Ostpreussen - deutsch: In Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft [Reprint 2019 ed.] 9783111478890, 9783111111889

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Ostpreussen - deutsch: In Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft [Reprint 2019 ed.]
 9783111478890, 9783111111889

Table of contents :
VORWORT
INHALT
ABKÜRZUNGEN
EINLEITUNG
Kapitel I. POLENS ANSPRÜCHE AUF OSTPREUSSEN
Kapitel II. DER DEUTSCHE STANDPUNKT
Kapitel III. DIE WIRTSCHAFTLICHEN TATSACHEN
SCHLUSSWORT
ANHÄNGE I–XI
LITERATURVERZEICHNIS

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Ostpreußen — deutsch in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft

von

Axel Schmidt

1933 Walter de Gruyter & Co. vormals G. J . Göschensche Verlagshandlung — J . Guttentag, Verlags« Buchhandlung — Georg Reimer — Karl J . Trübner — Veit &. Comp.

Berlin und Leipzig

A r c h i v - N r . 47 05 32 D r u c k v o n K . W a g n e r S o h n In W e i m a r

VORWORT W a r s c h a u , 3 1 . M ä r z 1 9 3 2 . Gegen die Verbreitung der Gerüchte über eine angebliche Bedrohung Ostpreußens durch Polen hat die Polnische Gesandtschaft in Berlin am Mittwoch bei dem Auswärtigen Amte formelle Beschwerde eingelegt. Dabei ist polnischerseits darauf hingewiesen worden, daß auch einzelne örtliche Amtsstellen diese Gerüchte gelegentlich von sich aus weitergegeben hätten. Die Behauptung über die agressiven Absichten Polens seien vollkommen grundlos und für alle Teile schädlich. Diese Meldung wurde von der offiziösen P o l n i s c h e n T e l e g r a p h e n a g e n t u r , P a t genannt, der Welt übermittelt. W a s w a r geschehen? Der Provinzialausschuß von Ostpreußen hatte am 19. Februar 1 9 3 2 den folgenden Beschluß gefaßt: „Auf einer F e i e r p o l n i s c h e r S t u d e n t e n in D a n z i g am 2. Februar haben Vertreter polnischer Zivil- und Militärbehörden Reden gehalten, welche u n v e r h ü l l t e D r o h u n g e n g e g e n D a n z i g u n d O s t p r e u ß e n enthalten und einen m i l i t ä r i s c h e n Ü b e r f a l l in nahe Aussicht stellen. Unter anderem hat der Vertreter des kommandierenden Generals in Thorn erklärt, daß er eher n a c h K ö n i g s b e r g in U n i f o r m , als zum z w e i t e n m a l n a c h D a n z i g in Z i v i l kommen werde. Infolge dieser unerhörten, in so herausfordernder Schärfe noch nie gewagten Drohungen und unter dem Eindruck der jüngsten Vorgänge in Memel ist die Stimmung in der Provinz Ostpreußen außerordentlich gespannt. Der Provinzialausschuß hält es für seine Pflicht, die Aufmerksamkeit der Reichsregierung hierauf zu lenken und zu fordern, daß alle nur denkbaren Maßnahmen zum Schutze des bedrohten Osten getroffen werden. Die Reichsregierung kann sich darauf verlassen, daß die Ostmärker eingedenk der Pflichten die Heimat bis zum äußersten verteidigen werden." W a r diese Warnung, wie die Pat behauptete, wirklich unbegründet? — Dies soll das Thema dieser Schrift sein. B e r l i n , Oktober 1 9 3 2

Axel Schmidt

i*

III

INHALT Seite

Vorwort

III

Einleitung

i

D i e P i a s t i s c h e und die J a g i e l l o n i s c h e S t a a t s i d e e P o l e n s .

i

Kapitel I: P o l e n s A n s p r ü c h e a u f O s t p r e u ß e n

5

a) Polnisches Schrifttum von 1914—1931

5

b) Der letzte polnische Vorstoß

13

Kapitel I I : D e r d e u t s c h e S t a n d p u n k t

19

a) Die Masurenfrage b) Volkszählungen und Wahlen

19 24

c) Ostpreußens Bevölkerung nach dem Kriege

31

Kapitel I I I : D i e w i r t s c h a f t l i c h e n T a t s a c h e n

38

a) „Ohne Hinterland"

38

b) Polnische „Kronzeugen"

45

Schlußwort

54

A n h ä n g e I—XI

56

Literaturverzeichnis

77

ABKÜRZUNGEN O = „Ostpreußen im polnischen Schrifttum". Psp = „Der neue Polenspiegel". H = Hansen, „Polens Drang nach dem Westen".

IV

EINLEITUNG Die Piastische and die Jagiellonische Staatsidee Polens „Es liegt in der Natur der Polen, daß sie nicht auf dem Boden des Realen bleiben können, ihre Phantasie greift weiter; haben sie erst ein Stückchen Land in Händen, so verlangen sie bald mehr. Sie wollen die ganze Welt." Prof. Limanowski, Wilna.

Durch die polnische Geschichte geht seit ihrem Beginn der Kampf zwischen der P i a s t i s c h e n und der J a g i e l l o n i s c h e n S t a a t s i d e e . Beide sind sich darin einig, daß Polen über seine ethnographischen Grenzen hinauszustreben habe. Nur geben sie ihren Annektionswünschen verschiedene Richtungen. Die Pias tische Idee, nach der ersten Dynastie Polens so benannt, geht darauf aus, Erwerbungen westlich vom Siedlungsgebiet des polnischen Volkes zu machen, während das Jagiellonische Ideal nach Osten vorstößt. König J a g i e l l o , der Begründer der zweiten Dynastie und seine Nachfolger strebten nach Gebietserweiterungen im Osten Polens: Litauen, Weißruthemen und die Ukraine waren das Ziel. Um diese Gebiete einzuverleiben, ließen sie die von den Piasten eingeführte straffe Zentralisation des polnischen Staaten fallen und bauten ihn föderalistisch um. Man könnte diesen Betrachtungen entgegenhalten, der nach dem Weltkriege neu entstandene polnische Staat habe nichts mehr mit diesen alten polnischen Tendenzen zu tun. Er sei vielmehr ein gänzlich neues staatliches Gebilde. Wer einen Einblick in die geistigen Strömungen des polnischen Volkes während der letzten hundert Jahre hat, kommt zur Überzeugung, daß auch in der Zeit, in der das polnische Volk keinen eigenen Staat besaß, diese beiden politischen Ideale nicht nur fortlebten, sondern weiter entwickelt wurden. Auch im neuen Polen ist das nicht anders geworden. Aus der Fülle der vor und nach dem Weltkrieg erschienenen Schriften über die Zukunft Polens, seien drei hervorgehoben. i

P o p l a w s k i , der Begründer des polnischen Imperialismus schrieb schon 1887 im Warschauer „ G l o s " : „Freier Zugang zum Meer, Besitz der Hauptwasserader des Landes, nämlich der Weichsel, das sind die notwendigen Vorbedingungen unserer Existenz. Das ganze baltische Seegestade von der Weichsel bis zur Mündung der Memel, das einmal vom polnischen Staate achtlos preisgegeben (?) worden ist, muß vom polnischen Volke wiedererlangt werden. Der Verzicht auf diese Erbschaft und das unglückliche Gerede von Eroberungen im Osten, das war die Ursache unseres politischen Niedergangs; und auch heute bei der Wiedergeburtsarbeit erdrücken uns diese Irrtümer mit ihrem Schwergewicht und behindern uns bei dem Vorwärtsdringen zu einer besseren Zukunft. Unsere Politiker träumen von Kiew, aber um Posen kümmern sie sich wenig, Danzig haben sie fast vergessen und an Königsberg und Oppeln ist erst recht kein Gedanke. Es ist Zeit, mit dieser Tradition zu brechen." Und in seiner in Lemberg erschienenen Zeitschrift 1 ) veröffentlichte Poplawski 1903 die folgenden Ausführungen, die zeigen, wie hochfliegende Ziele man sich bereits damals gesteckt hatte, als das polnische Volk noch unter die drei mächtigen Kaiserreiche aufgeteilt war: „Die nationale Politik, welche hinter den Problemen des Augenblicks weitere Perspektiven der nationalen Fragen sieht, muß auf Ostpreußen ihr Hauptaugenmerk richten. Wenn wir verfügbare Kräfte und Mittel hätten, welche man nach Belieben in Bewegung setzen könnte, so müßte man sie vor allem dorthin richten. Wenn wir auf die Polonisierung Ostpreußens oder zum mindesten auf eine bedeutende Verstärkung des polnischen Elements verzichten, dann müssen wir auch auf Westpreußen verzichten und was damit zusammenhängt, auf den Zugang zum Meere. Westpreußen kann man nicht festhalten, ohne Ostpreußen. Und daher muß dieses Gebiet um jeden Preis polnisch werden." (Psp.) Der Redakteur der Zeitschrift, in der dieser aufschlußreiche Aufsatz erschien, war niemand anders als der spätere Begründer des jetzigen polnischen Staates — R o m a n D m o w s k i . Als Vertreter des polnischen Volkes während des Weltkrieges in London, Paris und Washington hat er dann für die Erfüllung der Wünsche und Pläne seines politischen Lehrmeisters Poplawski gewirkt. 1) Przeglad Wschechpolski (Allpolnische Rundschau) Jahrg. 1903.

2

Als Dmowskis politischer Gegenspieler P i l s u d s k i , der als Anhänger der Jagiellonischen Idee in Rußland den Erbfeind Polens sah, während des russisch-japanischen Krieges versuchte, japanische Hilfe für einen polnischen Aufstand zu erlangen, eilte Dmowski selbst nach Tokio und hintertrieb Pilsudskis Pläne. Wenige Jahre nach dem Erscheinen des eben erwähnten Artikels vonPoplawski gab im Jahre 1908 Dmowski sein Buch „ D e u t s c h l a n d , R u ß land und die polnische Frage" 1 ), heraus, das die jetzige Generation der polnischen Politiker erzogen hat. In diesem Buche vertrat Dmowski konsequent die Auffassung, daß bei dem zukünftigen großen Kriege Polen Seite an Seite mit den Gegnern Deutschlands gegen den deutschen Erbfeind kämpfen müsse. In seinem Memorienwerk1) erklärt Dmowski denn auch kurz und bündig: „Wer ernsthaft über Polen nachdachte, über ein selbständiges Polen, nicht aber über eines unter dem preußischen Stiefel, der kannte nur einen Weg: Die polnischen Interessen mit dem russischen Bündnis zu verknüpfen. Annäherung an Rußland suchen, in ihm die Überzeugung wecken, daß die Polen in einem Kampfe gegen die Deutschen auf Seiten der Russen stehen würden." Der Streit zwischen Piastischer und Jagiellonischer Staatsidee besteht auch im neuerstandenen polnischen Staate in alter Schärfe fort. Dafür sei zum Abschluß der Einleitung das folgende Zitat aus dem Buch des früheren Ministers Prof. St. Grabski angeführt: „Vor allem besteht für die Machtpolitik Polens noch immer dasselbe grundlegende Dilemma, das auf unserer ganzen bisherigen Geschichte lastete, nämlich die Frage: welche Richtimg soll die Expansion des polnischen Volkes einschlagen? Die nördliche nach der Ostsee oder die südöstliche nach der Ukraine und dem Schwarzen Meere ? . . . Die Entscheidung der ostpreußischen Frage, die der Versailler Vertrag getroffen hat, ist zu gekünstelt, als daß sie sich auf die Dauer aufrecht erhalten ließe. . . . und darum — eins von beiden —: entweder wir lenken die polnische Machtausdehuung ostwärts gegen Rußland, indem wir uns die Perioden seiner Ohnmacht zunutze machen, die ihm das nächste halbe Jahrhundert bringen wird und legen damit zugleich die Entscheidung der nur provisorisch geregelten ostpreußischen Frage in die Hand Deutschlands, oder aber — wir setzen unsere ganze uns 1) Alle zitierten Werke siehe Literaturverzeichnis Seite 77.

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zur Verfügung stehende Kraft dafür ein, daß die ostpreußische Frage durch Polen im Sinne Polens entschieden werde. Steht es aber so, so ist jegliches Schwanken vom Übel. Ohne den Zugang zum Dnjepr kann Polen bestehen, aber ohne beständigen Zugang zum Meere kann es nicht bestehen. Dies ist der entscheidende Gesichtspunkt." (Psp). Wie man sieht, verkündet hier der frühere polnische Minister das alte nach Westen gerichtete Piastische Ideal, während er die Jagiellonischen nach Osten gerichteten Pläne rundweg ablehnt. In unserem Zusammenhange interessieren aber nicht die weit ausgreifenden Absichten der polnischen Politiker im allgemeinen, sondern nur Polens systematisches Streben nach Ostpreußen.

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Kapitel I

POLENS ANSPRÜCHE AUF OSTPREUSSEN a) Polnisches Schrifttum von 1914—1931 Schon im Weltkriege haben Dmoswki und seine Mitarbeiter in zahlreichen Denkschriften immer wieder die N o t w e n d i g k e i t d e r A n n e x i o n O s t p r e u ß e n s betont. So hieß es zum Beispiel in einem Memorandum an die Entente: „Das polnische Gebiet im preußischen Staate zerfällt in vier Provinzen: Posen, Westpreußen, Ostpreußen und Schlesien. Posen, Westpreußen und ein Teil Ostpreußens gehörten zum polnischen Staate bis zur ersten (1772) und zweiten (1793) Teilung Polens. Schlesien und der Hauptteil Ostpreußens gehörten zurzeit der Teilungen schon nicht mehr zu Polen, umfaßten in ihrer Sprache aber polnische Gebiete." Dann heißt es weiter speziell über Ostpreußen: „Das Gebiet besteht aus zwei in historischer Hinsicht verschiedenen Teilen: a) der kleinere westliche Teil, E r m l a n d mit der Hauptstadt Alienstein, hat mit seiner polnischen und deutschen katholischen Bevölkerung bis zu den Teilungen zum polnischen Staate gehört. b) der größere östliche Teil mit der Hauptstadt Königsberg und einer Bevölkerung, die im Norden und in der Mitte aus Deutschen^ im Süden aus Polen und im Osten aus Litauern besteht, sämtlich lutherischer Konfession, hat niemals einen untrennbaren T e i l des polnischen S t a a t e s g e b i l d e t . . . In einer weiteren Denkschrift heißt es ergänzend: „Die territoriale Isolierung Ostpreußens, dieses Herdes des preußischen Militarismus, ist notwendig für einen dauernden Frieden und muß zu einer freiwilligen und fortschreitenden Entdeutschung dieses wichtigen strategischen Gebietes führen, von welchem aus die preußische Dynastie ausgezogen ist, um die Welt zu erobern. . . . Da das, was man „Entwicklung Preußens" nennt, nur ein Gewebe von Lehnsfrevel, Treubruch und Gewalttat ist, hat Polen das unverjährbare Recht erworben, wenn nicht zur vollkommenen Wieder-

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herstellung, so doch zu teilweisen Wiedergutmachungen. Polen muß eine Grenzziehung zu seinem Vorteil in all den Fällen erhalten, wo eine unerbittlich strenge ethnographische Grenze aus geographischen, ökonomischen oder strategischen Gründen einer Verbesserung bedarf." (Psp.) Der Mißerfolg hinsichtlich Ostpreußens hat die polnischen Politiker nicht abgehalten, auch nach dem Weltkriege bis in die letzten Tage immer wieder ihre Stimme zu erheben, um die polnische Öffentlichkeit von der Notwendigkeit des Erwerbs Ostpreußens zu überzeugen. Man könnte der polnischen Presse fast täglich Aufsätze entnehmen, die sich mit Ostpreußen beschäftigen. Hier sollen jedoch nur Arbeiten führender Männer angeführt werden, deren politische Autorität niemand ableugnen kann. Im Jahre 1922 schrieb der Generalstaatsanwalt Polens St. B u k o w i e c k i ein größeres Werk über „Die Politik des unabhängigen Polens". Ein Kapitel ist speziell O s t p r e u ß e n gewidmet: „Und Ostpreußen, das eine so zentrale Lage im nördlichen Teil des polnischen Gebietes einnimmt, — stellt es nicht für uns eine ewige Bedrohung dar? Ist eine wirkliche Verbindung mit dem Meere und damit die erforderliche Entwicklung unserer Schiffahrt und unseres Handels mit der Zugehörigkeit dieses Landes zu Deutschland vereinbar ? . . . Hier liegt eine für den polnischen Organismus besonders schmerzliche, gleichzeitig besonders wichtige Stelle. Ostpreußen dringt in das Gebiet der Republik Polen bis zu erheblicher Tiefe ein; seine Grenzlinie von Dirschau über Soldau bis zu Suwalki ist sehr lang; es trennt uns von Litauen, es unterbindet unseren Zugang zum Meere auf der östlichen Linie, im besonderen aber für den Nordosten unseres Staates und zwingt diese Teile unseres Staatsgebietes, eine Verbindung mit der See auf sehr weitem Umwege zu suchen. Einer der größten historischen Fehler unserer Vorfahren, den sie zu einer Zeit beginnen, als der polnische Staat sich auf der Höhe seiner Macht befand, war daher ohne Zweifel ihre Zustimmung zur Schaffung des Herzogtums Preußen und seiner Übertragung an die Hohenzollern. Daß nach dem letzten Kriege Preußen1) im Bestand des Deutschen Reiches verblieb, läßt sich nicht als unsere Schuld bezeichnen, denn das hing nicht von uns ab, aber jedenfalls stellt diese Tatsache den für uns bedenklichsten Punkt des Friedensvertrages dar." (H.) 1) Gemeint ist — wie aus dem Zusammenhang hervorgeht — Ostpreußen. Vom 16. bis zum 18. Jahrhundert nannte man in Polen das heutige Ostpreußen: Herzogtum Preußen.

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In seinem bereits erwähnten Buch scheut St. Grabski nicht einmal davor zurück, die N o t w e n d i g k e i t eines K r i e g e s um O s t p r e u ß e n an die Wand zu malen: „Wegen der Ostküste aber wird früher oder später Polen mit Deutschland zusammenstoßen. Denn selbst wenn wir unsererseits unsere Pflicht gegenüber Ermland und Preußisch-Masuren vergessen würden, — die Deutschen werden niemals ihre Ansprüche auf Pommerellen aufgeben; denn sie werden ihre Pflichten gegenüber Königsberg nicht vergessen, zu dem der Weg durch unseren Pommereller Korridor führt. Bei diesem Zusammenstoß aber wird Polen nur dann den Sieg davontragen, wenn es dafür nicht nur durch die nötige Organisation und die nötige Ausrüstung seiner Armee technisch vorbereitet ist, sondern auch politisch durch die Weckung eines polnischen Nationalbewußtseins innerhalb der polnischen Bevölkerung Ostpreußens Von der Energie, die wir in dieser Richtung entwickeln, hängt nicht nur die Größe und die Macht Polens ab, sondern nahezu seine Existenz. Denn in der Tat der Bestand der Republik Polen wird erst dann dauernd gesichert sein, wenn wir in dem mit Deutschland unabwendbaren Kriege1) siegen, in den sich Deutschland stürzen wird, sobald es sich von der im Weltkriege davongetragenen Niederlage erholt hat." (Psp.) Am brutalsten geht der frühere polnische Generalkonsul in Königsberg St. S r o k o w s k i auf sein Ziel los. In seinem Werk ,,Aus dem Lande des schwarzen Kreuzes" schreibt er: „ K e i n e Opfer können zu groß sein, um Ostpreußen auf die eine oder andere Weise zu gewinnen, um es in den Kreislauf des Polentums einzubeziehen. Es wäre dies in Wahrheit eine zivilisatorische Arbeit. Es klingt dies wie ein Paradox; denn in Ostpreußen sind die Wege und Eisenbahnen gut, bei uns aber schlecht. Doch bedenken wir, daß mit dieser äußerlichen materiellen Zivilisation die ganze Überlegenheit der ostpreußischen Kultur auch ihr Bewenden hat." (Psp.) Derselbe Srokowski äußert sich dann später: „Wir berührten bereits früher diese Frage, bei Erörterung eines eventuellen b e w a f f n e t e n K o n f l i k t e s zwischen Polen und Ostpreußen. Hier möchten wir hervorheben, daß von entscheidender i) „Die polnischen Kriegsdrohungen" hat Generalmajor a. D. v. Frankenberg und Proschlitz in einer kleinen Schrift zusammengestellt. München 1932-

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Bedeutung der Bau einer zweigleisigen, auf höchste Geschwindigkeit der Züge und höchste Transportfähigkeit berechneten Bahnlinie Bialystok-Ostrolenko-Mlawa-Thorn wäre, die kürzer als alle anderen, den Hauptverkehrslinien Ostpreußens Konkurrenz machen würde." (H). Srokowski hofft, daß der durch den Korridor herbeigeführte wirtschaftliche Niedergang Ostpreußens das deutsche Interesse an dieser „Überseekolonie" erlahmen lassen werde. Daraus folgert er: „ J e mehr Ostpreußen einen Niedergang erleidet, oder auch nur sich verändert und selbständig verwaltet, je mehr Litauen, WeißRuthenien und Lettland samt ihren Handels- und sonstigen Möglichkeiten Ostpreußen aus den Händen gleiten, um so weniger wird Ostpreußen in den führenden Kreisen der deutschen Politik und des deutschen Handels noch Interesse erwecken. Fast von selbst würde es die Bedeutung einer deutschen Provinz verlieren, Würde eine Art selbständiger Landschaft werden, die der deutschen Gesamtpolitik mehr oder weniger fremd, unter Umständen sogar ablehnend gegenüberstände. Dann würde fast automatisch auch der polnisch-deutsche Streit um den Pommereller Korridor in die Sphäre nicht aktueller Angelegenheiten rücken, um nach einer weiteren Reihe von Jahren bei gleichzeitigem Wachstum der Kräfte Polens, mehr oder minder in Vergessenheit zu geraten." (H). Wie systematisch Srokowski die E r d r o s s e l u n g O s t p r e u ßens erwogen hat, geht auch aus einer Denkschrift hervor, die F r e i h e r r v o n G a y l veröffentlichte (Anhang I, S. 56). Noch Ende Mai 1932 hat Srokowski vor dem „akademischen Bunde aus dem Grenzlande Ostpreußens" in Warschau einen V o r t r a g über O s t p r e u ß e n gehalten. In ihm führt er u. a. aus: „Ostpreußen, das sich aus drei verschieden gearteten Teilen zusammensetzt, ist nicht in der Lage, wirtschaftlich selbständig zu bleiben. Für jeden Einwohner Ostpreußens muß das Reich jährlich 100 und einige 10 Mark zusetzen. Gegenwärtig zählt die Provinz 2250000 Einwohner. Die Kolonisation kommt nicht vom Fleck, denn Ostpreußen lebt weit über seine Verhältnisse. Von der polnischen Öffentlichkeit und ihren Organisationen muß eine systematische Arbeit entfaltet werden, um das unaufgeklärte und rückständige Masuren für Polen zu gewinnen. Bisher beschränkte sich aber die polnische Werbearbeit bei den Masuren nur auf Deklamationen, statt solide und dauernde Arbeit zu leisten1)". 1) Oberschlesischer Kurier, Mai 1932.

