Norwegische Kirchenkunde [Reprint 2019 ed.]
 9783111729541, 9783111187556

Table of contents :
Inhaltsverzeichnis
Geschichtliche Einleitung
I. Die Verfassung der Kirche
II. Die Geistlichkeit
III. Der Gottesdienst
IV. Die kirchliche Verkündigung
V. Kirche und Schule
VI. Innere und äußere Mission
Schlußbemerkungen
Anhang I. Auszug aus einem Vorschläge für ein Verfassungsgesetz für die norwegische Kirche
Anhang II. Die drei Perikopenreihen der norwegischen Kirche

Citation preview

Studien zur praktischen Theologie in Verbindung mit Professor D.

Karl Eger

D. Dr.

und

Direktor b. prebigersem. in Zriebberg

Martin ächian

o. Professor an der Universität Gießen

heraurgegeben von 4. Band

D. Dr. dar! dienten ao. Professor an bet Universität Bonn

heft 3

Kirchenkunde des evangelischen Auslandes n

Norwegische Nirchenkunde von

Marcur Gjessing Pfarrer in Storb (Norwegen)

übersetzt von Zrau Borghild Hölscher

Gießen 1911 Verlag von Alfred Töpelmann (vormals I. Ricker)

Druck von L. G. Röder G. m. b. t)., Leipzig.

Inhaltsverzeichnis. Seite

Geschichtliche Einleitung..........................................................................................

I.

Die Verfassung derKirche..............................................................................

II. Die

1

3

Geistlichkeit......................................................................................................11

III. Der Gottesdienst.................................................................................................. 16 IV. Die

kirchliche Verkündigung........................................................................... 25

V. Kirche und Schule................................................................................................... 30

VI. Innere und äußere Mission.................................................................................. 34

Schlußbemerkungen....................................................................................................... 42

Anhang I. Auszug aus einem Vorschläge für ein Verfassungsgesetz für die norwegische Kirche................................................................................................... 44

Anhang II. Die drei Perikopenreihen der norwegischen Kirche.................

47

Einleitung.

1

Geschichtliche Einleitung. Vie norwegische evangelisch-lutherische Kirche ist eine Tochter der dänischen Kirche. Seit alter Zeit sind Norwegen und Dänemark unter einem Könige vereinigt gewesen, jedes Land jedoch als ein für sich selbständiges Reich mit seinen eigenen Staatseinrichtungen und seiner eigenen Kirchenord­ nung. Ursprünglich hatte auch Schweden an dieser Union teilgehabt, war aber 1523 aus derselben ausgeschieden. IHit Christian III. änderte sich das Verhältnis: als er dänisch­ norwegischer König wurde, gab er dem Drängen des dänischen Rdels nach und unterzeichnete eine handfeste, wonach Norwegen fortan nur als dänische Provinz galt; es sollte „künftig kein Königreich weder sein noch heißen, sondern ein Glied des Reiches Dänemark für ewige Seiten". Rls solches mußte Norwegen auch in kirchlicher Hinsicht dem „Mutterlande" folgen. Das war gerade um jene Seit, als Luthers Lehre in Dänemark bekannt geworden war; so wurde damals, als Norwegen seiner Selb­ ständigkeit beraubt wurde, auch die neue Kirchenlehre in beiden Landen eingeführt (1536). Bis 1814 dauerte die politische Demütigung Nor­

wegens, und diese ganze Zeit hindurch haben die dänischen Verord­ nungen in Norwegen Gültigkeit gehabt. Infolgedessen sind damals auch die Kirchen beider Länder, die, nach dem gleichen Prinzip ge­ gründet, auf denselben Gesetzen aufgebaut und nach den gleichen Satzungen ausgestaltet waren, fest zusammengewachsen. Und wie die Kirche, so auch die Schule. (Es war natürlich, daß, als Norwegen im Jahre 1814 zu neuem, selbständigem nationalen Leben wiedergeboren wurde, anfangs von einer durchgeführten Reformation auf allen Gebieten nicht die Rede sein konnte. Teils hatte man nicht die Männer dazu, teils war auch das Volk noch nicht reif, um mit einem Schlage in ganz neue Verhältnisse eingeführt zu werden. Man mußte vorderhand mit der politischen Befreiung zu­ frieden sein und im übrigen die Dinge in allem Wesentlichen nehmen, wie sie waren. So lebte sich Norwegen in die neuen Verhältnisse ein,

2

Gjessing, Norwegische Rirchenkunde.

