßen. Es waren diese Wirren, über die Panama sein erstes Entrée in die amerikanische Herrschaftssphäre vollzog, ungeachtet seiner formalen Inkorporation in den kolumbianischen Staatsverband bis 1903. Über kaum einen anderen Zeitraum ist in der Geschichte des Isthmus mehr geschrieben worden als über diese kalifornische Epoche, wenn auch einschränkend hinzuzufügen ist, daß ein Großteil dieser Berichte aus nordamerikanischer Feder stammen. 9 Nicht wenige der durchziehenden Forty Niners haben die Abenteuer ihres Transits und die Konfrontation mit der ihnen fremden und dekadent erscheinenden hispanoamerikanischen Welt beschrieben. Aber auch professionelle Reisende, Ärzte, Kaufleute, Politiker, Militärs aus Europa, Lateinamerika und Nordamerika haben zu diesem Zeitpunkt den Isthmus besucht und ihre Eindrücke festgehalten. Es bietet sich an, mit Hilfe dieser Berichterstattung von Augenzeugen die kalifornische Wende des Isthmus gleichsam in ihrer existentiellen Bedeutung zu erschließen. Im Mittelpunkt eines ersten analytischen Schrittes steht die Dokumentation des Zusammenpralls mit den ungezügelten 'Horden' der Forty Niners in der Transitzone. Darüber hinaus soll die damals einsetzende Diskussion um Ursachen und Ausmaß der spektakulären Entwicklungsdefizite Panamas nachgezeichnet werden. In einem weiteren Schritt wird vornehmlich die 7

8 9

Vgl. Alfredo Castillero Calvo, Los negros y mulatos libres en la historia social panameña. In: Lotería, II época (1969)164, S. 85. Siehe hierzu auch: Juan Antonio Susto, Censos Panameños en el Siglo XIX (1821-1903). Panama 1960. Vgl. John Haskell Kemble, The Panama Route 1848-1869. Berkeley und Los Angeles 1990 (Erstausgabe 1943), S. 206f. Meléndez registriert allein mehr als 50 englischsprachige Titel für die Zeit 18491869. Vgl. Mana J. de Meléndez, "Prólogo" zu C.D. Griswold, El Istmo de Panamá y lo que vi en el. Panama 1974, S. XIII.

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Panama konsularische und diplomatische Berichterstattung über die inneren Turbulenzen Panamas im Gefolge der kalifornischen Migration ausgewertet. Besonders ergiebig sind dabei die französischen Quellen, insofern Frankreich in dieser Zeit noch damit beschäftigt war, scharf beobachtend selbst Möglichkeiten der Teilnahme an diesem Machtspiel zu sondieren. In einem dritten und letzten Schritt wird die lokale Verarbeitung der unerwarteten Amerikanisierung beleuchtet. Hier geht es um das Sichten von Spuren, die in das Terrain des Umgestaltungsvermögens und damit in das Milieu von Gegenmacht führen. Die 'Dialektik der Amerikanisierung', die sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts herauskristallisierte, läßt sich zugleich auch als Vorbote der späteren Auseinandersetzungen mit dem amerikanischen Kanalkolonialismus nach 1903 begreifen. 3.2

Das kalifornische Panama im Spiegel der Reiseberichte

Schon wenige Monate nach dem Beginn der kalifornischen Migration durch Panama, die um die Jahreswende 1848/49 einsetzte, haben zwei Amerikaner, Bayard Taylor und John Harris Forster, erste Beschreibungen ihrer abenteuerlichen Isthmus-Erfahrungen vorgelegt, in denen die Dramatik des dortigen Umbruchs bereits deutlich verzeichnet ist. Taylor beschreibt seine fünftägige Isthmus-Passage und seinen kurzen Aufenthalt in Panama-Stadt unter dem klangvollen Titel "Eldorado or Adventures in Path of Empire". Vor allem seine Bemerkungen über den Camino Real lassen erkennen, daß vor dem Bau der Eisenbahn zwischen Colon und Panama - diese Linie wurde 1855 fertiggestellt - die Isthmus-Passage immer noch ein Abenteuer besonderer Art darstellte, insbesondere wenn man sie, wie Taylor, zur Regenzeit - im Juni - zu bewältigen hatte, und der Camino Real sich zum "Camino Infernal"10 verwandelte:

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So die Titulierung des portugiesischen Diplomaten Miguel Maria Lisboa 1853, der über seine weiteren Erlebnisse bei der Durchquerung Panamas schrieb: "Para dar una idea de la opinión que tengo de este trayecto, diré al lector que yo he dado la vuelta dos veces al Cabo de Hornos, en invierno, y prefiero darla diez veces más a cruzar otra vez el Istmo de Panamá, hasta que no esté concluido el camión de hierro." Aus: Miguel Maria Lisboa, El Istmo de Panamá en 1853. Transcripción, introducción y notas de Juan Antonio Susto. Panama 1962, S. 20.

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"The path at the outset was bad enough, but as the wood grew deeper and darker and the tough clay soil held the rains which had fallen, it became finally a narrow gully, filled with mud nearly to our horses' bellies. Descending the steep sides of the hills, they would step or slide down almost precipitous passes, bringing up all straight at the bottom, and climbing the opposite sides like cats. So strong is their mutual confidence that they invariably step in each other's tracks, and a great part of the road is thus worn into holes three feet deep and filled with water and soft mud, which spirts upward as they go, coating the rider from head to foot." 11 Panamas ohnehin marode Infrastruktur war beim Massenansturm der Forty Niners hoffnungslos überfordert. Was funktionierte, waren lediglich die alten isthmischen Reflexe der Preisanpassung. Nur wenige Monate nach Beginn der Migrationswelle war der Preis für den Bootstransport auf dem Chagres nach Cruces, der ersten Zwischenstation auf dem Weg von der Atlantikküste nach Panama-Stadt, von ursprünglich fünf Dollar auf die für die damalige Zeit beachtliche Summe von 15 Dollar hochgeschnellt, und zusätzliche monetäre Forderungen der Ruderbesatzung waren unterwegs noch zu begleichen. Taylor kommt am Ende zu dem Schluß, daß Panama in fünf Tagen mehr Abenteuer bietet "than any trip of similar length in the world". 12 Das eigentliche Abenteuer aber, das der Amerikaner beschreibt, ist der Wandel der Stadt Panama. Obwohl er dort nur wenige Tage verweilte, sind seine flüchtigen Eindrücke bereits wegweisend. Auf der einen Seite beschreibt er das alte zerfallene Panama mit den Ruinen seiner Konvente, Schulen und Kirchen und den bereits vom Gras überzogenen Plätzen und Straßen. Im Kontrast dazu steht das neue amerikanische Panama. Sechs Monate der Migration hatten gereicht, um aus dem einstigen Außenposten spanischer Weltherrschaft und Zivilisation eine 'US-amerikanische Dependance' zu machen: "The city was already half American. The native boys whistled 'Yankee Doodle' through the streets, and señoritas of the pure Castilian blood sang the Ethiopian melodies of Virginia to their guitars. Nearly half the faces seen were American, and the signs on shops of all kinds appeared in our language. On the morning after I arrived, I heard a 11 12

Bayard Taylor, Eldorado or Adventures in Path of Empire - Comprising a Voyage to California via Panama. New York 1949, S. 19. Taylor, Eldorado, S. 21.

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Panama sudden rumbling in the streets, and observing a general rush to the windows, followed the crowd in time to see the first cart made in Panama - the work of a Yankee mechanic, detained for want of money to get further." 13 Amerikaner beherrschten nicht nur das Geschäftsleben, auch die Hotels waren zumeist in ihrer Hand, und die Lage in der Stadt war aufgrund der großen Zahl der dort auf weitere Schiffsverbindungen nach Kalifornien wartenden Goldsucher äußerst gespannt. Taylor berichtet von 3.000 Migranten, die wenige Monate vor ihm in Panama so verzweifelt festsaßen, daß einige sogar den Entschluß faßten, sich per Kanu auf den Weg nach Kalifornien zu machen. Unter diesen Bedingungen waren eskalierende Konflikte mit der lokalen Bevölkerung vorgezeichnet, Epidemien breiteten sich aus, ein Katastrophenszenario bahnte sich an: "[...] the cholera, which had already carried off one fourth of the native population, was making havoc among the Americans", heißt es am Schluß seiner Darstellung.14 Es gab jedoch auch andere Beobachtungen. Im Kontrast zur Vielzahl der auf den Topos 'Abenteuer - Forty Niners' fixierten Reiseberichte über Panama steht bei John Harris Forster, einem nach Kalifornien durchreisenden Landvermesser 15 , zunächst die ästhetische Dimension der Begegnung mit dem 'Anderen', der hispanischen Welt, im Vordergrund der Beschreibung. Schon zu Beginn seines Berichts setzte er ungewöhnliche neue Akzente, indem er das Fischerdorf Chagres, den atlantischen Ausgangspunkt der Isthmus-Passage, gewöhnlich als "Ratten-" oder "Pestloch" tituliert,16 höchst positiv als "one of the most beautiful and romantic localities imaginable"17 präsentiert. Forster bewunderte den ungewöhnlichen ethnischen Mix der dort lebenden Menschen - "white, red, yellow and black" -, ihre "perfekte soziale Gleichheit", die Schönheit der Frauen - "such eyes, who can forget them, or re-

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Taylor, Eldorado, S. 22. Taylor, Eldorado, S. 25. Vgl. John Harris Forster, Field Notes of a Surveyor in Panama and California 1849. Hrsg. von Christine H. Weideman. The University of Michigan 1935. So äußerte sich beispielsweise Adrian R. Terry über Chagres: "Chagre (sic) is a miserable village, inhabited mostly by Indians and mulattoes. [...] No white man remains there for any great length of time without being sick." Aus: Adrian R. Terry, Travels in the Equatorial Regions of South America in 1832. Hartford 1834, S. 26. Forster, Field Notes, S. 9.

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member without sighing"18 - oder auch die Liebenswürdigkeiten und Gastfreundschaft der Einheimischen. Ein Jahr später heißt es jedoch kontrastierend bei Daniel Horn, der seine Eindrücke über Chagres, das inzwischen eine eigene American town erhalten hat, bei der Ankunft aus New York am 12. Mai 1850 schildert: "Everything looked so filthy at Chagres that myself and several others, with the consent of the Captain of the Orus, took our blankets and slept on benches on board." 19 Daß man mit puritanischen Augen die Menschen von Chagres auch anders als Forster sehen konnte, zeigt ein Bericht aus dem Panama Star vom 10. November 1849, in dem es heißt: "The citizens of Chagres are a very rude, innocent and uncultivated people. They have but little to eat and less to wear. One American lady would absolutely wear more clothes to church than would supply the women of the whole town." Im übrigen stimmt Forster ein in das gewohnte Lied vom Zerfall, aber er beschwört zugleich die morbide Schönheit, von der diese Dekadenz umwoben erscheint, und beklagt seine Unkenntnis als Nordamerikaner, der unerwartet in der Neuen Welt auf ein Stück Andersheit, ein Relikt der Alten Welt gestoßen ist. Vor allem Panama-Stadt bietet für den Landvermesser zugleich das Spektakel einer ungeheuren Umwälzung, vorangetragen durch den Einfall von Tausenden von amerikanischen Migranten, die die Stadt unverfroren okkupierten und dirigierten: "A yankee can't be idle long any where; he must be doing something. Hence we see many of the less obstreperous going into business it does not matter what so that a penny can be turned. Indeed the Americans seem to have taken full possession of the city - moving acting & directing as if they are the rightful lords of the soil. I am sometimes mortified at the audacity and cool assumption exhibited by my countrymen. I am ashamed of them - of their want of politeness toward the natives -

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Förster, Field Notes, S. 9. Zitiert nach: James P. Jones/William Warren Rogers, Across the Isthmus in 1850: The Journey of Daniel A. Horn. In: Hispanic American Historical Review 41(1961)4, S. 536. - Vgl. auch: Joseph W. Fabens, The Camel Hunt,- Narrative of Personal Adventure. Boston 1851, S. 198-203 und 210f., der dort seine Eindrücke über Chagres aus dem Jahr 1851 wiedergibt.

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Panama of their gross rudeness and domineering manners. They look upon the natives as an inferior race and treat them accordingly - forgetting what is due to a foreign people by whom they are most hospitably received." 20 Bei allem Sinn für die Zwänge und Pflichten der Höflichkeit ist aber auch für Forster die Rangordnung in der Begegnung mit der lokalen Gesellschaft eindeutig vorgegeben. Mit Blick auf die amerikanischen Migranten beklagt er zwar ihre rüden Manieren, setzt aber wie selbstverständlich die Inferiorität der Panamaer voraus: "They [Försters Landsleute, d. Verf.] forget also to exercise that magnanimity which the truly great always show to inferiors. In this they show inordinate vanity and contemptible impudence. Again, I say, I am ashamed of some of my countrymen here. I should like to see them properly licked into good manners and decency." 21 Mit zunehmender Frequenz der Reisenden auf der Transit-Route wächst zwar die Zahl der Berichte über Panama, nicht aber unbedingt deren Qualität. Ein anderer Typus der Berichterstattung, bei dem es um Abenteuer und zumeist satirisch aufbereitete Erlebnisse der Forty Niners geht, tritt an die Stelle beschreibender und interpretierender Betrachtung. Das Bild von Panama verzerrt sich dabei zum Klischee einer dem Untergang geweihten minderwertigen Gesellschaft. So beschreibt Mary Jane Megquier die typische spanische Familie in Panama als "clean and neat, [...] their hands and feet are very small, but their faces are anything but handsome". 22 Ida Jeffries Fitzgerald bemerkt über die Einwohner von Neu-Granada, sie seien "intellectually little above the ani20 21

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Förster, Field Notes, S. 15. Forster, Field Notes, S. 15. - Noch nüchterner fällt das Urteil von Daniel Horn über seine amerikanischen Landsleute in Panama aus: "The Americans there are men whose only object is to make money at any cost, and are far more dishonest than the natives. I find that to be the case all over the Isthmus, with scarcely an exception. Many of them will, no doubt, make fortunes, but I would not have the greatest fortune on the continent if I have to make it in that way, in utter disregard of the Sabbath and all rules of justice or honesty." Zitiert nach: Jones/Rogers, The Journey of Daniel A. Horn, S. 535. Robert G. Cleland (Hrsg.), Apron Full of Gold: The Letters of Mary Jane Megquier from San Francisco, 1849-1856. San Marino 1949, S. 11; zitiert nach: Sandra L. Myres (Hrsg.), Ho for California! Women's Overland Diaries from the Huntington Library. San Marino 1980, S. 5.