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Mit am leidenschaftlichsten behandelt die Ostpreußische Frage eine pseudonyme Schrift von C o n s u l i b u s 1 ) . Im Kapitel „ D i e T e i l u n g O s t p r e u ß e n s " geht der Verfasser sofort aufs Ganze: „Die Erwerbung von Pommerellen war eine große Tat, aber dabei wurde ein großer Fehler begangen, dadurch, daß Polen Ostpreußen nicht erobert hat . . . Ostpreußen gehört zu seinem natürlichen Hinterlande und das sind Polen und Litauen . . . Wenn also schon im Jahre 1918 die Forderung einer T e i l u n g Ostpreußens zwischen L i t a u e n und P o l e n berechtigt war, weil sie einfach die Sicherung unseres staatlichen Bestehens ist, und weil uns ohne ihre Erfüllung Kriege, Überfälle und Teilungen drohen, so muß trotz des Mißerfolges von Versailles im Verlaufe der Ereignisse diese Forderung zu einem dominierenden Befehl unserer Politik werden, der nicht einen Augenblick aus dem Auge gelassen werden darf und zu dessen Ausführung der günstigste Zeitpunkt gesucht werden muß. Carthago delenda est! Deutschland hat bereits die diplomatische Offensive eröffnet und jm Augenblick, wo es zu militärischen Angriffen übergeht, müssen wir einen Handlungsplan, ein territoriales Programm und das Bündnis mit Litauen haben und damit können wir uns nicht mehr auf die Verteidigung des Versailler Vertrages beschränken. Ostpreußen muß dann s o f o r t von zwei S e i t e n b e s e t z t und u n w i d e r r u f l i c h g e t e i l t werden. Dieses Ungeheuer hat für immer von den Karten Europas zu verschwinden. Aber nicht nur der günstige Ausgang eines bewaffneten Konfliktes kann Polen und Litauen in den Besitz Ostpreußens bringen. Es wird sich zweifellos auch die Gelegenheit bieten, es auf friedlichem Wege zu bekommen. — Wir befürchten nur, daß sich die Losung einer Revision der Friedensverträge gegen uns wendet, aber die Losung ist bereits aufgegriffen worden und stecken wir unseren Kopf nicht in den Sand — die Revision wird durchgeführt werden . . . Für Polen ist es am wichtigsten, da Deutschland gleichzeitig Österreich und unser Pommerellen haben will, die Gelegenheit für die Be1) Der gute Kenner Polens Prof. R e n é M a r t e l (Paris) nennt in seiner wertvollen Schrift „Deutschlands blutende Grenze" Prof. S. Askenazy als Verfasser dieser Pseudonymen Schrift. Das wäre sehr interessant, da Dmowski in seinen Memoiren Askenazy als überzeugten Anhänger Pilsudskis bezeichnet. Trifft also die Behauptung Prof. Martels zu, so wäre der Anhänger des Jagiellonischen Ideals zu einem Vertreter der Piastischen Idee geworden. Von anderer Seite wird angenommen, daß sich hinter dem Pseudonym einige höhere Beamte des polnischen Außenministeriums verstecken.

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festigung des Korridors auszunützen. Wir können uns mit der Angliederung Österreichs an Deutschland nur in dem Falle einverstanden erklären, wenn Deutschland außer auf sein Oberschlesien auch auf Ostpreußen und zwar zugunsten Polens und Litauens verzichtet." (Psp.) Auch von linksstehender polnischer Seite wird dieser unerhörte Plan mehrfach aufgenommen. Selbst der Patriarch der polnischen Sozialdemokraten, L i m a n o w s k i , vertritt dieses Tauschprojekt: „Genosse W. Gumplowicz erklärt in wohlüberlegten Aufsätzen in der sozialistischen Zeitung „Tribuna", es wäre gerechter gewesen, hätte schneller zur Beruhigung Deutschlands beigetragen, wenn die Pariser Konferenz das Selbstbestimmungsrecht auf Österreich angewandt, die Vereinigung mit der nationalen Gesamtheit gestattet, dafür aber Ostpreußen als selbständigen Staat abgetrennt hätte. Eine solche Verselbständigung Ostpreußens hätte geographisch, wirtschaftlich, etnographisch und historisch seine ernste Begründung." (0.) Mit diesen Ausführungen wird ein alter P l a n D m o w s k i s aufgegriffen, der in seinen Memoiren die berechtigten Ansprüche Deutschlands auf den Anschluß Österreichs des längeren ausgeführt hat. Freilich nur zu dem Zweck, um abschließend erklären zu können, daß Deutschland dann auch leichter auf O s t p r e u ß e n , das „ z u m p o l n i s c h e n R ä u m e " gehöre, verzichten können (Anhang II, S. 57). Consulibus macht den früheren nationaldemokratischen Außenministern S e y d a und E . D m o s w k i den Vorwurf, sie hätten im Juni bis zum November 1923 die Situation während des Ruhreinfalles nicht genügend ausgenützt. Damals, meinte er, hätten die beiden Minister die ostpreußische Frage bereinigen können. Er schreibt dazu: „Viele unter ums begrüßten es mit aufrichtiger Freude, als den Platz des Außenministers nach einander Seyda und Dmowski einnahmen. . . . Damals schien es, daß der Augenblick gekommen wäre, um die uns in den Verträgen und nach den Verträgen zugefügte Unbill an der deutschen Front gutzumachen, und zwar unter dem tatsächlichen Protektorat Frankreichs . . . Als die größte Enttäuschung, die durch jene Führer der nationaldemokratischen Partei bereitet worden ist, muß man es bezeichnen, daß sie, in der Periode der Zwangsmaßnahmen Poincarfe zur Macht gelangt, dennoch nicht den Augenblick zu einem zweckmäßigen Auftreten benutzten, das die besonderen Bedürfnisse unseres staatlichen Daseins gestillt hätte . . . Die Dinge haben sich, 10

scheint es, so abgespielt, daß unsere Regierung auch tatsächlich aus der Situation den entsprechenden Vorteil ziehen wollte, aber die französische Gesandtschaft abriet." (H.) Consulibus veröffentlicht dann auch einen v o l l s t ä n d i g e n A u f t e i l u n g s p l a n v o n O s t p r e u ß e n , der über diese Provinz zugunsten von Polen und Litauen verfügt und nur die Stadt Königsberg mit den beiden Landkreisen Königsberg und Fischhausen als einen zweiten Freistaat, analog dem Danziger Vorbilde beläßt, der aber Litauen anzugliedern wäre (Anhang III, S. 60). Diesen Ansprüchen reiht sich die Schrift von St. S l a w s k i „Polens Zugang zum Meere und die Bedürfnisse Ostpreußens" an. Der Verfasser war früher Mitglied des Danziger Hafenausschusses. Er geht im Gegensatz zu Srokowski und Consulibus viel diplomatischer zu Werke. Man fühlt, er schreibt für das Ausland. Aber auch er nennt O s t p r e u ß e n „ e i n e S c h r a n k e , die P o l e n v o m Meere t r e n n t und d a h e r b e s e i t i g t w e r d e n m u ß " . Er führt dazu aus: „Erinnern wir uns, daß Ostpreußen von 1525 bis 1657 polnisches Lehen war,. . . Ermland von 1454 bis 1772 integrierender Teü Polens1). Wenn Deutschland im Interesse des freien Verkehrs die Einverleibung Pommerellens und Danzigs mit Deutschland fordert, kann Polen im Interesse eines Zugangs zum Meere die Annektion Ostpreußens oder die Schaffung einer freien Stadt Königsberg fordern." Zum Schluß dieses Kapitels sei noch aus einem Aufsatz von C. Smogorzewski folgende Stelle angeführt 2 ): „Das ostpreußische Land ist ein Teil des Deutschen Reichs, am polnischen Meere gelegen. Es ist eine von urslawischen, wenn auch oberflächlich germanisierten Elementen bewohnte Insel. Ganz Ostpreußen, umsomehr unsere nächste Heimat: Ermland und Masuren, ist 1) Der polnische Historiker O r l o w i c z stellt dagegen fest, daß gemäß dem Elbinger Vertrage mit dem Bischof von Ermland und dem Thorner Frieden, das Ermland nicht ein Teil Polens wurde, sondern daß es nur unter polnische Oberhoheit als besonderes Fürstentum kam. Die Bischöfe wählte bis 1550 das Kapitel, sie waren somit ausschließlich Deutsche, manchmal Polen feindlich gesinnt, mit dem Orden gegen sie verbündet... Erst als unter dem polnischen König Sigismund August das Recht der Bischofswahl auf die polnischen Könige überging, setzte die Polonisierung in Ermland ein. Hier wird also von polnischer Seite die Polonisierung Ermlandes zugegeben. Also müssen die Deutschen früher als die Polen dagewesen sein. 2) „Ziema Pruska", Juli 1929. II

ein politisch-wirtschaftliches Kuriosum, das eine natürliche Neigung zu Polen hat, jedoch mit Berlin vereinigt ist. Ostpreußen ist eins der wenigen Länder in Europa, in denen sich die Nationalitätenverhältnisse noch im Zustand der Gärung befinden, wo der trübe Lack der fremden Politur stellenweise platzt und abfällt und dabei den gesunden polnischen Kern zeigt. Um Ermland und Masuren tobte vor neun Jahren der Kampf zwischen Deutschland und Polen; diesen Kampf haben nur scheinbar die Deutschen gewonnen, auf unserer Seite aber haben diese unblutigen Kämpfe das Eisen des Nationalbewußtseins gestählt". (O). Die bei den Polen so beliebte Mobilisierung von p r ä h i s t o r i s c h e n , e t h n o g r a p h i s c h e n und h i s t o r i s c h e n B e w e i s e n geschieht aus dem Grunde, weil die Polen selbst genau wissen, daß die Stimmen der Gegenwart nicht für die polnische Sache Zeugnis abgelegt haben oder ablegen würden. Wo nämlich das S e l b s t b e s t i m m u n g s r e c h t in diesen Gebieten zur Anwendung kam, hat sich die Bevölkerung für ein V e r b l e i b e n b e i D e u t s c h l a n d ausgesprochen, gleichviel wie sie ethnographisch gegliedert war. Besonders drastisch war das im Fall der B e f r a g u n g d e r M a s u r e n . Im Zeitalter des Selbstbestimmungsrechts der Völker mit ethnographischen Maßstäben zu messen, wie es die Polen tun, zeigt von einem Zurückbleiben hinter der politischen Entwicklung und wirkt ebenso veraltet, wie der Spruch: Cujus regio, ejus religio. Ebenso wie diese Sentenz auf religiösem Gebiet längst ihre Berechtigung verlor, und sich jeder Christ das Recht auf seine religiöse Selbstbestimmung erwarb, sollte auch das politische Recht der Zugehörigkeit zu einer Nation behandelt werden. Die Zugehörigkeit zu einem Volk sollte einzig und allein durch einen freien Willensakt des Betroffenen bestimmt werden können. Alle sonstigen Merkmale, wie es die Sprache oder die Rasse oder die frühere Zugehörigkeit eines Gebietes darstellt, verblassen gegenüber dem Faktum einer f r e i w i l l i g e n S c h i c k s a l s g e m e i n s c h a f t . Was würde Herr Rücker, als Mitarbeiter des polnischen Buches „Ostpreußen, Vergangenheit und Gegenwart" dazu sagen, wenn man ihn auf Grund seines deutschen Namen als Deutschen annektieren wollte. Es wäre unendlich viel Unglück nicht nur Deutschland, sondern der Welt erspart geblieben, wenn die siegreiche Entente bei ihrer Grenzziehung sich des Wilsonschen Grundsatzes erinnert hätte, daß kein Landesteil ohne Befragung seiner Bewohner von einem Staate zum andern verschoben werden sollte. Daß Wilson von diesem seinem Fundamentalgrundsatz abging und vor Clemenceau in Versailles zurückwich, war ein schwerer politischer 12

Fehler, der sich bereits zu unzähligen Malen gerächt hat. Ohne die Beseitigung dieses Fehlers kann Europa nicht zum Frieden kommen. b) Der letzte polnische Vorstoß Die bisher zitierten Stichproben sind, wie gesagt, polnischen politischen Schriften entnommen, die in den Jahren 1914 bis 1931 erschienen sind. Sie beweisen zur Genüge, wie lebhaft das Interesse Polens für Ostpreußen ist. Die Verfasser haben je nach ihrem Temperament dahin tendiert, daß dieses Gebiet entweder durch politische Verheißungen oder durch wirtschaftlichen Druck oder schließlich, wenn nicht anders möglich, mit Waffengewalt erworben werden müsse. Man könnte vielleicht hingegen einwenden, daß diese polnischen Äußerungen schon einige Jahre alt seien und der Protest des ostpreußischen Provinzialausschusses, wenn er sich nur auf diese freilich sehr bedeutsamen Verlautbarungen stützen würde, etwas verspätet käme. Nun wurde der Protest insbesondere durch die provokatorischen Beschlüsse der polnischen Studenten in Danzig hervorgerufen. Bei den Beratungen in Danzig hatte, wie ebenfalls erwähnt, u. a. ein aktiver polnischer General den sehr provozierenden Ausspruch über Königsberg getan (vgl. das Vorwort). Diese oratorische Entgleisung, sollte man meinen, hätte genügen müssen, um den Protest nicht allein verständlich, sondern auch berechtigt erscheinen zu lassen. Aber kaum war die Pat-Erklärung veröffentlicht, als im Verlage des WestmarkenVereins in Posen ein großes Sammelwerk, „ O s t p r e u ß e n , V e r g a n g e n h e i t und Gegenwart" 1 ) erschien, das nachträglich die Berechtigung des ostpreußischen Protestes beweist. Die Gesamtredaktion des 338 Seiten starken Werkes lag in den Händen von M. Z a w i d s k i . Das Buch beleuchtet das ostpreußische Problem von allen Seiten, wie es das polnische Interesse verlangt. Es ist in einem weitaus ruhigeren und sachlicheren Ton verfaßt, als die meisten der bisher zitierten Schriften. Es vermeidet mehr oder weniger scharfe Angriffe und versucht vielmehr den Anschein wissenschaftlicher Objektivität zu erwecken. Im Vorwort heißt es: „Die Aufgabe der Herausgeber ist es nicht, sich in agressivem Ton und kriegerischen Losungen zu übersteigern oder den Haß zwischen 1) Posen-Westmarken-Verein 1932. Auszugsweise deutsch in den Ostlandberichten Nr. 1/2, Jahrg. 6, 1932. Z

8 o h m l d t , Ostpreußen — deutsch.

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dem polnischen und dem deutschen Volk zu verstärken. Trotz einer erheblichen Freiheit der Autoren in der Behandlung der einzelnen Themen ist ohne weiteres festzustellen und hervorzuheben, daß das Ganze nicht an Klarheit der Synthesen verloren hat, nicht eine Sammlung von zerfahrenen und unkoordinierten Ansichten ist, sondern im Gegenteil einen einheitlichen und zielbewußten Charakter besitzt." Ziel und Zweck der Schrift wird von der nationaldemokratischen „ G a z e t a W a r s z a w s k a " folgendermaßen umrissen. Diese polnische Stimme wird absichtlich zitiert, um den Lesern ein Bild davon zu geben, was die polnische Öffentlichkeit von dieser Schrift erhofft: „Die Tatsache, daß Ostpreußen von seinem natürlichen Hinterlande, dem polnischen Staat, durch die Grenzen des Versailler Vertrages getrennt ist, ist der Grund für den wirtschaftlichen Verfall dieser Provinz. Die wirtschaftliche Entwicklung Ostpreußens hängt völlig von seiner wirtschaftlichen Verbindung mit Polen ab. Wenn lediglich wirtschaftliche und soziale Gründe entscheiden sollten, so müßte im Sinne der natürlichen Verhältnisse und der geschichtlichen Entwicklung der Ostpreußen-Frage Ostpreußen in eine Verbindung mit Polen gebracht werden. So wie die Verhältnisse gegenwärtig liegen, muß die ostpreußische Frage immer schneller an Bedeutung zunehmen." Schon in der Einleitung wird das Thema O s t p r e u ß e n u n d P o l e n angeschlagen. Es heißt dort: „Ostpreußen ist innerhalb Deutschlands ein toter Körper. Seine Bedeutung ist groß, aber rein negativ. Die Deutschen benötigen es, aber nicht zur Vergrößerung der deutschen Kraft, sondern nur zur Schwächung Polens." Diese Argumentation ist für die polnische Auffassung überaus bezeichnend. In Polen dreht sich alles um die Machtfrage. Mit keinem Worte wird daran erinnert, daß es eine Selbstverständlichkeit ist, daß die 2 Millionen Deutschen in Ostpreußen zu Deutschland gehören wollen und müssen. *

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So reizvoll es wäre, die Arbeiten der drei Historiker des Werkes, K o s t r z e w s k i , T y m i e n i e c k i und S o w i e s k i und schließlich auch den Artikel des bereits zitierten Politikers S r o k o w s k i , der speziell über die „polnischen Denkmäler in Ostpreußen" schreibt, im einzelnen zu zergliedern, so würde das doch den

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Rahmen dieser Schrift sprengen. E s kann nur auf die aktuellen, politischen Aufsätze des Sammelwerkes eingegangen werden. Zuerst sei eine kurze Inhaltsangabe dieser Aufsätze gebracht, deren Würdigung dem folgenden Kapitel vorbehalten bleiben muß. W l o d z i m i e r z W a k a r schreibt über die „ D e m o g r a p h i s c h e S t r u k t u r O s t p r e u ß e n s " und führt dabei folgendes aus. Die Zusammensetzung Ostpreußens ähnele derjenigen Polens so sehr, daß man den Eindruck hätte, die politische Grenze übe überhaupt keinen Einfluß aus. Die gleichen Parallelen ließen sich auch in bezug auf die Berufszusammensetzung ziehen. Ostpreußen besäße gute Voraussetzungen für eine Industriealisierung; um seine Waren abzusetzen, würde es freilich eines H i n t e r l a n d e s b e d ü r f e n . Weder Polen, noch Litauen könnten jedoch ihre Grenzen der ostpreußischen Industrie öffnen, weil sie sich damit von der gesamtdeutschen Industrie abhängig machen würden. Wakars Vorschlag zielt daher auf eine o s t p r e u ß i s c h e Z o l l a u t o n o m i e ab; jedoch will der Verfasser dabei von einer Einbeziehung Ostpreußens in den polnischen Zollverband absehen. Von Herkunft und Charakter sei Ostpreußen stets eine K o l o n i e auf einstmals fremden Boden gewesen Auf dem heutigen Gebiet Ostpreußens wären, abgesehen von den fünf städtischen Kreisen, die deutsch sind, „die 1 8 südlichen Kreise vorwiegend von Polen, 6 von Litauern und 1 3 von Deutschen bewohnt". Die Ziele der preußischen Regierung in bezug auf die undeutsche Bevölkerung seien nicht konstruktiv, sondern vielmehr destruktiv. Die Abschnürung der Masuren von der polnischen Gemeinschaft bezwecke lediglich ihre endgültige Entnationalisierung, was bis zu einem gewissen Grade bereits gelungen sei. Der deutsche Staat könne jedoch die Tatsache nicht verbergen, daß es im masurischen Gebiete Kreise gäbe, in denen die Deutschen nicht die Mehrheit besäßen (dies ist nicht der Fall, vergl. die Statistik auf S. 32. D. V.). Ohne der Frage der zukünftigen Entwicklung der polnischen Bewegung vorzugreifen, glaubt der Verfasser feststellen zu können, daß mehr als 400000 Einwohner polnische Sprache, Sitten und Gebräuche beibehalten hätten. Das sind etwa 2 0 % der Gesamtbevölkerung der Provinz Ostpreußen. Der Aufsatz schließt mit den Worten: „Wir stehen einem ungewöhnlichen Paradoxon gegenüber. Eine Provinz, die sich in sehr glücklicher geographischer L a g e an einer Meeresküste befindet, stellt den in ihrer Richtung gehenden natür2»

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liehen Drang riesiger Gebiete absurde Grenzen entgegen und isoliert sich, um deutsch zu sein und zu bleiben . . . Die deutsche Bevölkerung und mit ihr die eingedeutschten Bevölkerungskreise ziehen sich von dieser Kolonie zwischen fremden Gebieten zurück, die sich als ein verlorener Posten erweist. Die Masuren aber, die die für das Polentum schwersten Zeiten überstanden haben, überdauern — wozu der Aufbau der polnischen Republik das seinige beiträgt — in nationaler Besonderheit die deutschen Kolonisierungsbestrebungen in Ostpreußen, deren Verfall in der geschichtlichen Entwicklung der Menschheit liegt." Das Kernstück des Sammelbandes bildet unzweifelhaft der Aufsatz von A. P l u t y n s k i , „ D e r w i r t s c h a f t l i c h e V e r f a l l O s t p r e u ß e n s " . Dieser Aufsatz ist nicht nur der umfassendste (über 70 Seiten lang und bereits als Sonderbroschüre erschienen), sondern auch derjenige, der den propagandistischen Charakter des Buches aufzeigt. Der Verfasser versucht den Beweis zu erbringen, daß alle möglichen anderen Ursachen, nur nicht die A b t r e n n u n g O s t p r e u ß e n s v o m D e u t s c h e n R e i c h für die katastrophale Wirtschaftslage dieser Provinz verantwortlich zu machen seien. Die Hauptschuld trage vielmehr die deutsche Handelspolitik und die Weltwirtschaftskrise, vor allem aber das Zusammenleben Ostpreußens mit dem Deutschen Reich. Er sagt: „Die eigentliche Ursache des Verfalls Ostpreußens ist seine wirtschaftliche Verbindung mit dem Deutschen Reich, durch die ein armes Land gezwungen wird, ein überstandesgemäßes Leben zu führen, in Abhängigkeit von Staatssubventionen. Diese wirtschaftliche Abhängigkeit macht die Ausnutzimg der einzig großen Entwicklungschance Ostpreußen, der Küste mit ihren Häfen unmöglich. Neben Ostpreußen wird sich, so hoffen wir, immer glänzender der polnische Handel und die polnische Industrie in dem polnischen Pommerellen entwickeln, das geographisch innerhalb Polens so liegt, wie Hamburg im Deutschen Reich. . . . Keine deutsche Agitation und Propaganda kann unser Streben zum Meere aufhalten, das so klar und eindeutig ist, wie das Streben unserer Weichsel zum Meere . . ." Auch Plutynski will, wie Wakar, von einer Einbeziehung Ostpreußens in den polnischen Zollverband absehen: „Über den Kummer, den wir schon mit Danzig haben, hauptsächlich wegen der Beibehaltung der reichsdeutschen Lohnhöhe, bekämen wir noch einen neuen Kummer dazu. Anders läge es, wenn Ostpreußen ein von Deutschland unabhängiges Wirtschafts- und Zollgebiet bildete. Dann könnte sich mit der Zeit ein vernünftiger Austausch von Gütern und Leistungen entwickeln, der 16

zu einer natürlichen Annäherung der beiden geographisch miteinander verbundenen Länder führen würde. Der deutsche Versuch, durch die Protektion der Landwirtschaft Ostpreußen zu retten, werde ein verfehltes Experiment sein. Der rettende Schritt für Ostpreußen werde vielmehr in der Zollunion und ferner in der Möglichkeit bestehen, die ostpreußische Produktion von der reichsdeutschen Konkurrenz abzuschließen, und auf eigenen unabhängigen Tarifgrundlagen in engen Kontakt mit dem polnischen und litauischen Hinterlande zu treten." Der Aufsatz Plutynskis schließt mit den Worten: „Die polnische Öffentlichkeit muß mit gespannter Aufmerksamkeit die Entwicklung des geschichtlichen, bevölkerungspolitischen und wirtschaftlichen Prozesses verfolgen, der im Osten Deutschlands vor sich geht . . . Die Vertrautheit mit den grundsätzlichen Momenten der Krisis in Ostpreußen, die gleichzeitig den ganzen landwirtschaftlichen Osten des Deutschen Reiches umfaßt, ist für die polnische Erkenntnis, für die Wahl der Ziele und Mittel unserer Politik von erstklassiger Bedeutung. Neben den eigenen schwachen Kräften haben wir mächtige Verbündete und der wichtigste von ihnen ist die Zeit, die alle Probleme auf ihr ursprüngliches Maß zurückführt. Die Zeit, dieser große Herr und Verbündete der Jungen, wird auch die Krisis in Ostpreußen in unserem Sinne lösen, in einem Sinne, wie er durch geographische und internationale Notwendigkeiten angezeigt ist, im Sinn normaler, wirtschaftlicher Beziehungen des Küstenlandes mit seinem wirtschaftlichen Hinterlande — der polnischen Republik." Als letzter Aufsatz sei der von E. R ü c k e r über „ D i e E v o l u tion der o s t p r e u ß i s c h e n F r a g e " angeführt. Der Verfasser glaubt feststellen zu können, daß die bisherige deutsche „Kolonialpolitik" sowohl in Ostpreußen relativ als absolut unbefriedigend sei. Daraus meint Rücker auf „reformatorische Pläne" innerhalb der deutschen Bevölkerung in Ostpreußen schließen zu können. Der ehemalige Oberpräsident und Minister v. B a t o c k i B l e d a u habe sich in den Jahren 1918/19 zusammen mit einigen anderen mit der Frage eines „selbständigen ostpreußischen Staates" befaßt, der wirtschaftlich eng mit Polen verbunden werden sollte. Der Syndikus der Königsberger Handelskammer Dr. F r . Simon wiederum habe 1919 eine „Zollunion mit Polen" vorgeschlagen und ein anderer ostpreußischer Politiker Geheimrat v. H i p p e l habe Ostpreußen als „selbständige Wirtschaftseinheit" gefordert. Inzwischen ist, wie Rückert selbst anläßlich einer Pressepolemik mit St. Srokowski zugibt, Herr von Batocki zu einem der schärfsten Polengegner geworden; daß auch die beiden anderen 17

deutschen Politiker stets Polengegner gewesen, wird von Rücker geflissentlich übersehen. Doch davon später. „Wie aber die Wege der Evolution der ostpreußischen Frage auch sein mögen" — so glaubt Rücker seine Ausführungen schließen zu können — „eins ist sicher: Das Problem Ostpreußen kann nicht gegen Polen, sondern nur im Einverständnis mit Polen gelöst werden". Was sagen Ostpreußen und Deutschland dazu? — Das ist das Thema des nächsten Kapitels.