indem es die von Dänemark ererbte Rirchen- und Schulordnung bei­

behielt. während nun die Rirchenordnung verhältnismäßig befriedigend genannt werden kann, so war dies mit der Schulordnung nicht der Fall. Man hatte das schon geraume Zeit vor der Trennung der zwei Reiche empfunden und deshalb bereits in Dänemark eine königliche Rommission eingesetzt, welche Vorschläge zur Verbesserung des Schul­ wesens ausarbeiten sollte. Lange Zeit wurde hieran gearbeitet, ehe eine endgültige Änderung vor sich gehen konnte. HIs am Ende die neue Volksschulordnung im Jahre 1814 herauskam, da waren die Reiche mittlerweile getrennt worden, so daß nun die Verbesserung nur Dänemark zugute kam; in Norwegen dagegen behielt man die alte unbefriedigende Erbschaft, bis die Verhältnisse auch hier eine Revision des Schulwesens gestatteten. Und zwar geschah das in betreff der ländlichen Volksschule 1827, in betreff der städtischen Volksschule erst 1848; bei dieser Gelegenheit wurde auch das höhere Schulwesen neu gestaltet, dessen Ordnung auch aus der dänischen Zeit stammte. während so Norwegen im Schulwesen verhältnismäßig früh ge­ nötigt war, sich neue Bahnen zu brechen, ging man auf kirchlichem Gebiete fast ganz in den alten Geleisen weiter. Das norwegische Volk ist in kirchlichen Dingen durchaus konservativ gesinnt, und obgleich im vergangenen Jahrhundert sowohl in der kirchlichen Gesetzgebung als in den rituellen Ordnungen allerlei Veränderungen vorgenommen worden sind, so ruht doch die norwegische Rirche noch heutigentags im großen und ganzen auf der alten dänischen Grundlage, wenn also jetzt ein ziemlich großer Unterschied zwischen den Rirchenverfassungen beider Länder besteht, so sind daran viel mehr die neuen dänischen Rirchengesetze von 1903, als die bei uns vorgenommenen Änderungen schuld. Ich kann die geschichtliche Entwicklung hier nicht weiter verfolgen. Rleine Aufgabe in dieser kurzen Arbeit ist es, einen Überblick über die gegenwärtige Lage der norwegischen Rirche zu geben. Ich habe diese geschichtlichen Dinge nur darum berührt, um die mancherlei Ähnlich­ keiten wie Unterschiede zwischen beiden Rirchen anzudeuten.

I. Die Verfassung der Kirche.

3

I. Die Verfassung der Kirche. 3m Grundgesetze des Königreichs Norwegen § 2 heißt es u. a.: „Die evangelisch-lutherische Religion bleibt1 die öffentliche Religion des Staates." Vie Kirche ist also eine Staatskirche. 3hr Prinzip ist das Territorialspstem mit dessen leitendem Gedanken: jurisdictio ecclesiastica est pars civilis imperii (die kirchliche Jurisdiktion ist ein Teil der staatlichen Gewalt)? Wenn also die Kirche als eine evangelisch­

lutherische Gemeinschaft Staatskirche ist, so bedeutet dies, daß der Staat als solcher konfessionell gebunden ist. Selbstverständlich muffen seine Vertreter, auch sein oberster Repräsentant, der König, sich zur evan­ gelisch-lutherischen $orm des Christentums bekennen. Grundsätzlich kon­ zentriert sich die ganze kirchliche Gewalt in der Person des Königs. Vies ist jedoch nach der beschränkt monarchischen Regierungsform Nor­

wegens nur nominell der Fall, indem alle dem König beigelegte Macht durch seinen Staatsrat (die Regierung) ausgeübt wird, in welchem wiederum das Kirchen- und Schulwesen dem sogenannten Kirchenminister unterstellt ist. Jedoch haben die parlamentarischen Verhältnisse in Nor­ wegen sich nach und nach dahin entwickelt, daß das Storthing (die

Nationalversammlung), welches auch sonst in kirchlicher Hinsicht die ge­ setzgebende und bewilligende Macht besitzt, tatsächlich auch die oberste administrative Gewalt geworden ist, weil gegen die Entscheidungen und Anordnungen der Regierung stets von dem Storthing durch eins seiner Mitglieder Berufung eingelegt werden kann. Das Storthing wird so immer irgend einen Weg finden können, auf dem es einen solchen po­ litischen Druck aus den betreffenden Zachminister oder den gesamten Staatsrat ausüben kann, daß die schließliche Entscheidung doch dem Wunsche des Storthings entspricht. Dies wird zwar im allgemeinen als eine selbstherrliche Überschreitung der Befugnisse des Storthings *) Der Ausdruck „bleibt" ist bei den wiederholten Revisionen und Ab­ änderungen des Grundgesetzes stehen geblieben. Das Grundgesetz stammt in seinen Grundzügen von 1814, und der Ausdruck bezog sich damals auf dar Verhältnis, wie es unter der Verbindung mit Dänemark bestand. -) vgl. I. H. Böhmer, Jus ecclesiasticum protestantium 1, 1714, 746.

4

Gjessing, Norwegische Kirchenkunde.

angesehen werden und wird ja auch nur in seltenen Fällen wirklich geschehen, aber die Praxis hat sich doch dahin entwickelt, datz man auch im Verhältnis von Kirche und Staat mit dem Storthing als der schließlich entscheidenden Zentralgewalt rechnen mutz? 3m allgemeinen freilich stellt sich das Verhältnis so, datz das Storthing die gesetzgebende und bewilligende Macht, die Regierung (durch den Rirchenminister) die

administrative und im großen und ganzen auch die ausübende Macht besitzt, da alle vom Storthing gefaßten Beschlüsse durch die Regierung verwirklicht werden. Vie Rirche als solche hat keine eigene durch das Gesetz bestimmte kirchliche Vertretung, durch die sie auf die Behandlung Kirchlicher