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mals". 23 Und in fast allen Schriftstücken dieser Zeit zeigen sich Spuren des manifest destiny, von dem sich die meisten Goldsucher aus Nordamerika beflügelt sahen. Panama, so die weitgeteilte Überzeugung, könne der überlegenen Anglo-Rasse und -Kultur nicht widerstehen: "The dusky natives with their squalid children" - heißt es bei Edward Dunbar -, "their dogs and pigs, the monkeys, alligators, snakes, and all created things of the aligerous order were roused from their dreamy lethargy by this sudden irruption of the Northern white race." 24 Über das Schicksal der Stadt Panama schreibt McCollum charakteristisch: "It will soon bear the mark of Yankee enterprise that will astonish the natives." 25 Und über die so dominante und allgegenwärtige katholische Kirche heißt es abfällig bei Megquier, ihre Priester seien dem Spiel und Laster verfallen: "The priests gamble and enter into every species of vice and disappation [sic]."26 Daniel Horn reduziert den religiösen Eifer der Panamaer auf ein rituelles Spektakel: "All the inhabitants of the Isthmus are Catholics, but have no idea of religion. [...] Their worship consists in dipping the finger in holy water, making the cross on the forehead & breasts, bowing, getting on their knees before the altar, muttering something, counting their beads, and, I suppose, confessing occasionally."27 Jedoch nicht nur rassische und kulturelle Vorurteile vertiefen sich unter dem Massenansturm der Forty Niners. Das Bild der Rückständigkeit und Dekadenz verbindet sich zunehmend mit dem der kriminellen Gewaltsamkeit. In einem französischsprachigen Ratgeber für Transitreisende nach Kalifornien aus dem Jahr 1853 wird der Isthmus buchstäblich zum Höllenszenario: "Ainsi, ä Panama, il n'y a ni police, ni justice. On vole au nez et ä la barbe des gens, sur eux comme chez eux. On vole partout, et on assas23

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Ida J. Fitzgerald, Account of Life of Plummer Edwards Jeffries, including Voyages from New York to California in 1850 and 1854. Ms., Huntington Library; zitiert in: Myres (Hrsg.), Ho for California!, S. 5. Edward E. Dunbar, The Romance of the Age or the Discovery of Gold in California. New York 1867, S. 57; zitiert nach: Myres (Hrsg.), Ho for California!, S. 5. William McCollum, California As I Saw It. Los Gatos 1960, S. 101; zitiert nach: Myres (Hrsg.), Ho for California!, S. 5. Megquier; zitiert nach: Myres (Hrsg.), Ho for California!, S. 5. Horn, zitiert nach: Jones/Rogers, The Journey of Daniel A. Horn, S. 539.

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Panama sine aussi sans se gêner. Il ne se passe pas de semaine que l'on ne trouve des gens tués et dépouillés dans les rues et sur les places publiques. Si la victime est reconnue par quelqu'un, on va chercher son consul, qui dresse l'acte mortuaire; sinon, on la porte directement en terre et tout est dit. [...] Mais il faut avouer que ce ne sont pas seulement les étrangers qu'on assassine, les natifs se tuent très bien entre eux. En un mot, je suis dans un vrai coupe-gorge."28 Daß aber amerikanische Migranten, die bis zu den Zähnen bewaffnet in Panama einfielen, nicht unbedingt unbeteiligt an dieser Entwicklung waren, sprach sich rasch herum: "Aussi est-il beau de voir les Américains qui passent ici. Ils sont armés jusqu'aux dents comme les brigands des mélodrames. Ils ont l'air d'aller en guerre." 29 Bereits Anfang des Jahres 1850 berichtet Daniel Horn über erste große Konfrontationen zwischen farbigen Panamaern und Forty Niners, mit Toten und Verletzten auf beiden Seiten, und bestätigt die besondere Rolle der amerikanischen Migranten in diesem Eskalationsprozeß der Gewalt: "I have but little doubt that the Americans were wholly to blame, as the riot was brought on by their own high-handed measures, contrary to law, in a way that could not be submitted to in any civilized country. [...] It is strange that more persons were not killed, owing no doubt to the fact that the natives had only knives and stones and the Americans [were] without arms except a few pistols, that from getting wet in the river or crossing the mountains were out of order." 30 Der französische Diplomat Le Moyne hat rückblickend auf seine mehrfachen Reisen durch Panama um die Mitte des vorigen Jahrhunderts die Metamorphose des Isthmus von einer sicheren Transitzone zum Zentrum krimineller Gewaltsamkeit als das triste Resultat aufeinanderprallender "Rassen" kommentiert: "Pero desde que vinieron de los Estados Unidos o de Europa numerosos extranjeros para establecerse en el istmo con motivo de la construcción del ferrocarril y sobre todo los aventureros de California que

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Pierre Charles de Saint-Amant, Route de la Californie à travers l'Isthme de Panama. Paris 1853, S. 76. Saint-Amant, Route de la Californie, S. 76. Zitiert nach: Jones/Rogers, The Journey of Daniel A. Horn, S. 542.

Die kalifornische Wiederentdeckung pasan en bandas, los indígenas han tenido que sufrir tan malos tratos y sobre todo han presenciado tantos crímenes, que ahora, según me han dicho, su buena índole y su honradez primitivas han experimentado una profunda modificación; triste resultado de un contacto de razas, en el que la que se pretende civilizada, aporta un contingente de vicios a la otra que no por reflexión sino naturalmente se abstenía hasta entonces de hacer el mal."31 Bleibt schließlich die Beobachtung einer wachsenden separatistischen Dynamik, die in diesen Turbulenzen einen idealen Nährboden fand. Wie schon 1835 der englische Reisende Scarlett, so berichtet jetzt (1852) der Engländer Alexander Dunlop von einer nicht auszuschließenden Separation Panamas vom entfernten, machtlosen Herrschaftszentrum in Bogota: "Another subject of interest to this locality is the probability of a revolution, severing the Isthmus province from the Republic of New Granada alltogether and constituting an independent State. The event seems not unlikely and even imminent; and if the 'Isthmus' agreed to assume a fair share of the New Granada debt, it is to be presumed that the English, French and American governments would not object to recognize the mesure. The revolution would be a bloodless one, and would do great good and little harm. Everything with the legislation of the district would be better arranged than just now, for the distance to Bogota is so great that government business is badly done. The influential people in and about Panama wish for change and it is openly talked of and approved. The only question seems to be the when." 32 Die Mehrzahl der Reisebeschreibungen, die die Zeit des kalifornischen Goldrausches abdecken, wurde von Autoren verfaßt, die sich nur kurzfristig als Transitreisende dort aufhielten. Es mag darum nützlich sein, noch einen gesonderten Blick auf jene Darstellungen zu werfen, die aus längerfristiger Erfahrung mit Panama entstanden sind. Drei Reiseberichte aus nordameri-

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A. Le Moyne, Viajes y Estancias en América del Sur. Bogota 1945, S. 403. Nach Schätzungen von Prof. Röthlisberger fielen zwei- bis dreitausend Menschen der Gewalteskalation im kalifornischen Panama zum Opfer. Vgl. Ernst Röthlisberger, El Dorado - Estampas de viaje y cultura de la Colombia suramericana. Bogota 1963, S. 403. Alexander Dunlop, Notes on the Isthmus of Panama, with remarks on the physical geography and its Prospects in connection with the Gold Regions, Gold Mining and Washing. London 1852, S. l l f . 85

Panama kanischer, aus brasilianischer und aus kolumbianischer Feder bieten interessante Einsichten. Sie alle stimmen darin überein, daß sie den Zerfallszustand und die allgemeine isthmische Dekadenz beschreiben, aber mit unterschiedlichen Akzenten und variablen Antworten auf die tieferen Gründe der fundamentalen Immobilität und Rückständigkeit. Dr. Griswold, der aus New York kommend 1850/51 sechs Monate als Arzt für die panamaische Eisenbahngesellschaft gearbeitet hat, ist zwar vorwiegend an der überwältigenden Flora und Fauna und den physischen Gegebenheiten des Isthmus interessiert, aber als Zeuge der spektakulären Konfrontation mit der amerikanischen Migrationswelle nach Kalifornien versucht er auch, in seiner Schrift "The Isthmus of Panama and what I saw there" 33 die frappierende Diskrepanz zwischen nordamerikanischer Dynamik und panamaischer Immobilität zu erklären. Sein erster Eindruck von der Stadt Panama ist, wie in vielen anderen Berichten aus dieser Zeit, bestimmt vom extremen Schmutz, der defekten Infrastruktur und den zahllosen, auf ihre Weiterbeförderung wartenden Transitreisenden. Das Trinkwasser mußte immer noch mit Maultieren herbeigeschafft werden. Die Straßen sind von Müll bedeckt, von dem sich Ziegen und Hühner ernähren: "Inundada como está de viajeros y una población de tránsito, con una regulación municipal imperfecta, la primera impresión del lugar es poco agradable, en especial por su extremada suciedad; las calles son un receptáculo común de basura y desechos de toda clase que se dejan podrir o se convierten en el sustento de cerdos o gallinazos que asumen el deber de recolectarlos."34 Zunächst verweist Griswold auf die von angelsächsischer Seite im 19. Jahrhundert immer wieder angeprangerten Defizite hispanischer Kultur, ihre mangelnde Disposition für die Förderung landwirtschaftlicher Arbeit, Eigeninitiative und Fortschrittsorientierung: "Los españoles a su falta de disposición para cultivar la tierra y a su especie de caballerosidad quijotesca, de poco valor en asuntos prácticos, le unieron una constitutiva y hereditaria falta de iniciativa, que los convertiría - de acuerdo con algunos de los sabios profetas de nuestro

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Die Erstausgabe erschien 1852 in New York. Hier zitiert nach der Ausgabe: C.D. Griswold, El Istmo de Panamá y lo que vi en él. Panama 1974. Griswold, El Istmo, S. 33.

Die kalifornische Wiederentdeckung tiempo - tan vasallos de los sajones, como los iberos fueron de los romanos. Para desgracia de ellos, no tienen el empuje para el progreso

[...r35

Des weiteren bezieht er sich auf die eigentümliche ethnische Komposition der Gesellschaft, gemeint ist der starke Anteil von Schwarzen, Mulatten und Mestizen. Letztere werden als vornehmlich passiv orientiert, mit den natürlichen Verhältnissen des Landes zufrieden - "contento de su situación"36 dargestellt, während die Schwarzen, die im überwiegenden Teil das Transitgeschäft als Träger bzw. Maultierfiihrer betreiben, eher als Kriminelle stigmatisiert werden. "La mayoría de ellos, son un grupo de despreciables vagabundos que no merecen benevolencia ni contemplación."37 Wenn Griswold dennoch die Zukunft Panamas mit Optimismus betrachtet, so letztlich, weil er auf die Überlegenheit der amerikanischen Migranten setzt, in denen er die Träger eines unausweichlichen Fortschritts sieht. Den Angelsachsen wird eine den Römern vergleichbare Führungsrolle zugeschrieben, unter der auch Panama eine blühende Zukunft bevorsteht: "porque nueva vida y nuevas empresas marcan su avance y progreso hacia un mejor y permanente estado de prosperidad en el futuro." 38 Salvador Camacho Roldán, der als kolumbianischer Finanzminister und Präsidentschaftskandidat zwischen 1852 und 1880 mehrfach Panama besucht hat, durchsetzt seine "Notas de viaje" über den Isthmus ebenfalls mit rassischen Erklärungsansätzen, wenn er über die Ursachen der Rückständigkeit Panamas reflektiert. Eine seiner zentralen Thesen ist, daß das Fehlen von Produktivität - "Ni una hacienda, ni una producción industrial"39, selbst Jahrzehnte nach Fertigstellung der transisthmischen Eisenbahn - dem spanischen Volkscharakter anzulasten sei: "La raza española no es agricultora.1,40

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Griswold, El Istmo, S. 7. Griswold, El Istmo, S. 55. Griswold, El Istmo, S. 56. Griswold, El Istmo, S. 32. Salvador Camacho Roldän, Notas de viaje. Bogota 1973, S. 238. Camacho Roldän, Notas de viaje, S. 238. - Camacho Roldän verweist darauf, daß in Spanien Landwirtschaft - wenn überhaupt - nur mit dem Genie der Araber entwickelt wurde und bemerkt außerdem, daß die einzige Bananen-Plantage zwischen Colon und Panama-Stadt von einem Deutschen angelegt wurde. Vgl. Camacho Roldän, Notas de viaje, S. 239. 87