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Kapitel II

DER DEUTSCHE STANDPUNKT a) Die Masurenfrage Es sei von vornherein zugegeben, daß sich die soeben zitierte Schrift des Westmarkenvereins von früheren sehr viel aggressiveren Auslassungen polnischer Politiker vorteilhaft unterscheidet. Sie zeigt sogar Ansätze zu ernsthafter Diskussion. Sehr geschickt wird immer wieder die These verfochten, daß Polen kein egoistisches Interesse an Ostpreußen besäße, sondern nur dem verarmten Nachbar aus idealen Gesichtspunkten, der Vorsorge für gut nachbarliches Verhalten seine Hilfe anbiete. Desgleichen soll die ständig wiederkehrende Behauptung von der „ o s t p r e u ß i s c h e n K ü s t e und dem polnischen H i n t e r l a n d e " bei dem sachunkundigen angelsächsischen und französischen Leser den Anschein erwecken, als ob Ostpreußen ein Land sei, das von Handel und Verkehr lebe und durch die Abgrenzung von Polen seiner natürlichen Funktion beraubt sei, den Absatz polnischer Güter mit der Welt zu vermitteln. Für jeden, der die Verhältnisse Ostpreußens kennt, stellt diese Konstruktion ein Trugbild dar. Ist doch Ostpreußen ein ausgesprochenes Agrarland. Handel und Gewerbe spielen demgegenüber eine weitaus geringere Rolle. Das läßt sich am klarsten aus seiner Geschichte nachweisen. Bevor wir deshalb die ethnographischen und wirtschaftlichen Behauptungen des polnischen Buches einer kritischen Durchsicht unterziehen, muß ein kurzer historischer Abriß der ostpreußischen Geschichte gegeben werden. *

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Die zahlreichen Gräberfunde in Ostpreußen beweisen, daß dieses Gebiet in vorgeschichtlicher Zeit von germanischen Stämmen besiedelt war (siehe die Karte von W. Petzsch in dem „Deutschen Kulturatlas"1), in der der Nachweis erbracht wird, daß i) Verlag Walter de Gruyter & Co., Berlin.

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etwa 1 5 0 v. Christi germanische Stämme sogar bis in die Nähe von Warschau gewohnt haben). Ostpreußen ist den Römern als bernsteinspendende Küste (Samland) bekannt, später war es von g o t i s c h e n S t ä m m e n bewohnt; mit der Vökerwanderung ziehen die germanischen Stämme nach Westen und es rücken andere Völker nach, deren Ursprung nicht feststeht. Zu Ende des X . Jahrhunderts taucht in Ostpreußen das Volk der P r u z z e n auf, von dem das Land seinen Namen erhält. Dieses heidnische, sehr kriegerische Volk macht zusammen mit den heidnischen Litauern den christlichen Nachbarn Deutschen und Polen, bis ins 1 3 . Jahrhundert viel zu schaffen. In dieser Notlage rief 1226 der polnische Fürst, Conrad v. Massovien den Hochmeister des Deutschen Ritterordens H e r m a n n v o n S a l z a ins Land, um dem Gedanken der christlichen Weltanschauung, der in diesem Gebiete besonders bedroht war, einen stärkeren Rückhalt zu geben (nebenbei bemerkt wieder ein Beweis, daß man die Zeiten des Mittelalters nicht mit der nationalen Elle der Neuzeit messen kann). In dreihundertjähriger schwerer Arbeit ist dann Ostpreußen vom deutschen Ritterorden zum Christentum bekehrt und damit, ohne daß diese Tendenz besonders verfolgt wurde, auch deutsch geworden. Die Pruzzen sind im Laufe der Zeiten schon lange völlig im Deutschtum aufgegangen, soweit sie nicht bei den harten Kämpfen aufgerieben wurden. Von dem Deutschen Ritterorden sind dann erst außer vielen Deutschen auch Litauer, Masuren und Polen im dünnbewohnten Lande angesiedelt worden. Diese Entwicklung wurde infolge der Niederlage des deutschen Ritterordens in der S c h l a c h t bei T a n n e n b e r g (1410) durch die inzwischen zu einem Staatswesen vereinigten Litauer und Polen jäh unterbrochen. Im zweiten Frieden von Thorn (1466) mußte der Deutsche Ritterorden Westpreußen an Polen abtreten, und Ostpreußen kam vorübergehend unter polnische Lehenshoheit. 1 6 1 8 fiel es nach Aussterben der Brandenburger an die Hohenzollern. Kurfürst Friedrich Wilhelm erreichte 1660, im Frieden von Oliva, die Anerkennung seiner Souveränität über Ostpreußen und 1 7 7 2 wurde durch die erste Teilung Polens auch Westpreußen für Preußen zurückgewonnen. Aus diesen kurzen historischen Daten ist zu ersehen, daß Ostpreußen bis auf das Ermland (die jetzigen Kreise Braunsberg, Heilsberg, Rössel und Allenstein, die von 1466 enger mit Polen verbunden waren) niemals dem polnischen Staate einverleibt gewesen ist, sondern nur als Provinz des Ordens resp. des preußischen Staates unter polnischer Lehenshoheit gestanden hat.

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Der bekannte Statistiker Dr. K a r l K e l l e r - B e r l i n macht in der Zeitschrift des Preußischen Statistischen Landesamtes interessante Ausführungen über die ethnographische Entwicklung Ostpreußens nach dem Thorner Frieden: „Wahrscheinlich hat Wittschell1) recht mit seiner Annahme, daß gerade die Abtretung Westpreußens und des Ermlandes den Orden zu dem Versuche bestimmt hat, den Verlust durch intensive Ausnutzung des ihm belassenen Gebietes wieder auszugleichen, da nun Deutsche als Siedler im 15. Jahrhundert nicht mehr in genügender Zahl zu erlangen waren, setzte der Orden Slaven an. So seltsam es klingen mag, so kann man daher sagen: Das slawische Masuren ist eine deutsche Schöpfimg — zugleich ein Beweis, daß man von einer bewußt nationalen Politik des Deutschen Ritterordens nicht sprechen kann." Mit Recht weist Dr. Keller nach, daß die kulturelle Verbundenheit der Masuren mit dem Deutschtum so stark war, daß sie bei der von der Entente vorgenommenen Abstimmung im Jahre 1920 geschlossen für Deutschland stimmten. Die 2,5% der Stimmen, die für Polen abgegeben wurden, stammen nicht von Masuren her, sondern von den dort verstreut lebenden Polen, die etwa 2,5% der Einwohner ausmachen. Diese starke Verbundenheit der Masuren mit dem Deutschtum geben, wenn auch widerwillig, selbst polnische Schriftsteller zu. Der Senior der polnischen Sozialdemokraten L i m a n o w s k i bemerkt z. B . : „Der Weltkrieg knüpfte die sich lösenden Bande zwischen Masuren und Deutschen fester. Durch preußische Truppen, von dem Moskowiterangriff befreit, sahen sie in den Deutschen ihre Retter, später ihre Gönner und Wohltäter, die sie mit Lebensmitteln versorgten, die zerstörten Häuser aufbauten." (0.) Die Verfasser der Aufsätze in dem Buche „Ostpreußen, Vergangenheit und Gegenwart" operieren gerne mit der Behauptung von der polnischen Bevölkerung Ostpreußens, die nur oberflächlich germanisiert sei, wobei die Tatsache, daß Polen, Masuren und Litauer erst von dem deutschen Orden ins Land gerufen wurden, nicht erwähnt wird. Auch werden von den meisten Verfassern die Masuren den Polen gleichgestellt, was durchaus zu Unrecht geschieht. Denn die Masuren verwuchsen als Protestanten vielmehr mit dem Deutschtum, als die in Ostpreußen vereinzelt 1) S. Literaturverzeichnis.

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lebenden katholischen Polen. Man könnte diesengesamten e t h n o g r a p h i s c h e n S p u k mit dem Hinweis beseitigen, daß kein Geringerer, als Roman D m o w s k i selbst die 2 Millionen Einwohner Ostpreußens für Deutsche erklärt hat. In seinem schon mehrfach zitierten Memoirenwerk schildert Dmowski die Behandlung der ostpreußischen Frage auf der Konferenz der großen Vier in Paris folgendermaßen : „Am 29. Januar wurden die polnischen Delegierten zu einer Konferenz des Obersten Rates gebeten. Da Paderewski noch nicht in Paris anwesend war, nahm ich Piltz mit. Ich wurde von Wilson aufgefordert, über die gegenwärtige Lage Polens zu sprechen und zu erklären, womit uns geholfen werden könnte. Ich wies zunächst darauf hin, daß von den beiden Polen betreffenden Artikeln des Waffenstillstandes bisher noch keiner ausgeführt sei, und gab einen überblick über die innerpolitische Lage, was in Anbetracht des sozialistischen Regimes in Warschau einige Schwierigkeiten bereitete. Danach sprach ich über die territorialen Ansprüche Polens.... An einer Stelle meines Exposés runzelten einige meiner würdigen Zuhörer die Stirn, und zwar als ich sagte: ,Die deutsch-polnische Frage an der Ostsee hat sich in der Geschichte so verwickelt, daß man sie heute nicht lösen kann, ohne einem Unrecht zu tun. Entweder wird die, zwei Millionen Menschen umfassende deutsche Insel in Ostpreußen von ihrem Vaterlande abgetrennt, was natürlich als Unrecht empfunden werden wird; oder die längs dem Meere wohnende polnische Bevölkerung in Westpreußen wird der Vernichtung preisgegeben, und damit steht das ganze 25-Millionen-Volk der Polen1) vor der Unmöglichkeit der Schaffung eines wirklich unabhängigen Staates und wird der deutschen Überflutung ausgesetzt. Das würde ein Unrecht bedeuten, mit dem das erste sich nicht messen kann.' " Hier wird also von autoritativer polnischer Seite von der ,,2 M i l l i o n e n M e n s c h e n u m f a s s e n d e n d e u t s c h e n I n s e l O s t p r e u ß e n " gesprochen. Das bedeutet aber nichts anderes, als d a ß D m o w s k i Ostpreußen für ein rein deutsches Gebiet a n s a h , denn die gesamte Bevölkerung Ostpreußens betrug damals 2049162 Menschen. 1) 1918 gab es nicht 25 Millionen Polen, sondern im polnischen Staate lebten erst 1921 neben 18,8 Millionen Polen 3,8 Millionen Ukrainer, 2,1 Millionen Juden, 1,0 Millionen Deutsche und 1,1 Millionen Weißruthenen. Die Minderheiten selbst schätzen, nebenbei gesagt, die Zahl ihrer Mitglieder viel höher ein.

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Das seit dem Versailler Vertrag entstandene Interesse der Polen für die Masuren ist höchst sonderbar, denn in den früheren Jahrhunderten haben sich die Polen niemals um die Masuren gekümmert, sondern das Zusammengehen der Masuren mit den Deutschen für ganz selbstverständlich angesehen. Diese Ansicht der Polen war auch durchaus berechtigt, denn in dem Teile von Ostpreußen, der ohne Befragung zu Polen geschlagen wurde (das Gebiet von Soldau) kämpfen heute die Masuren zusammen mit den übrigen Deutschen für die Erhaltung ihrer deutschen Schule. Ihr Abgeordneter im vorigen polnischen Parlamente Tatulinski schloß sich der deutschen Fraktion an und trat mit den übrigen Abgeordneten für die deutschen Belange ein. Was schließlich die Behauptung betrifft, daß sich die Polen niemals um die Masuren gekümmert haben, so sei folgende Stelle aus einem Artikel von W. P o h o r e c k i im „Sprawy Narodowosciowe" Nr. 2—3, 1932 angeführt: „Der Unterschied des Bekenntnisses führte dazu, daß in der polnischen Bevölkerung niemals ein größeres Interesse für die Masuren bestand. Man hielt sie für Fremde, teilweise für Deutsche. Hieraus erklärt sich, daß u. a. die polnischen Katholiken im Ermland nicht gern etwas mit den evangelischen Masuren zu tun haben wollen, obwohl sie polnisch (d. h. masurisch) sprechen." J a noch mehr. Der polnische Verfasser gibt selbst zu, daß die gute Behandlung der Masuren durch die preußische und deutsche Regierung bei ihnen eine deutschfreundliche Stimmung hervorgerufen habe: „Während der Kriege Polens mit dem Deutschen Orden und dann mit den preußischen Herzögen wurden die Masuren durch das polnische Heer vernichtet. Die Deutschen pflegen eifrig das Andenken an den Feldzug Gosiewskis (eines polnischen Heerführers), dessen Kulminationspunkt die Schlacht bei Prostken war, in dem sie dabei bis zur Ermüdung die Verwüstungen ins Gedächtnis rufen, die damals durch die Tataren (die Bundesgenossen der Polen, D. V.) vollführt wurden. Auch die Feldzüge Samsonows und Rennenkampfs während des Weltkrieges brachten von Polen her Überfall und Zerstörung in das masurische Dorf. Unter den russischen Truppen befanden sich zudem sehr viele Polen. Die deutsche Regierung baute nach dem Kriege die verbrannten Dörfer und Städte wieder auf und legte eine ganze Reihe von neuen Chausseen an und führt diese Arbeiten noch weiter aus, wodurch die kulturellen und wirtschaftlichen Unterschiede zwischen PreußischMasuren und den benachbarten Kreisen der polnischen Republik vertieft 23

werden. Mit diesen Arbeiten haben sich die Deutschen eine beträchtliche Sympathie der Bevölkerung verschafft." Hier wird also von p o l n i s c h e r Seite die g r o ß z ü g i g e Sorge der p r e u ß i s c h e n und d e u t s c h e n R e g i e r u n g f ü r die Masuren b e z e u g t , der eine 700jährige G l e i c h g ü l t i g k e i t der P o l e n g e g e n ü b e r s t e h t . Es ist also durchaus begreiflich, daß unter diesen Umständen die Masuren für Deutschland, gegen Polen optiert haben. Aber noch ein Weiteres geht aus diesen polnischen Feststellungen hervor. Wenn nämlich die preußische Regierung mit Zwang bei den Masuren germanisiert hätte, würde das ohne Zweifel eine Opposition hervorgerufen haben. Daß diese nicht vorhanden ist, ist der beste Beweis dafür, daß es sich hierbei um einen ganz natürlichen Prozeß der Aufsaugung eines kleinen Volkssplitters durch das große Nachbarvolk handelt, das ihm Kultur und Glauben gebracht hat. Das ist um so verständlicher, als die Masuren die gotische Druckschrift benutzen und nicht die lateinische, wie die Polen. Der schon mehrfach zitierte polnische Schriftsteller Pohorecki muß das auch zu seinem Ärger eingestehen. Er sagt, daß dieser Umstand (d. h. die gotische Schrift) ein „weiterer wichtiger kultureller Unterschied" sei. b) Volkszählungen and Beichstagswahlen O s t p r e u ß e n s B e v ö l k e r u n g bis zum

Kriege

Mit der Dmowskischen Feststellung von der deutschen Sprachinsel Ostpreußen (s. S. 22) stimmt auch die Volkszählung von 1910 überein. Laut dieser letzten Zählung vor dem Weltkriege lebten in Ostpreußen 2049126 Menschen, davon mit deutscher Muttersprache polnischer Muttersprache masurischer Muttersprache litauischer Muttersprache Außerdem waren doppelsprachig: deutsch und polnisch deutsch und masurisch deutsch und litauisch

1686003 81314 187314 89974 14290 8348 380

Besser als die Angaben der Volkszählung beweisen aber die geheimen R e i c h s t a g s w ä h l e n , welche Teile der fremdländischen Bevölkerung in den deutschen Kulturkreis aufgegangen sind. Hierbei konnte man unzweifelhaft erkennen, wer unter Verzicht auf eine 24

eigene nationale Vertretung mit den deutschen Parteien zusammengehen und wer sich von den deutschen Parteien absondern wollte. DaßdieMasuren s t e t s mit den D e u t s c h e n z u s a m m e n g e g a n g e n s i n d , geht unzweideutig aus den 1 3 Reichstagswahlen hervor, die von 1 8 7 1 bis 1 9 1 2 stattgefunden haben. N u r ein e i n z i g e s M a l , i m J a h r e 1 8 9 8 , h a t es n ä m l i c h e i n e m a s u r i s c h e K a n d i d a t u r g e g e b e n . Sie brachte es auf ganze 229 Stimmen, sonst haben die Masuren stets für die deutschen Kandidaten gestimmt. Bis zum Jahre 1890 gab es in den 1 7 ostpreußischen Wahlkreisen, die nach der Bismarckschen Verfassung bestanden, weder litauische, noch polnische Kandidaturen. I m Jahre 1890 tauchten die ersten p o l n i s c h e n W a h l s t i m m e n auf, und 1 8 9 3 gab es den ersten l i t a u i s c h e n W a h l k a n d i d a t e n . In den 1 7 ostpreußischen Wahlkreisen wurden insgesamt von 1890 bis 1 9 1 2 an außerdeutschen Stimmen gezählt: Reichstagswahl 1 )

Deutsche

Polen

Litauer

Masuren

1890 1893 1898 1903 1907 1912

237944 240632 248526 264134 324206 336787

5215 5246 11667 8561 6831 10576

— 2320 7907 6012 4640 5808

— — 229 — — —

Sieht man sich die Wahlresultate der ostpreußischen Kreise etwas näher an, so ergibt sich folgendes. Auch nach 1890 haben a c h t Wahlkreise niemals eine polnische oder litauische Stimme erhalten. In v i e r gab es vereinzelte litauische Wähler und in f ü n f polnische. Die Kreise mit litauischen Stimmen waren: 1. MemelHeidekrug, 2. Gumbinnen, 3. Labiau-Wehlau und 4. RagnitPillkallen. Die letzteren drei Kreise kommen freilich so gut wie nicht in Betracht. In Labiau-Wehlau wurden nur einmal 96 Stimmen gezählt, in Ragnit-Pillkallen erhielten die litauischen Kandidaten zweimal 882 bzw. 3 9 1 Stimmen, in Gumbinnen gab es 1898 und 1 9 0 3 litauische Kandidaturen, die 3 4 2 5 bzw. 1 9 3 4 Stimmen auf sich vereinigen konnten. E t w a s größer war die Stimmenzahl in M e m e l - H e i d e k r u g , welches Gebiet bekanntlich im Versailler Vertrag von Deutschland abgetrennt, später Litauen übergeben wurde. Aber auch hier haben die litauischen Stimmen niemals die Mehrheit ausgemacht. 1) Es werden stets die Haupt-, nicht die Stichwahlen angegeben.

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Kreis Memel-Heidekrug: Reichstagswahl 1893 1898 1903 1907 1912

Deutsche 11177 11828 12171 18183 18411

Litauer 2320 3504 4084 4221 5808

Also auch hier blieben die litauischen Stimmen immer in der Minderzahl. Nur ein einziges Mal haben sie ein D r i t t e l erreicht. Der Vollständigkeit wegen sei angeführt, daß 1898 bei der Stichwahl ein Litauer gewählt wurde, weil die 3000 sozialdemokratischen Stimmen für den litauischen Kandidaten gegen den DeutschKonservativen den Ausschlag gaben. W a s nun die p o l n i s c h e n S t i m m e n in O s t p r e u ß e n anlangt, so wäre dazu folgendes zu sagen: Nur in fünf von 1 7 ostpreußischen Wahlkreisen sind überhaupt polnische Stimmen gezählt worden. In vier von ihnen spielen diese eine ganz geringfügige Rolle. In Angerburg-Lötzen wurden überhaupt nur einmal 2 7 polnische Stimmen gezählt. Nach diesem Mißerfolg haben die Polen in diesem Wahlkreis nie wieder mit einem Zählkandidaten ihr Glück versucht. Nicht viel besser stand es im Wahlkreise Oletzko-Lyck-Johannisburg. Dort wurden 1898 44, 1904 1 3 0 und 1907 4 1 polnische Stimmen abgegeben. Im Wahlkreis Osterode wuchsen die polnischen Stimmen von 44 (1890) auf 1 0 8 2 (1912) an. Das machte immerhin erst in diesem letzten Jahre 5 % der gesamten Stimmten in dem Kreise aus. Im Wahlkreis SensburgOrtelsburg schwankten die polnischen Stimmen stark, zeigten jedoch eine fallende Tendenz. Reichstagswahl von 1898 1903 1907 1912

Deutsche:

Polen:

7629 13106 17593 19357

5874 3925 240 2698

Der schon mehrfach zitierte polnische Politiker P o h o r e c k i gibt in der schon genannten Schrift eine Erklärung für das starke A n schwellen der polnischen Stimmen in den Jahren 1 8 9 8 und 1903. E r schreibt'. „ E s ist ein Rätsel, woher im Jahre 1898 5874 und im Jahre 1903 3925 Stimmen auf den polnisch-masurischen (die Masuren haben mit

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dieser Kandidatur nichts zu tun) Kandidaten C. Lewandowski aus Posen kamen. Es drängt sich die Annahme auf, daß etwa 4000 Liberale (Juden und deutsches Bürgertum) ihre Stimme dem Kandidaten Lewandowski gegeben haben." Also nicht einmal 5000 Stimmen waren die Polen in der Lage aus eigener Kraft aufzubringen. A m stärksten waren die Polen im Wahlkreis A l l e n s t e i n R ö s s e l vertreten. Reichstagswahl von: 1890 1893 1898 1903 1907 1912

Deutsche: 9974 9793 9347 12012 16164 12932

Polen 4171 4731 5067 3862 538o 6746

In diesem Wahlkreise schwankte die polnische Minderheit zwischen einem Drittel und der Hälfte der überhaupt abgegebenen Stimmen. 1893 kam es in Allenstein-Rössel sogar zur Wahl eines polnischen Abgeordneten, des einzigen F a l l e s in O s t p r e u ß e n , in dem ein Pole gewählt worden ist. Aber auch hier wurde, wie der Litauer in Memel-Heidekrug der polnische Abgeordnete nicht von den Polen aus eigener Kraft gewählt, sondern in der Stichwahl mit Hilfe zusätzlicher deutscher Stimmen. Im ersten Wahlgang erhielt damals der polnische Kandidat 4 7 3 1 Stimmen, während die deutschen Stimmen insgesamt 9793 ausmachten. Bei der Stichwahl stimmten dann die deutschen Fortschrittler für den Polen und verhalfen ihm dadurch zum Siege. Trotz dieser e i n d e u t i g e n S p r a c h e der S t a t i s t i k aus den R e i c h s t a g s w a h l e n und aus den V o l k s z ä h l u n g e n wurden durch den Vertrag von Versailles von Ostpreußen nicht nur das M e m e l g e b i e t , sondern auch das G e b i e t v o n S o l d a u und L ö b a u abgetrennt und zwar ohne Abstimmung Litauen bzw. Polen übergeben. Überall dagegen, wo die Entente eine Abstimmung stattfinden ließ, sprach sich die überwältigende Mehrzahl für das Verbleiben bei Deutschland aus. Diese Niederlage war für die Polen und die Entente um so überraschender, als es sich um das Wohngebiet der M a s u r e n handelte, die von den Polen als begeisterte Anhänger der polnischen Staatsidee geschildert worden waren. Statistisch ergab diese Niederlage der Polen