Fragen durch die staatlichen Behörden Einfluß ausüben könnte. Mehr­ fach ist eine Änderung in dieser Beziehung vorgeschlagen und 1892 ein dahingehender Antrag auch wirklich dem Rirchendepartement vor­ gelegt worden, aber ohne Erfolg. 3n weiten Kreisen der Kirche hat dies ziemliche Unzufriedenheit geweckt, welche schließlich ihren Ausdruck fand in einem 1908 vorgelegten Entwürfe zu einem „Verfassungsgesetz für die norwegische evangelisch-lutherische Volkskirche"; derselbe ist, soweit ich sehe, im wesentlichen auf Grund des schottischen Systems (freie Kirche im freien Staate) ausgearbeitet, aber verschiedentlich dem rein freikirch­ lichen System angepaßt. *2 Anläßlich dieses Entwurfes haben Regierung und Storthing gemeinschaftlich eine Kirchenkommission eingesetzt, welche den Auftrag erhalten hat, einen Vorschlag zu einem neuen Kirchengesetze auszuarbeiten. Ls ist nicht wahrscheinlich, daß man dem in dem er­ wähnten „Entwürfe" gezeigten Wege folgen wird; aber daß jetzt die Kirche in kurzer Zeit ihre eigene Vertretung den Staatsbehörden gegenüber er­ halten wird, darf wohl als wahrscheinlich betrachtet werden, vielleicht auch, daß der Kirche in ihren eigenen Angelegenheiten eine gewisse Selbstverwaltung gegeben wird. Doch kann im gegenwärtigen Augen­ blick noch nichts darüber ausgesagt werden, datz eine sich „unter staatlicher Kontrolle selbstoerwaltende Volkskirche" in irgendwelcher Form gegründet werden wird. Vas gegenseitige Verhältnis zwischen Staat und Kirche ist früher organischer gewesen als jetzt. Jeder Zugang zu irgendeinem Verwal­ tungsposten hing davon ab, ob der Betreffende durch Taufe und Kon­ firmation zur Staatskirche gehörte; keine Ehe wurde als rechtsgültig angesehen, die nicht durch kirchliche Trauung geschloffen war usw. Den

x) (Es ist z. B. noch im Laufe der letzten Jahr« vorgekommen, datz gegen die Verweigerung eines Urlaubsgesuches durch einen Bischof beim Storthing Einspruch erhoben worden ist. 2) Eine Übersicht über diesen Entwurf ist im Anhang l mitgeteilt.

I. Die Verfassung der Kirdje.

5

geistlichen Behörden waren dafür gewisse bürgerliche Amtspflichten auf­ erlegt (z. B. die Leitung öffentlicher Wahlhandlungen). Das Verhältnis ist jetzt dahin geändert, datz die Kirche als ein ganz selbständiger und besonderer Verwaltungszweig abgetrennt ist. 3u den allermeisten Ämtern (abgesehen von Kirche und Schule) steht der Zugang offen, unabhängig von der Stellung des Einzelnen zur Kirche; Ehen können auch auf bürgerlichem Wege geschloffen werden. Die Geistlichen haben keine Amtspflichten mehr über das hinaus, was ihre rein kirchliche Stellung anbetrifft, abgesehen davon, daß sie noch immer verpflichtet sind, allerlei statistische Angaben zu machen, deren Zusammenhang mit ihren geistlichen Verrichtungen nicht einzu­ sehen ist/ Eine einzige Institution ist noch übriggeblieben als Erinnerung an den einstigen organischen Zusammenhang der Kirche mit der allgemeinen Verwaltung; das ist die kirchliche „Oberaufsicht", welche aus Stifts­ amtmann und Bischof besteht und welche die sogenannte Stiftsdirektion bildet. Jedes Stift (Bistum) hat seine eigene Stiftsdirektion, hier ist sogar der Zivilbeamte (der Stiftsamtmann) Vorsitzender und hat ge­ gebenenfalls die ausschlaggebende Stimme. Die Stiftsdirektion stellt gewisse kirchliche Subalternbeamte (u. a. die Organisten) an und ge­ nehmigt Verordnungen und Anweisungen für dieselben. Sie hat auch die Oberaufsicht über die Pfarrhöfe und die Kirchengebäude. Dagegen hat der Bischof allein die Oberaufsicht über alles, was die praktisch-geistliche Amtstätigkeit anlangt. Die Verfassung der Kirche ruht auf Jahrhunderte alter Gesetz­ gebung. Die Grundbestandteile der kirchlichen Verfassungsgesetze sind noch heute das sogenannte Kirchenritual von 1685 und das „Nor­ wegische Gesetz" König Christians V. von 1687. Das Gesetzbuch stellt u. a. die Bekenntnisschriften der norwegischen evangelisch-lutherischen Kirche fest; es sind außer „der heiligen Biblischen Schrift" die drei ökumenischen Symbole, die „ungeänderte" Augsburgsche Konfession von 1530 und Luthers kleiner Katechismus. Line jede eventuelle Verände­ rung in bezug auf die Bekenntnisschriften mutz natürlich durch Gesetz­ gebung geschehen, und es ist Pflicht der staatlichen Behörden, darauf zu achten, daß die gesetzlichen Bekenntnisschriften wirklich die Grund­ lage für alle kirchliche Ordnung bilden, und daß sie zu jeder Zeit auch die Grundlinien der kirchlichen Verkündigung bleiben. Der Pastor ist ein Beamter des Staates, und bei seiner Ordination legt er einen Lid darauf ab, daß er „die göttliche Lehre, die in den prophetischen und x) 3. B. Angaben über den mutmaßlichen Durchschnittspreis gewisser Korn­ sorten im Jahre.