Panama Dank seiner langjährigen, sich über drei Jahrzehnte erstreckenden Kenntnisse von Panama entdeckt Roldán allerdings auch andere Defizite und Spezifika, um den Zustand isthmischer Rückständigkeit zu erklären. Fünf werden dabei hervorgehoben: die altetablierten, kommerziellen Gewohnheiten - los hábitos comerciales -, die nicht auf Produktion, sondern Handel ausgelegt waren; die geographische Marginalisierung des Isthmus als Ergebnis der Einstellung des spanischen Galeonen-Regimes und der Erschließung der Kap Horn-Route; der mangelhafte Bildungsstand breiter Bevölkerungsschichten; der rigide, von kolonialer Tradition geprägte Zentralismus Kolumbiens und die ethno-sozialen Polaritäten der panamaischen Gesellschaft, die er auf vier unterschiedliche Gruppen zugespitzt sieht: Afrikaner, Ausländer, Kolumbianer, Kreolen. "El problema sociológico, pues, consiste en fundir esos grupos en un espíritu de fraternidad é interés común." 41 Damit öffnet sich der Blick auf ein komplexeres Bild der Dekadenz, auf intime Sonderheiten dieser Gesellschaft, die angelsächsischen Beobachtern wie Griswold zumeist verschlossen bleiben mußten. Im Kontrast zur ökonomischen und infrastrukturellen Misere Panamas spricht Camacho Roldán beispielsweise von einem "exzellenten" Gesellschaftsleben, bezieht sich aber mit diesem Urteil exklusiv auf die kreolische Spitze der Gesellschaft Panamas: "En cambio la sociedad era excelente, pues los restos, perfectamente republicanizados de las antiguas familias españolas, eran numerosos y distinguidos por su inteligencia y cultura. Los Arosemenas, Herreras, Sosas, Obarrios, Fábregas, Hurtados, Paredes, Vallarinos, Alemanes, Jiménez, Arces, Brájimos, Pérez, Arias, Morros, Icazas, Picones, Díaz, Obaldías, La Guardias y otros, formaban un grupo tan notable por la instrucción y talento de los hombres, por la belleza física, cultura y suavidad de maneras de las señoras, como en muy pocas ciudades de Colombia pudieran encontrarse."42

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Camacho Roldán, Notas de viaje, S. 252. Camacho Roldán, Notas de viaje, S. 244.

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Dank seines privilegierten Einblicks in das Innenleben der kreolischen Oberschicht, welche ihm als kolumbianischem Politiker offenstand, kann Roldán wichtige ergänzende Informationen einbringen, die externen Beobachtern verschlossen bleiben mußten. Panama ist in der Zeit der Forty Niners nicht nur Gewalt, Raub, Epidemie und Zerfall. Es ist zugleich auch - wie der kolumbianische Politiker ausführt - Ort eines höchst angenehmen, illustren Gesellschaftslebens: "Las relaciones de sociabilidad, - si bien no acompañadas todavía del lujo y de la etiqueta que en sociedades más avanzadas las hacen menos cordiales y menos frecuentes, - eran en extremo agradables y bastante repetidas. Bailes, paseos al campo, a la bahía, principalmente en las noches de luna, y almuerzos y comidas, daban animación a la vida con ese interés peculiar que se despierta en el trato de personas de nacionalidades, costumbres é ideas diversas, pero unidas por lazos de cultura y benevolencia recíprocas."43 Die schlechte Reputation Panamas muß ergänzt werden um das mondäne Panama, das der Bälle, der Feste, der Ausflüge, der Stierkämpfe und der kosmopolitischen Visionen; um jenes weltoffene Panama, das mit seinen neu erscheinenden, zahlreichen spanisch- und englischsprachigen Zeitungen und seinem schnellen Reichtum trotz kultureller Distanz materiell wie intellektuell Anschluß an das neue Zeitalter US-amerikanischer Zivilisation zu gewinnen suchte. Diesen Wandel forcierend ist nach Roldán eine neue Führungselite neben der traditionellen Kreolen-Oligarchie in Panama entstanden, die Gruppe der zumeist aus Nordamerika, Großbritannien und Frankreich stammenden ansässigen Ausländer. Er bezeichnet sie als "el grupo más influyente y principal por la educación y la riqueza"44 und gibt ihr eine Schlüsselstellung für die Rückkehr von Eigeninitiative, Spontaneität und "amor cívico" in der lokalen Gesellschaft. Roldáns optimistische Vision 'kalifornischer' Erneuerung Panamas ist in ihrem Kern ein Produkt dieser Elitenkonzeption. Der brasilianische Diplomat Miguel Maria Lisboa hat den Isthmus 1853 in der Zeit seiner Funktion als Sonderbotschafter seines Landes bei den Regierungen von Neu-Granada, Venezuela und Ecuador fast zum selben Zeitpunkt wie Camacho Roldán besucht und beschreibt ihn in vielerlei Hinsicht mit

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Camacho Roldán, Notas de viaje, S. 245. Camacho Roldán, Notas de viaje, S. 252. 89

Panama ähnlichen Akzenten.45 Allerdings zieht er andere Folgerungen. Der exzessive Schmutz, das hohe Preisniveau - "no existe en el mundo un lugar más caro que Colón"46 -, die weitverbreitete Gewalt und Kriminalität, der bauliche Zerfall, die Gefahren und Unbilden des Camino Real, das ungesunde Klima, die zahllosen Transitreisenden, die Colon und Panama überfluten, die mangelnde Produktivität, auch im landwirtschaftlichen Bereich - "la agricultura es casi nula"47 -, das alles sind wohlbekannte Beobachtungen, die auch in anderen Reiseberichten immer wieder zur Sprache kommen. Lisboa verstärkt vielleicht manche der negativen Akzente - "¡Di gracias a Dios cuando me vi fuera de Panamá!"48 -, zeigt dabei jedoch erhebliche Sensibilität für die Probleme des Wandels und der Entwicklung des Landes. Während Camacho Roldán die Vision einer "Wiedergeburt" Panamas, getragen von der dynamischen Gruppe der Ausländer präsentiert, sieht Lisboa eher ein Doppelspiel von Ruin und Neuanfang, von Tod und Neugeburt. Keine Synthese von Panamá Hispano und Panamá Americano, wie sie sich bei Camacho Roldán andeutet, scheint Lisboa vermittelbar. Die alte, katholischspanische Isthmus-Provinz, ihre Gesellschaft und ihre Monumente sind dem Untergang geweiht angesichts der phantastischen Energien, die das merkantile Genie der Amerikaner freisetzt, und dem er unbefangen die Zukunft zuschreibt: "Panamá muere, y de sus cenizas se levanta un poder, una existencia completamente extraña a la antigua. [...] Panamá ya no es la ciudad de los Balboas, de los Pedrarias, de los Pizarros; esos florecientes monumentos del comercio al lado de los templos arruinados son como un rebus gigantesco y muy fácil de descifrar. ¡Representa el espíritu mercantil de los americanos ahogando el catolicismo español, la maravillosa energía de la raza sajona prosiguiendo su tarea de suplantar la raza latina y de hacer desaparecer de la faz del globo los monumentos de gloria de esa raza otrora heroica, digna de mejor suerte y que algún día todavía se levantará!"49

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Miguel Maria Lisboa, Relación de un viaje a Venezuela, Nueva Granada y Ecuador. Bogota 1984 (Erstausgabe Brüssel 1865). Lisboa, Relación de un viaje, S. 260. Lisboa, Relación de un viaje, S. 270. Lisboa, Relación de un viaje, S. 273. Lisboa, Relación de un viaje, S. 269.

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Das Bild des vom Untergang gezeichneten Panama ist eine Konstante in zahllosen Reiseberichten, die den isthmischen Umbruch dokumentieren. Panamas viel beklagter Zerfall wäre allerdings zu relativieren vor dem Hintergrund des allgemeinen Niedergangs, in dem sich Lateinamerika nach der Lösung von Spanien verfangen hatte. Nur setzte in Panama alles viel früher mit dem Ende des Flottenregimes der Spanier in der Mitte des 18. Jahrhunderts ein. Beobachter des Isthmus mit Lateinamerika-Erfahrung haben daher nicht selten auf vergleichbare prekäre Zustände in Südamerika aufmerksam gemacht; darüber hinaus genügt schon ein Blick in Goethes Reiseberichte über Süditalien, um panamaische Zustände des 19. Jahrhunderts zu relativieren. Interessanterweise aber stimmen letztlich auch die Beobachter aus Lateinamerika mit ein in das Lied der Hinfälligkeit spanischer Kultur und übertragen dabei auf Panama stark sozialdarwinistisch geprägte Visionen der Minderwertigkeit, die eine notwendige amerikanische Renovation des Isthmus unausweichlich erscheinen lassen. Spätestens hier wird deutlich, daß die im 19. Jahrhundert zirkulierenden Ideen und Weltbilder mit ihrer Betonung der Westwanderung des Fortschritts, mit ihrer klassifizierenden und ausgrenzenden Diktion einen Teil des über Reiseberichte vermittelten Realitätsbezuges mitbestimmt haben. Der Dekadenzdiskurs, der sich über Panama im 19. Jahrhundert ergießt, gewinnt damit ein doppeltes Gesicht. Er ist nicht nur als Beleg einer defizienten Wirklichkeit zu verstehen, sondern auch als Manifestation einer dominanten Weltsicht, in der die Superiorität der angelsächsischen Rasse bestimmendes Prinzip geworden ist. Was man bei der Verherrlichung der angelsächsischen Rasse allerdings übersah, waren die turbulenten Reaktionen der anderen Panamaer, der in Slums hausenden, zumeist farbigen Vorstadtbewohner, die arrabaleros der Transitzone, die vom Einfall der Amerikaner am härtesten getroffen wurden und alles andere als Bereitschaft zeigten, amerikanische Herrschaft und Superiorität klanglos hinzunehmen.50

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Ein Defizit aller Reiseberichte über Panama im 19. Jahrhundert ist nicht zu übersehen, nämlich ihre enge geographische Orientierung auf den schmalen Transitkorridor zwischen Portobelo/Colon und Panama-Stadt. Das weitere Hinterland bleibt in allen Berichten eine unbekannte Größe, schon aufgrund der Tatsache, daß die verkehrstechnische Erschließung außerhalb der Transitzone erst unter amerikanischer Regie zwischen den beiden Weltkriegen angegangen wurde. Noch 1924 konnte somit Lady Richmond Brown ihren in London erschienenen Reisebericht

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Panama 3.3

Isthmische Turbulenzen: Konsularische und diplomatische Beobachtungen

Das Spektakel der Einbeziehung Panamas in die amerikanische Migration nach Kalifornien hat allerdings nicht nur Transitreisende zur Berichterstattung und Reflexion angeregt. Weitere wichtige Augenzeugen dieses dramatischen Umbruches waren die konsularischen und diplomatischen Vertreter der um Einfluß in Panama konkurrierenden Handelsmächte Großbritannien, Frankreich und USA. Jedoch ergeben deren Berichte kein einheitliches Bild. Amerikanische Konsuln in Panama, ebenso wie ihre britischen Kollegen, waren stärker absorbiert von den Alltagsgeschäften am Isthmus, insbesondere während der Zeit der kalifornischen Migration, als Tausende von Goldgräbern Panama passierten und häufig konsularische Dienste zur Lösung ihrer vielfältigen Probleme beim oft langen Aufenthalt in Panama und den schwierigen Bedingungen des Weitertransportes in Anspruch nahmen. Die amerikanischen Konsuln waren zudem finanziell schlecht ausgestattet; die Klage über exzessive Kosten vor Ort für Schreibkräfte, Diensträume und Unterkunft zieht sich wie ein roter Faden durch ihre Berichte. Sie waren aber vor allem überlastete Vorposten der amerikanischen Administration, dies gilt besonders in den für Panama ereignisreichen zwei Jahrzehnten des kalifornischen Goldrausches. In seinem Bericht vom 17. Juli 1854 gibt der US-Konsul Thomas Ward den Frustrationen über seine Tätigkeit in Panama freien Lauf: "The Isthmus is only a place of travel, where thousands of persons pass monthly, many of whom come here poor and destitute and never fail to buy from the Consul support and a passage from here - for the last 18 months I have not been able to leave my office for a single hour." 51 Es versteht sich, daß die geplagten Amtsträger der Vereinigten Staaten kaum Interesse und Zeit hatten, tiefergreifende Reflexionen über isthmische Veränderungen vorzulegen, wie sie etwa ihre französischen Amtskollegen, die mit Argusaugen die Entwicklungen Panamas auf der Suche nach einem französischen Entrée verfolgten, präsentierten. Ihre Berichte beschränkten sich häufig

51

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über dieses unbekannte Panama unter die Überschrift "Unknown Tribes, Uncharted Seas" stellen. Department of State, General Records of the Department of State (Record Group 59), Despatches from United States Consuls in Panama, 1823-1906. National Archives, Washington, D.C. (Mikrofilme), hier: 17. Juli 1854.