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folgendes Bild. Am I i . Juli 1920 stimmten 363159 Einwohner des masurischen Abstimmungsgebietes für Deutschland und nur 7924 Einwohner für Polen. Mit anderen Worten: 97,5% der Bevölkerung des masurischen Gebietes wollte von ihren sog. „polnischen Brüdern" nichts wissen und nur 2,5% sprachen sich für den Anschluß an Polen aus. An der Unparteilichkeit dieser Abstimmung kann nicht gezweifelt werden, denn sie fand unter englischer und italienischer Kontrolle statt. Der damalige Abstimmungskommissar F r e i h e r r von Gayl 1 ) erzählt denn auch, daß nach dem für die Polen und die Entente so niederschmetternden Resultat der Abstimmung im Masurengebiet, der italienische Vertreter bei der Abstimmung den erstaunten Ausruf tat: „Wo bleiben die E x p e r t e n von V e r s a i l l e s ! ? " Die Reichstagswahlen im Wahlkreise Alienstein und ihre eigenen statistischen Handbücher hätten ihnen dieses beschämende Resultat voraussagen müssen. So lesen wir in dem von Piltz während des Weltkrieges herausgegebenen Nachschlagewerk „Petite Encyclopedie polonaise" über Ostpreußen die folgenden Angaben: „Im Jahre 1910 lebten in Deutschland insgesamt 4099000 Polen, und zwar davon: in der Provinz Posen . . . 1291000 „ „ „ Westpreußen . 604000 „ „ „ Ostpreußen 286000 Preußisch-Schlesien 1338000 Westfalen u. a. 0 580000." In dem Abschnitt über Ostpreußen der Encyclopedie (Anhang IV, S. 62) wird dann ausgeführt, daß die Polen (Masuren) zum größten Teil der lutherischen Religion angehören und in einer Anzahl von 286000 (angeblich 50%) Einwohner, hauptsächlich im Kreise Alienstein wohnen. Diese Zahl 50% bringt Piltz dadurch zusammen, daß er in die Bezeichnung „Polen" nicht nur alle Masuren einschließt, sondern ihnen auch noch alle Doppelsprachigen hinzurechnet, was keinesfalls richtig ist, da viele Nachkommen von Mischehen sich als Deutsche fühlten. Mit diesen 50% macht der Verfasser der Encyclopedie ein kleines Kunststück. Er stellt nämlich, um die Zahl 50% zu erhalten, sämtliche Polen und Masuren der gesamten Provinz Ostpreußen den Deutschen eines einzigen Kreises, nämlich des Kreises Allenstein, gegenüber. Um ein rich1) Siehe Literaturverzeichnis. 28

tiges Bild zu bekommen, müßte er die Zahl von 286000 Polen den 1763000 Deutschen der Provinz gegenüberstellen. Diese Unklarheit mit den 50% wurde nur möglich gemacht, daß auffallenderweise im Abschnitt Ostpreußen die Zahl der Deutschen von Piltz nicht angegeben werden, während das in den Abschnitten über Posen, Westpreußen und Schlesien wohl geschieht. Der ausgesprochene deutsche Charakter Ostpreußens wird übrigens von dem bekannten polnischen Politiker Wl. v. S t u d n i c k i in einer „Denkschrift für deutsche Staatsmänner" bestätigt : „Ich weiß, daß die Deutschen, welche in der Provinz Posen ein Drittel der Bevölkerung ausmachen, uns dieses Land nicht abtreten können, indem sie behaupten, daß es ihnen in geographischer Beziehung als Deckung für Berlin nötig sei. Obgleich Westpreußen und Ostpreußen in dieser Beziehung nicht wichtig und für Polen sehr nötig sind, werden diese Länder doch nicht abgegeben, weil die Provinzen Westpreußen zwei Drittel und die Provinz Ostpreußen neun Zehntel an deutscher Bevölkerung haben." Wie man sieht, gab man noch im Weltkriege auch von polnischer Seite ohne weiteres den minimalen polnischen Anteil an der Bevölkerung Ostpreußens zu; außerdem bestand das letzte Zehntel der Bevölkerung nicht so sehr aus Polen, als vielmehr auch aus Litauern und aus Masuren, die inzwischen für die deutsche Sache optiert haben. Obgleich die Abstimmung in den masurischen Gebieten in Ost- und Westpreußen unter der Kontrolle der Entente stattfand, pflegen die polnischen Publizisten sie jetzt nachträglich so darzustellen, als ob die Deutschen einen starken Terror ausgeübt hätten. Sie sprechen von „Bedrohungen der Masuren", von einer „entsetzlichen Komödie", von „deutschen Ubergriffen und Gewalttätigkeiten" u. a. mehr. All diese Behauptungen werden jetzt von autoritativer polnischer Seite Lügen gestraft. In der offiziösen „Gazeta Polska" vom 13. Juli 1930 erklärte St. Z i e l i n s k i , damals Generalsekretär des Masurenkommitefe, zur Abstimmung in Ostpreußen: „ D a s Ergebnis war kompromittierend. Wir erhielten 4% der Stimmen, d. h. ebensoviel wie ich im Oktober 1 9 1 8 vorausgesagt h a t t e , als ich verlangte, daß in Erwartung eines solchen Resultates die sofortige Angliederung des masurischen Gebietes an Polen gefordert werden sollte." (O.) 3 Schmidt, Ostpreußen — deutsch.

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Was geht aus dieser autoritativen polnischen Feststellung hervor? In maßgebenden polnischen Kreisen wußte man bereits vor der Abstimmung, daß die Masuren nicht für die Polen stimmen würden! Die Schlußforderung freilich, die der damalige Generalsekretär des Masurenkomitées daraus zieht, ist für die polnische Mentalität höchst bezeichnend. Da das masurische Gebiet nicht auf dem Wege des Selbstbestimmungsrechtes zu erwerben war, sollte es von Polen mit Gewalt annektiert werden. Diesen Refrain findet man immer wieder in polnischen Ausführungen. Wo der Rechtstitel versagt, wird an die Gewalt appelliert. Ebenso schreibt auch das Mitglied des Masurenkomitées L. L y d k o im „Kurjer Lodzki" vom 9. Juli 1 9 2 8 : „Stets müssen wir daran denken, daß wir weniger erhielten, als uns gebührte . . . Unsere Abrechnungen sind aber nicht endgültig abgeschlossen, höchstens auf einige Zeit aufgeschoben. Soweit es sich um Ermland, Masuren und die vier Weichselkreise handelt, so betrachten wir diese Gebiete weiterhin als strittig. Polen hat die von Deutschland gefälschte Abstimmung nicht anerkannt, bei Botschafterrat und Völkerbund einen großen mit schlüssigen Argumenten begründeten Protest erhoben, der bis heute noch nicht erledigt wurde. Wir sind der Ansicht, daß Ermland und Masuren urpolnische Gebiete sind, die nur fremde Übermacht derzeit abgetrennt hat, die aber der künftige Verlauf der Geschichte wieder zum polnischen Mutterlande zurückführen w i r d . . . Uns leitet nicht eroberischer Imperialismus! Um den erhabenen Idealen der Gerechtigkeit, der Völkerbefreiung zu genügen, wollen wir alle polnisch Sprechenden unter den Fittichen des weißen Adlers vereinen." (O.) Tatsächlich hatte der polnische Staat in völliger Verkennung der Situation nach der für ihn so ungünstigen Abstimmung im masurischen Gebiet Protest eingelegt. E r ließ durch den polnischen Generalkonsul in Allenstein der Entente eine offizielle Note übermitteln, in der die polnische Regierung eine Nachprüfung der Abstimmung verlangte und die Forderung aufstellte, daß die eben vollzogene Abstimmung aufgeschoben würde, bis die Nachprüfung beendet sei. Dieses Ansinnen ging selbst der Ententekommission zu weit. Sie erteilte auf diese polnische Note keine Antwort. Daraufhin brachte der polnische Generalkonsul in Alienstein der interalliierten Kommission zur Kenntnis, daß seiner Ansicht nach die Abstimmung nicht den wirklichen Ausdruck des Volkswillens widergebe und daß sie entgegen dem Geist des Vertrages von Versailles ausgeführt sei. Da die Abstimmung unter derartigen 30

Bedingungen stattgefunden habe, könne Polen ihre Ergebnisse nicht annehmen1). Nach dem kläglichen Ausfall der Abstimmung für Polen sollte man wohl meinen, hätte Warschau kein Recht auf Nachprüfung gehabt, aber umgekehrt Deutschland hätte eine solche'verlangen können für die Gebiete, die es wie Löbau und Soldau, Memelgebiet und den Korridor ohne Befragung hatte abtreten müssen. *

*

*

Das sind die nackten und nüchternen Tatsachen über den vermeintlichen „polnischen Charakter" Ostpreußens vor dem Kriege. Ich stelle nochmals fest, daß laut Zählung von 1910 von 2049162 Bewohnern damals nur rund 81000 polnisch sprachen, 187000 masurisch und 89000 litauisch, dazu kamen noch rund 14000 deutsch und polnisch Sprechende, 8300 deutsch und masurisch Sprechende und 380 deutsch und litauisch Sprechende. Diese Zählung nach der Muttersprache ist aber für die Frage nach der Nationalität wenig beweiskräftig, da, wie wir gesehen, bei den geheimen Reichstagswahlen viele Litauer und Polen und alle Masuren für deutsche Listen zu stimmen pflegten. Bei der letzten Wahl vor dem Kriege haben nur 10576 Wähler für die polnischen Kandidaten gestimmt, während 336787 deutsche Wähler vorhanden waren. Das sind nur 3,1% Polen. c) Ostpreußens Bevölkerung nach dem Kriege Auch nach der für die polnische Sache blamablen Abstimmung in Ostpreußen wird jetzt noch von Männern der polnischen Wissenschaft, wie Prof. Romer 2 ) nach wie vor die Behauptung aufgestellt, es lebten in Ostpreußen noch zahlreiche Polen. Und zwar ist die Zahl inzwischen sogar von 286000 (bei Piltz s. S. 28) auf 4—500000 gestiegen. Um dieser seitens der Polen nicht bewiesenen Legende ein für allemal ein Ende zu bereiten, bin ich der Wakarschen Behauptung in dem Buche „Ostpreußen, Vergangenheit und Gegenwart" nachgegangen, daß nämlich angeblich noch heutzutage 18 Kreise Ostpreußens (Landkreise, nicht Wahlkreise) vorwiegend von Polen, 6 von Litauern und 13 von Deutschen bewohnt seien. Die fünf städtischen Kreise (Königsberg, Insterburg, 1) Siebe Näheres bei R. Martel, „Deutschlands blutende Grenze". 2) Siehe Prof. Romers Karte „Die nationale Zusammensetzung der Bevölkerung Ostpreußens" nebst der Kritik von Witschen an Prof. Romer in Ostland-Berichte, Heft 4.

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Tilsit, Elbing und Alienstein) zieht Wakar hierbei nicht in Betracht, weil sie auch seiner Ansicht nach rein deutsch sind. Die folgende Tabelle aus der Volkszählung von 1925 beweist die Haltlosigkeit dieser polnischen Behauptung über Ostpreußen: DeutschMau. FremdReg.-Bez. Kreise Deutsche Polen Litauer suren sprachige Muttersprache 206 555 1948 281 Königsberg . . (14) 899708 199 1802 4083 1326 Gumbinnen . (12) 525561 9 40023 Alienstein . . . (10) 441880 1 2 2 7 1 40747 (6) 250008 5971 2 6634 Westpreußen 105 Insgesamt: 2 1 1 7 1 5 7 18637 2368 41735 5374° Von den zweisprachigen Personen verstanden deutsch und polnisch 24812; deutsch und masurisch 2 4 5 3 1 ; und deutsch und litauisch 2379. Wie aus diesen Zahlen hervorgeht, ist die Zahl der Polen in den beiden Regierungsbezirken Königsberg und Gumbinnen so gering, daß es sich nicht lohnt, die Zahlen für die einzelnen Kreise anzuführen. In den Regierungsbezirken Alienstein und Westpreußen liegt dies etwas anders. Daher seien hier die einzelnen Kreise ein wenig näher betrachtet. Von den sechs Kreisen des Regierungsbezirkes Westpreußen sind fünf so gut wie reindeutsch. Die Zahl der Polen beträgt hier 1—338 und die Masuren 5—47. Anders liegt es im Kreise Stuhm. Dort gibt es 5304 polnisch Sprechende gegenüber 26768 deutsch Sprechenden. Sie bilden somit noch immer eine Minderheit von weniger als 1 / 6 der Einwohnerschaft. Nicht viel anders sieht es im Regierungsbezirk Alienstein aus. Auch dort sind acht Kreise fast reindeutsch (10 bis 258 Polnischsprechende). Nur zwei Kreise weisen eine stärkere polnische Beimischung auf. Im Kreise Alienstein stehen 33998 Deutsche 1 0 1 4 5 Polen und 10862 Doppelsprachigen gegenüber, die ebenfalls teilweise Polen sein könnten. Im Kreise Rössel gibt es 45686 Deutsche und 1678 Polen nebst 1957 Doppelsprachigen. Wo sind also die 1 7 K r e i s e , in denen die Polen eine Mehrheit b e s i t z e n ? Dieses Geheimnis wird leider von Herrn Wakar nicht verraten. In allen 42 Kreisen Ostpreußens haben vielmehr die Deutschen nach der letzten Volkszählung die absolute Mehrheit und nur in einem erreichen die Polen 3 8 % . Und das nur, wenn man ihnen alle Doppelsprachigen hinzurechnet, was, wie wir gesehen haben, keineswegs richtig ist. Wie unter 32

solchen Umständen ein Mann der Wissenschaft, wie es Wakar ist, die Behauptung von den 17 Kreisen mit polnischer Mehrheit aufstellen kann, bleibt sein Geheimnis. Man kann nur wünschen, daß endlich die polnischen Gelehrten mit ihren Beweisen für ihre Behauptung von den 4—500000 Polen in Ostpreußen hervortreten mögen. Es gibt, wie aus der obenstehenden Statistik zu ersehen, in Ostpreußen insgesamt 18637 Polnischsprechende und 24812 Doppelsprachige. Rechnet man auch all die Doppelsprachigen den Polen zu, so ergibt das immer erst 43449 Polnischsprechende, d. h. rund 1 / 10 der von den Polen angegebenen Zahl (vgl. die Angabe von den 400000 Polen S. 31). Aber wenn man auch die Masviren und Litauer hinzurechnet, ergäbe es immer erst 106484 Nichtdeutsche gegenüber 2,1 Millionen Deutschen. Die polnischen Gelehrten sagen nun, die deutsche Statistik sei parteiisch. Man kann hiergegen die Zahlen aus den Wahlen zum Reichstag und zum Preußischen Landtag nach dem Kriege anführen. Da in Deutschland und in Preußen die geheime Stimmabgabe besteht, müßten doch bei diesen Wahlen die Polen, die bei der Volkszählung falsch eingetragen wären, protestiert haben. Wie verhalten sich nun bei den Reichstagswahlen nach dem Weltkriege die polnischen und litauischen Wähler in Ostpreußen, nachdem das Memelgebiet und das Gebiet um Soldau von Ostpreußen abgetrennt sind? Reichstag: Jahr 1921 1924 Mai 1924 Dez. 1928 1930 1932 Juli

Deutsche 945546 1011357 993914 993750 1009784 1136920

1921 1924 1928 1932

Preußischer L a n d t a g : 968951 — 12 594 990912 6034 987749 432 4695 1129695 360 3693

Polen 12663 13098 6079 4476 4186 2846 1 )

Litauer — — —

288 666 —



Masuren —

1029 54 2 243 —





445 369 —

1) Bei der Reichstagswahl November 1932 sind die polnischen Stimmen auf 2744 zurückgegangen.

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Wie verschwindend gering der polnische Einschlag ist, geht aus der Tatsache hervor, daß nur in einem Kreise über iooo polnische Stimmen gezählt wurden; überall sonst gab es nur ganz vereinzelte polnische Stimmen (Anhang V, S. 63). Aber auch im Allensteiner Wahlkreise standen 1276 polnischen Wählern 21474 deutsche Wähler gegenüber. Die polnischen Stimmen blieben bei den geheimen Wahlen zum Reichstag und Preuß. Landtag weit hinter den Zahlen der Volkszählung von 1925 zurück; das ist der beste Beweis dafür, daß die Behauptungen der polnischen Gelehrten jeglicher Begründimg entbehren. Denn sonst hätten doch die polnischen Wähler bei der geheimen Abstimmung der Reichstagsund Landtagswahlen wenigstens 60% aller Polnischsprechenden von der Volkszählung von 1925 erreichen müssen. Aus dem Vergleich zwischen den Wahlresultaten und der Volkszählung läßt sich nur der Schluß ziehen: Die Masuren fühlen sich restlos als deutsche Staatsbürger und wählen deutsche Parteien; von den Polen ist nur etwa die Hälfte politisch nationalpolnisch eingestellt. Der Rest gehört entweder zu der Zahl der Nichtwähler oder er wählt deutsche Parteien. Das Gleiche gilt für die Litauer. Da 60% der Bevölkerung das Wahlrecht besitzen, hätten 1932 die 18657 Polnischsprechenden, die die Volkszählung von 1925 ergeben hatte, 1 1 1 7 6 polnische Wahlstimmen aufbringen müssen. Hierbei wäre weder der allgemeine Bevölkerungszuwachs von der Zählung im Jahre 1925 bis zum Wahljahr 1932 in Betracht gezogen, noch die Doppelsprachigen (Deutsch und Polnisch). Statt dessen brachte es die polnische Wahlliste in Ostpreußen auf ganze 2846 Stimmen bei der Reichstagswahl und 3695 bei der Landtagswahl von 1932. Das sind gerade ein Viertel resp. ein D r i t t e l von den Polnischsprachigen, die die deutsche Volkszählung ergeben hatte. Diese Feststellung ist auch ein schlagender Beweis dafür, daß die deutsche Volkszählung durchaus unparteiisch zu Werke geht und daß die Zählung nach den Kennzeichen der Muttersprache für die Polen viel günstiger ist, als wenn sie nach der Nationalität erfolgen würde1). Denn wenn 1) In Deutschland wird seit jeher nicht nach der Nationalität gefragt, sondern nach der Muttersprache. Diese Methode sollte ein klareres Bild über die nationalen Verhältnisse in den Grenzgebieten ergeben. Die Polen behaupten, daß es sich dabei um einen Versuch der Verschleierung handele. Das ist, wie die oben erfolgte Vergleichung der Resultate der Volkszählung mit den Reichstagswahlen ergibt, nicht der Fall. Nebenbei gesagt, hat die polnische Regierung bei ihrer letzten Volks-

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jemand nicht einmal bei den Wahlen für die Wahlliste seiner Nationalität eintritt, sondern zu Hause bleibt, oder für eine deutsche Partei stimmt, kann man mit Recht den Schluß ziehen, daß er auf sein Polentum keinen großen Wert legt. Daß bei den geheiheimen Wahlen in Deutschland auch nicht der Schatten eines Terrors auf die Polen einwirkt, hat jetzt sogar der Führer der Polen in Ost-Oberschlesien, K o r f a n t y , zugegeben. In seinem Blatt „Polonia" schrieb er: „Die öffentliche Meinung in Polen ist seit Jahren durch die übertriebenen Gerüchte von dem in Deutschland herrschenden Wahlenterror belogen worden." Trotz der Ergebnisse der letzten deutschen Volkszählung und der Wahlen, haben die Polen auf ihre Forderungen auf Ostpreußen keineswegs verzichtet. Der schon mehrfach zitierte frühere Minister St. G r a b s k i schrieb in seiner gleichsfalls schon erwähnten Schrift: „Ebenso kann das polnische Volk den Ausgang des Plebiszits in Masuren nie als einen endgültigen Spruch der Geschichte anerkennen. Würde Polen die masurische Frage fallen lassen, so würde es sich selber verneinen. Denn eines von beiden: entweder ist unser Staat ein polnischer Staat, dann aber ist es seine höchste Aufgabe, die nationalpolnischen Gebiete zu vereinigen. Oder aber unser Staat erkennt nur seine Rechte an, nicht aber seine Pflichten gegenüber den polnischen Gebieten . . . , dann ist unser Staat kein nationalpolnischer Staat . . . Ein Nationalitätenstaat Polen, ein föderatives Polen, könnte in der Tat Masuren und Ermland vergessen. Nicht aber kann auf die Pflicht gegenüber dieser ethnographisch polnischen Landschaft ein nationales Polen verzichten." (Psp.) Zählung auch nicht mehr nach der Nationalität, sondern nach der Muttersprache gefragt. Für Deutschland ist es eben Tatsache, daß die Mehrzahl auch der polnisch und litauisch sprechenden Bewohner für die deutschen Listen stimmen oder zu Hause bleiben. Die Masuren stimmen, wie schon betont, stets für die deutschen Listen. Sie fühlen sich, wenn auch die ältere Generation im Hause vielleicht noch masurisch spricht, als deutsche Staatsbürger und nicht als Vertreter einer Minderheit. Ahnlich dürfte es auch bei vielen Polen und Litauern der Fall sein. Es wäre daher durchaus zu erwägen, ob es nicht richtiger wäre, bei der Volkszählung nach der Nationalität zu fragen, weil die Frage nach der Muttersprache nicht Klarheit, sondern Verwirrung und zwar zugunsten der Polen und der Litauer geschaffen hat.

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Und ähnlich erklärt B u k o w i e c k i : „Die U n t e r s t e l l u n g E r m l a n d s und Masurens unter die E n t s c h e i d u n g durch ein P l e b e s z i t war gleichbedeutend mit dem V e r l u s t dieser Gebiete für P o l e n , da angesichts i h r e r ganzen V e r g a n g e n h e i t man sich über das E r g e b n i s der Abstimmung keinerlei T ä u s c h u n g e n hingeben konnte." (H.) Aus diesen Mißerfolgen der Volksabstimmung folgern aber Grabski und Bukowiecki nicht etwa, daß Polen auf Ostpreußen verzichten müsse, sondern Bukowiecki bringt das Kunststück fertig zu behaupten, daß die Loslösung Ostpreußens aus dem deutschen Staatsverbande dennoch keine Vergewaltigung des nationalen Prinzips darstellen würde. Erhebliche Teile dieser Provinz im Westen, Süden und Südosten stellten nämlich ein ethnographisches Gebiet dar, das in einigen masurischen Kreisen sogar überwiegend polnisch sei. Der Nordosten aber, der Landstrich an der unteren Memel mit Tilsit und Memel sei von Litauern besiedelt. Im Grunde genommen stellten einzig Königsberg und Umgebung ethnographisch beurteilt, deutsche Bezirke dar und dieses Gebiet hätte man in gleicher Weise aussondern können, wie es mit der Stadt Danzig und Memel geschehen sei. Roman D m o w s k i , der politisch geschickter als Grabski und Bukowiecki ist, gibt sich nicht mit so fadenscheinigen historischen und ethnographischen Konstruktionen ab. Er hat sich eine weit „zugkräftigere" Annexionstheorie zurechtgezimmert. Dmowski erklärt: „Bei großen politischen zivilisierten und schöpferischen Nationen kann man nicht denselben Maßstab anlegen, wie bei kleinen, politisch emanzipierten. Ihr Volksgebiet ist nicht identisch mit ihrem sprachlichen und ethnographischen. Es genügt die politische Landkarte Europas mit der ethnographischen zu vergleichen. Der Versailler Vertrag gab den F r a n z o s e n das E l s a ß zurück, das e t h n o graphisch n i c h t zu F r a n k r e i c h gehört, aber dafür in zivilisatorischer und moralischer Hinsicht. Und so müßte auch Polen die Gebiete, die es zivilisiert hatte, wieder erhalten. Außerdem müßte es jedem Kenner der politischen Verhältnisse klar sein, daß dort, wo Westeuropa endet und Osteuropa beginnt — zwischen den Großmächten Rußland und Deutschland —, nur ein großer und starker Staat bestehen kann." Aber selbst Dmowski muß zugeben: „Der deutsche Einfluß im preußischen Teilgebiet war so stark, daß viele Polen kaum noch an eine Rückgabe dieser Gebiete an Polen dachten. Hingegen ist gerade

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dieses der Teil unseres Volksgebietes, auf dem Polen und die polnische Kultur entstanden ist, in dem sich die polnische Bevölkerung am reinsten — ohne Juden — erhalten und im Kampf um ihr Volkstum gestärkt hat, es ist das am meisten europäische Gebiet. Für Polen hätte der Verzicht auf diese Gebiete — neben vielen strategischen und politischen Nachteilen — die Entfernung von Westeuropa bedeutet. Trotz des energisch organisierten Widerstandes der Polen behaupten einige, daß bei 50, vielleicht nur bei 30 Jahren eines Weiterbestandes der preußischen Herrschaft die Gebiete dem polnischen Volkstum verloren gegangen wären." Nach allgemeiner polnischer Auffassung ist aber jedes Gebiet von Polen zivilisiert worden, das einmal, wenn auch nur kurze Zeit unter der Herrschaft Polens gestanden hat. Über die Frage, wer Ostpreußen und Westpreußen und Posen die Kultur gebracht hat, herrscht freilich sonst in der Welt eine andere Auffassung. Ich verweise nur auf George M. S h u s t e r s , der in seinem Buche „Die Deutschen" 1 ) folgende vielsagende Feststellung macht. Nachdem er die Abtrennung der echt preußischen Gebiete von ihrem Vaterland und ihre Übergabe an Polen als eine „ U n g e r e c h t i g k e i t " hingestellt hat, fährt er fort: „ K e i n Geschichtsschreiber wird die Wahrheit ableugnen, daß die Landflächen, die jetzt der Polnische Korridor genannt werden, im Augenblick des Überganges in deutsche Hände (1792) nur eine Wüste gewesen sind, während sie jetzt (d. h. im Jahre 1919, als man sie zu Polen schlug) ein Paradies f ü r landhungrige Polen waren. Wunder waren von den Deutschen gewirkt worden." Diese Antwort ist vernichtend, aber gerecht. 1) George M. Shuster, „The Germans".