6

Gjessing, Norwegische Kirchenkunde.

apostolischen Schriften1 und in den symbolischen Büchern der norwegischen Kirche enthalten ist, treu verkünden will". Der Sinn dieser Worte der sogenannten „Priestereides" ist gewiß der, daß „die göttliche Lehre" so verkündet werden soll, wie sie in der heiligen Schrift und - dar­ gestellt und erklärt - in den symbolischen Büchern der Kirche vorliegt. Jede Abweichung hiervon müßte also eigentlich wie ein gewöhnliches Amtsvergehen betrachtet und demnach durch die von den Staatsbehörden beauftragte Behörde bestraft werden. Nachdem jedoch das Prinzip der Religions- und Glaubensfreiheit den Geist unserer Zeit immer mehr durchdrungen hat, ist man allmählich, unmerklich, zu einer anderen Praxis gekommen, welche in den letzten Jahren, wenigstens in gewissem Grade, von den Staatsbehörden stillschweigend anerkannt worden ist. (Es ist notwendig hierauf etwas näher einzugehen, um die ver­ pflichtende Kraft der Bekenntnisschriften innerhalb der norwegischen Kirche in ihrem Verhältnis zu den Staatsbehörden zu beleuchten. 3n der Tat haben die norwegischen Pastoren jetzt eine ziemlich weitgehende konfessionelle Freiheit, und es scheint, als ob die Worte des „Priester­ eides", obwohl darüber nichts gesagt worden ist, von seiten der Pastoren, wie von seiten der Staatsbehörden, so verstanden werden, daß der Geistliche dasjenige in der heiligen Schrift und in den symbolischen Büchern der Kirche verkünden soll, was göttliche Lehre ist, und daß es im wesentlichen den einzelnen Pastoren überlassen wird, selbst aus­ zumachen, was als Gottes Wort angesehen und was als Worte rein menschlichen Ursprungs aufgefaßt werden soll. Ich führe einen einzelnen typischen Fall aus der jüngsten Zeit an: (Em Pastor sprach sich über die Gottheit Christi öffentlich dahin aus, daß sie nicht metaphysisch, nicht als etwas ursprünglich zum Wesen Jesu Gehöriges, sondern als etwas Akzidentelles zu verstehen sei, indem Gott durch besondere Gnade den Menschen Jesus von Nazareth inspiriert habe, wodurch er in höherem Grade als irgendein anderer Mensch und in ganz eigenartiger Weise von Gott erfüllt worden sei -, in ausdrücklichem Gegensatze zum Athanasianum. ferner stellte er den Bericht der Evangelien über die jungfräuliche Geburt und die Auferstehung als sagenhafte Ausschmückung des Lebens Jesu von Nazareth dar. Erlösend sei sein Leben und sein wirken vor allem durch seine Lehre von Gott und durch das Beispiel eines Gott wohlgefälligen Lebens, das er den Menschen hinterlassen habe. Auch in der Sakramentslehre wich er von der konfessionellen Auffassung ab, indem er die Sakramente symbolisch deutete. x) Die apokryphen Schriften sind in den norwegischen Bibeln gewöhnlich nicht mit ausgenommen und gehören jedenfalls nicht mit zur offiziell aner­ kannten Bibel.

I. Die Verfassung der ltirche.

7

Dies waren so wesentliche Abweichungen von den kirchlichen Be­ kenntnisschriften, daß es notwendigerweise Beunruhigung in den kirch­ lichen Lagern Hervorrufen mußte, natürlich besonders in den konserva­ tiven Breisen, von deren Seite sich eine heftige Bewegung gegen jenen Pastor erhob; man verlangte, daß die Behörde rechtlich gegen ihn ein­ schreite und ihn absetze. Er wurde denn auch aufgefordert, freiwillig um seinen Abschied einzukommen, ging aber nicht darauf ein. Das Ergebnis des Streites, der die federn aller Uirchenbehörden und allen Scharfsinn der Juristen in Bewegung gesetzt, ja einem Rirchenminister seine politische Existenz gekostet hatte, war schließlich dies, daß der Pastor in seinem Amte blieb und sein ungehindertes Recht zu allen geistlichen Funktionen zurückerhielt, welches ihm kurz vorher mit Hilfe des Bischofs und des Departements stark beschnitten worden war. Es hat früher ein besonderes geistlich-ziviles Gericht (das soge­ nannte Propstgericht) gegeben. Dieses ist niemals ausdrücklich abgeschafft worden, mußte aber durch die Praxis und die spätere Strafgesetzgebung als aufgehoben betrachtet werden. Man schreckte davor zurück, eine Sache dieser Art vor ein rein ziviles Gericht zu bringen — gewiß im letzten Grunde deshalb, weil man den versuch für unnütz hielt, auf diesem Wege einen verurteilenden Richterspruch gegen den Pastor zu erhalten. Der betreffende Pastor hatte ein ziemlich untergeordnetes geistliches Amt. Als nun das Pfarramt in derselben Gemeinde frei wurde, bewarb er sich um dasselbe bei der Regierung, unterstützt durch eine zahlreich unterzeichnete Petition der Gemeinde. Er erhielt das Amt jedoch nicht, und der Rirchenminister begründete dies mit seiner abweichenden Stellung zu den Bekenntnisschriften, hierin hat man nun eine Stütze für die Ansicht finden wollen, daß die Staatsbehörden eine so freie Haltung von feiten eines geistlichen Beamten nicht haben anerkennen wollen. Indessen ist hierbei zu bemerken, daß der betr. Pastor der jüngste unter allen Bewerbern war und auch in keiner Weise als ein in irgend­ welcher weise besonders hervorragender Geistlicher bezeichnet werden Kann. Seine Ernennung wäre dann eine äußerst auffallende und ganz ungerechtfertigte Übergehung anderer, älterer und in der praktischen Tätigkeit ganz anders angesehener Bewerber gewesen. Es kann deshalb nicht geleugnet werden, daß die Staatsbehörden — wenn auch nicht in ausdrücklichen Worten — doch tatsächlich und praktisch eine recht bedeu­ tende Bekenntnisfreiheit für die Pastoren anerkannt haben, selbst wo dieselbe offenbar gesetzwidrig ist. Soweit, wie der hier in Frage stehende Pastor, gehen zwar nur die wenigsten unter den Pastoren der norwegischen Rirche. Doch hat er