Die kalifornische

Wiederentdeckung

auf konsularische Routinegeschäfte; sie enthalten bevorzugt nüchterne Informationen über Transitfrequenz von Gütern und Menschen, über Schiffsbewegungen in den Häfen von Panama, kommerzielle Transaktionen oder finanzielle Belastungen im Transitverkehr. Aber zwangsläufig berührten auch sie sensible Punkte gesellschaftlicher Entwicklung im panamaischen Umbruch, denn sie waren immer gezwungen, sich mit Fragen der notorischen politischen Instabilität, der prekären Sicherheit und Ordnung vor Ort und ganz besonders mit Problemen der Bewältigung von Gewalt und Kriminalität auseinanderzusetzen. Nur gut ein Jahr nach Beginn der kalifornischen Migration durch Panama kam es - so der Bericht des amerikanischen Konsuls vom 22. Mai 1850 - zu einer ersten regelrechten Schlacht zwischen etwa 1.500 Amerikanern und 1.000 panamaischen Schwarzen, bei der es insgesamt vier Tote und zahlreiche Verletzte auf beiden Seiten zu beklagen gab. Den Anstoß zu diesem mit Steinen und Revolvern ausgetragenen blutigen Gefecht gab der Diebstahl einer Truhe mit Dollarnoten. Das Geld gehörte einem amerikanischen Geschäftsmann und Herausgeber der Zeitung Eco de Panamá, der die jugendlichen Täter in Selbstjustiz stellte und damit die Gewalt der Straße auslöste. Um weitere Zusammenstöße zwischen Goldgräbern und Panamaern zu verhindern, ersuchte der amerikanische Konsul das Department of State prompt, ein Kriegsschiff mit Interventionstruppen vor der Küste zu stationieren. Nach ähnlichen Zwischenfällen im Hafen von Chagres im Jahr 1851 wiederholte sich die Forderung, "[that] a strong force of Marines be permanently be placed in the harbor". 52 Die gewaltsamen Konfrontationen zwischen der farbigen Bevölkerung, die in den Außenbezirken der Hauptstadt lebte, und durchziehenden amerikanischen Abenteurern und Goldsuchern kulminierten im sogenannten 'WassermelonenKrieg' vom April 1856. Ein amerikanischer Reisender, der eine Wassermelonenscheibe, die er von einem Händler erhalten hatte, nicht bezahlen wollte, löste in der Umgebung der Eisenbahnstation von Panama eine Orgie der Gewalt aus, der 15 Amerikaner und zwei Panamaer zum Opfer fielen. Hinzu kamen zahlreiche Verletzte auf beiden Seiten.53

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Department of State, Despatches, Panama, 19. November 1851. Vgl. zum sog. 'Wassermelonen-Krieg': Mercedes Chen Daley, The Watermelon Riot: Cultural Encounters in Panama City April 15, 1856. In: Hispanic American Historical Review 70(1990)1, S. 85-108; Araúz, Panamá y sus relaciones internacionales, Bd. 1, S. 39ff.

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Panama Die Interpretation dieses Ereignisses, das, bedingt durch hohe Entschädigungsforderungen des Department of State, die amerikanische und kolumbianische Diplomatie noch über zehn Jahre beschäftigen sollte, ist signifikant für die sich anbahnenden Schwierigkeiten der USA im Umgang mit den komplizierten sozialen Bedingungen Panamas. Auf der einen Seite war sich der amerikanische Konsul in seinem Bericht vom 17. Juli 1856 wohl im klaren darüber, daß es gute Gründe für die "ili feelings" der Einheimischen gab. Die Pacific Mail Steamship Company hatte nach der Fertigstellung der Eisenbahnverbindung zwischen Panama und Colon 1855 eine zusätzliche Fähre in Dienst gestellt, um die Fahrgäste der Bahn schneller zu ihren Schiffen zu transferieren. Als Ergebnis dieses verbesserten Serviceangebots war ein großer Teil der lokalen Bevölkerung arbeitslos geworden. Aus detaillierteren Angaben des englischen Vizekonsuls Bidwell54 geht hervor, daß damit allein 4.000 Maultiere überflüssig wurden, die in den ersten vier Jahren des kalifornischen Goldrausches 121.820 Transitreisende befördert hatten. Mit ihnen versiegte eine höchst dezentrale, weit gestreute Einnahmequelle für große Teile der farbigen Bevölkerung, die sich auf den Transportservice spezialisiert hatten. Die durchreisenden Amerikaner wurden in dieser Konstellation zwangsläufig zur Zielscheibe heftiger Animositäten. Sie erschienen als Vorboten einer gewaltträchtigen 'Invasion', als treibende Kraft einer unkontrollierten verhängnisvollen Modernisierung und Rationalisierung, die die farbige Bevölkerung ihrer Existenzgrundlage beraubte. Für die amerikanischen Beobachter dieser beunruhigenden Gewalteskalation offenbarte sich das isthmische Konfliktfeld signifikanterweise bevorzugt als Szenario eines Rassenkonfliktes. Entsprechend dezidiert umschreibt der US-Konsul von Aspinwall/Colon die damaligen Unruhen vom 3. Mai 1856 als "negro outbreak" und malt das düstere Bild einer von Schwarzen beherrschten isthmischen Gesellschaft: "The blacks have been growing in power until they have at length obtained supremacy over the white native population." Und diese Schwarzen seien die "tödlichen Feinde" aller Weißen.55 Allerdings neigten nicht nur die Amerikaner zur Vision eines Rassenkrieges. Der britische Konsul Perry macht auf den sich zuspitzenden "Rassen-Antagonismus" ebenfalls aufmerksam. Es sei zu be-

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Vgl. Charles T. Bidwell, The Isthmus of Panama. London 1865, 157ff. Department of State, General Records of the Department of State (Record Group 59), Despatches from United States Consuls in Colon, Panama, 1852-1906. National Archives, Washington, D.C. Department of State, hier: 3. Mai 1856.

Die kalifornische

Wiederentdeckung

fürchten, daß sich der Haß der Schwarzen gegen alle Weißen richten würde, die als Mitspieler oder Freunde der amerikanischen Migranten identifizierbar seien.56 Damit deutet sich das schmerzliche Problem der britischen Residenten an, die damit rechnen mußten, mit in die Gewaltexzesse hineingerissen zu werden, die die durch Panama flutenden nordamerikanischen Migranten provozierten. Nur für kurze Zeit, am Anfang der Unruhen, bemühten sich die in Panama akkreditierten Konsuln noch gemeinsam um eine kolumbianische Bewältigung der eskalierenden Unruhen. In einer Petition an die Regierung in Bogota forderten sie 1850 die Entsendung einer Schutztruppe zur Verstärkung der lokalen Polizei, um weitere Übergriffe zwischen farbiger Bevölkerung und Forty Niners vorzubeugen. Aber Konsul William Perry, mit seiner langjährigen Erfahrung in Panama, fügte in seinem Bericht an das Foreign Office skeptisch hinzu, daß ein wirksames Handeln von der Zentralregierung in Bogota kaum zu erwarten sei; die gegenwärtige Aufregung würde sich legen, um der gewohnten Lethargie wieder freien Lauf zu lassen, bis es erneut zu einem schweren Unglück käme. So setzte Perry schließlich, wie schon zuvor sein amerikanischer Kollege, vornehmlich auf externen Schutz durch Marinestreitkräfte. 57 Indem der Ruf nach militärischer Intervention - "immediate occupancy of the Isthmus from Ocean to Ocean"58 - immer lauter wurde, verdichteten sich die Gerüchte einer Übernahme des Isthmus durch amerikanische Truppen, so daß schließlich Konsul Arnos B. Corwine sich genötigt sah, Washington vor der Illusion zu warnen, man könne auf die kreolischen Eliten gleichsam automatisch als Mitspieler der Amerikaner bei einer Okkupation der Transitzone setzen. Des weiteren forderte er dringend Klarheit über die nächsten Schritte amerikanischer Panama-Politik: "Teil me categorically" - heißt es 1857 in einem Schreiben an den Secretary of State - "that you want the possession and sovereignty of the Isthmus of Panama. Take it by force if possible but do not insult

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Konsul William Perry, 22. Mai 1850. Vgl. Universidad de Panamá. Facultad de Filosofía, Letras y Educación, Escuela de Inglés (Hrsg.), Informes Consulares Británicos sobre el Comercio y Aspectos Socio-Políticos de Panamá: Años 18261863. Übersetzt von Belinda Araúz de Zúñiga. Panama 1979, S. 146f. Konsul William Perry, 20. Juli 1850. Vgl. Universidad de Panamá. Facultad de Filosofía, Letras y Educación, Escuela de Inglés (Hrsg.), Informes Consulares Británicos: Años 1826-1863. S. 145ff. Department of State, Despatches, Panama, 17. April 1856.

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Panama the misfortune of a Magnanimous nation by adding scoff and mockery to the violation of its rights."59 Das amerikanische Debüt in Panama gestaltete sich verwirrend, widersprüchlich und konfliktträchtig. Eigentlich waren die Yankees dazu prädestiniert, als eine 'erlösende', den Isthmus aus Dekadenz und Lethargie, aus hundertjähriger 'Einsamkeit' herausführende Kraft zu wirken. Doch die Fusion panamaischer und amerikanischer Interessen erzeugte ein brisantes Gemisch von Konflikten und Gewalt, von sozialen Polaritäten, Machtkämpfen und Interventionen, die rasch jedweder politischer Steuerung entglitten. Der entfesselte amerikanische Kapitalismus, symbolträchtig vertreten durch den Einbruch der Forty Niners, die Panama für zwei Jahrzehnte in 'Besitz' nahmen, wurde zudem mit Blick auf die vorhergehenden texanischen und mexikanischen Erfahrungen als Vorbote einer zu erwartenden Annexion an die USA bewertet. Zugleich aber fehlte es nicht an Bewunderern der Amerikaner; ihre Finanzkraft, ihre organisatorische und technologische Effizienz bei der Renovierung und Modernisierung der isthmischen Infrastruktur war stets gefragt, besonders von seiten der kreolischen Oligarchie, die dank der großen Wertsteigerung ihres Immobilien- und Landbesitzes der eigentliche Gewinner des 1849 einsetzenden kalifornischen Booms war. Vor allem die französischen Beobachter, die selbst anfangs noch mit dem Gedanken der Übernahme einer politischen Führungsrolle auf dem Isthmus durch Frankreich liebäugelten, haben mit scharfen Augen diese Ambivalenzen und Paradoxien der nordamerikanischen Machtentfaltung, aber zugleich auch die vielfältigen Widrigkeiten und Gegenbewegungen, die dieser Entwicklung anhafteten, erkannt. Schon der 1846 auf eigene Faust von dem amerikanischen Botschafter in Bogota, Bidlack, ausgehandelte und 1848 nach langem Zögern des amerikanischen Senats ratifizierte Transitvertrag, mit dem die USA erstmals verbürgte Transitrechte am Isthmus erwarben, überzeugte den sensiblen französischen Botschafter in Bogota vom Anbruch einer neuen amerikanischen Ära in Panama. Er zitiert den ehemaligen Finanzminister des Anden-Staates, M.F. Gonzales, in einem Brief an das Außenministerium in Paris vom 19. Februar 1849, unter Bezug auf eine zu erwartende Sezession Panamas von Neu-Granada, für die der Bidlack-Vertrag die Voraussetzungen geschaffen habe:

59 96

Department of State, Despatches, Panama, 30. September 1857.

Die kalifornische Wiederentdeckung "Nous perdrons l'Isthme, me disait-il, eh bien quels regrets doit en avoir la Nouvelle-Grenade qui n'en a jamais rien fait et n'en pourra jamais rien faire." 60 Und in einem Nachruf auf den plötzlichen Tod Bidlacks schrieb der französische Diplomat, die langfristige Bedeutung des von diesem ausgehandelten Vertrages würdigend: "Il a donné l'Isthme de Panama à son pays sans savoir ce qu'il faisait et je doute qu'il ait jamais compris l'importance du traité du 12 Décembre 1846."61 Frankreich hat sich erst nach der 1869 erfolgten Fertigstellung des Suezkanals62 intensiver mit den Bedingungen für den Bau eines zentralamerikanischen Kanals, dessen Konstruktion dann unter der Leitung von Ferdinand de Lesseps 1882 begann, auseinandergesetzt. Dennoch sondierten die diplomatischen und konsularischen Vertreter des Hexagons in Bogota wie in Panama schon gegen Ende der vierziger Jahre des vorigen Jahrhunderts das Terrain für einen möglichen französischen Part im isthmischen Machtspiel. Dabei entstanden sind sehr instruktive Berichte über die Veränderungen, die Panama seit der kalifornischen Migration erfahren hat. Wie ein roter Faden ziehen sich drei Beobachtungsstränge durch die diplomatischen und konsularischen Berichte der Vertreter Frankreichs: 1.

Zum einen wird immer wieder auf die inhärente Instabilität und Fragilität der Beziehungen mit Bogota und die sich hieraus ergebenden stimulierenden Konsequenzen für die Entfaltung eines isthmischen Separatismus aufmerksam gemacht.

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Zum anderen wird der de facto sich vollziehende krisenhafte Herrschaftswechsel zugunsten der USA thematisiert.

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Archives du Ministère des Affaires Etrangères (Paris). Correspondance Politique ( = A M A E P CP), Nouvelle-Grenade, Bd. 19-25. Paris 1842-1858, hier: AMAEP CP, NG 19, 19. Februar 1849. AMAEP CP, NG 19, 18. Februar 1849. Zum Bau des Suezkanals vgl. u.a.: Boutros Boutros-Ghali, Le Canal de Suez 1854-1957. Alexandria 1958; D.A. Farnie, East and West of Suez. The Suez Canal in History 1854-1956. Oxford 1969; John Marlowe, The Making of the Suez Canal. London 1964; Hugh J. Schonfield, The Suez Canal in World Affairs. London 1952.

61 62

97

Panama 3.

Und schließlich sind es die Schwierigkeiten, die den Amerikanern bei ihrer informellen Machtübernahme in Panama begegnen - allen voran der wachsende Antiamerikanismus -, die die französische Berichterstattung beschäftigen.