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K a p i t e l III

DIE WIRTSCHAFTLICHEN TATSACHEN a) „Ohne Hinterland" Wie steht es nun mit den wirtschaftlichen Argumenten der Polen? Die Polen gefallen sich bei ihren wirtschaftlichen Ausführungen meist in der Darstellung, als ob Ostpreußen, ohne das polnische Hinterland, nicht bestehen könnte. In seinem Aufsatz im Sammelwerk des Westmarken-Vereins spricht Wakar des öfteren von der „glücklichen geographischen L a g e Ostpreußens an der Meeresküste, das nur durch die absurde Grenze von seinem natürlichen Hinterlande künstlich abgeschnitten sei". Und ein anderer Verfasser in dem genannten Buche Plutynski schreibt: „Die Tatsache, daß Ostpreußen seiner natürlichen Mission gegenüber dem Hinterlande beraubt ist, ist in erheblichem Maße den politischen Tendenzen des Staates zuzuschreiben, dessen Bestandteil er bildet." Wenige Seiten später heißt es dann weiter: „Die wichtigsten potentiellen Reichtümer dieses Gebietes, das Meeresufer und die damit verbundenen Möglichkeiten von Industrie und Handel, das weite polnische Hinterland zu versorgen, müssen in diesem Fall (d. h. solange Ostpreußen zinn deutschen Zollverband gehört) unausgenutzt bleiben." Wie, so muß man fragen, liegen nun die Verhältnisse in der Tat? Die These von der ostpreußischen Küste ohne Hinterland ist eine Spekulation auf die Unkenntnis der tatsächlichen Verhältnisse in Ostpreußen seitens der Ausländer. Namentlich Amerika, das in Kontinenten zu denken liebt, soll mit dem Wort „Hinterland" eingefangen werden. Ostpreußen ist aber ein ausgesprochenes Agrarland. In einer deutschen Denkschrift „Die Not der preußischen Ostprovinzen" (herausgegeben von den Landeshauptleuten der sechs östlichen Provinzen Preußens), heißt es über die wirtschaftliche Lage dieser Provinz: 38

„Ostpreußen, das mit 8/io seiner Grenzen an das Ausland stößt, leidet unter der grenzpolitisch so stark gefährdeten Lage ganz besonders schwer. Die insulare Lage der Provinz bedeutet die Trennung vom bisher wirtschaftlich engverbundenen Westpreußen und Posen und den Zwang, Absatzgebiete zu suchen, die mindestens um die Entfernung des „Korridors" weiter liegen. Die dadurch bedingte jährliche Mehrbelastung an Frachten ist auf rund 19 Millionen Reichsmark zu veranschlagen. Wie stark hierdurch die Wettbewerbsfähigkeit ostpreußischer Produkte eingeschränkt wird, liegt auf der Hand." In einer Rede auf dem 42. Deutschen landwirtschaftlichen Genossenschaftstag am 4. Juli 1929 in Königsberg in Preußen hat der Generallandschaftsdirektor v. H i p p e l zu diesem Thema sehr bedeutsame Ausführungen gemacht: „Vor dem Kriege erhielt Ostpreußen von Osten 515000 t jährlich, jetzt 65000, also 1 / 8 ; es sandte 93000 t dorthin, heute 20000, also etwa Ys- Und was Ihnen noch überraschender sein wird: Ein Drittel des ganzen ostpreußischen landwirtschaftlichen Absatzes ging früher in das westliche agrarische Nachbargebiet, das jetzt polnisch ist (Westpreußen und Posen), nämlich 19000 Stück Vieh und 815000 t Ware, und dieser Absatz ist fast völlig zerstört, nämlich bis auf 1200 Stück Vieh und 67000 t Ware im Jahre 1926. So ist es gekommen, daß nach der Rechnung der Eisenbahnverwaltung, Ostpreußen für seinen Warenverkehr durchschnittlich einen 200 km längeren Weg als bisher hat, und das bedeutet frachtmäßig nichts anderes, als daß Königsberg heute etwa in der Gegend von Riga liegt. Und wenn Sie bedenken, daß durch die Erhöhung der Frachten die Entfernungen sich gegen früher vergrößert haben, so liegt das Ostpreußen von heute etwa im Baltikum der Vorkriegszeit, halbwegs zwischen Riga und Petersburg. Ja, in bezug auf die Hauptproduktion, das Getreide, hat sich die Frachtenverschiebung so ausgewirkt, daß bezüglich des Hauptabnehmers, des westlichen (deutschen) Industriegebietes, A merika näher liegt als Ostpreußen, denn die Frachten von hier sind viel teurer. Noch schwerer wirkt sich aber aus, daß durch die politische Isolierung die ostpreußische Landwirtschaft gerade die Billigkeit der ganz nahen Bezüge und die Gunst des nahen Absatzes überhaupt verloren hat. Früher hatte Ostpreußen fast die billigsten Kohlen, denn die englische Konkurrenz nötigte zu Sondertarifen nach den ostpreußischen Häfen. Heute ist die Kohle durch die volle Fracht verteuert. Früher fuhr uns der Russe die Kraftfuttermittel direkt ins Land, heute kaufe 39

ich auf iooo km Entfernung meine Kleie in Mannheim und die Ölkuchen in Harburg. Bei dem Absatz ist es fast das gleiche. Ich zeigte schon, daß ein Drittel in die direkte Nachbarschaft Westpreußen und Posen ging. Zuchtvieh ging außerdem ins angrenzende Baltikum und die 12000 Remonten wurden uns auf dem Hof abgenommen. Heute müssen wir mit dem Zuchtvieh bis auf den bayrischen Markt gehen und die ostpreußische Pferdezucht, deren Remonteabsatz um iooooStück verringert ist, kämpft auf verschiedenen Märkten Europas um Absatzmöglichkeiten. Die frühere Gunst seiner Produktionsbedingung hat sich für den ostpreußischen Landwirt ins Gegenteil verkehrt; früher wirtschaftete er billiger als sein westlicher Berufsgenosse und verkaufte manches günstiger, heute bezahlt er seine wichtigsten Produktionsmittel etwa 10—12% teurer, als sein Berufsgenosse im Reich, erhält aber io—12% weniger für seinen Absatz. Merken Sie sich bitte diese summarische Formel und dann mögen die Geschäftsleute unter Ihnen sagen, ob im heutigen Deutschland eine derartige Rentabilität denkbar ist, daß noch derjenige, der 20—24% ungünstiger arbeitet, leben kann." Selbst Plutynski sieht sich gezwungen, den früheren bedeutenden Absatz ostpreußischen Viehs nach Posen und Westpreußen vor dem Kriege zuzugeben: „Die deutschen Autoren betonen mit Nachdruck den Verlust der Märkte in den abgetretenen Gebieten, die dem polnischen Staat eingegliedert sind. Die Behauptung aber, daß die rein landwirtschaftlichen Provinzen Posen und Westpreußen Konsumenten der Agrarprodukte Ostpreußens gewesen wären, ist selbstverständlich auf die grobe Unkenntnis der Verhältnisse unter den Lesern berechnet. In Wirklichkeit bestand zwar vor dem Kriege eine bedeutende Ausfuhr von Vieh nach dem jetzt zu Polen geschlagenen Nachbarprovinzen. Diese Ausfuhr aber, die z. B. im Jahre 1913 für Hornvieh 59456 Stück betrug, erklärt sich daraus, daß Posen über wenig Grünfutter verfügte> jedoch enorme Mengen nahrhaften Futters aus Brennereien und Zuckerfabriken besaß. Das Magervieh ging zur Mästung aus Ostpreußen nach Posen, um dann nach den westlichen Märkten versandt zu werden, wobei daran gut verdient wurde." Es war der ostpreußischen Landwirtschaft natürlich gleichgültig, ob sie ihr Vieh nach Westpreußen und Posen zum Schlachten oder zum Mästen verkaufte. Sie hatte damals ein bequemes Absatzgebiet vor ihren Toren, das ihr jetzt verschlossen ist. Wider seinen Willen hat also der polnische Verfasser die Behauptungen v. Hippels bestätigt, und nicht, wie er annimmt, widerlegt, wenn 40

er die Feststelluhg macht, daß das ostpreußische Vieh in Posen nicht verzehrt, sondern für Westdeutschland gemästet wurde. Bei dem Fortfall des Korridors als Absatzmarkt für den Überschuß seiner agrarischen Produkte ist daher Ostpreußen gezwungen, neue Absatzmärkte zu suchen. Da diese Märkte nun in viel größeren Entfernungen liegen, so wird Ostpreußen dadurch mit einer hohen Frachtenverteuerung belastet. Dazu kommt noch, daß das Korridorgebiet statt, wie früher, ein Abnehmer ostpreußischer Waren zu sein, jetzt zu seinem scharfen Konkurrenten geworden ist. Der Schwerpunkt der Produktion Ostpreußens liegt gegenüber aller Hinterlandtheorie der Polen in der Landwirtschaft, in der 53% der Bevölkerung Beschäftigung finden. Das ist nebenbei gesagt die höchste Zahl in Deutschland. Bis zu dem Ausbruch des Krieges nahm die ostpreußische Landwirtschaft einen starken Aufschwung. Ostpreußens Landwirtschaft erzeugte vor dem Kriege 203000 to Joggen, 15000 t Weizen, 69000 t Hafer, 19000 t Kartoffel, 63 Millionen kg Butter, 19,7 Millionen kg Käse, 10000 Pferde, 216600 Rinder, 647000 Schweine, 60000 Schafe. Hiervon ernährt Ostpreußen, nach der Deckung seines eigenen Bedarfes rund 3 Millionen Deutsche durch Tiererzeugnisse im Wert von 324 und pflanzliche im Wert von 132 Millionen Mark1). Infolge der durch den Polnischen Korridor entstandenen Schwierigkeiten ist die Landwirtschaft Ostpreußens zurückgegangen. Obwohl Ostpreußen nach Klima und Boden Viehzuchtgebiet ist, bleibt es hinter dem Tierbestand der Vorkriegszeit noch erheblich stärker zurück, als der Durchschnitt des Reiches. Desgleichen sind auch die Hektarerträge in Ostpreußen gegenüber der Vorkriegszeit zurückgegangen, da eine intensive Landwirtschaft, wie sie bis zum Kriege bestand, unrentabel geworden ist. Weizen 1909/13 1924/29

18,8 15,7

Roggen in dz. 17,1 13,6

Gerste 18,6 16,6

Hafer 19,8 14,8

Dieser Rückgang der Erträge ist um so bedeutsamer, weil vor dem Kriege Ostpreußen im Verhältnis zum Reich ein über dem Durchschnitt liegendes Niveau der Ertragssteigerung erreicht hatte. Dies Niveau lag bei Roggen um 31%, bei Weizen um 33%, bei 1) S. Heiss und Ziegfeld, „Kampf um Preußenland" im Literaturverzeichnis. 41

Gerste um 53% und bei Hafer um 36% höher als der Reichsdurchschnitt. v. Hippel konnte daher in seiner schon zitierten Rede mit Recht erklären: „Ostpreußen war bis zum Kriege in sichtlichem Aufschwung begriffen. Die Folgen des Russeneinfalls behob rasch eine der letzten großen Hohenzollerntaten, der Wiederaufbau der Provinz mit einem Aufwand von mehr als einer Milliarde Mark unter dem Oberpräsidenten v. Batocki, dem die Provinz dadurch zu dauerndem Dank verpflichtet ist. Heute verblutet Ostpreußen an der Unmöglichkeit seiner Wirtschaftslage, und die Sorge sitzt bei uns an jedem Tisch." Ein Bericht der Landwirtschaftskammer Königsberg stellt fest, daß der Verkehr der landwirtschaftlichen Produkte vor allem Getreide, Mehl, Futtermittel, Hülsenfrüchte und Holz zwischen Ostpreußen und den später abgetretenen Gebieten im Jahre 1913 220000 t betrug, im Jahre 1925 war er auf 17000 t gefallen. Noch größer war der Rückgang bei dem Viehbezug. 1913 machte dieser 191000 Stück aus und 1925 war er auf 1700 Stück zurückgegangen. Der Bericht schließt mit der Feststellung, daß die o s t p r e u ß i s c h e L a n d w i r t s c h a f t n a c h d e r A b s p e r r u n g d u r c h den P o l nischen K o r r i d o r um 1 0 — 1 2 % teurer p r o d u z i e r t , aber u m 1 0 — 1 2 % b i l l i g e r a l s die L a n d w i r t s c h a f t a n d e r e r d e u t s c h e r G e b i e t e v e r k a u f t . Auch die Verschiebung im Handelsverkehr mit Königsberg zeigt die Schwierigkeiten, mit denen dieser Hafen seit dem Bestehen des Korridors zu kämpfen hat. Die Wareneinfuhr haben die Häfen Königsberg und Pillau beinahe halten können. Sie betrug 1913 958000 t und war mit 921000 t 1927 ziemlich unberändert geblieben. In der gleichen Zeit sank aber die Ausfuhr von 778000 auf 513000 t. Hier macht sich der Ausfall des russischen Transits bemerkbar. Z w a r n i c h t d a s polnische G e b i e t war vor dem K r i e g e Königsbergs b e s t e r L i e f e r a n t , a b e r die U k r a i n e . An diese Stelle muß ein Wort über den H a f e n K ö n i g s b e r g gesagt werden. Vor dem Kriege war Königsberg einer der bedeutendsten Seehäfen für den Außenhandel des russischen Reiches. Der russische Finanzminister W i t t e nannte Königsberg den sechsten russischen Ostseehafen (Petersburg, Reval, Riga, Libau und Windau). Von den 600000 Faß Heringen, die jährlich von Königsberg bezogen wurden, gingen über 400000 Faß nach Rußland weiter. Ebenso wurden Kohle, Düngemittel und Kolonialwaren in großen Mengen über Königsberg nach Rußland eingeführt. 42

Noch größer war Königsbergs Bedeutung als Exporthafen für russische Rohstoffe. Über 400000 t Hülsenfrüchte stammten aus Rußland; dazu kamen noch über 300000 t Holz und Holzmasse. Und schließlich wurden noch ca. 70000 t russischen Flachses, Hanfes und Heede über Königsberg exportiert. Es sei besonders hervorgehoben, daß diese russischen Waren, die über Königsberg in Versand kamen, zum geringsten Teil nur aus dem jetzigen Polen stammten, sondern wie gesagt, so gut wie ausschließlich aus der Ukraine. Ebenso waren die Importgüter, die über Königsberg nach Rußland eingeführt wurden, nur zum geringsten Teil für das jetzige Polen bestimmt, sondern gingen auch weiter nach der Ukraine. Diese Handelsverbindung ist jetzt unmöglich geworden, da der Export der Sowjetukraine aus naheliegenden Rentabilitätsgründen — soweit er nicht von den Schwarzmeerhäfen aufgenommen wird — nach Riga geht. Hier spielt die sich nach Norden vorschiebende polnische Landzunge des annektierten Wilnagebietes eine entscheidende Rolle. Damit nicht genug, wurde von Polen systematisch der Handel von Königsberg fort-, zuerst nach Danzig und jetzt neuerdings nach Gdingen geleitet. Prof. Mühlenfels-Königsberg 1 ) gibt folgende Vergleichszahlen an: Der Grenzverkehr über Prostken hat betragen: Versand 1913 51997 t 1928 4164 t Empfang 1913 34877 t sowie 869008 St. leb. Gänse u. 692504 Geflügel 1928 20963 t sowie 44237 St. leb. Gänse Der Holzhandel Königsbergs, der für Ostpreußens Holz verarbeitende Industrie (Sägewerke und Zellulosefabriken) sehr wichtig war, leidet sehr darunter, daß zwischen Litauen und Polen wegen des Wilnakonfliktes kein Handelsverkehr besteht. Der größte Teil der Holzausfuhr aus dem Wilnagebiet geht heute mit der Eisenbahn über Danzig und ist damit für Ostpreußen verloren. Gegen diese künstliche Umleitung des Holzexportes (über Königsberg wäre er um 360 km näher) hat selbst der polnische Holzhandel insbesondere des Wilnagebietes protestiert. So schrieb z. B. das „Wilnaer Slowo", daß der Export von Holz über Königsberg 1) S. Literaturverzeichnis.

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weniger im Interesse Deutschlands, als im Interesse der polnischen Holzindustrie und der Sägewerke läge, daß die Wirtschaftsorganisationen des Wilnaer Gebietes sich seit langem um eine Besserung bemühen, daß aber das polnische Eisenbahnministerium sich hinter Rücksichten rein politischer Natur und h i n t e r d e n k a t e g o r i s c h e n W i d e r s p r u c h des M i n i s t e r i u m s des Ä u ß e r e n v e r s c h a n z e , daß endlich die p o l n i s c h e Tarifpolitik ausschließlich das Ziel v e r f o l g e , den E x p o r t über G r a j e w o zu h e m m e n , um O s t p r e u ß e n und den K ö n i g s b e r g e r H a f e n w i r t s c h a f t l i c h zu ruinieren1). Geholfen haben diese polnischen Klagen natürlich nichts, weil die Polnische Regierung das Ziel verfolgt, den Handelsverkehr um Ostpreußen herumzuleiten. Im Anhange V I , S. 64 wird eine Zuschrift von dem früheren Syndikus der Königsberger Handelskammer Dr. F r . S i m o n veröffentlicht, die weitere Angaben über das Ursprungsland der E x portwaren der Vorkriegszeit über Königsberg enthält. Sie fallen für die polnische These vom polnischen Hinterlande wenig günstig aus. Auch Dr. I. Fürst faßt in seiner gut fundierten Untersuchung die Lage Ostpreußens in folgende Worte zusammen: „Diese mißliche Lage des ostpreußischen Hauptproduktionszweiges (der Landwirtschaft) wirkt naturgemäß auf den früher blühenden ostpreußischen Handel mit Getreide, Mühlenerzeugnissen, Saaten, Düngemitteln, Futtermitteln und landwirtschaftlichen Bedarfsgegenständen aller Art, sowie auch die Mühlenindustrie stark zurück. All diese Geschäftszweige haben gegenüber der Friedenszeit außerordentlich an Bedeutung eingebüßt" 1 ). Weiter weist der Verfasser an der Hand der Statistik nach, daß die polnische Tarifpolitik dahin geht, die Benutzimg der kurzen ostpreußischen Eisenbahnstrecken durch eine ungünstige Tarifpolitik zu unterbinden. Polen setzt alles daran, um die Strecke Königsberg-Prostken auszuschalten und den Handelsverkehr, der hier früher bestand, um Ostpreußen herum nach Danzig und neuerdings auch nach Gdingen abzuleiten. Wie schwer Ostpreußen durch die Schaffung des Polnischen Korridors gelitten hat, zeigt auch ein Blick auf den Eisenbahnverkehr zwischen Ostpreußen und dem übrigen Deutschland. An 1) S. Literaturverzeichnis: Fürst, Dr. I., „Der Widersinn des Polnischen Korridors". 2) Näheres siehe bei M. Worgitzki (Literaturverzeichnis).

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Stelle des engmaschigen Verkehrs ist jetzt dank dem Polnischen Korridor eine tote Wirtschaftszone geschaffen worden. Der Güterverkehr ist dementsprechend von 503 Zügen täglich auf 80 (d. i. um 84,1%) gefallen. Diese tote Zone hat Ostpreußen auch gezwungen, entferntere Gebiete aufzusuchen. Aber nicht allein der Frachtverkehr, auch der Personenverkehr wird durch die unnatürliche Grenzziehung schwer geschädigt. Der Durchgangsverkehr nach Ostpreußen ist von 210 auf 146 Züge täglich gesunken1). Wie sehr der Verkehr zwischen dem Korridor und dem Deutschen Reich unterbunden wurde, erhellt weiter daraus, daß 61 B a h n linien, 1 4 4 K u n s t s t r a ß e n und 722 L a n d s t r a ß e n durchschnitten sind, und der Verkehr durch den Polnischen Korridor auf fünf Bahnlinien, fünf Autostraßen und einen Wasserweg reduziert worden sind2). Die polnische Konkurrenz auf agrarischem Gebiete hat die ostpreußischen Agrarier zu den schärfsten Gegnern eines Handelsvertrages mit Polen gemacht. Sie fürchten als nächstgelegenes Gebiet, von dem billigen polnischen Getreide und von den billigen polnischen Schweinen überflutet zu werden. Es ist also nicht richtig, wie es polnischerseits immer wieder geschieht, von wirtschaftlichen Ausgleichsmöglichkeiten zwischen Ostpreußen und Polen zu sprechen. Das Gegenteil ist die Wahrheit. Ostpreußen und Polen sind die s c h ä r f s t e n K o n k u r r e n t e n , da sie dieselben Güter produzieren. Jede Loslösung Ostpreußens aus dem Gefüge der deutschen Zollgemeinschaft würde die wirtschaftliche Lage dieser Provinz rapid verschlechtern. Eine Zollvereinigung mit Polen wäre geradezu der Tod dieser landwirtschaftlichen Provinz, da sie als kulturell höherstehendes Land nur teurer produzieren kann, als Polen mit seinen billigen Arbeitskräften; die andere Eventualität aber wäre die Herabdrückung des ostpreußischen Kultur- und Lebensniveaus auf den Stand der polnischen Bedürfnislosigkeit. Das fühlen auch die polnischen Verfasser der angeführten Werke selber und reden daher Ostpreußen gut zu, sich zu industrialisieren, um einen guten Ausgleich zum agrarischen Polen und Litauen zu schaffen. Bei dieser Gelegenheit sei ein immer wiederkehrender Einwand der Polen widerlegt. Von der polnischen Publizistik wird behauptet, daß der von Deutsch1) Dr. Pröller-Danzig, „ D e r Polnische Korridor, Ostpreußen und der Frieden", Berlin, gibt eine gute kurze Übersicht über die Erschwerung der Eisenbahnverbindungen infolge des Korridors. 2) „Die Not der Ostprovinzen". Berlin, Reimar Hobbing. 4

S c h m i d t , Ostpreußen — deutsch.