offene und öffentliche Unterstützung von einzelnen bekommen, ohne daß

8

Djessing, Norwegische Kirchenkunde.

gegen irgendeinen von ihnen eingeschritten worden wäre. Aber ganz sicher gibt es viele, die in zahlreichen Punkten von den Worten der ge­ setzlich anerkannten Bekenntnisse abweichen, und kaum einen einzigen, der ganz und gar das Athanasianum und die Augustana anerkennt. Und in der letzteren befinden sich Punkte, von denen man sagen darf, daß sie überhaupt von dem gesamten Bewußtsein der Kirche aufgegeben sind, z. B. (auch als Konsequenz der späteren Gesetzgebung) § 14 über das kirchliche Amt, und im allgemeinen auch alle Verdammungssätze, die gegenwärtig - nicht in der Theorie, aber praktisch — nur innerhalb einzelner, stark pietistisch angehauchter Ureise festgehalten werden. Die kirchliche Gewalt ist - wie früher gesagt — zwischen König (Regierung) und Storthing geteilt, und zwar so, daß der König1 die

ausübende und administrative, das Storthing die gesetzgebende und be­ willigende Gewalt hat. In gewissen Fällen werden diese INachtsphären ineinander fließen. Aber in Zweifelsfragen wird ganz gewiß der überall dominierende Einfluß, den das Storthing sich in der Praxis erworben hat, zu guter Letzt alle Entscheidung eben in seine Hände legen. Cs heißt im Grundgesetze Norwegens § 16: „Der König verordnet allen öffentlichen Kirchen- und Gottesdienst, sowie alle Sitzungen und Versammlungen in Religionsangelegenheiten." Durch diese Bestimmung sind alle rituellen Anordnungen der gesetzgebenden Gbrigkeit entzogen. Zum öffentlichen Kirchen- und Gottesdienste wird gerechnet: jeder rituelle Akt, der im Namen der Kirche durch deren Diener2 verrichtet wird, mit anderen Worten: jede rein kirchliche Handlung, ob sie in oder außerhalb des Kirchengebäudes vorgenommen wird, also nicht nur der eigentliche Gottesdienst, sondern auch Haustaufe, Konfirmation, Trauung (und kirchliche Segnung einer bürgerlichen Ehe), Beerdigung, Grdina-

tion, Kirchweihe u. a. Auch hat der König zu bestimmen, ob solche Verrichtungen und welche außerhalb der Kirche, z. B. auf dem Kontor des Pastors oder im Hause des Betreffenden ausgeführt, auch zu welcher Zeit sie ausgeführt werden dürfen, was die Handlung selbst betrifft, so umfaßt dies Recht nur die rein formelle Anordnung, die liturgische Art und weise, dagegen nicht ihre juristischen Wirkungen, hier hat die gesetzgebende Gewalt mitzureden. Aber auch das Recht des Königs, rituelle Bestimmungen zu treffen und Sitzungen und Versammlungen anzuordnen, hat seine Einschränkung, insofern die Ausführung eines Beschlusses oder die Einberufung einer Sitzung mit Kosten verbunden sind. Er ist in dieser Hinsicht ganz und gar abhängig vom Storthing,

*) wo in dieser Verbindung vom König die Rede ist, muß man stets die früher (S. 3) behandelten Verhältnisse in Betracht ziehen. 2) vgl. Broch, Norwegisches Kirchenrecht, Kristiania 1904, 39.

I. Die Verfassung der Kirche.

als der bewilligenden Gewalt?

9

Ferner soll dem Könige das Recht zu­

stehen, eine Behörde zu zerteilen oder zwei oder mehrere zu einer

einzigen zu vereinen - also auch neue Ämter zu schaffen, jedoch hat auch dies Recht keine praktische Bedeutung, wenn die beschlossene Verände­