Bereits im Jahr 1848 präsentierte der französische Konsul dem Außenministerium in Paris seine Gedanken über die Ursachen des gespannten Verhältnisses zwischen Panama und Neu-Granada: Administrative Anarchie, politische Ohnmacht und Mittellosigkeit sowie Inkompetenz und Instabilität der Zentralregierung in Bogota werden für die Mißstände verantwortlich erklärt. Am Schluß dieser Überlegung heißt es, daß die Separation des Isthmus von Neu-Granada unausweichlich sei. Die USA, Großbritannien und Frankreich werden als mögliche Schutzmächte in Erwägung gezogen: "Je crois avoir suffisamment établi que la séparation est un fait inévitable et je reviens à l'appui que l'Isthme est obligé de chercher. Il ne peut tourner les yeux que de trois côtés, les Etats-Unis, l'Angleterre, la France." 63 In Reaktion auf die Ratifizierung des Mallarino-Bidlack-Vertrages wird wenige Monate später, im Dezember 1848, diese These von der notwendigen Reorientierung Panamas noch einmal vertreten. Für Panama mit seinen nur lockeren Verbindungen zu Bogota und seiner "erschreckenden Misere" sei ein Wechsel in die Hände der USA zwangsläufig geworden; die Trennung von Neu-Granada - so das französische Kalkül - werde nach texanischem Muster verlaufen: "La question de Panama sera le pendant de cette du Texas. La cause la plus futile amènera l'indépendance, puis bientôt l'annexion.1,64 Wie bekannt, erklärte Texas, von amerikanischen Siedlern okkupiert, 1836 seine Unabhängigkeit von Mexiko und wurde fast ein Jahrzehnt später 1845 von den USA annektiert. An anderer Stelle gibt der französische Botschafter in Bogota zu bedenken, daß der Isthmus angesichts der chaotischen Zustände in Neu-Granada gleichsam in die Hände der Amerikaner gedrängt werde, ein Trend, der durch die zunehmende Einbindung des Isthmus in das amerikanische Wirtschafts- und Kommunikationssystem noch forciert werde:

63 64

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AMAEP CP, NG 19, 5. April 1848. AMAEP CP, NG 20, 18. April 1850.

Die kalifornische

Wiederentdeckung

"Aujourd'hui la Nouvelle-Grenade est à Panama et Panama n'est presque plus à la Nouvelle-Grenade. [...] Panama est plus près de New York que de sa capitale."65 Diese Vision einer zwangsläufigen - ob freiwillig oder unfreiwillig sich gestaltenden - Annexion Panamas durch die USA bleibt immer präsent in der französischen Beobachtung. Zugleich aber zeigen die Vertreter des Hexagon ein feines Gespür für das schiere Gewicht der amerikanischen Präsenz, das wiederum alle tradierten Formen der Annexion überflüssig zu machen scheint. "Les Etats-Unis n'achèteraient pas aujourd'hui ce que la force des choses leur donnera demain", 66 heißt es bereits in einem Brief des französischen Botschafters in Bogota aus dem Jahr 1850 an das Außenministerium. Mit zunehmender Involvierung in die kalifornische Migration rückten jedoch die inneren Krisenprozesse der Transitzone stärker in das Blickfeld der französischen Beobachter. Das sich aufbauende Konfliktpotential zwischen Amerikanern und den farbigen Vorstadt-Bewohnern wird mit besonderer Akribie und verhaltenem Optimismus kommentiert, nicht zuletzt, weil hier Spielräume und Chancen für die Einbringung Frankreichs als isthmische Schutz- und Schiedsmacht gesehen werden. Wenn daher die französischen Diplomaten den Prozeß der Amerikanisierung Panamas beschreiben und auf die immer dominantere Rolle der USA im Bereich von Handel, Finanzen und Infrastrukturinvestitionen - wie Eisenbahn, Hafenanlagen und Hotels -, die rasche Ausbreitung der englischen Sprache und die wachsende Außenversorgung über New York aufmerksam machen, so versäumen sie es nicht, immer zugleich auch auf den dramatischen Prozeß der Polarisierung und Gewalteskalation zu verweisen, den die Überfremdung Panamas durch die kalifornische Migration provoziert habe. Während die angelsächsischen Gesandten bevorzugt den Blick auf die Gewalt des arrabal, der randalierenden panamaischen 'Neger' fixieren, sind es die Franzosen, die den gewalttätigen, trink- und schieß wütigen Yankee ins Visier nehmen. In ihrer Analyse des 'Wassermelonen-Krieges', wiesen somit die französischen Beobachter den Forty Niners die Hauptverantwortung zu. Der Bericht von Konsul Nottent an das Außenministerium in Paris vom 21. April 1856 spricht hier für sich:

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AMAEP CP, NG 20, 19. September 1850. AMAEP CP, NG 20, 18. April 1850.

Panama "[...] les Américains sont presque tous armés de poignards et de revolvers à six et huit coups qu'ils portent à la ceinture, l'insolent despotisme et la brutalité de ces hommes dépassent toutes les bornes des appréciations Européennes. Il faut avoir vécu longtemps au milieu de ces aventuriers pour se faire une idée exacte de leurs actes les plus habituelles, de leurs moeurs sauvages. Pour eux la vie d'un homme a moins de prix que celle d'un animal. A chaque instant, sur le moindre prétexte, lors de la plus légère discussion, à l'occasion de l'objet le plus futile, on les voit arimer froidement leur revolver et faire face sur ce qu'ils appellent leurs adversaires, homme, femme ou enfant. La population de cette ville déteste les Américains."67 Es ist verständlich, daß diese Bemerkungen mit besonderer Dankbarkeit von der neueren Historiographie Panamas aufgenommen und schließlich auch in die Diskussion um die Entstehung der panamaischen Nation eingebracht wurden. 68 Weniger Beachtung haben jedoch die anderen französischen Beobachtungen über den maroden Zustand der lokalen Gesellschaft gefunden, die nicht ohne weiteres in das Bild einer sich aus der kalifornischen violencia formierenden Nation passen. Die französische Berichterstattung ist ambivalenter und die panamaische Realität komplexer als es die vielzitierten Bemerkungen von Konsul Nottent über die schießwütigen Amerikaner erkennen lassen. Unverkennbar ist zunächst die französische Hoffnung auf Terrainverlust der Amerikaner in diesem Milieu eskalierender Gewalt. "Les Américains par leur brutalité y perdent chaquent jour de terrain. La race Espagnole est trop polieur pour sympathiser avec ces hommes grossiers et à demi sauvages",69 ... heißt es noch frohlockend in einem Konsularbericht aus dem Jahr 1852, und der französische Konsul drückt zugleich seine Hoffnung aus, man könne aus den Kalamitäten der Amerikaner Profit schlagen, den zunehmenden Antiamerikanismus nutzbar machen, um Panama in ein französisches Departement zu verwandeln:

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AMAEP CP, Vgl. Alfredo (1821-1903). AMAEP CP,

NG 23, 21. April 1856. Figueroa Navarro, Dominio y Sociedad en el Panamá Colombiano Panama 1982 (3. Auflage), S. 341. NG 21, 16. Juni 1852.

Die kalifornische Wiederentdeckung "La partie est donc belle pour nous. Puissions nous en profiter! [...] avec de la prudence et une certaine adresse on peut faire de ce pays un département Français."70 Dieser Traum von der Übernahme zwingt allerdings zur nüchternen Bestandsaufnahme realer Gestaltungsmöglichkeiten vor Ort. Um Einfluß im hispanoamerikanischen, von Klientelismus und Korruption geplagten Panama zu gewinnen, sind vor allem finanzielle Zugaben unerläßlich, und der französische Konsul beklagt die begrenzten Möglichkeiten, die ihm gerade hier beim Versuch, sich Ansehen und Gehör zu verschaffen, zur Verfügung stehen: "Je suis dans les meilleurs termes avec les familles les plus influentes du pays. Mais celà ne suffit pas. Il faut qu'un agent puisse recevoir, donner quelques fêtes, faire des cadeaux."71 Rasch aber mußten die französischen Vertreter erfahren, daß mit Geschenken und Geld allein in Panama nichts zu gewinnen, geschweige denn zu regieren sei. Eine andere Variante lokaler Wirklichkeit rückt jetzt in den Focus ihrer Beobachtung, die von der panamaischen Nationalismus-Diskussion allerdings unbeachtet geblieben ist. Gemeint ist der Zustand der Korruption, der gesellschaftlichen Demoralisierung, der Auflösung von Staatlichkeit und schließlich die notorische Unregierbarkeit des Isthmus. Es waren diese Laster lokaler Wirklichkeit, die die französischen Träume von der 'Departementalisierung' Panamas rasch zerstörten. In einem konsularischen Bericht vom 20. Januar 1854 wird der Zustand Panamas schlechthin als anarchisch beschrieben: "[Un] pays démoralisé, sans principe d'autorité, sans gouvernement, où le vol et la rapine aussi que l'assassinat se trouvent partout, la justice, le respect des lois, le châtiment du crime nulle part." Und weiter, in einer abschließenden Wertung, heißt es über die panamaische Gesellschaft noch pessimistischer: "[...] un peuple profondément corrompu, à qui le sens moral manque [...] qui n'aspire qu'à satisfaire ses appétits brutaux et qu'il faut bien dans certains cas, combattre avec ses propres armes."72 Der Ruf nach Präsenz französischer Marinestreitkräfte überlagert fortan die Bitte um mehr finanzielle Rückendeckung. In einem anderen konsularischen

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AMAEP CP, NG 21, 16. Juni 1852. AMAEP CP, NG 21, 16. Juni 1852. AMAEP CP, NG 22, 20. Januar 1854

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Panama Text zeigt sich die Ernüchterung schon weiter fortgeschritten, so daß die zu beobachtende schleichende Konfiszierung des Isthmus durch die USA nicht mehr unbedingt als Unheil eingestuft wird. Selbst für die Hoffnung, man könne Panama über die Errichtung eines Protektorats retten, scheint bereits alles zu spät: "Le pays-ci est tellement démoralisé; il y a une absence si complète de tout ce qui ressemble à un Gouvernement régulier [...] je ne sais pas vraiment s'il faut se désoler beaucoup de la confiscation lente mais certaine qu'ils [die Yankees, d. Verf.] opèrent en ce pays à leur profit. [...] Il y aurait évidemment chose meilleure: le Protectorat. Mais cette race est si ignorante et vanitère que lorsqu'elle y aura recours, il sera déjà trop tard." 73 Der Höhepunkt konsularischer Desillusionierung findet in einem Bericht an das Außenministerium in Paris Ausdruck, der nur drei Jahre vor Beginn der französischen Kanalarbeiten im Juni 1879 von Konsul Virun erstellt wurde. Hier wird der "moralische Verfall" als so gravierend dargestellt, daß eine gesellschaftliche "Regeneration" nur noch mittels "Arbeit" denkbar erscheint. Damit gewinnt das von Paris damals schon anvisierte Kanalprojekt eine unerwartete 'erzieherische' Komponente; der französische Kanal wird zum Heilsprojekt für die korrumpierte, deformierte Gesellschaft Panamas. "Ce pays demande à être régénéré par le travail, et la colossale entreprise dont il est question à ce moment à Paris, est seule en mesure d'opérer ce changement."74 Aber auch diese Heilserwartung zerschlug sich rasch. Resignierend schreibt Konsul Charmande 1885, nachdem die französischen Kanalarbeiten bereits drei Jahre liefen, die isthmischen Machtrivalitäten und Revolutionen aber erneut ausbrachen, vom Wiederaufleben des "alten barbarischen Systems". Vor diesem Hintergrund und der Tatsache Rechnung tragend, daß die Amerikaner trotz französischer Kanalarbeiten die bestimmende Macht am Isthmus geblieben waren, wuchs schließlich die Uberzeugung von der Unausweichlichkeit einer direkten amerikanischen Machtübernahme, die immer noch

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Archives du Ministère des Affaires Etrangères (Paris). Correspondance Commerciale ( = A M A E P CC), Panama, Bd. 1-9. Paris 1843-1901, hier: Bd. 2, 3. Juni 1853. AMAEP CC, Bd. 6, 26. Juni 1879.

Die kalifornische

Wiederentdeckung

besser als das aktuelle Chaos wäre, denn: "[...] tout serait préférable à la situation actuelle."75 Und in der Tat waren es amerikanische Truppen, die bei den wohl schwersten gewalttätigen Ausschreitungen auf dem Isthmus, im März 1885, gegen den putschenden General Rafaël Aizpuru in Panama-Stadt und Pedro Prestän in Colon als Ordnungsmacht intervenierten. Mit ihrem Expeditionscorps von 1.200 Mann, dem größten im Ausland eingesetzten Kontingent seit dem mexikanisch-amerikanischen Krieg, stellten sie, auf ein Hilfsgesuch Bogotas rasch reagierend, einmal mehr ihre Wirksamkeit als Garantiemacht für den freien Isthmus-Transit auch gegenüber den kritischen französischen Beobachtern eindrucksvoll unter Beweis.