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land zwischen dem Reiche und Ostpreußen bevorzugte O s t W e s t - V e r k e h r unnatürlich sei. Die eigentliche Achse des Verkehrs gehe von Süden nach Norden. So veröffentlichte z. B . P r u t e n u s (Pseudonym wahrscheinlich für einen hohen Beamten im Polnischen Außenministerium) in der Zeitschrift „Przeglad Polityczny" 1 ) einen Aufsatz „ D a s Problem Ostpreußen im Lichte der natürlichen K r ä f t e " . In ihm stellt er die Behauptimg auf, daß die deutschen Anstrengungen, Ostpreußen gewaltsam in die WestOst- und Ost-West-Konzeption hereinzubringen, erfolglos geblieben sei: „Ostpreußen ist heute in jeder Hinsicht eine ausgesprochene Defizit-Provinz, für die die Regierung kolossale Summen aufzuwenden gezwungen ist, nur um Ostpreußens Anhänglichkeit an das Reich zu erhalten. Wir beobachten hier eine neue Phase der Gewaltsanwendung, die sich jetzt in der Form von materiellen Vorteilen verbunden mit dem Mißbrauch von Phrasen über die Bedrohung der Provinz durch den polnischen Imperialismus, äußert (hat Herr Prutenus Srokowskis oder Grabskis Gewaltsandrohungen ganz vergessen [vgl. S. 7] D. V.). Wie steht es nun in der Tat mit diesen Behauptungen ? Der Landeskämmerer von Schlesien W e r n e r hat in seiner kleinen, aber wertvollen Schrift „Wechsel-Korridor und Ostoberschlesien" 2 ) den Nachweis geführt, daß auch jetzt trotz der Behinderungen des Polnischen Korridors der n a t ü r l i c h e Warenverkehr zwischen Ostpreußen und dem Reich größer ist, als der polnische Export über Danzig und Gdingen. Der deutsche Verkehr, der auf 3 / 5 der Vorkriegszeit zusammengeschrumpft ist, betrug 1 9 2 7 3,9 Millionen t, der polnische 3,8 Millionen. Z u den letzteren kommt dann freilich noch der k ü n s t l i c h e K o h l e n e x p o r t P o l e n s , der jetzt den englischen Kohlenhandel in Europa so schädigt und nur dadurch zustandegekommen ist, daß Ostoberschlesien von Deutschland abgetrennt und zu Polen geschlagen wurde. Solange nämlich dieses Gebiet Deutschland gehörte, wurde die ostoberschlesische Kohle von der deutschen Industrie selbst verbraucht, und kam gar nicht auf den Weltmarkt. Erst seitdem Ostoberschlesien Polen zufiel und sich in diesem agrarischen Lande für eine derartige große Kohlenmenge keine Verwendung finden ließ, wurde diese zu einem störenden Faktor auf dem Weltmarkt (siehe A n hang V I I , S. 65). Diese Wakarsche Statistik beweist, daß trotz 1) Jahrgang V, 1928. 2) Siehe Literaturverzeichnis.

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der großen Behinderung, unter der der Verkehr Ostpreußens mit dem Reiche infolge des Polnischen Korridors zu leiden hat, der deutsche Frachtenverkehr immer noch größer ist, als der natürliche Polens über See. Die Frage, warum dieser größere deutsche Warenverkehr nicht mehr Anrecht auf Berücksichtigung hat, wie der kleinere polnische, wird nicht mehr von der Tagesordnung der europäischen Diskussion verschwinden. Mit Recht zieht Werner aus dieser Tatsache folgenden Schluß: „Polen begründet den Anspruch auf den Korridor mit der Notwendigkeit des Exportes, dieser Export beruht aber nahezu ausschließlich auf ü b e r m ä ß i g e r und u n g e r e c h t e r Z u t e i l u n g von B o d e n s c h ä t z e n in O s t - O b e r s c h l e s i e n . " Nach polnischen Quellen ist nämlich Oberschlesien = i % der Fläche Polens, = 4 % der Einwohner Polens, = 53% des Exportes Polens. Trotzdem bei der Abstimmung in Oberschlesien sich 50% der Bevölkerung für Deutschland aussprach, und nur 40 für Polen, erhielt Polen von der Entente zugeteüt: 92,5% 63 % 74,4% 81 % 72,5% 62 % 69 % 78 %

der der der der der der der der

Kohlenvorräte Zink- und Bleivorräte Kohlenproduktion Zinkblendeproduktion Bleierzproduktion Roheisenproduktion Rohstahlproduktion Walzwerkproduktion

statt der dem Abstimmungsverhältnis entsprechenden 40%.

Diese Feststellung war den Polen sehr unangenehm. D e r p o l n i s c h e I n g e n i e u r D u n i n - M a r k i e w i c z hat eine kleine Gegenschrift 1 ) veröffentlicht, in der er freilich vergeblich gegen diese Beweise Sturm zu laufen versucht (Anhang VIII, S. 66).

b) Polnische „Kronzeugen" Der agitatorische Charakter der Westmarkenschrift kommt am stärksten in dem Aufsatz von Rücker zum Vorschein. Dieser Verfasser hofft, wie gesagt, mit der Zeit auf eine „Evolution der ostpreußischen Frage". Darunter versteht Rücker die allmäh1) Siehe Literaturverzeichnis. 4*

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liehe Differenzierung der wirtschaftlichen Verhältnisse in Ostpreußen und des übrigen Reiches. Er glaubt sogar in den Plänen führender Männer Ostpreußens in den ersten Krisenjähren nach dem Kriege Ansätze zu einem Separatismus zu finden. Der Verfasser nennt die Namen v. Batocki-Bledau, Syndikus Dr. Simon von der Königsberger Handelskammer und Geheimrat v. Hippel. Freilich muß der Verfasser selbst zugeben, daß sich inzwischen von Batocki-Bledau zu einem Polengegner entwickelt habe (richtiger gesagt, daß Batocki immer auf einem rein-deutschen Standpunkt gestanden habe). Aber auch die Ansichten Simons und v. Hippels sind völlig schief und verzerrt dargestellt. Um ein für allemal den perfiden Versuch zu ersticken, anerkannte deutsche Politiker zu Eideshelfern für die polnische Sache zu stempeln, seien hier die Antworten der drei genannten Herren auf diese polnischen Anzapfungen veröffentlicht. M i n i s t e r a. D. v o n B a t o c k i - B l e d a u v. B a t o c k i veröffentlichte in der Zeitschrift „Der j u n g e Osten" 1 ) sofort eine Antwort auf die zuerst von Srokowski wiedergegebenen Gerüchte über „polnische Sympathien einiger deutscher Junker": „Herrn Woywoden a. D. Srokowski, Milanowek. Ich bestätige ergebenst den Empfang Ihres mir übersandten Buches „Prusy Woschodnie". Den polnischen Titel und den Text kann ich nicht verstehen. Aus dem französischen Schlußwort ersehe ich, daß Sie nachzuweisen versuchen, inwiefern die Unterwerfung unter die polnische Herrschaft Ostpreußen wirtschaftliche Vorteile bringen würde. Wenn Sie dabei behaupten, daß ich dieser Auffassung zuneige, so ist das das Gegenteil der Wahrheit. Nach meiner stets vertretenen Überzeugung würde der Anschluß Ostpreußens an das polnische Wirtschaftsgebiet für die ostpreußische Bevölkerung die Herabdrückung ihres Wohlstandes und ihrer Lebenshaltung auf den Tiefstand der polnischen Bevölkerung und damit die Vernichtung der Zivilisation und der Kultur Ostpreußens bedeuten. Im übrigen verbietet selbstverständlich das nationale Ehrgefühl es jedem anständigen Ostpreußen, den Gedanken auch nur in Erwägung zu ziehen, daß Ostpreußen ohne äußeri) Jahrgang 1929, Nr. 8/9.

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sten Widerstand die Unterwerfung unter ein Fremdvolk, zumal ein Volk von der Gesinnung des polnischen, erdulden könnte, selbst wenn das ihm wirtschaftliche Vorteile brächte. Mit gebührender Hochachtung von Batocki." Im Anhang I X , S. 67 findet sich ein Aufsatz v. Batockis aus der „Ostpreußischen Zeitung", in dem er sich des längeren mit den Srokowskischen Behauptungen auseinandersetzt. G e n e r a l l a n d s c h a f t s d i r e k t o r v. H i p p e l Herr Generallandschaftsdirektor v. Hippel hat mir auf meine Anfrage, wie er sich zu den polnischen Behauptungen stelle, folgende Antwort gesandt: „Sehr geehrter Herr Schmidt! Gedanke e i n e r Zollunion mit Polen ist n a t ü r l i c h a b s u r d , sie würde Tod der deutschen Kultur in Ostpreußen bedeuten und Herabsinken auf polnisches Niveau. Im übrigen sind alle Gedanken über Beziehungen zu Polen müßig, solange nicht durch die Rückgabe des Korridors Ostpreußen mit dem Mutterlande wieder vereinigt ist. Daß ich unbeirrbar so denke, weiß man in Polen im übrigen aus der Zeit der Handels Vertrags Verhandlungen, an denen ich als Generalsachverständiger der deutschen Landwirtschaft teilnahm, bis ich gerade wegen Ablehnung des damaligen Regierungsstandpunktes meine Mitwirkung niederlegte. Ergebenst von Hippel." Der

In der übersandten Schrift finden sich weitere Ausführungen zum Thema Ostpreußen und Polen, die im Anhang X , S. 69 veröffentlicht sind. S y n d i k u s a. D. Dr. Fr. S i m o n Herr Dr. Simon hat auf meine Anfrage über seine Denkschrift mir eine längere Antwort übersandt, die im Anhang X I , S. 69 veröffentlicht wird. Sie wird dazu beitragen, die polnischen Gerüchte über vermeintliche polnische Sympathien im Jahre 1919 zu beseitigen. Den Schlußsatz seiner Denkschrift möchte ich vorwegnehmen, weil er knapp und präzise Dr. Simons Stellung zu Polen charakterisiert: 49

„ I n einem Punkt herrscht in Deutschland allgemeine Übereinstimmung: Der polnische Korridor ist ein auf die Dauer unmöglicher und unerträglicher Zustand. Dr. Fr. Simon." Aus diesen drei Erklärungen geht aufs Unzweideutigste hervor, daß sich die polnischen Publizisten in einem unbegreiflichen Irrtum befanden, als sie glaubten, diese drei führenden Männer Ostpreußens als Kronzeugen für die polnischen Machenschaften auf Ostpreußen benutzen zu können. *

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Nur in einem Punkte besteht zwischen Deutschen und Polen Übereinstimmung: Ostpreußen und der K o r r i d o r g e h ö r e n zusammen. Bereits im Oktober 1918 schrieb R. D m o w s k i in einer Denkschrift an den Präsidenten Wilson die lapidaren Sätze: „Soll Ostpreußen als deutsches Gebiet erhalten bleiben, so muß es auch Westpreußen — den Korridor — behalten. Für Polen ist der Korridor wertlos, wenn es nicht auch Ostpreußen dazu erhält. Denn so wird es eine unaufhörliche Quelle eines nie zur Ruhe kommenden Kampfes zwischen Polen und Deutschland werden. Deutschland würde stets danach streben, sich auf Kosten Polens eine Verbindungsbrücke zu schaffen." Da seitens Deutschlands ein Aufgeben Ostpreußen mit seinen zwei Millionen Deutschen — diese Feststellung stammt gleichfalls von Dmoswki — niemals in Frage kommen kann, bleibt nur Dmowskis (vgl. S. 22) zweite Möglichkeit noch: die B e s e i t i gung des K o r r i d o r s . Und diese Lösung ist um so berechtigter, als damit Polen auch kein Unrecht geschähe. Ist doch der Korridor nach Dmowskis oben zitierten Worten ohne Ostpreußen für Polen „ w e r t l o s " . Der Verlust aber von etwas Wertlosen fügt dem Besitzer keinerlei Schaden zu. Dieses Ziel muß deutscherseits um so mehr erstrebt werden, als selbst im Vertrage von Versailles die Möglichkeit vorgesehen ist. Artikel 19 des Vertrages lautet: „Die Versammlung kann von Zeit zu Zeit die Bundesmitglieder zu einer Nachprüfung der unabwendbar gewordenen Verträge und solch internationaler Zustände auffordern, deren Aufrechterhaltung den Weltfrieden gefährden könnte." 50

Das ist, wie Dmowski selbst zugibt, bei der augenblicklichen Grenzziehung der Fall — nannte er diese doch eine „ u n a u f h ö r l i c h e Quelle eines nie z u r R u h e k o m m e n d e n K a m p f e s z w i s c h e n P o l e n und D e u t s c h l a n d " . Daher lehnte es S t r e s e m a n n in Locarno auch ab, die polnische Grenze zu garantieren, wie er das mit der französischen tat und verpflichtete sich nur, eine Abänderung der bestehenden Ostgrenzen nicht mit Waffengewalt zu versuchen. Und was besonders wichtig ist, der Versuch Polens mit Hilfe Frankreichs dennoch eine internationale Grenzgarantie zu erhalten, scheiterte an der Ablehnung Englands und Italiens. *

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Wer die in dieser Schrift angeführten zahlreichen polnischen Stimmen vorurteilslos prüft, wird zugeben müssen, daß die Warnung des ostpreußischen Provinzialausschusses nicht nur berechtigt, sondern dringend notwendig war. D e n n w e n n a u c h O s t p r e u ß e n in V e r g a n g e n h e i t , G e g e n w a r t u n d Z u k u n f t d e u t s c h w a r , d e u t s c h i s t , u n d d e u t s c h sein w i r d , so m a c h t , wie w i r g e s e h e n , d e r p o l n i s c h e E x p a n s i o n s d r a n g v o r s o l c h e i n e r F e s t s t e l l u n g n i c h t H a l t . Als letzter Beweis für ihn sei angeführt, daß der schon mehrfach zitierte polnische Politiker und frühere Generalkonsul in Königsberg S r o ko w s k i in seinem erwähnten Buche „ A u s dem Lande des schwarzen Kreuzes" selbst gezwungen ist, folgendes Zeugnis für den reindeutschen Charakter Ostpreußens auszustellen: „ W ü r d e jemand Ostpreußens heutige Bevölkerung durch A b s t i m m u n g b e f r a g e n , ob sie die E p o c h e selbständiger E x i s t e n z beginnen wolle, oder nicht, so kann man d a f ü r bürgen: 9 9 % der Stimmen würden sich für möglichst enge Bindungen mit dem Reich entscheiden. Überaus lebendig ist die Erinnerung an die immerhin glänzenden Vorkriegsverhältnisse, . . . sehr stark noch . . . der Gedanke an den lebendigen Kontakt mit der deutschen Volksgemeinschaft auf kulturellem Gebiet. Schließlich hegt man überall noch große Hoffnungen, daß alles, was infolge des Versailler Vertrages geschah, bloß kurze Übergangserscheinungen sind. Solche Stimmungen herrschen heute, ob auch morgen, muß bezweifelt werden, um so mehr als sie durch Ostpreußens künstliche Symbiose mit dem Reich, nicht durch eine Naturnotwendigkeit, sich zusammenzuhalten, hervorgerufen sind. Zu groß sind die natürlichen Gegensätze zwischen Ostpreußen und dem Reich, als daß sie nicht 51

allmählich jedem klügeren ostpreußischen Kopf einginge, nicht dazu beitrügen, ihn gegen den Ballast historischer Erinnerungen widerspenstig zu machen, nicht schließlich die Führer nötigten, Möglichkeiten zu ersinnen, wie sie sich durch Einstellung zu den realen Existenzbedingungen aus der schwierigen Lage befreien . . . Zu diesen Folgerungen aber muß Ostpreußen von selbst . . . kommen . . . Die Aufgaben unserer Politik und Diplomatie müssen sich zunächst . . . auf ein Vorgehen im ganz großen Rahmen beschränken. Kann schon der Wunsch nach Verständigung mit Polen nie Ereignis von Herzensbedürfnissen sein, so muß er sich mindestens auf gesunde Gewinn- und Verlustrechnung stützen. Erst wenn diese Rechnung fertig sein wird, wird der Augenblick für Polens Aktion gekommen sein. Sie wird um so günstiger sein, je mehr wir in allen Einzelheiten dafür vorbereitet sein werden." (O.) Damit ist von autoritativer polnischer Seite nicht nur der r e i n d e u t s c h e C h a r a k t e r O s t p r e u ß e n s (99% der Bevölkerung würden für Deutschland stimmen!) anerkannt worden, es wird auch das ganze Raffinement enthüllt, mit dem die polnische Politik vorgehen soll, um dieses deutsche Gebiet für einen Abfall von seinem Volkstum mürbe zu machen. Im Jahrhundert des Selbstbestimmungsrechts freilich ist Srokowskis Plan ein unerhörtes Unterfangen, ein Gebiet, dessen Einwohnerschaft zugegebenermaßen geschlossen für Deutschland optieren würde, als ein Land hinzustellen, auf das Polen ein Recht besitzt, Ansprüche zu erheben. Eine derartige Politik ist ein gefährliches politisches Spiel, denn Polen muß es sich sagen, daß es damit nichts anderes tut, als was seinerzeit die drei Großmächte Rußland, Preußen und Österreich taten, als sie gegen den Willen der Polen ihr Land unter sich aufteilten. Es geht nicht an, in einem Atemzuge die Teilungen Polens als das größte Unrecht der Weltgeschichte hinzustellen und gleichzeitig eine Zuteilung des deutschen Ostpreußens zu beanspruchen. Polens Agitation für den Erwerb Ostpreußens ist der beste Beweis dafür, daß es kein Verständnis für die sittlichen Werte des Selbstbestimmungsrechtes besitzt. Das dürfte auch der Grund sein, warum sich der Völkerbund ständig mit Klagen wegen Verletzimg der den Minderheiten in Polen zugebilligten Rechte zu befassen hat. R e i c h s p r ä s i d e n t v. H i n d e n b u r g s A n t w o r t auf die in dem Vorwort veröffentlichte Entschließung des Ostpreußischen Provinzialausschusses ist nicht nur in seinem Namen, sondern in 52

dem des gesamten deutschen Volkes gegeben. den Schluß dieses Kapitels gesetzt:

Sie sei daher an

„Der Herr Reichskanzler hat mir die Entschließung des Provinzialausschusses der Provinz Ostpreußen vom 19. Februar vorgelegt. Die Sorgen des deutschen Ostens sind auch die meinen. Niemals kann es das deutsche Volk dulden, daß ihm weitere Stücke seines Vaterlandes entrissen werden. Ihr Gelöbnis, die Heimat bis zum Äußersten verteidigen zu wollen, erwidere ich mit dem Versprechen, daß ich den deutschen Ostlanden in ihrem Kampf gegen jede nur mögliche Drohung mit allen Kräften beistehen und im Verein mit der Reichsregierung und dem Deutschen Volk alle Maßnahmen zu ihrer Sicherung treffen werde. Mit freundlichen Grüßen v. Hindenburg."

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SCHLUSSWORT Faßt man kurz die Ergebnisse dieser Untersuchung zusammen, so ergibt sich: 1. die in historischer Zeit nachweisbar ältesten Bewohner Ostpreußens — die Pruzzen — waren weder mit den Germanen, noch mit den Slawen verwandt, sondern gehörten zur Familie der Letten, Litauer und Kuren. 2. Die Deutschen waren früher in Ostpreußen als die Polen, Masuren und Litauer. 3. Der Deutsche Ritterorden hat außer zahlreichen Deutschen dort auch Masuren, Polen und Litauer angesiedelt. 4. Ostpreußen hat niemals direkt zum Polnischen Reich gehört, sondern Ostpreußen stand von 1466 bis 1660 als Provinz des Ordens und später des Preußischen Staates unter polnischer Lehnshoheit. 5. Der Prozeß der Germanisierung der Masuren hat ohne Zwang bereits im 18. Jahrhundert begonnen. 6. Ostpreußens Blüte vor dem Kriege beruhte auf der engen landwirtschaftlichen Zusammenarbeit mit Westpreußen und Posen und auf dem russischen Ex- und Import. 7. Die deutsche Art der Volkszählung, nicht nach der Nationalität, sondern nach der Muttersprache zu fragen, ist für die Polen sehr günstig. Dies ergibt sich daraus, daß sie zum Preußischen Landtag und Reichstage nur y 3 bis y4 soviel Stimmen erhalten, wie bei der Volkszählung wahlberechtigte Persönlichkeiten mit polnischer Muttersprache gezählt werden 8. Eine Zollgemeinschaft mit Polen würde Ostpreußens Landwirtschaft erdrücken. 9. Trotz des Rückganges des Warenverkehrs zwischen dem Reich und Ostpreußen auf s / 6 der Vorkriegszeit ist er doch noch immer größer, als der polnische Im- und Export über See, sofern

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nicht der künstliche Kohlenexport aus Polnisch-Oberschlesien mitgerechnet wird. 10. Ohne Polnisch-Oberschlesien wäre Polen ein ziemlich autarkes Land, das sogar leichter, als die Schweiz oder die Tschechoslowakei ohne eigenen Zugang zum Meere auskommen könnte. Aber auch mit Polnisch-Oberschlesien ist noch Polens Export geringer, als der der Schweiz, und der Tschechoslowakei, die über fremde Häfen exportieren müssen und sich doch dabei gut stehen.

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ANHÄNGE I - X I Anhang I (Seite 8) Denkschrift von Srofeowski „Wenn Polen Ostpreußen in der Gewalt hätte, so würde es ohne dieses Land zu entvölkern, zu einer unbesiegbaren Macht werden. Solange es in seiner unmittelbaren Nachbarschaft einen Herd des Unfriedens duldet, ist es einem Hause ähnlich, an dessen Ecke man eine Sprengbombe angebracht hat. In jedem Augenblick kann sie explodieren und nicht nur für unser Volk, sondern für die ganze Menschheit unübersehbare Schäden herbeiführen. Kein Opfer ist also zu groß, das man bringen müßte, um Ostpreußen auf diese oder jene Weise zu gewinnen, indem man es in den polnischen Herrschaftsbereich hineinzieht." Aus dieser Feststellung zieht Srokowski seine Schlüsse: „Aus obiger Lage der Dinge ergibt sich tatsächlich eine ganze Reihe von Richtlinien für unsere Außenpolitik, insbesondere in Beziehung auf Ostpreußen. Aus verständlichen Gründen ist hier nicht die Gelegenheit, sie aufzuzählen. Fest steht jedenfalls, daß einerseits a) dahin gestrebt werden muß, daß Ostpreußen den Vorteil einsieht, den es von seiner Anlehnung an seinen polnischen Nachbarn hat, und andererseits b) in Europa und Amerika eine lebhafte und unaufhörliche Aktion in der Presse und mit Hilfe von Broschüren entfaltet werden muß, die darüber Aufklärung geben soll, daß Ostpreußen eine Kolonie ist, die sich in den Schoß der ihr fremden slawisch-litauischen Welt hineingedrängt hat." Der Pole fährt dann fort: „In der Zukunft ist Ostpreußen wohl als ein politisch selbständiges Gebiet denkbar, nicht aber als ein sich selbst genügendes Wirtschaftsgebiet. Nur durch die vollständige Trennung der Verwaltung Ostpreußens vom Reich können das Masurenland und die Gebiete, durch