rung vermehrte Unkosten, die vom Storthing bewilligt werden müssen, verursacht. Bei einigen Gemeinden bestehen allerdings besondere kirch­ liche Fonds, von denen der König in gewissen Fällen ohne Bewilligung des Storthings Gebrauch machen kann. Ferner steht es dem Könige zu, Beamte der Kirche zu ernennen, zu suspendieren oder — gegebenen­ falls — zu verabschieden. Rur die Pröpste werden von den Pastoren der Propstei gewählt. Bei der Ernennung von Bischöfen sollen alle Pröpste des Landes in Verbindung mit sämtlichen in dem betr. Stift ein selbständiges Amt bekleidenden Pastoren sowie die theologischen Professoren durch Stimmabgabe drei Pastoren der Kirche oder andere zum geistlichen Amte qualifizierte Männer bezeichnen, die sie als die für das erledigte Bischofsamt bestgeeigneten ansehen; der König ist indessen an diese Stimmabgabe, die eine nur beratende ist, nicht ge­ bunden. Vie Gemeinden selbst haben keinen gesetzlichen Einfluß auf irgend­ eine geistliche Ernennung. Dagegen hat sich die Gewohnheit ein­ geschlichen, daß eine Gemeinde in einzelnen Fällen zugunsten eines Bewerbers, dessen Ernennung man besonders gerne sähe, ein Gesuch *) So im Jahre 1869 - dem einzigen Male, wo der König von seinem Rechte, eine Kirchenversammlung einzuberufen, Gebrauch gemacht hat. Damals lag - wie jetzt — ein Entwurf zu einem Kirchenverfassungsgesetze vor, durch welches die Kirche eine eigene Vertretung bekommen sollte. Der König beschloß, eine allge­ meine Kirchenversammlung einzuberufen, um die Sache vorzubereiten, und man ersuchte das Storthing um Genehmigung dazu. Das Storthing aber lehnte den Antrag ab, und aus der Versammlung wurde nichts. Statt dessen versuchte man, freiwillige Kirchenversammlungen in den verschiedenen Landesteilen (Stifts­ versammlungen) ins Leben zu rufen, und einige Jahre darauf eine allgemeine freiwillige Versammlung in Kristiania (Landesversammlung). Diese freiwilligen Versammlungen sind später zu festen Einrichtungen geworden, sind aber noch immer freiwillige. 3u den Stiftsversammlungen wählen die Gemeinden ihre Abgeordneten. Die Pfarrer im Stifte nehmen selbstverständlich daran teil. Die Stiftsversammlungen wählen Abgeordnete zur Landesversammlung. Diese Ver­ sammlungen pflegen die wichtigsten Fragen, die in den Gemeinden aufgetaucht sind, zu verhandeln. AIs rein freiwillige tragen sie ihre Kosten selbst. Sie haben keinen Rechtsanspruch, von den Staatsbehörden gehört zu werden. Aber die Staatsbehörden haben die moralische Pflicht, die (vorher von den Stifts­ versammlungen vorbereiteten und darauf) in der Landesversammlung zur Sprache gekommenen wünsche zu berücksichtigen. In jüngster 3eit sind jährliche Kirchen­ versammlungen abgehalten worden, die von freisinnig-kirchlicher Seite veran­ staltet wurden. Diese haben in noch beträchtlich höherem Grade privaten und fteiwilligen Charakter als die älteren Landes- und Stiftsversammlungen.

10

(bjessing, Norwegische Kirchenkunde.

einreicht. Wieweit auf ein solches Gemeindegesuch Rücksicht genommen wird, hängt wohl in der Regel von der Stellung des Rirchenministers zur Sache ab. (Es herrschen sehr geteilte Meinungen über den wert dieser Gemeindegesüche. Unter der herrschenden parlamentarischen Staats­ form mit den häufig wechselnden Ministerien hat sich für die Behand­ lung der Gemeindegesuche durch die Regierung keine feste Regel ent­ wickeln können. Bald hat man einen Rirchenminister oder eine Regierung, die geneigt ist, ihnen einen ausschlaggebenden wert beizulegen, — bald hat man solche, für die sie so gut wie nichts zu bedeuten haben. Ich glaube indes, wenn man die Sache objektiv betrachtet, so muß man sagen, daß ihr wert meistens sehr gering ist. Die Gemeinden haben ja gar keine Möglichkeit, sich mit den Bewerbern oder mit deren Bewerbungsgesuchen bekanntzumachen. (Es wird dann ein reiner Zu­ fall sein, wenn unter den Bewerbern einer ist, der in der betr. Ge­ meinde bekannt ist, oder einer, von dessen kirchlichem oder politischem Standpunkt man am Grte etwas weiß. (Es sind nämlich mancherlei und recht verschiedenartige Rücksichten, die sich in vielen Gemeinden geltend machen. Bald ist es Rücksicht auf die Stellung des Pastors zu den kirch­ lichen Streitfragen (Lehrfragen, kirchlichen Verfassungsfragen, Stellung zur Inneren-Missions-Bewegung usw.), bald ist es Rücksicht auf die Abstinenzsache - oder auf die Politik - oder auf die Sprachfrage? Gft