3.4

Dialektik der Amerikanisierung

Die konsularischen und diplomatischen Berichte über Panama aus der Zeit des kalifornischen Umbruchs sind zwangsläufig Dokumente, die stark von nationalen Interessen und Projektionen gefärbt waren. Dennoch liefern sie in ihrer subjektiven Befangenheit wichtige - die Reiseliteratur ergänzende - Hinweise auf Stimmungsbilder und Problemkonstellationen vor Ort, mit unverzichtbaren Informationen für ein Verständnis der panamaischen Situation in dieser Zeit des Umbruchs. Vor allem die französischen Berichte verweisen auf die besonderen Turbulenzen, die die kalifornische Wiederentdeckung Panamas begleitet haben: die fragilen Beziehungen zwischen Panama und Neu-Granada, die aus dem kolumbianischen Bürgerkrieg überspringenden Konflikte, Rivalitäten und Machtkämpfe, der unaufhaltsam fortschreitende Einfluß der Amerikaner und das gewaltträchtige Zusammenprallen zwischen ihnen und dem farbigen arrabal, das alles sind rekurrierende Themen französischer Berichterstattung, Themen, die letztlich aber auch den Traum einer isthmischen Sonderstellung Frankreichs zerrinnen ließen. Frankreichs zehnjährige Panama-Exkursion war eine Erfahrung der Ernüchterung nicht nur in kanalbautechnischer, finanzieller und epidemiologischer Hinsicht. Analytisch dieses traumatische Erlebnis vertiefend, heißt es in einem Konsularbericht aus dem Jahr 1885 lakonisch, daß in Panama zu viele ausländische Interessen im Spiel seien, zuviel korruptes Geld fließe, und daß

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AMAEP CC, Bd. 6, 1885.

103

Panama schließlich zuviel Unruhe über die fortwährenden Bürgerkriege aus NeuGranada übertragen würde. 76 Auf der Basis dieser Informationen, die Reise- und Konsularberichte vermitteln, ergibt sich somit ein vielschichtiges Bild des Wandels, das letztlich immer wieder auf die dominante Stellung der Nordamerikaner verweist. Sie forcierten nicht nur die Modernisierung der Infrastruktur in der Transitzone, sondern stampften 1852 eine komplett neue Hafenstadt - Aspinwall, das spätere Colon - aus dem Boden; ihr Dollar avancierte zur de facto-Währung, 77 eine eigenständige amerikanische Presse, der Panama Star and Herald, entstand.78 Die englische Sprache fand immer weitere Verbreitung. Die Amerikaner besaßen und kontrollierten den Eisenbahnkorridor, auch Yankee-Strip genannt; sie importierten ihre eigenen Arbeitskräfte vornehmlich aus Jamaika für den Bau der Eisenbahn. Amerikanische Geschäftsleute organisierten ihre eigene private Sicherheitstruppe vor Ort. 79 Und amerikanische Kriegsschiffe sicherten - zeitweilig von Frankreich und Großbritannien unterstützt - vor Colon und Panama-Stadt vor Anker liegend die freie Isthmus-Passage und intervenierten vielfach auf kolumbianisches oder panamaisches Ersuchen (Tabelle 1).

76 77

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104

Vgl. AMAEP CC, Bd. 6, 1885. Zu den Währungsverhältnissen in Panama vgl. u. a. die folgenden Arbeiten von Jorge Conte-Porras: Algunos breves comentarios sobre la circulación monetaria en el Istmo de Panamá. In: Lotería, II época (1966)125, S. 58-66; ders., De la vida económica y actividad bancaria en el siglo XIX en Panamá. In: Lotería (1983)322323, S. 38-62; ders., El Banco Nacional de Panamá y la circulación del Dólar en Panamá desde el siglo XIX. In: Lotería (1995)403, S. 34-51. Zum Pressewesen in Panama vgl. Rodrigo Miró, La imprenta y el periodismo en Panamá durante la primera mitad del siglo XIX. Panama 1976. Zum Panama Star siehe u.a. Jean Gilbreath Niemeier, The Panama Story. Portland 1968. Der Texaner Ran Runnels und der Ire Carlos Zachrison organisierten, von der Regierung in Bogota autorisiert, während der kalifornischen Migration eine Sicherheitstruppe von vigilantes gegen das Banditentum auf dem Isthmus. Vgl. hierzu: J.H. Gibbon, El Istmo de Panamá en 1835-1836. In: Juan Antonio Susto (Hrsg.), 2 relaciones de viajes al Istmo de Panamá en 1835. Panama 1961, S. 530, hier: S. 8 (Anm. 3).

Die kalifornische

Wiederentdeckung

Tabelle 1: Bewaffnete Interventionen der USA in Panama, 1856-190380 Jahr

Anlaß

1856

'Wassermelonen-Krieg'

160

4

1860

Lokale Unruhen

100

11

1861

Politische Unruhen

-

-

1865

Politische Unruhen

-

1

1868

Aufruhr

14

1

1873

Bürgerkrieg

200

15

1873

Bürgerkrieg

190

13

1885

Lokale Unruhen

12

1

1885

Revolte von Prestän und Aizpuru

1.200

57

1895

Bocas del Toro

70

1

1901

Krieg der 1000 Tage

460

15

1902

Bocas del Toro

1 Kompanie

7

1902

Krieg der 1000 Tage

350

63

1903

Unabhängigkeit

42

3

80

Truppenstärke

Dauer (Tage)

Nach Michael L. Conniff, Panama and the United States: The Forced Alliance. Athens/London 1992, S. 34. - Zumindest die Interventionen von 1860, 1861 und 1885 erfolgten auf Anforderung Kolumbiens bzw. Neugranadas; 1860 waren hierbei auch britische, 1901 französische Truppen beteiligt. - Vgl. zu dieser Thematik auch: Bolívar Perigault Sánchez, ¿Qué sabe Usted acerca de las intervenciones norteamericanas en Panamá? Panama 1995.

105

Panama Der amerikanische Einfluß ging soweit, daß selbst die Hinrichtungen von Verbrechern in Panama nach dem amerikanischen Ritual des Erhängens vollzogen wurden: "Les Américains préparent et façonnent l'Isthme. Ils y introduisent leurs moeurs; grâce à eux la pendaison à droit de cité en Colombie et le 6 Mai 1885 les sieurs Cocobolo et Portuzelle [...] ont été pendus au lieu d'être fusillés. "81 Diese allgegenwärtige Gestaltungsmacht der Amerikaner reichte jedoch nicht aus, um das mit Mißtrauen verfolgte französische Kanalprojekt zu verhindern. Es sollte aber nicht übersehen werden, daß amerikanische Subkontraktoren während der französischen Kanalbauphase eine erhebliche Bedeutung erlangten. Insbesondere die gigantischen Schaufelbagger der American Contracting und Dredging Company haben maßgeblich zu den beachtlichen Erfolgen der französischen Kanalbauer beigetragen, wie McCullough hervorhebt: "Among the more curious facts about the French canal at Panama is that about a third of it was dug by Americans." 82 Das von französischen Diplomaten immer wieder argwöhnisch betrachtete amerikanische Übergewicht löste in Panama selbst höchst kontroverse Reaktionen aus. Für die farbige Bevölkerung in den Vorstadtgebieten, die der direkten Konfrontation mit dem Gewaltpotential der Forty Niners ausgesetzt war und deren Existenzgrundlagen durch die Vollendung der Eisenbahn quasi wegrationalisiert wurden, war die amerikanische 'Invasion' ein traumatisches Ereignis, das zur Gewalt und zu gewaltträchtigem Antiamerikanismus herausforderte, aber auch zur Mobilisierung politischer Gegenmacht, die in der Partei der Liberalen ihre stärkste organisatorische Basis finden sollte. Die Ausweitung des Wahlrechts auf die ehemaligen Sklaven, seit 1855, kam dieser Entwicklung besonders zugute. Die Liberale Partei wurde zum Forum der emanzipierten farbigen Bevölkerung, zum "partido liberal negro arrabalero". 83 Sie griff fortan in das politische Machtspiel am Isthmus ein, und zwar in zwei Richtungen: Einerseits erzwangen die arrabaleros gegenüber dem weißen Patriziat die Durchsetzung ihrer eigenen caudillos, bis zum Amt des Präsidenten, und eröffneten mit diesem Machttransfer ein weiteres Feld der Revolten, der Revolutionen und Putschversuche, wie sie in der zweiten 81 82 83

106

AMAEP CC, Bd. 6, 1885. McCullough, The Path Between the Seas, S. 158. Alfredo Figueroa Navarro, Tensiones sociales en el Arrabal según la correspondencia consular francesa (1850-1880). Panama 1977, S. 9.

Die kalifornische

Wiederentdeckung

Hälfte des 19. Jahrhunderts für das politische Leben Panamas so bestimmend wurden. 84 Andererseits nutzten die Farbigen ihre neugewonnene politische Macht, um die Bürokratie mit ihren Anhängern zu durchsetzen. Der arrabal hat sich im Schatten der forcierten Amerikanisierung zu einer Macht der Straße, aber auch zu einer Macht der Bürokratie emporgearbeitet, so daß amerikanische Beobachter dieser Entwicklung schon frühzeitig vor einer totalen Machtübernahme der Schwarzen in Panama warnten. Ambivalenter natürlich sind Meinungsbild und Reaktionen der kommerziellen Elite Panamas im Umgang mit der amerikanischen Herausforderung. Einer ihrer führenden Köpfe, Mariano Arosemena, hat 1868 auf rhetorischer Ebene seinem Antiamerikanismus freien Lauf gelassen und die Gefahren des expandierenden amerikanischen Giganten, des "coloso mui terrible" angeprangert, der keine Verpflichtungen der Solidarität, keine Rücksichten gegenüber seinen einstigen Förderern Spanien und Frankreich kenne: "Esta república federal ha nacido pigmea, por decirlo así, i ha necesitado el apoyo i la fuerza de dos Estados tan poderosos, como la España i la Francia, para lograr su independencia. Tiempo vendrá en que llegará a ser gigante, i aún coloso mui terrible, en aquellas vastas regiones. Entonces, allá olvidará los benificios que recibió de ambas potencias, i no pensara sino en engrandecerse."85 Seine praktische politische Orientierung aber stand ganz im Banne der Überzeugung, daß Panamas Heil und Rettung nur im Schöße der Nordamerikaner zu suchen sei. In einem Brief an seinen Sohn Justo Arosemena schreibt der panamaische Politiker am 4. November 1856, nur wenige Monate nach den blutigen 'Wassermelonen-Ausschreitungen': "Para mí no hay salvación sino en la agregación del Istmo de Panamá a la familia norteamericana."86 Antiamerikanismus wird angesichts des 'barbarischen' Auftretens der Nordamerikaner fortan zum festen Ritual und Repertoire panamaischer Politiker gehören. Aber zugleich wußte diese Elite die Yankees zu schätzen, und zwar in dreifacher Hinsicht: als Quelle finanzieller Bereicherung, als Agenten der

84 85 86

Vgl. Dalva Figueroa/Lisandro Barahona, Las luchas políticas en Panamá durante la segunda mitad del siglo XIX. In: Tareas (1965)16, S. 15. Mariano Arosemena, Apuntamientos Históricos. Panama 1949, S. l l f . Mariano Arosemena, Historia y Nacionalidad. Hrsg. v. A. Tello Burgos. Panama 1979, S. 176.

107

Panama Realisierung des alten Traumes vom Bau eines transisthmischen Kanals und schließlich als Chance der personellen Verstärkung gegen einen numerisch weit überlegenen und politisch höchst aktiven arrabal. Die Impressionen vieler Amerikaner, die Panama als eine 'Neger-Hochburg' stigmatisierten, waren nicht völlig verkehrt. Alle Reisenden berichteten im 19. Jahrhundert vom hohen Anteil der farbigen Bevölkerung und von deren wachsendem politischen Gewicht. Die Transit-Spezialisierung hatte den Import von Sklaven auch nach dem Ende der spanischen Herrschaft immer wieder stimuliert.87 Erst 1852 wurde die Sklaverei in Panama offiziell abgeschafft. Nach Angaben des britischen Konsuls aus dem Jahr 1841 kamen in der Provinz Panama auf zehn Weiße 15 Schwarze, 20 Indios und 25 Mestizen.88 In den Terminalstädten aber lag der Anteil der schwarzen Population traditionell wesentlich höher. Colon war fast völlig in der Hand der Farbigen, und in Panama verfugten diese über eine stattliche Majorität. Grund genug für das Patriziat, nach Verstärkung Ausschau zu halten. Der französische Konsul in Panama gibt die Zahl der zugewanderten Ausländer, die sich vor allem in Panama-Stadt und Colon mit kommerzieller Tätigkeit niedergelassen haben, für 1852 bereits mit 458 an, davon sind 330 Franzosen, 60 Nordamerikaner, 30 Engländer und 38 Italiener.89 Der Verstärkungseffekt dieser Zuwanderer für die Kreolenoligarchie ist nicht zu unterschätzen, zumal nicht wenige von ihnen - an erster Stelle stehen die Amerikaner und Franzosen, dann folgen die Briten - in die panamaische Aristokratie einheiraten.90 Diese familiäre Öffnung der kommerziellen Elite vollzog sich im übrigen Hand in Hand mit der Reorientierung ihrer Bildungsaspirationen. Die Anzahl führender panamaischer Familien, die fortan ihre Kinder an nordamerikanischen oder europäischen, insbesondere französischen Universitäten ausbilden ließen, wuchs rasch in der Zeit der kalifornischen Migration. Und Lima, Bogota oder Cartagena verloren in dieser Zeit ihre angestammte Bedeutung als Bildungsmetropolen der panamaischen Oligarchie. "There is scarcely a good family here" - schreibt die Amerikanerin Jenny C. White 1863 aus

87

88 89 90

108

Vgl. zu den Folgen der Sklaverei auch: Alfredo Castillero Calvo, Los negros y mulatos libres en la historia social panameña. In: Lotería, II época (1969)164, S. 61-96. Vgl. Public Record Office, London, Foreign Office, FO 289, Vol. 3. Vgl. AMAEP CC, Bd 2, 1852. Vgl. Figueroa Navarro, Dominio y Sociedad, S. 315.