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die die kürzeste Verbindung Danzigs mit Warschau führt, bei ihm verbleiben." In richtiger Beobachtung der Verhältnisse führt Srokowski weiter aus: „Ostpreußen ist immer noch ein verhältnismäßig schwach besiedeltes Land und die Zahl der Bewohner hat sich, trotz des sehr großen Überschusses der Geburten über die Todesfälle, nicht entsprechend vermehrt. Das abgetrennte Ostpreußen, von mehreren Seiten von fremden, übervölkerten Gebieten umschlossen, beginnt den Charakter eines Kolonisationsterrains anzunehmen, eines Vakuums, in das in gewisser Beziehung mit Recht andere eintreten könnten. Wenn also von Ostpreußen der polnische Teil nicht abfallen kann, das uns rechtmäßigerweise gehörende Masurengebiet und dadurch mit einem Male die zahlenmäßige Gewalt des ostpreußischen Menschblocks entlasten kann, der über unserem Haupte schwebt, so müßten wir mit allen Mitteln dieser Art Kolonisation entgegenwirken, die über unseren Köpfen hinweg hier an den Ufern der Ostsee sich zu diesem, dem Polentum feindlichen Elemente verdichtet." Mit klaren, dürren Worten spricht der amtliche polnischeVertreter zum Schlüsse aus „Stufenweise gewinnt auch der Gedanke des deutsch-polnischen Kampfes um den pommerellen Korridor einen Charakter, und zwar dem eines Kampfes um die Entwicklung und Bedeutung Ostpreußens." (Auszugsweise zitiert nach Freiherr von Gayl „Die Not Ostpreußens".) Anhang II (Seite 10) Memoiren von R. Dmowski „Die polnische Politik und der Wiederaufbau des Reiches" „Ausgehend von der Überzeugung, daß für die Errichtung eines möglichst dauernden Friedens es nötig ist, alle auf Entscheidung drängenden und auch die in einer ganz bestimmten Richtung sich entwickelnden und in der Zukunft einer Lösung fordernden Fragen zu entscheiden, hätte in das Programm des Krieges auch die F r a g e des Anschlusses der geschlossenen d e u t s c h e n Gebiete Ö s t e r r e i c h s aufgenommen werden müssen. Es wäre das eine konsequente, ehrliche Durchführung eines einheitlichen Programms gewesen, indem für Deutsch57

land dasselbe getan worden wäre, was für Italien, Serbien und Rumänien getan wurde. Ich verstehe es, daß eine solche Politik gegenüber Besiegten grundsätzlich nicht anerkannt, solch eine Konsequenz nicht durchgeführt werden kann, sofern es maßgebende praktische Gründe dieses erfordern, oder dadurch eine Unsicherheit für den Sieger erwachsen könnte. Jedoch war und bin ich der Überzeugung, daß solch eine Entscheidung eine Wohltat gewesen wäre einerseits für die deutschösterreichischen Länder und das deutsche Volk überhaupt, andererseits auch für die Sieger selbst. Ganz Europa hätte Vorteile davon gehabt: seine zukünftige friedliche Entwicklung wäre um vieles sicherer. Es ist nicht Brauch, das Gebiet besiegter Staaten zu vergrößern. In der Zeit aber, wo sich Europa auf nationaler Grundlage aufbaut, kann man keinen österreichischen Miniaturstaat schaffen, weil es kein österreichisches Volk gibt. Wenn man danach strebt, Deutschland in die Grenzen seines Volkstums zurückzuverweisen, muß man diese Grenzen auch um das gesamte deutsche Volksgebiet ziehen. Nur mußte man dabei konsequent festhalten, daß das Volksgebiet territorial einheitlich geschlossen ist. Es muß ein einziges Gebiet sein, zu dem die isolierten Gruppen, die auf fremdem Gebiet liegenden Volksinseln, nicht hinzugerechnet werden können. Das von Ungarn getrennte und Rumänien zuerkannte Siebenbürgen konnte man nicht als einen Teil Ungarns betrachten und das Szekler-Land, eine zahlenmäßig starke Insel ungarischen Volkstums, rings umgeben von einer rumänischen Bevölkerung, mußte bei Rumänien verbleiben. Eine ebensolche isolierte Gruppe stellt die deutsche Bevölkerung Ostpreußens dar. Die Gerechtigkeit erfordert die Zuerkennimg der österreichischen Gebiete an Deutschland, da sie eine Fortsetzung des deutschen Volksgebietes darstellen, gleichzeitig aber auch die rücksichtslose Abtrennung, und zwar ohne Abstimmungskomödie, alles dessen, was nicht zum deutschen Gebiet gehört, d. h. Elsaß-Lothringens, ganz Dänisch-Schleswigs, aller polnischen Gebiete und schließlich des isolierten Gebietes mit deutscher Bevölkerung in Ostpreußen. Königsberg und das dazu gehörige Gebiet, aber nicht Danzig, hätte zur Freien Stadt erhoben werden müssen. Auf diese Weise hätte das besiegte Deutschland durch Deutschösterreich nicht viel weniger Bewohner hinzubekommen, als es an anderen Stellen verloren hat, an Umfang hätte es sich sogar gegen die Vorkriegszeit vergrößert. Das wäre ein Entschluß gewesen, der sich im Einklang mit den allgemeinen Grundsätzen befand, die während des Krieges verkündet wurden, die im Einklang mit der Zeit und mit der im letzten Jahr-

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hundert vorherrschenden Entwicklung standen. einmal die Folgen eines solchen Entschlusses:

Betrachten wir jetzt

Vor allem hätten die Deutschen ein viel einheitlicheres, mehr abgerundetes Gebiet gewonnen, als sie es vor dem Kriege hatten und heute haben. Die Reichszugehörigkeit der deutschen Insel Ostpreußen, in deren Grenzen eine erhebliche Anzahl polnischer Bevölkerung geblieben ist, muß eine ständige Quelle des Unfriedens sein und außerdem der Antrieb für eine agressive deutsche Ostpolitik. Etwas Bedrohlicheres für den zukünftigen Frieden kann man sich gar nicht ausdenken. Die Gebiete, die heute die Republik Österreich darstellen, werden doch früher oder später ein Teil des deutschen Reiches werden. Keine Kraft wird das aufhalten können, weil das eine Lebensnotwendigkeit ist. Gleich nach dem Kriege hat auch die österreichische Bevölkerung deutlich ihre dahin gehenden Wünsche geäußert und wenn nicht von den Verbandsmächten Schwierigkeiten gemacht worden wären, wäre der Anschluß bereits damals erfolgt. Auch hier ist also eine Quelle für zukünftigen Unfrieden entstanden. E s ist klar, daß die Abtrennung Ostpreußens in Deutschland nicht gerne gesehen worden wäre. Aber sie wäre leichter durchzuführen gewesen, wenn den Deutschen gleichzeitig Ober- und Niederösterreich, Tirol, Steiermark und ein Teil Kärntens gegeben worden wäre. Das Deutsche Reich hätte sich in seinem westlichen Teil weiter nach Süden ausgedehnt, wäre im Osten aber definitiv zurückgedrängt; es wären etwa 7 Millionen südwestlicher Deutscher, Katholiken, hinzugekommen und es wären ihm, außer der deutschen Bevölkerung im Osten und in Schleswig (?) einige Hunderttausend Ostdeutsche, Preußen, Protestanten, verloren gegangen. Das hätte eine große Änderung im Aufbau des deutschen Staates bedeutet und damit auch eine Änderung seines Charakters. Das Schwergewicht Deutschlands hätte sich damit in südwestlicher Richtung verschoben. In diesem Staat hätte nicht Preußen geherrscht, ich nehme sogar an, daß Berlin sich nicht lange in der Rolle der Hauptstadt Deutschlands hätte halten können." Dmowski schreibt dann über die absolute Unfähigkeit der Franzosen, völkisch zu denken, es herrsche bei ihnen ausschließlich der Staatsgedanke, und in dem Anschluß Österreichs an Deutschland sähen sie nur die Gefahr, der sie durch die Gebietserweiterung und Bevölkerungszunahme Deutschlands ausgesetzt seien, übersähen aber vollkommen die in der Abtrennung Österreichs von Deutschland enthaltenen Gefahrenmomente für die Zukunft. E r fährt dann fort:

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„Es ist ein Irrtum zu glauben, die Einigling Deutschlands wäre ein Werk der Hohenzollern und Bismarcks, das, wie es von einem Politiker vollbracht wurde, von andern zerstört werden kann. Die Einigung Deutschlands ist ein durch Imponderabilien verursachtes Geschehnis. Es war eine geschichtliche Notwendigkeit, wie die Einigung Italiens, die frühere oder spätere Einigung Serbiens und Rumäniens. Ein Werk der Hohenzollern und Bismarcks war zum Teil das, daß Deutschland durch Preußen geeint wurde, daß das neue Kaiserreich Deutschland in solchen und nicht in andern Grenzen geschaffen wurde, daß die kleineren Staaten des Reiches unter preußisches Kuratel gerieten. Das war, glaube ich, keine geschichtliche Notwendigkeit, und das hätte vielleicht wieder rückgängig gemacht werden können." Anhang III (Seite n ) Denkschrift von Consulibus „Die Erwerbung von Pomereilen war eine große Tat, aber dabei wurde ein großer Fehler begangen dadurch, daß Polen Ostpreußen nicht erobert hat, die Schuld daran ist dem unseligen Streit mit Litauen zuzuschreiben. Wie sich bei der Lösimg der oberschlesischen Frage das Fehlen einer Verständigung zwischen Polen und den Tschechen rächte, so rächte sich in der Korridorfrage der Streit Polens mit Litauen. Polen hätte mit Litauen um jeden Preis eine Verständigung herbeiführen und mit einem gemeinsamen Programm vor die Friedenskonferenz treten müssen. Der Erfolg wäre nicht ausgeblieben: Ostpreußen wäre heute nurmehr eine geschichtliche Erinnerung . . ." Wie stellt sich der Verfasser die Teilung Ostpreußens vor? Nach Consulibus sollen zu Polen folgende Kreise fallen: a) Zwei Kreise und Teile von zwei anderen Kreisen des ehemaligen Westpreußen am rechten Weichselufer — ein Teil des Marienburger Kreises und der Kreis Stuhm. Der Rest des Kreises Marienwerder und der Kreis Rosenberg, wobei zu bemerken ist — behauptet Consulibus —, daß die polnische Bevölkerung im Kreise Stuhm eine Mehrheit und in den Kreisen Marienwerder und Rosenberg eine Minderheit ausmacht. Statt diese Kreise an Polen zurückzubringen, b e s t i m m t e n die F r i e d e n s v e r t r ä g e hier d a s P l e b i s z i t , w o d u r c h sie w i e d e r an D e u t s c h l a n d g e f a l l e n sind.

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b) Die acht südlichen polnisch-evangelischen Kreise Ostpreußens, oder die sogenannte Preußische Masuren (Osterode, Neidenburg, Orteisburg, Sensburg, Johannisburg, Lyck, Lötzen und Marggrabowa) und die drei südlichen polnisch-katholischen Kreise Ermlands (Allenstein-Stadt, Allenstein-Land und Rössel); auch hier war das P l e biszit. c) Die zwei übrigen geschichtlich bis zu den Teilungen polnischen Kreise Ermlands mit deutsch-katholischer Bevölkerung (Braunsberg und Heilsberg), die ebenfalls geschichtlich polnischen Kreise ElbingStadt und Elbing-Land (die wir der Freien Stadt angliedern könnten) und die zwei zwischen Pommerellen und dem Ermland eingeschlossenen Kreise, der einstmals masurische Mohrungen und Preußisch-Holland. — Die Zuteilung dieser sechs Kreise zu Polen hat die polnische Delegation vergeblich von der Friedenskonferenz gefordert. d) Die drei übrigen Kreise der polnischen Masuren (Rastenburg, Angerburg und Goldap), die vor kurzem erst entnationalisiert worden sind, aber noch eine polnische Minderheit besitzen. e) Die drei deutschen, im Norden an das Ermland grenzenden Kreise Heiligenbeil, Preußisch Eylau und Friedland (bis jetzt schreitet die Entvölkerung außer in den drei letztgenannten Kreisen im Kreise Riesenburg und Holland, d. h. in allen fünf ethnographisch deutschen und geschichtlich dem Ritterorden gehörenden Kreise fort). Zu L i t a u e n sollen nach Consulibus geschlagen werden: f) Das Gebiet Preußisch-Litauens rechts der unteren Memel (das Memelgebiet) mit überwiegend litauischer Mehrheit, das bereits zu Litauen gehört. g) Die bei Deutschland verbliebenen sechs Kreise PreußischLitauens auf dem linken Memelufer, die in großem Maßstabe erst vor kurzem entnationalisiert worden sind, jedoch bis jetzt noch eine bedeutende litauische Minderheit besitzen (Tilsit, Labiau, die Niederungen, Ragnit, Pillkallen, Stallupönen). h) Die vor längerer Zeit entnationalisierten Kreise PreußischLitauens zu beiden Seiten des Pregels (Wehlau, Insterburg, Gumbinnen, Gerdauen und Darkehmen). Es bleiben noch Königsberg mit den zwei Nachbarkreisen (Königsberg-Land und Fischhausen) — also die Halbinsel Samland. Dieses Gebiet soll nach Consulibus das Status einer Freien Stadt erhalten und in dasselbe Rechtsverhältnis zu Litauen (für das es mehr als 5

S o b m l d t , Ostprenßeo— deutsch.

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Memel der geschichtliche und natürliche Zugang zum Meere ist) gebracht werden. Wie Danzig für Polen gestellt worden ist, mit der Erweiterung, daß auch Polen gewisse Rechte zugestanden werden müßten. (Auszugsweise zitiert nach „Der junge Osten" Nr. 4, 1929.) Sieht man sich Consulibus' Beweisführung etwas näher an, so ergibt sich, daß die tinter a) und b) genannten Kreise trotz des vernichtenden Abstimmungsresultats vom Jahre 1920 dennoch zu Polen kommen sollen. Die Kreise unter c) bezeichnet Consulibus selbst als deutsch bzw. als „einst masurisch" (also jetzt als deutsch). Die unter d) zusammengefaßten drei Kreise, die er als vor kurzem „entnationalisiert" bezeichnet, sind demnach auch deutsch. Die fünf Kreise unter e) bezeichnet Consulibus selbst als „ethnographisch deutsche". Wie man aus dieser kurzen Zusammenstellung ersieht, haben die von Consulibus als masurisch bezeichneten Kreise für Deutschland optiert und die übrigen Kreise sind nach seiner Ansicht jetzt alle deutsch. Es gehört wohl eine sonderbare Logik dazu, um sie trotzdem Deutschland fortnehmen zu wollen und sie Polen zu übergeben. Nicht anders liegt es mit den von Consulibus „Preußisch-Litauisch" genannten Kreisen. Sie haben, wie wir gesehen, weder bei den Volkszählungen noch bei den geheimen Reichstagswahlen irgendwie beträchtliche litauische Stimmen aufzuweisen gehabt (vgl. S. 32). Anhang IV (Seite 28) Ans „Petite Encyclopédie Polonaise«: Prusse Orientale (37002 kma), composée de l'ancienne Prusse Ducale, tributaire de la Pologne de 1466 à 1657, et de la Varmie, annexée en 1772, cette province est germanisée dans sa majeure partie. Les Polonais (Mazoures) appartenant en majorité à la réligion luthérienne, habitent au nombre de 286000 (50%) principalement la régence d'Olstyn (Allenstein 12026 km8) à la frontière du Royaume de Pologne. La population de la régence d'Olstyn (543000 h) se repartit d'après le culte, comme suit: catholiques-romains = 28,3%, protestants = 70,31%, israelites = 0,5%. 62

Anhang V (Seite 34) Reichstagswahl von 1932 1 )

1930 Deutsche Litauer Polen Bartenstein 19843 2 6 Braunsberg 26805 — 2 Pr. Eylau 20740 5 6 Fischhausen 30240 5 12 Gerdauen 15482 3 8 Heiligenbeil 2050g 5 8 Heilsberg 23593 2 5 Pr. Holland 17008 2 — Königsberg Stadt . . 174065 17 37 Königsberg Land . . 19675 5 14 Labiau 18589 16 6 Mohrungen 22751 12 9 Rastenburg 23339 7 9 1 Wehlau 20234 5

Deutsche Polen 22061 4 28924 3 23692 3 4i37i 5 17417 3 22246 2 24700 1 19394 1 171464 19 22146 1 22221 2 25856 1 25690 — 22709 1

Reg.-Bez. Königsberg 452903

82

127

498891

17722 13908 19354 24673 21929 19324 20754 16094 18448 18568 27417 22719

2 3 2 11 — 10 62 4 15 13 42 73

4 22 5 8 5 9 9 3 13 6 4 6

20244 15708 21618 26352 21493 21283 24689 18134 20939 21248 29089 25079

Reg.-Bez. Gumbinnen 240900

237

94

265876

Angerburg Darkehmen Goldap Gumbinnen Insterburg Stadt . . . Insterburg Land . . . Niederung Oletzko Pilkallen Stallupönen Tilsit Stadt Tilsit Land

46

2 3 4

16

1) Bei der Reichstagswahl von Juli 1932 hatten die Litauer keine Kandidaten aufgestellt.

63

Reichstagswahl von 1930 I9321) Deutsche Kreis Deutsche Litauer Polen 136 20321 Allenstein Stadt... 19673 9 20202 18967 142 1627 Allenstein Land . . . 6 21054 Johannisburg 23243 17 21293 Lotzen 3 18385 13 6 24968 20 26275 Lyck 11 16010 22 Neidenburg 14935 26910 Orteisburg 32 113 3i 151 12 Osterode 32493 3i 991 34 24683 22202 28 Rössel 185 22469 8 Sensburg 30 24777 240450 Reg.-Bez. Allenstein 221360 257 2197

Polen 99 1272 8 3 9 15 93 3 163 13 1678

Elbing Stadt Kreis Elbing Land . Marienburg Marienwerder Rosenberg Stuhm

40954 12996 I74I5 21052 29138 15098

6 3 1 13 5 62

18 5 4 209 20 1506

41718 14656 19227 22226 31271 17142

107 17 974

Reg.-Bez. Marienwerder

136753

90

1762

146230

1106

R.-Bez. Königsberg Reg.-Bez. Gumbinnen Reg.-Bez. Allenstein R.-Bez. Marienwerder

452903 240900 220360 136753

82 237 257 90 666

127 94 2197 1762

489891 265876 240450 146240

46 16 1678 1106

4180

1142457

2846

Ostpreußen

1050916

7 1 —

Anhang VI (Seite 44)

Zum Ursprungsland des Königsberger Im- und Exportes Dr. Fritz Simon, früherer erster Syndikus der Handelskammer zu Königsberg, hat mir folgende Angaben über das Urx) Bei der Reichstagswahl von Jnli 1932 hatten die Litauer keine Kandidaten aufgestellt.

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sprungsland des Königsberger Ex- und Importes vor dem Kriege zur Verfügung gestellt: „Wieviel von der russischen Durchfuhr vor dem Kriege aus dem jetzigen Polen stammte, ist schwer anzugeben. Jedenfalls aus KongreßPolen und Galizien war die Zufuhr gering. Hauptsächliches russisches Zufuhrgebiet war die Ukraine für Getreide, Hülsenfrüchte usw. Königsbergs Getreidezufuhr betrug im Jahre 1913 vom Inlande (Ostpreußen) 218000, vom Auslande 413000 t. Es ist daher anzunehmen, daß auch zwei Drittel des verschifften Getreides (386000 t) aus der Ukraine stammt. Daneben wurden rund 1000001 Bau- und Nutzholz verschifft, das aus Litauen, Weißrußland und nur zum kleinen Teil aus KongreßPolen stammte. Ferner wurden seewärts 164000 t Zellstoff exportiert, der fast ausschließlich aus benachbarten russischen Gouvernements bezogenem Rohholz in Ostpreußen hergestellt war. Die Verschiffung von russischem Getreide, von Zellstoff und sonst aus Rußland stammendem Bau- und Nutzholz machte mehr als die Hälfte bis zwei Drittel des Königsberger Seeexportes aus." Wie man auch aus diesen Angaben sieht, hätte Polen gar nicht viel über Königsberg zu exportieren, da der frühere Lieferant der Königsberger Waren nicht Polen, sondern die U k r a i n e war. Anhang

VII

(Seite 46)

Zorn Polnischen Kohlenexport Ein soeben erschienener Aufsatz von Dr. E r n s t J ü n g s t E s s e n in „Oberschlesische Wirtschaft" beziffert die Anteile der Lieferstaaten an der Kohlenversorgung von Schweden, Norwegen, Dänemark, Finnland, Lettland, Litauen, Estland wie folgt: Jahr i9 2 5 1926 1927 1928 1929 1930 i93i

Großbritannien 83.7 33.41) 52,8 43.8 51.0 44.0 31.8

Deutschland Polen in Prozenten 7.0 9.3 46.9 19.7 37.8 9.4 53.2 3.o 2,8 45.2 51.0 5.0 62,3 5.g

1) Englischer Kohlenstreik.

65

Anhang

VIII

(Seite 47) Donin-Markiewicz Dunin-Markiewicz stellt in seiner Schrift „Polen und sein Zugang zum Meere im Lichte der Geschichte, Ethnographie und Wirtschaft" den deutschen Transit zwischen Ostpreußen und dem Reiche dem polnischen Ex- und Import über Danzig und Gdingen gegenüber: Jahr 1928 1929 1930

deutscher Transitverkehr 1530000 1400000 1260000

~ Export über See: 10261000 11900000 11798000

Zu diesen Zahlen bemerkt Dunin-Markiewicz: „Als Korridor kann man nur das Gebiet ansehen, welches den engsten Teil des polnischen Pommern (deutsch Pommerellen) bildet, dessen Südgrenze die Linie Gamsee-Laskowitz-Konitz büdet." An dieser Statistik üben die „Ostlandberichte" (Nr. 1/2, 1932) mit Recht eine scharfe Kritik: „Wenn hier als Korridorverkehr zwischen Ostpreußen und dem Reich nur der Durchgangsverkehr auf den beiden nördlichen Durchgangslinien Konitz-Dirschau-Marienburg und Strebelino-Dirschau-Marienburg angesehen wird, so ist das eine völlig willkürliche Korrektur der Statistik, da dadurch die gesamten wichtigen südlichen Durchgangslinien: Deutsch-Eylau-Thorn-Bromberg-Schneidemühl, sowie Deutsch-Eylau-Posen-Rawitsch-Breslau ausgeschaltet werden. Selbst bei Ausschaltung der ehemaligen Provinz Posen aus dem Korridorgebiet durchschneiden die genannten Linien das Gebiet des früheren Westpreußen ganz oder teilweise. Stellt man nun dieser polnischen Rechnung die deutsche Güterbewegungs-Statistik z. B. für das Jahr 1928 gegenüber, so zeigt sich, daß der Gesamtverkehr, Ostpreußens nicht — wie hier von den Polen behauptet — 1530000 t, sondern 4481000 t betragen hat. Mit anderen Worten: Diese Statistik gibt 2051000 t weniger an, als der Verkehr tatsächlich betragen hat. Damit nicht genug: Nicht die Mengen — sondern die Wertzahlen des Verkehrs sind ausschlaggebend, d. h. welche Arten von Gütern transportiert

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werden. Nun ist aber der polnische Nord-Südverkehr durch den Korridor ganz bedeutend geringer an Wert als der Verkehr zwischen Ostpreußen und dem Reich. Es genügt, darauf hinzuweisen, daß die Polen-Ausfuhr von Ost-Oberschlesien nach Danzig und Gdingen allein rund 75% des polnischen Nord-Süd-Verkehrs darstellt, während die Transporte von Steinkohle, Koks usw. nur 42% des Verkehrs zwischen Ostpreußen und dem Reich betragen haben. Im ostpreußischen Verkehr spielen hochwertige Güter die wichtigste Rolle, während der polnische Eisenbahnverkehr sich außer aus Kohle vornehmlich auf Holz, Eisenerz, Schrot- und Kunstdünger beschränkt. Ganz deutlich wird die strukturelle Verschiedenheit des beiderseitigen Güterverkehrs und das Überwiegen des deutschen Ost-WestVerkehrs — wenn man nicht die Menge, sondern den Wert der Güter zugrundelegt —, wenn man in beiden Richtungen den Steinkohlenverkehr absetzt. Der Gesamt verkehr Polens mit Danzig und Gdingen ohne Steinkohle beträgt dann 2,6 Millionen t, der Durchgangsverkehr von und nach Ostpreußen dagegen 3,3 Millionen t. Dabei sind im polnischen Verkehr noch eine Reihe geringwertiger Massengüter (Erz, Schrott) enthalten. Anhang

IX

(Seite 49) Am 6. April 1929 veröffentlichte Herr v. B a t o c k i in der „Ostpreußischen Zeitung" an Herrn Srokowski folgenden Brief, der noch einmal die Frage: Ostpreußen-Polen grundsätzlich behandelt. „Geehrter Herr Srokowski 1 Ich habe Ihr Schreiben vom 10. März erhalten und daraus entnommen, daß Sie den „ganzen Prozeß der Verständigung Ostpreußens mit Polen nur in Verträgen sehen, welche mit größter Loyalität und Offenheit beider Parteien, d. i. Deutschland und Polen geführt würden". Wenn Sie unter solcher „Verständigimg" eine Art S o n d e r h a n d e l s v e r t r a g verstehen, so halte ich auch diesen Gedanken vom ostpreußischen Standpunkt nicht nur politisch, sondern auch wirtschaftlich für unannehmbar. Er könnte zwar für gewisse Industrie- und Handelskreise Vorteile bringen, würde aber für die gesamte ostpreußische Bauern- und Landarbeiterschaft und die von der Landwirtschaft abhängenden Gewerbe die Herabdrückung ihrer Lebenshaltung und Zivilisation auf die viel niedrigere Stufe der polnischen Wettbewerber herbei-

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führen, deren Wettbewerb mit dem ostpreußischen Produzenten durch den Vertrag begünstigt würde. Wenn Sie ferner äußern, daß außer mir „alle anderen am Pregel vom Verlangen nach einem künftigen Kriege mit Polen verzehrt werden", so ist das gänzlich falsch. Kein vernünftiger Mensch in Ostpreußen wünscht einen Krieg Deutschlands gegen Polen. Es nimmt auch niemand bei uns an, daß Polen einen „Krieg" im völkerrechtlichen Sinne zur Erhebung Ostpreußens beginnen wird. Die „Siegerstaaten", zu welchen sich Polen ja wohl auch rechnet, haben seit 1918 andere Methoden zur Eroberung fremder Gebiete angenommen: Als Insurgenten verkleidete Truppen rücken in das Gebiet ein, sie werden dort von einigen bestochenen Schuften, die sich in jedem Lande finden, als „Befreier" begrüße, ihre „friedfertige" Regierung lehnt jede Verantwortung für diese „Aktion" ab, behält aber das Gebiet und läßt sich seinen ewigen, rechtmäßigen Besitz vom Völkerbund bestätigen. Wir Ostpreußen wissen, daß viele Polen, angeregt durch gute Erfolge dieser Methode, auch gegenüber Ostpreußen ähnliche Pläne hegen. (Anspielung auf den Vorstoß des polnischen Generals Zeligowski gegen Wilna. D. V.) Wir zweifeln nicht, daß zur Vorbereitung solcher Pläne zurzeit polnisches Geld daran arbeitet, in Ostpreußen Beunruhigung und im Reiche Mißtrauen gegen Ostpreußen zu erregen. Diesem Zweck dient auch der offensichtlich auf polnische Spitzelarbeit zurückzuführende derzeitige Verleumdungsfeldzug gegen bekannte Ostpreußen, darunter mich, der bis nach Nordamerika hin ausgedehnt wird. Auch die völlig unberechtigte Erwähnung meiner Person in Ihrem Buche ist, wie ich annehme ohne Absicht, geeignet, solche Verleumdungen zu fördern. Gegen die in Deutschland erreichbaren Verbreiter solcher Gerüchte wird gerichtlich vorgegangen. Erfolg wird dieses Treiben gegen Ostpreußen nicht haben. Wir Ostpreußen sind entschlossen, etwaigen polnischen Versuchen zur Ausführung solcher Pläne mit derselben Kraft und wie wir zuversichtlich erwarten, auch mit demselben Erfolg entgegenzutreten, mit welchem unsere rheinischen Landsleute den mit Hilfe der französischen Besatzungstruppen durch bestochene Subjekte veranstalteten Separationsaufstand niedergeschlagen haben. Ich hoffe, daß unser Schriftwechsel, den ich hiermit als abgeschlossen betrachte, zur Klärung der beiderseitigen Auffassungen von Nutzen sein wird und bin mit gebührender Hochachtung ergebenst 68

gez. v. Batocki."