ist es irgendein junger Kaplan, der in der Vakanzzeit Vikardienst verrichtet und sich hier die Zuneigung der Gemeinde erworben hat, so daß sie ihn nun - ohne Kenntnis der anderen Bewerber — in blinder Vorliebe ernannt wissen will. Der Staat hat auch dafür zu sorgen, daß die kirchlichen Beamten genügende Bezahlung erhalten. Auf welche Weise diese aufzubringen ist, bestimmt das Gesetz, wo die verschiedenen kirchlichen Fonds oder mehr zufällige Einkünfte (z. B. durch einzelne geistliche Handlungen, *) In allen Verhältnissen - auch in den kirchlichen - spielt in Norwegen die Sprachenfrage eine große Rolle. Ich kann hier nicht näher darauf eingehen; nur einige Worte zur Orientierung: Gegen die überlieferte norwegische Schrift­ sprache (Riksmaal), welche sich unter der langen politischen Verbindung mit Dänemark entwickelt hat, ist von gewissen nationalistischen Kreisen aus eine starke agitatorische Bewegung ins Leben gerufen worden. Man glaubt, eine „nationalere" Sprache in dem sogenannten Landsmaal gefunden zu haben, einer Sprache, die auf Grund gewisser Bauerndialekte, die der ursprünglichen nor­ wegischen Sprache näher als das Riksmaal liegen sollen, ausgearbeitet worden ist. Mit Rücksicht auf diese Agitation hat die Regierung das „Altarbuch" (Agende) ins Landsmaal übersetzen lassen und außerdem einen Anhang zum Gesangbuch mit Liedern im Landsmaal für solche Gemeinden, die es wünschen, eingeführt. Ferner sind einige Pastoren (ohne feste Gemeinde) ernannt worden, die besonderen Gottesdienst auf Landsmaal halten.

II. Die Geistlichkeit.

11

Trauungen, Begräbnisse und ähnliches) nicht ausreichen, veranlatzt dar Storthing die Kommunen auf gesetzlichem Wege, das Zehlende aufzu­ bringen, oder es mutz selbst das Erforderliche bewilligen. Da die Kirche Staatskirche ist, mutz der Staat auch dafür sorgen, datz in allen öffentlichen, kommunalen und privaten Schulen (mit Aus­ nahme der reinen Fachschulen) genügende Unterweisung im Christentum gegeben wird, und datz in der evangelisch-lutherischen Lehre den Be­ kenntnisschriften gemätz unterrichtet wird. Darum sollen auch die Pastoren amtliche Aufsicht über den Religionsunterricht haben, ebenso wie in jeder Schuldirektion (für Volksschulen) ein geistliches Mitglied sein muh. Vas Kirchendepartement (d. h. der Kirchenminister) hat alle Lehrbücher, deren Benutzung im Religionsunterricht gewünscht wird, zu autorisieren.

II. Die Geistlichkeit. In kirchlicher Beziehung ist Norwegen in sechs Stifter (Bistümer) eingeteilt, die in Propsteien (im ganzen 84) geteilt sind; die Propsteien zerfallen wiederum in Pfarreien (im ganzen ca. 500). Eine Pfarrei kann aus zwei oder mehreren Pfarrbezirken (Sogn) bestehen, jeder mit einer oder zwei Kirchen. Es gibt ca. 980 Pfarrbezirke und ca. 1150 Kir­ chen. Jede Pfarrei hat einen Pfarrer (Sogneprest), der also manchmal zwei oder mehrere Pfarrbezirke zu bedienen haben kann; jede Propstei hat ihren Propst, und jedes Stift seinen Bischof. Autzer diesen gibt es Pastoren an Gefängnissen, Hospitälern und Krankenhäusern. Zum Propst wählen die Pastoren der Propstei einen von den Pfarrern der Propstei. Vieser bleibt dabei Pfarrer in seiner Pfarrei. Eine Ausnahme bilden nur die Stiftspröpste, indem nämlich jede der sechs Stiftsstädte (in der Regel die wichtigste Stadt des Stiftes) eine eigene Propstei bildet, hier ist das Amt des Propstes an ein be­ stimmtes Pfarramt in der Stadt geknüpft. Ein Stiftspropst wird darum vom Könige, ohne vorhergehende Wahl durch und unter den Pastoren, ernannt. Außerdem hat man eine Reihe untergeordneter Pfarrämter: residierende Kapläne und dritte Pastoren (die letzteren nur in den größten Stadtgemeinden), welche beide mit dem Pfarrer in der Ver­ richtung von Gottesdiensten und geistlichen Handlungen alternieren. Ferner gibt es Berufskapläne und persönliche Kapläne. Der Unter­ schied zwischen den beiden letztgenannten Ämtern besteht darin, daß der Berufskaplan (Kapellan pro loco) als fester Beamter an seine Stelle

12

Gjessing, Norwegische Kirchenkunde.

gebunden ist (er wird in gewöhnlicher weise auf gründ allgemeiner und öffentlicher Bewerbung ernannt), während der persönliche Kaplan nach freier Wahl des betreffenden Pfarrers ohne öffentliche Bewerbung