Die kalifornische

Wiederentdeckung

Panama - "in which there are not one or two who speak English, most of the young gentlemen und some of the young ladies having been educated in Paris or the United States."91 Das Schicksal von Jenny White del Bai spricht für sich. Die Amerikanerin hatte in eine der führenden kreolischen Familien im damals eine beschwerliche Reise von acht Tagen von Panama abgelegenen Santiago in der Provinz Veraguas eingeheiratet. Ihren Mann, einen führenden Hacendado in Veraguas, lernte sie kennen, als dieser in den USA studierte, wo er auch die amerikanische Staatsbürgerschaft erwarb. Wirtschaftlich hatten die USA die panamaische Provinz nicht über Kanalspekulationen, sondern über die große Nachfrage nach Baumwolle in ihren Bann gezogen: "Everybody is going crazy about cotton raising. [...] If God blesses us, and prospers us, I hope we will go on to New York to sell our second crop of cotton."92 Eine einfache greifbare Formel für den Wandel Panamas im Transformationsprozeß der amerikanischen Expansion erscheint dennoch außer Reichweite. 'Amerikanisierung' ist nur ein Aspekt isthmischer Veränderung. Ebenso wenig überzeugend sind dependenz- bzw. imperialismustheoretische Konzepte zur Zähmung panamaischer Wirklichkeit. Kategorien wie Abhängigkeit und Dominanz bleiben Leerformeln vor der gelebten Wirklichkeit der isthmischen Gesellschaft im Umgang mit den USA. Die Instrumentalisierung der Amerikaner durch das panamaische Patriziat deutet schon darauf hin, daß Panama nicht nur als Opfer der expansionsfreudigen Yankees zu betrachten ist, sondern auch als Akteur im Umgang mit diesen. Antiamerikanismus, Revolte, Rebellion, kriminelle Gegenmacht, das ist nur eine Gesicht der isthmischen Auseinandersetzung mit der neuen Realität der amerikanischen Dominanz, an deren Ende schließlich die vielbeklagte Unregierbarkeit Panamas steht; eine Erfahrung, die im übrigen die Amerikaner schon frühzeitig dazu bewogen hat, auf die Schaffung eines segregierten Transitkorridors, sei es für ihre Eisenbahn oder für ihr Kanalprojekt, zu drängen. Dabei fand der zur Gewaltsamkeit avancierte Antiamerikanismus vornehmlich im Milieu der rebellierenden farbigen Bevölkerung Resonanz. Während der arrabal revoltierte, bewegte sich die kommerzielle Elite Panamas in einer subtilen Mischung von

91 92

Rhoda E. White, Memoir and Letters of Jenny C. White del Bai. Boston 1868, S. 71. White, Memoir and Letters, S. 166f.

109

Panama Adaption, Instrumentalisierung und Distanzierung gegenüber den sich etablierenden Nordamerikanern. Der Versuch der 'Distanzierung' deutet in zwei Richtungen. Zum einen auf der diplomatischen Ebene agierend, gab die kreolische Elite Panamas, nach einem Gegengewicht zum übermächtigen Einfluß der USA suchend, den Franzosen eindeutige Präferenz beim Bau des transisthmischen Kanals. 93 Erst als dieses Projekt mit dem Konkurs der Compagnie Universelle du Canal 1889 scheiterte, setzte man zwangsläufig erneut alle Hoffnungen auf die rettenden Amerikaner. Zugleich aber forcierte diese kreolische Elite die kulturelle Selbstbehauptung gegenüber der Welt der Yankees, mit der sie geschäftlich und häufig auch familiär aufs engste verbunden war; kurz, das Patriziat verkapselte sich in hispanische Identität, in hispanische Etikette und einem stark selektiven Gesellschaftsleben mit ausgrenzenden Tendenzen bei gleichzeitiger enger wirtschaftlicher Kooperation. Schon Jenny White del Bal machte 1863 darauf aufmerksam, daß zwar die amerikanische Sprache und amerikanische Tänze - neben Pariser Mode - die High Society Panamas erreicht haben - "the American dances have been introduced here almost to the exclusion of the beautiful and graceful Spanish dances"94 -, aber die Etikette der Bälle läuft nach streng spanischem Reglement - "there is no conversation between the ladies and gentlemen except during the dances". 95 Und ihre Eindrücke, die sie bei einem Ball zu Ehren des ersten spanischen Kriegsschiffes, das nach der Unabhängigkeit (1821) wieder in Panama vor Anker ging, gesammelt hat, beschreibt sie 1863: "Nearly all the ladies and many of the gentlemen would be glad to be again under Spanish rule." 96 Der langjährige britische Vizekonsul Bidwell geht über die Beobachtung der Nostalgie hinaus und spricht von Abkapselungstendenzen der lokalen Gesellschaft, die bis hin zur Fremdenfeindlichkeit reichen: "The Panameños, however, with all their intercourse with the world appear as secluded in their domestic life as in the time before the opening of the railway, or before the California migration. Their domestic life is passed as was passed that of their ancestors, the Spaniards in the

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110

Vgl. McCullough, The Path White, Memoir and Letters, White, Memoir and Letters, White, Memoir and Letters,

Between the Seas, S. 124ff. S. 86. S. 89. S. 99.

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time of Philip II in the same unvariable circle of habits, opinions, and prejudices, to the exclusion and probable contempt of everything foreign." 97 Eine solche Tendenz zur Abschottung und Distanzierung konnte auch die feminine Welt des Isthmus nicht unberührt lassen. Eine Beurteilung des panamaischen Umganges mit dem Wertobjekt Frau im Prozeß kultureller und gesellschaftlicher Überfremdung, wie sie die kalifornische Migration forcierte, erscheint jedoch mehr als schwierig. Auf die Rolle der panamaischen Frau beim Versuch der selektiven Einbindung begehrter, zumeist finanzkräftiger Zuwanderer, mit dem die kreolische Oligarchie ihre prekäre minoritäre gesellschaftliche Position abzusichern trachtete, wurde bereits verwiesen. Grundsätzlich aber mußte die Kontrolle und Abschirmung der Frau gegenüber fremdem Zugriff ein wichtiges Instrument der Sicherung von Identität und Selbstwert in einer hispanisierten Gesellschaft wie Panama sein. Bidwells Beobachtungen über feminine 'Exklusivität' in Panama jedenfalls weisen in diese Richtung: "The lady part of the native population are exceedingly reserved. [...] But a foreigner, even after several month's residence at Panama, would wonder where these pretty young ladies all come from. [...] In few places in South America is it, I think, more difficult to maintain social relations with women than in Panama." 98 Es stellt sich aber die Frage, ob der britische Vizekonsul trotz seiner langen und intimen Kenntnis Panamas die volle Wirklichkeit erfaßt hat. Der Amerikaner Robert Tomes, der 1855 den Isthmus besuchte, schreibt jedenfalls bewundernd über die hübschen, aber auch freigiebigen panamaischen señoritas, die sich mit den ausländischen Residenten offensichtlich nicht nur aus 'spanischer Distanz' beschäftigt haben, aber ihre Beziehungen stets unter dem strengen Siegel der Geheimhaltung betrieben haben: "Most of the foreign residents form alliances of this kind while at Panama, and their quasi wives live as secluded as so many Circassian women in a Grand Turk's seraglio."99 Vielleicht war es wieder die als Medium der Distanz fungierende spanische Etikette, die den fremden Beobachter beeindruckte. Von ihr berichtet bei97 98 99

Bidwell, The Isthmus of Panama, S. 284. Bidwell, The Isthmus of Panama, S. 227f. Robert Tomes, Panama in 1855 - An Account of the Panama Rail-Road, of the Cities of Panama and Aspinwall, with Sketches of Life and Character on the Isthmus. New York 1855, S. 218.

Ill

Panama spielsweise noch 1904, also nach Beginn der amerikanischen Kanalarbeiten, der amerikanische Journalist Bullard, wenn er das sonntägliche Liebeswerben der Jugendlichen - natürlich unter mütterlicher Aufsicht - auf der Plaza vor der Kathedrale beobachtet. Eine Welt für sich schien hier zu existieren, darauf abgestimmt, die amerikanische 'Invasion' zu ignorieren.100 Er fügt dann hinzu: "There is little real friendship between the Americans on the Isthmus and the natives",101 und folgert schließlich resignierend: "It is hard to like people who have evidently made up their mind to dislike you." 102 Mary Chatfield103 verweist auf eine andere Facette panamaischer Distanzierung, wenn sie von den Schwierigkeiten schreibt, sich auf Englisch zu verständigen: "I was fortunate in having help in looking for a room because nobody appears to understand English in Panama and unless some one goes with you who has some knowledge of Spanish you have a hard time." Die Jugendlichen, mit denen sie in Kontakt trat, signalisierten ihr in verzerrter Idiomatik, daß sie Verbot hätten, Englisch zu sprechen: "Not walk English, not walk English. We must walk Spanol." Die Abenteuer der 'Distanzierung' ließen sich weiterführen bis hin zur Praxis der Verweigerung, aber auch der selektiven Erinnerung. Von ersterer spricht Bidwell in puritanischer Entrüstung, wenn er die panamaische Neigung zum Müßiggang denunziert: "Indeed it is incredible the time that is wasted, if not more seriously misspent, by even the most respectable of the young men in the dirty little coffee-shops and billard-rooms of the town." 104 Letztere führt auf die Spuren des besonderen panamaischen Umgangs mit Frankreich als Rettungsanker, als verlorene Alternative zum immer stärker dominierenden coloso del norte. Frankreich sollte in der isthmischen Kommemoration stets eine Sonderstellung behalten, und dies obgleich es ein Franzose war - der ungeliebte Philippe Bunau-Varilla -, der zur Sicherung amerikanischer Kaufinteressen an der zu liquidierenden Nouvelle Compagnie du Canal 1903 den Isthmus mit einem

100 101 102 103 104

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Vgl. Arthur Bullard (der unter dem Pseudonym Albert Edwards schrieb), Panama - The Canal, the Country, and the People. New York/London 1914, S. 63. Bullard, Panama, S. 81. Bullard, Panama, S. 93. Mary Chatfield, Light on Dark Places at Panama. New York 1908, S. 58f. Bidwell, The Isthmus of Panama, S. 233.

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Billigangebot an die Amerikaner 'auslieferte' und der verhaßten Kanalkonvention durch sein intrigantes Spiel zur Durchsetzung verhalf. Das Kanaldenkmal, das Präsident Porras Anfang der zwanziger Jahre in der heutigen Altstadt Panamas, im Casco Viejo, enthüllen ließ, ist gegenüber der schmucken französischen Botschaft unter den Federn des gallischen Hahns und nicht unter den Schwingen des amerikanischen Adlers angelegt. Nicht Präsident Theodore Roosevelt, geschweige denn die so erfolgreichen Ingenieure Stephens oder Goethals, sondern Ferdinand de Lesseps ist die Heldenfigur der panamaischen Erinnerung. Während man in Frankreich über Panama stöhnte - "Quel Panama!" -, das finanzielle Desaster und die menschliche Tragödie der hohen Zahl französischer Opfer beklagte, wurde die zehnjährige temps de luxe mit den gallischen Pionieren auf dem Isthmus zu einem nostalgischen Gegenentwurf zum demütigenden amerikanischen Kanalkolonialismus erhoben. Noch General Torrijos zeigte sich als Líder Máximo der Kanalrepublik in den späten siebziger Jahren von der Romanze mit Frankreich geprägt, wie seine Erinnerungen an seinen Staatsbesuch in Paris im Herbst 1977 erkennen lassen. Wenn die Franzosen den Kanal fertiggestellt hätten, so seine verklärende Einschätzung, hätte spätestens die Generation um de Gaulle den Kanal an Panama übergeben: "Si el Canal lo hubiesen terminado los franceses, la generación del gobierno de De Gaulle, de cual Giscard d'Estaing fue Ministro, ya nos lo hubiera devuelto."105 Ungeachtet aller 'Liebesspiele' mit Frankreich, vor der amerikanischen Effizienz und der Durchsetzungsfähigkeit amerikanischer Interessen gab es kein Entrinnen. Frankreich wurde zum Symbol einer glücklichen, aber auch tragischen Liaison auf Zeit, die USA jedoch bestimmten das reale Schicksal Panamas durch die Vollendung des transisthmischen Kanals. Mit dem amerikanischen Kanalwunder aber vollzog sich der Aufbau eines für Panama demütigenden segregierten Kanalregimes mit einer separierten Kanalzone, in der die Yankees nicht nur ihren eigenen Gouverneur und ihre eigene Versorgung sondern auch ihr eigenes importiertes farbiges Proletariat installierten. Das antillanische Panama, das auf diese Weise im Herzen der fragilen isthmischen Republik entstand, war zwar keine alleinige amerikanische Erfindung - auch die französischen Kanalbauer griffen auf antillanische Arbeitskräfte zurück -, aber diese Arbeitskräfte wurden nunmehr zum wich-

105

Omar Torrijos, La Quinta Frontera, Panama 1978, S. 67.

113

Panama tigsten Träger des amerikanischen Kanalerfolges. Der Transformationsprozeß der amerikanischen Expansion zwischen dem Bau der transisthmischen Eisenbahn und der Vollendung des Kanals führt über die Antillen nach Panama. Das Panamá Americano war immer zugleich Panamá Antillano.

114

4.