Anhang X (Seite 49) Aus einer Rede des Generallandschaftsdirektors v. H i p p e l auf dem 42. Deutschen Landwirtschaftlichen Genossenschaftstag am 4. Juli 1929 in Königsberg in Preußen. „Eine Beseitigung der Wirtschaftsnot Ostpreußens ist nur durch Beseitigung ihrer Ursache möglich d. h. der Abtrennung durch den Korridor. Es ist nützlich, das einmal klar auszusprechen, nicht auf Grund gefühlsmäßiger Erwägungen, sondern als das Resultat planmäßiger wissenschaftlicher Untersuchimg. Man mag über Geopolitik denken wie man will, hier bei der Abschnürung Ostpreußens liegt ein Schulfall für den Zwang geographischer Verhältnisse Vor, der zu einer Änderung führen muß, auch über Menschenwillen hinweg. Daher wäre Polen selbst mit einer Grenzanerkennimg durch eine deutsche Regierung nichts genützt, der Zwang der Änderung bliebe bestehen und würde sich über kurz oder lang doch auswirken. Für Polen ist der Korridor kein Faktor für eine glückliche Entwicklung, er ist ein Danaergeschenk, das absichtlich zwischen Nachbarn, die sonst friedlich nebeneinander leben könnten, dauernde Feindschaft setzen sollte. Für Ostpreußen ist die Verbindung mit dem Mutterlande eine Lebensnotwendigkeit und für das Mutterland der Wirtschaftsweg nach Osten ebenso. Wir müssen den Korridor wiederhaben und wir werden ihn schließlich einmal wieder haben. Wieder sage ich: Wirtschaftsgesetze sind stärker als Menschen und über solche Notwendigkeit rechtzeitig wirtschaftliche Verständigung zu finden, liegt im Interesse beider Teile und ist ein Gebot staatsmännischer Einsicht." Anhang

XI

(Seite 49) Ein erledigter Zoll-Yereinsplan Ostpreußen-Polen Von Dr. Fr. S i m o n , Syndikus a. D. der Königsberger Handelskammer Auf meine Bitte hat Herr Dr. Simon längere Ausführungen zu den von uns im Texte erwähnten polnischen Behauptungen über seine Denkschrift (vgl. S. 17 u. 48) gemacht. „Eine im Juli unmittelbar, nachdem Deutschland den Versailler Friedensvertrag angenommen hatte, von mit verfaßte, nicht für die 69

Öffentlichkeit, sondern lediglich für ostpreußische Wirtschaftsführer bestimmte Schrift „Ostpreußens künftige wirtschaftspolitische Beziehungen" scheint auf eine mir nicht bekannte Weise zur Kenntnis polnischer Kreise gelangt zu sein und wird dort, wie ich erfahre, als Vorspann für die polnische Annektionsabsichten auf Ostpreußen benutzt. Meine Schrift bezweckte im Gegenteil, einen Weg zu finden, um diese Annektionspläne zu vereiteln und das nach Abtretimg des Korridors vom übrigen Deutschland abgeschnürte, rings von Polen umklammerte Ostpreußen Deutschland dauernd zu erhalten, insbesondere dessen Polonisierung zu verhindern, bis der widernatürliche polnische Korridor beseitigt sein würde. Es genügt wohl, wenn ich folgende Stellen meiner Schrift wörtlich anführe: ,Ein verarmtes Ostpreußen wird über kurz oder lang die sichere Beute des Polentums, nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch. Daß wir politisch die Beute des Polentums werden, muß unter allen Umständen verhindert werden. Nur wenn Ostpreußen wirtschaftlich gedeiht, kann es politisch bei Deutschland bleiben; nur dann auch kann es eine Stütze, ein kräftiger Rückhalt werden für das Deutschtum in den Gebieten, die unter polnische Hoheit geraten.' .Ostpreußen hat die Pflicht, sich wirtschaftlich kräftig und damit politisch lebensfähig zu erhalten, bis der Tag erscheint, an dem der Rächer und Tilger deutscher Schmach ersteht aus unseren Gebeinen und ein neues Deutschland die verlorenen Brüder wieder eint von der Maas bis an die Memel. Ein wirtschaftlich verkommenes, abgeschnürtes Ostpreußen aber würde kraftlos versagen in jenem großen Augenblick.' Nach Untersuchung der Lage, wie sie sich unmittelbar nach Annahme des Friedensvertrages darstellte, kam ich allerdings zu der Ansicht, daß das abgeschnürte, von Polen umklammerte Ostpreußen, wenn es nicht nur, wie selbstverständlich, politisch ein Teil des deutschen Reichs, sondern zugleich im deutschen Zoll- und Handelsgebiet bleibe, bald zu verarmen und damit Polen politisch zu verfallen drohe. Als vorübergehendes Abhilfemittel erschien mir damals eine Zollunion zwischen Polen und Ostpreußen auf Grund des Artikel 82 der Verfassung von Weimar. In diesem Artikel 82 heißt es: „Aus dem Zollgebiet können nach besonderer Erfordernis Teile ausgeschlossen werden. Zollausschlüsse können durch Staats Verträge oder Übereinkommen einem fremden Zollgebiet angeschlossen werden.' 70

,So unsympathisch es auch an sich ist' — heißt es in meiner Schrift — ,man muß erwägen, ob es sich empfiehlt und erreichen läßt, auf Grund des Artikels 82 eine Art Zollverein Ostpreußens mit Polen zu schließen. Das soll kein staatsrechtlicher ewiger Bund sein, sondern lediglich eine internationale, periodisch kündbare — jeweils etwa 10 oder 12 Jahre dauernde — vertragsmäßige Vereinbarung. In diesen 10 oder 12 Jahren kann sich viel ändern — auch in politischer Hinsicht. — Zu verwerfen ist jede Vereinbarung mit Polen, die zwischen diesem Lande und Ostpreußen eine Freizügigkeit der Personen und politischen Ideen und damit die Gefahr der Verpolung Ostpreußens zur Folge hat. Erstrebenswert kann nur eine Freizügigkeit von Waren sein.' Was mir vor 1 3 J a h r e n als ernstlich zu erwägendes, wenn auch unsympathisches vorübergehendes Abhilfemittel erschien, habe ich schon bald darauf nicht mehr f ü r nötig gehalten und — offen eingestanden — als verfehlt erkannt. Die seitdem verflossene Zeit hat gezeigt, daß, wenn Reich und Staat sich Ostpreußens nach Kräften annehmen, die bedrohte Provinz trotz Korridor Deutschland erhalten bleiben kann und daß, auch wenn kein Korridor bestünde, oder wenn eine Zollunion PolenOstpreußen zustande gekommen wäre, ein sehr großer Teil der wirtschaftlichen Nöte Ostpreußens nicht beseitigt worden wäre. Um in unserer schnellebigen und leicht vergeßlichen Zeit zu verstehen, wie der Gedanke einer solchen Zollunion überhaupt entstehen konnte, will ich kurz an der Hand meiner Schrift die sehr bedrohliche Lage Ostpreußens schildern, wie sie sich im Juli 1919 darstellte. Wertvolle Teile der Provinz im Süden und Norden (Memelland) waren ohne Volksabstimmung abzutreten. In einigen Teilen des Regierungsbezirks Marienwerder rechts der Weichsel und im Regierungsbezirk Alienstein sollte erst eine Volksabstimmung über deren Verbleib bei Deutschland entscheiden. Selbst bei dem erhofften, für Deutschland günstigen Ausfall der Volksabstimmimg konnte das verstümmelte Ostpreußen ein eigenes Wirtschaftsgebiet für sich nicht bilden. Auf dem Seeverkehr über Königsberg allein aber konnte und kann das durch den Korridor vom übrigen Deutschland abgeschnittene Ostpreußen den wirtschaftlichen Zusammenhang mit dem deutschen Reich nicht aufrecht erhalten. Der Durchgang durch den Korridor war abhängig von dem Inhalt der Vereinbarung, die nach dem Friedensvertrag binnen Jahresfrist mit Polen getroffen werden sollte. Was in jener Vereinbarung zu erreichen war, blieb außerordentlich zweifelhaft. Die in dieser 71

Hinsicht damals vorhandenen bangen Befürchtungen wurden zunächst bestätigt durch die Verhältnisse, die unmittelbar nach der Besetzung Westpreußens durch polnische Truppen eintraten. Die wichtigste ostdeutsche Eisenbahnstrecke Berlin-Konitz-Königsberg wurde für die Provinz Ostpreußen gesperrt. Nur nach Danzig durfte über DirschauKonitz ein Schnellzug verkehren. Die Zahl der Züge wurde herabgesetzt. Von 31 D- und Personenzügen im Sommer 1914 auf 6, der Güterverkehr von 30 Güterzügen auf 13 täglich. Dieser stark zusammengepreßte Verkehr wurde obendrein durchweg auf dem Umweg über Stettin-Lauenburg-Danzig abgelenkt. Andere Erschwernisse des Verkehrs, insbesondere Paßzwang und lästige Revisionen, wurden eingeführt. Im Post- und Telegraphenverkehr waren die Einschränkungen ebenso erschwerend. Jede kaufmännische Arbeit wurde durch die schlechten Verkehrsverhältnisse fast unmöglich. Nach dem Friedensvertrag war sogar zweifelhaft, ob die Staatseisenbahnverwaltung noch in der Lage war, wenigstens zur Erleichterung des Verkehrs über den Seehafen Königsberg Ausnahmetarife zu behalten oder neu zu erstellen. Es war bereits 1919 die Frage aufgetaucht, ob nicht auf Grund des Artikels 365 die Entente verlangen konnte, daß jeder billige Tarif selbst von lediglich provinzieller oder örtlicher Bedeutung für Ostpreußen auch der Entente für ihre Waren bei der Einfuhr über Stettin oder über Westdeutschland zu gewähren sei. Es war nach dem Friedensvertrag unsicher, ob die wichtigsten ostpreußischen Industriezweige, beispielsweise die Holzindustrie, ihre nötigen Rohstoffe, auf deren Bezug aus Rußland auf dem Memelstrome sie vor dem Kriege angewiesen waren, künftig würden erhalten können. Für andere Wirtschaftszweige entstand durch die Abtretung Westpreußens und Posens große Erschwernis des Absatzes, der nun nach den entfernteren Gebieten aufgesucht werden mußte. Besonders bedrohlich und vielleicht geradezu ruinös für Ostpreußen erschienen die Vorschriften des Artikels 268 b des Friedensvertrages, wonach während dreier Jahre die Natur- und Gewerbeerzeugnisse aus den an Polen abgetretenen Gebietsteilen ohne Gegenseitigkeit zollfreien Eingang in Deutschland hatten. Außerordentlich gefährdet erschien namentlich der Seehandel Königsberg, dessen wichtigster Handelszweig früher die seewärtige Verschiffung von Getreide, Hülsenfrüchten, Saaten und Sämereien war. Das verschiffte Getreide bestand vor 1914 durchschnittlich zu % aus ostpreußischen, zu a/8 aber aus russischem Erzeugnis, und zwar war die Ukraine das russische Hauptzufuhrgebiet, von wo es auf der Eisenbahn bezogen wurde. Die Eisenbahnen zwischen der Ukraine und Königsberg aber führten nunmehr durch das Gebiet des neuen polnischen Staates, auf

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dessen Wohlwollen bei der Tarifgestaltung man angewiesen war, um überhaupt wettbewerbsfähig bleiben zu können. Durch ihre natürliche geographische Lage sind Danzig und Memel Wettbewerber Königsbergs beim Bezug von Waren aus dem Gebiete des früheren russischen Reichs, und zwar Memel hauptsächlich in bezug auf Rohholz und Danzig in bezug auf Getreide. Bis zum Kriegsausbruch bestanden vertragsmäßige Abmachungen mit Rußland, welche den drei deutschen Häfen Königsberg, Danzig und Memel für diesen Verkehr gleiche tarifarische Behandlung mit den russischen Wettbewerbshäfen der Ostsee und für die genannten Häfen untereinander sicherten. Diese Sicherung bestand infolge der neuen Staatenbildung im Osten jetzt nicht mehr. Somit lag die Gefahr einseitiger Begünstigimg Danzigs und Memels insbesondere durch Polen unter schwerer Schädigung Königsbergs vor, zumal der Freistaat Danzig nach dem Friedensvertrag in eine dauernde Zollunion zu Polen treten sollte. Schwerwiegend erschien ferner der Umstand, daß hiernach die an Polen abgetretenen und mit ihm zollvereinten Gebiete nicht nun in Deutschland, sondern überall Meistbegünstigung genossen, die Deutschland versagt blieb. In dieser Beziehung war besonders nachteilig die durch den Friedensvertrag geschaffene handelspolitische Diskriminierung Deutschlands. Während fünf Jahre war Deutschland unbedingt seiner handelspolitischen Selbständigkeit beraubt, weil es ohne Gegenleistung der Entente unbedingt die Meistbegünstigung zu gewähren hatte. Hierzu kam noch eine Reihe anderer wirtschaftlicher Erschwernisse gegenüber Deutschland. Bei einem Zollverein mit Ostpreußen hätte Polen bei seinen wirtschaftspolitischen Maßnahmen auf Ostpreußen Rücksicht nehmen und nicht allein den Seehafen Danzig begünstigen können. Auch Mißbräuche der erwähnten dreijährigen Zollfreiheit hätten sich alsdann am leichtesten hindern lassen. Demgegenüber hätte Ostpreußen beim Ausscheiden aus dem deutschen Zoll- und Handelsgebiet für seinen Absatz nach dem Reich den deutschen Eingangszoll und für seine Warenbezüge aus dem übrigen Reich den polnischen Eingangszoll entrichten müssen. Aber diese Frage erschien zunächst nicht als besonders bedeutungsvoll, weil der Absatz Ostpreußens nach dem übrigen Deutschland im wesentlichen aus Getreide und anderen landwirtschaftlichen Erzeugnissen bestand und das durch die englische Blockade ausgehungerte Deutschland, das schon während des Krieges die Getreidezölle aufgehoben hatte, an deren Wiedereinführung zunächst nicht denken konnte. Die Dinge haben zu einem erheblichen Teil einen anderen Verlauf genommen, als im Juli 1919 vielfach in Ostpreußen befürchtet wurde.

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Insbesondere ist es gelungen, in den in Paris 1920/21 stattgehabten Verhandlungen mit Polen über die Regelung des freien Durchgangsverkehrs zwischen Ostpreußen und dem übrigen Deutschland, an denen ich als Mitglied der deutschen Abordnung teilgenommen habe, zu einem am 2 1 . April 1 9 2 1 unterzeichneten Abkommen zu gelangen. Für den durch die Abschnürung Ostpreußens vom Reich e i n g e s c h r u m p f t e n W a r e n - u n d P e r s o n e n v e r k e h r werden die genügende Anzahl durchgehender Züge gestellt. Versender und Empfänger von Waren haben keine Förmlichkeiten zu erfüllen, wie sonst beim Verkehr durch ausländisches Gebiet vorgeschrieben sind. Alle nötigen Zollformalitäten besorgt, die Eisenbahnverwaltung. Tarifarisch stellt sich sowohl für die Personen- als für den Güterverkehr die Sache so dar, als ob die durchfahrene polnische Strecke deutsches Gebiet wäre, auf der auch die im übrigen Deutschland geltenden Tarife zur Anwendung kommen. Die die durchgehenden privilegierten Züge benutzenden Reisenden unterliegen danach keinem Paßzwang und keiner Zollrevision, aber der W a r e n v e r k e h r h a t sich d o c h d u r c h d a s B e s t e h e n der K o r r i d o r g r e n z e n v e r l a n g s a m t . Ähnlich ist der Postverkehr geregelt. Für den Telegraphen- und Fernsprechverkehr ist im übrigen Ostpreußen nötigenfalls ganz unabhängig von Linien, die durch den Korridor führen, durch die Seekabel geworden, die die Deutsche Postverwaltung unter großem Kostenaufwand zwischen Pommern und Ostpreußen sich zu legen gezwungen sah. Um Ostpreußen nicht gar zu sehr unter der Abschnürung leiden zu lassen, sah sich das Reich genötigt, freilich mit großen Kosten im Rahmen der Ostpreußenhilfe, eine Frachterleichterung im Eisenbahnverkehr in verschiedenen Formen zu bewähren. Auch die dreijährige Zollfreiheit der an Polen abgetretenen Gebiete ist nicht so schädigend ausgefallen wie befürchtet wurde, weil das ausgehungerte Deutschland, wie erwähnt, Lebensmittelzufuhren dringend brauchte und einstweilen keine Getreideschutzzölle hatte. Die fünfjährige handelspolitische Diskriminierung Deutschlands hat zwar zunächst die Wiederbelebung des deutschen Außenhandels erschwert, aber doch nicht verhindert. Nach dem Friedensvertrag hatte die Entente Blankovollmacht über das abgetretene Memelland. Daß dieses kleine Land mit irgendeinem größeren Gebiet zollvereint würde, lag auf der Hand. Das Schicksal Litauens war damals noch ungewiß. Ich hielt es aber für wahrscheinlich, daß Litauen und das Memelland in irgendeiner Art Zollunion zu dem neuen polnischen Staat treten würde. Damit wäre allerdings die wirtschaftliche Umklammerung Ostpreußens durch Polen vollständig geworden. Schon meine Schrift betont, daß die Sachlage

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und damit der Plan einer vorübergehenden Zollunion Ostpreußen-Polen durch eine vollkommene politische und wirtschaftliche Selbständigkeit Litauens sich wesentlich ändern könnte. Litauen ist aber seitdem ein vollständig selbständiger Staat geworden und befindet sich seit dem erfolgreichen polnischen Handstreich auf Wilna in latentem Kriegszustand mit Polen, der durch die Sperrung des Memelstromes auch zu einer Unterbindung der Holzzufuhr für die ostpreußische Holzindustrie längs des Memelstroms und in Königsberg geführt hat. Aber auch Strukturänderungen in der östlichen Holzwirtschaft haben dazu geführt, daß die ostpreußischen Schneidemühlen nicht mehr den nötigen Rohstoff aus den östlichen Staaten erhielten und großenteils stillgelegt werden mußten. Talwärts gingen im Jahre 1913 am Grenzpunkt Schmalleningken 694000 t Holz in Ostpreußen ein. 1930 kamen auf diesem Wege kaum 30000 t. Der Rückgang des von Königsberg seewärts verschifften Bau- und Nutzholzes von 170000 Tonnen im Durchschnitt der drei letzten Vorkriegsjahre auf 190001 im Jahre 1931 wäre somit auch durch eine ostpreußischpolnische Zollunion nicht verhindert worden. Die einseitige Begünstigimg des Seehafens Danzig durch Polen in den ersten Jahren nach Friedensschluß ist allerdings eingetreten und hätte vielleicht verhindert werden können durch die Zollunion Ostpreußen-Polen. Aber nur für wenige Jahre. Seitdem ist die treibhausartige Begünstigung des neu erbauten polnischen Hafens Gdingen erfolgt. Ein mit Polen zollvereintes Ostpreußen würde nunmehr darüber ebenso lebhafte Klagen führen wie Danzig. Der seewärtige Güterumschlag betrug: Gdingen . . . Danzig . . . . Königsberg . .

i9 J 3 — 2270000 1856000

1931 5300000 t, 8330000 t, 1633000 t.

Aus diesen Darlegungen bitte ich nicht zu folgern, der Polnische Korridor wäre nur politisch, nicht auch wirtschaftlich ein Stachel in unserem Fleische. Der gegenwärtige wirtschaftliche Notstand ist wohl nirgends in Deutschland so groß, wie gerade in Ostpreußen. So verfehlt es wäre, dieses nur auf die räumliche Abschnürung Ostpreußens zurückzuführen, weil gegenwärtig andere, hauptsächlich weltwirtschaftliche Ursachen dafür maßgebend sind, so ist es doch kein Zweifel, daß der unnatürliche Polnische Korridor auch auf wirtschaftlichem Gebiete dauernd schädigend wirkt. Dieses

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gilt namentlich für die Kreditversorgung Ostpreußens. Es bleibt daher nationales Gebot für Reich und Staat, Ostpreußen, das deutsch ist und deutsch bleiben will, nach Möglichkeit wirtschaftlich zu stützen. Selbstverständlich liegen freundliche und wirtschaftliche Beziehungen Deutschlands zu Polen, Rußland und allen Oststaaten im gesamtdeutschen Interesse. Wie die Erfahrung der Vergangenheit lehrt, endigen Zollkriege und andere handelspolitische Feindseligkeiten selten mit einem Sieger und einem Besiegten, sondern mit zwei Geschädigten. In einem Punkte herrscht in Deutschland allgemeine Übereinstimmung: Der Polnische Korridor ist ein auf die Dauer unmöglicher und unerträglicher Zustand.

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Polens Kampf gegen seine nichtpolnischen Volksgruppen. Von Stanislaus Mornlk. Mit 6 Karten. Oktav. 150 Seiten. 1931.

RM 9.— Ein gediegenes, kenntnisreiches, in der Kritik maßvolles und durch Tatsachen wirkendes Buch, das jedem, der an diesen Dingen Anteil nimmt, und wer sollte es nichtI, warm empfohlen werden kann." Der heimattreue Ost- und Westpreufie. Das Grenzlanddeutsch tum. Mit besonderer Berücksichtigung seines Wirtschafts- und Soziallebens. Von Dr. Karl C. Thalhelm. Mit 8 Textkarten. 148 Seiten. (Sammlung Göschen Bd. 1026.) 1631. Geb. RM 1.62

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