ernannt wird; der letztere ist nicht nur an die Stelle, sondern auch an die Person des Pfarrers gebunden, so daß seine Funktion aufhört, so­ bald der Pfarrer stirbt oder abgesetzt wird, wenn der Pfarrer versetzt wird, hängt es von ihm ab, ob sein persönlicher Kaplan mitzieht oder sein Amt verliert. (Er wird vom Pfarrer nach rein privater Überein­ kunft besoldet. Sowohl die Berufskapläne als die persönlichen Kapläne stehen völlig zur Disposition des Pfarrers nach deffen eigener freier Bestimmung. Endlich gibt es auch StiftsKapläne ohne feste Gemeinde. Der Bischof bestimmt, wo sie zu arbeiten haben. Gewöhnlich werden sie als Vikare bei Vakanz eines Pfarramts oder bei Krankheit bzw. längerem Urlaub eines Pfarrers verwendet. Die sechs Bischöfe des Reiches sind die höchsten kirchlichen Beamten. Sie haben zwar alle gleichen Rang und Würde unter sich, doch wird gewöhnlich der Bischof von Kristiania als primus inter pares angesehen. Die Bischöfe ordinieren die neuen Pastoren und führen die oberste kirch­ liche Aufsicht. Mindestens alle sechs Jahre soll jede Pfarrei vom Bischof des Stiftes in Verbindung mit dem Propste der betreffenden Propstei visitiert werden. Ein neues Visitationsreglement ist durch königliche Resolution vom 23. Juli 1909 ausgefertigt worden. Nach derselben soll sich der Bischof bei seinen Visitationen über die Amtstätigkeit der Pastoren und die kirchlichen, christlichen und sittlichen Verhältnisse in -er Gemeinde orientieren. Er soll mit dem Pastor über dessen Tätig­ keit, sein Studium und seine Predigtvorbereitung sprechen, und überchaupt die Gelegenheit dazu benutzen, ihm Rat und Anweisung zu er­ teilen. Er soll die Amtsprotokolle und das Archiv der Pfarrei unter­ suchen. Auch soll bei der Visitation ein Gottesdienst abgehalten werden, in welchem der Pfarrer, und ein anderer Gottesdienst, in welchem der Bischof predigt, sowie ein Kindergottesdienst, zu welchem die Schulkinder und die Lehrer der Gemeinde erscheinen. Ferner soll eine Lehreroer­ sammlung abgehalten werden, wozu die Religionslehrer an den ver­ schiedenen Schulen eingeladen werden, und außerdem eine Gemeinde­ versammlung zur Besprechung des religiösen und sittlichen Lebens in der Gemeinde, hierbei soll den Gemeindegliedern Gelegenheit gegeben werden, Klagen über den Pastor oder die Religionslehrer vorzubringen, falls irgendein Grund dazu vorliegt. Der Stiftsamtmann (der oberste Zivilbeamte)

und

der Bischof

machen zusammen die oben (S. 5) erwähnte Stiftsdirektion aus. Die Pröpste führten früher bei besonderen Propstvisitationen we-

II. Die Geistlichkeit.

13

sentlich die gleiche Aufsicht wie die Bischöfe. Die Propstvisitationen sind jetzt aufgehoben, und die Pröpste bilden nun eigentlich nur noch eine rein geschäftsmäßige Zwischeninstanz zwischen den übrigen selbständigen

Pfarrämtern und dem Bischof, während die Pfarrer wiederum die Zwischeninstanz zwischen den untergeordneten Geistlichen und dem Propst

bilden. Wenn ein Pastor in irgendeiner Angelegenheit sich an den König (ober in Bewilligungsfragen an das Storthing) wenden will, so

muß die Sache durch die verschiedenen Instanzen hindurch entweder vom Bischof oder gegebenenfalls von der Stiftsdirektion dem Kirchendeparte­ ment vorgelegt werden. Vie Besoldung der Geistlichkeit geschah früher durch freiwillige Gaben der Gemeinde („Gpfer"). Die Einnahme eines einzelnen Pastors hing deshalb ganz von seiner Beliebtheit in der Gemeinde oder von der Gpferwilligkeit derselben ab. Erst im Jahre 1897 bekam man ein neues Besoldungsgesetz, wonach eine feste jährliche Einnahme für jedes einzelne Amt festgesetzt wurde. Ls gibt jetzt kein selbständiges Amt mit einer Einnahme unter 2400 Kronen, wozu noch der Ertrag des Pfarrhofs oder freie Pfarrwohnung zu mindestens 400 Kronen hinzukommt. Andererseits gibt es kein Pfarramt (die Bischöfsämter ausgenommen) mit einer größeren Einnahme als 6000 Kronen in den Städten, bzw. 4000 Kronen auf dem Lande. Bei diesen Maximaleinnahmen sind jedoch die Einkünfte des Pfarrhofs oder die freie Pfarrwohnung (bzw. ein Wohnungszuschuß, wo kein besonderes Pfarr­ haus ist) nicht miteinberechnet.

Die Einnahmen des Pastors werden teils durch Zinsen verschiedener kirchlicher Fonds, teils durch ein indirektes Besteuerungssystem inner­ halb der einzelnen Gemeinden aufgebracht. Wo auf diese Weise die vorgeschriebene Minimaleinnahme nicht beschafft werden kann, muß der Staat das Fehlende zuschießen. Wo dagegen die Zinsen der verschiede­ nen Fonds und das Besoldungssystem eine größere Summe als die vor­ geschriebene Maximaleinnahme einbringen, müssen die Überschüsse in einen Gemeindefond (den Besoldungsfond) eingezahlt werden, welcher eventuell zu vermehrter geistlicher Bedienung oder zu allmählicher Ab­ lösung der obengenannten Besteuerung verwendet werden kann. Der Besoldungsfond wird von fünf dazu gewählten Gemeindegliedern ver­ waltet. In den Städten gibt es in der Regel keine besonderen Pfarr­ wohnungen, weshalb die Pastoren dort meistens Wohnungszuschuß er­ halten. Auf dem Lande dagegen gibt es gewöhnlich einen eigenen Pfarrhof mit dazugehöriger Landwirtschaft oder auch Pfarrerwohnung ohne Landwirtschaft. Es könnte scheinen, als ob die norwegischen Pastoren in finanzieller Hinsicht durchschnittlich gut gestellt seien, um so mehr, als durch Gesetz