Der antillanische Isthmus: Panama und die Bewältigung der karibischen Arbeitsmigration

Schon immer war Panama ein Ort des Transits, aber erst mit der industriellen Modernisierung seiner transisthmischen Verkehrswege zwischen 1850 und 1914 wurde es selbst Zielpunkt einer massiven Arbeitsmigration. Damit begann eine neue Epoche, mit der die Probleme der Zuwanderung erstmals Priorität gegenüber dem gewohnten Transit gewannen. Die Arbeitsmigration, die der Bau der transisthmischen Eisenbahn und des Kanals in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und im frühen 20. Jahrhundert auslöste, hat Panamas Bevölkerungsprofil nachhaltig verändert. Bereits 1855 hat der Amerikaner Robert Tomes in seiner Beschreibung der 1852 neu errichteten atlantischen Hafenstadt Aspinwall/Colon die Spuren des dramatischen ethnischen Wandels eindrucksvoll festgehalten. "The inhabitants of Aspinwall - some eight hundred in number - are of every variety of race and shade in color. The railroad officials, steamboat agents, foreign consuls, and a score of Yankee traders, hotel-keepers, billiard markers, and bar-tenders, comprise all the whites, who are the exclusive few. The better class of shop-keepers are Mulattoes from Jamaica, St. Domingo, and the other West Indian Islands, while the dispensers of cheap grog, and hucksters of fruit and small wares are chiefly negroes. The main body of the population is made up of laborers, grinning coal-black negroes from Jamaica, yellow natives of mixed African and Indian blood, and sad, sedate, turbaned Hindoos, the poor exiled Coolies from the Ganges." 1 Meistens waren es die technologischen und organisatorischen Meisterleistungen beim Bau der transisthmischen Verkehrswege, die die Gemüter bewegt haben; den sozialen Problemen, die dem isthmischen Kleinstaat im Zuge seiner Transportmodernisierung erwachsen sind, ist eine vergleichbare Beachtung versagt geblieben. Nicht in der gewohnten Konfiguration als Transitzone, sondern als Zentrum einer neuen Arbeitsmigration soll Panama im folgenden thematisiert werden.

1

Robert Tomes, Panama in 1855 - An Account of the Panama Rail-Road, of the Cities of Panama and Aspinwall, with Sketches of Life and Character on the Isthmus. New York/London 1855, S. 58f.

115

Panama 4.1

Die Frage der Arbeitskräfte

Der alte isthmische Traum vom Aufstieg zum 'Zentrum des Universums' ließ sich auch in der neuen post-hispanischen Welt nicht ohne den Preis einer dramatischen Vertiefung der Außensteuerung und Außenabhängigkeit verwirklichen. Nicht nur Kapital und technisches Wissen mußten beim Bau von Eisenbahn und Kanal von außen herangeführt werden. Auch die Beschaffung von Arbeitskräften war für die Realisierung der unterschiedlichen Großprojekte auf dem Wege der Modernisierung der transisthmischen Transportverbindungen zwischen 1850 und 1914 unerläßlich. Anders aber als im Falle Ägyptens, wo es beim Bau des Suez-Kanals möglich war, auf ein großes lokales Reservoir an Arbeitskräften - wenn auch zunächst unter Anwendung von Zwangsmethoden2 - zurückzugreifen, war die Situation in der bevölkerungsschwachen Provinz Kolumbiens wesentlich schwieriger. Das gilt sowohl im Hinblick auf das demographische Potential und die Möglichkeit, eigene Arbeitskräfte zu mobilisieren, als auch mit Bezug auf die objektive Interessenlage der arbeitsfähigen Bevölkerung. Bis um die Mitte des 19. Jahrhunderts lebte hier nur eine spärliche Bevölkerung von etwa 130.000 bis 150.000 Einwohnern3, etwa ein Drittel davon in der Transitzone zwischen Portobelo und Panama-Stadt. Aus einer Volkszählung von 1911, auf die sich der deutsche Geograph Karl Sapper beruft, geht hervor, daß die Bevölkerung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts rasch anwuchs und in der Zeit des amerikanischen Kanalbaus (1903-1914) das 2

3

116

Auch im Falle Ägyptens war die Nutzung des lokal vorhandenen Reservoirs an Arbeitskräften ein brisantes Unterfangen. Der Rückgriff auf Zwangsarbeit wurde nicht nur als unmenschlich - insbesondere von britischer Seite - kritisiert, sondern auch als schädigend für die ägyptische Landwirtschaft: "It kept some 60,000 agricultural workers away from their fields at any given time, 20,000 travelling from their villages, 20,000 working their month's stint on the Canal and 20,000 returning to their villages." In: J.C.B. Richmond, Egypt 1798-1952. London 1977, S. 95. Für das Jahr 1851 gibt El Diario Oficial (Bogota) vom 3. März 1875 für die Provinz Panama eine Einwohnerzahl von 128.897 an. Vgl. hierzu: Juan Antonio Susto, Censos Panameños en el Siglo XIX (1821-1903). Publicaciones de la Revista Lotería Nr. 15, S. 21; zitiert in: María J. de Meléndez, "Prólogo" zu C.D. Griswold, El Istmo de Panamá y lo que vi en él. Panama 1974, S. LXIV. Griswold selbst spricht in seinem Text von etwa 150.000 Einwohnern (vgl. S. 27).Zur Entwicklung der Bevölkerung der Städte Colon und Panama zwischen 1870 und 1900 vgl. Thomas Fischer, Die verlorenen Dekaden. Frankfurt a.M. 1997, S. 243 (Karte 6).

Der antillanische Isthmus Niveau von rund 337.000 Einwohnern erreichte4 (Tabelle 2). Dennoch blieb Panama ein Mikrostaat, der zudem behindert durch seine schlechte verkehrstechnische Erschließung5 - erst in den dreißiger Jahren dieses Jahrhunderts wurden mit amerikanischer Hilfe befestigte Straßen in das Landesinnere gebaut - kaum über Möglichkeiten verfügte, Bauprojekte von der Größenordnung des französischen oder amerikanischen Kanalbaus, die den Einsatz von Tausenden von Arbeitskräften erforderlich machten, über den eigenen Arbeitsmarkt mitzugestalten. Ein weiteres Sonderproblem ergab sich aus dem Privileg eines relativ hohen Lohnniveaus, das sich in der Zeit des kalifornischen Goldrausches (1849-69) gebildet hatte. Service-Leistungen für Transporte, Versorgung und Akkommodation waren damals so gefragt, daß die Lohnkosten entsprechend explodierten. 6 Wenn panamaische Arbeitskräfte bei den transisthmischen Großprojekten im 19. und frühen 20. Jahrhundert eine nur unbedeutende Rolle spielten, so deutet dieser Sachverhalt wohl weniger auf physische oder psychische Defizite des lokalen Arbeiterpotentials, wie das im offiziellen Sprachgebrauch der Compagnie Universelle du Canal (CUC) und der Isthmian Canal Commission (ICC) anklang. Vielmehr haben demographische sowie ökonomische Faktoren und nicht zuletzt divergierende Interessen bei dieser Entwicklung entscheidend mitgespielt. Weder die lokale Kreolen-Oligarchie, die um ihre ohnehin nur knapp verfügbaren Arbeitskräfte fürchten mußte, noch die Masse potentieller Arbeiter selbst, die mit den schwierigen

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5

6

Vgl. Karl Sapper, Über die Ansiedlungsmöglichkeiten der Europäer in der Republik Panamá. In: K. Sapper/D. v. Blom/J.U. Nederburgh, Die Ansiedelung von Europäern in den Tropen. Bd. 2. München/Leipzig 1912, S. 67. Nach Meléndez war der Binnenverkehr Panamas fast inexistent: "[...] la comunicación entre la Capital y los Cantones que formaban la Provincia de Panamá era casi inexistente, pues no había entre ellos caminos propiamente dichos sino sólo trochas para muías" (Meléndez, Prólogo, S. XXVII, Anm. 6). Für die Zeit des Eisenbahnbaus bemerkt Meléndez: "[...] cualquier botero del Chagres o cargador del camino de Cruces, ganaba mucho más de lo que podía ofrecerle como jornal la vía férrea, por lo que era sumamente difícil encontrar personal para el trabajo necesario" (Meléndez, Prólogo, S. XLV).

K< E u BO ;

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Der antillanische Isthmus Aus den Statistiken der Isthmian Canal Commission (Tabelle 4) geht hervor, daß von 45.029 Arbeitern, die zwischen 1904 und 1913 eingestellt wurden, allein 23.037 oder 52 % aus Britisch Westindien kamen.11 Mit einem Anteil von 19.900 standen dabei die Arbeitskräfte aus Barbados an erster Stelle, gefolgt von Trinidad und St. Kitts. Einen erheblichen Anteil gewannen in dieser dritten Migrationsphase auch die Arbeitskräfte aus den französischen Antillen - 7.604 kamen aus Guadeloupe und Martinique -, Inseln, die schon während der französischen Bauphase des Kanals Arbeiter nach Panama gesandt hatten. Berücksichtigt man beide regionale Komponenten der karibischen Zuwanderung - die aus dem britischen und dem französischen Teil Westindiens -, so erhöht sich der Anteil der karibischen Arbeiter in der US-amerikanischen Bauphase des Kanals auf nahezu 31.000 oder 69 %. Nicht erfaßt sind dabei allerdings viele Arbeitskräfte aus Jamaika, die während der US-amerikanischen Bauphase des Kanals in großer Zahl auf eigene Faust gekommen waren, nachdem die Kolonialverwaltung von Jamaika die offiziellen Rekrutierungsverfahren der Kanalkommission blockiert hatte, um eine Wiederholung der Ereignisse von 1889 zu vereiteln. Damals, beim Kollaps der Compagnie Universelle du Canal, mußten 8.000 Jamaikaner auf Kosten der britischen Kolonie repatriiert werden.12 Im ersten Bericht der Isthmian Canal Commission aus dem Jahr 1904 wurden die durch die Rekrutierung der begehrten Jamaikaner verursachten Probleme besonders angesprochen. Die vom britischen Gouverneur in Jamaika zur Sicherung von zurückbleibenden Angehörigen und heimkehrenden Arbeitern erhobenen finanziellen Abgaben wollte die amerikanische Kanaladministration

11 12

Vgl. George W. Wester man, Los inmigrantes antillanos en Panamá. Panama 1980, S. 27. Der Gouverneur von Jamaika begründete mit Bezug auf diese Erfahrung den restriktiven Tenor des Emigrants' Protection Law von 1902, das die Migration von Jamaika nach Panama - anders als im überbevölkerten Barbados - in der Zeit der amerikanischen Kanalbauphase durch die Erhebung einer departure tax einzuschränken suchte, mit folgenden Worten: "When we remember the former experience of the results of emigration to Colon and the great mortality of our people on the Isthmus, I cannot but feel that with sufficient land available at home for every prudent man who wishes to acquire it, the exodus of a large number of people to work upon the Canal will be a loss to Jamaica." Aus: Governor to the Legislative Council, 23. Februar 1897, Jamaica Council Minutes, 1897-98, zitiert in: Newton, Silver Men, S. 61.

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Panama angesichts der guten Aussichten auf einen freiwilligen, unkontrollierten Zustrom von Arbeitskräften, für die die höheren Löhne, die beim Kanalbau gezahlt wurden, unwiderstehliche Attraktion besaßen, nicht tragen: "The question of labor is not free from difficulty. The French Panama Company did much of its work with Jamaica negroes, and a large part of the 3,000 employees now engaged by the Comission is composed of Jamaicans. But it will not be easy to secure all the Jamaican laborers that will be needed. The governor of Jamaica, Sir Alexander Swettenham, whom I visited at Kingston, was unwilling to consent to our taking 10,000 laborers from the islands unless we deposited £5 sterling per laborer with the island government to meet the burden which his leaving the island would probably throw on his parish under the poor law of the island for the support of those dependent on him. He also insisted that we should agree to pay the expenses of the return of each laborer, whether he was satisfactory or not, and whether he abandoned the work in violation of his contract or not. It is probable, however, that Jamaica laborers will come voluntarily in considerable numbers to the Isthmus, because there are two direct lines between Kingston and Colon, the fare is only $5 a person, and the wages paid in the Canal Zone are double those paid in Jamaica. Indeed, the governor informed me that about 6,000 Jamaicans were leaving the islands annually to work in Panama and in Central America."13 Das ganze Ausmaß der karibischen Migrationsbewegung geben die statistisch aufbereiteten Zahlen der ICC somit nur höchst unvollständig wieder. Unter Verwendung der lokalen insularen Migrationsstatistiken kommt Newton14 allein für die britische Karibik zu dem Ergebnis, daß im Gesamtzeitraum 1881 bis 1914 mindestens 130.000 Westinder nicht mehr von Panama auf ihre Heimatinseln zurückkehrten. Die Nettomigration dorthin liegt für Barbados in der US-amerikanischen Bauphase (1904-1914) bei 42.000, für Jamaika bei ca. 45.000 unter Einbezug der Stagnationsphase beim Kanalbau von 1891 bis 1903 unter der Compagnie Nouvelle. Das sind Werte, die die offiziellen Angaben aus der Arbeitsstatistik der Isthmian Canal Commission um ein Vielfaches übersteigen und den Realitäten des karibischen Exodus zu Beginn des Jahrhunderts wesentlich näher kommen (Tabelle 5).

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Isthmian Canal Commission (Hrsg.), The First Annual Report of the Isthmian Canal Commission. 1. Dezember 1904. Washington, D.C. 1905, S. 13. Newton, Silver Men, S. 96.

der Ausreisenden

Geschätzte Netto-Gesamtzahl

Britisch-Westindien

Andere Ausreisegebiete in

Jamaika

Barbados

Ausreisegebiet

Ov

OO ON c o *